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600093577
DER
GRIECHISCHE ROMAN
UND
SEINE VORLÄUFER.
•
DER
GRIECHISCHE ßOMAN
UND
SEINE VORLÄUFER.
VON
ERWIN ROHDE,
ORD. PROFESSOR DER CLAS8. PUILOLOOIE AK DER UNIVERSITÄT JENA.
LEIPZIG,
DRÜCK UND VERLAG VON BREITKOPF UND HÄRTEL.
1876.
9 ) ^ & 1^7
Das Ueberfietzungsrecht vorbehalten.
MEINEM
LEHRER UND FREUNDE
OTTO RIBBECK
IN liElDELBKKG
r.KWIDMKT.
Vorrede.
Das vorliegende Buch behandelt einen durchaus problema-
tischen Gegenstand : es stellt sich die Aufgabe, die allmähliche
Entstehung, Entwicklung, Ausbildung einer griechischen Roman-
dichtung begreiflich zu machen, das besondere Wesen dieser
Dichtung aus der Art ihres Werdens zu erklären. Wenn nun
hierbei von dem uns noch vorliegenden Ergebnisse dieses
Werdeprocesses auf diesen Process selbst zurUck zu schliessen
war, so kann sich freilich der Verfasser nicht verhehlen, dass
die Gefahr eines Trugschlusses hier genau so nahe liegt wie
überall wo von der Wirkung auf die Ursache zurtlckgeschlossen
werden muss. Auf jeden Fall glaubt er, das Rechte getroffen
zu haben , indem er eine grössere Energie der Arbeit auf die
Darlegung der, zur endlichen Erzeugung des Romans zusam-
menwirkenden Ursachen als auf die Charakterisirung der einzel-
nen Romane selbst verwendet hat ; das Interesse der Forschung
heftet sich hier weit mehr an die Entstehung der Gattung als
an die besondere Art der Indi\iduen, welche, selbst von
geringer Kraft und tagenthümlichkeit , eben nur als Gattungs-
wesen Bedeutung haben. Nun ist ja auch »das Individuelle
unaussprechbar«; die Entstehung der Gattungen und Arten
Hesse sich doch vielleicht ergründen und aussprechen. Ist
hiernach das lange Verweilen bei den »Vorläufern« des eigent-
lichen Romans w^ohl ausreichend begründet, so muss freilich
der Verfasser eingestehen, dass ihn ein wenig auch persönliche
Neigung länger, als unbedingt nöthig war, in den Vorhallen
aufgehalten hat. Vielleicht theilen aber die Leser seine Neigung ;
vielleicht finden sie, dass* es einem Buche nicht zum Nachtheile
gereiche, wenn es nicht, wie ein Epigramm, alle Aufmerksam-
keit gewaltsam auf den Schluss hindrängt, sondern, gleich
— VIII —
eiuem epischen Gedichte, jedem Aiigeublick der Entwicklung
und Darstellung sein selbständiges Behagen verstattet. Zudem,
wer durch liebliche ThalgrUnde, durch stille, dicht ver^vach-
sene Wälder, Über frei erhobene Berggipfel endlich nach einer
kahlen sandigen Ebene zu wandern hätte , kann man es dem
verargen, wenn er, ohne sonderlich zum Ziele zu eilen, des
schönen AVeges geniesst, auch wohl von der geraden Strasse
sich bisweilen ablocken lässt, hier und da eine leuchtende
Blume abpflückt, ja wohl einmal, unter einem schattigen l^aum
am Waldesrande hingesunken, sinnend in das weite sonnige
Land hinausblickt? Man braucht doch nicht immer im Boten-
schritt auszugreifen. — Ob nun freilich die Wege, auf denen
ich die Leser zum vorgesetzten Ziele zu flihren unteniehme,
die nächsten, ob sie gar die einzigen seien, darüber mag ur-
theilen, wer hier zu urtheilen ein Recht hat. Jedenfalls, denke
ich, sind die Oegenden, welche mit mir zu durchwandern ich
den günstigen Leser auffordere, an und für sich der Betrach-
tung würdig, auch zum Theil nicht unlustig zu durchwandeni.
Uel)er die besondere Art der von mir festgehaltenen Betrachtung
weiss ich selbst nichts zu sagen. Es giebt der Weisen, das
Alterthum zu betrachten, viele und vielfältige: ich trage nicht
das geringste Verlangen, meine Art der Auffassung und Dar-
stellung Jedermann als die allein richtige aufzudrängen. Mag
doch Jeder seine Strasse ziehen; nur lasse man auch mich
»auf meinem Sattel gelten«.
Die durchgehends festgehaltene Ausführlichkeit meiner Dar-
stellung bedarf schwerlich einer besondern Kechtfertigüng.
Sämmtliche hier betretenen Gebiete waren bisher wenig weg-
sam. Juvat integros accedere fontes atque haurire — : ich
denke, hierin liegt ein wesentlicher Reiz der hier eröifneten.
Betrachtung ; aber diese unberührten Quellen lagen in der W^ild-
niss, nicht ohne Anstrengung und Umständlichkeit Hess sich
ein Weg zu ihnen eröffnen. Da mich zudem schwerlich jemals
in diese Gegenden zurückzukehren gelüsten wird, so wollte ich
bei dieser Veranlassung so viel wie möglich und mehr als
geradezu von mir gefordert werden konnte, zur Auttiellung so
dunkler Gebiete beizutragen versuchen. Auch ist wohl eine
mr>glichst erschöpfende Darstellung gerade bei solchen Gegen-
ständen am Platze, in w^elche sich selbst tiefer zu versenken
- IX —
der Verfasser Beinen Lesern keineswegs znmuthen machte. Man
kr»nnte beinahe behaupten, eben solche, ein wenig abgelegene
und sterile Gebiete der Litteratur, wie das hier betrachtete,
seien der Litteraturgeschichtc zu besonders sorgfältiger Bear-
beitung zu empfehlen. Denn, wo sie grossen Autoren gegen-
übersteht, was könnte sie da Besseres thun als dem Leser, nach
einer kurzen Anleitung, einfach zu sagen: nun gehe du selbst
hin, lies, verehre, und suche zu begreifen! Die vielen schlechten
und mittelniässigen Autoren zu lesen darf sie dem Leser in der
That ersparen, indem sie selbst hier die Last, ein wenig «Staub
zu fressen«, Übernimmt, und den wesentlich nur culturhistori-
sehen Werth solcher Autoren sorgsam ausgezogen darbietet.
Indem ich somit die P'xistenz dieses dickleibigen Buches zu
erklären unternehme, muss ich beinahe um Entschuldigung
bitten , dass es nicht noch ein wenig umfangreicher geworden
ist. Die in der Einleitung ip. 5) in Aussicht gestellte Skizze
der griechischen Novellistik habe ich vorgezogen fortzulassen.
Eine Einleitung zu einer solchen Skizze bietet ein Vortrag, den
ich auf der vorjährigen Philologenversammlung in liostock)
gehalten habe; derselbe wird sich in den Verhandlungen der
Versammlung abgedruckt ündeu: ich kann nur bitten, ihn
als das aufzufassen was er sein will, als einen Vortrag, nicht
als eine Abhandlung. Vielleicht komme ich später einmal auf
eine genauere Betrachtung der griechischen Novelle, und auch
des griechischen Märchens ;zu dessen Geschichte ich auch in
diesem Buche einige zerstreute Beiträge geliefert habe) zurück.
Das angehängte Kegister verzeichnet, zum Zwecke leichterer
ßenutzbarkeit, viele Einzelheiten aus dem bunten Inhalt dieses
Buches, jedoch nur in einer nach Gutdünken getroffenen Aus-
wahl; ich bitte, darnach das Register beurtheilen zu wollen,
und kann leider nicht versprechen, dass dasselbe dem Ideal
eines index rerum entspreche , welches ja wohl darin gipfelt,
dass er die LectUre des Buches selbst überflüssig mache.
Im Uebrigen muss nun das Buch seine Sache, wohl oder
übel, .selbst vertreten; eine besondere Fürsprache meinerseits
würde ihm dazu wenig helfen. Welches auch seine feineren
Schicksale sein mögen, ich selbst gebe es nicht ohne Bewegung
nunmehr aus der Hand; zwischen den Zeilen und oft aus den
trockensten Erörterungen sieht mir mit dunkeln Augen die Er-
— X —
iunerung an viele trübe und schwerlastende Stunden, Wochen,
Monate entgegen, in denen dieses Buch, wie ein treuer und
hülfreicher Freund, mich getröstet und mit gelinder Hand auf
Gebiete eines unpersönlichen Interesses geleitet hat. Möge es
nun den Weg zu denen finden, für die ich es geschrieben habe.
Ich gestehe, dass ich mir nicht allein zünftige Philologen zu
Lesern wünsche, sondern dass ich mein Buch auch den Erfor-
schem weiterer Gebiete litterarhistorischer und culturhistorischer
Studien zur Beachtung empfehlen möchte, ja dass ich sogar,
über den Kreis eigentlich gelehrter Leser hinaus, das Buch
allen ernstlich gesinnten Freunden des Alterthums in die Hand
geben möchte. Nicht ohne Rücksicht auf solche unzünftige
Freunde des Alterthums , dergleichen ja doch wohl , trotz der
verheerend um sich fressenden »allgemeinen Bildung«, in deut-
schen Landen hin und wieder noch manche wohnen mögen, ist
die äussere Einrichtung des Buches getroffen, welche, das
Beweismaterial überall vom Texte absondernd, einem jeden
Leser verstattet, von dem also in die Anmerkungen verwiesenen
rein gelehrten Bodensatz sich nur eben so viel anzueignen als
ihm dienlich erscheint. Ich verkenne nicht, dass diese Abson-
derung des speciellen vom allgemeinen Theile, wie sie dem Buche
hie und da ein etw^as befremdliches Aeussere gegeben hat. mich
bisweilen verlockt haben mag. in den Anmerkungen noch etwas
weiter von der geraden Strasse abzu1)iegen, als ohne diese Ein-
richtung geschehen wäre.
01) nun ein solches Buch \ne das hier vorliegende in wei-
teren Kreisen Symiiathien finden werde, vermag ich nicht voraus-
zusagen. Das Eine darf ich hoflcn, dass diejenigen, denen ich,
in meinen Gedanken,^ den ganzen Inhalt dieses Buches während
der Ausarbeitung vorgetragen habe, die es auch jetzt, nach
V^oUendung des Buches, vor Allen sind »quibus haec, sint (|ua-
liacunque, arridere velim«. dass meine Freunde, was ich ihnen
zu sagen komme, des Anhörens werth finden werden. Möge
denn namentlich der Afann dieses Buch theilnehmend will-
kommen heissen, dem das Ganze, als ein Unterpfand der Treue
und freundscliaftlicher Gesinnung, gewidmet ist.
Kiel, am 2S. März IS7(J.
Erwin Rohde.
Uebersicht des Inlialtes.
Seit«
Einleitung 1
I. Die erotische Erzäiilaugr der heUenistischen Dicliter.
4. Auflösung der mythischen Emptindun^swciso der Griechen 4 t
9. Individualistischer Zug der hellenistischen Cullurepoche 15
3. Stellung der Dichter hellenistischer Zeit zu mythischen StotTen 19
4. Neue Stoffe erzählender Dichtung. — Legenden; im Besonderen
erotische Legenden 22
5. Erotische Sagen dichterisch ausgeführt von Slesichorus; von
Sophokles und Euripides; 27
6. Von den jüngeren Tragikern und vom Pantomimus .... 35
7. Erotische Sagen , gesammelt von Historikern und Antiquaren 38
8. Schriften der Philosophen über Liehe und Liebesabenteuer . 55
9. Thatsächliche Lebensverhältnisse der griechischen Frauen in
hellenistischer Zeit 59
iO, Erotische Erzählungen der hellenistischen Dichter. Vorbereitet
durch Mimnermus, Anlimachus. Erotische Sagen bei Phi-
lelas — Hermesiunax — Simmias von Rhodus — Alexander
Aelolus — Nicaenelus — Sosicrales — Phanokles — Kalli-
machus — Dionysius von Korinth — Euphorion — Nicander
— Parthenius — Bulas — Simylus 72
H. Urkundlichkeit dieser erotischen Erzählungen. Anlehnung der
hellenistischen Erotiker an die Behandlung analoger Sagen
in der Tragödie. Romantisirung der alten llcroenwelt. An-
lehnung an die Sammlungen der Historiker. Des i'arlho-
nius Sammlung erotischer Sagen. Quellen dieser Sammlung 97
12. Die erotische Erzählung der hellenistischen Dichter als Vor-
läufer des spätgriechischen Liebesromanes , im Allgemeinen
als Erzählung erotischer .Abenteuer der sentimentalen Art,
im Besonderen in der kunstmä'ssigen Darstellung solcher
Abenteuer. Reconstruirung des Wesens hellenistischer Erotik
aus Nachahmungen derselben bei römischen und spätgrie-
chischen Dichtern. Ovid. Nonnus. Musaeus. Die Technik
der eroti.schen Erzählungskunst von den späteren Roman-
schreibern den Erotikern hellenistischer Zeit nachgeahmt . H6
II. Etlinogrraphische Utopien, Fabeln und Romane.
4. Der griechische Roman äusserlich zusammengesetzt aus einer
erotischen Fabel und einer Masse phantastischer Abenteuer
zu Land und See. Entstehung dieses zweiten Elementes aus
einer eigenen Art der Reisedichtung 167
— XII —
Reite
2. Ethnographische Phantasien und Märchen in der Ody^ee — den
Argonautenabenteuern — dem Gedichte des Aristeas — den
Reiseberichten des Pythcas, Ktesias, Mcgasthenes u. A. Orien-
talisches Element in solchen Berichten. Indische Heiso-
märchen. Reisen des Sindbad. Popularisirung solcher Phan-
tastik im hellenistischen Orient. Ethnographische Fabeln als
öltester Theil der Alexandersage des Pseudokallisthenes. Pnr-
odirung solcher Fabeln in Lucians »Wahren Erzählungen« 17ä
3. Verbindung ethnographischer Fabulistik mit philosophischen und
politischen Idealvorstellungen. Utopien der Philosophen. Pia-
tos Atlantis. — Theopomps Meropis. — Des Hekataeus Hy-
perboreer. — Sagen von glückseligen Inseln im Norden oder
Westen. Dttarakurus; Attacoren des Amometus. Fabelvolk
des Timokles. — »Heilige Urkunde« des Euhemcrus. — Reise-
bericht des Jambulus 194
4. Verbindung ethnographischer Phantastik mit einer erotischen
Fabel zum Roman. Antonius Diogenes: »Die Wunder jen-
seits Thule« ........' 242
in. Die grrieclilsche 8ophi8tik der Kaiserzeit.
i. Aeussere und innere Gründe der erneuten Blüthe griechischer
Rhetorik in der Kaiserzeit 288
2. Wirksamkeit der Sophisten als Lehrer und als Prunkred ner.
Art ihres öffentlichen Auftretens 304
8. Litterarische Thätigkeit der Sophisten. Hinübergreifen in Phi-
losophie und Historie. Willkürlichkeit in der Wahl ihrer
Stoffe. Formale Sorgfalt. Ihr Bestreben, eine prosaische
Poesie zu begründen 318
4. Phantastische Schulthemen der Sophisten. — Erotische Themen.
— Erotische Briefe. — Erzählung erotischer Legenden. —
Erzählung selbsterfundener erotischer Geschichten. — Auf-
zählung einiger, nur dem Namen nach bekannter Dichter
erotischer Romane. — Benennung solcher Romane. »Drama«».
Sinn dieser Bezeichnung. — Epochen der Sophistik . . . 336
IT. Die einzelnen sopliistischen Liebesrouiane.
1. Des Jamblichus Babylonische Geschichten 361
2. Des Xenophon von Ephesus Ephesische Geschichten .... 381
3. Geschichte des ApoUonius von Tyrus 4 08
4. Des Heliodor Aethiopische Geschichten 424
5. Des Achilles Tatius Geschichte von Leucippe und Klilophon 467
6. Des Chariion Geschichte von Chaereas und Kallirrboe . . . 485
7. Des Longus Hirtengeschichte von Daphnis und Chloe. . . . 498
8. Byzantinische Liebesromane. Euslathius Macrembolita — Theo-
dorus Prodromus — Nicetas Eugenianus — Constantinus Ma-
na.sses. — Spuren spätgriechLscher Romane in. romanischen
Litteraturen. Boccaccio 521
Wer heutzutage seine Leser zu einer jjenauer eingehenden Be-
trachtung der Reste griechischer Koinanlitteratur auffordert,
der darf freilich auf jene unbedingte ästhetische Antheilnahnie
nicht zühlen, welche den übrigen dichterischen Kunstwerken
des wunderbaren Volkes stets gewiss ist. Auch ohne uns an
(iie hohe Vorzug] ich keit mancher modernen Romane zu erinnern,
empfinden wir die Mängel der griechischen Erzeugnisse dieser
Art, die Schwächlichkeit der ganzen Gattung so deutlich, dass
wir kaum noch begreifen, wie eben diese leeren und schaalen
(lebilde in einer noch gar nicht fernen, und tlbrigens künst-
lerisch reich gebildeten , aber freilich alles Antike gewisser-
maassen in Bausch und Bogen gleichmässig zu verehren gewohn-
ten Zeit Gegenstand der Bewunderung, ja der Nachahmung für
einen Cervantes und Tasso, weiterhin für die französischen
Uomanschreiber des siebzehnten Jahrhunderts sein konnten.
Wenn wir aber somit vor Ueberschätzung dieser Werke
sicher genug sind, so mag unsere Betrachtung um so nachdenk-
licher auf denjenigen Eigenthümlichkeiten dieser späten Erzeugnisse
griechischen Geistes verweilen, welche sie, ganz abgesehen von
ihrem künstlerischen Werthe oder Unwerthe, für die litterar-
historische Forschung zu einem der merkwürdigsten Probleme
machen. Wie vieles nmss hier nicht denjjenigen räthselhaft
erscheinen, der etwa von der classischen Poesie der Jugendzeit
griechischer Cultur unmittelbar zu diesen spälgeborenen Kindern
ihres hohen Alters überspringt! Hier haben wir eine erzählende
Dichtung vor uns, die, obwohl von der Wirklichkeit des Lebens
und der Geschichte gänzlich abgewendet, doch die dichterische
Form der gebundenen Rede verschmäht, durch deren Kraft die
erzählende Dichtung der classischen Zeil, so gut wie die lyrische
und dramatische , sich wie mit Flügeln aus der Niedeining des
Buh de, Der griechiitcbe Kotnnn. \
wirklichen Lebens in ein freies Reich der Phantasie erhob.
Diese prosaische Poesie reisst sich somit gänzlich los von »dem
wahren Elemente, woher«, nach Goethe *), »alle Dichtungen
entspringen«, der Tonkunst, deren mächtiger Zauber es
eigentlich ist, der in dem Rhythmus und Klange auch des nur
gesprochenen Verses, als idealisirendes Vermögen noch nach-
wirkt.
Nächst dieser Incongruenz des poetischen Inhaltes und der
prosaischen Form verwundert uns der Ursprung der also vor-
getragenen Geschichten. Sie verdanken ihre Entstehung nicht
dem geheimnissvollen Weben einer Volksphantasie, deren bilder-
reiche Vorstellungen von den beherrschenden Kräften der Well
und des Menschenlebens allen erzählenden Dichtern der classi-
schen Zeit einzig zum Stoffe ihrer kunstvollen Bildungen dien-
ten; an die Stelle jener Mythen sind hier die freien Erfin-
dungen der unbeschränkten Willkür individueller Phantasie
getreten. Und diese Dichter, die so viel mehr wagen, als die
mythischen Dichter der alten Zeit, erzählen nicht mehr von
Thaten und Leiden, Fahrten und Kämpfen wunderbarer Helden ;
ihr wesentlicher Stoff, dem alle Erfindungen einer unruhigen
Phantastik nur zur Ausschmückung dienen, ist die Liebe, eine
Liebe von beinahe moderner Ueberschwänglichkeit und Schwel-
gerei der Empfindung. Welch ein Abstand von dem alten Ho-
mer, in dessen Gedichten kaum einmal die Töne einer herz-
lichen Liebesempfindung leise anklingen, der in so romantische
Liebesbündnisse, wie die des Paris und der Helena, des Odys-
seus und der Circe, Kalypso, Nausikaa, so gar kein sentimen-
tales Pathos zu legen wusste, — zu diesen späten Erzählungen,
in denen eine schmachtende Galanterie den wesentlichen Lebens-
inhalt der jugendlichen Helden ausmachen kann!
Das empfindet man sehr bestimmt: hier sind von den
Eigenschaften, die wir als die besonderen Merkmale griechischer
Poesie zu betrachten gewohnt sind , kaum noch einige Spuren
nachgeblieben; hier regen sich schon, ungeschickt genug, die
Kräfte einer neuen Welt; und leicht verstehen wir, wie die
byzantinische Zeit, welche den herrlichen Resten altgriechi-
scher Dichtung höchstens das Interesse eines dumpfen Schul-
1) Annaieii 4 805.
— 3 —
fleisses entgegenbrachte, an diese Gattung prosaischer Poesie
in unmittelbarer Nachahmung anknüpfen mochte. Gewiss ist
es diesem Interesse der Byzantiner zu danken, dass wir von
diesen Producten überhaupt einige Kenntniss haben. Die früheren
Zeiten schenkten ihnen so wenig Beachtung, dass uns kaum
einige dürftige litterarhistorische Notizen von ihnen reden,
und nicht einmal die Ueberschrift eines litterarhistorischen
Fachwerkes auch nur von einer Lücke Kunde geben würde.
Denn bezeichnend genug ist es, dass wir diese Vorlaufer einer
ganz modernen Litte raturgattung mit keinem antiken Namen zu
benennen im Stande sind, sondern in diesem einzigen Falle die
übrigens rein antike Nomenclatur der grossen schriftstellerischen
Gattungen durch den modernen Namen des »Romansa ver-
mehren müssen.
Trotz alledem wurzelt auch diese Gattung der Poesie noch
im Boden des griechischen Älterthums; sie zeigt z. B. mit den
gleichzeitigen Regungen einer neuen, christlichen Cultur
durchaus keine sichtbare Gemeinsamkeit; und so fragt man
sich mit Verwunderung, wie doch die erzählende Dichtung des
griechischen Volkes, mit Homer beginnend, mit einer Schöpfung
ihre fruchtbare Thütigkeit beschliessen konnte, die, gerade in-
dem sie der modernen Welt ein nun freilich längst Ubertroffenes
Vorbild unmittelbarer Nachahmung wurde, auf das Deutlichste
die Selbslvernichtung des eigensten Wesens der Antike an sich
darstellt. Aus welchen verborgenen Ursprüngen entstand in
Griechenland das ganz Ungriechische? Deutlich genug tragen
diese Dichtungen die Züge des Greiseuthums , einer von der
Biüthe längst zum Verfall fortgeschrittenen Entwickelung.
Kamen sie aber gleich welk zur Welt, »grauhaarig gleich sieit
ihrer Geburt«, wie Hesiod's Gräen? Und wenn das undenkbar
ist, wo finden wir in der Litteraturgeschichte die weiter zurück-
liegenden Spuren ihres allmählichen Wachsthums? Wenn man auf
diese Fragen eine bestimmte Antwort zu geben wünschen muss,
so darf man sich freilich nicht verbergen, dass hier Alles auf Com-
bination gestellt ist, die Gefahr des Irrthums nahe liegt, und
selbst im günstigsten Falle eine lückenfreie Reihe zusammen-
hänfii;ender Entwickelung sich schwerlich wird aufzeigen lassen.
4 —
2.
So bequem werden wir es uns nun jedenfalls nicht machen
dürfen, wie der Franzose Chassang, der in seinem sonst
durchaus nicht verdienstlosen Buche: »Histoire du roman dans
Tantiquit^ grecque et latine«*) den Ursprung des Romans in
der freilich acht griechischen »Lust zu fabuliren« sucht, alle
historischen , biographischen , philosophischen Fabelerzählungen
der »fabelreichen Hellas u kurzweg zu den Romanen rechnet,
und bei dieser unerwarteten und unerwtlnschlen Vermehrung
der Ueberreste griechischer Romanlitteratur nur die Eine Haupt-
sache zu erklciren vergessen hat, wie man nämlich aus der
blossen Lust am Lügen und Aufschneiden die poetischen
Eigenthümlichkeiten der eigentlichen griechischen Romane
verstehen könne. Offenbar wollen historische Unzuverlässigkeit
und dichterische Phantastik mit ganz verschiedenem Maasse ge-
messen sein ; die Entstehung einer griechischen Romandicht uni^
wird man nun und nimmer anders als aus der Geschichte der
griechischen Poesie verstehen können. Damit ist schon aus-
gesprochen, dass man zur Lösung unserer Frage wenig bei-
getragen hat, wenn man die befremdlichen Eigenschaften der
griechischen Romane durch das beliebte Auskunftsmittel der
Annahme orientalischen Einflusses zu erklären versucht ;
selbst wenn diese, durch Huet's Auctorität^) lange Zeit all-
gemein verbreitete und befestigte Annahme besser begründet
wäre , als sie es ist. Denn eine tiefer eindringende Betrach-
tung würde hier so wenig wie in analogen Fällen bei der An-
nahme fremdländischen Einflusses übersehen dürfen , dass das
eigentlich Erklärenswerthe nicht die nackte Thatsache der Ent-
lehnung fremder Culturelemente , sondern die Disposition des
1) A. Chassang, Histoire du roman et de ses rapporfs avec Thistoiro
dans Tantiquitö grecque et latine. Sme. 6d. Paris 4 862.
2) lluet, Tmitö de l'origine des romans. (Ich benutze die siii^nio
«Edition: ä Paris, 4 685.) p. 4 0 ff. — Einen merkwürdigen l*rolest gegen
diese Ansicht findet man in Lobeck's akad. Reden, p. 434: »De Tabu-
larum Romanensium, quas alte ex Oriente repctere solent, origine grae-
canica, piura dicenda sunt, quam hoc loco expromi possint«. Leider hat
Lobeck seine positive Meinung über den Ursprung der griechischen Romane
nirgends kundgegeben und ausgeführt.
griechischen Volksgeistes ist, welche diesen in beslimmlen Zeil-
punkten zur fruchtbringenden Aufnahme solcher ausländischen
Einwirkungen geneigt und fähig machte. Und mit dieser Be-
frachtung wfiren wir doch wieder auf den inneren Entwicke-
lungsgang der griechischen Poesie zurückgewiesen. Uebrigens
haben solche orientalischen Einflüsse auf die Entstehung und
Entwickelung griechischer ErzHhlungslitteratur jedenfalls nicht in
der Richtung stattgefunden , in welcher Huet sie wirksam
glaubte. Jene orientalischen Fabeln, die wir heute in den
Sammlungen des Pantschatantra, Sindabad, Vetälapantschavingatl
u. s. w. vereinigt finden, haben höchstens auf die griechische
N 0 V e 1 1 i s t i k , keineswegs aber auf die griechische Roman-
litteratur einen Einfluss ausgeübt. Ist aber nicht ebea jene
griechische Novell islik (von deren Ueberresten in einem An-
hange zu reden sein wird) als ein Vorläufer des griechischen
Romans zu betrachten? An sich wäre es ja nicht undenkbar,
dass aus dem kleinen Kerne eng umgränzter Novellenerzählungen
allmählich die gedunsene Fülle der späteren Romane hervor-
gequollen sei. Dies war denn auch wohl derjenigen Gelehrten
Meinung, welche Aristides von Milet und ähnliche Autoren zu
den Vorläufern des Xenophon von Ephesus, Heliodor, Achilles
Tatius u. s. w. rechneten: wie z. B. Dunlop im Anfang der
i»History of fiction«*), 'Korals in der 'EmoroXi^ irpo; 'AXi^av-
5()ov Ba3iXe(o'j 2) . Der geringste Mangel dieser Ableitung des
Romans aus der Novelle wäre wohl der, dass sich ein solcher
Uebergang nicht historisch nachweisen lässt. Denn da wir in
jedem Falle, um die Vorgänger des Romans zu erkennen, auf
innerliche Verwandtschaft der Romane mit diesen Vorgängern
angewiesen sind , so muss hier freilich eine jede Hypothese in
Bezug auf die Nach Weisung der historischen Zusammenhänge
den Gegnern dieselbe Nachsicht gewähren, die sie selbst in
Anspruch nimmt. Eine innerliche Verwandtschaft aber
1) John Dunlop, The history of fiction, zuerst Edinburgh 48U (ich
benutze, wie billig, die Lieb rech tische Uebersetzung, Berlin 4 851).
2) Vor seiner Ausgabe der Aethiopica des Heliodor. (Paris 4 804.) —
Hei Pal dum US, Rom. Erotik (Greifsw. 1833;, p. 95 liest man die wunder-
liche Behauptung: »Die positiven Elemente des (griechischen) Romans« seien
»die lasciverotischen Erzählungen «, die Tabulae Milesiae und die »Wunder-
und Gespenstergeschichten« nach Art des Phlegon.
— 6 —
•
des griechischen Romans mit der Novelle könnte wohl Mancher
besonders in dem Verhältnisse erkennen wollen , welches
zwischen den Ereignissen des Romans und der Hauptperson,
an der sich diese Ereignisse vollziehen, obwaltet. Hier erken-
nen wir nämlich einen durchgreifenden Unterschied zwischen
dem altgriechischen Roman und der Gesammtvorstellung von
dem Wesen dieser Dichtungsgattung, wie sie in neueren Zeiten
aus der Betrachtung einiger w^eniger höchster Vorbilder der
spanischen, englischen, französischen und auch deutschen Lit-
teratur und der zahllosen Nachahmungen solcher vorbildliehen
Romantypen sich uns gebildet hat. Diese modernen Romane
streben — und die vollkommensten mit der grössten Deutlich-
keit und dem höchsten Erfolge — dahin, an einer Reihe zweck-
mässig erfundener, oder aus der geschichtlichen Ueberlieferung
sorgfältig auserlesener, geselzroässig sich entwickelnder Ereig-
nisse die eigenthümliche Art eines oder mehrerer Individuen
sich entfalten und darstellen zu lassen; ihr wesentliches In-
teresse beruht gerade auf der psychologischen Kunst einer
solchen Entwickelung ^) . Der Novelle, wie wir sie namentlich
aus den italienischen MeisterweiiLen kennen, kommt es im
Gegentheil darauf an, irgend ein merkwürdiges Verhältniss der
Menschen zu einander an einem besonders deutlichen Fall zu
verbildlichen; wenn dem Roman die in solchen Verhältnissen
sich darstellende Person die Hauptsache ist, so ist die künst-
lerische Aufgabe des Novellendichters im Wesentlichen be-
schränkt auf eine scharfe und geistreiche Zeichnung der in-
teressanten Verhältnisse, in welche er Personen zu einander
stellt, die uns nur so weit und so lange sie in die flüchtige
1) Man vergleiche beiläufig einige einsichtige Bemerkungen bei No-
valis (Werke [4801] II p. 542): »Ein Romaoschreiber macht eine Art von
Bouls rimds, der aus einer gegebenen Menge von Zufällen und Situationen
eine wohlgeordnete, gesetzmfissige Reihe macht, der Ein Individuum zu
Einem Zwecke durch alle diese Zufälle zweckmässig hindurchführt. Ein
eigenthümliches Individuum muss er haben, das die Begebenheiten be-
stimmt und durch sie bestimmt wird. Dieser Wechsel oder die Verände-
rung eines Individuums in einer continuirlichen Reihe machen den interes-
santen Stoff eines Romans aus« u. s. w. — Aehnliche Betrachtungen,
vornehmlich aus dem eindringenden Studium des »Wilhelm Meister« her-
vorgesponnen, findet man auch bei anderen »Romantikern« der älteren
Periode häutiger vorgetragen.
— 7 —
Beleuchtung solcher Verhältnisse treten . interessanl zu sein
brauchen.
Jedem Kenner dieser Litteraturgatlung ist es nun wohl
gegenwärtig, wie entschieden sich die griechischen Romane der
novellistischen Art der Darstellung zuneigen, wie sie zur
psychologischen Entwickelung eines bedeutenden Individuums
kaum einmal einen Ansatz machen, sondern sich lediglich in
einer wirren Yerschlingung der seltsamsten Ereignisse gefallen,
die uns durchaus nur als Begebenheiten fesseln, keineswegs
aber die besondere Art der Helden zur kenntlichen Darstellung
zu bringen dienen. Sind sie also nicht wirklich als auseinander-
gezerrte, willkürlich erweiterte Novellen zu betrachten, deren
Vorbilder in den milesischen Fabeln zu suchen wären?
Das kann trotzdem nur derjenige glauben , der von Stil
und Charakter der antiken Novelle nur eine sehr unbestimmte
Vorstellung hat. Betrachtet man die Reste jener Litteratur-
gaiiung genau, so erkennt man als ihre beste Eigenthümlich-
keit eine scharfe Beobachtung des täglichen Lebens, einen kräf-
tigen und unbefangenen Realismus der Darstellung. Im
vollen Gegensatze dazu steht der luftige und leere Idealismus
der meisten griechischen Romane^). Statt in einer rein äuf-
gefassten, bestimmt gezeichneten Wirklichkeit bewegen sich ihre
Gestalten vielmehr in einer nebelhaft wogenden Wolkenwelt
von nie und nirgends; und diese Gestalten selbst gleichen in
ihrer leeren Tugendhaftigkeit Niemanden weniger als den der-
ben Figuren der novellistischen Wirklichkeit: wie die blutlos
durchsichtigen Schemen einer Zauberlaterne schwebt und
schwankt das Alles in wunderlichem Zuge an uns vortlber.
Wollen wir uns der unvergleichlich fruchtbaren Betrachtungs-
weise Schillers anschliessen , so würde die griechische Novelle
und der griechische Roman weder zu der naiven noch zu der
sentimentalen Art gehören; sondern jene würde der realisti-
schen Ausartung der naiven, dieser der idealistischen
Ausartung, oder vielleicht richtiger Vorstufe der sentimentalen
Gattung zuzurechnen sein, welche, aus der Wirklichkeit flüch-
tend, doch der höheren Herrschaft der Vernunft sich nicht zu
1} Eine Ausnahme bilden einige Theile des Romans des Achilles Tatius;
doch kann dies nicht Wunder nehmen bei der seltsamen Mosaikarbeit dieses
Schriftstellers.
— 8 —
ergeben weiss ^). Diese Novelle und dieser Roman bilden also
geradezu polare Gegensälze, und es würde wohl eine sehr
starke üeberredungskunst erforderlich sein, um uns glauben zu
machen, dass die durchaus unclassische Ausartung in einen
schattenhaften Idealismus, wie sie der Roman zeigt, aus ihrem
vollsten Gegensatze, dem scharfen Realismus der Novelle, her-
zuleiten sei. Mit der Novelle mag das bürgerliche Lustspiel,
die s. g, neue Komödie, eine wirkliche Verwandtschaft
haben; eben darum aber ist es ganz verkehrt, dieser Komödie
einen Einfluss auf die Entwickelung des griechischen Romans
zuzuschreiben, wie Villemain^) ihul. Denn war nicht diese
Komödie, nach dem bekannten Worte des Cicero, »imitatio
vitae, speculum consuetudinis , imago veritatis«"? Und könnte
man wohl das voUstUndigste Gegentheil aller Eigenschaften des
griechischen Romans schärfer aussprechen? Was also die No-
velle vom Roman scheidet , dasselbe legt sich als trennende
Kluft auch zwischen den Roman und das bürgerliche Lustspiel.
Diese Andeutungen liessen sich leicht weiter ausführen.
Man könnte namentlich auf den völlig entgegengesetzten Geist
aufmerksam machen, in welchem die Novelle und der Roman
die sittlichen und socialen VerhUltnisse der Menschen auffassen,
vornehmlich das für Beide so wichtige Verhültniss der Ge-
schlechter zu einander. Einer gewissen witzigen, an List und
Kühnheit ohne weitere Bedenken sich erfreuenden Ruchlosigkeit
der Novelle stehl der feierliche, fast pathetische Ernst, mit dem
der Roman diese Verhältnisse, im Sinne strenger sittlicher Rein-
heit, behandelt, schroff gegenüber 3). Einige üeberlegung wird
aber lehren, dass diese moralische Divergenz eine Gemeinsam-
keit nicht nur in Colorit und Stimmung, sondern auch in dem
Entwurf und der Zeichnung der Lebensbilder durchaus unmög-
lich machte. — Man könnte auch zweifelnd fragen , ob die so
genau geschlossene Kunstform der Novelle überhaupt einer
1) Vgl. Schiller, Bricfw. m. Goellic Hl 262, 263. Werke XII 246
(Cotta) .
2) Essai sur les romans Grecs (in: Eludcs de littc^raluro ancieime cl
<^tratigerc), !>. 460. Uebrigens ^iirde man in diesem ganzen Essai des be-
rühmten Litterarhistorikers vergeblich nach irgend welchen neuen und
fruchtbaren Gedanken, Combinationen oder Thatsacheii suchen.
3; Auch hier machen einzelne Partien hei Achilles Talius eine Ausnahme.
— 9 —
weiteren organischen Entwickelung fähig sei, ob eine Ausweitung
derselben nicht lediglich eine Zersprengung sein niUsse.
Dieses möge genügen, um die grosse Unwahrscheinlichkcit
eines inneren Zusanunenhanges (les griechischen Rouians mit
der älteren Novellcnlitteratur hervortreten zu lassen.
Der griechische Roman entstand so wenig aus der Novelle,
\\ie die ihnj so nahe verwandten » heroischen a Romane des
Scuderv, Gomberville u. s. w. und ihrer deutschen Nachahmer
im M, Jahrhundert aus der reichen Noveilenlitteratur der Ita-
liener und Franzosen.
3.
Wir werden uns den wirklichen Ursprüngen griechischer
Romandichtung nur dadurch nähern können , dass wir den
eigentlichen Kern ihres Wesens bestimmt ins Auge fassen.
Die Absicht des griechischen Romanschreibers ist am Aller-
wenigsten die, ein Rild des Lebens in seiner bunten wunder-
lichen Wirklichkeit zu zeichnen. Seine Aufgabe, zu deren
Lösung er alle Kräfte einer diffusen Gelehrsamkeit und einer
unstäten Phantastik aufbietet, ist vielmehr eine sehr viel
mehr idealistische. hn Rahmen einer wechselreichen Ge-
schichte will er uns ein Bild der Liebe, von der zartesten
Sehnsucht bis zu der gewaltsamsten Erregung in Schmerz,
Zweifel und Eifersucht vorführen. So verschiedcui auch die
einzelnen Autoren diese Aufgabe behandelt haben , die Auf-
gabe selbst : ein liebendes Paar durch Nolh und Gefahr,
Prüfung und Versuchung zum endlichen Glück zu geleiten,
bleibt bei allen dieselbe, eine Schilderung der Leidenschaft
dieses Paares der wesentliche Inhalt ihrer Dichtungen. An
den weil reicheren psychologischen Inhalt moderner Romane ge-
wöhnt, werden wir gut thun, bei der gegenwärtigen Betrach-
tung uns gleich zum Anfang diese Beschränkung des griechi-
schen Romans ausdrücklich ins Gedächtniss zurückzurufen.
Ganz richtig formulirle sie ein Zeitgenosse der ersten wirklichen
Romane, mit denen die Franzosen des M, Jahrhunderts den
antiken Vorbildern nacheiferten, der Bischof Huet also: Tamour
doit estre le principal sujet du Roman *) .
1) Huet, De rorigine des Romaos, p. 3.
— 10 —
Vermulhlich würde mancher moderne Roroanschreiher gea;en
eine solche Einengung seines Kunslvermögens lebhaft prole-
stiren: ihn tragen stärkere Flügel auch zu höheren, ferneren Zielen.
Im Allgemeinen freilich gilt die Regel noch heute für den Ro-
man: für den griechisclxen Roman ist sie unbestreitbar das
oberste Gesetz.
Ist nun also dieser griechische Roman wesentlich nichts
als eine erzählende Liebesdichtung, und will man nicht zu-
geben, dass eine solche Dichtungsweise in Griechenland einfach
aus dem Nichts fertig hervorsprang, so wird man wohl darüber
nicht in Zweifel sein können, dass der erste Ursprung solcher
Liebesromane in einer Poesie zu suchen sein müsse, deren
hauptsächlicher Inhalt ebenfalls eine erzählende Darstellung der
Schicksale leidenschaftlicher Liebe war. Während nun die
Dichtung der classischen Zeit zu einer solchen Gattung erotischer
Erzählungen kaum einige geringe Ansätze darbietet, so blühte
dagegen in hellenistischer Zeit eine reiche, von den begab-
testen Dichtern mit Geist und Feinheit ausgebildete besondere
Gattung poetischer Liebeserzählungen , die in Zeichnung und
Färbung mit den Liebesabenteuern der späteren Romandichtung
eine wohl erkennbare Verwandtschaft zeigen.
In diesen erotischen Dichtungen alexandrinischer Poeten
den ersten Keim der so' viel später ausgebildeten griechischen
Liebesromane entdeckt zu haben, ist Ruttmanns Verdienst*).
Die Richtigkeit seiner Vermuthung ist seitdem an Einem
allerkenntlichsten Beispiel mit eindringlicher Sorgfalt und ge-
nauester Kenntniss thatsächlich nachgewiesen worden^]. Es
wird unsere nächste Aufgabe sein , die Entstehung und volle
Entwickelung erotischer Erzählungskunst in griechischer Dich-
tung in einem weiteren Umblicke zu betrachten und den Zu-
sammenhang der griechischen Romandichtung mit dieser überaus
merkwürdigen Entwickelung hellenistischer Poesie nach Ver-
mögen darzulegen. Es muss gestattet sein, hierbei etwas weiter
auszuholen.
1) Buttmann, Mythologus 11 445, 444. Vgl. auch W. Herlzberg
in Prutzens Litt. Taschenb. 4 846 p. 460 (der freilich mancherlei Irrthüm-
liches einmischt).
2) C. Diitbey, De Callimachi Cydippa. Lips. 4863.
I.
Die erotische Erzählung der hellenistischen
Dichter.
1.
Die bewundernswerihe Einheitlichkeit aller Lebensäusserun-
gen des griechischen Volkes in seiner eigentlich productiven
Culturperiode prägt sich nicht am Undeutlichsten in der That-
sache aus, dass, selbst bis in eine Zeit freiester individueller
Entwickelung hinein, die Dichter jenes Volkes für ihre er-
zählenden oder unmittelbar mimisch darzustellenden Werke
ernsthafter Art sich, wie durch einen stillschweigend anerkann-
ten Zwang, an die wunderbaren Mythen von Göttern und Heroen,
wie sie die Vorzeit ausgebildet und überliefert hatte , als an
ihren einzigen Stoff gebunden sahen. Wie die hellenischen
Götter nicht die Schöpfer, sondern die Bildner und Leiter der
Welt waren , so die Dichter älterer Zeiten nicht die Erfinder,
sondern wiederum die kunstvollen Bildner ihrer Stoffe. Nie-
mand wird das Fernhalten eigener Erfindung bei jenen Dich-
tem, den künstlerischen Genien des phanlasievollslen Volkes,
aus einem Mangel selbständig schaffender Phantasie erklären
wollen. Vielmehr spricht sich in dieser, in ihrer Art vielleicht
einzigen Erscheinung der nationale Charakter selbst der er-
habensten Poesie altgriechischer Zeil aus. Anders als in mo-
dernen Zeiten trat selbst der gewaltigste Dichter nicht, in er-
habener Einsamkeit des Denkens und Empfindens, einer frem-
den Menge von Volksgenossen gegenüber, die ihm nichts ge-
währen und kaum ihn verstehen konnte; sondern seine höchste
Kraft und Würde erreichte er gerade als der deutende Dar-
steller der mächtigsten und, edelsten Triebe, die, im Zeitpunctc
— 12 —
seiner Wirksamkeit , seinen Stamm und sein Volk bewejzten.
So slief; er nicht als ein einsam lierrschender Berf; aus sum-
pfi}ier Kl»ene auf; wie der hoeli üljerragcndc oberste Gipfel
eines weiten Felsenjzehirj^es nur dureli die verschlungenen; sich
stutzenden und auf breiter Grundlage aufthürnienden unteren
Hcrgmass(»n zu seiner strahlenden Höhe emporgehoben wird, so
trug und sitilzte ihn Iheilnehmender Geist, Sinn und Wille seines
Volkes. ICinem solchen Volksdichter konnte es wohl gar nicht
in den Sinn kommen, die Traund)ilder seiner einsamen Phan-
tasie dem Volke vorzuführen ; was ihm die Muse an Kraft und
Kunst verliehen hatte, damit schmückte er die güUHchen und
heroischen (lestallen tlvr Sage, wie sie, von dem schöpferischen
Volksgenius mit blühendem Leben beseelt, im Mittelpuncte alles
Lebens und Kmphndens seines Volkes, wie die Abbilder grie-
chischen Wesens, seiner Verehrung und zugleich seiner künst-
lerischen Betrachtung überall sich darl)oten.
Ks ist nun aber klar, dass diese Beschränkung der Dichter
auf die mythischen StoOe nicht ohne Gefahr war. Denn war
auch i\vv AuctoritjU solcher M>then nichts von der starren
Strenge eines Dogma lieigemischt , blieben sie vielmehr, als
lichte M>then, lebendig und im organischen Waehsthum, so
lange der Geist des Volkes, In dem sie wohnten, selbst leben-
dig und jugendlich entwickelungsf<ihlg ]>lieb : so musste doch
eine fruchtbare dichterische Behandlung dieser Mythen, die mit
so vielem künstlerisch Schönen docli auch den ganzen Schatz
religiöser und sittlicher Kmpündungen <les jugendlichen Volks-
sinnes einscidossen , immer schwieriger und endlich unmöglich
w erden , sol>ald im Volke selbst und in den Dichtern des
Volkes der unbefangene Glaube und die Freude an den Göttern
und (Umu heroisi'hen 1-eben dieser Sagen zu sehwinden be-
gonnen. Vür diesen Verfall des mUhischen Glaul)enS; wie er
im künstliclier verscldungenen , sorgenvoller und prosaisch
ernstliafter gewordenen Leben der Nation sich allmiihlich immer
iHulrohlicher entwickelte, und seil dem fünften Jahrhundert
vor Chr. (ieb. auch in weiteren Kreisen des Volkes sich be-
merklich machte, l>raucheu wir hier nur zwei hauptsächliche
GrUnde anzudeuten.
Die Zeit war vorüln^r, in der die Sagendichtung alle Fähig-
keiten und Bedürfnisse des (Jeistes, in unentwickelter Ver-
— 13 —
einigung bei einander ruhend, uinscliloss, den ganzen und
volltönenden Inhalt des Lebens aussprach. Als sich nun eine
Kraft des Geistes nach der anderen losrang und zu besonderem
Leben entwickelte, inusste sich zumal und zuerst das lebhaft
erwachte Streben nach unbildlicher, eigenllicher Erkennlniss
der Welt und des Lebens nothwendig feindselig gegen die
bunten Trugbilder der alten mythischen Götterbilder wenden,
in deren Hunden bisher die Leitung alles Werdenden und Ge-
schehenden zu liegen schien. So ernsllich und eigenllich an-
gefasst, musste freilich der alte Götterglaube der griechischen
Wissenschaft bald erliegen. Indessen, wiewohl hier freilich
die Axt an die Wurzel, die liefsle Voraussetzung alles Götler-
glaubens gelegt wurde, so wirkte doch diese Art der Belrach-
lung zunächst nur auf kleinere Kreise, und vermochte im Ver-
ständniss des Volkes den Glauben an die olympische Götlerwell
jedenfalls nur langsam zu erschüttern, deren Namen sich sogar
unter den Gelehrlen manche, als Hülle eines freilich sehr will-
kürlich veränderten Inhaltes , gefallen liessen.
Nicht die Existenz der Götter, aber desto ernstlicher den
dichterischen Mylhus, in dessen bewegtem Geschehen diese
Götter ihr eigentliches Leben hatten, bedrohte eine andere Be-
trachtungsweise dieser neuen Zeit. Wie es in Perioden einer
geistigen Befreiung von all überkommenen Vorstellungen zu ge-
schehen pflegt, erregte damals die ernsteren Geisler eine tiefere
Frömmigkeit um so stärker, je entschiedener sie sich von der
beruhigenden Auctorität befestigter Religionsanschauungen los-
sagten. Indem dieser neu erwachte religiöse Sinn die über-
lieferten mythischen Erzählungen auf ihren moralisch-religiösen
Gehalt zu prüfen unternahm, konnte sich ihm der Widerspruch
nicht verbergen, der jene Göttergeslallen, in der Wirksamkeit,
welche Sage und Dichter ihnen anwiesen, entstellte. Hier war
an das Steuerruder der Welt eine menschenähnliche Gottheit,
ja eigentlich eine ins Göttliche gesteigerte Menschheit gestellt,
der doch das Göttlichste im Menschen, die Güte, Milde, Barm-
herzigkeit und Liebe, ja der Sinn für Recht und Unrecht, zu
fehlen schien. Nicht ohne Grund maass man diese Entstellung
vornehmlich der ausbildenden Thätigkcit der Dichter bei.
Denn die Göttergeslallen der Sage, in denen sich zuerst die
herrschenden und be\Negenden Gewalten der Natur, dann, ver-
— 14 —
möge eines tiefsiDBigen Analogienspiels, auch die dunkeln Ge-
walten^ die des Menschen Sinn zu Heil und Unheil antreiben,
sich personificirt halten : — waren sie nicht von den Dichtern
nach deren* oberstem Gesetze, den Forderungen der Schönheit,
immer bestimmter ins Menschliche umgebildet worden, ohne
dass doch diesen menschenartigen Göttern menschlich milder
und reiner Sinn eingepflanzt worden wäre, neben der un-
erbittlichen Kraft und Gewalt ^j, welche die älteste Sage, mit
tiefer Ahnung, ihren, im elementarischen Leben herrschenden
Naturgöltern, einzig mitgegeben hatte? Welches nun auch der
Sinn gewesen sein möge, in welchem Homer und Hesiod und
ihre Zeitgenossen die moralische Indifferenz, ja Ruchlosigkeit
ihrer Götter ertragen und verstehen konnten : jedenfalls war
dieser, im Miltelpuncte der Gesammtempfindung der älteren
Zeit, als rechtfertigender und beseelender Geist, wohnende my-
thische Sinn den Denkern jener späteren Zeit entschwunden,
die sich mit Spott und Unwillen über das »stehlen und buhlen
und einander betrügen« ereiferten, in welches die Dichter-
mythen ihre Götter, im Verkehr unter einander und mit den
Menschen, verstrickten.
Und nun bekundet sich der Tod jener mythischen Em-
pfindung gleichermaassen in der zornigen Verachtung der Phi-
losophen, in den frommen Versuchen eines Pindar, die Mythen
einer reineren, aber ihnen innerlich fremden Moral anzunähern,
in den selbständigen Erfindungen monströser, symbolisch ge-
meinter Mythen von Seiten der frommen Mystiker jener Zeiten,
endlich in der begrilfsmässig allegorischen Ausdeutung der
Mythen, welche, als eine Rechtfertigung der Dichter gegenüber
den Angriffen der Philosophen zuerst in Anwendung gebracht,
von Anoxagoras bis zu den letzten Mitgliedern der stoischen
Schule, ja bis zu den frommen Neuplatonikern gar manchem
Denker als ein Surrogat für das wirkliche Verständniss des
alten Volksglaubens gedient hat. Wenn es, in der Zeit der
höchsten Kfaftentwickelung des attischen Individualismus, den
Dichtern der tragischen Rühne, namentlich dem Aeschylus und
Sophokles, noch einmal gelang, dem Mythus das Leben ihrer
1) To ^dp xpaxoDv vojAiCexai Äeö; (Menander KapfvT^ fr. 4): das war und
blieb freilich auch stets urgriechisch.
— 15 —
eigenen mächtigen Seelen einzuhauchen, und ihn in ein inneres^
nothwendiges Yerhältniss zu einer tiefer gefassten Sittlichkeit
zu setzen, so blieb dieses doch nur die ganz pers()nliche That
jener wunderbaren Genien. Unmittelbar neben ihnen konnte
sich der völlige Verfall des mythischen Verständnisses auf das
Grellste ktindthun in den Dramen des Euripides, in deren Be-
handlung der hergebrachten mythischen Stoffe zuweilen fast
ein offener Hohn und die Absicht der Parodie durchschimmert.
2.
War nun also, durch die erwachende Wissenschaft und die
selbständig gewordene religiöse Speculation, der unbefangene
Mythenglaube bereits erschütterl, so beschirjnten doch seine Auc-
toritäi noch immer die festgeordneten Einrichtungen des öffent-
lichen und des häuslichen Lebens der alten hellenischen Stämme
und Staaten, die mit tausend Fäden an den alten Glauben und
die alten Sagen geknüpft waren. Zur vollen Wirkung kam die
veränderte Stellung der Denkenden und Gebildeten erst in
jener Epoche einer ungeheuren Ausbreitung der hellenischen
Bildung tlber die östliche Welt, welche man die hellenistische
zu nennen sich gewöhnt hat. In jener Zeit trug Alles dazu
bei , das schon gelockerte Band , welches den Einzelnen mit
Glaube, Sitte und Empfmdungsweise seines Volkes verknüpfte,
völlig zu lösen, und ihn gänzlich auf seine individuelle Einsicht
und Ansicht zu beschränken.
Während das alte Hellas mehr und mehr in einem ärm-
lichen Stillleben vermoderte oder sich in wüsten Kämpfen auf-
rieb, breitete sich, in den ersten Jahrhunderten der Diadochen-
zeit, in den grossen afrikanischen und asiatischen Reichen der
hellenistischen Könige ein glänzendes Leben aus. Dorthin zog
sich auch, was von geistigem Leben kräftig blieb, und doch,
bei dem Verfall des nationalen Gesammtlebens , eines künst-
lichen Schutzes durch die Hofgunst nicht entbehren konnte.
Indem nun der Angehörige des alten Griechenlands aus der
Enge seiner eifersüchtig beschränkten Stamm- und Sladtgemein-
schaft herausgerissen, in eine endlose Weite barbarischer Länder
hinausgetrieben, in prächtigen Neugründungen gewaltiger Gross-
städte mit Genossen aller anderen griechischen und so vieler
■N
— 16 —
Iiaihgrieehisehen SliSmine und einer überwiegenden Menge bar-
barischer Urbevvohner zusammengewürfelt wurde, musste er,
schon seit geraumer Zeit zu freiesler Betrachtung der Welt und
des Lebens angeregt, nothwendig ein Kosmopolit werden
und ein Hellene im ahen Sinne zu sein aufhören. Nichts
konnte ihn in den neuen barbarisch-hellenischen üeichen an
die Sinnesart , die Sitte , den mit allen Einrichtungen des
Lebens und der Kunst unauflöslich verflochtenen Götterglauben
seiner alten engen Ileimath binden. Wirklich befreite er sich
so völlig von der Beschränkung einseitig hellenischer Empfin-
dungsweise, dass er sogar den tiefbegründelen, auch von den
Freisinnigsten früherer Zeit stets festgehaltenen Gegensatz des
Hellenischen zu allem Barbarischen aufzugeben geneigt
wurde, und — zum ersten Mal in der Geschichte der Mensch-
heit— den Gedanken einer kosmopolitischen Einheit aller Völker
und Menschen fassle^). Zu einer solchen Ansicht, die eine ganze
Menschheit sich , ohne charakteristische Gruppen , nur aus un-
zähligen, ihr gewissermaassen »reichsunmittelbar« untergebenen
Einzelnen zusammengesetzt denkt, konnte sicherlich nur eine
Zeit gelangen, die von den tief und unvertilgbar den Einzelnen
bildenden und bestimmenden Einwirkungen einer überlieferten,
im engen Kreise festgehahenen nationalen Sitte und Gesinnung
an sich selbst die Wirkung nicht mehr empfand, und die freie
Entwickelung seiner Anlagen der willkürlichen Selbslbestimnmng
des Einzelnen überlassen sah.
Diese Neigung zur Vereinzelung nährte die monarchische
Verfassung der wichtigsten hellenistischen Staaten. Wie überall,
1) Ausdrücklich hatte eine solche Idee der Stoiker Zeno in seinen
Bü<-hern »»vom Slnnte« vorfielragen ; und was ihm nur »Traum und Ideal«
hlieb, meinte man in Alexanders Weltreich in Wirklichkeit wenigstens be-
gonnen zu sehen : s. Flularch de Alex. s. fort. s. virt. I 6. Alexander
wollle v^fj^ ÜTTTjXoa k6'(0'j td im y^j? *ii P-i«? TroXixeia;, ha of^fiON dvi)p(j[)7ro'j;
aTiavTa; oiTro'fTjvai. Ibid. I 8. Ebenso verwirft Eratosthenes bei
Strabo I p. 66 die Einiheiiung der Menschen in Hellenen und Barbaren:
[J^Xtiov Eivai, drJZ^:f^ xoti -Aa-Afa ouXeiv Taura. Der theorelische Kosmopoliti^-
mus der C^niker und Sloiker ist bekannt. — Schon Theodorus 6 di^eo; sagte:
des Weisen Vaterland sei die Welt (Laerl. Diog. 11 99). — Vgl. auch Me-
nander (nicht Epicharrous) bei Stob. tlor. 86,6. Vs. U ff. {Com. IV 229):
8; dv £j YE^ovoi; 7^ ttJ ^'jaei 7:00; Td^aftd, xdv Alftio«!; ig, jif^Tep, laxw ei^Evfj;
u. s. w.
— 17 —
so gewährte jedenfalls auch hier die »aufgeklärte« Monarchie
dem Einzelnen eine grössere persönliche Ungebundenheit , als
es eine auf gemeinsamer strenger Selbstverwaltung einer ein-
heitlichen Bürgermenge begründete demokratische oder oligar-
chische Volksregierung je darf und kann. Hier war nicht mehr
ein Staatswesen, das alle seine Vollbürger der gemeinsamen
Ar]>eit an einem gemeinsamen Zwecke ihr individuelles Belieben
anzubequemen zwang, und sie, durch die Berechtigung und
Aufforderung zur Theilnahme an allen wichtigsten Geschäften
des Staates, wie durch eine heilsame Nöthigung zu jener gleich-
massigen Ausbildung aller edelsten Kräfte erzog, die wir an
den Griechen der alten Zeit bewundern. Der Einzelne war
jetzt in seiner Ausbildung und in der Verwendung seiner
Kräfte durchaus auf sein eigenes Belieben angewiesen. Damit
aber löste sich nothwendig jene »Einheit des Stils u auf, die in
dem organischen Gemeinleben der griechischen Kleinstaaten
alle Aeusserungen der reichsten Bildung in Staat und Kunst mit
so bewundernswürdiger Nothwendigkeit, wie aus Einem gemein-
samen Gedanken, bestimmt halte. Denn diese Einheit beruhte
wesentlich auf der unlöslichen Vereinigung des individuellen
Geistes mit dem Leben der Gesammtheit.
Endlich fand jetzt zuerst eine durch die wissenschaft-
liche und darum nothwendig unpopuläre Richtung der un-
mittelbar vorhergehenden Zeit schon vorbereitete Trennung der
Volksgenossen in zwei ganz geschiedene Massen statt, eine un-
gebildete Volksmenge und eine zu specieller Virtuosität der
Bildung erzogene Minderheit der Gebildeten, richtiger der Ge-
lehrten. Es leuchtet ein, wie auch diese Aussonderung der
Bildung auf eine begrenzte Anzahl Begünstigter, wie weiterhin
die subtile Ausarbeitung der einzelnen wissenschaftlichen Dis-
ciplinen durch eine ganz einseitig concentrirte Thätigkeit- (die
den Alten sicherlich als » banausisch a erschienen sein würde) zu
immer eigensinnigerer Ausbildung eines ganz sich selbst be-
stimmenden Individualismus fuhren musste.
Was konnte nun für eine also zerklüftete Gesellschaft die
mythische Religion, die Wurzel des gemeinsamen Em-
pfindens der Vorväter, noch bedeuten? Wie konnten die
Mythen, die feinsten und reichsten Blüthen dieser Empfindung
sich kräftig erhalten, wenn die Wurzel verdorrte? Es hätte,
Bob de, Der griechische Ruman. 2
— 18 —
bei den eben geschilderten Verhältnissen, nicht einmal der
immer allgemeiner werdenden nüchtern rationalen Welt-
betrachtung, auch nicht des zerstörenden Einflusses so vieler,
jetzt lebhaft einwirkenden theologischen und theosophischen Ge-
danken des uralten, hochgebildeten asiatischen Barbarenlhums
bedurft, um die Gebildeten dieser Zeit dem langst untergrabe-
nen Hutterboden mythischer Religion zu entfremden. Es
musste diesen gebildeten Griechen ergehen, wie es stets in
ähnlichen Zeiten der Bildung geht : fingit sibi quisque colendum,
mens vaga quod suadet^). Im Allgemeinen war wohl in keiner
Periode der griechischen Culturgeschichte das religiöse Bedtlrf-
niss so schwach, wiä in dieser, von der alexandrinischen Bil-
dung beherrschten hellenistischen Zeit (auf die daher, ganz
consequent, die leidenschaftliche religiöse Reaction der ersten
nachchristlichen Jahrhunderte folgte) : wo aber wenigstens das
BedUrfniss nach einer gemeinsamen Empfindung in allen tiefsten
und wichtigsten Angelegenheiten des Lebens bei den Gebildeten
sich regte, da befriedigte es sich zumeist in einem Anschluss
an die Auctorität der philosophischen Systeme der Stoiker,
Epikureer, Skeptiker und Peripatetiker. Diese philosophischen
Systeme, des herbeti Tiefsinnes der älteren, mejst sehr ein-
samen Denker entkleidet, waren gerade in ihrem verdtlnnten
Gehalte nur um so geschickter, den vielen zerstreuten und zer-
fahrenen Einzelnen, als ein Surrogat der Religion, die verlorene
Gesammtansicht des Lebens und der Schaar der Gebildeten eine
Art von ideeller Gemeinsamkeit wiederzugeben. Erklärt sich
aus dieser neuen und wichtigen Bedeutung der Philosophie die
vorwiegende Richtung der Philosophen jener Zeit auf das Mo-
ralische, praktisch Wichtige, so beherrscht doch auch die Moral
gerade der einflussreichsten Systeme ein tiefes Hisstrauen gegea
Weltlauf und Menschenschicksal, welches wiederum dazu bei-
tragen musste, ihre Anhänger zy. möglichster Vereinzelung ihrer
Wtlnsche, Gedanken und Lebenseinrichtungen anzuleiten 2) .
1) Worte eines heidnischen Dichters aus der Zeit des Unterganges der
alten Religion (anthol. lat. ed. Riese 686, 44. 15).
2) Sehr richtig nennt Giambattista Vico (in s. Autobiographie) die Mo-
ral der Stoiker sowohl als die der Epikureer »una morale di solitari«.
— 19 —
3.
Die Dichter jener Zeit wurzeln nicht nur in dem Boden
jener, der alten volksthUmlichen Empfindung entfremdeten Bil-
dung, sondern gehören fast sümmtlich sogar den Kreisen der
gelehrten Virtuosen an, die im emsigen Stillleben grammatischer
und antiquarischer Studien die eigentlichen Triiger der speci-
fischen Bildung ihrer Zeit zu sein sich dünken durften. Wie
stellten sich nun diese ächten Sohne einer ganz entgötterten
Zeit zu dem bisher einzigen Stoffe höherer Dichtung, den alten
Götter- und Heroensagen? Sie konnten sich zum Theil ganz
davon fern halten, und thaten es mit einem richtigen Gefühle,
wenn sie ihren Fleiss dem Spiel mit zierlichen Epigrammen zu-
wandten , in der Idyllendichtung den bescheidenen Freuden
ländlicher und stadtischer Behaglichkeit einen anmuthigen Aus-
druck gaben, in^poetischen Episteln, in Hochzeits-, Trauer-, Lob-
gedichten ihren freundschaftlichen Gefühlen genug thaten oder
in der Vielgeschäftigkeit einer tändelnden Feuilletondichtung
(den Choliamben, Sillen, kinaedologischen Gedichten u. s. w.)
sich vergnügten. Andere zogen es vor, in mühsamen Lehr-
gedichten das Langweiligste schwierig und praetentiös vor-
zutragen, und so den ächten und tiefsinnigen Begriff des wahr-
haften Lehrgedichtes, wie er von den alten philosophischen
Lehrdichtern herrlich aufgestellt war, zu trüben. Die lebens-
vollste Gattung der damaligen Dichtung, die attische Komödie
neueren Stils, lag gerade den hier ins Auge gefassten gelehrten
Dichtern ferne.
Zu einer Behandlung mythischer Stofie sah sich durchaus
genöthigt, wer, mit höherem Ehrgeiz, der Tragödie sieh zu-
wandte. Wir mtlssen gestehen, dass wir von der Behandlung
der Mythen in den Dramen der so bald gänzlich erloschenen
tragischen Pleias der Alexandriner keinerlei Vorstellung haben.
Wie sich die Mythen in dem Rahmen einer leblosen ofBciellen
Hofpoesie ausnehmen, lehren uns die Hymnen des Kallimachus.
Wichtiger ist uns hier die eigentlich epische Behandlung der
mythischen StoiFe. Und hier zeigt sich denn ganz unzweideutig,
dass eine lebensvolle Behandlung der eigentlichen Mythen jenen
alexandrinischen. Dichtern nicht mehr möglich war. Der Mythus
war wirklich todt in diesem zu lauter Einzelnen aufgelösten
- 20 —
Volke; und wie konnte unter den HUnden einer gelehrten
Stubendichtung die Behandlung einer heroischen Sagenpoesie,
die sich nicht mehr aus dem unaufhörlich sprudelnden Quell
der Volksdichtung ernährte, etwas anderes als ein frostiges
Kunststück werden? Die Erfahrung lehrt, dass die Gestalten
einer alten sinnvollen Sagenwelt , wenn die belebende Seele
entflogen ist, in den Händen einer niedrig populären Dichtung
höchstens noch die Merkmale einer unheimlichen oder gelegent-.
lieh auch scurrilen Riesenhaftigkeit bewahren, unter der Hand
selbst des sinnigsten Kunstdichters doch kaum noch das Schatten-
leben einer leeren Idealitüt gewinnen können. Es geht einmal
nicht an, mit den erhabenen Sagen, in die eine kraftvollere
Vorwelt all ihren Sinn und ihre volle Seele versenkt hat. in
später, rationalistischer, politisch kalter Zeit nur so zu tändeln.
Den hellenistischen Dichtem im Besonderen lag die Gefahr
weniger nahe, in einem leer allegorischen oder einem unfreien
und unkUnstlerischen symbolischen Sinne (dessen Erfolge die
orphischen Dichtungen abschreckend deutlich erkennen Hessen)
mit den Mythen zu spielen; desto näher lag die Gefahr einer
emplindungslosen rein historischen Behandlung der Mythen
einer Zeit, welche die Plattheiten des Euhemerus mit Beifall
aufnehmen konnte. Es verbtlndete sich hier die Abgestorben-
heit des mythischen Gefühles mit der allgemeinen künstlerischen
Mitlelmässigkeit dieser Dichter, um ihnen die höchste Kunst
und Glorie des epischen Dichters unerreichbar zu machen,
durch welche dieser mit dem Geiste Einer Handlung die lange
Reihe einzelner Thaten un<l Abenteuer zu beseelen vermag, in
denen sein Gedicht sich abspinnt. Woher sollte diese hö<*hste
Kunst des organi^irenden Dichters, die Kunst des »totum
ponere« jenen späten epischen Experimentatoren kommen, da
es ihnen nicht mehr möglich sein konnte, in die Eine Empfin-
dung oder Anschauung einzudringen, die sich in der Schöpfung
einer mythischen Figur wie Herakles oder Jason oder Theseus
einen körperlichen Ausdruck gegeben hatte , und sich in allen
Wandlungen der Sage mittönend, wie ein musikalisches Thema
in allen Variationen, behauptete?
Mit dem Geiste der alten Heldendichtung entflog diesen
Dichtern der einheitliche Hall der mythischen Abenteuer; und
so löste sich ihnen unwillkürlich die bunte Reihe der Erleb-
— 21 —
nisse alter Helden in ein seelenloses, chronikarliges Hinter-
einander auf; das wohlgruppirte, von Einem künstlerischen Ge-
danken rhythmisch geordnete Gemälde zog sich ihnen gleichsam
auseinander in einen langgezogenen , mit einzelnen Historien
bunt durchwirkten Teppich, dessen Bilderreihe man mit Einem
Blicke unmöglich zusammenfassen konnte.
Dieser Fehler, den schon Aristoteles an den Dichtern langer
Epen von den Thaten des Herakles und Theseus rügte, war es
wohl eigentlich, den man an den, mit einem tadelnden Neben-
sinne »kyklisch« genannten Epen der späteren Zeit durch eben
diesen Beinamen bezeichnen wollte*). Wie weit er schon an
den Epen des Panyasis , der » die erloschene epische Dichtung
wieder heraufführte (( , und des Antimachus sich zeigte, lasst
sich nicht mehr genau erkennen. Wo in hellenistischer
Zeit sich Versuche zur epischen Behandlung wirklicher Mythen
hervorthaten, konnten sie von jener geschilderten Frostigkeit
unmöglich frei sein 2). Jeder Leser empfindet sie in den Ar-
gonautika des Apollonius von Rhodus, an seiner leblosen Hi-
slorisirung jener phantastischen Sagen, welche, von dem ge-
lehrten Dichter eben nur referirt, nicht aus eigener Kraft belebt,
zu völligen Märchen werden, denen doch aller rechte Mürchen-
geist ausgeblasen ist; an dem geradlinigen Gange seiner dürren
Erzählung, der Leere seiner göttlichen und heroischen Gestalten.
Es verdient aber, im Zusammenhang dieser Betrachtung, her-
vorgehoben zu werden, wie naiv sich der gänzlich unepische
Sinn dieses Dichters in dem Verweilen auf der inneren Emp-
findung seiner romantischen Heldin ausspricht. W^ährend
ihm die eigentliche Aufgabe des Epikers, Belebung der Hand-
lung zu plastischer Anschaulichkeit, selbst in den bewegtesten
Scenen nicht gelingen will, findet er in der Schilderung der
Seelenkämpfe der Medea stellenweise einen ganz neuen Klang,
den Ton einer leidenschaftlich sentimentalen Erregung^). So
1) Die Richtigkeit der Weicker'scheu Auffassung jener von Kaliimacbus
und Horaz getadelten »kyklischen« Dichter scheinen mir Merkels und Dil-
theys Einwendungen nicht widerlegt zu haben.
2) Vgl. die Aufzählung solcher Epen bei Welcker, Ep. Cycl. I 4 09.
3) So bei der erstep Begegnung des Jason und der Medea: III 439 ff.,
namentlich dann in den nächtlichen Seelenleiden der Medea HI 616 — 843 .
endlich auch bei der heimlichen Zusammenkunft der Beiden : vgl. III 104 4 f.,
1068 ff., 1110 ff.
— 22 —
lässt gerade er uns, wider Willen, erkennen, wohin ihre eigent-
lichen Fähigkeiten die Dichter jener Zeit wiesen.
Es muss nun anerkannt werden, dass die ästhetischen
Stiinroftlhrer der hellenistischen Dichtung ganz klar erkannten,
dass in der Thai das. mythologische Epos im grossen Stile seine
Zeit erftlllt habe. Schon in der Schule des Philetas von Kos
regte sich eine entschiedene Opposition gegen die Versuche
einer erneuten epischen Production : man hört die Ansicht des
Meisters selbst in einem Jugendgedichte seines Schülers Theo-
krit, den s. g. Thalysien*). Mit vollem Bewusstsein, ja mit
Schärfe und Bitterkeit, wies dann Kallimachus im Besonderen
die epischen Unternehmungen des ApoUonius, damit aber prin-
cipiell alle weitläufig angelegten mythologischen Epen zurtlck.
Bekannt ist sein derber Ausfall gegen den schlammig daher
fluthenden Strom dar Dichtung des ApoUonius (h. Apoll. 107 ff.) ;
sein, bei einem Polyhistor sonst einigermaassen befremdlicher
Ausspruch: »ein grosses Buch, ein grosses Hebel« (fr. 3-^9
p. 559 Sehn.), sollte wohl den gerade jener malten epischen
Dichtungsweise eigenen Fehler treffen, lange Gedichte nicht aus
einer einheitlichen grossen Gonception zu gestalten, sondern sie
aus vielen einzelnen kleinen Theilen gewissermassen zusammen
zu addiren. Sich selbst hielt er von solchen Versuchen fem;
er ruft: »nicht von mir erwartet ein laut rauschendes Liedu^j,
er rechtfertigt sich, dass er nicht (gleich jenen Epikern) ein
grosses zusammenhängendes Gedicht vorzubringen wisse (fr. 287);
die Kunst des Dichters dürfe man nicht nach der Länge seines
Gedichtes bemessen 3). Er wusste sehr wohl, worin die Kraft
1) Idyll. VII 45 — 48: a»? jioi xal t^xtcov jj,£y dir^^^deTai, oaxi; dpeuviQ
laov ^peu; xopucpqf TcX^oai o6{xon '12pOfi.^oovTo; %al Motoav ^p^iye;, Ssoi ttotI
Xtov dotofiv dvTla xoxx6CovTe; ixdi9ia p.o)^d(C4vtt. Th. zielt im Besonderen
nicht auf ApoUonius von Rhodus, sondern auf andere und frühere Dichter
weiiläuftiger Heldengedichte, z. B. Antagoras, an den Bergk achte. Vgl
auch Hauler, De Thcocriti vita et scriplis, p. 15. Merkel, proleg. in Apoll.
Rhod. XXV.
2) jjLTjo' dn i[U\> 5icpäT£ (A^^a »j^o^^ouoav doi^v TixxeoBai, ßpovrav h'
o6x i\t.6>ij dXkä Atoc s. Schneider, Callin). II p. 437. 647.
3) Denn diesen Sinn scheinen die Worte des 48t. Frgm. : {xi^j (xetpciv
— 23 —
seiner KunslübuDg lag. Begreiflich ist es^ dass der Ehrgeiz
einer neuen Schule, nicht zufrieden, sich gegen die missglUck-
ten Versuche der Rivalen, es dem alten Heiner gleichzuthun,
zu richten, sogar ihr Vorbild, den ehrwürdigen Vater der Dich-
tung selbst nicht unangetastet Hess. Schon Theokrit spottet
über diejenigen, welche die neueren Dichter mit einem : »genug
für alle ist Homer« abweisen wollten (Idyll. XVI SO) , und
Kalliraachus scheint in der That dem Homer wenigstens ein niir
ironisches Lob gespendet zu haben, um seine eigene neue Weise
zu erhebend. Jedenfalls richtete sich aber auch jene Opposition
mehr gegen die Praxis der homerisch sich dtlnkenden Neueren,
als gegen die theoretische Hochschätzung des alten Dichters
selbst .
In der That hatten nun jene Dichter ein Recht, nicht ohne
Selbstbewusstsein ihren Rivalen sich entgegenzustellen; denn
sie haben wirklich ein fruchtbringendes Neues in die Littera-
tur einzuftlhren und siegreich zu befestigen gewusst.
Im Bewusstsein freilich jener Neuerer scheint sich,
ihren Aussprüchen nach zu urtheilen , im Gegensatz zu den
lang ausgedehnten Productionen der Gegner, nur eine Tendenz
zur sorgfältigen und liebevoll ausdauernden Bearbeitung kleiner
eng begrenzter dichterischer Stoffe geltend gemacht zu haben.
Aber einem derartigen, rein negativen Bekenntniss der eigenen
Schwäche konnte wohl eine richtige Selbsterkenntniss zu
Grunde liegen; wie kann man aber aus ihr den Grund der
jedenfalls weit verbreiteten, die Gulturgeschichte der zunächst
folgenden Zeiten lebhaft beeinflussenden Wirkung ableiten?
Vielmehr war die Sauberkeit der Arbeit, die sie auf ihre engeren
dichterischen Themen verwendeten, nur eine Unterstützung der
Gj^o(v(|) nef>a(5( Ti^N oo'ftrjv zu haben; auch 0. Schneider, Calllm. II p. 638
versteht sie, wie es scheint, öhnlich.
1) Die beireffenden Epigramme des Kallimachus scheint Dilthey de Cyd.
8 ff. richtig gedeutet zu haben. — Auf Angriffe gegen den Homer deutet
wohl auch das abwehrende Wort des Euphorien fr. LXX: dirpoTtp-aoroc
""OiATipo;. Vielleicht genügte solch eine Abwehr voreiliger Verunglimpfungen
des Homer dem Krates, um den Euphorien, in jenem bekannten zwei-
deutigen Epigramm (anth. Pal. XI 318: vgl. Naeke de Choer. p. 97 f.
Meinekc an. AI. 80 f.), der Obscönitöt zu Liebe, zum 'Ofitjptxö; zu machen.
Denn was in seiner eigenen Dichterthäligkeit gerade den Euphorion zum
Homeriker gemacht haben könne, ist nicht abzusehen.
— 24 —
•
bedeutenden Wirkung, welche ganz vornehmlich auf der Wahl
einer neuen Gattung poetischer Stoffe beruht, die den
besonderen Fähigkeiten der gelehrten Dichter jener Zeil sich
leichter zu künstlerischer Bearbeitung fügten , als die mit allen
Hebeln einer nachempfindenden Reflexion nur mühsam in Be-
wegung zu setzenden alten Mythen.
Von eigenen Erfindungen hielten sie sich, mit einem rich-
tigen Gefühle, durchaus fern. Zu einer Behandlung eigentlich
geschichtlicher Stoffe konnte der mehr patriotische als künst-
lerische Erfolg des auf dieser Bahn voran gegangenen Choerilus
wenig reizen ; die dichterische Darstellung geschichtlicher
Stammessagen scheint in dem romantisch schimmernden Ge-
dichte des Rhianus von den Abenteuern des Aristomenes nicht
zwar die einzige, aber die einzige glückliche Vertretung ge-
funden zu haben. Wollte man nun, »nicht in den Spuren der
Anderen «*) wandelnd, die breite Bahn der heroischen Mythen
verlassen und in der reichen Fülle volksthümlich poetischer
Ueberlieferung neue Pfade der Dichtung finden, so bot sich
noch ein letzter Weg dar 2).
Es gab noch eine Gattung volksthümlicher Sagen, die ^ch
als Gegenstände einer rein poetischen Behandlung den künst-
lerischen Talenten einer Zeil darbieten mochten, welche den
eigentlichen Mythen jenen tiefen Hintergrund alterthümlichen
Sinnes und Lebens nicht mehr zu geben wusste, von welchem
losgelöst sie alsbald zu schaalen Historien wurden. Ich meine
jene harmlosere Art von Sagen, die sich, völlig den Ortssagen
unserer Heimath ähnlich , an seltsame und ungewöhnliche Er-
scheinungen des Heimathbodens, alte Gebräuche des Cultus und
des täglichen Lebens, auffallende Benennungen, an mancherlei
seltsame Alterthümer als eine Art phantasievoller Deutung ge-
knüpft hatten. Man mag sie »Legenden« nennen, nach Welc-
kers Vorgang, dessen Verdienst es ist, diese Gattung von
Volkssagen aus der grossen Gemeinschaft der griechischen
1) er^pwv t/via fj.-?j x«Äo[xa, Callim. fr. 293.
2) Dem im Folgenden über die Legende als das eigenUiche Gebiet
der hellenistischen erzählenden Dichtung Bemerkten sei vorangeschickt, dass
hiemuf zuerst, mit Berufung auf Weicker, sehr einsichtig hingewiesen hat
C. Oilthey de Callim. Cyd. \u H7.
— 25 —
»Mythen« zuerst klar ausgeschieden zu haben'). Weloker weist
mit Rech! darauf hin, dass diose »Loiionden« durchaus keinen
eigentlich mythischen Gehall haben, eine wie immer gewen-
dete Deutung, dergleichen der wirkliche Mythus durchaus
verlangt, ihrer ganzen Anlage nach weder fordern, noch auch
nur zulassen, einen »Aufschluss über das Ursprüngliche, den
reinen Sinn der Dichtungen und Symbole«^/ durchaus nicht zu
bieten haben. In ihrem heimlich verborgenen Leben waren sie
auch den weiter und weiter gezogenen Kreisen der heroischen
Sage fern geblieben. Wahrend nun diese, aus dem eigentlichen
Mythus herausgesponnen und stets vielfach mit ihm verschlungen,
bei aller Vermenschlichung doch einen Rest ihres dämonischen
ürwesens bewahrte, dem die neue Zeil nichl weniger fremd
gegenüberstand als der ganzen Sinnesweise, die diese alte
Volkssage erfüllte : so genügte , um diese vereinzelten Ort-
legenden dichterisch zu beleben, ein voraussetzungsloses, rein
menschliches Kunstvermögen. Denn die gottesdienstlichen oder
auf alten Brauch zurückweisenden Anlässe, mit denen man sie
verknüpfte, haben zu allermeist mit ihrem inneren, rein poeti-
schen Wesen und Sinne wenig gemein; wenn diese auch,
ebenso wie gewisse Merkwürdigkeiten der umgebenden Nalur,
für die naive Auffassung des Volkes eine nichl geringe Bürg-
schaft für die W^ahrheit der mit ihnen verbundenen Sagen
darbieten mochten 3), so sind sie doch in Wirklichkeit nicht viel
mehr, als die Vorwände, unter denen man eine auch rein für
sich belrachtet anmuthige oder sinnreiche Geschichte erzählen
mochte, eine Art Merkzeichen, bei denen man sich solcher Sagen
erinnern wollte, an denen man sie fast willkürlich festhieh,
wie sich wohl an hervorragenden Zweigen das frei flatternde
Elfengespinnst des fliegenden Herbstes fängt.
Dass nun in diesen »Legenden« der letzte ergiebige Stoff
populärer Färbung den Dichtern der hellenistischen Zeit dar-
geboten war, ist, nach unserer ganzen bisherigen Betrachtung,
1) S. namentlich Welckers Griechische Götterlehre I 93 fT.
2) Welckers Briefe an W. v. Humboldt, p. 84.
3} Bei Gelegenheit der Legende von der Versteinerung der hartherzigen
Anaxarete sagt Ovid met. XIV 759 sehr charakteristisch: neve ea ficta
putes, dominae sub imagine Signum Servat.adhuc Salamis, Veneris quod
nomine templum Prospicientis habet.
— 26 —
wohl ersichtlich. Einen glücklichen Tacl bewährten aber die
Gegner veralteter epischer Dichtungsweise darin, dass sie wirk-
lich der Behandlung solcher volksthümlichen Legenden sich zu-
wandten. Man darf nicht leugnen , dass sie freilich zunächst
theils eine schwächliche Vorliebe für das Minutiöse solcher leicht
abzurundenden Sagen, theils ein, an sich unpoetisches, antiqua-
risches Behagen an ihrem culturhistorischen Werthe gerade
jenen »seltsamen und noch unabgenutzten Geschichten«^) geneigt
machte, an denen das acht alexandrinische Vergntlgen am Sel-
tenen , GuriosQD , nur wenigen Auserlesenen Bekannten Und
Zugänglichen sich nach Herzenslust befriedigen konnte. In den
Bekenntnissen des Kallimachus, des Wortführers jener Schule,
spricht sich allerdings nicht viel mehr aus als die ekle Ab-
neigung des gelehrten Poeten gegen die breite Landstrasse, den
allgemeinen Stadtbrunnen der üblichen Dichtung']. Und so ist
es denn kein Zweifel, dass in den Sammlungen poetisirter Le-
genden, wie sie jene Dichter anlegten, eine grosse Anzahl dich-
terisch todter, nur antiquarisch interessanter Ortssagen, in müh-
samer Form vorgetragen, einen breiten Raum einnahmen, viel-
leicht gar die Mehrzahl bildeten. Es soll hier nicht die Rede
sein von den Fehlem und Tugenden solcher rein gelehrten
Dichtungen, deren leblose Art wir, bei der trümmerhaften
(Jeberlieferung, wesentlich nur aus ihrer Wirkungslosigkeit auf
die Dichtung und bildende Kunst der Zeitgenossen und der
römischen Epigonen ermessen müssen ^j. Unter so vielen
Schlacken haben uns aber diese emsigen Dichter doch auch
manche Stücke von achtem Goldgehalte hinterlassen; und zu
diesen gehören vor allen anderen eben jene romantischen Dich-
tungen, in denen sie, nach Anleitung volksthümlicher Legenden,
die wechselnden Schicksale jugendlicher Liebespaare poetisch
darstellten. Hiermit haben sie den bedeutendsten Einfluss auf
1) S^vat xal dhrptittoi loTop(a( (vgl. Mor. Schmidt, Didymi fragm.,
p. 356 f.)> wie sie Dach Arlemidor, Onirocr. IV 68 sich in den Elegien des
Parthehius und ähnlichen Gedichten fanden.
2) Epigr. XXX Sehn., fr. 893.
3) Auch von dem Euphorien, dem Hauptverlreter dieser Art der
hellenistischen Dichtung, scheinen die von Cicero verspotteten scantores
Eupfaorionts« mehr in der technischen Behandlung der metrischen Form
als in den Stoffen ihrer Dichtungen gelernt und nachgeahmt zu haben.
— 27 —
die gesammte Einpfindiingsweise ihrer eigenen und der folgen-
den Zeiten, ja eine Wirkung geübl, die sich bis zu den so viel
späteren Romandiehtungen der Griechen fruchtbar anregend be-
währte.
Freilich waren sie nicht die Ersten, welche auf den dich-
terischen Gehalt solcher Liebeslegenden aufmei*ksam wurden;
sie konnten sich an manche Vorgänger anlehnen , tlber deren
verwandte Thätigkeit ein kurzer Ueberblick nicht unbelehrend
sein wird.
5.
Wenn in den kräftigen Zeiten hellenischer Gullur die
epische und tragische Kunst sich der Darstellung erotische^
Stoffe jedenfalls insofern enthielt, dass sie solche nie anders
denn als ein dienendes und untergeordnetes Motiv mit anderen
Motiven einer Handlung verflocht, und auch beim gelegentlichen
Berühren dieser Saiten der Empfindung sich mit einem flüchtigen,
fast scheu vorüberstreifenden Anklingen begnügte : so hatte das
schwerlich, wie man doch vielfach glaubt, darin seinen Grund,
dass die leidenschaftlichen und phantasievollen Menschen jener
Zeiten Von der gewaltsamsten der menschlichen Leidenschaffen
oberflächlicher erregt worden wären , als die matteren Seelen
späterer Geschlechter. Ihre verständige Nüchternheit in Werbung
und Eheschliessung beweist nichts für eine solche Meinung, son-
dern zeigt eben nur so viel , dass sie das Recht der Leiden-
schaft über das Leben enger begrenzten ; und dass sie der
Kraft und Tiefe ihrer Liebesempfindung den stärksten und
heissesten Ausbruch zu gewähren sich keineswegs scheueten,
zeigt ja vornehmlich die äolische Lyrik klar genug.
Nur von der Erhabenheit der Tragödie und den grossen
Gestalten des heroischen Epos hielt man die Darstellung solcher
leidensefaafilichen Erregungen fern. Für das Epos eignete sich
gerade diese Leidenschaft am Wenigsten, die zwar im ver-
borgenen Inneren gewaltig toben mag, aber der anschauenden
Phantasie keine jener plastischen Bilder stark erregter Helden-
kraft darbietet, wie sie das Epos an seinen Hörern vorüber-
führen will. Und wenn auch das Drama, im Gegensatz zum
Epos, es gerade mit solchen innerlichen Kämpfen zu thun
— 28 —
hat , so mUsste doch wiederum die Liebesleidenschafl der Er-
hahenheil seiner Absicht am Wenigsten zu entsprechen scheinen.
Stets empfanden die Griechen eine stürmisch übermächtige Ge-
walt der Liebe wie ein demüthigendes UnheiJ, ein «Pathos« zwar,
aber nicht ein heroisch actives, sondern ein rein passives*),
das den sicheren Willen verwirrte, dem Verstände das lenkende
Steuer aus der Hand schJug, und den Menschen, wenn es ihn
in einen Abgrund leidenschaftlicher Verwirrung hinabriss, nicht
im Untergange erhob, wie die heroischen Frevelthalen der
tragischen Helden, sondern ihn trübselig niederdrückte und
vernichtete. Sicherlich also waren tragisch endende Liebes-
sagen nicht die geeigneten Gegenstände, um, am Feste des
Gottes der höchsten Begeisterung, eine ungeheuere Menge feier-
lich erregter Menschen zu der gemeinsamen Empfindung des
Erhabenen im tragischen Schicksale gewaltigen Menschenwillens
emporzutragen.
Wendete also das Epos und die ältere Tragödie sich von
derartigen Sagen absichtlich ab, so braucht es doch nicht zu
verwundern, wenn in der Tiefe der Volksüberlieferung die
menschlichsten Empfindungen bei den wechselnden Schicksalen
jugendlicher Liebe sich in zahlreichen Sagen aussprachen. In
der That nun war der Schatz volksthümlicher Ueberlieferung
der griechischen Stämme an erotischen Legenden ausserordent-
lich reich, viel reicher, als man nach der weit verbreiteten
Vorstellung von der Abneigung der Griechen gegen alle »Sen-
timentalität« glauben sollte. Wir wissen nicht, wann das
griechische Volk begann, in volksthümlichen Romanzen solche
Liebesabenteuer auch im Gesänge zu feiern, wie es z, B. in
dem von Aristoxenus^^ erwähnten Volksliede auf den Selbst-
mord der von Iphiklus verschmähten Harpalyke geschah. In
die Kunstdichtung wurde diese Gattung populärer Sagen
schon in der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts eingeführt
durch Stesichorus. Vielleicht im Anschluss an jenes Volks-
lied von der Harpalyke besang er die Klage und das traurige
Ende der von Euathlos verschmähten Kalyke (fragm. 43 Bergk.).
1) Leidenschaftliche Liebe heisst daher vöoo;, vöor^fxa; vorzüglich bei
Euripides: z. B. Uippol. 477. 730. Ißk ff. fr. 340, 4. 404.
2) Bei Athenäus XIV cap. 44.
— 29 —
In einem »Rh-adina« benannten Gedichte erzählte er (fr. 44)
von dem blutigen Geschick dieser samisehen Jungfrau, die, dem
Tyrannen von Korinth verraiihlt, von der Neigung zu ihrem
längst geliebten Vetter nicht lassen wollte. Ohne Zweifel folgte
er hierin einer populären Sage, dergleichen sich viele Hhnlicher
Art gerade mit der Erinnerung an die Willktirherrschaft so
mancher griechischer Gewaltherrscher verkntlpften. Aus einem
sicilischen Volksmärchen führte er eine der später am weitesten
berühmten Gestalten der volksthümlichen Liebespoesie in die
Litteratur ein, den Daphnis, von dem er erzählte, wie ihn,
den schönen Hirten, den Sohn des Hermes, eine Nymphe liebt,
dann aber, als er die geschworene Treue in den Armen der
Königstochter gebrochen hat, blendet und einem elenden Tode
überlässt^). — In welcher Gestalt der Dichter diese ganz neuen
Stoffe in die erzählende Lyrik eingeführt habe, erfahren wir
leider nicht. Immerhin dürfen wir auf einen weicheren, mehr
auf dem Gefühlsinhalt als auf den äusseren Vorgängen ver-
weilenden Gang und Ton der Erzählung aus dem Versinaasse
schliessen, welches wenigstens in der Rhadina nicht das von
Stesichorus in seinen lyrisch-epischen Gedichten heroischen In-
haltes angewendete rein dactylische oder aus getrennten Dac-
tylen und Trochäen zusammengesetzte episynthetische (dactylo-
epitritische] ist, sondern ein logaödisches, welches sich den
Maassen der s. g. »subjectiven« Lyrik der Aeolier nähert^).
Während also schon in so früher Zeit «die erotischen Er-
zählungen als der erste Keim und Anfang der Romandichtung
hervortreten « 3) y so lassen doch die uns erhaltenen Ueberreste
lyrischer Poesie der nächstfolgenden Zeilen keinerlei weitere
Versuche einer erzählenden Liebesdichtung erkennen. Erst
1) Dass diese, von Aelian V. H. X 18 vorgetragene Version der Sage
vom Daphnis, die bei dem ebendorl cilirlen Stesichorus vorgefundene sei,
ist eine so einfache Annahme Welckers, dass sehr starke Gründe er-
forderlich wären, um etwas anderes glaublich zu machen. Auch in der
SoDderung der übrigen Wendungen der Sage scheint mir Welckers feine
Analyse (kl. Sehr. I 489 — 202) durchaus das Richtige zu treffen; gewiss
mit Unrecht hat später C. F. Hermann (De Daphnide Theocrileo, Gölt. 1858}
das so sorgsam Gesonderte wieder conlaminirt.
2} VgL Westphal, Griech. Metrik II 290. 744. 780.
3} K. 0. Müller, Griech. Litt.-Gesch. 1366. Vgl. Mure, crit bist.
of tbe lang, and litt, of anc. Greece III 246.
- 30 —
gegen Ende des fünften Jahrhunderts bezeichnet die mit er-
staunlicher Wucht und Schnelligkeit zur höchsten Höhe eropor-
geführte Tragödie der -Attiker ihren Niedergang vom er-
habensten Tiefsinn zum psychologisch Interessanten auch dadurch,
dass sie, in einzelnen Beispielen, volksthümliche Legenden von
leidenschaftlich gewaltsamer Liebe und ihrem schmerzlichen
Ende zum Gegenstand dramatischer Bearbeitung wählte.
Aeschylus hatte mit vollem Bewusstsein, wie man glauben
darf, erotische Stoffe verschmäht. Wusste er auch von einzel-
nen erotischen Motiven einen wahrhaft tragischen Gebrauch zu
ipachen, und z. B. durch die ruchlose BuhlschaA der KJytäm-
nestra die schwüle Atmosphäre, die den ganzen »Agamemnon <&
erfüllt, noch beängstigender zu machen, so diente doch dieses
ganz im Hintergrund gehaltene Motiv nur einem tieferen tragi-
schen Zwecke, ähnlich dem verwandten Verhältniss in Shake-
speares Hamlet. Mit Becht darf er, in den d Fröschen« des
Aristophanes, dem Euripides entgegenhalten: nie habe er auf
der Bühne ein verliebtes Weib dargestellt').
Sophokles verwandte die Liebesleidenschaft als ein mit-
wirkendes Motiv in vielen Stücken : z. B. die Liebe der Medea
zum Jason in den »Kolchierinnen«; die der Hippodamia zum
Pelops im »Oenomaus«; wohi auch das heimliche Liebesbünd-
niss des Achill und der Deidamia in den »Skyrierinnen«. In
allen derartigen Beispielen war aber die Liebe für die eigent-
liche That der Helden nicht viel mehr als eine ermöglichende
Unterstützung oder ein Antrieb neben anderen und wichtigeren;
einen breiteren Baum mochte sie höchstens im »Oenomaus« ein-
nehmen. Wie wenig tfitt in dem einzigen uns genau bekann-
ten Beispiel, in der »Antigene u die leidenschaftliche Liebe des
Haemon aus der Beihe der vielen leisen Nebenbezüge hervor,
durch welche der Dichter, wie durch zartere Biegungen und
Schwellungen die einfach grossartigen . fast starren Umrisse
seiner Heldin für ein tiefer empfindendes Verständniss beleben
wollte.
Ein einziges seiner Dramen hatte die zerstörende Gewalt
einer frevelhaften Liebesbegier zum wesentlichen und einzigen
1} Aeschylus bei Arist. Ran. 1044 : o6x o\h' o'jhtii f^vTiV ip&zvi rcditot'
— 31 —
Inhalt, die »Phaedra«. Es scheint, dass dieses das erste Beispiel
einer Liebestragödie war. Sie entnahm ihren Stoß' einer troezeni-
sehen Ortslegende ^) , und scheint die Heldin, ihrer unwidersteh-
lichen Leidenschaft 2) zu ihrem Stiefsohne Hippolytus hingegeben,
nicht als zaghaft verschämt, sondern als eine heftig fordernde
Liebende dargestellt zu haben 3]. Ohne Zweifel war es ein be-
denkliches Wagniss, den Hörer, statt ihn in den heroischen
Flug einer auf das Grösste gerichteten gewaltigen Willenskraft
mitzuziehen, vielmehr im peinlichen Mitgefühl in den Jammer
einer, alle weibliche Schaam und Scheu, allen nüchtern ge-
mässigten Willen überwältigenden, unseligen Leidenschaft mit-
hinabzudrücken. Aber es begreift sich leicht, dass eine
meisterhafte Darstellung des allen Menschen verständlichsten
Pathos, zum ersten Male in der vollen Gewalt seiner dämoni-
schen Wirkung auf der Bühne körperlich dargestellt, auf die
Empfindung der Zuschauenden einen tief erregenden Eindruck
machen musste. Man darf annehmen^ dass dieses erste Beispiel
einer Liebestragödie eine starke Anregung für die zahlreichen
späteren Bearbeitungen erotischer Yolkssagen geworden ist;
eben diese Fabel behandelte Euripides zwei Mal, und in
späterer Zeit war gerade die Sage von Phaedra und Hippolytus
»selbst Barbaren, die nur irgend die griechische Sprache er-
teml hatten«, vor allen bekannt^].
Gleichwohl hat Sophokles den einmal gewagten Versuch
nicht erneuert. Desto eifriger wandte sich Euripides der-
1) S. Welcker, kl. Sehr. II 472 ff.
2) Von der Unwiderslehlichkeit dieser Leidenschaft, als einer de-/|XaTo;
vöoo;, redet fr. 64 4. 607 Dind.
3) Dieses nach der sehr wahrscheinlichen Annahme Welckers, Gr.
Trag. 395 ff., für die freilich ein zwingender Beweis nicht vorhanden ist.
4) Pausaoias I t2, 4. Warum crwöhnl ührigens Pausanias hier genide
der »Barbaren«? Es wäre vielleicht zu überlegen, ob nicht, mit so man-
cheo griechischen Ueberlieferungen nach Osten wandernd, diese (auch in
Griechenland in so vielen parallelen Erzählungen imitirte) Sage von der
Liebe der Phaedra dort im Osten den Anlass zu den mannichfachen Er-
zMblungen von der Liebe der Stiefmutter zum Stiefsohne, der Verklagung
des Tugendhaften tieim Vater u. s. w. gegeben haben möchte. Vgl. z. B.
die Geschichte von Sijawusch und Sendabeh in Firdusis Königsbuche
(Görras Heldenb. v. Iran II 4. 5), die sehr bekannte Rahmenerzählung
der Sieben weisen Meisler (über deren buddhistische Quelle s. Benfey, Or.
u. Occ. III 4 77, Gödeke, Ibid. III 394) u. a.
— 32 —
<artif^en erotischen Stoffen zu. Ersichtlich hängt diese Vorliebe
zusammen mit seiner Neigung, die heroische Tragödie in die
Enge eines bürgerlichen Trauerspieles herunterzuziehen, und
seiner, namentlich im Gegensatz zu Aeschylus so bemerkbaren
Bevorzugung passiver Helden. Dazu mussten ihn ganz von
selber gerade die erotischen Volkslegenden besonders an-
ziehen, da in ihnen alle wesentlichen Motive der Handlung in
die innersten und allgemein menschlichen Empfindungen der
Handelnden versetzt, und von den Bedingungen einer alt-
hellenischen Cultur und Empfindungsweise wenig bestimmt
waren , von denen der Dichter selbst sich innerlich losgesagt
hatte. So konnte denn in der Entwickelung solcher Fabeln der
Dichter sein grosses Talent zur Dialektik der Leidenschaft am
freiesten gewahren lassen; denn hier fiel jener befremdliche
Gegensatz zwischen dem alterthUmlich grossen Wollen und Thun
der Helden heroischer Mythen und der ganz modernen, sophistisch
eindringlichen Seelenmalerei des Dichters fort , der in seiner
dramatischen Behandlung tragischer Fabeln der eigentlichen
Heldensage so disharmonisch wirkt.
So halten denn auch erst mit ihm die erotischen Volks-
sagen ihren eigentlichen Einzug in die Bühne der dionysischen
Festspiele. Vor Allem zeigen die von ihm zuerst dichterisch
dargestelllen, hier nur kurz zu berührenden erotischen Fabeln,
in der Mannichfaltigkeit ihres Charakters, von wie vielen Seiten
der Dichter die Eine Leidenschaft darzustellen suchte^).
Die Werbung des leidenschaftlich Liebenden stellte Euri-
pides in der Gestalt des gewaltlhäligen Polydektes im »Diktys«
dar; die zwischen heisser Liebe und dem kameradschaftlichen
Gefühl kriegerischer WafTengemeinschafl ganz eigenthUmlich ge-
ll Im Uebrigen seien nur einige, häufig wiederholte Hauptgedanken des
Dichters über das Wesen der Liebe (in welchen er übrigens durchaus der
populären Ansicht Ausdruck giebt) hervorgehoben. Allmacht des Eros:
Hippol. 535 — 534, fr. 274. Seine Gewalt über die ganze Natur: Hippol.
1268—4482, fr. 484. 890 (SophocI. fr. 856. — Vgl. Aeschyl. fr. 48). Dop-
pelter Eros, ein unböndig leidenschaftlicher und ein maassvoller; jener wird
ebenso, als verderbenbringend, fern gewünschl, wie dieser ersehnt wird :
Iph. Aul. 544 fr., Hipp. 258 ff.. Med- 627—642, fr. 4 32. 4 40. 342. 674. 889
(vgl. Zopyrus Stob. flor. 63, 8; Plautus, Cure. 4 78). In dieser doppelten
Eigenschaft heisst Eros sü.ss und .schmerzlich zugleich: Hipp. 347 f., fr. 26.
867 (vgl. fr. trag. ine. 4 54 p. 678 Nauckj.
— 33 —
theilte Neigung des jugendliehen Helden zu der rüstigen Ata-
lanteim »Meleager«; und wie er in diesen allen Heroen-
sagen die Liebe stark in den Vordergrund gerückt hatte, so
wurde namentlich das alte Märchen von Perseus und An-
drem eda unter seinen Händen zu einem der glänzendsten
Beispiele ritterlicher Liebe. Er zuerst machte in seiner »An-
dromeda« die That des Perseus zu einem »Kampfspiel des Eros«,
den Perseus zu dem galanten Ritter, als welcher er dann in
der Vorstellung auch der bildenden Künstler fortlebte^). Die
erotischen Lieder, Monologe und Gespräche des hoch berühmten
Dramas blieben bis in späte Zeit bekannt und beliebt, vor
allem der Anruf des Perseus an den Liebesgott 2) . Wieweit im
»Oenomaus« und in den »Sky Herinnen« die Liebe des Pelops
zur Hippodamia und des Achill zur Deidamia auf den Gang und
die Färbung der Handlung einen Einfluss hatte, lehren uns
die Bruchstücke nicht. Schwerlich w^erden wir sie uns ganz
zurücktretend denken wollen, wenn wir bedenken, dass der
Dichter 'in der »Antigene« sogar diese erhabene Jungfrau mit
dem Haemon in eine heimliche Liebesintrigue verflocht'*).
Eine ganz andere, dunklere Färbung hatten einige Tragödien,
in denen die durch Tod oder Untreue in ihrem Besitze gestörte
Liebe des Weibes zum ehelichen Gatten den Inhalt der Dich-
tung bildete. In dem , seinem Inhalte nach, von Welcker so
geistvoll reconstruirten »Protesilaus« steigerte sich die Liebe zu
dem todten Gemahl in dem »hochsinnigen Muthe«*) der Lao-
damia zu einem wahren Pathos der Todessehnsucht, die sie
in den Hades dem Geliebten nachzog"»). Die nicht minder
1) Ueber bildliche Darstellungen der Befreiung der Andromeda unter
Einfluss des Euripidos s. Welcker, Gr. Trag. 658 f. Anm. 24. Vgl. Ilel-
big, Unters, üb. d. campan. Wandmalerei p. 140 IT.
2) C'j S' ob Oe&v TtSpavve xdvJ)f*üjrtov, "Epw; xtX. fragm. 4 32 Dind.
3) Die Angaben über die Eui ipidcischc » Anligone« im Argument der
Sophokleischen lassen in der That etwas sehr Plattes erwarten; es geht
aber nicht an, mit Welcker durch Combinirung jener Angaben mit dem
Berichte des Hygin fab. 72 einen etwas weniger trivialen Verlauf herzu-
stellen. S. Heydemann, Ueber eine nacheuripeidische Antigene (Berlin 4 868).
4) Xfjjxa Eü^sv^;. fr. 658.
5) Man nimmt an, dass Euripides die Sage in der Weise ausgebildet
habe, wie sie Hygin fab. 4 03. 4 04 erzählt. Nach einer anderen , sehr po-
etischen Version »Laodamia opiavit ul unibram mariti videret. Qua re con-
Rohde, Der griechische Roman. 3
— 34 —
starkmUthige Medea treibt der eifersüchtige Schi^erz bis zur
entsetzliehen Raehethat. Sie bildet einen starken Gegensalz zu
einer dritten Gattung von Liebest ragödien/ in denen die psycho-
logische Kunst des Dichters ihre volle Virtuosität in der Schilderung
der verzehrenden und auflösenden Gewalt einer frevelhaften
erotischen Leidenschaft auf ein weibliches GemUth entfaltete.
Charakteristisch ist es, dass die griechischen Yolkssagen denen
Euripides in seinen » Ehebruchstragödien « (wie man sie nennen
könnte folgte, zur Trägerin der verderblichen Leidenschaft stets
die Frau machten; es scheint, als ob griechisches Gefühl sich
einen Mann von einer einzigen, unmännlich weichen Begierde
bis zur leidenschaftlichen Missachtung aller menschlichen Ord-
nungen und Gesetze nicht fortgerissen denken konnte oder
mochte. Euripides liebt es sogar, dem wilden Verlangen des
Weibes recht stark die kalte Abwehr des Mannes entgegen zu
stellen. So sieht in der »St heneböa« der unwiderstehlichen,
im träumerischen Erinnerungsspiele täglich neu genährten Sehn-
sucht der tirynthischen Königin nach dem »korinthischen Gast-
freunde«' die bis zu grausamer Härte gesteigerte Tugend des
Belle rophontes gegenüber; ähnlich \ielleicht im »Peleus«
der Held der Astydamia*-^). Im »Phönix« leidet der von seines
Vaters Kebsweib vergeblich versuchte und ungerecht verklagte
Phönix. Die so nahe verwandte Fabel von der Phaedra und
dem llippolytus zog den Dichter so lebhaft an, dass er den
Charakter der Heldin in zwei verschiedenen Auffassungen zu
gestalten sich bemühte. War ihm die ältere Darstellung, in
welcher Phaedra, der Sophokleischen ähnlich, von ihrer Eni-
pfmdung bis zum rücksichtslosesten Verlangen fortgerissen wurde,
weniger gelungen, so hat er uns in dem erhaltenen »Hipjwlytus«
ein wirkliches Meisterstück der ihm ganz eigenthümlichen Kunst
scharfer und subtiler Zeicimung krankhafter Leidenschaft hinter-
lassen. Wir haben hier nicht bei der ohnehin Jedermann
bekannten, unvergleichlichen Kunst zu verweilen, die sich
namentlich in der schauerlichen Weichheit der widerstandlos
cessa. non deserens umbrain, in amplexibus eius perii l«: Mythogr.
Vat. 1 158, II 24 5. Diese Version erinnert noch stärker als die andere an
die wunderbare nordi.<4rhe Sage von Helgi dem Hundingstüdter und Sigrun.
1) T«i Kopiv^wjj ^i'^^i , in dem berühmten fr. 667.
2} S. Weicker, Gr. Trag. p. 809.
— 35 —
alle Lebenskraft «lufJösenden sehnsüchtigen Empfindung der
Phaedra bewährt; hier sei, als für unsre Betrachtung wichtig,
nur hervorgehoben, wie treu der Dichter sich dem Geiste der
volkstbümlichen Legende angeschlossen hat. Das ganze Drama
\vird von dem Widerstreit der Aphrodite und Artemis bewegt;
Hippolytus, der treue Verehrer der jungfräulich keuschen Jagd-
güttin füllt als ein Opfer der vernachlässigten und beleidigten
Liebesgöttin ^) . Hier redet die ächte Empfindung des griechischen
Volkssinnes zu uns; zum ersten Male sehen wir jenen Wettkampf
einer spröden Männlichkeit und des übermächtigen Verlangens
künstlerisch ausgebildet, der in so vielen erotischen Volkssagen
der Griechen wiederkehrt, und den Dichtern erotischer Fabeln
in hellenistischer Zeit stets das beliebteste Motiv zu einer leb-
hafteren Spannung ihrer Erzählungen geblieben ist. — Schliess-
lich sei noch der »Aeolus« erwähnt, in welchem das geheime
Liebesbündniss der K a n a k e und ihres Bruders M a k a r e u s auf
der kritischen Höhe seiner verhängnissvollen Folgen dargestellt
wurde. Der Gegenstand konnte kaum anders als widerlich
wirken; und doch fand gerade dieses bedenklichste Product
einer sonderbaren Verwechselung des Peinlichen eines pathologi-
schen Experiments mit dem tragisch Erschütternden bei den
späteren Tragikern Beifall und Nachahmung.
6.
Die spätere Tragödie muss dem Euripides auch in seiner
Vorliebe für die Darstellung verhängnissN oller Liebesleidenschaft
gefolgt sein. Nur wenn wir ihre wenigstens äusserlich sehr
rege Thätigkeit ganz vorzüglich in dieser Richtung beschäftigt
denken, ist das bekannte Wort des Ovid als eine nicht gar zu
grelle Uebertreibung verständlich :
Omne genus scripti gravitate tragoedia vincil;
haec quoque materiam semper amoris habet.
(Trist, n 381, 82.) In der an diese Verse geknüpften Auf-
zählung erotischer TragödienstofTe treten uns freilich zunächst
Euripideische Figuren entgegen; auf spätere Dichter weisen
aber, neben Ganymedes und Hylas, die Schoeneische Atal ante.
I) Vgl. gleich den Prolog, dimn V. 442 ff. u. s. \s.
3
— 36 —
deren romantische Liebe zum Hippomenes Pacuvius, nach griechi-
schem Vorgange, ^um Gegenstand einer Tragödie machte *) , und
die megarische Scylla, deren Verrath an Vater und Vaterstadt
diese Tragödiendichter vermuthlich zuerst statt aus dem alter-
thUmlichen Motive einer Verlockung durch goldnen Schmuck,
wie es Aeschylus kennt ^j, aus jener verbrecherischen Liebe zum
Landesfeinde hervorgehen liess, die dann den Spateren durch-
aus als sein eigentliches Motiv gelten musste. Eine noch weit
grasslichere Verirrung des Gefühls bot sich diesen Dichtern in
der kyprischen Sage von der Liebe der Myrrha zu ihrem Vater
Kinyras dar, die sie mit einer gewissen Bevorzugung zum Gegen-
stand einer raffinirten Seelenmalerei gemacht zu haben scheinen'^] .
Wahrscheinlich genug ist es, dass auch die Liebe der Byblis
zu ihrem Bruder Kaunus schon in einer Tragödie dieser Zeit
vorgeführt wurde^), vielleicht auch das verbrecherische Ver-
haltniss des Klymenus zu seiner Tochter Harpalyke^j. Andere
versuchten sich aufs Neue in den schon von Euripides bear-
beiteten Liebeslegenden : so fmden sich unter den bei Suidas
aufgezahlten Tragödientiteln des alexandrinischen Tragikers L y k o-
phron, neben vielen andern, die auf eine ganz besondere Vor-
liebe für neue Gegenstande hinweisen, auch ein »Aeolus<s
eine »Andromeda«, ein »Hippolytus«^'). Die schon von Stesichorus
benutzte schöne Sage vom Daphnis behandelte der Alexandriner
1) S. Wcicker, Trag. 4217—4223.
2) Cboeph. 613 ff. Andere Sagenbeispiele von der Bestechung der
Weiber durch gohlenen Schmuck s. bei Weicker, Ep. Cycl. U 374.
3) Welcker, Trag. 1226 f. Im Anschluss an diese Sage schrieb Pto-
lemüus Philopator eine Tragödie »Adonis« (Welcker 1269. 70. Meineke
com. I 315).
4) S. unten.
5j Warum gerade diese Sage unter den von Hygin skizzirlen »schwer-
lich« zu den aus der Tragödie entlehnten gehören soll (Welcker p. 1227),
sehe ich nicht ein. In der Gestalt , wie Hygin sie fab. 206 (und überein-
stimmend 238. 239. 246. 253. 255) crztihlt, trögt sie durchaus das Gepräge
der bei diesen späteren Tragikern beliebten Fabeln voll grässlicher Natur-
widrigkeit. Die erzählende Dichtung der Alexandriner machte (ähnlich
wie in der Sage von der Byblis) aus der Ermordung der Harpalyke eine
Verwandlung: so Euphorien bei Parthenius 13 (vgl. Schol. V. 11.2 291),
dem Nonnus Dion. XII 71 — 75 folgt.
6) Sollte es etwa diese erneute Bearbeitung der Sage von Phaedra und
Hippolyins sein, auf welche der Gedanke, die Phaedra ihre Anträge dem
— 37 —
Sositheus, freilich in einem Salyrdrama, wie es heissl^l. —
Und so möchte noch gar manche der s{5äterhin hei erzählenden
Dichtem hervorlrelenden Liebeslegenden zuerst von diesen,
durch Euripides ailgeregten Tragödiendichtern aus dem Dunkel
volksthtimlicher Uebcrlieferung hervorgezogen worden sein.
Eine übergrosse Fülle solcher Liebestragödien lassen doch jeden-
falls die Wortfe vermuthen. mit denen Ovid (a. a. 0. Vs. 407 f.)
seine Aufzählung abbricht :
Tempore deficiar, tragicos si persequar ignes^),
vixque meus capiat nomina nuda liber.
Von der grossen Beliebtheit aber dieser erotischen Trag-
ödien mag der Umstand zeugen, dass bei der allmUhlichen Auf-
lösung der tragischen Darstellung in das blosse Gebärdenspiel
des Pantomimus gerade die Liebesfabeln, obwohl sie bei
ihrem mehr nach Innen gewandten Charakter doch sicherlich
der pantomimischen Körpersprache keinen besonders günstigen
Gegenstand darboten, dennoch bis in die spätere Kaiserzeit sich
auf der Bühne erhielten, wlllic perpetuo ficti saltantur amantesa
sagt von der pantomimischen Bühne seiner Zeit Ovid (remed.
amor. 755). Lucian zählt in der Schrift über den pantomimischen
Tanz (Cap. 37 — 60) unter den zahlreichen mythologischen Gegen-
ständen desselben nicht wenige solcher, vornehmlich durch die
Tragödie bekannt gewordener Liebesabenteuer auf: z. B. Akamas
und Phyllis^); Hippolytus; Scylla und Minos; Bellerophon und
JüDgling brieflich machen zu lassen, zurückginge? Ein solches schrift-
liches Liebesgeständniss, von dem uns die drei Tragödien des Sophokles
und Euripides nichts sagen, setzt Ovid in der vierten Heroide (die Wetcker,
Trag. 402 gar zu entschieden an Sophokles sich nnlehnen lässt) voraus;
dass irgend ein bedeutender Dichter der Soge diese Wendung gegeben habe,
machen auch einige Sarkophagreliefs wahrscb(*inlich, auf welchen ebenfalls
Hippolytus mit einem Briefe der Phaedra dargestellt ist. (Vgl. 0. J'ihn,
Arch. Beitr. p. 84 0 flf.) Ein Bri^f der Phaedra an Hippolytus auch bei A^in-
centins, Antbol. lat. 279 Rs.
1) Welcker, Trag. 1256.
2j Solche »tragici ignes« sind auch wohl bei Modestinus, Anthol. lat.
N. 278. I p. 4 83 R. gemeint, wo als Opfer des Eros aufgezählt werden:
Phaedra, Scylla, Medea, Procne, Dido, Canace, Myrrha, Eundne, Aroihusa,
Bybiis. Berühmt ist die Aufzählung der durch unglückliche Liebe Gc-
tOdteten bei Virgil, Aen. VI 442 ff., welche Ausonius im Cupido cruci af-
fizus nachahmt.
3) Dass hiermit nichts Anderes gemeint sei, als die sonst von Phyllls,
— 38 —
Stheneböa; Andromeda ; Aeneas und Dido; Achill auf Scyrus;
Apoll und Daphne; Pasiphae; Ariadne; Myrrha. Dass, wenn auch
nicht alle *) , doch die meisten dieser Themen nach Anleitung
der Tragödie dargestellt wurden, würde man voraussetzen
dürfen, auch ohne die ausdrückliche Bemerkung Lucians (Cap. 61),
dass der Pantomime «vor Allem das von der Tragödie Vor-
gebrachte« im Gedctchtniss haben müsse. War doch der Panto-
mimus ganz besonders auch in den Mythen der Erbe der
Tragödie 2) .
7.
Wahrend also in der hier flüchtig angedeuteten Thatigkeit
tragischer Dichter so manche, und vorzüglich die dunkeln und
traurigen unter den volksthümlichen Liebeslegenden schon eine
künstlerische Ausbildung gewannen, wurde dem mehr cultur-
historischen und stofflichen Interesse, welches diealexandrinischen
Dichter solchen Sagen entgegenbrachten, von einer andern Seite
förderlich vorgearbeitet durch die Aufmerksamkeit, welche seit
einer gewissen Zeit manche Historiker auf die Sammlung
erotischer Legenden verwendeten. Zwar die sogenannten Logo-
graphen scheinen, trotz ihres Interesses an verborgenen Stamm-
und Demophoon (dem Bruder der Akamas) erzählte rührende Geschichte,
vermuthete Welcker; Gr. Trag. p. 4227 ganz richtig. Er halte sich zur
Bestätigung seiner Meinung auf Tzetzes zu Lycophron v. 495 p. 652 berufen
können, der geradezu dasselbe, was sonst von Demophoon und Phyllis be-
richtet wird, von Akamas und Phyllis erzählt, und zwar in einer Form,
die mit der gewohnlichen, wohl auf einen hellenistischen Dichter (Calli-
machus? s. fr. 505] zurückgehenden, aetiologischen Wendung der Sage
(Hygin fab. 59. Serv. ad Virg. ed. 5, 40. myth. Vatic. 1 459, II «44. Vgl.
Ovid. art. III 37 f. 459 f. II 353; anthol. Palat. V 265; CoUuthus v. 208 ff.)
noch nichts gemein hat, und um so eher auf eine Tragödie zurückweisen
könfite. — Ganz ebenso wie in dieser Sage werden Akamas und Demophoon
auch in dem Liebeshandel mit der Laodicc mit einander vertauscht (Akamas:
Hegesippus bei Parthen. 4 6, Euphorion bei Tzetz. ad Lycoph. 494; Demo-
phoon: Plutarch. Thes. 34).
1) Z. B. schwerlich Daphne. — Ueber Pasiphae im Besonderen s. 0. Jahn,
Archaol. Beilr. p. 238 ff.
2) S. Libanius Orep täv 6f>yT^3TÄv, III 394, 4 2 ff. R. — Ueber die panto-
mimisch darjieslelllcn Liebesgeschichlcn vgl. die Zeugnisse bei P. E. Müller,
De {lenio aevi Theodoslani II 4 05 ff.; eine Ircffende Bemerkung bei Jac.
Burckhardl, Die Zeit Con^tantins d. Gr. 468.
— So-
und Ortssagen solche Liebessagen nicht sonderlich beachtet zu
haben ^) , so wenig wie Herodot bei all seiner Aufmerksamkeit
auf seltsame und charaktervolle Volksüberlieferungen 2) . Einen
merkwürdigen Uebergang zu den eigentlich gelehrten Histo-
rikern bildet auch hier Ktesias, der in der wirkungsvoll und
mit voller Absicht auf eine ergreifende und rührende Wirkung
vorgetragenen romantischen Liebesgeschichte des Meders Stryan-
gaus und der Sakerkönigin Zarinäa ^) vielleicht unter den Griechen
das früheste Beispiel einer ausführlich und mit bewusster Kunst
prosaisch-poietischer Darstellung*) erzählten Liebesnovelle hin-
stellte. Ohne Zweifel lenkte dann die glänzende Behandlung
einzelner erotischer Volkssagen auf der athenischen Bühne die
lebhafte Aufmerksamkeit der Sammler auf den hier noch zu
hebenden Schatz volksthümlicher Poesie, um so mehr, da die
in eigner Productionskraft allmählich ermattende Zeit in einem
halbästhetischen, halb culturhistorischen Interesse sich der Be-
trachtung altcrthümlicher und kindlicher Zustände und Vor-
stellungen in der Verborgenheit des eignen und fremden Volks-
lebens überall mit Eifer zuwandte. Bei solchen Nachforschungen
entdeckte man nun auch jene heimlich blühenden Blumen einer bis
dahin von der künstlich ausbildenden Dichtung wenig berührten
Fülle schöner Liebeslegenden, von deren Reich thum uns nun
plötzlich von allen Seiten zuströmende Beiträge überzeugen.
Selbst die grossen Gesammthistoriker des vierten und dritten
Jahrhunderts fanden, bei der episodenreichen Behaglichkeit ihrer
Werke, zuweilen Raum, um solche Sagen mitzutheilen : wie denn
Timäus, nach der auch von Stesichorus bearbeiteten sicilischen
Volkssage, das Märchen vom schönen Daphnis erzählte^), er zuerst
1) Die bei Suidas ermähnten Xuoet; IpuiTixwv ra&ibv des Kadinus sind
zwar sicherlich nicht zu climiniren (\Nie Müller, fr. hist. II 3. 4 versucht),
aber als eine spüle Fälschung zu hetrachton. S. unten.
2) Denn Geschichten, wie z. B. die von Mykerinus und seiner Tochter
(II 494], von Intaphernes und seiner Gattin (III 418 f.) u. dg), wird man ja
wohl nicht hierher ziehen wollen. — Paris und Oenone : Hellanicus dv
Tpmixoi; bei Parthenius 34.
3) Ctesias fr. 25 — 28 Müller (hinler dem Didolschen Herodot) und
NicolauSy Damasc. exe. de virl. Müller, F. H. G. III 364 f.
4) TroiTjTtiv a6TÖv xiXoItj ti; eIxötcu;, sagt Vom Klesias Demcirius de eloc.
p. 309, 5 Sp.
5) Parlhen. 29.
— 40 —
auch von der Liebe der Dido zum Aeneas ^) . Phylarch scheint
der Erste gewesen zu sein, der die später so bertihmte pelo-
ponnesische Sage von der Daphne aufzeichnete ^] ; einer peioponne-
sischen Sage entnahm er auch die wunderlichen Liebesabenteuer
des Dimoetes^].
Ihre eigentliche Stelle fanden aber solche Liebeslegenden
in den Sammlungen von Localgeschichten, wie sie jene
Zeit so zahlreich hervortreten sah. Hier fanden im engeren
Rahmen unter den Geschichten von den bescheideneren Thaten
und Leiden einer einzelnen Stadtgemeinde auch jene vom heroisch
Gewaltigen der althellcnischen Mythen mehr zu einer {;;emüth-
vollen EmpGndsamkeit sich hinneigenden Liebessagen einen
schicklichen Platz, in denen namentlich die hellenischen Ansied-
lungen an der asiatischen KUste, die weichere Empfindungsweise
einer jüngeren Zeit sehr charakteristisch aussprechend, die
eigne Vorzeit sich mit einem ganz eigenen romantischen Schimmer
umkleidet hatten. Reich an solchen Liebessagen waren vor-
nehmlich die ionischen Städte Kleinasiens, und unter ihnen
wiederum steht, wie in allen Aeusserungen eines blühenden
Lebens, Milet voran. Daher finden sich besonders in den
spärlichen Ueberresten der zahlreichen Schriften über milesische
Alterthümer und Geschichte dergleichen Liebeslegenden ver-
zeichnet. So erzählte Arislokritus in einem Buche »Ueber Milet«
die schon oben berührte, an die bei Milet fliessende Quelle
Byblis geknüpfte Sage von der Liebe des Kaunus und der Byblis^) ;
von der Liebe der milesischen Königin Kleoböa zum Antheus
aus Halikamass berichtete, in dem von Milet handelnden Ab-
schnitt seiner Politien, Aristoteles^). Andre Sagen wissen von
einem Kriege Milets mit den Naxiern zu berichten, der um der
verbrecherischen Liebe der Milesierin Neaera zu dem Naxier
Promedon willen entbrannt, und durch die unkluge Liebe des
Diognet aus Erythrae zur Naxierin Polykrile zu Gunsten der
Naxier entschieden worden sei^). Aus alten Localgeschichten
1) fr. 23 (Wcslcrmano, llapaoo^o^p. p. 245); aus Ti maus Justin iS, 3^6.
2; Bei Parlhen. 45. Vgl. Hclbij^, Rhein. Mus. XXI V 25*.
3} Bei Parthen. 31.
4) Bei Pariben. W.
5) fr. 169 p. 501 Rose.
ti) Neaera und Proniedon : TiieopUiasl bei Parthen. 48, ol Notjiojv tj^-
— 41 —
schöpfte wohl Plularch*) die in Milel altberühmte Legende von
der Liebe des Phrygius zur Pleria. — Die Nachbarslädle blieben
nicht zurück. Aus ephesischen Ortsgeschichlen dürfen wir
ableiten was uns eine anmuthige Sage von der Liebe des Alexis
und der Meliböa^j , eine andre von Rhodopis und Euthynikus^)
berichtel. Andre Sagen ftihren uns in weitere Fernen; so die
an die Gründung von NicUa in Bithynien geknüpfte Legende
von der Liebe des Sploeis zur Antiope, die Menekrates in einem
Buche »lieber Nicola« erzählte*). Ein Buch über »bilhynische
Alierthümer« gab dem Asklepiades von Myriea Gelegenheit,
von dem heimlichen Liebesbunde des Lykastus und der Eulimene
auf Kreta zu berichten^). Auf eine ähnliche antiquarisch-
historische Sammlung darf man unbedenklich die rhodische
Sage von Kerkaphus und Kydippe zurückführen®). — In andern
Grenzländern der hellenischen Cultur trieben alte Liebesfabeln
des lleimathlandes neue Blüthen; so erneuerte sich die Sage
von Pelops und Hippodamia in der Sage von der odomantischen
Fürstentochter Pallene und ihrer Liebe zum Klitus, welche
Theagenes in einer Sammlung macedonischer, Hegesipp in einer
Sammlung Pallenischer Sagen mitgetheilt hatte '). In ähnlicher
Weise wiederholte sich die attische Legende von Kephalus und
Prokris in einer sybaritischen Ortssage ^).
An andern Orten begnügte man sich nicht, in die Ver-
gangenheit der eigenen Stadt erotische Sagen zu verOechten ; die
Ypa^et« bei Plut. de virl. mul. 17. Polykritc und Diognet: Aristoteles fr. 5H,
Andriscus dv ä NaJiaxÄv bei Parthen. 9.
1) De virt. mul. (vol. II. p. 2i4 Tauchn.). Vgl. Polyaen. VIII 35.
Aristaenetus M5.
2) Servius Aen. I 720. Vgl. Gerhard, Gr. Mythol. § 368, 2 c.
3) Ach. Tal. VIII 4 2.
4) Fragm. hist. gr. II 345, fr. 8.
5) Bei Parthen. 35.
6) Bei Plutarch, Quaest. Graec. 27. Vgl. Buttmann, Mylhologus II 436.
7) Parthen. 6. Vgl. Müller, F. H. G. IV 54 0.
8) Klitonymus bei Plutarch, par. min. 24, 2. Das ist nun freilich ein
höchst verdächtiger Gewährsmann; aber alle Ci täte dieser Schrift sind doch
keineswegs erschwindelt, z. B. nicht das Citat aus Parlhenius c. 24, 4, in
welchem eine zweite Parallele zur Geschichte von Kephalus und Prokris
erzählt wird, die sich in der Thal bei Parlhenius erol. 4 4 findet. (Die-
8ell>e Geschichte übrigens bei Sostratus ap. Stob. flor. 64, 34. Anonymus
bei Westermann, irapiSoJoYp. p. 223).
— 42 —
Phantasie, einmal in dieser Richtung thätig, umzog auch die
Gestalten der alten Heldensage mit dem Dufte einer zarteren
Empfindung. Im völligen Gegensatz zu ait germanischer Sage
hatte der Mythus der Griechen seine herrlichsten Helden in
männlich stolzer Selbstgenügsamkeit, nur durch Kampfeslust und
Ruhmbegier zu grossen Thaten angetrieben gezeigt. Weiberliebe
beschäftigt kaum in mUssigen Stunden vorübergehend ihre Ge-
danken. In der nordischen Sage ertönt in jener wunderbaren
Dichtung von Brunhilds, der Walküre, Liebe zu Siegfried eine
tiefer und voller Ton allerstärkster Uerzensempfindung : wie kalt
und fest, nur vom Heldenruhm und dem Bewusstsein seiner
tragischen Bestimmung bewegt, steht dem germanischen Recken
der griechische Siegfried, Ach i Ileus, gegenüber! Wie aber
dieser Achill vielleicht die aiteste, aus dem Dämonischen in's
Menschliche herabgestiegene Heldengestalt der griechischen Sage
ist, so hielt die Phantasie des -^Volkes gerade ihn am längsten
und innigsten fest; unablässig spann sie an den Abenteuern
dieses Idealbildes eines griechischen Jünglings weiter, und ihn
zuerst und vor Allen belebte sie mit den mannigfaltigen Em-
pfindungen einer ritterlichen Erotik. Es scheint als ob schon
in der epischen ))Aethiopisu, beim Anblick der Leiche der
schönen Feindin ein, dem Homer noch ganz fremdes Gefühl
einer romantischen Sehnsucht die Seele des Jünglings auf einen
Augenblick, wie ein kurzer Blitz, durchzuckt habe; die Tragiker
verGochten ihn in weitere Liebesabenteuer; von den alexandri-
nischen Dichtern wird unten die Rede sein. Aber auch die
Historiker versäumten nicht, ähnliche Sagen, mit denen das Volk
seinen Helden ausgeschmückt hatte, zu verzeichnen. So erzählte
von der Liebe der Peisidike (einer methymnäischen Tarpeja)
zum Achill der Verfasser einer lesbischen Gründungsgeschichte
(bei Parthenius c. 11), vermuthlich Apollonius von Rhodus*).
Mit einer andern lesbischen Liebeslegende bringt Aristokritus
»lieber Milel«^) den Achill in Verbindung. In ähnlicher Weise
dichtete, den Alexandrinern vorarbeitend, auch an andern Ge-
stahen der epischen Sage schon die Volkssage weiter, welcher
die antiquarische Geschichtsforschung nachging. Dieser späteren
1) S. Müller, F. H. G. IV 3U.
2 Parlhen. 26.
— 43 —
Volkssage gehören die Liebeslegenden von Paris und Oenone*),
Akamas und Laodice^;, Dioraedes und Kallirrhöe^) an.
Während so in den neueren Griechenländern die erolische
Sage ihre reichsten BlUihen triebe scheint im alten Hellas jene
empfindsamere Dichtung einer jüngeren Zeit erst später Wurzel
geschlagen zu haben. Denn schwerlich ist es doch ein reiner
Zufall, dass erst der späte Tansanias un§ aus dem alten
Griechenland einige ähnliche Liebeslegenden aufbewahrt hat.
Möglich ist es freilich, dass auch diese Sagen viel älter sind als
der Erzähler. Jedenfalls muss uns der eifrige Perieget als ein
Typus jener emsigen Sagenforscher dienen, die schon seit Jahr-
hunderten das griechische Land durchzogen und aus dem Munde
des Volkes, der Tempeldiener und der Exegeten und Mystagogen
die wundersamen Dichtungen der Volksphantasie sich berichten
Hessen, um sie getreulich der Nachwelt und der künstleri-
schen Ausbildung gelehrter Dichter zu überliefern. So hörte
Pausanias in Athen die bedeutsame Sage von Meles und Time-
sagoras^], in Achaja das Märchen von der Nymphe Argyra und
dem schönen Hirtenknaben Selemnius*), im arkadischen Orchome-
nus eine pathetische Sage von der frevelhaften Liebe des Tyran-
nen Aristomelidas^] , in Kalydon die Legende von Koresus und
Kallirrhoö '} , die eine gewisse Verwandtschaft mit der oben
berührten kretischen Sage von Lykastus und Eulimene zeigt,
und wie in einer freien Variation in der ebenfalls von PaUvsanias ^)
1) Zuerst bei Hellanicus, dann bei dem Pseudokephalon. Vgl. 0. Jahn,
Arch. Beitr. 330 ff.
2) Parthen. 46 aus Hegesipps MiXT]ataxai. Vgl. oben p. 38.
3) Juba iv AtßuxoT; bei Plutarcli. par. min. 23. (Leber Diom. handelt
Juba auch bei Plinius X 61).
4) Pausan. I 3S, i. Diese Sage erzählt in rhetorischer Ausschmückung
auch Aelian fr. 69, 11. p. 219 f. Hercher. Vgl. übrigens Weicker, Alle
Denkm. IV 165. Gr. GOtterl. III 196.
I 5) VII 23, 1 — 3. (Vgl. die von mir edirlen Excerpte aus Isigonus c. 38.
Acta soc. phil. Lips. I p. 39].
6) VIU 47. 6.
7) VU 21, 1—5.
8) VII 19, .1 — 5. (Uebrigens wolle man bemerken, dass die, in Guarinis
Pastor fido zur Voraussetzung der ganzen Fabel gemachte Sage von Aminto
und Lucrina [s. Atto I, sc. 2] völlig der von Paus, erzählten Sage von Ko-
resus und Kallirrhoiii nachgebildet ist. So ist aber jenes ganze Gedicht ein
Gewebe antiker Sagenmotive).
— 44 —
orzfihllen aehilischcn Sage von Melanippus und Komnctho wieder-
höh wird. Bemerkenswert K ist, wie naiv in den Worten, mit
denen Pausanias die Erzählung jener grausigen, vielleicht sehr
allen Tempelsage, abschliesst, die Richtung der in^s Romantische
färbenden neueren Volkssage und ihrer Sammler auf das Gefühl-
volle sich ausspricht. Das Liebespaar opfert sich gemeinsam,
zum Wohl des Landes, der Artemis; der Erzähler aber meint:
dieser Tod sei für die Liebenden kein Unheil und Leid, )>denn
allein dem Menschen wiegt die Erfüllung seiner Liebessehnsueht
sogar den Verlust des Lebens auf.« Bei solchen Aeusserungen
begreift man wohl , wie eine wuchernde Volksphantasie ge-
legentlich auch ganz ehrbare alle Sagen , in freier Umbildung,
allmählich zu förmlichen Liebesromanen ausspinnen konnte : wie
das an einem sehr merkwürdigen Beispiel die so vielfach
variirle, schliesslich bei Servius als ein heiterer erotischer
Roman uns entgegentretende Legende vom schönen Hymenäus
zeigen mag*).
Früher schon als die erotischen Sagen des eignen Volkes
hatten griechische Historiker ähnliche Dichtungen fremder,
namentlich der hierin so fruchtbaren orientalischen Völker
beachtet. Von Ktesias habe ich schon geredet. Die phoenicische
Sage von der Myrrha (welche auch Panyasis schon berichtet
hatte) erzHhhe Klitarch^). Ja es scheint, dass die Kenntniss
orientalischer Liebesfabeln hie und da griechische Stämme zu
einer wetteifernden Ausbildung ähnlicher Sagen auf heimischem
Boden angeregt habe. Hierfür giebt es ein sehr merkwürdiges
Beispiel, welches, um seines vielfältigen Interesses willen^ näher
zu betrachten gestattet sein möge.
Aristoteles hatte in dem von Massilia handelnden Abschnitt
seiner Politien Folgendes erzählt 3). Der Phokäer Euxenus, mit
seinen Landsleuten nach Massilia gekommen, war ein Gastfreund
eines benachbarten Barbarenkönigs Nanus. Einst war Euxenus
bei diesem zu Gaste, als die Tochter des Gastgebers durch eigne
Wahl sich einen Gatten aus den Gästen bestimmen sollte. Sie
1) S. Servius zur Aen. IV 99. Mytliogr. Vat. I 75, 11 §49.
2j S. Müller, Script, bist. Alex. p. 77. fr. 3a.
V, Fr. 503 p. 499 Rose. Im W^csontlichcn übereinstimmend Justin
XI.llI 3, 8-H.
— 45 —
(ritt nach dem Mahle in den Männersaal und überreicht die
Trinksehale zum Zeichen ihrer Wahl dem Euxenus. Aus ihrer
Ehe leitet sich das, nach ihrem Sohne Protus, benannte Ge-
schlecht des Protiaden in Massilia her. — Eine anmuthige Sage,
die allerdings »die Zuneigung welche sieh die Fremden bei den
f^ndeskindern zu erwerben wussten«^) symbolisch zu schildern
trefflich geeignet ist. Aber tiber ihren Ursprung erweckt eine
andre Sage eigenthtimiiche Gedanken, welche nach dem Berichte
des Chares von Mytilene, eines Hofbeamten Alexanders des
Grossen^) Athenäus (XIII c. 35.) mittheilt. Hystaspes herrscht
über die Meder, sein Bruder Zariadres über die Länder
»oberhalb der kaspischen Thore und bis zum Tanais. « Ersieht
im Traume die Odatis, die schönste aller Jungfrauen Asiens,
des Omartes, Königs der Marather (jenseits des Tanais) Tochter,
und verliebt sich in sie. Auch sie hat ihn im Traume gesehen.
Zariadres hält beim Omartes um die Tochter an, der aber schlägt
sie ihm ab. Eines Tages veranstaltet Omartes ein Fest und
fordert die Odatis auf, aus den anwesenden Gästen durch Ueber-
reichung einer goldnen Trinkschaale sich einen Gatten zu er-
wählen. Weinend steht sie am Mischkruge, da tritt plötzlich
Zariadres, der vom Tanais heimlich aufgebrochen ist und zu
Wagen die Entfernung von 800 Stadien durcheilt hat, neben
sie, in scythischer Tracht. Sie erkennt den Traun)geliebten,
giebt ihm die Schaale, und er entführt sie auf seinem Wagen.
— Wie auffallend diese Erzählung mit der inavSsaliotischen
Sage übereinstimmt, bemerkte schon Athenäus. Es scheint in der
That, dass in der griechischen Version nur ein etwas abgeschwächter
Nachhall der asiatischen Sage zu erkennen sei , von welcher
phokäische Schiffer leicht genug gehört haben konnten auf den
Pontusfahrten, an .denen, neben den Milesiern, ja auch die Pho-
käer einigen Theil nahmen. Denn dass etwa umgekehrt die
reicher ausgebildete asiatische Sage aus der dürftigeren griechi-
schen entstanden sei, ist an sich wenig wahrscheinlich, und
darum völlig unglaublich, weil eben jene Sage in asiatischer
Dichtung festgewurzelt und weit ausgebreitet ist. Denn was
Chares am Schluss seiner Erzählung — von der er versichert,
1) E. Curtius, Griech. Gesch. I 368.
'If Er war siaa-yY^Aeu; dos Königs. S. Plulorcli. Alex. 40.
— 46 -
sie sei »in den Geschichtsbüchern« (doch wohl der Perser)
aufgeschrieben*) — hinzu setzt, dass jene Sage »bei den in
Asien wohnenden Barbaren wohlbekannt und hochbertthmt sei,
auch malerisch dargestellt werde in Tempeln, Königshallen
und PrivathHusern«, das wird ungemein glaublich gemacht durch
ein merkwürdiges Zusanmientreffen. Schon Droysen ^j hat die
nahe Verwandtschaft dieser Sage von Zariadres mit der schönen
ErzHhiung von Guschtasp's Brautwerbung erkannt, wie sie
im Königsbuch des Firdusi überliefert ist'). G. lebt uner-
kannt in Rüm. Der Kaiser von Ri*im veranstaltet ein Fest, an
welchem seine Tochter Katfiyiün sich einen Gatten wählen soll.
Sie aber hat im Traume unter vielen Männern Einen gesehen,
schön vor Allen, den sie einzig liebt. Guschtasp ist auch zum
Fest gegangen; die Prinzessin erkennt in ihm den »Jüngling
des Traumesa urid reicht ihm den Strauss, zum Zeichen ihrer
Wahl. — Offenbar haben wir hier zwei Versionen derselben
persischen Sage vor uns. Vermöge einer, im Leben der Sage
nicht seltenen Verschiebung ist bei Firdusi Guschtasp (Hystaspes)
zum Helden der Sage geworden, der bei Chares ein Bruder
des Zariadres heisst; im Uebrigen stimmt der Bericht des Fir-
dusi mit der von Chares erz<1hlten Sage so weit durchaus über-
ein, als mit einem einzeln .stehenden Abenteuer ein in einen
weitgesponnenen Sagenkreis eingefügtes Ereigniss überhaupt
1) »h Tat? tiTopCai; 'fi'^poimain p. 575 B.
2} Gesch. Alexanders c1. Gr. p. 281 A. 3.
3) 8. Görres Heldenbuch von Iran, Cap. XXXII. (II p. 250. 251).
Dr. Andreas macht mich darauf aufmerksam, dass die Sage von Guschtasp
und Kaläydn sich auch bei dem persischen Historiker Mirkhond finde:
s. History of the early kings of Persia, translaled from the original Persian
of Mirkhond by David Shea (Lond. 1832) p. 267. Doch fehlt in jener mehr
rationalistischen Darstellung der, ihre Wahl bestimmende, wunderl>are Traum
der katäyün. Hat sie darin sicherlich einen alten Sagenzug eingebüsst, so
mochte ich es andererseits für das Ursprünglichere halten, wenn bei Mirk-
hond die Jungfrau ihre Wahl durch Zuwerfen einer Orange erklärt.
(So übrigens auch in der, angeblich aus Firdusi geschöpften, Darstellung der
Guschtaspsage bei Malcolm, Gesch. Persiens I 45 d. Ueb.). Ueber die
aphrodisische Bedeutung des Apfels und ähnlicher Früchte s. nament-
lich Dilthey de Callim. Cyd. p. 114 f. (Von den Persern Strabo XV.
p. 733 [ii vuuL'fCo;] 7ra(i£{>yeTai iizX ton ÄaXaaov «:po?paYaiv jxfjXov). Durch Bei-
behnltnng dieses Zuges wird alH*r die persische Sage einem auch sonst der
Guschtaspsage merkwürdig verwandten neugriechischen Märchen sehr
— 47 —
übereinstimmen kann \. Bei dieser wohl einzig dastehenden
Beglaubigung einer von Firdusi erzahlten Sage durch einen
griechischen Bericht aus dem vierten .lahrhunderi vor Chr.
mUssten wahrlich stärkere Gründe vorgebracht werden, um ge-
rade diese Sage als eine junge verdächtig zu machen^ als
diejenigen sind, die für eine solche Verdächtigung Spiegel Eriin.
ähnlich, in welchem ehenfalls die Tochter des Königs — nach einer auch
heute noch in Griechenland vorkommenden Sitte [s. Wachsmuth, Das alte
i•^iechen^. im neuen, p. 83] — den unter einer grossen Fraierschaar Er-
wählten durch Zuwerfen eines Apfels bezeichnet: s. v. Hahn, Griech.
und albanes. Märchen N. 70 (II p. 56), (vgl. auch ebendas. N. 6 [I p. 94],
einen Zug in Grimms >rEisenhansa [N. 136. p. 530 ff., 12. Aufl.], in dem
böhmischen Märchen »vom wilden Mann» [Ztsch. für d. Mythol. II 446]
und ein weitverbreitetes Murchen, in welchem der dumme Hans nur durch
seinen Wunsch die ihn verspottende Prinzessin zur Geburt eines Knaben
gezwungen hat, dessen unbekannter Vater nun dadurch ermittelt wird, dass
9lle Männer des I.andes an dem Knaben vorüberziehen müssen und der
Knabe einen goldenen Apfel seinem Wunsch vater giebl: odenwalder
Märchen hei Ploennies, Ztsch. für deutsche Mythol. 1 39 f., schleswigsches Mär-
chen bei MüUenhofT, Sagen aus Schleswig-Holstein, p. 43f N. XIY, etwas
entstellt in einem italienischen Märchen: Straparola Piac. notli III 4, in Val.
Schmidts Auswahl, p. 235 ff.
1) Es fehlt eben darum bei Firdusi die Fahrt des Helden zum Orte
der Brautwahl, denn Guschtasp ist ja .schon am Orte. — Uebrigeus trägt
die ganze Geschichte des Guschta.sp vor und nach der Braulwahl alle Züge
einer ächten alten .Sagenüberlieferung. Beiläufig sei erwähnt , dass hier
sich das älteste Beispiel für einen sehr weil verbreiteten .Märchentypus
findet, in welchem der Held einen Ditichen erlegt, ihm die Zunge aus-
schneidet, und später, gegenüber dem Yerrälher, der den Lohn des Drachen-
kampfes für sich in Anspruch ninmil, durch die ausgeschnittenen Spolien
sich selbst als den Thäter legitimirt. Für dieses .Märchen hat R. Kohler
in Eberts Jahrb. für engl, und roman. Lit. YIl i33 zahlreiche Beispiele ge-
sammelt, ohne sich des Firdusi zu erinnern, bei dem von Guschtasp ein
ganz analoges Abenteuer erzählt wird (Görres p. 252—256. Bei Mirkhond
p. 268 f.* fehlt das Ausschneiden der Zungen). Vgl. ferner noch Straparola
von Yal. S<:hmidt p. 220 (dazu Schmidt p. 345), eine ungarische Sage bei
[polyi, ZtS(;h. für deutsche Mythol. II 165 f., Basile Pentanieroiie I 7 (1
p. 402 Liebr.) ; auch einen Zug in der Sage von Peicus und Akastus (Apol-
lodor. Hl 43, 3. 4), die deutsche Sage vom Wolfdietrich (Uhland, Schriften
zur Gesch. der Dichtung und Sage I 4 75. Das Ausschneiden der Zungen
auch im Märchen »der gelernte Jäger«, Grimm, N. 441 [p. 440 der 42. Ausg.])
u. s w. Man bemerke auch, dass, ganz ähnlich wie bei Firdusi, die
Gattenwahl und jener Drachenkampf verbunden sind iin griechischen
Märchen, v. Hahn N. 70.
— 48 —
Allerlhiimsk. I p. 668 angeführt hat \ . Vielmehr ist diese Sage
auch dadurch interessant, weil sie an einem seltenen Beispiel
die langlebige Z^ihigkeit orientalischer Sagenhildungen erkennen
Ulsst. Die wesentlichen Elemente dieser sehr alten Erzählung:
das erste Erblicken des Geliebten im Traum, und die feierliche
öffentliche Gatleftwahl von Seiten des Mädchens wiederholen sich
oft in orientalischen Geschichten, meist freiließ in indischen 2).
Von einer Gattenwahl berichtet z. B. die wohlbekannte Sage von
\al und Damajanti^), die des Mahabharata erzählt; femer die
1) Abgesehen von seinem allgemeinen Misstrauen gegen die persische
Heldensage von Lohrasp, Guschtasps Vater an (p. 659 flf.) stösst Sp. sich
nn dem Kaiser von Rüm, d. i. Griechenland, der als ein Christ dargestellt
wird, dem Zuge der gesammten Abenteuer des Guschtasp nach Westen,
statt nach Osten und Norden, und dem rein persönlichen, mit Irans Ge-
schicken nicht weiter verknüpften Inhalt der Sage. Die beiden letzten üm-
stflnde mögen ja vielleicht die Einfügung dieser Saji^c in den Zusammen-
hang der Schah-nameh als einen erst später vollzogenen verdächtig machen;
aber sie reichen doch sicherlich nicht hin, die ganze Sage, für sich betrachtet,
und im Besonderen ihren durch Chares so nachdrücklich beglaubigten
Mittelpunct, als jung erscheinen zu lassen. Denn der christliche, byzan-
tinische Kaiser, der ja freilich »unmöglich nur bis in die Zeit der Achae-
nienidcn, geschweige in eine frühere Zeil« zurückgehen kann, darf doch
kaum im Ernst als Beweis für die Jugend der Sage selbst aufgeführt wer-
den, wenn man nicht etwa die vielen Tausende von Sagen und Märchen
für spät und jung erklären will, in denen eine naive, »unhistorische •> Zeit
eine uralle Fabel ^anz unbefangen in Sitten, Costüm, Oertlichkeil ihrer
eigenen örtlichen und zeillichen Umgebung eingekleidet hat. Was man aber
erwarten sollte, wäre doch efhe Erklärung darüber, wie sich denn Spiegel
das Verhältniss des Chares zu dieser, nach seiner Meinung wohl gar erst
in christlicher Zeit entstandenen Sage denkt. Will er auch den Bericht des
Chares verdächtigen, von welchem er selbst (p. 665) zugiebt, dass er im
Wesentlichen mit der Erzählung des Firdusi identisch sei? Wenn er aber
das Zeugniss des Chares gelten lassen muss, so kann doch die Existenz
«ler Sage schon im vierten Jahrhundert v. Chr. nicht geleugnet werden,
und es verliert das von dem christlichen Kaiser hergenommene Argument
alle Bedeutung.
2; Die freie Wahl des Gatten scheint in Persien , in historischer Zeil
w'eni<;stens, ebenso unerhört gewesen zu sein, als sie in Indien (»nach der
Sitte der Gandharven«) gewöhnlich war. Darum logt auch die Sage eben
jene Gattenwahl nicht nach Persien, sondern zu einem frenidon Stamme,
bei Chares zu dem (unbekannten, aber durch die Sarmaten schwerlich zu
ersetzenden) »Marathernn, d. h. zu den nordischen nomadischen Ira-
niern, hei Firdusi an den glänzenden Hof des Kaisers von ROm.
'A] In Bopps L'ebfM'srlzung, p. 12 IT.
— 49 —
ebendaselbst erhaltene Sage von Aniba^), eine budtUiislische
Fabel 2), eine moderne hindoslanisehe Geschichte^), u. s.w. Das
poetische Motiv der Traumliebe findet sich noch weit häufiger
verwendet^). In einer schönen Vereinigung aber lebten, so
1) In HoUzinanns indischen Sagen I p. 192 Vs. 16 ff.
2) S. Benfey, Pantschalantra I 280. Solch eine Gattenwahl auch in
dem Catrnnjaya Mähälmyam (Jainalegenden, 6. Jahrh. n. Chr.): s. Weber,
Ueber das ^atr. M., p. 25.
3) Bei Garcin de Tassy bist, de |la littörat. hindoui et hindoust. ;il
p. 4 68. Vgl. eine siamesische Sage bei Bastian, Völker des östlichen Asiens IV
p. 354. Einen Gatten wöhlt sich übrigens aus der Schaar der Freier auch
Helena, nach manchen Versionen der Sage, s. Welcker, Ep. Cycl. II 305 f.
Anro. 5, der sich auch der Geschichte vom Zariadres dabei erinnert. — Aus
nordischer Dichtung bringt Grimm, Deutsche Rechtsalterth., p. 42i A 1
einige Beispiele von Gatten^ahl bei. (Vgl. auch ein »mähri$ch->\alachisches(c
Märchen bei Wenzig, Westslav. Märchenschatz, p. i — 5),
4) Z. B. in der sehr alten Legende von der Uschä (vgl. die Cilate von
Brockhaus, Sachs. Ges. 1860. p. 134, zu Somadeva VI 31, wo die Legende
novellistisch dargestellt ist. So übrigens auch im hindostanischen Prem-
sagär bei Garcin de Tassy a. 0. II 156 — 158. Dramatisirl in »Madhurani-
mdba« Wilson, Theater der Hindu II 268 ff.), in dem indischen Roman Da-
Cakumära-Caritam (Weber, Ind. Streifen I 333), in dem buddhistischen Drama
Ndg^nanda (translated by Palmer Boy, London 1872), p. 14; persisch 1001
Tag, Cabinet des f^es XV p. 391. 437. 520 f. Continuation des 1001 nuits
II (Gab. des fäes XXXIX) p. 25. 70. Dschamis »Joseph und Suleika« ist
bekannt. Vgl. noch das persische Tutinameh von Iken, p. 133, das türkische
Tatinameh von Rosen II p. 254. (Vgl. übrigens auch Wuks Serbische
BJttrcben, N. 27 p. 166). In Nachahmung solcher orientalischen Beispiele
bat dann auch der ehrliche Ziegler seiner »Asiatischen Banise« eine solche
gegenseitige erste Bekanntschaft durch ein Traumgesicht eingewoben. Die
Beliebtheit eines so sonderbaren Molives erklört sich gerade im Orient sehr
einfach aus dem eingeschlossenen Leben der Frauen und der dadurch ver-
anlassten Verlegenheit der Romanschriftsteller um ein Mittel, ihre Paare
zusammenzuführen. Aus demselben Grunde lieben sie es, den Helden in
ein Bild des nie zuvor gesehenen Mädchejis sich verlieben zu lassen (ausser
dem bei uns bekanntesten Beispiel der Turandot [Gab. des föes XIV p. 872.
376], vgl. die Geschichte des Seif-el-Muluk in Lanes 1001 nights III p. 308
— 371 [dieselbe Geschichte, aber mit einem witzig gewendeten Ausgang im
Gab. des f^es XIV p. 541— XV 30], die Sage von der Schirin in Nisamis
»Ghosru und Schirin« [s. Hammer, Die schönen Redek. Persiens p. 109];
eine arabische Geschichte in der Contin. des 1001 nuits III p. 177). Auch
dieses Motiv stammt vermuthlich aus Indien: man findet es z. B. vei*wen-
det in einer eingelegten Erzöhlung des Da^akumära-caritam 's. Weber,
Ind. Streifen I 849) u. s. w.; am frühesten vielleicht in dem Drama Ma-
lavikagnimitra (Wilson, Th. d. Hindu II 221), welches (nach W^eber, Vorr.
Roh de, Der ^ecbische Roman. 4
— 50 —
scheint ^s, beide Motive weiter in einem Romane, der als
eine phantastische Ausführung der von Chares und Firdusi über-
lieferten Sage zu betrachten ist. Ein vorauszusetzendes älteres
Original scheint verloren oder noch nicht herausgegeben zu
sein; auf sein einstiges Vorhandensein glaube ich aber
schliessen zu müssen aus drei mir bekannten Variationen
die mir, bei ihrer engen Verwandtschaft, auf einen gemein-
samen Archetypus hinzuweisen scheinen ; es sind das zwei hin-
dostanische Romane: »die^Abenteuer des Kamrup« und »Qüissa-
I-Khawir Schah« und ein georgischer Roman »Miriani«*). Ihr
wesentlicher im »Kamrupa am reinsten erhaltener Inhalt ist
dieser, ileld und Heldin, in getrennten Ländern lebend, sehen
einander im Traume und lieben sich gegenseitig. Der Held
erfährt irgendwie den Aufenthalt seiner Geliebten , er macht
sich dorthin auf und kommt, nach |>'ielen Abenteuern, endlich
an. Rald darauf veranstaltet der Vater der Heldin eine öffent-
liche Gatten wähl; von der Geliebten beschieden, ist auch
der Held anwesend, und ihn wählt die Jungfrau, bleibt auch,
trotz des Vaters Zoni, bei ihrer Wahl. — Man wird die nahe
Verwandtschaft mit der Sage des Firdusi nicht verkennen, einen
besonders nahen Anschluss an die von Chares überlieferte
Form aber darin bemerken, dass hier wie dort der Held, seinem
Traumgesicht folgend, aus weiter Ferne zur Gattenwahl herbei
kommt. Ist schon aus diesem Grunde eine directe Herkunft
dieser Romanversion aus Firdusi nicht glaublich, so wird eine
derartige Möglichkeit vollends abgeschnitten durch die Betrach-
tung eines älteren Sanskrilromanes, der VAsavadattA des Su-
zu seiner Uebers., Berlin 1856] wirklich dem, ins 2.-4. Jahrb. n. Chr. zu
setzenden Kalidasa angehört. — Zuweilen werden beide Motive, Traum und
Bild, verbunden: so z. B. in dem gleich zu erwähnenden Roman »Miriani«;
im türkischen Tutinameh II 3t 0 Rosen, etc.).
1) Den Kamrup kenne ich nur aus einer Inhaltsangabe bei Causin de
Perceval, Journal Asiatique 4 835 (Tome XV}, p. 450 ff. lieber das Miriani
vgl. Brosset ebendas. 4 835 (Tome XVI), p. 489 ff. 559 ff.; über Quissa-I-
Khawir Schah: Garcin de Tassy, Hist. de la litt^r. bind. II p. 550—578.
Die unverkennbare Verwandtschaft der drei Romane, die durch manche
Variationen des Grundthemas nicht verdeckt wird, wird jeder Leser von
selbst erkennen; daher ich sie näher nachzuweisen unterlasse. Verwandt
ist übrigens auch die in der vorhergehenden Anmerkung erwähnte Ge-
schichte von Seif-el-Muluk.
— 51 —
bandhu^). Dieser Roman, vermulhlich schon vor dem sechsten
Jahrhundert n. Chr. geschrieben, beginnt ebenfalls mit dem
beiderseitigen Traumgesicht, und schliesst daran die Gatten-
wahl und die weile Fahrt des Helden. Er beweist unwider-
leglich, dass schon lange vor der Zeit des Firdusi in Indien
diese Sage lebendig war, und also nicht erst aus seiner Dich-
tung dorthin getragen zu werden brauchte. Und w^er darf,
nach dieser wohl schon allzuweit ausgesponnenen Betrachtung,
daran zweifeln, dass w ir in dieser schönen Sage eine sehr alte
romantische Dichtung besitzen, die im Orient weit und lange,
ja bis auf unsere Tage, verbreitet, wie in einem matteren Ab-
bild sich in jener phokHisch-massaliotischen Sage wiederholt hat ?
Die Geschichtschreibung jener Zeit begnügte sich übrigens
nicht, alte Liebeslegenden eigener und fremder Stamme zu
sammeln und zierlich vorzutragen ; das Wohlgefallen an solchen
Sagen übertrug sich bald aus der mythischen Vorzeit in die
hellere Geschichte neuerer Zeilen. Mit ^Vorliebe knüpfte man
bedeutende geschichtliche Ereignisse an verhängnissvolle Thaten
jener Liebesleidenschaft, die man, bei genauerer Betrachtung,
in allen Zeiten so bedenklich thätig und einflussreich fand 2).
Ja man suchte selbst in der jüngsten Vergangenheit solche
Ereignisse mit Vorliebe auf; namentlich der beredte Phylarch
scheint sich in der Ausmalung derartiger pathetischer Liebes-
novellen aus der eignen oder kurz vergangenen Zeit gefallen zu
haben 3). Auch aus den »Historien« des Arisfodem von Nysa
wird ein ähnliches Ereigniss berichtet ^j. Wie sehr aber hier-
1) S. den Auszug bei Weber, Ind. Streifen 1 375 fT. Der Held hat die
Väsavadattä im Traume gesehen; er zieht aus, sie zu suchen. Auch [sie
hat ihn im Traume gesehen; bei einer vom Vater veranstalteten Gatten-
wahl weigert sie sich daher, einen der anwesenden Prinzen zu wählen:
sie wartet auf den Traumgeliebten. Dies erfahrt der Held durch einen Pa-
pagei, er zieht hin, trifft die Geliebte, sie erkennen sich u. s. w. Das
Uebrige gehört nicht hierher.
2) Beispiele für solche Liebesabenteuer von historischer Bedeutung
bieten z. B. die aus älteren historischen Quellen geschöpften 5 dpcuxtxal
^oj-f^aeu des Plutarch.
3] Vgl. die Geschichten von Phayllus und der Frau des Aristo: Phyl.
bei Parthen. 25; von Chilonis und Acrotatus: Phylarch bei Müller, F. H. G.
I 349. Vgl. Droysen, Gesch. d. Hellen. H 188 f.
4) Arist. bei Parthen. 8.
4»
— 52 —
l)ei zuweilen die Phantasie geschäftig sein mochte, alte Liebes-
' fabeln in die neuere Geschichte hintlberzuspielen, mag schliess-
lich ein interessantes Beispiel andeuten. Alle Welt kennt —
und wäre es nur aus Goethes Anspielung im »Wilhelm Mei-
ster« 1) — die zarte Sage von Antiochus, der seines Vaters, des
Königs Seleucus zweite Gattin, seine Stiefmutter Stratonice,
heimlich liebte. Die verholene Gluth machte den Jtlngting krank
und bettlägerig. Als nun keiner der Aerzte einen körperlichen
Krankheitsgrund entdecken konnte, erkannte endlich der be-
rühmte Erasistratus von Keos die Ursache des psychischen Lei-
dens, indem er alle Schönheiten des Hofes durch das Kranken-
zimmer gehen Hess, und an dem heftigeren Herzschlag des
Kranken bei dem Eintritt der geliebten Stratonice den Grund
des Uebels leicht bemerkte. Mit vorsichtiger Berechnung sagte
der kluge Arzt dem Könige, seine, des Arztes, Frau liebe der
Prinz. Als nun der König in ihn drang, durch Abtretung der
Frau des Kranken Leben zu retten, fragte er: wtirdest denn
Du in einem ähnlichen Falle Deine geliebte Gattin opfern? und
als der König das unbedenklich bejahte, entdeckte er ihm den
wahren Zusammenhang, und der grossmtlthige König trat dem
Sohne die Stratonice wirklich ab 2). — Die Geschichte enthält
in sich nichts Unmögliches ^) , und man hat sie bisher auch als
Wahrheit hingenommen^). Nun wird freilich die Wiederkehr
1) Lehrj. Buch I Cap. 7 und Buch VII!. Cap. 10.
2) Die List des Arztes, erst von seiner eigenen Frau zu reden, gehört
durchaus zur Vollständigkeit der Erzählung; in dieser Vollständigkeit er-
zählen sie Appian Syriac. 59—61, Plularch, Demetr. 38, Lucian, De dea
^ Syr. 17. 4 8. Eine abgekürzte Version, in welcher diese kluge Wendung
des Arztes fehlt, bieten Julian, Misopogon, p. 60 — 64 (Paris 1566), Suidas
s. 'EpaotoTpaToc , Valerius Maximus V 7 ext. 1, der aber statt des Era-
sistratus einen mathematicus Leptines nennt. Von einem unerlaubten Ein-
verständniss der Stratonice und des Antiochus scheint Lucian Icarom. 15 und
cal. non tem. cred. 14 (c. Schol.) reden zu wollen. Durch Lucian übrigens
blieb die Geschichte wohl im byzantinischen Mittelalter bekannt: es wird
auf sie angespielt, z. B. in dem sonderbaren »Timarion« (saec. 12}, c. 28.
p. 71 ed. Ellissen.
3} Wie denn Galen eine ganz ähnliche Diagnose einer Liebeskrankbeit
selbst vollbracht zu haben behauptet: 7t. tou 7:poYivtÖ3xeiv XIV p. 626. 681 K.
4) So z. B. Droysen , Gesch. d. Hell. I 507 f. — Uebrigens erzählt
Plutarch, Demetr. 38 das Ereigniss unmittelbar nach Demetrius' Thron-
besteigung in .Macedonien und vor dem Getenkriege des Lysimachus (c. 39):
— 53 —
auffallend ähnlicher Sagen in orientalischen und daraus ab-
geleiteten miltelalterlich occidentalischen Erzählungen noch nicht
genügen, um den ganzen Bericht als eine willkürliche Hislori-
sirung einer ursprünglich ganz unhistorischen Novelle erschei-
nen zu lassen. Denn es könnte diese Geschichte, vom Erasi-
stratus auf den berühmten arabischen Arzt Avicenna über-
tragen *), eben dadurch im Orient berühmt und beliebt gewor-
den und in mannichfachen Wendungen nachgeahmt, endlich vom
Orient aus durch Vermittlung der Gesta Romanorum und wei-
terhin des Boccaccio in den Occident zurückgekehrt sein ^j . Ich
glaube in der That, dass auf diesem Wege die Geschichte ihren
es mag also in das Jahr 293 fallen. Warum Droysen es unter dem Jahre
288 erzählt, lässt eine Notiz p. 608 Anm. errathen. Dort heisst es: »Der
älteste Sohn dieser Ehe starb 247, vierundvierzig Jahre alt, s. Clinton III
p. 840«. Es soll wohl heissen : »vierzig Jahre alt«: denn in diesem Alter
starb im Jahre 247 Antiocbus II Theos zu Ephesus: s. Porphyr, in Müllers
Fr. bist. gr. 111 p. 707 § 6. War also dieser »älteste Sohn« des Antiochus I
und der Stratonice 287 geboren, so wird, scheint Droysen zu meinen, ihre
eheliche Verbindung 288 stattgefunden haben. Das Argument^ an sich un-
sicher, wird völlig hinfällig dadurch, dass Antiochus II gar nicht der äl-
teste Sohn dieser Ehe war. Er kam zum Throne erst, nachdem ein äl-
terer Bruder, Seleucus (dessen auch Malalas p. 205, 1. 2 ed. Bonn, gedenkt),
wegen Verdachts von Intriguen gegen den Vater, getödtet war. Dieses, von
Trogus prol. 26 nur angedeutete (von Droysen II 251 nur ganz flüchtig be-
rührte) Ereigniss erzählt jetzt etwas deutlicher Joannes Antioch. fr. 55 (Fr.
h. gr. IV p. 558). Es bleibt also nicht der geringste Grund übrig, an
Plutarchs Zeitangabe zu zweifeln.
1) Von Avicenna wird eine ganz analoge Heilung eines liebeskranken
georgischen Prinzen (in einer der abgekürzten griechischen Version ent-
sprechenden Form) erzählt in einer Biographie des Avicenna bei Car-
donne, M^anges de litt. Orient. II 154.
2) Sehr häufig findet sich in orientalischen Geschichten die Entdeckung
des Liebesleidens durch Pulsfühlung. Val. Schmidt, Beitr. zur Gesch.
der romant. Poesie, p. 43 verweist auf »Hammer, Rosenöl I 242«. Dieses
Buch ist mir nicht zugänglich; vgl. aber statt dessen: 1004 Nacht (Bres-
laaer Uebers.), N. 462 (XI 45) 473 (XI 113) 547 (XIH 10) Anhang XIH 198.
Les avent. de Kamrup (Journal asiatiquc 1835. XV 460). Contin. des 1001
Duits IV (= Gab. des f^es 41), p. 295. Der Geschichte des Antiochus kommt
am Nächsten eine Episode in der merkwürdigen arabischen Erzählung »Le
pouvotr du destin«: Gontinuation des 1001 nuits I (= Gab. des fäes XXXVIII),
p. 163 fif. — Uebergang nach Europa: Gesta Romanorum 40 p. 335 ed.
Oesterley; Episode in Boccaccios Decamerone II 8 (dazu Schmidt a. 0.).
Sf^terhin wurde die Geschichte unmittelbar aus den griechischen Quellen
geschöpft: so z. B. in Kirchhofs Wendunmuth 2, 19.
— 54 —
Kreislauf vollendet habe, und enlnehnie also aus diesem Um-
stände kein Argument gegen ihre historische Glaubwürdigkeit.
Viel bedenklicher ist es, dass bei g riechischen^Schriftstellern
dieselbe Sage auch auf andre Zeiten und Personen Übertragen
wird. Von Hippokrates und Perdiccas, dem ^Sohne des
macedonisehen Königs Alexander tdes Ersten [erzählt dieselbe
Begebenheit die fälschlich unter ^Soranus' Namen tiberlieferte,
aber aus keineswegs verächtlichen Quellen geschöpfte Biographie
des Hippokrates; und diese Version der Sage |war auch dem
Lucian bekannt ^) . Durch solche Wanderungen und Wandlun-
gen wird nun aber, wie in allen analogen .Fällen, die histo-
rische Glaubwürdigkeit jener Geschichte überhaupt fraglich, und
es wird zum Mindesten sehr zweifelhaft, ob wir es mit irgend
einem wirklichen Ereigniss oder mit einer anmuthigen Fiction
zu thun haben, die, ursprünglich rein im Reiche der Phantasie
heimisch , (späterhin , w ie so viele sinnreiche Anekdoten , an
das Andenken zweier berühmter Aerzte sich geheftet hatte, und
durch die geschickte Darstellung eines gewandten Geschichts-
schreibers gerade in der an Erasistratus und Antiochus ge-
knüpften Form eine besondre Berühmtheit erlangte. — Auf jeden
Fall mag diese Erzählung vor Allen dazu dienen, den Geist
innerlicher Verwandtschaft uns zu vergegenwärtigen, der jene
1) S. Pseudosoranus, Vita Hippocr. § % (Westermann, Bio^pi^oi,
p. 430). Lucian nennt de bist, conscr. 85 als Typus eines weichlichen
Menschen Perdiccas, und setzt erklärend hinzu: ei hi] oMc ioxiv 6 Tf|(
{jLYjTpuiac ^paodelc *ai ^i' «W xaTeoxXTjxtfic , dXXd [xi?; i'Avxbyo; 6 rrj; (so mit
Recht Frilzsche; toü die Hss.) 2eXE6xou 2TpaTovUY]c ^xe(vT]c. Die Heraus-
geber sind hier in Verlegenheit. Graevius und Solanus (ed. Bipont. IV.
p. 518) wollten den ganzen Satz: li o-?) — £xeivT]c, als ein spätes Scholion,
streichen. C. F. Hermann (p. 220) und Fritzsche (ed. Lucian I 4 p. 83)
sahen wohl ein, dass ohne einen solchen Zusatz »Perdiccas« als Typus eines
Weichlings ohne Weiteres bmzustellcn unsinnig und unverständlich wäre;
sie behalten daher jenen Satz bei, ohne doch die historische Berechtigung
desselben nachzuweisen; ja Hermann versichert ausdrücklich, von Per-
diccas erzähle Niemand etwas derartiges. Er scheint diese Version also
für ein Autoschediasma des Lucian zu halten; als einen Irrlhum desselben
sieht sie Sommerbrodt (zu Luc. Icaromen. 15) an. Alle Zweifel werden
durch die Stelle des Pseudosoranus gehoben. — Endlich liest man bei Dra-
contius, Hylas 40. 41 : Privignoque suo potiatur blanda noverca: •alter erit
Perdicca furens. Der Herausgeber bezieht (im Index) diese Erwähnung
des Perdiccas wohl mit Recht auf das von Lucian angedeutete Abenteuer.
— 55 —
erotischen Erzählungen der hellenistischen Historiker mit den
Romanschriftstellern der spateren Zeit verbindet. Gerade das
Motiv jener klugen Diagnose der Liebeskrankheit hat Heliodor
im vierten Buche seiner »Aethiopischen Geschichten« benutzt,
wo der Arzt Akestinus das Liebesleiden der Chariklca in ähn-
licher Weise erkennt ^) . Die Verwandtschaft beider Erzählungen
erkannte der sogenannte Arislaenetus sehr wohl, der im drei-
zehnten seiner Briefe die Geschichte des Antiochus vorträgt,
aber mit leicht erkennbarer Umformung sich der Namen des
Heliodorischen Romanos bedient ^) . Möglich ist es , dass auch
hier die hellenistische Dichtung die Vermittlung tibernommen
hatte: wenigstens scheint die Verwendung dieser Sage als Ge-
genstand des Pantomimus ^) auf irgend eine dichterische Aus-
bildung derselben hinzuweisen.
8.
Indem nun also durch dieses von allen Seiten lebhaft ge-
nährte Interesse das griechische Volk gewisser Maassen selbst
erst mit dem reichen Schatze seiner Liebessagen bekannt ge-
worden war, nachdem namentlich in den Dramen des Euripides
die Leidenschaft, tlber ihr eignes Wesen erstaunt und entsetzt,
mit grübelndem Scharfsinn sich gegen sich selbst gekehrt hatte *) ,
1) Heliodor IV 8.
2} Aristaen. epist. I 13. Bei Heliodor heisst der Vater Charikles, bei
Ar. Polykles , bei Heliodor die Kranke Chariklea, bei Arist. der Kranke Cha-
rikles, bei Heliodor der Arzt Akestinus, bei Arist. Panakius. Die Parodirung
des Heliodor durch Arist. bemerkte schon Kora'is, Heliod. II p. 144. —
Im Apollonius Tyrius (c. 18), wo eine in allen Romanen herkömmliche ein-
feche Liebeskrankheit erzählt wird, vermag ich keine Nachahmung der Ge-
schichte des Antiochus zu erkennen mit Riese, p. VIII.
3) S. Lucian, De salt. 58.
4] Erwähnt seien hier einige (refTende Bemerkungen aus einem feinen,
obwohl nicht sonderlich tief eindringenden, und im historischen Theil doch
allzu flüchtigen Aufsatze von Edw. Bulwer, »The influcnce of love upon
liierature and real lifo« (Bulwers miscell. prose works. Tauchnitz ed. vol. IV).
p. 313. Mit EuMpides, bemerkt Bulwer, beginne Inder erotischen Dich-
tung »tbe distinction between love as a passion, and love as a sentiment«.
Bei Seppho noch sei die Liebe nur Leidenschaft, bei Euripides »somethin^
more ; it is an occupation of the intellect — it is a mystery to fathom, —
a problem to solve. Love with him not only feels, but reasons, reasons
— 56 —
war es nicht mehr als billig, dass auch die Philosophie ihre
Reflexion diesem dunklen Räthsel *) zuwendete, dessen ver-
hängnissvolle Bedeutung jetzt erst, so scheint es, den Griechen
ganz fühlbar wurde. Plato hatte den Eros in einem Überschwung-
liehen Sinne gefeiert, der uns hier nicht berührt. Dem mehr
sinnlichen und irdischen Wesen der Liebe und ihren Wirkungen
in Leben, Geschichte und Sage widmeten erst spätere Denker,
schon auf der Grenze des »Hellenismus« stehend, eine intensive
Aufmerksamkeit. Voran standen die Peripatetiker: es gab
Untersuchungen »über die Liebe« von Aristoteles selbst, von
Theophrast, Kleareh, Aristo u. A.^j Auch die andern Schulen
aber bezeugen durch den unermüdlichen Wetteifer der Unter-
suchung das unerschöpfliche Erstaunen, mit dem diese Zeit das
Problem der Liebesleidenschaft betrachtete : Sokratiker, Stoiker,
Epikureer, ja auch Cyniker handelten von der Natur der Liebe
in eignen Schriften : rspt lpu>To;, ipwnxoi, Ipwnxai xiyyai über-
schrieben'^) . Einzig die peripatetischen Schriften dieser
Art sind uns, ihrer Anlage nach, einigermaassen bekannt. Die
Ueberreste derselben, wie sie uns vornehmlich Athenäus über-
liefert, zum Theil auch Plutarch seinem 'Epoirixo;, einem späten
Nachklang dieser ganzen Gattung der Schriftstellerei, eingewebt
hat. lassen uns erkennen, dass jene Philosophen auch diese
Untersuchungen vorzugsweise im Dienste ihrer weit ausgedehnten
charakterologischen Studien unternommen hatten. Wie
man die nur scheinbar rein historischen Studien der Peripatetiker
auf litterarhistorischem, antiquarischem, culturhistorischem Ge-
perhaps overmuch. Be that as it may, he is the first of the Hellenic poets
who interests us intellactually in the antagonism and afOnity of the sexes«.
1) Ein dtviYfxci ouaeupcrov xal ouoXutov nennt die Liebe Plutarch irepi
IpooToc bei Stobaeus, Flor. LXIV 34.
2) S. Val. Rose, Arislot. pseudepigr. p. 4 05.
3) Eine Aufzöhlung solcher philosophischer Autoren über die Liebe bei
Winckelmann zu Plut. Erotic. p. 97—99. Der Ulteste vielleicht Kritiasr.
<p63e(u; ^poDTOc (s. Bach, Critiae quae supersunt, p. 401 ff.). Ueber den
'EpaiTix(5; des SokraUkers Euclides vgl. Meineke, Fr. com. IV p. 4 74
und Anal. crit. in Athen, p. 259 f. — In den Bruchstücken der mittleren
Komödie finden sich gelegentlich witzelnde Betrachtungen über Natur und
Wirkungen des Eros (z. B. III p. 226. 490, namentlich 495 f.), welche
vielleicht durch ähnliche Betrachtungen der philosophischen Erotiker an-
geregt, zum Theil auch diesen parodirend nachgebildet sein mögen.
— 57 —
biete ihrer Anlage und Art nach nur dann recht verstehen
kann, wenn man sie als Sammlungen allerreichsten empirischen
Materials zur lUustrirung philosophischer Beobachtung auffasst:
so wendete andrerseits in der Behandlung eigentlich philosophischer
Gegenstände von allgemeinerem Interesse ihre Betrachtung sich
weniger dem innersten Wesen der psychologischen Erscheinungen ,
als deren charakteristischer Aeusserung in einzehien Aus-
brüchen der Leidenschaft, dauernden Gewohnheiten, festgestellten
Sitten und Einrichtungen zu. Auch die Schriften »lieber die
Liebe a standen lauf diesem Grenzgebiete der historischen und
der psychologisch-philosophischen Betrachtungsweise. Ganz be-
sonders merkwürdig ist in dieser Beziehung das Buch des
Klearch von Soli »lieber die Liebe«, aus dem uns Athenäus,
der es noch selbst in HUnden hatte, zahlreiche Fragmente er-
halten hat. Wie Aristoteles, Theophrast, Heraclides Ponticus in
ihren Schriften über die Liebe allerlei denkwürdige Volkssagen
von leidenschaftlicher Liebe und ihren Schicksalen mitgetheilt
hatten *) , so lässt auch Klearch es sich angelegen sein, durch
historische und sagenhafte Beispiele die Natur der Liebe zu er-
läutern ^J . Auch von der Liebesdichtung handelte er 3; . Vor-
zugsweise aber beschäftigen ihn die Art und die Gründe der
sinnreichen Gebräuche eines zarten Liebeswerbens, wie sie von
jeher in Griechenland herkömmlich waren. Ganz in der Art
der in seiner Seele üblichen CTjtTi}AaTa und ^:po^kr^\la'za stellt
er spitzfindige Untersuchungen darüber an : warum wohl Liebende
Blumen und Aepfel in Händen zu tragen pflegen *) ; warum man
glaube, dass ein Zerfallen des beim Mahle getragnen Kranzes die
Verliebtheit des Trägers andeute; warum man der Geliebten
Thüre zu bekränzen pflege ^) . Diese Betrachtungen nun, in
1) Aristoteles, Fr. 88: Kleomachus. — Theophrast: Sage vom
spröden Leukokomas: Strabo X p. 478. Delphin und Knabe : Athen. XIII 606 C.
Gellius VI 8. Plinius n. h. IX 8 § 28. — Heraklides: Chariton und Me-
lanippus, Athen. XlII 602 B = Aelian V. H. II 4.
2) Liebe des Perikles und der Aspasia Athen. XIII 589 D — F., des Epa-
minondas XIII 590 C, des Gyges XIII 573 A. B., des Antimachus zur Lyde
XIII 597 A. Helena II 57 E. Verliebtheit einer Gans, eines Pfaues: XIII 606 C.
3j Ath. XIV 689 A. 619 C. D.
4) Ath. XII. c. 79.
5) Ath. XV 669 F. : das (sehr stark corrupte) Excerpt aus Klearch hört,
nach meiner Meinung, erst bei 674 B mit Cap. 10 auf.
— 58 —
(leDen der Philosoph durch immer sinnreichere und künstlichere
Deutungen des Einfachsten und Verstandlichsten sich selbst zu
übertreiren , und noch einmal zu übertreffen sich abmüht,
schlagen schon völlig den Ton der spateren Romanschreiber an.
jenen unangenehmen Ton einer frostigen erotischen Sophistik,
die in ihrem sonderbaren galanten Witze vergnügt umhertändelt,
ohne jemals einen Klang einfacher und achter Empfindung zu
finden. Auch die süssliche Manier, in welcher Klearch die schöne
Volkssage von der Eriphanis vortragt*) , erinnert uns daran, dass
wir uns dem galanten Zeitalter der griechischen Poesie nähern ^j.
\j Athenäus XIV 649 C- D.
. 2, Es wird nicht überflüssig sein, von der gezierten Pedanterie des
Klearch eine kurze Probe zu geben. Bei Athenäus XV c. 9 liest man:
»Warum sagt man, wenn der Kranz der Bekränzten sich auflöst, sie seien
verliebt? Hält man etwa, weil die Liebe die Seele der Liebenden des
Schmuckes entkleidet, darum den Verlust des sichtbaren Schmuckes für
ein Feuersignal und Anzeichen dafür, dass solche eben auch des Schmuckes
der Seele entkleidet seien? [Hier ist das Wortspiel mit der zwiefachen Be-
deutung von xöa^jio; deutsch nicht wiederzugeben]. Oder deuten Einige,
^^ie in dei* Mantik so oft, auch hier die Wahrheit aus Zeichen? Denn der
Schmuck des Kranzes, der nichts Bleibendes hat, ist ein Zeichen einer un-
beständigen und dabei im Schmuck sich gefallenden Leidenschaft. Von der
Art ist aber die Liebe ; denn Niemand ist mehr auf Schmuck bedacht, als
die Liebenden. Wenn nicht etwa die Natur, wie ein göttliches Wesen jeg-
liches Ding gerecht austheilend, der Meinung ist, die Liebenden dürften
sich nicht bekränzen, bevor sie in der Liebe gesiegt hätten: das ist aber,
wenn sie den Liebenden ihren Wünschen gewonnen haben und so von der
Begierde befreit sind. Den Verlust des Kranzes nehmen wir also als ein
Anzeichen dafür, dass sie noch im Liebeskampfe begriffen sind. Oder ent-
rcisst etwa Eros selbst, indem er nicht duldet, dass man sich als sein
Ueberwindcr bekränze und ausrufen lasse, jenen Verwegenen den Kranz,
und giebt so den Debrigen eine Aufklärung, indem er andeutet, dass jene
ihm unterworfen sind; daher die Uebrigen Jene für verliebt erklären? Oder
>^cil, was gelöst wird, jedenfalls gebunden gewesen ist, die Liebe aber die
Fesselung Bekränzter ist, — denn von allen Gefesselten sind einzig die
Liebenden sich zu bekränzen beflissen — hält man darum die Auflösung
des Kranzes für ein Zeichen der Fesselung durch die Liebe, und nennt
solche, denen sie begegnet, verliebt? Oder: da die Liebenden natürlich
oftf wenn sie bekränzt sind, ihrer Aufregung wegen den Kranz abfallen
lassen, kehren wir darum etwa in unserer Schlussfolgerung die Reihenfolge
der Vorgänge um, und vermulhen, dass der Kranz wohl nicht abgefallen
sein würde, wenn nicht der Träger verliebt wäre? Wenn nicht etwa da-
rum, weil die Liebenden schon von der Liebe umkränzt sind, der Blumen-
kranz bei ihnen nicht haften will. Denn schwer ist es ja, dass auf einem
— 59 —
9.
So sind wir endlich zu den hellenistischen Dichtern ziirück-
i^ekehrt, durch welche zuerst die Liebe in den Rang der obersten
poetischen Leidenschaft eingesetzt wurde, den sie seitdem mit
so grosser Entschiedenheit behauptet hat. Trotz der vereinzelten
Vorgänger aus classischer Zeit bildeten diese Dichter mit ihrer
Bevorzugung der erotischen Leidenschaft einen sehr bemerkbaren
Gegensatz zu der Empfindungsweise der Griechen früherer Zeit.
Hätte nicht die altgriechische Sinnesart, wie sie sich in Arislo-
phanes gegen die neuen Künste des Euripides empörte, mit
ganz besonderm Ingrimme gegen die peinlichen Conflicte einer
weichlichen Liebesleidenschaft protestirt, mit denen dieser Dichter
das erhabene Pathos der tragischen Bühne zu verfälschen schien ^) ?
so grossen göttlichen Kranze irgend ein beliebiger kleiner festsitze«. — Iph
habe stellenweise mehr paraphrasirt als übersetzt ; auch so noch bleibt die,
bei aller Spitzfindelei unpräcise Form der Schlüsse, durch eigene Schuld
des Kiearch, bestehen. Uebrigens habe ich in der Uebersetzung einige
nothwendig schefncnde Correcturen stillschweigend befolgt, p. 209, h (ed.
Meineke) ist vor ei fx9) dfpa ein Punct zu setzen, p. 209, 43 Sri X6£Tai {acv
TTov TÖ SeSefxevov. Das ist ja an sich nicht wahr, und passt nicht in den
Syllogismus. Dem erforderlichen Sinne entspreche etwa: Sti X6eTai {jlsv
jxovov TÖ Tiplv Seocfx^vov (vgl. Z. 22); genauer geredet* wäre freilich: Sti,
S X6eTai, TravT«; oeScfxdvov f^^. Ich weiss die Stelle nicht zu heilen, p. 209, 4 6
^Xeoatv die Hs. Meinekes ^StjXitjoiv enthält nicht den bestimmten Begriff
der Auflösung. Besser also: StdXyaw, wie schon Andere vorgeschlagen
haben, p. 209, 49 7:eptppclv: dav fügt Meineke hinzu. Ich striche ausser-
dem am Liebsten das überflüssige aumv (denn so wäre doch jedenfalls zu
schreiben), p. 209, 24—25 3ti — dpwvTec habe ich gar nicht übersetzt, da
ich diesen ganzen Satz für eine stammelnde Wiederholung des schon Zeile
42 — 4 7 angebrachten Syllogismus halle, entweder aus der Feder eines spä-
teren Schreibers, oder wohl gar, grösserer Deutlichkeit wegen, vom Athe-
näus selbst paraphrasirend an den Rand geschrieben, und später an un-
passender Stelle in den Text eingeschoben, p. 209, 29 Oelvat: pisTvat Mei-
neke. — In dem Reste des Klearchischen Fragmentes ist noch vieles in
Unordnung; einiges wird wenigstens geheilt, wenn man p. 209, 29 hinter
d6pac einen Punct setzt, p. 209, 32 vor tou ein cb; einschiebt, p. 24 0, 29
statt af^exai: dipxiaei schreibt.
1] Vgl. Aristoph., Nub. 4 372. Ran. 850. 4 043 f. 4 084. Gerade der-
gleichen erotische Tragödienstoffe parodirte die alte und mittlere Ko-
mödie besonders gern: so Aristophanes den Aeolus des Euripides im Aeo-
losicon (Platonius, p. 532, 45 Mein. Aeolus des Antiphanes: Mein. com.
I 323, des Eriphus, ib. 420), die Andromeda in den Thesmoph. (Andromeda
des Antiphanes), die Phaedra vielleicht im Anagyros (s. Bergk, Aristoph.
— 60 —
Jetzt wurde vielmehr gerade diese Eine Leidenschaft so ü])er-
mächliü, dass sie fast alleine die Dichter der Zeit noch mit einer
achten poetischen Empfindung zu beleben vermochte. Ich will
nicht von der lyrischen Liebesdichtung der hellenistischen Periode
reden, welche zwar der naiven Kraft und dem w dunkeltiefen
Leuchten« innerer Leidenschaft der aolischen Lyrik schwerlich
gleichkam, aber in Zartheit, Lieblichkeit, einer gewissen Süssig-
keit ^) , in allen Tugenden acht griechischer C h a r i s doch sicherlich
nicht hinter ihren römischen Nachahmern, Properz, Ovid, Tibull
zurückstand, die sich auf Philetas und Kallimachus so gerne als
auf ihre Vorbilder berufen 2) . In ihrer erzahlenden Dichtung
aber nimmt der erotische Stoff einen so bedeutenden Raum ein, dass
man hier den Beginn jener modernen Geschmacksrichtung erken-
nen muss, der kaum irgend eine dichterische Darstellung noch
einen Antheil abzugewinnen vermag, in welcher die Liebe nicht die
eigentlich belebende Seele der Handlung ist, oder zum mindesten
mit andern leidenschaftlichen Antrieben um den Vorrang streitet.
Nun stand jene Dichtung keineswegs so abseits von den
Neigungen und Interessen der Zeit, wie eine übertriebene Vor-
stellung von der Pedanterie alexandrinischer Stubendichtung
noch immer Manchen glauben macht. Sehr gerne erführe
man, ob in der erzählenden Liebesdichtutig sich die wirkliche
Empfindungsweise der Zeitgenossen widerspiegele, ob die
Weiberliebe, die für das altgriechische Leben eine so sehr ge-
ringe Bedeutung hatte, in der zarteren und sublimirten Gestalt,
wie sie uns jene Dichtungen zeigen, auch das Leben der helle-
nistischen Jahrhundertc bestimmt habe. Leider geben unsre
dürftigen IlUlfsmittel uns auf solche Fragen so gut wie gar keine
Antw ort ^j . Wir bemerken wohl , dass die Emancipation der
fr. p. 959), Antiphanes u. A. einen Adonis (des Tyrannen Dionysius? Mei-
neke I 34 5), u. s. w.
1) Ich meine jene, in deutscher ästhetischer Terminologie nicht genau
zu bezeichnende Eigenschaft, welche die griechischen Aesthetiker f\^x\tTr^^
zu nennen pflegen.
2) Vgl. Bach, Philetae Phanoclis et Hermesianactis rell. p. iS. M.
Hertzberg, Quaest. Propert. p. -190 f.
3) Eine Untersuchung über die Stellung der griechischen Frauen in
hellenistischer Zeit hat kürzlich W. Heibig, Untersuch, über die campan.
Wandmalerei (L. 4 873) p. i9i ff. angestellt, aus welcher ich, wie man be-
merken wird, zwar manches Lehrreiche entnommen habe, der ich aber
— 61 —
Frauen von der allen streng beschränkten Sitte, wie sie schon
Aristophanes in einzelnen Zügen erkennen lässt, in dieser Zeit
einer immer mehr in*s Luxuriöse und Weichliche ausgebildeten
Verfeinerung der geselligen Bedürfnisse betrachtlich zunahm.
Die Reste der neueren und bereits der mittleren Komedie zei-
gen, dass selbst in Athen, der einstigen Burg allerstrengster
Weiberzucht, durch energischen Willen, List und Gewandtheit
die Frauen sich eine immer freiere Selbstbestimmung zu erobern
wussten *). Eben dieselbe Komödie zeigt uns in .einem treuen
Spiegelbilde, wie lebhaft, in aller Noth der w^üsten Zeiten,
Liebesintriguen und ein schmachtendes Liebesleben den Sinn
der eleganten Jugend beschäftigten. »Hält etw^a nicht — so fragt
Plutarch^) — die Dramen des Menander ein einziges Band zu-
sammen, die Liebe, die wie ein gemeinsamer Lebenshauch
durch alle ergossen ist?« Freilich ist 'es zumeist der Umgang
mit den Hetären, der in diesen Bildern der geistreich lieder-
lichen athenischen .lugend gezeichnet wird; und eben diese
Beschränkung lehrt aufs Klarste, dass für die Darstellung einer
erotischen Leidenschaft — wie sie jene Dichter bieten woll-
ten — auch damals noch ehrbar bürgerliche Verhältnisse so
wenig einen Boden darboten, wie je; hier vor Allem gilt jenes
frivole W^ort, dass zur Ehe die Pflicht antreibe, die Liebe aber
der Hetärea aufbehalten bleibe. Wo die Liebe des .lünglings
auf ein ehrbares Mädchen gerichtet ist, da bleibt dieses regel-
mässig schüchtern im Hintergrunde. Immerhin zeigt sich in
jenen Komödien^) (zumal wenn man die Frivolität der mittle-
ren Komödie vergleicht), nicht ohne den Einfluss des Euripi-
des, wie man vermuthen darf, vielfach jene Sehnsucht nach
eine erneute, zu wesentlich verschiedenen Ergebnissen führende Betrach-
tung desselben Gegenstandes entgegenzustellen, nicht für überflüssig halten
durfte. Ich kann nur auflTordcrn, die beiden Darstellungen prüfend mit
einander zu vergleichen.
1) Hierüber einige gute Bemerkungen bei Limburg-Brouwer, Histoire
de la civilisation morale et röligieuse des Grecs, tome IV eh. VIII. — Be-
zeichnend ist es, dass Alexis [und Amphis |: beide der mittleren Komödie
angehörig) Komödien des Titels TuvctixoTtpatia schrieben , Amphis gar auch
noch eine F'jvaixofxavia. Vgl. Meineke, Hisl. crit. com. 398 f. 405.
2) Trepl ipmxoi bei Stobäus, Flor. LXIII 34 (nach Meinekes Emendationen)
Ovid Trist. II 370 : Fabula jucundi nulla est sine amore Menandri.
3) Cebrigens sind eigentlich sentimentale Liebesergüsse bei Plautus
und Terenz auffallend selten: vgl. etwa Plaut. Asin. 111 3 [namentlich v.
— 62 —
einer Veredlung der Leidenschaft im wirkliehen Leben, die
in manchen Werken der späteren Tragödie einen verklärten
Ausdruck im Reiche der Phantasie gefunden hatte.
Im Uebrigen hörte Athen, je langer je mehr, auf, der eigent-
liche Mittelpunct griechischen Lebens zu sein; seine Zustände
geben uns gerade in dieser Epoche durchaus keinen Maassstab
für die Stellung der Frauen in andern griechischen Ländern,
die man auch wohl für frühere Zeiten weniger nach einseitig
athenischen Nachrichten beurtheilen sollt«. In Sparta waren
die Männer mehr als je »den Weibern unterthan« ^) ; dort herrschte
die Kypris unter allem martialischen Getöse 2) . In den wilden
Kämpfen, welche die Stadt zu bestehen hatte, treten einzelne
Frauen scharf und lebhaft hervor; man erinnere sich der hel-
denmüthigen Archidamia 3) , der übermüthigen Chilonis, der
Gattin des Kleonymus *) , vor Allem der edlen Kratesiklea , der
Mutter des Kleomenes, die an des Sohnes grossherzigen Thaten
und Leiden muthig mitleidend Theil nahm, und endlich , nach
seinem Untergange, von den aegyptischen Henkern ebenfalls
getödtet wurde ^). — Wie sich in den hellenistischen König-
reichen, bei <ler ungeheuren Erweiterung des Horizontes, bei
der Auflösung alter Stammessitte und dem unermesslichen Zu-
strömen barbarischer Elemente, die Stellung der Frauen ver-
608 AT. und 6i5); eine sehr sentimentale Figur ist der Charinus im Mer-
cator; vgl. auch Ter. Eun. 4 98 ff. Man könnte meinen, die lateinischen
Bearbeiter hätten solche sentimentale Stellen weggestrichen : wenn nur in
den Resten der neuen Komödie der Attiker selbst, ausser allgemeinen Be-
trachtungen über Eros, irgend welche Spuren sentimentaler Ergiessungen
sich fänden.
1) »Tov»; AaxcSaifJtovio'j; xaTT^xöo'j; Cvrci; det töv fisaix&sn Plutarch Agis 7.
Dort auch die merkwürdige Nachricht von dem grossen, selbständigen
Reichlhum und Grundbesitz der Frauen in Sparta. (S. Aristot. Pol. II 9
p. 1270a. 23 f., vgl. Grote, History of Greece II 387 f.).
' 2) Leonidas anthol. Pal. IX 820 : tlizi t.ox E6p(&Tac rotl tdv K67:ptN • t,
Xdßc T6'jy7) 7j '5iOi Ta; SrocpTa; * d 7:6X15 67:Xo[xciver d 0' draXciv '(t^da^ij
xal losofjiai diev dTe-j/T];, eire, xcii olxV;oa) xdv Aaxeoatfxovlav u. s. w. L'ebrigens
bemerkt Aristoteles Polil. II 9 p. 4269 b, 25 sehr richtig, dass xd tzo^Iol
Ttbv OTpaTituTixöJv xolX zoXctxtxtüv YS'^wv von den Weibern beherrscht zu wer-
den^pflegen.
3) Plut. Pvrrh. 27 etc.
4) S. oben p. 54 Anm. 8.
5} S. Droysen, Gesch. des Hellenismus II p. 485. 549. 564.
— 63 —
ändert, vielleiclit auch ihr Einfluss auf das ganze Lehen ver-
stärkt und verlieft habe, können wir kaum ahnend uns vor-
stellen. Die Zustände mochten auch in dieser Hinsicht an ver-
schiedenen Orten sehr verschieden sein. Wahrend in Alexan-
dria der Ton ein freierer gewesen zu sein scheint^), mag z. B.
in Rhodus, damals der berufensten Hüterin wackerer altgrie-
chischer Art, eine alterthümlichere Strenge der Sitte, wie sie
dieser Insel, im Gegensatz zu Alexandria noch in späterer Zeit
ein guter Beobachter nachrühmt ^) , sich auch in dieser Richtung
behauptet haben. An andern Orten scheint sogar orientalisches
Misstrauen sich eingedrängt und die Einschränkung der Frauen
noch verschärft zu habend). Auch die Verschiedenheit des
Standes wird nicht ohne Einfluss gewesen sein*). Wir ver-
mögen nur in den obersten Kreisen eine gewisse Veränderung
zu erkennen, in dem starken Hervortreten zahlreicher weibli-
cher Charaktere in der Staats- und Hofgeschichte der Diadochen-
reiche. Die Politik dieser Zeiten bediente sich im weitesten
Maasse des ganz modernen Mittels der diplomatischen Heiraths-
stiftungen ^j ; wenn aber viele Fürsten sich, nach orientalischer
Art, durchaus nicht scheueten, mehrere dergleichen diplomatische
1) So scheint es allerdings nach dem sehr selbstherrlichen Benehmen
der Frauen in den Adoniazusen des Theokrit, auf welche Heibig, Unters,
über die campan. Wandmalerei p. 192 hinweist. Nur gilt zunächst die
hier beobachtete grössere Freiheit einzig für Alexandria (wie bereits Becker,
Charikl. III 272 ganz richtig bemerkt hat), und obendrein ist zu bedenken,
dass die beiden bei Theokrit auftretenden Frauen Dorierinnen, und so-
mit von Haus aus an freiere Bewegung gewöhnt sind: man könnte in über-
tragenem Sinne sagen, was (v. 93) die Gorgo so selbstbewusst äussert:
2) Dio Chrysost. or. 32 p. 679 R.
3] Im cilicischen Tarsus zeichneten sich noch zur Zeit des Dio Chry-
sostomus die Frauen durch strenge Haltung aus und durch eine Tracht, welche
ihnen, so scheint es, sogar nach orientalischer Sitte das Gesicht verschleierte ;
und dies war dort althergebrachte Sitte : or. 33. p. 24 R. Solche Ver-
schleierung der Weiber war übrigens auch in Theben üblich: s. Dicaearch.
descr. Graeciae § 18 (Fr. bist. gr. II 259).
4) Die Frauen der untersten Stände genossen wohl stets einer etwas
grösseren Freiheit der Bewegung, aus den einfachsten Gründen: ttöj; yaii
otov te, xooXueiv i^iisai Tot; twv di7:(5pcuv ; Aristoteles, Polit. IV 15. p. 1300a, 6.
5) Sogar mit dem indischen Könige Tschandragupta ging Seleucus Ni-
cator, zur Befestigung des Friedens, ein x-rjoo; ein: Strabo, p. 724, Appian,
Syr. 55.
— 64 —
EhebUndnisse zu gleicher Zeit einzugehen, so verfügten andrer-
seits, in diesem sonderbaren Hin und \Vider, die fürstlichen
Frauen mit einer Freiheit und selbständigen Kühnheit über ihre
eigne Hand, die uns eine völlige Emancipation der Frauen
wenigstens in diesen höchsten Kreisen deutlieh genug erkennen
lässt. Das merkwürdigste Beispiel bietet vielleicht Kleopatra dar,
die Tochter der Olympias, die, zuerst mit Alexander von Epirus
vermählt, als Wittwe dem Perdiccas eine Verbindung angetragen
hatte, weiterhin von Kassander, von Lysimachus, von Antigonus
umfreit wurde, endlich sich selbst dem Ptolemüus verhiess, als
Antigonus sie in Sardes ermorden liess^). Nicht minder ener-
gisch als diese Kleopatra zeigen sich andre Weiber dieses mace-
donischen Fürstenhauses : ausser der gewaltsamen Olympias vor
Allem Kynane , die Tochter Philipps und einer illyrischen Für-
stin, die mit ihrer Tochter Eurydice selbst in die Schlacht zog.
Hierin könnte man einen Excess der, den illyrischen Frauen
stets eignen wilden Unabhängigkeit^) sehen. Aber ciuch macedo-
nische und griechische Frauen fürstlichen Standes zeigen eine
ähnliche männliche Kraft und Kühnheit: z. B. jene Kratesipolis,
die nach ihres Gatten, Alexanders, des Sohnes des Polysperchon,
Tode als eine rechte Heerfürstin, durch Wohlthaten beliebt,
durch politische Einsicht und mehr als* weibliche Thatkraft ^)
stark, Sikyon eroberte und beherrschte , und sich bei den Be-
weisen ihrer Gunst offenbar um die Meinung der Welt wenig
bekümmerte 4). Eine ächte Griechin war die kühne Lanassa,
die Tochter des Agathokles von Syrakus, des Pyrrhus von Epi-
rus Gattin 5); nicht minder Axiothea die Fürstin in Paphos, de-
ren tragisches Ende Diodor XX 21 erzählt. So zeigen sich an
den grossen und kleinen Königshöfen die Frauen einflussreich
und thätig : bei Lysimachus die gewaltthätige Arsinöe, die, sehr
1; Vgl. in Kürze Diodor XX 37. Von ihrem Charakter Ärrian, De
successor. Alex. § 40. p. 246 Müller: xpeirrov rj xa-zä Y^vaixa.
2) Ueher die freie Stellung der illyrischen Frauen vgl. Abel, Make-
donien vor König Philipp, p. 121. Uebrigens zog auch die jüngere Berenice,
die Gattin des Philadelphus , persönlich in die Schlacht: s. Hygin, Poet,
astron. 2, 24 vgl. 0. Schneider, Callimach. II p. 150 IT.
3) ouveoic TÖaYfjtaTix-?] %aX x^Xp-a fieCCov r, xct-a Y'jvaixa wird ihr nach-
f^criihmt von Diodor XIX 67.
4) Vgl. Plutarch, Demetr. 9.
5; Droysen I 396.
— 65 —
gegen seiDen Willen, die edle Amaslris verdrängte^); in Epirus
ausser der Lanassa Deidamia, des Pyrrhus Tochter 2); am Seleu-
cidenhofe eine ganze Reihe intriganter Fürstinnen: Laodice,
Stratonice ^) , Kleopatra u. A. *). Ganz vorzüglich treten am
ptoiemäischen Hofe die Frauen hervor: Berenice, die Gattin
des Ptolemäus Lagi: Arsinoö", die Schwester und (nach ihres
ersten Gemahles, des Lysimachus, Tode) Gattin des Philadel-
phus*); vor Allen Berenice, die Frau des Euergetes^). In die-
sen Monarchien regierten also ganz eigentlich die Frauen 7).
Hier vornehmlich, an dem Hauptsitze der gelehrten Dichtung
jener Zeit, wurde es auch Sitte, den vornehmen Frauen poe-
tische Huldigungen darzubringen: wie die Königinnen zugleich
mit ihren Gatten den Göttern eingereiht wurden , so durfte nun
auch der Hofpoet nicht versäumen, neben dem Könige die Kö-
nigin zu preisen®), die fürstlichen Hochzeilen im Gedicht zu
feiern^); ja er konnte sich, im Uebermaass galanter Devotion, bis
1) Für ihre politische Bedeutung zeugt auch das freilich nicht eben
schmeichelhafte Factum, dass ihre Verfeindung mit Philetaerus, dem Phru-
rarchen des Lysimachus in Pergamum, diesen zum Abfall bewog: Strabo Xlil,
p. 628. (Jeher Amastris vgl. auch Meineke, Com. I 450 f.
2) Droysen II 438.
3; Droysen U 4U.
4} Vgl. Heibig, campan. Wandmalerei, p. 193.
5] An dessen Hofe ausserdem zahlreiche Maitressen ihr Wesen ge-
trieben zu haben scheinen: vgl. Athen. XIII 576 F.
6} Ihren moralischen Einfluss auf den König, auch in Staatsangelegen-
heiten, schildert sehr bezeichnend die Anekdote bei Aelian V. H. XIV 43..
7) Ti Y«P otatp^pet ^uvalxa; ap/eiv tj toj; ap/ovra; uttö twn -('jsiiKLOi^ a.^-
yesdat; Aristoteles, Polit. II 9. p. 1269b, 83.
S) S. Theoknt in dem Lobgedicht auf Ptolemäus Philadelphus, id.
XVH 34 ff. 427 l
9) Kallimachus schrieb ein Gedicht auf die Hochzeit des Phila-
delphus und der Arsinot': s. Frg. 196 und dazu Schneider, p. 446 f. —
Vom A rat US wird in der vierten Vita (p. 60, 5. 6] ausdrücklich gesagt:
«uvfjV 'AvTiY<5v(p Tc{) Ma7t£0(ivcDv ßaoiXel y.cti<I)(XaT7j to6to'j ^ofxexi^. Wohl
nicht zufällig, sondern eben als Festdichter, kam er nach Macedonien ge-
rade zur Hochzeit feier der Beiden: vila IV p. 60, 42. Nach Suidas
schrieb er ^Tri^pafAf^aTa eU ^iXav ttjv öu^aTlpa 'AvxirdTpou; das würde die
Mutter des Antigonus Gonatas sein. Indessen irrt sich wohl der Gewährs-
mann des Suidas, und meint vielmehr eben die Gemahlin des Antigonus,
welche eine Tochter Seicukus I., eine Schwester des Antiochus Soter war.
Dies scheint auch Droysens Meinung zu sein (Gesch. d. Hellen. II 479, 34).
Roh de. Der griechische Roman. 5
— 66 —
zur vollkonimenen Abgeschmacktheit versteigen , deren Gipfel
Kallimachus erreichte in jener, aus CatuUs Nachahmung so be-
kannten Elegie auf das von der astronomischen Courtoisie des
Konon unter die Sternbilder versetzte Haar der Königin Bere-
nice*). Die Zustände der Höfe mögen also am Ersten den ga-
lanten Ton der hellenistischen Dichtung] erklaren: wenn doch in
Wahrheit »in allen souveränen Staaten der Gehalt ftlr die Dich-
tung von oben herunter kommt« 2). Ein gewisser) Einfluss des
Hoftones auf die btlrgerlichen Kreise konnte nun freilich in den
hellenistischen Reichen so wenig ganz fehlen, wie in den so
nahe verwandten Zuständen des späteren kaiserlichen Rom.
Gleichwohl werden wir uns htlten müssen, in verkehrter Ver-
allgemeinerung, aus der freiem Stellung dieser, in streng mo-
narchischen Staaten in jeder Beziehung bevorrechtigten ftlrst-
lichen Frauen auf eine ähnliche Freiheit auch der Frauen andrer
Stände, oder gar aus den Complimenten der Hofpoeten auf eine
allgemeinere Verbreitung eines galanten Hoftones im Verkehr
der Geschlechter zu schliessen. Im wirklichen Leben ent-
wickelte sich höchstens den Hetären gegenüber eine gewisse
Ritterlichkeit, die nun freilich mit einem sehr unangenehmen
Zusatz frivoler Sentimentalität versetzt war. Darüber belehren
uns die auf eigne persönliche Verhältnisse bezüglichen Epi-
gramme der hellenistischen Dichter, deutlicher noch die grae-
cisirenden Liebeselegien der Römer. Von einer wesentlich ver-
änderten Stellung ehrbarer Mädchen und Frauen erfahren wir
nichts. Am Ersten sollte man glauben , dass eine Zeit , deren
Lebenselement ein übereifriges Lernen und Wissen war, in der
wenigstens sicherlich die fürstlichen Frauen für eine reichere
Bildung empfänglich, für die Feinheiten der künstlichsten Dich-
tung vorbereitet waren 3), auch der ehrbaren Bürgersfrau, von
1; S. 0. SchDeidcr, Callim. II p. 4 44—4 62. — So baUe die (oben-
drein kahlköpfige^ Königin Slratonice den Hofdicbtern zu wetteifern auf-
gegeben, wer im Gedichte am schönsten ihr Haupthaar preisen könne: Lu-
cian pro imag. 5.
2) Goethe (Wahrheit und Dichtung, Buch 7,.
3, Von der Bildung der ptolemäischen Frauen bietet ein freilich etwas
spätes Beispiel Kleopatra, des Antonius Freundin, von deren Sprachenkennt-
niss Plutarch , Anton. 27 Wunderdinge erzählt. — An Arsinoä (jedenfalls
die Schwester und Gemahlin des Ptol. Philadelphus: s. Wytlenbach, Plut.
. — 67 —
der z. B. die pseudopythagoreischen Schriflsleller der Zeit so
würdig und schön zu reden wissen i) , die Wohllhat einer freie-
ren Geistesbildung, eines tieferen Unterrichts nicht vorenthalten
habe. Aber davon berichten uns durchaus keine Zeugnisse. Ein-
zelne gelehrte und künstlerisch thaiige Frauen jener Zeit 2j sind
als Ausnahmen merkwürdig, dergleichen ja auch in der
elassischen Periode nicht gefehlt hatten. " Freilich JerklUrt sicn
der Charakter eben desjenigen Theils der hellenistischen Dich-
tung, mit dem wir uns hier beschäftigen, vollständig erst dann,
wenn wir dieselbe ganz vorzüglich für Frauen bestimmt
denken. Vermuthlich hört man einen Nachklang griechischer
Dichter der hellenistischen Epoche z. B. in den Stellen des Pro-
perz, in denen dieser weibliche Leser seinen Gedichten
Moral. VI 2 p. 743) richtete der Peripatetiker Strato einen Brief:- Laerl.
Oiog. V 60. Der Philotera , Schwester des Ptolenoäus Philadelphus (vgl.
auch Schol. Thcocr. XVII 123) scheint Kailimachus ein Gedicht gewidmet
zu haben: s. Meineke zu Callim. p. 227. — Nicaea, Frau des Alexander,
Königs von Eubüa, liebte den Euphorion und hatte ihn stets um sich:
Meineke, Anal. Alex. p. 8. 9.
1} Ich meine die bei Stobäus zerstreuten Aeusserungen des s. g. Kalli-
kratidas, der Periktione, des Phintys über Ehe und Frauenzucht. Alt-
pythagoreische Vorstellungen mochten dabei einwirken. Im Wesentlichen
aber giebt diese Gattung der Schriftstellerei, welche dem ausgehenden Hel-
lenismus, etwa dem letzten Jahrhundert v. Chr. Geb. angehört (s. Zeller,
Phil. d. Gr. III 2, 92), über die Gesinnung gewisser wissenschaftlicher
Kreise Zeugniss, vornehmlich wohl alexandrin ischer. Denn in Alexan-
<1ria waren einige letzte Funken des Pylhagoreismus nie ganz erstorben
(vgl. Zeller p. 83 und die merkwürdigen Stellen, an welchen Kailimachus
^eine Zuneigung zu gewissen pythagoreischen Sätzen ausspricht: s. Hecker,
Comm. de anthol. Gr. p. 268 fT. Hinzufügen könnte man übrigens Fr. 4 37:
tl ^ebs oia&a, ta^' Sti xai f>l;ai oa((xovi rav O'jvaxöv : ein acht pythagoreischer
Cedanke; vgl. z. B. lamblich. V. Pyth. § 4 39).
2) Heibig a. a. 0. p. 493. Vgl. Bergk, Griech. Lilleraturg. I 465 f.
Ein ganzes Register ausgezeichneter und auch gcjchrter Frauen aus dem
»Gastmahle« des Didymus (p. 375 f. Schmidt) bei Clemens, Strom. IV p. 523
Sylb., aus welchem hier namentlich die Epikureerin Themislo, die fünf
gelehrten Töchter des Diodorus 6 K{>(5vo;, die cynische Philosophin Hip-
parchia (die mit dem Krates herumzog) hervorgehoben werden mögen, als
allerdings bemerkenswerthe frühe Specimina der gelehrten Virago. — Die
Poesie war z. B. erblich -in dem Geschlecht der Dichterin Hedyle: ihre
Mutter Moschine, aus Attika stammend, dichtete Jamben, Hedyle selbst
Epyllien in alexandrinischer Manier, ihr Sohn Hedylus desgleichen: Athen.
VII 297 B.
5*
— 6S — .
wünscht * . Wie aber Properz durchaus nur an feiner gebildete
Courlisancn denkt, wie nur diese es sind, denen Ovid^) Kennt-
niss dos Philetas und Kallimachus empfiehlt, so darf man auch
in der hellenistischen Welt, ausser in höfischen Kreisen, wohl
nur bei gebildeten Hetären eine Theilnahme an der gelehrten
Tagesdichtung voraussetzen. Ftlr manche Seiten der so mangel-
haft bekannten Cultur' jener Zeit muss uns überhaupt die ana-
loge Entwickelung der römischen Civilisation zur Zeit der aus-
gehenden Republik und <ier beginnenden Kaiserzeit einen dürf-
tigen Ersatz bieten, in der, als in einer letzten Xachblüthe
hellenischer Cultur, das gröbere römische Naturell einen wirk-
lichen Anhauch griechischer Anmuth zeigt. Xur eben die da-
malige römische Sitte einer gründlichen Bildung auch der ehr-
baren Mädchen und Frauen 3} kann nicht aus griechischem Ge-
brauch herüber genommen sein ^) : wie wäre es sonst zu
erklären , dass noch Musonius und Plularch die gleichmässige
Bildung der Knaben und Mädchen in eignen Schriften erst zu
fordern hatten^) ?
Wenn nun also diese reinste Bezeugung einer höheren
Achtung, die Wohlthat freierer Bildung, dem weiblichen Ge-
schlochte im Allgemeinen auch damals noch vorenthalten wurde,
so ist von einer wesentlichen Veränderung ihrer eng begrenzten
Lebenseinrichtungen noch weniger zu bemerken. Weder an
gemeinsamer Tafel noch in gemeinsamen Zusammenkünften bei
Schauspielen und im Theater^) konnten die Geschlechter —
1) III U, 7 ff. Haupt.), IV 8, 49 ff., IV 9, 45 ff. — So widmeten
Philetas und Hermesianax ihre elegischen Sammlungen den schönen Freun-
dinnen, deren Namen sie auch zum Titel derselben machten.
2) Art. am. III 339 ff., vgl. II 281 f.
3] S. Friedländer, Darst. a. d. Sitteng. Roms H 448 ff., 479 ff.
4^ Vgl. Menander, Fr. ine. CLIV (IV p. 369): pvar// 6 5iod«aiv fp«?*-
liLat' o'j xa)vtt); roict.
5; Plutarch schrieb eine Schrift: ^i xal pvalxa«; zaioeuriov, Musonius
eine Abhandlung: e( rapa7:X7]aico; zmoeux^ov xa; %*r^7xipai'zoii'Aoli', (welche
Frage er dann bejaht), beide von Stobäus (resp. Joa. Damascenus) benutzt.
— Noch immer wie damals, als Xenophon seinen liebenswürdigen Oixovo-
{Atxo; schrieb, musste in dieser spöten Zeil erst der Gatte sich der Bildung
seiner Frau annehmen: Plutarch. conjug. praec. 48.
6; Es ist bekanntlich mehr als wahrscheinlich, dass die griechischen
Frauen die Komödie nicht besuchten, und sehr wenig wahrscheinlich, dass
sie auch nur die Tragödie besuchten. Auf keinen Fall aber bot sich —
— 69 —
wie doch in Rom — eine galante Geselligkeit entwickeln ; noch
immer gingen ehrbare Frauen nur von argwöhnischen Duefien \
hegleitet auf die Strasse und zu Götterfesten; ihr Leben, im
Hause vielleicht zu immer grösserer Macht über den Gatten aus-
gebildet, verfloss doch völlig in ihren abgetrennten Weiberge-
mächern; noch Cornelius Nepos redet von der Gynaekjonitis als
dem beständigen Aufenthalt der griechischen Frauen'^). Die
Jungfrauen vollends aus der eifersüchtigen Haft des eingezogensten
Lebens zu befreien ^] , hatte eine Umwälzung aller geselligen
das dürfen wir aus dem völligen Mangel einer jeden Hindeulung schliessen
— im Theater irgend eine Gelegenheit zu einer Annäherung der Geschlechter,
wie sie, bei römischen Verhältnissen, Ovid so lockend auszumalen liebt.
— (Im alexandrinischen Stadium und Theater seiner Zeil erwähnt zwar
Die Chrysost. XXXII p. 673 ausdrücklich auch '('j^aiai: ob aber damit ehr-
bare Frauen gemeint seien, ist ebenso zweifelhaft, wie z. B. bei den üp-
pigen Festen, die nach einer bekannten Stelle des Strabo alexandrinische
Männer und Frauen in Kanobus begingen. Hetären freilich scheinen auch
in Athen den Theatervorstellungen beigewohnt zu haben: vgl. Meineke,
Menander et Phil. p. 345).
1) Vgl. z. B. das Epigramm des Diotimus von Milet, Anth. Pal. V -106,
auch Pbilemon, Fr. ine. XXXI (IV 45). Mit Recht findet Becker, Charikles
111 S70 schon die Erlaubniss zu Erholungsspaziergängen bei Nicostratus r..
fa|AOu (vermutblich dem Stoiker, den Philo einmal cilirt) Stob. f1. 74, 62
auffallend.
2) Ebenso tritt uns das Leben der Frau z. B. in dem, den Anfängen
des Hellenismus angehörigen ungemein interessanten Bruchstück aus der
Schrift des Theophrast »Ueber die Ehe« entgegen, welches uns Hierony-
mus in einer Uebersetzung der Seneca erhalten hat (s. Haases Seneca III
p. 428 ff.). Theophrast redet zwar, mit einer gewissen komisch lamcn-
tirenden üet)ertreibung, der. man die allzu genaue Kenntniss der Komödie
deutlich anmerkt, von der Haustyrannei der Frau , auch von ihren Buhl-
scbaften, aber von irgend welchen Excessen ausserhalb des Hauses ist
mit keinem Worte die Rede. — Uebrigens ist auch das an diesem Bruch-
stück curios wahrzunehmen, wie völlig diesem ächten Peripatetiker schon
der »vir sapiens« mit dem Gelehrten, die sludia philosophiae mit den librl
zusammenfallen.
3} t) TtaT« i\ xaxdlxXeKJTo; (die freilich doch, wie der Fortgang andeutet,
mehr als die Eltern glauben von Liebesgeflüster vernommen hat) Calli-
machus fr. 4<8. — Man machte übrigens im Speciellen den noch strengeren
Anspruch, dass die Frau sich innerhalb der aüXio; 06{ia, die Jungfrau gar
Innerhalb der jxiöauXo; 06pa zu halten habe: vgl. Meineke, Menandri et
Pbilem. rel. p. 88. Liebliche Klage eines also eingeschlossenen Mädchens:
Agathias anthol. Pal. V 297, doch wohl nach einem älteren Vorbilde (vgl.
Horat. c. 111 <2 etc.).
— 70 —
Einrichtungen der Griechen bedeutet, von der uns Niemand
eine Andeutung giebt. Das zarte und leidenschaftliche Werben
des Junglings, wie es die erotische Dichtung der Zeit zu schildern
liebt, konnte der Wirklichkeit des Lebens schwerlich nachge-
bildet sein. Die Poesie einer solchen Bewerbung fand beider
griechischen Sitte einer Verlobung durch die VHter gar keine
Stelle. Es ist sehr bezeichnend, dass in den zahlreichen Be-
trachtungen griechischer Dichter jund Moralphilosophen ^ auch
der hellenistischen Zeit, über die Brautwerbung, w ie sie Stobäus
im 70., 71. und 72. Capitel seiner »Blumenlese« angehäuft hat,
unter allen übrigen Motiven der Wahl nie von der Liebe als
der Heirathstifterin, desto öfter aber von der unüberlegten Wahl
einer völlig Unbekannten die Bede ist*).
Niemand wird so thöricht [sein, an dem Vorhandensein
reiner und starker Liebe im griechischen Leben der damaligen
Zeit zu zweifeln. Nur dass diese sich ihre Bechte auch in den
Einrichtungen des bürgerlichen Lebens errungen habe, ist schlecht-
hin unbeweisbar. Wenn nun (also die Liebe in der Dichtung
dieser Periode eine so wichtige Stelle einnimmt, und zwar eine
Liebe 2) , die von der sinnlichen Gebundenheit der alten Zeit in
die reinere [Höhe (mächtiger, zuweilen fast schwärmerischer
Empfindung sich aufzuschwingen strebt, so wird man dies aus-
einer Bückwürkung der veränderten LebenszustUnde eben nicht
erklären können, aber auch nicht allein aus dem Zwange einer
ja jedenfalls nicht] ohne Grund entstandenen Moderichtung^
sondern aus einem neuen Zuge, der sich in jener, von kräftigeren
i) So auch Theophrast a. 0. p. 489 § 50: — sola uxor non ostenditur^
ne ante displiceat quam ducalur. — Es ist wirklieb schon eine Ausnahme»
wenn einmal (bei Stoböus fl. LXXXV 8) von einer aus gegenseitiger Nei-
gung geschlossenen Ehe die Rede isU — Nach einer feinen Bemerkung von
Lehrs Popul. Aufs. p. 93 f. haben die Griechen gar keinen Ausdruck, der
dem deutschen »Braut« entspräche; das Wort fehlt ihnen, weil sie eigent-
lich jenen so lieblichen Mittclzustand zwischen Mädchen und junger Frau
gar nicht kennen.
2) Schon der SokraUker Euklides stellt (bei Hermias ad Piaton. Phaed.
p. 312) die einigermaassen verstiegene, jedenfalls durchaus nicht alt-
griechische Meinung auf: «piXfa; civai tov i^oiTOL xcii o'J% a>.Xou tiv6; (itapa-
cxEuaaTiTtöv), xaxa TjfA^eßtjx^; S£ xtva; ixTr^TiTetv ei; dcppoolöia: in
welcher Theorie ihm dann der Stoiker Zeno folgte: Athen. XÜI 561 C (s.
dazu Meineke, Anal. crit. in Ath. p. 359;.
— 71 —
Interessen weniger bewegten Zeit ^) , einstweilen noch nicht des
Lebens, aber wenigstens der Sehnsucht dieser Menschen be-
mächtigt hatte. Man wird auf diese Sehnsucht als auf ein sehr
beachtenswerthes Symptom einer innerlichsten Veränderung der
alten griechischen Natur hinweisen dürfen, wenn man auch dns
immer gefährliche Experiment der Erklärung einer solchen
Veränderung in der Empfmdungsweise eines Volkes nicht wagen
mag. Die Incongruenz zwischen einer beschränkten und harten
Wirklichkeit und einer nur phantastischen Freiheit und Stärke
des Geftlhls darf uns hier nicht mehr verwundem, als z. B.
bei den orientalischen Dichtern des Mittelalters, die mitten
unter den unwtlrdigsten Verhältnissen der Frauen die Pracht
und den Duft ihrer Liebespoesie aufblühen Hessen 2; , oder als
in den Zeiten der deutschen Minnesänger, wo sich eine über-
schwängliche poetische Weiberverehrung mit einer sehr einge-
schränkten Stellung der Frauen im wirklichen Leben vertragen
konnte. Ist doch das rechte Element gerade der sentimentalen
Poesie die Sehnsucht nach dem nicht Vorhandenen.
War aber eine solche Empfindung in den griechischen Herzen
erw^acht, so braucht es für die Angehörigen der modernen Cultur-
entwickelung am Wenigsten einer Erklärung, warum der helle-
nistische Dichter, dem die heroischen Sagen der Vorzeit nicht
mehr waren, alsHecuba dem Hamlet, während ihn das mechanische
Gesammtleben seiner Gegenwart, und auch wohl die Engbrüstig-
keit seines eignen Talentes, mit der Poesie der grossen männ-
lichen Leidenschaften des lebendigen Lebens nicht erfüllen
konnte, seine Vorliebe ganz besonders den Schilderungen jener
Einen Leidenschaft zuwandte, die auch in einer ganz zersplitterten
Zeit den Einzelnen — in der Wirklichkeit oder selbst nur in
1) 'Epoo; Y^P ^91^'^ ^^'^i '^o'^^ apT^U 2'f'J: Eurip. fr. 3J4. Beö'fpaoro;,
i^ioTrfitU tI ^oTiv Jpooc, Tzd^oi. ecpTj ^'r/j^i oy oXaCouoT); : Stobaeus, Flor. LXIV 29
(vgL Libaaius vol. IV p. ii2ä ff. Breite Ausführung eines analogen Gc-
daokens bei Ovid, Rem. am. 135 ff. So ist offenbar auch die etwas schroff
an das übrige Gedicht herangeschobene Strophe des Catull 51, 4 3 ff. ge-
meint;.
2} »Fast jedes lyrische Gedicht der persischen Poeten besingt Liebe,
Wein und Blumen, und doch ist Liebe im Sinne der Dichter äusserst selten,
der Wein durch das Religionssystem verpönt, und ein Blumenflor, mit Aus-
nahme der Rosen zur Zeit des Frühlings, kaum in Persien zu finden«.
J. E. Polak, Persien II p. 268.
— 72 —
einer jugendlichen Wallung seiner Phantasie — wenigstens ein-
mal im grauen Nebel seines Lebens die sonnige Poesie eines
kurzen Frühlingstages empfinden lässt.
10.
Merkwürdig ist es nun, zu sehen, auf welchem Wege jene
hellenistischen Dichter allmählich zu der ausgebildeten Kunst
der erotischen Erzählung gelangten. Diese Kunst steht
offenbar in der Mitte zwischen dem dichterischen Vermögen des
lyrischen und dem des epischen Dichters, an beiden theilhabend;
und so nahm sie denn auch ihren Ausgang von einer Gattung
der Lyrik, welche zu einer Aufnahme epischer Elemente vor
allen andern geschickt war, von der Elegie. Schon in den
dürftigen Ueberresten der Elegien des Mimnermus finden sich
hin und wieder Andeutungen eines erzählenden Inhalts, wenn
auch nicht erotischen Stoffes i). Eine innigere Verbindung gingen
Lyrik und epische Erzählung in dem elegischen Gedicht des
Antimachus ein, in welchem dieser, den Tod seiner Geliebten
Lyde beklagend, durch einen Hinblick auf das allgemeine Menschen-
loos sich zu trösten suchte, und diesen Trost in der Erzählung
einer langen Reihe von »traurigen Ereignissen aus der Ueroen-
zeil« fand, unter denen die Fahrten des Jason und der Argonauten
einen breiten Raum eingenommen zu haben scheinen 2). Er
handhabte aber, so scheint es, diese elastische Form einer
Verknüpfung elegischer Betrachtung und epischer Darstellung sehr
willkürlich und ungeschickt , indem er sich tausend Veran-
lassungen schuf, vom geraden Wege abzubiegen ^ und alle neben-
sächlichen Bezüge der gerade erwähnten Personen und Ereignisse
auf das Umständlichsie zu verfolgen 3j . Diese Ueberfülle schlecht
1; Erzählenden Inhaltes sind Fr. 9. 40. M. 49. 2i. 22 (Bergk.). Ero-
tischen StofT könnte man höchstens in Fr. 21 erkennen (zu welchem man
vgl. Weicker, Ep. Cycl. II 357,.
2i Von der Aufzählung der tjpoiixotl 9u{Acpopa( bei Antimachus: Plutarch
cons. ad Apoll. 9. — Argonautenfahrt: Fr. 7 — ik (vgl. dazu namentlich
Stoll, Antim. rell. p. 78). Ausserdem: Bellerophon, Fr. 15; Geschichte des
Adonis? s. Bergk, P. lyr. ed. III p. 644.
3j Nicht die Umständlichkeit im Allgemeinen, sondern gerade den oben
bezeichneten Fehler des endlosen Ahschweifens scheint, als einen dem Ant.
eigenen, Plutarch bezeichnen zu wollen, wenn er (de garrul. 24) einen
— 73 —
vertheilt^n Stoffes war es auch, die dem Antimachus die bekannte
ungünstige Censur des Kaiiimachus zuzog ^) . Gleichwohl gewann
er gerade mit seiner »Lyde« den bedeutendsten Einfluss auf die
elegische Dichtung der hellenistischen Zeit, nicht nur als bedenk-
liches Vorbild jener dichterisch ganz unlebendigen Art, die sich
in einer gelehrten »Abweichung von dem Gewöhnlichen «^j , im
Aufsuchen »unbetretener, andern Dichtern unbekannter Pfade«
gefilllt^), sondern vor allem als der eigentliche Begründer jenjer
Kunst einer lyrischen Erzählung, richtiger vielleicht, einer
erzählten Lyrik, wie sie, im vollen Gegensatz zum reinen Epos
der alten Zeit, von den alexandrinischen Dichtem eifrig aus-
gebildet wurde, und seitdem, genau betrachtet, nie wieder ganz '
unterging, bis sie in neuerer Zeit fast die alleinige Herrschaft
in unsrer gesammten Poesie errungen hat.
Die Hlt^ten alexandrinischen Efotiker sehen wir durchaus
auf den Bahnen des Antimachus weitergehn. Philetas, der
eigentliche Archeget der specifisch hellenistischen Dichtung, der
Lehrer des Ptolemäus Philadelphus, als Haupt einer poetischen
und grammatischen Schule^) hoch angesehen, gewann doch
seinen höchsten Ruhm als elegischer Dichter; mit Kaiiimachus
zusammen hob ihn die feststehende ästhetische Schätzung des
Alterthums aus der grossen Schaar hellenistischer Dichter ver-
wandter Richtung als Muster und Vorbild hoch empor. Die
Art seiner Dichtung lassen selbst die spärlichen uns erhaltenen
Trümmer noch deutlich genug erkennen. Sie war offenbar,
wortreichen Schwätzer, der sich, ä propos des bottes, vom Hundertsten ins
Tausendste verliert, gerade von der Leetüre des Antimachus herkommen
last.
1) A60T, xal Trayu Yf'C^M-P-a *<»'i o'^ xopöv fr. 74 b Sehn. (444 Blomf.j; tu-
midus ADtimacbus Catull 95.
2/ 'AvTijxaj^o; (d^p<iviiaev) — xoO ouvrjftou; tt^; dfoXXaYij; Dionys. Halic.
vet. Script, cens. II 3.
3) Antipater Thessalonic. anth. Pal. VII 409, 5 (ortyov aiveoov 'Avti-
\ut/oio) ei Töv äxpiTzos xoti dvIp-ßaTov (jTpairov aXXoic fjiateai. — Charakteristisch
für die Geschmacksrichtung der hellenistischen Poeten ist auch die Reihen-
folge der Trinksprüche* die Posidippus anth. XII 468 ausbringt: zuerst
llimDermus und Antimachus, dann Posidippus selbst und jeder glücklich
Liebende, dann Hesiod, zuletzt erst Homer. — Man las jedenfalls die »Lyde«
sehr eifrig: tU oux divc>i£aTo A6oir)v; Asclepiades anth. IX 63.
4) Philetas wird als Lehrer des Grammatikers Zenodot, des Dichters
Theokrit genannt.
— 74 —
nach der Weise des Anliniachus, mehr erzählend als rein lyrisch ^] ;
ein Fragment wenigstens, in weichem von dem W'ettiauf des
Hippomenes und des Atalante die Rede ist, deutet auf die Ein-
flechlung erotischer Erzählungen hin ^u Dass er, ähnlich wie
Antimachus, solche lyrische Erzählungen wie ausgeführte Beispiele
in enger Beziehung auf die eigne Empfindung vorgetragen habe,
liisst die Zusammenstellung seiner »Battis« mit der ))Lvde(( des
Antimachus hei Ovid (Trist. I 6, 1 ff.) vermuthen. Eine ähnliche
Verschlingung des Sagenhaften und des persönlichen Gefühls
versuchte vielleicht der Dichter in einem, nach seinem Vater
»Telephus« genannten Gedichte, in welchem z. B. die Hochzeit
des Jason und der Medea erzählt wurde ^] . Einen noch barockeren
und willkürlicheren Rahmen darf man bei einem hexametrischen
Epyllion des Philetas, des Titels «Hermes« voraussetzen, in
welchem, wie es scheint, <iie Abenteuer des Odysseus erzählt
wurden, und zwar ganz in jenem modernen Geschmack romantisch
ausgeschmückt: so hatte z. B. der Dichter dem im Palaste des
Aeolus verweilenden klugen Dulder ein heimliches Liebesbünd-
niss mit dessen Tochter Polymele angedichtet**).
Entschiedener noch als der Meister w endete sich sein Freund
und Schüler Hermesianax von Kolophon der Ausbildung ero-
] Auf erzählenden Inhalt weisen fr. U. 48. 22 (dieses freilich zweifel-
haft: s. Bcrgk, Anthol. lyr. ed. II p. VI; 28 (ebenfalls zweifelhaft: s. Mei-
neke, Anal. Alex. p. 4 20) ed. Bach.
2) Fr. 45 (aus der Fabel von Atalante, Tochter des Schoeneus, und Hip-
pomenes, welche Ovid met. X 560 ff. Hygin f. 4 85 erzählen. Bach, Phi-
letae rel. p. 50 f. mischt ganz verkehrt die durchaus verschiedene Sage
von .\t. und Milanion ein].
3] (PiXr^Tä; is Tt,X^^<i) is tq tou AXxiv«5o'j olx(^ [i6s *(di».os xou lioovoc
xal Tf,; MrfieifiQ YCfevf^aOat cpr,aiv). Schol. Apoll. Rhod. IV 4 4 44. ^iX. 6
TtjX^^ou Bach p. 60, mit unnöthiger Aenderung : TifjXecpo« ist der vom Vater
des Ph. genommene Titel des Gedichts, wie J. G. Schneider ganz richtig
erkannte. Dichtungen nach den Freunden, an die sie gerichtet, oder deren
Andenken sie geweiht waren, zu betiteln, war eine beliebte Sitte der hel-
lenistischen Dichter : eine Anzahl sonst räthselhafler Gedichltitel erklört auf
diese Weise Meineke, Anal. Alex. p. 46. So schrieb Parthenius von
Chios ein Gedicht cic öcoropa tov ia-jToü irat^pa (Suidas; ohne Nolh künst-
lich gedeutet von Welcker, Ep. Cycl. 1250). — Uebrigens darf man diesen
Tclephus nicht mit dem viel späteren Grammatiker Telephus, dem Per-
fiamener verwechseln (wie z. B. Villoison, Schol. Iliad. p. XXVIII thut).
4; Parthen. 2. Im Uebrigen vgl. über Form und Inhalt des 'F'^pfA-fj;,
.Meineke, Anal. Alex. p. 848 — 51.
— 75 —
tischer Erzählungskunst zu^;. In den Resten seiner in drei
Bücher getheilten Elegien, die er nach seiner Geliebten Leon-
tium benannte, verrUth uns nichts, dass Hermesianax sich, nach
rein lyrischer Art, in der Schilderung eigner Empfindung er-
gangen habe; vielmehr knüpfte er, so scheint es, die Liebes-
1 OiXo; xal YV(6pt}j.o; des Philetas heisst Hermesianax bei Schol. Nie.
Ther. S. Dass er dieses nicht sein konnte, dass er namentlich den Phile-
tas nicht als einen bereits so berühmten und hoch gefeierten Dichter dar-
stellen konnte, wie er es doch thatsächlich in seinem Gedichte thiit, wenn
er wirklich dieses Gedicht (die »Leontion«) vor 3 02 abschloss, hat Bach
p. 91 richtig erkannt. Dass er aber sein Gedicht vor 302 vollendet haben
müsse, schliesst man im Anschluss an PausaniasI9, 8, aus seinem
Stillschweigen über die Verlegung von Ephesus und die damit verbundene
Zerstörung der Städte der nach Ephesus versetzten Lebedier und Kolo-
phonier durch Lysimachus. So namentfich Hertzberg in Prutzcns Litt.
Taschenbuch 4 846 p. ibi f., der aber Bachs Einwendungen nicht im Ge-
ringsten entkräftet hat. Bachs Gründe bleiben übrigens in voller Kraft,
ohne dass man den immerhin misslichen Ausweg einer gänzlichen Verwer-
fung der Argumentation des Pausanias einzuschlagen brauchte. Sehr vor-
eilig nämlich haben Bach und Hertzberg jene Verlegung von Ephesus in
das Jahr 302 gesetzt. Diodor XX 107, auf den sie sich berufen, erzählt
iKohl von der Einnahme von Ephesus durch Prepelaus, des Lysimachus
Feldherrn im Jahre 302, auch von einer gütlichen Unterwerfung der Kolo-
phonier, aber mit keinem Worte von jener Umsiedelung der ganzen Stadt
Ephesus (d. h. von ihrer Verlegung aus der Niederung in die Gegend am
Pion und Koressus: E. Curtius, Abb. der Berl. Akad. h. phil. Gl. 1872
p. 24 ff.), zu welcher auch damals wahrlich keine Zeit war. Wann diese
Umsiedelung stattfand, ist bis jetzt nirgends näher untei-sucht (auch Cur-
tius macht keine Andeutung darüber): einiger Anhalt zu einer genaueren
Bestimmung liegt in der Angabe des Strabo XIV p. 640 und Stephanus
Byz. s. ''Ecpeooc (den Eustathius zu Dion. Perieg. 828 p. 363, 16 fT. Müller
nur abschreibt), dass Lysimachus die von ihm neugegründete Stadt Arsinoe
benannt habe, nach seiner Gemahlin Arsino^, der Tochter des Ptolemäus
Lagi. Diese Arsinoe heirathete Lysimachus ungefähr im Jahre 299 oder
298: denn bei Plutarch, Demetr. 31 liest man, dass »nicht lange Zeit« nach
dem Abfall Athens von Demetrius (300) Seleucus um die Stratonice freite
irei *ai Auoifxciyov etupa twv ÜToXefxaio'j Ou^aTlficuv rf^v \kh dauxi» tt,v hk (die
Lysandra) toj uuji XatAßdvovTa. Das Praesens beweist die Gleichzeitig-
keit dieser Werbungen. Hierzu stimmt sehr wohl (worauf A. von Gut-
scbmid mich aufmerksam zu machen die Güte hatte, dessen Worte ich
niitzutheilen mir wohl erlauben darf; »das Alter der von Ptolemäus Kerau-
»nus 280 ermordeten Sühne der Arsinoii, des 16jährigen Lysimachus und
»des 13jährigen Phllippus (Justin. XXIV 3, 5); von einem anderen Sohne
»Ptolemäus, der in demselben Jahre als mit Ptolemäus Keraunus Krieg
»führend erscheint (Trogus prol. 24), also sicher älter als jene Beiden ge-
— 76 —
ahonteuer der Vorzeil an das »Glück der uüchsten Nahe«, die
schöne Geliebte, nur dadurch an, dass er, im lieblichen Ge-
plauder, eben an dieser die wechselnden Gestallen der Einen
Leidenschaft, die auch sie vereinigte, in bunten Geschichten
«Nvesen ist, war die Mutler vergeblich gewarnt worden (Justin. 1. I. i, 4a).
»Es liesse sich der Ausdruck filius (bei Justin) zur Noth auch auf einen
»Stiefsohn deuten; aber der Name, in dem sich der von Arsinoi^s Vater
uPtolemäus wiederholt, macht die buchstäbliche Beziehung auf einen leib-
»liehen Sohn ungleich wahrscheinlicher. Dann war er spätestens 297 ge-
nboren; folglich hat die Arsinoö den Lysimachus spätestens 298 geheiralhetc
(Die Arsinoc*, Tochter des Lysimachus, mit welcher Ptolemöus Philadelphus
in erster Ehe verheirathet war [Schol. Theoer. 4 7, 428], wird wohl auch
aus dieser Ehe des Lysimachus stammen). — Vor 800, rcsp.-299 kann
also die Umsiedelung von Ephesus nicht stattgefunden haben. Ich glaube
aber, man hat noch eine beträchtliche Strecke weiter herunterzusteigen.
Zu einem so weitläuftigen Unternehmen, wie es die Verlegung einer grossen
Stadtgemeinde, die Einrichtung eines neuen Wohnplatzes, die Ummauerung
der neuen Stadt ist, wird Lysimachus kaum auch nur den Plan gefasst
haben, bevor er Ephesus und die benachbarten Städte in einigermaassen
sicherem und Dauer versprechendem Besitze hatte. Eines derartig unge-
störten Besitzes dieser Städte konnte er aber, so viel ich sehe, sich vor
dem völligen Sturze des Demetrius (287, nicht erfreuen. Die erste Erobe-
rung von Ephesus im Jahre 802 kann nur eine ganz vorübergehende ge-
wesen sein : denn nach der Schlacht bei Ipsus floh Demetrius gerade dort-
hin: Plutarch, Dem. 30; und dass er in den nächstfolgenden Zeiten seine
Herrschaft in jenen Gegenden befestigt haben muss, beweist die Erzählung
des Plutarch .Dcmetr. 35), dass (kurz vor der Einnahme Macedoniens durch
Demetrius 29^) Lysimachus ihm »die Städte in Asien« entrissen habe, die
er also bis dahin besetzt gehalten hatte. Mit Recht zählt Droysen, G. d.
Hell. I 572 zu*diesen asiatischen Städten auch Ephesus : ob aber [wie Guhl,
Ephesiaca p. 60 bestimmter behauptet , als Droysen selbst) gerade in diese
Zeit die ümlegung der Stadt zu setzen sei, ist mir sehr zweifelhaft. Die
asiatischen Städte müssen nämlich [vermuthlich während der für Lysi-
machus so höchst unglücklichen Kriege gegen die Gelen) noch einmal an
Demetrius verloren gegangen sein. Denn in einer Notiz desTrogus (Prol. XVI),
auf welche mich wiederum Gutschmid aufmerksam gemacht hat, liest man,
dass Lysimachus — missus a Dromichaete rursus in Asia civitates, quae
sub Demetrio fuerant, et in Ponto Heracleam occuparit. Die Zeit der Ein-
nahme von Hcraklea steht (wie Gutschmid hervorhebt] sicher durch Dio-
dor XX 77, nach welchem die Söhne der Amastris, Oiathres und Klear-
chus IL, welche eben von Lysimachus entthront und getödtel wurden f.Mem-
non p. 581 Ml.)> von 806 an il Jahre, also bis 289 regierten. Jene Ein-
nahme der asiatischen Städte fällt also zwischen den Getenfeldzug des
Lysimachus, 292 und das Jahr 289: und ich sehe keinen Grund, aus wel-
chem man diese Nachricht desTrogus vei werfen oder einschränken müsste.
— 77 —
vorüberführte ^) . Der ordnende Gedanke, welcher so mannich-
faltifze Legenden zur Einheit verbinden mochte, lässt sieh we-
nigstens aus den Ueberresten nicht mehr errathen. Im ersten
Buche hatte der Dichter die seit der geistreichen Behandlung
des Dithyrambikers Philoxenus so berühmt gewordene, von den
alexandrinischen Dichtern in die Wette ausgebildete 2) sicilischo
Auch damit aber war Lysimachus noch nicht in dem Besitze dieser Städte
t>efestigt: denn als Demelrius 287, aus Macedonien vertrieben, nach Asien
eilte, Auaifidyo'j Kaplav xal AuMav diroor/joov (Plutarch, Demetr. ♦ö) unter-
warf er abermals, mit Gewalt und in Güte, viele der kleinasiatischen Stödte
(Plut. ibid.]) die dann freilich wohl alsbald dem nachrückenden Agathokles
wieder in die Hände fielen. Ephesus wird nicht besonders genannt (denn
die Erzählung von dem Verrath dieser Stadt an Lycus, den Feldherrn des
Lysimachus bei Polyacn. V 49, Frontin III 3, 7 mit Droysen I 620 gerade
hierher zu ziehen, ist kein ausreichender Grund vorhanden) ; soviel ist aber
nun wohl klar, dass die zur Ausführung des grossen W^erkes der Umsiede-
lung erforderliche Ruhe und Sicherheit des Besitzes vor 287 überhaupt nicht
vorhanden war. Nachdem erst der ärgste Störenfried, Demetrius, unschäd-
lich gemacht war, konnte eher an ein so bedeutendes Unternehmen ge-
dacht werden ; es ist mir wahrscheinlich genug, dass dasselbe ei^t in die
letzte Periode des Lysimachus, zwischen 287 und 284, falle. Dass in dieser
Zeit gerade Ephesus im ungestörten Besitze des Königs blieb, geht wohl
auch aus der Thatsache hervor, dass Arsinoö, des Lysimachus Gemahlin,
nach seinem Tode bei Kurupedion gerade nach Ephesus flüchtete: Polyaen.
VIII 57 (freilich vertrieben sie die Anhänger des Seleucus ; und bei dieser
Gelegenheit wird auch wohl der aufgedrungene Name der Neustadt wieder
abgeworfen worden sein; s. Sleph. ßyz. 1. l.J. — Für Hermesianax würde
nun nur so viel aus dem vielleicht gar nicht unberechtigten argumentum
ei sileotio des Pausanias zu folgern sein, dass er vor 287 (und vcrmuth-
Mcb kurz vor 287) sein Gedicht herausgab. Und damals konnte er ja
freilich schon recht wohl den grossen Ruhm, seines Lehrers und Freundes
Philetas preisen.
1) Dass Hermesianax seine Erzählungen direct an Leontium richtete,
zeigen in dem grossen Fragment des dritten Buches V. 49: ^v^ihz-iZi^, 75:
oioda, 73: Yi'pti^o^eu itouaa.
2) Ausser von Bion und Theocrit auch von Callimachus in einem Epyl-
lion raXaxda (auch in Komödien des Nicochares, Alexis, Apollodorus [Mei-
oeke, com. I 254. 390. 467]). Danach denn zahlreiche römische Dichter.
S. 0. Jahn, Archäol. Beitr. p. kW ff. Die Verse des Callimachus bei
Athen. VIII 284 C, worin eine Anzahl Seethiere aufgezählt werden, versteht
Meineke zu Theocrit XI 56 p. 281 (ed. 3) von Gaben, die, der Cyklop von
der Galatea verlange (ganz anders freilich Schneider, Callim. II p. 164).
Wie konnte er das, wenn sie ihm nicht entgegengekommen war? Sollte
also die seltenere, aber bei Nonnus (Jahn p. 413, 8) und auf Wandbildern
— 7S —
Sage von der Liebe des Pohphem zur Galalea erzahlt: vermulh-
lich in der Nachbarschaft dieser Letzende stand eine ErzHhlung
von der ungltlcklichen Liebe des Menaleas in Chalcis auf Euböa,
der sich, von der schönen Euippe (wie es scheint, einer Quell-
nymphC/ verschmäht, vom Felsen sttlrzte *) . Im dritten Buche
(s. Heibig, S\ inb. phil. Bonnens. p. 363 f. deutlich vorausgesetzte Version
von einem zärtlichen Einverständniss des Pol. und der Gal. auf Callimachus
zurückgehen?
1; Von der Liebe des Menaikas zun) Daphnis Scholia (»vetcra» nach
Ahrens) Theocrit. VllI 35, mit dem Zusätze, Hermesianax lege dieses Liebes-
hiindniss nach Euböa. Wie kommt aber Daphnis nach Euböa? Er >\ar
zwar auch in andererf griechischen Landschaften ausser Sicilien localisirt
{vgl. MeinekCy Anal. Alex. p. 250 , aber nach Euböa versetzt ihn sonst
Niemand. Es sieht hun doch auch genau wie die Verbesserung eines Irr-
thums dieses Scholiasten durch einen anderen aus, wenn es in dem Ar-
gumentum zu Theokrits neunler Idylle heisst: ouoen oi lyet rpo; tov
Miva/.xav toOtov (des Theokrit; ^vti ^ixeXov td uttsj) MenoIXxo'j XaXxioeai;,
öv cpr^aiv 'EpfXTjaiava; tpiaf^^vai Tf^; Ku^Tj^ala; EuCtttit^;, xal oid t6 \^.T^ drirj^-
yav£iv ajTT,; xataxpTjjjivioiHivai. Denn wenn doch Daphnis mit Menaikas
dem EuböiM* :aus Chalcis auf Euböa) im Liebesbündniss dargestellt wurde
von Hermesianax, wie der Scholiast zu id. VIII 55 behauptet, so hatte jener
Menaikas ja allerdings mit dem Menaikas des Theokrit etwas gemein, näm-
lich gerade die Liebe des Daphnis. ja es war ganz dieselbe Figur, die nur
nach Euböa versetzt war. Aber eben dies, die Liebesgemeinschaft des Me-
n.dkas bei Hermesianax mit dem Daphnis, von der jener Scholiast geredet
halte, will der Verfasser des Argumentum vermuthlich in Abrede stellen.
Es ist ja auch glaublich genug, dass der Scholiast zu VIII 55, da er von
einem bei Hermesianax vorkommenden auf Euböa lebenden Menaikas ge-
lesen halte, nun auch, mit irrthümlichem Schluss, dorthin den Hermesianax
des Menaikas Liebesbündniss mit Daphnis verlegen Hess. In Wirklich-
keit also erzählte wohl Hermesianax gar nichts von einem Liebesbündniss
des Daphnis mit dem euböischen Menaikas, dem unglücklichen Liebhaber
der Euippe, der also wirklich, wie der Verf. des Argumentum behauptet,
gar nichts mit dem Theokritischen Menaikas zu thun hatte (so wenig wie
etwa mit jener alten Sagengestalt gleichen Namens, die uns schon oben in
dem Volksiiede von der Liebe der Eriphyle begegnet ist). Verhält sich
übrigens die Sache so, so bleibt dem Hermesianax der schätzenswerthe
Vorzug bewahrt, aus seinem, noch dazu an ein geliebtes Mädchen ge-
richteten Gedichte die Knabenliebe, von welcher die übrigen Fragmente
keine Spur zeigen, fern gehalten zu haben. (K'jpr^va(a heisst die Euippe in
dem Argumentum. Wie kommt aber eine Cyrenäerin zu euböischen Hir-
ten? Cod. K. schreibt xprjvaia;. Ist also die Euippe des Hermesianax
[im Namen der hesiodeischen Hippo u. a. Nymphen verwandt] etwa eine
v6fx?pT^ xpr^vata? [%o. ohne hinzugesetztes vitttpr^;, wie ja auch aaaopyd;,
yaidi]. Eine Nymphe liebt ja auch Daphnis .
— 79 —
zühlte der Dichter, mit einer gewissen cokelten Niüvetäl die
zarteren Empfindungen der neuen Zeit in die männlichere Ver-
gangenheit zurtickspiegelnd, eine lange Reihe, alter Dichter und
Philosophen auf, die, gleich ihm, in den Banden der Liebe ge-
legen hatten. — Dem zweiten Buche endlich gehörte eine ero-
tische Erzifhlung an, deren etwas genauere Betrachtung die
Dtlrre dieses Verzeichnisses einmal unterbrechen mag ^) . Arceo-
phon, ein Sohn phönicischer , im cyprischen Salamis lebender
Eltern, durch Reichthum, nicht durch vornehme Abkunft aus-
gezeichnet, liebte die Arsinoi?, des stolzen Nikokreon, Königs von
Cypern, Tochter. Vergebens bot er die höchste Braulgabe: der
Vater wies ihn ab. Vergebens klagt er Nachts sein Leid vor
der Geliebten Thüre; als er endlich die Amme besticht, sein
Liebesbote zu werden, entdeckt Arsinoö den Antrag ihren Ellern.
Die werfen die Amme, grausam versttlmmelt , aus dem Hause:
Arceophon aber tödtet sich durch Hunger. Als am dritten Tage
darnach die Verwandten den Leichnam des allgemein betrauer-
ten Jtlnglings zu Grabe tragen, blickt Arsinoö höhnisch aus dem
Fenster dem Zuge nach; Aphrodite aber, über so viel Härte
und Hoehmuth ergrimmt , verwandelte die Spröde in einen
Stein. — Hier haben wir eine vollständige Liebesnovelle, die
uns den Charakter solcher alexandrinischen Erzählungen recht
klar veranschaulichen kann. Aus einer, an einen menschen-
ähnlichen Stein gekntlpften Volkslegende , welche in der stren-
gen Vergeltung der kalten Unempfindlichkeit einen Lieblingsge-
danken dieser Gattung von Sagen darstellte, ist hier der Stoff
2U einer pathetischen Geschichte entnommen, welche der Dich-
ter, vermuthlich nach eigner Willktlr, in die nächste Vergan-
genheit versetzt hat. Nikokreon nämlich ist kein Andrer, als
der im Jahre 312 von Ptolemäus zum Strategen in Cypern ein-
gesetzte Ftlrst von Salamis 2). Auf ihn, als den Typus eines
stolzen Tyrannen 3) ist diese Fabel übertragen, die ursprünglich,
als ächte Sage, völlig zeitlos war. Denn dieselbe cyprische ae-
1) S. 'Antoninus Libcralis, Metamorph. 39.
2) Diodor XIX 79.
3) Bekannt ist namentlich seine grausame Rache an dem Philosophen
Anaxarch, sein Hoehmuth gegen Menedemus u. s. w. Er spielt in der
Philosophengeschichte der spateren Zeit die Rolle eines philosophenfeind-
Hohen Popanz, eines zweiten Phalaris.
— 80 —
liologische Legende erzählt auch Ovidius^); bei ihm aber
heisst das Paar Iphis und Anaxarete, die Ereignisse liegen
in einer unbestimmten Vorzeit; an die Version des Hemiesianax
erinnert nur die Herkunft des stolzen Vaters der Anaxarete von
Teucrus^- , von welchem, nach Hermesianax, auch Nikokreon,
aber freilich auch alle andern salaminischen Fürsten ihr Ge-
schlecht herleiteten 3) . Im Uebrigen erhenkt sich bei Ovid der
Jüngling, nach einer sehr beweglichen Liebesklage, vor der
Thüre der Geliebten : und hier berührt sich die von dem rö-
mischen Dichter benutzte Dichtung eines hellenistischen Eroti-
kers mit einer unter Theokrits Idyllien verschlagenen Lie-
beserzclhlung , einer freien Variation dieses offenbar sehr be-
liebten Thema's, welche in dem eigenthümlich weichen und
dunkeln Ton ihres Vortrags beweist, wie geschickt jene helle-
nistischen Dichter die Stimmung solcher schwermüthigen Ge-
schichten auszudrücken wussten^). Es scheint aber, als ob
diese Sage zu jenen Lieblingsgegenständen der hellenistischen
Erotik gehört habe, in deren wetteifernder Ausbildung und
Variirung man sich gar nicht genug thun konnte. Gewisse An-
zeichen lassen vermuthen, dass eine nach Kreta versetzte Ver-
1) Metam. XIV 696—761.
2) Vs. 698: Vidcrat a veteris generosam sanguine Teueri Iphis Anaxa-
reten huniili de stirpe creatus.
3) Vgl. nameotlich Isocrates, Euag. § 42 IT.
4) Idyll. XXIII. Eia Mann liebt einen schönen, aber hochmüthigen
und spröden Knaben. Als diesen keine Bitten erreichen, erhenkt sich der
Liebende, nach einer letzten Liebesklage, vor seiner Thüre. Der Knabe
bleibt auch jetzt ungerührt; als er aber im Gymnasium einer Statue des
von ihm beleidigten Eros zu nahe kommt, stürzt das Bild auf ihn und er-
schlägt ihn (das Letzte nach einer beliebten Wendung griechischer Sagen:
vgl. Wüstemann zu Vs. 58). — Die Aehnlichkeit mit Ovid liegt hauptsäch-
lich in der ganzen Situation , weniger in der Gemeinsamkeit einzelner
Stellen; vielmehr ist gerade den Unterschied zwischen dem rhetorischen
Witze Ovids in der letzten Liebesklage und dem herzlicheren, aber auch
weichlicheren (an Tibull erinnernden) Tone des griechischen Dichters zu
beobachten, sehr lehrreich. Uebrigens scheint wenigstens der bittere Witz
bei Ovid Vs. 736: haec tibi serta placent, crudclis et impia? (nämlich der
am Thürpfosten aufgehängte Leichnam des Liebenden) nicht nur zuföUig
mit Vs. 20. 21 des theokritischen Gedichtes zusammenzuklingen: Aaive irai
xal IpoTo; dvoi5t€ , oöjpd Tot fy%os AoloÄta Taüra <p£(icnv , töv dp-öv ßp<5yov. —
Ein ähnlicher Selbstmord des verschmöhten Liebhabers vor der Thüre des
Geliebten in Konons Erzählung vom schönen Narcissus, Gap. 24.
— 8t —
sion derselben Geschichte dem Siinmias von Rhodiis zum
Gegenstand einer erzühhienden Elegie diente^). Durch solche
Dichter ausgebildet, blieb dann diese Sage lange bertlhmt; noch
zu Plutarchs Zeit kannte man in Cypern die Sage von der ver-
steinerten Schönen 2) ; ja es scheint, dass sogar die bildende
Kunst sich dieses Gegenstandes bemHchtigte^).
1) Plutarch, Amator. 20 p. 766 D: Ti^^ Top^ou; tat»; roivi^v o'jx cixt;-
rj6vzt T^? Kpi^ooT]?, TTapaTcX-fjaia tiq Ufxpax'jTrco'j'S'Q (d. i. eben der von
Aphrodite versteinerten cyprischen Jungfrau) iradouoTj;* 'zki^^ ^xetvr^ piev
diT:e)a&(6d72 iiapax6<J/aoa tov dpaaTrJv ioEtv d%%0[JLiC<5[iL£vöv — die Gorgo aber babe
Asandros, ein vornehmer aber verarmter Jüngling geliebt, auch, trotz zahl-
reicher Rivalen, die ebenfalls das reiche Mädchen umfrciet^n, alle Ver-
wandten derselben schon für sich ge>^onnen — hier bricht in den Hss.
Pfutarchs Erzählung leider ab. Sicher ist nur, dass die Gorgo sich hart-
näckig der Liebe erwehrte: denn als ein Beispiel der Rache des Eros an
den trotzig seiner Macht Widerstrebenden will Plutarch (s. p. 766 C) aus-
drücklich diese Geschichte erzählen. Die Rache bestand sicherlich nicht
in Versteinerung der Hartherzigen, aber doch in irgend einer ähnlichen
Strafe: denn sie »erlitt« ja »Aehnliches wie die IlapaxuTrro'joa«. Nun möchte
ich folgende Combination vorschlagen. In der Anthol. Palat. VII 6^7 liest
man unter der Ueberschrift : ^ifAoivtoou, ol hk ^tfifiUi) folgende 2 Di-
stichen: 'ToraTa otJ tdo' lei:re cpiXrjv ttotI [xT^T^pa TopYio oaxpuöeooa, o^pirj;
yepslv dcpaTTTOjiiviQ • aO^t ja^voi; Tiapd 7:aTp(, t£xoi; o' iizl Xtjjovi (xolpqt a>.Xav 0(m
roXiü) •pipai xaoefjKiva. Schwerlich ist dies ein selbständiges Epigramm (wie
freilich Bergk, Lyr. ed. 3 p. 1157 behauptet), sondern ein Stück aus einer
elegischen Erzählung, und zwar (nach Bruncks Hinweis; grundlos be-
zweifelt von Schneidewin, Simonid. rell. p. 87. f.; Delectus p. 403 f.)
au.s der Fop^cd des Simmias von Rhodus, welche Athenäus (XI 494 C)
cilirt. Diesem Gedichte des Simmias möchte ich nun eben die bei Plutarch
nur verstümmelt erhaltene kretische Geschichte zum Inhalt geben: um
so mehr, da die Gorgo der Anthologie (wie Jacobs — der sie freilich für
die eigene Geliebte des Dichters hielt [anim. ad anth. Gr. I 2 p. 4] —
richtig bemerkt hat: anth. Pal. III p. 382) absichtlich dorisch sprechend
eingeführt ^ird. In den Versen der Anthol. sind uns also ihre letzten
Worte vor dem durch des Eros Rache bewirkten Tode erhalten. Welcher
Art dieser Tod war, lehren freilich auch sie uns nicht.
2) Plutarch, Amator. 20 p 766 C: t( ^ap av Ki^oi ti; Eu^uvOetov xaX
Aeuxoxöfiav; ti oe ttJv £v K'jrpm IIapax67r:ouoav In vuv TTpooaYopeuopivijv ;
so wird wohl zu schreiben sein, statt des überlieferten und von den Heraus-
gel>ern beibehaltenen : %a\ Avj'Ao\t.d^rzihoi ttJv h K. Winckelmann, Plut. amator.
p. 223 tappt vollständig im Dunkeln. Eux. und Leukokomas sind das von
Theophrast ir. Iptu-o; besprochene Paar (Strabo X p. 478, auf den auch
Winckelmann verweist; v^l. übrigens auch Conen narr. 16); damit hat aber die
zapa-x'JTTTO'JOa nichts gemein (wie auch Wclcker A. D. V 28 f. noch meinte;.
3) In einem schönen Aphroditekopf schmerzlichen Ausdruckes, auf dem
Robde, Der griechische Uoman. g
— 82 —
Eine gleiche Vorliebe für weiterverbreitete und viel be-
bnndelte Typen erotischer Sage zeigt Herniesianax in den bei-
«len uns sonst noch bekannten Krziihlungen aus seiner »Leon-
tion«. Die Sage von Leucippus und seiner Schwester*) ist nur
ein Seilenstück zu der Legende von Byblis und Caunus; die
von «lein Verrat h der Burg zu Sardes an den belagernden Cyrus
durch \anis, die Tochter des Kroesus^) ist nur eine der sehr
zahlreichen Gestaltungen einer Sage, deren berühmteste Form
wohl die Tarpejalegende ist^).
Wie nun Ilermesianax eine Reihe solcher Liebeserziihlungen
durch einen jedenfalls nur ganz subjectiv einheitlichen Faden
der Empfmdung vennuthlich lose genug verbunden hatte, so
wunle es in der hellenistischen Dichtervveit durchaus Mode,
Haar eine Gorgoncnmasko , sioht Wolcker, Archäol. Zeitung 4 857 Sp. A ff.
(= Alto Denkni. V p. ?♦ — 35) eine Andeutung der durch Aphrodite ver-
steinerten Anaxarele ; statt ihrer siehe die Göttin selbst. — Vielleicht eine
Parodie dieser Ilapax-jTrro'jaa ist der aus Furcht versteinerte raponturrcov, von
dem Zenobius 111 32 und andere Paroeniiographen erzöhlen. — Endlich ist
es nicht unbelehrend, <len verschiedenen Geist zu beachten, in welchem
eine innerlich nahe ven\andtc Sage von einem modernen Autor behandelt
worden ist: ich meine die Novelle von Girolamo und Salvestra, in Boccac-
cios Decam. IV 8 (aus französischer Quelle, wie Landau, Quellen d. De-
camerone p. 52 aus der Uebereinstimmung mit dem mhd. Gedichte Vrouwen
triuwe [v. d. Hagen , Ges. abent. XIII ; s. das. I p. CXXIVJ mit Recht
schliessl;. — Ganz unpassend vergleicht Welcker, A. D. IV 465, 4, Boc-
caccio V 8 (Nast^gio und seine spröde Geliebte).
1) Bei Parthen. 5.
2) Bei Parthen. 82. Sicher aus der »Leontion« und nicht aus den
übrigens mehr als problematischen »nepoiy.al« des Herrn., wie Bach p. 484
meint.
3) Bekannt sind die Sagen von Scylla und Minos, Achill und Peisidike
(s. oben p. k%] : andere bis auf Hegias von Troezen und Hesiod (fr. 97 M.)
zurückgehende Beispiele hat Welcker, Ep. Cycl. I 282 A. 458 gesammelt.
Durch die Tarpejasage (in die übrigens das sentimentale Moment der Liebe
wohl erst <lurch Properz V 4, nach hellenistischen Reminiscenzen, hinein-
getragen worden ist) sind dann wohl mittelalterliche Sagen angeregt, wie
die von Cacan und Romiida bei Paulus Diaconus IV 28 (danach Gesta
Rom. 49], von Karl dem Grossen und der Tochter des Longobardenkunigs
Desiderius Grimnu D. Sagen N. 443, II p. 414). Zwei verwandte per-
sische Sagen weist mir mein Freund Dr. Andreas nach: bei Nie. de
KhanikofT M<^m. sur la partie m<^rid. de l'Asie centr. p. 490 f. («= S<'hahnameh,
Görres Heldenb. v. Iran II 407) und in einer Sage von Schapur, deren älteste
Quelle die Chronik des Tabari fed. Zotemberg 2, 80—84) ist.
— 83 —
derartige abgeschlossene Bilder wechselnder Leidenschaft in
leichten, ziemlich willkürlichen Gruppirungen zu vereinigen.
Wenigen nur scheint es gelungen zu sein , eine so anmuthige
Verknüpfung, wie Hermesianax sie in der Verflechtung mit dem
eignen Gefühl gefunden hatte, zu erfinden. Alexander der
Aetolier, der mit Aratus an dem Hofe des kunstsinnigen
Antigonus Gonat«is von Macedonien lebte, halte in seinem »Apollo«
die etwas schwerfällige (und dennoch mehrfach nachgeahmte)
Form gewählt, alle Liebesfabeln den weissagenden Gott selbst
vorherverkündend erzählen zu lassen * ■ . Andre griffen auf die
trockne Registerform der hesiodischen Schule zurück, die ihnen
übrigens doch wohl für die empfindsamere Ausführung «ler
Liebessagen, nach modernem Geschmack, Raum Hess. So
schrieb Nicaenetus von Samos einen »Katalog der Fraueuö,
Sosikrates^j der Phanagorite »Eöen«, aber männliche^). Einen
ähnlichen Charakter zeigen die Reste der Elegien des Phanokles:
in seinen ^Eptotfi; Tj KoXoi zählte er alte Sagen von der Liebe
der Götter und Heroen zu schönen Knaben auf, in hesiodischer
Art die einzelnen Erzählungen mit einem : »oder wie« einleitend'').
Die geringen Ueberreste seiner Dichtung lassen noch den aetio-
1; Dies schliesst Mcinckc, Anal. Alex. p. 219 aus den bei Parthenius 14
erlraltenen 34 Versen des AröXXwv mit unzweifelhaftem Recht. — War die
Kipxa des Alexander (Alh. VII 283 A; s. Meineke p. 240) eine erotische
Erzählung? — Er behandelte auch die Daphnissage: Argum. Theocrit. Vlll ;
s. Meineke, Anal. Alex. p. 250 und zu Theokrit VII 72.
2; Oder Soslratus: s. Hecker, Philologus V 421 (2(uOTpaTo; 6 tpova^o-
peiTT^i Steph. Byz. s. M'jxöiXtj, Elegie »Tiresias« des Soslratus: Eustath. ad
Odyss. p. 4 665, 48 IT.).
3, Wie aus der einzigen Stelle, an welcher die lIoTai des Sos. und der
KaTaXo^o; -^'j-iai^S}^ des Nicacnclus (welcher vor Phylarch gelebt zu haben
scheint: s. Jacobs, Anlhol. Gr. XIIl p. 922; und jedenfalls vor Menodot
von Samos oder von Perinlh [s. Müller, Fr. hist. III 103], welcher bei
Athen. XV 673 B des Nicaenetus gedenkt als eines 7:oiT,Tfj; STriyoupio; [^ajxou]
xai TTiv inycfipiov ioropiav ^t(^a^T^^%vi^ is -Xeiooiv) erwähnt werden, bei Athen.
XIII 590 B, auf die Absicht einer Parodie der Beiden auf die hesiodischen
Werke geschlossen werden könne (mit Cioettling, Hesiodi op. ed. 2 p. LVII f.),
verstehe ich nicht. Gerade der hesiodischen Weise standen ja in völlig
emslhafter Kunslübung diese hellenistischen Dichter in vielen Rücksichten
nahe. — Verwandten Charakters mögen übrigens die, nur von Suidas er-
wähnten Hponvat des Theokrit gewesen sein.
4) Mit 7^ a>; beginnt Kr. 1. 3 (Bach). Vgl. Preller, Rhein. Mus. IV 1846
p. 401.
6*
— 84 —
logischen Zweck, in der Auswahl solcher Sagen ganz deut-
lich erkennen: von der Liebe des Orpheus zum KalaYs erzählte
er, um die Sitte der Teetowirung der thracischen Weiber zu
erklären*;: die Liebe des Agamemnon zum Argynnus diente zur
Deutung des Beinamens der Aphrodite Argynnis^j ; einen aelio-
logischen Sinn verräth auch die Sage von der Verwandlung des
Cycnus^). — Dieser aeti ologische Charakter ist es nun ge-
rade, der die vorzüglich von den hellenistischen Dichtem bear-
beiteten Sagen auszeichnet^]. Deutlich genug sprechen sich in
ihrer Vorliebe für solche Sagensloffe ihre gelehrten Neigun-
gen aus, welche tlbrigens wohl auch einem Publicum entgegen-
kamen, das in seiner Unfähigkeit zum Genuss des rein und
harmlos Poetischen schon beinahe modern zu empfinden begann.
Man darf aber nicht verkennen, dass dieser aetiologische Cha-
rakter den Ortssagen, welche jene Dichter nicht ohne rich-
tigen kUn$>tlerischen Instinct sich zum Gegenstand ihrer Be-
handlung erwählten , fast nothwendig innewohnt, ja dass Orts-
sagen und aetiologische Sagen beinahe identische Begriffe sind.
So vereinigte sich in diesen aetiologischen Sagen, wie schon
oben (p. 24 fT.) angedeutet wurde, in einer nicht unglücklichen
Mischung die gelehrte und die Hcht dichterische Tendenz jener
Poeten. Geradezu ausgesprochen wurde aber die aetiologische
Art und Absicht der alexandrinischen Sagendichtung von dem
Dichter, in welchem die längst schon angebahnte neue Dich-
tungswoise über sich selbst zuerst und am Entschiedensten sich
klar geworden zu sein scheint, vom Kallimachus. Er ver-
dankte seinen höchsten Buhm einer Sammlung elegischer Er-
zählungen, die schon in ihrem Titel.: Aina sich als einen Kranz
aetiologischer Sagen ankündigte. In einer Beihe ausgewählter
Legenden unterrichtete der Dichter darin seine Leser über die
»Gründe« auffallender Sitten bei öffentlichen Wettspielen und
1) Bei Stobüus, Flor. LXIV U. Vgl. Vs. 87. i8, auch Vs. 21.
2) Fr. 5 p. ?04 Bocli. Vgl. über die Sage von ArgyiMius R. Unger,
Sinis p. 121 fT.
3) Fr. 6 p, 205. Eine aetiologische Tendenz Hesse sich auch wohl in
der Erzählung des Phan. vom Raube des Ganymedes (s. Preller p. 408;
M. Schniidl, Didym. p. 359 f.) erkennen.
4) Dies ist sehr richtig schon von Fr. Schlegel, Sehr. IV p. 52, und
lann oft nieder betont worden.
— 85 —
Götterfeslen, schwer erklcirl)arcr Benennungen hellenischer Oerl-
iichkeiten, Beinamen einzelner (iötler und wohl noch mancher
andrer Curiosiläten *) . Üic bunte Fülle solcher Sa.uen halten
ihm, wie er im Eingang seiner Dichtung erzählte, wie einem
zweiten Hesiod, die Musen milgelheilt, zu deren Sitz auf dem
1) Viel sicherer könnte man sich über die Themen der von Kallimaohus
bebandelten Legenden ausdrücken, wenn Otto Schneider mit seiner,
schon früher aufgestellten und zum Theii ausgeführten, jetzt im zweiten
Bande seiner Ausgabe der Caliimachea p. ^9—143 sorgfältig durchgeführten
Vermuthung Recht hätte, wonach in Capitel 278 4-275. 276. 277 der unter
Hygins Namen überlieferten Sagensammlung der wesentliche Inhalt der
drei ersten Bücher der Atxta erhalten wäre. Aber, nach meiner Ansicht,
hat durch allen Scharfsinn und die grosse Gelehrsamkeit ihres Urhebers
diese Vermuthung irgend eine Wahrscheinlichkeit nicht gewinnen können.
Die Uebereinstimmung jener Capitel des Hygin mit den Rosten der Attia
läuft, bei genauerer Betrachtung, auf das nackte Factum zusammen, dass,
wie bei Jenem im ersten Capitel so — wie Schneider allerdings ziemlich
wahrscheinlich gemacht hat — bei diesem im ersten Buche von der Ein-
setzung griechischer Wettspiele die Rede war. Selbst hier aber trifft es
sich so, 'dass in dem einzigen Falle, wo nachweislich Kallimachus von
denselben Spielen geredet hat wie Hygin, er von jenes Berichten ganz
abweichendes erzählt. (Es sind die Nemeischen Spiele, bei deren Ein-
setzung Kallimachus, wenn man, wie billig, Probus zu Virg. G. 111 19 wört-
lich versteht, nur von Molorchus geredet hatte, den Hygin nicht erwähnt,
und nicht von Archemorus, von den) Hygin spricht). Im zweiten Buche
handelte Kallimachus, nach Schneiders eigener Vermuthung, von der Rück-
fahrt der Argonauten aus Kolchis und den bei dieser Gelegenheit gegrün-
deten Städten; davon steht bei Hygin cap. 275 und 276 kein Wort. Im
dritten Buche soll Kallimachus, wie Hygin cap. 277, von tit^iktza geredet
haben. Das könnte man nur zugeben, wenn die Uebereinstimmung der
vorhergehenden Capitel des H^gin mit den Themen des Kallimachus eine
wirklich schlagende wäre ; da sie das nicht ist, und da die Ueberreste des
Kallimachus von einer (mehr als ganz beiläufigen) dichterischen Behandlung
der eopi^fjLaTa durchaus keine Spur zeigen, so bleibt diese Annahme eine
petitio principii, und ist an sich unwahrscheinlich genug. Denn wie selt-
sam wäre es doch, dass unter den so zahlreichen und oft genannten
Schriftstellern irepl e6pir)^dT(uv (vgl. Schneider p. 44 Anm., P. Eichholtz,
De scriptoribus it. e(»pY]^dTo)v. Halle 4 867) nie der berühmte Name des
Kallimachus auftaucht! Ob durch die scharfsinnig ersonnenen Umwege, auf
denen Schneider die Geschichte der Cydippe, welche im dritten Buiche der
Atrta stand , mit einer Auseinandersetzung über die Erfindung der Buch-
staben in Verbindung setzt, Anderen seine Hypothese wahrscheinlicher ge-
worden ist, weiss ich nicht; ich gestehe, in dieser zweifelhaften Angelegen-
heit, das von Dilthey als Pointe jener Erzählung hypothetisch hingestellte
alTtov sehr viel wahrscheinlicher zu finden. — Endlich aber, wie erklär
— S() —
•
Helikon ein Traump:esichl ihn entrlk-kl halte*). Im Grunde war
hiermit nur eine neue Form zu den vorhin s<*hon erwähnten
{gewonnen, die eine lockere Verknüpfung einzelner elegischer
Erzählung ermöglichen sollten; ein wesentlicher Unterschied von
den ähnlichen Versuchen des Philetas. liermesianax u. A. war
nur der, dass hier keineswegs die Erotik, sondern die reme
Wissenshcgicr das verbindende Band bildete 2). Ein solcher
CS sich, bei dem angenommenen Zusammenhange des Hygin mit Kallimachus,
dass eine wirklich frappante Aehnlichkeit zwischen den Aussagen beider
Autoren in keinem einzigen Falle sich zeitrl? Dass von Hygins Berichten
in den Fragmenten des Kallimachus nichts wiederkehrt? Dass von den
durch- bestimmte Citate festgestellten Themen der Atiia auch nicht eines
bei Hygin vorkommt? Ich meine, ausser der Cydippe, die in Fr. 1 — 8,
Fr. t3d. 17 angegebenen aetiologischen Themen (zu denen man violleicht
Fr. 43c hinzufügen kann: denn es scheint, dass der im Schol. II. H 48
mitgetbeilte Grund für den Namen des Vgb. rdp^apov eben das atxiov
des Kallimachus sei; in den Schlussworten to6tou {jtvT^fjioveuet KoXX. iv
irpedrcj» aHcDv [aitCaN Übrigens der Yen. A.] müsste dann toütou , als Neu-
trum, sich auf den ganzen vorhergehenden Bericht beziehen. — Vgl. auch
Schneider p. 648 zu fr. 494). Die vielleicht mit Recht von Schneider sehr
weit gesteckten Grenzen der Abschweifungen des Dichters vom eigent-
lichen Thema genügen doch sicherlich nicht, um diese merkwürdige that-
sächliche Discordanz des ilygin und des Kallimachus mit ihrem angeblichen
Zusammenhang In eine glaubliche Verbindung zu bringen. — So sehr man
daher auch wünschen könnte, in jenen Capitcln des Hygin einen Ersatz
für das verlorene wichtige Werk des Kallimachus zu besitzen, so wage ich
doch nicht, dieses Ersatzes mich zuversichtlich zu bedienen. Nur soviel
scheint, nach Schneiders Beweis (p. 45 — 48) ziemlich sicher zu sein, dass
im vierten Buche von Götterfesten, unsicherer schon, dass im ersten Buche
von Wettspielen, im zweiten von Städtegründungen (im Anschluss an die
Rückkehr der Argonauten) die Rede war. Ob aber auch nur die Einthei-
lung der Materien eine so systematische war, dass jede Materie in je einem
Buche abgehandelt wurde, .scheint mir ^anz ungewiss. Denn der Wahr-
scheinlichkeit einer solchen Annahme Hessen sich, so a priori, wohl
auch andere Wahrscheinlichkeiten entgegenstellen; und obendrein: Tay'
av Ti; elxo; auTO toOt elvai Xc^oi, ßpoToiai roXXa rjY/divew oütc eixöxa. —
Uebrigens bedauere ich , Rauchs Abhandlung über die Aetia nur aus
0. Schneiders Anzeige im Philologus \X 163 ff. zu kennen.
1; Auch dem Hesiod erscheinen, wie es scheint, im Prooemium der
Theogonic die Musen im Traume. S. namentlich Bergk,- Gr. Litt. Gesch.
I 979 A. 28. — Kallimachus erinnerte .selbst an das ähnliche Erlebniss des
Hesiod, wenn die sehr probable Yermuthung Schneiders zu fr. anon. 302
(p. 764) richlig i.st.
2, Kallimuchus befragte die Pioriden um die »Gründe« der von ihm
— 87 —
Rahmen füsste Sagen jeder (lattung, die nur irgend eine aetio-
logische Pointe hatten. Ist es nun aber ein Zufall, dass, hei
allem Ruhme, dessen diese Aetia als Fundgrube gelehrter
Sagen künde und zugleich als Muster und Vorbild einer kunst-
voll geglätteten, überzierlich gewählten Form lange Zeit hindurch
genossen, — dennoch nur eine der zahlreichen, hier ausgebildeten
Sagen bis in die letzten Zeiten des Griechenthums wiederholt
zur Nachbildung anreizte, dass als prägnanteste Bezeichnung
des verdienten Ruhmes des Kallimachus eben diese Eine
Erzählung von Ovid ^) , der uns hier als Wortführer der allge-
meinen Empfindung gelten darf, hervorgehoben wird? Ich rede
von der Liebesgeschichte des Acontius und der Cydippe,
einer dem dritten Buche der Aetia eingelegten elegischen Er-
zählung, deren Gang bis in zarte Einzelheiten hinein wir aus
den Nachbildungen des Aristaenetus und des Fortsetzers der
Ovidischen Herolden so deutlich erkennen können^].
Sicherlich spricht sich in der Vorliebe für jene höchst an-
ff
muthige Liebesnovelle ein richtiges Urtheil der späteren Zeiten
über die eigentliche künstlerische Begabung des Kallimachus
aus. Man war nicht so ungerecht, sein dichterisches Vermögen
zu behandelnden Antiquitäten, und sie antworteten ihm mit Erzählung der,
diese Gründe mittheilcndcn Sagen. So darf man die Worte des Epigramms
Anthol. Pal. VII 42 paraphrasiren : at 0£ ol e{po|A£v(M difxcp' tb^UYicuv '/)p(6oov
atTta xal (xaxapoav eipov d[t.ti{i6iu^'xi. Fragte er aber ein für alle Mal, und
beantwortete dann, von der wahrheitredenden Muse inspirirt, in langer
Sagenreihe selbst die Fragen nach den Gründen so vieler heiligen Ge-
bräuche u. s. w.? Oder stellte er sich in stetem Zwiegespräch mit den
Musen dar, so dass er stets der Fragende, die Musen in jedem einzelnen
Falle die Antwortenden blieben? Die letztere Weise sieht man bei Ovid
in den, aller Wahrscheinlichkeil nach, dem Kallimachus nachgeahmten Un-
terredungen mit einzelnen Gottheiten befolgt, welche er in seinen Fasten
schildert (s. ausser den bei Peter zu Ov. F. p. 4 3 verzeichneten Fällen
noch: Vesta III 698, Venus IV 1—18, Thxbris V 635 ff., Mercur V 693 ff.,
Sancus Vi 2U, Minerva VI 655, Flora V 183—378 [in welchem Gespräch
die Schlussverse 877. 8 eine freie Nachahmung des bekannten fr. 121 des
Kallimachus enthalten]).
1} Ovid, Remed. 391. 92: Callimachi numeris non est dicendus Achil-
ies, Cydippe non est oris, Homeris bei. Vgl. Dilthey, De Call. Cyd. p» 46 f.
2) Ohne Zweifel Hess der Dichter sich in der Ausführung dieser Sage
besonders behaglich gehen. Forderte ihn dazu etwa die Muse auf in fr. 331 :
90£77co KuoluTTT^v 'xMrzTi die Hs. ; Kjotirini Meineke, Hermes HI p. 454j
— 88 —
nach den kalt officielien Gölterhymncn zu beurtheilen, die uns
zufällig erhalten sind; man lehnte aber stillschweigend auch die
todlc Gelehrsamkeil ab, die sich in den abgelegenen Legenden und
seltsamen hieratischen Sagen, welche die Aetia unerquicklich
anfüllen mochten, breit machte. Die wirkliche Meisterschaft des
Dichters, die mit klarem ßevvusstsein nlovis Knceladique tumultusa
leer bombastisch zu besingen sich hütete, erkannte man da, wo
er aus der fremd und schaltenhaft gespenstig gewordenen Welt
der alten Mythen in die Enge und trauliche Nähe einfach
menschlicher Zustande herunter steigen konnte. Wenn ihn die
Natur nicht zum Historienmaler bestimmt hatte, warum konnte
er nicht als Genremaler ein Meister der Kunst werden? Man
mag den Kopf schütteln, wenn man den Kallimachus sogar die
grossen Olympischen Götter in die häusliche Beschranktheit mensch-
li(*hen Alltagslebens, in ganz bürgerlich harmlose Scenen hinein-
ziehen sieht 1) ; immerhin spricht sich hierin noch die künstlerische
Naiveiat eines wirklichen Talentes aus, welches, seine Grenzen
*
empfmdend, auf die unlebendige Darstellung blutlos idealer
Gölterabslracta verzichtete, dafür aber in solchen gemüthlichen
Scenen wenigstens die Kine Hauptaufgabe aller Kunst erfüllte,
durch volle Belebung seine Geslalteu dem Leser in unbezw-eifel-
barer W' i r k 1 i c h k e i t des Seins gegenüberzusl eilen. Dass man
hierin die Kunst des Dichters ganz richtig erkannte, zeigt der
i^rosse Buhm, welchen die Darstellung landlichen Behagens in
seiner »Hekale« allezeit genoss, einem »bukolischen Epos«, wie
man es zulreflend benannt hat^J, in welches die alte heroische
Fabel kaum als mehr denn als ein lebhafter Cent rast zu den
friedlichen Scenen idyllischen Genügens verwoben war. W^esent-
lich dieselbe Fähigkeit mag man in der kunstreichen Ausbildung
der Sage von Acontius und Cydippe bewundert haben. Die
Ereignisse der Sage lagen in einer unbestimmten fernen Vorzeil;
1) lieber die Genremalerei des Kallimachus in einzelnen Scenen selbst
des olympischen Lebens (wie hynin. in Dian. i42 ff., ibid. 66 ff.) oder der
heroischen Welt (h. in Cer. 67 ff.) hat zuerst einsichtsvoll M. Haupt,
Ber. d. Sachs. Ges. d. Wiss. 1849 p. 3y ff. pesprochen. Gegen Cobcts ober-
flächlich verächtliches Urtheii vertheidist sehr richtig den Kallimachus
0. Schneider, Philol. XX i37 f. Vgl. auch Dillhey, De Call. Cyd. p. 46
und Heibig, Campan. Wandmalerei p. %ii ff.
2) Naeko, Opuscul. II 423.
— 89 —
sie wurden dadurch dem lebendigen Mitempfinden der Leser
nicht entrückt, sondern nur in jenen reizend dämmernden Duft
der Ferne |j;estelh, der sich als ein zart idealischer Hauch um
alle (icschichlcn legt, die man heginnen kann: »es war einmal«.
Im üehrigen kam die Sage selbst der Neigung und dem Talente
des Dichters willig entgegen. Ein Krzeugniss jener weicheren
Empfindung des griechischen Volksgeistes, mit deren allmählichem
Emportauchen aus schtlchterner Volkssage in die kunstreichste
Dichtung wir uns hier beschäftigen, bot sie dem hellenistischen
Dichter kein alterthUmlich herbes oder erhabenes Motiv dar, das
er künstlich ins Engere zu ziehen brauchte; keine antiquarisch
gelehrten Schlacken überwuchsen das reine Gold der lieblichsten
und menschlich einfachsten Legende. Und so gelang es dem
Dichter, in der mit aller künstlerischen Feinheit und süssesten
Fülle ausgeführten Schilderung jugendlicher Leidenschaft ein
wahres Muster der erotischen Erzühlung hinzustellen, deren
Ruhm nun wiederum andrerseits beweist, wie sehr sich in
diesen erzählenden Liebesdichtungen die itchten Fähigkeiten
der Dichter und die Stimmung der Leser jener Zeit begegneten.
— Fraglich bleibt übrigens, ob die Fabel von der Cydippe die
einzige erotische Erzählung der Actia war. Wenn man den
hohen Ruhm bedenkt, den Kaüimachus gerade als erotischer
Dichter bei den Römern genoss, so sollte man in jener Sauunlung
elegischer F>zählungen , auf die sich jener Ruhm doch ganz
vorzüglich gründete *) , noch mehrere dergleichen Liebeslegenden
anzutreffen erwarten. F^in Zufall mag es daher sein, dass sich
in den uns erhaltenen Ueberresten nur sehr geringe Anzeichen
für die Behandlung andrer Liebessagen finden 2).
1) Wenn Kallimachus als icner poet^ den Liebenden, zusammen mit
Philetas, empfohlen wird : Ovid. rem. am. 759, art. am. 111829, Propert.
Hl 38, 32 (Upt.) u. s. w. : so wird doch sicherlich an seine Eilegien, d. i.
an seine Atxia (s. Schneider, Call. II p. 39) zu denken sein (die obendrein
Prep. I. 1. ausdrücklich bezeichnet). Es mag darnach die Frage erlaubt
sein, ob bei den Romern jener Zeit der Ruhm des Kallimachus sich über-
haupt auf irgend ein anderes Werk als auf die AiTta gründete, und ob
nicht selbst bei Ovid, Trist. II 367 f. (trotz des entgegengesetzten Scheines)
nur von Liebeserzühlungen der Atxta die Rede ist. (An ^(xuTixa [nih] des
Kallimachus denkt bei der Stelle des Ovid Schneider, Call. 11 p. iS).
2) Die wenigen Spuren, die auf andere Liebessagen hinführen, genügen
nicht, um nicht alle dergleichen Sagen als nur beiläufig erwähnt, nicht
— 90 —
Das grosse Ansehen des Kaliiniachus diente nun ohne Zweifel
zu weiterer BestiHi!j;ung und Befestigung der Vorliebe für die
zierliche Ahrundung eng begrenzter Sagenstoü'e. ihre Zuscinunen-
reihung in poetischen Cyklcn, im Besondern auch ftlr die Aus-
bihlung erotischer Sagen. Aus den Aelia des Dionysius von
Korinlh kennen wir nur Eine, und gerade eine erotische Sage').
Kuphorion von Chaicis, der Vertreter der neuen Poesie am
Seleucidenhofe, hatte in seinen wThracier«, ebenfalls einen jener
Sagenkranze, die erotischen Sagen von Harpalyke und ihrem
Vater Klymcnus und von der gewaltsamen Entführung der
Apriale durch Trambelus aufgenommen '^j ; in einem andern nach
einem Freunde »ApoHodorus« genannten Sagencyclus halte er
die schreckliche Sage von Klita und ihres Vaters Piasus ver-
brecherischem Liebesbtlndniss erziihll*^). Eine ahnliche Vorliebe
für erotis(;he Sagen tragischer Färbung verrUlh endlich auch
seine Behandlung der wechselnden Sagen vom Tode des schönen
ll^acinlhus, die er vielleicht, wie andre Dichter jener Zeil, in
ausriilirlich beliandcli, erscheinen zu lassen. So z. B. ilippol^tus fr. 6.
Aphrodite und Adonis 371, ilylas 410, Demophoon (und Phyllis) 505 (vgl.
fr. anon. 79 p. 7i0 Sehn.), Ariadne? 163, Scylla (Nisi?) 184 s. dort Schnei-
der p. 441 und dcns. p. 112; vgl. auch Nonnus, Dion. 85, 161 ff. und dazu
Naeke, Op. I 230; Hypermneslra? 100a, -y p. 281 [Oenonc?? Schneider p. 74],
Hippe? 386 (das Ablassen von der Jagd und der Verehrung der Artemis
bedeutet, wie in vielen tihnlichen Sagen, einen Abfall zur Aphrodite;
und insofern wenigstens konnte die Fabel einen erotischen Charakter
haben, ähnlich wie des Euripides MeXavlitTTij t^ oo;pT) [vgl. fr. 492]). —
Wendungen aus erotischen Erzählungen könnten sein : eaxev ot aC<»s'?o; -/a-
TepoTToprro; ^ti 225 ; Oifxßpfj; K'j::ploo; dpfxoviT^v 267 ; xoüpr^ oe rapelaxo oaxpu-
•/EO'jaa 521 u. s. w. (489: TialaaTe, töjv o' iiiay* tj oexä; o'jx öX^yt^? vgl.
Schneider p. 647^
1) Dem übrigens völlig unbekannten Dionysius von Korinth schreibt
Suidas AiTia ev ßt^Xloi ä zu: eine darin erzählte Liebesgeschichtc von An-
ton und Philislus berührt Plularch, Amalor. 17. — In einem poetischen
Kesicyclus (nach Art der Ovidischcn Fasti), Mf^ve; genannt, erzählte Simroias
von Rhodus die Liebesgeschichtc des Apoll und Hyacinlhus (Steph. Byz.
s. 'A[i.6xXai; vgl. Apollodor III 10, 3, 2;. — Aus den Apal der Byzantinerin
Moero, vermuthlich auch einem Kranze kleinerer Dichtungen (vgl. Naeke
ad Yal. Caton. 14y kennen wir nur die Liebesgeschichte der Alcinoe (Par-
then. 27).
2) Fr. 20. 21.
:i Fr. 4.
— 91 —
einer besondern DichUing ausgeführt halle*) ; wie denn ders;leirhen
kleine Lieheserziihlunt^en, neben den unifiinj^icherenScnnrnhingen,
auch cinzehi vielfach aust;e})ildel wurden : man denke an die
»Galalea« des Kalliinachus, die »Scylla« der lled\le, in welcher
der Meerfj;oll Glaukus, wie ein zweiler Cyclop, um die »spröde
Nymphe« werbend dargeslclll wurde '-^1, den )»Lyrcusi< des Nicae-
nelus-*) u. s. w. In solchen Einzeldichlunf2;en durften sich die
erotischen Legenden dann wohl der gelegenllich elwas aben-
teuerlichen gelehrten Vermummung entziehen, die ihnen in die
bunte Gesellschaft aetiologischer Sagensammlungen allein den Zu-
tritt verschaflKe. Aber auch in dergleichen Samndungen verloren
derartige Legenden wenig von ihrer iicht poetischen Art; ja
selbst die so wunderliche Einkleidung, die solche Stoffe in einer
damals besonders beliebten Gattung aetiologischer Sagen, den
Verwandlungssagen, fanden, hat nicht verhindert, dass
einige der lieblichsten Liebeserzühlungen gerade unter dieser
Hülle sich auf die Nachwelt cterettet haben, denen die schliess-
liehe Verwandlung der Hauptperson in irgend einen Baum, eine
Blume, ein fliessendes Wasser, einen Stein, oder gar ihre
Versetzung unter die Sterne^) einen gar nicht unangenehmen
1} S. Fr. XXXVl— XXXVlll (LXXXIX?) Das erste Fragment beweist,
dass Euphorion ausser der Sage, welche den Hyacinllms mit dem Tode
des Aias in Verbindung bringt, auch die andere von der Liebe des Apoll
zum Hyacinthus vortragen wollte (beide bei Piinius n. h XX! 38 § 66 :
die Worte des Piinius sind entschieden verderbt: ein un!>eachtelcr Ver-
•
besserungsvorschlag bei Nie. Heinsius zu Ovid, Met. X 245). Die künst-
liche Combination, durch welche Ovid, Met. X 162— 2i9 und XIII 394 IT.
beide Versionen, vermittelst einer Prophezeiung des Apoll X 207 ff.;,
vereinigt, ist, als ein ücht alexnndrinisches Kunststück, sicherlich einem
hellenistischen Dichter enUehnt. — Einen 'Vaxiv&o; schrieb auch Nicand e r:
0. Schneider, Nicandrea p. 45 halt diesen Titel nur für die Bezeichnung
eines Abschnittes seiner Metamorphosen. — Vier Verse aus einem Gedichte
eU T(ixivdo»^ des Bion, in dem weichlichen Tone dieses Dichters, bei Sto-
bäus, Eclog. 1 5, 7. — Ceber die Hyacinthussage vgl. übrigens auch die
gelehrten Ausführungen des liemsterhusius zu Lucian. d. deor. 4 4 (11 290 IT.
ed. Bipont.).
2) Athen. VII 297 B.
3' Parlhen. 4.
4) Ueber Jungfrauen der Sage, welche, von (löllern geliebt, endlich
unter die Sterne versetzt wurden, vgl. Naekes Samminngen, zum Valerius
Calo p. 4 84 f. — liier mag beiläufig einer von Pseudoeratosthenes Cataste-
rism. 34 erzählten Licbeslegende gedacht sein: Poseidon liebt die Amphi-
— 92 —
Anflug eines immer sinnreichen, durch ein tiefes Mitfühlen
heimlichen Naturlebcns, beseelten märchenhaften Phantasiespieles
verleiht. Man darf diese Sagen, wie eben bemerkt, als eine
besondre Gattung aetiologischer Legenden betrachten, da
auch sie stets auf eine poetische Deutung aufiallender Eigen-
heiten bestimmter Thiere, Pflanzen und sonstiger Naturgegen-
stände hinausliefen. Doppelt willkommen waren sie den helle-
nistischen Poeten, wenn sie, statt auf jede Pflanze, jedes Thier
der bestimmten Arl zu passen, sich, gleich andern aetiologischen
Sagen, auch örtlich fixiren jiessen, indem sie obendrein mit
der Deutung besondrer Cultgebräuche, Ortsnamen u. s. w. in
Verbindung getreten waren. Solche im engern Sinne aetiologische
Verwandlungssagen scheint Nicander in seinen »Verwand-
lungen« mit Vorliebe ausgeführt zu haben'). So weil wir
übrigens aus den IJeberresten den Inhalt dieses Werkes erkennen
können, überwogen darin solche Sagen, die aus dem Mythischen
schon ins Märchenhafte hinüberspielten, und dem Dichter nur
um seiner Vorliebe für das Sonderbare und Phantastische willen
interessant sein konnten. Gleichwohl erzähhe derselbe doch
auch so poetisch sinnvolle Sagen, wie die von Ilermochares und
Ktesylla^), in die er vielleicht den durch Kallimachus berühmt
gev^'ordenen Apfelwurf des Acontius eigenmächtig und nicht ganz
geschickt verflocht^); von Byblis und Kaunus (fr. 46)*; von der
trite und sucht sich ihrer zu bemächtigen; sie flieht zum Atlas, auch die
meisten Nereiden verstecken sich. Unter vielen ausgesandten Sptthern ist
CS der Delphin, welcher endlich die Verborgene auffindet und dem Posei-
don möglich macht sie zu ehelichen; wofür denn Poseidon ein Bild des
Delphin unter die Sterne versetzt: »Xl^ei hi icepl aOxoü xal ^ApTCfjitBopo;
ivtaK iXc-yeiotic Taic irepl 'EpcoTo; [airff) TieiroiTjpivaic ßCßXoi;]«. So Pseudo-
eratosthcnes ; Schol. Gcrmanic. Arat. SSO (Arat. ed. Buhle II p. 74; Mar-
cian. Cap. ed. Eyssenh. p. 442, H) sagt nur: ut Artemidorus referl.
Wer ist aber dieser Artemidor, den wir hier als Dichter erotischer Ele-
gien kennen lernen? Sicher doch ein Dichter hellenistischer Zeit; im
Uebrigen wüsstc ich nichts von ihm zu sagen. (Verschiedene Artcmidori
zählt auf z. B. Stiehle, Philologus XI 4 94; dort wird aber unser Artemi-
dorus nicht einmal erwöhnt).
1) S. 0. Schneider, Nicandrca p. 48 f.
2) Fr. 49 Sehn.
3) Dieses nach Diltheys wahrscheinlicher Vermuthung, de Callim. Cyd.
p. 409. Es ist übrigens kein Grund vorhanden, die ausdrückliche Er-
innerung an die öhnliche Lisi des Acontius, mit Dilthey, erst auf den
— 93 —
Liebe der Aphrodite zum Adonis (fr. 65), von der Brilomartis,
einer jener spröden, allen Bewerbern stolz sich entziehenden
Jägerjungfrauen, wie sie die griechische Sage zu zeichnen liebte
(fr. 67) , vom schönen Hylas (fr. 48) , von Apoll und Hyacinthus
(fr. 66) 1) . — Darf man nach der anderweitig bekannten Vorliebe
des Dichters für erotische Legenden auf die Metamorphosen-
Sammlung des Parthenius schliessen, so muss man vermuthen,
dass in dieser die erotischen Verwandlungs^agen einen sehr
bedeutenden Raum einnahmen. Wirklich lehrt uns die einzige
sichere Angabe über den Inhalt jener Sammlung, dass der
Dichter darin die verbrecherische Liebe der Scylla zum Minos,
ihren Verrath des Vaters und der Vaterstadt, ihre Verwandlung
in einen Vogel erzählt hattet); glaublich geniig ist die Vei-
muthung, dass in der »Ciris«, die man hinter Virgils Werken
liest, eine lateinische Bearbeitung eben dieser Erzählung des
Parthenius uns erhalten sein möge^) . Vielleicht darf man den
Antoninus Liberalis zurückzuführen. Dilthey erinnert selbst an die alexan-
drinische Sitte, auf Stellen anderer Dichter im eigenen Gedichte ausdrück-
lich anzuspielen {vgl. darüber noch Lehrs de Arist. st. Hom.'-^ p. 69 Anm.,
Haupt, HernDes II 6 f. und namentlich ind. schol. Berol. aest. 4 855 p. 6. 7,
Merkel, Proleg. ad Apoll. Rhod. p. XLVIII). So erwähnte man wohl auch,
bei der Erzählung einer Sage, paralleler Mythen, die von anderen Dichtern
behandelt worden waren: vgl. in der ganz und gar alexandrinisch gefärb-
ten Ciris, Vs. 238, und die Aufzählung der Sagen von Geschlechtsverwand-
lung in dem Excerpt aus Nicander bei Anton. Lib. 17, in welchem schon
die Accusative c. Infin. (T7:ep[i.TjaTpav — atpaadai - dizo^ipti'i, SiTcpodtjv [xe-
TaßaXciv) darauf hinweisen, dass Antoninus die, der Galatea vom Dichter
selbst in den Mund gelegten Aeussorungcn beibehallen habe. Vgl. auch
Apoll. Rhod. 111 997 ff.; Quint. Smyrn. X 479 ff.; Musäus 453 ff. ; Propert.
V 4, 89 ff.
1) In der F/jpt6*:Tj hatte Nicander erzählt von der Liebe der Selene
zum Endymion (fr. 24; vgl. Aetolic. fr. 6. 7; Liebe des Pan und der Se-
lene fr. ine. 8 [H5]: vgl. Dilthey, Archäol. Zeitung 4 873 p. 73 f.], von der
Liebe des Nereus zum Glaucus (fr. 25).
2) S. Meineke Anal. Alex. p. 270—272.
3) Die grosse Wahrscheinlichkeit dieser von Heyne ausgesprochenen
Vermuthung (welcher 0. Ribbeck Append. Vergil. p. 47 nur zweifelnd zu-
stimmt), ergiebt sicherst, wenn man die (grösstentheils von Welcker, Gr.
Trag. 4225 gesammelten) Stellen der Alten genau in Gruppen sondert (was
auch Heibig in Gerhards Denkm. u. Forschgg. 4 866 p. 4 96 ff. versäumt
hat). Danach findet sich eine Differenz der Berichlerslatler in drei Punk-
ten (wenn man die älteste Version , in der überhaupt von Liebe der Sc.
— 94 —
» Metamorphosen (( auch ein Bruchstück zuweisen, in welchem
Parlhenius erzühltc, wie eine in den Flussi;ott Cydnus verlielrte
cilicische Königstochter von der Aphrodite in eine Quelle, die
sich in jenen Fluss eri!;iesst, verwandelt wurdet). Dann mtlsste
man freilich annehmen, dass, wie jenes Fragment 2',, so die ganze
Metamorphosensammlung des Parlhenius in elegischem Vers-
maass geschrieben war, gleich den Aetia des Kallimachus. Keine
entgegengesetzte Thatsache zwingt uns, eine solche Form für
unmöglich zu halten; denn ein in heroischen Versen gebautes
Bruchstück, in dem Parlhenius von dem Ende der liebeskranken
B\blis erziihlt^), enthüll doch keinerlei Andeutung von einer
\iar nichl die Rode ist, bei Seite lässt). i) Heirathsversprechen des Minos:
llypn. Ciris. Er weist sie gleich nnrnngs nl): Ovid melam. VHI. (Die
ühri;*en Berichte sind hierin unklar.) 2) Nach Ueherj;ahe der Stadt: a) Minos
bindet die Sc. an sein Schiff: Apollodor. Properz lY 19, «6 i Haupt.) (Prop.
IV 49, 21—28 isl wohl zu comhiniren mit V 4, 39 f.). Ciris. b) sie
springt ihm , als er abnihrt , nach : Hygin. Ovid. met. c; Minos lässt sie
aus dem Schiff ins W'asser werfen : Pausaqias II 34 , 6. 8) Ausgang der
Sc\ IIa: a) sie ertrinkt: Apollodor. Pansanias; b) sie wird zu dem homeri-
schen Meerungelhüm: »magni pol'lae« bei dem Auclor der Ciris 53 ff. Yir-
gil ed. 6, 74 ff. Properz. Ovid. her. XII 124 f. arl. I 331 f. amor. III 12,
21 f. S. Heinsius zu Sabinus epist I 83; c) sie wird zum Fisch, ihr Valer
Nisus zum Haliaeelus: lUgin. vgl. Ciris 485 f. d) sie wird zum Vogel Ciris,
Nisus zum Ilaliaeetus. Ciris. Virgll 0. 1 404 ff. (im 1. und 2. Puncle
unklar) l)ion\sius 'I;i£UTiy,a 2, 14 (in J. G. Schneiders Oppian- p. 190) u. A.
Bei solchen Divergenzen der Darstellung spricht nun die l'ebereinsUmmung
des Dichters der Ciris mit Parlhenius in dem zweiU'n und drillen Puncte
sehr entschieden für Heynes ohnehin so wahrscheinliche Vermulhung ; in
Bezug auf das Heirathversprechen des Minos kennen wir nur durch Schuld
der Berichlerstaller die Darstellung des P. nicht.
1) Fr. XXIV p. 277 Mein. Wie die Jungfrau hiess sagl Euslathius, der
die Verse mittheilt, nichl ; ich finde auch bei Meineke keine Belehrung
darüber. Vielleicht isl es aber keine andere, als jeneKomactho von der
ganz dasselbe, wie bei Parlhenius von jener rapO^vo; 7, KtX'.xojv elyev dvix-
TopiT^v erzählt wird bei Nonuus Dion. II 143 ff. XL 138 — 145. Vermulh-
lich hat N. eben die Krzählung des Parlhenius vor Augen ; dass er ihn
kannte und sogar nachahmte, beweist gerade jenes fr. XXIV, aus dessen
5tem Verse Nonnus XXVI 357 die Bezeichnung »joaToci; Yajxo;« entlehnt hat,
wie A. Ludwich Beilr. zur Kril. des Nonnus (Künigsh. 1873.) p. 94 be-
merkt — lieber andere Sagenliguren des Namens Komaetho vgl, Wernicke
zu Trypliiodor p. 179.
2) Von einem andern ciircischeu Flusse redet ebenfalls ein Pentameter
des Parth.: Fr. XXVH .Mein. p. 279 ff.
3) Fr. XXXII p. 285.
— 95 —
Verwandlung der Byhiis, wie sie Nicander und Ovid in ihren
Metamorphosen herichleten ') : so dass also dieses Bruchstück
eher einem hesondern Gedichte als der Metamorphosensannnlunjj:
angehören dürfte.
1) Es wird nicht ganz unnütz sein, die zahlreichen Versionen der Sage
von derByblis, von denen keine mit der andern völlig übereinstimmt, ein-
mal genauer zu sondern, als bisher, irgendwo geschehen ist. Namentlich
in Bezug auf den Ausgang der verbrecherischen Neigung , vom Bruder oder
von der Schwester, und in Bezug auf das schliessliche Schicksal der B. sind
die Erzähler verschiedener Meinung. 1J Nicander (ETepoioüfx. 11 bei
Ant. Lib. 30 [p. 55 Sehn.]) erzählt: Byblis, Tochter des Miletus und der
Eidothea , der Tochter des Eurytus, liebt ihren Zwillingsbruder Kaunus,
sacht ihre Leidenschaft lange zu verbergen ; endlich stürzt sie sich , vor
übergrossem Liebes.schmerz, in der Nacht von einem Bergfelsen. Mitlei-
dige N\mphen halten sie zurück, versenken sie in Schlaf, verwandeln sie
in eine Hamadryade und machen sie zu ihrer Gespielin. Die von jenem
Felsen rinnende Quelle heisst noch jetzt »Thräne der Byblis«. (»Hama-
dr>aden« steht hier wohl ganz allgemein für »Nymphen«, so dass man im
Besondern ganz wohl auch Wassernymphen, Najaden darunter verstehen
könnte; nach einem Gebrauche, den Lehrs Popul. Auf. p. 97 namentlich
bei Ovid nachweist. Vgl. auch B. Schmidt Das Volksl. d. Neugr. I 18«.)
— 1) Ovfd Metam. IX 444 — 665: B., Tochter des Miletus und der Cyanee,
der Tochter des Maeander (also von Haus aus mit dem Wasser verwandt:
vgl. Nicanders Eurytus), liebt ihren Zwillingsbruder Kaunus, entdeckt sich
ihm durch einen Brief. K. weist sie entrüstet ab, wandert, öfter von ihr
angesprochen, endlich aus ; B. zieht ihm nach , wird auf ihren Irrgängen
endlich in eine Quelle verwandelt. 3) Nonnus, Dion. XIII 548—561.
Kaunus liebt seine Schwester Byblis , flieht von Hause ; B. wird zur Quelle.
k) Sc hol. Theoer it. VII 415. Kaunus, Sohn des Miletus und der Areia,
liebt seine Schwester Byblis , wandert aus. B. erhängt sich ; nach ihr wird
die Quelle Byblis bei Milet benannt. 5) Konon, narrat. 2. Kaunus liebt
.seine Schwester Byblis, verlässt Milel. Auch B. irrt nun umher, erhängt
.sich; aus ihren Thränen entsteht die Quelle Byblis u. s. w. 6) Nicaene-.
lus bei Parthenius 11. Kaunus liebt seine Schwester Bvbiis, wandert aus.
sie klagt um ihn vor den Thoren der Stadt. Das Ende fehlt ofTenbar nur
in dem Auszuge des Parthenius, dem es einzig auf das Ausgehen der Liebe
vom Kaunus ankam. 7) Parthenius, Fr. XXXIl. B\blis liebt den Kau-
nus; or wandert aus, sie erhängt sich. In den Versen des Parthenius
scheint hinter ivedi^xaTo eine Lücke zu sein: noch hat nunn nicht einmal
gehört, dass die B., nachdem sie »an eine feste Eiche den Gürtel knüpfend,
iiiren Hals hineingelegt hatte«, auch wirklich gestorben sei, und .schon
sind (in der Einsa mke it!), »die milesischen Jungfrauen« da, um ihre Ge-
wänder klagend zu zerrcis.sen. Es scheint also nach i^^e^xaTo mancherlei
ausgefallen und der Riss durch das zufällig metrisch sich anschliessende
•Tal o' in' ixeivr« versteckt worden zu sein. Jedenfalls stand aber auch in
— 96 —
Mit Farthenius sind wir ein das Ende der Reihenfolge helle-
nistischer Liebeslegenden-erzHhIer gelangt i). Er reicht schon
in die Zeit hinunter, wo die Griechen den rüstigeren Römern
die Fackel der Dichtung zum weiteren Laufe übergaben, wo
namentlich auch die hellenistische Dichtkunst, durch Farthenius
und einiger Genossen eigne Vermittlung, ihre Grundsätze und
Kunslübungen in Rom einführte. Auch die noch weiter spinnende
antiquarische Sagendichtung der Griechen selbst wandte um diese
Zeit sich dem römischen Sagenschatze zu: wie z. B. Butas,
der Freigelassene des Jüngern Cato, nach kallimacheischer Art
in elegischen Versen aetiologische Sagen, die sich um römische
Sitten gerankt hatten, behandelte^ ; wie ein übrigens unbekannter
Simylus^) die römische Sage von dem Verrath der Tarpeja,
den ausgefallenen Versen nichts von der Verwandlung der B. in eine
Quelle; denn diesen Ausgang setzt ja gleich darauf Farthenius seiner eige-
nen Version als die Meinung »einiger« ausdrücklich entgegen. (So auch
Meineke an. AI. p. 285), und schon Mellmann, de caus. et auctorib.
narrat. de mutatis forntis p. 85.) Woraus Dilthey, Rhein. Mus. XXV
4 55 geschlossen hahe, dass Parlhenius, gleich Nicander, die B. zu einer
Nymphe werden lasse, verstehe ich nicht. — Uebersieht man diese 7 Ver-
sionen, so bemerkt man ganz deutlich, dass ursprünglich zwei Sagen vom
Ausgang der B. einander gegenüberstanden , a) eine Verwandlung ohne
Selbstmord (2. 8.), b) ein Selbstmord ohne Verwandlung (7.). Diese
Version konnte allerdings, wie Dilthcy a. 0. vermuthet, sehr wohl auf eine
Tragödie zurückgehen. (Vgl. einen ühnlichen Fall oben p. 36 A. 5.
Eine Comliination beider Versionen verbünd dann Selbstmord und
Verwandlung (1. 4. 5.) ^6 bleibt unbestimmt; ebenso Apollonius von Rho-
dus und Aristocritus r. MiXVjto'j in der Autorenangabe bei Farthenius]. Ob
übrigens in der älteren Version die Liebe vom Bruder (8. 4. 5. 6.) aus-
ging, oder von der Schwester (4. 2. 7.), wäre wohl schwer zu bestim-
men; denkt man freilich an den sprüchworllichen Gelirauch von Ka6v(0(
Ipcuc für einen epui; irovripö; [Arislotel. Rhelor . II 25 p. 4402 b, 8), so
scheint die erste Version, nach welcher Kaunus der eigentliche Tröger
der schlimmen Leidensi^hafl war, in iilterer Zeil die allgemeiner verbreitete
gewesen zu zein.
1) Andern, als den oben aufgezählten, bei Farthenius behandelten Sa-
gen kann man nur vermulhungsweise einen erotischen Inhalt geben: so
der Sage von der Anthippe (Kr. XIII p. 267 f.), vom Iphiclus (Fr. XV p.
269.) Die Legende von der Liebe der Phaedrn zum iiippolylus (Fr. XLVII;
und von der Eifersucht der (lattin des Kyanippus (Fr. XLIX) lassen den F.
nur zwei nicht ganz unverdächtige Zeugen erzählen.
2j s. Plutarch Romul. 24.
3) Diesen Elegiker Simylus identificirt Meineke Comic. 1 p. XV mit
— 97 —
im hellenistischen Geschmack zur Liebessa^e umgebildet und
auch sonst wunderlich entstellt, in elec;ischem Versmaasse be-
sang *) .
11.
So sehr nun der Geist, in welchem diese hellenistischen
Dichter ihre Liebesabenteuer vorzutragen liebten, schon moderner
Empfindungsweise sich annühert, so blieben sie doch allgriechi-
schen Ueberlieferungen wenigstens darin treu, dass sie die SlolTe
ihrer Erzählungen nicht aus eigner Erlindung, sondern aus der
Sage des Volkes entnahmen. Mit Recht darf sich Kallimachus
rühmen, er singe nichts Unbezeugt es 2). Man wollte noch inmier
nur dichterischer Bildner der überlieferten Sage sein; ja man
legte auf die Urkundlichkeit seiner Berichte ein so starkes
Gewicht, dass man wohl gar, mitten im Gedicht, mit gelehrter
Genauigkeit die verschiedenen Versionen einer Sage, wie
man sie bei andern Dichtern angetroffen hatte, hervorhob und
kritisch abwogt). Zwar scheint es, dass nicht ^lle Mitglieder
einem Didaktiker gleichen Namens, dessen Person und Zeil aber gleichfalls
unbestimmt sind.
1) Plut. Romul. il. Er liess die T. sich in einen keltischen Heer-
führer verlieben, vielleicht nach Anleitung einer asiatischen Sage, die
von Brennus, dem Gallierführer, vor Ephesus dasselbe Abenteuer erzählte
{s. Klitophon bei Ps. Plut. par. min. 4 5). — Diesem Simylus giebt übri-
gens Bergk, P. I>r. ed. III p. 4189 noch einen, in den llss. des Elymol.
M 185, 30 dem Simonides zugeschriebenen Vers, der vom Herakles, wel-
cher den Hylas sucht, zu handeln scheint.
2) 'AfxdipTypov ouosv detow fr. 442, vgl. fr. anon. 364 p. 784 Sehn. —
Auf die eigenen Arbeiten und Mythenforschungen des Dichters beziehen
sich wohl auch die W'orte des Philelas in dem schwer verständlichen
Bruchstücke bei Stobäus, Flor. LXXXl 1 — TroXXd |jLOY7)oai;, {JL-Ji^iov -avTotojv
oijiov eriaxcijuvo;. (Die sellsamsle aller Deutungen dieses vielbesprochenen
Fragmentes trägt Härtung, Die gr. Eleg. II p. 33 f. vor).
3) Euphorion, fr. 36: Trop'^ypcTj Od-Aivi^e, oe [xsv |xla 'f^jii; doio&v —
dvri/Aeiv: im Gegensalz zu anderen Ueberlieferungen. Meineke p 70
vergleicht passend ähnliche Gegenüberstellungen verschiedener Ueberliefe-
rungen bei Nonnus, Dion. XU 292 IT., XLl 155. Nach alexandrinischem
Muster Ciris 54 IT., 303 ff. Naiv stellt sich das Verhällniss dieser gelehr-
ten Dichter zur Ueberlieferung beim Apolloniirs von Rhodus dar. Beruft
er sich schon ohnehin öfler, unpoelisch genug, auf die Berichte der zpooftev
doiooi, der ^dTi; (I 18. 59. 123. 172. II 856), so wird seine NaivetÄt fast
Bohde, Der griechische Euman. 7
— 9S —
(lieser Dirhterreihe mit gleicher Strenge ihre Erfindsamkeil durch
die üeberlieferung binden Hessen ') ; im Allgemeinen wird aber
die leicht erkennbare Lust dieser Porten an einer Variining
und sinnvollen Weiterbildung aher Sagen sich weniger durch
die Geburten ihrer eignen Willkür als durch ihren eifrigen
Spürsinn nach cigenthüinlichen, sehsani gewendeten Localsagen
befriedigt haben, welche der glückliche Finder vergnügt hervor-
ziehen und, bei aller rngewöhnlichkeil ihrer Darstellung, doch
als eine urkundlich überlieferle Rarität verehren konnte 2).
Ihre Vorliebe für einen bunten Reichthum noch unausgenutzter,
durch Neuheit interessanter KrzJlhlung anziehender SagenstofTe
bildet allerdings schon einen Tebergang zu der Rastlosigkeit
ewig geschäftiger Erfindungssucht, zu der in neueren Zeiten die
Anforderung neuen, selbsterfundenen Inhalts namentlich den
erzählenden Dichter nöthigt; gleichwohl sagten sie wenigstens
von <ler überkommenen Sitle dichterischer Behandlung volks-
mHssig überlieferler Sagen sich nicht los. Vorzüglich mochten
sie bei dieser Beschränkung die alle Gewöhnung und das An-
sehen der illlern Dichlungsweise feslhallen; doch darf man
glauben, dass sie auch die künstlerischen Vorlheile zu schätzen
klüglidi, wo er, wie ein nur referirendor Historiker, ausdrücklich fund
doch ohne Ironie) seinen Unglauben an das nun einmal Ueberlieferte und
darum weiter zu Ueberliefernde l)ekcnnt: I 158 e( Iteov «ye ^^Xei xXio;,
IV 982 f.: iXaTE MoOaai, oux iUlm^ isir.tu zpoT^pwv Itto;, IV 1379 f. (vkI.
auch IV 1674 (f.). Aehnlich dann, nach alexandrinischcm Vorbild, Ovid,
Melam. XIII 738. XV 282 f., vgl. III 3H. Virj.'. G. III 891 A. VI 178.
(Verwandt, obgleich wohl eher durch Pindars Vorgang angeregt, Kallimachus
h. in Jov. 60, wo er sich auf die ^T,vaioi dioiooi beruft, um sie zu corrigiren).
1) Z. B. hebl am Hermesianax der, in verslecklen und verscholle-
nen Sagen doch selbst so wohl bewanderte Pausanias mehrfa(;h eine will-
kürlich freie Umbildung der Üeberlieferung hervor: VII 17, 5. IX 35, 4.
2) Dies gilt wohl selbst für den überaus gelehrten P^uphorion, bei
dem allerdings manche stark nach einem Autoscliediasma schmeckende
MNlhenvcrsionen vorkommen iman vgl. was er von den Ursachen der Miss-
gestall des Thersites erzählt Fr. 181, von der Abstammung des Prometheus
\on Hera und dem Giganten Eurymedon Fr. 134, der Verleihung Thebens
an die Persephone Fr. 48, der Opferung der Iphigenia in Brauron .statt in
Aulis Fr. 81 etc.). Merkwürdig ist es zu bemerken, wie er in manchen,
nicht minder sonderbaren Berichten alteren Erzählungen folgte, und zwar
mit entschiedener Vorliebe dem Stesichorus: s. Fr. 61. 125. 126, sentit
dem Sokrates Fr. 144, dem Hegesippus Fr. 55.
-^ 99 —
wussten, welche dem ausbildenden Künstler ein überlieferter
Stoff gewährt. Die Kunst fordert, um überhaupt eine volle
Wirkung zu thun, einen gewissen Glauben an die Wirklichkeit
und Wahrheit ihrer Darstellung ^j ; und man bemerkt leicht,
wie bedeutend eine uralte volksmiissige Ueberlieferung, welche
der Dichter seiner Erzählung zu Grunde legt, indem sie gleich-
sam die »Wahrheit« des Erzählten von vorn herein verbürgt,
den flatternden Traumgeslalten der Dichtung einen realen Leib
zu geben beiträgt. Wichtiger noch mag es sein, dass in den
wahrhaft poetischen unter jenen Sagen, wie sie, aus verborgenen
Ursprüngen entsl<mden, von der Phantasie vieler Geschlechter
eines Volkes lange Zeit liebevoll gehegt und ausgearbeitet worden
sind, die bedeutenden sittlichen Verhältnisse, die in stetiger
Wiederkehr das im Grunde überall gleiche Leben der Menschen
bestimmen, eine typische und darum ideale Gestaltung, eine,
das wirklich Bedeutsame zu concentrirler W'irkung zusammen-
drängende Verdichtung gewonnen haben, wie sie den Erfindungen
seiner individuellen Phantasie zu geben kaum dem grössten
Dichter einmal gelingt. — Aus solchen Betrachtungen mag man
es sich erklären , warum wir diese hellenistischen Dichter
wenigstens in der Wahl des Stoffes noch nicht die Wege eigner
Erdichtung einschlagen sehen, welche die spätem Roman-
schreiber betreten haben.
Die Stoffe ihrer Erzählungen mochten sie nun zum Theil
selbst aus dem Volksmunde vcrnonunen haben; es ist wahr-
scheinlich genug, dass, gleich den Periegeten jener Zeit, auch
die gelehrten Dichter ausdrücklich zum Zweck der Sagenforschung
das Land durchwanderten ^) .
1] i^^ ou Si dT.i<y:o'j[Lt^ [im Gedichte) oyy ifi6\t.e^a: Aristoteles probl.
48, 10 p. 947b, 45.
2) Man erinnere sich der ol)en p. 83 angeführten charakterislischen
Worte des Menodotus ül)er Xicaenetus.
3) Für Kaliimac h US insbesondere vermuthet dies Dilthey, De
Callim. Cyd. p. 419 T. Dass er nicht sein ganzes Leben in Cyrene und
Alexandria zubrachte, beweist fr. 4 09 (nach den Worten des Athenüus be-
zögen sich diese Verse auf ein Gastmahl in Athen, welchem Kallimachus
lieiwohnle ; . Meineko bei Schneider, Callim. II p. 878 verlegt dasselbe
durch eine sehr unsichere Conjectur nach Theben. Der ^£voc, von
dessen Massigkeit Kniliinnchus dort redet, war nach Athenüus sein oixeto;
Sivo;; sollte dieser, Meineken anstossige Ausdruck, nicht bedeuten können:
7*
— 100 —
Was im Besondern die erotischen Legenden betrifft,
so wird man es, nacli dem Gange unsrer Betrachtung, glaublich
genug Onden, dass die Erzühler der hellenistischen Zeit sich
hüußg an die spätere Tragödie anlehnten, in welcher so
manche dieser Legenden zuerst eine künstlerische Gestaltung
sein [des Kallimachus] eigener Gaslfreund, der mit Kallimaehus zusammen
bei Pollis schmauste? [oder vielleiclit des Kallimachus i^i6^evo;, im
Gegensatz zum zp^^evo; der Cyrenaer?] . Vielleicht war er auch in Kreta
(s. Meineke zu Call. h. Jov. 42 p. 128). Noch eine andere, so viel ich
weiss, bisher nicht beachtete l^pur von einem Aufenthalt des Kallimachus
in Athen verbirgt sich vielleicht in einer lateinischen Uebersetzung des
f£vo; 'ApaTOü, die aus einer spanischen Hs. Iriarte vcröfTentlicht hat;
ich kann mich, in Ermangelung des Iriarteschen Kataloges, nur auf Wester-
mann , BioYpd^oi p. 58 beziehen. Dort heisst es vom Aratus: Factus est
autem multum litteratus vir; testatur callimachus assislens ei ab
Infant ia propter praxipanem mitilenum. Die unbehülflich , aber gewiss
wörtlich übersetzten Worte ass. ei ab inf. mögen griechisch etwa gelautet
haben : (TjaTs; (technischer Ausdruck : z. B. Apollodor bei Laerl. V 9,
vielleicht auch: auvobv, wobei man an ein contuhernium des Kallimachus
und Aratus denken mag, wie in den von Lehrs Aristarch. p. i6 ed. 1 behan-
delten Fallen) auTuj 1% viou, und es scheint, dass Kallimachus solch eine
Jugendbekanntschaft mit Aratus ^v toT; "po; FIpaEi^avT^v tov M'JTiXr^vaiov idenn
diesen Titel geben ja wohl die lateinischen Worte pr. prax. mit. wieder:
vgl. Vita Arati 1 p. 54, 75 W., Schneider, Callim. II p. 350 f. Wörtlich
verstanden, Hessen uns freilich die lateinischen Worte den Prax. als ge-
meinsamen Lehrer des Kallimachus und Aratus erscheinen. Durch den Zu-
satz: Mitilenum wird, beiläufig gesagt, die Vermuthung zur Gewissheit,
dass des Kallimachus Praxiphanes der »erste Granmiatiker« war: denn
diesen nennt Klemens ausdrücklich einen Mytilenäer) erwöhnt habe. Wenn
nun also Kallimachus mit A ra t in Jugendlichen Jahren irgendwo zusammen
gelebt hat, so kann man dabei schwerlich an einen anderen Ort als Athen
denken: denn diese Stadt ist die einzige, in der nachweislich sowohl Arat
als Kallimachus einmal sich aufgehalten haben. In diesem Falle würde
man wohl Athen als gemeinsamen Studienorl der Heiden sich zu denken
haben. Arat ging von Athen mit seinem Lehrer Persaeus nach Macedonien
zu .\ntigonus Gonatas (vita Ar. IV p. 60, 10 fT.), etwa im Jahre 275 (siehe
0. Schneider, Nicandrea p. 13, vgl. oben p. 65 A. 9.). Damals mo(!hte er (wenn
er c. 305 geboren war: vgl. Ritschi, Opuscul. I 71. 72) gegen 30 Jahre,
Kallimachus, nach der wahrscheinlichsten Berechnung (s. Keil in Rilschls
Opusc. I 236) etwa 20 Jahre alt sein. Dieser konnte also, beim Beginn
seiner Studienjahre, sehr wohl mit dem älteren Arat in Athen zusammen-
getrofTen .sein, und kam immer noch jugendlich genug nach Alexandria zu-
rück, um (auch nach der überstandenen Schulmeislerzeit in Eleusis) nach
dem wunderlichen Ausdruck des Tzetzos veavioxo; rf^c aüXf^; zu werden,
wobei man ja, mit Rücksicht auf die ihm übertragene ungeheuere Aufgabe
— 101 —
i?o\vonnon halle, die ihren liefen Gehall ans Lichl Irelen Hess,
(iemeinsam sind beiden Diehlungsarlen vorzüglich solche Liehes-
sagen, in denen eine ieidenschafllichc Verwirrung sich durch
einen gewaltsamen Ausgang schmerzlich löste: so die Sagen
von Scylla und Minos, Cinyras und Myrrha *) ^ Canace und
Macareus^), Cephalus undProcris^), llippodamia und Pelops^),
Phaedra und Hippolytus *) , Clymenus und Harpalyce ♦» ) , vielleicht
der Katalogisirung der Bibliothek, an kein allzu jugendliches Lehensalter
denken wird. — Ein Wanderleben führten übrigens manche Dichter jener
Zeit. Man denke, ausser an Arat, an Theokrit oder an Euphorion, in etwas
späterer Zeil an Leonidas von Tarent (anth. Pal. VII 745). Die Könige, auf
deren »Milde« die armen Poeten durchaus angewiesen waren (vgl. Theokrit.
16. 47) gaben schon eine bedeutende Veranlassung zur Wanderung, die
Wissenslust that das Uebrige.
1) Kinyras und Myrrha als Tragödie: s. oben p. 36. Dass die alexan-
drinische Erzahlungskunst diese Fabel behandelte, geht mit voller Gewiss-
heit theils aus der Nachbildung einer solchen Erzöhlung bei Ovid, Metam.
X 298 — 502 hervor, theils, und noch entschiedener, aus dem mühsamen
Gedichte des Cinna: Zmyrna, für das man ohne Zweifel ein ähnliches
griechisches Vorbild vorauszusetzen hat, wie für die Pseudovirgilische Ciris.
2) »Aeolus« des Euripides: oben p. 35. Ovids eilfle Herolde »Canace«
geht sicherlich nicht, wie Weicker, Trag. 864 mit Grauerl annimmt, auf
das Drama des Euripides zurück: denn warum sollte Ovid die rafünirte
Steigerung des Peinlichen, wie sie, nach Weickers Nachweis, Euripides
seinem Drama gegeben hatte, wonach die Verlobung des Makareus mit der
Entbindung der Canace auf Einen Tag zusammenfiel, beseitigt haben? Da
doch dergleichen Schärfungen des Conflicts vollständig dem Geschmack des
Ovid entsprechen. Viel eher könnte man also an ein alexandrinisches
Vorbild des Ovid denken. — Canaces ignis bei Ovid, Ibis 355, unter lauter
specifisch alexandrinischen Mythenbeispielen. Vgl. ibid. 560.
3) rip^^xpi; von Sophocies. Der Inhalt ist durchaus unbekannt. Wie
aber diese Sage unter den Händen der hellenistischen Dichter aus ihrer
älteren und herberen Gestalt (Apollodor III 4 5, 4, Anton. Lib. 44, Hygin
f. 4 89) zu einem rührenden, psychologisch feinen Gemälde umgearbeitet
wurde, lösst uns die Darstellung des Ovid, Met. VII 694 flf. und Art. am.
111 685 ff. erkennen. — Upixpi^ des Kom. Eubulus: fr. com. III 247. — Procris
als Jagdgenossin der Artemis: Callim. h. Dian. 209 f.
4) Sophokles und Euripides »Oenomaus«. Auf alexandrinische Behand-
lung des Stoffes lassen vielleicht die Anspielungen bei Nonnus, D. XX 4 54 —
465 u. ö., sowie eine in Virgilischen Phrasen ausgeführte Erzählung in der
antbol. lat. 4 4 (I p. 30 ff. R.) schliessen.
5) Alexandrinisch : Kallimachus, Fr. 7. Vgl. oben p. 86.
6) S. oben p. 36 A. 5. Mit der alexand rinischen Version dieser Sage
nahe verwandt ist die Geschichte von der Nyctimonc, welche ebenfalls,
— 102 —
auch Kaunas und Bybiis*). Der Einlluss dieser späten Trag-
ödie mochte wohl weiter reichen, als unsrc dtirftigen Nachrichten
uns mit Bestimmtheit zu behaupten erlauben; ja es scheint, dßss
die offenbare Vorliebe der hellenistischen Erzähler für schwer-
mtlthige und traurige Sagen aus einer tiofecen Gemeinsapi-
keit der Empfmdung zwischen ihnen und den gleichzeitigen
tragischen Dichtern zu erklaren sei. Jedenfalls begegnen
sie sich in der Neigung, den romantischen Geist sentimentaler
Liebe aus neueren Orlslcgenden auch auf die Heroen alter
Mythen zu tibertragen, und so freilich in die Physiognomie dieser
alten Recken- einen sehr fremdartigen Zug hincinzuzeichnen.
Mit Vorliebe knüpfte man da an, wo schon die ursprüngliche
Sage ein erotisches Verhültniss wenigstens angedeutet hatte:
aber wenn die Dichtung der alten Zeit diese Leidenschaft kaum
anders kannte und verwandte, denn als ein gewaltsames und
verhängnissYolles Motiv zu grossen Katastrophen des llelden-
lebens, so verweilte man jetzt vorzüglich auf der Leidenschaft
als solcher, ihren Wonnen und Schmerzen, ihrem sinnlichen
Reiz und ihrem begeisternden Aufschwünge.
Auch hier stand Achill voran. Wie ihn die jüngere Volks-
sage in allerlei fremdartige Liebesbündnisse verstrickte, ist oben
hervorgehoben worden. Mit besondrem Behagen führte man
jetzt die in «llterer Dichtung nur leise augedeuteten Liebesregungen
des herrlichen Jünglings aus. Die ui*sprünglich so harmlose
Sage von seinem Aufenthalt auf Scyrus und seiner Verbindung
mit Deidamia bildete man jetzt zu einem Gemälde voll heim-
lichen, aber nicht ganz unverfänglichen Reizes aus^). In sein
von ihrem Vater goschöndet, in einen Vugel ven^andeil wird : Hygin. fab. i04.
Ovfd, Mel. II 590 fT.
1) Deren Behandlung in der Tragödie allerdings problematisch bleibt:
s. oben p. 96.
2) Achills Landung auf Scyrus und seine Verbindung mit einer scyri-
schen Jungfrau deutet schon die ili<is an (I 668 [s. dazu Aristonicus, und
Lohrs Aristarch. p. 478 4. Ausg.], T 846, Q 467); die Kyprien Hessen ihn,
bei dem Sturm nach der ersten Landung in Troas, dorthin verschlagen wer-
den und mit der Deidamia »ich verbinden :ProcI. S. Weicker Ep. Cycl. 11
441). Ebenso die Kleine Ilias des Lcsches Weicker U 240). Die Sage von
seiner Verbergung auf Scyrus beim Beginn des Krieges, seinen Abenteuern
in Weiberkleidern u. s. w. ist jünger. Aeltestes Zeugniss: Polygnots Ge-
mälde, Pausanias I 22, 6. Dann in je einer Tragödie von Sophokles und
— 103 —
BUndniss mit der Briseis legte man eine demselben ursprflnjzlich
ganz fremde Senlimenlaliiai*). Die wunderbare Sage von seiner
zu spiit auflodernden Liebe zur erschlagenen Penthesilea srlieinen
Tragiker und alexandrinisehe Krzlihler empfindsam ausgeschmückt
zu haben 2). Die grausige Sage von der Opferung der Pol yxena
am Grabe des Achill diente den Dichtern dieser Zeit zum Ausgangs-
punkte für eine mannigfach ausgeschmückte pathetische Liebes-
geschichte ^). — Seltsamer will uns eine solche Umstimnmng
des alten Sagentones in das Zarte und Gefühlvolle bei andern
Helden der troischen Abenteuer erscheinen. An den Schicksalen
des Odysseus z. B. hatten schon die Gedichte des epischen
Cyklus, und vorzüglich das jüngste derselben, die Telegonie mit
freiester Willkür weiter gedichtet, theils in dem phantastischen
Sinne der ältesten Sage, theils in dem pragmatischen und
trocken genealogischen Geiste des ausgehenden Epos. Jetzt zog
Curipidcs behandelt. Namentlich aber bei den Alexandrinern beliebt: Bion
id. 2; nach alcxandrinischeni Vorbilde Stalius Achilleis ; vgl. Ovid art. am. I
68«— 702. S. Wclcker Gr. Trag. 403. 476 f. Vgl. 0. Jahn Archäol.
Beitr. p. 852 ff.
1) Auf gemeinsame Benutzung eines hellenistischen Dichters weist die
Uebereinstimmung des Properz (119, 9— <8: welche Verse übrigens, nach
meiner L'eberzeugung, dort ganz willkürlich und verkehrt eingeschoben
sind} und des Quintus (III 551 ff.) in der heftigen Todtenklnge der
Briseis um Achill. Ganz anders z B. die Aethiopis: Welcker, Ep. Cycl. II
«77. 49«. Uebrigens vgl. auch Quintus VII 723 ff, Ovid. her. III.
2) Ob die Aethiopis wirklich von Liebe des Achill zu der schönen
Feindin redete, scheint mir keineswegs sicher. Achill tödtote den Ther-
siles, sagt Procius, Xoiooptjftei; Trpo; auToO xai öveioia^el; tov Itü ttq Hev-
0£9(Xei(f KeYÖjiEvov Ipwia. Wer sagt denn, ob das »Gerede« wahr ge-
wesen? — Etwas zu phantasievoll Welcker, Ep. Cycl. II «70 f. 227. Vgl.
auch Ovorbeck, Gall. her. Bildw. l 503 ff. — Später, in hellenistischer
Dichtung, mag die Liebe des Achill zur P. stärker betont worden sein:
vgl. Propert. IV ««, «3 ff., Quintus I 659—674, Nonnus D«on. 35, 27 ff. —
Tragödie ^AyiXXeu; Bepoitoxiövo; des Chaeremon : Welcker, Gr. Trag. «086;
Penthesilea eines Römers: Ribbeck, röm. Trag. 627.
3) Ein solches Liebeseinverständniss zwischen Achill und Polyxcna
(dessen ausgeschmückteste Gestalt man bei Philostratus Her. XIX «« , p.
204 Kays, antrifft) schon (mit Gruppe) in der WoX'j^i^ des Sophokles vor-
auszusetzen, berechtigt nichts. Vielmehr gehört diese Version der Sage den
Dichtern der aloxandrini sehen Zeit an. S. Welcker, Gr. Tragg. p. «88
f. Anm. 8 und p. ««45. — Noch auf der Insel Lcuke verband die Sage den
Schatten des Achill mit der Medea: davon dichtete zuerst Ibycus: vgl.
Schneidewin Ibyci rell. p. «53 f.
— 104 —
man den klugen Dulder in nicin<'herlei roraanlische Liebesaben-
leuer, wie wir dies oben (p. 74) ein dem Beispiel des Philelas
gesehen haben. Den Ton solcher hellenistischen Fabeleien
mögen uns einige, doch wohl auf griechischen Vorgang zurück-
weisende Stellen römischer Dichter vergegenwärtigen, in welchen
das vom alten Kpos absichllich im wunderbaren Dämmerlicht
des Mcirchens gehaltne Liebcsbtindniss des Odysseus und der
Kalypso in den Farben einer tändelnden Kmpfmdsamkeit aus-
gemalt wird^).
Das merkwürdigste Heispiel ist vielleicht das der Medea.
Schon die iilteste Sage hatte in den Abenteuern des Jason das
Werk des ritterlichen Helden durch die Aphrodite unterstützen
lassen 2). Sicherlich aber that sie sich, mich alterthümlicher
Weise, mit einer solchen, nach Aussen gewisser Maasscn proji-
cirten und von Aussen wirkenden Personificirung der
Leidenschaft in der (ieslalt der Liebesgöttin genug. Die helle-
nistischen Dichter legten die Bewegung in die Brust der Jung-
frau selbst, und schilderten die stürmische Erregung, die harten
Kämpfe im Innern ihres Gemüthes, die endliche Ueberwalligung
ihres ernsten, ja tragisch schweren Sinnes durch die über-
mächtige Neigung, den merkwürdigen Zwiespalt zwischen der
allniHchtigen Zaubergewalt der Sonnenenkelin und der ganz
menschlichen Bedürftigkeit ihrer Liebesempfindung. Wie weil
hierin die Tragödie ihnen vorangegangen sein mochte ^i , können
wir. nicht mehr ermessen: wie die gelehrten Darsteller der
Sage, Antimachus und Philelas*;, diese für elegische
1) Ovid. arl. am. II <23 ff. Propert. I < 5, 9 ff. — Sentimentale Aus-
führung der Liebe der Circe zum Odysseus Ovid. rem. am. i6i— J88.
(Ktpxot des Alexander Aetolus »d YvVjaiov to TroiTjfxaTiov « Ath. VII 283 A.).
2) So die NajTrdxTia ^ttt): Fr. VII p. no. Marksch. Pindar Pyth. IV
SIS ff.
3) z. B. Sophokles in den KoXyioe;? Dieser TraRödie entlehnte Apol-
lonius theils die Schilderung der festmachenden Salbe (III 845 ff. : s. Wcl-
ckor Trag. 335), theils einige Momente des Kampfes mit den '(rife^titi (Schol.
III 1373. Das Lemma des Scholions weist allerdinf;s auf v. 1872, es steht
aber, nach Keil, hinter dem Schol. zu v. 1331, und gehört, wie ich glaube,
eigentlich zu v. 1354 ff). Sicherlich bildete aber doch auch die Liebe der
Medea zum Jason ein sehr wesentliches Moment der Handlung.
4) Antimachus behandelte die Argonautensage in seiner »Lyde«, Pht-
Ictas, wie es scheint, im »Telephus«. S. oben p. 72. 74.
— 105 —
Erzithlunf; besonders geeii^nete Sage behandelt haben mögen, ist
uns ebenfalls nichl mehr erkennbar. Bei A p o 11 o n i u s von K h o d u s
merkt man wenigstens die A bs i c h l , in dem zwiespJiltigen Charakter
der Medea beide Seilen hervortreten zu lassen: aber freilich
steht die Weichheil, ja Weichlichkeit ihrer Liebesempündung
durchaus unverbunden neben der Härte ihrer Handlungen, ohne
dass ein geheinmissvolles Band diese Gegensätze zu der Einheit
eines dämonisch fremdartigen Charakters zusammenschlünge.
In ähnlicher Weise steigerten die Dichter dieser Zeit, der
Tragödie sich anschliessend, das erotische Pathos in den allen
Sagen von Laodamia und Protesilaus ^) , von Theseus und
Ariadne^); als ein ganz neues Element, so scheint es, flochten
sie dasselbe in die Sagen vom Herakles hinein**). Wurden
1) »Protesilaus« des Euripides. Vgl. oben p. 33. Nach helleiiistischem
Muster dann: Calull. LXVIII 73—88. 104--130. Properl. J 19, 7 ff. Ovid.
heroid. XUI.^Lacvius Protesilaodamia , auch Protesilaus, oder Laodamia
genannt (Welcherl P. I. rel. 76—80).
2) Sammlung der Zeugnisse für diese Sage: Overbeck Ber. d. sächs.
Ges. d. Wiss. Hist. phil. Cl. 1860 p. 22 A. 3. Alcxandriniscb : Catull.
LXIV. Dass dieses Gedicht noch alexandrinischem Vorbild gearbeitet sei,
hat man längst bemerkt: s. namentlich Haupt, ind. schol. Borol. aest. 1855
p. 7(r. An ein Gedicht des Kallimachus aber, das Catull nur einfach
übertragen habe, zu denken, genügen die von Kiese, Rliein. Mus. XXI
p. 501 — 509 angeführten Gründe durchaus nicht. In der sentimentalen
Auffassung der Ariadne ging vielleicht Euripides im »Theseus« voran. S.
0. Jahn, Arch. Beitr. SSS.
3j Herakles und Hylas: Theocrit. idyll. XIII; Callimachus Fr. 410;
vgl. Fr. 512 mit 0. Schneiders Bemerkungen p. 664; Fr. 546 p. 685; Apol-
lon. Rhod. 1 1207 ff.; Euphorion, Schol. Theocrit. XIII 6 (emendirt von
Meineke, Anal. Alex. p. 152); Nicander bei Anton. Lib. 26 und Schol. Ap.
Rh. 1 1236; Simylus? s. Bergk P. lyr. ed. 3 p. 1189. Vgl. endlich Dra-
contius, Hylas. Diese Sage war also ein rechtes dY(»jvia|xa der hellenistischen
Dichter. Propertius I 20 combinirt verschiedene Versionen, schliesst
sich aber hauptsächlich dem Nicander an (Arganthi v. 33 = Argantho-
nion bei Nie. [freilich auch bei Apoll. Rhod. I 1178J; Ascanius v. 4. 16 =
Nie. bei Ant. Lib. [anders z. B. Dionys. Perieg. 8061; in den H\las ver-
lieben sich alle dryades nymphae v. 45:- so auch bei Nicander [freilich
auch bei Theocrit] : s. Schol. Ap. Rh. I 1236; anders bei Apollonius. End-
lich machen bei Nie. die Nymphen den H>las zur v/*{», xai rpo; rr^v ßoT,v
iroXXfltxu dlvTEcpi^vei 'HpaxXei. Nur vom Echo kann man doch auch die
Verse 49. 50 des Properz verstehen: cui procul Aleides ileral , responset,
al Uli nomen ab extremis fontibus aura referl. Allerdings ist bei Properz
[v. 6] Hylas nicht, wie bei Nicander, ein Sohn des Keyx, sondern, wie bei
— 106 —
auf diese Weise durch das Hinoindichten zahlreicher ZUge einer
aninuthigen^ idyllischen, palantcn, senlimenlalen, auch wohl
sinnlich hegehrlichen Empfindung in die alte lleroenwelt die
gevvalligen Recken der allen Sage mehr und mehr zu kühnen
und zarten, um Frauengunst nicht minder als um lleldenruhm
werbenden Rittern umgebildet, so umzogen nun diese Dichter
sogar die olympische Göttcrwell allmählich mit jener ganz eigen-
ihUmlichen Atmosphäre, die, mit Worten schwer zu schildern,
jedem Sinnbegal)len namentlich in den Dichtungen der römischen
Epigonen hellenistischer Dichtung, ganz vorzüglich aber in Ovids
Metamorphosen so kenntlich sich bemerklwr macht i). In
den Darstellungen der zahlreichen Liebesverhältnisse, in welchen
Hygjii f. U, Apollnnius u. A. 'ein Sohn des Theiodamas. [Theiomenes
lieisst der Vater bei Hellanicus Fr. 39, sonderbar missverstanden von
K. 0. iMüller, Dorier I 453]). Von der hellenistischen Poesie angeregt die
Darstellungen des Hylasraubes auf campan. Wandbildern: tl^lbigs Katalog
N. 1360 IT. — Von andern Liebesbündnissen des Herakles liebten die helle-
nistischen Dichter noch zu behandeln: die Liebe zum Diomus: Rhianus (&.
Meineke An. Alex. p. 177 f.); vielleicht auch die sonst ganz unbekannten
^pdbpievoi des Herakles, die im Schol. Ap. Rhod. I 1S07 neben Hylas und
Diomus genannt werden : Perithoas und Phrix? (ein noch seltsameres Verzeich-
nis» der ip<6fAevo( des Herakles in den Clemenlin Homilien V 15 p. 68, 16—18
ed. Lagardc; am Bekanntesten darunter Abderus: s. Philostr. imag. H S5»
heruic. p. 197, «4 ff.; p. 165, 48 [ed. Kayser 187i', wo auch noch ein
Liebesbiindniss des Her. mit dem 'jugendlichen Nestor hinzu gefabelt wird.
Hylns und Ahderus neben einander genannt: Julian, or. VH p. 285, 20 Herll.)
Hellenistisch wohl gewiss die (deutlich aetiologische) Sagenerztthlung
von der Liebe des Her. zu der Tochter des Syleus in Thessalien: in sehr
sentimentaler Form bei Konon narr. 17 (dem man Apoliodor 11 6, 8, 2
entgegenstellen möge). — Endlich Her. und Hesione (nicht selten auf cam-
pan. Wandbildern: Heibig N. 1129—1132; vgl. p. 458., — Erwtfhnl von
Calltmachus , Fr. 559. Tragödienstoff: Ribbeck, Die röm. Trag. p. 44 ff.)
1 ; DeuUicher übrigens, als alle Schilderungen vermöchten, sprechen den
Chanikter dieser letzten ümdichtung der alten Mythologie die maleri-
schen Darstellungen mythologischer Gegenstände aus den, von der italie-
nischen und französischen Bildung, und ihrer aus den Römern geschöpf-
ten Kenntniss und Auffassung der griechischen Antike beherrschten Zeiten
des 16. 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus. Wenn UMn
es nur cum grano .salis verstehen will , so wird man leicht zugeben , dass
z. B. viele mythologische Bilder der vcnetian ischen Schule des 16. Jahr-
hunderts einen völlig aloxandrinischen Charakter tragen, einen mehr
«
römisch-alexnndrinischen die mythologischen Bilder der römischen und
bulognesischen Schulen.
— 107 —
schon die alte Sage und der, von den Dichtern der-hesiodischen
Schule förmlich auf ein Svslcm t^ebrachte Ehrtseiz adlicher Ge-
schlechter die- Götter mit sterblichen Frauen verbunden halle,
kam es nun nicht mehr, wie in der alten Dichtung, einzii( auf
das Factum und das für die Genealoij;ie wichtige Resultat
einer solchen Vereinigung an; sondern auch hier verweilte man
jetzt mit VorlielK» auf der Ausmalung der Leidenschaft," und in
dieser Ausmalung zog man die Gölter völlig zu den sterblichen
Menschen herunter, zu ihrer Schwücrhe, Empfindsamkeit, der
willenlosen Ueberwältigung durch die Eine Leidenschaft , und
dies alles doch ohne die Se I bs ti ron ie , durch welche derjenige
Dichter, der in die Odyssee die Erzählung von Ares und Aphrodite
eingeschoben hat, die Widerspiegelung seiner eignen lüsternen
Ausgelassenheit in der Götterwelt selbst belächelt und erträglich
macht. Es besteht jetzt in der That zwischen den Schilderungen
menschlicher und göttlicher Liebesverhältnisse kaum noch ein
wesentlicher Unterschied des Charakters ; höchstens dass die
ewig wechselnden Neigungen der Götter jenen fatalen Bei-
geschmack der galanten Unternehmungen eines grand seigneur
zeigen, üb^r den sich mit Recht der grimmige Spott der späteren
christlichen Apologeten ergoss. Zeus selbst und Apollo sind
für diese Dichter die eigentlich galanten Götter *); aber kaum
irgend <5iner aus der olympischen Gesellschaft wurde nicht in
diese Netze gezogen, und leicht liesse sich denken, dass es ein
Dichter dieser Zeiten war, der den von Lactantius gelegentlich
erwähnten übermüthigen Gedanken ausführte, in [)rangendeni
1) Zeus und Europa: Moschus id. II (darnach Lucian dial. mar. 15:
*. Hemsterh. ed. Bipont. II p. 392. , Ovid. nictam. II 845 IT., Nonnus Dion.
I, Achill. Tat. \ i. — Zeus und Scmelc: Ovid. met. III 259 IT., Nonnus
D. Vn. VIII. — Zeus und Kallisto: Callimachus Kr. 385 {aus der Apxaoia
nach Ernesti) u. ». w. Zwölf Liebesverhältnisse des Zeus aufgezahlt bei
Nonnus VII iil—\±S. Noch vollständiger Kygin fab. i?^5 fp 13 Schm.;.
Ein ähnliches Verzeichniss schon llias H 317 — 327, als Emblem (liesiodi-
schen Charakters, athetirt von Aristophancs Byz. und Aristarch. — Apoll.
und Coronis: Ovid. met. II, 549 IT., vgl. Simmias v. Rhodus bei Anl. Lib.
tO. A. und Cyreno (Hesiod. Eöen Fr. 143 M. PindarPyUi. IX.) Apoll. Rhod.
n 502 ff., Nonnus Dion. XIII 300; XVI 86; XXV 180 IT. A. und Daphnc :
s. Heibig, Rhein. Mus. XXIV. A. und Branchus: Callim. Fr. 36 u. s. \n.
Apoll und Cyparissus: Ovid. met. X 106 IT.; A. und Ilyacinlhus : s. oben
p. 91. Vgl. übrigens auch Clement, horail. V 15 p. 68, 11 — 13.
— 108 —
Siejjeszuge Me Götter vor den Wagen des triumphirenden Eros
i^espannl vorzuführen^).
Es kann nun durchaus nicht zweifelhaft sein, dass die
hellenistischen Erzähler, wenn sie auch, in der hier allein in
Betrachtung gezogenen erotischen Poesie, von verwandten Rich-
tungen der spHlen Tragödie ausgingen, doch ihre eigenthümliche
Weise k\ der Ausbildung und Darstellung der Sagen überall
behaupteten. Diese Weiterbildung im Einzelnen zu verfolgen,
wiire eine Aufgabe von nicht geringem Interesse. Für unsrc
Zwecke genügt es, eine allgemeine Vorstellung der besonderen Art
. 1) Lactantius Inst. div. J H, 1. i: Quis est tarn excors qui hunc
(Jovem) in caelo regnarc putct, qui ne in terra quidcm debuit? Non in-
^ulsc quidam po^ta Triumphum Cupidinis scripsit: quo in libro
non modo potentissimum dcorum Cupidinem, scd etiam victorcm facit.
Enumeratis eniin amoribus singulorum , quibus in potestatem Cupidinc
ditioncmquc venissent, instruit pompam , in qua Juppitcr cum celeris
dcis ante currum triumphantis ducitur catenatus. Vgl. .Preller, Gr.
Mythol. P 416. Es soll natürlich nicht mehr als eine ganz leichte Ver-
muthung sein, dass in hellen istischer Zeit ein griechischer Dichter die-
sen übermüUiigen Gedanken ausgeführt haben könne. Die Vorstellung eines
glänzenden Triumphzuges konnte den Griechen damaliger Zeit, aus zahl-
reichen eben damals üblichen ähnlichen Schaustellungen siegreicher Könige
vertraut genug sein. Das Bild des Eros als Wagenlenkers ist in der
poetischen Sprache der Griechen seit Anakreon [ — o'Jx elSoj; oti ttj; d|Afj;
•W/fl; tjvtoye'jei;) ganz gewöhnlich : s. Jacobs , animadv. ad anthol. Gr. I
2, p. 7. — Auf ein griechisches Vorbild stützt sich auch wohl Ovid in sei-
ner Schilderung eines solchen Triumphzuges des Amor: amor. I 2, 4 9—52.
— Seltsam genug ist es, dass ein wunderliches Gedicht des Reposianus
»de concubitu Martis et Veneris« (anthol. lat. 253. 1 p. 4 70 fl*. R.) in der
That aus einer dem von L. gemeinten Werke öhnlichen Aufzülilung gött-
licher Sklaven des Eros herausgenommen zu sein scheint. Von einem
Triumphzug des Amor ist hier V. 7 die Rede; deutlicher noch v. 4 2 f., wo
nur durch diese Voraussetzung die von Riese beanstandeten Worte: utque
ipsc veharis verständlich werden. Dass aber Mars und Venus nicht die
einzigen dem Amor dienstbaren Gölter seien, deutet der Schluss des Ge-
dichts an, wo ganz ersichtlich der Uebergang zu einer Liebesaffaire des
Phoebus gemacht, und also der Zusammenhang des vorliegenden Gedich-
tes mit einer längeren Reihe erotischer Erzählungen angedeutet wird. —
(Eine allegorische Malerei, Eros auf dem Throne, über Menschen und Thie-
ren königlich herrschend, im schlechtesten byzantinisciien Geschmack , be-
schreibt Eustathius de am. Hysm. II 7 ff. XI i.) — Eine andere Form
der cyklischen Darstellung der »caelestia crimina« wählt Övid, metam. Vi
4 03 IT., indem er die Arachne auf einem Gewebe die Liebesabenteuer des
Zeus, Poseidon, Apoll, Bacchus, Kronus in langer Reihe darstellen läsi»t.
— 109 —
und Sinnesvveise dieser hellenistischen Dichtung, ihres Unler-
schiedes von früheren Epochen der griechischen Kunst, ihrer
Stellung zu der späteren Tragödie gewonnen zu haben. Beispiels-
weise mag indess an einer einzelnen Sage die sinnreiche Sorg-
falt betrachtet werden, mit der diese Dichter, ohne das Wesentliche
der Volksüberlieferung zu verlassen, den geistigen Inhalt durch
immer neue Wendungen zu variiren, zu verliefen, und vorzüglich
durch eine zarte Sentimentalität zu beleben versuchten. Die
Sage von der einst von Paris geliebten, dann um Helenens willen
verlassenen Oenone, der Tochter des troischen Flussgolles
Kebren, war ursprünglich wohl eines jener schwermüthig lieb-
lichen Märchen von der Liebe einer Nymphe zu einem schönen
Sterblichen, in denen die Phantasie des griechischen Volkes
aller Orten zu spielen lieble^). Wann dieses Märchen in den
Kreis der grossen troischen Abenteuer aufgenommen worden
sein mag, lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen. Die Dichter
der llias und der Odyssee kennen es oll'enbar noch nicht, auch
die Kypria schwerlich 2) ; der Historiker Hellanicus^) mag der
erste gewesen sein, der in seiner pragmatischen Erzählung der
troischen Geschichten auch dieser schönen Volkssage ihre Stelle
1) Solche erotische Nymphensagen sind z. B. die Sage von
Dapbnis (vorzüglich in der von Stesichorus überlieferten Gestall: s. oben
p. 29], wahrscheinlich auch die Sage von Menalkas und Euippe (siehe
oben p. 78), mit der die bei Ovid, Met. XI 751 — 795 erzühlte Sage von
Aesacus (einem Sohne des Prianius) und der vor ihm tliehenden lles-
perie (die man, da sie Vs. 769 Cebrenis hcisst, als eine Schwester der
Oenone und ebenfalls eine Nymphe betrachten muss; vgl. Unger, Sinis p. 91)
eine leicht zu bemerkende Aehnlichkeit hat. Solche Nymphensagen sind
aber ferner: die Geschichte des Hylas, des Selemnius (ol^en p. 43 A. 5),
der Salmacis und des Hermap h roditus (Ovid, Met. IV 285 ff), ferner
die beiden merkwürdigen Erzählungen des Charon von Lampsacus fr. M
und 43 (Müller). — Sollten nicht manche Sagen von der Verwandlung
eines liebenden Mädchens in einen Baum oder eine Quelle (Phyllis, Bybiis
u. s. w.), ursprünglich ebenfalls derartige Märchen von Baum- oder
Qoellnymphcn gewiesen sein? — Uebrigens wird es Niemand Wunder
nehmen, dass gerade solche erotische Nymphensagen sich sogar im heuti-
gen Griechenland noch lebendig erhalten haben: s. B. Schmidt, Das
Volksl. d. Neugr. I p. 1H ff.
2) Ohne hinreichenden Grund und durch keinerlei Zeugniss unterslülzt,
selzle Weicker, Annali deir inst, archeol. XVII UO und Ep. Cykl. 11 9i
das Abenteuer der Oenone in die K'jiTpta.
3j 'E>.Ädvixo; Tpwixüjv** Parthen. 34.
— 110 —
:iDwies. Künstlerische Aushihlung scheint dieselbe in einer Trag-
ödie der nacheuripideischen Zeit gewonnen zu haben \. , und
seitdem lebte sie in der wahrhaft dramatischen Gestall fort, wie
sie uns l>ei Apollodor, in <iem Bruchstück einer prosaischen
Schrift des Nicander, vorztlglich aber in • den mythischen Er-
zählungen des Konon vorliegt^]. Damit aber begnügten sich die
hellenistischen Dichter nicht. Dass zu ihrer Zeit die früher so
versteckte Sage sehr)>ekannt war, beweisen manche Anspielungen
auf <lieselbe^): sichere Anzeichen lassen vermuthen, dass sie
eine so völlig ihrem Geschmack entsprechende Sage eifrig aus-
schmückten, theils in ihrem id> Mischen ersten Theil. dem, durch
die Abreise <ies Paris so jäh unterbrochenen heimlichen Lielies-
leben in den Wäldern <ies Idagebirges ^], theils in ihrem tragischen
Abschluss. Während nun die bei den M\thographen uns er-
haltene, gewöhnliche Version der Sage dhe, nach anfänglicher
Weigerung endlich zu spät mit ihren allein Bettung bringenden
Heilkräutern dem tödtlich verwundeten Paris zu Hilfe geeilte
Oenone nach einer jammervollen Todtenklage sich erhängen liess,
wusste die hellenistische Dichtung <las Pathetische dieses Ausgangs
noch zu steigern. In der, ohne Zweifel einem alexandrinischen
Dichter nachgebihleten Darstellung des. Qu intus von Smyrna*)
1; Dass die Sagt» von der Ocnonc Gegenslan<l einer Tragödie der spö-
leren Zeil gewesen sei, scldiesst Weicker, Gr. Trag. H46 aus der Er-
wähnung eines Scenirum exodiuin dieses Inliait^s bei Suelon., Doniitian. 10
und der £x'f{iaai; einer Gruppe des Paris und der Oenone tiei Chrislodor
215 ff.
2) Apollodor 3, 1J, 6. Nicander »dv tooi irepiroiTjToit« ^s. 0. Schneider,
Nirandrea p. 27^ bei Parlhen. 4. Ebendas. Kephalon von Gergithos (vgl.
0. Jahn, Arch. Beitr. p. 331,, Konon narr. i3.
a Lycophron 57 f. Bion i, 11. Slalius Silv. I 5, 21 Properl.
4) Nach einer alcxandrinisclien Darstellung dieses ersten Theiles der
Sage dürfte doch wohl 0\ids fünfte lleryiide gebildet sein. (Ganz alexan-
drinisch klingen dort aurh 'manche Einzelheiten: z. B. Vs. 17 ff., auch Vs.
21 IT.: vgl. DilUiey, De Callim. Cyd. p. 82 f.).
5; Quintus Snivrn. Poslhomeric. X 259 — 488. Dass diese Erzählung
nicht aus des Dichters eigener Erfindung, auch nicht aus seinen gewöhn-
lichen Quellen herrühre, ticweisl der starke Alistaiid dieser emptindungsvoll
und lebendig vorgetragenen Erzählung von der sonstigen Dürre des Quin-
tus. Köchly (Proleg. ad Q. p. XXX; Anni. zu X 440. 454 f. p. 470)
»irheint die ganze Erzählung für eine Nachahmung der Schilderung des
A pol Ion ins IV 41 ff. von der Entweichung der Medea aus ihrem väler-
liciien Hause zu hallen. Das mag auch für die von kochly speciell be-
— 111 —
•
schleppt sich der verwundele Paris selbst in das Gebirge zu der
treulos Verlassenen. Erschöpft sinkt er vor ihr nieder; auf sein
Flehen um Rettung weist sie ihn mit harten Worten ab und
liisst ihn ungeheilt abziehen. Bald aber ergreift sie die Reue:
sie eilt in der Nacht durch Berg und Wald, beim Lichte der
mitleidigen Selene, dahin, wo den to<it zusammengebrochenen
Paris die andern Nymphen und die Hirten auf einem Scheiter-
haufen verbrennen. Ohne ein Wort zu sagen, verhüllt sie sich
das Haupt und springt, eine troische Brunhild, in die Flamme,
die den inmier noch Geliebten, der Treue in den Armen einer
Andern Vergessenen verzehrt^). Mit noch feinerer Berechnung
•
zeichneten Verse des Qu intus zugestanden werden; alles Uebrige, und über-
haupt die Erzählung im Ganzen genommen, dürfte eher einer besonderen,
je<ienfalls aber alexandrinisetien Darstellung jenes tragischen Endes des
Paris und der Oenone entlehnt sein. Dass eine epische Darstellung dieser
Seenen in alexandrinische Zeit geliören müsse," bedarf keines besonde-
ren Beweises ; die besondere Art der Dichter gerade jener Zeit zeigt sich
übrigens auch deutlich genug in der ganzen Anlage der Erzählung: wovon
unten ein Wort. Dass aber die ganze Partie aus einer speciellcn Darstel-
lung von Quintus ziemlich unbesonnen seinem Gedichte eingefugt sei.
scheint (ausser der unverhHltnissmässigen Ausführlichkeit der, in dem Gan-
zen dos Gedichtes des Quintus durchaus nebensächlichen Seenen) die son-
derbare Prophezeihung der Hera und der Moeren' (343 fT.) zu l)eweisen.
Dort werden allerlei zukünftige Ereignisse (Hochzeit der Helena und des
Deiphobus, Zorn des Helenus, Raub des l*alladium; vorausgeseigt, die dann,
seltsam genug, im Verlauf des Gedichtes des Quintus gar nicht eintreffen.
Die Herausgeber haben sich dieses sonderbare Missverhältniss verschie<len
zu erklären gesucht [s. Tychsen p. XLJIl, Köchly p. XXXI f.j; sollte es sich
nicht am einfachsten erklären, wenn man annähme, dass Quintus dieses,
gerade bei alcxandrinischen Dichtern so häutig vorkommende Kunststück
einer göttlichen Voraussagung des Künftigen aus demjenigen Gedicht, dem
er überhaupt diese Episode von der Oenone entlehnte, kurzweg mit herübei-
genommen hal)e, ohne" doch zu bedenken, dass eine solche Prophezeihung,
in einer abgeschlossenen Einzelerzählung als eine Hinweisung auf weiteren
Zusammenhang ganz passend angebracht, in seinem Gedichte überhaupt
absurd war, und ihn vor Allem der genaueren Darstellung der hier voraus
verkündigten Ereignisse nicht üt)erhchen konnte?
1) Häufig folgt (vermuthlich nach Erinnerungen an einen alten Gebrauch}
in heroischen Sagen der Griechen die Gallin dem Gatten in den Tod nach
(Beispiele bei Lasaulx, Aid», il, bayr. Akad. Philos. philol. Gl. VH i^Hh'd\
p. 49). Aber die Selbstverbrennung der Witt>\e ist selten: an Euadne
erinnert Quintus selbst, Vs. 48t. Weniges Andere bei J. (Jrimm . Kl.
Sehr. II M6;.
— 112 ^
scheint ein andrer Dichter den Kampf der beleidigten Gefühle
der Oenone ausgeführt zu haben. Nach einem, zwar nur bei
einem einzigen späteren Zeugen erhaltenen, aber mit grosser
Wahrscheinlichkeit auf die Dichtung eines hellenistischen Poeten
zurückzuführenden Berichte^) hatte Oenone die Leiche des Paris
durch ihre Zauberkriiuter bereits wieder belebt: da sprach er,
mit dem ersten Lebenshauch, den Namen der Helena, der ver-
hassten Nebenbuhlerin, aus, und Oenone liess ihn in den Tod
zurücksinken. —
Den Zusammenhang der hellenistischen Erotik mit der
spiitern Tragödie einigermaassen klar zu machen, mögen diese
Bemerkungen genügen. Wie weit dieselbe nn't andern Dichtungs-
gattungen Ulterer Zeit in der Wahl der Stoffe und der Art ihrer
Behandlung sich berührte, wiire schwer zu bestimmen, und soll
hier auch nicht näher untersucht werden 2j.
I; 8(^hol. Bernens. Lucan. 1X973: Ociionc: ab hac Paris dileclus est:
qui cum a IMiilootele occisus essol , accopluni corpus licrbis quibusdaiii
iiiiiniaverai, rursusquc ouni passa est inori, cum iile reccplo spirilu nomi-
narel lielcnam cum suspirio. »Arlificiosa fabulac forma Alexaiidrini
poetae fabricam tcsLari vulolur: cf. R. ünger, Sinis p. 95«. Uscner p. 343.
(Unger denkt an eine Darstellung des Calliraachus [vgl. 0. Schneider,
Caliim. II p. 74j).
2) Ein gewisser Zusammenhang dieser Dichter mit Slesichorus-lässt
sich nicht verkennen (vgl. das oben p. 98 über Euphorien Bemerkte), nur ge-
rade bei den erotischen Sagen kann man dergleichen nicht nachweisen. —
Die genealogischen Gedichte <ler hcs i od i sehen Schule, namentlich der
KotTo/vOYOc Y'jvotixwv und die Hoiai werden den Erolikern der hellenistischen
/eil vermuthlich mancherlei Themen dargeboten haben. Von solchen Fa-
beln, welche bei diesen Erolikern nachweislich behandelt wurden, finden
sich in den Fragmenten jener hesiodischen Gedichte berührt: Atalantc (T.
des Schoeneus) und Hippomencs, xaraX. Fr. 25. 26. 27 Marksch. (S. frei-
lich Bergk, Gr. L. Gesch. I 4 005.) Theseus und Ariadne: Fr. 4 28. Cyrene
und Apollo, Ecien, Fr. 4 43. — Der später so oft behandelten Sage von der
Liebe der Smynra zu ihrem Vater (Kinyras oder TheiasJ gedachte schon
der Epiker l'anyasis: Apoilodor 111 4 4, 4 (vgl. Funcke, De Fanyas. vita ac
poesi p. 58—64.) — Bei den lyrischen Dichtern scheinen sehr wenig eroti-
sche Sagen vorgekommen zu sein (vom Narcissus erzählte, nach Probus
zu Virg. eci. II 48, »Euriniades»: Simonides macht daraus H. Keil; andre,
ebenso unsichere Vermuthungen bei Schneidewin, Rhein. Mus. N. F. IV
p. 443 f.): am ehesten trifTt man dergleichen bei den Dithyrambikem,
z. n. beim Licynmius (Argynnus und llvmenüus Fr. 5 p. 4252 Bgk.; Nanis
und Cyrus, Fr. ß; Kndwnion Fr. 3), auch bei Philoxenus (Polyphem und
— 113 —
Die ergiebigste Quelle für die gelehrte Dichtung jener Zeit,
und nicht am Wenigsten für die erotische Krzühlungskunst, floss
jedenfalls in den Schriften der historischen und antiquari-
schen Sammler, die aus der Geschichte und aus der sagen-
haften üeberlieferung der einzelnen griechischen Landschaften
ein reiches Material poetischer, von der Dichtung bisher unbe-
rührter, mit alten Sitten und localen Seltsamkeiten vielfach
verknüpfter Erzählungen zusammengetragen hatten, wie sie die
hellenistischen Dichter für ihre dichterischen und gelehrten
Tendenzen gar nicht geeigneter wünschen konnten. Nach der
oben gegebenen Auseinandersetzung bedarf es keines besondem
Beweises mehr dafür, dass gerade auch für erotische Legenden
die Schriften jener Historiker den hellenistischen Dichtern als
reiche Fundgrube dienen konnten. Dass sie dieser Sammlungen
in Wahrheit sich fleissig bedienten, bezeugt uns, deutlicher als
manche einzelne Beispiele eines Zusammenhanges zwischen
Historikern und Dichtern ^) , die kleine Schrift des Parthenius
»Ueber Liebesabenteuer«. Dies ist eine Sammlung erotischer
Sagen, aus Historikern und Dichtern zusammengetragen, zum
Zwecke dichterischen Gebrauches in kurze Excerptenform
gebracht, und von dem Sammler seinem Freunde, dem römischen
Dichter Cornelius Gallus gewidmet, theils um diesem gelegentliche
Anspielungen bei andern Dichtern verstandlich zu machen, theils
Galalca) ; die beicfen, durch Klearch von Soli erhaltenen Bruchstücke des
Lycophronides (Bcrgk p. 4279 f.) sind völlig erotischen Inhaltes, das zweite
einer Erzählung von einem verliebten Hirten entnommen.
1) Z. B. : in der Sage von Paris und Oenone (zuerst erzählt von Hella-
nicus), von Kaunus und Byblis (Aristokritus ::. MiXi^tou, dann Nicander, Par-
thenius u. s. w.). Antheus und Kleoboea (Aristoteles — Alexander Aetolus:
Parthen. 44); Harpalyke und Klymenus (»Dektadas« [Aretadas corrigirt
Gebet] — Euphorion Parth. 4 3), Akamas und Laodicc (Hegesipp Parlh. 4 6
— Euphorion Fr. LV p. 97), Apoll und Daphne (zuerst von Phylarch er-
zählt), Trambelus und Apriatc (Ister bei Tzetz. ad Lycophr. 468 — Eupho-
rion fr. XXI p. 57), Assaon und Niobe (Xanthus h AuSiaxoT; — Simmias von
Rbodus: Parlh. 38), Kephalus und Prokris (in der bei Ovid erzählten Form
schon von Pherecydes [s. Schol. Odyss. XI 324] mitgetheilt). — Als deut-
liches Beispiel für die durchaus qucllenmässige Benutzung von Localhislo-
rikern muss uns, auf einem anderen Gebiete, die Arbeit des Apollonius von
Rhodus dienen. Sicherlich nicht weniger sorgtältig arbeitete Kallimachus.
(Seine 'ExaXT] war vielleicht auf eine Erzählung des attischen Historikers
Philochorus begründet: s. Naeke, Opusc. H p. 4 4).
Bohde, Der griechische Roman. S
— 114 —
um ihm als eine MaterialiensaiiimluDg für eigne elegisc*he oder
epische Erzählungen erotischer Abenteuer zu dienen^). Diese
Sammlung ist uns in dreifacher Beziehung sehr werthvoll. Sie
gewahrt uns den klarsten Einblick in die Arbeitsweise der
gelehrten hellenistischen Erotiker; sie legt zugleich das be-
stimmteste Zeugniss ab fUr den genauen Zusammenhang der
römischen Kunstpoesie der beginnenden Kaiserzeit mit der
alexandrinischen Dichtung; sie bietet uns in der Fülle merk-
würdiger Liebessagen einen völlig unschätzbaren Stoff zur
genaueren Erkenntniss der sonst nur aus dürftigen Trümmern
uns bekannten erotischen Volkssagen und ihrer Darstellung bei
prosaischen und poetischen Erzählern, ihr Werth wird dadurch
noch gesteigert, dass bei den allermeisten Erzählungen die Quelle^
aus welcher der Sammler sie schöpfte, ausdrücklich angegeben
wird. Man hat nun zwar mit Recht l>ezweifelt, dass diese
Quellenangaben von Parlhenius selbst l>eigesch rieben seien^).
1) Dieses Alles sagt deutlich die Vorrede des Büchleins. FlapHlvioc
Ko|ivT|Xliu FdXXoi yaipctv. MdXiora ool ooxcüv d|>p.fiTT£tv, Ko(>vi^Xtc rd)»Xf, tt,v
dÄpoiöiv TttiN ^ptDTtxuiv ::a1jT)(xdTc»v, eÜNaXeScCp^vo; tu; Z'i ^XtOTa iv ßpayuTaTOi;
dTrlsraXxi. Tot "ydp rotpd tioi toiv tioitjtäv %ti\usa 7o6tcuv, ii.ii ot'^'^o'sXw; )»£-
XcYJi-^va , TtaTavoTjOei; i% Tdivo£ rd rXciOTa , auTto t£ ool rap^arat ci; Irr, xal
O.tfeim dva-yei"' *« p.dXt3Ta iz otOrwv doptöotat H-Tj^t hiä tö pit; TripcTvii to
TTEptrro«* otuToi;, 8 hri tj ixt'i^jyr^, /cipov rept auTÄv ^vv«iT,Hig; ' olovei -[dp Oiro-
jAVT^ixaTicuN Tpcirov auTd O'jvEXeJdpietta, r.n\ aoi vjvi tT|V yp-Jjow 6(Aolav, ci»; lotxe,
7:op£;rrat. — Wo Ich von Horchers Text ab$!e^ichen bin*, habe ich mich
den evidenten Conjecturen von Lnhrs llerodiani scr. tria p. 434 ange-
schlossen.
2) Dass die Aulorenangaben, welche den Erzählungen des Parthenius
im Palatinos am Rande beigeschrieben sind, nicht von Parthenius selbst
herrühren können, hat Horcher kurz bemerkt, Philologus VII 452. N.
Jahrb. f. Philol. LXXXI 452. Erot. scr. gr. I p. V f. Ihm stimmte Mei-
neke bei, Philologus XIV 7. 8. Vgl. auch Cobet, Var. loci. p. 203. Wider-
sprochen haben O. Schneider, Nicandrea p. 28. Bergk, Gr. Litteraturg.
I 233, aber ohne hinreichende Gründe. — Für etwas ältere, alier ebenfalls
fremdartige Zusülze hält Horcher die hier und da eingeflochtenen Bruch-
stücke von Gedichten (p. 16, 40—19. 18, 21—19, 31. 24, 28—25, 20. 82,
6 — 9 seiner Ausgabe). Indessen reicht zu deren Verdächtigung das all-
gemeine Versprechen der Kürze, welches Parthenius in der vorhin mil-
getheillen Vorrede giebt, schwerlich aus. Dass Gallus sogar eher einige
Ausführlichkeil wünschte, deuten zudem die Worte ^.t^os — jicTip/jQ an.
Auch müsste derjenige, welcher jene Verse oingoscliol»on liiitlo, die Absicht
der Täuschung des Losers gehabt haben: sonst hätte er nicht die Verse
— 115 —
Indessen darf man diese Beobachtung nicht dahin missverslehen,
als ob diese, von einem späteren Leser des Büchleins hinzu-
gesehriebenen Notizen unzuverlässige und werthiose Aulosche-
diasmen desselben seien ^) . Man kann sich ihrer, wie dieses
auch in unsrer bisherigen Betraciitung durchaus geschehen ist,
ohne grosse Bedenken als glaubwürdiger Zeugnisse bedienen,
wenn man sich nur einer bestimmten Einschränkung dieser
Glaubwürdigkeit bewussl bleibt. Genauere Ueberlegung macht
es nämlich sehr wahrscheinlich, dass diese Angaben auf einen
gelehrten Kenner äherer Litteratur zurückgehen, der zu den
meisten Erzählungen des Parthenius den Namen eines Schrift-
stellers hinzusetzte, bei welchem er in der That die gleiche
Geschichte, wenn auch vielleicht nicht überall in allen Einzel-
heiten genau übereinstimmend erzählt , angetrofl'en hatte. In
manchen Fällen bleibt es unsicher, ob der Zufall diesen Leser
gerade auf die wirklichen Quellen des Parthenius hingeführt habe.
An der Ehrlichkeit dieses Mannes aber zu zweifeln, hat man
keinen Grund; und so darf man mit Bestinmitheit annehmen,
dass bei den von ihm cilirten Autoren, selbst wenn Parthenius
nicht immer gerade sie , sondern verwandte Berichte benutzt
haben soHte, wirklich im Wesentlichen dieselbe Sage erzählt
worden sei, wie in dem Capitel des Parthenius, zu welchem
unser unbekannter Gewährsmann sie angeführt hat^;.
des Parthenius selbst p. 16, 10 flf. mit den Worten: y.i'^t^ai Ik %ol zap'
tjjxiS o'jTo»; einj?eleilet. Was konnte ihn nber zu einer solchen Absicht be-
wegen? Dass die eingeflochtenen dichterischen Prol)en den Gallus »in der
Freiheit der dichterischen Gestaltung beschränken» könnten, war wohl um
so weniger zu befürchten, da Gallus ja doch seine Dichtungen nur in la-
teinischer Sprache abzufassen beabsichtigen konnte. (Vgl. auch 0. Schnei-
der a. a. 0.).
1) Wie z. B. Urlichs Rhein. Mus. XXVI 595, von Dillhey an die pro-
blematische Herkunft dieser Notizen erinnert, allzu schnell zugiebt.
2) Das oben Bemerkte beruht auf folgenden Erwägungen. Die Quellen-
angaben am Rande der Hs. künncn nicht von Parthenius selbst herrühren :
denn warum waren sie dann unvollständig? warum fehlten solche An-
gaben bei c. 17. 20. 21. 23. 24, und warum würde durch das Zeichen o
^s. Ilercher a. a. 0.) in cap. 10. 12. 30. 32. 36 der Gewährsmann der Kr-
zählung als unbekannt bezeichnet? Warum weichen vollends in c. 11.
14. 34 diese Randbemerkungen von den im Texte selbst gegebenen An-
gaben über die Quellen ties Parthenius ab? wie könnte man es endlich er-
klären, dass zu c. 8 eine Quelle angegeben ist, von der doch ausdrücklich
— 116 —
12.
Die kleine Schrift des Parthenius pflegt in den Sammlungen
der griechischen Liebesromane an die Spitze gestellt zu werden.
Man könnte sich für diese Zusammenstellung verschiedene Gründe
denken. Vielleicht glaubte man, dass in einer Sammlung pro-
hinzugesetzt wird, dass sie In den Namen der Personen von Parthenius
abweiche? Gewiss also rühren, wie Hercher annimmt, diese Citate von
einem späteren Gelehrten her. Aber es sind Iceine Schwindelei täte (wie
z. B. manche Citate in dem Pseudoplutarch »von den Flüssen«, im Pseudo>
apulejus de orlhogr. u. s. w.). Zunächst erweckt schon die Gewissen-
haftigkeit der Angabe bei c. 8 eine günstige Meinung; mehr noch das
Fehlen eines Citates an den soeben genannten Stellen. Wollte der Urheber
dieser Angaben nur mit beliebigen Citaten prunken, so war es ja sehr
leicht, auch an jenen Stellen irgend einen wohlklingenden Büchertitel an-
zubringen. Dazu kommt, dass wir in einzelnen Fällen die Ehrlichkeit der
Angaben controliren können. C. 4 5 wird Phylarch citirt; wirklich erzählt
dieselbe Geschichte Phylarch bei Plut. Agid. 9. Das Citat des Sophokles
bei c. 3 bestätigt Eustathius ad Odyss. XVI 418 p. 4796 (Soph. fr. 24 5a
Ddf.j; vgl. Welcker, Gr. Trag. 248 f. Mit Andriscus Na^ax&v ä c. 9
stimmen überein ot toiv Na£taxä»v ouffpacpei« Plutarch. virt. mul. 4 7. Der
lehrreichste Fall ist c. 28. Von dem Schicksal des Cyzicus erzählt Par-
thenius zwei Versionen. Dazu wird am Rande bemerkt: laropel KOcpoptoiv
*A7:o)Aoi<6pt|), xd V et?); (die zweite Version, von C>z. und Klite) 'AroXXid-
vioc *ApfovauTtxd>v ä. Die Richtigkeit des Citates aus Euphorion bestätigt
Schol. Apoll. Rh. 1 4063 (s. Meiueke, an. AI. p. 44. 42); Apollonius aber
erzählt die Geschichte vom Tode des Cyzicus im Wesentlichen überein-
stimmend mit der zweiten Version des Parthenius (I 936—4 076); nur fehlen
bei ihm einige specielle Züge der Erzählung des Parthenius (KX. reptcyudY)
xol roXXd 7C7Ta>o6paTO und : vuxTojp Xa^oOoa xolc ÄepaitoivlSa^ — ), während man
bei Parthenius die von Apollonius berichtete Verwandlung der Thränen der
Klite in eine Quelle vermisst. Parthenius folgte also offenbar einem an-
deren Gcwährsmanne (etwa dem Kallimachus, der diese Sage in der ATxia
erzählt zu haben scheint: s. 0. Schneider, Callim. 11 p. 70. oder dem
Euanthes [welchen Keil zu schnell in den bekannten Neanthes verwandelt
hat], der sie ebenfalls berichtete: Schol. Ap. Rh. 1 948. 4063 p. 366, 44.
4065. Apoll, scheint in der Hauptsache dem Deilochus gefolgt zu sein:
Schol. I 974. 4 037. 4 039. 4 063. 4 065, freilich nicht unbedingt: s. Schol.
I 964. 966. 989). Derjenige aber, welchem die Quellenangaben verdankt
werden, kannte die wirkliche Quelle des Parthenius nicht, und setzte statt
ihrer das Citat aus Apollonius hin, welches nur im Allgemeinen genom-
men für zutreffend gelten kann. In ähnlicher Weise mögen noch in man-
chen Fällen die Citate nicht die von Parthenius selbst benutzte Schrift,
sondern nur eine solche angeben, die er hätte benutzen können, da in ihr
— 117 —
sai scher Licbeserz<4hlungen Parthenius, als der älteste Erzühler
erotischer Fabeln in prosaischer Form, ganz füglich mit den
eigentlichen Ronianschreibern späterer Zeit vereinigt werden
könne. Aus diesem Gesichtspunkte wäre freilich ein andrer als
ein ganz äusserlicher Zusammenhang des Parthenius und der
wesentlich dieselbe Sage, die Parthenius im Auszug miltheilt, anzulrefTcn
war. Ganz ehrlich deutet der Verfasser der Citato ein solches Verhältniss
selbst an bei c. 8. Ijält man übrigens nur an der Voraussetzung der Ehr-
lichkeit unseres Mannes fest, so ergiebt sich für eine Anzahl von Cilaten
die Vermuthung, dass in ihnen die wirkliche Quelle des Parthenius an-
gegeben sei, aus folgender Betrachtung. Parthenius selbst cilirt im Texte
seiner Erzählungen: Nicacnetus 41. Parthenius H. Alexander Actolus i9,
Ntcander 34, den Verfasser einer Acaßou xtioic 41. Diese Citat«, wie Her-
cher gcthan hat, zu verdächtigen, haben wir keinen Grund. Wenn nun
am Rande ebenfalls, zu c. 4 und 4, Nicaenetus und Nicander citirt wer-
den, so darf man vermuthen, dass diese, an anderen Stellen von Parthenius
thatsächlich benutzten Autoren auch für die in c. 4 und 4 erzählten Sagen
seine wirklichen Gewährsmänner gewesen seien. Ferner erweckt die mehr-
malige Wiederkehr gewisser Autoren das Vertrauen, dass in ihren
Schriften der Urheber der Randcitatc wirkliche Quellen des Parthenius
entdeckt habe. Denn — seine Ehrlichkeit vorausgesetzt — wäre es
wohl irgend wahrscheinlich , dass bei jenen Autoren , falls sie von Par-
thenius nicht benutzt wurden, öfter den von Parthenius wirklich be-
nutzten Berichten Anderer so sehr Aehnliches sich vorgefunden haben
sollte? Aus diesem Grunde darf man wohl für die von Parthenius
thatsächlich zu Rathe gezogenen Autoren halten: Euphorion (citirt
zu c. 43. 16. 28. Davon wird das Citat zu c. 28 anderweitig bestätigt,
wie wir soeben gesehen haben. Auch in c. 4 6 ist vielleicht Euphorion be-
nutzt: der Schluss dieses Capitels stimmt mit Euph. fr. 55 p. 98 überein)
Hermesianax (citirt zu c. 5. 22). Apoll onius Kauvou xtiat; (c. 4. 44).
Kephalon (c. 4. 34). Theophrast? (c. 9. 4 8), namenUich aber Phylarch
(citirt c. 45. 25. 34. Das Citat zu c. 45 wird durch Plutarch bestätigt.
Dass Phylarch von Parthenius wirklich benutzt worden ist, macht auch
c. 28 wahrscheinlich [zu welchem sich in der Hs. kein Citat findet], dessen
Inhalt als aus Phylarch geschöpft sich mit Sicherheit erweisen lässt: vgl.
Müller, F. H. G. I 349. Droysen, G. d. Hellenism. 11 4 88). Dasselbe Ar-
gument gilt übrigens in verstärktem Maasse für die zahlreichen Citate aus
Nicanders 'ETepoio6|i€va und der 'OpviOo^ovia des Boeus, die sich am Rande
desselben Palatinus den Erzählungen des Antoninus Liberalis bei-
geschrieben finden. Wenn die Citate zu beiden Sammlungen etwa — wie
ja wahrscheinlich genug Ist — von demselben Gelehrten herrühren, so
wäre es übrigens wohl möglich, dass dieser seine Kenntniss so zahlreicher
Autoren nicht aus eigener Leetüre ihrer Schriflen, sondern aus irgend einem
Handbuche geschöpft hätte, in welchem bei den einzelnen Fabeln von dem
Sammler die Gewährsmänner derselben bereits vermerkt waren. Auf die
— 118 —
spälgriechischen Liobesromane srinverlirh zu ersehen. Mit grösse-
rem Rechte würde man in (h*r Sammlung des Parthenius,
weniger ihre Form als ihren Inhalt und ihre wesentliche Be-
deutung beachtend , einen Ersatz jener bisher geschilderten
erzählenden Erotik der hellenistischen Dichter sehen, und durch
die Verbindung dieses Vertreters hellenistischer Liebespoesie
mit den spiUgriechischen Romanen der Verwandtschaft dieser
prosaischen mit jener poetischen Liebesdichtung einen prägnanten
Ausdruck geben.
Denn in Wirklichkeit darf man, bei aller Verschiedenheit
in Form und Inhalt, den spälgriechischen Liebesroman als eine
weitere Entwicklung der in der hellenistischen Erotik begonnenen
Bewegung bezeichnen.
Zunächst mag man dies im allgemeinsten Sinne verstehen.
Beide Gattungen erzählender Liebesdichtung verbindet eine
gemeinsame, durch ihren Gegensatz zu der Weise altgriechiseher
Poesie sehr kenntliche Empfmdungsweise.
Ueberall wird auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung
die Poesie von der lebhafteren Kraftäusserung ihrer feurigen
Jugend zu einer ruhigeren Bewegung übergehen; nach der
Schilderung gewaltsam nach aussen und auf die Geschicke einer
grossen Gemeinschaft einwirkender, dem Auge sich in mächtigen
Bildern darstellender heroischer Grosst baten wird sie sich den
stilleren, im engeren Kreise nicht weniger tief empfundenen
Geschicken des Einzelnen und einer äusserlich nur leise bewegten
bürgerlich geordneten Gesellschaft zuwenden. Unverkennbar
bildet in der griechischen Poesie die hellenistische Zeit
die Epoche eines solchen bedeutsamen Ueberganges. Lebt auch
die heroische Poesie der alten Zeit noch in allmählich absterben-
den Nachklängen weiter, so liegt doch die originelle und lebendige
Kraft der damaligen Dichtung in jener idyllischen Richtung
der Poesie, welche sich nicht nur ihr eignes Kunstgebiet in den
eigentlichen »Idyllen« gründete, sondern mit der Naivetät eines
ächten Kunsttriebes auch die alte Götter- und Heroenwell sich
unterwarf. Aus der Verbindung idyllischer Tendenzen und
altmythischer Stoffe erklärt sich am Tiefsten der besondere
Benutzung einer solchen Compilation des Pamphilus scheint die eigen-
thiimliche Angabe zu Anl. Lib. c. 13 hinzudeuten.
— 119 —
Charakter dieser Poesie , ihre eigenthümliche Miltelslelhmg
zwischen altgriechischer und moderner Dichtungsweise ; eben
dieser Charakter spricht sich, wie man leicht versteht, mit einer
concentrirten Deutlichkeit und Bestimmtheit in den erotischen
Erzählungen dieser Dichter aus, welche an einem sagenhaft
überlieferten Stoffe die idyllische Auffassungsweise in einer
fast ungemischten Reinheit darstellen. Es leuchtet ein, dass
diese erotische Dichtung einer von der altgriechischen durchaus
verschiedenen Welt poetischer Empfindung angehört. Hier ist
nicht mehr die machtige, in ihrer eignen KraftfUlle sich genü-
gende Thal, sondern die Leidenschaft die Hauptangelegenheit
des Daseins, und zwar eine solche Leidenschaft, welche von
allen am Wenigsten in weithin sichtbaren, plastisch sich dar-
stellenden Thaten auszubrechen pflegt, sondern in dem Sehnen,
Sinnen und Hoffen, in all den widerspruchsvollen Regungen
ihrer inneren Empfindung ihr eigentliches Leben hat, ein Leben,
welches in der eigenthümlichen Vereinigung eines blinden Triebes
und eines grübelnden Bewusstseins sich zu jenem Selbstgenuss
der Leidenschaft steigert, den man wohl eigentlich mit dem
Namen der Sentimental itHt bezeichnen will. Nun wird aber
ein solcher Uebergang von der Poesie der That zu der Poesie
der Empfindung in der litterarischen Entwicklung eines Volkes
nicht durch die Laune einzelner Dichter herbeigeführt; sondern
er tritt mit einer gewissen Noth wendigkeit überall da ein, wo
die voll entwickelte Cultur eines Volkes schon zur Ueberreife
sich neigt, wo die künstliche Verschlingung der Interessen und
Einrichtungen dem Einzelnen die freie Regung einer grossen
Kraft nicht mehr verslattcn, wo das Ruhebedürfniss eines geal-
terten Volkes die Lust an der That verloren hat, welche es als
eine Zerstörung der ängstlich und fein gewobenen Netze seines
raffinirten Daseins nur fürchten, nicht, wie eine jugendliche
Vorzeit, um ihrer kräftigen Poesie willen freudig bewundern
kann. Indem diese Stimmung unwillkürlich aus der Wirklichkeit
auch auf die Dichtung sich überträgt, ergeht es der Kunst, wie
dem Leben : die Poesie zieht sich in solcher Zeil aus dem äussern
Leben in das Innere der menschlichen Empfindung zurück ; und
da nun alle poetischen Gottheiten aus dem Pandora fasse des
Lebens entflogen sind, so bietet sich der Empfindung einzig die
freundliche Göttin der Liebe dar. welche, als die eigentliche
— 120 —
Poesie des Privatlebens allein zurück geblieben ist. Wenn
somit das Hervortreten der Liebe unter den GegensUinden der
Dichtung, und im Besondern der erzählenden Dichtung eines Volkes
ein bedeutungsvoller Ausdruck einer innerlichen Veränderung
seiner ganzen Empfindungsweise ist, so wird man die alexan-
drinische Erotik und die Liebesromane der spHlgriechischen Zeit
umsomehrals verwandle Symptome einer derartigen Verändt»rung
griechischer Sinnesart ansehen dürfen, weil sie zu der so deutlich
ausgeprägten Abneigung der griechischen Dichtung illterer
Zeit gegen erotische Themen einen, ihre Zusammengehörigkeit
desto deutlicher hervorhebenden, sehr kenntlichen Gegensatz
bilden.
Schon in der Gemeinsamkeit erotischen Erzilhlungsstoffes
liegt also ein Element der Verwandtschaft zwischen den beiden
hier betrachteten Gattungen der Dichtung. Um nun weiterhin
deutlich zu erkennen, ob auch in der künstlerischen Behandlung
dieser erotischen Themen sich ein Zusanmienhang der jüngeren
mit der älteren Erotik erkennen lasse, wUre freilich eine
genauere Kennlniss des eigenlhümlichen Wesens der hellenis-
tischen Erotik erforderlich, als die Ungunst der Ueberlieferung
sie uns verstatlet. Denn da die unmittelbaren Uebcrreste dieser
merkwürdigen Dichtungsweise sich fast durchaus auf zerbröckelte
Fragmente der einzelnen Dichter beschränken, so ist es völlig
unmöglich, den Geist und die künstlerische Besonderheit dieser
erotischen Erzählungen, welche sich ja jedenfalls nicht in den
einzelnen Werkstücken, sondern in ihrer harmonischen und
charaktervollen Zus«)nnnenfUgung zum Ganzen aussprechen
müssten, aus unvermittelter Anschauung zu erkennen. Es ist
aus demselben Grunde unmöglich, die individuelle Verschieden-
heit der einzelnen Dichter und die Wandlungen, welche durch
ihren Einfluss die künstlerische Ausbildung der ganzen Gattung
dieser Erzählungen erfuhr, auch nur in ihren allgemeineren
Umrissen sich klar zu machen; sondern wir sind genöthigt,
diese hellenistische Erotik wie ein einheitliches Ganzes aufzu-
fassen, in welchem wir nicht die charakteristische, ja launen-
hafte Eigenthümlichkeit einzelner dichterischer Talente, sondern
einen gewissen dichterischen Gesammtgeist Ihätig sehen: wie
sich in der Entfernung die Düfte von tausend verschiedenen
Blumen zu einem einzigen allgemeinen Wohlgeruch verschmelzen.
— 121 —
Selbst diesen allgemeinsten Geist und Duft der hellenistischen
Erotik aber können wir nur durch eine künstliche Abstraclion
gewinnen aus den n)annigfaltiü;cn Nachahmungen dieser
Dichtungsweise, in welchen uns spüle re Zeiten einen unvoll-
kommenen Eisatz für den Verlust der originalen Dichtung hinter-
lassen haben. —
Man sollte endlich ein verkehrtes Vorurtheil völlig beseitigen,
nach welchem die künstliche Dichtung der hellenistischen Hof-
poeten nur als die halb kindische Tändelei gelehrter Stuben-
dichter und Zeitvertreib enger Cliquen erscheint. Die wunder-
liche Gelehrtenrepublik, welcher jene Dichter angehörten, stellte
wirklich die Blüthe der damaligen Cultur dar; es ist gar nicht
zu bezweifeln, dass die aus ihren Kreisen hervorgehende Dichtung
den Empfmdungen und dem künstlerischen Geschmack der Zeil
entsprachen, und auch über die engeren Kreise der Colterie
hinaus einer gewissen PopularitcSt genossen, falls man nur
nicht an jene höchste, bildende Popularität der grossen Dichter
aus der Zeit der noch ungebrochenen Einheit griechischer Cultur
denken wiin). Ohne einen derartigen innigeren Zusammenhang
mit der gesammten Bildung damaliger Zeit wHre der bedeutende
Einfluss dieser Dichtungsweise auf die darstellende Kunst der
Zeitgenossen gar nicht zu erklHren, über welchen uns die
Forschungen der letzten Zeit so lehrreiche Aufschlüsse gegeben
haben 2) .
Zeigen uns nun die Wandbilder der campanischen Ruinen-
städte, in welchen die mythologischen Gestalten der hellenistischen
1) Man könnte für diese woilore Wirkung der licllenislisclicn Dichtung
naancherlei einzelne Beweise auflinden. Nicht nur die prolegirenden Könige
hatten zum Thcil ein ernstliches Interesse an cUn- neuen Dichtungsweise
(wie z. B. entschieden Antigonus Gonalas, von den Plolcmaern wenigstens
die drei ersten [vgl. Heyne, Opusc. I p. 89, Vi p. 437" , auch bürgerliche
Gemeinden bewiesen ihre Thcilnahme, indem sie einheimische Dichter ehr-
ten, durch Verleihung des Bürgerrechtes (wie z. B. die Riiodier den Apol-
lonius: vita 11 p. 51, 9 West.) oder Aufstellung seines Standbildes (wie
z. B. die Kot'r den Philetas: Hermesianax bei Alben. XIII 1\ Vs. 75 f.).
Beroerkenswerth ist auch die Notiz des Laerlius (11 133], dass der Philosoph
Menedemus den Antagoras, Aratus, Lykophron zu seinen Lieblingsdichtern
zählte.
2) Vgl. in Helbigs Untersuchungen über die campan. Wandmalerei ganz
vorzüglich Gap. XX-XXIII.
— 122 —
Dichtung wie in doppelter ZiirUekspief^elung in klaren, wenn
aiieh etwas ahf<eblass(en Umrissen uns entgegentreten, wie mächtg
die eigenthUmliche Aufl'assungsweise der damaligen Poesie der
gesammten Phantasie ihrer Zeitgenossen sich bcmitchtigi hatte:
so beweist andrerseits der lilterarischc Einfluss, den sie
zuniirhst auf die römische und weiterhin auf die spHt griechi-
sche Dichtkunst ausübte, wie viele lebendige und Leben er-
zeugende Kraft diese Gelehrtendichtung in ihrer wunderlichen
Hülle dennoch barg. Aus den unter diesem Einfluss entstandenen
Nachbildungen römischer und spatgriechischer Dichter müssen
wir nun wohl oder übel das Wesen der originalen Dichtung
uns annähernd zu vergegenwärtigen suchen. Freilich wird durch
die verschiedenartigsten Bedenken diese Arbeit sehr erschwerl.
Was zunächst die römische Litleratur l>etrifl\ . so unter-
scheidet man leicht zwei Perioden eines sehr verschiedenen
Verhältnisses zu den hellenistischen Vorbildern. Die erste Periode
ist die der ausgehenden Republik. Damals nahm man die über-
mächtig einströmende hellenistische Civilisation mit dem ersten
Eifer der Lernbegier verehrungsvoll und ohne viel Kritik auf, und
suchte auch in der Poesie die neue Weise durch genaue Ueber-
setzungen ') und eine fast ängstliche Nachahmung der Form und
der ganzen Manier hellenistischer Dichtung sich zu möglichst
treuer Nachbildung einzuüben. Wären uns nur etwas zahlreichere
und ergiebigere Ueberreste der Dichtungen dieser von Cicero
verspotleten »Euphorionssänger« erhalten, so würden diese am
Ersten uns ein treues Bild der hellenistischen Poesie, im Be-
sondern auch ihrer erotischen Erzählungskunst gewähren können.
Jetzt müssen uns einige Caiullische Gedichte und die freilich
zeitlich spätere, aber schon durch ihre vielfachen Nachahmungen
Ij Von dergleichen Uebei'setzungen sind (ab{;e8chen von den holperigen
Versionen des Q. Lutatius Calulus aus CalUniachus: Gell. XIX 9, 4 4 u. dergl.)
zu nennen: Calull c. LXVI (LXIV?;; vgl. c. LXV, CXVI ; die üeberseliun-
gen des Varro Atacinus aus Apollonius, Aratus, Alexander 6 Auyvos , später-
hin die Ueherselzungen des Cornelius Gnllus aus Euphorion (s. Moineke,
Anal. Alex. p. 24 f., 78 f.). (Ctilvus, Jo. [s. Luc. Müller, Calull. p. 85]:
Cailimachus 'loO; a^i^t; [0. Schneider, Callim. 11 83 ff.]). — (Jeher das
wechselnde Verbällniss der römischen zu den hellenistischen Poeten (»pri-
mum Graecos vertendo eorum artificio assueverunt, mox imitali sunt,
postremo felicissime aemulati«) einsichtige Bemerkungen bei Merkel zu
Oviils Ibis p. 339 IT.
— 123 —
des Catull ihre Zugehörigkeil zu dieser älteren Diehlungsweise
bekennende pseudovirgilische »Ciris« als Proben jener genaueren
Nachahmung hellenistischer Dichter dienen. Die zahlreichen
andern Genossen dieser dichterischen Gesellschaft sind für uns
kaum mehr als leere Namen, die IJeberreste ihrer Dichtungen
sind auf dem hier eingenommenen Gesichtspunkte uns haupl-
silchlich nur durch die merkwürdige (ileichartigkeil ihres
Tones interessant, welche eben zur Erläuterung ihrer Abhängig-
keit von den gemeinsamen hellenistischen Lehrmeistern dient.
Schon die stark ausgeprägte individuelle Verschiedenheit
der grossen dichterischen Talente in der beginnenden Kaiserzeit
lässl den mittlerweile vollzogenen Uebergang der römischen
Dichter zu grösserer Selbständigkeit erkennen. Zwar blieben
auch in dieser goldenen Zeit ihrer Litteratur die römischen
Dichter Schüler der Griechen und nicht am Wenigsten der Hof-
dichter jener hellenistischen Zeil, deren gesammle Culturzustände
ihrer eignen Gegenwart so verwandt waren. Es ist bekannt
wie Virgil, ein Schüler des Parthenius, nicht nur seinen Lehrer,
vielleicht auch den Euphorien in einzelnen Gedichten nach-
ahmte^), sondern auch in seinem Lehrgedicht dem Nicander'^j,
in seinen bukolischen Dichtungen dem Theokrit folgte. Dieses
letzte Beispiel zeigt aber zugleich sehr deutlich, wie der römische
Sinn und die persönliche Befähigung des Dichters seinen griechi-
schen Stoffen einen ganz neuen und selbständigen Geist einzu-
hauchen wusste ; und mit gleicher und grösserer Freiheit mögen
sieh andre römische Dichter jener Zeit ihren griechischen Vor-
bildern gegenüber gestellt haben. Namentlich hiehen sich die
elegischen Dichter von einer ängstlichen Nachahmung ihrer viel
bewunderten und gepriesenen Vorbilder und Muster, Philelas
und Kallimachus, sicherlich frei, um so mehr, weil die nächsten
Anlässe ihrer Gedichte in ganz wirklichen und persönlichen
GemUthszuständen lagen, welche einen zwar durch griechische
Kunst temperirten und zierlich gebildeten, aber doch ganz indi-
viduellen Ausdruck erforderten. Kann man aus diesem Grunde
die Gedichte des Tibull und auch des viel gelehrteren Properz
nur mit grosser Vorsicht zur Reconstruction des Geistes der
1) S. Meineke, Anal. Alex. p. S72. 285 f. 36 f.
2) Vgl. 0. Schneider, Nicandrea p. 74.
— 124* —
Elegik hellenislischer Dichter benulzen, so fällt in den durch-
aus ohne persönliche ßetheili^unf; des Dichters, nur aus will-
kührlieher Phantasie j;edichtelen*i Liehesgedichlcn des Ovid zwar
dieses Bedenken fort: in diesen hat aber wiederum jener
Jircnnende Farbenglanz der ganz specifisch römischen Lebens-
zustiinde welcher sie für die cuUurhistorische Erkenntniss der
beginnenden Kaiserzeil so unschätzbar werthvoll macht, doch
die zarteren Töne der hellenistischen Elegiker unkenntlich
gemacht, denen Ovid gleichwohl so viel verdankt.
Für unsre Zwecke übrigens könnten diese Elegiker jeden-
falls nur einzelne Farben und Züge herleihen. In grossen Zügen
muss uns die eigentliche Kunst hellenistischer Erzählungsweise
das grosse Werk der Metamorphosen des Ovid anschaulich
machen. Dass diese Dichtung ihrer ganzen Anlage, ihrem StofT
im Ganzen und in seinen einzelnen Theilen nach eine Nach-
bildung ähnlicher hellenistischer Dichtungen sei , wird von
Niemanden l)ezweifelt. Auch fllr die grosse Vorliebe der helle-
nistischen Dichter für erotische Sagen giebt diese römische
Nachahnumg das lauteste Zeugniss, da sie selbst eine statlliche
Auswahl solcher Liebeserzählungen darbietet 2; . Wenn irgend
1) Bekannt ist das eigene Gcstandniss des Ovid über die Gegenstands-
losigkeit seiner erotischen Gedictite, Trist.' II 345 ff. Seine Corinna var
ofTenhar nur ein Phantasiegeschöpf, wie dies, genau betrachtet, die Verse
Amor. II 17, 29 f., Art. Hl 588 selbst verralhen. Vgl. Joh. Massen, Vita
Ovidii zum J. 73i U. C. § IV, zum J. 762 § V.
2) Von erotischen Sagen werden folgende in den xMeiamorphosen des
Ovid kürzer oder ausführlicher behandelt: Apoll und Daphne I 452 —
567. Von und Syrinx I 689—712. Juppiter und Callisto: H 409 ff.
Apoll und Koronis II 542 ff. (vgl. Boeus und Simmias von Rhodus bei
Ant^m Lih. 20 extr.) Nyctimene und ihr Vater 11 590 ff. (vgl.
Hygin f. 204). Juppiter und Europa II 845 ff. Juppiter und
Semele: IIl 259 ff. Narcissus UI 339—510 (vgl. Wclcker, A. D. IV
164 ff.: s. noch Nonnus 48, 58t ff. anthol. latin. ed. Riese No. 9. 145.
146. 147. 219. Griechisches Epigramm bei Gramer anecd. Paris. IV p. 886,
16. Beiläufig mag man an diesem phantastischen Mythus [zu dem übrigens
eine arkadische Sage vom Eutelidas ein merkwürdiges Seitenstück bildet:
Plutarch. sympos. V 7, 4. Aelian Fr. 60 lieh.; vgl. Meineke, anal. Alei.
p. 165 f.) die innere Verwandtschaft dieser erotischen Sagen mit der Weise
der späteren Romane sich verdeutlichen, wenn man die limsctzung eben
dieses Mythus in einen ziemlich schaalen Roman völlig im Tone der sophisti-
schen Liebesromane in dem allfranzösischen lai de Narcissc [le Grand
d'AiissN Fabliaux ed. Sbme I 258 ff.] betrachtet.) Pyramus und Thisbe
— 125 —
wo, so mttsste man also hier von dem Geiste der hellenistischen
Erotik eine deutliche Vorstellung gewinnen können. Aber seihst
in dieser bedeutendsten Nachbildung tritt uns die Gestalt der
hellenistischen Dichtung nur wie von einem farbigen Nebel um-
hüllt entgegen. Man überzeugt sich leicht, dass Ovid die freie
IV 55—466. Sol, Leucothoö und Clytie IV HO fT. (vgl. Naeke, Va-
ter. Cat. p. 480). Crocus und Smilax IV ä83 (ein acht alcxandrini-
scher, daher auch bei Nonnus mehrfach ermähnter Mythus: s. Mor.
Haupt, Hermes VII 4872 p. 4 76 ff. Vgl. auch llemsterhusius zu Lucian.
d. deor. 4 4 vol. II p. 288 Bip. Uebrigcns hat in Erinnerung an dieso
Sage Nonnus wohl auch Dion. XLII 34 0 geschrieben: xal xp6xov, t^v
id^^c, :rapd (AiXaxi xaXöv diim , nicht ^<5Sov wie die Hss. und Ausgaben
bieten.) Daphnis IV 276 ff. Salmacis und Herrn aphrodilus IV
285—388. Andromeda und Perseus IV 669 IT. (hier tritt freilich das
Erotische ziemlich zurück). Pluto und Proserpina V 863 fT. Are-
thusa und Alpheus V 578 fT. (s. Cluver. Sicil. ant. p. 456 f., vgl. auch
Boissonade ad Nie. Eug. lY 4 47.) Medea VII 9 ff. Alcidanias und
seine Tochter VII 368 f. (vgl. Ant. Lib. 4.). Menephron und seine .Mut-
ter Vü 886 f. Cephalus und Procris VII 672—862. Scylla und M i-
nos VIH 6—454. Meleager und Alalante VIII 347 ff. Lotis IX 347
(vgl. Naeke Val. Cat. p. 479.) Bybiis und Caunus 1X444—665. Iphis
und lanthe IX 669-797. Apoll und Cyparissus X 406 — 442. Apoll und
Ilyacinthus X 462—249. Pygmalion und seine Statue X 243—297.
Cinyras und Myrrha X 298 — 502. Alalante und Hippomenes X 560—
707. Ceyx und seine Gattin Alcyone XI 44 0 — 572 (ausserordentlich
schön erzählt, wohl nach einem sehr bedeutenden Vorbilde. Wenn 0.
Schneider, Nicandrea p. 68 die Notiz des Probus zu Virg. G. I 399 richtig
deutet, so müsste man an Nicander denken. Vgl. Moschus III 44; Hygin
f. 65 p. 63 Sc'hm.; Mythogr. Vatic. 19.) Aesacus und Hesperie XI
754—795. Acis und Galatea XIII 750 IT. Glaucus und Scylla XIII
900 — XIV 74. (Die schöne Nereide Scilla wird vergeblich geliebt von
Glaucus, jenem in einen Meerdämon vorwandelten Fischer. Gl. wendet
sich um Hülfe an die zauberkundige Circe , welche , selb.st in Liebe zum
Glaucus entbrannt, die Nebenbuhlerin, durch Vergiftung der Meergewiisser,
in jenes homerische Ungethüm verwandelt. Wohl einfach aus Ovid, Hygin
fab. 199 p. 427 Schm. Die Geschichte der Verwandlung des (ilaucus durch
ein Zauberkraut, auf dessen Kraft ihn die Wiederbelebung darauf gelegter
todler Fische aufmerksam gemacht hat, ist ein altes Miirchen, dichtori.strh
aufgefasst bereits in dem FXaOxo; Ilövrio; des Aeschylus und bei Findar;
es findet sein Seitenstück in dem hochalterthümlichen Märchen von der
Wiederbelebung des Glaucus, Sohnes des Minos, durch Polyidus [Apollodors
III S, 4; Hygin f. 4 36.], welches ebenfalls dramatisch behandelt worden
war von Sophokles und Euripides [Weicker, Gr. Trag. 767 fT.]. Wie aber
in dieser letzten Sage tin welcher bisweilen, statt des Polyidus, Aesculap
eintritt: s. Bergk, Aristoph. fragm. p. 4 4 35 und Apollodor. III, 4 2, 3, 42]
— 126 —
Bewegung seiner eignen reichbegablen \atur durch die Manier
seiner Vorbilder durchaus nicht binden lässl. Die Sliirke seines
Talentes aber liegt in der unvergleichlichen Leichtigkeit eines
breiten und geistreichen Pinsels, in der Beweglichkeit und un-
versieglich strömenden Ftille sichrer und sinnlich reicher Ge-
staltungskraft, welche in dem übermtithigen Behagen ihres
üppigen Phantasiespieles vielleicht nur bei A riosto ihres Gleichen
findet. Kauu) lässt sich ein stärkerer Gegensatz denken als
zwischen der stets lebendigen, wenn auch zuweilen etwas leicht-
fertig gewandten Arbeit dieses dichterischen Luca fa presto und
der mtlhsam sorgftlltigen, schwerflüssigen , nur stockend sich
bewegenden Arbeit der hellenistischen Musterpoeten ^;. Da nun
die Kraft des Krautes erkannt wird, indem eine Schlange es geschleppt
bringt, auf eine todte Gefährtin legi und diese belebt: so wusste eine lydi-
sehe Stkiie von einem Kraule balis [vgl. Langkavel, Botanik d. spät. Gr.
n. 100, 5], dessen Wunderkraft ebenfalls durch die Wiederbelebung einer
Scldan^^e durch die andere erkannt und dann am Tylos erprobt wurde : s.
Xanthus Fr. 16 [vgl. über T6X(dv auch Nicol. Damasc. Fr. 49 § 37, Fr. hisl.
111 383\ mit dessen Bericht die Erzählung des Nonnus Dion. XXY 451 — 551
ohne Zweifel zu combiniren ist. Das hohe Alter dieser Form des Märchens
beweist dessen Vorkommen bei vielen Völkern : deutsch , »die drei Schien-
genblütler« Grimm K. M. 16, und dazu Grimms Anm. l\\ p. 26; MüllenhofT,
Schleswigholstein. Sagen p. 419 f.; Andres bei v. Hahn, Neugriech. Märchen
I p. 56. — Von dem unsterblich machenden Kraule halte auch Alexander
Aelolus im 'AXieuc erzählt : Alben. VII 296 E ; an einem Hasen erkannte
dessen Kraft Glaucus nach Nicander ib. 297 A; ein Fisch, wie bei Ovid,
ist es z. B. bei Schol. Ap. Rhod. I 1310, Tzetz. Lycophr. 754 p. 769.
Wem Ovid in diesem Theil der Sago folgte, i.sl nicht zu erkennen: nach
Bergk, Anlhol. lyr.« p. XIII wäre Ovid XIII 953 [und damit dann wohl die
ganze Verwandlung des GInucus] aus dem FXaOxo; des Callimachus ent-
lehnt; aber Callim. Fr. 484, von dem uns zudem gar nicht gesagt wird,
dass es im rXiOxo; gestanden habe, zeigt mit Jenem Verse des Ovid doch
nur eine sehr schwache Aehnlichkeil. Die unglückliche Liet>e des Glaucus
zur Scylla war wohl sicherlich ersl ein Zusatz der hellenistischen Poesie:
anmuthig behandellc dieselbe Hcdylo in ihrem elegischen Gedichte Zx6XXT|
, Athen. VII 297, B]. Andere wussten von der Liebe des Glaucus zur
Ariadne auf Naxos, zur Syme, zur II>dne, zum Melicertes zu sagen: Ath.
VII c 47. 48).
1) Diesen Gegensatz mag man sich in prägnantester Form au.sgedrtickt
denken, wenn man, Kallimacluis als typischen Vertreter der hellenisti-
schen Dichtung nehmend, Ovids abschätziges Urtheil über diesen Dichter:
ingenio non vaiet, arte vnlel der trelTenden Bezeichnung des Ovid als
poetaruni i nge n iosissim us bei Senera, (^uaesl. natur. III 27, 13 gegen-
überstellt.
— 127 —
Ovid gerade in den Metamorphosen sein sprudelnd fruchtbares
Talent mit besonders fröhlichem Behagen sich ergehen I^sst, so
wird man das wahre Wesen der seinen Diqhtungen zu Grunde
liegenden hellenistischen Poesien wohl erst durch ein künstlich
vermittelndes Verfahren wie'der erkennen können, welches einige
Aehnlichkeit hat mit dem bedenklichen Versuch, ein, wunder-
licher Weise in die breite und kecke Manier eines FreskogemJlldes
umgesetztes Miniaturbild auf seine ursprünglichen zierlichen
Formen zu reduciren. Ungewiss bleibt, ob zu der hier ange-
deuteten Verschiedenheit des Styls nicht vielleicht gar auch noch
eine weit gehende Freiheil des Ovid in der Veränderung der
ihm durch die hellenistischen Dichter überlieferten Sagenstofl'e
hinzukommt ^) , um die von ihm benutzten griechischen Vorbilder
1) Wir müssen f^estehen, dass über die wirklichen Quellen des Ovid,
sowie über den Grad der Selbständigkeit in seiner Behandlung der einzel-
nen Fabeln, unsere Mittel uns kaum irgend ein bestimmtes ürtheil erlauben
(dürftig und meist aus aprioristischen Betrachtungen von zweifelhaftem
Wertb aufgebaut sind Mellmanns Bemerkungen über diesen Punct: Com-
menl. de caussis et auctorib. narrat. de mut. formis [Lips. 1786] p. 94 (T.j.
Die genaue Yergleichung mit der einzigen einigermaassen reichhaltigen pa-
rallelen Fabelsammlung, derjenigen des Antoninus Liberalis ergiebt, das
merkwürdige Resultat, dass mit dem dort vorzugsweise benutzten Ni-
cander Ovid eine aufTallendc Ueliereinstimmung in der Auswahl der
Verwandlungssagen, aber in keinem einzigen Falle eine völlige Uebercin-
stinmiung in den Einzelheiten der Erzählung zeigt. (Die Angabe des Schol.
Theoer. V 92 über Nicanders Erzählung von der Verwandlung des Blutes
des Adoois in die Anemone ist zu kurz, um erkennen zu lassen, ob Ovid
X 734 ff. gerade ihm folge;. Man könnte geneigt sein, die Abweichungen
des römischen Dichters auf seine in spielender Variirung des überlieferten
Stoffes sich ergötzende Willkür zurückzuführen. Mag indessen auch bei
manchen der Ovidischen Erzählungen ein gewisser Anschein der Wahr-
sclieinlichkeit für diese Annahme sprechen, so sind doch in den meisten
Fällen die Abweichungen des Ovid von Nicanders Berichten theils so fun-
damental und tiefgehend (man vgl. z. B. Ovid IV 389 — 415 mit Ant. Lib. 40
(Plut. Q. Gr. 38, Aelian V. H. 3, 42), Ovid VII 853 ff. mit Ant. Lib. 2«,
Ovid \X 329 ff. mit Ant. Lib. 32 [vgl. B. Schmidt, Volksl. d. Neugr. I 4 22] ,
tlieils wiederum so gänzlich auf gewisse kleine Nebenzüge beschränkt, in
denen eine willkürliche Abweichung von dem Ueberlieferten gar keinen
Zweck und Sinn haben konnte, — dass man vielleicht mit deni gleichen
Ret'ht bezweifeln kann, ob Ovid die TiT£(>oto6p.CNa des Nicander überhaupt
benutzt habe. An dichterischen Melnmorphosensammlungen, denen er die
auch bei Nicander behandelten Sn$;en entlehnen konnte, war ja wahrlich
kein Mangel. {Von gelegentlicher Benutzung der Metamorphosen des
— 128 —
noch mehr zu verdunkeln. Was aber vor Allem in die bei
Ovid reproducirlen hellenislischen Erzählungen einen völlig
fremden Zug hineinbringt, das ist die rhetorische Art des
Römers, welche sich oft sogar in seine ErzUhlung eindriingt,
und in allen GcfUhlsausbrUchen der Helden mit dem frostigen
Schwalle ihrer Ueflexionen, Sentenzen. Antithesen und witzigen
oder pathetischen Pointen jeden ächten und innigen Ausdruck
der Empfmdung fortschwemmt. In dieser Manier des einstigen
Hhetorenschülers liegt viel eher ein Anklang an Euripides
und verwandle Dichter der späteren tragischen Buhne als an
die hellenistischen Vorbilder des Ovid, zu deren charakteristischen
Merkmalen wohl gerade die Abwesenheit einer solclien rauschen-
den Rhetorik gerechnet werden darf*).
Thcodorus redet Probus zu Virg. G. I 399). Verhält sich die Sache aber in
der That so, dann bleibt es durchaus ungewiss, ob und wieweit seine Ab-
weichungen von den uns anderweitig bekannten Berichten launenhafte und
willkürliche oder vielmehr durch die von ihm zu Grunde gelegten, uns
verloi*enen Berichte ihm vorgezeichnet waren. Sicherlich erklären sich
z. B. die Verschiedenheiten zwischen Ovids Erzählung von Iphis und Ana-
xai*ele und des llerniesianax so nahe verwandter Dichtung von Arceophon
und Arsino<$ (s. oben p. 79 (T.) auf diese Weise. — Leber die wirklichen
Autoren des Ovid sollen hier keine Vermuthungen geäussert werden. Bei-
läufig nur will ich auf die auffallende Uebereinstimmung einiger Stellen des
Ovid mit Bruchstücken der Gedichte des Euphorien hinweisen: man vgl.
die Erzählungen des Ovid (VII 407 ff.) und des Euphorien (fr. 28 p. 64 f.:
s. Rhein. Mus, XXVIII 265. 283, vgl. noch Schol. Nie. Alex. 48. 41.
ü. Schneider, Adn. cril. ad Nie. AI. ki p. 277, Lagarde, Ges. Abh. p. 475)
von der Entstehung des aronitum; ferner vgl. Ovid VI 434 f. mit Euphorion
fr. 4 p 40 (vgl. Ovid. her. 11 4 47 ff.). Gleich Ovid (VIII 273 ff, XII 556 ff.)
hatte Euphorion ;fr. 434. fr. 77) die Sagen von der Jagd auf den kalydoni-
schen Eber, von den Verwandlungen dos Periclymenus erzählt; gleich jenem
(XII 4 69 IT.; halte auch Euphorion (fr. 75, vgl. fr. 59) sich des zur An-
knüpfung fremdartiger Sagen so bequemen Mittels bedient, den greisen
Nestor erzählend einzuführen. — Aus den Tifiairc; des Phanocles ist die
Sage vom Cycnus II 367 (f. entlehnt: vgl. Bach zu Phanocl. p. 205 f.
1) Um in dieser Rücksicht sich den Unterschied zwischen der Manier
des Ovid und derjenigen der liellcnistischen Dichter recht klar zu machen,
vergleiche man die vers<-hiedene Behandlung derselben oder nahe ver-
wandter Empfindungen und ihres Ausdruckes bei diesen und jenem: z. B.
die letzte Klage des Iphis bei Ovid, Met. XIV 71 K (f. und die des Lielx^n-
den in der 23. theokritischen Idylle (vgl. oben p. SO A. 4.), die Seelenkämpfe
der Medea bei Ovid, Met. VlJ 4 4 ff. und bei Apollonius B. III (sicher mit
Absicht vermeidet Ovid jeden Anklang an Apollonius : aber wie viel iDoiger
— 129 —
Zu dem, trotz dieser Einschränkun[^en sehr reichen Materiale
welches zur Erkenntniss der hellenistischen Erotik die Gedichte des
Ovid darbieten, bringen die späteren römischen Dichter nur
wenig Neues hinzu: auf die classische Litteratur der augustei-
schen Epoche gestutzt, durften diese von einer unmittelbaren
Nachahmung der Griechen mehr und mehr sich emancipiren.
und tiefer ist die Darstellung des griechisclien Dichters im Vergleich mit
dem aufgeregten Rhelorenpathos der ovidischen Heldin!), die Roden des
Aias und Odysseus heim Wettkampf um Achills Waffen bei Ovid, Met. XIII
und hei Quintus Smyrn. V 181 ff. (sehr gut hat Köchly zu Quintus V 180
p. 278 bemerkt, dass beide Dichter aus gleicher Quelle geschöpft haben —
doch wohl einem hellenistischen Dichter? — Ovid aber durch seinen rhe-
torischen ^Bombast sich von der einfacheren und männlicheren Redeweise
des Quhfilus stark unterscheide). — Ob das Anklingen der ovidischen Rhe-
torik an die tragischen Reden, im Besonderen an die ^riixdria hixvnxd
des Euripides sich aus directer Benutzung von Tragödien erklärt?
Weicker hat in manchen Fällen an eine solche Benutzung gedacht: z. B,
der Niobc des Sophokles (metam. VI 146 ff.: s. Weicker, Gr. Trag, 286 ff.
Die Geschichte der Niobe erzählte von hellenistischen Dichtern z. B.
Euphorion: fr. 135), des Tereus des Sophokles (met. VI 424 ff.: siehe
Weicker, Gr. Trag. 376. El)en hier Vs. 431 f. findet sich ein merkwürdi-
ger Anklang an Euphorion, fr. 4), der PiCot^jaoi des Sophokles (met. VII 179 ff.:
Weicker p. 342), desPalamedes des Euripides (met. XIII 60: Weicker p. 503).
Mau muss aber gestchen, dass ein eigentlicher Beweis für eine solche Annahme
sich nirgends führen lässt. — Hiermit würde die Frage nach den Quellen der
Ovidischen Herotden (richtiger: Epistulae , s. Luc. Müller, Rhein. Mus.
.Will -86) zusammenhängen. Auch hier hat W^elcker die Benutzung-einzelner
Tragödien des Sophokles und Euripides angenommen (epist. IV soll die Phaedra
des Sophokles benutzt sein : Weicker, Trag. 402. S. aber oben p. 37 ; ep. VIII
die Herroionc des Sophokles: W. 221 f.; ep. XI der Aeolus des Euripides:
8. aber oben p. 1 01 A. 2 ; ep. XIII der Protesilaus des Euripides : Weicker 495 ff.
[vgl. die Notiz des Antonius Volscus bei Dillhey, Cyd. 59, Ribbeck, Trag,
lat. ed. 2 p. 116], ep. XVI 39 — 92 der Alexander des Euripides, W." 464):
aber dle«e Annahmen bleiben auch hier ziemlich problematisch. In vielen
dieser poetischen ifioTfidii mag Ovid (und seine Interpolaloren und Forl-
selzer) das Meiste aus eigener Erfindung und den Vorräthen der Redner-
.schule geschöpft haben; einige derselben sind aber so entschieden auf
hellenistische Sagenpoesie begründet (z. B. ohne allen Zweifel ep. 49
[nach Merkels Zählung] Acontius, 20 Gydippe, 17. 18 Leander und Hero;
und doch wohl wenigstens auch 2 Phyllis [s. oben p. 38. 90, und vgl mit
Ep. 2, 121 ff., Ovid, Rem. am. 593—606, dort alier wieder Vs. 597: »Per-
fide Demophoon« surdas clamabat ad undas, mit Callimachus, Fr. 505:
v'jpL^ie Arj(j.ocp^u)v , (Zoixe ^i^e, wohl ebenfalls Worten der klagenden Phyllis
selbst]. 5 Oenone, 10 Ariadne, 11 Canace), dass man auch manche Züge
der Seelenmalerei , der galanten Ansdrucksweise , der in Andeutungen ein-
Rohde, Der griechische Roman. 9
— 130 —
Dagegen spiegeln sich manche Züge der hellenistischen
Erotik in den üeherresten des spUtgriechischen Epos
wieder. Die seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts n. Chr.,
zugleich mit der sophistischen Prosa, wieder aufgelebte epische
Dichtung der Griechen zeigt eine merkwürdige Unsicherheit in
der Wahl ihrer Stoffe. Neben historischen (legenstiinden
unter denen die phantastischen Züge Alexanders des Grossen
mit einer leicht verständlichen Vorliebe behandelt wurden) treten
namentlich gewisse übergewaltige, wegen ihrer formlosen Riesen-
haft igkeit eigentlich völlig unepische Mythen, wie die Sagen
von den Giganten, von den.Thaten des Dionysus hervor. Da-
nel)en aber zeigen dieselben Dichter eine bemerkenswerthe
Hinneigung zur epischen Behandlung zart erotischer Sagen
im alexandrinischen Geschmack. So stellte Soterichus die
Geschicke der Ariadne im Gedichte dar, derselbe auch die
aus Xenophon bekannte Liebesgeschichte der schönen Panthea ^) ;
Tryphiodor hatte die Sage von Pelops und Hippodamia
episch erzaldt, Nestor von Laranda bildete, nach langer Zeil
zum ersten Male, den in hellenistischer Zeit so beliebten Sagen-
stoff der Methamorphosen aus. 2). Ja, selbst der nüchterne
Quintus von Smyrna suchte die Dürre seines troischen Epos
{zeflociitonen sachlichen Erzähl unf; auf die von den Dichtern — denn
zwischen Ovid selbst und den mannichfachen in diesen Briefen thtitigen
jüngeren und geringeren Geistern brauchen wir hier nicht genau zu unter-
scheiden — benutzten hellenistischen Originale vermuthungsweise zurück-
führen darf. Mit grossem Geschick hat in solchem Sinne Dilthey den
19. und 20. Brief zur Reconslruction der Cydippe des Kallimachus benutzt;
und auch für unsere Zwecke werden wir uns somit dieser Dichtungen ge-
legentlich bedienen können. — Eine allgemeine Bemerkung über die Quellen
der s. g. Herolden des Ovid auch bei Merkel zu Ovids Ibis p. 874.
1) Suid. s. S(uTi^{>iyo;. Die Erzählung von Panthea, der Gemahlin des
Abradates, dem sie bis zum Tode treu bleibt, ja im Tode nachfolgt, steht
bei Xenophon in verstreuten Zügen des vierten bis siebenten Buches der
Cyropaedie. Vermuthlich ist die Sage eine freie Erfindung des Xenophon:
jedenfalls war sie späterhin nur aus seiner Darstellung berühmt; vgl. Lu-
cian iniag 4 0, und das, nach Xenophöns Erzählung ausgeführte Bild bei
Philostr. Imag. 1! 9.
2) Suidas s. Neotiop. Ohne rechten Grund führt Niclas zu d. Geoponica
p. 788 und p. 874 die im eilften Buche der Wfur.osiyui (c. 2. 4. 6. 40. 45.
4 7. 4 9. «a. 24. 29) erhaltenen kurzen Erzählungen von Pflanzen-mctamoi^
phoscn auf das Gedicht des Nestor zurück. Es sind dies vielmehr Reste
aus den Progymnasmata eines Rhetors: wovon unten noch ein Wort.
— 131 —
durch die, nach alexandrin ischem Vorbilde ausgeführte Dichtung
von Paris und Oenone zu beleben i).
Offenl)ar hatte man wieder begonnen, die hellenistischen
Dichter zu studiren , welche während der vorangegangenen
poesielosen Zeil ziemlich unbeachtet geblieben waren. Für
eine sehr energische Vertiefung in den Geist der hellenistischen
Dichtung legt denn auch diejenige Dichtung, welche uns nach
Form und Inhalt als Typus und Muster damaliger epischer Poesie
dienen darf, das deutlichste Zeugniss ab, das grosso dionysische Epos
des iXonnus von Panopolis. Dass Nonnus seine buntscheckige
Phraseologie nicht zum geringsten Theil aus einem genauen
Studium hellenistischer Dichter, wie Kallimachus, Apollonius,
Theokrit, Kuphorion, gewonnen hat, ist bekannt. Er entlehnte
aber diesen Mustern mehr als nur einige Redeblumen. Zwar
den Stoff für den Ilauptgegenstand seines Gedichtes, die dio-
nysischen Mythen, werden ihm eher jüngere Dichter (wie
Soterichus, Dionysius^)) dargeboten haben, als hellenistische
Poeten, welche dieses Gebiet selten betraten 3] . Sicherlich aber
benutzte er für die bunte Manuichfaltigkeit der seinem Haupt-
thema als Abschweifungen und Episodien eingeflochtenen Abcn-
]} In den ersten Beginn des wieder belebten Epos gehört der Epiker
Capito, d(!ssen 'EfxuTixa Athenaeus X 425 B erwühnt. (Der Philopappus,
welchem dieser C. nncli Athen. VIII 350 D seine 07:ojjLvr,[i.aTa gewidmet
hatte, ist nach Meinckes sebr wabrscheinlicber Annabme [an. ciit. ad
Atb. p. ^55] nicht verschieden von dem durch sein noch erhaltenes Grab-
denkmal bekannten Sohne des vertriebenen Königs Antiochus Epiphanes
Magnus von Kommagene , dem Freunde des Plutarch : über welchen man
vorzüglich vgl. Herlzberg, Gesch. Griechenlands unter der Herrsch, der
Römer II 843 f.) —
2) Soterichus schrieb Baoaapixa f^xoi Aiovüoiaxa, ßi^Xta o: Suidas. Die
Fragmente der Baozayi'Ad des Dionysius zeigen vielfache Berührung mit
Nonnus: es scheint, dass N. ihnen namentlich in der Darstellung des indi-
schen Feldzuges des Dionysus gefolgt ist. S. R. Köhler, Ueber die Dlony-
siaka des Nonnus p. 44. 42. 52. 54. 55 ff. 62. 63.
3) Indessen schrieb doch Theolytus (vor Apollonius von Rhodus
lebend: Weichert, Leb. d. Apoll, p. 258 f.) Baxyixd ^tttj (ein erotisches
Abenteuer daraus bei Athen. VII 296 A. B.], Ncoplolemus von Faros
(vor Aristopbanes von Byzanz) eine Atovuaia; (Ath. III 82 D) , jedenfalls ein
episches Gedicht: s. Meineke, nnal. Alex. p. 357. Endlich halte Eupho-
rion einen Aiövuoo; gedichtet, dem Nonnus wahrscheinlich Manches ver-
dankt: 8. Meineke a. a. 0. p. 21, Lobeck, Agtaoph. 558, c.
9*
— 132 —
teuer nicht am Wenigsten hellenistische Dichtungen ; und wenn
er diesen in unmittelhnrer Xcichbildung freilich wohl nur manche
beiläufig kurz berührte Sagenerziihlungen entlehnt haben mag,
so führte er doch nach der Analogie hellenistischer Gedichte
numches Abenteuer aus, welches er in seinen allgemeinen Um-
rissen sel))st erfunden haben mochte. Dieses gilt ganz vorzüglich
von den erotischen Abenteuern, welche als erwünschte Ruhe-
punktü an so vielen Stellen den wüsten Tumult seines ruhelosen
Gedichtes unierbrechen ^j . Für die Darstellung solcher Scenen
konnten spateren Dichtern allein die hellenistischen Erzähler
zum Vorbild dienen ; und so zeigen denn auch in diesen Partien
der Dionysiaca die ErzUhlungsweise, die Entfaltung der leiden-
schaftlichen GemüthszustUnde, das ganze Colorit der Darstel-
lung ziemlich deutlich die charakteristischen Merkmale der
von Nonnus benutzten hellenistischen Dichtungen; nur
freilich werden diese Goldkörner älterer Poesie überall
überströmt und umgewirbelt in dem tobenden Erguss dithyram-
bischer Rhetorik, in welchem die Rede des Nonnus, wie in
einem fortwahrenden Taumel trunkener Aufregung dahinbraust.
Zu dieser wilden Manier, welche alle Ruhe und klare Anschau-
lichkeit der Erzählung unmöglich macht, alle Gestalten zu fratzen-
haften Schemen verzerrt, kommt noch, in den erotischen Partien,
eine gewisse Lüsternheit der Darstellung, die man wohl eben-
falls von den aus Nonnus wiederzuerkennenden Zügen der
hellenistischen Erotik abzuziehen hat^).
1) Von erotischen Abenteuern im Gedichte des Nonnus seien hervor-
gelioben : Zeus und Europa B. I , Kadmus und Harmonia B. III. IV. Zeus
und Senieie VII. VIII. Dionysus und Ampclus XI (vgl. R. Köhler, Ueber
Nonnus p. 25.) Kalamus und Karpus XI 870—481. Dionysus, Hymnus, Ni-
caea: XV 169 — XVI 405 (vgl. Köhler p. 74). Morrheus und Chalcomede
XXXIII U3 — XXXV 222. Dionysus, Poseidon und Beroö XLI 230>-262.
399 — XLIII 436. Dionysus und Ariadne XLVII 265—469 (vgl. Köhler
p. 89), Dionysus und Pallene XLVIIl 90—237 (s. Köhler p. 91), Dionysus
und Aura XLVIIl 238 — 942. — Zahlreiche andre erotische Sagen werden
nur heilUufig erwähnt; die meisten habe ich gelegentlich schon berührt.
2) Mit Recht setzt diese Lüsternheit des Nonnus in einen Gegensatz zu
der Weise des Kallimachus Naeke, Opusc. II p. 69. Ebenso frei schei-
nen sich davon aber auch die übrigen Erzöhlcr erotischer Abenteuer aus
hellenistischer Zeit gehalten zu haben ; man wird keine Spur von diesem
aufs höchste unkünstlerischen Fehler in solchen Fragmenten der Dichter
jener Zeit finden, welche einen erzählenden Charakter tragen; ja man
— 133 —
Bei Weilern weniger getrübt tritt uns das Wesen der helle-
nistischen Liebeserzalilung aus dem Gedichte des Mus aus von
der Liebe der Hero und des Leander entgegen. Wenn
dieser Dichter sich von dem Bombast und dem fieberhaften
Pathos der Nonnischen Schule, welcher auch er angehört, fast
völlig frei gehalten, und in seiner zarten und lieblichen, durch
einen Hauch altgriechischer Charis beseelten Erzählung bei
Weitem das erfreulichste Denkmal aus diesem Greisenalter der
griechischen Dichtkunst hinterlassen hat : so darf man wohl den
Grund für diese Vorzüge nicht zuletzt in dem Umstände suchen,
der uns eben sein Gedicht auch in litterarhistorischer Beziehung
so werthvoll macht, darin nämlich, dass er sich weit enger,
als es der unbändigen Natur des Nonnus je möglich gewesen
wäre, an hellenistische Vorgänger angeschlossen hat\). Denn
Musäus hat nicht nur der Kunstmittel seiner hellenistischen
Vorgänger sich bedient, um mit ihnen eine ihren Lieblings-
themen analoge Liebessage auszuschmücken, sondern das Thema
selbst und damit gewiss auch die allgemeine Anordnung der
Erzählung und manche Einzelheiten der Darstellung einem
hellenistischen Dichter entlehnt 2). Auf die einstige Existenz
eines älteren Gedichtes von dem Liebesbunde des Leander
•
und der Hero weist uns allerdings in unsrer hier seltsam
lückenhaften Ueberlieferung keine directe IS^chricht hin. Aber
es kann nur die Kunst eines Dichters, und zwar eines berühmten
Dichters gewesen sein, welche diese am Hellespont heimische
wird sehr deutlich den Einfiuss der griechischen Vorbilder in der Abwesenheit
der Lüsternheit in den erotischen Kabeln der Ovidischen Metamorphosen
bemerken können, welche gerade hierin einen so kenntlichen Gegensatz zu
Ovids auf Verhältnisse seiner eigenen Pereon und Zeit bezüglichen Gedichten
erotischen Inhaltes, den Amores, der Ars amandi u. s. w. bilden.
1) Auf die von Musäus im Allgemeinen gewiss treu wiedergegebenc
Art der hellenistischen Erotik würde daher auch der, nach meinem Ge-
fühl freilich viel zu harte Tadel zurückfallen, den W. v. Humboldt
(Werke IV p. 189) über die »spielende, kalte, bloss zierliche, und daher
immer kleinliche Manier« ausgesprochen hat, in welcher M. seinen SlofT
behandle.
2) Die meisten Erwähnungen der Sage hat bereits Heinrich in seiner
Ausgabe des Musäus (Hannov. 4 793) p. XLII fl. zusammcngeslellt. Man
wird leicht bemerken, in welchen Puncten seine Sammlungen hier ergänzt
worden sind.
— 134 —
actiologische Loralsage ^) aus ihrem verborgenen Winkel
hervorzog und in ein so strahlendes Lieht stellte, dass gerade
sie, vor so vielen ähnliehen Sagen, als ein typisehes Beispiel
treuer, unersehroekenster, noeh im Tode siegreielier Liebe schon
bei Virgil und Ovid, weiterhin dann bei römischen und griechi-
]) S^c knüpfte sich an einen einsam stehenden Thurm bei Sestos,
'HpoO; r6pYo; genannt Slrabo XIII p. 591), und bildete in späterer Zeil
den wichtigsten Ruliinestilcl für Sestos und Abydos (von beiden Städten
weiss Pomponius Meia II 2, I 19 nichts weiter tu berichten, als dass sie
durch diese Sage berühmt seien;, welche daher das Abenteuer sogar auf
ihren Münzen darstellten (Abydos: Mionnet II p. 637 n. 54. 55 [Septi-
mus Severus] p. 638 n. 58 [Caracalla^ n. 60 Alex. Severus] . suppl6m. V
p. 506 n. 58. 60 ^Scpt. Severus]. Aeltcr scheint die ib. p. 497 n. 3 auf-
geführte Münze zu sein. Sestos: aus autonomer Zeit zwei Münzen bei
Rasche lex. univ. rei. numm. IV 2, 774; aus der Zeit des Caracalla : Mion-
net Suppl^m. II p. 539 n. 97. 98.). — Uebrigens scheint der Thurm der
Hero auch noch in einem andern Sinne ein gewisses Alter der Sage zu
verbürgen. Die uns vorliegenden Versionen wissen offenbar keinen Grund
mehr, aus welchem der Jungfrau dieser einsame Wohnplatz angewiesen
war. Ovid sagt gar nichts darüber; bei Musäus heisst es, sehr wenig klar,
YÖtfxojv doioaxTo; £ouaa irip^ov dlrö irpOY«5v(uN rapa fÜTosi vaTc ^aXdooiQ
(32 f.^, Hero selbst sagt weiterhin, sie wohne dort oruYepaT; ßouXiQOi tox^jotv
(i90j ; ein (irund für diesen »entsetzlichen«, jedenfalls sehr auffallenden
Rathschluss der Eltern wird uns aber nicht mitgctheilt. Dieses einsame
Wohnen der Jungfrau i$t ein altes beliebtes Märchenmotiv ; in griechischer
Sage hat man für die Isolirung der Danae einen besondem Grund er-
funden ; sonst wird vielfach ein Mädchen , um ihre Tugend zu bewahren,
in völliger Einsamkeit erzogen, als ob es nicht anders sein könnte: z. B.
im Märchen des Basile Pentam. I 3 »Pervontoa, im walachischen Märchen
bei Schott n. 27 p. 262 ff., oft in deutschen Märchen und Sagen (einiges
bei Uhland, Schriften z. Gesch. d. Dichtung und Sage III 423. 546). Man
mag sich auch erinnern, dass die weissagende Veleda »in turre« wohnte
(Tncitus bist. IV 65: vgl. Grimm, D. Mylh. p. 85. 86). So wohnt, nach
der Volsungasaga , auch Rrxnhilde in einem (mit der wabernden Lohe um-
zogeuen) » Jungfraucnsaalo ; hierzu bemerkt P. E. Müller, Sagabibl. 11
(übers, von Lange) p. 25 A. 3 : »buur und jomfrubuur, ein besonderes, von
den anderen Gebäuden abgesondertes Maus, worin in alten Zeiten die
Töchter der Könige und der Grossen für sich allein wohnten.« Ob also
dieses einsame Aufwachsen der Jungfrau sich einfach aus ältester Sitte er-
klärt? oder ob dieser oft wiederholte Sagenzug einen tiefer liegenden
Grund hat? (sonderbar motivirt ist er bei v. Hahn, Griech. Märchen N. 48).
Ich will darüber keine Vermutliung äussern; klar ist nur, dass die
Bearbeiter der Sage von Hero und Leander den Grund dieser auffallenden
Isolirung nicht mehr kannten; die Sagenüberlieferung hatte ihn vergessen.
— 135 —
sehen Dichtern bis in späte Jahrhunderte t^efeiert werden
konnte^l. Auf eine bertlhnite Stelle dieses Gedichtes scheint Vireil
sogcir ausdrücklich anspielen zu wollen ; Reminisccnzen an eben
dieses Gedicht mögen den Ovidischen Briefen des Leander und
der Hero zu Grunde lieizen^) ; auch die malerische Darstellung der
Sage, w^elchc uns zwei pompejanische Gemülde zeigen 3), vvilre
1) Virgil. Georg. 111 258—263. (Uichtig Pliilarjiyrius [p. 337 Lion] :
juvenis: Leandri nomen occullat, /lula co^nita erat fabiila; mit ganz ver-
kehrtem Scharfsinn dagegen der Bernei* Scholiasl [s. Hagen N. Jahrb. f.
Philol. Suppl. IV p. 938;: nicht die ab omnibus poells paene cele-
bratam Sage von Hero und Leander, sondern ganz im Allgemeinen ein
Beispiel ungliicklit^her und furchUoser Liebe wolle Virgil l^ezeichnen. Als
ob nicht das Schwimmen im Meer und der Tod im Welleuslurm einzig auf
Leander passtel) Ovid. art. am. II 249. [amor. II 16, 31. 32 scheinen mir
von einem Interpolator herzurühren) trist. 111 10, 41. Vgl. auch Ovid
Ibis 587 f. Sil. ital. Vlll 621. Lucan. IX 955. Stal. Silv. 1 2, 87. Martial.
de spectac. 25a. 25b. Anlipater anthol. Pal. IX 215, 5. Endlich, von Hein-
rich übersehen, anthol. lat. (ed. Riese) 48 (vgl. 199, 89) und Ausonius im
Cupido cruci affixus (id>ll. VI) : dort tritt unter den (zum Theil aus Virgil
Aen. VI 442 IT. entlehnten) dem Eros zum Opfer gefallenen Heroinen auch
die Hero (v. 22. 23) auf.
2) EpI.st. XVII, XVlll nach Merkels Zählung. Mögen diese Briefe (wie
allerdings von dem Briefe der Sappho [vulgo ep. XVJ an wohl alle) auch
mit Ovid selbst nichts gemein hoben , so stannuen sie doch aus der Zeit
der ersten Kaiser (s. Luc. Müller, de re melr. p. L. p. 48; und gehören
also zu den frühesten Zeugnissen für den Ruhm jener Sage, üebrigens
scheinen beide Briefe nachträglich noch durch Interpolationen erweitert zu
sein, mehr noch als der Brief des Leander (in welchem Lehrs, Jahrb. f.
Philol. LX.XXVll p. 54 — 57 vielleicht etwas gar zu radical alle rhetorischen
Auswüchse fortschneidet) die Antwort der Hero, in welcher dem Interpola-
tor anzugehören scheinen v. 3. 4. 71—114. 117—120. 131—142. 146 — 150.
161—170. 485. 6. (Dann liele das anstössige l'lixe 148 s. Lachmann Lucr.
p. 50] dem Interpolator zur Last; der gegen Ovids frühere Kunslübung ver-
slosscnde polysyllabische Pentameterschluss 202 's. Luc. Müller, d. r. m.
225] gehört freilich jedenfalls dem ursprünglichen Kern des Gedichtes an).
3) S. Helbigs Verzeichniss der caiiipan. Wandgemälde N. 1874. 1375.
— Eine merkwürdige Notiz des Domitius zu Stat. Silv. I 2 , 87 berichtet:
Apelles habe die Fabel vom Leander gemall »nobili gloriaa. (Ich kenne
diese Notiz, da mir jener Gommentar des Dom. nicht zugänglich ist, nur
aus Heinrich, Mus. p. XLIII und Welcker). Sollte nicht diese Angabe,
welche Welckern (kl. Sehr. I 203) »keineswegs der Erdichtung verdächtigo
schien, nur aus der in schlechten Hss. des Plinius N. H. XX.XV § 94 vor-
gefundenen verkehrten Lesart entstanden sein, wonach Apelles statt »heroa
nuduroa vielmehr i>Hero et Leandrum« gemalt haben sollte (s. Sillig Catal.
— 136 —
schwerlich ohne vorherjiehende dichlerische Ausbildung der
Sage denkbar. Drängl uns aber alles dahin, so viel Licht von
einer bedeutenden griechischen Dichtung ausgehend zu denken,
so kann über die Periode, welcher eine dichlerische Behandlung
einer derartigen aetiologischen Liebessage zuzuweisen
wäre, nicht der geringste Zweifel bestehen. Ein Dichter der"
hellenistischen Zeil war es, welcher, die ungemeine poetische
Schönheit und Innigkeit dieser Legende erkennend, dieselbe, wie
man glauben darf, mit besondrer Liebe ausbildete; und man
kann wohl ohne sonderliche Kühnheit annehmen, dass ein Ab-
glanz jener alteren Dichtung in der Erzählung des Musüus auf-
bewahrt sei, welcher ein so berühmtes Vorbild sicherlich igno-
riren weder konnte noch auch gewollt haben wird^).
Durch MusHus ül^rigens wurde die Sage den späteren
Griechen im Gedilchtniss erhahen^] , dem occidentalischen Mittel-
artif. p. 72. Vgl. Brunn, Gesch. d. gr. Künstler U206)? — Bemerkenswerth
ist die von Dilthcy, De Callim. Cyd. p. 59 hervorgezogene Notiz des
Antonius VqIscus im Argument zu dem Briefe des Leander, wonach Phi-
iostratus von dem nächtlichen Wagniss des Leander geschrieben haben
soll. Dillhey hält es für möglich, dasi» in einem vollständigen Exemplar
der Philostratischen » Bilder a ein Bild beschrieben worden sei, welches das
Abenteuer des Leander darstellte; und in der That würde der Charakter
einer solchen Darstellung z. B. mit den im 42ten Capitel des Uen Buches
beschriebenen Scenen (»BöaTropo;«) eine gewisse Verwandtschaft zeigen.
1) Kine Bestätigung dieser Annahme eines nähern Zusammenhanges
des Musäus mit einem freilich mit Namen nicht zu bezeichnenden Dichter
hellenistischer Zeit wird, wer die besondre Art der hellenistischen Dichter
recht bedacht bat, auch in dem von Musäus nicht verwischten aetiologi-
schen Charakter der Sage erkennen. Musäus sagt V. 23 fT. : ou V elirore
%el^i (nach S«»slos) irepf^aei;, oi^cö [t-oi xiva Ttüp^ov, ßirr) rote ^Tjoridc HpA
loraTo X6/V0V eyouoa xai TjYe|A<iv£ue' Aedvopip u. s. w. — Hinige dem Musäus
mit dem Dichter der Ovidischen Briefe gemeinsame Züge lassen vielleicht
auf eine Benutzung eines beiden gemeinsamen älteren Originals schliessen.
Man vgl. Ovid XVII 39—42 mit Mus. 322, Ovid XVll U9— 156 mit Mus.
242—214 (s. Dilthey Musaeus p. XIV) Ovid XVIll 4 69 f. mit Mus. 320, vor
Allem aber Mus. 255 oOto; i6is dpixr^; , auTooroXo; , aOt'JpiaTo; vt/j; (vom
Leander gesagt; mit Ovid XVll 148, wo Leander sagt: Idem navigium , na-
vila, vector ero. — Hat man übrigens schon die auffallende Aehnlichkeit
zwischen Mus. 260 — 267 und einer Stelle in dem Gedichte eines unbekann-
ten Verfassers ei; 'AXcpeiov 7:oTafJL<iv, anth. i*al. IX 362 {V. 7 ff.) bemerkt?
{vgl. Ovid, XVll 101 rr.).
2) Auf das Gedicht des Musäus darf man den durch gelegentliche Ao-
— 137 —
aller durch die Ovidischen Herolden; und indem sie sieh nun
in mancherlei dichlerischen Gestallungen durch das Volk ver-
breitete ^) , tönt diese Sage, deren Grundstinimung an moderne
Gefühlsregungen so vertraut anklingt, endlich, aus der eignen
Empfindung des Volkes wunderbar neugeboren, in dem deutschen
Liede von den zwei Königskindern, von einer schwermüthig
stlssen Weise getragen, im Gesauge uns wieder entgegen 2).
spielun^sen der Epigrammatiker des 6. Jahrhundorts (Agathias anlh. Pal. V
2«3, 3 f. Paul. Sil. ibid. V 293, 7. Vgl. auch ibid. IX 381) bezeugten
Ruhm der Sage zurückführen. Aus Musäus auch Nicetas Eugenianus VI
471 — 489. — In dem graecobarbarischen Gedicht xd xaxa HO.i^avopoN xal
XpuöovTCav heisst es von dem Helden, wie er im ' EpojxöxaaTpov umherwan-
delt: eI5e xdxei T^v A^a^^opov ex XU}ou xexo{A(ji^vO'j (v. 455, in Eliissens Anal.
d. mittel- und neugriech. Litt. 5 p. 65) Leander galt also noch damals als
Typus eines Liebeshelden.
1) L'eber Anspielungen romanischer und deutscher Dichter des Mittel-
alters auf die Sage, und 'über Nachbildungen der Ovidischen Dichtung
vgl. V. d. Hagen Gesammtab. I p. CXXVlll IT. K. Bartsch, AIhrecht von
Halberstadt p. XXXIV— XXXVl. p. GGXLVI.
2) Uhland, D. Volksl. N. 91. Die Versionen dieses in ganz Deutschland
und auch in Skandinavien heimischen Liedes zahlt 0. Schade im Weimarischen
Jahrbuchf.d.Spr. III (1855) p. 269— 275 auf. Vgl. Uhland Schriften IV p. 96. (Aus
Dithmarschen : MüUenhofT, Schleswi^holstein. Sagen u. s. w. p. 609,13). Zu einem
eigenthümlichen Irrtbum scheint eine Notiz Gare in de Tassy's in den
(mir nicht zuganglichen) Aventures de Kämrup (Paris 1834) p. II, v. d. Ha-
gen a. 0. p. GXXVIII f. (und darnach auch Schade p. 270) verleitet zu
haben. Mit Berufung auf G. de T. erzählt Hagen, dass »diese Dichtung«
(von Hero und Leander) »weit ins Morgenland« zurückgehe, nämlich bis in
das indische Pendschab, woselbst an den Ufern des Ghinab die analoge
Sage von Htr und Ränjha in Liedern gefeiert werde: von diesem indischen
Liebespaare, behauptet Schade, werde »»dieselbe Geschichte erzählt wie von
Hero und Leander«. Wie weit Garcin de Tassy zu diesem Bericht Ver-
anlassung gegeben haben mag, weiss ich nicht. (Das »Araisch-i mahfil«
[L'ornemenl de l'assemblöe] des [im J. 1809 gestorbenen hindustanischen
Autors] Afros, auf welches er sich, nach Hagens Angabe, beruft, ist, nach
G. de Tassy Hi^t. de la litt, hindoui et hindoust. I p. 31, eine statistisch-
historische Beschreibung von Hindustan;. Ich besitze aber eine im J. 1857
verdffeDtlichte Uebersetzung einer von Macbül Ahmad »im Jahre 1848—49 zu
Delhi herausgegebenen' novellistischen Darstellung jener in Indien so be-
rühmten Sage: »Hir et Ranjhan, lägende du Pendjab. Traduite de l'hin-
doustani par Garcin de Tassy.« Darnach ist der wesentliche Inhalt der
Sage der folgende. Ranjhan liebt die Hir auf den Bericht einiger Fakirs
hin; Hir liebt den Ranjhan, den ihr ein Traumgesicht gezeigt hat (vgl.
oben p. 49). Hir schickt dem Geliebten durch einen getreuen Brahmanen
— 138 —
Zu deu eigen! li<'hen Xaehl)il(Uini;e!i licllenistisrher DichUiitgs-
weise hat man endlich noch inanehe Dichtungen späterer Zeit
hinzuzurechnen, die, auch ohne absichtliche Nachahmung älterer
Vorbilder do<*h \on der einmal zur festen Manier ausgebildeten
und allgemein verbreiteten künstlichen Weise der Erzählung
erotischer Abenteuer beherrscht wurden.
einen Brief, um ihn zu sich zu bitten. R. zieht auch fort, nach der Stadt Jang —
Siviil, llirs Wohnort. U nter>\('gs müsse r den für chtbarangesch^vol-
tenen Fluss Chi nah passiren; er stürzt sich in dicWofien; aus
höchster Lebensjzefahr rettet ihn ein muthi^er SchiflTer. In dem Dorfe, wo
jener ScIjifTer wohnt, treffen sich Hir und Ranjhan. Auf Hirs Bitte macht ihr
Vater den R. zum Hirten seiner Heerden ; sie selbst bringt dem Geliebten
Speise, wird aber daltei ertappt. Hirs Brüder schicken den R. mit seiner
Heerde in einen Wald, wo zwei gewaltige Löwen ihn zerreissen sollen; R.,
»que Dieu avait doue de la force d'un lion noir» tödtet die beiden Un-
gelieuer. Als er ermüdet eingeschlafen ist, stehlen Hirten die Leichen der
Löwen und geben sich als die Ueberwinder derselben aus; Ranjhan, sagen
sie, sei von denselben zerrissen worden. Bald aber kommt R. wohlbehal-
ten zurück, und weist, durch die Ohren und Wedel der Löwen , die er
ihnen abgeschnitten hatte, sich als den wirklichen Löwentödter aus. [Hier
erinnert man sich sofort jenes oben p. 47 berührten, auch in Firdusis
Erzählung von Guschtasp vorkommenden Sagenzuges'. Räuber entführen
dem R. seine Heerde ; auf einem windschnollen Rosse , das ihm Hir ver-
schafft, holt er die Räuber ein, vernichtet sie, und bringt die Heerde zu-
rück. Die Verwandten Hir's, der Verbindung mit R. ungünstig, verhei-
ratheo sie mit einem Manne in Bazaran. R., als Fakir gekleidet, schleicht
sich zu der Trostlosen , sie enlllicht mit ihm. Der Gatte Hir's holt sie ein;
aber durch ein wunderbar ausbrechendes Feuer gemahnt, verbindet der
Raja, >or welchem der Gatte seine Klage angebracht hatte, Hir mit Ranjhan.
Das Paar zieht ab, »mais personno ne sut oü ils ctaient allös, ni cc qu'ils
claienl devenus. On ignore s'ils furcnt engloulis sous la terre ou enlevös
au ciel. 11s furent cachös a Toeil de riiomme comme la tache du pöchö
originel et comme le Simorg dans le Cnucase de la disparition.« — Der
wunderliche Schluss begreift sich vollständig nur aus dem mystischen
Doppelsinn, welchen der Autor durch die ganze Erzählung hindurchklingen
lässt. Eben diese allegorische Absicht mag überhaupt beigetragen haben,
durch Beseitigung mancher feineren , aber allegorisch nicht verwend-
baren Nebenzüge, den genaueren Zu.sammenhang dieser sehr merkwürdigen
Sage aufzulösen, deren hochalterthümliches Wiesen auch durch diese zer-
bröckelte und wie aus halbem und unklarem Verstandniss wieder;:cgebeno
Ueberlieferung deutlich hervorscheint. Leider giebt G. de T. keinerlei
Nachweise über das frühere Vorkommen dieser Legende, von deren hohem
Ruhme Macbiil Ahmad selbst redet: soviel aber ist offenbar, dass mit der
griochischen Sage von Hero und Leander keinerlei nähere Verwandtschaft,
und ausser der zufälligen Aehnüchkeit der Namen Hero und Hir, und allen-
— 139 —
Aus allen diesen Hülfsmilleln nun wird man über das Wesen
der hellenistischen Erotik nianchedei Belehrung gewinnen können,
wenn man vornehmlich die ihnen cjemeinsamen Züije beachtet.
Denn dergleichen, in lateinischen und spätgriechischen Dichtungen
gleichmässig wiederkehrende Züge weisen, da sie jedenfalls
nicht aus der lateinischen Dichtung in die von dieser ganz
unabhängige spälgriechische hinübergetragen worden sind, auf
ein, beiden gemeinsames Vorbild zurück, welches eben kein
andres, als die hellenistische Poesie sein kann, deren Art
und Kunst den späteren Dichtern bis zur Gewohnheit und Manier
geläufig geworden war.
Indem wir nun mit diesen Hülfsmitteln das Wesen der
hellenistischen Liebeserzählung uns nach Kräften zu vergegen-
wärtigen suchen, können wir uns allerdings einen wesentlichen
Unterschied ihres ganzen Grundtones und ihrer stilistischen
Eigenthümlichkeil von derjenigen der späteren Liebesromane
nicht verhehlen.
Die hellenistische Liebcserzählung ging ursprünlich, wie
wir gesehen haben, aus der Elegie hervor, und trug auch in
der Zeit ihrer vollen Blüthe mit Vorliebe ein elegisches
Gewand , welches nun wiederum auf ihren Gang und ihre
Bewegung einen nothwendig bestimmenden Einfluss hatte. Die
Elegie, ursprünglich zum musikalischen Vortrag bestimmt *) ,
falls noch dem durch den Druck hervorgehohencn Zuge von der Durch-
messung des trennenden Wassers (vpl. Ovid. amor. 111 6), kaum eine lei-
seste Berührung stattfindet. — Dagegen zeigt mit der Legende von Hero
und Leander eine >\'irkiiche Aehnlichkeit eine, mir von meinem Freunde
Dr. Andreas nachgewiesene persische Lokalsage, deren H. Brugsch,
Reise der k. preuss. Gesandtschaft nach Persien 1860/61 (L. 1862] I p. 184
gedenkt. Ueber den Fluss Kyzyl-üzen (Amardos) führt, dicht bei Mianöh,
eine Brücke, die »Jungfernbrucke« genannt. Diese Brücke Hess eine Prin-
zessin erbauen, welche in dem, am Ufer gelegenen »Jungfemschloss«
wohnte, um dem am andern Ufer wohnenden Schafer, der bisher zu der
geliebten Prinzessin durch den Fluss geschwommen war, den Liebesverkehr
zu erleichtern. Nun blieb aber der bisher Getreue fort. — Der Vollstän-
digkeit wegen will ich noch erwähnen, dass Garcin de Tassy bist, de la litt.
hlnd. II p. 534 einige Aehnlichkeit zwischen der Sage von Hero und Leander
und einer ebendort von ihm analysirlen hindostanischen Liebeserzählung
»La flamme de l'amour« von Mir Taqui (Ende des 18. Jahrb.) linden will:
eine Aehnlichkeit, die mir durchaus unerfindlich geblieben ist.
1) Da trotz der laut schreienden Zeugnisse noch immer der Ursprung-
— 140 —
konnte freilich l)ei den mancherlei Diensien, zu denen sie von
gnomologisehen und politisch reflectirenden Dichter gezwungen
wurde, einen fast prosaisch nüchternen Redeton annehmen; ein
gewisses latentes musikalisches Element musste sie am sicher-
sten da bewahren, wo sie, in rein poetischer Absicht, zur
lieh vollkommen musikalische Vortrag der Elegie, als eines Gesanges zum
Flötenspiel, hier und da bestritten wird, so mag es nicht überflüssig sein,
die klarsten dieser Zeugnisse aufs Neue zusammenzustellen. Ich will dabei
vom Dvc^o; absehen, wiewohl in Wahrheit IXrfoc nichts anderes besagt als
ToL ^Xe^eta auch, nämlich ein Gedicht im sogenannten elegischen Maasse
(nur dasi« der tkrenetischc Charakter dem ^e^o; so untrennbar an-
haftete, dass man eben darum die durchaus nicht immer und nicht einmal
vorwiegend threnetische Elegie der späteren Zeit mit dem alle, auch die
nichtthrenetischen Gattungen dieser Dichtung umfassenden [ursprünglich nur
das Versmaass bezeichnenden] Namen ^XeYCta benannte. Im weiteren Sinne
können aber auch gelegentlich nichtthrenctische äXe^eta, D^s^oi genannt
werden, wie bei Callimachus fr. 421]. Das Wesen des D^e^o; bezeichnet
aber vermuthlich etwas zuverlässiger als die willkürlichen Hypothesen der
Neueren die Definition des Didymus (ap. Schol.' Arist. Av. 217), wonach
eXe^oi wären ol rpo; auXöv aoö;ji£vot Opfjvot, eine so klare Definition, dass
man wohl von der Unfehlbarkeit einer vorgefassten Meinung sehr stark
überzeugt sein muss, um in dieser Definition die Bezeichnung der IXcyoi
als »trauriger Melodien auf der Flöte« wiederzufinden, die man nun einmal
zu finden entschlossen ist. Wir lassen also den IXe-fo;, das »zum Aulos
gesungene Klagelied« bei Seite; der rein musikalische Vortrag der Elegie
ist auch so hinreichend bezeugt. Als älteste Elegiendichter werden (ausser
Anderen) so unzweifelhafte Musiker wie Olympus und Klonas genannt
(Suidas s. "OX'jixro; , liernclidcs bei Plut. de mus. 3 extr.}. So unzwei-
deutig wie möglich sagt Plutarch, De mus. 8: dv dpyjg i'Kt'fiXoL {jicfieXonoiT]-
[t-hoL ol auXtoool if|oov. Ebendaselbst heisst ihm Sakadas der Argiver, ein
Mitglied der zweiten musikalischen xardsTasK in Sparta , notr^rfjc ^XeYeUnv
[lejxcXoTToiTjjjLivojv. Dieser selbe Sakadas, zusammen mit Echembrotus dem
Arkadier, trug in der ersten Pythias (ol. 48, 3) in Delphi plegien zum Aulos
vor; später schalTte man dort den W^ettkampf in der Aulodie ab, weil dieses
axo'jop.a ouTt eü^Tjjjiov zu sein schien : t] f^p a'jXoiola ji^Xt) xe -^v td oxu^po»-
TüÖTata xtX iXe^eXa 7:pooao<Sp.eva toT; a'jXoi«. Pausan. X 7, 5. Mim-
nermus war ein ttOXr^TTj;: Hermesianax b. Ath. XIII 598 A.; auf seine mu-
sikalische Thätigkeit bezieht sich auch der Spott des Hipponax fr. 96.
Die pai*aenetischen, uns zum musikalischen Vortrag so wenig geeignet dün-
kendcn Elegien des Theognis waren zum Gesang zur Flöte bestimmt;
Vs. 244 fr. sagt er zum Kyrnus: xii ae ouv auXloxoiot Xi^'J^p^^Y^oi; v£oi
(Zvopc; — aaovTai. Vgl. noch Ys. 251. 533. (825) 943. Von den Elegien
des Mimnermus und Phocylides: jAEXoiOTj^fj'^ai tä MipiveppLou xal Owitu-
Xtoou bezeugt Chamaeleo, Ath. XIV 620 C, also: sie seien gesungen
worden, nicht »mit Melodien« nachträglich »versehen« worden, wie
— 141 —
Erzählung verwendet \^^r(le. Eine solche elegische Erzählung
konnte den epischen Stofl* unmöglich mit der Behaglichkeit aus-
breiten, wie das alte Epos; nolhwendig brachte das lyrische
Maass des Vortrags eine Art Bai laden ton mit sich, in welchem
die, im alten Epos so genau und anschaulich geschilderten
sichtbaren Vorgänge der üusserlich wirkenden That in einer
sprungartig vorrückenden Darstellung nur als die Uebergänge
zu den rührenden ergreifenden oder ergötzenden Gefühls-
bewegungen kurz und energisch hingestellt wurden , auf
denen hier der eigentliche Nachdruck und der Glanz der Dich-
tung ruht.
Es scheint, dass in allen Litteraturen, vermöge einer gewissen
nolhwendigen Entwicklung, zwischen die epische Thatsächlich-
keit und die im Roman aufs Höchste entwickelte Kunst der
Darstellung innerlicher Erlebnisse eine derartige halblyrische
K. 0. Müller, Gr. L. G. I 4 89 übersetzt. Tyrtaeus , dXeYeioTioiic xaX auXr^r/jc
bei Suidas genannt, xai Ta ^Xe^eia %aX tol iizt] acptolv (den Lacedaemoniern)
xd dsdizaifrza iQOev: Pausan. IV 15, 7. Derselbe Pausanias erwöhnt IV 46, 7
ein messenisches ao{xa xsl Iq "^[t-äi aoöfievov in elegischem Maasse ; (jLoeiv
kann man nun freilich zur Noth immer mit »lebhaft rccitiren« überscizen:
ob auch ao(xa als Bezeichnung eines bloss recitiren Gedichtes vorkomme,
ist mir doch zweifelhaft. Solon nennt sej^ne eigene Elegie »Salamis« eine
v^z fr. 4. Von dem Vortrag dieser Elegie sagt Demosthenes XIX § 252:
^Xe^eta zoiVjoa« ijße, Plutarch, Sol. 8: is tpoijj oie^fjX^e. (Dass hier von
wirklichem Gesänge, nicht nur von Recitation die Rede sei, beweist Rud.
Prinz, De Solonis Plut. fönt. [Bonn 4 867] p. 3. 4). — Mich dünkt, diese
Zeugnisse reden deutlich. Ihnen entgegen steht einzig die Aussage eines
nicht namentlich genannten Metrikers, der indessen schwerlich vor dem
ersten Jahrhundert unserer Aera lebte (vgl. meine Schrift, De Julii Pollucis
in app. scaen. enarr. fönt. p. 46 Anm.), bei Athcnaeus XIV 632 D. Doit
werden als solche Dichter o\ {xij TrpoaofYOvrec 7rp6; xd TronrjjxaTa jwXtpolav ge-
nannt die Elegiker Xenophanes, Solon, Phocylides, Thcognis, Periander.
Sehen wir auch von Solon und Phocylides (für dessen Vortragsweise doch
vermutblich das Zeugniss des Chamaeleon etwas wichtiger sein dürfte, als
das eines unbekannten Metrikers späterer Zeit) ab, so widerspricht Theo-
gnis ja, in den angeführten Versen, selbst ganz ausdrücklich der Behaup-
tung dieses Anonymus. Vom Xenophanes sagt allerdings Laeriius IX 48:
A^6^ ippa^v^hgi xd ea'jToD, ohne indessen im Besonderen von dessen •
Elegien zu reden, vielmehr in einer,, seine l:rr] tdfißou; und iXe^etac zu-
sammenfassenden Notiz. — Willig angehört, reden die 'Zeugnisse für einen
musikalischen Vortrag der Elegie in älterer Zeit laut und verständlich ; aber
freilieb, man braucht sich nur mit der Watte einer vorgefasstcn Meinung
die Ohren zu verstopfen, um so wenig zu hören wie ein taub Geborener.
— 142 —
Auflösung der epischen Erzühlungsweise sieh stelle, die dann leicht
aus der Sa^ze des Volkes sieh die zu einer solchen Behandlung
einzig geeigneten Gegenstände auszulesen vennag. In der
griechischen Poesie dürfen wir — bei aller Dürftigkeit unsrer
Krkenntnissniittel — diese Mittelstellung der elegischen Er-
zählungskunsl um so zuversichtlicher anweisen, weil nicht nur
die überall in der Kunst dieses Volkes bemerkliche Harmonie
zwischen Inhalt und Form uns auch einen der elegischen (iestah
entsprechenden Geist annehmen lässt, sondern eine solche bal-
ladenartig springende und ungleichmiissige Erzühlungsweisc uns
sogar noch aus den in epischem Maasse geschriebenen eroti-
tischen Erzählungen hellenistischer Manier entgegentritt, welche
auf ihre elegischen Seitenstücke und Vorbilder einen verstärkten
HUckschluss erlauben * .
1) Diese über die Schilderung des rein Thalsächlichen schnell hinweg,
zu den lyrischen Ergüssen der Empfindung oder der Ausmalung patheti-
scher Situationen eilende Darstellungsweise wird man leicht bemerken :
z. B. bei Musüus, in einzelnen Erzählungen des Ovid (z. B. Scylla Metam.
VIU., Byblis IX, Iphis und Anaxarete XIV), ganz vorzüglich aber in der
(^iris. Wie kurz, ja bis zur Undeutlichkeit abgerissen ist in diesem Ge-
dichte die Erzählung der thatsüchlichen Ereignisse (Belagerung von Megäre
119, Verralh der Scylla, Eroberung der Sladt, Strafe der Scylla: 886—390),
dagegen wie breit und reich ausgeführt sind der Scylla nächtliche Klagen,
ihre Unterredung mit der Amme, ihre Klage als Minos sie im Wasser nach-
schleift! Aehnlich in CatuUs Erzählung von Theseus und Ariadne, C. LXIV
53 — 364 ; und sehr auffallend in der elogischen Erzählung des Properz (V 4)
von der Tnrpeja. Vgl. auch des Quintus Erzählung von Paris und Oenone
(oben p. 110 f.). Auch in des s. g. Arislaenetus Paraphrasirung der Cydippe
des Kallimachus darf man violleicht eine gewisse üngleichmüssigkeit der
Erzählung, in der ebenfalls die lyrischen Momente merklich überwiegen,
auf das Gedicht des Kallimachus selbst zurückführen. — Es kommt übrigens,
um die besondere W^eise hellenistischer Erzählung vollends zu befestigen,
noch eine andere Eigenthümlichkeit ihrer Dichter hinzu. Als die Erben
eines unergründlichen Schatzes kunstreichster Sagendichtung der älteren
Zeiten, selbst die Herren eines vielleicht noch grosseren lloiics unausgebil-
deter Volkssagen, zu der, in den alten Sagen des Volkes und der Dichter
völlig nufgenährlon Phantasie gelehrter Kunstgenossen redend, lieben sie es,
nicht den Inhalt der Sage breit und vollständig darzulegen , sondern die
Grundzüge vorauszusetzen, in Anspiolung§n zu erzählen, in prophetischen
Ausblicken weitere Verzweigungen der Sage vorübergehend zu beleuchten,
auf einzelne poetische llühepuncte aber das reichste Licht ihrer Kunst zu
versammeln. liiorübor brauche ich mich nicht weiter zu verbreiten; man
bemerke aber die innere Verwandtschaft dieser Manier mit der (in gewissen
— 143 —
In diesem Ton der Flrziihlung, aus welchem, wie schon
erwähnt, die ursprüngliche musikalische Natur des elegischen
Maasses dunkel hervorklingt, kann allerdings die hellenistische
Lieheserzählung unmöglich das unmittelbare Vorbild der von
der Feindin aller Musik, der Hhetof ik beherrschten Erzähluugs-
weise des griechischen Liebesromans geworden sein ; falls man
ihr nicht doch in ihrer soeben berührten Mittelstellung zwischen
Epos und Roman auch in der Vortragsart eine gewisse Beziehung
und Einwirkung auf diesen letzteren zugestehen will.
Dazu verbreitet der Stoff der meisten hellenistischen
LiebeserzHhlungen ein dem Roman völlig fremdes poetisches
Colorit über die ganze Darstellung. Sind auch eigentlich mythische
Gegenstünde selten, so leben doch viele der hier behandelten
Sagen und Legenden in einer rein phantastischen V^^elt : ganz
der Natur der gerade hier vorzugsweise erwählten Gattung der
Volkssage gemäss, zeigen sie eine gewisse Vorliebe für die freie
Natur und ihr heimliches Leben, besonders für das im Walde
und um verborgne Quellen spielende Zauberwesen der Nymphen
und Nixen *) . Dieses phantastische Wesen hat nun den helle-
nistischen Erzählungen eine Frische und Duftigkeit bewahrt,
welche den späteren Romanen ganz fehlt. Diesen stehen noch
am Nächsten solche Sagen, welche zwar in einer unbestimmten
Vorzeit, aber doch durchaus zwischen Menschen und in mensch-
lichen Verhältnissen spielen : z. B. die von Kallimachus behandelte
Legende von Acontius und Cydippe, oder die Sagen von Pyramus
und Tbisbe^j , von Iphis und Anaxarete, von llero und Leander.
Beziehungen aus ähnlichen Voraussetzungen entstandenen) Erzahlungsweise
der eddi sehen Lieder: vgl. W. Grioim, D. Heldensage p. 363.
1) Die Vorliehe für das Waldleben spricht sehr deutlich aus den zahl-
reichen Sagen, in welchen jungfräuliche Jägerinnen die Heldinnen sind:
wovon unten. Man erinnere sich ferner der oben p. 109 berührten erotischen
Nymphensagen , der an Pflanzen geknüpften Verwandlungssagen (soweit sie
erotischen Inhalts sind, aufgezählt von Naeke zu Val. Cato p. 178 (T.), und
beachte in Ovids Metamorphosen z. B. die Darstellung der Sagen von Nar-
ciss, Callisto, Arethusa, Hermaphrodilus , Acsacus und Hesperie u. s. w.
2) Ovid. Metam. IV 55—166. »vulgaris fabula non est«, sagt der Dich-
ter V. 5Ä: ist es darnach wahrscheinlich, dass bei Plutarch non p. s. v.
scc. Epic. 10, wo neben Xenophons Erzählung von der Panthea s. oben
p. 430) und Aristobuls Erzählung von der heroischen Thebanerin Tinioklen
f«. K. Müller scr. rer. Alex. m. p. 95) als drittes Beispiel berühmter
— 144 —
Diese und ähnliche Liebeserzählungen wird man am ersten als
kleine Romane, und somit wirklich als die ältesten griechischen
Liebesromane bezeichnen können.
Bei solchen Verschiedenheilen in Stoff und Ton der Dar-
stellung weist um desto entschiedener auf eine engere Verw'andt-
Erzählung von wcihlicher Scelengrösse Beiirofi-iro; repl B-ZißT); (so die Hss.:
s. Wyttenbach, Plut. Mor. V p. 466) genannt wird, eine Erzählung des Theo-
pomp von der unglücklichen Liebe des Pyramus und derThisbc gemeint
sei (wie z. B. Dilthey de Callim. Cyd. p. 119 ohne Weiteres annimmt)?
Mir ist es nicht im Geringsten zweifelhaft, dass Plutarch vielmehr die kühne
That der Thebe, Gemahlin des Tyrannen Alexander von Pherae meint,
welche mit ihren Brüdern gemeinsam den Wütherich todtete: Xenoph.
Hell. VI 4, 85—37; Diodor XVI U; Conon narr. 50, Cicero de oflf. II 7,
25; vgl. Ovid, Ibis 319 f.: Lucian Icaromenipp. 15 (s. auch 0. Ribbeck,
Rhein. Mus. XXX 156 IT.}; Theopomp konnte dieses Ende des Tyrannen
nicht übergangen haben fs. fr. 839: vgl. Ribbeck 156. 158): aus ihm mag
Plutarch, Pelop. 18. 31. 35 die pathetische Erzählung von der That der
Thebe entlehnt haben. — Der von Ovid wiedergegebeuen babylonischen
Sage folgt auch Hygin f. 242, Servius zu Virg. ecl. VI 22; sie meint auch
Alcimus anth. lat. 715, 7. 8. R., sowie das Distichon des Avitus, anthol.
tat. 73 I p. 91 R : Pallia nota fovet lacrimis decepta Themislo, Pyramus
heu lacrimis pallia nota fovet [»Thcmisto quae sit nescio» sagt Riese.
Es ist die zweite Gattin des Athamas. welche die Kinder der Ino umbrin-
gen wollte, durch die schwarzen Gewänder aber, welche Ino listiger Weise
den eignen Kindern der Th. angelegt hatte , getäuscht (»decepta« auch
Hygin) vielmehr diese tüdtete: Hygin f. 1. 4. Vgl. Welcker gr. Trag. 616.]
Es gab aber auch eine ganz andere, cilicische Sage, wonach »Thysben
apud Ciliciam in fontem et Pyramum inibi in fluvium (den bckannlen
Strom in Cilicien, von dem Strabo p. 52 f. p. 563 redet, ohne dieser Sage
zu gedenken) resolutos dicunt«: so die Pseudoclemenlinischen Recognitiones
X 26 p. 234 Gersd., in eiper merkwürdigen Aufzählung von Metamorpho-
sen, die in der entsprechenden Stelle der Homilien fehlen. Von Entlebr
nung aus Ovid (von der z. B. Lehmann, die Clementin. Sehr. p. 460
redet) kann natürlich gar nicht die Rede sein : vielmehr bezieht jener
Schriftsteller sich auf eine wesentlich verschiedene (der oben p. 94 A. 1 dem
Parthenius vindiicirten Sage von der Komaetho verwandte) Sage von P. und
Tb., die aber wohl ebenfalls durch eine dichterische Behandlung berühmt
geworden war: denn auf eben diese Version der Sage spielt Nonnus wie-
derholt an: Dion. VI 345 f. 851. XU 84 f. Genauer erzählt wird sie übri-
gens von Nicolaus, progymnasm. II 9 (Walz Rhet. I p. 271); vgl. anch
Iliuierius or. 1 § 11. (Thisbe als Quellnymphc auch bei Themistius, or. XI
p. 151 C. Hier mag man sich auch der böotischen |Quell?-]nymphe Thisbe
erinnern: Pau.san. IX 32, 2.). — Es verdient, als ein Beweis der fast mo-
dernen Art solcher erotischen Sagen, auch hier hervorgehoben zu werden,
dass die Ovidische Erzählung von P. und Th. im Mittelalter bei französi-
— 145 —
Schaft der älteren und jüngeren griechischen LiebeserzHhlungen
die überraschende Aehnlichkeil hin, mit der in beiden das
eigentliche Liebesabenteuer ausgemalt wird. Die Ueberein-
stimmung der innerlich so nahe verwandten Gallungen griechischer
Dichtung in den Mitteln derTechnik erotischer Erzühlungs-
kunst lässl sich bis in die feinsten Zügfe verfolgen. Für unsere
gegenwärtigen Zwecke mag ein allgemeiner üeberblick genügen ^).
Schon die Art, wie die Dichter das erste Zusammentreffen
ihrer Paare herbeiführen, zeigt eine merkwürdige Gleichförmig-
keit. Wo die hellenistische Erzählung nur irgend in bürgerlichen
Verhältnissen sich bewegt, kennt sie kaum eine andre Gelegen-
heit für das erste Aufkeimen der Liebe, als ein von Jünglingen
und Jungfrauen gleicbermaassen besuchtes Götter fest, welches
mit der jubelnden Lust seiner Menschenmengen, dem Glanz
seiner feierlichen Aufzüge, dem Dampf und Duft der Opfer zu-
gleich einen prachtvollen Eingang für die Erzählung und einen
durch den Contrast sehr wirksamen Hintergrund für die beiden
jugendlichen Menschen bildet, welche durch all das Getümmel
sehen, deutschen und englischen Dichtern sich einer ganz besondern Be-
Hebtheit erfreute: zahlreiche Anspielungen und Nachahmungen verzeichnet
K. Bartsch, Albrecht von Halberstadt p. LX-LXVI; p. CCL— CCLIL Vgl.
Oesterley zu Gesta Roman, append. 35=231 p. 743. Hinzufügen könnte
man noch ein sicherlich aus dieser Sage entstandenes Volkslied »Abend-
gang«, bei Uhland N. 90 I p. 190. Vgl. dazu Uhland Schriften IV p. 89 ff.
— Endlich sei noch einer chinesischen Liebeserzählung »l'ombre dans I'eau«
(bei Abel Remusat, Meianges Asiatiques H p. 339 — 341) gedacht, in welcher
R^musat eine Aehnlichkeit mit der Ovidischen Erzählung von P. und Th.
finden will, die sich aber doch auf einen ganz leisen Anklang reducirt.
1] Hier mag noch einmal ausdrücklich auf C. Dilthey's Buch De Calli-
macbi Cydippa verwiesen werden: in jenem Buche sind zum ersten Male
die vieiraltigen Uebereinstimmungen älterer und jüngerer Erotiker, wie sie
auch ältere Gelehrte in umfänglichen Sammlungen von »Parallelstellen n
hervorgehoben hatten, unter den richtigen und einzig fruchtbringenden Ge-
sichtspunct gerückt worden , aus welchem dergleichen Uebereinstimmungen
einen tbatsächlichen historischen Zusammenhang der Technik erotischer
Schilderung bei hellenistischen Poeten und den Dichtern der prosaischen
Liebesromane erkennen lassen. Indem ich also auf jenes Werk im Allge-
meinen verweise, habe ich auch im Einzelnen das bereits dort angesam-
melte Material nicht wieder hier vorbringen wollen, sondern begnüge mich,
bei jedem von D. genügend behandelten Einzelzuge auf seine Ausführun-
gen hinzuweisen und selber nur, wo ich Neues erweiternd und ergänzend
vorzutragen hatte, den ganzen Beweisapparat anzuführen.
Bohde, Der griechische Roman. 10
— 146 —
hindurch sehnsüchtigen Blickes nur Einer den Andern suchen.
Eben dieses selben Mittels zur Herbeiführung der ersten Bekannt-
schaft bedienen sich unter den uns erhaltenen Bomandichtem
Xenophon von Ephesus, Heliodor und G h a r i t o n *) .
Gewiss liegt der Grund für die Bevorzugung gerade dieser
Einleitung des LiebesverliHltnisses in den, auch in späterer Zeit
wohl nicht wesentlich veränderten thatsächlichen Bedingungen
der griechischen Sitte, welche eine andre Möglichkeit des Ver-
kehrs ehrbarer Jungfrauen und Jünglinge kaum kennen mochte 2).
Immerhin wird man zugeben, dass durch diese Einförmigkeit
des Anfangs eine gewisse Gleichmässigkeit auch der weitem
Entwicklung einer also plötzlich herbeigeführten^ nicht langsam
herangewachsenen leidenschaftlichen Neigung bedingt war.
Sehr charakteristisch ist nun die Weise, in welcher die
Bomandichter die Stimmung des von der Leidenschaft noch nicht
ergriffenen Jünglings auszumalen lieben. Fremd stand er bis
1) Xenoph. I %. 8 (vgl. auch III 3 p. S60, 19 Hercher. V l p. 380, 19)
Heliodor III 4 ff. ^vgl. VII 2, p. 479, 30 Bekker). Chariten 1 4. (vgl. III
6 p. 59, 34 Horcher). Aehnlich dann auch Nicetas Eugenianus III 404 ff.
Auf einige wenige Beispiele solchen Zusammentreffens der Liebenden bei
älteren Erotikern weist schon Dorville zu Chariton p. 47 hin; nach Andern
hat dann Dilthey Cyd. p. 49 f. die reichste Sammlung solcher Erzöhlungen
aus älteren und jüngeren Erolikern zusammengestellt. Hinzufügen mag
man noch: Paris und Helena, Lycophr. 4 06 (vgl. die wunderliche Darstel-
lung des Dracontius, Helena v. 435 ff.) ; Achill und Polyxena, Philostr. He-
roic. XIX 4 4 ; Achill und Deidamia : Slatius Achill. I 285 ff. ; anthol. Palat.
V 494 (dazu Dillhey Rhein. Mus. XXVU 294); Dioscorides ibid. V 53, 4. 2;
vor Allem Plutarch virt. mulier. 42 : xai; Kicov irapA^oi; Ido; f^v, eU Upd
OTjiJL^aia ou(ji::of»e6eodai xol 0(T)(jiepeueiv |xct dXX-fjXwv, ot Ik (xvTjTcfjpe; ddcd>vTo
T:aiCo'J3ac %al yopeuouoo; u. s. w. Vgl. auch Pindar Pyth. IX 98 ff. Plaut.
Cislell. I 4, 94 ff. =- Menandr. fr. ine. XX.XII (IV p. 243).
2) S. Becker, Charikles lll^ 265. So verliebte sich auch Philipp von
Macedonien in die Ohmpias, als er sie bei einem Myslerienfest auf Samo-
thrake erblickte: Plut. Alex. 2. Himcrius or. I § 42 p. 346. — Nur auf
Sklavinnen eines leno passt ein, wie es scheint, in der neueren Komödie
beliebtes Motiv, nach welchem der Jüngling das Mädchen auf ihrem Gange
zur Musikstunde sieht und lieben lernt: vgl. Plautus Rud. 42 ff., Tert.
Phorm. 84 ff. Sehr seltsam, und bei der griechischen Sitte fast unver-
ständlich bleibt die Erzählung des Philostratus imag. I 42 p. 842, 20 (ed.
Kayser 4874): xöptj xal iraTc d[(i.^<ö xaXcu xal cpoixÄvxc Ta6T<|i oioaaxdXtp
7:pooexa6^3av dD.X-/)Xotc u. s. w. Ist etwa auch hier von zwei Unfreien die
Rede?
— 147 —
dahin allen erotischen Regungen gegenüber, ja im selbslgenug-
samen Stolz meinte er wohl gar, die Gewalt des Eros verlachen
zu können. Die plötzlich auflodernde Leidenschaft trifft ihn
nun, als Strafe seines spröden Sinnes, um so härter^:. Hier
bricht bei diesen späten Erotikern eine acht volksthtlmlich
griechische Anschauungsweise durch. Die Griechen scheueten
eine leidenschaftlich heftige Liebe wie eine sinnverwirrende
Krankheit; und doch erschien ihnen ein diesem allgewaltigen
Triebe hart und im Gefühl seiner »Sophrosyne« stolz sich wieder-
setzender Sinn wie eine frevelhafte Hybris 2) , welche von dem
beleidigten Gotte durch Sendung desto härterer Plage bestraft
werde. In zahlreichen Sagen spricht sich diese Scheu vor der
unheimlichen Leidenschaft aus; ganz vorzüglich aber liebten die
hellenistischen Erotiker eben solche Sagen kunstvoll auszubilden,
in denen das vergebliche Ringen einer stolzen »jungfräulichen«
Seele ^) gegen die Macht des Eros warnend dargestellt war. Zu
ihren Lieblingsgestalten gehörten daher spröde, der Artemis und
der männlichen Jagd ergebene, die Aphrodite verachtende Jung-
frauen, welche die Gewalt des Eros endlich doch bezwingt.
Taugten nun auch solche Gestalten nicht in die bürgerlichen
Gemälde der spätem Romane, so klingt diese urgriechische
Gesinnung doch in der anfänglich spröden Haltung ihrer Jüng-
linge nach^j.
1) Xenoph. Ephes. I 1. 2. Heliodor III 17 p. 94, 17 vom Thcagenes:
dei Yo^p SiaTTTÖaai irdaa; xal -^dit.o'^ autiv xai IpooTa; xtX. Charilon II 4, 4 ff.,
VI 4f 5. Vgl. namentlich auch den völlig im Tone der griechischen Ro-
mane geschriebenen Eingang des Apulejanischen Märchens von Amor und
Psyche, Melam. IV 18—31.
2) ol -^dp Kurpiv ttE'j-yovTs; dlv8p<6rcuv df**^ voaoua' 6fi.ot(u; toi; dy^v OTjpw-
uivou Eurip. fr. 431.
3) irapöivov ^'j/TjV eyojv sagt der Euripideische Hippolytus (Vs. 1006)
von sich selbst.
4) Diese stolze Sprüdigkeit gegenüber den Lockungen der Liebe, und
die desto härtere Rache des Eros (N^jxcoi; S' d^iXaasEv (ooOoa sagt in
einem solchen Falle Nonnus, D. XVI 264, XXXVII 423; vgl. Flaccus, An-
thol. Pal. XII 12) bilden das Thema vieler hellenistischen Erzählungen.
So: Apoll und Daphne (Ovid, Met. I 456 ff.: Quid-tibi, lascive puer, cum
fortibus armis u. s. w.) , Iphis und Anaxarele (s. oben p. 80) , Narciss
(wozu WeIcker A. D. IV 164. 165 eine Anzahl ähnlicher Sagenbeispielc
vergleicht). Daphnis (in der bei Theoer. I, Nonnus XV 307, Serv. V. ecl.
10*
— 148 —
Mit der Entstehung der Liebe machen diese Dichter es sich
regeiniüssig sehr leicht. Da giebt es kein allmühliches Wachsen
und Anschwellen einer anfänglich leise antönenden Empfindung,
kein Zagen, Zweifeln und Schwanken; sondern beim ersten Anblick
ist sofort bei Beiden die Neigung entschieden : staunend, und in
seliger Vergessenheit alles Uebrigen heftet Eins die Augen auf das
VlII 6S vorausgesetzten Sage, s. Welcker, Kl. Scbr. I 493 ff.), wohl auch
Leucippus (Hermesianax bei Parihen. 5: denn diesen Sinn einer ursprüng-
lichen Widersetzlichkeit des Leucippus gegen Aphrodite sollen doch wolil
die Worte des Parlhenius [p. 7, 48 Hercher] andeuten: Leucippus habe
sich in seine eigene Schwester verliebt »xaTot fxijviv 'A^ppo^ttr^;«. Vgl. Apol-
lodor III 44, 4, 3 von der Smyrna: aSrrj xaxd (jtf^viv 'A^poSttT); (ou ^dp
auT-^v ^-((Att) (oyci toO r.axpia fpcora), und vor Allem die üt>eraDS zahl-
reichen Sagen, in denen spröde Jtigerjungfrauen von Eros endlich
desto härter gestraft werden. Hierfür hat Dilthey p. 43 einige Beispiele
angeführt: Daphne (vgl. Heibig, Rhein. Mus. XXIV iSi), Syrinx (vgl. ausser
Ovid, Met. I 693, Nonnus, Dion. XL1I 384^390, mit der Moral: vr^Xlec
cblv EpcDTEC, Zxt xpeö;, ^irirÖTC roiviPjv dirp^xTO'j 9iX4t7|to; draitiCouai Y^vat-
xa;). Arethusa (ausser Pausan. V 7, 3, vgl. Ovid, Met. V 577 ff., Schol.
Pind. Ncm. I 4), Rhodopis (Ach. Tat. Vlll 43: vgl. auch Nicetas Eug.
III 364 ff.), Nicaea und Aura bei Nonnus. Man füge hinzu: Atalante im
»Meleaper« des Euripides (s. fr. 539 und Schol. Virg. A. 43, 468), die
von Kallimachus h. Dian. 490 — 334 aufgezählten Begleiterinnen der Ar-
temis: Brilomartis (vgl. Nicander fr. 67 Sehn. Ciris 394 ff.), Kyrene
;s. oben p. 107), Prokris (vgl. namentlich Ovid, Met. VII 745 f.), Atalante^
die Tochter des lasios (die Liebe des Milanion zu dieser spröden Jägerin
ist ein altes, bei den hellenistischen Dichtern vorzüglich berühmtes Beispiel
duldender Liebe: die wichtigsten Stellen citirt Welcker, Gr. Trag. 4330.
Eine Komödie Milanion schrieb Antiphanes: Meineke, Com. 1 335). Dazu
ferner: Arganthone (Parthen. 36), Beroö (Nonnus XLI 330 ff.), Callisto
(Ovid, Met. II 444, Fast. II 453), auch Pomona bei Ovid, Met. XIV 634, Granat
bei Ovid, Fast. VI 4 07 ff. (Ein männliches Seitenstück ist der schon von
den Tragikern gefeierte Hippolytus: vgl. oben p. 34). In allerkenntlichsier
Nachahmung solcher sagenhaften Jungfrauen sagt auch Heliodor von
seiner Chariklen II 33 : dTir^f^oeuTai a'jTijJ Y^^f^^*» *'**^ ripOsveüeiv tov Travra ßiov
oiaictvctai, xai TJ 'ApTljjiioi C^xopov ea'jW,v inooüaa i^tipai; xd TroXXd oyoXdCct
xai daxEi To^eiaN. In ihrem Sinne sagt auch Kalasiris bei Hei. IV 40
p. 4 09, 40: t6 |x£v direipaTOv ^^viadai T?jv dpyt^v £pa>To; eüoaifiON. Vgl.
p. 4 08, 35 ff. — Stets röcht sich die so lange zurückgedrängte Empfindung
durch späten, aber desto heftigeren Ausbruch: voudeTo6(xevo; &' 'Kpo; fidXXov
r(£|[ci, Eurip. Sthenebocn, fr. 668; saepe venit magno fcnore tardus Amor,
Properl. I 7, 36. Vgl. Tibull I 8, 7. 8. 74 ff., Ovid, her. IV 49, Dracon-
tiüs, Epithal. (VI; 4 09. 4 0. Chariton II 4, 5.
— 149 —
Andre*); durch die Augen strömt die Liebe in das Herz 2.
Dieses plölzliche Aufflammen der entschiedensten Leidenschaft
ist auch bei den hellenistischen Erotikern geradezu ein Gesetz
der künstlerischen Darstellung 3) ; aber wahrend diese in alter-
thümlich sinnlicher Anschaulichkeit den Eros selbst hinzumalen
lieben, wie er, von seiner Mutter angeleitet, durch den ver-
hängnissvollen Pfeilschuss diese plötzliche und unabwendbare
Leidenschaft entzündet^) , begnügt sich der Roman, den bereits
1) Xeo. Epb. I 3, 1 : 6pd>9tN dXX-f^XouC) >^al dXtoxerat ^As^eta Otto toO
Aßpox^fxoi», tjTcäTai hk brzh toO 'EpoiTo; 'Aßpoxöfjnr);, %a\ ivstibpa xe ouvc/^ore-
pov T^ »^p"*) **^ d7:a)»Xaf?jvai rfj; ^^eoi; ^WXwv o'ix ihdsaxo, xaTstyc hi aurov
irfui[U\Oi 6 dc^; xtX. Heliodor IV 5 p. 84, 6 ff. : 6pLoO te dXXi^Xou; e({>p(uv
«l vioi xal 'Jjpwv. — Trp&Tov jxev ^o^p ölÄp^ov xi xal iitTOY)fi.ivov ^arrjoav — xai
T06« 69t)a)vfi.O'j; dttvcT« ^tti iroX^ xat' dXXi^Xoav iH)5avTt?, &;7r6p etirou Tvwpt-
Covtf« ^ t^4vT6« irp^TCpov, Tai; (jivV)|i.au dvaircjiTrdCorrE; , eixa ifi£i&(a9av
ßpay6 Ti xtX. Achill. Tat. I 4, 4: db; 5e eiSov, eud^c dTKuXcuXstv * xoXXoc Y^p
^6Ttpov TiTpc6a7t€i ߣXou; xtX. Chariton I 1, 6: ix T6^t); ouv icept Twa xa(ji-
icfjN öTtNooripaN ouvavTwvrec iccpilireoov dXX-fjXoi;, toO ÄeoO TToXiTeuoafji^vou TQvSe
Ti^jv [ouvoJetav (so Cobet, Mnemos. VIII 850)], iV ixd[Tgpo; tÜ) Wpjtp ö'fOiQ*
Toy^oK oOv ird&o; [ipooJTtx&v dvriSoDxaN dXXi^Xotc (so liess wohl auch
Kallimachus den Acontius und die Cydippe durch besondere Veranstaltung des
Eros nach Delos zusammengeführt werden: s. Schneider, Callim. II p. 102).
2) Heliodor III 8 p. 86, 88; 5id täv äcp^aXfjidiv xd Tzd^r^ rate «l/u/ai;
«l«ToSc6ovTai xtX. Ach. Tat. I 4, 4: öcp&aX(ji6c ^dp 65ö; dpcutixtp Tpaup-att
(vgl. bei demselben: I 9, 4 ff., II 18, 4 p. 67, 23. V 13, 4. Philostralus,
Epist. 12, Eustath., Hysm. p. 185, 8. 187, 26 Herch.). Man hat längst be-
merkt (z. B. Jacobs ad Ach. Tat. p. 445), dass der erste Ursprung der-
artiger Redeblumen bei Plato, Phaedr. 251 B zu suchen sei. — S. auch
Xen. Ephes. I 9, 7. 8. Die hellenistischen Erotiker scheinen aber
ähnliche Schilderungen von der Macht der Augen geliebt zu haben: vgl.
Nonnus V 587 f. : xal Ad icairratvovTt cpu-^; e^irdp&CNov tJßiQv 6cp0aXfi.6c irpo-
-xiXcu&o; ifCvexo Trop-Tii? Ipd^rcuv Flepaecpövr^c dxipT^To; (VII 279: ^iXCqi y*P
Ipmc ^^Xe Oa6fi.aTt ^eitoiv), XV 289: ^fi.[i.a — ö/enrjYiv dpcdtcuv (vjjl. XLII 48.
VII 20S). Ovid, her. 12, 36. Meleager, Anthol. Pal. XII 106. Musäus
74. 75. Vgl. die von Heinrich zu Mus. p. 77 citirten Sammlungen älterer
Gelehrten, ferner Dilthey, Cyd. p. 56; auch Valckenaer zu Eurip. Hippolyt.
525 p. 219 (ed. Lips. 1823), Boissonade zu Phitostr. Heroic. p. 640, zu
Nicet. Eugen. II 121 p. 99 f.
3) Vgl. Dilthey, Cyd. p. 56. — Man vgl. auch, was Donatus zu Terent.
Enn. prol. 6 von dem Inhalt der Menandrischen Komödie Odafxa erzählt;
and die feine Ausführung bei Philemon fr. ine. XLIX (p. 414 Mein. ed. maj.):
ip6»ai irdvTCC Ttp&TON, tW I9a6fi.a9av, fTrsiT lice9s(6pY)oav, etT* el; iXirioa dvi-
tctoov * o5tco f (vct ir. to6t(ov Ipo;.
4) Solcl^e anmuthig ausgemalte Scenen, in denen Eros, meist von seiner
— 150 —
vollständig zum allegorischen Schatten gewordenen Gott mehr
im Ilinlergnmde zu halten, und redet nur von seinem ehrgeizigen
Sinne, der an dem schönen Paare ein besondres Beispiel seiner
Macht darzustellen wünscht, und darum eine so plötzliche und
gewaltsame Neigung in ihnen erregt*).
Dass Jüngling und Jungfrau, welche schon durch ihre blosse
Erscheinung eine solche magische Wirkung auszuüben vermögen,
von Gestalt und Antlitz ganz ohne Maassen schön sein mtlssen,
versteht sich von selbst. Diese Schönheit dem Leser vor Augen zu
stellen, sparen die erotischen Erzähler die stärksten Farben
nicht. Noch haben sie künstlerischen Sinn genug, um nicht
mit dem fruchtlosen Versuch einer förmlichen Beschreibung
der körperlichen Erscheinung in das Bereich der Malerei hinein-
zupfuschen : solche Versuche, die doch nur in dem gleichzeitigen
harmonischen Nebeneinander aller Theile beruhende Schönheit
in einer, die einzelnen Stücke und Bestandtheile für sich und
nach einander betrachtenden AufzUhlung anschaulich zu machen^
Mutter schmeichelnd aufgefordert, den verderblichen Bogenschuss Ihut, ge-
hören zu den beliebtesten Prachtstücken der hellenistischen Erotik. VoraD
ging viellcichl Kallimachus in der Cydippe (s. Aristaen. I 10 Init. Vgl.
Dilthey, Cyd. p. 45); vgl. im Uebrigen: Apoltonius Rhod. III 114 — 166.
275 — 287 (Jason und Medea : vgl. Dracontius, Medea 49 fr.], Ovid, Metam.
I 463 (T. (Apoll und Daphne. lieber die hier geschilderten goldenen und
bleiernen Pfeile des Eros, vgl. J. Grimm, Kl. Sehr. 2, 322), V S64— S84
(Pluto), Nonnus, Dion. Vü 110—135. 192—201 (Zeus und Semele), XYI
S— 11 (Bacchus und Semele), XXXIII 64— 194 (Morrheus und Chalcomede),
XLl 399— XLII 39 (Bacchus, Poseidon, Beroii), XLVIII 471-78 (Bacchas
und Aura); solche Vorbilder dann nachahmend: Achilles Tatius VIII 12,
4 — 6 ^Rhodopis und Euthynicus), auch Apulejus, Metam. IV 30. 31 (Psyche).
Vgl. auch Musäus 17 IT. (dort schiesst Eros beide zugleich mit Einem
Pfeile : ebenso Longus 17, 2) ; Dracontius, Hylas.
1) Xenoph. Eph. 1 2: {jLr|Vtet-6 'Epw;* ^tXöveixo; y*P ^ ^*^€ *«^
v»n£pr,9dvoi; dLTrapairrjToc dSorXloac oüv iauTov xal rdoav hGsaitv* ipe>-
TixÄv cpapfjtd'AojN Ttcpi^aXofjicvo; dorpaTeuoEv if 'AflpoxofXT^v. Heliodor IV 1 :
T1Q oe 'jOTCpala t^is U'MotM d^cuv ^Xt^^ev, 6 oe täv vioov dT:if|X(jiaC£v, d-^w^io^sTW^
To;, oifjiai, xal flpa^cjovro; "Epooio;, xal hi dÄXTfjxäiv 56o to'jtcov xal |i4Svo»v
oO; ä^65aTo, [xl^i^rov aYcuvtuv töv toiov aTro'ffjvai ^iXove ix7)oavTo^. Cha-
riten I 1 , 4 : cp i X ö V e i X 0 ; o ioxh 6 "Epto; xal yaipei tou nopao^Soic xatop-
öc(»[i.aaiv. Vorher: 6 o' "Epeo; Ce^To; lotov f^öÖ.Tjoe oupLTrXiJai. VI 4, 5 p. 112, 6:
6 T.pco;, ate o^j «piXöveixoc Äeo;, dlvTiTarr^ixeNOv tocuv xai ßeßouXeupivov, dbc
fjpETo xaXu)C, Eic TO'jvavTtov T^jN t£/v7)v repiitpe^j/ev o'jtijj xtX. Vgl. LonguS
II 27, 2: irapdivov (die Chloö) i^ rfi "Eptu; piOOov roi^iaat Wkei.
— 151 -
bezeichnen erst die leblose Manier byzantinischer Autoren*'.
Dagegen gefallen sich die erotischen Erzähler in den kühnsten
Hyperbeln, in welchen sie die Wirkung der Schönheil auf
1) Lessings Beobachtungen über Homers Enthaltsamkeit in der
Schilderung der körperlichen Erscheinung seiner Gestalten sind Niemanden
unbekannt (s. vorzüglich Laok. § XX). Genau dieselbe Tugend des Homer
hebt übrigens schon Dio Chrysost. or. XXI p. 508. 509 R. hervor. Lessing
stellt der homerischen Weisheit die Manier des Constantin Manasses, auch
de« s. g. Dares Phrygius (c. XH) entgegen, welche, nach Art eines Steck-
briefes, ein ganz genaues Inventar der einzelnen Körpertheile der Helden
ihrer Erzöhlung geben. Ansätze zu einer solchen malerisch sein sollenden Schil-
derung der äusseren Gestalt finden sich (von scherzhaften Personalbeschrei-
bungen bei Komikern [Plaut, merc. 639 u. sonst] abgesehen}, freilich auch bei
viel älteren Autoren : man lese z. B. Chaeremon bei Ath. XIII 608 D, auch
in dem Heroicus des Philostratus etwa die Schilderung des Achill (p. 24 2
Boiss., von Lateinern z. B. Petronius p. 4 74, 4 ff. Buech. Aber allerdings
ist von da aus bis zu jenen, nach Art physiognomonischer Lehrbücher die
einzeihen Bestandtheile der Schönheit trocken aufzählenden Beschreibun-
gen der Byzantiner noch ein weiter Weg. (Näher steht den Byzantinern
schon Aristaenetus 14). Bei diesen bildete sich zumal für die Beschreibung
der Helden des trojanischen Krieges ein fester , im Wesentlichen immer
wiederholter Typus aus (vgl. die Citate bei Meister zu Dares p. 44. 4 5).
Voran steht hier Joan. Malalas (p. 403 ff. ed. Bonn.) , und dieser wendet
dann dieselbe Manier pedantischer Registrirung der Körpertheile bei den
einzelnen römischen Kaisern an. A. v. Gutschmid (Grenzboten 4 863 , I
p. 345) will in dieser Manier einen Anklang an die gleichzeitigen griechi-
schen Romane erkennen. Aber in den sophistischen Romanen wird man
auch nur annähernd ähnliche pedantische Schönheitsregister vergeblich
suchen: dergleichen findet man erst bei Theodorus Prodromus (Rhod. et
Dos. I 39 fr.) und Nicetas Eugenianus (I 423 ff,) , welche aber ihrerseits
sich wiederum an die oben genannte Byzantiner, und keineswegs an ihre
sonstigen Vorbilder in der Romandichtung anlehnen. Wann und woher
solche Auspinselung der dichterischen Gestalten ihren ersten Ursprung ge-
nommen haben, wäre wohl nicht uninteressant zu untersuchen. Vielleicht
darf man einerseits an den Einfluss physiognomischer Lehrbücher, ande-
rerseits an der Einwirkung orientalischer Neigungen denken. Aus mei-
ner sehr geringfügigen, nur ganz gelegentlichen flüchtigen Benutzung ein-
zelner orientalischer Geschichtswerke erinnere ich mich , in diesen genaue
Abschilderungen von Königen, ganz in der Art des Malalas, vielfach ange-
troffen zu haben: z. B. bei Hamza Ispahani. Auch schon in altchristlichen
Erzählungen findet man ähnliche Schilderungen: z. B. in den Acta Pauli
et Theclae § 3 (Tischend. Act. Apost. apocr. p. 44): elBov Ik töv OaOXov
Ip^^fjievov, dtvSpa ji-ixp^v tiq fAe^^^et, ^IiXon tIj xctpaX^, di-ptOXov Tat; xWjiJtat;,
cOrKTtudv, ouNO^puv, fi.ixp(üc ^Trlppivov, yaptto; irXi^pT), oder in dem Martyrium
Bariholomaei § 2 (p. 245 Tisch.). Man erkennt hier eine ganz besondere
— 152 —
Alle die ihr nahe kommen, darstellen^). Wo sie doch einmal
diejenigen Merkmale der Schönheit, in welchen vorztlglich ihr
bewegliches Leben und der Zauber ihrer augenblicklichen
Wirkung liegt, anzudeuten unternehmen, da bewegen sie sich
in den Metaphern einer galanten Kunstsprache, welche in ihrem
wesentlichen Bestände jedenfalls von den Erotikem der helle-
nistischen Zeit ausgebildet und festgestellt war. Absonderlich
lieben sie es, von dem strahlenden Blick der Augen, ihrer
zündenden Gewalt zu reden '^j; von der zarten Farbe der Haut,
Art stilwidrigen Stils, bei dessen Ausbildung nur gewiss keine, selbst spttt-
classische Einflüsse mitgewirkt haben.
1) Xenoph. Ephes. H, 3: f^N Se trepioiro6&aoTo^ diraotv ^EcpcotoUf dXXdxalxoU
Tf|N oXXtjv 'AoCaN olxoüot, xai {jKfdXac ti^ov dv aux«}» toc iXic((a^ Sxt tcoXItt}^ Iooito
iiaf £poiv. Ilpoaci^ov hi d>c i^e«j»T<^ (Mtpaxi(|> * xaX elsiv ffirr^ TtNC« ot xal i:(>ooex6vT)8«v
iMvT6c xal icpoocu^avTO xrX. H , 6 : 6icou 'AßpoxiS^iiT^c ö^dctt), o&cs ärfak\La nakhm
i^atvcTO o5ts elxfbv (des Eros) iinQ^ciTO. Vgl. Meleager, Anthol. Pal. XII 56. 57.
Vgl. femer die Schilderung der Bewunderung der Anthea und des Habro-
comas in Rhodus, Xen. I IS, 4. 3, in Tyrus II i, 4. — Heüodor II 8t p. 7t, 24:
dbpatÖTTjTt oA^ktzoi o&r» ^ Tot xdc iccbac uTUpß^ßXr^xev (Ghariclea), wäre tc&c
i^aX(i.6; 'EXXt]vtx6c tc xal it^oi iv:^ aM^s cpiprrat, xal 6icou^ ^acvofiiw] sonn
^ ^^(jiov ^ dfopftv, xaddiccp dlp^^icov dfak[kOL icäoav {<)^iv xal ddvoiav itf
iauTf)N iicioTpi^ct. Weitläuftiger wird der Eindruck, den die Jünglings-
schönheit des Theagenes bei seiner Ankunft in Delphi macht, geschildert,
III S p. 80, H ff. (p. 81, 5: i^iicXT^rcc fiev hi^ xal icdvxac xd &p<ib(ACva, xal
Ti^v vixiQTi^ptov dv^psCac tt xal xdXXouc ^<^s t^ vco^l^ rdvTc; dicIvcfAOv« ffiii
hk 8öai &7)pk6^u Yvvaixcc xal tö xfj; ^^ux*^» irddoc iptpaTcl^ xp'jTtreiv dJivatot,
fA-^Xotc TC xal dvdcotN IßoXXov, eufiivctov dn^ auroD xtvd, dk i^öxouv, i^pcXx^
(Asvai. xpCoi; f^p aÜkt) (Ua icapd icdotv ixpaTUvcTo, p,i^ dv ^avTjvat Ti xox* dv-
^pc&ico'j;, 8 t6 Bcay^ouc Oirep^XotTo xd>vXo^}. Vgl. auch X 9. CharitoD I
1 , S : Tjv ^dp TÖ xdXXo« (der Kallirrho^) oox dv^pdiniNOv dX>.dL dciov — — .
^if^AT) hi ToO icapaSö^ou ^edpiaTo; icavTa^ou oiiTps^e xal fivrjorfJpEc xaxippcov
fiU 2upaxo6aa;Y Suvasrat te xal icai&ec lupdvvoiv, oiix Ix SixcXlac (aövov, dXXd
xal üi 'ItaXCac xal 'HTrelpou xal vi^snv twv Iv *Hire(p<u. Aehnlich, dem Xe-
noplion am Nächsten verwandt, obwohl in noch viel stärkeren Hyperbeln,
Apulejus im Anfang des Märchens von Amor und Psyche, IV 38. 39. Alt
Vorbild konnten aber solche Schilderungen von der Wirkung der Schönheit
dienen, wie sie z. B. Call im ach us im Einging seiner Erzählung von
Acontius und Cydippe ausgeführt hatte (s. Aristaenet. epist. I 40 init.
Callim. fr. 562. 535. 469. 148. 103): vgl. 0. Schneider, Callim. II p. 403.
p. 695, und namentlich Dilthey, Cyd. 38 ff.
2) Heliodor lll 4 p. 83, 13 von der Chariklea: rtkios dnh twn d^p^oXfidv
o^a« t) tobv o(f5aiv (die sie in der Hand trögt) dr7)67aCcv. Aehnlich [TibuU]
IV 3, 5 f. von der Sulpicia: Ulius ex oculis, cum vult exurere divos, ao-
cendit geminas lampadas acer Amor. — Xenophon Eph. I 3, 6 p. 3t1, 4 s
— 153 —
die wie der reine Glanz des Mondenlichts schimmert *) , wie
Milch oder Schnee, aus welchem die Rosen der Wangen her-
vorblühen 2). Mit Rosen, Lilien, Anemonen, und andern Rlumen
die Farben der Schönheit zu vergleichen, ist ein beliebtes Spiel 3:.
d^aXp,oi fopfoi, cpaiopoi [kv* ui; %öpr^;, cpoßepol 0£ (u; acucppovo; (abgeschrieben
von Aristaenetus 1 10 p. 140, 31 Hercher). Ach. Tat. 14,»: ^pipia ^op^ov
i^ ^lo^i, vgl. Philoslr. Imag. I i3 p. 327, 21 flf. Kays. — Sehr häufig
reden ältere und spätere Erotiker von dem wie Blitze leuchtenden Glänze
(dbrpdirretM, xaTaoTpdirrstv) der Augen. Stellen aus Dichtern (vorzüglich Non-
Dus) und Romanschriftstellern bei Dilthey, Cyd. p. 87. 88. Vgl. noch von
den öcp^oXfituv ixXdp.d»et; Hesiod fr. 134 M. : yaplTcov dipcapO^fiat' lyouoa.
Asciepiades anth. Pal. XII 161, 3: 7pLepoN dlorpdliiTOuoa xaT* ^(Ap,aToc> Rhianus
ibid. XII 98, 9: toTon o£Xa; ^^Lpiaotv at^ei xoüpo;. Musäus 56: *Hp<u [lap-
pLapUT^v ^aptevToc dicaorpdEicrouoa icpo9<{iitoo. Quintus Smyrn. 1 58 f. von der
Peoihesilea: i^i: d^puoi 5' IfAspöcvrec ö^doXpiol piippiatpov dXlpuov dlxtCvcootv.
Nonnus V 485 f., XVItl 854. Heliodor Vli 10 p. 191, 9; X 9 p. 281, 49.
Vgl. Dorville zu Chariten p. 362; Stellen aus späteren Prosaikern auch bei
Creuzer zu Plotin. jDe pulcrit. p. 234 f. — Ovid, metam. I 499: videt
igne micantes Sideribus simiics oculos (der Daphne) : Nonnus IV 185 f.:
cl icoTe StveuesN cppCNOtepTiia xuxXov 6ir»irf)c 6^aXpM>uc iXiXiH^, 2Xir) siXa^tCs
IcX'^vv} 9^XT^i [jLappt.atpovTi. Vgl. XLl 254 f., X 491 f.; Alciphron fragm.
S, 4 p. 79 Mein., Petron. 126 p. 474, 7 Bchl.; auch Pseudohippocrates
epist. 45 p. 296, 35 Horcher: SiiXapiicoN 3^ auTfjc ot xnv 6iL}idxon x6xXoi
«slapdv Tt 9&;, oTov dsripinv fiappiapu^d; ooxictv.
1][ Tibull III 4, 29: Candor erat, qualem praefert Latonia Lona: vgl.
dazu Broukhusius. Homer, b. in Ven. 89; TheocritlI79; Nonnus X 4 85 ff. ;
XVI 18; XXXVIH 122 ff.; Musäus 57.
2) Von den Wangen der Schönen Propert. H 3, 41 f.: ut Maeotica nix
minio si certet Hibero, utque rosae puro tacte natant folia. Vgl. Dra-
oont. Hylas 66. Zu dem zweiten Bilde des Properz vgl. Nonnus XI 877 f.:
xat hi{tai el)^c '^dXoLyixi icavelxcXov , dpi'^l oc XeuYtp dxpoopoNe; röp^upc ^ho\
&t&*j{AÖypo'i TOjpoui. Achilles Tatius V 18, 1 : -^v oe T<j> ^vti xak-i], xai -(dXaxTi
(Acv av eiTCCc aOrf); xö icpösconov «e^pioftat (I), ^^oov oi ipiicstpuTCuodai xatc
icopctaü, vgl. Himerius or. I 49 p. 862. Nicolas Eug. I 147 f. Vgl. Ach.
Tat I 4, 8 : Xeuxf| Trapeioi, t6 Xcuxon i^ (lioov icpoivloorro xat ipitpieiTO icop-
^pav, o?av cU xöv iXicpavTa Auoia ßairrei ^dvi^ (dies wohl in Erinnerung an
Uias A 441 f.): sehr ähnlich Ovid, Amor. II 5, 89. 40. Metam. IV 332;
▼gl. Lucian, Imag. 8.
3) Achilles Tatius 1 19, 1 : t6 toO 0(&pusiTOC xdXXoc duTJ); itpöc xd xoü
Xsi|M»voc iipi^ dtvOv) * vapxtooou piev xo npöoiDicov foxtXße XP^'^i ^6$ov oe
dvfoXXsv ^x x^^ TcapciöL;, Tov hk ii x&v öcp&aXpi&v ipLappiaipcv au^Y), al &e
x6(&at ßoaxpu/o6pLevai pLäXXov elX(xxo>ixo xtoooü [vgl. Callimach. fr. 44, wo-
ran Hecker sehr passend fr. anon. 23 p. 709 Sehn, unmittelbar anschliesst]
xotoüxo« TjV AeuxUiTT]; im xwv Trpoac&rnv h Xetpt«^ (vgl. den schon von Ja-
cobs citirten Boissonade zu Nicet. Eugen. IV 425 p. 208). Nonnus X489:
— 154 —
Auf wenige derartige Züge beschränkt sich in der Regel
die Schilderung der Schönheit: und wenn nun auch die Er-
fahrung an der Liebespoesie aller Völker lehrt, dass die Unmöglich-
keit einer eigentlichen Beschreibung der Schönheit V' überall,
bei einem dennoch unternommenen Versuch einer solchen Be-
schreibung, zu sehr ähnlichen Bildern und Vergleichungen
geführt hat, so muss doch eben diese Beschränkung, gegenüber
der ausschweifenden Ueppigkeit und pedantischen Zierlichkeit
der Schönheitsmalerei in orientalischen Liebesdichtungen, und
in Gedichten aus den galanten Perioden europäischer Litteraturen,
uns als ein Merkmal specifisch griechischer Art gelten, und die
Uebereinstimmung der spätem Erotik mit den Manieren der
hellenistischen Erzählungsweise uns diese als jener Vorbild auch
in diesen Schilderungen erscheinen lassen, in denen ihr jeden-
falls andre Gattungen der griechischen Dichtung keinerlei Anleitung
geben konnten. — Der scheinbaren Anschaulichkeit einer genauen
ir. fjieX^oDV h' SXov etap ^cpaivero. XV SS5 f.: di)c xptvov, d>( dve(i.c6vy}
yiONCorv fi.eX£a>v ^ooöet; dvccpaCveTO Xetfji(6v. Rosen, Anemonen, Lilien, Hya-
cinthen: XVI 76 ff., XXXIV 106— H 3. VgL auch Musäus 38—60, und
dazu Heinrich p. 62 f., Tibull. III 4, SS f. — Die Jungfrau wird auch seihst
einer Blume oder einem zarten Stamme verglichen: xadd::cp ^pvo; ti tAv
cudoXwv Heliodor II 33 p. 73, 124 von der Chariclea (vgl. llias 1 56 Odyss.
C 162 f.: darnach Aristaenetus 11p. 183, 30 ff. Heb.). Nicaenetus (bei
Parthen. XI p. 15, 23 Hch.) von der Byblis: ^ahoK-^z ^vaXtpiiov dpxe^^tai;
ähnlich ist wohl Euphorien fr. Vill zu verstehen. Vgl. die schönen Verse
des Catull 61, 21 ff., 193 ff. und namentlich in der Erzählung von Ariadne
64, 89 f.; Theocrit 18, 29 f. u. s. w. Vgl. Menander n. imhtix-z. in Spengels
Rhet. gr. III p. 404, 5 ff., Eustath. Hysm. p. 208, 1 ff., Theodor. Prodr.
amator. II 209, Nicet. Eug. I 142. — Natürlich wird in dem Inventar das
(von Rechts wegen blonde, bisweilen auch schwarze, »der Hyacinthe gleiche«
[s. Bolwon. ad Aristaen. p. 221 f.]} Haar nicht vergessen (vgl. Jarabüch.
Babylon, fr. 8 Hercher und dazu Hercher, Erot. I p. XXXIII f.). Beson-
ders liebt man die Schilderung eines weiblichen Haarschmuckes, welcher
zur Htflfte geflochten ist, zur Htflfte frei herabwallt. So, mit auffallender
Aehnlichkeit des Ausdruckes, Xenophon Eph. I 2, 6; Heliodor III 4
p. 82, 4 ff. (ed. Bekker), Himerius or. I § 4 p. 330 § 19 p. 360 Wernsd.,
Apulejus, Metam. V 22 p. 91, 16 ff. ed. Eyss. — Stets ist die Gestali
schlank und hoch : denn nach griechischer Auffassung t6 xölXXoc dv {le^dEXa»
9tii]Laxtj ot fxixpol ^' dloTcTot %al oufjipieTpot, xaXol 6' o5. Aristoteles eth. Ni-
com. IV 7 p. 1128 b, 7.
1) Who has not proved, how feebly words essay To fix one spark of
Beauty's heavenly ray? Byron (The bride of Abydos).
— 155 —
Abschilderung der einzelnen Bestandlheile der Schönheit konnten
aber diese Dichter um so eher entrathen, weil ihnen ein Mittel
der Veranschaulichung zu Gebole sland, welches vor allen andern
als ein ücht griechisches gelten muss. Die wunderbare Vollen-
dung, mit welcher in jahrhundertlanger Uebung die bildende
Kunst der Griechen die Gestalten der Götter und Heroen zu
festen Typen ausgebildet hatte, bot der Phantasie für jede
charakteristische Form der Schönheit und Tüchtigkeit einen sicher
ausgeprägten idealen Vertreter dar. An solche, jedem Leser aus
taglicher Anschauung unmittelbar gegenwartige Typen brauchten
daher die erotischen Erzähler nur zu erinnern, wenn sie die
Schönheit und besondre Art ihrer Helden mit unvergleichlicher
Deutlichkeit hervortreten lassen wollten. Von diesem Mittel
machen sie denn auch den reichlichsten Gebrauch ^j . Häufig
vergleichen sie die vollkommene Schönheit mit einem Götter-
bilder); ihre Jünglinge vergleichen sie mit Eros 3), mit Achill
und andern jugendlichen Heroen ^) , Jungfrauen mit Arle-
1) Eine treffende Bemerkung hierüber bei K. Keil, Spec. onomatol.
Gr. p. 21. Galant Pseudodemosthenes amator. § 11: Ttji ^dp eixdotU xi;
6vT)Tdi'rf 8 dödvaTov toTc looOoiv dp^dCexai ttöOon ; xtX.
2) Xenoph. Eph. I 1, 6 p. 330, 5. Heliodor. X 9 p. 881, 17 d^aXfiaxi
^oü TzXio^ ^ ÖNtjTig -f^jsaitX TTpooeixaCoptf^Tj. II 88 p. 78 , 28. Vgl. Pseudo-
demosth. amator. § 16. anthol. Pal. V 15, 5. 6. Potron. 126 p. 174, 2 Beb.:
mutier omnibus simulacris emendatior. Bekannt ist, 'wie Lucian in den
eix6v€; die Schönheit der Panthea durch eine Zusammensetzung auserwahlt
schöner Theile von einzelnen Statuen und Bildern veranschaulicht.
3) Xenoph. Eph. 11. Vgl. anthol. Pal. XII 66. 57. 75. 76. 77. 78.
Ovid. metam. IV 320 ff. Nonnus X 199.
4) Mit Achill vergleicht seinen Tbeagenes Heliodor II 35; vgl. VII 10
p. 191, 16 ff. (Plato, Conviv. 180 A vom Achill: 8; r^s xaXXlwv oO fi.4vov
HaTpöxXou dXXd xai twv f,p(u(6v dTTd^vroav, xal ^i df^vEio; xtX. Hei. meint
übrigens nicht das weichliche Bild des Achill, wie es z. B. Bion XV 17 ff.
schildert [öbnlich auch Andre: s. Unger Sinis p. 206 f.]; eher kommt sei-
ner Vorstellung nahe die Beschreibung des Achill bei Philostratus Heroic.
XIX 5 p. 200 K.) Melite bei Ach. Tat. VII 2, 3 zu dem als Weib verklei-
deten Klitophon: toioütov 'AyßXia Tzoxt ddeaodfxr^N dv Ypacp^. Chariten I
8 beschreibt seinen Chaereas als ein fxeipdxiov eu{xopcpov, oiov 'AyiXXia xal
Nip£a xal IttttöXutov xal 'AXxißidSTjv TrXdarai xal •^pa^tXi oetxNuouat (hierbei,
wie auch bei den Vergleichungen mit Eros, wird man eher an jene weich-
lichen Jünglingsgestalten zu denken haben, wie sie, in üebereinstimmung
mit der gleichzeitigen Dichtung [vgl. namei^tlich auch Tibull. III 4, 25 ff.],
die Kunst der hellenistischen Epoche darzustellen liebt: s. Hetbig, Garn-
— 156 —
mis ^) , aber auch mit Aphrodite 2) , oder mit den Chariten ') ,
auch mit sterblichen Heldinnen der allen Sagen*).
Die Wirkungen der Leidenschaft werden mit ziemlicher
Eintönigkeit nach jenen Symptomen einer wirklichen Seelen-
krankheit geschildert, wie sie sich in Wahrheit an den leiden-
schaftlichen und phantasievollen Menschen griechischer Nation
häufig darstellen mochte.
Die Liebe, in unzähligen Redewendungen mit dem Feuer,
paD. Wandmalerei p. iS9. Vgl. den merkwürdigen Ausspruch des Tyran-
nen Kritias bei Dio Chrysost. XXI p. 501 R: xdLXXtoxov I^-t] eiSo; iv xotc
appeot xh O^Xy, Is V au täte 07jX6(aic TOuvavrCov).
1) Xenophon Eph. 13,7. Heiiodor 12 p. 5, SS. Chariton l i , I«.
VI 4, <. Ovid, Met. 1 695 ff. Fast. VI 441 ff. Nonnus XVI 425. XLII 447 ff.
Quintos I 664. Diese VergletcbuDg übrigens schon bei Homer (Odyss. h
4Sa. C 102. 454. p 86} und Hesiod (Scut. 8. Eoön, fr. 447 M.) Vgl. Lu-
cian: pro imag. 25. — Mit der Selene vergleicht seine Leucippe Achilles
Tatius I 4, 8: vgl. Nonnus VII 240. XVI 48.
2} Chariton I 4 4, 4 ff. 11 3, 9. 111 2, 4 4 ff. IV 7 , 5 f. Apuleius met.
IV 28 f. CatuU 64, 46 ff. vgl. Plaut. Rud. 424 : pro di iromortales, Veneris
ecfigia haec quidemst. Nonnus UI 449. VII 229. XXXIII 469—474. Musaeus
88. 68. Quintus Smyrn. XIV 47—62.
3) Nonnus XIII 889 ff. XXXIV 37 ff. Musaeus 77. Vgl. Callimachus
Epigr. LH Sehn, (nachgeahmt nicht nur von Krinagoras anth. Pal. IX 845,
sondern auch von Nonnus 42, 466;. Menophilus bei Stobttus flor. LXV 7
V. 44 iei&o(Aiv7]v XotplrcootN. Aristaenetus 1 4 p. 483, 86 Horcher. Von den
um das AnUitz der Schönen tanzenden Chariten reden ültere und jüngere
Erotiker: vgl. ausser den von Diltbey Cyd. p. 8f f. aufgezählten Beispie-
len, Nonnus XI 878 f., Meineke zu Alciphron III 65 p. 459, Boissonade
zu Nicet. Eug. 111 24 7 p. 4 56 f. (Alciphr. III 4 : tö ^e SXov Ttp^swirov o6~
Tal; ivop/eio^at Tat; icapctaic etirou av xd; XdEptta« tön 'OpyofACvöv dTioXtirouaac
xal Tf)c 'ApTa^iac xpif]vT]; d7:ovt4^(ii£va«. Die letzten Worte sind dem Verse
eines unbekannten Dichters beim Etym. M. s. 'Apfacpdqc * vt^pieNat xpf^vijc
l^apiov *Ap7a^(7]; [s Callim. fr. anon. 76 p. 749 Sehn. Vgl. auch Hiller
Eratosth. carm. rel. p. 80 f.] nachgeahmt: s. Meineke Anal. Alex. p. 282 f.:
ob auch der ganze Satz?) Ungeschickte Nachbildung solcher Phrasen: Eu«-
stath. Hysm. p. 242, 4 Hcrch.
4) Z. B. mit Atalante, Arladne, Cassandra: (hid, Amor. I 7, 4 8 ff.,
vgl. ibid. I 40, 4 ff., Properz. I 8, 4 ff., I 4, & ff. u. s. w. — Erwiihot
sei noch die Vergleichung mit Thetis: Chariton VI 3, 4 p. 440, 40: vgl.
Nonnus XU 235. XLVU 285. Tibull. 1 5, 45.
Gebikufte Vergleich ungeu mit Here, den Chariten, Artemis, Athene (vgl.
Deidamia bei Statins, Ach. I 299 f., Chariton p. 64, 4), Aphrodite, Selene,
Hebe: Nonnus XLII 224 ff., XLVH 275—294.
— 157 —
oft auch mit dem unruhigen Fluthen des Meeres ^) verglichen,
nimmt die Seele der Liebenden völlig ein : sie haben ftlr Alles
andre keine Aufmerksamkeit, vernachUissigen die Pflege des
Körpers; an der, oft plötzlich in glühendes Roth umschlagenden
Blässe ihres Antlitzes, an der unstet wechselnden Stimmung
bemerkt man die tiefe Erregung ihres Innern^]. Diese lässt sie
selbst Nachts nicht ruhen; im Dunkel und in der Stille der
Aussenwelt reden die jGedanken ihres Innern um so lauter ^j,
und verfolgen sie bis in ihre unruhigen Träume*). Die über-
1) Tz6^vi xu;xatvca9at, xOp-a K6:rp(^o; u. a. Vgl. Dissen zu Pindar p. 6A8
(I. Ausg.). Dilthey, De'Call. Cyd. p. 70.
2) Longus I 18, 6 aot] ai-n^; eiye t?)v ^jyi^v — Tpotp-fj« i\iWkti, v6xTa>p
"fjYp^rvei, Tfj? di^^Xt); xaT€«pp6vci * «wöv i-^Osif vöv IxXarv * ctxa ixdOcuirv [?viell.
ixdbi^i eine nicht seltene Verwechslang: so ist z. B. Pseudocallisth. II
SS p. 86b, 47. 24 ed. C. Müller statt des überlieferten ixddcuSov wahr-
scheinlich exad^aOrjoav (vgl. p. 88b, S) zu schreiben], clta dlveirf)5a' (1>XP^^
t6 rp^ooirov, ^pudY];xaTt auOtc ^cpX^YETo. Dieselben Symptome werden oft
erwähnt: Appetitlosigkeit (Longus I 47, 4 p. 352, 8. p. 266, 8. 267, 6.
Ach. Tat. I 5, 3. Ovid her. XI 28); Gleichgültigkeit gegen die gewohnten
Geschäfte (Longus p. 252, 7. 8. Vgl. Sappho fr. 90) ; Blässe des Antlitzes
(Catoll. LXIV 4 00: quanto saepe magis fulvore expalluit auri. Propert. I 5,
24. 9, 47. 43, 7 u s. w. Ovid. art. am. I 129 ff.: palleat omnis amans,
hie est color aptus amanti etc. Theocrit 2, 88. Xenoph. Ephes. I 5, 2.
HeUodor III 49 p. 96, 5. IV 7 p. 404, 22.), die oft mit plötzlicher Gluth
wechselt (Heliodor III 5 p. 84, 47: irupp(aoav, xal ai^Oic, toD irddou;, olpiai,
xai Tf|V xapolav inßpafiövxo;, «byplaaav. Achill. Tat. II 6, 4. Apoll. Rhod.
111 297 f.), unsteter Wechsel der Laune und Stimmung (s. namentlich He-
liodor III 40 p. 88, 43—25. III 5 p. 84, 48 ff.). — Vgl. noch Apuleius me-
tarn. V 25 p. 93, 45 ff. (ed. Eyssenh.) X 2 p. 482, 30 ff. Lucian de dea
Syr. 4 7 IpwToc 5e dcpavio; iroXXd atjjjiifj'ta xtX.
3] Properz IV 4 7, 4 4 semper enim vacuos nox sobria torquet aroantes,
spesque timorque animum versat utroque modo. Stellen aus erotischen
Dichtern und Romanschriftstellern bei Diltbey Cyd. 70. Vgl. noch Nicet.
Eug. II 45. Ovid her. XllI 404 ff. Theocrit. II 88 ff.: •fjviSc 0171g [ih
:to*rroc, aiY&vTt 0' d-^xai ' d 0' £pid oO oi^ig ax^pvcüv CvtooÖev dv(a, dXX iizX t#)v(|)
-fisa xaTaiOopiai (vgl. Apoll. Rh. III 743 ff. Varro Atacinus bei Seneca rhe-
tor contr. VII 4, 27 p. 34 2 f. Kiessl. Terent. Eun. 249 ff. Seneca episl.
56, 5, Virgil Aen. IV 522—532. Statins Silv. V 4, 8 ff.).
4) Achill. Tat. 1 6, 5. Theodor. Prodr. Rhod. et Dos. II 829 ff. Nie.
Eug. I 350. Nonnus XLII 324 ff. (dvxlTUTrov ^dp Ip^ov, ^rcp xt\Ui Ti; is
f^IxoTi, vuxTt $oxe6et 325 f. Beliebter locus für rhetorische Ausführung: vgl.
Lucrez IV 959. Petron. CXXX p. 24 8. Fronto de fer. Als. III 35 p. 443
Nieb.). XLVII 345 ff. vgl. XXXIV 96 f. Ovid met. IX 469. [Ovid] ep. Sap-
pbus 438 ff. Vgl. Tibull III 4, 55 f. anthol. Pal. XII 425. — Properz V 4,
— 158 —
mächtigen Gedanken^ welche sie nun ganz gefesselt halten,
trennen sie von den geschäftigen Menschen; am Liebsten fluchten
sie in die Einsamkeit^) , Bäumen und Felsen ihr Leid zu klagen,
und den Griechen dieser Zeit, in denen, bei alimählicher Auflösung
der alten, menschlich individuellen Gestaltung der Naturgewalten,
bereits ein schwärmerisches Gefühl fUr das, nur in unbestimmter
Ahnung und Mitempfindung aufzufassende allgemeine Leben der
Natur sich zu regen begann, schien die stumme Natur, die
rauschenden Bäume, denen [alte Sagen selbst halbmenschliche
Liebesempßndungen zuschrieben ^) , mit der gequälten Menschen-
65 ff. (V. 74. 72 sind vielleicht als abgerissene Uebenreste des unruhigen
Traumes der Tarpeja zu betrachten) Apoll. Rhod. III 646 ff.
1) Callimacbus in der Cydippe: s. Schneider Callim. II p. 4 08. Phano-
cies vom Orpheus (fr. 4,8): iroXXdxi (e oxtcpoTotv is ä>.aeotv iCet dcl^cnv fiv
t:6%os. S. namentlich Properz I 48. Vgl. auch die PseudovirgiJische Lydia
(Dir. 4 04 ff.), im Eingang. Epist. Sapphus 4 87 ff. (vgl. auch Ter. Eun.
246 ff., Plaut. Merc. 656 f.).
2) Liebe der Palmen zu einander: Achill. Tat. I 47, 8—5 (S. dazu
Jacobs p. 479 ff., und vgl. Dilihey Cyd. 78), des xp6xo; zur \i(kaz (Nonnus
XXXII 86 ff. und sonst: s. Haupt Hermes VII 476 ff.), des vdpxioooc zu,
istiuhmi (Nonnus XLII 802. XXXLI 92. Ueber die Sage von der Anemone
vgl. Naeke Valcr. CaL p. 50. p. 480.) u. s. w. Dahin gehört auch, was
die Alten von der Liebe der Weinrebe zur Ulme erzählen (vgl., ausser den
von J. Grimm kl. Sehr. H 878 citirten Stellen, Catull. LXI 4 02 ff. Ovid.
amor. 11 48, 44. her. V 47 f. Martial. IV 48, 5. Horat. c. I 86, 20. epod.
45, 5. Merkwürdig Commodianus I 30, 4 6 p. 4 54 Oehl. sicut ulmus amat
vitem, sie [amate] ipsi [divites] pusillos [» pauperes]. Grimm verroisst
Spuren dieser Auffassung bei den Griechen, nicht ganz mit Grund. Von
einer Verwandtschaft der Rebe mit allerlei Bäumen erzählten manche
griechische Dichter; so nannte Hipponax die schwarze Feige cüfATiOvOu xa-
otYvf]T7)v: s. Athen. III 4 8 B. C. Vermuthlich rechtfertigt sich solch eine
Bezeichnung durch eine besondre Sage. So war es wenigstens in einem
ähnlichen Falle. Quintus Smyrn. XIV 4 75 vergleicht die Umarmung des
Menelaus und der Helena mit der Verschlingung des xiosöc und der if^fieptc*
Dieser Vergleich soll ganz offenbar an die Sage vom verwandelten Kissos,
der nun irept^yet rf^v ÄjjLrcXov, erinnern : s. Nicolaus 'Prog>mn. tt 5 (Walz
Rhet. I 270). — Geopon. XI 29. In einer viel öltercn Ueherlieferung wird
auf eine etwas anders gewendete Sage hingedeutet: Eubulus com. bei Athen.
XV 679 B: cb jj-axotp f^Ti;... ouvlXXetai tjOUTarov repl vjfjL'flov euTpiya, xtoo&c
{»TCO); xaXapLtp TreptcpucTai. Meineke Com. III p. 252 schliesst aus den
folgenden, ganz corrupteu Worten, dass der Komiker auf eine uns unbe-
kannte Sage von der Liebe des Kissos (der in Acharnae in Attika als ein
dionysischer Dömon verehrt wurde: Pausan. I 34, 6.) zu einer (rein fingir-
ien) Nymphe Ololygon anspielen wollte. Er will vielmehr auf die Sage
— 159 —
seele zu klagen ^; . Aber dieser Schmerz lassl nicht nach ; für
von der Verwandlung des Kissos und Kala mos und der Freundschaft der
von ihnen benannten Pflanzen anspielen: Meineke ven\'eist selbst auf Nonnus
Dien. XII 97 IT.: dort wird eben diese Sage von Kissos und Kaiamos er-
zählt (vgl. XII 188 ff.). — Myrte und Oelbaum sind einander TiposcpiA-^ :
Androtio bei Theophrast de caus. plant. III, 4 0, 4. — Die Schilderung
solcher Liebesbündnisse der Pflanzen gehörte zu den Künsten der sophi-
stischen Prunkredner: für Hochzeitsredner empfiehlt Menander de encom.
(Spengel Rhet. III) p. 402, 6: ntfi hk o^vopcuv ipetc Sti xdlTietva oux (ffiotpa
^apimv • ol ^dp im Tat; xöp.au auv66op.oi ^piXoTe^vVjfjiaTa fo-ixodsTia** Sivopov
eIs(, •mX toü ^eoD (des Eros) TocuTd ioriv cupV]p.aTa. Aehnlich ebendas. p. 408,
16. 8S, und nach solcher Anleitung dann Himerius im l7rtda>vdpLio( ei;
2eßf)pov (or. I) § 8 p. 886 Wernsd. — Dergleichen Vorstellungen, welche
den Bäumen und Blumen menschliche Empfindungen zuschreiben, sind darum
besonders merkwürdig, weil ihnen vermuthlich die Vorstellung von dem
Uebergange menschlicher Seelen in Pflanzen zu Grunde liegt, welche in
den, zur Erklärung eben jener Liebesneigungen einzelner Pflanzen erzähl-
ten Sagen, sowie in zahlreichen andern griechischen Pflanzenverwand-
lungssagen sich ja geradezu ausspricht, und ihr hohes Alter durch die
weite Verbreitung ähnlicher Sagen (von Liebe der Pflanzen unter einander,
von Pflanzen, die auf den Gräbern Liebender entsprossen, sich eng, in fort-
lebender Neigung, um einander schlingen u. dgl.) bei sehr vielen Völkern
bewährt: wofür mancherlei Beispiele gesammelt sind bei Jac. Grimm,
KI. Sehr. II 374 — 384 und in einem, eben diese alte Vorstellung behan-
delnden Aufsatz von Koberstein, Weimar. Jahrbuch I 73 — 400. Vgl.
R. Köhler ebend. p. 479 CT., A. Kuhn, Die Herabkunft des Feuers p. 403,
(Koberstein p. 94 zieht auch ein walachisches Märchen an [Schott N. 8], in
welchem die Seelen der von der Stiefmutter getödteten Kinder in 2 Apfel-
bäumen, dann in 2 Lämmern, endlich wieder in 2 goldenen Knaben ver-
körpert werden. Dieses Märchen gewinnt dadurch eine ganz ungewöhn-
liche Bedeutung, weil ihm ein, im 43ten Jahrhundert vor Chr. aufgezeich-
netes ägyptisches Märchen entspricht, welches aus einem Papyrus £. de
Rougö Revue arch^ol. IX 4 852 p. 385 ff. und darnach Mannhardt, Ztschr.
f. d. Mythol. u. Sittenk. IV p. 232 ff, mitgetheilt hat. Dort wird das Herz
des Satu zuerst in eine Akazienblüthe verborgen : als der Baum , auf Ge-
beiss seiner treulosen Frau, umgehauen wird, stirbt Satu, lebt aber wie-
der auf, wird zum Apis; als die Frau auch den tödten lässt, wird er zu 2
Perseabäumen ; die Frau lässt sie umhauen, da springt ihr ein Span in den
Mund, sie gebiert einen Knaben, der wieder kein Anderer als Satu ist und
später König wird. V^l. dazu noch ein siebenbürgisches Märchen be
Mannhardt p. 264 f., den Schluss des kleinasiatisch- griechischen Märchens
»die Cedercitrone (* Hahn, Griech. Mch. N. 49 I p. 272. Hierher gehört
auch der, in vielen Märchen vorkommende Versteck der Seele irgend
eines Unholds in dem innersten vieler, in einander geschachtelter Dinge:
s. Köhler Or. und Occid. II 4 04. 4 02, zu dessen Beispielsammlung man
— 160 —
ihn allein giebt es kein Heilmittel 2) ; selbst im Wein, dem
Sorgenbrecher, findet er nur neue Nahrung^!. Endlich bricht
noch ein serbisches Märchen, Wuk N. 8 p. 68, ein slowakisches bei Wen-
zig Westslav. MUrchenscbalz p. 490, ein russisches bei Vogl, die ältesten
Volksmärchen der Russen (Wien 4841) p. 45 — 47 und vor Allem die orien-
talische Version in Lanc's 4004 uights 111 p. 344 hinzufügen mag).
1) So in der Cydippe des Kallimachus: s. Dilthey p. 78 ff. Mitempfin-
dung der Natur, der Flüsse, Bäume, Felsen, der sprachlosen Thiere schil-
dern namentlich die bukolischen Dichter gerne : s. einige Beispiele bei Hei-
big Campan. Wandmalerei p. S84 f. So beweinen den todten Daphnis der
Berg und die Eichen am Ufer des Flusses: Theocrit. VII 74 f., die Wald-
thiere und seine Heerde: I 74 ff. Besonders liebt Nonnus solche Schilde-
rungen: vgl. Dion 111 68 ff.. V. 854 ff. XU 423 ff. XV 297 ff. 869-~890.
895 ff. 404 ff., XLVI 865 ff. Musäus 26 f.: hil^to o ap/ait); dXiT)y£a Ttöpt-
[kos !Aß6<^ou el9^t iro'j xXatovTa fi^pov xal Ipwt« Aedtv^pou (dazu Heinrich
p. 48}. [Ovid] ep. Sapphus 4 54 f.: Quin etiam rami positis lugere videntur
Frondibus, et nullae dulce quenintur aves. (amor. III 4, 4. Ganz ähnlich JD
deutschen Liedern : auch hoeret auf die nachtigal zu singen in dem gruenen
thal u. s. w. Mehr dergl. bei Uhland, Sehr. III 445. 543 f.). Sehr an-
muthig [Virgil] Lydia 4 6 ff. (von modernen Nachbildungen vgl. namentlich
die schöne Elcgia X des Äriosto UO lieta piaggia, o solitaria valle«]).
Plautus, Mercat. 42 ff. : non 6go item facio ut alios in comoediis vidi
amatores facere qui aut Nocti [vgl. anthol. Pal. V 4 64 ff.] aut Die, aut
Soli aut Lunae [vgl. die Klage des Mädchens bei Theocrit 2, 65 ff. Aehn-
lich schon Euripides im 'Irr^iXuTo; x«X'j7rr6fjL€No; : Schol. Theoer. 2, 40]
miserias narrant suas. — Eine solche Klage bei Longus 1 4 8, 2: oTov ^dou-
aiv al (itj5(5ve;, •?) hi Ifif^ oupi^; owui:^ [Pervigil. Veneris fin. : illa cantat, nos
tacemus; quando ver venit meum? quando fiam uti chelidon et lacere de-
sinam?]* olov oxtpröoiv ol Ipt^oi, xa^oi xdÄT'jxai * olov dx^dl^ti Td df^fttj, xdbfcb
OTC^dvou; ou T:\ixm, dXXd td p.ev Xol xal 6 udxivdo; dv&El, Adcpvt; ht fiapaCvc-
tai. — (Vertrauter ist uns ein solches Mitlebcn und Mitleiden der stummen
Natur in nordischer volksthümlichcr Dichtung. Als Baidur, der gute, ge-
storben ist, klagen, um ihn aus Hels Gewalt zu weinen, um ihn »Menschen
und Thiere, Erde, Steine, Bäume und alle Erze«, wie es in Gylfaginoing
der jüngeren Edda heisst: Simrocks Uebcrs p. 282. Wer kennt nicht die
wunderbaren Verse des Volksliedes: »Als Christ der Herr in Garten ging«:
»Nun bieg dich Baum, nun beug dich Ast, Mein Kind hat weder Roh noch
Rast; nun bieg dich Laub und grünes Gras, lasst euch zu Herzen gehen
das«. »Die hohen Bäum* die bogen sich, die harten Stein' zerkloben sich«
u . s . " . 1 .
2; Theocrit 44, 52: y&Ti t6 tpdpjj.ax'S'v ^axiv dfxr^yavdovro; fporro; oÄx oÄ«.
Propert. II 4, 7 ff., Longus II 7, 7 : 'Epw-o; ouSev cpdpaaxov, o'j Trtvöfuvov,
oOx ladiöpirvov, oux is (poal; XaXoujxEvov. Hcliod.p. 4 04, 6. Chariten VI 8, 7.
3) Achill. Tat. II 3, 3 : T.p»; xal Ai(ivuao;, Euo ß(aioi deoC [Propert. I
3, 48: Amor und Liber «dorus uterque deus«], vgl. Callimachus epigr. 41
— 161 —
auch wohl die erschöpfte , durch die schweigend erduldete
Qual doppelt gequälte^) Natur in einer wirklichen Krankheit
zusammen ^j .
In der weitem Entwicklung des LiebesbUndnisses werden
die Berührungen der Romanschreiber mit den hellenistischen
Erzählern geringer und lockrer. Der Grund liegt nahe. Jene
hielten sich im Allgemeinen näher an die wirklichen Verhältnisse
der griechischen bürgerlichen Welt, welche eine häufigere und
freiere Annäherung der beiden Geschlechter kaum verslattelen,
und daher der Werbung und ihrer |K)etischen Mannichfaltigkeit
nur spärlichen Raum liessen. Die Erzählungen der hellenistischen
Erotiker dagegen bewegten sich zumeist in einer fernen Vor-
zeit, in welcher sie theils die freiere Sitte des Heroenalters,
theils eine rein phantastische Ungebundenheit voraussetzen
Sehn.) ^j'UX'^v xataa^^övre;, dxfi.atvouoiv eU dvaio^uvtlav, 6 jjlev %a(uv aur^v t(jj
ouvf)det 'tZMpi, 6 5e tov oivov U7rex7iaup.a cpepoav ' oivo? ^ap Ipraxo; tpocp*/). Al-
ciphron epist. 1 35, 2. Tibull. I 5, 37 : saepe ego temptavi curas depellere
vino: at dolor in lacrimas verterat omne merum. — Venus in vinis \si
»ignis in igne« irup irX irup [vgl. Bergk, Comm. de rel. com. att. 34]:
s. Heinsios zu Ovid. Art. am. I %kk.
1) Heliodor IV 5 extr. TpocpVj vöoojv yj auoTr/j, xi oe ixXaXo^jjLevov etJTrapa-
fA687]Tov. Aehnlich Achill. Tat. 11 29, k. 5. (Dicere quo pereas, saepe in
amore leval Propert. 1 9, 84). Vgl. Nicet. Eug. I 269. 11 U5. VI 348 mit
Boissonades Anmerkungen.
2) So föllt bei Heliodor IV 7 Chariklea in eine förmliche Krankheit;
ebenso Anthea und Habrokomas bei Xen. Eph. 1 5, Chaereas bei Cbarilon
I 4, 9. 4 0. Vgl. Apoll. Tyr. 48. So Phaedra bei Euripides (Hippol. 429 fT.);
auch die liebende Simaetha bei Theokrit II 85. 86. Vgl. Ovid, Her. XI 27 ff.
— Oben ist die Erzählung von Antiochus und Stratonice ausführlicher be-
handelt worden. — Chariton hat eine eigenthümliche Vorliebe für einen
anderen Ausbruch übermächtiger Empfindung : bei jeder passenden und un-
passenden Gelegenheit lässt er seine Helden in Ohnmacht sinken: so
p. 38, 28. 46, 4. 66, 20. 80, 4 4. 4 37, 34. Dergleichen wird bei anderen
griechischen Erotikern selten vorkommen (vgl. indessen Ovid, her. Xlll 23 f.,
met. IX 584 ff.); vielmehr zeigt sich hier eine gewisse orientalische
Weichlichkeit : in orientalischen Erzählungen gehört es durchaus zum guten
Ton, dass an dei* richtigen Stelle das liebende Paar in Ohnmacht falle vor
grosser Freude oder Schmerz oder anderen Erregungen des Gemüthes
(z. B. : 4004 Nacht [Breslauer Uebers.] XI 400. 403. XII 449. 423. 436. 442.
XIV 275. XV 89. 4 26; Nisämi's Leila und Medscbnun, Hammer, Schöne
Redek. Persiens p. 413; Baital Pachisi N. 44 p. 408 Oest.; indisch: Kä-
dambarl, Weber, Ind. Streifen I p. 364. 363, Väsavadattä, ebend. I p. 877;
in der oben p. 437 f. analysirten Erzählung von Hir und Ranjhan u. s. wj.
Bohde, Der griecbitichü Homan. 11
— 162 —
durften, wie sie dem, bei ihnen so gern p;eschilder(en Natur-
leben in Wald und Einsamkeit entsprach. So erklUil es sieh
leicht, warum selbst in den uns einzig erhaltenen abgeblassten
Nachbildern hellenistischer Erotik die Werbung und die, im
beziehungsreichen Spiele zu inmier hellerer Flamme auflodernde
Leidenschaft viel farbenreicher und sinnlich frischer erscheint,
als in den Romanen, welche tlber diesen lieblichsten Abschnitt
einer Liebeserziihlung sehr schnell hinfortzugehen pflegen.
Uebrigens machen doch der Hirten roman des Longus, und
die Liebeserzühlung des Achilles Tatius eine Ausnahme : in dem
letzten scheinen ganz absonderliche, im wirklichen Leben der
Griechen vielleicht undenkbare Verhiiltnisse ausdrücklicli in der
Absicht zu Grunde gelegt zu sein, um dem Erzähler zur Ent-
faltung seiner, aus älteren Erotikern entlehnten Darstellung der
Werbung Gelegenheit zu geben.
Unter allen Umstünden sind die Gelegenheiten zu unmittel-
barer Annäherung selten. Der Liebhaber muss sich meist be-
gnügen, in der Einsamkeit zu seufzen, den Namen der Geliebten
in die Bäume zu schneiden ^j , den Spuren ihrer FUsse zu folgen^),
durch das Blumenorakel sich ihrer Liebe versichern zu lassen 'j.
Erwünscht sich : wäre ich nur eine Biene, um zu ihr zu fliegen^] ;
1) S. Bocker, Charikles I 351. Vgl. noch Oviü her. 5, 24 fT. : incisa«
servaut a te mea nomina fagi, et legor Ocnone falcc notata tua etc. Cal-
purnius bucol. 1 20 f. III 89; aothol. Palat. XII 430, 3.
2j Dilthey Cyd. p. 36. Vgl. auch: iVirgil.] Lydia 8 ff. invideo vobis
agri. — 0 fortuuali niinium, inultumque beati, in quibus illa pedis nivei
vestigia punet. Aiciphron III 67, 4 : — ßouXeoOat tä toTv iro^otv T)^
xatacpiXetv. Philostralus epist. 4 8 p. 235, 3 ff. Kays, ebeiidas. 36. 87.
3) TT)X^(pt>.ov : Tbcocrit III 28 ff. Vgl. dort Schol. und PoUux IX 4i7
(Dort findet sich im Laurentianus 56, 4 am Rande von man. 2 folgender
Zusatz: toOto £otIv 2i:cp TrotoOatv dzi t&v {lapcuXioiv [Lattich], X^^^^uoat to
ei dr^oLTÄ fjL€ h oeiva). Becker Chari kl. I 326 ff. Eine andre Licbesprobe be-
.stand darin, dass mau Apfelkerne an die Decke des Zimmers zu schnellen
suchte: gelang es, so bedeutete der xt6i:o; der Kerne Wohlwollen von
Seite des* Geliebten, ebenso wie der klatschende Ton des Weines im Kotta-
bosspiele. Pollux I\ 428; s. auch Horaz Sal. U 3, 272 f. Vgl. Becq de
Fouquieres, Le jeux des ancicns (Paris 4869) p. 64, und über den eroti-
schen Sum des Kottabos denselben p. 24 4 ff.
4) Theocrit. III 42 aide fsvolfiav d ^opißeOaa p.Oviooa xat ic rios dEvrpo^
lxotp.av T^ x(9o6v oiaSuc xal tdv irc£f>iv d tu :ruxdo^t. Aehnliche sentimen-
tale Wünsche sind in griechischer Liebesdichlung nicht seltener als bei
— 163 —
in der Ferne muss er die Menschen und selbst die Bilder, die
sie umgeben, eifersüchtig beneiden i). Härter leidet vielleicht
noch in ihrer Einsamkeit das im Weibergemach verschlossene
Mädchen^]. — Aber Eros, in den Listen der Liebe sein eigner
Lehrmeister^) , findet gleichwohl Mittel, um ein Einverständniss
herbeizuführen. Zuweilen übernimmt die Amme eine Vermitt-
lung *) ; in einfachen Verhältnissen spricht der Liebhaber in
Geschenken seine Neigung aus^) ; vermag er sich selbst zu
moderneren Dichtern. Chloe bei Longus I U , 2 p. 249, 24: EtOe auTOü
oupi^; ^Y£vöfXT]v Tv cfXTTvelig jxoi * a!öe ai$, iV uir' dxelvou v^fxujfxai. Vgl. II 2
p. 263, 4. lY 46 p. 343, 24. Andere wünschen sich zu sein: der Vogel, mit
welchem die Geliebte tändelt: Rhianus a. Pal. Xll 4 42, 5, der Wind, der
sie föchelt: anth. Pal. V 83, die Rose an ihrer Brust: anth. Pal. V 84.,
der Delphin der sie trüge: a. Pal. XH 52, 5, der Quell, aus welchem sie
tränke: Nonnus Dion. XLII 424 fT., die Waffe, die sie (auf der Jagd} führt:
Nonnus Dion. XV 257 ff, die Leier, die ein schöner Knabe, der Schmuck,
den eine schöne Frau trägt: Scolion 4 9. 20 (Bergk. p. 4293) , Anacreontica
22, 5 ff. (ed. V. Rose), Nicetas Eugen. II 327 ff., ein Ring, den sie trägt:
Ovid. amor. II 45, 9 ff.. Scurril Strato anth. Pal. XII 4 90, 3. Aus moder-
ner Zeit sind die Wünsche : Wenn ich ein Vöglein war' u. dgl. Jedem ge-
läufig; Beispiele aus mittelalterlicher Volksdichtung bei Uhland , Schriften
zur Gesch. d. Dichtung und Sage III p. 283 ff.
1} Vgl. Propert. II 6, 9 ff. (in einem andern Sinne schilt ebendaselbst
V. 27 ff. der Dichter auf die damals übliche Gattung der Wandbilder.
Vgl. Friedländer, Darst. a. d. Sittengesch. Roms V^ 329, 4. — Seltsam ist
das Zusammentreffen mit einer indischen Erzählung, aus dem Somadeva
übersetzt bei Benfey Pantschat. I 439: ein eifersüchtiger Mann fürchtet bei
seiner schönen Gemahlin einen Verlust der Tugend »selbst von gemallen
Figuren«). Eifersucht des Liebhabers auf den Gatten : Ovid her. XV 243 ff.
2) Vgl. die schöne Klage der Hero, Ovid her. XVIII 9 ff.; ähnlich das
Epigramm des Agathias. anthol. Pal. V 297. Verwandt auch, in der be-
rühmten Klage der Medea bei Euripides über das elende Loos der Weiber,
V. i44 ff. (247 tjjxiv o' dva^xT) rpö; p.[av ^yi^^ ßX^Ttgiv. Vgl. Edw. Bulwer
Ifiscellan. prose works IV p. 260.)
3) Achilles Tat. I 4 0, 4: auTo^löaxTo; ^ap loriv 6 ^eö; (Eros) öo^iottjc
S. dazu Jacobs p. 449. Nonnus VII 44 0: aocpö; a^rooloaxTOC 'Epw;. Vgl.
auch Ach. Tat. V 27, 4. Longus IV 4 8, 4 und dazu Villoison p. 273. —
Aehnlich Eurip. fr. 4 62 : — xdfv tpauXo; tJ tgEXX', el; IptnTa 7:d; dvVjp oocpcM-
tcpo<. Vgl. fr. 433. Aristarch. trag. fr. 2 p. 564 N. : outo; ^dp 6 Oeoc
(Eros) Tcal t6v do^vfj oO^veiv ti^oi xal tov diropov e&p(oxeiv iröpov.
4) Vgl. Ovid metam. XIV 7 03 ff., in der Erzählung von Iphis und Ana-
xarete. Achilles Tat. II 4 0 ff.
5) Vgl. Theocrits KuxXwij/, den Glaucus der Hedyle, auch Pygmalion
bei Ovid. met. X 259 ff. Longus I 45, 3.
11*
— 164 —
nähern, so ßndet er auch die richtige Weise um seiner Leiden*
schafl Gehör zu erbillen% denn Peitho geht ihm zur Seite 2).
Beim gemeinschaftlichen Mahle zumal drilckt eine conventionelie
SymftK)lik die innere Empfindung aus. Beim Becherwechsel
trinkt der Liebende aus demselben Becher, aus dem vorher die
Geliebte getrunken hatte ^) ; Zeichen- und Augensprache deuten
das Geheimniss noch verständlicher an^). Nach beendigtem
Mahle singt er wohl von fremder Liebe, sicher, dass die zarte
Verhüllung der eignen Empfindung leicht durchschaut werde ^).
Auch der Beiz der Musik hilft die gebundene Empfindung lösen,
und fuhrt die Herzen zusammen^). — Je weiter nun die Ge-
schichte von der Schilderung des bloss ZustHndlichen zur Ent-
1) Achilles Tat. 11 4, 4: IX^e yeip'Sc, ÄXi«!/ov ooxtuXov, i^X(ß«v orfvoEov.
xoXeiv xal cptXfjsai xpayTjXov zum Theil entlehnt, wie Heinrich zu Musaeus
p. 88 richtig bemerkt, aus Musaeus 444 f. v^^l. 433. Wie man zart und
discret zu werben habe, führt Achilles 140 geschmacklos genug aus: vgl.
damit Musaeus 429—432. 4 64. 5. Nonnus XXXV 437 f. XLII 209—243. Ovid
art. 1 663 fT. (her. XVI 485 f.), auch Lucian Amor. 53.
2) Davon liebt Nonnus zu reden: vgl. 111 84. 4 42 fT. XI 280. XXV
4 50 fr. XLI 252.
3) Achilles Tatius 11 9. Ekelhaft breit ausgesponnen in dem Roman
des Eustathius, namentlich Ruch 11, HI, V. Andere Stellen bei Becker
Charikl. 1 66 f. Vgl. noch Ovid art. am. I 576 , heroid. XVI 79 f., Arl-
staenetus epist. I 25 p. 4 55, 4 IT. ed. Hercher., Philostratus epist. 38, La-
cian dial. deor. 5, 2; 6, 2; auch Meleager anthol. Palat. V 4 74 (Bekannt
ist Goethes Nachahmung dieser anmuthigen Sitte, im Anfang des Wilhelm
Meister.) — Dieselbe Spielerei, den besonderen Umständen gemäss verän-
dert, im Hirtenroman des Longus, I 24, 4: dM^aa%ev aMjv xal oupCTTCtv*
xol Glp;a{iivY)C £p.7r»*eiv dprdCcuv ti?)v oOpi^fa xotc yeCXeotv o'ixo; touc xaXdp.oüc
inixpv/ns. * xal ioöxet piev otoblsxetv dpLapTavouoav, cuTTperdc oe otd 'rijc o^ptTpfOc
XXo-fjV xaxctplXei.
4} S. ganz vorzüglich Ovid nnior. I 4, 4 7—28; ferner Ovid amor. 11 5,
4 7 f. art. I 565 ff. her. XVI 84 ff. TibuU. I 2, 24 f. 6. 49 f.
5) Ovid. her. XV 244 f. A! quotiens aliquem narravi potus amorem,
ad vultus roferens singula verba tuos, indiciumque niei ficto sub nomine
feci: ille ego, si nescis, verus amator eram. So räth bei Nonnus XLI!
254 ff. Pan dem Bacchus, vor der spröden Beroti von der Liebe des Apoll
zur Daphne, des Pan zur Pitys u. s. w. zu singen. Vgl. Achilles Tatius
1 5, 4 ff.
ti; Vgl. Ach. Tat. II 4 Menandr. Hrja. fr. II (IV 4 38): tcoXXoTc üi:£xiwiüf*'
iaz' ^poiToc piouotx-^. S. auch llelbig, Unters, über die campan. Wandmale-
rei p. 260.
— 165 —
Wicklung des Geschehenden , der besondern Erlebnisse des
liebenden Paares vorschreitet, desto weiter gehen, auf so ver-
schiedenem Boden, die Wege der hellenistischen Poeten und
der sophistischen Romanschreiber aus einander.
Die aufgezählten einzelnen Züge erotischer Schilderung
reichen indessen aus, uns den thatsächlichen Zusammenhang
dieser prosaischen mit jener älteren poetischen Kunst der Liebes-
erz^hiung erkennen zu lassen. Sie umfassen freilich nur einen
eng begrenzten Kreis der einfachsten Symptome einer Leidon-
sc4iaft welche, ihrer allgemein menschlichen Natur nach, zu allen
Zeiten, bei allen Nationen im Wesentlichen sich gleichartig
äussern wird. Es ist aber ein Unterschied zwischen den un-
mittelbaren Aeusserungen der Leidenschaft und deren Wider-
schein im Zauberspiegel der Kunst. Jene werden auch ohne
äusserliche Ueberlieferung stets und überall aus gleichen Be-
dingungen in gleicher Gestalt erzeugt werden. Uebcreinstimmung
in der Auswahl, der Gruppirung, dem Golorit der Aeusserungen
eines leidenschaftlichen Triebes im Kunstwerk lässt sich nicht
so einfach durch Hinweisung auf die unveränderliche Natur jener
Triebe selbst erklären. Eine solche Uebcreinstimmung erklärt
sich in der That nur aus der Fortpflanzung eines bestimmten,
fest ausgeprägten Stils der künstlerischen Darstellung.
So weisen denn auch die hier betrachteten stilistischen
Uebereinstimmungen der hellenistischen Poesie und der sophis-
tischen Romandichtung auf einen wirkliehen, historischen
Zusammenhang dieser beiden Kunstgattungen hin. Wie freilich
dieser Zusammenhang über die W^eite der zwischen den beiden
Weisen erotischer Erzählung liegenden Zeiträume hinweg her-
gestellt worden sei, ist mit Bestimmtheit nicht zu sagen. Man
könnte meinen, dass durch jene hellenistischen Dichtungen die
Manier erotischer Darstellung eine so sicher gezogene Bahn, ein
so genau bestimmtes Maass gewonnen habe, dass auch prosaische
Erzähler erotischer Abenteuer der sentimentalen Art ganz von
selbst und ohne Nachahmung im Einzelnen in diese selbe Bahn
einlenken mussten. Es ist aber nicht zu bezweifeln, dass die
Dichter prosaischer Liebesromane auch in einer bewussten und
absichtlichen Nachahmung der alten Vorbilder sich den Stil
erotischer Erzählung anzueignen versuchten. Die sophistische
Rhetorik, welcher alle Romanschreiber, von Jamblichus abwärts,
— 166 —
augehüren. Torsrhiiiühte ein genaues Studium, eine welleifemde
Nachbildung der Dichtung älterer Zeiten keineswegs, am Wenigsten
da, wo sie seihst eine Art von Poesie in Prosa auszubilden
bestrebt war. Wenn sich dieses Studium nun auch zumeist
auf die grossen Dichter der altdassischen epischen, dramatischen,
1\ Tischen Kunst bescliränkte. so mochte man doch ftlr solche
•
Gebiete der Darstellung, in denen jene classischen Vorbilder
keinerlei Muster darbieten konnten, auch zu den Dichtungen
der hellenistischen Nachblttthe der Kunst heruntersteigen. Es
ist oben angedeutet worden, wie zu der gleichen Zeit die Dichter
in gebundener Rede in eifriger Xachahnmng die Manier der
hellenistischen Poeten nachzubilden beflissen waren. Zum Theil
mochten nun die sophistischen Dichter erst durch eine Anlehnung
an die gleichzeitigen Versktlnstler wie sie z. B. I)ei Achilles
Tatius ganz deutlich erkennbar ist) zu deren Vorbildern, den
Dichtern der hellenistischen Zeit, hinüber geleitet werden.
Wenn wir aber bemerken, wie ein allerdings spätes Mitglied
der sophistischen Zunft, der Verfasser der erotischen Briefe des
sogenannten Aristaenetus , die l)ertthmte Liebeserzählung des
Kallimachus von Acontius und Cydippe einfach in Prosa Über-
tragen hat, so werden wir nicht länger daran zu zweifeln brauchen,
dass auch die Verfasser sophistischer Liebesromane die nunmehr
hinreichend ins l-ichl gestellte Uebereinstimmung erotischer
Schilderung nu't der Manier der Erotiker hellenistischer Zeit
zum grOssten Theil aus einem directen Studium dieser ihrer
Vorbilder gewonnen haben.
u.
Ethnographische Utopien, Fabeln nnd Romane.
1.
Einer erzlihlenden Dichtung, welche von der gebundenen
Rede zur prosaischen Darstellung, von der künstlerischen Aus-
bildung überlieferter Volkssage zu eignen Erfindungen sich
wendet, erwachsen, wenn sie nicht etwa bloss eine Erschlaffung
der älteren Kunstweise darstellt, unzweifelhaft ganz neue Aufgaben
für die Wahl und stilistische Behandlung ihrer Stoffe. Die
prosaische Form zieht auch den anfänglich Widerstrebenden aus
einer idealistisch dargestellten Phantasiewelt zur realistischen
Behandlung der den Dichter umgebenden Wirklichkeit und
Gegenwart herunter. Dabei verschiebt sieh ihm von selbst der
Schwerpunkt des Interesses. Unter allen Umständen interessirt
uns in der Dichtung wesentlich nur die Darstellung menschlichen
Seelenlebens. Aber wenn in Hlterer Zeit die äussere That ein
getreuer und nothwendiger Ausdruck dieses Seelenlebens war,
und daher der hauptsachliche Gegenstand dichterischer Dar-
stellung sein durfte, so ist in den späteren, von künstlichen
Culturbedingungen eingeschnürten Zeiten, welchen eine solche
prosaische Erzählungskunst stets angehören wird, das innere
Lel>en bedeutender Menschen ein viel reicheres und bewegteres,
als der äusserliche Ausdruck ihrer an lebhafter Bethätigung so
mannichfach gehinderten Thatkraft erkennen lässt. Bei diesem
Auseinanderfallen einer zumeist seelenlosen Aeusserlichkeit und
einer tief und voll erklingenden, nach aussen aber nur wie in
einem gedämpften Echo sich hörbar machenden Empfindung wird
der ächte Künstler prosaischer Erzählung ohne Zaudern seine
Wahl treffen. Man hat richtig bemerkt, dass der moderne Roman
in seinen vorbildlichen Vertretern, als ein acht psychologi-
— 168 —
seh es Kunstwerk, an äusserem Leben sehr arm, an innerem
um so reicher, und reicher als allere Dichtungsgattungen sei*).
Wie nun, für diese vorzugsweise psychologische Aufgabe, der
Roman einen von der epischen Vorstellungsweise sehr merklich
verschiedenen Stil auszubilden habe, wollen wir hier im
Einzelnen nicht betrachten. Nur eine wesentliche Eigenschaft
dieses Stils sei hier ins Auge gefassl : die Breite der Dar-
stellung. Jeder prosaischen Erzühlungsweise ist, der Poesie
gegenüber, schon darum eine gewisse Breite wesentlich eigen-
thUmlich, weil ihr die so unvergleichlich intensive, gleichsam
wie ein voller Accord viele Töne zu gleichzeitigem Erklingen
verbindende Ausdrucksweise der poetischen Sprache verwehrt
ist. Im Roman erfordert zudem das Verhaltniss des Dichters
zum Stoffe eine breitere Ausführung als im Epos nothwendig
war. Dort bot den Stoff die Sage dar, in welcher eine für den
Dichter und seine Zeit- und Volksgenossen jedenfalls unbedingt
gültige Empfindungsweise einen Vorgang beseelte, an dessen
Wahrheit und Wirklichkeit das, durch die dichtende Schöpfer-
kraft vieler Generationen ihm eingebildete poetische Leben
keinen Zweifel entstehen Hess. Viel mehr Bemühung, eine vieL
grössere, gleichsam überredende Ausführlichkeit der Darstellung,
als bei einem so günstigen und willigen Gegenstand, ist jeden-
falls erforderlich , um einen , rein der Einbildungskraft eines
Einzelnen entsprungenen Stoff aus einem blossen [»hantastischen
Traumbilde zu jener Lebendigkeit und Wirklichkeit umzubilden,
die ihn erst zum vollen Kunstwerke macht; um die ganz indi-
viduelle und jedenfalls in irgend einer Richtung einseitige
\} Schopenhauer, Parcrga Bd. II p. A73 f. (3. Ausg.}: »Gin Roman
wird desto höherer und edlerer Art scyn, je mehr inneres und je weni-
{j;er äusseres Lehen er darstellt; und dies Verhaltniss wird, als charak-
teristisches Zeichen, alle Ahstufungen des Romans begleiten, vom Tristram
Shandy an bis zum roheston und thatenreichslen Ritter- oder Rttuberroroan
herab. Tristram Shandy freilich hat so gut wie gar keine Handlung; aber
wie sehr wenig hat die neue Heloise und der Wilhelm Meister! Sogar Don
Quixote hat verhaltnissmässig wenig, besonders aber sehr unbedeutende,
auf Scherz hinauslaufende Handlung: und diese vier Romane sind die
Krone der Gattung». Dasselbe gelte für Jean Pauls und sogar für Walter
Scotts Romane, in welchen das äussere Leben wesenUich dazu diene, das
innere (als den eigentlichen Gegenstand unseres Interesses) in Bewegung
zu setzen ; während in schlechten Romanen es seiner selbst wegen da sei.
— 169 —
Empßndungsweise, welche sich in einer solchen Dichtung des
Einzelnen ausspricht, dem Hörer verständlich; ergreifend, ja zur
vollen Milempfindung fortziehend zu machen. Endlich ist, den
wesentlich im Innern der menschlichen Emündung liegenden
Schauplatz dieser Dichtungsweise, bei dem in ihm herrschenden
geheimnissvollcn Dämmerlichte, übersichtlich und deutlich zu
machen, nur dann möglich, wenn maD seinen verschlungenen
und unberechenbar mannichfaltigen Schluchten und Irrpfaden
beharrlich und mit ausdauernder Aufmerksamkeit auf ein un-
endliches genauestes Detail nachgeht. Der psychologischen
Aufgabe des Künstlers kann zudem nur eine lange und mannich-
faltige Reihe von Ereignissen dienen, in denen die (Iharaktere
-seiner Personen, die doch nur in der Bewegung, nicht in starrer,
monumentaler Positur ihre eigenste Art darlegen ^) , sich ent-
falten können. Zuletzt dürfte man vielleicht behaupten, dass
eine Nöthigung zur Breite für den Roman schon in der grösseren
Anzahl der Personen liege, deren er, mit dem Epos verglichen,
zu bedürfen scheint. Es scheint nämlich, als ob ihn hierzu der
jedem Künstler nothwendig eigne Wunsch, ein allgemein gültiges,
typisches Bild menschlichen Wesens darzustellen, nöthige. Denn
während in alter Zeit eine in der Art des Anschauens und
Empflndens , in Sitte , W^illensrichtung und Handlungsweise
wesentlich gleichartige Volkseinheit das ihr als allgemein
menschlich Geltende sehr wohl in wenigen, kräftigen, alle AfTecte
deutlich aussprechenden Charaktergestalten vom Dichter dar-
gestellt sehen konnte : so bildet eine reicher und künstlicher
entwickelte Cultur ihre, mehr und mehr nur auf die eigne
Einsicht und Ansicht gestellten einzelnen Mitglieder zu einer so
unermesslichen Verschiedenheit der Sinnesart , zu einer so
capriciösen Mischung intellektueller und moralischer Absonderlich-
keiten aus, dass der Dichter, um seine Absicht einer künstleri-
schen Allgemeingültigkeit zu erreichen, meistens genöthigt sein
wird, eine grössere Anzahl dieser eigensinnig absonderlichen,
auf den wunderlichsten Wegen nach der verlorenen Sicherhei
des Lebens tappenden Individuen vorzuführen, um aus ihrer
Vereinigung das in so vielen Einzelnen wie in tausend Facetten
1) Aorep xa ocup.aTa i% töjv xivi^öetov xplvetai, out» xai xä '^^.
Aristot. Etb. Nicom. IV 4 4 p. 4128a, 44.
— 170 —
gebrochene Eine Lichl des menschlichen Wesens reiner und
voller wieder zu versammeln*;. —
Den hier angedeiitelen stilistischen Nothwendi^keiten würde
sich nun wohl auch der griechische Homan zu fUf;en gehabt
hal>en, wenn er aus der bisher betrachteten Kunstgattung der
hellenistischen Liebeserziihlung einfach in der Weise hervor-
gewachsen wiire, dass er den aus volksthUmlicher Ueberlieferung
entnommenen Sagengehalt mit einer frei erfundenen erotischen
Fal)el, die poetische Form mit der prosaischen vertauscht hütte.
Vielleicht hUtte er, auf dem Wege einer solchen Entwicklung
von innerer Nöthigung fortgezogen, allmählich zu einem ähnlich
charakteristischen Ausdruck des Kunst Vermögens und des ge-
sammten geistig-gemüthlichen Wesens des späteren AUerthums*
sich ausgebildet, wie ihn für die, mit jenem späteren AUerthum
so mannichfach verwandte neuere Zeit eben die Romandichtung
der modernen Völker darbietet.
Nun zeigt aber der griechische Roman eine von dem
modernen Roman — insofern wir dessen proteische Vielgestalt
nach den vorbildlichen Meisterwerken der Gattung zu einiger
Einheitlichkeit begrenzt und bestimmt denken — sehr wesentlich
verschiedene Physiognomie. Von den soeben berührten Eigen-
thümlichkeiten modemer Romandiohtung besitzt der griechische
Roman nur die einzige Eigenschaft der R reite. Aber weit
entfernt, dass in ihm, wie im modernen Roman, diese Breite
sich als eine nothwendige Folge der nach Innen sich vertiefen-
den psychologischen ErzUhlungsweise begreifen Hesse, stellt sie
sich vielmehr nur als die Rreite der Dissipation dar, eine Breite,
welche lediglich durch die Anhäufung der äusserlichsten Erleb-
nisse entsteht, dichterischer Tiefe keineswegs zur deutlicheren
Darstellung, sondern zum Ersatz dienen soll. Hierin vielleicht
liegt die wesentlichste Schwäche des griechischen Romans : dass
er das Sagengebict und die Kunstmittel der epischen Dichtung
vcrliess, ohne doch auf das Gebiet der psychologischen Dichtung
überzutreten, auf welchem allein eine prosaische Erzählungs-
kunst sich fruchtbar entwickeln konnte. Sein Grundthema : die
1 Ich glaube bemerkt zu haben, dass nur in solchen Romanen, deren
ausschliesslicher Go{i;enstand die Lielie ist, eine Beschrönkung auf wenige
Personen nicht einen dürftigen und ermüdenden Eindruck macht: z. B. in
der Nouvelle Ü^Ioise, im Werther. Der Grund ist leicht zu erkennen.
— 171 —
Schick^le eines Liebespaares, würde zwar einen solchen psycho-
logischen Stoff von grosser Entwicklungsfähigkeit dargeboten
haben. Aber schon dieses Grundthema wird, nach Anleitung
hellenistischer Vorbilder, zumeist ganz schablonenhaft behandelt.
Und vollends würden diese Dichter sehr in Verlegenheit sein,
wenn sie in ein, im Grunde so einfaches Verhültniss, wie es
die Liebe zweier Menschen zu einander ist, so viel Kraft, Tiefe
und ächte Leidenschaft legen sollten, dass sie nur durch die
ErzähluQg seiner Entstehung und allmählichen Entwicklung
dem Leser dauernde und volle Theilnahme abgewönnen. Daher
sinnen sie darauf, den magern Stoff durch Alluvion fremdartiger
Bestandlheile zu verbreitern, die mangelnde Intensität des Inte-
resses durch Extension der Ereignisse, das im Innern wirkende
Leben durch eine unruhige äussere Lebhaftigkeit zu ersetzen.
Und hierbei verfallen sie auf das Auskunftsmittel aller schwachen
Poeten : sie setzen an die Stelle des poetisch Bedeutsamen ohne
Weiteres das Ungewöhnliche und Abenteuerliche.
Der regelmässige Verlauf ihrer Geschichten ist dieser: dass
die Liebenden sich finden , nach kurzem Beisammensein ins
Weile getrieben , durch unerhörte Abenteuer aus einander ge-
rissen, zu Land und Meer umhergeschleudert; und nach man-
nichfaltigen Prüfungen ihrer Treue und Standhaftigkeit endlich
zu seiiger Vereinigung wieder zusammengeführt werden.
Den Zwischenraum zwischen dem verheissungsvollen Anfang
und der endlichen Befriedigung des Endes füllen die buntesten
Abenteuer aus. Aber auch diese heftig bewegten Ereignisse
weiss der griechische Romanschriftsteller nur selten in einen
tieferen Zusammenhang mit dem Charakter und inneren Leben
gerade seines Paares zu setzen. Diese grell gemalten Abenteuer
könnten ebenso wohl jedem andern Paare liebender* Menschen
begegnen; sie sind bestimmt, rein durch ihre eigne Seltsamkeit
die Phantasie des Lesers zu beschäftigen. Ja man bemerkt bei
genauerer Betrachtung sehr deutlich, dass die Gesammtheit der
meisten dieser Romane sich aus der Liebesgeschichte und den
Abenteuern zu See und zu Lande, als aus zwei durchaus dis-
paraten Theilen, nur ganz mechanisch zusammensetzt.
Am Deutlichsten tritt dies bei den ältesten uns bekannten
Romanen hervor. An ihnen erkennt man am Klarsten die in
diesem Abschnitt näher zu erörternde Thatsache, dass nämlich
— 172 —
erst aus der VereinigunG: des, der hellenistischen Liebesromanze
nachgebildeten erotischen Elementes mit einer eignen Gattung
abenteuerlicher Rcisedichtung das wunderliche Ganze des griechi-
schen Homans entstanden ist. Die allmähliche Entwicklung
dieses zweiten Elementes zu betrachten wini unsre nüchste
Aufgabe sein.
Die Menschen haben sich von jeher darin gefallen, von der
Enge und Mühseligkeit der täglichen Wirklichkeit sich zu er^
holen , nicht sowohl durch die Sammlung und Anstrengung
sJfmmt lieber kntfte des Geistes, wie sie der andiichtige Gcnuss
hoher Dichtung erfordert, als durch ein zerstreuendes Spiel mit
den kühnsten Erfindungen einer launenhaften Phantasie, welche
alle Formen und Lebensbedingungen der wirklichen Welt in
UbermUthiger Laune auf den Kopf stellen, mit einer ächten,
seelenvollen Poesie aber kaum mehr als jene Leichtigkeit und
die, diese begleitende Heiterkeit des nur vorgestellten Vor-
ganges gemein haben, womit sie ja freilich, gleich dieser, über
eine beschwerlich ernsthafte Wirklichkeit und ihre harte Thatsttch-
lichkeit sich erheben. Es giebt Völker, deren gesammte Dichtung
nie über eine, solchergestalt entstehende Poesie des Seltsamen
und Bizarren hinausgekommen ist. In der griechischen
Dichtung nimmt sie nur einen bescheidenen Platz ein. In der
eigentlich mythischen Poesie ist diese Art des Phantasiereizes
durch eine weit höhere und iichtere Kunstweise überwunden.
Das Abenteuerliche, Bunte, Seltsame rein um seiner selbst
willen fand seine eigentliche Stelle in einer eigenthümlichen
Art ethnographischer Dichtung, deren Spuren man durch
die ganze griechische Littcratur verfolgen kann.
Sie hatte ihren ersten l^rsprung in der leichtbeweglichen
Phantasie griechischer Seefahrer, welche von weiten und gcftlhr-
lichen Reisen heimgekehrt, in ihren Sagen und Erzählungen
einen kleinen hellen und menschlichen Kreis, den wohlbekannten
Winkel des Miltelmeeres, von einer wilden und nebelhaften
Well voll aller Schreckbilder und zauberhafter UngethUme um-
lagert zeigten. Diese Schiffersagen bildeten sich zu einem künst-
lerischen Ganzen aus namentlich in den Sagenkreisen von der
— 173 —
Heimfahrt des Odysseus, und von den Zügen der Argonauten.
Die £rziihlung des Odysseus bei Alcinous, diese ülteste Robin-
sonade ^) , zeigt deuth'che Spuren einer uralten, zum Tlieil wohl
gar vorgriechischen Fhantastik ^) ; die Reste der Argonauten«
1) »Jedenfalls beginnt in der Europäischen Littcratur mit dem Apolog
bei Alkinoos die Reihe, welche mit Robinson Crusoe schliesst. « Nitzsch
Amnerkgf;. zur Odyssee Bd. III p. XXII. Daher denn auch Lucian, Ver.
Hist. I 3, der wunderbaren Berichte des Ktesias und lambulus gedenkend,
behauptet: apyT^io; oe auToU *«i oiodaxaXo; xf^; ToiautTjC ßo)}xoXo'/(a; h tov»
'UuTipo'j 'Oo'jaseu;, toT; irepi tov 'AX%(voov oiTj-yoüfi^voc ävdfxojv xe oouXeiav
2) Ich erinnere nur an die Wiederkehr einzelner SagenzUge in den
üeberlieferungen und voiksthümlichen Dichtungen andrer Nationen: vor
allem an das sehr weit verbreitete Märchen vom Polyphem (vgl. W.
Grimm, Abb. d. Berliner Akad. 1857 p. \ — 30, zu dessen Nachweisen man
ein gülisches und ein ungarisches Mürchen [beide bei Kühler, Orient und
Occident II 120 IT.], zumal aber eine sehr beachtenswerthe orientalische
Vei-sion in dem Märchen von Seyf-el-Muluk [Lane <001 nights III p. 358
— 355) hinzufüge. Eine, dem »Ojti;« des Odysseus nahe vei-wandte List
kehrt in einem Märchen aus der Bukowina [Staufer, Ztsch. f. deutsche My-
thol. II 210J wieder), an dieCharybdis (auffälligste Verwandtschaft eines
Zuges in dem indischen Märchen von den Abenteuern des Saktideva, bei
Somadeva c. 26, Bd. II p. 162 der Uebers. von Brockhaus. Auf diese Co-
incidenz macht, nach Brockhaus, auch Gerland, Allgriech. Märchen in d.
Odyssee [Magdeb. <869j p. 4 8 aufmerksam; alle übrigen von diesem Ge-
lehrten entdeckten Ver^'and tschaften der beiden Sagenkreise scheinen mir
mehr als problematisch), an die, vielleicht aus der Argonautensage erst in
die Odyssee herüber genommenen Symplegaden (welche in dem mon-
golischen Epos »die Thaten des Bogda Gesser Chan« wiederkehren: Jülg,
Verh. d. Würzb. Philologenvers. [L. 4 869) p. 64). Freilich könnte man
wohl bei einzelnen dieser Sagen-Coincidenzen in Zweifel i»ein , ob solche
Sagen aus gemeinsamer Quelle geflossen seien oder einfach aus dem Grie-
chischen durch die orientalischen Völker entlehnt. Eine nicht geringe
Wahrscheinlichkeit hat z. B. die Annahme einer directen Entlehnung des
Märchens von der Circe in dem Abenteuer des Vijaya und .seiner Gefähr-
ten bei der Yakschiui Kuveni im Mah^vansa: s. Albr. Weber, On thc Ra-
mäyana (transl. by C. Boyd; Separatabdruck aus dem »Indian Antiquary«
Bombay und London 4873) p. 21—27 (wiewohl dort — in bedeutendem
Onterschied von der Odyssee — die Gefährten nicht verwandelt sondern,
wie es scheint, nur zur Erstarrung gebracht werden: wobei man sich
der im Märchen sehr gewöhnlichen Versteinerung von Menschen durch
Zauberer und Hexen erinnern mag [vgl. deutsches Märchen Grimm N. 60
p. 258 d. zwölften Aufl.; griechisch von Hahn N. 22 p. M\ u. s. w. So
werden Riesen bei Sonnenaufgang zu Steinen: Grimm, D. M>th. 54 8, ebenso
wie die Hedningen in der Jüngern Edda: Simrocks Uebers. p. 8UJ) ;
— 174 —
abenteuer, wie sie uns, in ihrer ültesten Geslall, aus dem dritten
Buche des Hesiodischen »Verzeichnisses der Frauen« erhalten
sind, sind uns als Documente einer, ganz ersichtlich schon viel
jüngeren Periode jener ethnographischen Mcirchendichtung merk-
würdig ^) . Hier begegnen uns schon jene UngethUme und halb-
menschlichen Fratzen, wie sie von nun an unveränderlich die,
durch vordringende Forschung freilich inuner weiter hinaus-
geschobenen unbekannten Krdgrenzen bevölkern mUssen : z. B.
die Makrokephalen, die Halbhunde, die Fygmüen ; aber auch
schon die gerechten Hyperboreer , die höhlenbewohnenden
» Unterirdischen ((, die nomadischen, Pferdemilch trinkenden
Scythen 2) .
In den folgenden Zeiten einer unruhigen Wanderlust diente
die reiche Fülle neuer und seltsamer Kunde, wie sie kühne
Kaufleute und die Theilnehmer an den ColoniegrUndungen aus
den Lündern des fernen Westens und Nordens nach Hause zurück-
brachten, vor Allem dazu, die Phantasie, statt sie durch die
Krkenntniss der Mannichfaltigkeit des Wirklichen zu befriedigen,
nur zu immer neuen abenteuerlichen Vorstellungen aufzuregen.
Mit der schrittweise vorschreitenden P>weiterung der Peripherie
der wohlbekannten Krdstrecken rückte freilich das Beich des
Wunders immer weiter hinaus; aber, zurückweichend wie ein
Traumbild das man zu ergreifen strebt, schien es in der un-
deutlichen Ferne nur immer lockendere Geheimnisse zu ver-
sprechen.
Anfangs schien noch, in den Berichten von weiten Beisen,
die poetische Form auch den hihalt als einen wesentlich er-
dichteten, den Märchen der Odyssee verwandten, ungesch^ier
bezeichnen zu wollen. So in dem Gedichte des Aristeas von
Weber \i. 27) leitet auch die eben erwähnte Wiederholung der Symple-
gadcnsage aus einfacher Entlehnung des griechischen Märchens ab.
1) Die Abfassungszeit des Hesiodischen KaTaXofo; pvaixoüv, im Beson*
dem des dritten Buches, scheint unbestimmbar. KirchofTs Hypothese (Com-
pos. d. Odyssee p. 60—64), der zufolge das dritte Buch i^eraume Zeit nach
Ol. 30« verfasst sein soll, beruht auf zwei nicht strict beweisbaren An-
nahmen.
2) Max(>ox£<paXoi, 'Hfxixuvec, fluYfxaToi Hesiod. fr. LXXIV^ Mksch.; 'Ticcp-
ß<5p£oi fr. LXXV (die Hyperboreer ermähnte auch "ÖjxTjpoc ^v 'Eicif övoioi :
Herodot IV 8J. Vgl. Hymn. Homer. VII «9); KaTouSatoi fr. LXXH; Scytben
fr. LXIII.
— 175 —
Proconnesus über die Greife und einäugigen Ariniaspen und
andere Wundergeschöpfe der von ihm bereisten nordischen
Nebehvelt M. In welchem Sinne der allem Phantastischen gegen-
über sonst so leicht und gern gläubige griechische Hörer diese
Wundererzahlungen hinnahm, liisst uns wohl die Art ahnen, in
welcher Aeschylus in der Prometheustrilogie die Greifen und
Arimaspen, die Stemophthalmier und mehr dergleichen Ungeheuer,
mit den grausigen Gestalten altgriechischer Mythen, den Phor-
kynen und Gorgonen vermischt, in die Beschreibung der Fahrten
der Jo und des Herakles verflicht 2). So hatten wie mit einem
neuen Zuwachs der alten Mythenwelt, schon Alkman und andre
Dichter mit solchen neu erfundenen Wundergestalten gelegentlich
gespielt ^) .
Bald aber fasste man, der allmählich sich immer machtiger
1) Herodol IV iS. U. (vgl. 32.). Die Zeil des Arisleas, d. h. des
Verfassers des unter dem Namen dieses (schon von Pindar [fr. 254 Bergk.j
erwähnten) Wundormannes gehenden Gedichtes 'ApifxdaTreia lässt sich
leider nicht bestimmen. Die lilterarhistorische Combinalion der Alexan-
driner setzte ihn als Zeitgenossen des Croesus und Cyrus an (Suidas s.
'Apifjicloiceia.).
2) Aeschylus Prom. vinct. 703— 8U: die, v. 799 IT. erwähnten Greife
und Arimaspen sind dem Gedichte des Arisleas entlehnt, wie Weil zu v. 799
mit Recht annimmt. [Aus Arisleas denn auch ^ohl die etymologische An-
deutung Tdv T6 p.ouN(u7:a orpaxöv 'ApifxaoTiov ilTnroßafxova 804 f., vgl. Stein
zu Herodot IV 27, 7. Die richtige Etymologie des scylh. 'Aptfxaanö; »mit
Pferden vertraut a (s. MüllenhofT, Monatsber. d. Akad. zu Berlin 4866
p. 555} könnte indessen in dem J7:iioßdp.ova des Aesch. angedeutet sein].
Im »gelösten Prometheus« sagte Prometheus dem Herakles die Abenteuer
seiner Fahrt vom Kaukasus zu den Hesperiden voraus: dabei wurden die
Kynokephaloi , Sternophthalmoi , Monommatoi »xal dXXa fxupCa« erwähnt
(fr. 194), neben den gerechten Gabiern (fr. 490), den Scylben (fr. 492) u. A.
3j Alkman erwähnte die (irgendwo im Osten gesuchten) Steganopoden,
die nördlichen Issedonen, die rhipäischen Berge, die Annichoren und an-
dere Phantasievölker, vermuthlich in einer scherzhaften Aufzählung der
Völker, zu denen sein Dichterruhm gedrungen sei : vgl. Schneidewin, Conjj.
crit. p. 47—30. — So gedenkt Pindar der Hyperboreer (Ol. HI 25—29. 50.
Pyth. X 45 IT.), wie vorher schon die homerischen '£71(70^01 (Herodot IV 32 ;
s. Welcker, Ep. Cycl. II 399. Vgl. bymn. homer. VII 29, mit Baumeisters
Bemerkung p. 338), später Antimachus (fr. 44 8 p. 4 07 StoU. [s. indessen
Meineke, Steph. Byz. 650, 5]. Vgl. Phereniku5 von Heraklea bei Schol.
Piod. Ol. Hl 28. Tzelz. Chil. VII 680 ff.) und der hellenistische Dichter
Simmias von Rhodus (dv 'AiröXXcuvt, wo auch von den Üfxtxuve« die Rede
war. Steph. Byz. s. Hpiix'jve«, Tzetzes Chil. VII 693 ff.).
— 176 —
ausbildenden Nei{{ung der Zeit p^enwlss, auch solche Wunder nur
als Gegenstiindc einer auf alle Din^e und Vorgünfzie der Welt
gerichlelen, ernsthaflen und unersättlichen Wissbef|;ierde. Lustig
zu stehen ist nur, wie man nun diese wunderlichen Erfindungen
ganz ehrbar in die übrigens durchaus prosaisch genauen und
nüchternen Berichte von Natur und Sitten ferner Länder hinein-
trug, und wie denn schliesslich die urgriechis(*he »Lust zu
fabulirenu immer wieder den hellen, mit klu«;er Neugierde iiuf-
me.rken(l(*n griechischen Verstand in ihre ausgelassenen Wirl>el
hineinzirlit. Als Vertreter dieser absonderlichen Vermischung
von riclitiger Beobachtung und phantastischer Fabel mag für die
nordischen Lilnder Pytheas von Massilia genannt werden i).
Vor allem aber S4*limückte uriechisclie Phantasie den Süden mit
den buntesten Wundern, und mehr als alle andre das falielhafte
Land im Südosten, das Land der Inder, wo die üppigste Bildungs-
kraft der Natur die menschliche Kinbildungskraft selbst zur
wetteifernden Fortsetzung ihrer Wunderschöpfungen aufzufordern
schien. In dreifacher, durch S k y 1 a \ , K t e s ia s , M ega sth e n es ^i
vertretenen Stufenfolge erschloss die griechische Forschung, in
inuner genauerer und im Ganzen erstaunlich treuer Schilderung,
die Keuntniss des wunderreichen Landes und seiner Bewohner;
1j Die Reisen des Pytheas nach dem Norden Kuropas fanden etwa zu
gleicher Zeit mit Alexanders des Gr. Ernberun|;szü^en in Asien statt: vgL
Fuhr Pytheas v. Mass. p. 43, MüllcnhofT, 1). Alt. I ä36. Seine Boriclite,
>^ eiche schon dem Kratoslhenes ernster perürksicliligung ^erth erschienen,
sind durch kritische Betrachtung im Allgemeinen von dem, seit Polybius und
Strabo ihnen anhaftenden Verdacht der Lügenhaftigkeit immer enischiedeoer
befreit >^orden. Gleichwohl hielt er sich nicht ganz fixM von Fabeleien: man
denke an seine ErzUhlungen von dem oufxptfxa, 7:Xc'jfi.ovi HaXaTTU;> ioix6;, in
welches hoch im Norden Erde, Luft und Wasser übergingen (Strabo U
{>. 104;, von den Panotiero und llippopoden (Mela III 6: von Müllenhoff
p. 40t AT. auf Pytheas zurückgeführt^ von Lipara (MüllenhofT 367 f. vgl.
Cirimm, D. Myth. 440).
2) Man darf in der Tliat nur diese drei Männer als die Vertreter selb-
stündiger Forschung ül>er indische Dinge nennen ; aus Megasthenes sc^hOpf-
ten wesenUich die späteren Geographen, auf Skyla\ aber gehen, nach der
wahrscheinlichen Annahme Schwanebecks (Megaslhenis Indica , Bonn 1846»
p. 6;, die indischen Berichte des Hecatoeus (fr. 174 — 479 F. bist. gr. I
p. M) und des Herodol (111 98—105. 106.) zurück. — Die nach den Aus-
sagen griechischer Kaufleute zusammengestellten Berichte des Ptolemaeus
liegen diesseits der hier zu berücksichtigenden Zeit.
— 177 —
in gleichem Maasse steigerte sich aber auch die Lust, zu allem
Wunderbaren der Wirklichkeit auch noch die allerseltsamsten
Wahnbilder der Märchenphantasie in so reicher und fremdartiger
Umgebung anzusiedeln. Ks ist, als ob die, aus dem Leben und
den thätigen Gedanken der Griechen mehr und mehr verdrängte
dichterische Wunderlust sich, als in einen lelzten, schützenden
Unterschlupf, in das Bereich der nunmehr allmächtig werdenden
Wissenscha ft gefluchtet hätte. Machlen diese ethnographischen
Fabeln die übrigens so ernsthaften Werke jener Reisebeschreiber
zu halben Märchenbüchern, so darf es uns auch nicht weiter
in Erstaunen setzen, eben diese seltsamen Berichte aus Westen
und Osten, aus der limhUllung authentischer und richtiger
Nachrichten herausgeschält, säuberlich zusaunnengestellt zu sehen
in einer eignen Art alexandrinischer Schriftwerke, jenen gelehrten
Sammlungen von «Paradoxa«, deren erster Urheber kein Ge-
ringerer als Kallimachus gewesen zu sein scheint'). In Wahr-
heit bereitete nun diese phantastische Art der ethnographischen
Schilderung eine eigne Gattung förmlicher Heisedichtung in
prosaischer Form vor. Denn fast ohne ihr Wissen hatte sie
einer sonderbaren Art fremdländischer Poesie den Eingang in
die griechische Litteratur eröffnet. Wenigstens für Ktesias und
1 Kallimachus der älteste Sammler von Haufidaia %at ;:apdöoSa : Wester-
mann riapaoo;oYpa^ot p. X, 0. Scboeider, Callim. II p. 330. Die meisten
Sammler dieser Art richteten übrigens ihre Aufmerksamkeit mehr auf wun-
derbare Erscheinungen in der Welt der Pflanzen, Thiere, Metalle, Flüsse
und Quellen, als auf Eigenlhümlichkeiten der Ethnographie (obwohl, nach
dem Vorgange des Ephorus, auf sonderbare Sitten fremder Völker) . Ethno-
graphische Raritäten und Wunder hatte aber z. B. der Geograph Protago-
ras im sechsten Buche seiner FecDfxeTpta xf^c olxoufx^vt); gesammelt: s. Pho-
Uus bibt. cd. 488 (vgl. Westermann p. XLIII) , auch Isigonus von Nicaea
in seinen ''A-tora (vielleicht auch Agatbarchides von Knidus; sofern der
bei Photius cd. 2t 3 corrupt überlieferte Titel einer Schrift dieses Autors:
^i:iTO(j.V] Twv fluY^e^pacpÖTcuv Tepl fto'jfxioicuv dvlpiaiv wohl eher als in : ir. ^.
dxo'jGfifltTODN oder divaYvoaafxdTojv [so Weslermann p. XVII] oder : tt. %. NÖfxcuv
[C. Müller Geogr. gr. min. I p. LVIII], zu verändern sein möchte in: r.
%auix. dvÄpcÄrcuv [abgekürzt geschrieben : dvcuv].i — Eine mittelalterliche
Sammlung solcher antiker ethnographischer Fabeleien, in welcher die wohl-
bekannten Skiapoden, Astomoi, Akephaloi, Opisthodaktyloi mit all ihren
Verwandten wieder auftreten, ist derLibcr de monstris, welchen nach
Berger de Xivrey (Traditions töratologiques) M. Haupt im index scbol.
Berol. aest. 4 868 wieder herausgegeben hat.
Rohde, Der griechische Roroan. 12
— 178 —
Me[>;asthenes ist es vollstündig erwiesen, dass sie ihre ErzJfhlungen
über die Wunder Indiens aus dem Munde persischer oder
indiseher Berirhterstatler i^esehöpft liatlen, welche ihnen in den
Sa^^en von den » Schaufelohren« »SchatlenfUsslern« i>Ilundsköpren«i
» Fyj^niüen u u. s. w. nur alle Miirchen der mit dem Ungeheuer-
liehen so vertraulich spielenden indischen Volksdichlung wieder-
erzühlt hatten i). Der Fehler der frriechischen Krzlihler liesland
nur darin, dass sie, allzu ^elehrif;, jene Gestallen der indischen
Diehtunfi; aus dem Wolkenreiche des Märchens herunter zogen
und auf Erden ansiedelten. Indien war aber nicht nur das
Vaterland jener, von dem allzu empfänjzlicheu griechischen Geiste
willig aufgenommenen und weitergesponnenen ethnographischen
Phantastik : es scheint, dass man dort frtihzeitig auch begonnen
habe, solche Erfindungen zum Gegenstände einereignen Art der
Poesie zu machen. Dies liess sich jedenfalls nicht schicklicher
ausführen als in der Form einer romanhaften Reisebeschreibung,
welche ihren Helden der Reihe nach zu den unerhörtesten
Seltsamkeiten führen konnte. Auf solche Reiseromane konnte
kein Volk des Orients leichter verfallen, als das indisi*he, dessen
Kaufleute schon in ältester Zeit, und lange bevor selbst die
Araber \Veitere Seefahrten wagten, die geheimnissvollen Buchten
und Inseln des indischen Oceans besuchten 2; . Ihre schranken-
1) Me^a<ithenes fr. 30 (Fr. liist. 11 p. k±k) ttoruft sich gerade für seine
Wunderberk'hte nuf die ErzähluiipMi der indischen (ptXoao^oi. Vgl. auch
Aelian h. an. \VI 20 init. Noch die im sechsten Jahrhundert n. Chr.
nach Alexandria kommenden Indier crzöhlten von piovoTcoocg avi^paiiroi, sie-
henköpfigen Drachen und andern Mirakeln ihrer Heimath : s. Damascius vila
Isidori § 07 p. t26, 39 fT. West. Ktesias berichtete die indischen Fabeln
nach persischer Ueherlieferung: Photius bihl. cd. 7i p. S6a, 4 ff. Bk.
Die bei ihm und Megasthcnes erwähnten £votixtovtec, iviuToxoiTai, tbroXixvoi,
oxidl7?ooe(, p.ov^xa>>.ot , wx'jttooc; , xuvoxecpa/.ot , (AONOfifiaTot u. s. i^'. sind als
(ieschüpfe der indisclien Phantasie aus dem Mahabharata und Kdm^yana
nachgewiesen von Schwanebe(*k Megasth. Indica p. 66 fT. und Lassen lud.
Alt. 11 ATH fr. ('Die von Meg. erwähnten 'A3T0(A0t, welche nur von dem
Duft von Blumen uml Braten leben, sind, nach Schwanebeck p. 69, in in-
dischen Quellen nicht nachweisbar. Ich fühlte mich dabei immer an den
im Anfang des Baital Pachisi (p. 46 Oest.j erwähnten Büsser erinnert, wel-
cher, mit den Füssen an einem Baume hängend, nur von cingeathmetem
Rauche lebt. Die "AaTOfioi kennt übrigens auch der Liber de monstris c. tk
p. 98 Berger;.
2) üeber die frühen Seefahrten indischer Kaufleute nach Ceylon und
— 179 —
lose, die klare und genau hegriinzte Wirklichkeit durchaus in
ein zauberhaftes Getriebe Übernatürlicher Gewalten auflösende
Einbildungskraft musste ihnen, auf solchen Fahrten, jedenfalls
die ausschweifendsten Wunder vorspiegeln. Nun scheint es
freilich, als ob bisher irgend ein Denkmal indischer Reisedichtung
nicht bekannt geworden würe. Aber eine Widerspiegelung
solcher, gegenwärtig verlorner, indischer Erzählungen darf man
unbedenklich in einigen arabischen Reiseronianen erkennen,
unter welchen die Abenteuer Sindbads des Seefahrers am
Weitesten bekannt sind*). Man nimmt freilich ziemlich allgemein
an, dass die Abenteuer des Sindbad eine junge, arabische
Erfindung seien 2). Indessen scheint mir dies wenig glaublich.
Die arabischen Kaufleute, Reisebeschreiber und Geographen
zeigen sich überall als sehr nüchterne, klare, ja skeptische Reob-
achter fremder Länder und Zustände. Mögen also von arabischen
Reisenden etwa die vollkommen richtigen Nachrichten über
Eigenthümlichkeiten der Thier- und Pflanzenwelt herrühren,
darüber hinaus, und nach Arabien s. Lassen Ind. Alterlhun)sk. II p. 578 ff.
Die Araber waren in jener frühen Zeit noch keine Seefahrer in grösserem
Stile: s. Lassen p. 58i fT.
\) Ausser den Reisen Sindbads des Seefahrers vgl. man »The story of
Seyf-el-Mulook and Bedeea-el-Jemäl« in Lane's 1004 nighls III p. 308— 37t,
die sehr merkwürdigen »Avenlures d'Abouifaouaris, surnomm«^ le grand
voyageurn in 1001 Tag (Cabinet des f^es XV it31 fT.) , den hindostanischen
Roman »Les avenlures de Kamrup« (s. oben p. 50), die von Galland aus
dem Türkischen übersetzte »histoire du prince de Carizme et de la prin-
cesse de G6orgie« (Gab. des f^es \VI 211—251).
2) Nach de Sacy wären diese Abenteuer »un roman vraiment arabe
d'origine«; dieser Meinung schliesst sich Lane 1001 nights III p. 60. 61 an:
die Zeit ihrer Entstehung sei nicht genau zu bestimmen; indess leiteten
die vielfachen IJebereinslimmungen mit wunderbaren Berichten der arabi-
schen Geographen Kazwini (zweite Hälfte des 13. Jahrh.) und Ibn-el-Wardi
(f Mitt« des 14. Jahrh.) darauf, in den Erzählungen dieser Forscher die
Quellen der gleichartigen Berichte in 1001 Nacht zu erkennen, und somit das
Härchen von Sindbad für jünger als jene beiden Geographen zu hallen.
Wesentlich gleich ist Rcinaud's Meinung (Relation des voyages faits par les
Arabes et les Persans dann Tlnde et ä la Chine dans le IXo siede. Paris 1845 1
p. CLXXV— CLXXX, fast wörtlich wiederholt in seiner Ausg. der Geographie
d'Aboulf^a I [Paris 1848] p. LXXVI— LXXVIII). — Uebrigens habe ich
weder Richard Hole's Commentar zu den Reisen des Sindbad , noch Wal-
ckenaers Aufsalz über dieselben (Nouv. Annales des Voyages 1838) be-
DQlzen können.
\2*
— 180 —
weiche sich mitten unt«r den eigentlichen höchst phantastischen
Reiseabenteuern des Sindbad finden, so wird man dagegen die
phantastischen Beslandtheile dieses und verwandter Reiseromane
um so weniger als die eigne Krßndung so kluger und scharfer
Beobachter gelten zu lassen haben , als sie sich, bei genauerer
Betrachtung, zum allergrüssten Theii als Trümmer sehr alter
Sagen mit Bestinmitheit erweisen^). Da nun einige der be-
I; Dies mag eine kurze Uebersicbt über die bauptsächiichsten Wuuder-
bericbte des Sindbad bestätigen. i. Reise: a) Landunj^ auf einer schein-
))aren Insel, die sieb ptötzlicb als ein riesiger Fisch aus^\eist: Kazwini bei
Lane p. 83. Aber dieselbe Sage schon l>ei Pseudocallisthenes III 4 7 (AY)
fvgl. Zacher Pseudokall. p. U8 f.j, und in einem talmudisohen Märchen
(Freudenlhal, Orient und Occid. III 354). — b; Insel Kabil, dort Musik von
unsichtbaren Wesen: kazwini bei Lane p. 88. Aber ein ähnlicher Bericht
»chon im Periplus des Hanno (§ U p. H f. Müller); vgl. Masudi, Les prai-
ries d'or c. XVI (v. I p. 343). — i. Reise, c) Sindbad, schlfffend auf einer
einsamen Insel vergessen, findet sich, erwacht, allein; er bindet sich an
das Bein eines riesigen Rokh ; der nimmt ihn, auffliegend, mit in die Luft.
Aehuliche Luftfahrt bei Kazwini, Lane p. 94 f. Aber K. citirt ausdrücklich
als seine Quelle »thc author of llie Kitäb-el-Ajaib (Buch der Wunder)«.
Also ist dieser Sagenzug älter als Kazwini. In der That findet sich dio
Sage von einer, nut Zuhülfenahme eines Vogels bewerkstelligten Luftfahrt
in den Märchen vieler Völker: zunächst im Pseudocallisthenes (LC) II 44
(lieber bildliche Darstellungen dieser, durch mittelalterliche Alexanderro-
mane sehr berühmt gewordenen Luftfahrt Alexanders, an Bauwerken des
Mittelalters s. Cahicr Nouv. niel. d'archeol. etc. (Paris 4874j p. 165 IT.), so-
dann in der Vita Aesupi c. 27 ff. (p. i90 IT. Eberli. Vgl. Basile Pentam. IV 5
[IIp. 56 Liebr.j}, in einer talmudischenSage (s. Heinemann Vogelstein, AdnotatL
ex litteris oriental. petitae ad fabulas quae de Alex, magno circumfer. Vrat.
4 865 p. 15 Anm. 4.), in Firdusi's Erzählung von Kai Chosru (Görres Hei-
denb. v. Iran I i44 fi*.), in indischen, neugriechischen, serbischen Mär-
chen (Somadeva c. 26 II p. 163 f. Br. [eine Parodie: Bharataka dvatrinvikA
bei Weber, Ind. Streifen I 248]; von Hahn Neugriech. Märchen II p. 418,
I p. 132; Wuk Serb. Märchen N. 43 p. 237 f.) Beiläufig gesagt: mit Un-
recht .stellt Lipsius (Die (^u. der röm. Petrussage p. 4 64) neben .solche Er^
Zählungen die Sage von der Luftfahrt des Simon Magus. In dieser fehlt
das wesentlichste Glied , die Hülfe des Vogels ; ihr liegt vielmehr der
Glaube an die Fähigkeit heiliger .Männer, sich in der Luft schwebend zu
erhalten, zu Grunde, ein Glaube, der, ursprünglich von Indien ausgehend
(vgl. den Bericht des Damis über das Schweben der Brahmauen, bei Phi-
lostr. V. Ap. III 15 p. 93, 2G [ed. Kayser 1870]; III 17 p. 96, 26; VI 46
p. 244, 1; VI 41 p. 224, 1; die zahlreichen Berichte vom Schweben des
Buddha [z. B. Spence Hardy, East. Mon. p. 2, St. Julien, les Avaddnas I
p. 23 f.]; die Erzählung des Ibn-Batüta [c. XVII p. 162 Lee] vom Schwe-
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deutendstcn sagenhaften Zttge sich schon jetzt geradezu als
indisches Gut nachweisen lassen, so werden woh] einsichtige
Beurtheilcr wenig Zweifel darüber hegen, dass die eigentliche
Heimath nicht nur einzelner Züge, sondern des wesentlichen
ben eines Yogi), dann auch auf neuplaionische und christliche Heilige
übertragen wurde (z. B. auf den Jamblichus: Eunapius v. Soph. p. 43
Boiss., auf Filippo Neri : Goethe Ital. Reise [Werke in 40 Bden., XXIV p. 9.
490] u. s. w.). — d) 8., von dem Rokh im Diamantenthaie niedergesetzt,
bemerkt, wie Kaufleutc Fleisch hinunterwerfen, welches Geier, sammt
den daran festsitzenden Diamanten, in die Höhe tragen; er lässt sich
selbst , in solches Fleisch gewickelt , emportragen. Ebenso holt Alexan-
der d. Gr. Diamanten, nach Kazwini bei l^ne p. 98. Aber K. mag
wohl aus solchen Berichten schöpfen, wie sie jetzt vorliegen in dem
»Aristoteles« de lapidibus p. 865, 2 (f. und 390, 27 ff. ed. Rose (Zschr. f.
deutsch. Alt. XVIII [4 875]), ein Stück spötester Alexandersage. Zudem er-
innert Lane selbst an einen ähnlichen, viel alteren Bericht bei Epiphanius
(derselbe findet sich in Epiphanii Opera cd. Dindorf Vol. IV p. 490. 494).
Verwandt ist ofrent>ar auch die von Herodot 111 4 44 mitgetheilte Sage von
der Kinnamomon-ernte. — 3. Reise. Hier bildet den Mittelpunct die Sage
vom Polyphem. — 4. Reise, e) Neger mästen die Gestrandeten mit einer
betäubenden Speise und fressen sie dann. Aehnliches bei Kazwini (L. 400),
der sich aber auf einen älteren Bericht (des Yakoob Ibn-Is-häV, the tra-
voller) beruft. — f) Im Lande der PfelTersammler heirathet S.* eine Einge-
bome , und wird nach deren Tode mit ihr begraben (vgl. I..ane p. 404,
Grimm, Kindermärchen III p. 25 der 8. Aufl.) ; aus der Grabeshöhle zeigt
ihm ein Thier einen Ausweg. Dies Letzte ein alter Märchenzug, bekannt
aus den Abenteuern des Messeniers Aristodem (Pausan. IX 48, 6. 7, nach
Rhianus) Indisch : Stan. Julien les Avad^nas II p. 45. — 5. Reise, g) EinRokh
zertrümmert das Schiff durch einen herabgeschleuderten Felsen. Aehnlich
Kazwini bei Lane p. 408, der sich indessen wieder auf einen älteren
Bericht beruft. — h) Ein alter Mann, von S. getragen, schlingt sich mit
seinen schlaffen Beineu unlöslich fest um ihn. S. berauscht ihn, löst ihn
ab, und tödtet ihn. Aehnlich Kazwini bei Lane p. 404. Aber L. verweist
selbst auf den Roman von Seyf Zu-1-Yezen, und auf die indische Ver-
sion derselben Sage in den Abenteuern des Kamrup. Man kann dieses
wunderliche Märchen noch weiter verfolgen (vgl. die Erz. von Seyf-el-Mu-
luk, bei Lane 4004 nights III p. 354 , den georgischen Roman Miriani,
Journal asiat. 4 835 XVI p. 468 f., den hindostanischen Quissa-i-Khawir
Sbah, bei Garcin de Tassy, Hist. de la litt. bind. II 559. Verwandt wohl auch
die l(MtvTÖiro5£( und ifAavrooxeXeic der Alten : Pomp. Mola III 4 0, Apollodor
bei Tzetzes Chil. VII 766, Pseudocallisth (AV) 111 2» , vielleicht auch das
Gespenst, das dem heiligen Hilarion auf den Rücken sprang [Hieronymus
V. Sti. Hilar. Opp. Paris 4645 fol. TI p. 248 E]). — 6. Reise, i) S. f^hrt
schlafend auf einem Floss durch eine, von dem Strom durchflossene Höhle.
Aehnliche Fahrt auf einem unterirdischen Flusse in dem Roman von Seyf
— 182 —
Kernes dieser arabischen Reiseromane Indien sei^ dassell>e fabel-
reichü Land, aus weleheni, niil dem ^esammten Orient, auch
die Araber jene unzähligen Märchen und Novellen empfingen,
Zu-I-Yozcn bei Lane p. 109; auch in der Erz. von Ahulfaouaris, Gab. des f^^es
\V i86, dann in den mitteiallerlichon Sagen von llüon von Bordeaux, Herzog
Krnst u. s. w. (s. Bartsch, Herzog Ernst p. CLX. Dunlop-Liebr. p. 478 a}:
vor Allem \^1. man die indische Erzählung im (/.atrunjaya Mähätmyam
p. 83 Weber. — Die 7. Reise enthalt keine sagenhaften Bestandtheile. —
Ausser den hier hervorgehobenen sagenhaften Zügen enthalten die Reia>e-
erzahlungcn des Sindbad noch eine Anzahl ethnographischer und zoolofti-
scher Curiositäten, welche allerdings wohl .specilisch arabischen ßerinhleo
entlehnt sind , und sich grossentheils schon in den von Reinaud [in der
oben näher bezeichneten Rclati(ui) verofTentlichten Reiset»eschreibungen am-
bischer Kaufleüte des 9. Jahrhunderts finden. Mit Kazwini zeigt sich
weder hier noch in den eigentlich märchenhaften Partien eine Aehnlicbkeit
der Art, dass an eine dirncte Entlehnung aus ihm zu denken wäre. Viel-
mehr erklären sich die llebereinstimmungen lediglich aus der Benutzung
gleicher Quellen , und leiten, ihrem män'henhaften Theile nach . auf die
Annahme der einstigen Existenz älterer orientalischer Reiitemarchen zurück,
dergleichen gar mancherlei umlaufen mochten, und als deren jüngere Reflexe
man nicht nur die Reisen Sindbads zu betrachten hat, sondern auch die
übrigen verwandten Dichtungen orientalischer Litteraturen, von denen
einige oben p. 4 79 A. 1. genannt sind, und hier nur besonders die Abenteuer
des Ahulfaouaris und der, mir nur aus einzelnen Notizen Lane's it004 nights
IH p. t09. p. 520 n. tl> bekannte arabische Roman von Seyf Za-l-Vezen
hervorgehoben werden mögen , weil diese beiden, viel entschiedener als
die Fahrten Sindbads, auf die mittelalterlichen Dichtungen von den Reise-
abenteuern des Herzogs Ernst und Heinrichs des Löwen eingewirkt haben
'Seyf Zu-1-Vezen scheint das eigentliche Vorbild für die Abenteuer des H.
E. zu sein; Abulf. enthält auch einige Züge dieser Sage [namentlich den
Magnetberg, den, als am [Indus gelegen, übrigens schon Plinius n.- h.
II 2H erwähnt*, vor Allem aber findet sich hier [cab. des fees XV 836 IT.]
das orientalische Urbild für die im Occident weitverbreitete und nament-
lich an Heinrich den Löwen geknüpfte Sage [s. Bartsch Herzog Ernst
p. CXIV f. CXVH f.i von dem Traumgesicht des in der Fremde Weilenden
von bevorstehender Wiederverheirathung seiner Frau , seiner zauberhaften
Rückkehr, seiner Ankunft im entscheidenden Augenblicke). Im »Sindbad«
liegt dann eine allerdings acht arabische Verarbeitung älterer Reisemir-
chen mit ausgewählten Seltsamkeiten aus den Berichten der, seit dem
9. Jahrb. den fernsten Osten besuchenden arabischen Kaufleute vor. Aber
den Kern der märchenhaften Berichte für ursprünglich arabisch zu halteo,
haben wir keinen Grund. Wenn wir hierfür ein Vaterland zu suchen hät-
ten, so würde uns vielmehr Alles nach Indien weisen. Denn hierauf
führen die unter c, g, h, i nachgewiesenen indischen Parallelen zu den
Erzählungen des Sindbad , insofern die sicheren Ergebnisse der verglei-
— 183 —
welbhe dann allerdings zuletzt durch ihre Vermittlung in die
westliche Welt hintihergeleitet wurden ^) .
Es scheint nun kein Grund vorzuliegen , warum man die
indische Phantasie sich nicht schon zur Zeit einer innigeren
Berührung mit den griechisch-orientalischen Reichen der Dia-
dochen mit der Ausspinnung solcher abenteuerlich reizender
Reiseromane beschäftigt vorstellen sollte. Ja es Hesse sich wohl
denken, dass die eben damals in griechischer Litteratur auf-
tauchende Gattung frei erfundener Reiseniürchen nicht ganz
ohne Einfluss orientalischer Vorbilder sich entwickelt habe.
Zeigen nicht solche Erzählungen wie z. R. der alsbald noch
etwas nüher zu betrachtende Rericht des J a m b u 1 u s von seiner
angeblichen Fahrt nach einer wunderreichen Insel des fernsten
südlichen Meeres mit den Abenteuern des Sindbad die auffallendste
Charakterverwandtschaft ?
Sicher ist, dass, nicht ohne Einfluss der orientalischen
ürbewohner und Nachbarvölker, in den griechischen Reichen des
Orients jene absonderliche, acht orientalische Poesie des Aben-
chenden Märchenkundc uns ohne Weiteres berechtigen, den indischen
Berichten unter den orientalischen die Priorität zuzuschreiben. Die
letzte Parallele (i) ist ohnehin viel höheren Alters als die arabischen Er-
zählungen, denn sie ist dem (^alrunjaya Mj^hätmyam entlehnt, dem älte-
sten, im 6. Jahrh. nach Chr. abgefassten Legendenbuche der Jainasecte
(analysirt von A. Weber, Abhh. f. d. Kunde d. Morgenl. Bd. I No. 4).
In den dort p. 31 IT. erzählten Fahrten des Bhimasena liegt ein sehr be-
achtenswerther Rest acht indischer Reisemärchen vor, von deren einstiger
Fülle sonst nur versprengte Trümmer erhalten oder bekannt geworden
sind. (Hier auch, p. 32, die [wohl ursprünglich griechische: vgl. Conen
oarrat. 35] Erzählung von dem, für einen Andern in eine Edelsteingrube
Gestiegenen und dort im Stich Gelassenen, die sich in den Abenteuern des
Abulfaouaris p. 278 fT. wiederfindet).
1) Die indischen Reisemärchen, sofern sie eine feste litterarische Ge-
stalt gewonnen hatten, mochten den Arabern (so gut wie die Erzählungen
der sieben weisen Meister, des Pantschatantra u. a.) durch persische
Vermittelung t)ekannt geworden sein. Zwischen Persien und Indien bestand
zur Zeit der Sassanidenherrschaft ein lebhafter, und zwar gegenseitiger
Seehandel (s. Reinaud, Relation des voy. I p. XXXV— XXXIX G^ogr.
d'Aboulf^da I p. CCCLXXXII fT. und vgl. was , nach guten Kaufmanns-
berichten , Kosmas Indicopleustes von dem Verkehr persischer Kaufleute
mit Ceylon im 6. Jahrh. n. Chr. erzählt: Top. Christ, p. 388. 839 6 u. s.w.);
um so glaublicher ist es, dass die Perser auch die Seefahrermärchen der
Inder kennen lernten und sich assimilirten.
— 1S4 —
leuerlichen, jener am bunt weehselnden Spiele mit den Un-
geheuern Zerrbildern einer erreiztcn Kinbildungskraft sich
ver{{nüf;ende Miirehensinn cHk^Ii die {griechische Bevölkerung
allmählich durchdrun&;en haben nmss. und, ein neues Feld
fzrenzenloser Ertindun^ eröHnend, dazu bei|j;elragen hat, die
ächte griechische Weise der seelenvolh^n Darstellung; des einfach
(■rossen, Schönen und Annmthi}j;en, vor Allem des Menschlichen,
der Bevölkerung jener Reiche immer fremder zu machen und
die ei&;enlhümliche Vorstellun^swelt des Mittelalters vorzul>ereilen.
Dies zei^t sich sehr deutlich, wo einmal neben der, durchaus
auf Vorausselzunticn einer der griechisch-orientalischen Volks-
bildunf; immer fremder werdenden Ver^aufzenheit ktlnstiich
erbauten Hofpoesie jener Zeiten eine populäre Dichlun^sweise
den Li(d>lin^sträumen der Volksphantasie (icslalt fiiebt.
Wir besitzen in dem. unter dem Namen des Kall ist henes
überlieferten Volksbuche von dem Leben und den Thaten Alexan-
ders des (i rossen ein {;elreues Abbild der sehr wunderlichen
Vervvandlun{j; welche die schinunernde .lün^linf;s$4estalt des
macedonischen Eroberers in der Vorstellunf^ der griechisch-
orientalischen Völkerschaften allmählich erfahren hatte. Hier
sind die wirklichen Krei^^uisse seines Lebens kaum in ihren
nothdUrfti^sten Grundlinien erhalten : der von diesen Linien
umschlossene lidialt ist ein (zanz neuer und fremdartiger gewonlen.
Aber gerade die Naivetät, mit welcher hier die (icschichte
durchaus in bedeutungs\olle Sage umgewandelt ist, beweist auf
das Eindringlichste, dass der wesentliche Inhalt dieses seltsamen
Romans nicht der Willktlr eines Einzelnen entsprungen ist,
sondern dass uns in ihm eine ächte Volksdichtung vorliegt,
welche, etwa zur Zeit der letzten Ptolemäer zuerst in eine feste
(■estalt gebracht ^: , weiterhin, um ihrer grossen Beliebtheil
1 Dass die Fabel in Aleiandria zur Zeit der Ptolemaerlierrschafl eot-
stand Uli sei, hat C. Müller introduct. p. X\ ff. genugsam be'^ie&en.
Sehr wahrscheinlich ist es, dass auch die . an die rechtmässige Herrschaft
der Ptolemäer so deutlich anknüpfende Öltesle Aufzeichnung der Sage
noch in die Zeit des ptolemäischen Regimentes falle. Zacher Pseudocall.
p. 102 setzt freilich die ültestc Aufzeichnung erst nach 100 p. Chr.: aber
das hierfür geltend gemachte Citat aus Favorinus l)ci Julius Valeriu:»
und in der armenischen ücbersctzung kann als genügender Anhalt für die
Aufstellung dieses Terminus post quem nicht gelten. Denn warum könnte
nicht jenes Citat, welches Ja nicht nur in BC . sondern auch in A fehlt,
~ 185 —
willen, einer unaufhörlichen Um- und WeilerdichUmg unter-
worfen wurde*). Eine genauere Analyse der einzelnen Acte
dieser heroischen Handlung, welche sich, trotz der Verwirrung
und Verschlingung, in welcher sich uns gegenwärtig Alles dar-
bietet, gleichwohl noch mit ziemlicher Zuversicht durchfuhren
lüsst, ergiebt, dass in der ursprünglichsten Form der Erzilhlung
der auch gegenwärtig noch so deutlich zu erkennende orien-
talisch-griechische Charakter der Sage noch weit entschiedener
hervortrat. Von dem Hintergrund seiner europäischen Heimath
fast völlig losgelöst, erschien der grosse König darin noch aus-
schliesslicher als der Eroberer und Ordner des Ostens, als
welcher er allein für die Völker Asiens und Aegyptens eine
Bedeutung hatte ^). Dieser orientalische Charakter des Alexander-
ersl in einer besondern griechischen Version des ursprünglichen Textes,
aus welcher die so nahe verwandten Jul. Val. und Armen., als aus einer
gemeinsamen Quelle schöpften, hinzugesetzt sein?
1) Die älteste der uns erhaltenen Redactionen des Romans, diejenige
des cod. A., muss vor dem J. 340 n. Chr. abgeschlossen sein, da Julius
Valerius, welcher einen zu der Familie A gehörigen griechischen Text üt>er-
setzt, schon wieder benutzt worden ist in dem, zwischen 340 und 345
geschriebenen Uinerarium Alexandri. S. Zacher p. 44 — 84. Ueber das all-
mähliche Anwachsen der einzelnen Beslandtheile s. einige Vermuthungen
bei Müller p. XXV f. (wobei man nur die ganz unwahrscheinliche An-
nahme einer Benutzung des 'AXe^avopiaxö; des Solerichus Oasita in Abzug
bringen muss). Im Allgemeinen wird man wohl nicht irre gehen, wenn
man die lebhaflcsle Thüligkeit an der Ausbildung der Sage sich in den
ersten Jahrzehnten des dritten Jahrhunderts lebendig denkt, wo die Kaiser
Caracalla und Alexander Severus mit dem Andenken und den Reliquien
des grossen Macedonicrs einen abenteuerlichen Cultus trieben (siehe über
Car. Cass. Dio 77, 7. 8, über AI. Sev. Lampridius v. AI. Sev. 30, 3. 31, 3.
64, 3), und auch die Phantasie des Volkes in den östlichen Provinzen des
Reiches sich leidenschaftlich mit der nie vergessenen Wundergestalt Alexan-
ders beschäftigte: wie dieses namentlich der wunderliche Zug des wieder-
erstandenen Alexanders unter der Regierung des Elagabalus beweist, von
dem Cassius Dio 79, 18 erzählt (vgl. Jac. Burckhardt, Constantin p. 262).
2) Das Folgende kann ich hier nur als Thesen hinstellen. Es gab eine
Gestalt der Alexandersage vor der uns bekannten ältesten (AV.): darin
waren des Königs Kampfe in Griechenland (Theben, Athen) gar nicht
erwähnt. Ueher dieser ursprünglichsten Gestalt der Erzählung bildeten
sich zwei Schichten, a) Man fand eine Erwähnung der griechischen Dinge
doch nötbig, und »chob, seltsam genug, die Erzählung davon nach der
Schlacht bei Issus ein, indem man den König plötzlich nach Hellas zurück-
führte, und nach der Zerstörung Thebens, Unterwerfung Athens und Spar-
— IS6 —
ronians — den Übrigens die Vorliebo, mit welcher die asiatischen
Völker im Miltelaller und bis in neuere Zeiten jj;erade diese
Alexandersaf!:e des Pseudokallislhenes sieh aneii^nelen und in
ihrer Art weiter ausbihleten, zu l>ekräf(igen dient ^) — zeigt
sich nun {jsanz besonders khir wenn man, noch tlber die, in
AU^xandria fest jzest eilte illlesle Forni der fzesanunten Krz^hlung
hinausgehend, (iber das Alter der dort zu einem nicht durchaus
einheitlichen (ianzen verein ij^ten einzelnen Hestandt heile sich
Rechenschaft zu Lieben versucht. T)a erkennt man nämlich
leicht, <Iass kein Theil dieser wunderlichen Com|K)sition älter
tas, wie (luivh ciiiu piötzlicho Entriirkun^!, vormitti^lst der Phrase: xdixci9ev
,v(»n Siparta) iijfi(xr,aev ei; xa fxepTj toiv j3ap3d|io>v oid rrj; Ki).»i(a;, wiederum
ins lierz Asiens verselzle. Si> in AV, weh'lie die ünieca 1 4i — II 6 ein-
srhiehen iurspruii^lirti sriiloss sicth an I 41 ;;!leich \\ 7 . h) An dieser
Stelle fanden die Graera srlion diejenigen , welche sich der natürlicheren,
der wirklichen (ieschichte enlspnn'henden 8lellnn{4 dieser Ereignisse er-
innerten, die Drheher der durch BC verlret^^nen Version. Sie setzten sie
daher vor die asiatische Expedition (I i6 — i9j, verfassen at>er, den, in A
ihnen vorliegenden Rückzug nach (iriechenland nun völlig zu vertilgen;
nunmehr Hessen sie den Anfang dieses Rückzuges [1 42—4 4, stehen (wor-
aus ehen hervorgeht, dass sie nicht etwa parallel mit AV die ursprüng-
lich fehlenden (iraeca einsetzten , sondern sie nur an eine andere Stelle
verptlanzten.;. - Die ursprünglichste (jestalt der Sage zeigte in dem völli-
gen Vergessen der griechischen Angelegenheiten sehr deutlich ihren rein
orientalischen (Charakter ; es ist nicht unhedeutsam, dass in der Be-
arheitung der Alexandersage durch Firdusi die Kämpfe in Griechenland
wieder vollshlndig verschwunden sind. — Den ursprünglichen Kern der
erzählenden Theile kann man sich, der t'ehersichtlichkeil wegen, in 4 0 Acte
zerlegen, deren wesentlicher Iidialt etwa folgendermaassen zu bezeichnen
wäre: 1. Nectaneho, aus Aeg\plen fliehend, kommt nach Macedonien und
schwängert die Olympias. t. Alexanders <iehurt , seine Jugend , bis zu
Philipps Tod. 3. AI. zieht nach Afrika, (irundung von Alexandria. 4. Er-
oberung von Tyrus. Schlachl hei Issus. 5. AI. geht ^Is sein eigener Ge-
sandter ins Lager des Darius. Schlacht am SIranga. Ermordung des
Oarius. 6. Porus. 7. Die Brahmancn. 8. Candace. 9. Amazonen. 4 0. Tod
Alexanders in Hab\lon.
li Es kann als vollkonmien bewiesen angesehen werden, dass alle bis
jetzt bekannt gewordenen orienlalischrn Versionen der Alexandersage au
den Roman des Pseudocallisthenes zuru<'kgelien. Nur verwandelt natür—
tich die iranische Sage den konig aus einem Sohn des Nectanebo in
einen Sohn des rechtmässigen persischen Herrschers, des Dara, iwodurclv
also lUpsat oixTjieOvT'xi A>i;avof»fjv — um die Worle des Herodot [III i], be«
Gelegenheit einer ganz analogen Aneignung des Kambvses von Seiten der
Aegypler, zu parodiren; vgl. Dinon fr. H, Polyaen. VUi 29).
— 187 —
sei, als die, in die Erz<ihlung an mehreren Stellen eingelegten
Briefe, in welchen der König »elbsl von seinen Zügen in die
fernsten Liinder des Ostens berichtet. Diese Briefe sind ganz
ersichtlich ohne alle Rücksicht auf die uns vorliegende eigentliche
Erzählung vcrfasst, der sie sogar in manchen Einzelheiten wider-
sprechen. Andrerseits kann man aus dem lockern Geftlge des
Romans die in diesen Briefen erzählten Erlebnisse nicht heraus-
nehmen, ohne die wesentlichsten Ltlcken hervorzubringen, welche
durch keine erzählende Partie des Ganzen ausgefüllt würden.
Es ist eben, bei der Anlage des Ganzen, schon auf jene Briefe
gezählt ; der Erzähler Hess mit gutem Vorbedacht an denjenigen
Stellen Raum in seiner Erzählung, wo statt ihrer die Briefe
schicklich eintreten konnten. Dieses ganze Verfahren kann nicht
darüber in Zweifel lassen, dass schon vor der ältesten Auf-
zeichnung und Gruppirung der ganzen Sage jene Briefe umliefen.
Was sie uns bieten, ist also wahrscheinlich der älteste, jeden-
falls wohl der am frühesten und weitesten beliebte, und eben
darum zuerst fest ausgebildete Kern der gesammten Sage *) .
1) Auch hier muss mir erlaubt sein, die Ergebnisse meiner Unter-
suchung nur kurz hinzustellen. Es gab Darstellungen der Alexandersagp,
welche alle hauptsöch liehen Abenteuer in Briefform vortrugen. Und
zwar existirten mehrere parallele Briefe. 1) a) Ein Brief des AI. an
Aristoteles schilderte seine Erlebnisst; (von welchem Puncte an?) bis zu der
Zusammenkunft mit den Brahmanen (Jul. Val. IH 17 p. 130 b Müller: »nam
cetera tibi, ad Brachmanas usque, pracmiseram.}. Daran schloss sich
ß) ein Brief an Arist., welcher die weiteren Züge, nach Prasiaca berich-
tete: hiervon einige Trümmer aufgenommen in der Briefmosaik III 17,
nämlich a — c (AV), nach Zachers zweckmässiger Bezeichnung. — !2) Ein
Brief an Aristoteles, unmittelbar nach der Besiegung des Darius beginnend,
schilderte den Zug nach Prasiaca (wohin man das Reich des Porus ver-
setzte : man erinnere sich , dass schon ein angeblicher Brief des Kraterus
ao seine Mutter den AI. bis an den Ganges ziehen Hess: Strabo XV p. 702).
Hiervon Reste in III 17 d — k. Nach vielen Beschwerden sind die Wan-
dernden endlich nach Prasiaca gekommen (nicht »wieder« »wieder zu-
rück« nach Pr.. wie Zacher p. 159 paraphrasirt. So müsste es allerdings
sein , wenn eine organische Vorbindung zwischen d — k und a — c be-
stünde, denn freilich ist in c das Heer ja schon in Pr. gewesen. Die
gänzliche Zusammenhanglosigkeit der nur willkürlich aneinandergehängten
Briefe tritt aber gerade darin hervor, dass hier in K. das Heer keineswegs
wieder nach Pr. kommt, sondern zum ersten Male: denn nichts anderes
kann man doch aus den Worten in A p. 122b, 16 (-i^X9op.ev ei; ttjv xard
^9iv 6^v n^iv 9^ouoav ei; rfjv flpaaiaxTjv ir<iXiv) und bei Valerius p. 124 a,
— ISS —
An dic^sen Briefen zeif^t sich nun iin{j;en)ein deutlich, was
eigentlich an den Thaten des Königs die Phantasie des Volkes
fesselli?. (Jern erfreute man sich — wie so mancher sinnreiche
Zug der eigentlichen Krzählung des Pseudokallisthencs beweist
— an dem ritterlich hohen und edlen Sinne des Helden: aber
U PrHSJHca advcntiihamus) herauslesen, ^io ja denn auch, in d, die ^pyt)
Tfj; r'jpeia; keineswe{;s von Pnisiaoa , sondern von den Porlac Caspiae aus
geschieht;. Prasiac« wird erobert (ix'jpieuaafjLev tq; llpaataxf^c TroXeo»; A
p. 4^22 h, 23 j. Hier nun eine Lücke in AV, welche, nach meiner Mei-
nung, aus der in hiteinis<*her Uehersetzung einzeln vorhandenen Epistola
Alexandri Magni de situ Indiao ad Aristotelem praereptorcm säum
(cd. princ. s. a. Lutetiae, von Jacohus Colineus Catalaunensis) zu ergänzen
ist. Nach Besiegung des l*orus (zu dem vorher Alexander als sein eigener
Gesandter [und Spöherj gegangen isl, wie schon früher zu Darius: 11 14 f.
Ein merkwürdig ^eit verbreiteter Sagenzug: Aehnliches wird erzählt von
Constantin d. Gr. in Paneg>r. IX 18 p. 586 fT, ed. Arntzen, von Galerius,
hei Kutrop. IX 35 und Synesius de regno p. 19 A ed. Pet. , von Bahrain
von Persien bei Firdusi IGörres II 139], \on Shapor II von Persien [s. Nöl-
deke Ztsch. d. d. morgenl. Ges. 1874, p. 277. 292]) schenkt AI. diesem
sein Reich zurück und zieht nun in Begleitung desPorus weiter, dem
Meere zu, wo sich denn immer neue Wunder andrängen. (Diese Darstel-
lung konnte freilich der Pseudocallisthenes nicht gebrauchen, da, nach sei-
ner Erzählung III 4 Porus im Zweikampf mit AI. gefallen ist. Dass aber
auch ihm eine durchaus dem Gange der Krzählung in der Ep. AI. analoge
Form des Briefes ursprünglich vorlag, zeigt die, auf eine Verstürameluiig
deutlich hinweisende Verwirrung in A gerade an der Stelle, wo der omi-
nöse Porus einzutreten hatte: p. 123 a, 1; ja unter den Satzbrocken
schwimmt sogar noch ein verrätherisches TjfjiTropo) herum, in welchem
C Müller ganz richtig das ursprüngliche ouv IIc6o<{) erkannt hat). Endlich
kommt AI. zu den redenden Bäumen des Mondes und der Sonne, welche
ihm seinen bevorstehenden Tod in Babylon ankündigen (diese Partie ist auch
in AV, ja auch in LBC erhalten : III 17 1. Der angehängte Schluss: nun kehrte
ich nach Persien zurück, eireiYoiir^v oe Itzi xa 2^efjiipa]jLeai; ßdot>.eta ist
vielleicht nur von Pseudocall. hinzugefügt , um einen Uebergang zu sei-
ner eignen, alsbald folgenden Erzählung zu machen. Was die Epist. ad
Arist. noch w;eiter an wunderbaren Abenteuern hinzufügt, mag aber eben-
falls ein willkürliches Anhangsei, und kein ursprünglicher Bestandtheil des
Briefes sein. Dieser würde jedenfalls schon und bedeutend mit jeoeir
wundersamen Todesweissagungen schliessen). — 3) Brief des AI. an
Olympias, den Zug von Babylon zu den goldenen Säulen des Herakles,
die Unterwerfung der Amazonen (ohne Aehnlichkeit mit der Erzählung
des Ps-rall. III 25: daher Jul. Val. p. 140 b, 28 ganz schlau von ceterae
quoque Amazones spricht},* den Zug an das Rothe Meer, unter mancherlei
monströsen Völkern, zur Stadt der Sonne (auf einer Insel im Meere), nach
der Burg des Cyrus und Xerxes schildernd. Dieser Brief ist im Ps. call.
— 189 —
am Liebsten malte man sieh doch aus^ wie er im fernsten, un-
bekannten Osten unter Kämpfen und Beschwerden tief ins Reich
der Wunder eindrang. Hier konnte sich der Hang zum Aben-
teuerlichen überschwenglich genug thun; und so werden diese
Briefe gar nicht mUde, mit mancherlei, nach Zeit und Yolksart
III 27. 28 (AY, vollständiger in LBC), zwischen die Amazonen und des
Königs Tod in Babylon eingeschoben. Sein Ende scheint verloren; AV
brechen stumpf ab; was BC noch hinzusetzen, ist ihre eigene Erfindung.
Es scheint aber nach den Worten bei Jul. Val. im Beginn des Briefes, als
ob auch die vor dem hier geschilderten Zuge liegenden Abenteuer des
AI. in einem besondern Briefe an Ol. dargestellt worden wären: so dass
also auch in diesen zwei [oder mehreren] Briefen an Ol. der ganze Kreis
der sagenhaften Erlebnisse des Königs umschrieben gewesen wäre. — Mit
dem verlorenen ersten Briefe an Olympias hat schwerlich etwas gemein
4} ein Brief an dieselbe , welcher in grössler Kürze die Ereignisse bis
zum Tode des Darius erzählt, und dann, in weitläufigerer Darstellung, von
deot Zuge des Heeres in die Wüste, dem Kampf mit ungeheuren RiescMi,
von miraculösen Bäumen und Gelhiercn, endlich von einem Zuge in das
»Land der Seligen« berichtet. Dieser Brief, in LB unversehrt erhalten,
füllt den Inhalt von II 23, 32, 33, 36, 37, 39, 40, 41 (s. Zachers Analyse,
p. 134 ff.). — 5j Endlich handelte ein Brief nicht des Königs selbst, sondern
irgend eines Mitgliedes des Heeres, von andern noch gröberen Wundern
jenes abenteuerlichen Zuges nach Osten, welche schliesslich in der oben
p. 180 erwähnten Luftfahrt cumuliren. Eine Art Epitome dieses letzten
Briefes bietet C in II 43 dar; eine ausführlichere Version hat C mit dem
Briefe 4 zusammen zu einer erzählenden Darstellung verarbeitet: II
24 — 42. Aualysirt man nämlich diese Erzählung, so bemerkt man leicht,
dass sie zusammenge.setzt ist aus jenem 4ten Briefe an Ol. und dem In-
halte des in II 43 vorliegenden weiteren Briefes. Denn sicherlich kein
Zufall ist es, dass unter den, II 43 aufgezählten Abenteuern gerade die im
4ten Briefe enthaltenen ;c. 23. 32. 33. 36. 37—39. 40. 41) fehlen: offen-
bar ist II 43 eine kürzere Fassung nicht der ganzen Erzählung in C von
II 24 — 42, [so Zacher p. 134. 142) sondern nur jenes zweiten Bestand-
theiles, der mit dem Inhalte des 4. Briefes zusammen die Erzählung in
II 24 — 42 ausmacht. Jener zweite Bestandtheil wird uns nun freilich gegen-
wärtig in C (II 24 — 31. 33. 34. 35. 41 und einzelne Stücke in den andern
Capiteln) als eine Erzählung in dritter Person dargeboten; dass aber
das Ganze ;so gut wie die, aus Brief 4 in die Erzählung in C übertragenen
Abschnitte) ursprünglich in Briefform abgefasst war, lässt eine Nachläs-
sigkeit in c. 39 erkennen wo, mitten in der Erzählung von »wir« und
Büos« die Rede ist (p. 85a, 43. 44;. Es erzählte also das Ganze ein
Theilnehmer des Zuges, und zwar nicht der König selbst (von dem ja
überall als einem Drillen geredet wird) sondern irgend ein Anderer. —
Brief 5 hat man längst als ein spätes, specifisch jüdisches Machwerk er-
kannt; ob der, in C mit ihm verbundene Brief 4 ebenfalls jüdischen Ur-
— 190 —
ihrer Verfasser wechselnden AusschniUrkunfsen, den Zug des
Konif^s durch die (lehiete aller niü^lichen, zum Theil schon aus
Ktesias bekannten Tn^ethünie zu schildern, seine Kifnipfe niil
unfceheuren Fahel^escliöpfen tliierischer und halbnienschlicber
Art, seine Abenteuer bei der Fahrt ins I^nd der Seligen, ja
bei einer Taucherparlie in das tiefste Meer und bei einer ver-
wegnen Luftfahrt, seinen Verkehr mit redenden Vöj^eln, mit den
sin;j;enden Hiiumen der Sonne und des Mondes u. s. w.
So kann uns dieser Abschnitt des Märchens von Alexander
als eine Probe jener abenteuerlichen Ueisepoesie dienen, welche,
beim Verschwinden des Mythus, von Osten her allmiihlich vor-
dran^ und einen breiten Raum in der Litteratur damab'ger
Zeiten ein{j;enonunen haben muss. Denn diese Al>enteuer Alexan-
ders siml nicht viel mehr als ein zufällii; erhaltener Best einer
weit ausgedehnten Fülle idinlicher Miirchen. Wir würden aber
kaum eine Ahnun«: von der Fruchtbarkeit und populären Be-
deutung dieser Art der Litteratur haben, wenn nicht das Zerr-
bild derselben, welche Luc i an in seinen »Wahren Er-
/ählun&;en«^ aufgestellt hat, uns aufmerksam machen mtlsste.
Niemand parodirt , und jrar mit so gewaltsamem Witze wie er
die »Wahren Cieschichteu« durchzieht, das Wirkungslose; am
wenigsten wandte Lucian seinen Spott an gleichgültige und
verborgene Thorheiteu in jener späten Kpoche seines Lebens,
Sprunges sei, scheint mir wiMiiger gewiss. Indessen liat Heiiienianu Vogel-
steiii a. a. O. p. li— ä6 allerdings selir wahrscheinlich gemacht, dass die,
in Brief 4 liherlieferte Sag<> von dem Zuge Alexanders zum Paradies oder
zur Quelle des Lebens ans j üd is<* her Quelle in die Alexandersage f^ckommen
sei denn tue weiteren (*.oml)inationen V's. nach welchen die Sage den
Juden wiederum \nn Persern überliefert worden sein soll, haben nichts
Cel)erzeUKend(*s\ — Das Alter dieser Briefe mag nun ein verschiedenes
sein; jinlenfalls sind aber alle von den erza h I enden Theilen des Pseudo-
call, unabhängig, insbesondere Ix'wei^t für ilie Briefe 1,2, 3 die Art,
wie sie in den Zusammenhang der Krziihlung nothttürftig eingepasst, ver-
stümmelt und durch Verlusrliung der Widersprüche mit dem eraablendeo
Texte in tJebereinstimmung gesetzt worden sind, dass sie keinesfalls von
dem t rheber der übrigen Erzühlung selbst verfassl, sondern von ihm schon
vorgefunden und seinem \V<'rke nur eingewolten worden sind. Doch hier-
über kann ich mich jetzt nicht genauer auslass«Mi.
I) Man giebt dieser S<*hrifl gewöhnlich den Titel: dXr^^oOc ioTopta;
/.o^o; a. 'p'. Indessen ist sie im Vaticanus 90 überschriel>cn : Whr^w
4it]yt,pl4?cuv a', 3', im Marcianus 434 : 'A'/.r^Hivuiv otTjT|ixaTiov a, p'.
— 191 —
welcher auch die )> Wahren ErzühluD|j;en(t angehören^). In jener
letzten Zeit seiner lonj^eu schriftstellerischen Wirksamkeit wandte
er sich, mit deutlich erkennbarer Absicht, von seiner früheren
Manier einer ziemlich leeren Verspottung eines lilngst erstorbenen
Gütterglaubens und gewisser, ganz allgemeiner und zu allen
Zeiten auf der Oberflilche schwimmender Thorheilen der Menschen
zur Ironisirung oder directen Geisselung der besondern Gebrechen
seiner Zeit, vorzüglich jenes trüben, die nahende Nacht an-
kündigenden Aberglaubens, der damals so beängstigend die
griechische Welt zu überziehen begann. Dieser Richtung seines
Allers, der wir bei Weitem die inhaltsreichsten W^erke seiner
vielgestaltigen Schriftstellerei (wie z. B. den Alexander, Philo-
pseudes, Peregrinus Proteus) verdanken, gehören auch die
»W^ahren Erz^ihlungen« au: auch sie zielen nicht ins Leere und
Allgemeine, sondern auf eine jedenfalls weit verbreitete und
wirkungsreiche Classe von Schriftwerken. Die in wunderbaren
Reisedichtungen übermässig wuchernde Fabelsucht war Lucian
keineswegs als einen harmlosen poetischen Trieb gelten zu lassen
geneigt : er sieht hier nur einen verderblichen Lügengeist thütig,
der von dem Apolog beim Alcinous an durch die ganze griechische
Litteratur sich ziehe, und den er nun durch eine parodirende
Steigerung ins Ingomessene, in seiner vollen Abgeschmacktheit
bioszustellen unternimmt. So schildert er denn die abenteuer-
lichste Reise, die ihn ohne Aufhören unter den tollsten Fratzen
umhertreibt, und ihn endlich, nachdem sie ihn zuerst auf den
1) Dass die »wahren Erzählungen <> in Lucians höheres Aller fallen,
schliesse ich aus der deutlich erkennbaren Vorliebe für Epikur, welche
er II 48 verräth. Lucian zeigt in seiner Jugend Hinneigung zum Piatonis-
•
mus (s. Nigrinus, geschrieben c. U5 n. Chr.); weiterhin, im Hermotimus
(geschrieben c. 160) sehen wir ihn auf dem Slandpunct eines ausgebilde-
ten Skepticismus; eine lebhafte Vorliebe für die Lehre des Epikur zeigt
er erst im Alexander (geschrieben nicht lange nach t80); aus der gleichen
Epoche mögen denn auch die wahren Erzählungen stammen. (Dieser
Stufenfolge philosophischer Neigungen oder Velleitäten des eigentlich durch-
aus un philosophischen Schriftstellers widerspricht auch der »Icaromenip-
pus« nicht, welcher wahrscheinlich ISO, also in der Epikureischen Zeil
Lucians geschrieben ist: s. Fritzsche Luc. op. II 4 p. 159 f. Man wolle
bemerken , dass in jener Schrift , c. 21 , unter den von der Selene ver-
wünschten Philosophen die Epikureer nicht mit genannt werden. Die Vor-
würfe des Zeus gegen die Epikureer, c. 32, sind ja in Lucians Sinne viel-
mehr ein Lob derselben).
— 192 —
Mond und andre Gestirne, weiterhin in den Bauch eines unge-
heuren Fis(*heS; dann nach der Insel der Seligen und dem Orte
der (rottloseii p;e fuhrt hat, durch ininier noch {j;estei}j;erte Wunder
und Ungeheuer an das Land jenseits des Oceans wirft, von
welchem die griechischen Reiscfahulisten so mancherlei Erträumtes
zu l)erichten wussten. Nur der parodistische Zweck kann so
dicht gedriingten Possen eine Bedeutung geben. Lucian ver-
sichert ausdrücklich, dass Jede einzelne seiner Kründungen auf
einen bestimmten Autor und dessen LtlgenlH'richte ziele*). Er
nennt, als «lie bedeutendsten Vertreter der von ihm vers|)oUeten
Litteratur, gelegentlich Ktesias und Jambulus'''] , erwähnt auch
des Homer, Aristophanes, llerodot^). Mit unsern Mitteln ist
es kaum möglich, auch nur bei einigen wenigen der hier sieh
drängenden parodistischen ZUge das parodirte UrbihI zu be-
zeichnen. In manchen Fällen sehen wir wohl alte, z. Th. nach
dem Orient zurückweisende Märchenztige durchscheinen, der-
gleichen \on den bei Lucian verhöhnten Autoren ihren eignen
Erfindungen eingewoben st^in mochten-*). Im Tebrigen muss
1 1 I i : Tuiv isTopO'Jtxivfjjv IfxaTrov oOx a7caj(X(uOT|Ttu; T^vixtai rpöi Tiva;
Ibo Vat. 90 Marc. 434; r.[t. t. tj|v. vulgo) töiv ra/aioiv rotT,Ta>v t6 xai ovj-
fpa^cujv xai cpi/oGOc^cuv TTo/J.d Tepdoria xai (xj^^oiOTj cj^^Cf oatp^Toiv , oO? x«
6vofiLa3Ti dv c^(4ac^ov, ei ut, xai a'jTu> ooi ex xfj; dva^^^iusccu; cpavcTobai e|jLc)«Xo'».
2) I 3 Ktesias i.diesor habe iilier iiulisolie Din^fe ^escliriobeii St fAtjic
a-iTo; eio£ fATjTe dT/^/vOu d>. TjOeOovxo; -T/xo-jaev. So. statt der ofTenhar inter-
polirten Vul^ate: citto^to;, ausser geriiif^eren Hss. auch Vat. 90, Marc. 4S4.
Vielleirht richtig; oder ist AAHH&uovto; corrunipirt aus MVBc6ovto;?>;
dann Jainbulus, dazu zoX). oi dX/.oi von gleicher Art.
3) Homer I 3, I 17. II 3i; Aristophanes I :29. Herodot II 5. vgl. II 84.
— Einmal rühmt er sich, etwas mittheilen zu können, wovon noch Nie-
mand bisher gemeldet habe: II Zi extr. Auch diese (ie wissen liaftigkeit,
unter lauter Lügen, ist natürlich eine Parodie Öhnlicher Angaben orttndungs-
reiclier Fabelerzähler. So sind auch Wendungen wie diese J 40;>: oiSa (in
dr^Toi; doixota iaT0f>7,auiv, ).£;a) o" Ofxui;, oder fl 18; : to utvToi nXf^ftoc o'Jtwv
'der Nephelokeutauren. oOx OMi^pvln, jxf, -w xai dnorov oü?Tj * toioütov Tji»,
scherzhafte Nachbildungen ähnlicher, kritisch freimüthiger Redensarten der
verspotteten Lügenhistoriker.
4) Was zuerst die parodirten Herichle alterer Fabulisten betriflfi, so
muss ich mich hier mit einer kurzen .Aufzählung dessen, was mir gerade
gegenwärtig ist. begnügen. Die Erlindungen des Antonius Diogenes
in seinem, alsbald naher zu betrachtenden Romane scheint Lucian wenig-
stens an zwei Stellen zu persitliren: i 9 tT., wu er seine Erlebnisse auf
dem Monde schildert (dorthin liess auch Diogenes seine Helden gelangen:
— 193 —
uns gerade unsre Unwissenheit, unsreUnfähigkeit, die Beziehungen
der übergrossen Mehrzahl der scherzhaften Züge nachzuweisen,
eine belehrende Andeutung gewähren tlber die ungetneine Frucht-
barkeit und Erfindsamkeit der Griechen auf dem Gebiete dieser
wunderlichen Reiseromantik, von deren ohne Zweifel zahlreichen
Vertretern wir nur eine geringe Anzahl auch nur bei Namen
nennen können.
p. 285, 4 ff., 286, 86 Herch.) und II 29 fT. in der Schilderung der vTjaoc
dbcßfiov (Td iv ^AiBou sah bei Diogenes die Derkyllis: p. 238, 32). — I 28:
die Leute auf dem Monde nähren sich nur von dem Rauch gebratener
fliegender Frösche. Dies scheint auf die dfoTOfi-oi des Megaslhenes zu
zielen : vgl. oben p. 4 78 A. 1. (Hatte übrigens irgend ein Grieche von fliegen-
den Fröschen erzählt? Wunderlich trifft es sich, dass man auf Borneo
wirklich eine Art fliegender Frösche entdeckt hat: s. Wallace, Der malay.
Archipel 1 54 . — Specielle Parodien der Berichte des K t e s i a s wtisste ich nicht
zu bezeichnen ; wenn nicht etwa die Eigenthümlichkeit der Mondbewohner,
welche o^ht T^pTjvxat Stsr.tp if]fjisT; (I 28) uns an den Bericht des Ktesias
von jenem Volke in Indien erinnern darf, bei welchem Sxav ti -^ivriTai
iraiMov o& rix^on tV|V ttu^^jv odhk diroTraxei u. s. w. Wie die Mondbewohner
Lucians (I 24] Milch ausschwitzen, so erzählt Ktesias, dass jenes Volk oO(>eT
T*ipöv, o6 ?:dvu rayuv xxX. (Phot. 48b, 10 ff.). — Homer soll natürlich in dem,
was von der Insel des Kalypso erzählt wird (II 85 f.) persiflirt werden;
einer einzelnen Stelle des Dichters (II. XX 228 f.) ist vielleicht die Er-
zählung von den auf dem Wasser laufenden <I>eXXÖ7:ode; nachgebildet (s. F. V.
Fritzsche, Quaest. Lucian; p. 170). Die Unterredung mit Homer (II 20),
\^obei dieser sich für einen Babylonier und alle athetirten Verse für sein
achtes Eigenthum erklärt, soll die bis ins Alberne (namentlich von den
Krateteern) gesteigerten Bemühungen der Grammatiker und grammalischen
Dilettanten um des Dichters wirkliche Heimath (vgl. Schol. A. II. ^ 79:
ZttjMoxoi 6 KpanfjTeioc XaXSalov t^v ^0p.7]pöv cp7]oiv) parodiren : solch eine
aothentische Auskunft konnte sich ja freilich den Nachrichten kühn an die
Seite stellen, die der, von dem Grammatiker Apion aus dem Todtenreich
heraufbeschworene Schatten des Dichters selbst oder das von dem Kaiser
Hadrian um die Herkunft desselben befragte delphische Orakel geben
mochten. — Hesiod (Op. 172 f.) schwebt wohl dem Lucian bei der Schil-
derung der Fruchtbarkeit des Landes der Seligen (II 48) vor. — Einzelne
Züge dienen entschieden, die Fabelberichte des Theopomp von dem
Lande jenseits des Ocean (s. unten) zu parodiren. So vgl. man mit den
zi^^al ifikmtoi xal VjSov^; (II 4 6) die irotafiol i^jSovJj; xal XOtttjc im Meropen-
laDdc des Theopomp (Aelian V. H. III 48). Die 77) dlvrin^pav ' t^ b^' ifj^wv
ohcou(Aiv|2 %eifx.dvT), nach der Lucian II 47 verschlagen wird, ist ja das eigent-
liche Gebiet jener Theopompischen Fabeln. — Zu einer besonderen Be-
trachtung fordert die Schilderung der Bewohner der Insel der Seligen IM 2
auf. Da helsst es: auTol oe ot{i(i.aTa fji&v oOx f/oustv dXX' dva'fetc xal dfoapxot
Rohde, Der griechUebe Uoman. ]3
— 104 —
^Väh^en(l nun d'wsv. »kunstwidrigen (iespenslor« in der
PlKintnsie des Volkes und einer «zewissen populiiren Dichtung
ihr W'esen lriel)en, die Nalur der Din^e weniger ins Ideale als
nach der Seile des Fratzenhaften steigernd und überbietend,
waren ernstere Geister beinUht, der liier jjjep;ebenen Anregung
etat [dva^etc auch Marcian. 434. Dieso allgemein lieibchaltene Lesart
kann, wegen des alsbald folgenden Zusatzes : et youv [jit] a^javz6 Tt; xtX. nicht
richtig sein. Auch steht sie nicht im Vaf. 90. Dieser bietet vielmehr:
9 9
a^aNcTc, 9 und 9 wohl von erster Hand übergeschrieben: am Rande von
(ilter, vielleicht der ersten Hand: r i^izeU. Beide Lesarten, gleich un«
brauchbar, weisen doch auf alte Corruptel der Stelle hin. Man schreibe:
dXXoi oia^aveT;, woraus sehr leicht: dXV a^aveT; entstehen konnte) — —
xaX oX»; loixc Y'javf, ti; y) 'I^'j/i?) aOröN TrcpiroXclv t^^v toü Of6tjLaTOC ijioidniT«
::ef>t%et[i.£vTj. Neben diesen letzten Worten xai Z\mz xtX.] steht im Marcianns 414
fol. 47n; am J\ande, von erster Hand geschrieben, das Scholion: c{; ^
•jTTep Bo'jXtjN TcpaToXoYO'jfjie^a izi'n.oiTTti. Dass in die Gegenden jenseib
Tliule irgend Jemand Menschen von durchsichtigen und schattenhaften
Kürpcrn versetzt hotte, ist nicht bekannt und wenig glaublich. VennoUi-
lieh bezieht sich das Scholion [welches sich übrigens auch {n cd. Crbin. 419,
fol. 44b findet) vielmehr auf die alsbald folgende Nachricht des Lucian,
dass in dem Lande der Seligen weder Nacht noch Tag, sondern ein däm-
merndes (Xuxa'JY^O Licht herrsche, auf welche Stelle denn auch in den
Vossianischcn .^cholien die Notiz bezogen ist. Diese Angabe passt nlimlich
sowohl auf den Aufenthalt der Seligen (vgl. namentlich Pseudocallisth.
II 89 in.) als auf den höchsten Norden, von dem z. R. Plntarch, De fic.
in. o. 1. S6 Aehnliches erzählt ;vom hohen Norden Asiens ganz Aehnliehes,
merkwürdiger Weise mit einer ihm jedenfalls aus mündlicher Sage za-
gekommenen Erzählung des Pscudocallisthenes [II S9] verbanden, bei Mareo
Polo in c. 45 p. 554 d. l'ebers. von Bürck.). Der Scholiast nun dachte
wohl (wie ich schon in meiner Schrift, Ueber Lucians *livo; p. S9 angeoom-
inen habe) an eine Persiflirung der urep Bo6Xr^v dfrisra des Antonios
Diogenes. Auch mag er Recht haben, denn ganz einfach aus einer Be-
nutzung des Theopomp in dem gelehrten Werke des Diogenes Hessesich
die Wiederkehr einer .sehr Ubniichen Angabe bei Theopomp erklären,
welcher von dem Toro; ''Avotto; im Meropenlande erzählt hatte : «orciX^^pft«
a'Jtiv o5te uro ox^irou; oOre uro ^eot-i;, d*pa oe irtxcTsIfat Ip*j9^p.an ficprf- *
\xhos doXepo) ^Aelian V. H. 3, 18). — Im (Jebrigen bieten die Schollen fUr
die Entdeckung der parodischen Beziehungen sehr wenig Hülfe. Zuweilen
faseln sie von Parodirung biblischer Sagen (so beziehen sie die Be-
schreibung der märchenhaft prächtigen Stadt der Seligen, I! 44, auf das
himmlische Jerusalem, die Krziihhing von dem plützlichtMt Tranbentragen
— 195 — •
zu freier, die Schranken der alten Mythen überspringender
Erdichtung sich zu bemächtigen, und dem taumelnden Gange
solcher geographischen Traume eine festere Richtung, einen
edleren Rhythmus zu geben.
des Mastbaumes [bei der Lucian doch nur an einen bekannten dionysischen
Mythus dachte], II 41, auf Aarons Stab! [Aehnliche Sagen übrigens bei
vielen Völkern: vgl. Liebrecht zu Gerv. Tilb. p. 412]. Eine bemerkens-
werthe Notiz bietet Schol. Marcian. 434 zu 11 4S (bei dem Gastmahl der
Seligen) : oiaxovoyvtai hk %a\ Sia^^pouow Ixaöxa ol dLvep.oi] el; xa wcpl Bpay-
lidlvorv TepaToXoYo6p.eva Ttp 'Aaaup(u) (so, und nicht tcüv 'A90up((uv, wie
Schol. Voss, haben) 6iaa6pei. Von den Brahmanen erzählt etwas ziemlich
Aehnliches Pbilostratus V. Ap. III 27 p. 4 05, 10 fl* , nach Damis. Meint
nun diesen der Schol. unter dem »Assyrier«, oder wen sonst? (Ein ganz
analoger Zug [komisch gewendet: Cratinus fr. com. II 287] im Märchen
von Amor und Psyche, Apul. met. V 3 p. 80, 44 Eyss., und öfter in
orieDtalisch-occidentalischen Märchen : z. B. Wenzig, Westslavischer Märchen-
schatz p. 437. Einleitung zu Oegisdrecka der Edda [p. 52 der Simrock-
schen Uebers.]: »Das Ael trug sich selber auf«. — Ohne Grund findet
Mebler, Mnemos. III p. 3 mit dem oben (p. 480) erwähnten Berichte des
Hanno, Peripl. § 44 eine mira simililudo in dem, was Lucian II 5 von der
Annäherung an die Inseln der Seligen erzählt, wo man sanftes Tönen und
eine ßoif) wie beim Mahle hört: twv piev auXouvTwv x&v oe ^nnivouvrojv
(sehr. iicqL^tSvTcov? »dazu, nämlich zum Flötenspiel, Singender«). Aber
das geht ja bei Lucian ganz natürlich, und nicht, wie bei Hanno, dämonisch
wunderbar zu. — Nun von den Spuren alter Märchen einige der vorzüg-
lichsten Beispiele. I 8: Weinstöcke, aus welchen oben Mädchen heraus-
wachsen. So erzählen Märchen vieler Völker von Menschengestalten, die
aus Bäumen hervorwachsen: z. B. 4 004 Nacht N. 456, X p. 260 (Breslauer
Uebers.); mehr bei Liebrecht zu Gervas. von Tilbury p. 68 Anm. f. Vor
Allem könnte man noch eine orientalische Schifiersage vergleichen, nach
welcher, auf einer Insel Wak-wak im indischen Occan (oder richtiger an
der Küste von Mozambique? s. Peschel, Gesch. der Erdkunde p. 4 42)
Biume wachsen, .welche stall der Früchte Menschenköpfe tragen: s. Kas-
wini und Ibn-el-Wardi bei Lane 4 004 nights III p. 523 ; Albyruni, Gesch.
Indiens bei Reinaad, Fragments arabes et persans in6dits, relatifs ä 1' Indc
(Paris 4845) p. 424. — 124: die Bewohner des Mondes haben einen hohlen
Bauch, in welchen die Kinder, wenn es kalt wird, hineinkriechen. (Vgl.
übrigens Plautus, Trin. 424). Etwas Aehnliches wird vom Seehunde er-
lilhlt bei Aelian h. an. I 4 7, vom Rhinoceros (oder wirklich vom Känguruh?
8. Reinaud, G^ogr. d' Abulf^da 1 p. CCCXCU) nach El-Djahiz bei Masudi,
les Prairies d' or c. 4 6 (I p. 387) u. A. — 1 29: In Lychnopolis rennen
Nachts eine Monge Lichter umher, darunter auch Lucians Hauslicht. Er-
innert an das Märchen vom »Gevatter Tod«, in welchem der Tod seinem
Gevatter in einer Höhle alle »Lebenslichter« bei einander zeigt: Grimm
N. 44 vgl. R. Köhler in Eberts Jahrb. f. roman. Spr. VH p. 49;. üeber
13*
— 196 —
Man lebte in der Zeit der politischen Utopien. Seit un-
j^eheuere Kreignisse die Grundlagen aithellenischer Staaten-
urdnunj^ erschüttert, eine auflösende Bildung auch in dem
Kinzelnen die sichern Instincte einer unbedingten Einordoung
in die Organisation des Ganzen gelockert hatten, musste nun
Treilich auch die philosophische Kritik, wenn sie an dem Ideale
einer, durch abstracte Ueberlegung gewonnenen Vorstellung von
den Zielen des Staatslebens die thatsadilichen Verhältnisse der
das > Lebenslicht «r s. Wackerna^el in Haupts Ztschr. VI SSO AT. — I H:
Kin ungeheurer Fisch verschluckt die Reisenden ; nach langem Aufenthalt
kommen sie unversehrt wieder heraus. Das Alter ähnlicher Sagen beiengt
vor Allem das Al>enteuer des Propheten Jonas. Ein gleiches begegnet dem
Saktideva bei Somadeva c. 25 (II p. 140 Br], dem Bhimasena im Qitruqjaya
.M^Atmyam p. 32, dem Bahudhana im Viracaritra (H. Jacobi, Ind. Stod.
XIV 124;. der Nennella im Pentamerone des Basile V 8 fll p. tt7 Liebr.].
In einer Version der 7 Reisen Sindbads (Cairo-Ausg. bei Lane 1001 night«
III p. 118} machen grosse Fische nur einen Versuch zu einer tthnlichen
t'nthat. Bezeichnend für die Heimath solcher Sagen ist es, dass Dion^-sins
Perieg. 603 IT. solche, ganze Schiffe mit Mann und Maus überschluckende
xf,Tca gerade in die Gegend \on Taprobane versetzt. — 11 18 ff.: Die
Schilderung des Landes der Seligen erinnert in vielen Zügen an die mlircheu-
haflen Berichte vom Schlauraffenland. Die Griechen hatten sich (auch
abgesehen von ihren, doch weniger kindischen Sagen über die Inseln der
Seligen längst in ähnlichen behaglichen Phantasien gefallen: so die jüngeren
Komiker >. Bergk, Comm. de rel. com. Atl. p. 140,, sodann ^obl auch
manche Darsteller indischer Natur: wovon ein lehrreicher Reflex bei
Dio Chrysost. or. 85, II p. 70-^-78 R. ; man mag ihn vergleichen einerseits
mit der Erzählung des Lucian, andererseits z. B. mit dem Brahmanen-
liericht liei Onesicritus fr. 10. Honiglluss in Indien: Ktestas exe. § IS MI.
Vieles Verwandle im weiteren Verlauf unserer Betrachtung. Ueber die
SohlaurafTenländer moderner Volksdichtung vgl. Grimm, Kinderm. III p. 289 ff.
(8. Ausg. . — II 40: der Flügelschlag eines riesigen Halkyoncn bringt ^as
Schiff zum Sinken. Im (.ialrunjaya Muhdtm>am p. 81 machen riesige BhA-
rnnda-Vögel durch Schlagen ihrer Flügel und <len so erzeugten Wind das
festsitzende Schiff flott. — 1 25: die Bewohner des .Mondes haben l>eweg-
liche Augen, die sie herausnehmen und beim Gebrauch immer wieder
einsetzen, auch gelegentlich verlieren und sich dann von Anderen leihen
niü.ssen u. s. w. Erinnert an das Mürchen von der I^mia, welche Ihre
Augen ebenfalls ausnimmt und in einen Beutel steckt: Diodor XX 41 (vgl.
Duris fr. 35; Fr. h. gr. II 478), Plularch de curios. 2. So halben auch
die Gorgonen, und ebenso die Phorkidcn nur Ein gemeinsames Auge, das
Jede nach Bedarf -benutzt. S. Schol. Aescb. Proni. 798 p. 264 f. DInd.,
Eratosth. Catast. 22. Eben.so der Teufel und ein Riese in einem lapp-
ländischen Märchen bei Liebreclit, Pfeiffers Germania N. R. III 185.
— 197 —
griechischen Städle und Staaten mass, das Ungenügende einer
überall durch Noth und Zufall bestimmten und eingeengten
Wirklichkeit unmuthig empfinden. Der Philosoph mochte sich
durch Aufstellung der Gesetze eines Idealstaates über die blosse
Negation des Wirklichen und Gegenwärtigen erheben; aber auch
so kam er über unbefriedigte Forderungen und Wünsche nicht
hinaus. Vielleicht zu seinem Glück bot sich ihm keine Gelegenheit,
an einer praktischen Neuorganisirung der menschlichen Gesell-
schaft die Lebenskraft seiner idealen PlHne zu erproben; um
so sehnlicher musste er streben, aus vergeblichem Wunsch und
hoffnungsvollen Träumen wenigstens bis zu jenem poetischen
Scheine einer Wirklichkeit sich zu erheben , welcher die
Dichtung von der abstracten Vorstellung des Denkers unter-
scheidet. Dieser Drang, das begrifflich so Deutliche nun auch
im ktlnstlerischen Bilde anzuschauen, trieb ihn mit Nothwendig-
keit zur Erschaffung jener Dichtungsgattung, die man, nach
Schillers Terminologie, sehr wohl als »sentimentale Idylle«
bezeichnen könnte , zur Ausführung eines poetischen Bildes
nämlich, in welchem der Krampf, die Spannung, die Noth der
mangelhaften Wirklichkeit völlig abgeworfen wird, und das reine
Ideal des Denkers in freier und stolzer Gestalt sich als das ächte
Wirkliche darstellt.
Es scheint, dass zu dieser neuen Art der Poesie Plalo den
ersten Anstoss, durch sein eignes Vorbild, gegeben habe. Wie
ihn seine innerste Natur trieb, in mannichfaltigen Mythen
seine philosophischen Abstractionen ins künstlerisch Bildliche
zu steigern, so musste er ganz besonders wünschen, sein poli-
tisches Ideal in einer dichterischen Verkörperung lebendig
und frei bewegt vor sich zu sehen. Er gesteht es selber ein*),
dass ein solcher Wunsch es war, der ihm die Erdichtung seiner
1) Kritias zu Sokrates, Tim. 26 C. D.: tou; itoXka« xai Ti?iv 7t(5Xiv f^v
y%ki (in dem Gespräch vom Staate) i?)[jiiv A; iv pi60c|) oiigeiada o6, vOv [act-
cvcTX^vTC« drl xdXT^de; 5eupo ^oofiev tu; ixtistp TifjvSc ouoav, xal to'jc itoXtra;
«ÖC ^irvoou, (pT|00(i.ev ixe(vo'Jc toüc dlX7)divoi»; elvai rpo^övou; i^ji.wv. p. 19 B C
sagt Sokrates: Wie man schöne Thtcre, die man, abgebildet oder lebendig,
in Rahe gesehen habe, nun auch in Bewegung zu sehen wünsche, so
wünsche er die, in den Gesprächen vom Staate im Zustande der Ruhe ge-
schilderte Musterstadt, in angemessener Bewegung, und namentlich im
Kriege mit den Nachbarn, die Vorzüge ihrer Anlage und Einrichtung be-
tbatigen zu sehen.
— lOS —
nAllrintis« oinffiib. jon(' herUlini(c Krzäliliinj: vou einem iirallen,
vor DeukalioDs Zeilen Hellenden idoalzustande des athenischen
Staates und seinen Kämpfen mit dem Volke der Atiantiker,
welche auf einer grossen Insel im äussern Oeean wohnton, aber
auch in Europa und Afrika, bis Tyrrhenien und Aegyplen,
herrschten. Diese Erzühlung, deren Grundlinien im Anfan|2
des »Timaeusu*; gezogen sind, sollleim »Rritias« genauer aus-
geführt werden. Die Absicht kam wohl nie zur vollen Aus-
führung; denn es scheint, als ob schon das Alterthimi nicht
mehr als das auch uns einzig erhaltene Bruchslttck des
))Kritias« gekannt habe^). Immerhin lassen auch die geringen
Reste des Ganzen uns erkennen, dass in Jenem vordeukaliouischen
Athen, mit seiner Kasleneintheilung. seiner Gütergemeinschaft,
seinem w ohlgeordneten Leben auf glücklichstem Boden ^) , der
eigentliche Platonische Idealstaat vor Augen gestellt werden
sollte; wilhrend die ausführlichen Schilderungen von der Pracht
und Herrlichkeit der Atlantis, ihrem üppigen Reichthum an
Metallen, Fruchtbiiumen, WohlgerUchen und allen ErtrUgnissen
der Erde, Thieren, der goldnen und silbernen Pracht ihrer
Paläste und Tempel, denen gleichwohl ein barbarischer Zug
deutlich erkennbar aufgeprägt ist^], dem philosopischen Mustor-
Staat das Gegenbild einer mehr äusserlichen Uoppigkeit und
Glanzfülle entgegenstellten sollten*'). Uebrigens hat Plato selbst
durch die Gründlichkeit mit welcher er, am Schluss seiner
Itirzählung, Erdbeben und Ueberschwemnumg zugleich mit dem
alten Athen die allanlische Insel vernichten lässt^! , dem ver-
ständigen Leser klar genug angedeutet, wo eigentlich dieses so
1) Tim. I». iO Ü— a3 E.
2; Plutarch wenigstens (v. Solon. 3i) bericlitet, dass Plato, durch den
Tod verhindert, den 'Ax/avTixö; X^y'^» unvollendet hinterlassen habe. —
In die Reihe der Platonischen Schriften hatte schon Aristoph'anes von B}-
znnz den »Kritias« aufgenommen: Laert. Diog. Hl 6t (vgl. Ueberwegj
Aechtli. d. Plalon. Sehr. p. 90).
3) Kasteneintheilung im alten Athen: Tim. 34 A IT., Grit. MO C, Güter*
gemeinschaft : Grit. tlO D, Güte des Bodens: Grit. 110 E.
4) Von dem prächtigen Tempel des Poseidon sagt Plato selbst, Grit. 416 D,
er habe el^ö; Tt ßipßap^txöv.
5; Dieses führt sehr richtig aus Susemihl, Genel. Entwickelung der
Piaton. Philos. II p. 485 Vf., 504.
6) Tim. p. 25 G. D.
— 1-99 —
leicht heraufgezauberle, noch leichter wieder ins Nichts versenkte
Inseliand seine Lage und seinen Ursprung habe. Endlich hat
man sich, in neuerer Zeit, auch entschlossen, die Atlantis, statt
sie in Amerika oder in Schweden, auf Ceylon oder auf Spitz-
bergen zu ßxiren, nur im grenzenlo9en Meere der dichte-
rischen Phantasie zu suchen, und die, von dem philosophischen
Dichter mit lächelndem Ernste dargebotene Beglaubigung der
geschichtlichen Wahrheit seines Berichtes durch die doppelle
Auctorität des Selon und jenes ägyptischen Priesters, der diesem
die uralte Uär in SaYs erzählte, nach ihrem bloss poetischen
Sinne zu verstehen ^j . Das Ganze ist freieste Dichtung, höchstens an
einige kosmologischc und geographische Theorien angeknüpft-^).
Indem nun aber andre philosophirende Dichter, mit jener
Platonischen Skizze wetteifernd, ihren Träumen von einer voll-
kommen glückseligen und tugendhaften Menschheit Gestalt zu
geben versuchten, verschmähten sie nicht, die Farben zu ihren
Schilderungen jener bunten Pracht geographischer Fabel-
erzählungen zu entlehnen, von denen wir vorhin gesprochen
haben. Eine spätere Zeit musste freilich, je weiter sie in die
unbekannten Winkel der Erde vordrang, mit schmerzlicher
Gewissheit immer bestimmter einsehen, dass auf Erden das
Land der Seligen nicht zu finden sei; man musste sich zuletzt
begnügen, es in ein nicht weiter zu behelligendes »Jenseits«
1) Die früheren Phantasien über die wirkliche Lage der Atlantis hat
gründlich beseitigt H. Martin, Etudes sur le Tim^e de Piaton (Paris 1844)
^. S57~832. Auch die, noch von Martin festgehaltene, aegyptischc
Grundlage der ganzen Sage hat Susemihl a. a. 0. p. 47S ff. als blosse
FicUen erkannt.
2) Dahin gehört die Annahme ungeheurer Veränderungen auf dem
Erdboden durch Ueberschwemmungen und Erdbeben: vgl. Posidonius bei
Strabo II p. 4 02. Hieran schliesst sich die Meinung, dass durch solche
Naturereignisse auch wohl schon ganze alte Cuiturzustttnde der Menschen,
von denen wir, in einer neuen Gulturperiode lebend, nichts mehr wissen,
Temichtet worden sein möchten: eine Meinung, die bei Plato noch öfter
hervortritt (z. B. Leg. III) und b^i Aristoteles und seinen Schülern aus-
führlicher begründet wurde (vgl. Rose zu Aristot. fr. 8 p. 35, Bernays,
Theophrast: Ueber Frömmigkeit p. 44 fl*.).— Wenn Plato (Tim. 25 D) durch
den Untergang der Atlantis den Ocean schlammig und flach, und daher
«nzugänglich werden lässt, so stand wenigstens das also erklärte Factum in
seinem, wie im Glauben des [ganzen Alterthums fest (vgl. MüUenhofT, D.
Alteriumsk. I 78. 420).
— 200 —
zu vorlogen. Den Griechen durfte der unbekannte Theil der
Rrde no4*h }^ross und weit $;enug erscheinen, um allen lloflhungen
und CilttckstrHunien sichern Wohnplatz, um selbst den abge-
schiedenen Seelen der Kdlen auf gilicklich verborgenen Inseln
eine StHtte seligster Belohnungen darzubieten i) . Der philo-
sophische Dichter aber brauchte, um seine sehnsüchtigen Trüunie
zur |>oetischen Wirklichkeit zu \ erdichten, zu den verschwende-
rischen Wohlthaten der Natur, welche die Phantasie seiner
Landslcute Über jene vor)>orgenstcn Krdfernen ausgegossen sah,
nur eine menschliche Bevölkerung hinzuzufügen, welche in un-
gestörtem (ilücke imd vollkonunener Tugend jene Gaben der
Natur genoss. Ohne die höchste Gerechtigkeit und Besonnenheil
musste ihm ja freilich ein solches schattenloses und müheloses
(iltick unvollkouunen, ja unertrHglich erscheinen^). Denn, wenn
freilich den Griechen die Arbeit, von deren n Würde« sie kein
sonderliches Aufliel>en zu machen gewohnt waren, nur als Werk
der Noth erschien, das sie daher auch von ihren Vorstellungen
vollkommener Zustande nach Krifften fernhielten, so wusstcn sie
doch sehr wohL dass sie nn't dem Ideal welches sie, stall des-
jenigen einer möglichst nutzbringenden Arl>eit, dem wahrhaft
Freien zur Erfüllung vorstellten, der schweren Kunst v>der Müsse
sich edel zu bedienen«'*), im Grunde an eine liereits ideale,
adlige Menschheit sich wendeton, die ein Recht hütte, sich
\ün der Noth und ihren Werken zu emancipiren.
..Wenn daher der philosophische Dichter in einem fabelhaften
1; Beiläufig sei einer, auch neben den belianntcn älteren gricuhiiicbcn
Zciignis<icn heachtenswcrUicn Stelle des Plautus (naeh Pliilemon) Trin. 549 f.
;;edHelit: Kortuiialoruin tnemurant insulas, Quo cünoti qui actatem egerinl
caste suam Convc^niant. So liberal waren freilich die Aeltercn mit dieser
Belohnung nicht umgegangen.
2) rioXXf^; oeT oixaioc6vT,c xal roXXfjC 9oi9po86v7j; tou; äpirra ooxoOvrac
rpoTTEiv xat -avToiv tcwv ti.7xapiIo|Jt£v(DV a7:oXa6ovT«;, oIon et tw£c elaiv, Ansp
r/i roiTjTai ^aiv, iv (i«xapcuv vfjöoi; ' [jtaXtora y«P oOtoi oeT|00vTai 9t).09o^;
Y-OLi ifo^poTjvTj; xat oixaioo'jvTj;, oatp »xaXXov T/oXaJjoaai*^ ev d^l^ovC^ täv TOtov-
Tcnv dYadcüv : Aristoteles, Polit. VI! 4 5 p. 1334a, 28 IT. avcu y^p dpcrf); ou
oaotov ^spEiv c[i.[i.£X(&; xd iUTjy^inivzi : Idcni Eth. Nicom. IV 8 p. H 34 b, 80.
3) T6 Oüvaaftai rxT, jjl(5vov dr/oXetv opHw; d}Xd. xal oyoXdCctv xaXft^,
wovon Aristot(;.les so oft redet, iiicr liegt der wesentlichste Grund zu der
M) grossen Verschiedenheit der Tendenz (im wörtlichen Sinne) des
Lebens nach griechischer und moderner Anschauung.
— 201 —
Lande am Ende der Welt einen Zustand voraussetzte, in welchem
die vollkommensten Bedingungen zu äusserem Glücke durch die
reinste menschliche Tugend gekrönt wurden, so hatte er nur
einer weit verbreiteten populären Vorstellung zu folgen. Die
Griechen, denen ja freilich (im Allgemeinen, und von einzelnen
mystischen Secten abgesehen) das GefUhl der menschlichen
Sündhaftigkeit wenig Beschwerde machte, kannten eben darum
doch auch nicht die selbstgerechte Verachtung des reuigen und
begnadigten Sünders, den Hrgeren Sündern gegenüber. Bei
dem gerechtesten Stolz auf die Vorzüge ihrer griechischen Natur
waren sie geneigt, die Blüthe einer ungetrübten moralischen
Reinheit, die sie daheim nicht fanden, eher bei den fernsten
»Barbaren« zu suchen, welche, von den Verlockungen einer
gefahrenreichen Cultur noch unberührt, die ursprüngliche Rein-
heit der menschlichen Natur leichter bewahren mochten. Es
wurde zum festen Glaubensartikel der Griechen, dass voll-
kommene Gerechtigkeit und Heiligkeit nur bei einigen barbari-
sehen Völkern am äussersten Rande der Erde zu finden sei.
Schon Homer nennt die milchtrinkenden Nomaden des Nordens
)> die gerechtesten der Menschen «') ; und je mehr, im Laufe der
Zeiten, eine übersattigte Cultur, im Ekel vor sich selbst, ihre
Blicke rückwärts wandte, und nur im einfachsten Naturzustände
Friede, Glück und Tugend der Menschen heimisch zu finden
glaubte 2), desto eifriger bestärkte man sich in der Meinung,
1) II. N 5. 6. Zeus sendet seine Augen nach dem l^ndc — df^'j&v
' litirrifioXYov, '^htxTo^fOi'^ ^Aßlwv te, oixatoTOTaiv dvOpc&ircuv. Es ist bekannt,
wie eifrig schon im Alterthum der Sinn dieser Verse discutirt wurde. Ich
hebe hier nur die Worte des Arrian. exp. AI. IV 1, 4 hervor, welcher
meint, diese gerechten "Aßtot seien a'jT<Svop.oi geblieben, ouy^ i^xtOTa oid r.tsios
ts xai otxaidn^To.
2) Eine uralte Vorstellungsweise des griechischen Volksglaubens sieht die
Menschheit nicht in fortschreitender Entwickelung zu immer höherer Ver-
edelang aufsteigen, sondern in stufenweiser physischer und moralischer
Verschlimmerung von einer ui*sprünglichen Höhe der Tugend und Glück-
seligkeit immer tiefer herabsinken. Diese Meinung, in dem homerischen
oloi vOv ßf>oTol etotv nur angedeutet, findet ihren kenntlichsten Ausdruck in
dem hesiodischen Mythus von den, aus- anfänglicher seliger Unschuld zu
immer schlimmerem Elend und Frevel absteigenden Geschlechtern der
Menschheit. (Op. et D. 4 09—204): ein Mythus, dessen volksmässigen Sinn
die immer wiederholten Nachbildungen deutlich bezeugen (s. Ovid Metam.
I $9—462; Arat. Phaen. 400—436 [variirt voo Germanicus, Ar. Phaen. 97 ff.,
— 202 ~
dass das, vor der heilcnischcn Civilisation Ittngst entwichene
Glück der Uns(;huld hei den fernsten BarlKircn noch lebendig
anzutreffen sei. So wiederholen sieh immer wieder die Nach-
richten von der Tugend und einem vollkommenen GlUckszustand
Fest. Avicn. Ar. Pliaen. i77 IT., Cktfo Aratca fr. XYI Buhle; an Arat
Vlingt deutlich an Horazcns berühmtes Wort: actas imrcntum, pejor avis
etc., c. III 0 extr.], dem Juvcnal Sat. VI 4 — iO nachzueifern scheint; Ba-
brius prooem. fab. 8. auch die orphi^rhcn Stellen bei Lobeck Agiaopli.
510 tr.; und vgl. Lobecks akad. Roden p. 185 ff.). Philosophische Betracblar
der Cuiturentwickelung der Menschheit waren» ]c nach ihrem verschiede-
nen Standpunct, gctheiltcr Meinung über das Glück und die Gerechtigkeit
der, vor einer feineren Ausbildung der Cultur lebenden, uranfUnglichen
.Menschheit. Plato redet gern von dem seligen Leben unter der Herrschaft
des Kronos, von der, in der Einfachheit der Gonussmitte! und der ganzen
Lebensweise l>egründeten Friedfertigkeit, Genügsamkeit, Troaherzigkeit der
ältesten Menschen s. Leg. III c. 2. 8; IV c. 6; Polilic. c. 45.}- AehnUcb
namentlich Dikaearch im Anfang seines Bio; 'EX>.(£&o; ;Fr. bist. gr. U
i83 f.,. Dem Dikaearch scheint auch in dieser, für die Culturgeschichte
ja allerdings so wesentlich bestimmenden Frage der überhaupt so völlig
verschieden gestimmte Thcophrast entgegen getreten zu sein: eine, der
Dikacarchischen durchaus entgegengesetzte Vorstellung deutet sein merk-
würdiges Wort von dem »ungewürzten« Leben der Vorzeit an (bei Athen.
\II 54 4 D, nach Korais Emendation, . Und su malten denn Manche sieb
die Notli, die thierische Rohhcit und nackte Scheusslichkcit des ursprüng-
lichen, erst ganz allmählich zu einiger Ordnung und Ausschmückung des
Lebens fortgeschrittenen Menschengeschlechtes grell genug aus: so der
Tragiker Moschion in einem berühmten Bruchstück (fr. 7 pag. 68t Nauek;
vgl. Kritias Sisyph. I p. 594 N. ; auch Orpheus bei Lobeck Agl. S46. Paro-
dirend der Koni. Athenio in den Xafiö^qncs;: Meineke Com. fr. IV 559);
so namentlich die Philosoplien der Epikureischen Schale (8. Lucret.
V 9i5 ff. Nach epikureischer Theorie auch Horaz, Sat. 18, 99 ff. [vgl.
Heindorf.J, wohl auch Lucian, Amor. 33. 34i, durch deren Einfloss auch
diese Vorstellung eine gewisse Verbreitung gewonnen haben mag (vgl. z. B.
Diodor I 8; II 38; Aristides I p. 3i Dind.; und die spielenden Wendungen
dieser Vorstellung bei Ovid art. am. IF 748 ff., Tibull II 4 , 37 ff.]. Die
volksthümliche Vorstell ungsweiso scheint gleichwohl die alte von einer
Entwickelung in pejus geblieben zu sein, wie schon die Vorliebe der Dich-
ter für die Ausmalung der einstigen, nun längst verschwundeneu Glück-
seligkeit des goldenen Ge.schlechts im satumischen Zeitalter erkennen Uisst
's. des Broukhusius Sammlungen zu Tibull. 18, 85. Vgl. auch Empedo-
des V. 405 ff. 434 ff. ed. Stein.,. Auf der Seite dieser Volksmeinung
standen ohne Zweifel auch die Stoiker: ihre , stark cynisch gefärbten
politischen Idealvorstellungen zeigen ja so klar wie möglich, dasa sie den
wünschenswerthesten Zustand der Menschheit in der Wiederl>erstellong
jenes, noch völlig unverfälschten »nalurgemüssen« Lebens erkannten, wie
— 203 —
bald der nordischen Völker, der nomadischen Scylhen ^] , im
Bosondern der nördlichslen Siamme^), bald der Actliiopen iief
im Süden ^) , bald der Inder im fernen Osten ^) , endlich des
üussersten aller Völker, der halb fabelhaflen Seror*).
Solche volkslhUmliche Vorstellungen gaben die gUnsligsleu
Bedingungen für philosophische Dichter, die ihre, in einer
»sentimentalen Idylle » verkörperten Ideen von Bestimmung und
Gltlekseligkeit der Menschheit nicht durchaus ins Blaue, sondern
auf einen Boden stellen wollten, dem der Glaube ihrer Leser
es völlig doch eben nur vor jeder eigentlichen Culturentwickelung anzu-
treflen sein konnte.
Ij Deber Gerechtigkeit und Glückseligkeit der Scythen s. namentlich
Ephorus fr. 76. 78. Aus Ephorus schöpft Nicolaus Damasc. d&div o'jva^.
c. SS p. 4 74 f. West., und wohl auch Aelius Dionysius bei Eustath., iL Xlll
, p. 946. Vielleicht auch Justin. II 2?
2) Von der Heiligkeit, den justissimi mores, den ritus dementes der
*Ap7ijiL7:aToi (s. MülienhofT, Monatsber. d. Berliner Akad. 4 866, 554), cr-
zöhfen Herodot IV 23, Pomp. Mela I 49 cxtr. Plin. n. h. VI § 84. 35.
3} Von den Aethiopen Nicol. Damasc. 42 p. 476 West.: doxoüat oi
eOs£ßetav %a\ StxatoouvTjv. Auf einen glücklichen Naturzustand laufen die
Berichte des Herodot III SO fT. hinaus.
4} Hiervon namentlich Ktesias. Leber die Gerechtigkeit der Inder im
Allgemeinen: Indic. fr. 57, § 8 p. 81a (ed. C. Müller); vgl. § 44 p. 82a:
TToXXd Xd^Et (Ktesias) Titpl tf,; ^ixaioauvr^; auxwv. üeber die Gerechtigkeit
der indischen Pygmäen: § 4 4 p. 84 b, der Ilundsküpfe : § 20 p. 83b, der
Dyrbäer fr. 83 p. 64 b.
5) Gerechtigkeit der Screr: Plin. VI 20, Mela III 7 init. Vgl. auch
Clemens Rom. Recognit. VIII 48 p. 495 Gersd., IX 49 p. 24 4 (aus Barde-
sanes ::. Et{xap{xlv7]c , aus dem übrigens, beiläufig gesagt, auch die in
Cramers Anecd. Oxon. IV 236. 237 mitgetheilten v(S{Ai[xa ßapßapixoL excerpirt
sind). — Von Aethiopen, Indern, Serern gleichmässig wird erzählt, dass ihre
natargemässe Lebensweise sie ein sehr langes Leben (420, 430 Jahre)
erreichen lasse: vgl. Herodot III 23 (Aeth.) ; Ktesias fr. 57, § 45, Clitarch.
fr. 42, Onesicr. fr. 25, Dio Chrysost. or. 35, § 24 p. 499 Emp. (Ind.);
Lacian Macrob. 5, Ktesias p. 371 n. 22 Bahr (Ser.). Bei dieser Sago
mochten indische Berichte einwirken, welche den fabelhaften Uttara
Kunis 4 000, 4 0,000 Lebensjahre gaben (vgl. Lassen, Ztschr. L d. K. d.
Morgenl. II p. 67), was dann Megasthenes von den indischen Hyperboreern
aussagte (fr. 29, 9 p. 44 7 Schw.). Auf ein förmliches System wurde dio
indische Ansicht von der langen Lebensdauer der Urmenschen in der bud-
dhistischen Kosmologie gebracht: vgl. Koppen, Rel. d. Buddha 1 280 L
— Dieselbe Vorstellung diente dann den Fabulisten, Theopomp, Hecataous
Jambulus u. s. w. zur Grundlage ihrer Erzählungen von übermässiger
Lebensdauer ihrer Märchen Völker.
— 204 —
«*inr ^t*\\i.s»e HcHÜt^t zuzuerkennen sich leicht entschloss. Der
Historiker Theopomp seheinl der Krste gewesen zu sein, der
in dieser (iHllunff prosniseher Dichtung mit Plato zu welteifern
unternahm ' . Im achten Buche seiner Philippisi'hen Geschichten^,
erzühlte er. einer uralten Sage folgend, wie König Midas von
Phngicn einst den Silen durch Wein, den er in eine Quelle
gemischt halle, trunken gemacht und so in Fesseln habe sehlagen
lassen 3). Krwacht, habe sich der Halbgott durch Offenbarung
Maines tiefsten Wissens lösen mtlssen. Er redete zuerst von
dem elenden \jh>»v der Menschen ^) . und stellte diesem, als
1. Die Restr seiner Erzählunf: vun der Meponi; ff^ (denn diese miu»,
obwohl man aus Aelians Auszug! das kaum errathen würde, die wichtigste
Stelle im Ganzen eingenommen haben: s. Apollodor l>ei Slrabo VII p. 199j
bei Müller, Fr. hi.st. j:r. I p. i8»— J»l, fr. 74—77.
2. tnter den n^paoeiffiSTa öiTj^t,««; wird bei Theon Pro^\ninasm. 1
in Sfienpels Rhet. gr. 11 p. 60, S1 aufgeführt: r.nttOL Beo'i(i.n(p dv t^ 6706^
TAI* <l>(>.tr7:(xdrv t, toO Üci/.t.voS 'oif,-piat; .
3. Die Sage war, jedenfalls schon in sehr früher Zeil, den Griechen
aus phr>gischer Ueberlicferung bekannt geworden. Man tixirte sie an i^ehr
verschiedenen .Stellen, bald in Phr\pien (Xenophon, Anab. IS. 4 t, Pausan.
I 4, 5; vgl. Ovid. niet. XI 90 ff.;, bald, nach macedonischer Volkssagc, in
dem alten phrygisehen Gebiet in Makedonien, in dem Rosongarlen des
Midas (\gl. Nicander fr. 74, ii (T.;, iim Kusse des Bermius Hcrodot VIII 1S8.
vgl. Coiion nerrat. 1 . Welcher von beiden leberlieferungen Theopomp
gelolgt .sei, wird uns nichl gesagt: da ab<*r Dionxsius Halic. epist. ad Pomp.
i'. 6 extr. von der Krzahlung des Theopomp repi Xei).7;noO toü ^ovfiTo; ii
Maxeoovtasprirht, und dieselbe, de vet. scr. cens.III 8: tdRcptToviv Maxc-
00 via let/.T^vov iTTopTjUfvTa nennt, so wird man vielleicht annehmen dürfen,
dass Theopomp die S*ene nach Macedonien verlegt habe: obwohl sich die
allzu kurzen Worte des I)ion\sius auch wohl anders verstehen Hessen. —
Das hohe Aller der, in griechischer Litteratur nicht \or Bacchylidcs fr. S
nachweisluircn Sage besttiligt, ausser der (von Pn*ller, Gr. Myth. 1' 404
hervorgehobenen) VcrwandUchaft mit den Sagen von eingefangenon , zur
Weissagung gezwungenen .Meergreisen (vgl. auch Grimm, D. Myth. 405*},
vor Allem die Wiederkehr durchaus analoger Sagen \on trunken gemachten
und dann, gefangen, zur Weissagung gezwungenen Waldmännern bei an-
deren indogermaniM'hen Völkern. Vgl. die altfranzösische Sage von Meriin
bei Vnl. Schmidt, Slraparoln p. 336 f. gerade d icsor Thcil der Sage stammt
auslndien:s. Liebrech l und Benfey, Or. u. Occ. 1841—354). und namentlich
A. Kuhns Nachweise, die llcrabk. des Feuers p. 38—36. iFür hohes Alter
der Sage spricht auch die Localisirung derselben in Macedonien, dem
ältesten Sitze der später erst nach Asien übergesiedelten Phryger [vgl.
Kick, Die ehemal. Spracheinheit der Indogerm. Europas p. 408 ff.j).
4; C. .Müller (fr. 77; thcilt dem Silen eine, bei Clemens, Str. VI p. 74»
— 205 —
strahlendes Gegenbild, gegenüber, was er von einem glückseligen
Lande am fernsten Rande der Erde wussle. Jenseils des Oeeans,
in welchem Europa, Asien und Afrika nur als Inseln schwimmen,
liegt, so erzählte er, das einzige wahre Festland, ein Land von
unermesslicher Ausdehnung^]. Dort gedeihen, wie die Thiere,
so auch die Menschen zu einer ungeheuren Grösse ^j und bringen
aufbewahrte pessimistische Betrachtung des Theopomp zu; schwerlich mit
Recht, denn genau betrachtet, ergiebt sich jene Betrachtung als eine (etwa
von einem Feldherrn) im Drange einer einzelnen, ganz bestimmten, un-
mittelbar drohenden Todesgefahr angestellte und ausgesprochene Reflexion,
wie sie in den Mund des Silen gar nicht passt (Cic. Tusc. I 48, auf den
sich MUUer beruft, paraphrasirt [wie eine Vergleichung mit Plut. cons. ad
Ap. unzweifelhaft beweist] den Krantor r. it£vdouc und hat also die Er-
zllhlang des Aristoteles von Midas und Silen, nicht die des Theopomp
im Sinne). * Gleichwohl darf man annehmen, dass auch Theopomp den Silen
vom Elend des menschlichen Lebens habe beginnen lassen; dass er die Zu-
stünde in der MepoirCc dem elenden Leben auf unseren »Inseln« nachdrück-
lich habe entgegensetzen wollen, lassen die nachher, bei Gelegenheit der
Hyperboreer, getfusserlen Worte deutlich erkennen; und es scheint, als ob
jener berühmte Satz: dip)^'^v [kh (a9) ^uvai xtX., in welcher der, die grie-
chische Lebensbetrachtung so tief durchdringende theoretische Pessimismus
sich auf das Allerherbste ausspricht, als die eigentliche Weisheit des Silen
mit jener Sage nothwendig verbunden gewesen sei: er findet sich mit ihr
verbunden nicht nur l>ei Aristoteles (fr. 87), sondern auch bei Bacchyiidcs
(fr. 3: s. Bergks Anm. p. 1SS7}, und tthnlich war es denn wohl auch bei
Theoporop.
1) Diese Vorstellung von einem Festland, welches jenseits des, unsere
Erdtheile nur als Inseln umsch liessenden Oeeans liege, hat Th. nicht er-
funden. Schon Plato kennt sie, wenn er von dem Uebergange von der
Atlantis irX t^jV xaTovnxpu räoav IJTrcipov redet, Tim. 44 E.- Spttter war
die Annahme eines solchen Festlandes, sowohl im Norden von Europa,
als im SUden von Afrika, allgemein verbreitet: vgl. A. v. Humboldt Krit.
l}nterss. üb. die histor. Entw. der geogr^ Kenntn. v. d. n. Welt (übers.
von Ideler) I p. 4 44. p. 474 — 487. Ohne Zweifel ist es ein Nachklang an-
tiker Vorstellungen, wenn christliche Autoren in dem, angeblich im
Süden Asiens den Ocean begrenzenden^ jenseitigen Festlande (demsell)en, zu
^em noch Hipparch die doch längst als Insel erkannte Taprobane rechnete)
das Land der Seligkeit, das Paradies suchten : s. Cosmas Indicopl. p. 434 A,
Lactantius inst. div. II 43 n. s. w.
3) Die, in solchen Fabeleien immer wiederkehrende riesige Grosse der
roSrchenhaften Völker ist wohl ein Nachklang der Vorstellung von der un-
geheuren Leibesgestalt der Ul tosten (und tugendhaftesten) Menschen.
Funde übergrosser Knochen betrachtete man als Ueberreste dieser ältesten
Menschheit: s. Phlegon. mirab. fS — 19. Die Giganten sind vielleicht ur-
— 20() —
ihr Lehen zu <ler doppellen Dauer der hei den diesseitigen
iMenschen gewöhnlichen Lehenszeit. Unter vielen anderen Städten
ragen als die grössten hervor die Stikite Machimos und Eusebes.
In Kusebes leben <lie Menschen in Frieden, die Erde bietet
ihnen ohne Pflug und Ackerstier, ohne Saal ihre Gaben; die
Götter besuchen sie oft, um ihrer grossen Frömmigkeit willen:
ohne Krankheil lel>en sie. heiter und lacheml sinken sie in den
Tod. Machimos ist eine Stadt der Krieger, sie herrscht tiber
ihre Nachbarn. Audi dorl leben die JMnwohner ohne Krankheit,
sie sterben meist, im Kampfe mit Steinen und Holzkeulen er-
schlagen, denn Kisen verwundel sie nicht ^]. Reich sind sie an
(lold und Silber, Gold gilt ihnen weniger als uns das Kisen ^.
Kinsl zogen sie auf unsre hiseln herüber, aber schon bei den
Hyperboreern, auf die sie zuerst trafen, kc^hrlen sie um, weil
diese, als die glücklichsten Bewohner unsrer Krdt heile gepriesen,
ihnen allzu elend erschienen. — Was Theopomp den Silen noch
weiter von einem Volke der »Mcropes« \> eiche ebenfalls auf
jenem Festlande wohnten, erzählen Hess, ist uns nicht genauer
bekannt; wir hören nur. dass bei ihnen sich ein Ort »Anostos«
befand, um den zwei FKlsse sich zogen, der Fluss der Lust
und der der Trauer^). Die Frdchte der Bäume, die am Flusse
der Trauer standen, erzeugten dem (Jeniessenden unaufhaltsame
Thrünen bis zum endlichen Tode: wer von den Frtlchten der
am Luslstrome stehenden Bäume ass, <]er wurde stufenweise
sprünglicli auch nichts als riesige Urmenschen f^Tj^eveic): vgl. Preller
r.r. Myth. I 357;.
1) Erkennt man nicht in dieser Entgegensetzung der heiden StIUlte
eine Reminisconz an die Platonische Gegeniiherstcllung von Athen und
dem Staate der Atlantiker?
2) Vgl. Holiodor Aethiop. III 4 cxlr. : osa al^po; rap' cDloti ci; TflU
ypeta;, taÜTa rar/ AiOiO'}/iv 6 ypuso; vojiU«ai (nach liorodot III a3). Epi-
stuln Alexandri ad Aristot. de situ Indiae von den Indern, >^-eIchc bei deo
Bttumcn der Sonne und dos Mondes wohnen : aorc et ferro et plumbo
cgeut, auK» altundant. (Violleicht aus gleichen orientalischen Qaellen ge-
nossen, \^ic gewisse arabische Nachrichten von einem goldreichen Frauea-
reiche [v^;!. die äthiopische Candace] auf Inseln des indischen Meeres:
\gl. Bacher Nizami p. 76.)
3) Merkwürdig genug stimmt hierzu, was man bei Plinius n. h. \XXI
§49 liest: — Marsyac fontem in Plirygia ad Celacnarum oppidum — —
non procul ab eo duo sunt fontes (Ilneon x>.ai(Mv. ot Gclon i^cXosv) ab
olTcctu Graocorum nominuiii dicti.
— 207 —
verjüngt, bis zum kleinen Kinde, und bis zum endlichen Er-
l<techen ins Nichts^).
Die hier, nach einem kurzen Auszug des Aelian^) miige-
theilten Bruchstücke der Erzählung geben offenbar nur eine sehr
unvollständige und unklare Vorstellung von dem Ganzen^). So
viel a]>er ist deutlich, da^s Theopomp die buntesten Zierrathen
älteren geographischen Märchen oder populären Sagen nur ent-
lehnte oder nachbildete, um damit seiner allegorischen Dichtung
Fülle und Farbe zu geben. Er verhehlte keineswegs, dass er,
in Anmuth der Erzählung mit den fabelhaften Berichten des
1) Hier haben wir eine der ältesten Spuren der Sage vom »Jungbrun-
nen«» die ich mich bestimmt erinnere, in irgend einer Erzählung, deren
Fandort sich indessen gegenwärtig meinem Gedächtniss nicht darbieten
will, genau in derselben durch consequente Fortsetzung der Verjüngung
die Fabel endlich ad absurdum führenden, eigentlich wohl scherzhaft ge-
meinten Form ausgeführt gefunden zu haben , die sie hier bei Theopomp
xeigt (Lukas Kranachs Bild ist bekannt). Sonst bringt über den Jungbrun-
nen einige Notizen Val. Schmidt, zu Straparola p. S77 ff.; vgl. auch Grimm
D. Mytb. 2. Ausg. p. 554. Es verdient aber bemerkt zu werden, dass -die
Sage von einem verjüngenden Teich schon im Qatapatha Brähmana vor-
kommt, in der Legende von der Verjüngung des Cyavana, die Weber Ind.
Streifen I p. 49 — 45 übersetzt hat. Vgl. Kuhn Herabk. des Feaers p. 44.
42. (Auf der Insel Buru, einer der Molukken , wächst an einem See eine
Blame, die, nach dem Glauben der Einwohner, Jeden, der sie in der Hand
hält, wieder jung macht. S. Bickmore, Reisen im osUnd. Archipel in den
J. 4865 und 4866, p. 228 d. Ueb.).
2) Var. Hist. III 48.
3} Unklar bleibt z. B., in welchem VerhäUniss die M^pOTCCc zu den
Bewohnern der Städte }Adyi\i.o^ und EuaeßV]; stehen. Man muas doch an-
nehmen, dass ihnen die wichtigste Stellung auf jenem Festlande zuertheilt
war: wie konnte sonst Apollodor (bei Strabo VII p. 299) die ganze Erzäh-
lung kurzweg als die von der Mepo^U t^ bezeichnen? Bei Aelian erfährt
man aber nichts Genaueres; nach seinem Berichte sieht es fast so aus, als
ob Th. sie als eine Art von TodtenVolk geschildert habe : der t^tio; 'Avooto^,
der bei ihnen liegt, ist doch ofTenbar jener dunkelste Ort »unde negant
redire quemquam«, von dem bei den Neugriechen ganz ähnliche Benen-
nangen noch heute im Schwange gehen : s. B. Schmidt, D. Volksl. d. Neugr.
! 285. — Uebrigens ist es vielleicht erlaubt, in der Komödie MfpoTiU des
Alexis, aus welcher Laert. Diog. III 27 zwei auf Plato zielende Spott-
verse erhalten hat, eine Parodirung jener gleichnamigen Utopie des Theo-
pomp zu verrauthen, deren Herausgabe Alexis (welchen freilich Meineke
Com. 1 875 etwas gar zu lange loben lässt: s. Droyscn G. d. Hell. 11 242<
noch ganz wohl erleben konnte.
— 208 —
Klesias und Andrer von indisclien Dingen wetteifernd, gleich-
wohl nicht den trügerischen Schein wahrheitsgemiisser Mit-
theilungen erwecken wolle, sondern das Unglaubliche nur zur
Belustigung der Einbildungskraft vortrage *) , und (wie man hin-
zudenken darf, als anniuthige liulle eines poetisch-philosophischen
Gedankens.
Auf ihrem eigentlichen Boden befanden sich übrigens solche
Erdichtungen, welche sich doch innerhalb eines sonst rein hi-
storischen Werkes etwas wunderlich ausnehmen, in den Schriften
nioralisirender Philosophen; und zwei der bedeutendsten Ver-
treter dieser Glasse sind es denn auch, mit denen Apollodor^i
den Theopomp in eine Reihe stellt, wenn er unmittelbar neben
seinem »meropisclien Lande« als verwandte Dichtungen die
»kinnnerische Stadt a des llekataeus, und das »panchäiscbe
Land« des Euhemerus nennt. Hekataeus von Abderal,
«'in Zeitgenosse Alexanders des Grossen und des ersten Ptolemaeus,
an dessen Hofe er gelebt zu haben scheint^; , war ein Schüler
des Skeptikers Pyrrho. Jene älteste Skepsis war weniger eine
theoretisch philosophirende Kunst des Zweifeins, als eine, auf
1) ApoUodor bei Strabo 1 p. 48, von gewissen fabulircnden Geographen:
adlXtOTa *xat ztHavcü; td TOtaD'a [k'j^tdonn T.tpX t&v ao-fjXwv xai tov dpfOOU'
aivojv. HeoTTOfiroc li iioiuoko'^tX'zai, cpi^aa; oTt xal (Audovi; tt Tau loropioic
ipei, * xpeirrov t^ «de 'llpöooTo; xai KtTjaia; xal 'E)»Xdvixo; xoi ol tol Iv^ntd
a'jf7pd'!/avTE;. Jenes Versprodien des Theopomp l>ezog sich ohne Zweifel
s|)ccicll auf die Erzälilung von der Mepo'U.
2) Bei Strabo VII p. 299.
3) Kein andrer ist der Hclcatacus aus Teos (der Mutterstadt von Ab-
dera), dessen Slrabo XIV p. 644 gedenkt: s. Meinekc Vindic. Streb, p. SI4.
4) Josephus c. Ap. 1 22: 'Exatato; 6 ^AfloTipitTj; — — 'AXeSdlvdfMp tiJ
ßaoiXet o'jvaxfidoa; , xal llToXefAatiij toI Ad-^ou GüY^cv^fisvoc Er wird also
am ptolemiiischen Hofe gelebt haben, wie so manche Philosophen. ;Voo
solchen Hofpiiilosophen in Alexandricn seien z. B. genannt: der Peripateti-
kei* Strato [Lnerl. V 58 ; ein späterer Strato ibid. 64], die Cyrenaiker
Thcodorus [Uert. II 4 02] und liegesias [Cic. Tusc. 1 § 88] , der Stoiker
Sphaerus [I.aert. VII ill], bei Euergetes Diodorus h Kpovoc lAthcn. XJI
r>r)2 G, Callimachus fr. 70] und Pnnarctus, Schüler des Arcesilaus [Laert.
II 4 44, wohl auch der Epikureer Kolotes [vgl. Plutari'h. adv. Col. I], ein
gew. Timarchus ,s. Meineke ad Callim. p. 278] u. s. w. Ob diese Alünner
zum Museum gehorten?} ~ Auch Timon , der Milschüler des liekataeas,
stand mit Ptoleniaeus Phiiadelphus in Verbindung: Laert. I\ 410.
— 209 —
die Einsicht in die Unfassbarkeit des wirklichen Wesens der
Dinge, und die dieser Einsieht »wie ein Schatten folgende«
unerschüttert gleichgültige Gemüthsstimmung (Ataraxie) be-
gründete praktische Weise des Lebens, die mit dem cynischen
Leben mancherlei Berührungen zeigt. Pyrrho selbst wollte offen-
bar durch sein Beispiel und Vorbild lehren, was die ächte
Philosophie sei ; er verschmähte es, seine Lehre durch die Schrift
der Nachwelt zu überliefern. Sein bedeutendster Schüler,
Timon von Phlius, sprach seine Meinungen nicht ernsthaft dedu*-
cirend aus, sondern in Gestalt 'einer, wiederum an verwandte
cynische Schriften erinnernden, bitter satirischen Poesie höchst
phantastischer Gestalt wie sie ja allerdings den wesentlich nega-
tiven Inhalt seiner Philosophie am Kräftigsten auszudrücken geeignet
sein mochte. Wie denn aber jeder ächten Satire ein, wenn auch
nicht ausdrücklich bezeichnetes positives Ideal zu Grunde liegt,
gegen welches eben die Wirklichkeit gewogen und zu leicht
befunden wird, so scheint es nun, als ob Hekataeus der von
seinem berühmteren Mitschüler so hart mitgenommenen Verkehrt-
heit der Griechen und ihrer Weisheitlehrer ein Idealbild der
edelsten und wünschenswerthesten menschlichen Zustände ent-
' gegengehalten habe. Entgegen der, mit aller Folgerichtigkeit
höchst selbständiger Charaktere bis zum Absurden getriebenen
thatenlosen Nachlässigkeit^) des Pyrrho und Timon zeigt Hekataeus»
ein in Geschäften der Welt wohl erfahrener Mann^, überhaupt
eine weniger schroffe und harte, freilich auch wohl weniger
kräftige Prägung seines Wesens. Es mochte seiner Natur an-
gemessener sein, von der blossen Negation sich wenigstens bis
zu dem Wunsche eines besseren Zustandes der Dinge zu erheben.
Der damaligen Zeit war es allzu natürlich, das Heil bei den
1) Hiermit ist nur sehr unbeholfen umschrieben, was bei Laärtius IX
64 die dli:paY(AOOuvT] des Pyrrho genannt wird.
2) — dv9|p cptXöoo^poc ä[ka %fi\ irepl tgIc icpo&ic IxavcGratoc heisst Helcataeus
bei Josephus c. Ap. I 22. Dies, sowie einige, 'in den dann folgenden Ex-
cerpten des Josephus aus dem angeblichen Werke des H. iztpi 'lou^atcov
enthaltenen Andeutungen über persönliche Verhttltnisse des Hel£. mag man
gelten lassen (s. Müller Fr. Hist. Gr. II 384. 886), wenn man auch das
genannte Werk selbst (und nicht etwa nur das, doch wohl davon zu unter-
scheidende, sicher jüdisch- hellenistische Falsum repi 'AßpdfiO'j) für eine
der zahlreichen, zur Verherrlichung der Juden von ihnen selbst angefer-
tigten Fälschungen hält.
Rohde, Der griechische Roman. 14
— 210 —
Barbaren zu suchen; und wenn sein Lehrer, ohne Zweifel
«getrieben von der damals durchaus gewöhnlichen, und späterhin
nanienllich durch peripatetische Gelehrte befestigten Meinung
von der, in den uralten barbarischen Philosophien verborgnen
überlegenen Weisheit, mit dem grossen Alexander zu den Magiern
und bis zu den indischen Gymnosophislen gezogen war^) , so floh
Hekataeus gar mit seinen Wünschen über alle Länder der be-
kannten Erde hinaus und verlegte die Wohnsitze der Glückselig-
keit zu den fernen Hyperboreern.
Von den Hyperboreern hatte er in einem, wie es scheint,
umfangreichen Werke gehandelt^). Es war eine uralte Vor-
stellung des hellenischen Dichterglaubens , dass jenseits der
rhipäischen Berge, von denen der kalte Nordwind herabweht,
von den Wohnungen der andern Menschen durch endlose wüste
und eisstarrende Lünderstrecken getrennt, in seliger Einsamkeit
das gottgeliebte Volk der Hyperboreer wohne. Ohne Krankheit
und Altersplagen vollbringen sie ein langes Leben, bei fröhlichen
Festmahlen und musischen Feiern, in welchen sie, durch Reigen-
tänze, Saitenspiel und Opferung von Eseln vor Allem den Apollo
verherrlichen, mit dessen Heiligthum zu Dolos sie uralte Ver-
1) Laert. Diog. IX 61 : Pyrrho 'Ava^p^ou fftLo*j9t, &)vaxoXoud»v Tzacmjf^,
(bc ml ToT; FüjAvococpioTat« ^v 'Ivßla oufifAlcat xa\ tou Mdfoi^' Cdev "(vnm&nta
hmxl cptXo90cpf)oat, xö Tf^c axaTaXT]<|;iac xal ir,o•)(f^Q etSoc tUv^arfdg^, i2ic ^Ao-
xfl[vio; 6 'A^ltipirrii ^t}o1v. »Ascanius horoo ignotus mihi. Num forte
.scribendam TiXaxaToc?« C. Müller, Fr. bist. II p. 384 b. lu der Thal
ist der Weg von €KATAIOS zu ACKANIOS nicht allzuweit, man wird aber
um so bereitwilliger an die Stelle des Askanius den Hekataeus setzen, weil
Hek. zu den aucli sonst (nach Sotlon ?) citirten Gewährsmännern des LaMius
gehört; weil ein Zeugniss desselben über seinen Lehrer an sich nalar-
gcmäss ist; weil endlich eine Ableitung der ihm für die höchste geltendea
Weisheit seines Lehrers Pyrrho aus barbarischer Philosophie gerade
dem Hekataeus sehr wohl zuzutrauen ist. Denn dass er, in dem damals
entbrannten Streit um den Ursprung aller höchsten Weisheit, auf Seite der^ *
jenigen stand, welche den barbarischen Theosophen den Vorrang ein-
rüumten, beweisen sehr deutlich die Ueberreste seiner Schrift lieber die
ägyptische Philosophie, deren sich daher auch LaerUus (prooem. § 9—11)
in der Darlegung jenes Streites bedient; und nicht ohne Grund und Rttck-
Kicht auf die Wahrscheinlichkeit wählten jüdische Fälscher gerade seinen
Namen zur Empfehlung eines die Weisheit der barbarischen Juden preisen-
den Werkes.
2) Schol. Apoll. Rhod. II 675 spricht von ßißX(a irnfpa^öfueMi «tpl
t<üv Tncpßopioi^ des Hek.
— 211 —
hindung unterhalteD. So halten das gotlesfUrchtige, glückselige
Volk epische und lyrische Dichtung, auch phantasievolle Geo-
graphen, wetteifernd seit Langem gepriesen^]. Hekataeus nun
hatte, wie man aus der Zusammenstellung mit der »Meropis«
des Theopomp schliessen muss, in seiner Schilderung jenes
hyperboreischen Landes ein philosophisches Ideal zu zeichnen
versucht. Die dürftigen Berichte, die uns von seinem Buche
sprechen 2), lassen leider nicht erkennen, wie er diesen Plan
ausgeführt haben mag. Sie reden uns von einer Insel Helixoia
im nördlichen Ocean, nicht kleiner als Sicilien, »dem Kelten-
lande gegenüber« ^) , auf welche Hekataeus, sie vollends von der
übrigen profanen Welt absondernd, seine Hyperboreer versetzt
hatte; von ihrem glücklichen Leben im fruchtbarsten, alljährlich
zwei Ernten gewahrenden Lande; von ihrem Gultus des Apollo,
dessen Priester man die ganze, alltäglich ihn mit Gesang und
1) Die Angaben der Alten über die Hyperboreer sind übersichtlich zu-
aammengestellt bei Ukert Geogr. d. Gr. u. R. III 2 p. 898—406. (Auf die-
sen verweise ich am Liebsten, weil er sich aller religionsgeschicbtlichen
Gonstruetionen enthalt.: anders selbst K. 0. Müller in seiner sonst so schö-
nen Darstellung des Gegenstandes, Dotier l '^ i^l — %S^ \ und vollends
Barth, Teutschlands Urgesch. [S. Aufl.] I p. 4-^H4, wo die Hyperboreer
zu einer, über ungeheure Strecken des Nordens verbreiteten »religiösen,
kirchlichen Verbindung«, einer »geistlichen Ordensbruderschaft« werden 1).
2} Gesammelt bei C. Müller Fr. bist. gr. II p. 386 — 388.
3) Die KeXTixif) steht hier noch, der filteren griechischen Vorstellung
eatsprechend, kurzweg für das Land am nordwesUichen Ende des europäischen
Festlandes, mit unbestimmter Ausdehnung nach Osten hin. Vgl. MüllenhofT
D. Alt. I 423 f. — Was eigentlich Hekatäus von einem Flusse Kapa(i.ß6xT];
erzählt hatte, ist nicht ganz klar; »von dem Flusse Paropamisus an« liess
er den amalcius oceanus beginnen »quod nomen eins gentis (der Scythen)
lingua significat congelatum.« Unter den mannichfachen Deutungen dieses
Namens für das Eismeer (s. MüllenhofT p. 4S4 Anm.) scheint mir die von
Humboldt befolgte (von a intensivum und (idXxiot erstarrt) die anspre-
chendste. Dass von dem Eismeere griechische Berichterstatter schon ge-
nauere Kunde gegeben haben müssen, lässt vor allem Lucians Parodirung
solcher, ihm natürlich durchaus als erlogen erscheinender Berichte, Ver.
Hist. II i, vermuthen. — Da übrigens Hek. ersichtlich an genauer Angabe
erfundenner, oder (wie Paropamisus) einfach übertragener Ortsbezeich-
nangen ein Vergnügen hatte, so darf man aus ihm vielleicht die, bei Schol.
Apoll. Rhod. II 675 unmittelbar hinter einer Notiz über sein Werk von den
Hyp. mitgetheilte, allerdings unsäglich thörichte Angabe herleiten: Tpt« ^i
Ihni T»v 'Tirepßopfojv, 'ETiiCctpupioi xat 'FiTrixvYjfxlJioi *ai 'OC<SXai (wie hei den
Lokrern; .
— 212 —
Saitenspiel feiernde Bevölkerung nennen könne ^]. In jedem
neunzehnten Jahre komme der Gott selbst dorthin, mit Musik
empfangen, selbst die Rilhara spielend und tanzend^). Singende
Schwane, in ungeheuren Sehwarmen von den Rhipaischen Bergen
in den herrlichen Tempel des Gottes niederschwebend, be-
gleiten ihn.
Diese Angaben, welche sich wesentlich innerhalb der Grenzen
der alten Sagen von den Hyperboreern halten, und was uns
sonst noch von einer besonderen Sprache der Hj'perboreer,
ihrer Freundschaft gegen die Hellenen, namentlich die Athener
und Delier, von den Königen des Landes, den sechs Ellen hohen
Nachkommen des Boreas, gesagt wird, sind offenbar nur zufollige
Brocken einer sehr reichen und ausgedehnten Schilderung; es
wird uns auch ausdrücklich versichert, Hekat^eus habe noch sonst
viel Herrliches und Erhabenes von dem Leben der Hyperboreer
erzählt']. Undeutlich ist übrigens die Einkleidung so wunder-
barer Sagen. Woher kam dem skeptischen • Philosophen seine
Kunde? »Nicht zu Schiffe, nicht zu Fusse wandernd dürftest
du fmden zu der Hyperlioreer Festvereinigung den wundersamen
Weg«, sagt ja Pindar^). Hekataeus freilich wusste es anders:
manche von den Hellenen, erzahlte er, seien hinüber gekommen
und hatten kostbare, mit hellenischen Inschriften versehene
1 ) clvat V a'jTOuc (stfmmtlichc Hyperboreer) AoTtcp tepetc Ttvac 'Ait^XXoi^,
fr. S. So nennt Pindar, Ol. ITT 16 den gcsammten %ä(Aov 'Vircpßppiovv, 'AirdX-
XcDvoc OcpeCicovra.
1] Zu diesem frommen Volke kommt der Gott noch in leibhafter Ge-
stalt, wie bei Homer die Götter ^ap^et; zu den Phaeaken kommen (Od)«.
7j 204 fr.}, wie sie in ältester Zeit mit der noch un verderbten Menschheit
in Person verkehrten (vgl. Arat. Phaen. 40) f. Ovid. Fast. I S47 f., nament-
lich aber Catull. 64, 884 ü.), wie sie zu Theopomps Stadt der Froromen
gehen.
3) lioKkä xoil oepivd Ixepa Aellan H. An. XI 1.
4) Pindar. Pyth. X J9: vaual h' oüre Treji; (div dfv eßpou | U 'Tiwppo-
p£cuv ifSrta Oau^axav fihis. Freilich bemerken die Erklärer zu jener Stelle,
dass ja niclit nur der, weder eines SchifTes noch der eigenen Füsse be-
dürftige Perscus, sondern, nach Pindars eignor Darstellung (Ol. 111), auch
der zu Fusa wandernde Herakles zu den Hyp. gelangt war. — So ist aber
häufig der Geist des griechischen Dichters in den Horizont des jedesmal
ihn beschäftigenden Mythus völlig eingeschlossen, des jenseits Liegenden
vergessen, oder sich darum nicht kümmernd.
— 213 —
Weihegeschenke dorl gelassen'). Da er zudem versicherte, das
Volk der Hyperboreer cxistire noch zu seiner Zeit 2) , so darf
man vielleicht glauben, dass diese Nachricht und zugleich die
ganze Beschreibung von Land und Volk der Hyperboreer dem
Hekataeus, nach seiner Fiction, von einem Landsmann vermittelt
war, der in eigner Person zu der heiligen Insel hinüber ge-
drungen war, und von ihren Zuständen genaue Kunde zurück-
gebracht hatte. Das mochte denn freilich auf die Phantasie der
Leser mit einem ganz andern Reiz verlockend wirken, wenn er
ihnen das Land der seligsten und gerechtesten Menschen, zwar
in räthselhafter Feme, aber doch in gegenwärtiger Wirklichkeit,
und dem Beharrlichen wohl erreichbar vorspiegelte, als wenn
Theopomp seinen alten Waldgott in mythischer Vorzeit von einem
fabelhaften Volke erzählen Hess.
So unvollkommen uns übrigens die Erzählung des Hekataeus
bekannt ist, so sehen wir dies doch mit hinreichender Deutlich-
keit, dass sein wesentlichster Zweck der war, in dem Volke
der Hyperboreer ein Musterbild frommer Götterver-
ehrung und deren segenreicher Folgen aufzustellen ^j . Eine
solche erbauliche Tendenz, wie sie den aus seinen sonstigen
Schriften erkennbaren theologischen Neigungen des Hekataeus
sich übrigens ganz wohl anschliesst, braucht uns bei einem
Philosophen der skeptischen Schule nicht ernstlich zu verwundern.
Wenn wir vom Wesen der Dinge nichts wissen und aussagen
können, sondern in jeder Behauptung nur ausdrücken, wie uns
die Dinge erscheinen; so hat man keinen Grund, den Meinungen
der Menschen von Göttern, ihrer Existenz und Art, ihrem Ver-
hältniss zu den Menschen anders entgegen zu treten, als anderem
Wahn und Meinen der Menschen auch; man hat sie, als dog-
matische Behauptungen, abzuweisen, mag sie aber, da man dem
Schein zu folgen in allen Dingen genöthigt ist, als solchen eben
1) fr. 8 § 4.
2) fr. 4.
3) Für einen ouhemeristischen Myihenverdreher der abgeschmacktesten
Art würde man ihn halten müssen, wenn auf das, was nach Natalis Comes
mytb. IX 46 (citiri bei Müller fr. bist. IV 657) angeblich »Hecataeas de
Hyperboreisn von den Ohren des Midas erzählt haben soll, irgend Verlass
wäre. Dergleichen will aber zu den authentischen Nachrichten von dem
Buche des Uek. sehr wenig passen.
— 214 —
Auch gelten lassen. Der Gewohnheit, welcher überhaupt folgen
zu wollen die Skeptiker ohne Verletzung ihrer Principien erklären
konnten, scheinen sie im Besondern auch in der Götterverehning
sich geftlgt zu haben ^j . Wer an der Möglichkeit wahrer und
eigentlicher Erkenntniss zweifelt, dem thut doch wohl ein
Mythus einmal genügt). Es scheint aber, als ob HekatHus die
goldne Brücke, welche gerade von der Verzweiflung an der
philosophischen Wahrheit so bequemlich sich in das verbeissungs-
voll schimmernde Land des mythologischen Glaubens hinüber-
wölbt, besonders guten Muthes überschritten habe.
Uebrigens scheint man seit jener Erz<ihlung des Skeptikers
die Hoffnung, das Land der Seligen auf irgend einer phantasti-
schen Insel im nördlichen Ocean antreffen zu können, nicht
wieder losgelassen zu haben. Von grossen Inseln im Norden
unseres Erdtheils wissen uns manche Berichte zu sagen ^) ; und
eine wunderliche Erzühlung Plutarchs fabelt von Inseln im
Westen Britanniens, die mit dem von Hellenen bewohnten Theiie
1} Laert. Diog. IX 106: A{vr|9iOT]fi.oc — du^ev cpr^^tv 6(>tCetv xöv Iläppov«
ooYfJtaxixd»; oiA xip avTiXo^iow, toTc oi cpatvofx^votc dxoXou^etv. Ibid.
105: TtfACDV h TU) llu^nvi cpT)9t (ai^ £xßcßT]x^vat T-fjv ouvi^ftetav. Datf
die älteren Skeptiker es im Besonderen in Sechen der Religion mit der
o'j^fittöL hielten, lässt schon die Stellung des Pyrrho als apytepet; in seiner
Vaterstadt Elis [s. Anligonus Carystius bei Laert. IX 64} vermuthen. In
ihrem Sinne sagt daher auch der spätere Skeptiker Sextus Empiricus biromir.
III 8 (p. 119, 16 ff. Bk ) ganz correct: (— repl dcoO oxoTT^awjiicv) ixcTto
rpoeinövTCC Sn Ttji \tts ßicp xaTaxoXou&oimec aöoSdotoJC ^afAEv clvat dco&t
xol 9£ßo(jiev (^£oi>; xal irpovociv aurou; ^api^v, 7ip6c o£ t9)v npoicitctav tatv
ooYfJLaxtxüv xdht 'ki'(ri[Lt^ — (womit er dann zur Widerlegung der dogmati-
schen Behauptungen über die Existenz und Art der Götter übergeht).
2) Etwas derartiges will wohl der Vers des Timon bei Sextus Emp.
adv. Math. \I 20 (p. 540, S4 Bk.) andeuten: ich werde reden A« (UK
xatacpalverat clvai piudov dXT]&e(Y)c öpOöv lycov xav(Sva xxX.
3) Unter manchen fabulosen Berichten des Geographen Xenophon von
Lampsacus 's. Müller F. H. Gr. III p. 209 a) finden wir auch, dass er,
drei Tagereisen von der »scythischen Küste« entfernt, eine » ungeheuer
grosse« Insel, Baltia (Skandinavien? so Zeuss Die Deutschen und die Nachb.
p. 270), im Nordmeer angesetzt hatte: Plin. n. h. IV 27. Noch mehr nach
dem Märchen schmeckt der Bericht des Pomp. Mola III 6 fln.: Talca in
Casplo man (welches nach seiner, wie so vieler Alten, Vorstellung, nur
eine Einbuchtung des nördlichen Oceans ist) sine cuitu ferlilis, omni fruge
ac fructibus abundans; sed vicini populi quae gignuntur attingere nefos et
pro sacrilegio habent, deis parata existimantes deisque servanda.
— 215 —
des jenseits des Oceans gelegenen Festlandes eine geregelte
Verbindung haben, auf deren einer heilige, unverletzliche Menschen
wohnen, während auf einer anderen, mit allen Gaben des
mildesten Himmels gesegneten, der alte Kronos, von Schlaf ge-
fesselt, von Dämonen bedient, in einer tiefen Höhle auf gold-
sehimmemdem Felsen ruht, u. s. w. ^). Mögen an diesen Fabeln
gewisse Sagen der nordischen Barbaren, auf die Plutarch sich
beruft^), einigen Antheil haben: jene Sagen aufzunehmen und
ausschmückend zu benutzen, machten doch erst acht griechische
Erzählungen, wie die des Theopomp und Ilekataeus, geneigt,
welche nun einmal in den unwirthlichen Nebelmeeren des höchsten •
Nordens geheime Zufluchtsorte einer überirdischen Wonne und
Glückseligkeit sich vorzustellen ihre Landsleute vorbereitet hatten.
Aeltere, acht volksthümliche Vorstellutigen suchten das Land
der Seligen im westlichen Ocean. Aber wenn der alte, von
Hesiod und Pindar ausgeschmückte Volksglaube erst die ver-
storbenen Gerechten auf einer oder mehreren fernen Inseln
versammelte, so schmeichelte eine spätere Zeit der Phantasie
mit dem Bilde einer, möglicher Weise auch den Lebenden er-
reichbaren, wirklich vorhandenen Welt des Friedens und Glücks,
durch die farbenreiche Wiedergabe phönicischer Sagen von
einer, draussen im Westmecre gelegenen, von sanftester Luft
umflossenen, durch die segensreiche Milde der Natur mit allen
reichsten Gaben ausgestatteten, und zum »Aufenthalt der Götter,
nicht der Menschen a 3) geschaffenen Insel, welche einst von
phönicischen Schiffern durch Zufall entdeckt, später aber durch
die eifersüchtige Wachsamkeit der phönicischen Behörden ver-
borgen und unzugänglich gehalten worden sei^]. Deutlich
1) S. Plutarch de def. orac. 48, de facie in orbe lunae i6 ff. Vgl.
Humboldt Krit. Unterss. u. s. w. I p. 4 74 ff.
2) — TÖv Kpövov ol ßdpßapot xadetp)^dat (AudoXo^Quotv uir6 toO Atoc xtX.
(de fac. 26). lieber den (geringen) sagenhaften Kern der Fabel vgl. Mühlen-
hoff, D. Alterthumsk. 1 446 f.
3) — ooore ooxciv a'jn^v cuocl de&v xtvösv, o*jx dvdpt&nov, uirapyctv dfi-
ß(oyrf)ptov, otd i^^v unepßoX9)v r^c e6(at(jL0v(ac. Diodor V 49 extr.
4) Diodor V 49. 20; Pseudoaristoteles mir. ausc. LXXXIV West. Nach
Möllenhoffs Untersuchungen (D. Alterthumsk. I 467 f.) wäre Beider gemein-
same Quelle ein Bericht des Timaeus. Indessen wird man mindestens
an eine unvermittelte Benutzung der gleichen Quelle zu glauben durch
die beträchtlichen Differenzen der beiden Berichte verhindert. Bei Diodor
— 216 —
l^cnug si'hinimerl es aus diesen Berichten hervor, dass in solchen
Sagen der Barbaren die griechischen Wiedererzähler eine Be-
slüligung ihres eignen Volksglaubens erkannten. Kein Wunder
denn, dass später Sertorius, durch ähnliche Sagen iberischer
Schiffer erregt, ernstlich den abenteuerlichen Gedanken fassle,
zu jenen »atlantischen Inseln«, dem alten homerischen Wohnplatz
sind die ersten Entdecker Phönicicr im Allgemeinen; bei Ar. Karthager.
Nach Aristoteles hatten sich auf der Insel bereits karthagische Ansiedler
niedergelassen, als die Behörden einen ferneren Besuch der Insel bei Todes-
strafe verboten (p. S3 » 4 0 West. Zu schreiben ist vielleicht: dveCmtodoi
OavdTtp CY)(AtoDv — »sie hatten verkündigen lassen, dass sie mit dem Tode
strafen würden a. dveiiretv von officielier Ankündigung httufig; freilich wohl
nicht das Medium; aber auch von aireinctv ist in der Bedeutung »ver-
bieten«, die hier erforderlich wäre, das Medium nicht gebräuchlich.
Oder: dl7tciXif)oaodai? Die Vulgata aTrelrasf^at ist jedenfalls sinnlos.) und
sämmtliche Ansiedler tödteten, damit sie nicht (zu den Feinden der Stadt T}
die Kunde von der Insel trügen, und damit nicht etwa eine dort sich be-
festigende unabhängige Macht dem Wohle der Karthager gefährlich werde.
;Die Worte p. i5, 42 f.: [xtjoc Tikfflo^ ourrpa^ev iiC outäv ItzX tJ^v vfjoov
xup(a; TjyjQ sind völlig unverständlich; was bedeutet in auTuv? Dem er-
forderlichen Sinne wenigstens würde genügen: (atjOs t:X-?)&oc 9u9Tpa^iv iic*
a'j[Toiic xaTav]Täiv ItX W^v vfjaov xupta; xuyj) »damit nicht eine Menge [voB
Unzufriedenen], die sich gegen sie [die TTpoeornrat toiv Kap)^TfOov(o]v] zusam-
mengerottet hätte [vgl. Polyb. III 5, 3 : ouctpacp^vrojv iiti tov äT^lt.il'zplos xfiv
dOvXcDv ßaotX^oiv] nach der Insel ziehend [xaraycdv einfach b hingehen , wie
bei Späteren oft: z. B. Diodor XII 53, Z. 66. Wess.] dort sich eine eigne
Macht grüi|<jc«). — Bei Diodor machen die Entdecker die Herrlichkeit der
Insel »Allen kund« (anaoi ^Ndliptfiov £ro(T]aav c. 20, 85 Wess., nämlich tf^
euöatjAO^fUv r?); vf|Oo*j, nicht die Lage der Insel selbst, was allerdingi,
wie Wesscling hervorhebt, zu dem Folgenden übel stimmen würde.) Von •
einer phönicischen oder speciell karthagischen Ansiedelung ist nicht die
Rede. Als spiitcrliin die T\r rhener eine Colonie dorthin senden wollco,
hindern die Karthager sie daran, fürchtend, es möchten zu viele Kar-
thager dahin ziehen und in der Absicht, für zukünftige Unglücksfälle, wena
sie von der Secherrschaft verdrängt wären (Z. 88 sehr. l^a>.aTToxpaToup.i-
voü«, nicht 6aXaTToxpaTo>*Ta; : wie können denn zu einer Zeit wo etwa
Tiepl T^jv KapyT]0<Sva 6XooyepU nratofxa au^ißatvot die Karthager noch Herren
der See heissen? Das Passivum bei Demetrius com. XtxeX(a fr. II [II p. 877])
einen, den Siegern unbekannten Zufluchtsort sich olTen zu halten. — Klar
ist dieser Bericht des Diodor nicht. Wenn dieTyrrhcner nach der Insel
bereits eine Colonie schicken wollten, so mussten sie doch die Exisleni
und die Lage der Insel kennen : wie konnten aber dann die Karthager
noch hoffen, dermaleinst in jener Insel eine den Siegern unbekannte
Zuflucht tinden zu können? Und wenn die Tyr rhener dort eine Colonie
— 217 —
der Seligen hinauszufahren, und so aller Noth und den unauf-
hörlichen Kämpfen in der Menschenwelt auf ewig zu entrinnen ^j .
Nicht minder bereitwillig nahm man andre barbarische
Sagen auf, in denen man eine Widerspiegelung der eigenen
Wunschgebilde zu erkennen meinte. Alte Sagen der Inder
erzählen von einem Lande nördlich des Himalaya, dem Uttara
Kuru. Dieses Uttara Kuru »ist das Land ungestörter, schöner
Gentisse; nicht zu kalt, nicht zu warm, von Krankheit frei,
Kummer und Sorgen sind dort unbekannt; die Erde ist staub-
los und wohlriechend, die Flüsse strömen in goldenem Bette
und rollen, statt der Kiesel, Perlen und Edelsteine; die Bäume
tragen nicht nur immer Früchte, auch Stoffe und Kleider aller
Farben wachsen auf ihnen, und jeden Morgen hangen ihre Zweige
angelegt hätten, so konnte doch das nicht die Besorgniss erregen, dass
allzu viele Karthager zu der, dann ja von ihren Feinden besetzten
Insel auswandern würden. Hatte etwa der von Diodor liederlich excerpirte
Autor erzählt, dass Tuppvj^wv 8aXa'CToxpaTo6vTa>v , zur Zeit des Aufblühens
tyrrhenischer Seemacht, nicht die Tyrrhener sondern unter den, von ihnen
eingeengten Karthagern Einige den Plan einer Colonisirung der Insel
gefasst hatten, dann aber von den karthagischen • Behörden gehindert wor-
den seien, damit nicht allzu viel karthagisches Volk nach der glückseligen
Insel abströme und die Feinde vorzeitig auf einen, erst im Falle der ausser-
sten Noth aufzusuchenden letzten Zufluchtsort aufmerksam gemacht wür-
den? — Deber den geographischen Gehalt der Sage vgl. Humboldt Krit.
Unters. I 4S4 ff.
1) Plutarch. Sertor. 8. 9. — Vielleicht thut man einem übrigens un-
bekannten Marceil US nicht Unrecht , wenn man aus den sonderbaren
Nachrichten, welche er in seinen Aldiozixd von sieben, der Persephonc
heiligen, im Ocean liegenden Inseln und von drei andern ungeheuer gros-
sen Inseln des Oceans gegeben hatte, auf deren einer die Einwohner noch
von der Atlantis des Plato Kunde hatten (s. Martin Tim^e I 294 f.) —
wenn man hieraus schliesst, dass auch seine AlOioTrixdi nicht zu den ernst-
haften geographischen Werken, sondern in die Classe der hier behandelten
philosophisch -geographischen Märchen gehörten. Dass die sieben Inseln
der Persephone heilig sind, lässt sie wohl als Aufenthalt der abgeschie-
denen Seelen erkennen ; es sind abermals die (Aaxapmv vf]ooi, welche über-
haupt zu allen hier betrachteten Fabeleien den ersten Anstoss gegeben
haben mögen. — Die grosse Oase heisst bei Herodot III 26 Maxdlprav v-^oo; ;
ein Herodor (unter Caligula? s. Weichert Apoll. Rhod. p. 4 64) nannte sie
<l^iKniU (was ungefähr dasselbe wie MaxdLporv v-fjao; besagen will); noch im
fUnflen Jahrhundert unsrer Aera macht Olympiodor (h. Byz. § 33 : Müller fr.
bist. IV 65) ernstliche Anstrengungen, um zu erweisen , dass in der That
diese Oase, einst eine Meerinsel, die Maxdpiuv vfjoo; sein möge.
— 21S —
voll der schönsten Frauen, die durch einen Fluch des Indra
jeden Abend wieder sterben müssen. Dort wohnen, ausser den
nördlichen (Uttara) Kurus, die Halbgötter aller Art, in ewiger
Freude, auch die sieben grossen Heiligen der Vor>velt« u. s. wJ).
Den Griechen war dieses fabelhafte Land , aus indischen
Erzählungen, wohl bekannt; wie zu erwarten, fanden sie hier
ihre Hyperboreersagen bestätigt. Das Uttara Kuru meint wohl
Megasthcnes, wenn er von indischen Hyperboreern spricht*).
Zu einem phantastisch erbaulichen Romane, den »Hyperboreern«
des Hekataeus nahe verwandt, hatte ein gewisser Amonietus
diese Sagen vom Leben der »Attacoren«, wie er sie nannte,
verarbeitet 3). Dieser Amonietus scheint, gleich Hekataeus, im
Anfange der Diadochcnzeit gelebt zu haben ^j ; ein neues Zeugniss
1) Lassen, Ztschr. f. die Kunde des Morgenl. U p. 68. 64, nach dem
Rämayana. Die Uttara Kurus kommen schon vor im Aitar^ya Brdhmana des
Rigveda (s. Lassen Ind. Alt. I 542, 654, 846 f.) und erhielten sich auch in
der buddhistischen Sage, in welcher Uttara Kuru eine der vier Weltinseln
ist (s. Koppen Die Relig. des Buddha 1 233) , lebendig. Ptolcmäus kennt
das Land der *Orroppox^ppai, Ammianus Marcellinus den Berg der »Opurro-
carra« (so die Hss. XXIIl 6, 65 p. 834, i Gardth.). Zu diesen von
Lassen angeführten Stellen füge man noch Solins, von Martianus Capelli
wiederholte Angabe von dem glückseligen »Attacenus sinus« (Sol. p. SOS,
il M. M. Cap. VI 693.]. ~ Beiläufig sei, bei Gelegenheit der auf den
Bäumen wachsenden Frauen an die oben, p. 195, zu Lucian V. H. 1 8 be-
rührten Sagen erinnert.
2; Strabo XV p. 701 : Megaslheues berichte von den indischen 7(>.6oo-
^01 : Ttepl Tä>v yO.iexo»^ 'TTtepßopioiv rd aOrd Xi-^ti'i £ipL(nv(5|| xal Iltvodlpq»
xal d[X>vOi; {ludoXtSfoi;. Sicher mit Recht denkt hierbei Lassen (Ztsch. p. 67)
an die Uttara Kurus; zu weit geht Schwanbeck Megasthenis Ind. p. 71,
wenn er die ganze Fabel von den Hyperboreern den Griechen überhaupt
aus Indien zugekommen sein lässt. Wird. man denn zur Zeit der hesiodi-
sehen Gedichte indischen Einfluss auf griechische Vorstellungsarten nach-
weisen können? — An die ebenfalls hierher gehörigen Nachrichten von
den langlebenden, gerechten Serern (s. oben p. 203 A. 5) erinnert' Lassen.
3) Plinius n. h. VI 17 § 55: bei den Serern liegt: — sinus et gens
Attacorum, apricls ab omni noxio adflatu seclnsa collibus. eadem qua Hy-
perborei degunt temperie. de iis privatim yolumen condidit Amomeius,
sicut Hecataeus de liyperboreis. Diese Vergleichung mit Hek. genügt, um
den Charakter des Buches deutlich zu machen.
4) Er ist älter als Kallimachus, der ein Buch von ihm, »dx M£|A^pt»;
dvd7tXo'j;w citirt bei Antig. Caryst. mirab. 149 West. Da ihn aber Niemand
vor den Zug Alexanders des Grossen wird setzen wollen, so hat jedeDÜüIs
C. Müller Recht, wenn er ihn unter dem ersten oder zweiten Ptolemaeos
blühen lässt (Fr. H. Gr. 11 896 b.).
— 219 —
für das Gefalleil, weiches gerade jene Zeil an solchen philo-
sophischen Utopien fand. Es ist wenigstens recht wohl denkbar,
dass ein übrigens unbekannter Timokles, wie er seiner schrift-
stellerischen Art nach in die Reihe der hier betrachteten Autoren
gehört, so auch der Zeit nach ihnen nahe stand. Er hatte, unter
einem abenteuerlichen Pseudonym versteckt, in einem uns nur
aus einigen kurzen Andeutungen bekannten phantastischen Buche
die wundersamen und glücklichen Zustände eines von ihm selbst
erfundenen Volkes der »Schlangentödter« sehr bunt ausgemalt >) .
1) Photius cpistol. 55 p. 4 41 (ed. Montacutius, Lond. 4654): Ti(AOxXla
iwvi, fi&XXov hk XXovÄdyovÄXov t6v *Otpioxav6v [htl '(dp, cb; lotxe, xal xa
M\um Tepotcueo^ai) xo*jp(Co9v loos; ^ p.etpaxiCt»'^ xoT; (Aa8if)p.a9tv 'jjxouoa;,
'O^pioxasÄv ^xe(vo)V, oO; aOr^; »jirsanfjaotTO, ^^vo; xal 9601V xai roXiTetav *al p^x^^
%a\ v(xac %al ß(aiv aJ&va; xal r^Xixfa; xal eu^at{Aov(a; oux dvOpdbTcoiv (a6vov dXXd
taX ^'JTfirv xai I^Am'^ xal y"^» *a^ ÄoXblaoT]; xal d£poc xaÄ* uTrepßoX-^iv i};e*J9pLdT«v
tcpaTCT^odfjLCvov. Meineke, der [nach einer Jcurzen Notiz bei Fabricius B.
Gr. II 504 Harl.) in der Htstoria criiica comicer. gr. p. 484 zuerst
wieder auf diesen Timokles aufmerksam gemacht hat, setzt hinzu: »
satis intelligitur, Timoclis librum ex Milesiarum sive Roroanensium scrip-
tionom genere fuisse, miraculis de ficta Ophiocanorum gente refertum.
Videtur Acutem ille satis antiquus scriptor fuisse, quum Timoclis nomen in
mediae aetatis historia mihi quidiem plane incompertum sit«. Usener
weist, im Rhein. Mus. XXVIII (4873) p. 44 4. 640 eine weitere Spur dieser
Utopie bei Galen, de simplic. medic. VI praef. (XI p. 798 Kühn) nach,
woselbst die Schriften des Hermes Aegyptius Xfjpo; xal itXdlopLaTa toü otiv-
9£vTo; heissen, 6pioi6TaTa toT; 'O^tovlxoi; tot; Ko^x^^ax^f/Xa (auf diese
Schreibung führt die hsl. Ueberlieferung : s. Us. p. 640) t/jxt Y^p (6X09;)
4|fveTÖ Tt; K(i'f/\ax6'f/f\'i^ , dlXX* el; 'fi'KmT'x ou-pteiTai Toövofjia, xadauep xal
tdIXXa rovra tä xatd zh ßißXlov a'iroO '(tfpa[i.itha. — Offenbar war also
KoDchlakonchlas oder Chlonthakonthlos das absichtlich barbarisch gebildete
Pseudonym des Dichters, als dessen wirklichen Namen Photius Timo-
kte9 kannte. Die wunderliche Erfindung eines glückseligen Volkes der
»Schlangentödier« stellt Usener in Parallele mit den »Öphiophagi« des Mela
(lU 8 und Plinius n. h. VI § 469) in einem Winkel des rothen Meeres
u. dgl. NKher verwandt ist vielleicht noch eine Sage, in welcher, wie bei
den Schlangentödtern des Timokles, das Tödten der Schlangen und ein
überlanges Leben in Verbindung gesetzt sind. Plinius n. h. VII 2 § 27:
Cyrnos Indorum genus [Cyros = Uttarakurus, Schwanbeck Megasth. Ind.
p. 70 A. 64. Eher vielleicht: Cyrnos Sardorum genus: A6xo; roXuypov(ou;
^cü'^ (Ivai Tou; Kupv(ou;' olxoü9i V ourot icepl Sap^^va. .\th. U 47 A.] Isi-
gonus annis centenis quadragenis vivere tradit, item Aethiopas Macrobios
et Seras existimat, et qui Athen montem incolant, hos quidem
quia viperinis carnibus alantur; itaque nee capiti nee vestibus eo-
rum noxia corpori inesse animalia (vgl. Pomp. Mela II 2 extr.: in summo
— 220 —
Wie sehr in daiiialij^er Zeit solche geographische Fabeleien
als anlockender Rahmen für einen lehrhaften Inhalt beliebt waren,
mag vor Allem die »Heilige Urkunde« des Euhemerus be-
weisen. Als prachtiges Eingangsthor hatte dieser der Oede
[Atho monie] fuit oppidum Acrothoon, in quo, ut ferunt, dimidio longior
quam in aliis terris aetas babitantium erat. Plin. n. h. IV § S7 : oppidam
in cacumine [des Atbos] — Apollonia, cuius incolae Macrobii appellantor.
Lucian Macrob. 5. -^ Schlangen essen übrigens wirklich einige afrikani-
sche Stämme, wie auch die Australier: Pesefiel Völkerkunde p. 463.) —
Was die Zeit des Timokles betrifft, so setzt ihn Usener p. 44S in die
zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts n. Chr.; er sei nicht früher aniu-
setzen, weil Lucian in seinen »wahren Erzählungen« keine Kenntniss des
Buches zeige, und weil Galen durch seine ausdrückliche Hervorhebung dar
Pseudonymität des Verfassers errathen lasse, dass zu seiner Zeit das Werk
erst kürzlich an das Licht getreten und daher seinem wahren Charakter
nach noch nicht allen Lesern bekannt gewesen sei. Das letzte Argument
will wenig besagen. Man könnte ja mit demselben Recht aus Galent
Aousserungen schliessen, duss das Buch vor sehr langer Zeit erschienen,
damals so gut wie verschollen, und eine willkommene Beute für gelehrte
Schwindler geworden war: daher denn Galen es nöthig linden konnte, an
den in Vergessenheit ^erathcnen wirklichen Charakter jenes Lügenbuches
wieder zu erinnern. Nicht kräftiger ist auch das aus Lucians Schweigen
entnommene Argument. Wer sagt uns denn, dass Lucian alle Erzeug
nissc jener Fabulisten-litteratur kannte, dass er alle ihm bekannt gewor-
denen Erfindungen dieser Litteratur zu verhöhnen sich vorgesetzt hatte?
Wer möchte auch nur dafür bürgen, dass in den »Wahren Erzählungen«
nicht wirklich Parodien der Lügenberichte des Timokles sich verbergen?
Die kurzen Notizen des Galen und Photius genügen hierfür nicht. Wenn
Lucian den lambulus nicht selber namhaft machte, wenn der uns erhal-
tene Bericht über sein Fabelbuch nicht bei Diodor, sondern etwa auch erst
bei Photius vorläge, so würde schwerlich irgend Jemand eine Parodimng
desselben durch Lucian herausspüren, und man könnte dann auf ihn mit
demselben Recht oder vielmehr Unrecht das von Usener für die Zeit des
Timokles geltend gemachte Argument aus dem Stillschweigen des Lndto
anwenden. Ich will nun meinerseits weiter nichts behaupten, als dass
nichts im Wege stehe , den unbekannten Timokles in dieselbe Zeit zu ver-
setzen, in welche die übrigen uns bekannten Erdichter ähnlicher, noch
nicht mit erotischen Elementen versetzter Fabeln gehören, nämlich In eines
der letzten Jahrhunderio vor unserer Aera. — Der Name des fabelhaften
Volkes wird wohl genauer von Photius als von Galen angegeben. Das
'Ü^ioxavoi des Photius giebt Usener durch » Schlangenmctzler« wieder;
er leitet also wohl die zweite Hälfte dieses Compositums von xaU« ab.
Vielleicht mit Recht; nur wäre dann wohl die regelrechte Bildung 'O^to-
xövot: xalvn, x£xova, xovi^, dv5pox6voi [Hesych. Bekker an. 894, SO].
Vgl. Lobeck Tr^iioT. i^i. i60; Cobet Var. Lect. 8tS.
— 221 —
seiner pragmatisirenden Mythenverdrehung einen vollkommenen
utopistischen Reiseroman vorgebaut. Von seinem Freunde, dem
König Kassander von Macedonien , veranlasst habe er — so
lautete seine Erzählung — weite Reisen unternommen; und so
sei er einst auch vom glücklichen Arabien aus südwärts in den
Ocean hinausgefahren ^) . Nach einigen Tagen gelangte er zu einer
Gruppe von Inseln, unter denen sich drei besonders auszeich-
neten: die erste, die »heilige« genannt, an Weihrauch und
Myrrhen überraus reich, von dem Volke der »Panchäer« bewohnt,
von einem König beherrscht; die zweite, der Begräbnissort
der auf der heiligen Insel Verstorbenen ^j : endlich die dritte,
dreissig Stadien nach Osten entfernt, von beträchtlicher Grösse,
Indien so nahe gelegen, dass man vom östlichen Vorgebirge der
Insel das indische Festland sieht. Auf ihr wohnen ebenfalls, als
Autochthonen, die Panchäer; dazu eingewanderte Inder, Scythen
und Kreter. Mit besonderm Behagen schilderte Euhemerus die
SchOnheiteti dieser Insel, namentlich die üppige Fruchtbarkeit
der, die Hauptstadt Panara umgebende Ebene, die Fülle des
Baumwuchses, das segensreich strömende Wasser, die Mannich-
faltigkeit der Thierwelt, den Reichthum an Metallen. In so
herrlichem Lande wohnte ein glückseliges, frommes Menschen-
geschlecht, in drei Kasten gegliedert, der reichen Gaben der
Natur in gerechter Vertheilung der Allen gemeinsamen Güter
geniessend. Die Leitung der Uebrigen haben die, aus Kreta ein-
gewanderten Priester. Diese wohnen in dem geheiligten Bezirke
des prachtvollen Tempels, welcher, 60 Stadien von der Haupt-
stadt entfernt, in fruchtbarer Ebene dem Zeus Triphylios erbaut
ist. Hier steigerte sich nun der Glanz der Beschreibung des
Euhemerus, um endlich zu gipfeln in jener, neben dem Lager
1) Diese Binlcituog nach Diodor 1. VI bei Eusebius Praep. ev. II 2
(Diodor ed. Wesseling vol. II p. 688). Nimmt man das tpiXoc KaaodvBpou
^aotXioc wörtlich, so müsste Euhemerus diese Reise in die Zeit nach
(M. 448, S (807) verlegt haben: in welchem Jahre Kass., wie die andern
Statthalter, den Königstitel sich beilegte (Diodor XX 53.). Die Reise müsste
dann, der FIction des Euh. nach, zwischen 807 und 296 (dem Todesjahre
des Kassander) stattgefunden haben.
2) Wer erinnert sich hierbei nicht des Verhältnisses der Insel Rhenaea
zu Delos? »'P-^vaia o' £pY](jiov vr^ol^iöv ioriv is Tlrcapoi xfj^ Ai^Xou OTaS(oi;, Cttou
tA fiv^fMtra ToTc Ä7)X(oic lorlv. o'i ^6l^ I^eotiv h auTQ ttq A-^Xtp Bdirreiv o'jhi
xaUtv vcxp^v«. Strabo X p. 486. Vgl. Bursian, Geogr. v. Griechcnl. II 4r>1 f.
— 222 —
lies Gottes aufgestellten goldenen SUuie, auf welcher er seine
famosen Berichte von der eigentlichen Urgeschichte der helle-
nischen (lOtter aufgezeichnet gefunden hatte. Hier endlich
mündete sein Roman in die pragmatische Mythendeutung ein,
zu deren Aufnahme sein farbiger Reiz eben nur geneigt machen .
sollte. Aber die romanhafte Einleitung war mit solcher anschau-
lichen Genauigkeit und so ersichtlichem Behagen ausgemalt, dass
der leichtgläubige Diodor, um den eigentlichen Kern der Euhe-
meristischen Entdeckungen weniger bekümmert, sie allein und
ihre geographischen und ethnographischen Beschreibungen uns
als baare Wahrheit mittheilt ^), während schärfer Blickende
diese Fabeln mit den Lügen des Antiphanes von Berga auf eine
Linie stellen^). Schwerlich aber hatte Euhemerus bei dieser
Ausmalung eines (ingirten Ideallandes die Absicht einer mehr
als poetischen Täuschung, so wenig wie Plato mit der Erdichtung
seiner atlantischen Insel. Nicht ungeschickt versetzte er seine
Panchäa nach jenen fernen Ländern und Meeren des Ostens,
welche, ganz vor Kurzem durch die Züge Alexanders des Grossen
einer halben Kunde erschlossen, den Hellenen alle Wunder
1) Diodor V 44—46; Fragm. 1. VI ([[ p. 633 f. Wess.). Die gering-
rügigen soDstigen Zeugnisse bei Gerlach histor. Sludien I 454 f.; vgl. Mül-
li^r Fr. bist. gr. II p. 4 00 a Anm.
2) Eratoslbeoes nannte den Eubemerus Bep^alov: Strabo II p. 414;
Sji}. I p. 47. Bcp^atCstv, dvxl toO (jlt^o^ dAT^de; X^^eiv Steph. Byz. Bcfral»
hirifriika (des Eudoxus) Strabo II p. 4 00. Strabo II p. 403 stellt die ^
9{jLaTa des Pytheas, Euhemerus, Antiphanes neben einander: wonach tf
allerdings scheint, als ob auch Antiphanes speciell lügenhafte Reise-
berichte verfasst habe. (Vgl. auch Marcian. epit. peripli Menipp. f <
(Müller Geogr. gr. min. I p. 565, 4]). Sonst wissen wir durchaus nichU
von ihm : ob der Antiphanes, welchen Antonius Diogenes (p. 288, SS Herolu}
als seinen Vorgönger nannte, mit dem l>erüchtigten Bergfter identisch 9^
(wie Meineke h. crit. com. p. 430 annimmt), scheint mir völlig ungewiss;
seine Lebenszeit, die allerdings vor die des Eratosthenes fällt, gerade iwi*
sehen 800 und 240 n. Chr. einzuschränken (was Passow Verm. Sehr. p. M
»mit Sicherheit« thun zu können glaubt] sind wir nicht berechtigt. Ganf
kritiklos macht Krahncr, Grundlinien zur Gesch. des Verfalls der römlich.
Slaatsrel. (Halle 4 837) p. 86 aus dem Bergäer, dem AnUphanes, welcher
nach Irenaeus adv. haer. II 49 eine Theogonie schrieb, einem Autor iccft
c'jpTjfAöiTcov, des Namens Antiphanes, dem Aristophanes (denn so bietet cod.
Laurent. LXIX 22), welcher nach Josephus c. Ap. I 28 über die Joden
st;hrieb , endlich auch noch dem berühmten Komiker Antiphanes Eine
Person.
— 223 —
und Herrlichkeilen zu bergen schienen. Eine dunkle Kenntniss
von der Inselwelt des indischen Meeres, einige Nachrichten von
der Natur jener Länder, den Sitten ihrer Bewohner, haben ihm
ersichtlich gedient, seinen Schilderungen Bestimmtheit und
fremdartiges Golorit zu geben ^). Beachtenswerth ist, dass er
alle eigentlich fabelhaften Züge, alle die Fratzen und Ungeheuer,
die Steigerungen der menschlichen Natur in^s Dämonische und
Gespensterhafte verschmäht hat, mit denen sonst die griechische
1) Einige Nachrichten über Inseln des indischen Meeres waren schon
zur ZqiI des Euhemerus den Griechen zugekommen : von Taprobane sclieint
Onesikritus (fr. 48. 22) zuerst erzählt zu haben. Gewisse allgemeine Vor-
stellungen von dergleichen Inseln in der Nähe Indiens geben denn auch
ganz ersichtlich dem Euhemerus die Grundlage für seine FicUonen. Ob
er bei seiner grössten Insel, von deren icp^; dvoroXdc dvi^xovxo; dxporrjplou
^aol dccopeiodat r^v 'IvStx'jjv d^piov (d. h. hoch in die Luft ragend : s. Wesseling)
[Diodor V 42], gerade speciell an Ceylon (welches freilich südöstlich von
Indien liegt) denkt, ist wohl nicht auszumachen. Diese unmittelbare Nähe
Indiens verbietet, bei der Panchaea etwa an die Insel Dioscorida zu
denken, wozu man übrigens wohl geneigt sein könnte (dort wohnten in der
That Inder, Griechen [und Araber, statt der »Scythen« des Euh.] : Peripl.
m. eryth. § 80, vgl. Reinaud, Relation II p. 59; von ihrer angeblichen
Glückseligkeit zeugt ihr Name dvipa sukhatara s v^oo; eO^alfJUDv : s. Lassen,
Ind. A. I 748, C. Müller zu Agatharch. mar. rubr. § 408). Jedenfalls ist in
der allgemeinen Schilderung der Vegetation (c. 43), der Thiere (c. 45), der
lifroXXa (c. 46) der Insel die indische Natur nicht zu verkennen (zu welcher
freilich die c. 48 erwähnten Weinstöcke und ^olvtxe; [dergl. damals wenig-
stens sicher in Indien keine wuchsen: Lassen I 264], nicht passen, und
auch das c. 46 genannte xaooiTcpov nicht, insofern die indischen Zinnlager
erst in unsrer Zeit entdeckt, und im Alterthum Indien , wie die übrige
Welt, einzig durch die Phönicier mit iberischem und brittannischem Zinn
versorgt wurde: Movers Phon. II 8, 62 ff, Oder hatte Euh. von den Zinn-
lagern auf der malaiischen Halbinsel, sowie auf Bangka und Billiton
[s. Bickmore, Reisen im ostind. Archipel p. 40. 408 f.] eine dunkle Kunde?).
Problematisch bleibt der Name flaYX^Toi (vgl. auch Wesseling p. 865). Ein
allegorischer Sinn desselben ist wohl nicht nachweisbar. Darf man sich
dabei etwa der indischen Völkerschaft der Pdndja erinnern, welche auf
der Südspitze des indischen Festlandes sass und von dort aus Ceylon
erobert hatte? (Ilav^aioi bei Megasthenes [vgl. Schwanbeck p. 381, Ilav^love;
bei Ptolemäus [s. Lassen, Ind. Alt. III 209]). Mit indischen Verhältnissen
stimmen auch manche der den Panchäern zugeschriebenen Sitten überein:
z. B. die Abgabe eines Zehntels von allen Früchten an den König auf der
•heiligen« Insel (c. 42: vgl. Megasth. fr. 84 § 8 p. 426 Schw. ; Lois de
ManoQ [trad. par Loiseleur-Deslongahamps , Paris 4888] VII 480 — 82), das
Kämpfen auf Kriegswagen (c. 45) , die Kasteneintheiluug (c. 45 : sie ent-
— 224 —
Phaniastik gerade den Orient auszuschmücken liebte. Solche
wilde Arabesken würden freilich auch den seltsamsten Gegen-
satz gebildet haben zu der [kahlen Nüchternheit des inneren
Kernes der Euhemeristischen »Urkunde«, um welchen sich die
Fabel von der panchUischen Insel nur als ein Rahmen herumzieht:
zu jener, noch heute nach dem Euhemerus benannten, prag-
matischen Zersetzung der Göttersagen in die Geschichte mensch-
licher Könige, Helden und Abenteurer, die zwar von Euhemerus
nicht eigentlich zuerst gehandhabt, aber von ihm doch, nach
vereinzelten Versuchen Früherer, über die gesammte Breite der
griechischen Mythologie ausgedehnt worden ist^).
War bei Euhemerus die Fabulistik durchaus zur Dienerin
herabgesetzt, welche ernsthafterer Belehrung nur die Stätte zu
bereiten hatte, so sehen wir dieselbe wieder selbständig und
in freierem Spiele sich bew^egen in der Erzählung des Jam-
bulus. Zeit und Vatefland dieses Autors sind uns leidjer un-
spricht zwar nicht genau der indischen Eintheilung, aber diesen Mangel
theilt sie ja mit allen griechischen Berichten von diesen Dingen. Uebrigens
mochten dem Euh. bei dieser Kasteneintheilung und bei der GUtergemein-
schafl, die er seinen Insulanern zuschreibt, auch wohl die Verhfiltnisse
}i;cwisscr Stämme des südlichen Arabiens vorschweben, von denen Aehn-
liches berichtet wird [Strabo XVI p. 782.8: auf die Einflüsse indischer
Colonisten führt diese Einrichtungen zurück Lassen, Ind. Alt. II 580]} , die
Tracht (c. 45: weiche Wollenkleidcr, goldne Arm- und Halsbänder, Ohr-
ringe auch bei Männern, buntfarbige Schuhe, c. 46: die Priester tragen
glänzend weisse, weiche Linnenkleider, golddurchwirkte Hauptbinden, bunte,
künstlich gearbeitete Sandalen, Goldschmuck wie die Weiber, aber keine
Ohrringe. Deutlich erkennt man hier die [im Wesentlichen noch heute
zutreffenden] Züge der indischen buntfarbigen Kleiderpracht, welche den
griechischen Reisenden so lebhaft auffiel [vgl. z. B. Megasth. fr. 37 § 9,
Curtius Vill 0 , S4 mit Freinsheims Anm.] , wie später den arabischen
[s. z. B. Reinaud, Relation etc. I p. 4 54]). — Diese Reminiscenzen an
jüdische Natur und Lebenswelse sind dann natürlich mit rein phan-
tastischen und griechischen Zügen stark versetzt.
1] Auf diese gleichmässige Durchführung des von älteren Historikern
und Mythographen längst einzeln angewendeten pragmatisch-historischen
i^rincips der Mythendeutung beschränkt sehr richtig die Neuerung des Eu-
hemerus Lobeck, Aglaoph. 989. — Uebrigens ist es nicht bedeutungslo6^
dass unter den von Lobeck p. 987 ff. aufgezählten Euhemeristeo vor
Euhemerus sich nur pragmatisirende Mythengeschichtschreiber [sit venia
verbo) finden, keine Philosophen und namentlich kein Mitglied der cy re-
nal schon Schule. Man möge daraus entnehmen, auf wie schwachen
— 225 —
bekannt ^} ; von seiner Reisebeschreibung j die uns bei Lucian,
im Eingang der »wahren Erzählungen.«, als eins der hauptsSich-
lichslen Magazine abenteuerlicher Lügenberichte angekündigt
wird, hat uns Diodor einen kurzen Auszug erhalten, welcher,
in verwirrter und sprunghafter Auswahl, offenbar nur einen
Füssen die in manchen Geschichten der griechischen Philosophie sogar ein-
fach als Thatsache hiDgestellte (z. B. bei Ueberweg), noch von Zeller, Phil,
d. Gr. II 1 p. 294 f. 835 (3. Aufl.) nicht verworfene Annahme stehe, dass
Euhemerus zur Schule der Cyrenaiker gehört habe, als ein Schüler Theodors
des Atheisten. Nicht der leiseste Wink der Ueberlieferung spricht Tür diese
Annahme; ihr zu Liebe sogar eine Stelle des Laertius Diogenes (II 97}
durch Emendation zu einem Zeugniss zu machen (mit Nietzsche, Rh. Mus.
XXV S31} haben wir durchaus kein Recht.
1) Die Zeit des Jambulus ist nur in so weit bestimmbar, als er jeden-
falls vor Diodor, also vor der Zeit des Cäsar und Augustus, lebte. Wie
lange vorher, muss unbestimmt bleiben. Eine Andeutung könnte man
vielleicht in dem Schluss seiner Erzählung finden. Wenn er da (Diodor
II 60) zu einem philhellenischen indischen Könige kommt, der in Patali-
putra residirt, und, da er ihn bis nach Persis geleiten lässt, doch jedenfalls
ein weit nach Westen ausgedehntes Reich beherrscht: so treffen diese
Merkmale offenbar nur bei den Königen aus dem Geschlechte der Maurja:
Tscbandragupta (reg. 315—294) , Vindusära oder Amitrochates (291 — 263)
und dem grossen A^oka (263 — 226) zu ; ihr Interesse für griechische Cultur
ist bekannt, ebenso die weite Ausdehnung ihres, von Pataliputra aus regier-
ten Reiches, welches nach dem Tode des A^oka in mehrere kleine Herr-
schaften zerfiel (s. Lassen, Ind. Alt. II 472 ff., 344 ff.). Aber aus diesen
Indicien darf man irgend einen Schluss auf die Lebenszeit des Jambul nur
unter der, mindestens unsichern Voraussetzung ziehen, dass seinen aben-
teuerlichen Berichten eigene Erlebnisse auf einer wirklich unternommenen
Reise zu Grunde liegen. Wie aber, wenn er, selbst vielleicht viel später
lebend, das Bild indischer Verhältnisse so wiedergab, wie es ihm etwa in
den Erzählungen der Zeitgenossen jener Maurja-Könige , des Megasthenes,
Daimachus, Dionysius u. A. entgegengetreten war? — Seine Heimath
nennt uns Diodor nicht. Zu einem Syrer würde man ihn zu machen
haben, wenn eine Conjectur Osanns richtig wäre. Der fälschlich Octavius
Horatianus genannte Arzt Theodorus Pri.scianus spricht im 2. Buche seiner
Res Medicae, cap. XI (p. 22 C der ed. Argentorat. 4582 fol. ; p. 85 der, von
Sigism. Gelenius besorgten ed. Frobeniana, Basil. 4 532, 4^) von der Heilung
der männlichen Impotenz: — interea puellarum speciosarum vel puerorum
simillter servitium procreandum est. Utendum (so Gelenius) sane lectionibus
aoimam ad delicias pertrahentibus, ut sunt Amphipolitae (so Gel.) Philippi
autHerodiani autcerte Sirii aut Amblii (so Gel., Syrii Ambulii ed. Argent.)
vel ceteris suaviter amalorias fabulas describentibus. Hier hat schon Rei-
nesius Var. Lect. p. 54 4 (dem Vossius de bist. gr. p. 276 West., und
Fahricius B. Gr. VIII p. 453 Harl. gefolgt sind) ganz richtig unter dem
Bohde, Der griechische Roman. 15
— 226 —
sehr geringen Theil seiner seltsamen Erfindungen wiedergiebt^).
Wir erfahren daraus aber doch wenigstens den allgemeinen
Gang und Inhalt seiner Erzählung.
Jambulus, von Jugend auf der Bildung beflissen, hatte sich
nach dem Tode seines Vaters, eines Kaufmannes, ebenfalls in
Sirius Amblius den, als Syrer bekannten Romanschriftsteller Jamblichas
erkannt: Osann in einem übrigens vollkommen inhalUtlosen Aufsatz über
»Jambulos und seine Reiseabentheuer« (Beilr. z. gr. u. röm. Lilteratorg.
I 287 ff.) schlägt vor (ohne der tilteren Behandlungen dieser Stelle la
gedenken], zu schreiben: »aut certe S>Tii Jambuli.« Die Einsetzung des
Jambulus scheint ihm »um vieles gerechtfertigter« als die des Jambifichas;
('r hat aber versäumt, wirkliche Gründe gegen Jamblicb und fUr Jambvl
beizubringen. Da, dem Zusammenhang und den ausdrücklichen Woriea
des Th. Pr. nach, nur von amatoriae fabulae die Rede sein kann, so
passt vielmehr Jamblichus sehr gut in den Zusammenhang, Jambulus aber
ganz und gar nicht, da bei ihm eben keinerlei *RperctxcC vorkamen. Wenn
Osann (p. S94} meint, aus der Zu.sammenstellung mit eigentlich erotischen
Erzählern werde »einiges Licht auf die Färbung des Werkes des Jambul
zurückgeworfen « y und (p. S98] den Jambul das Leben auf seiner glück-
seligen Insel »wohl nicht mit Umgehung mancher den Sinnen schmeicheln-
den und die Phantasie erregenden Zustände« schildern lässt, so spricht sich
in diesen, durch die Deberlieforung in keiner Weise unterstützten Annahmen
eben nur der handgreiflichste Cirkelschluss aus. — Der Name 'lafißouXac
;so accentuirt in den Hss. des Diodor und Lucian), der schwerlich griechisch
sein kann (vgl. Lobeck Proleg. Pathol. 18i f.), klingt allerdings an den
unzweifelhaft syrischen Namen 'IdfAß>axoc an. Indessen belehrt midi ein
ausgezeichneter Kenner der semitischen Sprachen, dass der Name 1afA.pol>).oc>
wenn er überhaupt semitisch sei, schwerlich doch gerade aus dem Syri-
schen, eher aus dem Phönicischen oder Arabischen sich herieiten lasse.
1) Die sonderbare Verwirrung in Diodors Excerpten aus Jambol
(H 55—60) hat schon Wesseling bemerkt: Angaben über Natur und Men-
schenleben auf der glücklichen Insel gehen wüst durcheinander; das Zu-
sammengehtirige ist auseinander gesprengt, das durchaus Verschiedenartige
verbunden. Ein Beispiel genüge. Cap. 57 erzählt Diodor: die Bewohner
der Insel haben 7 Schriftzeichen von 98 Bedeutungen. Die Menschen wer-
den dort sehr alt; Kranke oder Verstümmelte müssen sich tödten. — Sie
schreiben von oben nach unten. Es ist bei ihnen Sitte, nach einer be-
stimmton Dauer des Lebens sich freiwillig den Tod zu geben u. s. w.
Dies ist die Darstellungsweise eines flüchtigen Compilators, der ans. dem
Gedächtniss einige Brocken des auszuziehenden Buches wiedergiebt,
ganz in der zufälligen Reihenfolge, in welcher das Einzelne sich gerade
seiner Erinnerung darbietet. Man wird daher schwerlich die Verwimng
den Abschreibern des Diodorischen Werkes zuzuschieben, und etwa dnroh
gewaltsame Aus- und Einrenkung der einzelnen Theile eine bessere Glie-
derung des Ganzen herzustellen haben. In meiner Wiedergabe der Dio-
— 227 —
Kaufmannsgeschäften durch Arabien nach dem Lande der Ge-
würze i] begeben. Von Räubern überfallen, wurde er mit einem
Reisegefährten zuerst zum Hirten gemacht, dann von Aethiopen
gefangen, an die Küste geschleppt, und auf einem, für sechs
Monate mit Speise und Trank versehenen Schiffe als Sühnopfer,
dergleichen jene Aethiopen alle sechshundert Jahre einmal dem
Meere zu übergeben pflegten , in den Ocean hinausgeschickt.
Es war ihnen streng verboten, wieder umzukehren ; man hatte
ihnen befohlen, nach Süden zu fahren, wo sie eine glückselige
Insel, von wohlwollenden Menschen bewohnt, antreffen würden.
Nach einer Fahrt von vier Monaten gelangten sie zu einer run-
den, 5000 Stadien grossen Insel, und wurden von den Ein-
wohnern gütig aufgenommen. In der Schilderung der Zustände
auf jener glückseligen Insel bestand nun der eigentliche Inhalt
der Erzählung des Jambulus. Sie gehörte zu einer Gruppe von
sieben Inseln von etwa gleicher Grösse, welche in gleichmassi-
gen Abständen eine von der andern entfernt lagen, und deren
Bewohner sich gleicher Sitten und Lebensweisen bedienten.
Die Insel lag in der Nähe des Aequators: denn Tag und Nacht
waren dort immer von gleicher Länge; am Mittag warf kein
dorischeti Notizen habe ich aber nicht für nöthig l)eranden» mich an die
unordentliche Anordnung des Compilators zu binden. — Dass Diodor aus
den Erzählungen des Jamhut nur eine kleine Auswahl getroffen, und (als
In einem historischen Werke) wohl gerade die kühnsten Erfindungen seiner
Phantasie bei Seite gelassen hat» muss man daraus schliessen, dass man
In den 'AXt]#^ hvfiii\iiaTa des Lucian, In deren Anfang (I S) doch neben
Kteslas gerade Jambulus als Hauptvertreter der zu verspottenden Litteratur-
gfttltiBg ausdrücklich genannt wird, gleichwohl keine deutliche Parodie
irgend eines, bei Diodor überlieferten Zuges der Jambulischen Erzählung
wird nachweisen können. Allenfalls könnt« man auf Jambul solche Notizen,
wie die von der Weibergemeinschaft auf der Insel der Seligen (V. H. 2, 19),
von der dort üblichen Kleidung aus purpurnen Spinneweben (V. H. 9, 42
— vgl. Jamb. b. Diod. 2, 59 p. 171, 19 ff. ed. Wess.) bezichen: aber es
ist sn vermuthen, dass überhaupt in der Schilderung dieser v^oo; fAaxdpmv
(V. H. II 5—28} sich viel speciellere Parodirungen einzelner Angaben des
Jambul verbergen, welche eben durch Schuld des allzu kurzen Auszuges
bei Diodor sich unsem Augen entziehen.
1) dva^alvoiv hiA r?jc 'Apaßfac ^irl t9)v dpoi^aTOcp^pov. Diodor II 56: er
durchzog also Arabien bis zu seiner Südwestecke, und setzte dann über
nach der gegenüberliegenden vorspringenden Küste von Afrika, dem heuti-
gen Somal: denn dort lag i^ 'Apoo^ato^c^po; y(i(»pa: vgl. z. B. Marcian. peripl.
m. eit. I 43 p. 523, 27 Müller.
15*
— 228 —
Gegenstand einen Schatten. Das umgebende Meer, von heftiger
Ebbe und Fluth bewegt, war süss; die Luft von lieblichster
Temperatur; warme und kalte Quellen dienten zur Labung und
zur Erhaltung der Gesundheit; die Bdume trugen stets reife
Früchte, wie im Lande der Phäaken. Oel und Wein gab es
im Ueberüuss, dazu manche seltsame Pflanzen, von welchen
uns ein Rohr genannt wird, das Früchte trug, den weissen
Kichererbsen ähnlich, welche in Wasser gelegt aufquollen und
zu süssen Broten breitgeschlagen wurden; das Rohr selbst, im
Umfang einem Kranze gleich, nimmt mit dem Monde zu und
ab^j. Auch von den Thieren hatte Jambulus Wunderbares zu
berichten 2); wir hören nur von einem schildkrötenartigen Thiere,
mit vier Augen und vier MHuIern an den vier, durch die End-
punkte zweier, wie ein griechisches X kreuzweise über seinen
Rücken laufenden Linien bezeichneten Extremitäten u. s. w.
Die Bewohner, alle einander ähnlich ^j, waren vier Eilen
1) Tou; It xaXcCpo'j; iS &v 6 xapr6; iffi Tpo^^; Ytverai, ^adl OTC^avt-
aiou; ÄvTo; xi ircCyo;, xaxA tä; rrj; oeX-f^vTj; dvatrX7]fM69eic dvaidlT}po3od«t
xal röOav xotd Td; dXaTT((>oci; dvdXoYOv xaTreivousdai. c. 59 extr. Die im
Druck hervorgehobenen Worte können doch nur das bedeuten, was auch
Wcssciings Uebers. ausdrückt: coronae orbeni sptssitudine aequantcs; was
lassen, Ind. AU. III 261 Anm. 4 von dicker und dünner werdenden HKrttnien
des Rohres« sagt, beruht auf einem Irrthum. Janibul denkt wohl an die
indischen Rohre, von deren Dicke Ktcsias u. A. zu erzählen wussImi
(Kies. fr. 68 p. 90 Ml. Plin. n. h. XVI § 462, vgl. Ps. callistb. III 47).
Das Ab- und Zunehmen mit dem Monde ist eine Erscheinung, welche die
griechische Paradoxographie mancherlei Gegenstttnden zuschrieb: z. B. den
Eiern der Seeigel (Antig. mirab. 4 24 p. 9t, 2 West., Aristot. h. an. V 40 elc),
der Leber der Möuse (Antig. ib. p. 90 f., Aetian h. an. II 56, Archelaus
bei Boissonade, Anecd. 1 44 7 f.), gewissen Steinen (Apollonius h. mirab. 86;
aus gleicher Quelle [£({»7axo; xepi U^ms] Plin. 87 § 4 84, vgl. Nonnos, DioD.
r>, 462 rr., Damasc. v. Isidori § 9. § 238 West.}, den Austern (Horat. sat.
II 4, 30; Plin.' 2 § 409; Clemens, AI. ström. I 4, 54 p. 44, 88 KL), den
Auf^en der aUoupoi (Gell. XX 8, 6: vgl. Demctr. de elocuL p. 297, 25 IT. Spg.;
darnach dichtet der Romanschreiber Antonius Diogenes den Au^een
seines Astraeus etwas ganz Aehnliches an: p. 284, 28. 24 Hch.i. Der Sage
bei Jambul kommt am Nächsten ein Zug im PseudocallisUienes II 81
p. S8b, 8 fr.: dort findet Alexander BUume in Indien, welche mit der
aufsteigenden Sonne wuchsen, mit der niedersteigenden niedergingen, bis
sie ganz verschwanden.
2) Jambulus zählte auf: — ^ihms iraprjXXa^fx^va; ^6oetc «al &id th iraptf-
(o|ov driOTOUiJL^a;, cap. 59 (p. 4 74, 23 Wess.).
3) c. 56: Die Bewohner der Insel waren von den Menschen unserer
— 229 —
hoch, von schöner regelmässiger Gestalt, behaart nur auf dem
Haupte, an den Augenbrauen und am Barte, übrigens recht
wunderlich ausgezeichnet durch sehr grosse von einer Art von
Deckel verschlossene Nasenlöcher ^) ; durch völlig biegsame sehnon-
artigc Knochen, in denen gleichwohl eine solche Kraft wohnte,
dass etwas einmal von jenen Menschen Angefasstes Niemand
ihren Fingern entwinden konnte; endlich durch eine zwie-
gespaltene Zunge, mit welcher sie alle menschlichen Sprachen,
auch Vogelstimmen nachmachen, ja mit zwei Leuten zugleich
zwei verschiedene Unterredungen führen konnten 2). Sie lebten,
meist ohne Krankheit, 150 Jahre lang ; Verstümmelte oder Kranke
Länder sehr verschieden, dagegen unter einander ndfvTec i:apa7tXiF)9toi toi;
dvaicXdEofAaot twv 9m\idTms. Die Aehnlichkcit der Einzelnen untereinander
bei fremden, durch eine zersetzende Civilisation noch wenig in selbständige
Individualitäten zertheilten Naturvölkern muss den Griechen sehr auf-
gefallen sein: sie heben dieselbe öfter hervor. So namentlich Hippocrates
in seiner merkwürdigen Schilderung der Scythen: De aäre aquis et locis
(Hippocr. ed. Kühn vol I) p. 555 ; p. 557 (dirf^XXaxxai xwv Xotnäiv dvdpdbiroiv
TÖ ^xu^txov Y^vo; xal lotxev iM twurltp, SiCizep t6 AlY6rTio^) p. 558 etc.
So sagt auch Philostratus, imag. I 29, hierin sicherlich der, auf richtiger
Beobachtung begründeten Darstellungs weise griechischer Maler folgend : die
den siegreichen Perseus umstehenden Aethiopen waren gebildet oi
nXeiOTOt 5p.oiot.
1) xd ^ishi (so Eichsladt mit besseren Hss., statt des früher gewöhnlichen
d^^i) TpVijAaTa ttoXö täv icap' tjjjitv l)^eiv eupu^cop^orcpa, xal xaddruep dTti^XoBT-
tlSac auToTc ixTce^uxfvat. c. 56. Die letzten Worte xal xaDdlTrcp xxX. geben
allerdings keine deutliche Vorstellung: wuchs ihnen also aus den Nasen-
löchern eine Art von Kehldeckel (iiri^XoirrU : deren Gestalt man mit einem
Epheublatte verglich: Pollux 11 106) heraus? (wie man den von Lassen,
Ind. Alt. III 258 angegebenen Sinn: »die Kehldccken waren gleichsam sich
berührend« aus Diedors Worten herauslesen köime, sehe ich nicht ein).
2) Hiermit könnte man vergleichen die Notiz des Liber de monstris
c. 43 p. 440 Berger (c. 40 p. 43, 48 IT. ed. Haupt): Est gens aliqua con-
mixtae naturae in rubri maris insula , quam linguas omnium nationum
(isdoexv <ivdp«irlv7)v oidXcxTov Jambut Diod. 2, 56) loqui posse testantur, et
ideo bomines de longinquo venientes, eorum cognitos nominando, adtonitos
fociunt, ut decipiant et crudos devorent. Eine Quelle dieser Erzählung ist
nicht nachweisbar; der zweite Theil derselben (et ideo cet.) erinnert
allerdings, wie Berger bemerkt hat, stark an die Wundererzählungen der
Griechen von dem aethiopischen Thiere xopox^a (vgl. C. Müller zu Aga-
thart;b. m. rubr. § 77 p. 462, und dazu noch Dalion dv tiq nptiiTQ täv Al-
%toi:tx6v bei Jsigonus c. 2, Acta soc. phil. Lips. I p. 35) : mit diesen Er-
zKhluogen war aber offenbar in der Quelle des Liber de m. eine, der
Nachriebt des Jambui nahe verwandte Erzählung combinirt.
— 230 —
mussten sich selbst Uklten; iiHch Erreichung eines gewissen
Allers gaben sich alle selbst den Tod^ indem sie sich auf eine
Pflanze lagerten, deren betäubender Duft sie durch einen sanf-
ten 8chlaf in den Tod hinUbergeleitete >) Die Leichen werden
1) Einen Widerspruch des Diodor mit sich selber findet Lassen, Ind.
Alt. III 259 Anm. 4 darin, dass er erst die Insulaner 150 Jahre erreichen
lasse und bald darnach hinzufüge, ein Gesetz bestimme, dass Niemand
mehr als 4 0 0 Jahre leben dürfe. Das Letztere sagt aber Diodor gar
nicht, er spricht nur von C'^i^ ^[/pi ^x»v (upiO(i^vf»v, d. i., wie man nach
dem Vorhergehenden zu verstehen hat, bis zum 450. Lebensjahre. — Die
freiwillige oder erzwungene Selbsttödtung der durch Siechthum oder Alter
der rechten Lebenskraft Beraubten [ — intX l\xa%ts oux ht Eaurtj! SiapxAv,
vom Demonaz, Lucian Demon. 5] hat Jambul ofTenbar aus einer harten
Sitte des hohen Alterthums herübergenommen. Ursprünglich scheint diese
Sitte bei allen indogermanischen Stämmen geherrscht za haben. In voller
Lebendigkeit zeigt sie sich noch in altnordischer Sage, auch im Brauche
der alten Wenden und Preussen: s. Grimm, D. Rechtsalt. p. 486 flf. ; vgl.
K. Weinhold, Altnord. Leben p. 472 f. Sie bestand aber auch bei in-
dischen Stämmen (s. Pomp, lilela III 7) ; bei den iranischen Baktrem
(Onesichtus bei Strabo XI p. 547), Massagetcn [Herodot 1 246»Strabo XI
p. 518), Derbikcn (Strabo XI p. 530, Mass., Derb, und Tibarener: Porphyr,
de abstin. IV 34), Scythen (Seit. Empir. &i:orjir. III § 34 0); auf Sardinien
;Timaeus fr. 38); ja, wie bekannt, sogar noch in Rom (vgl. Marquardt,
Rom. Alt. iV p. 303 Anm. 4 213;; auch die auf Keos bestehende Sitte, Im
gebrechlichen Alter durch einen Gifttrunk sich selbst zu tödten (Aelian
V. H. 111 87; vgl. Welcker, Kl. Sehr. U p. 503 f.;, darf als ein letster,
auf griccliischem Boden erhaltener Rest des alten grausigen Gebrauches be-
trachtet werden. Eben diese Sitte auf sein Idealland zu übertragen, konnte
Jambul um so eher geneigt sein, weil auch den Hyperboreern die
Sage eine ähnliche Verkürzung des Lebens vor eintretender Schwädie
und Gebrechlichkeit angedichtet hatte. Pomp. Mela III 5, von den Hyper-
boreern : ubi eos vitae satietas magis quam taedium cepit, hilares, redimiti
sertis, semet ipsi in polagus e.\ certa rupe [s. hierzu Gautrekssaga , bei
Grimm a. 0. 486] praecipites dant 'vgl. Plin. n. h. IV J 89). — Die Pflanze
übrigens, auf welche gelagert man in den Tod hinUberschlummcrt, wird
(c. 57] ßoravT) oi^uV^; genannt. Das w&re eine »doppelgestaltige« Pflanic.
Da man sich hierbei nichts vorstellen kann, so übersetzen die Herausgeber
des Diodor »duum gen er um herbat. Diese Bedeutung hat Si(puif)c auch
im prosaischem Gebrauche thatsächlich z. B. bei Philostratus V. S. p. 8, Sf
cd. Kayser 4874. Ist die Uebersetzung richtig, so könnte man etwa an eine
der mandragora ähnliche Pflanze denken. Von dieser wunderbaren,
frühzeitig durch allerlei Aberglauben geehrten Pflanze (über die abar^
gläubischen Vorsichten bei ihrer Ausgrabung spricht schon Theophraat h.
pL IX 8, 8; vgl. Grimm, D. Mythol. 4453 f.. Lobeck, Agiaoph. 904, und
über die dort erwtthntc battaritis oder aglaophotis, Langkavel, Botanik d.
— 231 —
bei Ebbe im Meeressande verscharrt: dann kommt die Fluth
zurück und überschüttet sie vollends. Die Bewohner verehren
mit Hymnen und Lobliedern, als Götter, zumal die Sonne, aber
auch den Himmel und alle Himmelslichter. Sie leben in Ab-
theilungen, deren keine über 400 Mitglieder zählt, und jede
von dem Aeltosten, wie von einem König, geleitet wird. In
gemeinnützigen Arbeiten lösen sie einander ab, so dass Jeder
abwechselnd die Anderen bedient, Fische föngt, Handwerk oder
Künste ausübt, Geschäfte der Gemeinde besorgt u. s. w. Die
Weiber sind Allen gemeinsam, so auch die Kinder: letztere
werden, damit Gemeinsinn und Friede erhallen werde, von den
Wärterinnen häufig vortauscht, so dass nicht einmal die Mutter
wisse, welches ihr eigenes Kind sei^). Bald nach der Geburt
wird durch einen Flug auf einem, von jeder Abtheilung gezüch-
teten Vogel Muth und Stärke der Kinder geprüft;' nur die dabei
als kräftig Bewährten zieht man auf^]. — Ihr Leben bringen sie
zumeist auf blühenden Wiesen zu; bei den üppigsten Gaben
der Natur leben sie in wohl geregelter Massigkeit; sie geniessen
hauptsächlich gekochtes und gebratenes Fleisch, aber ohne rei-
zende Gewürze ; Vögel und Fische bietet Land und Meer reich-
lich dar; auch eine grosse Art von Schlangen essen sie. Sic
spftt. Griechen p. 83. S. aach Lagarde, Ges. Abh. p. 67), deren Saft niclil
aar, sondern deren blosser Geruch schon einschlöfcrn sollte (Plin. n. h. XXV
§ 450)» sagt Plinius n. h. XXV 43 § 447: duo eins genera: candidus
<Iiii et mas, niger qui femina vocatur. — Bei Lucian ver. bist. 11 33 steht
auf der »Insel der Trftume« ein ganzer Wald baumhoher Mohn- und
Mandragora pflanzen. — (Man könnte versucht sein, be\ Diodor statt
(tftff} ßordivTiN zu schreiben Uio(puf| ßordlvT^v, »eine eigenthüm liehe Pflanze«;
so Diodor V 80 : l&io^ueTc odXfitfYc;. Dieselbe Verschreibung im Schol. Nie.
Ther. 898 p. 65, %% K. : 'Apy^Xao; iv tot; 5itpu£oi statt ihio^uioi, wie schon
Menrsius corrigirte).
1} Hier ist die Nachbildung Platonischer Wünsche' und Vorschläge
evident: auch dieser meinte mit der Weibergemeinschafl und einer Ein-
richtung, bei welcher die Mutter ihr eigenes Kind nicht sicher erkennen
kMsne, die Einigkeit in seinem Staate zu befördern. S. de Republ. V
p. 46S B ff.
2) Auch hier liegt die Nachahmung der uralten, bei den meisten Völ-
kern des Altertbums erhaltenen Sitte der Tödtung oder Aussetzung schwKch-
liclier Kinder auf der Hand. Zuweilen kamen hierbei, wie bei Jambulus,
fitatnliche Proben der Kraft des Kindes vor: vgl. z. B. Weinhold, Altnord.
Leben p. 960 f.
— 232 —
speisen nirht alle zu gleicher Zeil. Für jeden Tag ist nur Eme
bestimmte Gattung von Speisen gestattet, mit deren Genuss sie
somit regelmässig abwechseln. Sie treiben allerlei Wissen-
schaften, zumal die Sternkunde. Ihre Schrift hat nur sieben
Zeichen, welche aber, durch vierfache Umformung eines jeden,
S8 Bedeutungen annehmen können.
Bei diesem glückseligen Volke lebte Jambul mit seinem Ge-
führten sieben Jahre; endlich trieb man sie, als Uebelthater
und an schlimme Sitten gewohnt, aus. Von Neuem auf ihrem
Schiffe dem Meere überlassen, wurden sie, nach einer Fahrt
von mehr als vier Monaten, endlich an die sandige und
sumpfige Küste Indiens geworfen. Den Gefährten verschlangen
die Wellen ; Jambul gelangte zu einem Dorfe, dessen Bewohner
ihn nach Palimbothra zum König brachten. Der gebildete und
griechenfreundliche König nahm ihn gütig auf, und schickte ihn
endlich mit sicherem Geleite nach Persien, von wo er schliess-
lich nach Hellas^) sich durchschlug. Zurückgekehrt, schrieb er
seine Erlebnisse auf jener Insel und was er in Indien Neues
und Unbekanntes gesehen hatte, nieder.
Die hier nach dem Berichte des Diodor wiedergegebenen
dürren Notizen geben von dem Werke des Jambulus jedenfalls
insofern einen unvollkommenen Begriff, als sie uns kaum noch
einige ganz verblichene Spuren jener Annmth l)ehaglicher Er-
Zcihlungskunst erkennen lassen, welche selbst Lucian an der
Schriftstellerei des Jambul lobt 2). Wenn andererseits der Zu-
sammenhang, in welchen Lucian dieses Schriftstellers gedenkt,
uns verleiten könnte, in seinem Buche nichts als ein Gewebe
toller Lügenmärchen zu vermuthen, so dient Diodors magerer
Auszug doch , uns von einer so einseitigen Vorstellung zurück-
zubringen. Es scheint, dass Diodor gerade diejenigen Angaben
des Jambul vorzugsweise herausgehoben hat, au^ denen es deut-
lich wird, dass seine Erzählung, weit entfernt, sich nur an einer
leichtfertigen Vcrschlingung fratzenhafter Märchenerfindungen zu
gefallen, vielmehr, gleich den Dichtungen der übrigen hier be-
1) D. i. wohl nur nach Gegenden, in welchen man griechisch sprach
■so 'RXXök bei Späteren nicht selten), also etwa nach Syrien.
2) Lucian , Ver. hisl. I 8 : l-^pvie ht xai 'lapißouXoc repl täv ^ tj (U-
YoXtq %fikdo9iQ TToXXdl rapiiooSa, yvcupip-ov jaev araoi xö 'i/t^iSo; 7:Xa9d|UtfvoC| oix
— 233 —
handelten Autoren , sich zum Ziele setzte , in der Schilderung
jener Utopie der durch die Cultur verderbten westlichen Well
das Bild einer in ursprünglicher Kraft und Schönheit, in seligem
Frieden und den einfachsten Ordnungen ursprünglichsten Natur-
rechts ein langes Leben schmerzlos und schuldlos geniessenden
Menschheit entgegen zu halten, welche einen von der civilisirten
Verderbniss der Griechen weit Ergriffenen selbst als Gast nur
kurze Zeit unter sich dulden kann. Aber freilich lassen uns
einzelne Angaben Diodors noch deutlich erkennen, was Lucians
Andeutungen uns noch bestimmter zu vermuthen zwingen, dass
viel stärker als in den verwandten Dichtungen des Theopomp,
Hekataeus, Euhemerus u. s. w. diese didaktisch-erbauliche Schil-
derei von der ausgelassensten Phantastik überwuchert wird,
welche sich in den kecksten Eingebungen ihres Muthwillens so
unbefangen und ohne Rücksicht auf das idyllische Sittengcmälde
des [Untergrundes ergeht, dass man wohl sieht, hier stehe das
Abenteuerliche rein um seiner selbst willen und werde von den
ernsthaften Absichten des Dichters nur kaum noch in Schranken
gehalten.
Zieht man übrigens sowohl die offenbar tendenziös philo-
sophischen Grundlinien der Erzählung als jene rein fabulosen
Wunderberichte ab, so bleibt von solchen Nachrichten, die man
als die Ergebnisse einer wirklich unternommenen Reise ernst-
lich betrachten könnte, so wenig übrig, dass sich das ganze
durch die feierliche und geheimnissvolle Ausfahrt in das unbe-
kannte Meer so stimmungsvoll eröffnete Abenteuer zu einer
blossen dichterischen Fiction zu verflüchtigen scheint. Ein her-
vorragender Forscher hat in dem Berichte des Jambulus eine
höchst erwünschte Nachricht über die alten Zustände auf einer
der Sunda-Inseln zu finden geglaubt. Die für diese Meinung
geltend gemachten Gründe halten indess einer unbefangenen
Prüfung nicht Stand ^) Man wird den Charakter der ganzen
1) Nach Lassen, Ind. Altcrthumsk. IH p. 153 — 271 soll unter Jambuls
Insel Bali zu verstehen sein. Die Gründe für diese Behauptung, v/ie L.
sie p. 270 kurz zusammenfasst, sind folgende drei. 4) Das von J., als auf
jener Insel herrschend geschilderte indische Kastensystem passe (unter
den Sunda-Inseln, an die übrigens ausschliesslich zu denken uns doch gar
nichts berechtigt) nur* auf Java und Bali. Auf Java nun aber passe nicht
die von J. angegebene Grösse der Insel, 5000 Stadien; Javas Umfang sei
— 234 —
Erz^khlun^;; richtiger erfassen, wenn man sie als ein Seiteoslttck
zu den Reiseberichten Sindbads des Seefahrers belrachtel.
viel gröRAer; freilich sei Bali wiederum viel kleiner, Jambuls Angabe passe
also auch für diese Insel nicht ; immerhin sei die DifTerenz zwischen Bali uDd
Jambuls Insel geringer als zwischen dieser und Java. — Ob man diese
Argumentation sonderlich überzeugend finden könne, mag 'dahin gestellt
bleiben. Sie ist schon darum hinflillig, weil J. ganz und gar nicht von
Kasten spricht. Er berichtet (nach Diodor c. 87), die Inselbewohner
lebten xam ou^ffvcdE; xal 0'j0TV|(AaTa , ouvi^^fAivw T«bv oixcUrv o*j itXtidvMv ^
TCTpaxo9((DV. Diese Beschränkung der Zahl ist bei eigentlichen Kastell ua-
sinnig und unmöglich, daher sie denn auch Lassen p. 268 für ein »Miss-
verständniss« erklären muss. Bei blossen Abtheilungen, die man be-
liebig vervielfältigen kann, ist die Begrenzung der Mitgliederzahl ganz ver>
ständlich und leicht durchführbar. Der Grundbedingung des indischen and
üt>crhaupt jeden Kastenwesens widerspricht es vollkommen, was Diodor
c. 59 berichtet: dass die Bewohner sich in den verschiedenen Arten der
Beschäftigungen wechselnd ablösten. Auch hier sieht daher Lassen p. MI
ein »Missverständniss. « Wer aber nicht, durch eine leicht begreifliche
irrthümlich vorgefasste Meinung verleitet, die Angaben Diodors mit Gewalt
auf eine Kasteneintheilung zu deuten .sich bemüht, der wird ohne Weiteres
einsehen, dass Itei ihm von gar keinen »Kasten« im eigentlichen Slaae,
sondern einfach von Abtheilung des gesammten Volkes in einzelne kleine,
durch Gemeinschaft der Weiber und Kinder verbundene, durch Seibit*
rcgierung unter einem Aeltesten zusammengehaltene Genossenschaften die
Rode Ist. Nichts widerspricht freilich mehr dem System der indiscIwB
Kastenabtheilung; aber ein Missverständniss ist nur auf Seite dessen,
der eben diese Kasteneintheilung hier sucht. — 1) Unter dem Rohre, dessen,
der weissen Kichererbse gleichende Früchte in warmem Wasser zum Adf*
quellen gebracht, dann zerrieben, zu Broten geformt und dann gebacken
werden (c. 57), muss nach Lassen p. 256 »ohne Zweifel die Sagopalme
verstanden werden.« Diese könne man allenfalls als ein »Rohr«beafeichnen;
noch heute werde dos schleimige Mark der Palme zerstossen , mit
Wasser vermischt, und zu Kuchen gebildet, die man in helssen Formen
hart mache. Warum sollte aber Jambul, wenn er die Sagopalme wirklich
gesehen hatte und beschreiben wollte, sie ein Rohr und nicht eine Palme
nennen ; warum spräche er von weissen, erbsenartigen Früchten, wenn er
eigentlich das Mark meinte (also das Ifxi^paXov cpo(vtxo;: Athenäus II c. 85]f
Es scheint, als ob doch einiger Zweifel gestattet sei an der Nothwendlgkeit,
durchaus an die Sagopalme zu denken , zumal da ja doch das den Phasen
des Mondes entsprechende mythische Ab- und Zunehmen des StammsSi
welches Jambul (c. 59 f. oben p. i28) von eben diesem »Rohre« aassagt,
nicht sonderlich nach einer getreuen Beschreibung einer wirklichen, von
ihm selbst gesehenen Pflanze schmeckt. 'Man lese übrigens nur eine genave
Beschreibung der Gewinnung des Sagomehls und seiner Zubereitung, s. B.
))ei Wallace, der malayischc Archipel U 107 — H2 d. Uebers. , nnd mto
— 235 —
GüDz wie in diesen mögen auch in den Berichten pes Jam-
s einige Nachrichten weitgereister Kaufieute mitman cherlei
bulus einige
wird die letzte Spur einer Aehnlichkeit dieses Vorganges mit dem von
Jambul beschriebenen verschwinden sehen.) Die Sagopalme soll nun aber,
nach Lassen p. i70 , sich nicht im Westen Bomeos finden ; daher man
nicht an Java sondern (unier den Sundainscln) nur an Bali denken könne.
Dieses Argument verliert natürlich seine Kraft, sobald man nicht von der
Identität des JambuHschen Rohres und der Sagopalme üboi*zeugt ist.
S) Die Nachricht des Jambul (c. 58 extr.) : ima o f^soiv aurai vijoot.
icapaicXifjotai {Atv toT« (UY^dcot^ a6fi(jLCTpbv B^dXXifjXow ^leorrpculai, irdoai oi xoi;
outou ^C9( «al v«S{AOi; )rp(6;xcvai, diese Nachricht, meint Lassen p. 270,
besiehe sich, wie »ein Blick auf die Karte des Indischen Archipels« zeige,
oflenbar auf die sieben Inseln: Java, Bali, Lombock, Sumbawa, Flores,
Celebes und Borneo. Nun scheint aber die Karte zunächst auch eine
andere Auswahl zu gestatten: warum sollte man nicht etwa Tschindane,
Timor, oder eine der zahlreichen Inseln im Norden von Timor in die Siebon-
zahl einrechnen und statt ihrer einige der von Lassen bevorzugten Inseln
fortlassen können? Immer vorausgesetzt, dass wir unsere Phantasie auf
diese hinterindischen Inseln zu beschränken genöthigt wtfren; wozu bisher
sich kein Grund ergab. Unter jenen, von, ihm ausgewählten 7 Inseln er^
klärt nun Lassen wiederum Bali für die glückselige Insel des Jambul, »weil
die Seereisen der Inder damals sich nur wenig östlicher als Java erstreckten
ood daher Indische Einflüsse auf den östlicheren Inseln nicht annehmbar
sind«. Von »indischen Einflüssen« ist nun freilich in Wahrheit auch auf
Jambuls Insel nicht das Geringste zu bemerken; wenn aber eben dieser
angeblichen »indischen Einflüsse« wegen Lassen durchaus an Bali denkt,
das Vorhandensein solcher indischen Einflüsse indessen auf den, ausser
Java und Bali zu der Siebenzahl gehörigen Inseln leugnet (was er ja freilich
mufls , wenn seine Argumente allein für Bali gelten sollen) : wie stimmt
damit die Angabe des Diodor, dass alle 7 Inseln sich gleicher Sitten und
Gesetze bedienten? Sie stimmt damit nicht besser, als seine anderen An-
gÜMB: dass alle 7 von etwa gleicher Grösse und in gleichmässigen Ab-
stioden von einander entfernt seien, zu jenen 7 Inseln des Indischen
Archipels stimmen wollen. Denn freilich sind ja Java, Borneo und Celebes
viel grösser als die vier anderen Inseln , und den Abstand von Flores nach
Celebes, von Java nach Borneo kann Niemand dem von Java nach Bali,
voo Bali nach Lombock gleich oder ungefähr gleich nennen. Indessen diese
»Ongenaulgkeit« ist nach Lassens Meinung »wenig erheblich, weil Jambulos
diese S Inseln (Java, Celebes, Borneo) nicht aus eigner Anschauung kennen
lernte; vielleicht ist sie dem unzuverlässigen Diodoros und nicht ihm zuzu-
schreiben.« Einmal angenommen (nicht zugestanden: denn was gäbe uns
dazu das Recht?}, dass Jambulus in allen t Aussagen, die er von seinen
sieben Inseln macht, sich »Ungenauigkeiten« zu Schulden habe kommen
lassen: so darf man wohl anfragen, nach welcher Methode es erlaubt ist,
ans eben diesen Aussagen (die man ja doch alle drei nicht brauchen kann]
— 236 —
eigentlich sagenhaften Zügen durch einander geschlungen sein.
Die griechischen Kaudeute scheinen, nicht anders als die ara-
(lie Lage der dadurch bezeichneten Inseln bestimmen zu vollen? — Dieses
sind also die drei Hauptgründe, welche für die Identificining jener sagen-
haften Insel mit Bali sprechen sollen. Es Usst sich erwarten, dass die
übrigen Angaben des Jambul nicht eben viel zur Unterstützung einer selbst
durch die Hauptgründe nur so schwach l)ogründeten Hypothese beitragen
werden. Die meisten dieser Angaben sind als offenbar sagenhaft hier nicht
zu benutzen: es tritTt sich indessen doch sonderkiar, dass nicht wenigslenk
ähnliche Sagen sich, als in Bali heimisch, nachweisen lassen (wie doch
in Ceylon: s. unten). Die Angaben über die Lage der Insel (c. 5S exlr.)
passen auf jede Insel in der Nöhe des Aequators ; die Angaben über die von
den Insulanern verehrten Götter (c. 59: lehren in ihrer Allgemeinheit gir
nichts Bestimmtes. Das Fleischessen der Bewohner (c. 59) will auf eine
\on Brahmanen bewohnte Insel doch gar zu schlecht passen (L. p. SM);
die Weibergemeinschaft nicht besser (Lassen ibid.)- Was uns von der
Vegetation , ausser jenem sonderbaren Rohre , berichtet wird , steht rem
Theil im Widerspruch mit der wirklichen Natur der indischen Inseln: denn
wenn ic. 59} erzählt wird, dass es auf der Insel u. A., nicht nur »Rankent
(wie L. p. 256 übersetzt), sondern geradezu äfiTceXoi, also Weinstöcke gebe,
so erscheint es do(;h keineswegs als »selbstverständlich«, wie L. p. iST
meint , dass man unter dem aus diesen Weinslöcken gepressten om; nar
eine Art von Palmensaft (aus Ranken?) zu verstehen habe ; vielmehr kannte
offenbar J. die Vegetation unter dem Aequator nicht aus eigener An-
s<*hauung. — Endlich noch ein W'ort von der Schrift jener Insulaner.
Von dieser berichtet Diodor c. 57: fpafipiaoiv aOroy; ypf^odal (^a«i) vrtä^
TTjV S6va{Aiv Tä>v Tr^lkal^6sxms elxoot xal oxtoi t6v dpiOiA^v, xatd hi xou; ya^vcfffiti
tTTTÄ, Äv exaoTov Terpaywc ficTao/TjfjLaTiCcoÄai. — — fpfi^o'J9t hi to'jc OT{)rwt
oOx ei; t6 rX^Ytov exTeivovre;, Aorep r^fjtci;, dXV dvoitkN xdxcB xaTo^pd^povii;
ei; 6p%6^ Diesen Bericht hat E. Jacquet, Nouveau Journal asiatiquc VIII
.'1831) p. 20 — tO einer genauen Betrachtung unterworfen. Von dem gui
willkürlich eingenommenen Standpunct ausgehend, dass man »le commei-
taire du texte grec« zu suchen habe, »en ce que nous savons des alpbabel«
de Ceylan et de la Polynesie asiatiquc«, kommt er zu dem Resnilat:
yapaxT^pe; seien hier die Consonanten, (7T)p.a(vovTa die zu diesen Gonsonai-
ten hinzugefügten Vocalisirungszcichen. »Les habitans de Tilc ansirale
avaient donc sept consonnes, qui, conibin<^c8 avec quatro signes-voyelles,
formaient 28 groupes ou syllabes«: ein Resultat, welches, wie Jacquet selbft
zugesteht, keinerlei Aehnlichkeit zwischen dein Alphabet der Bewohner voi
Ceylon und des indischen Archipels und dem von Jambul beschrtebenefi
ergiebt und also i^nr nicht erkennen liisst, inwiefern eigentlich die Nach-
richten von jenem den Angaben über dieses zum H:omnientaire« dienen konnes»
Lassen Ind. Alt. II 4059, vgl. III 264; umschreibt den Bericht des Diodor
folgender Maassen: »ihr Alphabet enthielt 28 Schriflzeichen, unter welchem
Ausdrucke mit Vocalzeichen versehene Consonanten zu verstehen sind ; diese
— 237 —
bischen, von ihren Reisen ein wunderliches Gemisch richtiger
and scharfer Beobachtungen und abenteuerlicher Märchen mit
bildeten sieben Classen, welche durch ihre verschiedene Vocalisirung ent-
standen.« Das hiernacti beschriebene Alphabet von nur? Consonanten
iitimme zwar durchaus nicht zu dem Alphabet des Sanskrit; trotzdem sei
eben das, von den Brahmanen auf Bali eingeführte Sanskrit-Alphabet zu
verstehen; freilich werde Sanskrit nicht, wie, nach Jambuls Bericht die
Schrift jener Insulaner, von oben nach unten geschrieben; aber diese An-
gabe beruhe, ebenso wie diejenige über die 7 Consonanten, auf einem
»Irrthum« des Jambul. Ich frage wieder: wenn Jambuls Angaben durchaus
Dicht mit der Sanskritschrift zusammenpassen, woraus wird es denn eigent-
lich deutlich, dass er trotzdem eben die Sanskritschrift gemeint habe? In
der Regel würde man doch aus der völligen Incongruenz der Beschreibung
eines unbekannten Dinges mit den tha Sachlichen Eigenschaften eines
bekannten Dinges vielmehr den Schluss ziehen, dass jenes unbekannte
Ding von diesem bekannten verschieden sei. Was nun die Worte des
Diodor betrifFt, so bedarf es natürlich keines weitläufigen Beweises, dass
in ihnen ov](ia(NOvTa nicht » Vocalzeichen « und yapaxr^pEc nicht »Conso-
nanten« bedeuten können, sondern dass der ganz unzweideutige Sinn dieser
ist: sie haben 7 Buchstaben (natürlich heisst i, nichts anderes und
nichts specielleres], welche dadurch, dass ein jeder von ihnen vierfach um-
gewandelt wird, im Ganzen 28 Laute darstellen können, so dass sie also
der Bedeutung nach (xaxd r^s ^uvapiiv twv OYjfAatv^vxoiN] in der Tbat
t8 Schriflzeichen ('^^[L\iaxa) haben, der blossen äusserlicben Gestalt nach
(yipoxr/jp) nur 7. Es ist mit keiner Sylbe angedeutet, dass die 7 ^^apaxT^pe;
nur Consonanten, oder nur Vocale seien, und dass (im ersten Falle) die
28 Bedeutungen durch Vocalisirung dieser 7 Consonanten hervorgebracht
worden seien. Zu einer Herbeiziehung' irgend welcher indischen Alphabete
sind wir durch nichts berechtigt, um so weniger, als ja wunderlicher Weise
das Resultat einer solchen Herbeiziehung dieses war, dass sie zu einer Auf-
klttmng über die Meinung des Jambul nur dann beitragen, wenn man diese
Meinung für grundfalsch und auf Missverständnissen beruhend erkläre! Ob
überhaupt irgend eine historische Reminiscenz der Angabe des Jambul zu
Grunde liege, ist bis jetzt ganz unsicher. Man könnte vielleicht das Ganze
für eine reine Erfindung desselben halten , auf welche ihn leicht gewisse
Theorien griechischer Grammatiker bringen konnten. Die Trivialgrammatik
der Griechen warf zwar in sehr unklarer Weise Laut und Buchstaben,
die Bezeichnung des Lautes in der Schrift, als identisch zusammen. Schärfer
Beobachtende wusstcn aber sehr wohl zwischen Laut, oxor/cTov (rf^c ^oivf^c)
und Schriftzeichen, YpölfAfia zu unterscheiden (s. Ammonius de difT. serm.
'p. 87 [z. Th. corrigirt von Imm. Bekker zu ApoUon. de pron. p. 4 76], Luc.
Tarrh. in Cramers an. Ox. IV 821, 22 und namentlich Moderatus bei
Porphyr, v. Pythag. 48 p. 98, 24 fT. West.). Diese sahen ein, dass Laut
ond Buchstaben sich durchaus nicht ohne Weiteres decken ; Einige fanden
aus, dass die Zahl der einfachen Laute die der griechischen Buchslaben
— 238 —
nach Hause gebracht zu haben <) : es konnte der Erzählung des
Janibul an Buntfarbigkeit nicht fehlen, wenn er, aus ihren Mit-
welt überrage: sie rechneten 60 oder gar 66 OTor/eia heraus (s. SeEtos
Eropir. adv. gramm. § H2— H4: Schnl. Dionys. Thr. [MelampuK] f 7
p. 774, 25—777, 45. beide aus gleicher Quelle); Andere rechneten fn
Ciegentheil aus, dass die Anzahl der wirklichen oroiyeta t9); «oivfic nicht
i4, wie die fpdiiu.vn, sondern nur 4 t sei (s. Dionvs. Halic. de comp. verb.
44 p. 40 f. ed. Tauchn. Ohne Zweifel sind gemeint: 5 Vocale [fi^iöyji
4 liquidae [A.av(>], 9, und von jeder tjC^yCs der df^eova je Eines [P-lant,
T-laut, K-Iaut, jeder dreifach modiflcaber). Diesen Specnlationeo
entsprechend statuirten dann Manche Schol. Dion. Thr. 780; Andere bif
V. A. Wolf prol. Hoin. p. LXIll 27), dass die ttltesten Griechen in der Thal
nur die für die Beseichnung der Laute noihwendigen Buchstaben gebraucht
htttten (nämlich nicht: ^Tf^l^ybm; während doch in Wirklicfakeil schon
die älteste griechische Schrift aus dem Phünicischen Zeichen auch fUr
^t]^^ herübernahm:. Denn dieser Behauptung liegt offenlrar einzig eine,
V(»n historischer Ueberlieferung nur in einigen Einzelheiten unterstützte
Speculation zu Grunde. (Ganz ähnlich verhält es sich wohl mit Caesars Be-
hauptung Is. Lersch Sprachphilos. d. A. I. 488, Uli von den 44 Urboch-
Klaben der Römer [anders Wilnianns de Varronis 1. gramm. p. 428 n. 2];.
Eine ähnliche Speculalion nun mochte vielleicht den Jambulus bewegen,
seinen Inselbewohnern, denen er überhaupt die Zustände und Einrichtungen
eines unverbildeten und ursprünglichsten Naturlebens anzudichten ersicht-
lich sich zur Aufgabe stellt, auch in Bezug auf die Schrift eine Beschrilii-
kung auf die zweck massigste und in überflüssigen Zeichen nicht luxuriirende
Bezeichnung der natürlichen Tror/eta zuzuschreiben. Wie er es möglidi
gemacht habe, die Zahl der einfachen Laute gar nur auf 7 einzuschrüDken,
lässt uns freilich der Bericht des Diodnr nicht mehr erkennen; in dieser
Zahl scheint er herkömmlicher Weise eine besondere Heiligkeit gesehen lO
haben : daher auch die 7 Inseln , von denen die glückliche Insel eine ist.
In der That aber glaul)e ich, dass auch der Sinn der kurzen Angabe des
Diodor am verständlichsten wird, wenn wir annehmen, dass J. behauptet
habe: die Insulaner wussten die sümmtlichen Laute lorot^cTa) ihrer Spradie
zu bezeichnen durch 7 Buchstaben ^^apaxrTipec , 7oa^piaTa). da alle übrigen
I^ute, als blosse Modificationen jener 7 , sich durch leichte (UTBr^Tjf&attopiSi
jener 7 Buchstaben bezeichnen Hessen 'ganz ähnlich, wie im ältesten
Griechenland sämmtltche Laute durch Modificationen der ursprünglichen
46 Buchstat>en bezeichnet wurden, nach der oben berührten Sage}. Warum
er seine Insulaner von oben nach unten schreiben Hess, weiss ich nicht mit
Bestimmtheit zu sagen. Man darf aber vielleicht vermuthen, dass er ancfa^
hierin einen Zug der dort bewahrten uriiltesten Blldungszustände anzudeuten
Iteabsichtigte : es ist bekannt, dnss unter den Richtungen der Schrift, welche
vor der von Pronapides angeblich eingeführten) später gewöhnlichen in
Griechenland in uralter Zeit üblich gewesen seien, auch die, mit der hier
von J. iiescrhriebenen ül)ereinstinimende Richtung xirj-^rfi^'i von den alten Pa-
— 239
theilungen eine Auswahl treffend, diese mit gewissen Sagen
verband, in denen man ganz deutlich eine Beziehung auf die
Insel Ceylon erkennt ^j. Der griechische Fabulist unterscheidet
Uieographen genannt zu werden pflegt (z. B. Schol. Dion. Thrac. p. 787, 24 ff.).
— Nach dieser ausführlich motivirten Widerlegung der Lassenschen Hypothese
erscheint es ganz überflüssig, andere Annahmen, welche als die Insel des
Jambul eine der Philippinen, oder Sumatra erkannt haben wollen, ebenfalls
genauer zu prüfen.
1) Die ^Tcoptxd (tT^ff^f&aTa geniessen eines sehr zweifelhaften Credits
z. B. bei dem der Geographie so kundigen (wiewohl jenseits der Grenzen
seiner Autopsie etwas allzu skeptischen) Polybius, IV 39 § H ; ib. 4S, $ 6. 7
empfiehlt er, nach genauer Erkundung der Wahrheit aus der töin ?iX(DiCo|ji^fDv
^^cu^Xofla xal xepaTeia eine vorsichtige Auswahl zu treffen. Vgl. noch
Marinus bei Ptolemaeus Geogr. I H. — Ein ergötzliches Beispiel derartiger
Lügenberichte von Reisenden, bei Plautus, Trin. 984 — 945.
2) Diese Beziehungen veranlassten den gelehrten S. Bochart, geradezu
die Erztfhlungen des Jambul für eine getreue Beschreibung jener Insel zu
hallen, und als solche zu wiederholen (Canaan. I c. 46). Wesseling schon
erkannte ganz richtig , dass J. nur einzelne auf Ceylon und die über diese
Insel bei den Griechen umgehenden Sagen passende Züge m seine eigenen
Fabeleien verwebt habe. Diese Züge sind in Kürze folgende. Der Umfang
der Jambulischen Insel beträgt 5000 Stadien (c. 55 extr.): ebenso der
Ceylons nach Onesicritus bei Strabo XV p. S9t. — Die Bewohner werden
4 Ellen hoch (c. 56), leben 4 50 Jahre (c. 57). Von der übermenschlichen
Grosse der Bewohner Taprobanes: Mart. Cap. VI § 697;. vgl. Plinius VU § 28 :
Onesicritus (tradit) , quibus locis Indiae umbrae non sint (nämlich am
Mittags vgl. Jambul c. 56 fln. ; jedenfalls meint On. die südlichsten
Gegenden Indiens) corpora hominum cubitorum quinüm et binarum pal-
raanim existere, et vivere annos CXXX, nee senescere, sed ut medio aevo
mori. Von Taprobane Plinius n. h. VI § 94 : vitam hominum centum an-
norum modicam. (Grosse Menschen in Indien: Pomp. Mela III 7, 84 ff.
ed. Abr. Gronov.). — Namentlich vergleiche man aber mit dem Berichte
des Jambul die Nachrichten des Palladius über Taprol>ane, bei Pseudo-
caJIisUi. III 7. 8. Dort heisst es: Taprobane — £v0a ciolv ol Xrföfuvot
M«xptfßiot («illi quibus Beatorum nomen est>, Ambrosius in der Uebersetzung
des Palladius ; las er etwa : ol \t^. Maxiptoi?) . Z(ü9i fo^p eU ti^v v?JaoN ixetvr^v xal
f»C ixttTÖv iCf^TifjxovTa ItAv ol '(ipo'TX^ hl' OircpßoXi^jV x-TJ; t&v d^pnv
KÖnpaotac (vgl. Jambul. c. 56 p. 469, 9 Wess. : c'jxpaTÖxaTOv V elvat
T^ d£pa icap^ a6Tot;.) xal dve^peuv^Tcp xplfiari ^eoD. c. 8: cbc ^e hvrfftyj'no
ol Ixciicv ftMnvn dnd^a Xelirci dv toTc töhoi; ixctvoic * ^ xtp a^T^ y^P ^
fiiv irt%il «Xc6v, 6c ^t 6p.(pax(Cetf S; oi xpuY^at. Vgl. Jambul c. 56 extr. :
«od xdk imfcpoc (i ^ap' a^ToTc SXov t^v I^ivjtIs dx|AdCctv, &oirep xal h 7:ovrfi^i
ffiv^shi' ^^yij ii: ^^v{) ^prjpdloxci, fi-^Xov R' im fA'/)X(p, Qt^Tdp inX ora^puXiQ eta-
^puX^, oOvov h^ iid (s(nuo (Odyss. h. 490 f.). Vgl. den Bericht des chinesi-
schen Algers Fa-hian (5. Jahrh.) Ober Ceylon (TmvelF of Fa-hian and
— 240 —
sieh aber von dem arabischen sehr wesentlich darin, dass ihm
das bunte Gewirr von halbrichtigen Kaufniannsberichten und
ganz phantastischen Sagen nur als Ausschmückung eines ernste-
ren Untergrundes dient. DeuUicher sogar als bei den übrigen
hier betrachteten Autoren tritt bei Jambul auch aus der üppig-
sten Ueberwucherung des rein Phantastischen, die specielle
Tendenz der zum Grunde liegenden v> sentimentalen Idyllec
hervor. Es ist offenbar , dass er den vollkommenen Glückszu-
stand der Menschheil in der Beschränkung auf den einfachsten
und frühesten Naturzustand sieht ; und ich glaube nicht zu irren,
wenn ich in dieser Ansicht und ihrer besonderen Ausführung
einen Anklang an die Doctrinen der alteren stoischen Schule
vernehme, welche in ihren politischen Theorien den rohcsten
Naturzustand, mit cynisch herber Consequenz, als das Ideal der
Einrichtung menschlicher Gesellschaft darzustellen liebte^). Was
SuDg-yun from China to India, transl. by S. Beal, London 1869) p. 419;
This counlry enjoys an equabie climate, without any extremes of tempen-
turc eithcr in hinter or summer. The planU and trees are always ver-
(lant etc. Aehnliche Berichte bei persischen Autoren, vgl. Reinaad, G.
d'Aboulf^da I p. CCXXlll. — Andere, nicht von Jambul erfundene, soodero
aus älteren Sagen herübergenommone Züge habe ich oben, in den An-
nicrlkungen, gelegentlich bezeichnet — Beilbufig sei hier noch auf dif
Si'hiiderung eines glückseligen Fabellandes im fernen Osten aufmerksam g^
macht, welche sich bei dem lateinischen Ueborsetzer der im 4. Jahrhundert
vorfassten, ursprünglich griechischen s. g. Expositio toUus mundi flndet: is
Müllers Googr. gr. min. II p. 5U. Dort lebt ein gerechtes und glücklidiei
Volk; sie stfen nicht und ernten nicht, tUglich fallen ihnen Brote vom Him-
inol,. dazu bietet sich ihnen wilder Honig zur Nahrung dar. Ohne Kttoigr
regieren sie sich selbst. Krankheiten kennen sie nicht, auch kein Ungeziefer
gicbt es dort. Ihre Kleider reinigen sie nicht im Wasser, sondern im Feoer
(wie die ßrahmancn nach Hierocles in seinen abentouerlichsn OcXtotopc; :
Fr. bist. IV 470 fr. 4. Vgl. epistola Joannis regis Indiae c. 43 ed. Zarncke
[Loipz. Progr. 4 873]). Edelsteine führen die Flüsse mit sich, mit Netzen
werden sie aufgefangen. Nach einem langen, von Krankheit freien Leben
(von 4iO oder H8 Jahren?) legt ein Jeder, sein Stündlein erwartend, sieb
auf einen »Sarkophag« aus wohlriechenden Substanzen, grüssl seine Freunde
und stirbt.
1) An der \on Jambul geschilderten Einrichtung des Lebens f^Ilt vor
Allem auf, dass von einer eigentliclien Staatsgemeinschaft, von der Familie,
von gerichtlicher Ordnung, von Tempeln, Priestern, Festspielen, Well-
kämpfen (auch vom Kriege, dem Weltkampfe der Staaten untereinander),
kurz von den Grundlagen des eigentlichen hellenischen Staatswesens gar
nicht die Rede ist. Seine Insulaner leben in kleinen Abtheilungen, innerhalb
— 241 —
die Meister der Schule nur als Wunsch und Theorie aussprechen^
sucht nun Jambul im ausgeführten Bilde als wirklich der An-
schauung vorzustellen; erst so aufgefasst wird der wahre Sinn
seiner Utopie klar hervortrelen. Man mag sie als ein stoisches
Gegenstück zu dem Platonischen Idealbilde des alten Athen und
deren Weiber- und Kindergemeinschaft herrscht; alle übrigen Verhältnisse
des Lebens sind in keiner Weise geregelt und in bestimmte Ordnungen
eingeschlossen; offenbar geht hier Alles zu, wie es sich bei reinem Befolgen
der primitivsten Naturtriebe in einer durchaus noch unorganisirten , durch
die glücklichsten Naturverhältnisse aber vor wilden Ausbrüchen der Noth
und Selbstsucht bewahrten Menschenmenge ganz von selbst machen würde.
Genau dieser Zustand nun ist es, welcher als der, für den Staat der
Weisen wünschenswerthe geschildert wurde in der (noch unter Krates'
Einfluss verfassten] [loXiTeta des Z e n o , dem hierin Chrysippus folgte.
Man vgl. den Bericht des Skeptikers Cassius bei Laert. Diog. VII 84 : xoivdc
td« Yüvaixa; SoYfxaTlCeiv (xöv ZVjvoava) ifxottu« (wie das vorher, § 3t, aus der-
selben Schrift Berichtete) h T-j [loXiTelqi xal xatd tou; Siaxoatou« orl^ouc
(? soll das heissen »in einer Ausführung von etwa 200 Zeilen?« oder: in
seinen »200 Versen?« Eine solche Schrift des Z. ist unbekannt. Man
streiche das [aus dem Schluss von IIoXiTetat durch Verdoppelung entstandene]
xaC: dann ist der Sinn: ungefähr in der Gegend der ersten 200 ot()^oi; ein
neues Beispiel der sonst nicht eben häufigen genauen Citirung einer Stelle
durch stichometrische Angaben, [s. Ritschi, Opusc. I 84], welches aber sein
vollkommenstes Seitenstück in dem [vielleicht aus gleicher skeptischer Quelle
geflossenen] Citate bei Laertius VII 4 88: xaxd toU y/Xlou; ort^ouc, findet)
\i.ifi' tepd [xi^TE otxaonfjpia (xi^Te f\)\t.^d9ia Iv Täte iröXeoiv o(xo(ofX£ia&at xtX : d. h.
er verwarf kurzweg alle staatliche Organisation. Wenigstens die Gemein-
schaft der Weiber (welche, wie es ja auch Jambul darstellt, ein mächtiges
Mittel zur Eintracht darbiete) empfahl auch Chrysippus ht xt^ nept icoXt-
Tc(ac (f.aert. VlI 4 34). Zeno sowohl als Chrysipp schraken daher auch nicht
vor der nothwendigen Consequenz zurück, die geschlechtliche Vereinigung
von Blutsverwandten als erlaubt binzustellcn (s. Laert. VII 4 87 f. Plutarch.
de Stoic. repugn. 22 init. Sexl. Empir. ^iroiuir. I 460, III 205. 246, adv.
math. XI 494. 492). — Auf Jambuls Insel werden die Alten und Kranken
durch ein Gesetz zum Selbstmord verpflichtet. Dieses entspricht durchaus
der stoischen Doctrin (s. namentlich Seneca epist. moral. 70j , zum Tbeil
sogar der Praxis ihrer Schulhäupter: vgl. Zellcr, Philos. d. Gr. III 4, 285 f.
(2. Ausg.). — Die Leichen werden von den Insulanern ohne sonderliche
Feierlichkeit im Meersande verscharrt. Hier zeigt sich deutlich die stoische
Gleichgültigkeit gegen das Schicksal des entseelten Leibes: wenn er sonst
nicht zu brauchen ist, lehrte Chrysippus, mag man ihn wegwerfen, ohne
sich weiter um ihn zu kümmern, wie abgefallene Haare und Nägel (s. Chrys.
bei Sextus Emp. utiotut:. III 248 = adv. math. XI 494). — Als Götter werden
aof der Insel, mit Hymnen und Enkomien, verehrt zumal die Sonne, aber
auch der alles umfassende Himmel und alle oüpdvia. Auch hier erkenne
Rohdc, Der griechisclie Roman. 16
— 242 —
des Staates der Atlantiker betrachten : und so finden wir am
Schlüsse der Reihe dieser philoso()hischen Dichtungen uns wieder
auf ihren quellenden Ursprung zurückgewiesen^ von dem wir
unsere Betrachtung anhüben.
4.
So hatte sich aus der eigenthUndichen Verbindung einer
buntfarbigen Keisefabulistik und jener idyllischen , oder viel-
leicht richtiger und eigentlicher romantisch zu nennenden Sehn-
sucht, mit welcher das sinkende Altertimm seinen Blick von der
überreifen Fülle der vollentwickelten BlUthe der Cultur zu deren,
in geschlossener Knospe das Herrlichste verheisscnden Anfingen
zurückwandte, eine besondere Gattung prosaischer Dichtung ge-
bildet. Ihre wichtigeren Vertreter verdienten im Zusammen-
hang unserer Betrachtung zunächst schon darum einen breiteren
Raum , weil man sie selbst bereits als Dichter einer eigenen
Art von Halbromanen bezeichnen könnte. Jedenfalls theilen
ihre Dichtungen mit eigentlich so zu nennenden Romanen das
wichtige Merkmal einer völlig freien Erfindung des Stoffes,
welche zwar der l'eberlieferurg und der Erfahrung einige Züge
entlehnen mag, aber, ungleich z. B. jener phantastisch aufge-
putzten Quasi-geschichtschreibung , die zur gleichen Zeit in
Griechenland so üppig wucherte, aus der Verbindung des Eni —
lehnten und der selbständigen Erdichtung ein Ganzes erbaut,
welches sich als freie Dichtung zu geben wagt, und keinen^
anderen Glauben an seine » Wahrheit c< von den Beschauem^^
verlangt, als den, welchen ein jedes Kunstwerk zu fordern hat. —
ich stoische Ansicht: den Stoikern galten die Gestirne für Götter (in dei
Sinne, in welchem sie eine Mehrheit der Gölter üherhaapt anerkannten);^
s. Zelier a. 0. p. 4 76. 294. — Diese stoischen Vorstellungen über dea^
besten Staat sind übrigens in allem Wesentlichen der cynischen Lehrte
entlehnt: vgl. Zeller Phil. d. Gr. II 1^ p. 278 A. 4; rynisch ist auch di^
Gleichgültigkeit gegen das Schicksal der Leichen: s. Lucian Dcmon. 66.
(Diogenes erlaubte sogar, das Fleist^h der Todlen zu essen ; ebenso dann
Chrysipp: s. Meineke An. cril. in Ath. 307). — Man hat also die Wahl,
ob man den Jambul für einen Anhänger stoischer oder cynischer Doctrinep
halten will. (Dass auch der Cynismus einige Neigung zu abenteuerlicher
Fabulistik nicht ausschloss, zeigt sich z. B. an Onesikritus, dem Schüler
des Diogenes.) Doi'h wird man wohl eher nii stoische Einflüsse denken
dürfen.
— 243 —
Und diese Dichtung, auch hierin dem Romane gleich, kleidet
sich in das Gewand prosaischer Erzählung. Ein freies Spiel
der individuellen Phantasie, dergleichen selbst die Meister der
gebundenen Rede, in dem Glänze der alles Unglaublichste und
Fremdartigste durch ihr Zauberlicht zum Scheine einer idealen
Wirklichkeit verklärenden musikalisch getragenen Verskunst vor
ihre Hörer hinzustellen kaum und nur in bestimmten Gränzen
einmal gewagt hatten, unternehmen also diese Schriftsteller in
der Form der alltäglichen Rede vorzutragen, in welcher man
sonst die thalsächlichen Berichte der Geschichlschreiber, die
Discussionen der Redner, die Betrachtungen der Philosophen,
slets aber nur das Belehrende, den Verstand Unterrichtende zu
vernehmen gewohnt war. Sicherlich war hiermit ein wichtiger
Schritt zur Eroberung der Prosa für die Poesie und somit zur
Begründung einer eigentlichen Romandichtung gethan. Wenn
diesen prosaischen Erdichtungen, im Gegensatz zur reinen und
freien Dichtung, ein über die einfache Darstellung ihres künst-
lerischen Gehaltes hinausgehender belehrender Zweck, eine
didaktische Tendenz anhaftet , so sind sie auch hierin die
ächten Vorgänger aller späteren Romandichtung, welche, ihrer
unsicheren Mittelstellung zw^ischen Poesie und Prosa gemäss,
nie gänzlich von dem »Erdenrestea einer Tendenz sich hat
befreien können, die bald, als eine rein stoflartige, sich schwer
niederziehend ihr anhängt, bald als ein, das Ganze beherr-
schender abstracter Gedanke die Dichtung völlig aus ihrem eige-
nen Reiche vertreibt, und sie statt »im Besondern das Allge-
meine zu schauen«, vielmehr »zum Allgemeinen das Besondere
Xu suchen« zwingt, die aber selbst in den höchsten Meister-
werken der ganzen Gattung immer noch als ein , wenn auch
noch so fein sublimirler eigenthümlicher Dilft und Hauch sich
um das reine Kunstwerk zieht, sehr merklich verschieden von
jener Lehrhaftigkeit und Tendenz, welche man, in einem tiefe-
ren Sinne, in jeder ächten Dichtung jeder Art, wie freilich auch
in jedem W^erke der Natur selbst fmden könnte.
Gleichwohl geht jenen Dichtungen zum vollen Begriffe des
Romans ein sehr wesentliches Merkmal ab. Es fehlt ihnen an
Handlung. Soweit wir die Anlage dieser Erzählungen über-
sehen können, linden wir nun in der Einleitung, w^elche den
Helden an den Ort seiner Erlebnisse zu führen hat (und allen-
— 214 —
falls in der entgegengesetzten Schlusspartic) , diesen in einiger
Bewegung: im Uebrigen nimmt er nur die Stellung eines ruhig,
wenn auch verwundert aufmerkenden Zuschauers ein, an dessen
Auge die Reihe der Bilder fremdartigsten Lebens sacht vorüber-
gleitet. Sein persönliches Interesse ist so gut wie gar nicht in
dieses Schauspiel verflochten; aber auch in den Bildern, die
sich vor seinem Blicke entfalten, ist durchaus weniger Bewe-
gung und Handlung, als Schilderung des ruhig Beharrenden,
Zustcindllchen zu gewahren. Eine dergestalt wesentlich nur
schildernde Dichtung kann nicht eigentlich ein Roman genannt
werden. Ein vollständiger Roman konnte vielmehr aus den hier
dargebotenen Grundbestandtheilen des Romans erst dann ent-
stehen, sobald diese Schilderung des Zuständlichen, dauernd und
gleichzeitig neben einander Bestehenden in eine bewegte Reihe
und Succession einzelner Vorgange aufgelöst wurde, oder mit den
beschreibenden Elementen ein episch-historisches sich verband.
Eine solche Verbindung war es nun in derTliat, aus welcher
der eigentlich so zu nennende griechische Roman hervorging.
Zu irgend einer Zeit floss das erotische Element, dessen
Ausbildung in hellenistischer Poesie so umständlich betrachtet
worden ist, hintlber in die, ihrer selbständigen Entwicklung
nach hinlänglich charaklerisirle ethnographisch -philosophische
Idylle: aus der Verschmelzung dieser disparaten Bestandtheile
entstand der griechische Roman.
In dieser Verschmelzung gab die prosaische, ethnographische
Erzählung gewisser Maassen den derberen, materiellen Körper
her, in welchen die Erotik, aus ihrer poetischen Höhe her-
niedersteigend, als belebende Seele eintrat, dem für sich allein
unbeweglichen Bewegung und Empfmdung mittheilend.
Der Gedanke, diese beiden Elemente zum organischen
Ganzen zusammenfliessen zu lassen, war an sich ein natürlicher;
man kann genau dieselbe Verbindung der ethnographischen Fa—
bulistik mit erotischer Dichtung in orientalischen Litteraturen
verfolgen, welche auf diesem Wege gleichfalls eine eigene Gal-
tung des Romans erzeugten ^) .
1) Ich (lenke vorzüglich an jenen Typus eines orientalischen Romans,
dessen verschiedene Varia lioneii ich oben p. 50 berührt habe. W>r die
Composition jenes Komaiis näher uniersuchen ^^ollte, würde leicht be-
merken, dass er aus einer Versrhmelzun^ dnr, von mir am angeführten
— 245 —
Wann in Griechenland dieser Process sich vollzogen habe,
ist mit irgend welcher Bestimmtheit nicht anzugeben. Es ist
E. B. sehr wohl möglich, dass der trtlbe Nebel, welcher unseren
\.ugen die Geschichte der griechischen Litteratur im letzten Jahr-
hundert vor Christi Geburt zum grössten Theil verhüllt, auch
die erste Entwicklung dieser neuen Gattung der prosaischen
Dichtung verdockt.
Einmal vollzogen, gewann jedenfalls diese eigenthümliche
\rerbindung einen bestimmenden Einfluss auf Anlage und Art
des griechischen Romans. Soweit sich überhaupt von einer
inneren Entwicklung und Ausbildung der Kunstform des grie-
chischen Romans reden lässt, zeigt sich eine solche in dem
wechselnden Verhältniss, in welches sich, wetteifernd um die
Oberherrschaft, seine beiden Grundbestandtheile zu einander
stellen. Anfänglich überwiegt ganz unzweifelhaft das, aus der
Reisefabulistik übernommene, rein stoffliche Element (Antonius
Diogenes). Es tritt aber bald mit der, ihm beigeseilten Erotik
in einen engeren, durch die rhetorische Darstellung vermittelten
Bund (Jamblichus); es musssich, bei Heliodor, gefallen lassen, zur
llluslrirung eines tiefer liegenden Sinnes zu dienen; es wird, bei
Xenophon von Ephesus, seiner selbständigen Bedeutung ganz ent>
kleidet, um einzig der erotischen Erzählung zum belebten Hinter-
2;rund zu dienen; es wird endlich, in dem Mosaik rhetorischer und
polyhistorischer Studien, aus welchem Achilles Tatius seinen Ro-
man zusammensetzt, so gut wie das erotische Element und das
Allerlei der trödelhaften Kenntnisse des Autors zum blossen Stoff
seiner geschmacklosen stilistischen Kunststücke herabgesetzt i] .
Stets bleibt aber unter so mannichfachen Variationen ein
gemeinsamer Typus der Erzählung bemerkbar, welcher, in der
Orte besprochenen altorientalischen Liebesgeschichte und gewissen Reise-
marchen entstanden ist, die sich z. Th. geradezu wiederholt finden in den
Reisen des Sindbad.
1) Nur hinzuweisen brauche ich auf die naive Deutlichkeit, mit welcher
die Titel der verschiedenen Romane das Verhältniss andeuten, in welchem
in einem jeden von ihnen das Element der Reisefabulistik zu der Erotik
steht. Diogenes nennt seinen Roman: »Die Wunder jenseits Thule«; He-
liodor (nach dem bedeutungsvollen Ziele seiner ganzen Erzählung) : »Aethio-
pische Geschichten» ; Jamblichus: »Babylonische Geschichtenn: Xenophon:
•Ephesische Geschichten« (nach dem Ausgangs- und Endpunkt der Aben-
teuer); Achilles endlich : »Die Abenteuer der Leukippe und des Klitopbon«.
— 246 —
ununlerbrochenen Kelle, durch welche diese Romane mit ein-
ander zusammenhangen , sich bis zu einem ersten Urbild und
Muster der griechisclien Romane überhaupt verfolgen lässt. Bei
der Entstehung dieses ersten Romans halte der erotische Dichter
sich die Erfindung der Handhmg seiner ErzithUmg dadurch er-
leichtert, dass er, einer organischen, von innen heraus wachsen-
den Erweiterung der engen rein erotischen Fabel, wie er sie
bei den hellenistischen Erzählern antraf, sich überhebend, durch
äusserlich angefügte Zusätze den Umfang seiner Geschichte ver-
grösserle: er riss sein Liebespaar gewaltsam auseinander, und
führte auf den abenteuerlichsten Zügen alle Wunder der weiten
Weit und der noch viel weiteren Phantasie an ihnen vorüber;
wobei ihm denn die Erfindungen der Reisefabulisten älterer
Zeiten den unerschöpflichsten Stoff zu einer inuner wechselnden
Anreizung zerstreuungssüchtiger Einbildungskraft darbot. So
entfloh er förmlich der bedenklichen Nöthigung, das liebende
Paar isolirt zu erfassen, mit seinen einsamen Gedanken leiden-
schaftlich beschäftigt, gegen die zerstreuende Mannichfoltigkeit
der umgebenden Welt wie erblindet, und diesen, an äusserer
Bewegung so armen Zustand durch die Wärme und Kunst eines
ächten Dichters interessant und bedeutend zu machen. Von
diesem ersten »Erfindera des griechischen Romans wurde die
Richtung aller seiner Nachfolger bestinmit. Der Kreis der Fahr-
ten und Abenteuer schränkte sich freilich allmählich auf den
östlichen Winkel des »inneren« Meeres der alten Culturwell
ein; immer aber l)lieb die Erfindung der Romanschreiber wie
durch einen Rann in den engen Kreis eingeschlossen , welchen
der erste Begründer der ganzen Gattung umschrieben hatte,
und den einzig Longus in seinem llirleuroman zu überspringen
gewagt hat. Immer schicken sie ihr kaum vereintes Paar auf
das wilde Meer, ergehen sich in der Beschreibung der See-
stürme, die sie auseinander reissen, der Schilderung der Aben-
teuer und Gefahren in fremden Ländern unter Räubern, in der
Sklaverei, in allen barlmrischen Winkeln einer sonst ganz regel-
rechten Givilisalion. Ich habe schon früher angedeutet, wie
dieser Charakter des Abenteuerlichen , neben der eigentlichen
Erfindung, auch den Stil und die Darslcllungsweise dieser
sämmtlichen Romane durchdrungen und bestimmt hat. Wollte
man aber bezweifeln, dass eben dieser Charakter aus der Ver-
— 247 —
bindung der Erotik mit der fabelhaften Reisedichtung und dem
überwiegenden Einfluss der letzteren auf die Erzeugung des
Romans wesentlich zu erklären sei: so mag man sich einmal
vergegenwärtigen, eine wie durchaus verschiedene Physiognomie
der griechische Roman zeigen müsste, wenn er nicht von diesen,
sondern von anderen Eltern abstammte. Konnte nicht z. R. die
Heldensage, in letzter Entwicklung, zu Heldenromancn zerspon-
nen werden, so gut wie sich die Heldensagen der romanischen
Nationen zuletzt zu breiten Ritterromanen aus einander ziehen
lassen mussten? Die Pragmatisirung der alten Sagen einerseits,
ihre Durchdringung mit dem Geiste einer ritterlichen Galanterie
andererseits hatten , in hellenistischer Zeit , dieselben für eine
solche letzte Verarbeitung, wie mich dünkt, auf das förderlichste
vorbereitet; und wirklich finden sich ja in dem ursprünglich
griechisch geschriebenen Roman des angeblichen Dictys, und in
Philostrat^s »Heroica« deutliche Ansützo zu einem solchen my-
thologischen Romane. — Von der Novelle war wohl eine orga-
nische Erweiterung zum bürgerlichen Romane nicht zu erwarten,
da ein solches Wachsthum, wie es scheint, durch die genau
umgrenzte Natur der Novellendichtung überhaupt ausgeschlossen
ist- Konnte aber nicht die hellenistische Erotik , zum Vorbilde
einer in das bürgerliche Leben übertragenen romanhaften Liebes-
dichtung i) geworden, eine, modernen Romanen naher verwandte
1) Auf eine dunkle Spur einer erotischen erzätilcnden Dichtungsart in
Prosa (welche doch mit den s. g. milesischen Novellen nichts geroein ge-
habt zu haben scheint) aus einer vielleicht ziemlich alten Periode sei hier
doch beiläufig hingewiesen. Athenäus erzählt, X 445 A: 'Av^la; 6 A(v-
h IOC , ovY76v^j« 5e civai cpeCoxcDv KXeoßouXou toö ao^poö &; ^tjoi <DiXöfAV7)aTo;
(so längst verbessert; <DiXöo7)fio« die Hs.) h TCf> ^epl lins ev *Pöoc|j Sfi.ivdia>v,
TCpeoßurepoc xal euoaifAuiv ofvftpoiio;, e'j^ut)« te Trepl iro(t|Oiv div, rdvTa xiv ß(ov
dotovusCaCfi'' 1 ^oO^xa xe oiovuoiaxi^jv «popwv xal itoXXou« xplcpojv oupißahc^rou;,
i^f^ xe 7id»pt.ov Gtei \it%^ r]fi.£pav xe xai vüxxwp* xal irpcöxo; ei>pe xi?)v 5id
x&v O'jv&lxcov 6vo(x(xxcov TTOiTjaiv, iji 'AaoiicöSojpo; 6 <DXidiotoc
Soxepov dypVjoaxo dv xolc *^xaXoYa07)V Idpipoi«. ouxoc oe xal x oo (a <{) -
olo; iizoiti xal oXXa -oXXa ^v xo6x(p xcp xp^mp xwv iroiT)fi.<ixoiv, & ^S^PX^ "^^^^
lufÜ' auxoO cpaXXocpopoOoiv. Dazu nun Ath. XIV 639 A: xd 'Aoo37Co6(6pou irepi
t6v Ipojxa xal irdv t6 töjv ^poixix&v dirioxoXÄv fi-^o^ ^pcnxtXTJ; xivo; hiä
Xöfoü TcocTjoeo; daxiv. Antheas von Lindus erfand also »die Dichtung
in zusammengesetzten Wörtern«; worin eigentlich diese Neuerung bestand,
hat bisher Niemand glaublich nachweisen können. Seine Dichtung muss
aber wohl prosaische Form gehabt haben. Denn es heisst weiter:
— 248 —
Gattung acht psychologischer Romane begründen hclfeu? Konnte
nicht aus jener, in kleinen scharfgezeichneten Bildern die Phy-
siognomie der griechischen Gesellschaft darstellenden Schrift-
steiierei gewisser philosophisc^her Humoristen, in Griechenland
ein Sittenroman grossartigen Stils so gut iicrvorvvachsen , wie
aus der analogen Gattung der » menippischen Satire« in Rom
das, noch in Trümmern bewundernswerlhe Meisterwerk eines
picarischen Romans in den »Satiren^ des Petronius sich her-
vorbildete?*) Die Elemente waren in Griechenland nicht weniger
Asopodor von Phlius habe ihm in dieser Art zu dichten nachiseahmt »in
seinen Jamben in Prosa». Jamben in Prosa mögen satirische Schriften in
prosaischer Form sein sollen ;s. Meineke, Anal. crit. in Ath. p. 904 ; vgl.
Welcker, Kl. Schi. I i60 extr.>. In Prosa waren also vermuthlich auch
die sog. »Komödien« (sicherlich in dem nicht ganz selten vorkommenden
weiteren Sinne des Wortes: .Meineke , Hist. crit. com. p. 528) »und vieles
Andere« welches Anthrus den mit ihm Herumschwärmenden »anstimmte«,
geschrieben. Asopodor nun, den wir, nach seinen »prosaischen Jamben«
zu urtheilen, wie einen anderen, älteren Lucian zu denken haben, schrieb
ausserdem Schriften, »die sich auf die Liebe beziehen« Ta irept ton Ipom:
dies war nicht etwa eine Abhandlung über die Liebe, nach Art der oben
behandelten Schriften des Klearch u. A., denn Atheiiäus nennt die Schrift,
zusammen mit »der ganzen Gattung der Liebesbriefe«, einer »Art von ero-
tischer Dichtung in Pnisau zugehörig. Wie soll man sich diese Scbrifl
also anders denken, denn als eine Art von prosaischer Liebes-
erzählung? Dann wäre also Asopodor wohl gar ein Vorläufer der Dichter
erotischer Romane späterer Zeit. Waren nun diese Liei^esenUihlungeii
identisch mit den »prosaisi'hen Jami)en«? — Leider sind uns Personen
und Zeit dieser beiden, nur hier erwähnten Schriftsteller völlig unbekannt.
Den Antheas macht Lobeck, Aglaoph. 307 zu einem ungefähren Zeitgenossen
des Arion. Dafür giebt es kein Indicium. Denn wenn Asopodor sich
rühmte, aus Einem (ieschlechte mit dem t)erühmten Weisen und Räthsel-
dichter Kleobul von Lindus (einem Zeitgenossen des Solon) zu stammen,
so beweist dieser Anspruch sicherlich keine Gleichzeitigkeit, ja viel
eher eine spätere Lebenszeit des Antheas: während oder kurz nach der
lipbenszeit des berühmten Kleobul liess sich ja des Antheas Verwandtschalt
mit ihm leicht feststellen ; sie war aber thatsächlich ungewiss, denn es
heisst bei Athenäus: »er behauptete, ein Verwandter des Kleobul zu sein«.
So galt, in später Zeit, Parthenius von Chius für einen Nachkommen des
Chiers Homer (»'(IjiTjpou drÖYOvo;« Suid. s. Hapi^.;.
1) Solche kleine Sittenbilder, Vorstudien zu einem grösseren Sitlen-
romane, waren eine, namentlich im Reginn der s. g. hellenistischen Zeit
weilverbreitete Litteraturgattung. lim \i»n den Xapaxrrjpc; des Theophrast
(welche nur für Auszüge aus einer systematischen Ethik zu halten, ich
keinen hinreichenden Grund sehe), des lleraclides Ponticus (Laert. Y 88),
— 249 —
vorhanden, als in den westliehen Theilen des römischen Reiches :
wie denn z. B. in Lucian's »Esel«, so phantastisch im Uebri|;en
sein Stoff ist, manche Züge der scharfen Sittenschilderunf^ eines
Gaunerromans uns entgegentreten , dergleichen in dem flauen
Idealismus der erotischen Romane fast völlig fehlen. Man könnte
des Lycon (s. Ruhnken ad Rutil. Lup. p. 99), des Satyrus (Ath. IV i68E),
des Aristo von Keos(Sauppe, Philodem.de vit. X p. 6. 34 ; stark hcnutzl, wie ich
glaube bei Plutarch de curiositatc) und Aehnlicbem zu schweigen, erinnere
ich nur an die Schriftstellerei des Cynikers Menippus (Mitte des 3. Jahr-
hunderts V. Chr., nach Nietzsches evident richtiger Ansetzung, welcher
sich jetzt auch Zeller, Philos. d. Gr. II i, 246 f. [3. Aufl.] vollständig an-
scbliesst), der als Vorbild des Varro bezeichnet wird in einer vielbesproche-
nen Stelle des Probus zu Virgil, ecl. VI 81. Nach Anleitung der üeber-
resle der Satiren des Varro, und nach Analogie mancher Dialoge des Lu-
cian haben wir uns also das Bild der menippischen Schriften eini.i^ermaassen
zu verdeutlichen. Hort man freilich die Worte des Probus, so sollte man
meinen, Varro habe von Menipp nichts als die Vermischung von Prosa und
Vers heriibergenommen. Da heisst es: »Varro — Menippeus-nominalus a
socictate ingenii , quod is (Menippus) queque omnigeno carmine saliras
suas expoHveral«. Aber diese Worte enthalten einen Widerspruch in sich :
die societas ingenii kann nicht, wie es hier geschieht, einfach durch eine
ziemlich nebensachliche Gemeinsamkeit in der äusseren Form begründet
und erläutert werden. Nietzsche, der dies zuerst bemerkt hat (Beitr. zur
Quellenk. u. Krit. des L. Diog. Basel 1870 p. 33 f.;, schreibt: — ingenii,
et quod is — . Ich denke, viel kräftiger wäre ausgedrückt, was Probus
eigentlich sagen will, wenn wir schrieben: — a societate ingenii. quid
quod is quoque expoHveral? Den Varro verbindet mit Menipp die
Gemeinschaft der Sinnesweise. Ja sogar in der wunderlichen Vermischung
von Vers und Prosa kommen beide iiberein. — Eine derartige humoristisch,
gelegentlich auch sarkastisch die Welt und ihr sonderbares Wesen ab-
schildernde Schriftstellerei war aber in der cynischen Secte überhaupt her-
kömmlich. Nichts anderes scheinen die s. g. »Tragödien« des Cynikers
Diogenes (oder Philiscus) gewesen zu sein (vgl. Meineke, Anal. crit. ad
Athen, p. 805 flf.j, vielleicht auch die des späten Cynikers Oenomaus,
welche denen des Diogenes jedenfalls ähnlich waren (s. Julian, orat. Vll
p. 273 Hertl.) ; nicht viel anders mögen die »Komödienn des Sillographen
Timon ausgesehen haben (Lobeck, Agl. p. 977). Anderer Art waren da-
gegen die »Tragödien« des Cynikers Krates, nach der Probe (in iamb. Tri-
metern) bei Laert. Diog. VI 98. Hierher gehört aber wieder die Schrift-
stellerei des Monimus (Laerl. VI 83), des Meleager (aber nicht die »Ko-
mödien« des Menippus [Suid.], denn die gab es gar nicht: Meineke urtheilt
richtiger hierüber Fr. com. I 494 als in den Verbesserungen V 12). Vgl.
AI. Riese, Varronis satur. rel. p. 8. Ueber die spasshafte Art des Kuvixo;
Tpöroc der Schriftstellerei steht eine beachtenswerthe Notiz bei Demetrius
de eloc. § 4 70 (Spengel, Rhet. gr. lil p. 299, 24 ff.). Zuletzt gehört zu
— 250 —
noch manche andere Gattung hellenistischer Schrift st ellerei nen-
nen , welche einem werdenden Romane zum Ausgangspunkt
hätte dienen können. Keine wird sich nachweisen lassen, ausser
der erotischen Dichtung und der Reisefabulistik , welche der
griechischen Romanpoesie jenen starken Anstoss gegel>en hätte,
der sie, lange nachwirkend, in unverändertem Kreislauf, fort-
während in derselben engen Bahn umzulaufen zwang.
Ks mag fraglich sein, ob wir im Stande wären, die hier
angedeutete absonderliche Entstehung des eigentlichen Romans
aus der Betrachtung seiner späteren Vertreter zu errathen,
in deren Werken die MischungsslofTe seiner ersten Erzeugung
si'hon zu einer etwas einheitlicheren Bildung verschmolzen sind.
Zum Glück aber bietet sich uns wenigstens Ein Beispiel dar, an
welchem wir den soeben erst vollzogenen Process der Mischung
noch mit voller Deutlichkeit erkennen können. Ein Zufall lässt
uns das erste schtlchterne Hervorkeimen der Erotik aus dem
Boden der Reisefabulistik, als dem nährenden Untergrund der
ältesten Romane, in der Nähe gewahren. In diesem Sinne ist
uns der kurze Auszug von grossem Werthe, in welchem der
Patriarch Pholius, im 166. Abschnitt seiner >^ Bibliothek u, d. i. in
der Sanunlung seiner Lesefrllchte, uns wenigstens in den algc-
meinsten Tnirisscn einige Kenntniss des Romans des Antonius
diesem xuvtx^; too^o; niurh die .von Riese p. 9 ganz richtig mit in diette
Hciho jäieslellle humorislisrhu Schriflslellerei Bions des Borystheniten. Dieser
Philosopti, von einer »Seele zur anderen übersehend fLaeiL IV 51. 52), war
doch vorzugsweise cxnisch gefarl)!. Von seiner Schriftslelierei sajrl Era-
tosthenes bei Slrabo I p. 15, l.aerl. Diog. IV 52: w; rpwTo; Fittov ttjv 91-
Xoao'ftav dvfttvd ^vso-jsev. Dies deutet auf eine witzige Gattung populär-
philosophischer .SchrifisteHerei; der Ausdruck übrigens ist sehr giftig : offen-
bar nümlich hat man, um ihn richtig zu verstehen, sich zu erinnern, daits
v6p.o; i^** 'AIH,vT,3iv TÄ; £Taif>a; divHiva copfiiv (Suidas. vgl. Becker, Chari-
kies II 68). Zu einer solclien geputzten Dirne maciite alst», nach jenem
Witzwort, Bion die Philosophie : eine Deutung, die sich sehr wohl dem
Tone der ganzen Biographie des Bion beim Laertius anschliesst, als welche
Biographie ein sehr merkwürdiges Beispiel jener bissig verlaumderiscben
Invectiven bietet, wie sie in dem damaligen (iedränge feindseliger phi-
losophischer Schulen in Athen und überall in Hellas eben so liöufig hin
und wieder fliegen mochten, wie später, unter iihnlichen Verhältnissen, in
der zweiten Sophistenzeit und wieder in den llumanistenkreisen der italieni-
schen Frührennissance. Kat xcpafAEu; x£pa|jiei r^^ifMn xtX. Bion stand
namentlich den gleichzeitigen Stoikern feindlich gegenüber. Zieht mau
— 251 —
Diogenes vermittelt hat^). Dieser Roman führte den Titel
»die Wunder jenseits Thulea (täv OTrep öouXr^v aTriarmv Ao^oi x8'),
und behandelte in 24 Büchern die höchst abenteuerlichen
Fahrten und Erlebnisse eines Liebespaares und ihrer Freunde.
Um die Stellung dieses Romans in der Entwicklungsgeschichte
der ganzen Gattung richtig zu bestimmen, wird es vor Allem
noth wendig sein, das Zeitalter seines Verfassers nach Mög-
lichkeit festzustellen. Leider liegt uns hierüber keinerlei Ueber-
lieferung vor; die wenigen Andeutungen, welche Photius aus den
eigenen Aussagen des Antonius Diogenes erhalten hat, können
nur dazu dienen, die Untersuchung irre zu leiten. Das ganze
Werk war der gelehrten Schwester des Verfassers, Isidora, ge-
widmet: ausser dieser, der eigentlichen Erzählung vorangeschick-
ten W^idmung war (wie es scheint, am Schlüsse des Ganzen)
dem Romane noch ein Brief des Antonius an einen Freund
Fauslinus beigegeben, in welchem jener sich unter Anderem,
wenn dem Photius zu trauen ist, »einen Dichter der allen Ko-
mödie a nannte 2). Während er dort im Uebrigen zugestand, in
aas jener Biographie des Laertius die Apophthegmeii , die Noiizchon aus
FavorinuSy die eigenen Verse des Laertius, das Homonymenregister des De-
metrius heraus: so sind die übrigbleibenden rein erzählenden Theile der
Biographie nichts als Stücke einer solchen Invective (nach Art des Bio;
SoncfxiTou; des Aristoxenus), die ein boshafter Zeitgenosse dem verhasslen
Bion ins Grab nachschleuderte. — Von den Bionei sermones übrigens auch
Horst, epist. 2, 2, 60.
1) Ich citire den Auszug des Photius nach dem Abdruck in Herchers
Ausgabe der Erotici graeci 1 p. 233 — 238, wo das Ganze zweckmässig in
Paragraphen zerlegt ist.
*lj § H : Xe^ei ^e eauTOv Zti roit^rf,; diTi %(ujx<»5(a; zaXaia;. Wörtlich
genommen würden diese Worte den Diogenes seinem eigenen Fi-eunde,
einen ganz unleidlichen und lächerlichen Unsinn miltheilen lassen. Was
Diogenes eigentlich von sich selbst ausgesagt haben mag, ist nicht aus-
zumachen. Es Hesse sich aber denken, dass er sich einen Dichler von
xcD{A(i)o(ai in jenem weiteren Sinne genannt habe, in welchem dieser Name
scherzhafte Gedichte, ja wohl gar phantastisch erfundene Erzählungen in
Prosa, für die man keinen recht zutreffenden Namen hatte, bezeichnen
kann. So sind wohl die » Komödien (c des Antheas Lindius zu fassen, von
denen oben geredet ist, so vielleicht auch die »Komödien«, welche Suidas
dem CaHimachus zuschreibt. Noch einiges Aehnliche bei Meineke h. crit.
coro. p. 527 f. Niciit anders mag es zu verstehen sein, wenn Antiphanes
von Berga (s. oben p. 222 A. 2) bei Steph. Byz. s. B^pY^Qi »ö %min%6i« ge-
nannt wird.
— 252 —
recht wunderlichen, aber durch die Berichte cllterer Autoren su
unterslützenden Erflndungcn sich erfj;angen zu haben, gab er in
dem an seine Schwester gerichlelen Widmungsbrief vor, den
SlofT seiner Erzühlung einer authentischen Aufzeichnung zu ver-
danken, welche eine der Hauptpersonen des Romans veranlasst,
und, auf hölzerne Tafeln niedergeschrieben, sich ins Grab habe
mitgeben lassen, aus welchem sie dann zur Zeit Alexanders des
Grossen wieder hervorgezogen worden sei. So durchsichtig
diese, wohl absichtlich so leicht gezimmerte Fiction auch ist,
so scheint doch sie allein es zu sein, welche den ehrlichen Pho-
tius veranlasst hat, die, auch ihm unbekannte Lebenszeit des
Antonius Diogenes vermuthungsweise »nicht sehr entfernt von
den Zeiten des Königs Alexander« anzusetzen*). Um eine solche
Annahme als völlig undenkbar zu erweisen, würde, von allen
tlbrigen Erwiigungen abgesehen , schon der N a m e des Autors
genügen, welcher seinen Triiger als einen zur Zeit der Hömer-
herrschaft lebenden Griechen bezeichnet, der entweder als Frei-
gelassener eines Römers, oder als römischer N'eubürger den
Gentilnamen seines Herrn oder Patrons seinem ursprünglichen
Namen vorgesetzt hat'-^). Kine (irenze, über welche wir diesen
Autor nicht herunterrücken dürfen, bildet die Lebenszeit des
Porphjrius, welcher in seiner Biographie des Pythagoms
(einem Abschnitte seiner »PhilosophcngeschichleM) das Buch des
Antonius Diogenes citirt und benutzt. Dieser kann also spiltest^ns
im Anfang des dritten Jahrhunderts n. Chr. gelebt haben. Man
ist nun neuerdings ziemlich allgemein dahin übereingekommen,
dass die Lebenszeit des Antonius Diogenes in der That auf die-
sen Husserslen Zeitpunct, die erste Ibilfte des dritten Jahrhun-
derts, zu üxiren sei 3). Zu dieser Festsetzung ist man durch
Atof IvTjC 6 'AvTwvio;, oOircD ti aatps; eyojxcv Ki-^iw , tt/.tjv eoriv OroXo^bao^
0)5 oO Xtav iroppcu twv ypo^wv xoO ßaotXia); 'AXe5a*'^P'J*-»- § t*«
2) Wie sich Alexander Polyhistor, Cornelius Alexander nannte als Frei-
gelassener des Cornelius Lentulus (Suid.); oder wie der, durch Vennilte-
lung des Q. Lutatius Catulus zum rimiischen Bürger gemachte Diodonis
sich dann Q. Lutatius Diodorus nannte (Cic. Verr. IV § 87). Die Falle
dieser zweiten Art sind zur Zeit der ausgehenden Republik und beginnen-
den Kaisorzeit namentlich häufig. Vgl. Friedltinder, Darst. a. d. Sittengesch.
Roms H p. 194. Marquardt, Rom. Alterth. V t p. 26 f.
3; So, mit einfacher Hinweisung auf Meiners, R. Hercher, N. Jahrb. f.
— 253 —
Christoph Meiners verleitet worden, welcher in seiner »Ge-
schichte der Pythagoreischen Gesellschaft <( die Behauptung auf-
gestellt hat, Bruchstücke aus der Erzählung von Pythagoras und
den Pythagoreern , welche Antonius Diogenes seinem Romane
eingelegt hatte, seien nicht nur bei Porphyrius, sondern auch
in der Schrift des Jamblichus über das Leben des Pythagoras
zu finden, und diese Bruchstücke zeigten deutliche Spuren einer
Benutzung der Arbeiten des neupythagoreischen Schriftstellers
Nicomachus von Gerasa, welcher nicht lange vor den Antoninen
gelebt zu haben scheint. Diogenes müsse also später als Nico-
machus gelebt haben ^) . Indessen beide Behauptungen beruhen
auf falschen Ergebnissen einer ganz oberflächlichen und sum-
marischen Untersuchung der Quellen des Porphyrius und Jam-
blichus. In Wahrheit hat Jamblichus den Diogenes gar nicht
benutzt; in den Mittheilungen des Porphyrius aus Diogenes fin-
det sich nicht die leiseste Spur einer Benutzung des Nicoma-
chus durch Diogenes, vielmehr neben einigen romanhaften eige-
nen Erfindungen des Diogenes lediglich eine Zusammenstellung
älterer Berichte, vornehmlich des Aristoxenus und des Heracli-
des Ponticus, dergleichen der, in hellenistischer Zeit festgestell-
ten Vulgartradition über Pythagoras und seine Schule überhaupt
zur Grundlage dienten, und freilich zum Theil auch von Nico-
machus in den bei Porphyrius und namentlich bei Jamblichus
erhaltenen Auszügen aus seiner Pythagorasbiographie benutzt
worden sind 2).
Philol. LXXVII p. 177, dem sich Nicolai, Ueber Entstehung und Wesen dos grie-
chischen Romans 2. Aufl. (Berlin 1867) p. 44, p. 85 anschliesst; auch Müllen-
hoff, D. Alterthumsk. l 391. — AelJere Gelehrte wiederholten naiver Weise
die Zeitl>estimmung des Photius: so Vossius de histor. gr. p. 137 West.;
Fabricius, Bibl. Gr. VIH p. 157 Harl., Korais, Vorr. zu s. Ausg. des He-
liodor p. 8 u. s. w. Das Verkehrte dieser Meinung hatte bereits Vavassor,
De ludicra dictione p. 148 erkannt; in dieselbe Zeit etwa wie Meiners
setzt Fr. Passow, Verm. Schriften p. 87 den A. D. (Manso's verm. Sehr. —
auf welche Passow verweist — konnte ich mir nicht verschafl'en). — Der
Meiners'schen Anselzung hat mit Recht widersprochen Chassang, Hist. du
roman dans Tant. p. 379 f., freilich auch nur widersprochen, ohne durch
genaueres Eingehen in die Untersuchung der Quellenbenutzung des Jamblich
und Porphyrius die Frage zu erledigen.
1) Meiners, Gesch. des Ursprungs, Fortgangs und Verfalls der Wiss.
in Griechenland und Rom I p. 253. 281.
2) Wegen der Nichtbenutzung des A. D. in dem Buche des Jnm-
— 254 —
Einen sirbcren Schluss auf die Zeit des Antonius Diogenes
erlauben diese Bruchstücke seiner pythagoreischen Studien nicht;
wenigstens aber enthalten sie durchaus nichts, was uns hindern
blich US Tiepi toO nji^afopetou ßio'j darf ich mich auf die Gesammtergeb-
nissc meiner ausführlichen Untersuchung über die Quellen jenes Buches
im Rhein. Mus. XXVI . XXVII berufen. Mcincrs (p. S77. 280 f.) vrill eine
Benutzung des A. D. im Besonderen bei Jamblich § 64 — 87, § 103 — 419
erkennen. S. dagegen meine Analyse jener Paragraphen, Rhein. Mas.
XXVII p. 30—34, p. 37—46. Was die Quellen des Porphyrius in dem
Il'jdaföpou ßio; betrifTt, so halle ich im Allgemeinen an der im Rhein. Mus.
XXVI p 575 aufgestellten Ucbersicht fest; nur gerade über die Ausdehnung
der von Antonius Diogenes entlehnten Stücke bin ich ein wenig unsicher
^'eworden. Sie beginnen ohne Zweifel mit § 40: Ato^f^ou; ^' is Totc 6^
H(*6)vTjV drioToi; xa itLvza tov «piXoao^ov dlx{iijild>i oicXOfJvro;, £xpiva ^rfia^koK ti
to6to'j TcaoeXHciv ' cpT^al 0£ tctX. Ich nahm ehemals an, dass das hiermit ein-
geleitete Excerpt sich ohne Unterbrechung bis zum Anfang des § 48 er^
strecke, wo dann mit dem Citalc aus Dikäarch zu der in § 4 — 9 benutxteo
gelehrten Compilation zurückgekehrt werde. Hierüber bin ich jetzt anderer
Meinung. Aus Diogenes stammt sicher § 4 0, ebenso was in § 44 über des
Pythngores Reisen erzählt, und durch das ^r^oCv p. 48, 4 5 (ed. Nauck) aus-
drücklich auf den zuletzt erwähnten .\utor, eben den Diogenes, zurück-
geführt wird. § 4ä dient noch zur Ausführung des in § 44 begonDeoen,
§ 13 berichtet wieder von dem schon in § 40 erwähnten Astraeus, einer
liauptligur des Diogenes; beide gehören ihm al.so unzweifelhaft an. Auch
was in § 44 über Zamolxis mitgethoilt wird, führe ich unbedenklich auf
Diogenes zurück, bei welchem (§ 6 Herch.) Zamolxis ja eine nicht unt>e-
deulende Figur machte. Aber mit dem Knde des § 44 [cu; llpaxXia ^'auTOv
(den Znmolxis) rpoaxuvoOaiv ol i^ap^-iapoi: vgl. Aiit. Ding. p. i35, 47:
/ifxöX^ioi Traprd Vhrm rfir^ iJem vo[xi|[o|jl^*<{>] verliisst Por|>hyrius den Diogenes.
Dies beweist wohl schon das Citat des Dionysophanes, mit welchem § 41
eröffnet wird; denn wenn auch (nach Photius § 4 4 p. 237, 23) Antonios
Diogenes einem jedem Buclie ein Verzeichniss der Schriftsteller, aus welchen
er die in demselben milzutheilenden S<*lt.samkeiten geschöpft haben wollte,
voransch icktc (ähnlich wie Plinius n. h.}, .so ist es doch völlig unglaub-
lich, dass er innerhalb seiner Krzählung förmliche Citate eingestreut
haben .sollte , am Unglaublichsten in seinen Berichten über Pythagoras und
Pytliagoreer, die er dem Astraeus .selbst in den Mund gelegt hatte
(|). 234, 4 0 f.]. § 4 5—4 7 stammen also, allem Vermulhen nach, aus jener
gelehrten Kompilation, welche Porphyrius schon in § 4 — 9 benutzt hatte
(zum Theil la.ssen sich die Quellen nachweisen: p. 49, 45 — 49 Dionysophanes;
p. 49, 23—20, 3: Heraclides Ponlicus [Porphyr, de abst I 26J ; p. 20, 4—7:
Aristoxenus [Porphyr, v. Pyth. § 9]. Woher der Rest von § 4 6 und f 17
.stamme, ist mit Gewissheit nicht zu .sagen: § 4 7 stammt jedenfalls ans
gleicher Quelle mit Laertius VIII 3 [vgl. Porpli. p. 20, 4 8 — Laert. p. 205,
26 f. ed. Cobetj ; verniuthungsweise führe Ich Beider Berichte auf den bei
— 255 —
könnte, diesen Schriftsteller, statt ihn mit Meiners an jene
äusserste Grenze des erneuerten Pythagoreismus zu steilen, wo
dieser bereits völlig in die neupiatonisehe Schule übergeht,
Laertius ganz kurz vorher genannten Antiphon irepl toiv t^ di(>£TiQ rpwTeuoo^vccov
zurück, um so mehr, da Porphyrius § 7. 8. 9 ein betröcbtliches Stück
aus demselben Werke dieses selben Antiphon mittheilt. Stammt etwa auch
Porph. p. 19, «0— «« = Laert. VllI 3 p. 205, M ff. aus Antiphon?). —
Von § 20 — 31 ist dann Nicomachus des Porphyrius Quelle. Ein zweites
Eiccrpt aus Antonius Diogenes beginnt mit § 32: t^v oe xaO' t]fi.^pav aOxoO
^a-ycoY^^v d^tjf^'jfuvo; iAio^^vT)« ?pTjo(v tctX. Ich sehe keinen Grund, dieses
Excerpl vor § 36 exlr. ( — ::epi£yo6aaic) enden zu lassen. Was aber, ohne
dass eine neue Quelle ausdrücklich angekündigt würde, von da an bis § 41
p. 30, 9 über die Lehren und Vorschriften des Pythagoras erzählt
wird, gehört doch nicht mehr zu der von Diogenes geschilderten »täglichen
Lebensweise« des Weisen, und eignet sich überhaupt nicht zu einem
historischen Berichte, wie ihn Diogenes seinem Astraeus in den Mund legte.
§ 44 p. 30, 9 — 16 bezeichnet Porphyrius selbst als aus Aristoteles (d. i.
Pseudoaristoteies r.. t&s IIudaYope((Dv) entlehnt; ob auch § 42 (aus gleicher
Quelle mit Laert. VIIL 17. 18) diesem angehöre (wie Rose Arist. pseudepigr.
p. 201 annimmt) scheint weniger sicher: s. Rhein. Mus. XXVII 33 Anm.
(Aus jenem Aristotelischen Buche scheint dagegen die ganze, sehr lehr-
reiche Exposition über altphythagoreische abergläubische Vorstellungen und
Vorschriften zu stammen, welche bei Laertius in seiner so überaus ver-
wirrten Biographie dÖs Pythagoras in folgende Fetzen zerrissen ist: p. 209,
8—25. 209, 39—210, 13. 212, 15—42. ed. Cobct.) Mit § 43 p. 31, 18
foa hi, oder auch erst mit § 44 bTopoüst li kehrt Porphyrius noch einmni
zu Antonius Diogenes zurück, d. h. er nimmt die § 36 p. 28, 16 abge-
brochene Mittheilung des Diogenes über pythagoreische Speiseverbote ein-
fach wieder auf, indem er sich nun zu dem strengen Verbot des Bohnen-
essens wendet, das durch eine ganz wunderliche Eigenschaft der Bohnen
gerechtfertigt wird. Dass dieser Abschnitt (bis zum Ende des § 45) aus
Antonius Diogenes stamme, fol^^t mit Sicherheit aus Lydus de mens. IV 29
p. 488 Roether, welcher in beinahe wörtlicher Uebereinstimmung mit Por-
phyrius denselben fabelhaften Bericht über die Bohnen mittheilt, ihn mit
den Worten einleitend Aioy^vt); oi (p7)aiv — . Dass dieser Diogenes kein
Anderer sei als unser Antonius Diogenes, hat G. Wolff, de Porphyrii ex
orac. philos. p. 16 zuerst richtig bemerkt. Ob Joannes Lydus die Stelle,
ebenso wörtlich wie Porphyrius, unmittelbar aus Antonius Diogenes ab-
flchrieb, oder ob er, durch irgend eine besondere Notiz über den Ursprung
jenes Abschnittes des Porphyrius unterrichtet, vielmehr aus diesem seine
Weisheit schöpfte, aber statt seiner gleich seinen Gewährsmann nannte,
oiass wohl unausgemacht bleiben. An der Richtigkeit seiner Angabe zu
zweifeln ist keinesfalls erlaubt. (Es finden sich übrigens keine weiteren
Sparen einer Benutzung des ß(o( \h%(i^6[jO'j des Porphyrius bei Lydus de
mens.). — In § 45 werden noch 2 Bemerkungen per saturani angohängt:
— 2i6 —
vielmehr in jene beträchtlich frühere Zeit hinaufzurtlcken , wo
<ius den, auch in der hellenistischen Periode niemals völlig er-
die erste stammt aus Aristoteles ;fr. 479 p. 4 98 f. R.), die zweite (p. Sl, 8 ff.)
aus Heraclides Ponticus (vgl. auch Hippoi. i*cf. haer. i 2 p. 43, 53 ff. Dnock.),
beide wohl aus jener gelehrten Compilation, die schon in § 4—9 und sonst
von Porphyrius benutzt worden war. § 46 gehört dem Nicomachus u
(s. Rhein. Mus. XXVII 54] ; in dorn noch übrigen Reste der Biographie ist
sicher kein Bruchstück des Antonius verborgen. — Dem Antonius Dio-
iiKenes gehören also in der Compilation des Porphyrius an:
§ 40—44; § 82 — § 36 p. 28, 46; § 44. In diesen Abschnitten nun findet
sich, wie oben bemerkt, nicht die leiseste Spur einer Benutzung des
Nicomachus, von der Meiners redet ;einc solche findet sich übrigens auch
in den früher von mir dem Ant. Diog. zugclheiltcn Abschnitten, § 45—17,
87—43. 4.^ nirgends) , sondern es lassen sich ohne sonderliche Mühe ganz
andere Quellen des A. D. nachweisen. In § 4 0—4 4 ist das Meiste freie
Krfindung des Antonius; eingemischt sind einige Züge aus älterer Ueber-
Ueferung (ausser den aligemein verbreiteten [Reisen des Pyth. zu Aeg>ptem,
Chaldiicrn, Hebräern (s. die Zeugnisse bei Zeller Phil. d. Gr. I 257;, denen
Diog. aus eigener Liberalität noch die Araber hinzufügt] : Brüder des Pytha-
goras, mit Namen Eunostus und Tyrrhenus p. 48, 9 — aus Kleantheft»
rectius Neanthes bei Porphyr. § 2 ; Anaximander, Lehrer des Pyth. p. 48, 48 —
nach einer sehr verdächtigen älteren üeberiieferung, welcher auch Apulejims
Flor. 45, Apollonius bei Porphyr. § 3, Jamblich. v. P. § 4 4 folgt [v^l •
Rhein. Mus. XXYII 24]; Lehrzeit bei Zaratas, d. i. Zoroasler p. 48, 26
nach Aristoxenus und Andern : s. Zeller I 256. Aus Aristoxenus auch d m.
tyrrhenische Herkunft des P\'thagoras, § 40). In § 32—86 sind folget
Quellen benutzt: p. 26, 24—29: Aristoxenus bei Jamblichus v. Pyth. § 4
(vgl. Rhein. Mus. XXVII 88); p. 27, 4—5: Aristoxenus b. Jambl. { !
(s. ibid. p. 85); p. 27, 5—7: Timaeus b. Laert. VIII 40 j p. 27, 4 4—4'
Aristoxenus b. Jambl. § 414; p. 27, 4 4 — 17: Aristox. b. Jambl. § 97, {
p. 44, 2 ff. ed. Westerm. (s. Athen, II 46 F, Lnert. VIII 49); p. 28, 6 1
und 9 — 43 aus gleicher Quelle wie Laert. VIII 20 (Aristoxenus?). ]>i0
Recepte für das dfXi^iov und aofj/ov des Pythagoras, p. 27, 4 8 — 28, 4 lassen
sich freilich auf keine bestinmite Quelle zurückführen, es spricht aber audb
nichts für ihre Herkunft von Nicomachus. Uebrigens hat Diogenes hiff
nichts erfunden. Ui-sprünglich schrieb das Märchen solch ein <2X(fjiov [der-
gleichen auch nordische Märchen kennen: vgl. Volsungasaga cap. 52 bei
P. K. Müller Sagabibl. II (übers, v. Lange) p. 55] dem Epimonides zu, dem
es die Nymphen geschenkt hatten: s. Hermipp. Smyrn. fr. 48, Laert. 1444.
Plutarch. conv. VII sap. 44. Bald aber übertrug die Sage dieses zauberhafta
Hungerstillemittel von dem, schon früh in den Kranz der um Pythagons
gruppirten Wundermänner vertlorhtenen Epimenides auf den Pythagoras;
von den d^Xifxov essenden Pythagoristen redet schon der Komiker Antipbanes
bei Athen, p. 4 64 A; das Recept dazu :in welchem stets do^ö^Xov und
fiaXdi/T^ eine wichtige Stelle eingenommen halten) theilt, wesentlich in
— 257 —
loschenen ^) Funken die altpythagoreische Lebensweisheit in
neuer Flamme aufschlug. Seine pythagoreischen Bruchstücke
zeigen ein stark überwiegendes Interesse für die praktische,
durch einen absonderlichen mystischen Aberglauben unterstützte
Lebensweise der pythagoreischen Secte , und lassen ihn somit
viel eher als ein Mitglied jener alteren Glasse von Neupythago-
reern erscheinen, die sich um Apollonius von Tyana als um
ihren Mittelpunct und vorbildlichen Vertreter schaaren^j, denn
als einen Zeit- und Gesinnungsgenossen der späteren, durch
Nicomachus repräsentirten Anhänger dieser Secte, welche durch
lebhaftere Hinwendung zu speculativen und mystisch-metaphy-
sischen Studien das völlige Aufgehen ihrer Secte in den so nahe
verwandten Neoplalonismus vorbereiteten.
In jene frühere Periode würde den Antonius Diogenes auch
Cebereinstimmung mit Diogenes, Psellus [wohl nach Anleitung des Africanus)
mit, lect. mirab. p. 443 West. — In §44 schliesst sich Diogenes vornehm-
lichy wie es scheint, dem Heraclides Ponticus an, der von der Verwandlung
der Bohnen ähnliche Fabeln berichtet bei Lydus de mens. IV 29 p. 487
RtftheV. (Diese Fabeln sind übrigens nicht gänzlich aus den Fingern gesogen,
sondern übertreiben nur in abgeschmacl^ter Weise die auch neuerdings
mehrfach beobachtete Erscheinung, dass verschimmelnde Bohnen [und so
auch verschimmelnde Oblaten und Hostien] sich mit kleinen Thierchen
überziehen, welche dem unbewaffneten Auge völlig wie kleine Blutstropfen
erscheinen.) — Damit wäre denn wohl die zu lange ungeprüft hingenommene
Meinerssche Behauptung hinreichend widerlegt.
1} S. oben p. 67 A. 1. So werden sogar einige Gelehrte jener Zeit gerade-
zu riu^aföpeioi genannt, wie Lyco oder Lyons aus Jasus, Athen. II 69 E
(vgl. X 418 F, Müller, Fr. hist. II 370, Ruhnken. ad Rutil. Lup. p. 400),
Heraclides Lembus, c. 4 70 v. Chr. (s. Usener, Rhein. Mus. XXVIII p. 434).
Warum sollte man solche Angaben nicht wörtlich vorstehen dürfen?
2) Die praktische, der pythagoreischen Zahlenphilosophie sogar ab-
geneigte Richtung des Apollonius ist bekannt genug. In nicht eigentlich
wissenschaftlichen, sondern auf altpythagoreischen Aberglauben und aber-
gläubische Vorschriften gerichteten Untersuchungen treten auch die dem
Plutarch gleichzeitigen Pythagorcer auf, Lucius aus Etrurien und die Schüler
des Alexikrates (qu. sympos. VIII 7. 8). So auch der cptX^ao^o; FIudaYOpix^c
bei Plutarch, Symp. IV 2, 3. Gerade solche praktisch-religiöse Vorschriften
waren es auch, welche von dem neu belebten Pythagoreismus der Sextier
Sotion, der Lehrer des Seneca entlehnte (Seneca epist. 4 08 § 4 7 ff., vgl.
0. Jahn, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. 4 850 p. 277—280). Zu den ältesten
Neupythagoreern ist übrigens auch Didymus, Sohn des Heraclides, der an
Neros Hofe lebte, zu rechnen. (Suidas; vgl. Mor. Schmidt, Didym. Chalc.
p. 180 ff.).
Bohde, Der griechische Roman. ]7
— 25S —
die Beobachtung des Photius verweisen , dass unter Anderen,
auch Lucian in seinen »wahren ErzHhlungena diesen Autor
vor Augen jzehabl habe^). Diese Behauptung, deren Glaub-
würdigkeit, nach Beseitigung der von Meiners aufgestellten irr-
IhUmliehen Zeitbestimmung, nicht das Geringste mehr im Wege
steht, darf um so weniger verworfen werden, da sich sogar
noch bei unserer dürftigen Kenntniss des Romans des Antonius
in einigen Puncten eine Beziehung des Lucian auf einzelne
Fabeln desselben deutlich erkennen lüsst^j.
Vor Allem aber hoffe ich, dass der ganze, in diesem Buche
dargelegte Zusammenhang der geschichtlichen Entwicklung des
griechischen Romans darüber keinen Zweifel bestehen lassen
werde, dass Antonius vor dem nachweislich ältesten der übrigen
uns bekannten Romanschriftsteller gelebt und geschrieben haben
müsse, also vor Jam.blichus, welcher in der zweiten Hälfte
des zweiten Jahrhunderts lebte.
Ist somit auch, die Lebenszeit des Antonius Diogenes genau
zu bestimmen, unmöglich, so weisen doch alle Momente ihn in
die erste Zeit des wiederbelebten Pythagoreismus, d. i. das%rste
Jahrhundert der christlichen Aera.
Der wesentliche Verlauf dieses Romans war nun folgender'].
Im Beginn der Erzählung war Dinias, der greise Haupt-
held, bereits allen Gefahren entronnen. Von der aussersten
Grenze der Welt zurückgekehrt, sass er in Tyrus, im Gespräch
mit Kymbas. Diesen hatte »die Gemeinde der Arkaderu^] nach
1; §. <3.
2; Solche Dezicliungon liahe ich mich schon in meiner Schrift Ueher Lu-
cians \ho; (L. 1869} p. 2ä f. nachzuweisen bemüht. Von den dort etwas
allzu eifrig aufgespürten Parodirungen des Diogenes durch Lucian halte ich
selbst jetzt nur noch die oben p. 4 92 f. und p. 494 bezeichneten fest.
*A) Eine Uebersetzung des Auszuges des Photius und einige triviale Ad-
nierkun^zen dazu hat gegeben S. Chardon de la Rochette , Mölanges de
critique et de philologie L Paris 1842) p. 6 fit. Seine flüchUge, an allen
Sc*hwieri;4keiten schweigend vorübergehende Arbeit hat mir höchstens
einigen negativen Nutzen gebracht.
4. t6 •».fiisb'i tAv 'Apxaooav p. 284. 2. Eine, wohl nur sehr lose Gemein-
schaft der arkadischen Gaue scheint früh und lange bestanden zu haben.
Vgl. E. Curtius, Peloponn. I 4 72 ff. Antonius konnte auch an Zustände
seiner eigenen Zeit denken : über die xoiva griechischer Stämme zur Kaiser-
zeit, s. Kuhn, Beitr. z. Gesch. d. Verfa.ss. d. röm. Reiches p. 79. (Ein
arkadisches ist nicht darunter).
— 259 —
Tyrus abgeschickt, um den Dinias, ihren Landsmann, zur end-
lichen Rückkehr in die Heimath aufzufordern. Wegen seines
tlbergrossen Alters aber nochmaligem Reisen abgeneigt, zieht
Dinias es vor, in Tyrus zu bleiben, und dem Kymbas zu er-
zSlhlen was er auf seinen weiten Fahrten erlebt und vernommen
hatte. Alles Folgende ist also sein, an Kymbas gerichteter Be-
richt 1) .
Dinias war mit seinem Sohne Demochares »aus Wissbegier« ^j
von Hause fortgezogen. Durch das schwarze Meer und das
kaspisch-hyrcaniscbe Meer kamen sie zu den rhipUischen Bergen
und den Quellen des Tanais^), wandten sich dann »wegen der
grossen Kälte « nach dem scythischen Ocean, gelangten von dort
in den östlichen Ocean, bis zum Aufgang der Sonne, und nach-
dem sie, in langwieriger, abenteuerlicher Fahrt in weitem Bogen
9 das äussere Meer« durchfahren, auch Karmanes, Meniscus und
Azulis sich als Reisegefährten zugesellt hatten, kamen sie end-
lich nach der Insel Thule, wo sie ihre Fahrt unterbrachen*).
1) Dieses Verhällniss, dass Dämlich dem Dinias der Bericht über sfimmt-
liche Abenteuer in den Mund gelegt war, wird von Photius nicht gleich
«olangs klar ausgesprochen ; es wird aber deutlich aus seinen nachträg-
licheo ungeschickten Andeutungen p. 234, 4 fT. ; p. 236, 8 (xax dp/a;);
p. 288, 45.
2) nLvzä C'^i'^otv loTopCac § 2 init. Solche Reisen nur aus Wissbegier,
obwohl in Griechenland seit lange her durchaus nicht selten, müssen den
Laien doch immer noch einigermaassen als Unternehmungen müssiger
Tboreo erschienen sein. Ersichtlich will diese Art von rcptep^Ca Lucian
verspotten, Ver. bist. 15.
3) itpö< ToO TovdliSoc xd^ IxßoXd; § 2 : das könnte man freilich versucht
sein, mit Chardon de la Rochette p. 6 zu übersetzen: aux bouches du
Tana'is. Diese Mündungen des Tanais müssten dann von unserem Dichter
im nördlichen Ocean gesucht werden: und in'der'That versetzten Einige
der Alten sie dorthin; selbst Pytheas muss wohl dieser Vorstellung nach-
gegeben haben, wenn er behauptete (s. Polyb. bei Strabo II p. 104}, dass
er ::Äoav in^dot t^jv TrapcuxeaviTiv t^; E'jp<fi:rT;; dizh Paoefpcöv lai; Tavaioo;.
Aber hier lässt die enge Verbindung der ix^o^ai tou Tovdi'iBo; mit den
• rhipdischen Bergen« doch wohl eher an die Quellen des Tanais denken
(ixßoXal CS Quellen, Plato Pbaed. 4 48 A), welche von vielen Geographen in
die rbipMischen Berge gelegt wurden (z. B. Pompon. Mela 1 49 extr. Vgl.
ükert III 2, 497).
4) Zu Grunde liegt dieser ganzen abenteuerlichen Fahrt genau dieselbe
Vorstellung von der Erde und ihren Theilen, die man bei Pomponius Mela
findet fz. B. I 2). Der Tanais, von den rhipäischen Bergen kommend,
17*
— 260 —
In Thule trat Dinias in ein Liebes verhältniss zu der Der-
kyllis. Wie diese dem Dinias erzHhlte, stammte sie und ihr,
sie begleitender Bruder Mantinias aus einem vornehmen Ge-
schlechte in Tyrus; durch einen, aus seiner zerstörten Vaterstadt
nach Tyrus geflohenen und von ihren Eltern wohlwollend auf-
genommenen ägyptischen Priester Paapis, einen scheinheiligen
Bösewicht, verleitet, hatten die Geschwister durch Zaubermittel
ihre Eitern, in dem Wahne ihnen wohizuthun, in einen todes-
ähnlichen Schlaf versenkt^). Durch diese unbeabsichtigte Fre-
veithat zur Flucht genöthigt, hatten auch sie sich auf Reisen
begeben. Sie kamen nach Rhodus, Kreta, Tyrrhenien und zu
den italischen Kimmeriern ^j . Bei diesen stieg die Derkyllis in
den Hades hinunter, und unterrichtete sich genau über die Zu-
stände in der Unterwelt , indem ihr der Schatten einer längst
gestorbenen Dienerin Myrto Auskunft gab').
trennt Europa und Asien. Im Norden bespült der Ocean (von dem daf
kaspische Meer nur eine Bucht ist) beide Erdtheile; sein oberhalb Askns
liegender Theil ist der scythische (im Gegensatz zu dem, über Eorojpi
liegenden britannischen) Ocean, an den sich nach Osten hin der eoisdie
Ocean schliesst. Dinias ftthrt also um Asien, weiterhin südlich um Afrika
herum, dann nördlich bis nach Thule. Für die Details seiner Erzähloogeo
mochte Antonius mannichfaches Material in solchen Umscgelungen des n^ird*
liehen und südlichen Oceans finden, wie sie, mit Recht oder Unrecht, unter
dem Namen des Patrocles (s. Plin. VI § 58> und des Eudoxus (s. Nepot
bei Mela III 9) umgingen.
1) Dass dieses der Grund ihrer Flucht war, erfahren wir bei Pbotio»
wiederum erst durch eine nachträgliche Notiz p. 236, 18 ff.
2) Dem Zusammenhang nach können hier (von den vielen Kimmeriern,
die man an verschiedenen Orten in Europa und Asien suchte und fand)
nur die am See Avernus bei Cumae in Campanien in unterirdischen HöblO
wohnenden gemeint sein, welche man sich als Verwalter eines Todten*
Orakels und Bewahrer eben jenes Einganges in den Hades dachte, in wel'
chen Odysseus eingefahren war. S. die grüsstentheils aus Ephorus ge*
schöpfte Erzählung des Stmbo V p. 244 f. ; vgl. Scymn. perieg. S39 ff.
3) Hier ahmt Antonius Diogenes seinen zahlreichen Vorgängern in der
phantastischen Ausmalung von Höllen fahrten nach. Allen voran steht
die Nixuia der Odyssee; eine solche Nixuia fand sich aber auch in den
N^sToi des epischen Cyclus, in dem hesiodischen Gedicht von »Thesen»
Hadesfahrt R (s. Welrkcr, Ep. Cyclus I 260, MarkschefTel, Hesiod. fmgm.
p. 158 ft.). [Dann Virgil , Aen. VI u. s. w.]. Erbauliche Tendenz hatte
jedenfalls die orphische KaTcCSaai; cU "Aioou (Lobeck 810 IT.] ; ähnlich wobi
eine schon dem Aristoxenus bekannte (vom Komiker Aristophon bei Laert.
— 261 —
Aus dem Hades wieder emporgestiegen^ zog Derkyllis weiter.
Von ihrem Bruder durch uns nicht bekannte Schicksale ge-
lrennt trat sie in Verbindung mit Keryllus und Astraeus. Ge-
VIII 38, wie ich denke, parodirte) pythagoreische Hadesfahrt (s. Rhein.
Mas. XXM 557 f.). Daraus auch Schol. Apoll. Rhod. I 645 p. 839, 4 2 ff.
Keil. Dieser am Nächsten möchte der Platonische Mythus von dem Pam-
phylier Er, dem Sohne des Armenius (Rep. X c. 43 ff.) stehen [der pytha-
goreischen Schrift vielleicht auch in der Einkleidung des Ganzen als einer
ekstatischen Vision der aus dem Leibe, während eines Scheintodes, aus-
getretenen Seele verwandt. Etwas Aehnliches berichtete die Sage von
Hermotimus, einer der früheren Verkörperungen des Pythagoras: s. Rhein.
Mos. a. 0.; auch von Epimenides: s. Suidas s. '£iri(A. Gab es auch unter
seinem Namen eine solche ekstatische Höllenfahrt? In eine solche würden
wenigstens die bei Pausanias VIII 48, 2 aus Epimenides mitgetheilten Nach-
richten über die Styx sehr wohl passen] ; dem Plato nachahmend Plutarch
in seiner Erzählung von der Höllenfahrt der Seele des Thespesius aus Soli,
De sera num. vind. 22. Frühzeitig hatte die Komödie sich dieses für
phantastische Erfindungen und beziehungsreichen Spott so trefflich geeigne-
ten Gegenstandes bemächtigt: eine Hadesfahrt führte Pherecydes in den
KpoiTcitaXoi vor (s. Hemsterhus. ad Polluc. IX 68, Meineke com. I p. 85),
später Aristophanes in den Fröschen und im Gerytades. Ihnen mochte im
Geiste verwandt sein die N^xuta des Cynikers Menippus (Laert. VI 4 04),
iron welcher die wenig witzige NexuoficbTeta des Lucian ein jedenfalls nur
schwaches Nachbild ist, welches dann wiederum in dem von Hase zuerst
herausgegebenen Tifi.ap(c»v ins Byzantinische, das heisst ins völlig Ab-
^schmackte umgebildet wird. (Uebrigens kehrt der von Lucian aus-
«f^eführte Gedanke, um der philosophischen Erkenntniss willen in die Unter-
yueXt zu fahren, seltsamer Weise in den [etwa gleichzeitigen] Pseudoclemen-
tinischen Homilien I 5 p. 4 4, 43 ff. Lg. wieder: worauf Hemsterhusius, Luc.
Bipont. III p. 339 aufmerksam macht). Vielleicht ebenfalls Menippus war es,
«ler Horazen den Gedanken zur fünften Satire des zweiten Buches eingab. In
<«inem ernsteren Geiste schilderte der Skeptiker Timon in den »Sillencc seine
eigene philosophische Hadesfahrt. Moralphilosophische Absichten scheint
Dikäarch in seiner »Einfahrt in die Höhle des Trophonius« verfolgt zu haben,
deren Einkleidung vielleicht Plutarch in der bekannten Erzählung de genio
Socr. 22 ff. nachahmte. Endlich mag man sich der doch wohl einem
Griechen nachgeahmten scherzhaften Hadesfahrl im virgilischen Culex er-
innern. Uebrigens kannte und liebte auch das christliche Mittelalter diese
Form der erbaulichen Dichtung: eine christliche Höllenvision schon in den
Dialogen Gregors des Grossen : Ebert, Gesch. d. christl. lat. Lit. 522, eine
christliche Himmel- und Höllenfahrt in Barlaam und Josaphat p. 280 ff. cd.
Boisson. (wahrscheinlich 7. Jahrhundert) ; mehr bei Liebrecht zu Gervas.
Tilb. p. 89 f., Ebert a. a. 0. p. 599. 64 6. Vgl. auch Grimm, D. Mythol. 767
Anm. 8. So kann man diese eigenthümliche Gattung religiöser und philoso-
phischer Dichtung durch wechselnde Schicksale verfolgen bis an jenen Punct,
— 262 —
meinsam kamen sie zum »Grabe der Sirene« ^]. Aus dem Munde
des Aslracus erfuhr Derkyllis mancherlei über Pjthagoras und
Mnesarchus, dessen Vater. Mnesarchus, so erzählte Astraeus^:,
von den auf Lemnos Imbros und Scyros wohnenden Tyrrhenern
abstammend*), fand einmal auf einer seiner vielen Reisen ein
kleines Kind unter einer stattlichen Weisspappel liegend. Da
Kind sah aufwärts ungeblendei in die Sonne; im Munde hiel
es ein kleines Rohr, in welches von der Pappel ein Thau hin-
eintröpfelte und das Kind ernährte. Mnesarch nahm das wun
derbare Kind mit sich. Als dann Mnesarch endlich Samos sicbT^Th
zum festen Wohnsitz erkor, fand er bei einem dorfigen Bürger
Androkles, Aufnahme, der ihm die Verwaltung seines Haus-
wesens anvertraute*). In reichlichen Vermögensumstanden konnt»-
wo Taltissimo poeta aus ihr die Form zu der erhabensten Dichtung ent
nahm, welche die chrisUlche Litteratur kennt, -r Antonius Diogenes mochl
eine solche Episode einzulegen namentlich durch die orphischen und p)
Ihagoreisclien Vorbilder angetrieben sein ; für diese Schulen war ja freilic
nichts wichtiger als eine authentische Bestüligung jener Verheissungeo eio<
seligen L'nsterblichkeit der Gerechten und der Strafen der Dnfrommen,
welcher ihre Lehre gipfelte.
1) Der SeipTjvr^; rd^o; ist ohne Zweifel das Grabdenkmal der Sirei
Parthcnope, welche sich bei Ncapolis ins Meer gestürzt hatte (Lycopfa
Alex. 720), dort begraben war und mit gymnischen Agonen geehrt ward»
S. Strabo i p. 28; V p. 246; Dionys perieg. 859 mit Schol. und EustatB^
comm.; Sueton fragm. p. 306, 6 Roth.
2) Das nun Folgende nach den Auszügen bei Porphyrius v. Pyth. 4 0 — 1 >'-
3) Vgl. 0. Müller, Orchomenos p. 482.
4 Porphyr. § 40 p. 4 8, 4 : dlvSpcuOev o' is Xdffjwj) dvaXtj^Äf^vai uri x
(besser wohl 'jtJj to-j = Tiv<i;) 'Avopox)»lö'JC diriyojptou , ö; rf^v i:ripiXct
a'iT(j) Tf|C oixiac £veyeij>i3€v * pto^vxa o dv d^Ö^Svoi; d^axp^^civ to Tratßtov, 'Aorp««
xa).£aavTa xtX. Wie wunderlich ! Das von Mnesarch aufgefundene tzoliU
wird, zum Manne geworden, von Androkles aufgenommen und mild
Verwaltung seines Hauses betraut; trotzdem wird uns darnach ei
erzählt, dass Mnesarch dieses selbe »Kindlein« mit seinen eigenen Söhn*
»aufgezogene habe. Wie kam übrigens das Kind überhaupt nach Samo^»
da uns doch von seinem Pflegevater Mnesarch noch gar nicht einmal gesa^'
worden ist, dass dieser dorthin gekommen sei? Dazu bedenke man noch
den über alle Maassen harten Subjectswechsel zwischen den beiden Sfitzeo.
Es ist kein Zweifel, dass in dem ersten Satz gar nicht von dem irou^tcv
geredet werden sollte, sondern von Mnesarch. Nun steht in dem Texte
des Archetypus unserer Porphyriushandschriften , dem' Bodleianus Gr.
misc. 254, keineswegs dvopaiH^v, sondern ISpu^dv (s. V. Rose, Hermes 5;,
und ebenso in der «llesten , Münchener Abschrift. Man schreibe also:
— 263 —
nun Mnesarch den Findling , welchen er Aslraeus nannte , zu-
gleich mit seinen eigenen Söhnen, Eunostus, Tyrrhenus und Py-
thagoras aufziehen. Von diesen adoptirte übrigens Androkles
den jüngsten, Pythagoras, und schickte ihn, nach vorhergehen-
dem Unterricht beim Kitharisten, Turnlehrer und Maler, zu
weiterer Ausbildung zum Anaximander nach Milet. Weiterhin
kam er auch zu den Aegyptiem , Arabern , Ghaldäem und He-
bräern, von allen ihre höchste Weisheit erlernend. Den Astraeus
aber schenkte Mnesarch dem Pythagoras, der ihn. nachdem er
in einer physiognomischen Prüfung seine gute Natur erkannt
hatte, erzogt). — Dies alles erzählte Astraeus seiner Freundin,
und dazu noch, »was er selbst von der Philotis vernommen
hatte «^). Derkyllis nun, nachdem sie diese Berichte des Astraeus
eingeschaltet hatte, fuhr fort, ihre eigenen Erlebnisse dem Di-
nias zu erzählen. Sie kommt mit Astraeus und Keryllus nach
Iberien, zu einer Stadt, deren Bewohner Nachts sehen konnten,
am Tage aber blind waren 3). Ihren Feinden that Astraeus
Kpu&^vTa, wodurch der von mir im Texte angegebene Sinn entsteht. —
Die Ernährung des Astraeus durch den ^p6ao; der Weisspappel darf uns
wohl an die bekannten Sagen von gottgeliebten Sängern erinnern, welche
als Kinder durch den Honig freiwillig dienender Bienen ernährt wurden
(s. Welcker zu Philostr. imag. li 12 p. 466). — Das Kind blickt dloxap^a-
}vjx'zi in die Sonne p. 17, 32: dies ist theils eine Folge seiner höchst wun-
derbaren Augen, theils auch wohl ein Anzeichen seiner, vom Mnesarch
alsbald geahnten Oeia ffveoi;: die Götter selbst dTcv^; ^i* SXou ßX^rouai %al
t6 ^Xdcpapov oOtcotc d7ct[ji6o'jaiv, Hcliodor Aeth. 111 13.
1) Soweit Porphyrius § 13. Die Einzelheiten der Lehren, welche Py-
thagoras bei jenen weisen Völkern empfing, hielt ich hier aufzuzählen für
unnöthig.
2) oTa (PlXcfrrioo; tjtö; 'AaTpaio; f^xo'joe*^. p. 234, 12. Wer diese weiter
nicht erwähnte »Philotis« sei, hat Photius zu erklären nicht für nöthig
gehalten. Da sie so unmittelbar in Verbindung mit den Berichten des
Astraeus über Pythagoras genannt wird, so ist es vielleicht nicht zu kühn,
in ihr irgend eine pythagoreische Frau zu suchen, welche dem Astraeus
etwa von den Einrichtungen des pythagoreischen Bundes Nachricht gegeben
hatte. Hierher könnte man dann die bei Porphyrius v. P. § 32 — 36, 44
erhaltenen Nachrichten des Diogenes über pythagoreisches Leben ziehen.
Eine P^thagoreerin Philotis kenne ich freilich nicht: sollte diese <I>tXa)Tt;
aber nicht vielleicht identisch sein mit der von Jamblich v. Pyth. § 267
(>. 86, 20 West, in dem Verzeichniss der IludaYoplSe; genannten «PiXti«,
liryfltTTjp Beicppio; (so cod. Laurent. 86 , 3. Ob Acö^ppovo;? s. p. 85 , 23)
roü KpoToviaTou?
3) Ein solches Volk setzte der Historiker Eudoxus von Rhodus (dessen
— 264 —
durch Flötenblasen Schaden ^ . Von dort freundlich entlassen,
gelangten sie zu dem einfültigen und rohen Volke der Gelten,
denen sie auf Pferden entflohen, welche durch wunderbaren
Wechsel ihrer Hautfarbe ausgezeichnet waren ^ . Sie kamen nun
zu den Aquitauiern, deren Gunst sich namentlich Astraeus er-
warb, indem er sie an dem Ab- und Zunehmen seiner Augen
das Ab- und Zunehmen des Mondes ermessen lehrte, und nach
dieser Erkenntniss den bisher streitigen Wechsel ihrer beiden
Könige in der periodisch zu übernehmenden Herrschaft regelte').
Zeitalter keineswegs so unbestimmbar ist wie C. Müller Fr. H. Gr. IV 407
meint: da er in der chronologisch geordneten Homonymenliste des Demetrius ^
von Magnesia bei Laert. VIII 90 zwischen dem berühmten Eudoxus von jm
Knidos und Eudoxus aus Sicilien , einem , vor dem Grammatiker Apollodor ^sr
von Athen lebenden Dichter der neuen Komoodie [Meineke com. I p. 491] ^~]
steht, so muss seine Lebenszeit etwa zwischen 850 und 200 v. Chr. fallen, ^' <;
bei Apollon. h. mirab. 24 Trepi rrjv KcXtixtjv. Aehnlich Aristoteles {? s. Rose, ^ -s,
Arist. pseud. p. 624] bei Steph. Byz. s. npfxapa. ;Solche Albinos fand man
auch in der asiatischen Landschaft Albania: Isigonus bei Plin. n. h. VII § 42
und Gelliu$ IX 4, 6, der aber nur den Plinius, nicht, wie er vorgiebt,«.
griechische Paradoxographen benutzt : s. Mercklin Jahrb. f. Philol. Suppl. IIK* SI
p. 642 f.).
1) ooa 'Aarpalo; a'j\Sn toU 7:oXc(j.(oi; dxelvoiv eip^dooro p. 284^ 46. ^BS.
Wir erfahren wiederum nicht: was eigentlich er den Feinden anthat.
er eine Zauberflöte , die wie Oberons Hörn alle Zuhörenden zum Tanze
zwang? Ucber solche Zauberpfeifen vgl. Grimm, Kindermfirchen III i9Si
[3. Aufl.] zu N. 410 »der Jude im Dorn.« Oder gebrauchte er eine ahn —
liehe List wie die war, durch welche einst die Gegner der Kardianev
[s. Charon Lamps. fr. 9) oder der Sybariten (s. Aristot. fr. 538 R.) die a;
das Tanzen zum Flötenspiel gewöhnten Pferde derselben in der Schlacb*'
zum Tanzen zwangen und kampfunfähig machten? £ine alte Anekdote
welche (wie Liebrecht Or. u. Occ. I 4 34 hervorhebt) merkwürdiger Wei
nur wenig verändert wieder auftaucht in einer buddhistischen Parabel be
Slan. Julien Les Aväidänas Nr. 4 0 (I 56 fT.}.
2i oaa a'jToi; 7:£pi Tf^^ xard ty,v yooidv twv ittttcuv iva)^.«^^; ^T^T^
p. 234, 20. Vielleicht erinnerte Antonius sich der Erzählung des Posidoni
(s. Strabo III p. 4 63), dass die ursprünglich grauen Pferde der Celtiberer
wenn mau sie ci; TT^y £$(u 'Ißr^pbv bringe, ihre Farbe veränderten.
3] Diese den a'JSo;xet({)3ei; des Mondes entsprechenden aüSopieu&oetc dec*
Augen des Astraeus wurden schon oben p. 228 berührt. Ich sehe freilich r
qui mcus est Stupor, nicht ein, wieso die Aquitanier einer solchen Parallele
erst bedurften, um die Mondphasen, die ihnen Astraeus ja nur unmittelbar
zeigen konnte, zu erkennen. Uebrigens zeigt sich an diesem Abenteuer sehr
deutlich , dass der Astraeus des Diogenes kein Anderer ist , als jener I i^
Astraeus des Arat, Phaenom. 98 2v {>a -zi cpaaiv | Äarpwv dpyoiwv T,vzi^ ^pijxevai | ^'
kl
— 265 —
Es folgten weitere Abenteuerzüge der Derkyllis, auf welchen sie
nach Spanien zurückgetrieben wurde ^) und namentlich zu den
Artabrern kam, wo die Weiber in den Krieg ziehen, die Manner
das Haus und die weiblichen Arbeiten besorgen ^j. Weiter ge-
langte sie mit Keryllus zu den Asturiem; wider Erwarten ent-
rannen sie allen Gefahren; endlich aber traf, wo es am Wenig-
sten zu erwarten war, den Keryllus doch noch die späte Strafe
für eine alte Verschuldung. Derkyllis zieht weiter nach Italien
und Sicilien. In Eryx ergriffen, wird sie vor den Tyrannen
Aenesidemus von Leontini geschleppt ^) . Dort trifft sie den, bei
(sB German. Ar. Pbaen. 4 04, Avien. Ar. phaenom. 279 ff.), den Einige für den
ältesten Astronomen hielten (s. Schol. Ar. 98, I p. 88, p. 276, II p. 407
Buhle). Er ist wohl nicht verschieden von dem mythischen Gemahl der Eos
(Hesiod. Tbeog. 878, ApoUod. bibl. I 2, 2, 4), und kommt zu der bei Arat
ihm zugewandten Ehre offenbar nur seines Namens wegen, sowie das aurum
Aurus erfand, Kynes die xjvfj u. s. w. in infinitum (vgl. Lobeck Agl. 468).
1) Auf welche Weise, erfahren wir nicht genauer: cuc Iv 'Aprißpot;
Ij^dr^ heisst es p. 234, 29.
2) Eine derartige Weiberherrschaft bei den Artabrern ist sonst meines
Wissens nirgends bezeugt. Von der Tapferkeit und Kraft der Weiber bei
den nordwestlichen Stämmen Iberiens redet (nach Posidonius) Strabo III
p. 465 init., etwas weiter hin erzählt derselbe von »einer Art von Weiber-
berrschaft« (I p. 225, 7 Mein.) bei den Cantabrern, welche z. B. die Sitte
hatten, die Töchter zu Erben einzusetzen und ihnen die Sorge für die Ver-
heirathung ihrer Brüder zu überlassen. (Eine Spur von alter Weiber-
herrschaft zeigen noch einige Sitten der heutigen Basken, der Nachkommen
der alten Iberer, z. B. die dort noch übliche seltsame Sitte des von
Strabo 1. 1. schon bei den nördlichen Iberern ermähnten s. g. Männerkind-
bettes: vgl. Max Müller, Chips from a German Workshop II p. 278, Peschel,
Völkerkunde p. 26).
3) Einen Tyrannen Aenesidem von Leontini kennt auch Pausanias
V 22, 7. Mit grosser Wahrscheinlichkeit nimmt Böckh (der sich unserer
Stelle übrigens nicht erinnert) explic. ad Pindari Ol. II p. M7 an, dass
diess kein Anderer sei, als der mit Gelon, als Feldherr des Hippokrates
(Herodot VII 454} um die Herrschaft in Gcla concurrirende Sohn des Pa-
taecus (oder des Emmenides), welcher, von Gelon in jenem Wettstreit
ttt>erwunden (Aristot. Rhetor. I 42 p. 4 373a, 22), sich zur Entschädigung
der Tyrannis in Leontini bemächtigt haben möchte. Dieser Aenesidem,
Zeitgenosse des seit Ol. 72 in Gela regierenden Gelon, Vater des Theron,
der in Agrigent von 4S8— 473 regierte, mag selbst in Leontini etwa seit
490 regiert haben; ungefähr in diese Zeit setzt also Antonius die Ereig-
nisse seiner Erzählung, d. h. in die Zeit, wo Pythagoras eben verstorben,
die Blüthe der pythagoreischen Genossenschaften in Unteritalien aber noch
keineswegs gebrochen war (vgl. Rhein. Mus. XXVI 565 f.).
— 266 —
dem Tyrannen verweilenden Priester Panpis wieder an, aber
auch ihren' jzelieblen Bruder Mantinias, der seit seiner Trennung
von ihr auf weilen Irrfahrten die seltsamsten Abenteuer erlebt
hat, und ihr von Menschen, Thieren und Pflanzen, von Inseln,
ja von Sonne und Mond *) die wundenbarsten Nachrichten mit-
theilt.
Derkyllis und Mantinias rauben nun dem Paapis seinen
Ranzen mit den ZauberbUchern und seine Kräuterkiste ,' und
fliehen damit nach Rhegium und von dort nach Metapont. Dort
trifft sie Astraeus^) und benachrichtigt sie, dass Paapis sie ver-
folge. Gemeinsiun fliehen die Drei zu den »Thraciern und
Massageten« zu Zamolxis, dem Freunde des Astraeus^). Den
Zamolxis, der »bei den Getena schon als ein Gott verehrt wird,^ M^
bittet Astraeus, von den Geschwistern angegangen, um RatfaK::A^h
für diese. Zamolxis gebietet ihnen durch Orakelspruch, zunächst ^^t
nach Thule zu gehen, wie es das Schicksal wolle : später wtlr — -
1
den sie nach Hause zurückkehren, aber erst pach vielen Leiden.
und nachdem sie durch eine harte Strafe, welche ihr Leben iir^ Ji
Tod am Tage und Wiederaufleben in der Nacht eintheilen werde
ihre unfreiwillige Versündigung gegen ihre £ltern gesühnt habe
würde. Indem sie Astraeus, ebenfalls göttlich verehrt von de
Geten, bei Zamolxis zurücklassen, ziehen die Geschwister weile
und gelangen, nachdem sie im hohen Norden viel Wunderbare
gesehen und vernommen haben, endlich nach Thule.
Dieses Alles berichtet Dinias, nach der Erziihlung der Der-"^^ r-
kyllis, dem Kymbas wieder. Darnach, erzHhlt er weiter, s^^-«®*
auch Paapis, die Geschwister verfolgend, nach Thule gekommenÄrr^^ni,
und habe, indem er ihnen in's Gesicht spie ^), sie in jenen voe ^cdd
1) Es scheint, als wenn Mantinias selbst auf diesen Gestirnen gewese
wiire.
2) Nach Metapont hatte sich Asiraeus wohl ohne Zweifel als nac ' ^*
einem der llauptsitze des pythaf^oreischen Bundes gewendet.
'.V: Dio «Massafieten« Z. i35, 15 sind wohl ein Versehen der Abschreiben* -^
«les Photius: es hoisst woitorhin p. 17 und 27 bei ihm ganz richtig »Geten^^-
Hierhin wird wohl die Belehrung über Znimoxis bei Porphyrius v. Pythv-
§ 14 zu stellen sein, ülier deren etymolo;:ischen Theil Za>.tjLo5i; vom thra^
kischen !^nihx6i= oopd apxTOj', man vgl. P. de Lajiarde, Ges. Abb. p, 881 ff.,
A. Fick, Die ehemal. Sprachcinh, d. Indogerni. Europas p. 418.
4; Die Zauberkraft des Anspeiens Ist bekannt. Vgl. Grimm, D. Mythol.
1056 i. Aufl.) und besonders 0. Jahn, Ber. d. .sächs. Ges. d. Wiss. 1855 ■ v
M
— 267 —
•
Zarnolxis vorausverkUndeten zauberhaften Zustand versetzt, in
welchem sie am Tage todt dalagen, in der Nacht aber wieder
auflebten. Den Paapis erschlägt ein in die Derkyllis verliebter,
über ihren scheinbaren Tod verzweifelter Thulite, Namens Thrus-
canus, der sich dann auch selbst ersticht. Noch »vieles Aehn-
liehe« hatte Dinias zu erzählen, auch von dem Begräbniss der
Geschwister, ihrem Entweichen aus dem Grabe *) , den Liebesaben-
teuern des Mantinias, den daraus entstehenden Verwicklungen.
Hier, bemerkt Photius, endigte das 23. Buch des ganzen Wer-
kes, dessen Titel bisher nur durch einige, am Anfang des Gan-
zen 2) vorgebrachte Nachrichten über Thule gerechtfertigt war.
Im letzten Buche erzählte Dinias weiter, wie sein Gefährte Azu-
lis ihm berichtet habe, er habe, aus den von Mantinias und
Derkyllis mitgenommenen Zauberbüchern des Paapis, die Mittel
ersehen, durch welche nicht nur die Geschwister von ihrer
Verzauberung befreit, sondern auch ihre, in Tyrus immer noch
in Zauberschlaf versenkten Eltefn zum Leben wieder erweckt
werden könnten. Mantinias und Derkyllis werden dann ent-
zaubert und eilen nach Hause, um auch ihre Eltern wieder zu
beleben. Dinias dagegen reist nun mit Karmanes und Meniskus
(aber ohne Azuiisj in die nördlich von Thule gelegenen Erd-
strecken. Hier kam er nun in Länder, wo das Sternbild des
Bären im Pol stand, die Nacht sich über einen Monat, sechs
Monate, ja ein ganzes Jahr erstreckte, und ebenso der Tag^j.
p. 85. (Verwandlung durch Anspucken, 4 001 Nacht/ N. 269, VI p. 4 25
[Breslauer Uebers.]. Zuweilen wird dadurch auch gute Gabe verliehen: so
Kunde der Thiersprache im serb. Märchen bei Wuk N. 3, Erfüllung aller
"Wünsche im neugriech. Märchen bei v. Hahn N. 4 4 0).
1) p. 236, 2: r/jv xe "za^i^^ auTöav %ai t^jv dxeiOev 'j7:avay({»pY)aiv. Das
kann doch nur bedeuten: wie sie (in der Nacht nämlich, wo sie ja wieder
auflebten) wieder aus dem Begräbniss entwichen, in welches man sie ge-
legt hatte, da man sie, über den Wechsel der Verzauberung noch nicht
belehrt, einfach für todt gehalten hatte. Hier also das älteste Beispiel jener
bei den Romanschreibern so beliebten Erfindung des Begräbnisses von
Scbcintodten : vgl. unten die Abschnitte über Jamblichus, Xenophon von
Ephesus, Achilles Tatius, Chariten.
2; Nämlich offenbar da, wo Dinias von seiner Ankunft in Thule be-
richtet hatte.
3) Von einer sechsmonatlichen Nacht in den Gegenden nürdlich von
Thule wissen Manche zu reden (s. Fuhr Pytheas von Massilia p. 4 8 (T. ;
vgl. .MüllenhofT D. .\lterthumsk. I 386. 401. 406), von einer zwölfmonat-
lichen wohl nur unser Diogenes.
— 268 —
•
Dazu sah er noch menschliche Wesen und andere Dinge von
so wunderbarer Arl^) »wie sie Niemand vorher weder gesehen
noch schildern gehört zu haben behauptet hat, ja nicht einmal
in freier Erfindung ersonnen hat«. Schliesslich kamen sie, im-
mer nach Norden ziehend, gar auf den Mond, den sie als eine
andere, ciber hellleuchtende Erde, und aller Wunder voll er-
fanden 2^. Dann wurde berichtet, »wie die Sibylle die Weis-
1) Vielleicht mit Recht bezieht Chardon de la Rochette p. 58 auf diese
Partie des Romans des Diogenes die Worte des Synesius eptst. CXLVIII
(p. 731 extr. ed. Hercher) : ol oe (die Cyrenäer im Binnenlande) Stdxcivra
Td; p>(&(i.a; &9rep t;(Aeu (nömlich ungläubig), Ctov brzk^ xfiv l7:£«eiva
Bo6Xt)c dixo6o)[jicv , fiTt; roxi ivzis i?) 8o6Xy], Si^oOsa toTc Staßdocv qc^ti?^
(ive6^jva xaX dve^D.epc'ra 4'e6oe9dat. Dass die Thulitischen Fabelberichte des
Diogenes eines gewissen Ruhmes genossen, deutet eine Bemerkaog des
Servius zu Virgils Georg. 1 80 (vol. II p. 477 ed. Lion) an: Tbule]
miracula de hac insula fenintur, sicut apud Graecos Ctesias (?) et Dio-
genes, apud Latinos Sammonicus dicit. (vgl. MüllenhofT a. a. 0. p. 891
Anm. 2;
2) § 9 : — xai t6 rivroiv dlTriTC^SraTov , 3ti ropeuöfuvot rpö; ßoppSv im
oeXfjvr^N , cw; ir.i xi-va •ff^^ TtaftaptDxrfTYjv , i:Xt)o(ov d^f^ovio , hui xe 'fCv6(Arvot
tooiev 61 elxo; r^v (oeTv ton T0ta6TT)v 67:epßoX'^|V irXa9(j.dT0}V rpoavaTrXdaayrv.
Diese ungeschickten Worte sollen doch wohl bedeuten, dass die Reisenden
im höchsten Norden den Mond zuerst ganz in der Nöhe sahen, und dann
»dorthin gekommen«, d. h. auf den so nahe zur Hand liegenden Mond,
seine wunderbare Besehe (Ten hei t in Augenschein nahmen. Märchenheldeo
kommen öfter, am Ende der Welt, der Sonne, dem Monde, dem Morgen-
sterne so nahe, dass sie dieselben mit der Hand berühren (oder, wie der
Rheinische Hausfreund sagt , »einen aufgehenden Stern mit der Hand weg-
haschen und in die Tasche stecken«) können. Einiges dergl. bei Grimm,
Kinderm. HI p 46 ;zuN. 25). So kam auch Pytheas so weit nach Norden,
dass ihm die Barbaren »die Stelle zeigten, wo die Sonne schlafen geht«
(Geminus elem. astron. 5. Cosmas Indicopl. p. U9 B ed. Montf.}, was
sicherlich ganz wörtlich zu verstehen ist. Auf dem Westende Iberiens war
man dieser Ruhestätte der Sonne so nahe, dass man sie Abends mit Zischen
ins Meer sinken hörte (Strabo III p. 4 38, nach Posidonius. Vgl. Valer.
Flacc. 11 87: rupto sonuit sacer aequore Titan; dort Burmann. Vgl.
Cleomedes r. [jiet. ü p. 4 09 Bake. Verwandtes bei Grimm d. Myth. 688 f.,
703 f.). Diogenes aber Hess, wie es scheint, seine Helden sogar den kleinen
Zwischenraum vom Erdende zum Mond noch tiberschreiten. Wenn er
nun, ein griechischer Cyrano Bergerac, die Zustände auf dem Monde
beschrieb, so that er dies nicht ohne Vorgänger. Seine Freunde, die P\'tha-
gorcer, wussten seit Langem, wie es dort oben aussehe. Sie hielten den
Mond für einen %'^o[jio; für sich (wie auch die anderen Gestirne), von
athmosphärischer Luft umgeben (Plut. plac. phil. II 43, Stob. ecl. I 14
— 269 —
sagung beim Karmanes wieder anhub«^]. Darnach wurde einem
Jeden der Reisenden (durch die Gunst einer uns nicht naher
bezeichneten höheren Macht) ein Wunsch gewährt; Dinias selbst
erwachte, wie er erzHhlt, seinem Wunsche gemäss im Herakles-
tempel zu Tyrus, wohin ihn also schlafend seine Wunschkraft
p. 440, 28 Mein.), bewohnt wie unsere Erde, aber von animalischen Wesen,
welche die irdischen um das Fünfzehnfache an Grösse überträfen, wie auch
die Gewächse dort oben den unsrigeü an Schönheit überlegen s^ien (Plut.
ibid. II 80, Stob. ecl. I 26, i p. 4 58, 15 Mein.). Die Bewohner scheiden
keinerlei Excremente aus (ibid.) ,' worin sie mit Lucians Mondmenschen
übereinkommen, welche oOx droupoOoi xal dcpo^G^ouotv (Ver. hifit. I 28),
dagegen Honig schnauzen und Milch schwitzen (I 24). Diese Weisheit
theilten die Pythagoreer mit den Orpbikern (s. Plut. plac. II 48) , welche
den Mond dXXtjv fOLlrt^ direCpiTov nannten, 'S) iz6}X oupc ^x^t, t:6}X dforea,
itoXXd piXa&pa (s. Lobeck Agl. p. 499 f.); dass sie, wie aller eigentliche
Aberglaube, in der pythagoreischen Schule alt war, beweist der Spruch
bei Jamblichus Y. Pyth. § 82: t( ^otiv at [laxeipcov vfjOot; tJXio; , oeXifjvT].
Sie dachten sich also diese Gestirne als Aufenthalt der verstorbenen From-^
men (so noch die Neupiaton iker: s. Wyttenbach zu Eunap. V. S. p. 417)
Daher auch die Grösse und Schönheit (und Reinheit) der dortigen Geschöpfe.
In der fabelhaften Ausmalung des Mondlebens mögen sie übrigens zum
Theil, wie in ihren abergläubischen Vorstellungen überhaupt, älteren popu-
lären Phantasien gefolgt sein: so spricht z. B. von der fünfzehnfach über-
menschlichen Grösse der Mondbewohner auch der Mythensammler Herodorus
von Heraclea fr. 28 (Fr. bist. 11p. 35). Ich denke aber, es ist wahrschein-
lich genug, dass der pythagorisirende Diogenes jene altpythagoreischen
Mondfabeln zur Grundlage seiner eigenen Berichte gemacht, und dass vor-
nehmlich seine Lügen Lucian Ver. bist. I 24 — 26 habe parodiren wollen.
— Den Mond nannte Diogenes y^v xa&apoiTdlTTjv. Der Ausdruck ist undeut-
lich: »hellleuchtend« (wie -i^Xto; xa&ap(i;, cpdoc xa&apöv etc.) habe ich oben
nur versuchsweise übersetzt; »une terre absolument nue« übersetzt Chardon
de la Röchelte p. 4 3, ganz verkehrt. Vielleicht sollen die Worte nur
heissen: eine richtige zweite Erde, wie man sagt %adapol "EXXtjvcc, echte,
vollständige Griechen, xaOapö^ T([ji(uv, %adapoc SoOXo; (vgl. Meineke zu An-
tiphan. 'A^p. X, vol. III p. 6, der aber ohne Grund bei Dio Chrysost. 48
p. 240 R. das xaöapöi; Z^rrnn "EXXr^va; in xaftapouc verSndert: vgl. Liban.
I 848, 3, xai^apwc 7:6X1;).
1) <1); V) SlßuXXa rfjV [xavxixVjv dr.b KapfidNou dvIXaßev. p. 236, 39, »on
voit ensuite, que la Sibylle apprit de Carman^s Tart de la divination« über-
setzt Chardon de la Röchelte p. 4 3 ganz getrost, ohne mit Einem Worte
anzudeuten, was er sich bei dieser Sibylle, die im fünften Jahrhundert die
Weissagung erst von einem obscuren Karmanes zu erlernen hat, eigentlich
denke. Freilich übersetzt auch Fabricius B. Gr. X p. 723 Harl. : Sibyllam
ait artem vaticinandi a Carmane accepisse. — Von was für einer Sibylle
ist hier überhaupt die Rede? Ich weiss keinen andern Rath, als an jene
— 270 —
{getragen hatte ^]. Er stand auf und traf in Tyrus Mantinias
und Derkyllis gesund und glücklich an^ eben so ihre, von dem
Todesschlaf befreiten Eltern.
Soweit die Erzählung des Dinias. Er Hess dann von der
Derkyllis — die er bei dieser Gelegenheit seinem Landsmanne
Sibylle zu denken , welche bei Plutarch de sera num. vind. 22 (IV p. 4S
Tauchn.) Thespesius in seiner ekstati8chen Vision weissagend singen hört,
worauf dehn der ihn begleitende Dämon ihn belehrt, i^v (poi'Wjv thai Y.i^\i)Xrfi'
aoeiv Ydp aM^v rcpi t&v p.e>A^vTa)V is Ttp rpootOrqi if^; oeXifjVT^c ircpi^po-
(AivT|V. Auf dem Monde trifft also diese Sibylle auch Dinias mit seinen
Genossen an. Denn dass diese wunderliche Darstellung nicht etwa von
Plularch erfunden sei, t>ezeugt sein eigener Bericht, de Pyth. oraic. 9. Dort
gedenkt, an dem Steine, auf welchem die erste von Helicon nach Delphi
gekommene Sibylle gesessen hatte, Serapion t&v indöv iv ot; &(xvt]9cv ivj-
Tt^s — , also ölterer sibyllischer Verse (nur durch Missverständniss der
Plutarchischen Stelle verleitet, iässt Clemens Strom. I p. 858, i% ff. Pott,
dasselbe den Saparlmv h {ttcoiv berichten, oder las er: iv oic Sf&vT]ocv
aM^i*f). In diesen £rT) nun sagte die Sibylle von sich voraus, t&c oM.
d7:odavouaa XifiS« p.avrix'Jic , dXX' aWj jxev dv tiq öeXVjvo repUtot, t6 xqiXo6-
pievoN cpacv^picvov YevopL^vr^ rpöaoiTcov tctX. Es scheint mir mehr als wahr-
scheinlich, dass Antonius Diogenes dieses alten Glaubens sich bediente, um
unter den Raritäten der Mondwelt schliesslich seine Helden auch jene
urälteste Sibylle antreffen zu lassen. Und die sollte vom Karmanes, der
doch bis dahin von solchen Gaben nichts hat verspüren lassen, die Mantik
erlernt haben? Ich glaube, n^v piavTtxi^jv dsika^t ist gesagt wie dvaXaßctv
rdtXiv Tf,v dpXT^^ f '^fi TToXaidc ^6^; (lipo; ti dvaXaßcTv , tov X^^ov dvoXaßclv,
nämlich in der Bedeutung: wieder erlangen, wieder aufnehmen, wieder
anheben. Die Sibylle, vermuthllch aus Mangel an Gelegenheit seit ihrem
Aufenthalt auf dem Monde der Weissagung entwöhnt, hub ihre Kunst der
Mantik wieder bei dem Karmanes an, indem sie ihm eben sein Schicksal
vorausverkündigte. — Anders wüsste ich diesen rflthselhaften Bericht nicht
zu verstehen, el oc Xl^et tu d[XXo>;, TrXaTcta iciXeudo;.
1) Hier ist eines der ältesten Beispiele der später in Märchen so gewöhn-
lichen, durch eine göttliche Macht verliehenen Kraft zaubermächtiger, stet^
und sofort in Erfüllung gehender Wünsche. Von anderer Art ist z. B. die
Sage vom Thcseus, dem Poseidon nicht bei einer bestimmten Gelegenheit^
sondern für eine beliebige spätere Anwendung die Gunst verliehen hatte
pir^oiv {jidTatov £; Tpt; eO^asOai ^ec}>, wie aus dem Hippolytus des Euripides
bekannt ist. Aehnlich dagegen namentlich das ächte Märchen von Philemon
und Baucis: Ovid metam. VIII 704 ff. Aus den Märchen modemer Völker
Hessen sich unzählige Beispiele anhäufen : Sammlungen bei Grimm, Kinderm.
III p. U7 f. (zu N. 87], Benfey Panlschatantra I p. 495 — 499, Oesterley za
Kirchhofs Wendunmuth <, 4 80 (Bd. V p. 45); vgl. auch Liebrecht, Orient
und Occident III 878.
— 271 —
»vorstellte — Tafeln von Cypressenholz herbeibringen, damit auf
lieser Erasinides der Athener, der Begleiter des Kymbas, ein
Eledekünstler, die eben erzählten Abenteuer aufzeichne. Diese
Aufzeichnung solle Kymbas in zwei Exemplaren anfertigen lassen,
fon denen er eines selbst mitnehmen möge, das andere aber
1er Derkyllis hinterlassen solle , damit sie es dem Dinias, nach
seinem Tode, in eine Kiste verschlossen mit in das Grab lege.
Hiermit schloss der eigentliche Roman. Ein hinzugefügter
Brief des Antonius Diogenes an seinen Freund Faustinus redete
von der Sorgfalt, mit welcher jener, aus älteren Erzählern,
seinen Stoff gesammelt habe. Ein Brief aber an Isidora, die
Schwester des Antonius, leitete das Ganze ein. Dieser, als einer
lernbegierigen Frau, war das gelehrte Werk gewidmet. Un-
mittelbar an die Widmung schloss sich, als einleitendes Acten-
stttck, ein Brief des Balagros an seine Frau, die Tochter des
Antipater, Phila mit Namen ^). Balagros erzählt dieser, dass
nach der Einnahme von Tyrus durch Alexander den Grossen,
ein Soldat den König, welchen Hephaestion und Parmenion be-
gleiteten, als zu einer wunderbaren Entdeckung zu einem Orte
ausserhalb der Stadt geführt habe, wo sich unter der Erde eine
Reihe steinerner Särge mit folgenden seltsamen Inschriften fand :
»Lysilla lebte 35 Jahre«, »Mnason, des Mantinias Sohn, lebte
1) Diese Phila, die edle Tochter des Antipater (von der man ein so
schönes Bild aiis Diodors Schilderung, XIX 59 erhält) ist bekannt genug.
Sie wurde (im J. 322) mit Kraterus verheirathet, nach dessen frUhem Tode
mit Demetrius Poliorketes, nach dessen Verdrängung aus Macedonien (287)
sie sich durch Gift tödtete. Von einer Verheirathung mit Balagros (oder
richtiger Ba>.axpo;: s. Dindorf. Steph. Thes. s. v.) liest man freilich nir-
gends etwas, indessen wird sich gegen Droysens Vermuthung (Gesch. d.
Hellen. I 98 Anm. 95) nichts Triftiges einwenden lassen, wonach Phila
schon vor ihrer Vermählung mit Kraterus, mit diesem Balakros vermählt
gewesen wäre. Dieses ist um so eher denkbar, wenn — wie Dr. auch
annimmt — der Bai. des Antonius Diogenes kein Anderer sein sollte, als
Balakros, Sohn des Nicanor, einer der kgl. Leibwächter, den Alexander
lom Satrapen von Ciiicien machte (Arrian. anab. II 42, 2), und der C&vto;
In 'AXe$avopou ermordet wurde (Diodor XVIII 22) , wodurch denn Philas
Hand vor 322 wieder frei wurde. Ich sehe dämm keine Veranlassung, das
Bi>%a7pov des Photius mit C. Müller Pseudocallisth. p. XIX in KpdTepov zu
▼erändern. Ohne rechten Grund hält Fabricius B. gr. X 723 den Balakros
des Antonius für den von Steph. Byz. dreimal citirten macedonischen
Geschichtsschreiber.
— 272 —
von 71 Jahren 66«, »Aristion, des Philokles Tochter, lebte von
52 Jahren 47u, )'Mantinias, des Mnason Sohn, lebte 42 Jahre
und 760 Nachte«, »Derkyllis, des Mnason Tochter, lebte 39
Jahre und 760 Nilchte«, Dinias der Arkader, lebte 125 Jahre«*).
Als die Herren rathlos diese, mit Ausnahme der ersten, durch-
aus unverständlichen Inschriften betrachteten, bemerkten sie
ein an der Wand des Grabgewölbes stehendes kleines Kästchen
von Cypressenholz, auf welchem geschrieben stand : »Fremdling,
wer du auch sein magst, öffne, damit du die Erklärung dessen
findest, worüber du dich verwunderst«. Im Innern des Kastens-
fand man jene Cypressentafeln , auf denen Dinias seine Aben —
teuer hatte verzeichnen lassen. Balagros nun hatte von diesei
Tafeln eine Abschrift nehmen lassen , die er seiner Frau über-
schickt ^j. Als ihr Inhalt folgte alsbald die Erzählung des Dinias. ^.
1) Die Lösung des Räthsels der Inschriften ist freilich , nach voraus-
geschicktem Inhalt des Romans, sehr einfach. (Etwas sinnreicher mit tthn
licher Wendung, eine Grabscbrift bei Dio Cass. LXIX 19, 2: Z((jiiXtc ivraOl»
itciTai, ßiou; fjiev Irr) TtSaa, Ji^aa; Ik £tt) iirtd.) Die Eltern hatten also 5 vo!
Jahre in Todeserstarrung gelegen, Mantinias und Derkyllis nicht wenigi
als 760 Tage und Nächte zwischen Tod und Leben gewechselt. Unbestim
bar bleibt übrigens, wer die vorangestellte Lysilla ist, von der Photius ni
gends ein Wort sagt. 'Aptoricov (PdoxX^ouc p. 237, 38 kann Niemand ande:
als die Mutter der Derkyllis sein sollen. 'Apia-rituv ist aber ein Manne
name! Man schreibe 'ApbTiov, Deminutiv von 'ApiaTc6: solche Deminuti
weiblicher Namen sind zwar zumeist Hetären eigen, es finden sich ab^
auch Bürgerfrauen des Namens Zcasaptov, Ntxctpiov u. s. w. Vgl. Lobec
Prol. Pathol. 75.
2) Irrtbümlich behauptet R. Hercher N. Jahrb. f. Philol. Suppl. I p. 2
die Fiction von ausgegrabenen Tafeln , durch welche man irgend welche
bedenklichen Schriftwerken grösseres Ansehen geben wollte, komme
dem ersten Jahrhundert nach Chr. G. nicht vor. Abgesehen von d
controversen Fall der Genealogien des Akusilaus (Suid. s. 'A%ou9.) giebt
ein sehr berühmtes, von Hercher übersehenes Beispiel dieser Art aus y~
früherer Zeit: nämlich die angeblichen (pythagorisirenden; Religionsbüclm
des König Numa, die man im J. 4 81 vor Chr. auf dem Janiculus ausgriEl'-'
s. Cassius Hemina und Piso bei Plinius n. h. XIII § 84 — 87. Varro b^/
Augustinus C. D. VII 34, Livius XL 29, Plutarch Numa 22 u. s. w. Ver-
muthlich gehörten solche wirklich veranstaltete oder nur vorgegebene AuA-
tindungen vergrabener angeblich alter, in Wahrheit ganz neuer Bücher zo
den Künsten, mit denen die büchersammelnden hellenistischen Könige von
specuiativcn Köpfen betrogen wurden, von deren Erfindsamkeit die Erklärer ■ .^^
zu den aristotelischen Kategorien p. 28 a einige saubere Proben mittheilen
-frs
(vgl. Dio Chrysost. or. XXI p. 505 R.) Die famose Geschichte von dem Keller ■ l^;
— 273 —
Die hier gegebene Uebersieht des Inhaltes dieses ältesten
Romans wird es wohl von selbst rechtfertigen, dass ich den-
selben den ethnographischen Utopien als seinen nächsten Ver-
wandten angeschlossen habe. Offenbar sollte, nach der Absicht
des Verfassers, das Ganze zunächst ein reiches und mannich-
faltiges Repertorium aller jener sonderbaren Sagen und Berichte
sein, mit welchen die Wundersucht der griechischen Erzähler
alle Länder der bekannten Welt überzogen hatte, entweder
nach wirklicher Erkundung, oder auch nur nach den Ein-
gebungen jener urgriechischen »Lust zu fabuliren«, welche
dieses Volk, selbst noch in seiner »aufgeklärten« und gelehrten
Zeit, unwiderstehlich antrieb, jenem Weltgedichte, welches die
Menschheit, von Geschlecht zu Geschlecht weiterspinnend, sich
selbst dichtet, seinerseits die bizarresten Märchen einzuilechten.
An Stoff konnte es einem solchen Unternehmen nicht gebrechen .
Geographen, Historiker, Sammler von Seltsamkeiten (Paradoxo-
graphen) , endlich die Schaar der Erzähler phantastischer Utopien
hatten dem Antonius Diogenes eifrig vorgearbeitet; aus ihren
Schriften mögen die »Zeugnisse älterer Autoren« entnommen
sein , auf die sich Diogenes zur Bestätigung seiner eigenen
Wunderberichte berief, wie er denn auch einem jeden Buche
ein Verzeichniss der in demselben benutzten Schriftsteller vor-
ausschickte ^] . Die Namen dieser Schriftsteller für erlogen zu
halten, sind wir nicht berechtigt 2). Wenn er es nur mit der
Kritik der Ueberiieferung nicht allzu genau nahm, konnte er
ja selbst das Ueberschwänglichste im Bereich des Unglaublichen
bei irgend einem älteren Gewährsmann schon ganz ehrbar vor-
getragen finden. Was sein Werk von denen seiner Vorgänger
wesentlich unterschied, war hauptsächlich wohl nur die kecke
Verschlingung so vieler sonst vereinzelter und versprengter Ab-
sonderlichkeiten zu einem ganzen Netze von » Unglaublichkeiten a.
za Skepsis (Plut. Siill. 26, Strabo XIII p. 608 f.) hat auch einen ganz eigen-
thüailichen Beigeschmack. — Von späteren Beispielen ist wohl das lehr-
reichste dasjenige des aDgebÜchen Dictys (s. die Vorrede des latein. Dictys,
Malalas chron. p. 133, 4 f.; 250, 2 ff. u. s. w.).
1) § U.
2) Ich wüsste wenigstens nicht, wodurch sich diese, von Hercher, N.
Jahrb. für Philol. Suppl. I p. 279 aufgestellte Behauptung rechtfertigen
Hesse. Sicherlich doch nicht durch die harmlose Fiction jenes Briefes des
Balakros.
Rohde, Der griechische Roman. Ig
— 274 —
welches die ganze Well wunderlich schimmernd tiberspannte
und schliesslich gar über die üusserste Thule noch hinausragte,
um im Monde einen allerkecksten Ilaltpunct zu gewinnen , von
welchem aus der Held nur durch einen verwegenen Wunsch
sich sprungweis wieder in die natürliche Welt zurückzuschwin-
gen vermochte. Gewiss gerieth, in der verlockenden Gesell-
schaft seiner »alteren Autoren«, auch Antonius selber in Feuer,
und begann nun auch auf eigene Hand zu fabuliren und auf-
zuschneiden, immer aber mit so feierlicher und biederer Miene,
dass selbst der ernste Porphyrius seine Nachrichten über Pytha-
goras, die doch gleich mit einer frei erfundenen Geschichte von
der Jugend des Astraeus eingeleitet wurden, als »sorgfältige Be-
richte« hinnehmen konnte. Eben jene, von Porphyrius benutz-
ten Berichte über Pythagoras zeigen uns deutlich die eigentfittm-
liche Mischung, zu welcher Antonius wirkliche Angaben älterer
Autoren mit seinen eigenen Erdichtungen zusammenrüttelte.
Wir müssen übrigens, um die richtige Vorstellung von dem
Ganzen zu gewinnen, den, der Absicht des Diogenes nach,
wichtigsten, rein stofflichen und gelehrten Bestandtheil des Ro-
mans in einer viel breiteren Masse durch die, über 24 Bücher
ausgedehnte Erzählung verbreitet denken, als uns der Auszug
des Photius noch erkennen lässt. Dieser giebt uns nämlich im
Wesentlichen nur den Faden, an welchem jene aberteuerliche
Gelehrsamkeit aufgereiht war : die eigentliche Fabel des Romans,
also die eigenste Erfindung des Diogenes selbst. Hier ist es
nun bedeutsam, wie spärlich und fast schüchtern in dieser
Fabel die erotischen Elemente verwandt sind. Kaum,
wir einmal erfahren , dass der weise Dinias in Thule mit Der-
kyllis ein LiebesbUndniss einging, dass Mantinias während de
Nächte, in denen er von dem Zauber des Aegypters befreifl
war, verliebten Abenteuern nachging, dass jener heissbltttiga
Thulite, Thruscanus, ein »feuriger Liebhaber« der Derkyllis*""
gewesen sei, und sie zu rächen den heimtückischen Paapis er-
schlug, bei welchem man übrigens vielleicht ebenfalls erotisch
Motive zu der beharrlichen Verfolgung der Derkyllis
setzen darf. Das bestimmende Motiv des Ganzen war aber d
Liebe nicht, sondern nur ein gelegentliches Reizmittel, welche
1) iparct^^ oidr-jpo; Aepx'jXXlSoc p. 285, 35.
— 275 —
ohne den Verlauf des Ganzen zu beherrschen, nur gelegentlich
die Reihe unerhörter Schauspiele und Wunder mit einem mehr
psychologischen Interesse beleben sollte. Die ganze Art, in
welcher hier die Erotik mit dem fabulosen Stoffe verbunden
ist, macht den Eindruck, als ob diese Verbindung erst eine vor
Kurzem geschlossene, beiden Theilen noch unbequeme sei. Ob
Diogenes gerade der erste war, der durch Zusammenlöthen
seiner beiden Hauptbestandtheile den griechischen Roman ge-
schaffen hat, mag dahingestellt bleiben; zahlreiche Vorgänger
hat er schwerlich gehabt^). Photius scheint ihn geradezu für
den ältesten aller griechischen Romanschreiber zu halten, in-
dessen mag den, auf dem Gebiete dieser Litte raturgattung durch-
aus nicht unkundigen Patriarchen zu dieser Meinung wohl nur
seine freilich ganz verkehrte Versetzung des Diogenes in die
Zeiten kurz nach Alexander dem Grossen verleitet haben. Nicht
mit unrecht aber hält er ihn für ein Vorbild der späteren
Romanschreiber, des Jamblichus, Achilles Tatius und Heliodor^j.
Vermuthlich Hesse sich, wenn das Werk des Antonius Diogenes
vollständig erhalten wäre, ein Zusammenhang dieses älteren mit
den jüngeren Romanen auch in manchen Einzelheiten erkennen.
So viel bemerken wir auch jetzt, dass die ganze Richtung der
späteren Romane in diesem älteren Vorbild schon vorgezeichnet
ist. Hierüber ist in den einleitenden Remerkungen dieses Ca-
pitels hinreichend gesprochen. Es scheint aber, als ob Dioge-
nes nicht nur in der Darstellung eines Liebespaares auf Reisen
1) Nach Photius § 44 erwähnte Antonius eines Antiphanes, der vor
ihm ähnliche Absonderlichkeiten erzählt habe. Man hält diesen Antiph. in
der Regel für den oben berührten Antiphanes von Berga: so Fabricius,
B. Gr. VIII 4 57 Harl., Meineke, Com. I p. 840 u. A. Es scheint mir aber
doch sehr zweifelhaft, ob Diogenes, der ja auf die Glaubwürdigkeit seiner
Berichte so eifrig pocht, gerade diesen verrufensten Lügenerzähler, einen
griechischen Münchhausen, unter seinen Vorgängern habe aufzählen mögen.
Vermuthlich ist ein anderer, uns unbekannter Antiphanes gemeint: denn
von den sonst noch gelegentlich genannten Schriftstellern dieses Namens
(s. Meineke a. a. 0., Paulys Realenc. 1 p. 4152 [S. Aufl.]} passt freilich
auch keiner hierher.
2) § 48: Tfiv Trepl SwovlSo xal *Po5dvY]v [Jamblich], Aeuxliiirijv rt
XQtl KXsiTO^Ävra [Achilles Tatius], xtX XapixXeiav xal Bea^^^jN [Hellodor],
twv Te TTCpi auTou; i:Xaop.dlToiv xal tJj; TrXdvTjc, i^tiyzms ts %a\ dpTtaY^; x«i
xcvi'jvoiv ii AspxuXXlc xoii Ki^jpu)^.o; xat Bpouoxavöc xal Aetvb; ^otxaat irapdi'
18*
— 276 —
und der Gefahren und Abenteuer, welche seine Flucht aus dem
stockenden Leben der civilisirten Welt begleiten, den späteren
Romanschreibern zum Muster gedient habe , sondern auch in
der leichtfertigen Motivining dieses ziellosen Wandems und
Schweifens, und somit in dem ganzen lockern Aufbau der
eigentlichen Geschichte. Vielleicht konnte schon sein Beispiel
die Nachkommenden ermuthigen, auf eine psychologische Be-
grtlndung der Abenteuerfahrt ihrer Helden so leichtmttthig zu
verzichten, wie es thun, dieselben vielmehr durch irgend eine
äusserliche, leicht ersonnene Gewalt ins Weite getrieben worden,
und nun Stürme, Piraten und tausend Zufälligkeiten für be-
liebige Verzögerung der Heimkehr und Länge der Erzählung
sorgen zu lassen.
Nichts drückt wohl den Mangel an psychologischer Kunst
in den griechischen Romanen bedeutsamer aus, als der Name
des leitenden Dämons, der in ihnen dem liebenden Paare so
grausame und wechselnde Schicksale bereitet. Es ist kein an-
derer als die Tyche« die Gottheit des Zufalls: sie herrscht
und schaltet nach Willkür über das arme Paar, das ihre Laune
durch die Welt hetzt. W>nn aber diese Romandichtung sich
vielfach in einer künstlich schwebenden Phantasicwelt bewegt:
— mit diesem Glauben an die Mac^ht eines tückischen Zufalls
steht sie völlig auf dem Boden ihrer Zeit , der letzten Lebens-
zeit des Griechenthums *) . Die Tyche ist eine junge GOttin.
Homer kennt sie noch nicht; von Archilochus bis Aeschvius
tritt sie bei den Dichtern auf als ein Dämon im Dienste höherer
Gottheiten, der Moira ähnlicher als einem willkürlich seine
Gaben verlheilenden Zufall 2). Wie aber der Glanz der Olym-
1; An Lehrs* Aufsatz über die Tyche :Popul. Aufs.) brauche ich our
mit Einem Worte zu erinnern.
2) Pausanias IV SO, 3 findet die erste Erwähnung der T'V/y] bei »Homer«
h. in Cer. 417: schwerlich ist aber die dort, und bei Hesiod Theog. M,
auftretende Okeanine Tyche mit der späteren Glücksgöttin identisch. Diese
wird erwähnt: Archilochus fr. <6; als Tochter des Prometheus, Schwester
der Eunomia und Pcilho, bei Alcman. fr. 62; als Tochter des Zeu; 'EXio-
ftipio;, als eine, und zwar die mächtigste der Moiren, bei Pindar, Ol. XII i ff.
und im Hymnus nuf Tyche, fr. 13 p. 565 Bückh. Ein herrliches Lob der
Tyche in dem Bruchstück eines unbekannten Melikers bei Stobäus ecl. I
6, 13 (s. Bcrgk, Lyr. ed. 3 p. 135i f.). Die Tyche besang auch Sophocies:
8. Bergk, Lyr. p. 576; im Dienste eines Gottes tritt sie auf bei Aeschylus
— 277 —
pier allmählich verbleicht, tritt dieser neue Dämon immer be-
drohlicher leuchtend hervor. Gewann er auch wohl nie eine
fest ausgeprägte greifbare Gestalt, gleich den alten Göttern^),
vermochte er auch nie, gleich diesen, in wichtigen Entschei-
dungen Gedanken und Willensrichtung des Menschen zu be-
stimmen, so fühlte man um so mehr die äusseren Schicksale
des Menschen beherrs^cht von seiner Willktlr, welche alle Pläne
und klugen Veranstaltungen des Sterblichen rücksichtslos über
den Haufen werfen konnte. Zuerst tritt diese neue Herrin der
Menschengeschicke kecklich neben die alten Götter. Schon
dem Thucydides ist sie die eigentliche Lenkerin der Weltge-
schichte ; wie ihre Thätigkeit sich zu dem Machtgebiet der Götter
verhalte, lässt er in vorsichtigem Dunkel 2). Die Redner des
vierten Jahrhunderts sprechen wohl nur den Volksglauben aus,
wenn sie die Tyche die Herrin aller menschlichen Dinge nen-
ilgam. 664: s. Nägelsbach, Nachhom. Theol. p. 453. Vgl. übrigens nament-
lich Welcker, Gr. Götterl. II 799 ff. — (Wie man sich es zu denken habe,
dass eine solche Göttin des Zufalls dennoch unter der Leitung eines weise
regierenden Gottes handle, der Moira sich füge [o'j fdp r,pb fiolpa; ii rj/r^
^idCerai Trag. ine. 424 p. 718 N.], ihre Gaben gerecht austheile [tj-v^tio'jo
-^piöv hceCoTip T^v xax' d$(av T6yT) | fieplSa ibid. 425], mag man mit Hülfe
einer halb antiken Vorstellung Dante 's sich vergegenwärtigen. Auch er
kennt eine, von Gott zur Verwaltung und unaufhörlichen Bewegung der
menschlichen Dinge eingesetzte Göttin Fortuna, welche auf eigene Hand,
und doch als Gotles general ministra e duce, für stete Veränderung der
irdischen GlücksverhäUnisse sorgt, oltre la difension de' senni umani, nach
eigenem Rathschluss, ched b occnito com' in erba l'angue; gegen Anklagen
der Menschen taub, dreht sie ihr Rad, e beala si gode. S. Inferno c. VII
Vs. 70 — 96. Vgl. Jac. Burckhardt, Die Cultur der Renaissance in Italien
p. 402).
1) Merkwürdig Menander fr. ine. XLIII {IV 247) : dö6vaTov, w; dsTiv ti
«(b|«.a Tfj« T6yr^; xtX.
2) Ueber rjyt) bei Thucydides s. Classen, Thucyd. I p. LIX, LX (2. Aufl.j:
dass aber Thucydides die Tuyrj sich »nicht als eine blind zufällige, sondern
als eine nach einer höheren Ordnung waltende Macht« denke, (wie Gl.
meint), ist wenigstens nirgends ausgesprochen. Wenn er öfter tu^t] und
ftAit-fi einander entgegensetzt (s. Gl.), so scheint damit doch eher eine
Meinung von der T6)rrj angedeutet zu sein , wie sie in der 64. Rede des
s. g. Dio Chrysostomus (p. 328 R.) als die allgemeine ausgesprochen wird :
-rdc dSVjXou« t&v rpaYfiaTtov fuxaßoXdc elc Taunjv dlva^^pouai, xal oi; dizo
Yvc^fAT^c irr/^cipTjaaNTc; Btfj(jiapTov, To6Ta>v dlcpiQpf)9dai vo(jiiCo'jaiv 0::6 vrfi vjyri^,
^; rivta TcepiTToieTv, ei deXtjoai, o'jvafxdvt);. (Vgl. Plautus, Pseud. 678 ff.).
— 278 —
neu ^] . Als dünn aber das jjiesaminte helienische Staatengebäude
zusaininenbrach , nach den ungeheuren Erfolgen des niacedoni-
schen Eroberers die Lage der ganzen Well wie tlber Nacht sich
umgestaltete, dann weiter in den wilden Kämpfen der Diadochen
und Epigonen Sieg und Niederlage, Gewinn grosser Reiche und
tiefste DemUthigung ^so plötzlich mil einander wechselten , wie
im Gewitter grelles Blitzleuchten mit unheimlicher Finsterniss,
als auch die Verhältnisse der Einzelnen in unsicheres Schwan-
ken geriethen : — da meinte man in dem wüsten Durcheinander
nur noch das grausame und launische Spiel eines, menschlicher
Vernunft untheilhaftigen, gegen die Satzungen des Rechts gleich-
gültigen Dämons des willkürlichen Zufalls zu erkennen. Ein
«luserwähltes Spielzeug der Tyche schien andern und sich* selbst
der unruhige Demetrius Poliorketes zu sein^j. Aber wie viele
Beispiele bot jene Zeit dar für ein Werk »Ueber die Tychea,
wie es Demetrius der Phalereer schrieb, um das Spiel der »un-
zuverlässigen und Alles gegen unsere vernünftige Erwartung
umändernden, in unerwarteten Streichen ihre Macht prahlend
darthuenden « Göttin zu illustriren'j. Wie lebhaft die allge-
1) Demosth. Olynth. II § ü: fUfdXT] f>on^ {aoXXov Ik oXov i^ tu^t^ mfA
Tzd^iZ dati TÄ Ttb'i dvdpttntov r.^jdfit.n'zoL. Aeschiu. f. leg. § 13< : — did tiiv
rj/T^v, T^ rdlvTffiN irzl x'jp(a. Diese und viele andere Stellen bei Nägelslwcb,
Nachhom. Theo!, p. 154 fT. Sogar Plato stellt einmal (Leg. IV 709 AB), ab
einen nicht durchaus zu verwerfenden Gedanken, die Meinung auf, t^oc
eivat oyeSov aravca xd dlvftp<{)7:tva Ttp^Yfxara, freilich um alsbald verbessernd
zu sn^cn, Gott, xal ficTa ^eoü ':6/t] xal xatp«S;, endlich t^/vt), leiteten die
menschlichen Dingo.
2) S. Plutarch. Demctr. 85: d)X t) T(iyr^ rcpl oOoiva twv ßaotX^v loftfv
oGtw Tpond; Xa3eTv [kz^dkii xai taysia; xtX. Ai6 xat ^aotv a'Mv ht wi;
ye(pooi jUTafloXaic rp6c Tfjv T6yT^v dvacpH^YT^'^^* "^ Alay6)veiov * o6 to( |tf
cp'jod;, c6 [xe xaTa(Oeiv (xaTa'joveTv , xara^^^teiN hat man vorgeschlagen. Eio
Fut. ist wohl nöthig. xaTaixiclv?) ooxsi;. — Aus etwas früherer Zelt di«
sehr merkwürdige Anekdote von der Tyche des Timotheus, Sohnes d«
konon, bei Plutarch Sulla 6. (Entnommen vielleicht einer Schrift tc. tu}^:
dieselbe Anekdote auch bei Pscudodion or. LXIV [irepl 76/7;;] p. SS7 R-
In derselben Rede , p. 338 , wird übrigens die Unbeständigkeit der Tyche
namentlich auch an den Schicksalen der Diadochen illustrirt, auch des De-
metrius Poliorketes nicht vergessen).
3) Demetrius Phal. rrcpi T6/7j;: s. Fr. bist. gr. II p. 868. Aus der-
selben Schrift vielleicht die Bemerkung des Demetrius Phal. über das nicbt
einmal einen Tag, sondern keinen Augenblick lang sichere Glück des Men-
schen, bei Plutarch consol. ad Apoll. 6. Vielleicht auch der Ausspruch
— 279 —
meine Volksansichl von der Macht der Tyche überzeugt war,
lässt namentlich die Komödie jener Zeiten erkennen^). Immer
wieder reden ihre Dichter von der Gewalt der Tyche, der blin-
des Demetrius bei Laertius Diog. V 82 : ou (xövov töv IIXoOtov IcpT) pjcpXöv,
d>Ad 'All T^jV Ä^TjYouaav aOiiv Tuyr^v. — Dem. hatte die ungeheuren Schick-
salsveränderungen des macedonischen und persischen Reiches, weiche seine
Zeitgenossen selbst erlebt hatten, als deutlichstes Beispiel der Macht der
Tyche angeführt. Dergleichen historische Beispiele auch bei Aelian V. H.
IV 8. — Charakteristisch ist auch der Ausspruch des Theophrast bei
Platarch cons. ad Apoll. 6 : ^oxono; -q Tu}^7) xal ^eiv^ 7capeXdo0at Ta ;:po7:e-
ÄOVTjfiiva, xal firraf^iij^ai r^v ooxoüoav cuT^fAeplav, o6dlva xaip^v lyo'joa Taxtöv.
(Vielleicht aus dem Ka)Aiad£v7)« des Theophr. : vgl. Cic. Tuscul. V 9, 25). —
Aehnliche Erlebnisse Hessen die Römer seit Ausgang der Republik an eine
nngemessene Gewalt der Fortuna (»ludum insolentem ludere pertinax for-
tuna — « Hör.) glauben; worauf hier nicht einzugehen ist (vgl. indessen
Plinius n. h. II 7, 22; s. DöUinger, Heidenthum und Judenthum p. 301.
Eine wahrhaft grässliche Vorstellung von dieser Fortuna zeigt das Gespröch •
zwischen ihr und dem blutgierigen Höllengott bei Pctron, c. de hello civili
67 — 421). — Aus älterer Zeit auch noch die Apostrophe des Rhetors Myron
an die Tyche, bei Rutilius Lupus II i p. 75 ed. Ruhnk.
1) Eine vollständige Uebersicht über zoyt] in der Komoedie (ausser
Aristopbanes) in H. Jacobis Index dictionis comicae p. 1081 f. Zur Be-
kräftigung der oben angedeuteten Vorstellungen hier nur einige der prae-
gnantesten Aeusserungen. Blindheit der T. : Menander (IV 195) xutpXöv fe
xal WoTTjvöv (»unselig«) ioriv i^ T6xt). Herrin der Welt: vor Allem
Menander IV 212 f. Vernunftlos: Menander (IV 288, CCXLVII) : oOoev xaTd
XÖ70V ^tYved' wv TioieT Tü/t]. T'j)^7]c avoia ders. IV 291, CCLXV. Lust am
Wechsel: Menander (IV 151, VIII) (uc itotxlXov TrpaYp.' doxl xal rXavov xiiyT],
(IV 252, LXIII) : m fjteraßoXaic /alpouoa zavroCau Tuj^t), IV 96, I. Philemon
IV 31 , Anaxandridas III 162: vr/t] oe zdivra p.eTa(p£pei xd 0(6p.aTa u. s. w.
Com. anon. IV 692, CCCLV. A; wpaiCe^' "^ ^6/7] 7:p6« toi»; ßiou; Menander
fr. ine. 291 (IV 295). Herrschaft über die Menschen: statt vieler nur den
einen berühmten Ausspruch : vr/ri xd Ovtjt&v TrpdYixat oOx eußouX(a des
Tragikers Chaeremon, bei Stobaeus ecl. I 6, 7 : der Spruch wird sehr häufig
citirt (vgl. Nauck Trag, fragm. p. 607), der Komiker Nicostratus (III 285, II)
giebt ihm eine noch herbere Fassung: tü^t) xd dvY}T&v TTpa^ixad', i] rpövoia
li I TutpXöv Ti xdouvraxTÖv doriv, d) TtdTep. Dieser, in mancher Beziehung zur
Komoedie hinüberneigende Tragiker Chaeremon redet auch sonst von der
Tyche ganz in dem Sinne der Komiker: s. Stob. ecl. I 6, 15; I 7, 2. Von
ihm vielleicht auch Stob. ecl. 16, 16: TcdvTojv pjpawo« t) T6y7] 'ori t&v
08ÄV xxX. (Stärker noch Pseudodio or. LXIV § 2 : «iiNÖfjLaoxai i\ Tj/tj ttoXXoT;
Ttoiv ^ dvOpcuTcoic ovöfxaaiv: nichts anderes als die Tyche sei was man nenne
Nemesis, Elpis, Moira, Themis, Demeter, Pan, Leukothea, die Dioskuren, ja
[nach § 9] wohl gar Zeus.) Tyche = Zufall: Philemon (IV 51, XLVIII) :
— 280 —
den unseligen Herrin der Welt, deren vernunftlose, nur am
ruhelosen Wechsel sieh erlustigende Willkür nicht nur über die
Menschen, sondern selbst tlber die Götter herrscht. So von der
Oberleitung der (Jötter losgebunden, ist diese Tyche nichts an-
deres als der Dämon des grundlosen Zufalls, die auch wohl
dem Schlafenden ihre Gaben in den Schooss schüttet^}, um sie
eben so beliebig ihm wieder zu rauben, deren Gewalt sich aber
eben darum der Einsichtige ohne fruchtloses Widerstreben fügt,
»nach dem Glücke lebend «^j.
Spricht sich in so trostlosen Vorstellungen die matte und
gedämpfte Empfindungsweise jener Zeiten aus, so ist es nicht f
zu verwundern, dass dieselben im weiteren Verlauf der griechi-
schen Geschichte sich noch mehr befestigten, dass selbst aus den
letzten Zeiten des Griechenthums , als längst ein ängstlicher
Götterglaube die Freigeisterei der hellenistischen Periode ver-
drängt hatte, dennoch uns immer wieder ähnliche Klagen über
die weltlenkende und vewirrende Macht der launischen vemunfl-
losen Zufallsgöttin entgegentönen 3) . Am Lautesten reden aber
1) Verse der neuen Komocdie auf einem Ttifelchen in Newyork (s. Wel-
cker, Rhein. Mus. XV 457): tji |ii^ o^^oaxev i^ T6)^r^ xottM»|iivq) (idkip
^pafuixat xav urEp Adha^ ^F^H^Tr (Anders freilich Platen in einem schönen
Sonette, welches schliesst: — das Glück, wenn es nun kommt, ertragen,
Ist keines Menschen, wäre Gottes Sache. Auch kommt es nie, wir wetten
nur und wagen, Allein dem Schläfer f^lU es nicht vom Dache, Und auch
der Renner wird es nicht erjagen.)
2) Ztt)[jLeN TTpö; a'jT^jV zi^^ -zdyyi^ ol 0(ucppo*^e; Menander monost. 4 89 {IV 845).
3) Unter den Reden des Dio Chrysostomus stehen drei Declama-
tionen über die Tyche, Or. 63, 64, 65, von denen 63 und 64, die Macht
der T^xhe ausmalend, jedenfalls dem Dio nicht angehören, 65, die Vor-
würfe gegen die Tyche abweisend, nur ein Mosaik aus einzelnen, denselben
Gedanken immer wiederholenden Stellen ist, in dem wohl Einzelnes dem
Dio angehören mag. Plutarchs kleine Abhandlung repi t6-^t](, die ge-
wöhnliche Meinung: rjyr^ xd ^w]Td>*^ TpeCffiLaT oOx e'jßov»X(a abweisend,
bestätigt doch eben die allgemeine Verbreitung dieser Meinung. Aus noch
späterer Zeit z. B. Philostr. V. Soph. p. 56, 22 (ed. Kayscr 4871) 59, 4«
(TjyT); — 'X'jßepv(6oT]; Sravra) 62, 25. 98, 23. 124, 4 IT. 27. Eunapius Vit.
Sophist, p. 21 Boiss. : t^jv a)vOYOv T6yT,N, p. 25: rffi el; aravta veoteptCoOori;
T6/t)c. — Vgl. auch Libanius I p. 159, 4: ^eöv xe Ipifov xat, utp' tqtä irdEvrOr
T6/T);. Ueber die T6yT], als die xpaToüsa TavxayoO xai ßiaCo|jiyr| ^tew
^rep a^^ i^&s-^ Td rpd^fjLaTa, namentlich auch Julian epist. ad Themistinm
(vol. I p. 331 ff. Hertl.). — Bei Dichtern kommt die Tyche selten vor. Vgl.
indessen Nonnus Dionys. XVI 220, Palladas (5. Jahrb.), anthol. Palat. IX
— 281 —
vielleicht die Romane dieser späten Zeit. Im trüben Spiegel
lassen sie uns gleichwohl mit unerfreulicher Deutlichkeit er-
kennen, wie jenen Zeiten das Gesammtbild des menschlichen
Daseins erschien. Durch Länder und über Meere treibt die
»neidische Tyche«, wie sie immer genannt wird^), ihre Helden
vom Glück in das Elend und immer neue Noth; meint man
endlich, nun sei des Unglücks Gipfel überstiegen, so schleudert
ein Zufall, eine neue Laune des Dämons die Armen wieder zu-
rück. So treibt sie ein zwecklos grausames Spiel 2) mit dem,
zur Bewährung und Uebung ihrer Macht ^j auserkorenen Men-
schenpaare, ein Spiel, dem keine menschliche Ueberlegung und
Vernunft ein Hindemiss bereiten kann. Dieser grundlosen, und
doch boshaften Zufallsmacht theilen, mit vielleicht einziger Aus-
nahme des Xenophon von Ephesus^), alle griechischen Roman-
schriftsteller eine wichtige Rolle in der Verwicklung ihres
»Drama« ^) zu; selbst die Byzantiner, Eustathius, Nicetas Euge-
nianus, Gonstantin Manasse, verschmähen es nicht, diesem,
freilich wohl noch, mit merkwürdiger Zähigkeit, in dem
Volksbewustsein selbst ihrer Zeiten lebendig gebliebenen ß) Dä-
480—483. Nicht wesentlich verschieden von der Tyche ist des Quintus
von Smyrna selbst den Göttern überlegene Moipa oder Aloa [s. Köchly,
Quint. p. V— VII).
1) Der Neid der Götter, an den die Alten geglaubt hatten, ist voll-
ständig auf die Tyche übergegangen. So heisst es z. B. bei Plutarch,
consol. ad Apoll. 6: als dem König Philipp von Macedonien drei Glücks-
botschaften auf einmal überbracht wurden, sagte er: ocB ^aifiov, (Acxpiöv ti
to6toic divTi^c iXaTTajfjLaff , elocb; oxi toi; p.eYa).ot; z\)Vjyi\ii.a9i cp^ovetv rdcpuxev
2) T.ai^ixm TrdXiv tj T(iyr^. Ach. Tat. IV 9, 7.
3) Tfj; T6/7); ^Ufxvdlaiov Ach. Tat. V J, 3.
4) Wiewohl auch bei Xenophon von der tü/tj (auch dem xvzt/tas 5a(-
(tiDv) die Rede ist: p. 849, 4 9 (ed. Hercher) u ö.
5) Dieser Vergleich mit einem Drama z. B. bei Heliodor, Aethiop. VII 6
p. 4 85, 48 ff. : — t^te Stj z«»; etre ti oaifiöviov, etTe tu/t] tu Tdlv^pöbreia ßpa-
ße6ouaa xaivöv dzeio(Soiov ine'^a'^tboei toi; SpoifA^vot; , waTrep ei; dlvT-
a7(6vtop.a SpdijjiaTo; dlpx'^i'' ÄXXou rapeucplpo'jaa , xal t6v KaXdiatpiv ei;
i^|A^pav 'xol c&pav dxelvTjv wairep i% fjLTjyavtj; icptortjaiv. Zugleich ein
merkwürdiges Beispiel für die bequeme VerNvendung des reinen Zufalls, die
hier ganz harmlos ausdrücklich eingestanden wird. (Vergleichung des Lebens
unter Leitung der Tyche mit einem grossen Maskenzuge bei Lucian, Necyom. 4 6) .
6) Noch heule glauben die Neugriechen an die Tyche: s. B. Schmidt,
D. Volksleben d. Neugr. I p. 224.
— 282 —
inon die Verantwortung für die abenteuerlichen Sprünge ihrer
Krfindungskraft aufzubürden *; . Man bemerkt aber leicht, wie
sehr ein solches völlig irrationales Element, in lebhaft bestim-
mende Thatigkeit gesetzt, dazu beitragen musste, den Dichtem
die tiefere psychologische Begründung ihrer Erzählungen zu er-
leichtern, ja ganz zu ersparen.
Welche Macht gerade Antonius Diogenes der Tyche einge-
räumt habe, ist aus dem Berichte des Photius nicht zu erken-
nen. Es' kann sein , dass ich diesem Schriftsteller einiges Un-
recht gethan habe , indem ich eine vorausgreifende Bemerkung
über diese, für die Mehrzahl der griechischen Romane so wich-
tige dämonische Gewalt gerade an die Betrachtung seiner Dich-
tung angeknüpft habe^]. Wenigstens aber würde selbst mit
einer sehr lebhaften und regellosen ThUtigkeit der Tyche in
seinem Roman ein anderes Mittel sich ganz wohl vertragen,
durch welches der Dichter seiner stockenden Handlung eine er-
neute Bewegung zu geben gewusst hat, die er aus inneren,
psychologischen Motiven ihr zu verleihen nicht vermochte. Als
seine Helden nach dem Getenlande verschlagen sind, und für
weitere Veranlassung zum Umherirren Rath geschaflft werden
muss, hilft sich Antonius Diogenes ganz einfach damit, dass er
durch ein Orakel ihnen eine neue Irrfahrt geradezu vorschrei-
ben lasst. Spürt man an diesem absonderlichen Auskunfls-
mittel zunächst den glaubigen Pythagoreer '% so darf man docb
1) Tyche bei Eustath. am. Hysm. p. 247, 45 Herch.; vgl. p. 256, i^ '^
bei Nicetas Eug. sehr häufig, mit den Beinamen: tu^tt^ ßaoxavo;, dlYpi^-*
d^^iaiyo'JOOLj TraXafjLvala, iXaorwp, TrovTjpa, ouojjicv/);: I 5J. 299. 801. 306. 84 •-
319. II 46. III 250. V 276. VI 87. VII 205 ff. (wo ihr ausdrücklich entgege um-
gesetzt wird r^ deoü Trpövoia tou aojxTjpiou) VIII 174 f., 289. 818. IX *^
235 f. (Odövo; VIII 65; oalficnv aXaTump IX 38). In den Excerpten 0> «^
dem Roman des Const. Manasse, vgl. 111 1 IT. 15. IX 3 (IX 87 ff.). — I>»'
Aussagen der älteren Romanschreiber (Jamblich, Hcliodor u. s. w.) ü.l>^
die Tyche werden bei der Betrachtung ihrer Romane gelegentlich berü>t* **
werden.
2) Die Pythagoreer, obwohl sicherlich nicht in den Chor der, <i**
Willkür der Tyche Anklagenden einstimmend, scheinen doch eine gewi*^^
grundlose drj/ia und xuyVj einzelner Menschen nicht ganz geleugnet ^^
haben : s. Aristo&enus (hier, wie in seinen Oy^aYopixat aro;pda€tc überhaupt
nur von den späteren Pythagoreern der älteren Schule redend) bei Sto-
bäus eclog. 16, 18. Vgl. auch den s. g. Eurysus ::. Tj/ac ib. 19.
3) Die gläubige Hinneigung der Pythagoreer, alten und neuen Suis,
— 283 —
nicht vergessen, dass etwa seit, dem Beginne des römischen
Kaiserreiches der Glaube an die Allwissenheit der Orakeldämo-
nen , nach einer langen Zeit der Ungläubigkeit , mit anderer
Deisidaemonie sich durch das ganze Reich, und nicht am
Wenigsten unter den Unterthanen griechischer Zunge, aufs
Neue ausbreitete; und bis zum endlichen Zusammensturz der
alten Religion die Gemtlther beherrschte. Freilich befragte man,
in der matten Zeit, die alten HeiligthUmcr und die zahlreichen
neu emporschiessenden Stätten der Weissagung, nach Plutarchs
Klage, nicht mehr um wichtige Angelegenheiten des Staats und
Rechtes, sondern um die alltäglichsten Dinge, um Erwerb und
Geldverdienst, um Ankauf von Sklaven und Bestellung der
Felder, um Heilung von Krankheiten und die Opportunität einer
Eheschliessung. Um so mehr griff die Orakelweisheit lehrend
und leitend in das Innere des täglichen Lebens und Verkehrs
ein : und man versteht nun leichter, wie die Romandichter, den
Antonius Diogenes an der Spitze ; ohne den Schein der Absur-
dität befürchten zu müssen, um die Schicksale ihres Paares die
Götter selbst sich bekümmern, und ihren Irrgang durch »ge-
heiranissvoH offenbare« Orakelsprüche bestimmen lassen moch-
ten. Durch solch einen lenkenden Götterspruch konnte sogar
der ganzen Erzählung eine höhere Weihe, ja eine fast religiöse
Würde gegeben werden. In diesem Sinne verwendet Heliodor
das Orakel des pythischen Gottes. Anderen wie dem Xenophon
von Ephesus und dem Achilles Tatius diente das Orakel mehr
zum bequemen Hebel in der Romanmaschinerie ; die Byzantiner
^Eustathius, Theodorus Prodromus) bedienten sich seiner ganz
gedankenlos als einer einmal hergebrachten Verzierung.
Wie übrigens die planmässige Leitung durch einen, die
Zukunft vorherschauenden Gott sich mit dem unberechenbaren
Treiben der Tyche vertrage, deuten uns diese Dichter nirgends
an. Es scheint aber, dass sich, ihrer Vorstellung nach, beide
Mächte ganz einträchtiglich neben einander bewegen. Denn
nach allen Stürmen, nach allem grimmigen Wüthen der »neidi-
schen Tyche« klärt sich am Ende immer der Himmel wieder
auf, und wohlbehalten trägt ein günstiger Wind die bedrängte
zur Mantik jeder Art (ausser der Eingeweideschau) ist bekannt: die Zeug-
nisse bei Zeller, Philos. d. Gr. I 394, III %, 4 28.
— 284 —
Tugend in den ersehnten Hafen der Glückseligkeit. Dieser
glückliche Ausgang, welcher das Laster bestraft, die Tugend
angemessen belohnt , gehört ganz wesentlich zur Charakteristik
des griechischen. Romans. So wenig wie irgend einer seiner
Nachfolger entbindet sich Antonius Diogenes von der Regel einer
wohlgefälligen Auflösung aller kaum ernstlich gemeinten Disso-
nanzen. Ja, Photius hebt mit besonderem Lobe hervor, dass
aus den wunderlichen Phantasien des Antonius » zwei sehr nütz-
liche Erkenntnisse zu erbeuten« seien, die nämlich, dass der
Frevler am Ende st^ts bestraft, die Unschuldigen, mögen sie
auch den grössten Gefahren preisgegeben erscheinen, wider
Erwarten zuletzt immer gerettet würden i). Diese moralische
Vergeltung findet er besonders an dem Schicksal des Keryllus
und des Paapis verdeutlicht 2) .
Hier hätten wir denn also jene »poetische Gerechtigkeit«,
die manche Aesthetiker sogar dem Homer, Sophokles und Sha-
kespeare andemonstrirt haben , in ihrer ganzen Herrlichkeit
vor uns. Es mag sein, dass dieses flache Princip gerecht
genannt werden darf: poetisch ist es sicherlich nicht, schon
darum, weil es so gänzlich unwirklich ist. Die Geschicke der
Menschen verlaufen nicht nach diesem Princip: thäten sie es,
wozu bedürfte es der stets erneuten Versuche, durch eine re-
ligiöse Ausdeutung und Anleitung einen causalen Zusammen-
hang zwischen Tugend und Glück herzustellen, den ein Unbe-
lehrter in dieser Welt zu finden nicht im Stande ist, und den
auch der Gläubige zuletzt nur in einer ewig »jenseits» gelege-
nen Welt der reinsten Gerechtigkeit zu finden vermag. Von
seltenen Fällen al>gesehen, in denen er sich geradezu in den
Dienst einer Religion stellt, wird der ächte Dichter der Religion
überlassen, dieses ihr wichtigstes Problem in ihrer Weise zu
lösen. F> selbst geht andere Wege. Gewiss wird er es nicht
verschmähen, auch freundlichere Geschicke friedlich auf ebenem
Strom dahingleitender Menschen darzustellen. F> allein aber
darf es auch wagen, im Drama oder Romane wahrhaft tragische
Schicksale edler Menschen darzustellen, ohne uns doch mit dem
Fiindruck einer schneidenden Rrutalität zu entlassen , wie sie
ij §. u.
2, p. 234, 34 ff., p. 235, 87. Vgl. auch p. 235, 21 ff.
. — 285 —
eine blosse Abschrift des Lebens und seiner harten Ungerech-
tigkeit uns erregen würde. Er wird seinen Helden, der im
Anfang, gleich jedem naiven Menschen, nach Glück auszog,
durch Leiden zu der Einsicht führen, dass er das Ziel falsch
gewählt habe, und am Ende ihn zwar nicht in die behaglichen
Gefilde der Glückseligkeit aber über alles Verlangen nach
Glück empor führen. Es liegt ein eigener Trost in der Er-
kenntniss dass wir nicht zum Glück geboren sind; der tragische
Dichter lässt uns diesen Trost empfinden. Ist sein Held wesent-
lich passiver Natur, so sinkt, nach übergrossen Qualen des Tages,
dem Leidenden doch endlich die Nacht hernieder; wer empfin-
det nicht, am Ausgang der »Wahlverwandtschaften« in dem,
statt aller Glückshoffnungen nahenden Lebensende etwas von
dem »Paian Tod«, von dem die alten Tragiker reden? Der heroi-
sche Charakter aber, wenn er auch, in den Wirbel einer feind-
lichen Welt geworfen, von seinem Ziele abgetrieben, an seinem
Glück, der höchsten Energie des Handelns, gehindert, in bittere
Leiden verstrickt wird, wird von dem Dichter, eben durch seine
Leiden, zu einer Höhe empor geführt, auf welcher er, über
allem Glückverlangen erhaben, ein ganz anderes Ziel sich vor-
gestellt sieht, und sich selber getreu zu bleiben als sein oberstes
Lebensgesetz erkennt, an dessen Erfüllung er Alles setzt.
Zu dieser Höhe tragt uns indessen nur der starke Flügel-
schlag des Genius empor; schwächere Dichter thuen vielleicht
ganz recht, wenn sie, der oben erwähnten Brutalität auswei-
chend, ihre Dichtungen nach dem Princip der s. g. poetischen
Gerechtigkeit anlegen, welches nichts anderes ist als eine Sanc-
tionirung jenes Glaubens an die causale Verknüpfung zweier so
völlig geschiedener Dinge wie sittliche Güte und irdisches Glück
sind. In voller Unschuld lebt dieses höchst unwirkliche Princip
freilich nur im Märchen, welchem (ganz im Unterschied vom
Mythus) dieser kindliche Optimismus wesentlich und überall
eigen ist; wer, wie die meisten griechischen Romandichter, so
viel von der ungerechten Willkür der weltregierenden Tyche
zu reden weiss, der kann jene Märchenmoral vom endlichen
Glück des Guten nur wie einen erborgten Mantel der Missge-
stalt des wirklichen Weltwesens überhängen: er zerstört nur
bei dem Leser jede ernstliche Wirkung der Leiden und Ge-
fahren, in denen er seine Helden umtreibt, ohne doch die lieb-
— 286 —
liehe, so kindlich holdselige Naivetät des Hehlen Märchens irgend-
wie zu erreichen. Es sei übrigens unverhohlen, dass in einigen
dieser Romane , und vielleicht nicht am Wenigsten bei Antonius
Diogenes, ein religiöser Glaube, der alle Leiden nur als eine
wohl bedachte Pitlfung durch eine weise Gottheit darzustellen
sich bemüht, den gemüthlichen Ausgang etwas weniger fade
erscheinen lässl. Nur erwarten wir wohl nicht mit Unrecht,
bei dem Uebertritt aus dem Epos in den Roman auch die
mythische Welt mit ihren patriarchalischen Göttern hinter
uns gelassen zu haben. —
Ist nun in den bis hierher betrachteten Gharakterzügen
Antonius Diogenes uns durchaus als ein alterer Bruder der,
durch unverkennbare Familienähnlichkeit sich ihm anschliessen-
den griechischen Romane späterer Zeit erschienen, so zeigt sich
ein fundamentaler Unterschied zwischen ihm und allen späteren
Romanschreibem , sobald wir das Verhältniss des Inhalts zur
Form der Dichtung in Betrachtung ziehen. Bei Diogenes ist
das stoffliche Interesse im entschiedensten Uebergewicht über
die Sorge für eine kunstreiche und anziehende Darstellung.
Man könnte dies schon aus dem gänzlichen Stillschweigen des
Photius über die stilistischen Verdienste des Antonius schliessen;
wäre hierüber etwas zu sagen gewesen, so hätte der kundige
Patriarch hier so wenig wie bei den übrigen, von ihm in seiner
» Bibliothek tt besprochenen Autoren eine Bemerkung zu machen
unterlassen. Deutlicher reden die Auszüge bei Porphyrius : sie^
bewegen sich durchaus in jener bequemen, völlig schmuckloseik^
Gelehrt«nsprache , wie sie das Zeitalter der alexandrinische
Polymathie zur einfachsten Darlegung ihres stofflichen Wi
sich zurecht gemacht hatte. Wir hören auch in dem Bericht
des Photius nichts von pathetischen Reden , gezierten Beschrei —
buneen von Kunstwerken und Raritäten, landschaftlichen Schii —
derungen, gedrechselten Briefen der Romanhelden: nichts vo^
all jenen rhetorischen Prunkstücken der späteren Romanschrei. -
ber. Es ist kein Zweifel: Diogenes ordnete die redneriscl^^
Form dem stofflichen Inhalte seiner Erzählung völlig unter. Dm«
übrigen Romanschreiber stallen die Sorgfalt für die Form dex"-
jenigen für einen bedeutenden Inhalt zum mindesten gleieim :
ja, sie benutzen die Fabel ihres Romans wohl gar nur als ein^
Gelegenheit, ihre formale Gewandtheit zu entwickeln. Schon
— 287 —
der zeitlich dem Diogenes am Nächsten stehende Roroanschrei-
ber, Jamblichus, trennt sich in dieser Beziehung von Antonius
Diogenes. In der Zeit zwischen diesem und jenem hatte eine
neue Macht bestimmenden Einfluss auf die Entwicklung des
griechischen Romans gewonnen: die sophistische Redekunst.
in.
Die griechische Sophistik der Kaiserzeit
1.
Die attische Beredtsamkeit hatte zur Zeit der äussersten
Bedrängniss des Staates durch König Philipp ihre kühnste und
lauterste Flamme emporlodern lassen. Mit der Freiheit zugleich
sank, ermüdet, auch sie zusammen. Der grossen Staatsberedt-
samkeit im Sinne des Demosthenes fehlte fortan ein würdiger
Gegenstand, an welchem sie ihre Kraft und Kunst bewähren
konnte. Die gerichtliche Beredtsamkeit starb wohl sieher nicht
ab; aber sie lebte, so scheint es, ohne Glanz in der Stille wei-
ter. Die künstlichere Beredtsamkeit zog sich nunmehr in die
Schulen zurück; sie verwandelte sich theils in ein nur theo-
retisches Wissen um die Kunst der Bede, theils übte sie ihr
altes Kunstvermögen in rednerischen Scheinkämpfen und Tur-
nieren, oder in prüchtif^en Fest- und Prunkreden. Auch diese
Kunst der nur noch wohlgercilligen Bede wanderte aber von
Athen aus nach den volkreichen, in leidlichem Frieden blühen-
ten Städten des griechischen Kleinasiens. Dort scheint sie ein
wenig beachtetes Dasein im Schatten der Schulsäle weilerge-
führt zu haben. Wir wüssten kaum irgend etwas von diesem
Dasein, wenn sie nicht doch, diese schwächere und weichlichere
Tochter der alten glorreichen attischen Bedekunst, die Lehrerin
der Bömer und so die Mittlerin geworden wäre, durch deren
Verdienst eine Ahnung wenigstens von der kunstmässigen Ent^
Wicklung des edelsten menschlichen Organs durch alle Barbarei
der mittleren Zeiten sich bis in die neuere Culturperiode er-
halten konnte. Vornehmlich aus römischen Berichten erfahren
wir denn, dass in aller Verborgenheit die asiatische Beredtsam-
— 289 —
keit ein regsames Leben entfaltete, in welchem wohl mancherlei
Richtungen sich kreuzen und bekämpfen mochten. Ausser einer
strengeren und ntlchterneren Uebung der Kunst, wie sie vor-
nehmlich auf Rhodus sich erhalten hatte, gab es eine üppigere
Weise, welche im Glänze eines barock überladenen und grellen
Schmuckes der Rede sich gefiel, die unter dem Namen der
asianischen übel bekannte Beredtsamkeit. Indessen auch
innerhalb dieser, über viele Städte und Provinzen verbreiteten,
asianischen Manier müssen mannichfache Schattirungen bestan-
den haben. Von anderen Unterschieden einzelner Secten dieser
Schule abgesehen, sei nur Folgendes hervorgehoben. Während
einer der ältesten Vertreter der asianischen Weise , der Rhetor
und Geschichtsschreiber Hegesias, wegen seiner fratzenhaften
Schreibart von allen Kritikern einer späteren Zeit, und nicht
am Wenigsten von Cicero verhöhnt und verurtheilt wird, gab
es doch unter den asianischen Rhetoren des letzten Jahrhunderts
vor Chr. G. einige »keineswegs verächtliche «% wenn es anders
erlaubt ist, dem, in rednerischen Dingen so erfahrenen und
feinen Urtheil des Cicero ein wenig mehr Glauben zu schenken,
als der » modernen Kritik«, die freilich alle Mitglieder der asia-
nischen Schule mit gleicher Verdammniss straft.
Nach Rom übertragen , konnte , trotz ihrer etwaigen Ver-
dienste, diese Kunst der blossen Uebungs- und Prachtrede den
grossen Aufgaben des öffentlichen Lebens der Republik nicht
genügen. Aufs Neue sollte die Beredtsamkeit Ernst machen,
und in den heissen Kämpfen bürgerlicher Zwietracht die Leiden-
schaften entflammen , leiten und bändigen. Die ungemeinen
rednerischen Kräfte der römischen Staatsmänner, welche doch
keineswegs die Zucht der Schule verschmäheten, gingen bald
über die lebenden Lehrmeister in Asien zu den unsterblichen
Vorbildern und Mustern der altattischen Beredtsamkeit zurück;
aus den verschiedenartigsten Studien und deren Zusammenwir-
ken mit der grossen eigenen Begabung der einzelnen Redner
ging eine neue Kunst selbständiger und lebensvoll mannichfaltiger
Beredtsamkeit hervor.
1) Cicero ia eineu oft citirteD Stelle, orator 69, 231 : — fratres illi,
Asiaticorum rbetorum principes, Hierocles et Menecles, minime mea sen-
tentia contemnendi. etsi enim a forma veritatis et ab Atticorum regula
absuDt, tarnen hoc Vitium compensant vel facultatc vel copia.
Bohde, Der gridchische Roman. 19
— 290 —
Al>er mit der Republik fand auch in Houi die grosse und
freie Beredtsamkeit ihr Ende. Es blieb wiederum die Schul-
beredtsamkeit übrig; ja, diese gewann nun in dem fest
liegründeten weiten Reiche baUl einen neuen und grossartigen
(ilanz. Zuuäclist bauschte eine kokette, griechisch-römische
Kunstrednerei in Rom und Italien sich auf, nicht zum Beifall
der ernster (jcsinnten, welche sich der männlicheren Klänge •
der republicanischen Beredtsamkeit noch wohl erinnerten, aber
bedeutsam durch den tiefgehenden Einfluss, den sie auf die
reichen Talente der römischen Dichter und Schriftsteller der
damaligen Zeit, als ihrer Aller Lehrmeisterin, ausübte. Als,
bei allmählichem Erschlaffen des Kunstvermögens, ja, der all-
gemeinen Begabung in der lateinischen IlHlfte des Reiches, eben
der Mangel des Talentes, welches sie bis dahin getragen hatte,
der griechisch-römischen Redekunst in jenen Gegenden die
Kraft entzog, fluthete dieselbe endlich wieder zurück nach ihrer
östlichen Ileimath. Sie traf dort einige nie erloschene Funken
der alten asianischen Kunstübung an ^) : aus ihnen entfachte sie
eine neue Flaumie.
Etwa seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts gewinnt in
Griechenland und Kleinasien die alte Redekunst neues Leben.
Viel glänzender als einst in den asianischen Schulen blüht sie
wieder auf; sie bemächtigt sich der gesammten litterarischen
Kunstthatigkeit der Griechen; sie tritt in den Mittelpunct ihres
geistigen Lebens, dem sie einen neuen Aufschwung giebt; unc^
1; Die Anfänge der neuen Sophistik lagen inSmyrna; als ihren eigent— -
lieben Begründer nennt Pbilostratus V. S. p. 24, 20 (T. den Nicctes vmm
ßmyma (unter Norva;, der auch bei Tacitus dial. 15 (Z. 45 ed. Halm) als
Hauplvertreter der griechischen Rhetoren des ersten Jahrhunderts gensoKit
wird. Betrachtet man nun aber die Bruchstücke dieses Nicetes, welc^«
der Rhetor Seneca aufbewahrt hat, so wird man in der aufgeregten Manier
(ur^^ax/o; xal oi»'j{iaiJLß<6or^; heisst er bei Philostr. p. 24, 31 f.; zu den
»caldi« rechnet ihn Seneca suas. 3 p. 26. 27 Kiessl.) und der ganxen
witzelnden Art keinen wesentlichen Unterschied zwisdien ihm und anderen
Rhetoren der gleichen Zeil, auch solchen, die Seneca ausdrücklich ^Is
Asiani bezeichnet (wie Adaeus, Craton) verspüren. Und so scheint di6
zweite Sophistik überhaupt, in rhetorischer Beziehung, nichts eigentlich
Neues gebracht, sondern nur die asianischo Manier erneuert und, von
den, im Texte genauer zu betrachtenden Begünstigungen der Zeit Verhältnisse
getragen, zu einem grossen äusseren Ansehen und ungemein weitreichen-
der Wirksamkeit erhoben zu haben.
— 291 —
sie erhall sieb in dieser wichtigen Stellung, wenn auch mit all-
mählichem Sinken ihrer Kraft und Freudigkeit, bis an das letzte
Ende der altgriechischen Gultur, d. i. bis in das sechste Jahr-
hundert. Ankntipfend an jene erste BlUthezeit kunstmässiger
Redetlbung, welche mit allen stolzen Erinnerungen an die reifste
Entwickelung des griechischen Genius verflochten war, nannte
sich dieser späte Herbstflor der ßeredtsamkeil die zweite
Sophistik.
Die Grtlnde dieser neu erweckten BlUthe zu bestimmen,
ist nicht ganz leicht. Zunächst bietet sich dem Blicke die auf-
fällige Förderung dar, welche den, auf eine Erneuerung griechi-
scher Redekunst gerichteten Bestrebungen von den Herren der
Welt selbst, den römischen Kaisern entgegengebracht wurde.
Hadrian zuerst, der mächtige Philhellene, nahm den persönlich-
sten Antheil an diesen Bestrebungen; die Antonine tbaten es ihm
gleich ; und bis tief in das vierte Jahrhundert hinein ruhte der
Glanz der Gnade einzelner Kaiser auf deii rhetorischen Studien der
Griechen. Am kaiserlichen Hofe gewannen seit Hadrian, so oft
ein litterarisch gebildeter Kaiser dort herrschte, die griechischen
Sophisten fast so grosse Gunst, wie früher griechische Tänzer,
Köche, Freigelassene und Hetären. Vielfach wurden sie zur
Leitung der kaiserlichen Gorrespondenz angestellt, vielfach in
anderen wichtigen Aemtern verwandt. Die Kaiser selbst be-
suchten häufig, auf ihren Reisen, die Vorträge berühmter Rhe-
toren*); ja, sie übergaben ihnen ihre Söhne «als Schüler; Marc
1 ) So Marc Aurel die des Hermogenes : Philostratus Vit. Soph. p. 83, 5 ff.
(ed. Kayser, L. 1874), des Aristides: ib. p. 88, Scptimlus Severus die des
Hermokrates: ib. p. 144 , 4 7 ff. Als Marcus nach Athen, der Mysterien
wegen, kam, hielt er auch die Vorträge des Sophisten Adrianus für einen
Theil der in Athen nicht zu übersehenden Merkwürdigkeiten : ib. p. 92, 28 ff.
Noch Julian ehrte den Libanius durch den Besuch seiner Vorträge: s. Sievers,
Libanius p. 94 f. — Uebrigens kann es mir nicht in den Sinn kommen,
diese Skizze des sophistischen Treibens mit vollständigen Beweisen zu be-
gleiten. Sondern wie ich nur einzelne, meinen Zwecken genügende Züge
hervorhebe, so füge ich Beweisstellen oder speciellere Ausführungen nur
da hinzu, wo einzelne wenig beachtete Thatsachen zu erhärten waren, oder
besondere Gründe ein etwas genaueres Eingehen mir wünsche nswerth er-
scheinen Hessen. Wem die charakteristischen Eigenthümlichkeiten der
zweiten Sophistik nicht ohnehin aus den Quellen geläufig sind, mag noch
immer auf die Compilation des Cresollius: Theatrum veterum rhetorum,
oratorum, declamatorum etc. (Paris, 4620) verwiesen sein, eine fleissige.
4 ni
— 292 —
Aurel ging noch als Kaiser in die Lehre eines Sophisten^). Die
höclisten Herrscher erkannten endlich die Bedeutung dieser
ganzen Bewegung förmlich an, durch die Errichtung öffentlicher
Lehrstuhle der Beredtsanikeit.
Diese kaiserlichen Begünstigungen sind nun freilich nicht
in dem modernen Sinne einer, vom Staate ausgehenden Ueber-
wachung, Beförderung oder Unterdrückung geistiger Richtungen
zu deuten^), welcher dem Alterthum überhaupt fremd, oder
doch nur in einem ganz engen Gebiete und in einer lediglich
defensiven Richtung bekannt war. Dennoch ist es nicht zu be-
zweifeln, dass das so deutlich ausgesprochene, persönliche Wohl-
wollen der Kaiser zur rascheren Entwickelung und fruchtbaren
Verbreitung der neuen Sophistik mächtig beigetragen habe^}.
Hören wir doch, dass sogar zur Philosophie, zu deren innersten
Weihen doch wahrlich stets ungleich weniger Geister berufen
waren als zu dem Studium der Rhetorik, alsbald, nach dem
noch unter Antoninus Pius bemerklichen Mangel, eine grosse
Menge, wenn auch nicht von Bakchen, so doch von Narthex-
trägern sich drängte, als Marc Aurel auch für die Philosophen
Staatsbelohnungen aussetzte^), wonach also, beiläufig gesagt,
gewisse sonderbare Erfahrungen neuerer Zeiten nicht einmal
neu zu nennen wären.
Jedenfalls wirkte (von der materiellen Förderung abgese-
aber in jeder Hinsicht veraltete Arbeit, welche durch eine gründliche Neu-
bearbeitung dieses Gegenstandes entbehrlich zu machen eine lohnende
Aufgabe wäre.
1) des Hermogenes: Dio Cassius LXXI 4, 2.
2) Dies geht schon daraus hervor, dass neben den immer wenig zahl-
reichen, öfTentlich angestellten und besoldeten Rhetoren eine viel grössere
Zahl durchaus auf eigene Hand, und ohne irgend welche Examina oder
ControUe von Seilen des Staates, lehren durfte.
3) Mit Beziehung auf die Rhetorik sagt Libanius U 215, H IT.: xd^ xt^-
vafi.lv a^^'''^^"' 6fA0'j xtX toi; oioaoxojotv euoaifxoviav auTai cp^pouaiv xat 6 (iiodoc
(b; v»7:ep (AEYdiXaav fxEYa;. Siav oe 67:6 toO O'jvaoTfiüovro; ^Trinf^Seufia xata^povi}^,
xav ypTjOTov ij TJ[ ^^aei, ti^v ööjav dizokdiktxe xtX.
4) Vgl. Dio Cassius LXXI 85, 2: rajxTrXTjÖeic «piXcoo^eiv iTrXdrcovto, IV
•J7t' auTOü rXoüTtCcuvrai ; oder Herodian bist. I 2: toXu TrXijöoc dvop&v 90ffSrt
•ijvc-piev 1^ Twv ixelvo'j i'des Marc Aurel) xaipoöv cpopd* ^iXci fdp nm^ dcl t6
•jTti^xoov Ci^,Xc^> T?jc To5 ipyovTo; -fvtöpLtj; fJioOv (als ob man aus Royalismus
»weise« werden könnte!;.
— 293 —
hen), in dem monarchischen Staate, die Gunst der Herrscher
dahin, den Glanz und das Ansehen der sophistischen Be-
redtsamkeit in den Augen der griechischen Bevölkerung zu er-
höhen, ihre, also ausgezeichneten Vertreter zu den angesehen-
sten Bürger der Städte zu machen , welche als Vorsitzende bei
Festversammlungen, als Verwalter hoher Stadtämter, als Ge-
sandte an die Kaiser hervorragten, durch Standbilder und
EhrenbeschlUsse des Volkes ausgezeichnet wurden *) . So ge-
wann der Name eines Sophisten, der freilich nie ganz abgekom-
men 2) , aber einer gewissen Obscurität verfallen war, neue
Ehre 3) ; viele Mitglieder reicher und vornehmer Familien dräng-
ten sich zu dieser jetzt so glänzenden Laufbahn 4). Sicherlich
zog dieser Glanz des Ruhmes, welcher die Rhetorik umgab,
zahlreiche und eifrige Bewerber an^) : wie sollte es einen Grie-
1) Vgl. Cresollius p. 54 ff.
2) Dies nimmt mit Recht Westermann Gesch. der griech. Beredts.
§ 89, 44 an. Wenigstens i^öre nicht zu bestimmen, wann die Bezeich-
nung oocptorfi; wieder aufgekommen sein möchte. Von Diodorus aus
Adramyttium, einem Zeitgenossen der mithridatischen Kriege, sagt Strabo
XUI p. 64 4: Tipooiroioufisvo; oo^ioxeOeiv xd ^Tjxopixdi, seinen Zeit-
genossen Dionysius von Pergamum nennt er oo^ior/;;, XIII p. 625. Ganz
verbreitet war dieser Name zur Zeit des Dio Chrysostomus : vgl. I p. 672 R. u. ö.
3) Vgl. 1. B. Lucian, Rhet. praec. 4: to oefxvÖTaTov toOto xai
TrdlvTifiOv (s. C. L. Struve *Opusc. II 446) ^vofxa, oocpianfj;. Noch vom Li
banius sagt Eunap. V. Soph. p. 4 00 Boiss. : Td>v ßaatXIov xwv d^iaifidTcnv
Ti (li^iOTON auTtj) T:po«Ä£vTaiv , oux ihiivzo^ ^if]oa; t6v oo^torf^v elvai jAclCova.
Vgl. auch Cresollius p. 444.
4) Es ist allerdings zu beachten, dass die meisten der angeseheneren
Sophisten vornehmen und reichen Häusern angehörten. Dies vei*säumt
daher auch Philostratus nie hervorzuheben: s. V. Soph. p. 28, 46; 40, 44 ;
42, 46; 55. 45; 75, 4; 98, 44; 400, 4; 400, 24: 407, 25 ff.; 408, 27;
4 42, 26 (wo sich einmal einem Sophisten vornehme AbkunCtr nicht nach-
rühmen lässt, findet er natürlich die passenden Trostgründe: p. 35, 40 ff.
[vgl. Tacitus dial. 8. Z. 42 ff. ed. HQlm.]). Vgl. Libanius I p. 3 u. s. w.
Vornehme Abkunft ist auch ein Ruhmestitel: Philostr. p. 4 42, 4 ff.
5) Wie mächtig der persönliche Ruhm den Sophisten anreizte, bedarf
kaum besonderer Belege. Mit antiker Offenheit spricht seine Ruhmbegierde
Herodes Atticus aus: Philostr. p. 60, 48 ff. ; er besonders war f^TTov eWoSii;:
ib. p. 90, 28. Dieser Ruhmgier dienten bisweilen die sonderbarsten Mittel :
dyamQT^v Attcooouv TtXeivöv xai övofjLaoröv elvii: Lucian Pseudolog. 26. —
Beiläufig sei, als merkwürdiges Indicium der Bewunderung, welche man
hervorragenden rednerischen Individuen entgegenbrachte, die Verehrung
ihrer Grabstätten hervorgehoben. Wäre Polemo in Smyma gestorben.
— 294 —
chen nicht dorthin ziehen, wo die staunende Bewunderung der
Mitlebenden das Talent zur höchsten Entfaltung, zum vollsten
Genuss seiner eii^ensten Gaben aufforderte, und der Nachruhm
in der Zukunft sogar jenes unsterbliche Weiterleben des her-
vorragenden Individuums im unvergänglichen Leben der ge-
sammten Menschheit verhiess, dessen begeisternde Vorahnung
noch immer, wie einst, den achten Hellenen zur höchsten An-
spannung seiner Kraft antrieb? Kam nun, zu der Gunst der
Grossen und der Bewunderung des Volkes, noch die Lockung
äusseref Vortheile , welche dem berühmten Redner und Rede-
lehrer auf das Reichste zuströmten, so könnte man in dieser
dreifachen Macht des Ruhmes, des äussern Glanzes und des
Reichthums in der That die drei Sirenen erkennen w^oUen,
welche so viele Bew erber schmeichlerisch an sich zogen ^) .
Dennoch waren diese Husserlichen Begünstigungen nur die
Wirkungen und Ergebnisse innerlicher Gründe, w-elche eine
letzte BlUthe griechischer Redekunst beförderten. Der wirk-
samste dieser innern Antriebe lag ohne Zweifel in einem star-
ken künstlerischen Bedürfnisse einem Verlangen nach
künstlerischer Ausbildung der Rede, dessen mächtige und lange
wirkende Impulse wir wenigstens anerkennen wollen, wenn
auch ein eigentliches Verständniss derselben uns, denen aus
eigener Erfahrung kaum einige schwache und schnell ver-
löschende Velleitäten in dieser Richtung bekannt sind, kaum
möglich sein mag. Es regte sich hier der letzte Trieb jenes
griechischen Bedürfnisses nach einer stilvollen Gestaltung
des von Natur edlen aber rohen und ungebildeten Stoffes, ohne
welches die Welt schwerlich je erfahren hätte, was die Kunst,
im höchsten Sinne, sei und vermöge. Vielleicht nicht ganz
ohne den Einfluss der römischen W'erthschätzung der Beredt-
Scmikeit bemächtigte dieses Kunstbedürfniss sich nun eben des-
so meint Philostratus, V. isopli. p. 54, 4 0 IT., so würde seine Leiche ohne
Zweifel in dem glünzcndslcn Heiligthum der Stadt beigesetzt sein. Häufig
;;icbt er (wohl zur Erbauung der reiselustigen unter seinen Lesern), nach
einer, in der litlerarhistorischen Ueberlieferung der Griechen freilich her-
kümmlichen Sitte , die Grabstätte berühmter Sophisten genau an : vgl.
p. 38, 25; 54, 3 ff.; 55, 13; 104, 2i2; 106, 29; 122, 32.
li Hcichthum, Ansehen, Ruhm bezeichnet als die wesentlichsten Vor-
theile der sophistischen Laufbahn in Kürze Lucian Rhet. praec. 2. 6.
— 295 —
jenigen Stoffes, den es in der vorangegangenen hellenistischen
Periode im Ganzen auffallig vernachlässigt halte, der prosai-
schen Rede. Man erkannte jetzt in der Ausbildung der Rede
geradezu die wesentlichste Grundlage jeder edleren Bildung
überhaupt ^) ; und so wies man in der Erziehung der höher
aufstrebenden männlichen Jugend den rhetorischen Studien fast
dieselbe Stellung an , welche in späteren Jahrhunderten die
»humanioraa lange Zeit behauptet haben. Die Stellung der
Sophisten jenes Zeitalters als Lehrer muss man hauptsächlich
im Sinne behalten, wenn man die so lange andauernde und
merkwürdig tief einwirkende Bedeutung ihrer Thätigkeit recht
verstehen will. Die gesammte Jugend höheren Ranges ging
durch ihre Schulen; alle die grossen Redekünstler, selbst den
vornehmen Herodes Atticus nicht ausgenommen, waren auch
Lehrer der Rede. Sie betrieben diesen Beruf sehr gründlich:
nach festen Formen , wie sie eine lange , zum Theil w ohl gar
bis auf Aristoteles und Demetrius von Phaleron zurückgehende 2)
Schulerfahrung ausgebildet hatte, wurde die Jugend zunächst
zur Bearbeitung kleinerer Themen angehalten, welche, von der
äsopischen Fabel bis zur Einbringung eines Gesetzes einen be-
stimmten Kreis durchlaufend, zunächst an auswendiggelernten
Musterstücken alter Autoren , an selbstgemachten Arbeiten des
Lehrers, zuletzt an eigenen Aufsätzen der Schüler eingeübt,
durch Vergleichung mit classischen Vorbildern geprüft, in ihre
Theile zerlegt , besprochen und durchgenommen w urden , und
so die Grundlage zur praktischen Erlernung und begriffsmässi-
1) So behauptet z. B. Thfeo, progytnn. p. 70, 25 ff. fSpengel, Rh. Gr. 11),
die rhetorische Schulung sei nothwendig nicht nur zukünftigen Rednern,
sondern auch allen Denjenigen, "welche als Dichter oder Geschichtschreiber
oder in irgend einer anderen Eigenschaft die Sprache recht zu handhaben
verstehen müssen.
2) Aristoteles und seine Schüler Hessen über %i(sei<;, allgemeine Sätze,
declamiren : s. ausser den von Blass D. gr. Bereds. v. Alex, bis Aug. p. 57
cUirten Stellen namentlich auch Quintilian XII 2, 25 (coli. II 4, 9), Theon.
progvmnasm. p. 69, 4 ff. Sp. ; ferner Seneca Rhet. p. 61, 24 Ksl., Tacitus
dial. or. 34, Z. 26 f. Halm. — Auf Demetrius (oder auch auf Aeschines) wer-
den die rhetorischen Uebungen in fingirten Streitfragen mit bestimmten Per-
sonen, uTTO^^aei;, zurückgeführt: Blass p. 58. — Solche 0£9et; und bnoHatiQ
-bildeten in späterer Praxis stets Theile der rhetorischen Prog\ranasmen :
vgl. Rhet. gr. Speng. II 4 7; II 64, 5 ff. 24. 111 4 u. s. w.
— 296 —
\ien Erkenntniss jener Technik der kunstgemässen AuffinduDg,
Anordnung und Darstellung des Redestoffes darboten, deren
feine und scharfe Ausbildung wir noch heute in den rhetori-
schen Handbüchern der Alten mit Erstaunen wahrnehmen*).
Selbständigere Uebungen der Schiller schlössen sich an; man
vemachlüssigte nicht die Kunst des Vortrags und namentlich
der systematischen Ausbildung des Gedächtnisses^]: und so
begreift sich, wie, bei dem hiemach anzunehmenden Aufwand
von Kraft nach dieser Einen Seite, sogar die aitgriechisehen
Erziehungsmittel der Gymn<astik und Musik allmählich zurück-
treten mussten^). Es mag einer Richtung, welche die Bildung
in möglichst reicher Aufspeicherung stofflichen Wissens sieht,
sehr wunderlich erscheinen , dass man in diesen rhetorischen
Studien, also in einer rein formalen Uebung des Geistes, die
geeignete Vorbereitung ftlr jeden höheren Beruf erkennen
konnte *) . Wenn auch vielleicht in der , wesentlich durch ihre
grammatischen Studien charakterisirten hellenistischen Pe-
riode eine solche Richtung auf das Stoffliche die griechische
Bildung tiefer beeinflusst haben * mochte , so lenkte die, nun-
mehr die Grammatik in der obersten Leitung der hellenischen
Gesammtbildung ablösende Rhetorik wenigstens in der star-
ken Bevorzugung formaler Geistesbildung wieder in die Bah-
nen altgriechischer Erziehungsweise zurück. Ja man fand, in
1) Die genauesten Angaben über den Gang des rbetoriscben Unterrichts
giebl Tbeo, Progymn. p. 65 ff. Sp. Sonst vgl. namenUich Kayser Philostr.
Op. (L. 1871] II p. III ff. Ueber die Schulzucht der Rhetoren: Sievers,
Libanius p. 49 ff.
2) TÖ fjLvTjjjiovixöv : s. Volkmann, Rhetorik d. Gr. u. R. p. 480 ff. Vgl.
auch Rose, Aristot. pseudepigr. p. 140. Besondere Kunst in der Schalang
des [i.MT^li.0'H%6s l)rachte einzelne Lehrer wohl gar in den Verdacht der An-
wendung von Zauberei: so den Dionysius von Miiet: Philostr. V. S.
p. 36, 6 ff. (Die grossen Erfolge des Adrianus, später des Libanius führ-
ten die Gegner ebenfalls auf Zauberkünste zurück: Philostr. V. S. p. 94, 7 ff. :
Libanius I p. 84.}
3) So wenigstens seil dem vierten Jahrhundert. Auf diese wichtige
Thatsache weist P. E. Müller, de genio aevi Theodos. I p. 6t. 62 hin; sie
ist für die Erklärung des Ueberganges vom Griechenthum in das Byzao-
tinerthum sicherlich beachtenswerth.
4) Seneca controv. II praef. (p. 454 , 27 Kiessl.) räth seinem Sohne
Mala: eloquentiae tantum studoas: facilis ab hac in omnes artes discarsas
est; instruit etiam quos non sibi exercct.
— 297 —
der hier betrachteten Periode, in der Rhetorik, ausser anderen
Bildungskrüften , sogar die ethische Wirkungsfähigkeit, welche
freilich keinem ächten Erziehungs- und Bildungsmittel fehlen
darf 1) .
Endlich dürfte ein national-hellenisches Element, wel-
ches, diesen erneuerten Studien innewohnend, ihnen gerade
für jene Zeit Leben und Bedeutung gab, nicht zu verkennen
sein. Bereits seit dem Ausgang des ersten christlichen Jahr-
hunderts macht sich in der griechischen Litteratur hie und da
ein lebhaftes Bewusstsein von den Vorzügen der griechischen
Natur, gegenüber den übrigen Völkerschaften des Reiches und ganz
besonders den herrschenden Römern, bemerklich. Die Hellenen
begannen mit neu erwachtem Stolze sich als die eigentlichen
Träger einer unschätzbaren, aus ihrer Mitte hervorgewachsenen
Weltcultur zu fühlen, welche unter den Händen der Römer in
einen innerlich rohen Genusstaumel, eine maasslose und freud-
lose Schwelgerei, in jenen » Soloecismus der Lüste «2) aus-
geartet war, welchem man die noch immer nicht völlig verkom-
mene, künstlerisch zarte und vornehme, des rechten Maasses
sichere Sinnesweise des ächten Hellenen entgegenhielt, wie sie
zumal in Athen, inmitten der Armuth, Philosophie und libera-
len Gesinnung seiner Bewohner sich , in einem sinnigen Still-
leben, erhalten habe. Mit Begeisterung und in dem Tone einer
tief erregten, wahrhaftigen Empfindung trägt Lucian im »Nigri-
nus« (der merkwürdigsten griechischen Oppositionsschrift von
der ästhetischen Seite) dieses Lob des Hellenischen vor ^] ; man
begegnet aber, in etwas früherer Zeit, ähnlichen Ergüssen so-
gar bei dem Römerfreunde Plutarch^), und so durch die fol-
genden Jahrhunderte bei zahlreichen griechischen Schriftstel-
1) Z. B. Theo, Progymn. p. 60, 4 6 ff.: die Uebung in der Rhetorik
bewirke nicht nur Fertigkeit der Rede, sondern auch ypirjaT^v ti ffioi. Viel
kühner Aristides, or. 45, II p. 54 Jebb. (72 Dind.) : Terrdfpmv ^vt»v {lopCoav
xffi dpCTfiC — nämlich cppoWjcaco; , 0(u?ppoo6vY); , Bixaioauvtjc , div5pe(a? —
&?:ervTa hia r^c ^T^Topixtj; reroiT^Tai , xai Srep h 0{6{i.aTi 'pfAvaarixi?; %oX
laTptXT) , tout' Iv tiq ^'^yji *^'' '^^^^ "^^^ TTÖXecuv rpdtyfjLaot f)tjTOpiX'^ ^aivexat.
(Aehnlich von Lateinern z. B. Eumenius pro instaur. scol. 8 p. 4 97 Arntz.)
2) ooXoixia{x6c twv tjoovwn, Lucian Nigr. 34.
^) Namentlich c. 42 ff. (Lob Athens) 45 ff. (Schilderung der römischen
Barbarei) .
4) ypr^aT^TT); und ciXavdptuda der Athener: Plul. Vit. Aristid. fin.
— 29S —
lern bis zu Libanius und dem Kaiser Julian herunter, welche
noch einmal in lautem Preise die hellenische Gultur begeistert
feierten und zumal alles Römische entweder verwarfen oder
doch if^norirten V . Aus illterer Zeit sei vor Allem noch er-
innert an die warme Liebe des Dio Ghrysostomus für alles acht
Hellenische, dessen Uusserste , in ihrer Vereinsamung rührend
einfach und rein erhaltene Vorposten er bis zur fernen Nord-
kUste des schwarzen Meeres aufsuchte; und an die reforinato-
rische Thätigkeit des ApoUonius von Tyana, welcher, unter
lauter und oft wiederholter Betonung des adelichen Charakters
der Hellenen, sogar dem Traumbilde einer Wiederbelebung der
altgriechischen Tugend nachjagte^). Vielleicht hing dieser neue
Aufschwung eines hellenischen Nationalsinnes zusammen mit
der allmählichen Erschlaffung der Römer, durch welche das
geistige Uebergcwicht sich auf die hellenische Seite übertrug,
auf welcher zwar die eigentliche Kraft nicht eben viel grösser,
aber die unzerstörbare Grundlage künstlerischer Natur und eine,
allerdings wohl nur durch ihre Mattherzigkeit vor dem' un-
1) ücber die ÄDtipathic der Griechen und Römer in der Kaiserzeit vgl.
Finlay Gr. u. d. H. 59 ff. Wie fremd dem Libanius alles Römische
blieb, hebt Sievers, Libanius p. 42 hervor. \Yenn er die Römer gelten
lasst, so höchstens als eine Art Ableger der Hellenen: er stellt dem »Bar-
baren« (von dessen Ungebärdigkeit er schreckliche Schilderungen macht]
kurzweg den *EXXtjV entgegen: oStc» y^P f,oi«5v [aoi xa>v£rv xo toi; ßapßapou
dvTlnaXov * xal ouo^ |xoi [liiu^lfzai to y^vo; Atve(o*j. (TTpEoßeut. 7:po; 'lo'jX.
vol. I p. 458 f.) Ebenso weiss Julian an den Römern vorzüglich nur das
zu loben, dass ihre Stadt 'KaXt^vI; ^^^o; tc xai -oXiTetav sei : or. IV p. 498
Herll. Von seiner innigen Liebe zu Hellas, und namentlich zu Athen, als
dem Sitze der ächten Bildung, als seinem »wahren Vaterlande« redet er
or. in p. 4 52. 4 53 Hortl. Aehnlich von Hellas, als des Julian yf^ ipcufjivi;,
von Athen, dem 'KXXdSo; o^pDaXfjtö;, Libanius im 'F^riTci^io; ii: 'louXtov^.
v. I p. 534. — Aus etwas älterer Zeil besonders naiv Aristides or. IX
vol. 1 p. 4 05 Dind. : wo unter den Tugenden des rechten Kaisers kurzweg
mit aufgezählt wird t6 cptX^XXTjva eivai.
2] Er glaubte an eine Wiederherstellung der althellenischen ^^^^ daitb
Griechenlands Freigebung unter Nero, und zürnte wegen der Aufhebong
dieser phantastischen Maassregel dem Vespasian: IMiilostr. V. Ap. V 44.
So ermahnte er die Spartaner zur Erneuerung ihrer allen Zucht: ib. IV S4 ff.
Merkwürdig ist auch sein Eifer gegen die Annahme barbarischer und
römischer Namen von Seiten der Griechen in Jonien und Sardes: epist.
71; 38: Philoslr. IV 5. Von den Barbaren heisst es einmal ganz unbe-
fangen: ou D£|iic a'>co6;, ßap^dpo'jc Cvra;, vj rdayeiv : epist. 21.
— . 299 —
geheuren Frevelsinn der Römer, wie ihn uns Juvenal schildert,
bewahrte, relative Harmlosigkeit der Sitten *) der, im Wesent-
lichen nur reproductiven und conservirenden Cultur dieser Zeit
förderlicher sein mochte.
Ein erhöhetes Selbstgefühl mochte namentlich auch die
Hellenen des Mutterlandes beleben , seitdem die Wunden aus
der letzten Zeit der römischen Republik allmählich vernarbten,
und unter Hadrian und den Antoninen die üusserliche Wohlfahrt
des Landes, von den Kaisem einsichtsvoll gepflegt, sich leid-
lich wiederherstellte. In dem Geftlhl der Sicherheit vor äusserer
Noth konnten sie sich noch einmal in dem Wahne gefallen, in
allen Culturverhältnissen die ächten Enkel und Erben des alten
1) Für diese, freilich nur relative Harmlosigkeit der Sitten giebt
mehr das Stillschweigen der Zeitgenossen (namentlich des Lucian,
dessen Satiren und Invectiven doch stets nur die Verirrungen Einzelner
trefien) , zusammengehalten mit den aligemeinen Vorstellungen von dem
Leben der gebildeten Kreise, wie man sie namentlich aus Plutarchs kleinen
Schriften gewinnen kann, Zeugniss, als bestimmte Aussagen, obwohl doch
auch diese nicht fehlen (ich erinnere noch einmal an Lucians Nigrinus).
Die Abenteurer zogen eben aus Griechenland lieber nach Italien hinüber
und machten es dort denn wohl auch nicht besser als die Römer selbst.
Im eigentlichen Griechenland scheint sich, im Vergleich etwa mit der kraft-
vollen aristophanischen Zeil, eher eine Wendung zu zahmerer Sittsamkeit
vollzogen zu haben, dergleichen ja keineswegs immer eine Hebung der
wirklichen sittlichen Kraft des Volkslebens indicirt. — Was Hertzberg,
Gesch. Griechenlands u. d. Herrsch, d. R. II 280 IT. (vgl. 496) an Beweisen
für den »tiefen Verfall der Sitten« in Griechenland aus Schriftstellern des
ersten und zweiten Jahrhunderts beibringt, ist wohl anders zu beurtheilen.
Theils sind dies vereinzelte Züge leidenschaftlicher LebergrifTe, wie sie in
keiner Gesellschaft irgend einer Zeit je gefehlt haben, theils, und zum
grössten Theil , reine Phantasiebilder aus den, von Apulejus seinem »Gol-
denen Esel« eingewobenen Novellen. Novellen sind aber keine historischen
Berichte, ja, sie sind nicht einmal als Zeugnisse für die Sittengeschichte
irgend eines Volkes ohne Weiteres zu benutzen, bevor die Herkunft
jeder einzelnen dieser, vom leichtesten Wind über alle Völker und Zeiten
verstreuten Dichtungen sorgfältig festgestellt ist. Wird man denn z. B.
daraus, dass dieselbe Giftmordgeschichte, welche Apulejus X2 — <2 erzählt,
im Pecorone des Ser Giovanni Fiorentino wiederkehrt, den Schluss ziehen
wollen, dass dieselben Zustände wie in Griechenland im zweiten Jahrhun-
dert, im vierzehnten Jahrhundert in der Romagna (wohin Ser Giovanni
seine Geschichte verlegt) herrschten? Wer sagt uns aber, welchem grie-
chischen Erzähler welchen Jahrhunderts Apulejus seine Novelle entlehnt,
und woher jener Erzähler wiederum den Stoff genommen habe?
— 300 —
Griechonthums zu sein. Noch zeigte ja das ganze Leben der
Griechen wenigstens äusserlich die alte Gestalt. Ueberall be-
wegte sich, in den kleinen Stadtgemeinden, Sitte und Verkehr
im Geleise uralten Herkommens; noch tagten die alten Gerichts-
höfe und Behörden unter altehrwUrdigen Namen und Gebräu-
chen ; eine unemiessliche Ftllle kunstvoller Bildwerke, die Zeu-
gen einer alten, Überschwenglich reichen Bildung, schmttekten,
trotz aller Beraubungen, M<jlrkte, Tempel und llallen. Noch
bluhcten an tausend CultussUltten die jalten Götterdienste, wie
vorztlglich Plutarch und Pausanias bezeugen; die Orakel sogar
Hessen aufs Neue ihre Stimme vernehmen; die Wettspiele.
jene edelsten Pflegstätten des hellenischen Individuab'smus,
gewannen neuen Glanz: zu den vier noch immer blühenden
grossen und der Fülle localer Agonen kamen manche neue
hinzu ; darunter das grosse von Hadrian gestiftete Fest der Pan-
hellen ien, dem der Sophist Herodes Atticus als erster Helladarch
vorstand. In dieser so glaubenssüchtigen Zeit war es nicht
ohne Wichtigkeit, dass noch immer die Athener der trostrei-
chen, acht hellenischen Mysterien von Eleusis walteten, deren
ahnungsvolle Darstellungen keinem der vielen fremdländischen
Geheimdienste an religiösem Ansehen nachstanden ^) . Noch trug
endlich, auf dem Markte, in den Gymnasien, im Theater, das
Leben der griechischen Männer jenen Charakter der Oeffent-
lichkeit, der dasselbe so bestimmt vom Byzantinerthum unter-
scheidet.
Dennoch war aus all diesen Ueberresten des Alterthums
der lebendige Geist der Alten entwichen; sie erhielten sich,
wie ein antiquirtes Herkommen, weniger durch eigne Kraft
als durch die PietiU und die Gewöhnung der Enkel, welche
ein neues Leben zu beginnen nicht mehr die Kraft hatten.
Den Inhah des altgriechischen Lebens wieder heraufführen zu
wollen, wäre ein vergebliches Bemühen gewesen. Den begei-
sterten Verehrern des alten Hellenenthums, welches, seiner
thatsiichlichen Härten entkleidet und nur seiner künstlerischen
Herrlichkeit nach aufgefasst, damals zuerst in das verklärende
1) Die Eleusinien wurden (da sogar noch Kaiser Valentinian sie gewiss
ebenso wie andere griechische Mysterien ausdrücklich duldete: Zosimus
IV 3 p. 176, 4 4 ff. ed. Bonn.) gefeiert, bis Alarich 395 den Tempel ver-
brannte: Eunap. V. S. p. 52.
— 301 —
Licht des Glassischen und Vorbildlichen trat, blieb zur Nach-
eiferung nur die Form, jenes göttliche Instrument der grie-
chischen Rede*), das willigste, tönereichste, auf welchem
je menschliche Kunst sich ergangen hat. Von dem reichsten
Yolksgeiste erbaut, von den grössten Künstlern, von Homer bis
Demosthenes, zur höchsten Fülle des Klanges ausgebildet, lag
dieses Instrument noch unzertrümmert da: wer die Kunst ver-
stand, konnte die Saiten aufs Neue spannen und, zur Wonne
der Welt, noch einmal ihre Töne erwecken.
So war es die hellenische Gesinnung, welche zur Erneue-
rung der griechischen Redekunst trieb. Zwischen die römisch-
barbarische Laienwelt, die immer mehr in orientalische Träume
sich einspinnende Philosophie und Mystik der Zeit, die allmäh-
lich stärker sich hervordrängenden Triebe einer neuen christ-
lichen Cultur gestellt, konnten diese griechischen Sophisten und
Rhetoren sich in der That nicht ohne allen Anschein des Rechtes
wie die letzten Vertreter des ächten Hellenenthums erscheinen.
2.
Nachdem durch das Zusammentreffen der hier angedeuteten
äusseren Gunst und inneren Stimmungen die Kunst der Rede
in Griechenland neu belebt worden war, war es nur eine An-
erkennung ihrer bereits thatsächlich wiedererlangten Bedeutung,
wenn nun auch die öffentlichen Gewalten dieselbe in ihren
Dienst nahmen und damit zugleich ihr die Gewähr einiger
Dauer und ungestörter Entwickelung darboten. Schon Vespa-
sian hatte in Rom einen besoldeten Lehrstuhl auch der griechi-
schen Rhetorik begründet ^j ; seit Antoninus Pius gewann ein glei-
cher in Athen ungleich höheren Glanz. Auch an anderen Orten
bestanden kaiserliche Lehrstühle der Kunst ^) ; überall genossen
1) Tou X^yoi; (die Rhetorik ist gemeint) fxoXXov t^ t«]) y^vei töv ''EXXrjva
rkrjftio^ (daher denn Antiochia und Athen rd xwv 'EXX'/]v(uv %aKd bewahren) :
Libanias I p. 333, 8.
2) Sueton Vespas. 48. Dies ist 6 xaxd rfjv Tdbjxrjv Äpövo;, 6 dvw ftp6vo;,
dessen Philostratus öfter erwähnt: auf ihm sassen z. B. Philagros (Philostr.
p. 85, 24), Adrianus (ib. 93, 47. Beiläufig bemerkt: über Adrians Aufenthalt
in Rom, bevor er ioo^loTeuev, eine merkwürdige Notiz bei Galen tz. toü irpo-
fCVi6oxccv, XIV 637 K.), Euodianus (ib. 400, 5), Heliodor (ib. 425, 30).
3) Capitolinus vom Antoninus Pius, in dessen Biographie c. 44 : rheto-
— 302 —
ihre lnh<il>er, ausser einem Gehalte, die Befreiung von den
schweren Lasten der studt Ischen Abgaben und liturgischen
Leistungen ^^ . Die StiUlte blieben nicht zurück. Wie in Athen
neben dem kaiserliehen ein stadtischer Lehrstuhl der Redekunst
bestanden zu haben scheint^), so scheint eine grosse Anzahl
der vielen, durch das weite Reich zerstreuten Städte griechi-
scher Bevölkerung Lehrer der Rhetorik aus eigenen Mitteln be-
soldet zu haben ^). Schon die Sorge ftlr den Glanz und selbst
die Nahrung der Stadt Hess den Behörden die dauernde An-
wesenheit eines angesehenen Redelehrers wUnschenswerth er-
scheinen^). So erftlllte sich das Reich mit griechischen So-
ribus per omnes provincias et honores et salaria detulit. Ebenso all-
$;eincin Lampridius, von Alexander Severas, c. kk: Rhetoribus salaria
instituit. Später wurden, neben Athen und Rom, griechische Rhetoren
namentlich in Constantinopel vom Kaiser unterhalten.
1) Hierüber vgl. namenUich Kuhn, die städt. und bürgerl. Verf. d.
röm. R. I H9 f.
2] Wenn anders so der bei Philostratus V. S. p. 4 03, H erwJihnte
roXiTixö; Op6vo; in Athen zu verstehen ist : was freilich sehr zweifelhaft er-
scheint: s. C. 0. Müller im Göttinger Saecularprogramm 4 887 p. 43 Anm. 18.
3; in Antiochia, in Caesarea, und anderswo: s. C. 0. Müller a. a. 0.
p. 48. Auch in Constantinopel und in anderen Städten : vgl. Sievers Libanios
p. 88; p. 48 Anm. 44. — Noch am Ende des fünften Jahrhunderts besol-
dete die Stadt Caesarea in Palaestina Lehrer der Rhetorik: sie versacbte,
den Sophisten Procopius von Gaza yp'jotw ttoXXui ^eXeolCetv : Choricius p. 6
extr. Boisson. Ganz ähnlich hatte bereits in der Zeit des Libanius die
Stadt Caesarea den Antiochenern einen Sophisten durch grosse Ver-
sprechungen abspenstig gemacht: s. Libanius br.kp t&v jbTjTtSfxov, Vol. n
p. 220, 4 9 ff. Aus dieser Rede sieht man übrigens am deutlichsten, wie
die äusseren Verhältnisse der oftlciell angestellten Rhetoren geordnet waren.
Sie bekamen von der Stadt ein sehr unregclmässig eingehendes, mm
Lebensunterhalt ungenügendes Jahrgcld, s6vTaSu (p. 242, 43. 24St ^
244, 10. 43 etc.) und waren ausserdem auf die noch unregelmässiger ein-
laufenden Honorare ihrer Schüler angewiesen fp. 215]. Einige sehr An-
gesehene bekamen Grundbesitz von der Stadt zum Geschenk: so Zeni^in^
fp. 24 8,, und um eine Anweisung solcher Landstellen für seine armen
Collegen bittet eben Libanius.
4) Hierfür sehr charakteristisch ist die Erzählung des PhilostratflS.
V. S. p. 29, 4 6 ff.: den Scopelianus forderten die Klazomenier auf, doch
in Klazomenac Schule zu halten, »da ihre Stadt sich sehr heben würde,
wenn ein solcher Mann in ihr lehre«; S. blieb aber lieber in dem grossen
Smyrna : die Nachtigall singe wohl im Haine, nicht im engen Käfig.
— 303 —
phisten ; sie fehllen selbst im fernen Gallien nicht *) ; aber ihr
eiifenllieher Tummelplatz war das griechische Kleinasien, zumal
das glänzende Smyrna; nlichstdem Athen, dessen erhabene
Erinnerungen und akademische Ruhe^i Manche dem brausenden
Leben in Smyrna vorzogen, und dessen rhetorische BlUthe noch
lange, und bis an's Ende dieses ganzen Treibens, fortdauerte,
als bereits die kleinasiatischen Städte ihren Vorrana an Gon-
stantinopel und Antiochia hatten abtreten müssen, wo nun,
neben kaiserlich und städtisch besoldeten Lehrern eine grosse
Anzahl rhetorischer Künstler und Kunstlehrer sich zusammen-
drängte.
Diese öffentliche Anerkennung verdankten die Rhetoren zu-
nächst ihrer Thätigkeit als Lehrer; in dieser Eigenschaft be-
durfte man ihrer und kam ihnen darum entgegen. Sie selbst
aber richteten ihre Blicke, über das Bedürfniss hinaus, auf die
freie Darstellung ihrer Kunst. Sie übernahmen, gleich man-
chen Rhetoren der ehemaligen asianischen Schule, gelegentlich
wohl auch die rednerische Vertretung eines Processi renden vor
Gericht 3); aber dieses däuchte ihnen eine leichte und verächt-
liche Uebung^). Ihr eigentliches Gebiet war die Prunkrede, in
welcher die Kunst sich wesentlich nur um ihrer selbst willen
zeigt. Dergleichen Reden setzten sie wohl auch für die Leetüre
1] In Gallien lebte Lucian eine Zeit lang: Bis accus. 27, und gehörte
dort zu den (ieY^Xo(AtoBotc toov oocpiordiv: pro merc. cond. 15.
2) Der Sophist Proclus von Naucretis t^jv 'A^vrjaiv •^auylov -^ardioaTo,
und zog darum dorthin: Philostr. V. S. 4 04, 34. Der Philosoph bei Lucian
Nigrin. 44 preist die athenische -rjcuyjav re Ttal dnpaYJtooüvrjv, Ä 5i?j &^%osa
Tzap^ auTOtc ^OTiv. Expos, totius mundi (c. 350 n. Chr.). §. 52 p. 524
BIUU. : Corinthus negotiis viget ; habet et opus praecipuum, amphitheatrum,
Athenae vero sola studia litterarum. Sehr bezeichnend.
3} lieber die gerichtliche Beredtsamkeit der Asianer vgl. Blass a. 0.
p. 60. 64. Nicht zutreffend ist es aber, wenn derselbe hierin einen
»angeheuren Unterschied« zwischen den Asianern und den »berüchtigten
Declamatoren der Kaiserzeit« begründet sehen will. Auch von den Sophisten
dieser Zeit waren manche Gerichlsredner: so Nicetes (Philostr. p. 29, 45 f.),
Theodotus (ib. 74, 5), Apollonius von Athen (ib. 403, 8); vgl. noch Philostr.
p. 24, 25. 408, 4 4. Auch Lucian war wöhrend seiner ersten sophistischen
Zeit StxriY^Spoc in Antiochia: s. Suidas s. Aoux.
4) Vgl. Philostr. V. Apoll. VI 36 p. 248, 30 (ed. Kayser 4870). — Die
]Mri9%i Td>v vöfjLosv, d. i. die Laufbahn eines Advocaten überhaupt, ist tov
TfjV Stdvoiav ßpao'jT^poiN : Libanius I 244, 3.
— 304 —
auf; aber zunächsl hatten sie dieselben doch für einen mOnd-
lichen und öffentlichen Vortrag bestimmt. Man wird, um das
Wesen der lilterarischen Production auch der späteren, helle-
nistischen und sophistischen Periode der griechischen Gultur-
geschichte und ihre Verschiedenheit von modemer Art recht zu
würdigen, überhaupt wohl thun, sich gegenwärtig zu halten,
dass auch damals noch alle irgendwie künstlerisch anzulegenden
Schriftwerke weniger für ein nachdenkliches Lesen im einsamen
Zimmer als für ein augenblickliches Hören und Geniessen am
Licht der Sonne oder doch im Kreise der Freunde bestimmt
waren. Dies gilt für die Werke der Dichter und Historiker,
nicht minder aber für das ganze Gebiet populärer Schriftstellerei;
ja sogar die Lehrvorträge der Philosophen und der Grammatiker
waren zunächst nur für Hörer, nicht für Leser bestimmt^). Ver-
1) Für die populären Dichter der classischen Zeit versteht sich ein
mündlicher Vortrag ihrer Gedichte ohnehin von selbst. Aber auch die ge-
lehrten Poeten der späteren Zeit lasen zunächst ihre Werke vor. Als ganx
allgemeine Sitte wird diese Art der ersten VerÖffentlichkeit vorausgesetzt
in den Anekdoten von den Vorträgen des Antimachus (Cic. Brut. 494] oder
Antagoras [Apostel, prov. 2, 83). Ebenso ist zu verstehen die Nachricht,
dass Apollonius von Rhodus sein Gedicht inedeiiato, erst in Alexandria,
dann in Rhodus (Westermann, ßto^p. p. 61, 4. 8^ 50, 5. 9). Damach
scheint, wenigstens für epische Gedichte, auch in hellenistischer Zeit die
Recitation die allgemein übliche Weise der Bekanntmachung gewesen
zu sein. So werden denn weiter auch die dva^vaiOTtKot unter den TVagi-
kern (Chaeremon) und Dithyrambikern (Licymnius) ihre Gedichte nicht
sowohl zum Lesen als zum Vorlesen bestimmt haben (wie im kaiser-
lichen Rom auch Tragödien vorgelesen wurden : so die des Curialias Mater-
nus: Tacitus dial. 2. 3. 44, und doch wohl auch die des Seneca). Diese
Sitte scheint sich bis in die späteste Zeit erhalten zu haben: öffentliche
Vorträge, von Dichtern so gut wie von Rhetoren im Theater gelialteD,
erwähnt beiläufig Themistius: or. XXVI p. 842 A/B und XXVIIl p. 844 B/C
(Vgl. auch Dio Chrys. vol. I p. 403, 4 4 ff. Dind.) : ohne Zweifel war
in dieser Weise aufgetreten der Ai^üircio; veavCoxo;, isvf^o^ iri^j&iijaac,
welcher Tpay\Ma'^ %a\ ^ttt) xal 5i&updt[xßo\>; zu dichten verstand, dessen
Themistius or. XXIX p. 347 A/B gedenkt (schwerlich ist Andronicus ge-
meint: s. Sicvers, Libanius p. 279). Noch aus dem fünften Jahrhun-
dert erzählt von dem Aegyplier Pamprepius, Malchus fr. 20 (F. H. Gr. IV
p. 482): 07]pL09(a 7ro(T)|xa dvap^vra (in Cons(antinopel) Xafi7tpd>c ittjMj«
(lUus) xtX. Noch im sechsten Jahrhundert Lobgedichte im Theater vor-
getragen: Choricius p. 26, 2 ff. ed. Boisson. Hiernach darf man sich denn
auch wohl dio Werke der ägyptischen Dichterschule des fünften Jahr-
hunderts im Allgemeinen als für die Recitation bestimmt vorstellen; und
— 305 —
bürgte eben diese Bestimmung für mtlndlichen Vortrag der Rhe-
torik den bedeutendsten Einfluss auf weitere Kreise der Litte-
ratur, so drängte natürlich die eigentliche Redekunst mehr als
alle anderen Gattungen der kunstmässigen Prosa vom stummen
Lesen zum Vortrage vor versammelten Hörern.
So trat denn der Sophist, * seine Kunst zu zeigen, aus dem
Schatten seiner Schule. An hohen Familienfesten war er der
berufene Redner; vor den Provinzialbeamten und, in besonderen
Sendungen, vor dem Kaiser selbst, vertrat er, in prächtigen
Kunstreden, die Angelegenheiten seiner Gemeine oder Provinz.
Die höchste Probe seiner Kunst hatte er abzulegen, wenn er in
voller Oeffentlichkeit vor allem Volk auftrat. Durch Programme
und Boten tagelang vorher eingeladen versammelte sich das
Volk im Theater oder in gemiethelen Sulen, in spaterer Zeit,
bei zunehmender Scheu der Gebildeten vor der OeH'entlichkeit,
überhaupt hat man sich wohl die meisten griechischen Poeten gerade der
späteren Zeiten als wandernde »Rhapsoden« zu denken, welche von Ort zu
Ort ziehend, vor grösseren Versammlungen (häufig an den nationalen
Agonen) ihre Dichtungen vorlasen oder dedamirten. Ein Typus derselben
(wohl auch für spätere Zeit gültig] ist z. B. der von Cicero vertheidigte
Archias (s. namentlich Cic. p. Arch. § 4. 3). — Die Historiker scheinen
ebenfalls die alte (vorzüglich aus den Anekdoten über Herodots Vorlesun-
gen bekannte) Sitte, ihre Werke vorzulesen, lange Zeit beibehalten zu
haben. (Von Mnesiptolemus, der am Hofe Antiochus des Grossen lebte,
Athen. X 432 B: MvrjOtTrxoXifjLOu dvolfvaioiv iroiYjaafxivou tosv 'loroptoiv). So
kennt Lucian die Werke der zahlreichen Geschichtsschreiber des Parther-
krieges des Verus, die er in seiner Schrift De bist, conscr. verspottet,
sämmtlich nur aus Vorlesungen; welche dieselben, in Jonien und Achaia,
veranstaltet hatten: man lese nur darauf hin c. 44 IT. jener Schrift. (Auch
Ammianus Marcellinus las zu Rom in öffentlichen irtoel^etc seine Historien
vor: Libanius epist. 983). — Die eigene Schriftstellerei des Lucian war
aber nicht minder zunächst zum mündlichen Vortrag bestimmt. Dies gilt
sogar von den Dialogen nach mcnippischer Art aus der mittleren Lebens-
zeit des Autors: dass diese in dxpodoei;, vor einer grossen Menge vor-
getragen wurden, bezeugen der »Zeuxistc und » npofjLT|Oeuc ei is X(5yoi;« des
Lucian ganz unzweideutig (im Prom. namentlich c. 2 : VjfACt; ol eU ~a ttXt]^
raptovTCC xal rd; ToiauT«? töv dxpodseaiv iTZv^-^iWoynt^, c. 7 : tou« dxo6ovTa;.
Vgl. auch Bacch. 5). Ja, die in Briefform an einen Freund gerichtete
Schrift TTfipi Ttuv tTtl \nz9(^ o'jvövToav war vom Verfasser zunächst vorgelesen
und dann erst für die Lcctüre herausgegeben worden (s. pro merc. cond. 8:
rdXai e6^jOx((Ar^at ooi toutI t6 o^^fpafi^a [eben das de merc. cond.] xal £v
icoXX(f> TiXVjOei 0€i)rÄlN , cb; ol töte dxpoaadfjievoi oit^y^^'^'^^ > **'^ ^^^^ Tiopd xolc
zezai^eufiivoi;, 6:iöooi 6fji,i).etv auTtp xal cid x^^P^'» ^7^^'^ "^Sloiaav. Weiterhin ;
Robdc, Der grieohiache Roman. 20
— 306 —
;iuch wohl in kleinen Theatern im eigenen Hause des Redners';.
Häufig zog der RedekUnstler in die Fremde; manche Sophisten
brachten lange Zeit auf solchen Kunstreisen zu, die sie bisweilen
bis fem in's südliche Aegypten^) führten; die fest angestellten
Lehrer reisten wenigstens in den Sommerferien ^i von Stadt zu
Stadt. In grosseren Stüdten gaben sie Schauvorsteliungen ; die
einheimischen Redner veranstalteten bisweilen einen förmlichen
Rednerkampf mit den Fremden^}. Am Liel)sten zogen sie den
grossen Nationalfesten nach: in Olympia und an den anderen
Opa Srtu; [AT^oei; Iti dxouarjrai oo'j dvaYivcaoxovro; oOtö). — Für die münd-
lichen und öfTentlichcn Vorträge der Grammatiker bieten der famose Apion
und der Freund des Aristides, Alexander von Cotyaeum (s. namentlicb
Aristid. XII, I p. 86, 5 ff. Jebb.) zwei merkwürdige Beispiele: s. Lehrs,
Quaestt. epic. Abb. I. (Immerhin eine Richtung auf vorzüglich persönliche
Wirkung und mündliche Belehrung, wenn auch in engerem Kreise, zeigen
auch die alten Heroen der grammatischen Wissenschaft, Zenodot, Aristo-
phanes, Aristarch, wenn sie, wie nicht bezweifelt werden kann, die Be-
gründung ihrer kritischen Meinungen und Festsetzungen im homerischen
Texte nicht in schriftlichen Commcntarien niederlegten, sondern dieselbe
nur in mündlichem Lehrvortrag ihren Zuhörern mittheilten , weiche sie
dann wohl oder übel der Nachwelt überlieferten). — Von den örTentlichen
Vorträgen mancher Philosophen gelegentlich unten ein Wort. — Nach allem
diesen scheint es doch sicher zu sein, dass die römische Sitte der reci-
tationes aus Griechenland übernommen ist, und dass wir die wesentlichen,
so wohlbekannten Züge der römischen Vorlesungen auch nach Griechen-
land, in unserer Vorstellung, übertragen dürfen. Gewiss ist, dass die Be-
rechnung auf einen mündlichen Vortrag den Charakter der griechischen
Schriftstcllerei, namentlich in formeller Rücksicht, stark bestimmen musste:
so erklärt sich, denke ich, z. B. die Vermeidung Jdes Hiatus, die rhyth-
mische Sorgfalt auch in Prosaschriften wesentlich hieraus.
1) S. Eunapius V. Soph. p. 69; vgl. Wernsdorf zu Himerius or. XVI
p. 673.
2; Bis nach Aethiopicu reiste z. B. Alexander Ilr^XorXaTiuv : Phiiostr.
V. S. p. 77, 25. Aristldes erzählt das Gleiche von sich selbst : s. or. XLMU
Al-^iimo;, namentlich (vol. II] p. *57 f. ed. Dind.
3) Sommerferien der Hhetoren (ebenso wie in Rom) : Sievers, Libanios
p. 23. Rhetorische Kunstreisen während dieser Zeit: ebcndas. p. 26.
4) Davon das wunderlichste Betspiel bei Plutarch de san. tuenda 14:
der Sophist Niger in Galatien [oder Gallien) lässt sich mit einem zugewan-
derten Sophisten in einen Weltkampf im fAeXetav ein , l)eachtet in seinem
Eifer nicht eine Fischgräte, die ihm vor Kurzem im Halse stecken geblieben
war, zieht sich durch seine Anstrengung eine Entzündung zu, und stirbt.
— 307 —
Stätten der grossen Wettspiele durfte in damaliger Zeit der
epideiktische Vortrag kunstreicher Reden nie fehlen ^) .
An Götterfesten hatten die Redner der öffentlichen Begeiste-
rung Worte zu leihen; und man mag sich als die glänzendste
Sonnenhöhe dieser neuen Sophistik den Tag vorstellen, an wel-
chem der aus Smyrna herbei gezogene Polemo zur Einweihung
des im grauen Alterthum begonnenen, nun endlich durch Ha-
drian vollendeten Olympieion in Athen, Von der Schwelle des
erhabenen Tempels vor dem Kaiser und allem Volk die Bedeu-
tung des Tages rednerisch zu feiern hatte, an welchem man in
der That an das, durch die Gunst des Herrschers erweckte,
nun im herrlichsten Symbol sich widerspiegelnde neue Leben
der alten Hellas zu glauben sich verleiten lassen konnte.
An solchen festlichen Tagen trat nun der Sophist, von zahl-
reichen Schülern geleitet, vor das Volk, im Schmuck der reich-
sten Gewänder, wie sie, im Gegensatz zu der absichtsvoll
schlichten Tracht der Philosophen zu den Abzeichen der Rhe-
toren gehörten ^) . Seine Vorträge selbst konnten sehr mannich-
ialtiger Art sein. Häufig hielt er eine wohl vorbereitete Rede
<ler epideiktischen Art, sei es nun, dass diese einen fingirten
<yegenstand der gerichtlichen oder der berathenden Beredtsam-
1) Vgl. Cresollius p. 480 ff., wo aber, wie in jenem Werke überall,
«Ue Zeiten durcheinander geworfen sind. Für unsere Periode vgl. noch
l«ucian Pseudolog. 5 init. (Olympia) Die Chrysostom. er. VIII p. 277/78 R.
(Isthmische Panegyris) Lucian Herodot 8 (grosse Paneygris in Thcssalonike,
^o viele Sophisten, Rhetoren und Historiker zusammenkommen und auch
liucian selbst [vgl. Scytha 9 ff.] auftritt).
2) Wegen der glänzenden Tracht der Sophisten vgl. namentlich Lucian
Khet. praec. 16. 16, Philostr. V. S. p. 43, 22 (Polemo) 91, 18 (Adrianus).
Blanche Sophisten verschmäheten sie: so Aristides: or. LXIX, II p. 895, 8 ff.
4ebb. (Charakteristisch genug ist es, dass in späterer Zeit der Tpißwv
^ivtxou; zu einer förmlichen privilegirten Uniform der Sophisten wurde:
Ol^inpiodor in Fr. hist. Gr. IV p. 68 f. § 28 : vgl. Cresollius p. 243 ff.
Agathias hist. II 29 p. 68 C: otoXi^|V -^(A7c(o)^eTO aefA,voTdt7)v, 67:o(av rap' i^fA,Tv
t>t Twv }j&fn»'^ xa&Tj'pQTal xal ot^cHoxGiXoi dfi^t^wjvrai) . Der Gegensatz zu der
einfachen Tracht der Philosophen wird öfter hervorgehoben: z. B. von
Themistius or. XXVIII init. Als Aristokles, durch Herodes Atticus bekehrt'
von der Philosophie zur Sophistik übertrat, vertauschte er alsbald seine
bisherige unsaubere «Tracht (ouaTriv?)« rt^^ Isdfjta} mit einem eleganteren
Aeusseren: Philostratus V. S. p. 74, 18 ff. VgL die Anekdote von Philo-
stretus bei Plut. Anton. 80.
• 20*
— 30S —
keil behandelte ^K oder diiss sie aus dem weiten Gebiete der
eigentlichen Prunkrede oder der Gelegenheitsrede irgend ein,
dem Orte und der Veranlassung des jedesmaligen Auftretens
angeuiessenes Thema zum Stoffe ihrer künstlerisehen Bearbeitung
er>vahlle. Im L'ebermuth des KUnstlerbewusstseins wandte er
auch wohl einmal Wilz^ Laune und Scharfsinn an die lobprei-
sende Ausfuhrung eines jener »unansehnlichen Themen«, der-
gleichen schon die alten Sophisten behandelt hatten, und von
deren kunstgemilsser Ausarbeitung uns Lucians »Lob der Fliege«
ein sehr zierliches Beispiel darbietet 2).
Den höchsten Triumph konnte aber die Kunst in einem
gänzlich unvorbereiteten Vortrag über ein erst in der Feslver-
sammlung selbst gestelltes Thenm feiern. Solche Improvisa-
tionen, welche nur bei der reifsten Entwickelung der Kunst-
übung, unter einem, im höchsten Grade mit Liebe und Ver-
stiindniss der Kunst gleichsam durchtränkten Volke irgend einen
Erfolg haben können, waren in Griechenland seil Alters beliebt.
Schon Gorgias ghinzte in improvisirten Beden ^l, bei Dichtem
war diese l.'ebung vielleicht schon althergebracht*) ; wir hören
1 Solche i-TAliilm X«5y(uv roXixixojv kann man, im wieiteren Sinoe,
doch auch zum fi^oi erioeixTixov rechnen. (Vgl. Menandcr, Rhet. Sp. III
p. 331, 45 ff...
2) Lob des Wechselfiebers, der Mücke etc. Beispiele solcher H^i
'jT.oHoeii aus alter und neuerer Sophistcnzelt bei Crcsollius p. 20t f. ; vgl. ^ I.
Volkmann, Rhetorik d. Gr. u. R. i65.
:r Die Zeugnisse bei Zeller, Philos. d. Gr. I 930 ;3. AuH.). — Vom tf^»
Isokrates wird diese Kunst, improvisirend Ttepl ixaoro'j tojv TrpoßoXXojiivaiv -^»^«v
circiv vorausgesetzt in der Anekdote bei Galen r. toO rrpoYtvciaxEtv, XIV 67J K. — -^.
4) Improvisationen des Maracus, des Antipater von Sidon, des Licintus -^^ms
Archias, mancher Dichter zu Quintilians Zeit; allgemein ausgebreitete Sitte ^^-^e
der Improvisation in Tarsos in Cilicicn : s. Welcker, Kl. Sehr. II X Ml
p. XC — XCll. Von den Künsten dieser, an die italienischen iroprovisalori
erinnernden spaten Autoschediasten will W. die natürliche Gabe der Augen
blicksdichtung am Anfang der Geschichte der Dichtung streng anter8chiedentf~si n
wisi»en. Im Allgemeinen gewiss mit Recht; aber es findet sich doch ein^^ -«e
bestimmte Spur einer eißentlichen kunstmässigen Improvisation, bei gege — -s?-
benem Thema, auch in iilterer Zeit. In dem s. g. Certamen Homeri c
Hesiodi, dessen Urform auf Aleidamas zurückgeht, beginnt Hesiod dami
dass er dem Gegner einzelne Fragen vorlegt , welche dieser sofort in dici
terischer ^'orm beantworten muss: p. 7. 8 ed. Nietzsche; er Tährt dam
fort p. 4«— U. Das ist doch nichts anderes als ein förmlicher Wettkam
im Improvisiren (vgl. Nietzsche, Rhein. Mus. XXV 589 f. ; und so enül» it
— 309 —
späterer Zeit noch gelegentlieh von dichterischen Improvi-
>ren: selbst Grammatiker, wohl auch Philosophen Hessen
i bisweilen solche alsbald auszuführende Themen, zur Uebung
Geislesgegenwart und zur Bewahrung eines sicheren Wissens
l Verstehens, aufgeben^). Gern möchte man erfahren, ol)
Redner der asianischen Schulen ähnliche Improvisationen
ntlich veranstalteten. Dem Auftreten der Rhetoren aus der
jiten Sophistenzeit geben jedenfalls gerade diese aulosche-
>tischen Reden sein besonderstes Gepräge. Der zu solchem
gniss bereite Redner verlangte, nachdem er wohl meistens
3 kurze Rede zur Einleitung voraufgeschickt hatte^) , ein Thema ;
Angesehenste unter den Hörern stellte etwa zuerst eine
gäbe 3); Andere folgten ihm; unter der Anzahl der Themen
rde eines, sei es nach dem Belieben des Redners oder nach
Scheidung des Publicums, ausgewählt^), über welches der
1 auch Plutarch, conv. Vll sap. 4 0 von diesem Wettkampf ganz in den,
t bei rhetorischen Autoschediasmen üblichen Ausdrücken: ^pojTfjiei;
»ßaXov. — dTiexptvaTO 0£ 'IIolooo; ix toO irapaTj/övcoc. Mag nun auch
Anordnung jenes Certamen erst dem Aleidamas angehören, so war doch
> allen Zweifel die Sage davon viel älter, und diese Sage selbst hat gar
c Consistenz, wenn sie sich nicht auf den thatsüchlichen alten Gebrauch
her Wettkarapfe der Rhapsoden verschiedener Schulen in dichterischen
rspielen, Lösung von Räthselfragen und improvisirter Ausführung gegebener
cnen stützen konnte. Etwas Verwandtes waren ja auch jene Wettkämpfe
oetischen Räthseln , wie sie z. B. in den hesiodischen Gedichten: »die
bzeit des Keyx«, und »Melanipodie« geschildert wurden (und ähnlich
. B. in der alten Edda sich vorfmden).
1) Grammatiker traten im Theater auf, und hielten ex tempore einen
rag über eine, zur Behandlung ihnen aufgegebene Stelle irgend eines
sikers : s. Lehrs Aristarch p. 221 f. ed. I.
2) Eine solche praefatio schickte der Rhetor Isaeus seinen extempo-
in Vorträgen voraus: Plin. epist. II 3, 1. Die rpoXaXiat des. Lucian
tin., Herod., Zeux., de domo, Dionys., Herc, electr., Dips.) geben
n genauen Begriff solcher Vorreden, in denen eine anmuthig gewendete
iblung schliesslich stets in eine persönliche Empfehlung des Reden-
ausläuft: aber sie bilden Einleitungen zu wohl vorbereiteten, nicht zu
mporirten Reden und Vorträgen.
3) So wenigstens bei Philostr. V. S. p. 41, %2: als der Sophist Marcus
Byzanz einst in Smyrna die otaxpißf, des Polemo besuchte, toD floH-
o; aiToüvTo; xd; üTroO^aei;, dnecxp^'fovTO TidvTe; d; tov Mdpxov, Iva
idXot.
4) Der Redner kann von den aufgegebenen Themen einige verwerfen:
ian Rhet. praec. 18. Plinius epist. II 3, 2 vom Improvisator Isaeus:
X »
— 310 —
Sophist ohne Weiteres, höchstens nach einer kurzen Meditation ^},
zu reden hatte.
Bisweilen kamen nun wohl kleine [Betrtigereien bei diesem
Vorgange vor, durch welche dem Redner wohlbekanntes als
neu und unvorbereitet vorzutragen ermöglicht werden sollte^).
Im Allgemeinen aber darf man sich die improvisirten Vorträge
als höchst kunstreich und glänzend, ja als die glänzendste Leistung
dieser Sophisten überhaupt vorstellen. Lehrt doch eine alte«
heutzutage wenigstens an Musikern zu erneuernde Erfahrung,
dass eine, durch sorgsame Uebung bis zur mtlhelosen Herrschaft
über die Form ausgebildete Kunstfertigkeit, im Augenblick einer
lebhaft erregten Gluth der Empfindung, bisweilen ihren Meister
in einem wogenden Erguss seiner Kunst emporzuheben und
fortzutragen vermag, dessen Kraft, Schönheit und Stlssigkeit in
einer ktlhleren Stunde und bei absichtlicherem Bemtthen ihm
zu erreichen nie wieder gelingen wilP). Schon darum würden
wir sehr unrecht thun, die Verdienste jener rednerischen Im-
provisatoren nach den uns erhaltenen schriftlichen Compositionen
derselben Sophisten zu beurtheilen*). Die wichtigste Voraus-
setzung zu einer bedeutenden Wirkung solcher Improvisationen
liegt freilich in einem Publicum, welches mit Andacht und
poscit controversias plures, eleclionem auditoribus permittit. Das end-
gültig erwählte Thema ist i^ vevixT]xuta uirö&eaic (Philostr. p. 78, SO),
r) o::ouoa3&eToa OiröOeoic (ib. 80, 9).
1) Vgl. Philostr. p. 38, 89 ff. (Scopelianus) 48, U ff, (Polemo) 78, 81 f.,
(Alexander). Eine solche kurze Bedenkzeit sich zu nehmen, räth ausdrück-
lich Quintilian X 7, 20.
2) Man Hess sich etwa durch vorher instruirte Freunde, aus der
Sammlung heraus, eine Aufgabe zur Improvisation stellen, auf die m^
sich bereits genau vorbereitet hatte: Lucian Pseudolog. 5. 6. Oder
Hess sich ein Thema aufgeben, über welches man schon einmal an andei
Orten improvisirt hatte: wie bei einer solchen Gelegenheit der Sopfti^
Philagros von seinen Neidern verhöhnt wurde, erzählt Philostr. p. 85.
3} Quintilian X 7 , j 3 f. : si calor ac Spiritus tulit , f^equenter acei«
ut successum extemporalem consequi cura non possit. Deum tuncadfaii
cum id evenisset, veteres oratores, ut Cicero dielt, aiebant. Sed r^Ci«
manifesta est. u. s. w.
4) Seneca controv. III praef. p. 844, 80 ff. Kiessl.) von dem am»»-
gezeichneten Improvisator Cassius Severus: non est quod illum ex his qu«e
edidit aestimetis u. s. w.
i
— 311 —
zugleich einem schnellen Verständniss und bewusstem Genuss ^}
allen Feinheiten und Schönheiten der Rede zu folgen vermag.
Ein solches Publicum, wie es gegenwärtig in der ganzen Welt
nirgends anzutreffen sein möchte, war im damaligen Griechen-
land durch die allgemein verbreitete rhetorische Schulung der
höher Gebildeten förmlich herangezogen: und so begreift man
denn die Schwelgerei des EntztLckens, den leidenschaftlichen
Beifall, mit welchem diese Hörer alle geistreichen, kraftvollen,
fein gewendeten Stellen einer wohl gelungenen Improvisation
aufnahmen. Die Redner bedurften durchaus der lebhaften Zu-
rufe, des Klatschens und TtLcherwehens^) ; die feurige Natur
der Hörer Hess diese selbst nicht stille sitzen 3] : es ist sehr
thöricht, dieser Lebhaftigkeit der Empfindung die gleiche Lebhaf-
tigkeit der Aeusserung zu vertlbeln. Die Eifersucht der Rhe-
toren und ihrer Anhänger, gegenüber den Concurrenten, schürte
noch das Feuer; Schüler und Freunde des Redenden bildeten
eine Claque^); die allzu genauen Kenner der Kunst übten eine
scharfe und gefährliche Kritik^].
1) Einen bewussten Genuss aller rhetorischen Kunstmittel verlangt
vom Hörer z. B. Aristides or. XLIX, II p. &i9 ff. Dind.
2) Philostr. V. S. p. 444, 3: ixxpoUi fäp ojtUfrt Xö^ov xal dxponzifi
ocfAvcp irpoO(67:c|> xal ßpa^uc liraivo« xal t6 y^i xpoxeTadat ouvi^&mc xtX.
(Tacitus dial. 89: oratori clamore plausuque opus est). Ueber die Empfind-
lichkeit des Rhetors gegen kalte, unaufmerksame, spöttische Zuhörer,
eine drastische Ausführung bei Synesius, Dio p. 842, 45 ff. (ed. Dindorf,
hinter dem Dio Chrysost.). — Ueber das Beifallrufen bei den rhetorischen
Schaustellungen vgl. im Allgemeinen, ausser CresoUius p. 271 ff., auch
P. E. Müller, De genio aevi Theodos. I 57 , Sievers, Libanius p. 27. Noch
im sechsten Jahrhundert schreibt ein Bewunderer dem Rhetor Procopius
(Proc. epist. 49): »bei jedem Worte deiner Grabrede erfüllte ich und
alle Zuhörer das Theater (mit Beifallrufen) , indem wir jedesmal mit S te n t o r •>
stimme (ßo6bvrcc orevr^pctov) schrieen.« Das muss nett gewesen sein.
3) ThemisUus XXVI p. 815 C: du$e(ji(a (ay)xocvi?j töv TtjiXöiftp b\koita^o'rrzoL
xtTodat dfvfls (dfvco Harduin] inX t?Jc nirpac, xal xoO ß^&pou (add. aäroO?)
(ixivTjTdTepov.
4) Dies sind die x^P^^' Lucian Rhet. pr. 21. Ein speculativer Rhetor
in Smyma Hess seine Schuldner sich schriftlich verpflichten, seinen [uktzat
beizuwohnen (natürlich nicht, um stumm zuzuhören) : Philostr. V. S.
p. 54, U ff. Sonst vgl. noch, ausser CresoUius p. 292 ff., Petavius zu
Themist. or. XXI p. 244 B (p. 648 f. Dind.).
5) Vgl. namentlich Lucian, Rhet. praec. 22. Dergleichen Kritiker meint
wohl Aristides, or. XLIX, II p. 895, 22 ff. Jebb. unter den dort erwähnten
— 312 —
Von dem ZusainincnwirkcD des Redners und der Hörenden
iu solchen gesteigerten Momenten eine wirkliche Vorstellung zu
gewinnen, ist sehr schwer; man darf aber glauben, dass in der
That den glUckliciien Redner bei solchen Veranlassungen ein
durch die spontane Ilervorbringung des rhetorischen Kunst-
werkes lebhaft aufgeregtes WohlgefUhl der eigenen Kraft \i, ein
an dem Tönen und Wogen der klangreichsten Sprache, an der
»Fülle des eigenen Wohllauts« entzündeter, halb musikalischer
Rausch euiportrug zu einer Begeisterung, welche die alten Rhe-
toren sel1)st mit dem furor poi'ticus insofern nicht unpassend
vergleichen , als dieselbe in der höchsten Erregung doch der
sicheren Handhabung sorgfältig eingeübter Kunst nicht vergass*}.
Die ganze Person des Redners wirkte zur Darstellung des ora-
torischen Kunstwerkes mit. Die Stimme, durch besondere
l'ebung und diaetetische Mittel geschmeidig gemacht^,, folgte
allen Stiumiungen der Rede mit einem fast nmsikalischeu Aus-
drucke, welcher bisweilen, nach einer vcm den asianisehen
Rheloren vererbten Tusitte , in einen förmlichen Singeton aus-
artete^), und für sich allein, gleich dem Gesänge eines Vogels,
TTposa-ycoYer«.. — Man lese namentlich auch, was Libanius im 'AvTio-/ixd;
1 p. 335 R.; von dem genauen Kunstverständniss des ^esammten Publicums
und im Besonderen der rhetorischen Concurrenten in Antiochia erztthlt.
wo denn vör^oa voaoOv, xai «/f];i.a rjixa(iTr,fjL2vov , xtX i*f^ii.a oie^^a^jxivov
euO'j; T/.to.
1; — extcmporalis audaciae at(iue ipsius temeritatis vel pruecipoa
jucunditas est: Aper bei Tacitus dial. 6 extr.
2; vgl. Arislides or. XLIX , II p. 5i5 fT. Dind. %iimZy Ososopf-T»; :
Philostr. V. S. p. 28, U ff. .;vj:l. Plutarch de reeta rat. aud. 45;. S. Cre-
sollius p. 257 ff.
3; ^^'SY.r^\li^r^ tt; cojvtJ Philostr. p. S2, 3ü (der daher auch oft die Stirom-
weise der Hhetoren hervorhebt: p. 97, 48: jj.e>.i-/pa Tig r*"^5? P- ®''» -9
TTaycia ':f^ ^cnvi^ u. s. w.;. Einige übten den Körper durch Gymnastik:
Philoslr. p. 4 01, S ff. Um die Stimme geschmeidig zu machen, ass man
xpa^axavt^a u. s. w. : s. S>nesius Dio p. 342, 8i ff. Dind. Vgl. Seneca
controv. I praef. p. 63, 24 ff. ed. Kiessl.
4j Singeton der Asianer: Cicero urator § 27, § 57. In der Sophisten-
zeit: Lucian Rhet. pr. 49, Demon. 12; Plut. recl. rat. aud 7. (>)^|: Phi-
lostr. V. S. p. 4 4, 43; 26, 29; vgl. 80. 7. Bisweilen wurde es doch selbst
dem Philostratus zu arg: vom Sophisten Varus sagt er, p. 4 20, 9: 7,v tiyjp*
e*>f(uvtav air/'jv(uv xa|jL7:aT; asfidiTtov ai; r.a^ 'JnooyfjOaiwiJ ti; twv daeXYCTripoiv
(von römischen Rhctoren seiner Zeit sagt Tacitus dial. 26 : läudis et gloriae
et ingenii loco plerique jactant, cantari saltarique commentarios suos.;.
— 313 —
oder dem Spiele eines Kilharoden, auch des Griechiselien un-
kundige Hörer ergötzen konnte*). Vielleicht wurde dieser
singende Ton, den man noch heutzutage bei einer einseitig auf
das Rhythmische achtenden Kecitation von Gedichten wahr-
nehmen kann, durch die, bis zu einer unglaublichen, einem
modernen Ohr schlechterdings unfassbaren Zartheit der Empfin-
dung ausgebildete Achtsamkeit der antiken Rhetoren auf dem
rhythmischen Bau auch der prosaischen Rede befördert, dessen,
hei diesen sophistischen Rednern freilich vielfach in weichliche
Spielerei 2) ausartende Feinheit der Redner jedenfalls wohlgefällig
hervortreten liess. Bis zu welcher Vollkommenheit die Gebärden-
sprache des Redners durch Nachdenken und lange Erfahrung
ausgebildet war, ist namentlich aus Quintilian bekannt; auch
hierin neigten sich die Sophisten jener Zeit zur heftigsten Ueber-
treibung : in l)acchantischer Erregung sprangen sie wohl von
dem Stuhle, auf dem sie anfänglich sassen, auf, und begleiteten
ihre Rede mit den wildesten Gesticulationen^.. Uebrigens er-
trugen antike Hörer hierin viel mehr als moderner Geschmacks-
richtung, wenigstens in nördlichen LiSndern, zusagen würde ^;.
Aristides rühmt sich selber nach, dass er von dieser, wie von anderen
rhetorischen L'narten sich frei gehalten habe: or. 50 II p. 412, 7 ff. Jebb. ;
vgl. or. 49, II p. 395.
\) Den in Rom angestellten Adrianus hörten auch die des Griechischen
Unkundigen gern, »wie eine gesangreiche Nachtigall«, nur um seines Vor-
trags willen: Philostr. V. S. p. 93, 20 ff. Aehnliches vom Favorinus ibid.
^tf 9 vVgl. auch die alberne Geschichte von Trajan und Dio Chrysostomus
ebend. p. 8, 13 ff.). Mit der Wirkung des Spieles und Gesanges eines
Kitharoden vergleicht den Reiz dieser süssen Reden spöttisch Dio Chrysost.
or. XIX p. 486/487 R. ; vgl. Plutarch de recta rat. aud. 7.
2) Bisweilen begegnet ihnen, dass sie in das verpönte l;jL[j.eTpov verfallen
(vgl. Volkmann, Rhetorik p. 444 f. 451); es ist nicht unnütz, hervorzu-
heben, dass sie auch hierzu sich durch den Vorgang des Hegesias und an-
derer Asianer verleiten Hessen: s. Theo progymn. p. 71, 9 ff. Sp. — Wie
es der allzu wohlgefällige Rhythmus war, der bisweilen zum singenden
Vortrag verleiten konnte, deutet z. B. Demetrius r.. ef.jj.T^v£ia;, Rhet. Speng.
III p. 802, 15 an, wenn er den Rhythmus des Plato Y^.acpupöv xi\ u>otxov
caf^mi nennt.
3) "ocUa^ai, Tup-raviCeiv : Philostr. V. S. p. 33, 10 ff. Vgl. Lucian rhet.
praec. 19. Cresollius p. 255 ff. Eine förmliche unöxpiai; der Sophisten in
den [ukhai, mit welcher sie ganz schauspielermässig einen Tyrannen-
mörder, einen Bauer, einen Armen darstellten : Lucian de saltat. 65.
4) Cicero erlaubt das Schlagen vor die Stirn, das heftige Aufstampfen
^
— 314 —
Solch ein Tag des öffentlichen Aufireteos brachte dem
glücklichen Redner, im Glänze der Bewunderung und des Ruh-
mes, den Lohn der längsten Bemühungen, um so mehr, da zu
solchen Festen, wie zu dem ergötzlichsten Schauspiele, die ganze
Bevölkerung der Stadt bis zu den Handwerkern hinunter^),
häufig auch die höchsten Würdenträger des Reiches, ja bis-
weilen die Kaiser selbst sich einzufinden pflegten. Die ganse
Sache ging mit einem Pomp vor sich, der wohl erkennen liess,
welche Wichtigkeit man solchen rednerischen Schaustellangeii^
beimass. In der That waren die Helden solcher Ehrentage, die
Sophisten, häufig die angesehensten Männer ihrer «Stadt; um sie
und ihre Angelegenheiten drehte sich das Interesse ihrer Mit-
bürger, nicht nur in dem armen Athen sondern selbst in dem
glänzenden Smyrna; die zahlreichen Schüler, welche ihnen aus
den fernsten Provinzen des ungeheueren Reiches in so bunter
Mischung zuströmten , wie nur je die Studenten aller Länder
den grossen Universitäten des ausgehenden Mittelalters , trugen
ihren Ruhm in alle Fernen^]. Es gab nun freilich eine über-
mit dem Fusse, Quintilian wenigstens das Schlagen der Uüfle (irardvoctv
Tov fiTjpöv): s. Volkmann, Rhetorik p. 491. [Dieselben heftigen Gesten kann
man noch heute z. B. in Italien an Predigermönchen in der Fastenzeit wahr-
nehmen, und sie passen gar nicht .übel zu der, in ihrer drastischen Art
ganz vortrefnichen Declamationsweise dieser, von einer frei stehendeo
Bühne zum Volke redenden Bussprediger.)
1) Die bemerkenswertheste Angabc über den grossen Andrang Im
öfTentiichen Vorträgen berühmter Rhetoren findet sich in einer Stelle des «
heil. Basilius, auf welche CresoUius p. 208 hinweist: epist. 45S (nach an- ^
derer Zöhlung 351 ; Basilii Caes. Opp. der Ausgabe der Congregation von *
S. Maure, Benedictiiter Ordens, Paris 4730, T. III p. 460 G). Dieser be- -
richtet, bei Gelegenheit eines Vortrags des Libanius in Antiocbia: oux '^ov m
Ttc lim Td>v di[({ivaiv •^e'ii9%ai , o'jx dSi({i|xaTo; ^'pctp ouvdbv , o'j OTpoTUomiotc 2
rapeivai xaTT^:t£(7ovTo toic ifSiois, Tausend Zuhörer eines Sophisten : Arrian.^
Epfctet. 3, 23.
2j Nur beiläufig sei an die zuweilen ganz ungeheueren Honorarc^v
dieser Zuhörer erinnert i'dns stärkste vielleicht Philostr. V. S. p. 49, 6 tt.)e i
um darauf hinzuweisen, dass schon damals die noch immer moderne Weis— -
heit zur Rechtfertigung solcher Collegiengelder geltend gemacht wurde-
wonach ein Unterricht, den man umsonst empfange, von den Scbültii^i
nicht gebührend und jedenfalls weniger als ein durch Honorar erkaofl»^
geschützt werde: Philostratus V. S. p. 43, 20 ff., und ganz Ähnlich LikMa-
nius vol. III p. 441.
— 315 —
grosse Anzahl Sophisten und Redelehrer, unter denen gar manche
in Dürftigkeit und Dunkelheit ihr Brot verdienten, manche auch
als Freibeuter die Vortheile des Berufes gewissenlos ausnutz-
ten ; wie uns denn Lucian ein solches schäbiges Exemplar eines
Sophisten sehr lebendig geschildert hat*). Die uns näher be-
kannten Rhetoren bilden einen nicht allzu grossen »Kreis« von
Berühmtheiten, aus welchem sogar ein Talent wie dasjenige
des Lucian ausgeschlossen blieb 2). Die angesehensten wieder-
um unter dieser Auswahl waren von einem Sonnenglanz des
Ruhmes umflossen, wie nur je ein Künstler oder Humanist der
Renaissance. Ich erinnere nur an zwei rechte Vorbilder der
.Sophistik aus ihrer glänzendsten Zeit: an Herodes Atticus,
der unter den Antoninen in Athen |lebte als gefeierter Lehrer
der Kunst, als Freund der Kaiser, als grossartiger Wohlthäter
der Stadt, zu deren Nutzen und Verschönerung er ein fürst-
liches Vermögen fürstlich aufwandte, »der König der Rede«,
»die Zunge der Hellenen «^j; und an jenen Polemo, welcher
etwa zur gleichen Zeit an dem andern Hauptsitze der Sophi-
stik, in Smyma, im höchsten Glänze lebte und lehrte, und mit
einem erstaunlichen Stolze und Selbstgefühl seines Ruhmes,
der sich vornehmlich an seine glänzenden Improvisationen
knüpfte , und seiner stattlichen Reichthümer genoss. Er trat
mit grossem Pompe öffentlich auf; in dem üppigen Smyma be-
wohnte er das glänzendste Haus, und trug die Stirn so hoch,
dass er, wie Philostratus berichtet, »mit den Stadtgemeinden
1) Die gedrückte Lage der vier Redelehrer in Antiochia schildert Li-
banius in der Rede btzkp Tdäv j^Tjtöpwv, t. II p. 908 ff. — Das oben erwähnte
»schttbige Exemplar« ist Lucians ^euSoXoftar/)C'- über die Praktiken, zu
denen ihn seine Armutb veranlasste/ vgl. namentlich Pseudol. c. 30.
2) 4 Toöv ootptOT&v x6xXoc: Philostr. V. S. p. 27, 29; <09, 30; 424, 5.
Dass Philostratus in seinen Sophistenbiographien des Lucian mit keinem
Worte gedenkt, ist auffallend genug : die Gründe dieser »Secretirung« hat
der treffliche Solanus in Kürze sehr richtig bezeichnet, zu Luc. pro merc.
cond. 15 (111 p. 582 Bip.). Uebrigens muss irgend ein späterer Geschicht-
9ehreiber der Sophistik auch Lucians Leben erzählt haben: wober wüsste
sonst Suidas, dass er anfönglich ^ixT^^öpo; h 'Avttoxe^ t^c Sup(ac war, was
ja in seinen Schriften nicht überliefert wird? (lieber die christlichen
Erweiterungen der Lebensgeschichte des BXda;p7)fA,oc ^ AuacpT]fAoc s. Fritzsche,
Xuc. opp. I 2 p. 70. p. 76).
3] ßaatXeu; Td)v Xöfcav (s. auch Lucian, Rhet. praec. M], 'EXXi^vo^
YX&oera: vgl. Westermann, Gesch. d. griech. Beredts. § 90, 43.
— 310 —
wie ein höher Gestelller, mit Herrschern ohne Unterthänigkeii,
mit Göttern auf dem Fussc der Gleichheit verkehrte^)«, ja, was
wohl noch mehr sagen w ill, sogar vor einem verehrlichen Publi-
cum durchaus nicht die herkömmliche Deumth bezeigte ^j.
Es gab nun wohl sehr verschiedenartige Richtungen und
Charaktere auch unter der Zahl der auserwühlten Mustersophi-
sten, wie denn z. B. Aristides einen bewussten Gegensatz
zu den »Asianern« seiner Zeit bildete 3., das ^Stegreifreden
mit harten Worten verwarf, und auch wirklich in seiner eige-
nen schwerfälligen und umstiindlichen Schreilnyeise sehr wenig
von dem Feuer und der koketten Leichtigkeit eines Improvisa-
tors zeigt. Dennoch sind den ineisten^Charakteren, sowohl der,
durch die hier beispielsweise genannten Männer vertretenen Zeit
der eigentlichen HlUlhe des sophistischen Wesens, als auch der
folgenden Jahrhunderte gewisse wesentliche CharakterzUge , als
gemeinsame Kennzeichen der ganzen Gattung, gleichmässig eigen.
Voran steht eine, zuweilen ganz maasslose Eitelkeit. Diese
war freilich ein natürliches Ergcbniss ihres, ganz auf die persön-
liche Virtuosität gestellten Berufes. Sie erstreckte sich so gut
wie auf die Kunst auch auf die äussere Erscheinung des Ein-
zelnen*) , und gefiel sich wohl gar in dem zweifelhaften Re-
1; Pliilostratus V. S. p. 45, 30 iJ. — Mit den Göttern standen manche
angesehene Sophisten in recht vertraulichem Verkehr. Wie Aesculap sich
um die rhetorische Erziehung des Aristides bemühte, ist merkwürdig genug
zu lesen. Aber auch den Sophisten Antiochus aus Aegae zu heilen und zu
upterhalten hielt der brave Heilgott »für einen schönen Kampfpreis seiner
(ärztlichen) Kunst«: Philostratus V. §. p. 75, iS.
2; Vgl. Philostr. p. 46, 9. Dies ist eine Probe der schönen Unver-
schämtheit, die Lucian dem angehenden Sophisten empfiehlt, Rliet. praec. 45.
Leberhaupt erinnern die meisten Züge des in jener Schrift des Lucian
geschilderten Sophisten an Polemo (der Invective gegen Pollux unbeschadet):
er war eben wirklich ein Typus der Gattung.
3) oTi Ttjv TTAgovdlaaaav -epi tt,v 'Asiav IxXuaiv dvexTTjaaTo 'ApiorciOT,; *
ouveyd); (?wohl cuve/Vj;) y<*P ^^i ^'^i Itim^ xaiTTidavö;: Longinus art. rhetor.
Rhel. Speng. 1 826, 80. Gegen die yau^ivrii der Sophisten seinerzeit hält,
seine eigene maassvolle Declamationsweise Aristides selbst, er. XLIX, III
p. 895 Jebb.
4) Ueber diese Kitelkeit auf k()q)erliche Schonheil vgl. wiederum vor —
züglich Lucians Rhetorum praeceptor. Philostratus liebt es, die körperlicbi
Ersclieinung der Sophisten zu beschreiben: z. B. p. 77, 6. 20; 83, 21 ^
86, 44; 402, 42; 448, 7. Es waren meist staUliche Manner. Aebnlici
— 317 —
nomme eines liederlichen aber unwiderstehlichen Weiberhel-
den *) . Sie eigentlich war es, welche 'stets einen kleinen Krieg
der Eifersucht zwischen den, auf ihr Ansehen wachsam und
neidisch bedachten Concurrenlen erhielt, allerlei böse Reden
hin und wider gehen Hess, in späterer Zeit die Anhanger der
unter einander verfeindeten Lehrer geradezu zu heroischen Prüge- '
leien anfeuerte, in früherer wenigstens giftige Pasquille der
Gegner veranlasste 2], Angesehene Schulhitupter verkehrten in-
dessen doch auch auf dem Fusse einer, zu gegenseitijger Liebe-
dienerei bereiten, diplomatischen Höflichkeit mit einander 3).
Nun ist Eitelkeit sicherlich keine Eigenschaft grosser Cha-
raktere; aber sie besteht ganz wohl zusammen mit gutmüthi-
ger Harmlosigkeit des Temperaments, und dient wohl gar dazu,
eine, durch grosse Energie der Arbeit bewährte Hingebung an
ein immerhin doch ideales Vorhaben, wie sie die besseren
und bedeutenderen Sophisten bezeichnet, zu beleben*). Selbst
auch Eunapius (und z. B. auch Damascius, vita Isidori § 495). Man wird
hierbei sich erinnern, dass die Physiognomonik in jenen Zeiten eifrig
hetrieben wurde. In sehr boshafter Weise hatte Poleroo in seiner Physio-
gnomonik das Urbild eines Weichlings so individuell ausgemalt, dass die
Zeitgenossen, auch ohne Nennung des Namens, sofort den Favorinus.
des Polerao ärgsten Gegner erkannten: Apulej. de physiognom. p. 428, vgl.
Rose p. 70 ff. (Anecd. gr. et graecolat. I).
1} Vgl. Lucian, Pseudolog., und Rhet. praec. 23. (Ein solcher iiitto6-
(uvo; ToL oxiXt), wie ihn Lucian schildert, war z. B. Scopelianus: Philostr.
V. S. p. 47, 6).
2) Die grossen Prügeleien florirten erst im vierten Jahrhundert, dem
Zeitalter des richtigen Pennalismus: s. die Beispiele bei Sieversr Libanius
p. 34. Früher Hessen wohl einmal die Anhänger eines Sophisten dessen
Widersacher durch ihre Sclaven prügeln, so dass er an den Folgen starb.
Der grosse Mann selbst hatte keinen Antheil daran: er verglich die
Schmähungen der Gegner mit Flohbissen. (Philostr. V. S. p. 92). •— Pas-
quille gegen rhetorische Gegner sind die Invectiven des Lucian gegen Pol-
lux (Rhet. praec. fin.), gegen zwei ungenannte Sophisten, im Pseudologista
and im Lexiphanes. Bekannt sind die Streitigkeiten des Polemo und Fa-
vorinus, Herodes und Demostratus (Philostr. p. 63, 41), Herodes und Ari-
stides (Westerm. BtOYp. p. 324> 52 ff.).
3) Hierfür Beispiele bei Philostratus , p. 41, 27 ff. und namentlich
p. 48. 7.
4) Aristides ist sicher der Eitelsten einer. Und doch, welche liebens-
würdige Gesinnung, welches echte Wohlwollen spricht sich in seinen Grab-
reden auf Eteoneus und Alexander von Cotyaeum (or. XI. XII) ausl Mir
— 318 —
die Wiedererweckung alterthUmlicher Gesinnung blieb nicht
immer Phrase ; man bedenke nur, dass in den schweren Zeiten
der Gotheinnotli im dritten Jahrhundert einDexippus aus den
Kreisen dieser Sophisten hervorging. Ja, will man nur nicht
ein ganz unzutrefTendes modernes Maass anlegen , so wird man
sogar gestehon müssen, dass bisweilen, z. B. in einzelnen Zügen
aus dem Leben des Herodes Atticus, das persönliche Selbst-
bewusstsein sich, über die Eitelkeit hinaus, zu jener grossarti-
gen, christlicher Demuth freilich völlig entgegengesetzten, spe-
cifisch griechischen Gesinnung erhob, welche die Alten ixeYGi^OY{t>-
yia nennen , und welche sie für die erhabenste Tugend des
adelichen und als solchen sich wohl erkennenden Geistes und
Charakters hielten *; .
Fasst man Alles zusammen, so wird man in dem farben-
reichen Bilde des persönlichen Auftretens und Wirkens die-
ser Sophisten durchaus die bedeutendste und erfreulichste Seite
ihrer ThUligkeit erkennen dürfen.
3.
Jedenfalls halte eine ganz auf den Augenblick beschränkte
rednerische Thiitigkeit einen wesentlichen Theil ihrer Bestim-
scheint, dass ein billiges Urtheil solchen Reden einige doch nicht allzu vor-
laute persönliche Eitelkeit, einiges Liebäugeln mit dem Wohllaut der eige- -
nen, namenUich in der Rede auf den jungen Eteoneus so süss und lieblich
tönenden Empfindung recht wohl nachsehen dürfe. — lieber den Fleiss •«
und die Arbeitsenergic der meisten Sophisten braucht kaum etwas specielles ^
gesagt zu werden: diese Eigenschaft, unter den echt hellenischen nicht J
die geringste, spricht sich in tausend Beweisen überall aus. Vgl. aber im m
Besonderen, was etwa Plinius epist. II 8 von Isaeus sagt, oder Philostratos «s
V. S. p. 78, U AT. von Herodes Atticus.
1; Ich will mir nicht versagen, dem Unwesen gegenüber, welches bis
weilen mit der griechischen oojcppoa'jvr^ getrieben wird (die man, gemtith- -
lieh genug, wohl gar von einer Antigone fordert), an die Worte des Aristo
teles in der Nicomach. Ethik IV 7 p. 41281), i ff. zu erinnern, in we]chec:v
der ococpfyoajvT] ihr richtiger Platz angewiesen wird: ^oxcT (jieYaX6<j;ux^^
eivai 6 fjLEYdiXojv auxov dl^idiv, Ä;io; uiv • 6 ^dp ji.i?j xaT di$(av aOxo iroi&v -^Xtlho;^.
— fxeYaXö^'j/o; fxev O'jv 6 eipr^fx^vo;. b oe (j.ixpöbv dEio; xal toütwv d^tvv
erjTov 9(6'^ pcuv, (xe^aXo^u/o; o' o5. Man lese die weitere Schilderung dieser
vornehmsten Gesinnung. Dass solche (xcYaXo^poo'jvTj etwas acht Helleni-
sches, den Barbaren völlig Fremdes sei, führt eine schöne Stelle des
Aristides aus: or. XLIX p. 400, 4 8 ff. Jebb.
— 319 —
mung erfüllt , wenn sie die Hörer , auf deren Ergötzung und
Erbauung sie doch einzig berechnet sein konnte, bis zu solcher
Begeisterung zu entzücken vermochte, wie es dje Redekunst
der Sophisten that. Eine andere Frage ist es. ob die Kraft
derselben hinreichte, auch solche Werke zu schaifen, welche
der Nachwelt zu dauernder , nicht durch alle Ilülfsmittel des
kunstvollen persönlichen Vortrags bestochener Betrachtung über-
liefert zu werden würdig waren : eine Festdecoration kann ihrer
Aufgabe, einem feierlichen Tage zum bedeutenden Schmucke
SU dienen, vollkommen genügen , ohne dass doch eine Ausfüh-
rung derselben in festerem Stoffe rathsam wäre, welche einen
gaoz anderen und strengeren Stil erfordern würde. So werden
sich denn auch manche Sophisten auf den mündlichen , zumal
improvisirten Vortrag beschränkt haben ^) ; und ob sie daran
nicht ganz wohl thaten, mag man sich beantworten, wenn man
I- B. mit dem unermesslichen Ruhme des Polemo als Augen-
blicksredner die Dürre, Mühseligkeit und unergründliche Lang-
weiligkeit der uns erhaltenen beiden (ausgearbeiteten Declama-
tionen desselben Autors vergleicht. Im Allgemeinen verzichtete
indessen die erneuerte Rhetorik so wenig auf den Ruhm, auch
der Nachwelt die Documente ihrer ThUtigkeit zu hinterlassen,
dass sie sogar der gesammten prosaischen Litteratur der letzten
Zeit des Griechenthums ihre Spuren tief eingedrückt hat.
laicht liesse sich selbst in den Dichtungen dieser späten Jahr-
hunderte (z. B. in den Gedichten des Nonnus) ihr Einfluss
1) Aach für viele griechische Rhetoren wird güllig sein, was Seneca
^^trov. JII praef. in Beziehung auf den römischen Rhetor Cassius Severus
^f einsichtig ausführt, dass er ganz in seinem Element nur im münd-
"^en Vortrag war, zumal im extemporalen. — Die Proben der Bercdtsam-
^^^ berühmter Sophisten, welche man bei Philostratus liest, sind wohl
^'^haos Reminisccnzen aus ihren mündlichen Vortragen. Man schrieb
■•«elben (ganz wie die Vorträge der Grammatiker, der Aerzte [s. Galen.
rjjj' ÄSO; XIX <4 K.] u. s. w.) nach (commentarii [= {*7:ofivi^,fxaTa] , zum
^**Ü ungenau: Seneca, Rhet. p. 61, 8 Kiessl., vgl. Philostratus V. S.
"^ ^, 9; Apulejus Florid. p. 10, 8 ff. ed. Krüger; s. auch Sievers, Libanius
^' ^7), eifrige Hörer behielten glänzende Stellen auch wohl in ihrem durch
^•le Uebuog gestärkten Gcdächtniss. So der ältere Seneca; so Adrianus
J^"* T^TUS: Philostr. p. »0, 21 ff. Vgl. Sievers a. 0. «9. Böse Buben be-
■•Iten natürlich nur das Lächerliche der Vorträjie im Gedachtniss: vgl.
^•^n. 6 p. 10, 1 ff. Bchl.
nachweisen. In der Prosa beherrschte sie nicht nur, als ihr
eigentliches Reich, die Rede im engeren Sinne und in ihren
zahlreichen {Spielarten , dazu noch den weiten Umkreis der
»schönen Littoratiir«, also die Erzählungen und alle, in irgend-
wie künstlerischer Absicht vorgetragenen phantastischen und
thatsächlichen Rerichte : sondern sie griff sogar hinUl)er in das
Gebiet der Historie und der Philosophie. Die Geschichtschrei-
biing, schon seit den Arbeiten der isokrateischen Schule an die
Oberherrscliaft der Rhetorik gewöhnt, wurde jetzt geradezu als
eine eigene Abtheilung der Redekunst in Anspruch genommen ^1 ;
von der beängstigenden Beflissenheit der Rhetoren auf diesem
Felde der Darstellung mögen namentlich die Proben rhetori-
scher Bearbeitungen der Pariherkriege des Verus Zeugniss ab-
legen, welche Lucian in seiner Schrift über die Geschichtschrei-
bung miltheilt. Zur Philosophie hatte die damalige Rhetorik
ein eigenthümliches VerhUltniss. Der alte, nie erloschen
Widerstreit zwischen den Künstlern der reinen Form der Red
und den ErgrUndern des innersten Wesens der Dinge enl —
brannten aufs Neue mit grosser Heftigkeit in persönlichen un
litterarischen Zwistigkeiten '-) . Dennoch liefen manche Födei
von der Rhetorik zur Philosophie hinüber. Einige MUnner
den auf der Mitte zwischen beiden Gebieten : es wäre w^ohl i
der That bedenklich, einen Favorinus, z. B., mit Entschiede
m
1} Manche stellten als viertes ^hoi der Boredtsamkeit (neben dem
3uji.ßo'j).£UTtx«5v, otxavix<5v, ^ptcofxiaaTix^v ' das ^fvo; loropix^v auf, sich ftlsc'
lieh auf Aristoteles berufend. Darunter ist eben die Geschichtschre
bung, als rhetorische Disciplin gefasst, zu verstehen. S. Yolkmai
Rhetorik p. 12 f.
2) Die Polemik des IMato, spUter namentlich des Epikur, gegen
Rhetorik ist bekannt ; nicht minder die der Skeptiker (Sext. Empir. kj
'(^T^':o^ai) . Interessant ist der in Athen geführte Disput über Philosophie i^ '^
Rhetorik bei Cicero de orat. 1 c. AH (T. (Vgl. auch Quintilian II 47, ^
mit Rose** Bemerkungen, Aristot. pseud. p. 76. 77). Aus der Sophisteniait ist
namentlich des Aristides Lobpreisung der Rhetorik gegenüber dem PItfto
und allen philosophischen Verächtern derselben; bemerkenswerth : v'g/.
H. Baumgart, Aelius Aristides ;L. 1874) p. U ff. Noch aus der sptttesl^o
Zeit ein Tadel der Rhetorik von philosophischer Seite bei Damascius V.
Isid. § 204. Vgl. Procop. sophist. epist. 88. Persönliche Reibereien, i. B.
zwischen dem Cyniker (oder Stoiker) Timokrates und Scopelian: Philostr.
V. S. 47, 6; und Favorinus: 52, 13; zwischen Peregrinus Proteus und He-
rotles: ib. 71, 11. Demonax und Favorinus: Luc. Demon. 48 (vgl. 86).
— 321 —
lieit nur diesem oder nur jenem Lager zuweisen zu wollen.
£r war so gut Sophist wie Philosoph. Andere rechneten sich
selbst mit Bestimmtheil zu den Philosophen, und doch musste
sie schon die ganze Anlage ihrer Vorträge, mit welchen sie
sich im Theater, von dem ganzen Apparat sophistischer Decla-
■mationen umgeben , an die Beifallsrufe der Menge wendeten ^j ,
ziothwendig auf die sophistische Seile hinUberdrängen. Eine
solche Theaterphilosophie konnte bei dem besten Willen nicht
uuuhin, den Inhalt der Form unterzuordnen, und dieses eben
ist ein wesentlichstes Kennzeichen der sophistischen, im Gegen-
satze zur philosophischen Weise. Diese philosophischen Decla-
Tnatoren bildeten in damaliger Zeit eine besondere Kategorie
^on i> Philosophen, welche in dem Rufe standen, Sophisten zu
sein«^), über ihre Wortjägerei, ihre ausschliessliche Sorge für
z*hetorische Form ärgerten sich schon Musonius und Epictet ^j :
sie hielten aber aus, so lange die Sophistik selbst am Leben
X>lieb ; für uns mögen , aus den verschiedenen Stadien der So-
phistik, Maximus von Tyrus ^) und Themistius ihre Hauptvertre-
Cer sein ^) . Es hilft diesen philosophischen Schönrednern nichts,
dass sie selbst alle Gemeinschaft mit den eigentlichen Sophi-
sten von sich abweisen ^) ; sie so gut wie Diö Chrysostomus und
1) Dies sind diejenigen Philosophen, welche h toTc xaXoufJiivoic dxpoa-
"rQpCotc ^poivaaxouatN, isOTz6shoui Xaßövrec dxpoatdc xat ycipoVjdetc eauToTc: Dio
Chrys. er. XXXII p. 657 R. Vgl. Seneca epist. 53. Solche dxpodioei;, mit
BeifoUkiatschen u. s. w. hielt z. B. Themistius: s. Them. or. 26 p. 313 D,
«f4A.
2) ol fiXooofi^oavTc; £v h6i^ xoO oo^toreOoat: Philostr. V. S. init. Vgl.
Synesius, Dio. (Von dergleichen philosophischen Akroasen redet ührigens
auch Platarch in der Schrift de recta rat. aud.).
3) Blosse Wortjäger nennt den Favorinus und seine philosophischen
Oenossen, Domitius bei Gellius XVIII 7. 3. Vgl. Musonius ebend. V l, und
vorzüglich Epictet, Dissertat. III 23.
4) Diesen declamirenden Afterphilosophen erkennt, vielleicht mit Recht,
Fritzscbe wieder (Lucian II 4 p. 498) in jenem St^wvtoc aocptsn^;, welcher
in Athen behauptete, aller Weisheit kundig zu sein und von Demonax so
witzig abgetrumpft wurde: Lucian. Dcmon. 4 4.
5) OeffentUche Vorträge eines cynischen Philosophen z. B. in Julians
siebenter Rede erwähnt.
6) So namentlich Themistius or. 28. Vgl. auch Dio Chrysost. or. XII
p. t72R. (Pfauen und Eule: das gleiche Bild anders, und beinahe schwer-
mttthig, gewendet: or. LXXII p. 387. 388], und den Spott des Lucian in
Bob de, Der griechidche Romnn. 21
— 322 —
andere Ueberlaufer von der Sophistik zur epideiktischen Popu-
iarphilosophie sind um so gewisser nur als eine besondere Gat-
tung von Sophisten zu erachten, weil die rhetorische Theorie
einer rednerischen Behandlung philosophischer und ethischer
Gemeinplätze sogar eine eigene Stelle in dem Fachwerk ihrer
verschiedenen Gattungen und Arten angewiesen hat und die-
selbe also ausdrücklich als ihr Gebiet in Anspruch nimmt \'.
So gut wie die Geschichte und Philosophie konnte die Rhetorik
beliebige andere, ja eigentlich jeden andern Stoff sieh unter-
werfen: denn das ist leider immer das Verhältniss geblieben,
in welches fremdartige Gegenstande bei einer Verbindung mit
der Redekunst traten. Am Liebsten indessen blieb die sophi-
stische Beredtsamkeit doch für sich allein. Bei einer solchen
Beschränkung konnte nun freilich eine Entartung nicht aus-
bleiben. Zunächst fehlte es, in damaliger Zeit, der eigent-
lichen Beredtsamkeit an jedem mit Nothwendigkeit sich
darbietenden Gegenstand. Den Stoffen ihrer eigenen Gegen-
wart wich sie, wenigstens so oft ' sie einen höheren Aufflug
thun wollte, am Liebsten aus: sie erschienen ihr klein und
ruhmlos 2;. Wenn sie dennoch dergleichen Themen zu behan-
deln unternahm, so stellte sie, einer realistischen Behandlungac^ g
seiner späteren, quasi-philosophischen Zeit über die Sophisten, zu deneic^ -?o
er doch einst selber sich gerechnet hatte, und eigentlich fortwährend ge — "^s?-
hörte. — (So nennt sich auch Apulejus in den Bruchstücken seiner mnm mn
sophistischen Declamationen, den s. g. Florida, wiederholt pbilosopbas).
1) Reden über popularphilosophische Gegenstände heissen 5ta>.£3eu nni^ jvid
werden als solche den [».tXhai über fingirte Themen der berathenden ode^-^^^^r
gerichtlichen Beredtsamkeit entgegengesetzt: s. Kayser zu Pbilostr. V.
(Heidelb. 1838; p. 358 (zu p. 90, hO]. Sehr deutlich ist dieser Gegensat
zwischen den roXtTixol xal d^o3^im%o\ twv Xö^wv und der, dort sogenanDter
^laXexTtx-fp d. h. rhetorischer Behandlung philosophischer Themen ans
geprögt bei Aristides or. 50 p. 415, 17 fT. Jebb. Solche ^toXi^ei; hielte
nun zuweilen auch reine Sophisten: z. B. Proclus von Naucratis bei Phm'-^'
lostr. V. S. p. 106, 14 ff. Und die oben erwähnten progymnasmatische^^ o
l^£oei; waren ja zu einem grossen Theil derartige Sia>i^t« in nuce.
2) Dio Chr^sost. or. 2i p. 505 R. : ta»; ti jiio'j xaTa^j>o"veT« xal ifjffl j-«-'
XtjpeTv 8ti o'j repl K6(:>ou xai 'AXxißiaoou ^i-^vo , (u;rep ol co^ol In x«l vy-^^.
dX).d N£pa>NO« xai toio6t«uv rpafixaTcov vcwT^pcov te xal d^ö^ov pivt;vovt6«»-
Wie sich dieser Ekel gegen die Kleinheit der gegenwärtigen Zeit in der
ganzen Litteratur des zweiten, dritten und vierten Jahrhunderts ausprügf»
deutet sehr einsichtig an Jac. Burckhardt, Constantin. p. t85 f.
— 323 —
•
ron Grund aus abhold, dieselben zumeist in einen Reflex des
üterthums ^) , von welchem ihr alles Licht des Erhabenen und
Mlen auszugehen schien. Viel lieber aber wandte sie sich unmit-
elbar Gegenständen der alten Geschichte oder Göttersage zu;
licht ungern führte sie rein phantastische Stoffe aus. Aber die
Vahl der Gegenstände entschied sich doch im letzten Grunde
lurchaus nach der grösseren oder geringeren Leichtigkeit, mit
velcher dieselben sich einer, im Sinne der Zeit wirksamen rheto-
ischen Ausschmückung darzubieten schienen. Selten verband
'Ja achtes und eigenes Gefühl den Redner mit seinem Thema:
nit der Phantasie allein versetzte er sich soweit in dessen
nneren Gehalt, dass er alle Seiten ausspähete, auf denen er
las schillernde Licht seiner Beredtsamkeit sich widerspiegeln
assen konnte. So vermochte er mit einer ärgerlichen Leich-
igkeit und Gewandtheit über jeden beliebigen Gegenstand zu
eden , das Kleine gross , das Grosse klein zu machen ^) , jede
beliebige Gesinnung, welche irgend Jemand irgendwann ein-
nal haben konnte, je nach den Erfordernissen des Augenblicks
inzunehmen und mit Nachdruck vorzubringen, ohne doch selbst,
ait seiner eigenen Empfindung, irgendwie betheiligt zu sein,
freilich war diese* Art empfindungsloser Schönrednerei die noth-
vendige Frucht einer bis zur höchsten Stufe der technischen
^ntwickelung getriebenen Redekunst', welche, von jedem sub-
itantiellen Hintergrund losgelöst, nun für sich allein souverän
lein wollte. Die Redekunst als solche hat es — trotz aller Ver-
;icherungen der Rhetoren, dass nur der beste Mensch der beste
Redner sein könne — mit Wahrheit des Inhalts, Aufrichtigkeit
1er Gesinnung, Aechtheit der Empfindung durchaus nicht zu
hun ; diese , für eine lebendige Beredtsamkeit ja freilich sehr
1) Daher die ewige Einmischung von Salamis und Marathon, Leonidas
md Kynaegirus, welche Lucian verspottet, Rhet. praec. 18. Vgl. Jupp.
Tag. 32; Dio Chrysost. 29 p. 5H ; auch Reines, zu Eunap. V. S. p. 894
Soiss.
2) TÄ jjicv OfjLixpd {xefdXoDC "Ki^ti^, rd o^ iLf^d^a optixpcä;: diese ficht so-
ihistische Kunst (Plato, Phaedr. 267 A) stellt Longinus, Speng. Rhet. I 828, k
rarzweg als ^TjTopixfj; Ip^ov hin. Vgl. Apuleius de dogm. Piatonis III
^. 262 Hildebr. : oraloris excellentis est lata anguste, angusta late, vulgata
iecenter (? schreibe recenter, und streiche dann beide Worte, als ein
Slossem zum folgenden: us. n.), nova usitate, usitata nove proferre, ex-
teouare magna, maxima e minimis posse efficere u. s. w.
21*
■y
— 324 —
•
wesentlichen Erfordernisse hatte in alter Zeit die Redekunst
einfach vorausgesetzt: sie waren mit den Gegenständen
selbst gegeben, so lange diese Gegenstunde von dem lebendigen
Loben und seinem eignen Interesse dem Redner aufgedrungen
wurden. Seit diese Gegenstünde selbst verschwunden waren
und nur durch die Phantasie, nach willkürlichem Belieben, wie-
der heraufbeschworen werden konnten, vermochte die einzig
übrig gebliebene, rein formale Kunst der Rede jene ethischen
Voraussetzungen einer achten Beredtsamkeit nicht zu ersetzen.
Immerhin mag man , ehe man der sittlichen Entrüstung über
ein solches lügenhaft leeres Gaukelspiel und rhetorisches Kunst-
feuerwerk die Zügel schiessen lässt , noch bedenken , dass
wenigstens die Absicht der Täuschung diesen Rhetoren
fern liegen musste. Betrachtet man nur die Unbefangenheit,
mit welcher z. B. in der Schrift des Menander über die Prunk-
rede der angehende Rhetor angewiesen wird, Lob und Tadel M ^\
rein nach rhetorischen Erfordernissen, und mit grosser Gleich -
gültigkeit gegen die thatsüchlichen Verhältnisse, auszuspenden, ^. ^,
so wird man auch wohl glauben dürfen, dass wenigstens der m. t
grosse Theil des Publicums, welcher in der Rhetorenschule sein
Bildung sieh erworben hatte, die wirklichen Leistungen de
Meisler der Kunst ebenfalls als rein rhetorische Kunstwerke,^
zur Ergützung der Phantasie, des W^itzes, des Kunstverstande^
bestimmt, auffasste, und hinter seinen Tiraden nicht mehr au
richtige Gesinnung suchte, als der Redner in der That aufg
wandt hatte.
Nach alle diesem wird man diesen Rednern am Leichtestei^ ^o
gerecht werden , wenn man sie vorzugsweise von der Seit» Jle
ihrer formalen Redekunst betrachtet.
Hier muss man auf jeden Fall die grosse Energie de— 5-J5
Fleisses anerkennen, mit welchem diese MHnner die erstorben» ^e
Schönheit und Fülle der griechischen Rede neu zu beleber o
suchten. Sie schulten sich durchaus an den grossen Alteo^^;
deren Werke sie unablässig durchforschten ; dass aber die Nach -
ahmung der Classiker wenigstens nicht zu einer trockene':*^
GleichmUssigkeit der Manier führte, beweist wohl die gross.^
Mannichfaltigkeit der Stilarten, welche aus den sophistischen
Studien hervorgehen konnte, und deren man sich alsbald be- m-^
wusst wird, wenn man die Namen des Aristides, Lucian, Liba- » *^
— 325 —
niu3, Julian, Himerius, Philostratus, Aelian neben einander
nennt. Dass diese grosse Verschiedenheit individuellen Aus-
druckes, welche an sich Ja ein Lob sein konnte, so leicht über
die, durch die antiken Vorbilder so liberal gezogenen Grenzen
eines reinen Geschmackes hinausirrle, scheint weniger in eig-
ner Licenz der Einzelnen seinen Grund zu haben, als in einer
nicht immer wohl geleiteten Wahl der nachzuahmenden Muster.
Ein begreiflicher Zug der Wahlverwandtschaft führte manche
-der neueren Sophisten über die ernsten Alten hinaus, zu ihren
^eigentlichen Vorgängern, den rhetorischen Manieristen Gorgias
und Hippias *) ; und wie diese einer prunkenden Kunstberedt-
.samkeit hellere Lichter und keckere Linien leihen konnten, als
<lie^ an die Sache denkenden praktischen Redner und Histo-
riker, so mögen, um des gleichen Vortheils willen, auch die
^sianischen Rhetoren gelegentlich als Vorbilder benutzt wor-
■den sein. Wenigstens finden sich bei den affectirtesten der
.sophistischen Autoren gerade diejenigen Fehler wieder, welche
.strengere Kritiker an Hegesias und den Asianern rügten : ein
in kleinen selbständigen Abschnitten daher trippelnder Satzbau,
-eine seltsam verdrehte Stellung der Worte, ein unmässiger Ge-
1)rauch der Tropen und Figuren, ein weichlicher, leicht in
<len Fehler fast metrischer Cadenzirung verfallender Rhythmus.
'Schlimmer war noch, dass man die hervorragenden Meister der
neuen Sophistik, welche man wohl gar schon bei Lebzeiten den
grossen Alten gleichstellte, ja vorzogt), alsbald selber wieder
1) Von Adrianus aus Tyrus erzählt Philostratus V. S. p. 9*, 25: t9jv
T:apaa%cü*r)v T?j; X^^ewc dtzo Ttöv dpyalajv aocpiotÄv itEpießdiXXeTO. Vom Proclus
«US Naucratis ebendas. p. 4 06, U: Stc ippiTjaeiev eU oiciXe^iv, t7r::taCovT( tc
4({yxci %oX ifopxtG^ovTt. Eine Streitfrage war es, ob man dem Kritias nach-
ahmen dürfe. Ihn führte zuersV in den sophistischen Gebrauch Herodes
Atticus ein: Philostr. p. 72, 8 f. Auch Phrynichus in der cocpiTcixT) rapa-
mLe'j-f\ zählte Kritias unter den Musterautoren auf: Photius bibl. cod. 158.
Eine gewisse Geringschätzung deutet Pollux VII 496 an: KptTiac — xat roX-
\tA Tan fxaXXov avroO nexpipivcov.
2) Dem Herodes rief die in Olympia versammelte Menge zu: ei; cb;
AT|(AOoOiv7]c ! Philostr. p. 49, 24. »Einen der zehn Musterredner« nannte
denselben -i] 'EXXdc: Philostr. p. 72, 11. Als Scopelianus nach Athen kam,
bewunderte ihn der Vater des jungen Herodes so sehr, dass er die Hermen
der alten Redner in seinem Hause mit Steinen zu zertrümmern befahl,
»weil sie ihm seinen Sohn verdürben«. Philostr. p. 34, 7 ff. — Ein solches
Selbstgefühl, wie es die lateinischen Rhetoren der Kaiserzeit beseelte, und
— 326 —
zu Classikern sleinpelte und ihre Weise nachahmte, die doch
auch nur ein schwacher und unreiner Nachhall originaler Rede-
kunst gewesen war^j.
Wie im eigentlich Rhetorischen, so konnte auch im Gebiet
des Sprachlichen das eifrigste Studium nicht vor einem unzei-
tigen und durchaus verderblichen Abweichen von der, von den
Alten vorgezeichneten Bahn völlig bewahren. Zwar man ver-
suchte auf das Emstlichste eine Rückkehr zur ächten Sprache
der alten Autoren. Etwa seit der Zeit des Augustus war, ver-
muthlich durch die damalige atticistische Reaction der griechi-
schen Rhetorik angeleitet 2) , die Grammatik in den Dienst
sie zu jener Verachtung der Alten verleitete, wie sie sich z. B. in Apers
Rede in dem Dialog des Tacitus ausspricht, war gleichwohl bei den grie-
chischen Sophisten unerhört.
1) Den Hippodromus verglich man mit Polemo; er antwortete: xl |i'
aftavatoioiv iioxei;; Philostr. p. 116, U. — Lucian Lexiph. 21 warnt aus-
drücklich : jiii?) jinjiciaÖai töjv iXi^ov 7:00 i^,jii5»v ft^o\U'40i'^ oo^ioxftv xd t^jXixvm
{vgl. Rhet. praec. 4 7;. Dagegen empfiehlt Die Chrysost. XVIll p. 480 R.
zu stilistischen Zwecken das Studium auch der neueren Rhetoren, eioes
Antipater, Theodorus, Plutio, Conon. Den Rhetor Nicostratus rechnete man
zu einer zweiten Decas jüngerer Musterredner: Suidas s. Nixosrp. Wie
hoch man ihn bewunderte, mag die Notiz des Suidas (s. Mijtpo^p.) andeuteo, ,«. ^,
dass der Rhetor Metrophanes ein Buch schrieb repl t6b^ yapaxTf^poiv Ukd -2-
Tor^o;, Hevo<fd)VTo; , NtxoarpdTO'j , (DtXosrpdTou. Nie Stratos und Philostratug jt^^ms
in Einer Reihe mit Plato und Xenophon ! In der That charakterisirt Hermo ^
genes, r. iU&s II p. 420 (Spengel), nach einer Anzahl altclassischer Slilmuster
auch (als noch so Einen) den Nicostratus. So erwähnt denn auch Mcnande
TT. iri^eixTixoiv (Spengel Rh. III; unter den vorbildlichen Autoren gelegen
lieh den Nicostratus, Callinicus, Polemo, Aristides, Adrianus (p. S86 eitr..
p. 890, \). In noch spöterer Zeit wurden dann als Stilmoster nicht nuifl
Philostratus, Lucian, Libanius für canonisch gehalten, sondern selbst Achill
Tatius und Heliodor genossen hohen Ansehens. Vgl. die sehr merkwürdige^^ ^
Vorschrift eines byzantinischen Rhetoren bei Bekker, anecd. 4 082.
2; Wenigstens kenne ich kein älteres Beispiel einer Wörtersammlon^aiK^
zum Behuf der Ausbildung rein attischer Schreibweise als jenes, in einer ve
dorbenen Glosse des Suidas fs. KexOao;} näher bezeichnete Werk des Rbeto
Caecilius von Calacte, welches er eine £x).o'p^J X^c^wv xaxd OTot)^ctov oeon ^
(der Titel war wohl, wie ich glaube, Ka>.Xip(>T||jLoa6vr| »Wohlredenheit«, als^
wozu eben die Sammlung selbst Anleitung geben sollte. Solche jenaehdenrv
poetisch oder scurril klingende Titel waren gerade für Bücher, welche di^
trockensten Materien abhandelten, beliebt; einige Beispiele bei Welcker»
Kl. Sehr. II 549. 579 Anm. 4). Diese Schrift des eifrigen rhetoriscbeti
Atticisten sollte doch ohne Zweifel den Absichten einer rbetorischeo
— 327 —
der Rhetorik getrelen. Hatte sie bisher, über der wichtigeren
Aufgabe der Ordnung, kritischen Wiederherstellung und Erläu-
terung der classischen Schriftwerke, die Sprache als solche, und
über ihre Verwendung in eben jenen Schriftwerken hinaus,
einigermaassen vernachlüssigen dürfen, so sollte sie nunmehr
die Lehrmeisterin w^erden, welche die, in den weiten halbbar-
barischen hellenistischen Reichen auf das Uebelste verschlissene,
getrübte, abgeschwächte griechische Schriftsprache in ihrer ur-
sprünglichen Reinheit und Kraft wieder an das Licht zu stellen
und den Lernbegierigen zu überliefern hatte. Diese Aufgabe
einer praktischen Sprachlehrerin hielt die griechische Gramma-
tik von nun an bis in die spätbyzantinische Zeit fest. Da sie,
in dem normalen Verlauf des Jugendunterrichtes, ihre Stelle
unmittelbar vor den Studien der Rhetorik halte, so lag ihr eine
vorbereitende Zurüstung ihrer Schüler für die besondern Zwecke
der vornehmeren Schwester um so näher ^) . Die Absicht einer
genauen Relehrung zum eigenen Gebrauche (und nicht für eine
rein wissenschaftliche Erkenntniss) verleugneten selbst die
Werke nicht, in welchen solche Meister wie Tryphon und He-
rodian das weite Gebiet der griechischen Formenlehre und
Flexion statistisch darstellten; wie nun zahlreiche GehUlfen
solche grossarlige Arbeiten durch Trivialisirung der praktischen
Benutzung poch näher zu legen beflissen waren, so arbeiteten
andere Grammatiker im unmittelbaren Dienste der Rhetorik,
indem sie durch genaue Feststellung eines rein attischen Wör-
terschatzes und Sprachgebrauches ihren Absichten auf
Gmkehr zu reiner attischer Sprache dienen. Einer der frühesten Nach-
folger des Gaecilius in der Anlegung solcher atticidtischen Wörtersamm-
langen war Irenaeas (die Bruchstücke seiner Schriften bei M. Haupt ind.
schol. aest. Berol. 4871), wenn anders das so lange Zeit zweifelhafte Zeit^
alter seines Lehrers, des Metrikers Heliodor, jetzt richtig auf die Mitte des
ersten Jahrhunderts nach Chr. fixirt ist (s. Hense, Heliodor. Unters.,
p. 164—467).
1) Seit wann mag die Reihenfolge der Studien diesen fest geregelten.
Gang gehabt haben: vom Grammatisten zum Grammatiker, von da zum-
Rhetor? Ich weiss keine Antwort (für das Jünglingsalter erwähnt als Lehrer
die xpiTt'xoi, d. i. die Grammatiker im gelehrten Sinne zuerst der Pscudoplaton^
Axiochus p. 866 E.). In dieser späten Zeit griffen Grammatiker und Rhe-
toren im Unterricht so in einander, dass sogar die Grammatiker schon bis-
weilen rhetorische Vorübungen veranstalteten: s. Quintilian inst. II, 4, 2»
— 32S —
«ine Wiedergeburt der altclassischcn Sprache fördersam ent-
entgcgenkaroen ^j . Die reine attische Sprache , welche im täg-
liclien Gebrauche der Gebildeten längst durch die »allgemeine«
griechische Conventionssprache der hellenistiischen Periode ver-
drängt war, und auch in Attika selbst aus der, mit zahlreichen
Fremden und Barbaren verniischlen Bevölkerung der Stadt
Athen sich auf das Land gefltlchtet hatte ^), konnte zum schrift-
stellerischen Gebrauche nicht mehr aus dem lebendigen Volks-
nmnde, sondern einzig aus den Werken der altattischen classi-
schen Autoren erlernt werden. Der hierzu erforderlichen, und
nur von gelehrten Philologen auszuführenden beschwerlichen
Forschung in den Alten unterzogen sich die Grammatiker mit
grossem Eifer und einiger Pedanterie; die Ergebnisse ihrer
Untersuchungen stellten sie unmittelbar in den Dienst der rhe-
torischen Praxis, theils als persönliche Berather der Sophisten^],
theils durch Anlegung grosser Sammlungen der Schätze acht
attischen Sprachgebrauchs, aus denen der rhetorische Schrift-
steller seine Belehrung entnehmen mochte. Die Nothwendigkeit
einer grammatischen Zurtlstung veranlasste auch manche Rheto-
ren iwie schon den Arislodem von Nysa, Stral>os Lehrer*), oder
1; Es gab wohl auch schon im dritten Jahrhundert vor Chr. rigorose
Att leisten: man sehe aber, wie kecklich, diesen gegenüberi der Komiker
Posidippus das eAXT)N((;eiN vertheidigt: fr. com. IV p. 524, fr. ine. U.
2) Dies nach der bekannten Behauptung des Philostratus, V. S. p. tft,
4—7. (Die Stadt Athen hatte, um eine reine Sprache zu bewahren, eine
viel zu bunl gemischte Bevölkerung: non Athenienses tot cladibus exstinctos,
sed colluviem illam nationum, Tacitus annal. II 55. Eindringen fremde
Bestandtheile in die athenische Sprache schon im fünften Jahrb. vor Chr.:
Pseudoxenophou de rep. Athen. 2, 8. Vgl. die Ausführungen Piersons ad
Moerid. p. 849 f. Man unterschied schon damals zwischen der attlMbei
Sprache xcbv xatd rfjV d^oontiav xal täv is aar« öwTpi34vT«v: Sext. Empir.
adv. grammat. § 228, mit Berufung auf eine Aussage des) Aristophanes.
Vgl. Lobeck Agiaoph. p. 876.;
3; So war Dorion 6 x{>itix«5; der 5^vo; des Dionysius von Milet: Phi-
lostr. V. S. p. 87, 25. Verbindung des Herodes mit dem xpiTtxoc Munatius:
ibid. 49, 8; 71, 27 ff.; anderer Rhetoren mit Grammatikern: p. 96, 40;
125, 19. Das merkwürdigste Beispiel ist in der Aussage des Pbrynicbos,
ecl. p. 271 Lb., enthalten, wonach der Grammatiker Secundus die ouiYP^f*"
fjiaTa des Polemo in sprachlicher Beziehung revidirtc.
4, S. Strabo XIV p. 650 : darnach hielt dieser A. in Nysa und (später?)
in Rhodus zwei Vorträge jeden Tag (gleich den meisten Redelehrem: vgl.
— 329 —
später den Julius Pollux, den Lehrer des Commodus) , in ihrer
3igenen Person den Rhetor und Grammatiker zu vereinigen.
An Fleiss und Gründlichkeit fehlte es also auch hier nicht.
^ber die so mühsam vermittelte Wiederherstellung einer rei-
leren Schriftsprache trug, obwohl doch immerhin auf dem
jninde einer noch lebendigen Abartung der alten Sprache er-
:)aut, alle Spuren jenes künstlichen und unsicheren Lebens,
M^elche stets selbst den geläufigsten Gebrauch einer todten
Sprache begleiten. Die praktische Anwendung vermochte selten,
mit der wissenschaftlichen Einsicht gleichen Schritt zu halten ^) .
kündigt doch Lucian selbst häufig genug gegen eben die sprach-
ichen Regeln, deren Verletzung er an seinem »Soloecisten«,
) Pseudologisten « und »Lcxiphanes« so bitter verhöhnt. Selbst
lie feinsten und genauesten Regeln konnten aber nur einen
biegränzten Theil des Sprachgebietes umfassen ; immöglich konnte
ihre sorgf<(ltigste Erlernung, konnte das anhaltendste eigene
Studium der Alten jemals vollständig befähigen, den Reichthum
eugleich und die knappe Genauigkeit, die zarte Biegsamkeit
und die sichere Bestimmtheit der alten attischen Sprache im
eigenen Gebrauche nachzubilden. Lucian ist sicherlich kein
verächtlicher Sprachktlnstler; ja, er stellt in seinen Schriften
ein wahrhaft bew^undernswerthes Beispiel für die erstaunlichen
Erfolge dar, welche selbst an einem Genossen einer ganz frem-
den Nation 2) das eifrige Studium der attischen Sprache, von
Cresollius p. 392, und vorzüglich Pollux onom. VIII praef.) , itpoi plsv.tt^v
^Tjtopixfjv, oeD.T); hk r^v •jfP^p-p-'X'ci^'^iV ayoXfjv. — So heisst der doch wesent-
lich als grammatischer Atticist thtttige Phrynichus bei Suidas oocptor/];.
1) So bemerkt Philostratus V. S. p. 96, 4 ff. vom Pollux: er wisse
Dicht , ob dieser Sophist diratSeuTo; oder ::£T:atO£'j(x£No; zu nennen sei ; als
das letzte lasse ihn sein Onomastikon erscheinen, aber in seinen eigenen
rhetorischen Versuchen oOoev ^IXtiov etfpo'j •^rrixiaev. Und Photius cod. 458
Bitr. vom Phrynichus : xaXoij xal lupaiou Xö^oo SXtjV £XXotc ouvadpolltuv, auTo;
oO X(av ToiouTij) (seil. Xöfij)?) irepl vjiiäs dTza-^fOXtu^ iyrj-fioaTO. Und in der
Tbat, wie struppig ist oft seine Schreibweise in der irXofrit wo er einmal
längere Sätze bildet (z. B. in dem längsten der zahlreichen Ausfälle gegen
llenander: p. 448).
2) Man wird ganz wörtlich zu verstehen haben, was Lucian bis accus.
87 selbst berichtet: wie ihn 7cop.ioij] fxeipdxtov Svra ßdpßapov 2t i t-^jV
^(bvi^^'v %a\ fxovovojyri TtdvSuv dvScS'jTtöxa i; t6v Aoaupiov xpönov die Rhetorik
aufgelesen und ausgebildet habe. So mochte mancher Sophist von Haus
— 330 —
einem glückliehen Naturell unterstützt , immer noch hervorzu-
bringen vermochte. Dennoch zeigt , bei genauerem Zusehen,
die gewandte und zwanglose, weltmännische Sprache dieses
besten Stilisten der zweiten Sophistik zahllose Flecken eines,
durch Nachlässigkeit, unrichtige Beobachtung, schlechte Gewöh-
nung entstellten Ausdruckes. Viel gröbere Verstösse gegen die
Reinheit der Sprachä weist Phrynichus den bewunderten Meistern
der Sophistik, einem LoUianus, Favorinus, Herodes Atticus, Po-
lemo nach ; und wie wenig es den übrigen Autoren der sophis-
tischen Zeit gelungen ist, die selbst dem Lucian unerreichbare
Farbe des reinen Alticismus in ihren Schriften nachzubilden,
bemerkt jeder aufmerksame Leser.
Der Hauptmangel liegt immer in einer unorganischen Ver-
mischung des stilistisch Verschiedenen. Es ist eben unmöglich,
in einer künstlich erlernten Sprache jene Harmonie der Form
und des Inhaltes, und der einzelnen Bestandtheile des formellen
Ausdruckes unter einander völlig zu erreichen, welche selbst
im Gebrauche der lebendigen Muttersprache stets nur dem gani
naiven Volksmunde oder dem unfehlbaren künstlerischen Gefühl
grosser Schriftsteller gelingen will. Die gelehrteste Kenntniss
hilft hier nicht immer aus; ja sie dient wohl gar nur zur Ver-
schlimmerung schwankender Unsicherheit; und so konnte, in
einem gewissen Sinne, Lucian ganz mit Recht behaupten, dass
Hündler und Krämer des Griechischen kundiger seien als die
{grammatisch gebildeten Rhetoren ^j . Da man mit grosser Mühe«
sich eine Menge uralter Wörter eingelernt hatte, so wollte maiM
dieses Schatzes nun auch froh werden ^j. Manche versuchteic
ganz in solche veraltete Gewänder sich zu kleiden, und passtec^
sich und andern auf, um sofort, bei jedem Worte, dessen
sische Herkunft verdächtig erschien, mit einem »Wo steh^sf
hervorzuspringen^). So machten sich einige eine Sprache i
aus nicht einmal Griechisch als Muttersprache geredet haben: vgl. Locii^H
Pseudol. t* [i^tu oe xtX.).
1 ) — Tov dio(oi|iov oocpiOTtjV Ta xotvd tcuv 'EXX'/jvwv di^oo'jvia, %a\ iff^&
•Aolv ol iri Tcüv i^'('^arr^p[a}s xai tcüv -xaTTTjXelwv el^Eicv Lucian Pseudol. 9.
2 Lucian, seinen Lexiphanes anredend, c. 24 : — f^s rou ^jjjia Cxcpt^'Xc
eG|iTj; T^ aJTo; 7:Xaad|ieNo; oItjOiJc eivai X'x>»6v, toüt«» JtjtcI; ^tdvotav i^ap|id^«n
3; Einige Beispiele für diese Pedanterie bei Lehrs QuaesL epic. • /.
(Viel dergleichen bei Athenaeus, bei >\elchem auch gleich, I p. 4 D. B,
— 331 —
recht, die kein Mensch ausser den gelehrten Confratres ver-
stand ^j; ob freilich je ein Narr diese Alterthüroelei bis zu dem
Grade des Aberwitzes getrieben habe, wie Lucians komische
Figur, der Lexiphanes, mag dahin gestellt bleiben. Verzichtete
ein reinerer Geschmack aber auch leicht auf ein prunkendes
Auslegen solcher verrosteten Herrlichkeiten, so gelang es doch
kaum irgend Einem, den reinen attischen Ausdruck von fremden
Beimischungen gänzlich frei zu halten. In stärkerem oder ge-
linderem Maasse finden sich bei allen Autoren dieser Zeit, neben
der besten Prosa attischen Gepräges, viele sehr disharmonische
Ausdrücke der späteren Vulgarsprache , dazu eine Anzahl allzu
frei gebildeter, selbsterfundener Weiterbildungen und kühner
Zusammensetzungen 2] , zu denen die griechische Sprache sich
so willig herleiht ; manche Wörter aus dem Yorrath der unatti-
schen Dialecte (vorzüglich des ionischen) ; einzelne ganz ar-
chaische Glossen; schliesslich, und nicht am Wenigsten, viele für
die Prosa sehr ungehörige Ausdrücke der poetischen Sprache.
Jfan fühlt sich bisweilen erinnert an einzelne Wände gewisser
römischer Villen, an denen der Hintergrund einer rohen Cement-
masse zahlreiche eingemauerte antike Bruckstücke der verschie-
densten Zeiten, der verschiedensten Stilarten, des verschie-
densten Werthes zu dem seltsamsten Quodlibet vereinigt 3).
Ulpian der Tyrier mit dem Spitznamen KeiTouxeiToc angeführt wird, weil
«r, beim Mahle , nichts anzubcissen wagte , ohne sich zu fragen : xeiTat ^
^*i xeiTai;)
1) Sextus Empiricus adv. graminat. § 228 — 235 spricht von der Un-
möglichkeit, zu Gunsten einer reinen Sprache eine allgemeine normale
vrrtfitii des Sprachausdruckes überall festzuhalten. So werden wir (§ 234}
TToyaWfUvot toi» xoXo; I)^ovto; xal oacpo»; xal toü fA^JY^^ä^^^i^'^^'f^^
^laxovoONTov i^jAiv izailapiois xal l^ioiTtuv iravdptov ipou(i.rv, %al
ci ßdp^pöv doTiv dXX* o6x dpTO^opl^a, xat 9Ta(i.v(ov djX O'jx d^dha (s. dagegen
Phrynichus ecl. p. *00), xal Äutav fjiäXXov ^ tifSw (hier stimmt Phrynichus
zu: p. 464; s. Lobecks Note). — Galen, k. tou 7:p07ivc6axetv , XIV 624 K. :
— toD xotTfuvlTOU |i.£v, a>;a7ravTe;olvüv EXXt)v£; dvo(i.dCou9(, ocofjiaTOCpä-
X«xo« hi, cbc ot rept^pY«; dTrtxlCovre«.
2) Hierfür einige grässliche Beispiele bei Lucian Pseudolog. 24 : ßpcujAo-
X6701, TpoKOfJidoOXY)Te;, ^t)ai|ieTpciv , di07)vid>, dvdoxpaxeTv, ocpev^(x(Cetv , /eipo-
p3lt]tx&o8at. Aehnliches Rhet. praec. 4 7.
3; Lucian vergleicht eine so bunt zusammengewürfelte Redeweise wohl
mit einem groben Kittel, auf welchem einzelne Purpurlappcn glänzen: Rhet
praec. 46 extr. , mit den thönemen Puppen des xopoitXd^o; , welche nur
— 332 —
Ist in dieser unorganischen Mischung der Einfluss theils der
täglich vernommenen Umgangssprache, theils einer verwirrenden
Mannichfaltigkeit der Studien leicht zu erkennen, so scheint
doch der Hauptgrund fUr dieses allzu bunte Colorit der Sprache
mit einer wesentlichen Eigenthtlmlichkcit der Rhetorik jener
Zeit noch genauer zusammenzuhängen. Diese Rhetorik lässt in
der That zuweilen errathen, dass sie ihren Ehrgeiz so weit
trieb, nach einer Alleinherrschaft im Gebiete der redenden
Künste zu streben. Sie hatte nicht tlbel Lust, sich selbst als
die redende Kunst an sich auszurufen, und die Poesie, ihre
ältere Schwester, gänzlich zu verdrängen. Die seit Hadrian
wieder schtlchtcrn aufgelebte griechische Dichtung führte daher —
ein sehr obscures Leben im Schatten der grossmächtigen Rhe
torik, die ihr alles Licht der Ruhmessonne vorweg nahm. Wi
hören, dass die Zeit der Dichtung in gebundener Rede über-
haupt abhold war ^] ; wo die Rhetoren einmal auf Dichter z
reden kommen, geschieht es meist mit dem Ausdrucke offene
Verachtung oder eines höhnischen Wohlwollens^). Zwar wäre
manche Sophisten selber auch als Dichter thätig^J: aber diesi
poetischen Versuche mögen kaum etwas anderes als Vorstudie
aussen schön roth und blau angestrichen sind: Lcxiph. 22; mit geschmück-
ten und gezierten Uetaeren oder Kinaeden: bis accus. 81 ; Rhet. praec. 44
mit der Krähe des Aesop: Pseudolog. S.
1; Sehr merkwürdig ist die Aussage des Kaisers Julian, Misopogon ii
Anfang: eicpaipsiTat 0£ toi h toT; (jilXeci [xouaixd 6 vjv drixpatdcrv iv toi
OvCo^cpioi; Tf,; ::aioe(a; toötto; * ataypov f«? sivai ooxeT vüv [xo*jotXT;v ^ttitt^
^e6eiv xt)v.
2) Tot caixpa xaOra xal yafxaiCV.« , von der Poesie : Themistius or. 2
p. 847 B. Scharf ist der feindliche Gegensatz zwischen Rhetorik und Poesi
ausgesprochen bei Eunap. V. S. p. 92, wo es von einem schlechten Rheta
heisst: td -(t xaid fvT^topixfjV ^japxei ToaoÜTOv elxcelv 8ti f,v AlfUTmo;. to
lÖvo; iTZi TTOiT^Tix^ |i£v a^ö^^pa jiaivovxai, 6 oe orouoaio; 'Epptf^; (d. i. di<?
Redekunst) auTuiv dTroxeyobpT^xev. Friedlicher Rangstreit der Poesie ua«^
Rhetorik z. B. bei [Lucian] Demosth. enc. 3 (T. In ein ironisches Loi>
kleidet seine Eifersucht auf die Poesie Aristides ein, or. VIII, I p. 84 fT. Dind. M ^
3; Man erinnere sich der poetischen Stücke unter Luciaos Schriften. a ^^
Ein Epos Fi^avTia schrieb der Sophist Scopelian: Philostr, V. S. p. 80. 6; ■ *3«
Xupixol s6\xfii des Sophisten Hippodromus: ibid. p. 420, 2. Mit den ■ -^^
Tragödien und Komödien einzelner Sophisten (s. Welcker, Gr. Trag.
4 322 f.) mag es freilich eine eigene Bewandtniss haben: wovon unten elo
Wort.
— 333 —
oder gelegentliche Beiwerke zur Rhetorik gewesen sein. So
siudirte man ja auch, zum Zwecke der Vorbereitung auf den
Rhetorenberuf, die Meisterwerke alter Dichtung, vornehmlich die
Tragödie, der man die Erhabenheit und den grossen Klang der
Rede abzulernen suchte ^) . Man hatte aber um so mehr Grund,
die antiken Dichter mit genauerem Fleisse, als zur Entlehnung
einiger poetischer Blumen erforderlich war, zu studiren, da
ganz ernstlich die Absicht bestand, die Poesie in das Gebiet
der Rhetorik hintlber zu ziehen. In dieser Neigung wurzelt^
so denke ich, jene Vermischung des prosaischen und poetischen
Stils der Rede und des Ausdruckes, den wir am Deutlichsten
bei den manierirtesten der uns bekannten Sophisten, einem
Poiemo, Philostratus , Aelian, Himerius, in geringerer Stärke
aber in fast allen Erzeugnissen der damaligen Rhetorik wahr-
nehmen können. Mau musste ja, um der Wirkung der Poesie
gleichzukommen, sich zunächst ihrer Mittel bemächtigen 2) ; und
so machte man sich eine eigne »poetische Prosa« zurecht; jenes
wunderliche Wesen, welches wie der Vogel Strauss mit dem
herrlichsten Gefieder doch nur laufen und stolpern und flattern
kann, ohne die schwörfällige Gestalt je in freiem Fluge auf-
schwingend zu erheben. Man kennt die Missstände des Miss-
brauchs poetischer Mittel in der Prosa: die Ueppigkeit des, in
billigem, unächtem Flitter, mit geschminkten Wangen sich sprei-
zenden »schönen Stils«, und Hand in Hand damit die gänzliche
Abdorrung der gewöhnlichen Hausprosa; die aus der Gewohn-
heit des gesteigerten Ausdrucks nothwendig erfolgende Phrasen-
haftigkeit der ganzen Litteratur ; die erschrecklich schnelle Ab-
nutzung des massenhaft verbrauchten poetischen Gutes, welches,
nicht als Würze sondern als Speise verwendet*^} , für ein zar-
I] Vgl. Philostr. V. S. p. 32, 4 ff.; fxtjx-^jp ao^piorÄv heisst die zpa^t^Ui
ibid. p. H9, 26. Vgl. Cresollius p. 825. (Das Studium der Dichter zu
rhetorischen Zwecken empfahl bereits Theophrast: Quintilian inst. XI, 27.)
2] exigitur iam ab oratore etiam poeticus decor. Tacitus dial. 20 Z. 18
Halm. — (Ans der bekannten Darlegung des ^jx^s^ welches aus der An-
wendung poetischer Mittel in der Prosa des Gorgias, Aleidamas u. A.
entstehe, bei Aristot. Rhetor. III 8, wäre das Meiste auch auf die poetisi-
renden Prosaiker dieser späteren Zeit wohl anzuwenden). — i:oi7)Ti%dl Öv6-
f&vta schreibt dem Redeausdruck seiner Sophisten Philostratus öfter zu:
p. Uy 82; U, 16 f.; 47, 26; 49, 44 f. u. 8. w.
3) o'iy if)oua|jLaTi yp-JjTai, d}X oi; ilhikazi toi; d^rift^TOi; xtX., von der
poetisirenden Prosa des Aleidamas, Aristot. Rhet. III 8 p. 4 406 a, 49.
— 334 —
eres Gefühl sehr bald, nach kurzem Reize, bis zum Ekel ab-
stossend wirkt; das hierdurch wiederum veranlasste WeUbemtt-
hen der Schriftsteller um iiumer andere und frische Reizmittel,
die endlich nur noch in deni ganz Verdrehten und Sinnlosen
gefunden werden können: die völlige Abstumpfung des also
überreizten stilistischen Gefühls, welches schliesslich wohl gar
einem so unleidlich gezierten Phrasendreher wie Aelian als
besondere Eigenthümlichkeit die Einfachheit der Schreibart
nachrühmen kann^]. Man braucht nun freilich gegenwärtig,
um diese Zerrüttung der Prosa durch die [Poesie recht wider-
wärtig klar zu erkennen, überhaupt nicht auf irgend weicht
Alterthum, geschweige denn bis zu den griechischen Sophisten
zurückzugehen. Aber in der That wird man bei der Lectfli
der rhetorischen Manieristen jener Zeit alle hier angedeutetei
Uebelstiinde stark empfinden. Immerhin sind dieses bei ihnei
Auswüchse einer übel geleiteten allzu künstlichen Kunst: es^ ss
fehlt ihnen das höchst moderne Ingrediens der, zu aller Abge -s-
schmacktheit noch hinzutretenden schönen Nachlässigkeit, welche ^e
den ganz und gar unverkünstolten, urwüchsigen Ergüssen un-
serer litterarischen Naturburschen und feuilletonistischen Schnell
finger so herrlich liisst.
Man wollte aber nicht nur im Ausdrucke der Poesie
gleichthun; auch die Gegenstunde der Dichtung meinte ma — o
zum Theil ganz wohl dem Rhetor zuweisen zu können.
Festreden auf Götter und Ileroön , die man auch gerade]
»Hymnen« nannte, und ausdrücklich als wetteifernde Seitei
stücke zu früheren dichterischen Werken verwandten Gegei
Standes hinstellte ^J, in Lobreden auf bedeutende und mächti]
1) Dieses fast unglaubliche Stück leistet Philostratus V. S. p. 4 SS, 4S;
fj irlnav Hin toO dvopo; (des Aelian) d^p^Xeia!
2) "Tfjivot hcissen die sophistischen Lobreden auf Götter bei Menander
r.. intoeixT. im Anfang; dort werden sie ganz nach Analogie der poeti-
schen Hymnen in xXr^Ttxot, diirorEfjiTrrixot , ^uatxot a. s. w. eingetbei/f.
So nennt Aristides seine Lobrede auf den Zeus (I) einen Spivo; At6; to
(jiiTpo'j. Der Wetteifer dieser sophistischen Hyronologen mit ihren dicble-
rischen Vorgängern wird nirgends deutlicher ausgesprochen als in der Ein*
leitung zu der achten Rede des Aristides (namentlich I p. 88 Dind.); vgl.
auch Menander de encom. p. 487, 16 fT. fSpengel). Ganz ähnlich auch z. IL
bei Hochzeitreden : Menander p. 405, 19 ff. Himcrius in einem irttbXsljuo;
XÖ70; , or. I § 4 erinnert ausdrücklich an das Vorbild der Sappho} ; bei »
Menschen der Vergangenheit und Gegenwart konnte man einen
Ersatz für die Lyrik grossen Stils der Vorzeit erblicken. Die
Gelegenheitsdichtung, vornehmlich die Epithalamien und Hyme-
näen, wurden völlig in das Gebiet der Rhetorik aufgenommen
und durchaus nach Anleitung der entsprechenden dichterischen
Vorbilder in prosaischer Nachbildung angelegt. Die lyrische
Tändelei fand ihr rhetorisches Gegenstück in jenen zarten Kunst-
werken, in welchen man den Frühling, die Nachtigall, die Rose
sophistisch feierte^). Man zählte solche Schilderungen zu der
rhetorischen Gattung der »Reschreibungen«^]. Diese umfasste
sonst namentlich auch die Schilderung mythologischer oder phan-
tastischer Vorgänge , wie sie auf wirklichen oder nur in der
Einbildung vorhandenen Rildern dargestellt waren; auch hier
knüpfte man an die, vorzüglich in hellenistischer Zeit beliebten
poetischen Prachtschilderungen glänzender Kunstw^erke wett-
eifernd an 3). Mit 'dem Epos konnte man vielleicht in rheto-
phistischen jjiov<p&lait Men. p. 484, 11 ff. ; bei Lobreden auf den Kaiser:
Men. p. 369, 8 ff.
1) Dergleichen Themen scheinen namentlich in den späteren Zeiten der
Sophistik beliebt gewesen zu sein. Als Prachtstücke der Sophistik erwähnt
Themistius or. S6 p. 389 D -^po; ^Tialvo'jc ^ ^eXiWvwv ifj drfi6^ms. Ein 1-^x6'
{uov lapo; : Libanius IV p. 4 054 f. ; Nicolaus Progymnasm. 8, 3 [Walz Rhet.
I p. 884); Procopius Gaz. repi fapo^ citirt in Bekkers Anecd. 148, 24: vgl.
desselben epist. 8 ; 69 ; Choricius p. 1 73 ff. Boiss. Eingelegt ist ein solches
Lob des Frühling^ z. B. bei Himerius or. III § 8 ff. p. 439 ff. Wernsd. ;
80 legte man auch in X^yoi if^NedXiaxol ein Lob der Jahreszeiten ein: Me-
nander de encom. p. 412, 10. — Preis der Aose: Procop. Bekk. anecd.
446, 26; Choricius p. 129. 148. 202. 282; vgl. auch Philostratus epist. 1 — 4.
2) Zu den dx^pdsei; zählen ausdrücklich die Schilderungen des Früh-
lings, Sommers u. dgl. die Progymnasmatiker : Hermogenes p. 16, 19;
Aphthonius p. 46, 22, Theo p. 118, 20; Nicolaus p. 492, 2 (ed. Spengel).
3) Die rhetorisch-sophistischen dx^paoei; von Bildern und Statuen zählt
in einer sorgfältigen Untersuchung der nun auch schon heimgegangene
Friedrich Matz auf, de Philostrator. in describ. imaginib.us fide p. 7 ff.
Als ältestes Beispiel nennt er die £lx<iNe; des Nicostratus, eines Zeitgenossen
des Dio Chrysostomus. Ueber den Ursprung solcher ix^pdoeic von Kunst-
werken bemerkt er nur dieses, sehr richtig, dass man allegorische Ge-
mälde philosophischer Autoren nach der Art des UisaZ des Cebes hier-
bei ganz bei Seite zu lassen habe. Vielleicht dürfte man aber, wie ich
oben angedeutet habe, eher ein Vorbild dieser rhetorischen Beschreibungen
in jenen dichterischen Beschreibungen bewegter, auf Kunstwerken dar-
gestellter Scenen erkennen, in denen epische Dichter der Griechen sich
— 33G —
risch gefärbten Historien zu wetteifern sich einbilden i). Man
versuchte aber auch, theils in mythischen Erzählungen, theils in
selbst erfundenen Novellen die Kunst des Erzählers trotz dem
besten epischen Dichter zu bewähren. Hierher gehören theils
einige Stücke in Aelians »vermischten Geschichten«, theils solche
Versuche wie Lucians Toxaris.
Dieses Bestreben, eine eigene rhetorische Poesie zu er-
schaffen, war es denn endlich auch, welches aus dem Boden
der zweiten Sophistik dessen eigenthümlichste Blume hervor-
trieb: den griechischen Liebesroman.
4.
Die sophistische Beredtsamkeit , von der kühlen Wirklich-
keit mit einem gewissen Wider\villen abgewandt, zeigt eine
merkwürdige Neigung, ihre Phantasie an Vorstellungen von hef-
tig erregten, blutigen, leidenschaftlich verwirrten, nur gewalt-
sam zu entwirrenden Vorgängen zu erhitzen. Sie bedurfte
von jeher gefielen. Aus der Zeit des alten Epos erinnere ich an den Schild
des Achill, II. 2; Hesiods Schild des Herakles; die Vj^atoTÖTcuxToc incvoiiXif
des llemnon in der Aethiopis ; den Krater welchen Polyxenas dem Odyueti
schenkte, in der Telegouie. Weiterhin aber gehörten derartige Beschrei-
bungen offenbar zu den Prachtstücken der hellenistischen Kunstdichter:
ich verweise auf die Schilderung der Darstellungen auf: dem Mantel dai
Jason (Apoll. Rhod. I 7t 1—768); dem Teppich, welchen Catail 64, 50 if.
ohne allen Zweifel nach alezandrioischem Vorbild abschildert; dem Peploi
der Athene in der Giris 24—35 ; dem TdXapo; der Europa, Moschus 1, 17 — CS;
dem Becher bei Theokrit 4, S7 ff.; Vgl. auch Nonnus Dionys. ki, 194 if.i
und von römischen Dichtern: Ovid Metam. II 5 ff., VI 64 ff., XIII 684 fti
Virgil A. V S50 ff. VIII 625 ff. Eine rhetorisch-poetische fx^paot; ist dtfB
die s. g. Trojae halosis des Pctronius, satir. 89 : sie zumal mag den Ceber*
gang von den dichterischen zu den rhetorischen ixtppdacic laach der Zeit
nach) reprftsentiren.
1) Rechneten doch Einige die Geschichtschreibung, die man anderer-
seits als eine rhetorische Disciplin betrachtete, zur Poesie: MX|ii)0^
Tix^;, Marcellinus v. Thucyd. § 44, (wogegen denn Marcellinus sehr geist-
reich einwendet: Sti oOx Ioti Tronotix-^;, &'9jXov iz ^ oO)^ &7ton(7rcci (lixptpTtvl:
was übrigens manche gar nicht einmal würden gelten gelassen haben: vgl.
Aristid. or. VIII I p. 85 ff. Dind.) Agathias Histor. praef. p. 4S5, SO (ed. L«
Dindorf.) : ou 7z6^pm TCTdl/^ai lotoplav rotT}Tix'9J;, d>.Xd dffjifo) taÜToi clvat iScXf«
— 337 —
)ben, um rein durch die Phantasie in ein so wild flackerndes
'euer zu gerathen, wie es andererseits ihre Absicht auf eine
(iarke Wirkung unter dem mttssigen Publicum der öffentlichen
Theater erforderlich machte, einer überaus heftigen Aufregung
ihres gesammten Gefühls. Von der erregten Manier ihres Vor-
trags ist bereits oben die Rede gewesen; man wird dieselbe
srklürlicher finden, wenn man die Themen betrachtet, welche
n dieser Weise ausgeführt und dargestellt wurden. Wir kennen
'reilich vorzugsweise nur die Schulthemen, welche, offenbar
'eststehend und daher wetteifernd von allen namhaften Rheto-
*en behandelt, Meister und Schüler in Griechenland wie in
lom beschäftigten; aber das Wesen dieser ganzen Sophistik
>eruht, im Gegensatz zu einer gesunden Beredtsamkeit, ja gerade
iarin, dass sie die Declamationen der Schule und deren phan-
astische Gegenstände auch auf den Markt oder doch wenigstens
n das Theater zerrten. So trieben denn auch in den offen t-
ichen Schaustellungen, in welchen die Thätigkeit der Rhetoren
gipfelte, nicht nur die pomphaft aufgebauschten Gestalten des
klassischen Alterthums, sondern auch jene wilden Phantasien
1er Rhetorenschule ihr Wesen , die schon Quintilian ^) der
ichlichten Wirklichkeit des täglichen Lebens kopfschüttelnd ent-
gegenstellt: »Zauberer und Seuchen,. Orakelsprüche, und Stief-
mütter, grausiger als in der Tragödie, und noch viel fabelhaf-
i^re Dinge c. Ganz richtig nennt Quintilian diese Erfindungen
ier Rhetoren »poetische Themen«; in ihnen gab sich in der
rhat die poetische Richtung der Sophistik auf das Deut-
lichste kund.
Man vergleiche als Beleg nur einige der, von den bedeu-
tendsten griechischen und römischen Rhetoren behandelten
Themen in Senecas »Controversiena. In dem gewaltsamen
Widerstreit der rücksichtslosesten Leidenschaften wird diesen
Rhetoren am wohlsten. »Einer hat von seinen zwei Brüdern
den Einen, den Tyrannen der Stadt, ermordet, den andern,
den er im Ehebruch ertappt hat, trotz der Bitten des Vaters,
get(kitet. Von Seeräubern gefangen , schreibt er seinem Vater
1) Instit. II 10, 5. — Eine abenteuerliche Declamation, in der ein
Zauberer eine bedeutende Stelle einnimmt, unter den Declamationen des
Pseudoquintilian, n. X. (p. 187 cd. Lugd. Bat. et Roterod. 1665 c. n. var.}.
Bobde, Der griecMsche Roman. 22
— 338 —
um Lösegeld. Der Vater schreibt den Seeräubero zurücl
wenn sie dem Sohne die Ilande abhauen wollten, würde (
das Doppelte zahlen. Die Seeräuber entlassen ihn aber ui
beschädigt. Er weigert sich nun, den bedürftigen Vater i
ernähren«*). — wNach dem Tode seiner Frau, von der er zw
Söhne hat, heirathet Einer eine andre. Den einen Sohn ensti
Ehe, der ihm des versuchten Vatermordes verdächtig erschein
übergiebt er dem Bruder, um ihn zu tödten. Der setzt Jenei
statt dessen, auf ein abgetakeltes Schiff und überlässt ihn de
Wellen. Er wird zu Seeräubern getrieben, wird deren Haup
mann. Auf einer Reise fällt der Vater in seine Hände; <
entlässt ihn nach Hause. Zurückgekehrt, verstösst der \^U
den andern Sohn«^). — »Im Bürgerkriege folgt eine Fn
ihrem Manne in das Feld , während auf der feindlichen Seil
ihr Vater und Bruder stehen, ^'achdem die Partei ihres Mai
nes besiegt, dieser selbst gefallen ist, kehrt sie zum Vater ti
rück. Von diesem in sein Haus nicht aufgenommen, fragt si
ihn: wie willst Du, dass ich Dir genug thun soll? Da er ant
wertet: stirb! erhängt sie sich vor seiner Thüre. Der Sofa
klagt nun den Vater des Wahnsinns ana^j.
In solchen Conflicten losgebundener Leidenschaften bewe
sich eine grosse Anzahl der » Schulerfindungen a ^) dieser Sopb
sten; man begreift nun wohl genauer, mit welchem Rech
man die Tragödie »die Mutter der Sophisten« nennen konnfl
Zu diesem leidenschaftlichen Charakter der sophistischi«
Phantasien schickt es sich nun sehr wohl, wenn sie, auch hiea
ja der späteren Tragödie sich annähernd, mit einer kennlliciB
Vorliebe sich erotischen Gegenständen einer hochpathetisch«
oder sentimentalen, bisweilen verderblich gewaltsamen Art ai
wandten. Auch hierfür mögen die Uebungsreden einige K
spiele darbieten.
1) Sencca contr. I 7 (die Uebersetzungen sind hier und da etwas frei«
Paraphrasen der zuweilen allzu kurz gefassten Inhaltsangaben der Contf
versien).
2) Sen. contr. WU i.
3; Sen. contr. X 8. Als weitere Probestücke der wild phantastisclie
Galtung der Declamationsaufgaben vgl. man l)ei Soneca, Controv. I 4. 5
V 6. VI 6. VII 4. IX 6; bei Quintilian declam. VIII {p. <08} u. s. w. ; l>e
Libanius, vol. IV p. 739 = Quintilian dccl. II etc.
4' Td oyoXixÄ itXdojjiaTa, Dio Chrysost. or. 48 p. 488 R.
— 339 —
»Ein JüDgling, von Seeräubern gefangen, schreibt dem
Tater wegen Loskaufs; umsonst. Die Tochter des Räuberhaupt-
manns, welche ihn liebt, nimmt dem Jüngling den Schwur ab,
dass er sie heirathen wolle, wenn er (durch ihre Vermittelung)
befreit werde. Darauf entflieht sie mit ihm ihrem Vater; der
Jtingling kehrt mit ihr nach seiner Heimath zurück und hei-
rathet sie. Der Vater verlangt, er solle eine reiche Waise hei-
rathen und die Tochter des Raubers Verstössen. Da er sich
dessen weigert, verstösst ihn der Vater «^). Ein Beispiel hel-
denmüthigster Gattenliebe: »Mann und Frau haben einander
geschworen, dass, wenn dem Einen etwas zustossen werde,
das Andere sich ebenfalls den Tod geben solle. Der Mann, auf
Beisen gegangen, schickt [um die Gattin zu prüfen?] einen
Boten , welcher der Gattin seinen angeblichen Tod meldet.
Bern Schwüre getreu, stürzt sie sich von einer Höhe herunter.
Man ruft sie ins Leben zurück; ihr Vater verlangt nun, dass
sie den Mann aufgebe. Sie weigert sich dessen , und soll nun
Verstössen werden« ^j. Eine blutige Criminalnovelle , durch
Liebe, Eifersucht und Hass geschürzt, mag man in Senecas
Controversien VII 5 behandelt sehen. Andere dieser kleinen
Romane bewegen sich mehr in den Kreisen des bürgerlichen
Lebens und seiner mehr peinlich verwickelten als unbedingt
leidenschaftlichen Verhältnisse. »Ein fremder Kaufmann ver-
sucht, unter Anerbietung reicher Geschenke, zu dreien Malen
eine, in seiner Nachbarschaft wohnende schöne Frau, deren
Mann auf Reisen ist. Sie weist ihn standhaft ab. Der Kauf-
mann stirbt, und setzt die Frau zur Erbin seines ganzen Ver-
mögens ein, mit dem Lobspruch: »ich habe sie keusch erfun-
den«. Sie tritt die Erbschaft an. Der Mann, zurückgekehrt,
klagt sie, von Misstrauen bewegt, des Ehebruchs an« 3). Unter
Quintilians Declamationen findet man folgendes wunderliche
Thema : »Die beiden Söhne eines Armen und eines Reichen lieben
dieselbe Hetäre; der Kuppler will sie Dem ausliefern, der zu-
erst den Kaufpreis bringt. Der Sohn des Reichen findet den
Sohn des Armen in der Einsamkeit, ein blankes Schwert in
der Hand, weinend dasitzen. Erfragt ihn, was das bedeute;
1} SeD. contr. I 6. — Vgl. Libanius IV p. 639.
2) Sen. coDtr. II S.
3) Sen. contr. II 7.
22*
— 340 —
da jener sagt, er sei entschlossen, sich aus Liebe xu der Hetdi
den Tod zu geben, schenkt jener ihm die KauCsumme, mit we
eher der Arme die Geliebte freikauft« ^j. Damit auch eii
andere Situation nicht fehle, die nachher in den Romanen uj
wiederholt begegnet, führte man , wie es scheint mit besond
rer Beflissenheit, eine Fabel aus, nach welcher eine unschu
dige Jungfrau, von Seeräubern geraubt, an einen Kuppler ve
kauft, sich alier Angriffe auf ihre Tugend zu erwehren weifl
und schliesslich einen durch Bitten nicht abzuwehrenden Sc
daten, in ihrer Noth, tödtet^). Es fehlte auch nicht ganz i
weichlich schmachtenden Liebesfabeln. Es wird uns versichert*
dass manche griechische Rhetoren eine gewisse Neigung ii
sinnlichen, ja lüsternen Ausführung einzelner erotischer Tb
inen zeigten; dazu reimt sich ganz wohl, dass wir so süsslicl
Gegenstände, wie das Selbstgespräch eines in das (von ih
selbst verfertigte) Bild eines schönen Mädchens Verliebten meh
fach behandelt sehen ^}; dass man sich in der zierlichen B
Schreibung eines schönen Mädchens übte ^) ; dass schon d
Schüler Themen auszuführen angehalten wurden, wie dies«
warum Aphrodite in Sparta bewaffnet, warum Eros als Knab
mit Pfeil und Fackel ausgerüstet dargestellt werde ?^). i
suchte man denn auch die alte, oben besprochene Sage v<
Seleucus und Stratonice wieder hervor; man machte ein zi
Conlroverse geeignetes Thema daraus, indem man der Liel
des Jünglings zu der schönen Stiefmutter, seiner Krankhei
dem weisen Blick der Aerzte, dem Edelmuth des Vaters, d
ihm die Geliebte abtritt; noch eine criminalistische Schlusswei
düng hinzufügte^, in diesem Falle, und in einigen andern*
1^ Quintilian. decl. CCCXLIV (p. 594). — Ein» sehr wunderliche I
trigaengescbichte bei Libanius IV p. 583 ff.
2) Sen. contr. I S.
3) S. Seneca contr. p. 98, 2 ff. ed. Kiessl.
4) Proben aus einer Dcclamation des Rhetors Onomarchus über «
Thema des tou eix6vo; dpöiv bei Philostr. V. S. p. 101. 102. Eine ai
geführte f^Ooiroita über dasselbe Thema bei Libanius IV 1097 f. s= Nicolfl
in Walzens Rhet. gr. I 546 fl*. (des Pygmalion Ovids erinnert sich jec
von selbst).
5) Liban. IV 1069.
6) S. Quintil. inst. II 4, 26.
7) Sen. controv. VI 7 p. 289 Ksl.
8> So ist z. B. der StofT der Declamation »Amici vades« Qoint. dec
— 341 ^
sehen wir einmal ganz deutlich die Anlehnung an eine ältere
Fabel; in den meisten übrigen Fällen mag die frei erfindende
Kraft der Rhetorik ihr poetisches Recht geübt haben. Wir dür-
fen uns aber diese erotischen Uebungsreden viel weiter und
tiefer verbreitet denken, als unsere Ueberlieferung uns unmit-
telbar erkennen lässt. Bezeichnend ist, dass Phrynichus dem
grossen Sammelwerke seines »sophistischen Rüstzeugs« eine
besondere Zusammenstellung »erotischer Wendungen« eingelegt
liatte ^) : hieraus mag man auf das Bedürfniss seiner rhetorischen
Leser zurückschliessen. Bedeutsam, obwohl nicht überraschend
ist es denn auch, dass selbst zwei Bruchstücke des ernsten
Pavorinus ein Selbstgespräch eines von heftiger Liebe Ergrif-
fenen, und eine Betrachtung über die Macht der gegenwärtig
lieh darstellenden Schönheit enthalten ^j.
Diese erotischen Triebe schufen sich aber auch ausserhalb
der Declamationen ihre eigenen und eigenthümlichen Gebiete,
luf denen sie freier aufschiessen konnten. Man Hess die Ero-
tik hinüberfliessen in jene, von den Rhetoren so eifrig gepflegte
Cunstform der Briefstellerei unter fremdem Namen. Frei-
ich liess sich ja kaum eine günstigere Veranlassung erdenken,
im das erregte Gefühl eines liebenden Paares in unmittelba-
rem, ungehemmtem Ausbruche sich ergiessen zu lassen. Als
fitester Verfasser solcher fingirtcr Liebesbriefe wird vielleicht
1er Rhetor Lesbonax zu betrachten sein 3). Wie viele Nach-
16 (p. 345) ofTeobar nur der altpythagoreischen Geschichte von Dämon und
Phintias nachgebildet; Calp. Flacc. decl. 30 (ibid. p. 688) ist offenbar ein
[Lomödienstoff; u. s. w.
1} IpcoTixouc Tp(S:rou;, nach dem Bericht des Photius, cod. 158, p. 101 b, 4.
2) Favorinus bei Stob. flor. LXIV 36; LXV 8. — Bruchstücke einer
>id[Xe&c des Choricius von Gaza, des Inhalts: »dass Reden über erotische
Gegenstände der Fähigkeit, über andere Themen zu declaroiren , keinen
Schaden thun« bei Boissonade p. 198 ff.
3) Die Nachrichten über den Rhetor Lesbonax sind dadurch in arge
Verwirrung gerathen, dass man schon in alter, und mehr noch in neuerer
Seit (z. B. bei Westermann , Gesch. d. griech. Beredts. § 86, 6; noch
ichlimmer bei Blass, Die gr. Beredts. von Alex, bis Aug. p. 164 ff,) min-
Jestens zwei ganz verschiedene Männer dieses Namens irrthümlich identi-
Scirt hat. Von dem Rhetor Lesbonax ganz verschieden ist der Lesbonax
Jen Lucian de salt. 69 erwähnt. Dem ganzen Zusammenhang nach muss
dieser ein Philosoph gewesen sein, etwa ein Zeitgenosse des Demonax
ood des Sophisten Polemo. Denn der, als Lehrer des Lesbonax ebehdort
— 342 —
folger er gefunden haben mag, können wir nicht angeben
Wir ersehen nur aus den uns erhaltenen Proben dieser Scbrifl
stellerei , wie mannichfaltige Formen diese Gattung der sophi
stischen Dichtung annehmen konnte. Zeigen uns die erotische
genannte Tirookrates ist kein anderer, als der Philosoph Timokrates to
Heraklea (Luc. Alex. 57), der Lehrer des Demonai (lebte c. 90 bis c. 49(
nach Lucian Demon. 3, des Polemo (c. 85 bis c. U4) nach Pbilostr. ^
S. ] 25, 5. — Mit diesem Philosophen Lesbonax verwechselt nun Saidi
(resp. Hesychius) den Rhetor Lesbonax von Mitylene, Vater des Rhetor
Potamo (vgl. die inschriftlichen Zeugnisse bei Müller fr. bist. UI 505), ii
dem er aus beiden zusammen einen Aeaßöüva^ MurcXr^vaTo; , ^tXöoo^oc
Ye^ovo)« ir^ Au^oüatou, ^rarf^p noToi(xtuvo; toO ^iXoo6«po'j macht, welch«
geschrieben habe rXetora <p t X 6 o o ^ a. Der Philosoph Lesbonax lebi
aber viel später; ein Mitylenäer war auch er, dass aber auch sein Sob
Potamo geheissen habe, ist wohl wenig glaublich. Die Lebenszeit not«
Augustus, die Vaterschaft des Potamo passen vielmehr auf den Rheto
Lesbonax. Die Verwirrung bei Suidas geht aber noch weiter: denn auc
jener Potamo, Sohn des Rhetors Lesbonax, der Mitylenäer, war ja gar nict
(ptXÖ9o^o;, sondern magnus declamator, nach Seneca. Ihn hat Suidi
wiederum verwechselt mit dem Philosophen Potamo aus Alexandria
dem Begründer einer eklektischen Schule, der wohl wirklich auch untc
Augustus lebte (das Zeugniss des Suidas s. AeoßuovaS, als auf Vermischur
des Rhotors und des Philosophen Potamo beruhend, föllt nun freilich dehic
aber es bleibt immer noch das Zeugniss des Suid. s. ÜOTö^fjucuv 'AXe£av^6
und die viel vexirte Aussage des Laert. Diog. prooem. 24 : rpö öXt^ou wkl^
spricht der Ansetzung des Potamo unter Augusts Regierung keineswegs [^f
noch Zeller Philos. d. Gr. III 1, 743 meinte]: s. Nietzsche Rhein. Um
XX\ 226), aber mit dem Rhetor Lesbonax von Mitylene und dessen Solfe.
dem Rhetor Potamo natürlich gar nichts zu thun hatte. Es gab aL
zwei Potamones, beide unter Augustus (damals wohl eher als unter Til»
rius der Rhetor: Blass p. 4 65 A. 3) blühend, der Eine Rhetor aus Mik^
lene, Sohn des Rhetors Lesbonax, der Andere Philosoph aus Alexandri
Der Rhetor Lesbonax wiederum ist ganz verschieden von dem viel spifl
lebenden Philosophen Lesbonax aus Mitylene. Ob nun der, unter Augu
lebende Rhetor Lesbonax der Verfasser nicht nur der uns erhaltenen da
Declamationen (Bekker. Or. Att. V 651 ff.) sowie der von Photius (bil
p. 52 a, 22) gelesenen 4 6 Xö^oi ttoXitixoi, sondern auch der epcDTixotl Its
oToXat war, welche Schol. Luc. salt. 69 einem Rhetor Lesbonax (den sie im
wiederum irrig mit Lucians Lesbonax idcntificiren) zuschreiben, sch^
mir dennoch unsicher. Erotische Briefe aus der Zeit des Augustus würc^
sehr isolirt dastehen ; es konnte ja so leicht in späterer Zeit einen dri
ten Lesbonax, ebenfalls einen Rhetor, geben, und wohl nicht omaoi
stellen jene Scholien ihren Lesbonax den Koryphäen der zweiten Sophisl
an die Seite. Diese Annahme hat um so weniger etwas BedenklicbeSi «^
— 34a —
m
unter den Briefen des Philost ratus nur ein weichliches und
witzelndes Spielen und Tändeln mit den [Empfindungen des
Herzens, so nahern sich die meisten der erotischen Briefe des
Alciphron und des Aristaenetus eher kleinen Liebesnovel-
len, indem sie die hin und wieder wogenden Empfindungen in
eierlich begrenzten Bildern und Skizzen anschaulich gestaltet
darbieten. Alciphron, wohl ohne Zweifel von dem wenig älte-
ren Lucian angeregt, schöpft seine Stoffe vornehmlich aus der
aeueren Komödie: er stellt uns das geistig-sinnliche, genies-
sende Stillleben der Athener der beginnenden hellenistischen
Zeit in fein gezeichneten Skizzen vor Augen. Der sogenannte
aristaenetus nimmt die Stoffe zu seinen, theilweise kaum noch
leicht in die Briefform eingehtlllten erotischen Erzählungen, wo
er sie findet, aus der Cydippe des Kallimachus, aus historischen
Anekdotenschreibern (wie in dem Briefe, welche das Abenteuer
des Seleucus und der Stratonice unter veränderten Namen er-
zählt], zum Theil wohl auch aus gewissen Sammlungen eroti-
scher Novellen, die wir bei einer anderen Gelegenheit einmal
genauer zu betrachten haben werden. So mochten andere ero-
tische Briefsteller, von denen wir kaum noch einige bei Namen zu
oennen vermögen *) , noch mancherlei Spielarten des Liebesbrie-
fes ausgebildet haben. Die reinere Form eines liebenden Brief-
ergusses halten die Bomansch reiber fest . in jenen sorgfältig
gedrechselten erotischen Billets, die sie ihren Erzählungen ein-
zulegen lieben.
man endlich den Grammatiker Lesbonax dessen lehrreiche Fragmente
einer Schrift irepl ^r^\i.dr^Ds Valckenaer herausgegeben hat (Ammon. p. 177 fT. ;
vgl. Gramer, anecd. oxon. IV p. 270 ff.), ja doch wohl von dem Rhetor
sogut wie von dem Philosophen Lesbonax zu scheiden haben wird. Der
Name scheint eben (zumal auf Lesbos) nicht selten gewesen zu sein.
1) Vgl. Suidas unter MeXi^oep^o;. Derselbe unter Zo)va(o;' i-^pa^zs
tpcoTt^d; iiiisToXa; xtX. Dieser Zonaeus, welcher doch wahrscheinlich (nach
Westermanns Annahme, de cpistologr. Gr. part. VIII L. 1855, p. IS) iden-
lisch ist mit dem Sophisten Zonaeus, an den der vierte Brief des Sophisten
Aeneas von Gaza (p. 25 Hercher.) gerichtet ist (vgl. auch Procop. soph.
Bpist. 4 07 p. 574 Hch.), wfire ungefähr ein Zeitgenosse des Verfassers der,
unter dem Namen des Aristaenetus umgehenden Sammlung erotischer Briefe.
Wie wenn er etwa selbst der Verfasser wöre? (Kein anderer ist wohl auch
ierjcnige Zonaeus, von dem uns eine kleine Schrift tz. T/rnt.d'zo)** t&v xatd
K6^(in und xaxa Xi^is erhalten ist: Spengel Rhet. III 161 — 170).
_ 344 —
Das Interesse an der Betrachtung erotischer Leidenschaft
sprach sich ferner aus in der Erneuerung jener philosophisch-
dilettantischen Schriftstellerei über Natur und Wesen der Liebe,
von der wir oben kurz berichtet haben. Nach langer Unfrucht-
barkeit trieb diese Schriftstellerei jetzt plötzlich einen letzten
Schössling in Plutarchs Gespräch über die Liebe, und in Lu-
cians frivoler aber graziöser Schrift über die Weiber- und
Knabenliebe.
Man übte sich endlich auch in der selbständigen Ausbil-
dung erotischer Erzählungen. Wir besitzen unter den rhetori-
schen Progymnasmen eine Anzahl Muster und Vorbilder der
zierlichen Erzählung alter erotischer Legenden. Da begegnen
uns die alten wohlbekannten Abenteuer des Achill und de
Penthesilea, Pyramus und Thisbe, Atalante und Hippomen
u. s. w. ^j. Daneben in langer Reihe jene schmachtenden Aben
teuer, welche durch eine endliche Verwandlung des lieben
Leidenden ihre Lösung finden: die Sagen vom schönen Nar-
cissus, von Pan und Pitys, von der Daphne u. s. w. ^. Mac
1) Achill und Penthesilea: Nicolaus progymo. 3, ii (Walz I S7S) 5,
(ib. p. 289); vgl. Libanius IV p. 1026 f. — Pyramus und Thisbe: Nicolai
prog. 2, 9 (p. 271) : vgl. oben p. U4. — Atalante und Hippomenes: Nico'
2, 4 0 p. 272, Libanius IV p. M09.
2) Eine ganze Reihe von Metamorphosen in Pflanzen sind erzählt ii
ii. Buche der reoDTuovixd. Ich habe schon oben (p. 180 A. 2) bemerkt, dass N
das ohne allen Grund hierin Auszüge aus den epischen Mrra(&op(
des Dichters Nestor von Laranda (unter Alexander Severus) erkennen wollt
Es sind dies vielmehr Proben sophistischer Erzählungen solcher Sagei
aus Progymnasmen von den Sammlern der Geoponica entlehnt. Damit mi
sich hiervon überzeuge, vergleiche man nur, nach den folgenden Notize
die Erzählungen der Geoponica mit parallelen Erzählungen rhetorisch-
Progymnasmen. Geop. XI cap. 2 Daphne: Liban. IV 1102 f. — cap.
Cyparissus [vgl. M. Schmidt Didymi fragm. p. 865] : Nicolaus prog. 2,
p. 272 (Walz I) c. 6 Myrsine: Elaia bei Nicol. 2, 3 p. 269. — cap.
Pitys: Nicol. 2, 8 p. 271; Liban. IV p. 1108 (bis) — cap. 15 Dendrolil
nus: Nicol. 2, 4. — c. 17 Rhodon : Aphthonius prog. 2 (Walz I p. 61).
c. 22 Ion: Severus oiT^fTjfji. 1 (Walz 1 p. 837). — c. 24 Narcissus: Sevei^i
SiTjf. 8 p. 358; vgl. Nicolaus 6, 2 p. 294 ff. Nicephorus ßei Walz I 4% O-
— c. 29 Kittos: Nicol. 2, 5 p. 270. — Die Progymnasmatiker sogut
die Sammler der Geoponika schöpften diese Mustererzählungen vennuthli«
aus einer berühmten älteren Sammlung solcher 5it)ifif)fiaTa, deren Verfas»»*"
errathen zu wollen freilich wohl allzu verwegen wäre. Menander it. iiri-
SeixT. p. 398, 3 ed. Spengel (Rliet. Hl): -fifpaKzan xal N^oropi iroitjtj «aJ
— ^45 —
legte auch gefühlvolle Erzählungen alter Liebessagen in weiter
gesponnene Berichte ein: so erzählt die traurige Sage von
der Liebe der Polyxena zum Achill Philostratus in seinem He-
roieus ^) ; in Epithalamien wird man , der Empfehlung des
Menander entsprechend ^) , erotische Erzählungen gefällig ver-
flochten haben ; der bunten Sammlung seiner Varia historia hat
Aelian mancherlei zart erzählte Liebessagen eingelegt: so die
Geschichte der Atalante, die Sage von der schönen und klugen
Aspasia von Phocäa^). Es scheint, dass (nan auch grössere
Gyklen von kunstvoll ausgearbeiteten erotischen Sagen und Mär-
chen angelegt habe. Das Märchen von Amor und Psyche, völlig
im Tone der sophistischen Liebesroniane erzählt, soll Apulejus
der Sammlung eines griechischen Erzählers Aristophonles von
Athen entlehnt haben, welche vielleicht einen ganzen Kranz
ähnlicher Liebessagen darstellte^)
Von einer solchen freien Ausbildung der Volkssage war der
Sprung nicht mehr weit zur eigenen Erfindung erotischer
Fabeln.
Es sind uns eine Anzahl Namen von Verfassern erotischer
Romane bekannt, welche hier eine Stelle finden mögen, obwohl
ivTü|X^^^*^ ^o^'^w XuaiTcXeT.
1) Pbilostr. Heroic. tS4. t36 Boisson. Vgl. oben p. 103 A. 8.
S) S. Menander n. ditiSeixT. p. 899, 15 Sp.
3) Atalanta (lasionis) Var. bist. XIII 1, vgl. fragm. 208 Herch. Aspasia
(Hennotimi) ib. XII 1.
4) Planciad. Fulgent. myUiolog. III 6, p. 718 Stav., bei Gelegenbeit des
Mttrcbens von Amor und Psycbe : haec satarantius Apuleios — enarravit, et
Aristophontes Athenaeos in libris qui Dysarestia nuncupan-
tur banc fabulam enormi verborum circuiiu discere cupientibus prodidit.
»Die auflallendö Form Aristophontes und Atbenaeus, für Atheniensis, schei-
Den darauf hinzudeuten , dass Fulgentius ein griechisches Citat vor sich
gehabt habe. Der Titel Dysarestia ist auch auffallend, und das V^^ort scheint
erst sehr spät in Gebrauch gekommen zu sein« u, s. w. 0. Jahn Archäol.
Beitr. p. 128 Anm. 8. Ein Buchtitel »Missvergnügen« scheint mir nicht nur
auffallend, sondern ganz unerhört. Vielleicht darf man vermuthen, dass
der Titel gelautet habe: Dyserotica, AuoepcuTtxd, das wäre: Beispiele über-
grosser Liebe ; Sua£poi;, der heftig und ohne Maass Liebeode : wie ja oft.
Athenaeus für Athcnieosis ist allerdings auffallend (s. indessen Forcellini
8. y.) ; Aristophontes in Aristophon zu verändern, mit Jahn, sehe ich keine
Veranlassung : Aristophontes liest man bei Plautus Capt. 827. 588 u. s. w.
— 346 —
sich der sophistische Charakter ihrer Erzählungen meis
nicht mit Sicherheit behaupten iHsst.
Ausser dem uns wohl bekannten Xenophon von Ephesu
schrieben zwei gleichnamige Autoren, nach dem Zeugniss de
Suidas, erotische Romane: Babylonische, und Gyprische Geschieh
ten benannt^), von denen der erste vielleicht einen rein erfun
denen Stoff, der zweite die alte Sage von Kinyras und Myrrh;
behandelte. Die Personen jener Schriftsteller, welche Suida
zu Bürgern von Antiochia und von Cypem macht, sind so wenij
grein>ar, wie die unsers ephesischen Xenophon, des Verfasser,
der ephesischen Geschichten 2) . 2u den »Historikern« zählt Suidas
so gut wie jene drei Xenophonten, einen Phil ippus von Am-
phipolis. Er schrieb »Rhodische Geschichten a in 49 Buchen
(welche Suidas zu den »ganz schmutzigen« rechnet), koiscb<
und thasische Geschichten in je zwei Büchern »und anderes«^)
Ueber den erotischen Charakter seiner Schriften kam
1) Suidas: Sevocpdiv 'AvTioye6;', ioroptxo;. BaßuXwviaxd * lort o' iparrtxt
— Sevocpoiv K6ir(>toc' Kurpiaxa. loxi oe xal auxd dpcuTixüv uiro^oeoov loropta
Tiept T£ Kiv6pav xai M6ppav xai "Aßuiviv. — unter den verschiedenen Lcutei
des Namens Xenophon, welche Laertius Diogenes II 59, nach Anleitung de
Dcmetrius Magnes (letzte Hälfte des letzten Jahrh. vor Chr.), aufzählt, finde
sich an fünfter Stelle ein Xenophon piuddb^ Teparebv 7:£irpa7fi.aTeu{jivoc ver
zeichnet. Scheurleer, disp. philol. de Demetrio Magnete (Lugd. Bat. 485&
p. 10S iT. sucht zu zeigen, dass hierunter kein Anderer als der, zu aber
t«uerlichen Berichten geneigte Geograph Xenophon von Lampsacus verslar
den sei. Man könnte aber mindestens mit demselt)en Rechte unter d«
fi.ud()(>OT]c TepaTeta eine, wie es dem Demelrius scheinen mochte, schaaml«
erlogene (und doch als wahr erzählte) abenteuerliche Geschichte verstehe
einen Roman, nach unserer Ausdrucksweise.
2) Man hat längst die Vermuthung ausgesprochen, alle drei Erotik^
hätten sich des Namens Xenophon nur als eines Pseudonym bedient, la
den eigenen Namen (welchem durch offenes Bekenntniss der Autorsch u
eines Liebesromans wohl eben nicht besonderer Ruhm erwachsen wäre)
ver8tc(;ken, und die Absicht eines gewissen Wetteifers mit der vielbewiB
derten Schreibart des Sokratikcrs Xenophon anzudeuten. S. Locella X^
Ephes. p. VI n. k, Fabricius b. gr. VllI 161 Marl., neuerdings Val. R(^fl
de Aristot. libroc- ord. et auct. p. 27. — Bei dem Antiochener Xenopb»
scheint doch der von dem Schauplatzt der Handlung seines Romanes vc9
schiedene Heimathsort (welcher bei den beiden anderen Namensvett^
vermuthlich einfach aus dem Titel ihrer Werke erschlossen ist) auf eii
bestimmte, nicht rein fictive Person hinzudeuten.
3; Suidas: «PIXitit:©;, A[xcpi7:oX(T7);, iTuopixö;. 'Pooiaxdf, ßißXia i%' {i^
— 347 —
schon darum kein Zweifel sein, weil der Arzt Theodorus Priscianus
ihn zugleich mit Jainblichus, und einem sonst nicht bekannten
Hcrodianus als Erzähler »süsser Liebesgeschichten« auffuhrt^).
Von namhafteren Sophisten wissen wir allerdings keinen
zu den Verfassern erotischer Fabeln zu rechnen ; denn die Lie-
hosgeschichte des Araspas und der Panthea, welche unter dem
Namen des Dionysius von Milet, eines unter Hadrian bertlhmten
Sophisten, umlief, war diesem nur untergeschoben von einem
oe TÄv itavu afoxp«^), Koiaxd ^tßXta ß', Baoiaxd ßißXia fl', %ai aXXot. (Suidas
s. dTToaifjLcbOQLt meint wohl den Komiker Philippus: s. Meineke h. er. com.
p. 342).
1) Theod. Prise. Rer. medicar. II H : die Stelle ist oben p. 225 mit-
gctheilt und besprochen worden. Unter dem »Amphipolitae Philippi« hat
man längst den von Suidas erwähnten Erotiker aus Amphipolis erkannt.
Den dann folgenden Herodianus wollen wir uns hüten, vorschnell mit
Osann, Beitr. zur gr. u. röm. Litt. I p. 293 in Heliodor zu verwandeln.
Zwar die Vertauschung von Heliodorus und Herodianus wäre wohl nicht
ganz unerhört (vgl. Lenlz Herod. techn. rel. I p. IX. X) ; aber warum
sollen wir, aus unserer mehr als dürftigen Kenntniss dieser Dinge heraus,
lieber die Zahl der uns bekannten Erotiker um einen Vertreter willkürlich
vermindern, als von Theodorus einfach lernen, da.«s es eben auch einen,
sonst uns nicht bekannten, Romanschreiber Herodianus gab? (Den Hero-
dianus zählt daher auch ganz unbefangen unter den scriptores erotici deper-
diti auf J. A. Fabricius B. Gr. VHI p. 159 Harl.) —Auf die Reihenfolge
der Namen: Philippus, Herodianus, Jamblichus bei Theod. Pr. ist wohl,
für die chronologische Bestimmung der beiden ersten, nichts zu geben.
Jedenfalls nur lebten beide vor der Mitte des vierten Jahrhunderts, da
Theodorus selbst etwa zu dieser Zeit schrieb (Ed. Meyer, Gesch. d. Botanik
II 1K86 ff.}. — 'Beiläufig mag hier an die Notiz des Suidas über Kao(i.oc
'ApyeXdtou MiX-^sio;, loropiTcö; vecurepo; (nämlich als K. des Pandion Sohn,
von Milet) erinnert werden. Dieser schrieb : Xuotv IposTtxdiv ira&aiv [tt. lassen
einige Hss. fort] äv ßißXlou 5', xal 'Arrixfli« laroplo; ic'. Die 'Arrixal loropbi,
in so seltsamer Gesellschaft auftretend, mögen vielleicht wirklich, wie
C. Müller Fr. bist. gr. II p. K vermuthet, ebenfalls erotischen Inhalts
gewesen sein. Was Xuoi; IptnTixms Tradwv bedeuten könne, ist wohl schwer
zu sagen : vgl. Müller a. a. 0. p. 3. Ich will eine sehr problematische
Vermuthung gleichwohl mitzutheilen wagen. Vielleicht lautete der Titel dieser
von einem (wirklichen oder Pseudonymen) Kadmus von Milet veranstalteten
Sammlung von Liebesgeschichten: £Xuoi^ dpoTixdjv raO^v. Wenn man einen
»Kranz« von Epigrammen herausgeben konnte (Meleager), warum nicht auch
eine »Schmuckkette« erotischer Abenteuer? (oEXuoi; dann hier, oOx iirlToO ^eopioD,
dKK im ToO Yuvaixetou x6o[xou : PolluxX 167.) aXuoi; dposTixöäv Tca&dsv würde dann
genau dasselbe besagen, wie dfdpotot; xoiv ipoi'ixms r.a%riikdxm^, wovon Parthe-
nius praef. redet, nämlich Sammlung von Erzählungen erotischer Abenteuer.
— 348 —
boshaften Gegner, dem Rhelor und kaiserlichen Secretär Celer*).
Uebrigens wird sich die Absicht einer solchen Unterschiebung
schwerlich anders begreifen lassen, als indem man annimmt,
dass Geier jene, bei Xenophon so reine und edle Geschichte
der Panthea, um den Gegner zu compromittiren , ins Ltisteme
und Schmutzige verzerrt habe, wozu ja ein stärkeres Hervor-
heben der Verliebtheit des Araspas die beste Handhabe bot.
Immerhin lehren diese wenigen Notizen so viel , dass die
uns erhaltenen Liebesromane der sophistischen Zeit nicht ganz
vereinzelt standen. Auch wenn die zuletzt genannten Liebes-
geschichten etwa ausserhalb des sophistischen Bodens gewach-
sen sein sollten , so konnten aus ihnen doch , so gut wie aus
dem Roman des Antonius Diogenes, die Verfasser sophistischer
Romane manche Nahrung an sich saugen, welche sie dann in
ihrer Weise mit rein rhetorischen Elementen versetzen moch-
ten. Die Neigung zu der Ausbildung erotischer Stoffe war vor-
handen, wie jene soel>en bezeichneten Vorliebe der Doclama-
toren fUr erotische Themen beweist : es bedurfte nur eines
Zusammenwachsens der verschiedenen Bestandtheile sophistischer
KunstUbung mit einem erotischen Grundstoffe, und der Roman,
in derjenigen Form welche uns bei Heliodor und seinen Ge-
nossen vorliegt, war fertig.
Wirklich steht, in dem »Dramaticum« des Jamblich us
der vollständige sophistische Liebesroman, fertig und, in seiner
unbehtllflichen Art, ganz ausgebildet plötzlich vor uns da. Die
Vorstufen zu dieser Ausbildung können wir, so klar wir die
einzelnen Elemente einer erotischen Prosadichtung in den son-
stigen Ueberresten der sophistischen Studien und Bestrebungen
erkennen mögen, nicht nachweisen. Die litterargeschichtlichen
Aufzeichnungen der Alten lassen uns hier völlig im Stich; die
gesammtc Litteratur der sophistischen Jahrhunderte erwähnt
dieser eigenthUmlichsten Blttthe der Sophistik kaum mit einem
gelegentlichen Winke. Es nimmt daher nicht Wunder, dass
man erst in neuerer Zeil klar erkannt hat, welcher litterari-
1) S. Philostr. V. S. I 32, 8 p. 87, 8 ff, Ueber Celer vgl. Kayscr Phil.
V. S. (1888) p. S59. Aehnliche Unterschiebungen selbst gemachter Seh rifteo:
Lobeck Aglaoph. p. 859. Vgl. auch Bergk, Gr. Litteraturg. I 245 f. (Nach
meiner Auffassung wftre ein sehr merkwürdiges Beispiel dieser Art Lucians
Aoüxwc tJ 'Ovo;).
— 349 —
sehen Richtung , welchem culiurhistorischen Umkreise diese
abnormen Producte überhaupt einzuordnen seien*), worüber
freilich schon der Titel eines »Rhetorsa, welchen Thomas
Magister dem Achilles Tatius^), eines »Sophisten«, welchen
ältere Ausgaben dem Longus geben, einen. Aufschluss hätte
geben können. Das Unternehmen, obwohl durch die gesammte
Richtung der Sophistik unzweifelhaft vorbereitet, kam unter so
ungünstigen Auspicien , in einer Periode-, die Neues wohl noch
wünschen aber nicht mehr mit voller Kraft hervorbringen und
lebendig hinstellen konnte, zur Welt, dass es von vorne herein
einer lähmenden Nichtbeachtung verfiel. Ein Arzt des vierten
Jahrhunderts 3) weiss die Romane des Jamblichus u. A. nur
ELranken einer etwas wunderlichen Art zur Erholung zu empfeh-
len. Zu der Zeit des Kaisers Julian scheint allerdings auch
unter Gebildeteren die Lectttre solcher Bücher wenigstens so
weit verbreitet gewesen zu sein, dass der ernsthaft philosophi-
sche Kaiser ausdrücklich vor solcher Leetüre warnen zu müs-
sen glaubte^). Die vornehmere Rhetorik nahm gleichwohl so
wenig Notiz von diesen Dichtungen, die doch aus ihrer eigenen
Mitte hervorgegangen waren, dass sie, unter dem Ueberfluss
1) Wer zuerst diese Romane als Producte der Sophistik l^lar erkannt
und bezeichnet habe, weiss ich nicht zu sagen. Fabricius, Scholl in seiner
griech. Litteraturgeschichte, ja noch Chassang in seiner histoire du Roman etc.
verrathen von dieser Einsicht keine Spur. Weslermann, Gr. Beredts. § 106» 38
zählt die Romane zu der »sophistisch-rhetorischen Schriftstellerei«; etwas
genauer ist ihr sophistischer Ursprung nachgewiesen bei Nicolai, (Jeb. Ent-
stehung u. Wesen des gr. Romans. S. Aufl., Berlin 4867 p. 54 ff.
2) Thom. Mag. s. dvGißa(vo>. Vgl. Jacobs, Ach. Tat. p. VI.
3) Theodorus Priscianus, an 'der mehrfach bezeichneten Stelle.
4) Die Worte des Julian sind merkwürdig genug, und als Zeugniss für die
weite Verbreitung erotischer Romane in jenen Zeiten immerhin beachtens-
werth (wiewohl bisher von Niemanden beachtet). In dem Fragment eines an
einen Priester (s. p. 888 Uertl.) gerichteten Briefes, vol. I p. 886, 7 ff. (ed.
Uertlein) sagt der Kaiser, in einer Uebersicht über die für einen Priester
geeignete Leetüre: npliroi h' av -^p-lv loropiaic irojiyidsei'if 6ic6oat cuve^pd^-
o«v inl iteiroi7]ji.dvou toi; Ip^oi; • loa hi ioriv is loxoplac elSei irapd toTc
f|A>icpoo&ev dmif(tKit.i^aL iiXdop,aTa TrapaiTTjTiov, ipooTixdc 6icod£o€tc xal
ndivTa irzXm^ xd Toiaura. Wenn nicht solche erotische Erzählungen damals
za der gewöhnlichen Leetüre auch gebildeter Leute gehört hotten, so würde
sicherlich der Kaiser dieselben auch nicht einmal um vor ihnen zu warnen
genannt haben.
— 350 —
ihrer Nomenclaiuren, nicht einmal einen eigenen Namen für
die neue Gattung festzusetzen fUr nöthig hielt. Die Autoren
selbst scheinen einen eigentlichen Gattungsnamen für ihre
Weise der Prosadichtung nicht gekannt und nicht angewandt
zu haben. Sp<iitere Leser ^ zumal Photius, nennen die Romane
»Dramen«, »Dramatica«, »Dramatische Erzählun-
gena^]. Diese Namen sind keinesfalls, wie man wohl gemeint
hat^j, darum gewühlt, um diese Romane als Erzählungen un-
glücklicher, gefährlicher, an die Tragödie erinnernder Aben-
teuer zu bezeichnen, dergleichen Abenteuer spätere Griechen
allerdings auch wohl » Dramen a nennen^). Vielmehr denke ich,
dass man, hier wo es sich um die Benennung einer besonde-
ren Gattung rhetorischer Erzählungen handelt, sich einer, in
den rhetorischen Handbüchern herkömmlichen Eintheilung der
»Erzählung« in »geschichtliche«, »gerichtliche« und »dramati-
sche« zu erinnern habe; in welcher Eintheilung unter »dra-
1) Photius nennt den Roman des Antonius Diogenes Spa(i.aTtx^: p. tSS, t
Hercher, ebenso den des Jambiich p. 881 , 1 ; ouvraYfAa hpayunixA^ die
Acthiopica des Heliodor, cod. 73 inil. , 5pa[jiaTix<iv wieder den Roman des
Achillos Tatius, cod. 87 ; ^{xutixwv opapiaTosv u:rod£aei; die Romane des Jam-
biich, Heliodor, Achilles: cod. 9^ in. Eustathius nennt seinen Roman
selber to xaJ^' 'Taffjivrjv %a\ 'Yojiivlav ^pdfjia. — Suidas zählt die Verfesser
erotischer Romane, als Erzähler, zu den loTopixol Eine Combinatioo
beider Bezeichnungen ist vielleicht zu erkennen in seiner Notiz unter
[hoXefi.atoc 6 toO 'Hcpaioriovoc. Dieser wunderliche Scribent soll unter An-
dern geschrieben haben: £cp(Y^* opafi.a 5'ioTiv loTopixöv. Hierunter ein
«historisches Drama a in unserem Sinne zu verstehen (mit Welcker, Gr.
Trag. 4838), kann ich mich nicht entschliessen. Nach allen Analogien kann
opafxa l9Top(x6^, im Gegensatz zu einem in körperlicher Action vorzufüh-
renden opdp.a, lediglich ein erzähltes opSpia bezeichnen sollen, und das
wäre eben eine selbsterfundene Erzählung, ein Roman, wenn man will.
Dass dieses der Sinn jener Worte sein müsse, scheint einzig Chassang, hist.
du roman p. 377 A. 2 richtig erkannt zu haben : nur hätte er dieselben
nicht durch roman historique wiedergeben sollen; beide Worte zusaBi -
men bedeuten erst roman. lieber den Inhalt eines Romanes »Sphinx«
könnte nun freilich selbst ein Oedipus redivivus sich vergeblich den Kopf
zerbrechen.
2) Z. B. Nicolai a. 0. p. 83.
3) opSfia als Bezeichnung eines gofthrlichen , bedenklichen Ereignisses
sehr häufig namentlich bei Achilles Tatius: p. 44, 7 (ed. Hercber)
47, SO. 50, 40. 79, 89. 95, 49. 408, 80. 434, 15. 488, 9. 457, 45. 468, 7. 47.
474, 4. 494, 88. 498, 8. 804, 86. 803, 46. 208, 89.
— 351 —
matischcn Erzählungen u solche verstanden werden, welche
zwar erfundene, aber der Möglichkeit thatsächlicher Ereig-
nisse nachgebildete Stoffe behandeln: dramatische nannte
man sie darum, weil sie, als erfunden und doch der Möglich-
keit nicht widersprechend, den Gegenständen der (neuen) Ko-
mödie ähnlich waren ^). Wie nun z. B. der berühmte Sophist
1) Aphthonius (Ende des 3. Jahrh.) Progymn. 8 p. 22, 4 iT. Sp.
(Rhet. II) theilt das öi'/jYYjji.a ein in ein ioropixöv — iroXixixöv — ^pa^ia-
Tix(ts' xai opafjiaTixov [asn xb ircirXaop.^vov. Ebenso Anonymus tt. tojv
ToO !A?pdoNloü 7tpoY'J[Avaa[AdTcuN , Walz. Rhet. l p. 128, 25 (Spafxaxixov tJ TtXa-
opuaTtx(Sv), Matthaeus Camariotes, Walz l p. 122, 15. — Nicolaus (fünftes
Jahrh.) progymn. 2 p. 455 Sp. (Rhet. III) verwendet die Bezeichnung
IttlffllkOL $pap,aTix6v in einer ganz anderen und eigentlich unlogischen Ein-
theilung [hviy^. dcp7]Y"»3|Aa'cix(5v — 6pap.aTixöv — fttxTÖv]. Er fügt aber (p. 455, 29)
eine weitere Eintheilung des oii^Y^f^a hinzu: twv öiTj-pQpwiTwv xd [t-h io-zi
|A«jdixd, xd Ik loToptxdf, t6l hk. TTpa^lJ-aTixcC {8. xal Bixavixd xaXouvrat)
xd oe TrXaofxaxixd. Hier stehen also die irXaopiaxixd statt der ^pa.aaxixd
des Aphthonius. Es heisst dann weiter (p. 456, 6. 7) TrXaofxaxixd Ik xd h
xaU xaificiiotat; xal xoT« dXXoi; $pGifp.aotv. — (p. 456, 12) xoivoiveT xd TrXa-
OfAOTtxd xoT< fi.6doi; xip dp,cp6xepa TieTrXdodai, oia^^pet x(j> xd (ji£v [nüiulicb die
nXaofxaxixd] ei xai p.i^ •^i^ost^j Z[LmQ lyetv cpuoiv ftsi^^ai. Obwohl
also hier die Bezeichnung ^papuixixd, weil bereits anderweit verwendet, auf-
gegeben ist, tritt doch aus dieser Beschreibung sehr deutlich hervor,
warum man die TrXaofAaxixd auch opa;xaxixd nannte: weil sie, den Komoe-
dien gleich, einen erfundenen, aber der Möglichkeit nicht widerstreitenden
Gegenstand behandelten. Wenn nun Nicolaus angiebt, die TrXaopiaxixd fän-
den ihre Stelle h xaTc x(u(Jiu)^(at; xal xoT; dXXot; ^pdfiaotv, so muss er
unter diesen opdfxaxa bereits Romane verstanden haben, oder doch erfun-
dene Erzöhlungen überhaupt: denn von Tragoedien (oder Satyr-
spielen) lasst sich doch nicht sagen, dass sie einen, vom Dichter frei er-
fundenen, und noch weniger, dass sie einen«, der Möglichkeit sich
anschliessenden Stoff behandeln (die Tragoedien würden, nach dieser wun-
derlichen Eintheilung, vielmehr zu den (jiudixd zu rechnen sein). Die
Eintheilung der SiTj-yi^f^axa in p,udixd — TiXaofxaxixd — loxopixd — iroXixtxd
findet sich übrigens schon bei Hermogenes, progymnasm. 2 p. 4, 27 ff.
Sp. (Rhet. II). Wenn nun Hermogenes hinzusetzt: x6 hk irXaofjiaxixöv 6 xal
Kpapiaxtxöv xoXouotv, ola xd xaiv xpa^iKcüv , so ersieht man hieraus, dass
iie Bezeichnung einer, erfundenen Stoff behandelnden Erzählung als hvrixri[ML
&pa(j.axix6v bereits in der rhetorischen Terminologie der Antoninenzeit
üblich war. Sicherlich meinte man aber auch schon damals mit dieser
Bezeichnung nichts anderes als später, und so wird man wohl, nach An-
leitung der soeben besprochenen Stelle des Nicolaus, statt xpa^ixosv corri-
;iren dürfen: xmfjitxoiv (nichts ist ja gewöhnlicher als Vertauschung von
rpa^tx^c, xpa^cp^la und xa>(Aix6<, xa>(j.cpS(a, in unsern Hss. Beispiele bei
— 352 —
Nicostratus »dramatische Mythen« geringeren Umfangs geschrie-
ben hatte 1) , so mochte ja auch einmal ein Rheior auf die Aus-
bildung weiter ausgesponnener 9 dramatischer Erzählungen« in
dieser Bedeutung verfallen: und das waren dann eben die
Romane.
Gar nicht uneben bezeichnet also dieser Name eine, wirk-
lich fUr die ganze Gattung höchst wesentliche Eigenschaft des
Romans, die freie Erfindung der Fabel. Dass diese Er-
findung nicht völlig aus dem Nichts hervorschoss , hat unsre
ganze bisherige Betrachtung wohl hinreichend gelehrt. Zurück-
blickend, sehen wir. nunmehr deutlich genug, wie der sophi-
stische Roman die Seele seiner erotischen Fabel der kunstreidi
Meineke, Com. I p. 5S4 u. sonst. Ein besonders merkwürdiges Beispiel
[Schol. Germ. Arat. p. 414, U Breyss.] I>ei Mein. 404. So verwechseln die
Abschreiber gern und httufig Bezeichnungen von correlativeo Begriffes:
dyadöc und %ax6i, 06; und cu, Se^iöc und dtpiorep^c etc. Vgl. G. HermaiiB,
Opusc. III p. 404.) — Uebrigens erkiftrt sich der Gebrauch des Worte!
x(»(i.(uS(a von prosaischen Erztthlungen verschiedenster Art, aber von frei
erfundenem Stoffe, genau aus derselben Auffassung, welche auch za dar
BezeichnuDg Spa|AaTtic6v Sti^Y7)p,a führte: so verstehe ich die »Komoedieo«
des Antiphancs von Berga, des Cynikers Menippus, die hpdiivza xmjud
des Sillographen Timon. Ich würde gar nicht verwundert sein, wena
icgendwo die sophistischen Romane ebenfalls »Komoedien« benannt wür-
den. (Da auch die Bezeichnung Tpa^M^^^^ i^ einem sehr weiten Sinne
üblich wurde [man denke an die »Tragoedien« der Cyniker Diogenes,
Krates, Oenomaus] , so gestehe ich, dass auch die »Tragoedien« und »Ko-
moediena einzelner sophistischer Schriftsteller [des Philostratus , Synesins,
Ueliodor von Athen : Weicker, Trag, i 328] mir eher als irgend eine, schwer
genau zu bezeichnende Gattung prosaischer Erzählung, denn als eigent-
lich sccnische Dramen verständlich sind.) — Schliesslich mag auf die
parallelen Eintheilungen der narratio bei römischen Rhetoren hingewiesen
werden. Quintilian instit. II 4, S: narrationum, excepta qua in caussis
utimur, tres accepimus speciei, fabulam, quae versatur in tragoediis alqoe
carminibus, non a veritate modo, sed etiam a forma veritatis remota; —
argumentum, quod falsum est, sed vero simile comoediae fingunt; —
historiam, in qua est gestae rei expositio. Also fabula = Ivf^'^. \»»%v»ii,
historia &= h. loropixöv, argumentum == l. (pafjiaTtx^v, nach der
Komoedie benannt. Ganz ähnlich Martianus Capella V p. 485, 44— Sl
Eyssenh. , Priscianus , de praeexercilat. rhetor. S p. 55S , 4 4 ff. ed. Haiin
(Rhet. lat. min.).
1) Hermogenes de Ideis, Spengel Rhet. II p. 4S0, 45, sagt in der Cha-
rakteristik des Nicostratus: xal (a6&o>jc auxöc icoXXouc fnXaocv, o6x Aieci-
reiou; (jl^ov, dXX' oTou; clval tcosc xal Spap.aTtxo6<.
— 353 —
lusgebildeten erotischen Dichtung der hellenistischen Poeten
»atlehnte, von welchen, zu eben jener Zeit, auch die Dichter
les neu erweckten Epos wieder zu lernen begannen; wie er
liese Seele mit einem Leibe umkleidete, dessen Aufbau er von
len Dichtern phantastischer Wanderromane erlernen konnte;
me er endlich in der Erzählung des Antonius Diogenes ein
inmittelbar nachzuahmendes Vorbild antraf.
Die eigenthttmliche Modificirung, Yerschlingung , Verwand-
ung, in welcher die also entlehnten Elemente in dem Roman der
sophistischen Periode uns entgegentreten, erklärt sich auf das
trollständigste aus dem hinreichend dargelegten Wesen und
\^irken der gesammten rhetorischen Zunft, in deren Mitte man
sich die Verfasser unsrer Romane thätig zu denken hat ^] . Den
Sophisten hören wir nicht nur in den zahlreichen eingelegten
Prunksttlcken , für welche die Liebesgeschichte selbst oft nur
Binen beliebigen Hintergrund zu bilden scheint, den Beschrei-
bungen, Reden, Monologen, Briefen im sophistischen Stil; wir
spüren ihn mehr noch in der Leere und Kälte der ganzen Er-
zählung. Wir kennen aus den eigentlichen rednerischen Ver-
suchen der Sophisten hinreichend die hohle Gewandtheit, mit
welcher sie alle erdenklichen Gegenstände in das blendende
Licht eines, nur von der Phantasie, nicht von innerlichem Be-
dttrfniss genährten künstlichen Phrasenfeuerwerkes zu stellen
verstanden. Wir haben diese rhetorische Leere , der jeder
Gegenstand lediglich zum Vorwand und Anlass einer rein for-
malen KunstUbung dienen muss, aus dem ganzen Wesen der
Sopbistik zu begreifen versucht; wir werden nicht erwarten,
dass aus den erotischen Excrcitien dieser WortkUnstler eine
tiefere Seelenerfahrung zu uns spreche. Man könnte, was rein
sophistisch ist an den Seelenschilderungen dieser Romane, sehr
wohl zu den EthopoeYen rechnen, in welchen, herkömmlicher
1) Waren auch ihre Romane zunächst zum mündlichen Vortrage be-
stimmt? Die Analogie lässt es annehmen (s. oben p. 305), und «von einer
Vorlesung des Romans des Heiiodor in den icpo7r6Xata eines Aphrodite-
tempels in Rhegion, im Kreise vieler cptXöXoYOi redet der (freilich seiner
Person und Zeit nach gänzlich unbekannte) Philippus, von dem wir das
Bruchstück einer Einleitung zu einer ^p|AT]Ne(a jenes Romans besitzen (bei
Korais Heliod. I p. 1:7').
Ruhde, Der griechische Roman. 23
— 354 —
Weise, die Rhetoren sieh selbst und ihre SrhUler übten ^). So
gut man auszuführen sich liemühete: »was wohl Chiron sagen
möchte, wenn er hörte, dass Achill im Frauengemach des Lyco-
medes versteckt sei«, »was wohl ein feiger Geldgieriger sagen
möchte, wenn er ein goldenes Schwert fände«, so konnte man
auch einmal sich vorsetzen, darzustellen, was wohl eine tugend-
hafte Jungfrau, von dem Geliebten getrennt, von Fremden
schmUhlich bedrUngt, sagen könne; was wohl ein Liebender in
der Qual seines Herzens sagen möchte u. s. w., Alles mit dem
gleichen Wortfluss und der gleichen innern Gleichgültigkeit.
Irrthümlich wHre es darum wohl sicherlich, aus den hoch-
gesteigerten Gefühlen, den pathetischen Gefühlscrgüssen der
•
liebenden Jünglinge und Jungfrauen dieser Ethopoeien im Gros-
sen, auf den ihatsHchlichen Stand des allgemeinen Gefühlslebens
der Griechen in den Jahrhunderten der Sophistik zurückschlies-
sen zu wollen. Es lässt sich allerdings von vorne herein an-
nehmen, dass in diesen Zeiten eines reissenden Verfalls nicht
gerade der Sittlichkeit, aber der moralischen und geistigen
Knergie der alten Gulturvölker die Herrschaftsverhältnisse,
wie es unter solchen Umständen zu geschehen pflegt, sich lu
Gunsten der Weiber einigermaassen verschoben haben; man
wird auch erwarten dürfen, dass einerseits der fortwährende
Verkehr mit den Reichsgenossen der lateinischen Hälfte, andrer-
seits der immer mächtiger durchdringende Einfluss der christ-
lichen Gesellschaft zu einer freieren und würdigeren Stellung
der Frauen auch in den griechischen Ländern beigetragen habe^.
Wenn man sich zudem einer überraschenden Bemerkung des
fein und klar beobachtenden Dio Chrysostomus erinnert, nach
welcher zu jener Zeit die männliche Schönheit in starkem Ver-
fall, die weibliche dagegen eher im Zunehmen ' war') : so
1) Vgl. Rhct. Spengel. H p. 45. (Ungenauer Trpoocunonoua genannt:
ib. II p. nn, 13 ff.). Vgl. 0. Jahn, Bcr. d. Sachs. Ges. d. W. 4850 p. «10 f.
2) Nur ein gelegentliches Beispiel : dio weitgehende Freiheit der Weiber
in dem, damals schon wesentlich christlichen Antioehia tadelt Jolian,
Misopogoi) p. 92 (Paris. 1566;: eircTp^^atc rat; y'^^^^^I^ a'bTwv, Iva diow hfkU
Xbv £Xc60epat xal dx6>^OTot. (In Antioehia traten auch, an den Olympischen
Spielen , Jungfrauen auf, dfcuvi^öficvai xai ?iaXa(ou9ai (uxd ßofjißoiyapiw x«l
Tpiyouaat xal TpaYtpooOsai xal Xi^o^aoLi &{i.vouc Tivd; 'EXXtjvixou; : Malalas, uoter
der Reg. des Commodus, p. 388, 9 ed. Bonn.) —
:J) Dio Chr>'sost. or. «1 p. 601 R.: die Schönheit verschwinde immer
— 355 —
itfchte man sich ein bedeutendes üebergewicht des weiblichen
reschlechts in geistigen und sittlichen Yerhültnissen sogar auch
hysisch begründet denken. Trotzdem wird sich, ftlr die grie-
hischen und graecisirten Nationen des Reiches, wenigstens so
mge das Christenthum nicht vollständig durchgedrungen war,
ireder eine thatsächliche Aenderung der gesellschaftlichen Stellung
ics Weibes noch eine wesentlich veränderte und vertiefte Auf-
issung ihrer Aufgabe und ihres Verhältnisses zum männlichen
teschlechte nachweisen lassen ^) . Die ungemeine Zähigkeit der
lehr un(«r den Menschen, gleichwie die Löwen, einst in Macedonien und an-
eren Gegenden Europas heimisch, allmählich in unserem Welttheil ganz aus-
estorben seien: oSto»; oXyexai h-^ xcHXXo; ii dv^pcdircuv. — A. t6 -ye dv^pcTov,
» ߣXTtote' t6 [xivToi '^\jsrxi%tios looic rzXtosd^ti. Im Anschluss an
lese merkwürdige Aussage weist Jacob Burckhardt, d. Zeitalter Constan-
ios des Gr. p. 389 die physische Entartung der Mensch :n des damaligen
Um. Reiches an den Porträts der Zeit, namentlich denen der Kaiser, nach.
1) Einige, wenig bedeutende Spuren von einer grösseren Freiheit ver-
leiratheter Frauen oder Wittwen in Griechenland sind zusammengestellt
»ei Hertzberg Gesch. Griechenlands unter den Römern II 283 f. 496. Was
loh hierhin wirklich rechnen lässt, wird man aber mehr als das Ergebniss
ler persönlichen Energie einzelner Individuen betrachten müssen : denn von
(iaer wesentlichen Aenderung der allgemeinen gesellschaftlichen Einrieb-
ungen, der ganzen Lebensweise der Frauen und gar der Jungfrauen lässt
•ich auch in diesen letzten Jahrhunderten der griechischen Cultur keine
$par entdecken. (P. E. Müller, de gcnio aevi Thcodosiani, weist sehr richtig
brauf bin, dass im graecisirten Osten des Reiches noch im vierten Jahr-
inndert die Mädchen in der Gynaekonitis eingeschlossen lebten, bei Festen
lad im Theater nicht zugelassen wurden [für Christen boten freilich bereits
lamals die Kirchen zu mancherlei Liebeleien Gelegenheit: Müller i, 77],
lass auch Frauen von der OefTentlichkeit des Lebens ausgeschlossen blieben,
lass im ganzen Osten keine ehrbare Frau, kein ehrbares Mädchen in irgend
»in Schauspiel ging, dass auch zu Gastmählern ehrbare Frauen sehr selten
lugezogen wurden: was Alles in den lateinischen Provinzen anders war.
3. Müller I 76. 77. 408. II 48. 61. 68.) Persönliche Kraft und Bedeutung
tiob dann freilich auch einzelne Frauen hoch aus der Masse empor, so die
Philosophin Hypatia, die Kaiserin Julia Domna, des Philostratus Freundin, die
%theoienserin Eudocia, die Frau Theodosius des Zweiten, deren romanhafter
Lebenslauf alsbald von der Yolkssage ergriiTen und weiter ausgeschmückt wurde
[tcb flenke an die Geschichte von dem Apfel, den sie vom Kaiser bekommt,
ihrem Geliebten Paulinus schenkt, und der endlich zum Kaiser wieder zu-*
rtfcek kehrt: eine im Orient vielfach variirte Erzählung: s. Finlay Griechenl.
tt. d. R. 464 f.; Massmann, Eraclius p. 444—462. 455 ff.; orientalische
Versionen bei Oesterley zu Baitäl Pachlsf p. 4 76 ff . ; vgl. auch Benfey Pant-
schat. I 454, Contin. des 4 004 nuits I [Gab. des f^es 38] p. 44 ff.). — In
23*
— 356 —
bürgerlichen und häuslichen Einrichtungen des altgriechiseheii
Lebens scheint die Frau sehr lange in der dienenden Stellung
festgehalten zu haben, weiche für ihren ganzen Zusammenhalt
so wesentlich bedeutend war. Die Romane sind fUr die Frage
nach dem damaligen VerhHltniss der Geschlechter zu einander
nicht ohne Bedeutung, insofern schon das blosse Dasein einer
so weit ausgesponnenen erotischen ErzUhlungslitteratur zu den-
ken giebt. Auch mag immerhin der in denselben flberail
bemerkbare moralische Vorrang der weiblichen Charaktere vor
den, meist sehr schwächlich gehaltenen mHnnlichen wie ein ud-
bewusstes Eingeständniss des thatsächlich eingetretenen VerhSll-
nisses erscheinen. Im Uebrigen sind die sentimentalen AusbrUebe
der Liebenden viel zu kalt und allgemein gehalten, die Typen
weiblicher Tugend und verwegener Thatkraft viel zu abstract,
als dass man in ihnen etwas Anderes als rhetorische Kraftmittel,
und jene schablonenmassigen Gestalten der Rhetorenscbule er-
kennen möchte, welche uns ja auch in den Declamationen
Überall entgegentreten.
So sehen, denn auch die Übrigen Verhältnisse der Welt
und des Menschenlebens in diesen Romanen so grau und farb-
los unbestimmt aus, wie sie sich in den Vorstellungen eines,
in seiner Schule von der wirklichen Welt abgesperrten Sophi-
sten ausnehmen mochten. Sehr vereinzelt bemerkt man die
Züge eines bestimmten Locals , einer bestimmten Zeit; niao
spUrt überall an dem Mangel realistischer Schärfe der Zeich-
nung sehr deutlich jenen Widerwillen der Rhetoren gegen ein
genaueres Befassen mit der eigenen Zeit. Selbst das wilde und
ungehinderte Treiben der Räuber zu Land und See, welches
Beziehung auf die theoretische Auffassung der Ehe und der Würde des
weiblichen Geschlechts überhaupt verdienen allerdings die AeussemogeB
des Musonius, Plutarch, Libanius Beachtung, welche Lasauli, Abb. der bayr.
Akad. Philos. Gl. VII (1853) p. iU—itl zusammenstellt. In diesen Aos-
sprüchen wird man den römischen Einfluss nicht verkennen, welchen,
als für seine eigene hohe Meinung von dem Beruf und den Ffihigkeiteo des
Weibes bestimmend, Plutarcb, de mul. virt. im Anfang, auch geraden be-
zeichnet. Im Uebrigen ist festzuhalten , dass in allen den Anzeichen einer
freieren Stellung einzelner Frauen, einer höheren Schätzung xies gaazee
Geschlechts von Seiten einzelner philosophisch gebildeter Männer nichts m
bemerken ist, was nicht auch im Zeitalter der Diadocben hier und da i<
Tage trat: s. oben p. 60 ff.
— 357 —
in diesen Romanen überall die bewegenden Antriebe der Hand-
lung herleihen muss, ist nicht, wie es doch nur allzu möglich
war, den wirklichen Verhältnissen der damaligen Reichszustände
nachgezeichnet. Höchstens einmal, wenn Heliodor das aben-
teuerliche Wesen der ägyptischen Bukolen schildert, spürt man
etwas von eigener Anschauung und Beobachtung; im Uebrigen
erkennt der Leser rhetorischer Declamationen und Controver-
sien hier überall die von dorher ihm so wohl bekannten stereo-
typen Räuber und Piraten der Rhetorschule wieder; ja auch'
die bisweilen auftauchende Gestalt des »edlen Räubers« ist
ihm als ein Liebling der Declamatoren bereits hinreichend ver-
traut*).
Alle bis hierher betrachteten Züge sind, als Gattungsmerk-
male, allen Vertretern der sophistischen Romanliteratur auf-
geprägt. Es wird nun endlich an der Zeit sein, die indivi-
duelle Beschränkung und Ausbildung dieser Gattungszüge an
den einzelnen Mitgliedern dieser sophistischen Romantik genauer
darzulegen. Eine einzige allgemeine Bemerkung möge vorher
noch verstattet sein.
Die sophistische Rhetorik, in dem höheren Jugendunterricht
fest eingewurzelt und, nach periodischer Vernachlässigung, im-
mer wieder von einzelnen Kaisem durdi neue Begünstigungen
1] Edle, menschenfreundliche Räuber sind uns bereits in einigen der
oben angeführten Beispiele von Controversien begegnet: vgl. namentlich
Libanius IV p. 644. 645; Seneca contr. p. 422, 19 Kiessl. Bewunderung für
die Külinheit, Standhaftigkeit , Treue der Rtfuber grösseren Stils (wie man
sie sich dachte) spricht sich (nicht sowohl in den realistisch gehaltenen
Skizzen aus dem thessalischen Räuberleben in Locians 'Ovo; als vielmehr)
in den von Apulejus seinem Roman eingelegten Ränbergeschichten (Metam.
Buch 4) sehr deutlich aus. Eine gewisse staunende Scheu vor unbezwunge-
ner Kraft und Natur bezeugten auch die Schilderungen jener wunderlichen
Kraftmenschen, des Sostratus, und jenes attischen »Herakles«, welche Lucian
(8. Demon. init.) und Herodes Atticus (Philostr. V. S. II 1, 7) entworfen
hatten. So schrieb auch Aman ein Leben des Rtfubers Tiliorobus: Lucian
Alex. 2. Es scheint, als ob in diesem Zeitalter der Beginn der Räuber-
romantik zu suchen sei, die noch immer umherspukt. — Eine Art Ent-
schuldigung des Röuberthums bei Dio Chrysost. or. 32 p. 677 R. : xdxetvo;
|itv (6 Xt)0Te6a>v) di&ixTjdel; toco; Itzi touto r^Xdev , uirep toü; v6p.ouc difA6vaoOai
i:po^(Aevo; , xal Td^a ti xaX ipewaiov ih(nvzo irpo^ai jii?j toioitoy Tu^^cbv Sat|AO-
vo;. xtX.
— 358 —
in dieser Stellung befestigl, hielt sich lange Zeit mit einer un-
gemeinen Zähigkeit lebendig. Ihre BlUthczeit ging allerding/i
mit den Anlonincn und deren nächsten Nachfolgern zu Ende.
Aber selbst die wüsten Zeiten der zweiten Hälfte des dritten
Jahrhunderts vermochten ihren Bestand nicht wesentlich zu er-
schüttern. Die wilden, zerstörenden Thronkiimpfe , die Ein-
fälle der nördlichen Barbaren, das Vordringen der Perser, der
Steuerdruck und die Unsicherheit aller Verhältnisse im Innern,
die, in nur noch conservirenden Epochen besonders verhee-
rend, ja tödtlich auf das Gesammtleben einer Nation einwirken-
den Seuchen, wie sie damals gerade in griechischen Ländern
so furchtbar wütheten: — alle diese unaufhörlich anstürmen-
den Bedrängnisse zerrütteten freilich das Reich und die ganze
Cultur des Reiches, aber die Sophistik, in dem wunderlichen
Wolkenreich ihrer Phrasenkunst, wurde davon, so scheint es,
nicht wesentlich berührt. Die starren Ordnungen des dann
folgenden bureaukratischen Reiehsregiments scheinen ihr eher
eine neue Art äusserer Befestigung gegeben zu haben. Selbst
das officicll anerkannte Christenthum that ihr wenig Schaden;
im Gegentheil drängten die Anhänger der neuen Religion , eif-
riger als dieser selbst heilsam gewesen sein mag, sich zu den
rhetorischen SprudeUiuellen. So hielt die Sophistik Stand bis
ins sechste Jahrhundert, wo sie dann erlegen zu sein scheint,
ohne den officiellen Schluss alles Ileidenthums durch das Be-
eret des Justinian vom Jahre 529 abzuwarten.
Man kann nun diese lange Wirksamkeit in drei Perio-
den zerlegen. Die erste wäre die, durch Philost ratus keck
gezeichnete Periode des Glanzes und der höchsten Ueppigkeit
der Sophistik; diese, mit Hadrian beginnend, schliesst etwa
mit der Regierung des Alexander Severus ab. Eine zweite
Periode erstreckt sich durch die zweite Hälfte des dritten Jahr-
hunderts bis zu der Regierung Gonstantins des GroSsSen. Es
ist gewiss nicht zufällig, dnss diese Zeit der sophistischen
Bestrebungen für uns ganz besonders dunkel erscheint. Zu-
fällig mag es sein dass hier, wo Philost ratus uns verlassen hat
und Eunapius noch nicht beginnt, uns alle einzelnen Persön-
lichkeiten der sophistischen Kreise ganz schattenhaft entgegen
treten: denn leicht könnte ein uns zufällig verlorenes Zwischen-
glied sophistischer Biographik , wie es llesychius Illustrius he-
— 359 —
nutzt haben muss^j, auch hier helles Licht verbreitet haben.
klyer ein Sinken der Kraft persönlicher Begabung beweist der
fast völlige Untergang der Werke aller sophistischen Schrift-
steller aus dieser Periode. Hätten sich die Berühmtheiten dieser
Zeit, ein Kallinikus, Nikagoras, Hinucianus u. s. w. auch
nur mit einem Aristides oder Libanius messen können, so würde
ihre so gut wie dieser M<inner Schriften die Bewunderung
der lernbegierigen Byzantiner uns erhalten haben. Ein neuer
Aufschwung trat in der dritten, mit Constantins Regierung
beginnenden Periode auch für die sophistischen Studien ein.
Wir brauchen hier die mannichfaltigen Gründe dieses Auf-
schwungs auch nicht einmal anzudeuten. Gewiss ist, dass die
sophistischen Studien in Athen, freilich mit neuplatonischer
Mystik bedenklich verquickt, eine Art von letzter Nachblüthe
erlebten, welche durch die, dann freilich ins Weite gezogenen
Schüler der athenischen Rhetorik, Libanius und den Kaiser
Julian am Kräftigsten bezeugt wird, und in den Sophistenbio-
graphien des Eunapius auch ihrem äussern, schon stark barba-
risirten Wesen nach klar erkenntlich sich darstellt. Wiewohl
nun die griechische Sophistik durch alle Provinzen des Ostens
verbreitet, auch in der Reichshauptstadt selbst förmlich ein-
gesetzt war, so scheint ihre Blüthe doch an das Herz des alten
Griechenlands gebunden gewesen zo sein^j. Athen scheint
seit dem Ende des vierten Jahrhunderts völlig verfallen zu
sein 5) ; mit ihm versinkt der letzte Schimmer der Sophistik.
1) Die Notizen des Saidas über die, in diese Periode gehörigen So-
phisten stellt zusammen Westcrmann Gr. Beredts. § 96. Es ist hier eine
gute Quelle benutzt, deren Urheber freilich nicht namhaft zu machen sein
wird (etwa Nicagoras B(ot ^^Xo^ifioiv ? Suid. s. NtxaY.)* Auch für die von
Pbiiostratus beschriebene Penode der Sophistik hatte übrigens Hesychius
noch andere Quellen, aus denen er z. B. die Verzeichnisse der Schriften
der Sophisten, aber auch einzelne bidgraphische Notizen entlehnt.
2} Im vierten Jahrhundert hielten zumal Athen und Antiochia »die
Fackel der Rhetorik empor, indem jene Stadt Europa, diese Asien erleuch-
tete«. Lil)anius im 'AvTto)^(x'S;,v. I p. 333.
3) Wie dies der oft citirte Brief des Synesius (136 p. 72S Hercher.)
bezeugt, welcher namentlich auch durch die Gegenüberstellung von
Athen und Alexandria bemerkenswerlh ist: vOv [jiev oOv -^ Atpirro; Tpl^ptixa;
Ti:axia; oejapt^virj ^ovoL?, ii oe 'AO^vgii, ireCXai p.ev r^v yj itöXi« iaxia ao^pÄv, t6
hi vlw lyov oep.^6vo'jow auTÄ; ol [xeXirroupYoL Dass solcher Spott nicht ganz
wörtlich zu nehmen ist, versteht sich von selbst: was aber Finlay Grie-
— 360 —
Die Lachares, Metrophanes, Superianus und andere athenische
Sophisten, welche in den Resten der von Damascius verfassten
Biographie des Isidorus, und in daraus excerpirien Notizen des
Hesychius - Suidas genannt werden, sind nur blasse Schatten.
Noch eine kurze Weile ging die Sophistik, wie ein unruhiges
Gespenst in der Rhetorenschule , welche Procopius am Ende
des fünften Jahrhunderts in Gaza begründete, um. Sie sank
dann völlig zusammen, vornehmlich wohl aus eigener Entkräf-
tung, zuletzt auch noch preisgegeben von den allerletzten Kräf-
ten heidnisch-griechischen Geistes, welche die Rhetorik verlies-
sen, um, in Alexandria ^), in einer brausenden Dichtung und
jenem trunkenen Taumel ncuplatonischer Phantastik ihre lett-
ten Reichthümer zu verprassen.
In die hier nur flüchtig bezeichneten drei Perioden der
Sophistik sind nun die uns bekannten Romanschreiber zu ver-
theilen. Die Zeitbestimmung ist freilich für die meisten der-
selben schwierig und unsicher. Der weitere Verlauf unserer
Betrachtungen wird es indessen rechtfertigen , wenn wir der
ersten Periode Jamblichus und Xenophon von Ephesus, der
zweiten Ileliodor, der dritten Achilles Tatius zutheilen.
Longus und Chariten müssen wir wider Willen, bei dieser Ver-
theilung einstweilen unberücksichtigt lassen.
Und nun wollen wir die einzelnen Romane der Reihe nach
mustern.
chenl. u. d. R. p. 261 ff. (d. Uebers.) beibringt, um die ganze Schilderung
des Synesius »lediglich als eine Floskel rhetorischer Uebertreibung« tu er-
weisen, macht wenig Eindruck.
1) Ein populär naives Lob der ägyptischen, in Alexandria concentrirteiu
den Griechen, angeblich in einem Wettkampf um das musium, überlegeMO
Weisheit, in der expositio totius mundi (c. 350) § H (Geogr. gr. min. ed.
C. Müller II 519 f.). — Die Rhetorik hielt sich im Allgemeinen fem voo
Alexandria: noch im dritten Jahrhundert waren die Alexandriner berdbmt
nur ItzX Ypa|AfjiaTix^ ^ eai|AeT(>l^ xn\ cpiXooo^l^ Menander de encom. p. 360, S3 Sp.
IV.
Die einzelnen sophistischen Liebesromane. ']
1.
J am blich US ist es, welcher die Reihe der rhetorischen
Ronianschreiber anführt.
Ueber die persönlichen Verhältnisse dieses Schriftstellers
geben uns die Ueberreste einer kurzen Lebensgeschichte, welche
er selbst höchst unbefangen mitten in seinen Roman hinein
versetzt hatte, einige Aufklärung >] .
Jamblichus war (wie ja auch sein Name bezeugt) ein Syrer,
von syrischen, und nicht etwa von eingewanderten griechischen
Eltern in Syrien geboren. In syrischer Sprache und syrischen
1} Die auf des J. Herkunft und Erziehung bezüglichen Angaben finden
sich in einer Randnotiz des cod. A. (Bessarionis) der Bibliothek des Pho-
tios: p. 73 Bekker, p. 937 Hoeschel. Die Nachrichten über seine dx^L^i
unter Soämus theilt Photius mit, p. 75 b s Erotici Script, gr. rec. R. Her-
cher I p. 335; 2 ff. (ich citire fortan überall nach Horchers Abdruck).
Diese Nachrichten fand Photius mitten in dem Roman des Jamblichus: und
wahrscheinlich werden doch auch die in jener Randnotiz benutzten Aus-
sagen des J. an derselben Stelle gestanden haben. — Suidas übrigens muss
noch eine andere Quelle , als die eigenen Aussagen des J. , gehabt haben :
er berichtet: *Id(xßXiyo(* outoc, &€ ^aoiv, dizh ^o6Xa>v ^v. Dass J. von
Sdaven abstammte, scheint, da S. sich auf eine Behauptung Anderer beruft,
in seinen eigenen Mittheilungen verschwiegen gewesen zu sein. Es ist
wohl möglich, dass Hesychius auch hier, wie sonst In den Biographien
gelehrter Freigelassener oder Sclaven (s. Wachsmuth, Symb. Bonnens.
p. UO — 148) das Werk des Hermippus von Berytus ir. tSjv ^lairpetl^vrov £v
icatoc(^ hoQ.ms benutzt hat. Denn da der Lehrer des Hermipp, Philo von
Bybius, noch ein Buch n. xf^i 'A^ptavoD ßaoiXeCac schreiben konnte, so muss
Hermipp selbst höchstens gleichaltrig, eher wohl jünger als Jamblich ge-
wesen sein. (Im Ausdruck sehr ähnlich Suid. s. ''Aßpov* y^tovoic h' ir.
— 362 —
Sitten erzogen, erlernte er später von einem babylonischen Er-
zieher babylonische Sprache, Sitten und Geschichten-^). Dieser
Babylonier, welcher in der Weisheit seines Stammes wohl be-
wandert war und in seiner Heimath zu den Schreibern des
Königs gehört hatte , wurde kriegsgefangen, als Trajan in Babylon
1) Ich habe es in meiner Paraphrase undeutlich gelassen, wo eigeot*
lieh jener babylonische Tp»o9e6; dem J. babylonische ^XAaafpi xal f^dr^ ««
X^You^ beigebracht habe. Man nimmt gemeinhin an, jener rpof c^; habe ihn
mit nach Babylon genommen: so z. B. Fabricius B. Gr. VIII 454 Harl.,
Lebeau M6m. de V acad. des inscr. XXXIV p. 57. Des steht aber keinei-
wegs im griechischen Texte: das »Xaßc^vcr darf man nicht ohne Weiteres
dahin auslegen. Ich würde es vielmehr sehr sonderbar finden, wenn ein
Erzieher seinen Schüler einfach, von seinen Eltern fort, mit sich in sein«
Heimalh entführt hätte. Wie kam auch ein königl. Schreiber in Babyloi
dazu, sich, so lange er dieses Amt bekleidete, mit der Erziehung eines
syrischen Sclavensohnes zu befassen? Liest man den griech. Text unbe-
fangen, so wird man den ganzen Verlauf der Sache wohl vielmehr so ver-
stehen, dass der Babylonier zum Tpocpeuc des J. erst dann wurde, all» er,
in Babylon zum Kriegsgefangenen gemacht, von den Xa^uponiiXat verkauft,
und auf diese Weise nach Syrien verschleppt, etwa an die Eltern des
Jambllchus verhandelt worden war. Dann wäre aber J. selbst gar nicht
in Babylon gewesen , also auch nicht , zugleich mit dem Babylonier, zum
Gefangenen gemacht worden. Zu dieser Auffassung leiten doch auch
wohl die chronologischen Verhältnisse hin. Trajan kam auf seinem glliH
zenden aber unfruchtbaren Zuge gegen die Parther, den er im J. 414
begann (s. Clinton F. Rom. z. J. 114) nach Babylon (Dio Cass. LXVin
3f, 3. <•, 1) etwa im J. 4 45 oder 41«. Falls nun JamUich bereits damali
die Erziehung des Babyloniers absolvirt hatte, so war er mindestens in
das J. 490 geboren. Er schrieb seinen Roman zwischen 465 und 480, dai
wäre, nach dieser Berechnung, etwa in seinem 70. Lebensjahre. Das klingt
wohl wenig glaublich. Wenn dagegen nur der Babylonier im J. 445/440
gefangen und verkauft wurde, und später erst, in Syrien, die Erziehmig
des Jamblich zu leiten begann, so braucht dieser selbst nicht vor de»
Jahre 115 — oder wenn man will noch später — geboren zu sein, wie
leicht einzusehen ist. Uebrigens heisst es im griech. Texte von dem Baby-
lonier: Ttpad^vai Supov &ii6 t&v Xatpupoirc&Xajv. Die allgemein angenommeo«
Aenderung des Hoeschelius: 26p9 ist von der tfussersten ünwahrscheii-
lichkeit; es bieten sich aber zu viele Möglichkeiten der Emendation dar,
als dass man einer bestimmten vertrauen möchte. — Endlich sind die
Worte: clvai ht toötov oo^v — — 7C7«vija0ai, obwohl sie graromatiscb
gewiss leichter sich (wie- auch Fabricius a. 0. gethan hat) auf Jambliek
beziehen Hessen, gleichwohl, dem inneren Zusammenhang nach, onzweifel'
haft auf den Babylonier zu beziehen , wie Chardon de la Rochette li6L de
crit. et de philol. I (Paris 1842) p. )1 f. richtig erkannt hat.
— 363 —
eiarttckte, und wurde von den Beut«händlem verkauft, wie es
scheint nach Syrien. Jamblieh nun lernte von ihm die baby-
lonische Sprache; zu dieser und seiner syrischen Muttersprache
lernte er schliesslich auch noch die griechische Sprache hinzu
und bildete sich in dieser bis zur kunstmSissigen Fertigkeit
eines Rhetors aus.
Seine eigene schriftstellerische Thätigkeit setzte Jamblieh
in die Zeit des Soömus »des Achaemeniden , des Arsaciden,
welcher König war, von Königen abstammend«, zugleich aber
Hitglied des römischen Senates, und Gonsul *) . Dieser war von
den Römern, nach Beendigung des vierjährigen Parlherkrieges
unter Oberleitung des Lucius Verus, zum König in Grossarme-
nien eingesetzt worden. Unter seiner Regierung, und noch zu
Lebzeiten des Kaisers Marcus Aurelius schrieb Jamblich seine
Erzählung. Er erwähnte darin auch des jüngst beendigten
Krieges, und wie er selbst, wohl durch babylonische Magie
ttber die Zukunft belehrt, den Krieg selbst und dessen Verlauf,
nämlich die Flucht des Partherkönigs Yologesus über Euphrat
1) Xfjfet iauTÖv — dxitÄZßis iizi Zoa((jLOU toD 'A)^aifjievl5ou, toO Ap-
aaxC^ou, 8; ßaoiXei»; f^v ix nardpcav ßaoiX£a>v xtX. Phot. p. 225, 4 ff. Die
hervorgehobenen Worte ist Tillemont, Hist. des emp. II 2 (Brux. 17H)
p. S87 A. 2 geneigt, so zu verstehen: fils d' Aqaemenide, de la race des
Arsaeides; Achaemcnides als Eigenname. Aber dies ist ja kein Eigen-
Bftme, sondern ein Patronymicum , sogut wie 'Apaa%loT]( auch. Ich denke
vielmehr, dass diese Verbindung zweier Palrenymica andeuten soll, daas
die Arsaciden, zu deoeo Soämus gehörte, sich herleiteten von dem alten
persischen Königsgeschlecht der Achaemeniden. In der That leiteten die
Begründer der Arsacidendynastie, Arsaces und Tiridates, ihr Geschlecht ab
iiA xoti üepoosv 'ApragipSou (Artax. 11^: Syncellus p. 284 B (aus Arrian:
lUiUer, Fr. hist. III 587). Vgl. Droysen , G. d. Hellenism. II 828 A. 4 46.
— Von Soämus, welcher in Armenien von den Römern eingesetzt wurde,
berichtet ausser Jamblich nur noch Dio Gassius LXX, vol. IV p. 4 74 Dind.
Vgl. C. F. Hermann, Luc. de conscr. hist. p. XVI f. — Er war früher
&ic«TO< gewesen, d. h. wohl nur Titularconsul , wozu in der Kaiserzeit
gelegentlich auch Ausländer gemacht wurden: Marquardt, Rom. Alt. U
8, 288. — Uebrigens würde man kaum begreifen , weshalb Jamblich seine
eigene ^xftt) gerade nach diesem obscuren König von Armenien datirte,
wenn er nicht unter dessen Scepter wohnte. Daher denn auch die
orientalisch pomphafte Titulatur des Königs. — (Eine sehr kühne Aendo-
mog dieser ganzen Stelle, bei Lagarde, Ges. Abb. p. 488 A. 3, ist völlig
annöthig) .
— 364 —
und Tigris und die Unterwerfung des Partherlandes unter die
römische Herrschaft prophetisch vorausverkttndet habe^).
Demnach schrieb Jamblich seinen Roman wenige Jahre
später als Lucian jene scharfe Persiflage der rhetorischen Afiter-
historiker welche sich, ehe noch die Kaiser ihren Triumph
gefeiert hatten, die Geschichte des ruhmreichen Partherkrieges
in allen möglichen Manieren sophistisch zugerichtet hatten. Er
war also ein Zeitgenosse der Sophistik in ihrer üppigsten
BlUthc.
Seiner Liebesgeschichte gab er den Titel » Babyloniaca«,
welcher nicht nur den Schauplatz der Ereignisse sondern auch
die Herkunft der ganzen Erzählung bezeichnen sollte: denn er
behauptete, der ganze Roman sei eine der ihm von jenem ge-
lehrten Babylonier mitgetheilten altbabylonischen Geschichten.
Vielleicht hatte er die ganze Figur des Babyloniers nur erfun-
den, um sie zur Stütze dieser Fiction zu benutzen.
Der Roman hatte einen beträchtlichen Umfang : nach Suidas
hätte er 39 oder 35 Bücher umfasst; der Auszug des Photius
schliesst mit dem sechzehnten Buche ^j. Das Werk wurde lange
Zeit gelesen und abgeschrieben; als Suidas in der Mitte des
zehnten Jahrhunderts sein grosses Sammelmerk anlegte, konnte
er, aus eigner Leetüre, demselben eine beträchtliche Anzahl
einzelner Sätze und Redeblumen einordnen, welche er aus dem
1) p. 225, 9 fr. Solche Prophezeiungen scheint der Partherkrieg manche
hervorgerufen zu haben; nicht alle Propheten waren so scharfblickend wie
Jamblich: vgl. Lucian. Alex. 27. Einen phantastischen Historiker, welcher
den noch unbcendigtcn Krieg gleich vorausblickend zu Ende erzfihlte, ver-
höhnt Lucian, de conscr. bist. 31. Mit Unrecht suchte Solanus hinter
diesem Historiker unsern Jamblich: s. C. F. Hermann p. 498.
2) — hi ßißXtoic X»' Suidas : Xe' cod. Vatic. bei Mai auct. vet. H 348.
Photius sagt am Schluss seines Auszuges: i^ ot; i ic' X^y^* (ntimlich «u(&-
TtXT]poi»Tai, wie er sonst sagt). Damit ist, genau genommen, nicht behauptet,
das» die ganze Geschichte nicht mehr als 4 6 X^^^^i gehabt habe; man sieht
nur nicht ein, was überhaupt nach der glücklichen Vereinigung des Paar»
noch hätte folgen können. Wie man also die Discrepanz zwischen Suidas
und Photius zu reimen habe, wird sich mit unseren dürftigen Mitteln
schwerlich feststellen lassen. (Keinesfalls darf man an einen Unterschied
von HfOi und ßtßXtov denken. Beide Ausdrücke besagen stets dasselbe io
litterarischen Notizen. Man vgl. das Nächstliegende: Suidas s. *Ax(^^
St^tioc: — ipwTtxÄ h ßißXtoK T^. Photius cod. 87 von demselben Werke:
X^^oi 6xT(6).
— 365 —
Roman des Jamblichus excerpirt hatte. Eine kleine Anzahl von
Probestücken der rhetorischen Kunst des Jamblichus findet sieh
noch in einigen Handschriften italienischer Bibliotheken vor ^) ;
wohl nur aus Verwechslung dieser einzelnen Stücke mit dem
ganzen Roman des Jamblichus entstand die lange fortgepflanzte
Sage, dass das vollständige Werk des Jamblichus sich erhalten
habe und in irgend einer Bibliothek sich noch verborgen halte ^) .
1) Die Excerpte bei Suidas, sowohl solche, die er geradezu mit dem
Namen des J. bezeichnet, als diejenigen, welche sich mit hinreichender
Sicherheit auf den J. zurückführen lassen, hat am Besten vereinigt R. Her-
eher, Erot. scr. gr. I p. 217—220; vgl. I p. XXXIII f., II p. LXIV.
Einen Nachtrag aus den anonymen Fragmenten bei Suidas (von denen in-
dessen doch einige mit geringer Wahrscheinlichkeit dem J. vindicirt wer-
den) liefert derselbe, in den Monatsber. der Akad. d. Wiss. zu Berlin 4875
Januar; p. i — 7. (Ich werde die dort mitgetheilten 15 Fragmente weiterhin
stets von den übrigen unterscheiden , indem ich den einzelnen Nummern
ein Sternchen hinzufüge.) — An umfangreicheren Excerpten, welche z. Th.
erst neuerdings, auf Grund handschriftlicher Autorität, dem Jamblichus
irindicirt worden sind, besitzen wir folgende: 4) eine Schilderung des Auf-
mges des babylonischen Königs; 2) eine kurze Rede einiger Soldaten,
welche den Lohn für eine Flussableitung fordern; 3) eine Anklage eines
Herrn gegen seinen Sclaven, mit welchem die Frau des Klägers, freilich
nur im Traumgesicht, Ehebruch begangen hat; 4) sechs auserwählte Sen-
tenzen. Diese vier Stücke, zuerst von Leo AUatius 1644 herausgegeben,
sind neuerdings aus cd. Vatic. 1354 und Laurent. 57, 12 wieder abgedruckt
(und sämmtlich dem J. zugewiesen) worden bei Hercher, Hermes I 362 ß.,
Erot. II p. LXVI, LXVII; und bei Hinck Polemonis declamationes (L. 1873)
p. 45 — 51. Das erste dieser Stücke steht auch im cd. Ottobonian. 90 der
Vaticana: s. Emperius, Dio Chrysost. p. 793. Es kommt hinzu: 5) Eifer-
Michtscene zwischen Sinonis und Rhodanes; aus einem Vaticanischen
Palimpsest flüchtig abgedruckt bei Mai, Scr. vet. nov. coli. II 349 ff., und
damach wiederholt bei Hercher, Erot. II p. LXTV — LXVI; die Ergebnisse
einer genaueren Collation des Palimpsestes bei Hercher, Hermes I 361. 362.
2) Die unversehrten Babyloniaca sollten, erzählte man, sich in der
Kbliothek des Escurial befunden haben, nach Ausweis eines handschrift-
lichen Katalogs, welchen Isaac Vossius besessen habe; leider sei dieser
Schatz bei dem Brande der Bibliothek, 1671, mit zerstört worden. Früher
fchon munkelte man davon, dass Jungermann (•]- 1610) den Roman des
Jamblich besitze und herausgeben werde. (Der scriptor amoenissimus,
dessen Herausgabe Jungermann selbst, in der Vorrede zum Longus [1605],
verheisst, ist jedenfalls nicht Jamblich, sondern Eustathius, de amore Hys-
minae: s. Chardon de la Rochette a. 0. p. 28; vgl. auch einen Brief Jun-
gerinäons an Piccart, 6. Nov. 1604, in Theophili Sinceri Neuen Nachrichten
von lauter alten Büchern u. s. w. I [1747] p. 96.) Das Exemplar des Es-
— 366 —
Den Verlauf der ganzen Erzählung lehrt uns gegenwärtig nur
eine kurze Inhaltsangabe kennen, welche, gleichwie bei dem
Roman des Antonius Diogenes, der Patriarch Photius mittheilt,
im 94. Abschnitt seiner »Bibliothek«. Darnach war der wesentr
liehe Inhalt des Romans der folgende.
Die schöne Sinonis, welche bereits mit dem geliebten Rhodanes
ehelich verbunden ist , verfolgt , nach dem Tode seiner Frau , der
König von Bubylon, Garmus, mit seinen Anträgen. Da sie sich wei-
gert lässt er sie, mit einer goldenen Kette, fesseln, den Rhodanes
ans Kreuz schlagen. Durch Sinonis vom Kreuz errettet, flielit Rho-
danes mit ihr davon. Die königlichen Eunuchen, Sakas und Damas,
denen die Hinrichtung des Rh. anvertraut gewesen war, werden,
um Ohren und Nasen gestraft , dem Paare nachgeschickt ; In zwei
verschiedenen Richtungen ziehen sie aus, das.selbe zu suchen.
Ein Fischer verräth dem Damas, dass einige Hirten den Auf-
enthalt der Beiden kennen. Gefoltert, weisen die Hirten endlich
eine Wiese, auf der das Paar sich aufliielt';. Dort hatte, durch
ein geheimniss\ olles Monument geleitet ^j, Rhodanes einen vergrabe-
curial spukte aber noch weiter; nach einigen Nachrichten war es nidit
verhraimt, sondern im Auftrag der Königin Christine von Schweden durch
Is. Vossius angekauft worden, für eine unglaubliche Summe Geldes (46l,009
öcus) » weil es so ungemein rar war«. Es versank dann aber wieder in
den wOcean der Vergessenheit«, bis man aus einem Briefe des gelehrteo
Arztes J. E. Bcmard an Reiske, vom 44. Nov. 175S, erfahrt, dass »Jam-
blichi Babylon iaca , graccc, nondum vulgata« auf der Auciion des littera-
rist^hen Nachlasses Meiboms im Haag von dem jüngeren Burmann angekauft
W9rden seien (s. J. J. Reiskes von ihm selbst aufges. Lebensbeschr. p. 467).
Seitdem ist jede Spar verloren. Ucbcr alles dieses vgl. namentlich Fabri-
cius B. Gr. VHi 458 f. Harl. Dia ganze Fabel leitet sich vielleicht auf
einige Reuommage des Isaac Vossius zurück. Dieser hatte aus dem Lav^
rent. 57, 12, ausser anderen Stücken, auch den Abschnitt des Jamblichas
::epl 7:po65ou toD BaßuXouvioiv ßaotXioK abgeschrieben: s. J. G. Vossius, de
liistor. gr. p. S75 West.» Hiock Polem. p. X; aus einigen vielsagenden Andeu-
tungen des Besitzers über diesen Schatz mag die Sage von der Exittens
der vollständigen Babyloniaca entstanden sein, welche Vossius nun filr
eine ungeheure Summe aus dem Escurial entführt hal>en sollte. Da sie sieb
denn doch nirgends vorfinden wollten, so Hess man sie getrost im J. 4174
mitverbrennen , während es vermuthlich nur die Vossische Abschrift jeoat
kleinen Abschnittes der Babyloniaca war, welche Barmann aus lleibont
Nachlass erstand. Ob etwa auch Jungennann eine Abschrift jenes Excerptet
aus Jamblichos besass?
1) Hierher gehören fragm. 4; S; 4*.
2) )^pi>o&v To^vT^; eSptoxe, t^; .oti^Xt]^ toO Xiovroc uf:o&v)Xo6(ACvov tip itor
Ypci(jL}AaTi. p, iSI, 34. Wodurch die Inschrift des »Löwengrabes« die An-
— 367 —
Ben Schatz entdeckt. Da aber »das Gespenst eines Bockes« sich
in die Sinonis verliebt ^) , so verlassen Rhodanes und Sinonis die
unheimliche Wiese. Damas findet dort nur noch den Kranz der Si-
nonis, welchen er dem Garmus schickt.
Weiterfliehend trifft das Paar eine Alte, die sie in einer Höhle
verbirgt. Damas mit seinen Leuten gelangt ebenfalls an die Höhle;
Bienenschwärme hindern sie am Eindringen; da die Bienen sich an
giftigen Reptilen genährt haben, tödtet ihr Stich manche der Solda-
ten. Aber auch Rhodanes und Sinonis, welche zu einer von den
Verfolgern abgelegenen Oefl'nung der Höhle hinausdringen, werden
durcii den Genuss des Honigs dieser vergifteten Bienen krank und
fallen wie todt um^). Die Verfolger, vor den Bienen fliehend, fin-
den das scheinbar todte Paar am Wege liegen, werfen, nach Lan-
desbrauch, Kleidungsstücke, auch Lebensmittel, Brot und Fleisch,
auf die Entseelten ^j , und ziehen weiter. In der Höhle hatte Damas die
Haare ^) der Sinonis gefunden, welche diese sich abgeschnitten hatte,
um aus ihnen ein Seil, zum Wasserschöpfen, zu flechten : er schickt
diese Haare als Anzeichen für die Nähe der Verfolgten dem Garmus.
Wesenheit eines Schatzes andeutete, lässt Photius nicht erkennen. Nicht
anpassend erinnert 0. Keller, N. Jahrb. f. Philol. Suppl. IV p. 871 an eine
Scene des griechischen Volksbuches vom Aesop (c. 20 p. S75 f. ed. Eberh.),
in welcher ein Schatz durch eine räthselhaftc Inschrift eines Grabmales als
in der Nähe verborgen dem weisen Aesop kund gemacht wird. (Nur darf
DMin nicht mit Keller an eine Entlehnung dieses Zuges aus Jamblich
denken: denn was Keller sonst von einem thatsächlichen Zusammenhang
unseres Romans mit dem zweiten Theil der Aesopsage ausgespürt bat, ist
loch allzu geringfügig. Viel klarer ist der von Keller nachgewiesene Zu-
sammenhang dieses zweiten Theils der Aesopsage mit dem Pseudocallisthenes.
Der Grundstoff der Erzählung des zweiten Theils [ausser den Erlebnissen des
Aesop in Delphi] ist gleichwohl sicher nicht griechisch, sondern beruht auf
Binem alten, weitverzweigten Märchen, dessen indische Herkunft wohl nicht
Ewaifelhaft sein kann nach Benfeys Ausfuhrungen in einem Aufsätze, den
JCeller übersehen zu haben scheint: Ausland 4859 N. iO — 25). — Geschichten
fon verborgenen Schätzen in Volkserzählongen : Benfey, Pantschat. I 97 f. —
Die »9r/)X7) to5 X£ovto(« soll wohl eine Grabstele mit dem Bilde eines
Löwen sein: über Löwenfiguren auf Grabmälern vgl. (Jsener, De Iliadis
ctrm. quod. Phocaico (Bonn 1S75) p. 44. 45.
1) Auf jenes ^«lOfxa xpa^ou bezieht sich fr. 3; i*. Ich erinnere mich
t)ei diesem abenteuerlichen Bocksgespenst zumal des neagriechischen Xd-
}m^, eines ebenfalls in ßocksgestalt umgehenden dämonischen Wesens:
B. Schmidt, Volksl. d. Neugr. I 456. (Vom deutschen Teufel in Bocks-
gestalt Gnmm, Mythol. 947).
2) Fr. 5. 6. 7.
3) Fr. 9.
4] Beschreibung der Pracht dieser Haare: fr. 8 und Suidas s. dupauXctv:
Hercher, Erot. I p. XXXHI f.
— 368 —
Durch Raben, welche sich krächzend um das hingeworfene
Fleisch streiten ^] , wird das betäubte Paar erweckt. Auf einem,
dem Zuge der Verfolger entgegengesetzten Wege fliehen sie weiter,
zwei Esel, welche sie fmdcn, mit den von dem Heere hingeworfe-
nen Dingen beladend. Sie kehren in einem Wirthshaus ein, flieheo
weiter, kommen um Mittag in ein anderes Quartier, wo sie der Er-
mordung eines Menschen angeklagt werden von dessen Bruder, der
vielmehr selbst der Mörder ist und bald auch durch Selbstmord
unser Paar von dem Verdachte befreit. Rhodanes eignet sich aber
heimlich das Gift an, mit welchem Jener sich getödtet bat^).
Sie kommen weiter in das Haus eines Räubers, welcher die
Vorüberziehenden ausplünderte, ermordete und auffrass'j. Eine
Anzahl Soldaten, von Damas abgeschickt, ergreifen den Räuber, zün-
den Nachts sein Haus an und lassen das Paar, welches sich mit
den Leibern der geschlachteten Esel durch das umringende Feuer
einen Pfad bildet^), entweichen, da sie auf Befragen der abergläo-
bischen Soldaten erklären, sie seien die Gespenster der von dem
Räuber Ermordeten.
Weiterfliehend trifft das Paar auf den Grabzug eines Mädchens.
Ein Chaldäer hält den Zug an, und erklärt, das Mädchen sei noch
lebendig; und so erwies es sich^). Derselbe prophezeit auch dem
Rhodanes seine zukünftige Königswürde. Von den am Grabe zu-
rückgelassenen Tüchern nehmen Rhodanes und Sinonis einige an
sich, stärken sich auch mit den dort vorgefundenen Speisen mid
Getränken , und schlafen ermüdet in dem Grabgewölbe ein. Die
Soldaten, welche sie aus dem Räuberhause hatten entkommen las-
sen, haben sie doch verfolgt, weil ihnen nachträglich eingefalleo
1) Fr, 40.
2) Fr. •♦.
3) p. iS8, 7.8: xatalpo'joiv ci; otxT|fi.a X^oroO tou( irapo^txac X{)OTs6ovTec
xal to6to'jc iauT(ji irotoupivou tpaireCav. Diese letzten Worte, obwohl miD
sie allenfalls auch anders verstehen könnte, sollen doch wohl wirklich be-
sagen, dass dieser Räuber ein Menschenfresser war, wie sie so oft in
ächten Märchen vorkommen.
4) p. 2St, 14: Twv ^vcdv o^a-f^vtoiv xal Tfji unipl cU ((ooov ifciTelMvtaiv*
Das sieht beinahe aus wie eine Parodie des pathetischen Vorganges ans der
Pythagorassage von dem Porphyrius V. Pythag. § 57, p. 87, SS tt. ed.
Nauck, erzählt (vgl. Tzetzes, Chil. XI 80 ff.).
5) Fr. k* (wo indessen der zweite Abschnitt [Suid. s. ^i^Qpct] doch
wohl ohne besondere Wahrscheinlichkeit dem Jamblich zuertheilt ist). —
Die Erweckung des sclieintodten Mädchens erinnert, gewiss nicht zuntlltg, aD
das Wunder des ApoUonius von Tyana, bei Philostr. V. Ap. IV 45, welches
man ganz mit Unrecht für eine Nachbildung der in den Evangelien er-
zählten Erweckungen des Jtinglings zu Nain oder der Tochter des Jairus
zu halten pflegt (so Baur, Apoll, u. Chr. p. U5].
— 369 —
ist, sie seien doch wohl Genossen des Räubers ; den Spuren nach-
gehend finden sie nun die Beiden bewegungslos in dem Grabe lie-
gen, halten sie für Gestorbene und ziehen ab.
Auf ihrem weiteren Zuge überschreiten die Liebenden den
Fluss, welcher , wegen seines süssen und klaren Wassers , dem
Könige von Babylon allein zum Getränk dient'). Sinonis wird, da
sie die aus dem Grabe mitgenommenen Gewänder verkaufen will,
wegen Grabberaubung angehalten und vor Soraechus, den Gerech-
ten zubenannt, geführt. Wegen ihrer Schönheit will dieser sie dem
Könige Garmus zusenden ; um diesem Schicksal zu entgehen, mischen
Rhodanes und Sinonis sich den Todestrank aus dem mitgenommenen
Gifte. Soraechus, von einer Dienerin über die Selbstmordpläne der
Beiden unterrichtet, weiss ihnen einen Schlaftrunk statt des Gifites
unterzuschieben. Die Schlafenden führt er auf einem Wagen dem
Könige zu 2). Rhodanes erwacht, durch ein schreckliches Traum-
gesicht erschreckt ; er erweckt die Geliebte , welche mit einem
Schwerte sich zu ermorden versucht, und sich an der Brust ver-
wundet. Soraechus lässt sich die Geschichte des Paares erzählen;
er lässt sie frei und zeigt ihnen ein Heiiigthum der Aphodrite auf
einer vom Euphrat und Tigris umflossenen Insel, wo die Wunde
der Sinonis geheilt werden soll.
Die Priesterin in jenem Heiiigthum hatte drei Kinder gehabt,
Euphrates, Tigris und die Tochter Mesopotamia. Um diese welche,
bässlich geboren, von der Aphrodite schon gemacht worden war.
1) Rochette p. 78 denkt an den Cboaspes, dessen Wasser der per-
sische König auf seinen Reisen sich nachfahren Hess: Herodot I 488. Aber
weder an diesen, bei Susa fliessenden, noch etwa an den dicht neben dem
Cboaspes gelegenen Fluss Eulaeus, von dem Gleiches berichtet wird (siehe
Brissonius, De reg. Pers. princ. 1. I § 82 p. 424 f. ed. Lederlin, Argentor.
iliO) wird wohl hier zu denken sein,- da diese Flüs^ von dem Scliauplatz
der Handlung zu weit entfernt sind, auch von einem in Babylon residirenden,
doch wohl als einheimisch gedachten König die Rede ist. Jene Marotte,
aar Eines Flusses Wasser des Königs für würdig zu halten, mag weiter
verbreitet gewesen sein: Poiybius bei Athen. H 45 B. C. erzählt etwas
Aehnliches von den Ptolemäern. Hatten also auch babylonische Könige
einen solchen Lieblingsfluss? (zwischen Euphrat und Tigris ^eX xal dfXXoc
icoraptöc, Bao(Xeto( xaXou{Uvo; : Strabo XVI p. 747. Der Name ist doch
wohl griechisch? Hiess also dieser Fluss wegen seiner Benutzung für
den König »der königliche«?).
2) Von dem Wagen handelt vielleicht fr. 34 (p. 222, 42); auf die
Todesverachtung der Liebenden Hesse sich die Sentenz des Jamblichus in
Hincks Polemon. decl. p. 51, 6. 7 beziehen. — Die nur scheinbare Ver-
giftung durch einen untergeschobenen Schlaftrunk ist in dieser Gattung von
Erztthlungen beliebt. Vgl. Xenoph. Ephes. ill 5. 6 und die Novelle des
Apoleius, Metam. X H. 42 (die ganze Geschichte des Ap., X 2— 12, imitirt
Ser Giovanni, Pccorone XX 111 2j.
Bobde, Der griechische Ruman. 24
— 370 —
stritten sich drei Liebhaber. Der Schiedsrichter, Bochorus, der
trefflichste aller Richter zu jener Zeit^), entschied dass das Wkd-
chen demjenigen gebühre, dem sie , statt eines Kranzes oder einer
Schaale , wie den zwei andern , einen Kuss gegeben habe ; damit
aber nicht zufrieden, tödteten sich die Nebenbuhler im Streite. —
1) Fr. 41. — Dieser »Bochoros« ist, wie ich denke, keio Anderer ab
der bekannte König Bokchoris von Aegypteo (reg. ungefähr 750: siebe
Müller, Fragm. bist. gr. III 835), welcher hier vielleicht zu einem weite«
Richter unter den Babyloniorn degradirt ist. Von diesem Bokchoris von
Aegypten sagt Diodor I 94: 'ft^io%ai autiv Ticpl to^; xpCotic oStcb oumct^
AoTE iroXXÄ TÄv 6ir' otkoü hia-fsma^hrcms hiA nfjv «epiTTÖnjxa (Ji.vi2(tove6colai
(A^pt Tä>v xa^' i^fiäc XP^^^^"* (^i'^® » Bokchore'is « dichtete Pancrates [docb
wohl der Zeitgenosse des Hadrian. Athen. XV 677 D. E.] : Meineke, Anal
crit. ad Athenaeum p. 232); vgl. Zenobius I 60; Suidas s. Böx^opic; Aeliao
nat. anini. XI 14 ; XII S. Namentlich führte man auf ihn einen borühmtea
Urtheilsspnich zurück, in welchem eine Hetäre Thonis, welche ein Lieb-
haber im Traume genossen hatte, mit ihrer Klage um Entscbttdigung auf
den Schatten der zu zahlenden Sunmie verwiesen wurde: Plutarcb.
Demetr. i7 (oflenbar das Vorbild^ zu dem Process um des Esels Schattea:
s. Liebrecht in Eberts Zeitschr. für roman. Sprachen lU 447, zu Beofe}'!
Pantschet. I 127, wo die orientalischen Versionen der Geschichte verzeich-
net sind. Vgl. auch Gualt. Mapes bei Liebrecht, Pfeiffers Germ. V 53).
Dem Gegenstande dieses Processes ist nun auffallend ähnlich der Gegen-
stand eines Fragments des Jamblichus (fr. 8 nach der oben p. 865 gegebeoea
Uebersicht), Polem. ed. Hinck p. 46: ^otiött)^ do6Xou xanj^opci ivX (Mh^c^
rfj« oixelac YafJtrr?];, iStj^T/oapL^vt]; ai; 5vap xo6Tip ti x^ rffi 'A^po&lTQc Upf
d^AlfQ- Uercher. welcher (Hermes 1 362 ff.) dieses Bruchstück, nach An-
leitung des Laurent. 57, 12, dem Jamblichus zuerst vindicirt bat, sieht ia
demselben mit Recht eine Ausführung des von Photius (p. 224, 25 f.) er-
wähnten Gebrauches 3er Weiber, die während ihrer Incubation im Apbra-
ditetempel gesehenen Träume öffentlich zu erzählen. Dann stand diese
Processredc ganz nahe bei der Erzählung von der Entscheidung des Bocbo-
rus zwischen den drei Liebhabern ; ich glaube, es ist nicht zu kühn, aacb
in diesem Process Bochorus, d. i. Bokchoris als Richter zu denken, und
das Ganze für eine Nachahmung jener berühmten Entscheidung des Königs
zu halten. (Die Entscheidung mochte hier ausfallen, wie in der analoges
Geschichte im Bahar Danusch [s. Benfey a. 0.]: Durcli peitschung oder
sonstige Bestrafung des Schattens des Angeklagten). Uebrigens redet der
klagende Ehemann dort den Richter wiederholt als »König« an: p. 46,29;
48, 3. 11 (cd. Hinck); es wäre also wohl möglich, dass Jamblichus seinen
Bochorus ruhig in der ägyptischen Königswürde belassen hätte, und mit
kühner Fiction heikliche Rechtsfälle von Mesopotamien bis nach Aegyptefl
hätte bringen lassen. — Der, von Bochorus entschiedene Streit dreier Lieb-
haber um Eine Braut erinnert übrigens stark an eine, in orientaliscbeD
Märchen viel verwendete Geschichte vom Streite dreier Jünglinge um eine
— 371 —
Jamblicb erzählte weiter, wie die (zur Heilung) in jenem Tempel
der Aphrodite schlafenden Weiber ihre Träume zu erzählen ver-
pflichtet waren; weiter allerlei von Phamuchus, Pharsiris, TanaYs,
und den Aphrodite-Mysterien des TanaYs und der Pharsiris an dem
nach jenem Manne genannten Flusse Tanais ^) . Hier hatte nun Jam-
blich einen Excurs über die verschiedenen Arten der Magie ein-
gelegt, die er selbst in Babylon erlernt haben wollte; er hatte dann
jene Mittheilungen über sein eigenes Leben gemacht, die wir oben
bereits benutzt haben ^). Endlich fuhr er in der ErzUhhlung fort.
Von den beiden, einander sehr ähnlichen Söhnen jener Priesterin
war Tigris an einem Biss in eine Rose, in welcher eine
giftige Fliege verborgen war, gestorben. Rhodanes, dem Ge-
storbenen sehr ähnlich, wird bei seiner Ankunft auf der Insel von
der Mutter als ihr wieder auferstandener Sohn begrüsst, welchem
Köre (dafür hielt sie die Sinonis) aus der Unterwelt gefolgt sei.
Rhodanes, diese Einfältigkeit sich zu Nutze machend, spielt die
Rdle des Tigris 3).
Mittlerweile hat Damas den Aufenthalt des Paares erfahren durch
den . Arzt , welchen Soraechus , lun der Sinonis Wunde zu heilen,
heimlich nach der Insel geschickt hatte*). Soraechus wird .fest-
genommen, der Arzt mit einem Briefe, welcher dem Priester der
Aphrodite befiehlt, das Paar festzuhalten, nach der Insel geschickt.
Er sucht den Fluss, wie üblich, auf dem heiligen Kameel zu über^
gemeinsam befreite, vom Scheintod erweckte, oder wohl gar erst könstlich
zom Leben durch Zauberei gebrachte Jungfrau, wobei denn ein Jeder seine
Ansprüche vor einem scharfsinnigen Richter geltend macht: vgl. Benfey,
Pantschat. I 489 ff., und dazu noch Rosens türkisches Tutinameh II 58;
II 468; Straparola von Val. Schmidt p. 266 (auch den Streit um den künst-
lichen Garuda, im Siddbikür p. 59 Jülg.).
1) p. S24, 26—80. Was Jamblich eigentlich von Phamuchus, Pharsiris
ond Tanais erzählt hatte, wird aus dem Bericht des Photius nicht recht
klar. Die beiden ersten Namen sind persische; Pharsiris = Parysatis:
Strabo XVI p. 785; vgl. Lagarde, Ges. Abb. 483.
2) Jamblichus redete von Magie aus Heuschrecken, Löwen, Mäusen (von
der (xa^la (au&v, als der ältesten, komme der Name der (jLu-OT/)pia her I Da-
gegen ist selbst der Witz des Tyrannen Dionysius- (xuoTif)pia »Mauselöcher«
8n Touc fAuc T7}pe7 [Athen. III 98 D] noch geistreich zu nennen), Hagel,
Schlangen; Nekyomantic und Baochredekunst. Der Bauchredner heisse grie-
chisch Eurykles (vgl. Lobeck Aglaopb. 800 e), babylonisch oax^oupa^: vgl.
Lobeck a. a. 0., Lagarde Ges. Abb. p. 4 89, Silveslre de Sacy bei Cbardou
de la Rochette a. a. 0. p. 80. — Bei J. A. Fabricius Bibi. antiquaria (ed. 3
Hamb. 4760) p. 593 — 643 Steht ein langes, alphabetisch geordnetes Ver-
seichniss der divinationum genera : darin fehlen aber einige der von Jambl.
aufgezählten Arten der Magie.
3) Vgl. fragm. 5*.
4) Fr. 6*; vgl. fr. 34 (Herclier Erol. U p. LXIVj.
24*
— 372 —
schreiten, in dessen rechtes Ohr er seinen Brief gesteckt hat; aber
er kommt beim Fiussübergang um das Leben; das Kameel allein
kommt auf der Insel an ; aus dem Briefe erfahren die Liebenden
Alles was ihnen droht ^j.
Sie fliehen weiter, begegnen dem zum Garmus zu führenden
Soraechus, tödten Nachts, mit Hülfe einiger durch Gold bestochenen
Männer^], die Wächter und fliehen mit dem also befreiten Sorae-
chus weiter.
Damas kommt nun selbst auf die Insel. Der Priester wird zum
Henkersknecht gemacht*^); sein Sohn Euphrates, vom Vater selbst
als der , zum Verwechseln ähnliche Rhodahcs angeredet , wird fest-
genommen, vor Sakas geführt, als Rhodanes inquirirt, und gezwun-
gen, seine, rechtzeitig entflohene Schwester Mesopotamia als Sinonis
zu bezeichnen. Sakas meldet dem Könige, Rhodanes sei bereits
ergriffen, Sinonis werde bald ergriffen werden.
Rhodanes, Sinonis und Soraechus kehren bei einem Landmami
ein. Dessen schöne Tochter, welche, zum Zeichen der Trauer um
ihren eben verstorbenen Gemahl, sich die Haare abgeschnitten hatte,
wird zu einem Goldschmied geschickt, um die goldene Kette, welche
Sinonis von ihrer einstigen Gefangenschaft bei Garmus her nodi
mit sich führte, zu verkaufen *) . Der Schmied erkennt die von ihm
selbst verfertigte Kette und hält die junge Frau für Sinonis, zumal
sie gleich dieser ihrer Haare beraubt ist. Er schickt zum Damas
und lässt die Wittwe , als sie fortgeht , durch Wächter beobachten.
Sie merkt das Unheil und verbirgt sich in einem leeren Hause.
Hier wohnt sie einer schrecklichen Scene bei : ein Sklave tödtet ein
von ihm geliebtes Mädchen, Trophime, und ermordet sieh dann
selbst*). Von dem Blute der Ennordeten bespritzt flieht sie ent-
setzt von dannen. Die verfolgenden Wächter finden nu( noch die
beiden Leichen. Sie eilt zu ihrem Vater zurück, berichtet das Er-
lebte ; das Paar enteilt aufs Neue, während der Goldschmied, unter
Beifügung der Goldkette , dem Garmus schreibt , Sinonis sei auf-
gefunden.
1) Fr. IS— 45, und Suid. s. 7iapeߣßXv]To : s. Hercher Hermes I 861;
endlich fr. 7*.
2) So muss man ja wohl die unklaren Worte des Photius p. SS5, 84 (T.
verstehen xal r^ toO ypuoiou d7cit)u(x(^ vuxTcup dvaTrelAci 'PoSrfvr,; (es fehlt dw
eigentlich unentbehrliche Ohject) xai dvaipoOvxat ot !^opa(you ^uXocxc;.
3) Fr. 46.
4) Fr; 47.
5) Fr. 19. — In welche Beziehung Hercher (Erot. I p. S49) fr. 48 xo
dieser Scene setzen will , ist mir nicht ganz verständlich. — Gehörte hier-
her die Betrachtung des Jamblichus (Hinck a. 0. p. 5t, SO — SS) über die
Blutgier verliebter Eunuchen? Auf den späterensvöhnten Liebhaber der
Mesopotamia, den Zobaras, Iflsst sich dies nicht wohl beziehen, weil dieser
Eunuch ja ganz und gar nicht blutgierig ist.
— 373 —
Beim Abschied hatte Rhodanes die Tochter des Landmannes
geküsst. Sinonis y welche namentlich aus den von jener auf Rho-
danes übertragenen Blutspuren eine nähere Berührung abnimmt, ge-
räth in eifersüchtigen Zorn, und kehrt alsbald auf der Flucht um,
um die Nebenbuhlerin zu ermorden. Soraechus , der sie vergeb-
lich aufzuhalten sucht, folgt ihr^). Sie kehren 'im Hause eines rei-
chen Wüstlings, Setapus, ein , dessen Anträgen Sinonis sich schein-
bar ergiebt, um ihn in der Nacht mit einem Schwerte zu erschla-
gen. Ohne Wissen des Soraechus eilt sie alsbald allein von dannen.
Sobald aber Soraechus ihre Flucht bemerkt, eilt er ihr mit einigen
Sclaven des Setapus nach, lädt sie auf einen Wagen und kehrt mit
ihr um. Es begegnen ihnen die anderen Sclaven des Setapus, er-
greifen die Sinonis dis die Mörderin ihres Herrn und senden sie
zum Garmus 2j. Soraechus eilt, mit allen Zeichen der Trauer, zum
Rhodanes, und berichtet alles Geschehene dem Liebenden, den er
kaum am Selbstmord verhindern kann.
Garmus, durch die Botschaften des Sakas und des Goldschmiedes
hoffnungsvoll gemacht, bereitet schon seine Hochzeit mit der Sinonis
vor; zum Zeichen der Freude befiehlt er, alle Gefangenen loszu-
lassen^). Daraufhin wird auch Sinonis freigegeben. Damas, wel-
cher keine günstige Botschaft hatte schicken können, wird dem, von
ihm selbst zum Henker gemachten einstigen Priester zur Hinrich-
tung übergeben; sein Bruder Monasus wird in sein Amt eingesetzt.
Mesopotamia wird bei der Berenice, Tochter des Königs von
Aegypten, zu der sie geflohen war*}, von dem verfolgenden Sakas
1) Das in dem Vaticanischen Palimpsest erhaltene Fragment (Hercher,
Erol. n p. LXIV — LXVI) enthält Stücke einer heftigen Anrede der eifer-
süchtigen Sinonis an Rhodanes, die Erzählung ihrer Flucht, Ermahnung des
Soraechus an Rhodanes, selbst zurückzubleiben, die Verfolgung der Sinonis
dor^h Soraechus, Stücke einer Unterredung zwischen diesen Beiden. — Die
Scene geht in der Nacht vor sich: Z. 24: (pafAcbv liä. Tfjc 9eX'/)v7]c, Z. 33:
2) Scenen bei Setapus: fr. 8*. Auf Sinonis, welche nach Ermordung
des Setapus weitereilt, beziehe ich fr. 24 ; auf die Tödtung des Setapus fr.
82 (p. 220, 46—47.)
3) Ich erinnere mich nicht, ob in antiken Uebcrliefeningen von der
Sitte orientalischer Könige, bei freudigen Ereignissen alle Gefangene loszu-
geben, die Rede ist. Häufig kommt aber dergleichen in orientalischen Er-
zählungen vor; so werden die Gefangenen freigegeben, als dem König von
Persien ein Sohn geboren wird: 4 001 Nacht N. 266 (VI 89 d. Breslauer
Uebers.), als dem Kbalifen von Bagdad ein Kind geboren ist: ebendas. N.
548 (XIH 20) ; auf eine Siegesnachricht hin : ebend. N. 962 (XV 28) ; um
den Himmel günstig zu stimmen: 1001 Tag, Tag 131 (Gab. des f^es XV
4S5 f.) — Vgl. Firdusi in Grtrres* Heldenb. v. Iran II p. 21.
4) Und welche sie mit einer Art lesbischer Liebe behelligt zu haben
scheint: p. 227, 31. 32.
— 374 —
ergriffen und, als Sinonis, mit Eüphrates zusammea lum Garmus
geschickt.
Der Goldschmied miiss in einem Briefe dem Garmus meldeni
dass Sinonis entflohen sei; er wird hingerichtet , die nach der an-
geblichen Sinonis ausgeschickten Wächter, sammt ihren Weibern
und Kindern, lebendig begraben. Ein hyrkanischer Hund, dem
Rhodanes gehörig, frisst in jenem einsamen Hause zuerst die Leiche
des Sclaven völlig auf, dann die des von Jenem ermordeten Mäd-
chens zum Theil. Der Vater der Sinonis kommt darüber zu, erkennt
den Hund des Riiodanes, hält den verstümmelten weiblichen Leich-
nam für den der Sinonis, tödtet den Hund, gräbt die Leiche ein,
schreibt auf das Grab: »Hier ruht die schöne Sinonis«, und er-
henkt sich selbst. Rhodanes und Soraechus kommen in jenes
Haus und sehen das schreckliche Schauspiel. Als Rhodanes die
Grabschrifl liest, bringt er sich eine Wunde bei, schreibt mit dem
hervorströmenden Blute dazu » und Rhodanes der schöne « , und ist
eben im Begriffe, sich den Todesstoss zu geben, während Sorae-
chus sich anschickt, sich aufzuhängen — als plötzlich die Tochter
des Landmanns hereinstürzt. Sie ruft : » die Todte ist ja gar nicbl
Sinonis, o Rhodanes«, zerhaut den Strick, an welchem Soraedius
sich erhängt hat, entreisst dem Rhodanes das Schwert, und enäblt
den Vorgang von der Ermordung des Mädchens, dessen Zeugin sie
gewesen war. Sie sei zurückgekehrt, um einen vergrabenen Scbati,
von dessen Versteck sie damals gehört hatte, zu heben ^);
Sinonis, freigelassen, eilt alsbald wieder, rachgierig, nach dem
Hause des Landmannes. Von dem gegenwärtigen Aufenthalt der
Tochter unterrichtet, geht sie zu dem einsamen Hause und tritt eben
ein, als jene, von Soraechus, der einen Arzt holt, allein mit Rho-
danes gelassen ^j , dessen Brustwundc zu heilen sucht. Wüthend
stürmt sie auf die Nebenbuhlerin ein. Rhodanes gewinnt soviel
Kraft, um ihr das Schwert, das sie in Händen trägt, zu entwin-
den^] ; sie eilt wüthcnden Laufes davon und wirft dem Rhodanes
nur noch die Worte zu : » ich lade Dich noch heute zu meinei
Hochzeit mit Garmus ein!« Soraechus kehrt bald darauf zurück, ei J
tröstet den Rhodanes, dessen Wunde besorgt wird, und die Tochtei
des Laudmanns kehrt mit dem erhobenen Schatze zu ihrem Vatei
zurück.
Vor den Garmus werden Euphrates, als Rhodanes, und
potamia als Sinonis geschleppt, ebenso auch der richtige Rhodane^^^
und Soraechus. Die ralschlich für Sinonis ausgegebene Mesopotamia
1) Eine Anzahl Bruchstücke aus diesen Scenon : den Selbstmordver -
suchen des Rhodanos und Soraechus, der Dazwiscbenkunft der Tochter de ^
Landmanns, ihren Erzählungen : fr. 4 0"^. In die Erzählung der Tochter de^^
L. gehört wohl fr. i9.
2) Fr. 32: hierher mit Recht bezogen von Chnrdon de la Rochette p. 85. 19*
3) Fr. 20.
— 375 —
•
wird zur Hinrichtung am Ufer des Euphrat dem Eunuchen Zobaras ^)
übei^eben; der aber verliebt sich in sie und überbringt sie der
Berenice*), welche mittlerweile ihrem verstorbenen Vater auf dem
ägyptischen Throne nachgefolgt war. Berenice will die Freundin
veriieirathen ; Garmus kündigt ihr den Krieg an. — Euphrates wird
seinem eignen , zum Henker gemachten Vater übergeben ; erkannt,
übt er statt des, somit von Menschenblut rein erhaltenen priester-
lichen Vaters, dessen blutiges Amt aus. Die Tochter des Land-
niannes, von der mittlerweile an den König von Syrien verheirathe-
len Sinonis aus ihrem Vaterlande aufgehoben« wird verurtheilt, dem
Henker beizuwohnen. Sie wird dem Euphrates zuertheüt; der ver-
lässt aber, in ihre weiblichen Gewänder verhüllt, statt ihrer den
Henkerhof, während sie an seiner Stelle zurückbleibt.
Soraeclius wird, zur Kreuzigung, geführt auf jene Wiese, wo
einst, am Anfang ihrer Abenteuer, die Liebenden gerastet hatten.
Ein Trupp entlassener und darum zorniger alanischer Söldner 3) des
Garmus befreit den Soraechus. Dieser erhebt den auf jener Wiese
verborgenen, von Rhodanes einst entdeckten und dem Soraechus
kurz vor seiner Hinrichtung kund gemachten Schatz unter Anwen-
dung von allerlei Künsten. Er weiss die Alanen zu überreden,
<]ass er dies und Andres unmittelbar von den Göttern erlernt habe :
und nach und nach machte er sich ihnen so wichtig, dass sie ihn
2EU ihrem Könige erwählten: worauf er mit ihnen ein Heer des
Oarmus bekämpft und besiegt. »Aber dieses später« setzt Photius
binzu.
Zur gleichen Zeit wie Soraechus wird auch Rhodanes zum
Tode geführt ; Garmus selbst, bekränzt, trunken, tanzt, von FlÖlen-
fcläserinnen begleitet, um das an derselben Stelle wo einst schon
1) Dass Zobaras ein Eunuch war, sagt Photius nicht, wohl aber
Fuldas s. ''Idfj.ßXtyo; * outoc Xl^et irepl Zoßapä toü e'jvo6you, toü ipaorou r^c
Bleaororafilo^ rTjc eueiSeord'nQC- Es scheint darnach, als ob von diesem Zo-
iMiras noch etwas besonders merkwürdiges erzählt worden wäre. Vielleicht
ist der Ausdruck des Photius p. 229, 2: Zoßdpa;, dTrÖTTTjY'^c ^pcoTtxTjc
ictov wörtlich zu nehmen und nicht als blosse Redeblume (mit Ch. de
la Rocbette p. 85); dergleichen ja auch Photius in seinen Auszügen nicht
anzubringen pflegt.
2) ^ "Tfi ^v xal dl<peX6(jLevoc p. 229, 5 (dvcXopivT] will Ch. de la Roch,
p. 86 A. 87 mit einem starken Schnitzer schreiben). Nicht Zobaras, son-
dern Sakas hat die Mes. der Berenice abgenommen : p. 227, 82. Schreibe
also: ii ffi r^s xal Zebiac d^cX.
3) Die Alanen wurden, so scheint es, zuerst zu der Zeit des Jam-
blichus den Bewohnern des Reiches recht bekannt (Luc. Toxar. 54 u. s. w.
Genannt werden sie zuerst bei Plin. n. h. IV § 80: Zeuss, Die Deutschen
Q. i. Nacbb. 704). Antoninus Pius sowohl als Marc Aurel führten Kriege
gegen dieselben.
einmal Rhodanes gekreuzigt werden sollte, aufgerichtete Kreuz, an
welches Rhodanes geschlagen wird.
Da kommt plötzlich ein Brief des Sakas an, welcher dem Gir-
mus die bevorstehende Hochzeit der Sinonis mit dem jungen
König von Syrien meldet. Rhodanes ist erfreut ; Garmus will sich
umbringen, besinnt sich aber, lässt den Rhodanes, wider dessen
Willen ^) , vom Kreuze abnehmen , und schickt ihn als Feldherm
gegen den syrischen Nebenbuhler, indem er zugleich dem Unter-
feldherm den heimlichen Auftrag giebt, im Falle des Sieges und
der Ergreifung der Sinonis den Rhodanes umzubringen.
Rhodanes aber siegt, und erringt sich die Sinonis und wird
König in Babylon. Und so hatte es auch ein Vogelwahrzeicben vor-
aus verkündigt.
Nach der Mittheilung des wesentlichen Inhaltes dieser,
gegen das Ende hin offenbar immer hastiger springenden^
Inhaltsangabe des Photius^ darf dem Leser das Urtheil über den
Roman des Jamblichus selbst überlassen werden. Es wird
ihn j nach allem Vorausgeschickten, nicht befremden, hier eine
Verkettung lauter durchaus äusserlicher Erlebnisse zu erblickeni
in welchen der Dichter förmlich bemüht scheint, der Nöthigung
zu einer psychologischen Entwickelung innerlicher Kämpfe im
eigentlichen Sinne zu entlaufen. Das liebende Paar erlebt
offenbar innerlich nichts, nichts von den heldenmüthigen
Kämpfen und Siegen eines, aller Welt zum Trotze einigen und
entschlossenen Paares, nichts von jenen verzehrenden Qualen
welche in einer unglücklichen Liebe das innerste Herz er-
schüttern und aufreiben. Beide scheinen als solche Scha-
bloncncharaktcre gehalten gewesen zu sein, wie sie uns bereits
aus Antonius Diogenes bekannt sind, welche äusserlich das
1) Hierher ziehe ich (Phot. p. i30, S f.) fragra. H •.
2) Aus der Hast des Photius gegen Endo seines Auszuges hin erklttren
sich wohl einige völlig unvermittelte Züge in den letzten Abschnitten des-
selben. Man erfährt z. R. nicht den näiieren Hergang bei der Ergreifung
des Rhodanes und Soraechus Ip. 228, «7), bei der ganz unerwartet ein-
tretenden Verlobung der Sinonis mit dem jungen König von Syrien (p. Si9, 14.
19) ; ebenso werden die entscheidenden Kämpfe des Garmus mit den Alanen
unter Führung des Soraechus, des Rhodanes mit dem König von Syrien
und darnach mit Garmus selbst doch allzu hastig abgethan. Alle diese
Sprünge wird man sich gewiss mit grösserem Recht aus der Ermüdang
des Photius als aus einer gegen das Ende hin eiliger werdenden Erztfhlungs-
weise des Jamblichus selbst erklären.
- 377 _
Woodeiiichste erfahren, innerlich aber eigentlich nichts erleben
können. Selbst wo einmal Sinonis in blutdürstiger Eifersucht
aufflammt, beruht doch Alles nur auf Missverständnissen, welche
rein äusserliche Zufalle immer aufs Neue nähren mtlssen.
In diesem äusserlichen Wesen, der innerlichen Leere aller
dieser, eben darum so bunten Abenteuer ist dieser älteste Ro-
man der Sophistik den Vorbildern der modernen Romandich-
lUDg völlig entgegengesetzt, desto näher verwandt aber mit
jenen frühesten, eigentlich so zu nennenden Liebesromanen der
modernen Gesellschaft, welche im siebzehnten Jahrhundert in
Frankreich entstanden, und sich zum Theil sehr unbefangen an
Jamblichus selbst anlehnten ^). — Möchten aber diese Abenteuer
doch rein äusserlich ergötzlich sein , wenn sie nur einen ge-
naueren, ursächlichen Zusammenhang unter einander hätten.
Aber in dieser langen Reihe verwirrend bunter Erlebnisse folgt
wohl ein Ereigniss auf das andere, aber nirgends nimmt man
wahr, dass eines aus dem andern nach innerer Nothwendig-
l^eit erfolge ; es fehlt an jedem künstlerischen Aufbau des Gan-
len, welcher ohne einen innerlichen Zusammenhang der einzel-
nen Glieder nicht denkbar ist, es fehlt an aller Steigerung des
hileresses, es fehlt daher an jeder Uebersichtlichkeit der rein
vom Belieben einer unberechenbaren Tyche, jener obersten
1) Der Roman des Jamblichus, soweit er aus dem Auszuge des Photius
l>ekannt war, ist stark benutzt und nachgeahmt worden in der, aus der
*^fonisbe« des Fräulem de Scudery übersezten »Afrikanischen Sofonisbe«
^©8 Philipp von Zesen (Amsterd. 1646). In diesem Roman >ä erden Kleo-
^^es und Sofonisbe unschuldig des Mordes angeklagt — sie übernachten,
^i^heod, in einem Grabmale (öhnlich übrigens auch in einem arabischen
^«bosromane: 100< Nacht N. 247, V 204 d. Brest, üebers.) — sie ver-
8ift«n sich, aber ihr Todestrank ist mit einem Schlaftrunk verwechselt
*onden; sie erwachen wieder, — sie werden bei einer allgemeinen Entlassung
*Uc»r Gefangenen ebenfalls freigelassen. — Sofonisbe wird einmal als todt
**®*rauert, weil man ein Grabmal mit ihrem Namen findet. In all diesen
2*igen Hegt eine Nachahmung des Jamblichus (p. 223, 3 ff. — p. 223, 24 f.,
H «r. — p. 218, 38 fr. — p. 227, 2< flf. — p. 228, 6 ff.) auf der Hand. Vgl.
^**olevius, Die bedeutendsten deutschen Romano des <7. Jahrhunderts
^^- 4866) p. 31. — Der höchst bedeutende Einfluss des griechischen Liebcs-
'^öaanes auf die ganze Enlwickelung der modernen französischen Roman-
'l^chlnng des 47. und auch noch des 18. Jahrhunderts wäre einmal mit
^^t^nr Einsicht darzulegen.
— Z7» -
Göttin der spätgriechischen Romane hervorgerufenen und an
einander geschobenen Ereignisse^].
Was die Erfindung dieser langen Reihe von Abenteuern
betrifTt, so bemerken wir in ihr nichts als eine Weiterbildung
des bereits von Antonius Diogenes ausgeprägten Typus der Ro-
manerzählung. Ein Liebespaar, von einem gefährlichen Feinde
verfolgt, ruhelos durch die Länder irrend ; Verfolger und Ver-
folgte immer hinter einander herjagend; wechselnde Unglücks-
fälle, je seltsamer desto besser; Steigerung der Noth bis lum
höchsten Puncto, und immer wieder eine unerwartete, zuQülige
Errettung im letzten Augenblick; zuletzt der Triumph der
Tugend und ein Ende in voller Glückseligkeit. Ich braudie
hierbei , nach dem früher Ausgeführten , nicht länger zu ver-
weilen.
Im Einzelnen zeigt sich eine gewisse Dürftigkeit der Er-
findung, welche einzelne Motive (z. B. den Scheintod des Pluh
res, die Verwechslung mit ganz Unbetheiligten) sogar mehrere
Male verwenden muss. Jamblichus behauptete, nichts als eine
jener d babylonischen Erzählungen a wiederzugeben, welche sein
weiser babylonischer Lehrer ihm überliefert habe ^) ; er hielt
an der Fiction der Urkundlichkeit seiner Berichte fest, welche
die Anfänge frei erfundener Dichtungen wohl überhaupt be-
zeichnet, und uns auch bei Antonius Diogenes entgegen trat.
Ernstlich beabsichtigte er wohl schwerlich, mit diesem Vo^
geben irgend Jemand zu täuschen; man darf aber vielleicht
glauben, dass er eine acht orientalische Localfarbe seinen Er-
zählungen gegeben zu haben meinte. Eben darum schob er
wohl seine Abschweifungen über babylonische TempelsitteDf
magische Künste, die Gewohnheiten des babylonischen Henkers*
knechtes, den prachtvollen Aufzug des babylonischen Königs
ein^). Die Gegenden des mittleren Asiens, in welchen er seine
1) Erwähnt wird die Tyche in den uns erhaltenen Bruchstückeo oar
einmal, in dem Bruchstück einer Eifersuchlsscene : Hercher, Erot. U
p. LXV, 14: Soraechus zu Sinonis: d(ii^oTlpo'JC b\käQ ^(>xö», iicstntp iiA
{{jTzbf) Tfj; T'jy-qz iWÖtjv Ojaiv nazi^p. (so die Hs. : Hercher, Hermes 1 IM)«
2) Schol. cod. A. Phol. p. 72 Bk. : — Tpo?peit;-BaßuXAvio;-BaPüXa»vl«N
Tc y\Sia9a>i xal ^^ xal Xöfou; firraöiSaaxei (autdv), ms Iva täv Xi^«^
eivaC cp7]9t xal 8v vOv dvaYpdi^et.
3) In diesem letzten Stücke: r.tpi irpo6oou toü BaßiiXarvUnv ßaoiXIsC
[Hercher, Erot. H p. LXVl f., Hinck, Polemon. decl. p. 49— «f) bleibt
— 379 —
Geschichte hauptsächlich spielen lässt, musste er wenigstens
aus eigener Anschauung kennen. Vielleicht xnag wirklich einige
ächte Yolksttberlieferung einigen Stücken seines Romans zu
Grunde liegen; freilich blieb der ächte Sophist sich in allen
Gegenden der Welt gleich : in der künstlichen Welt seiner rhe-
tori^hen Abstractionen verharrend, nahm er von dem Leben
und den Menschen seiner eigenen Umgebung und Gegenwart
kaum eine andere Kunde als von der fernsten Vergangenheit,
nämlich eine gelehrte. Immerhin fehlen, selbst in dem dürren
Auszuge des Photius, nicht alle Spuren einer Anlehnung des
Jamblichus an volksthümliche, im Orient weit verbreitete Sagen
und Märchen : worauf ich in den Anmerkungen gelegentlich
hingewiesen habe. An das Märchen erinnert, mehr als an mo-
derne Romane, auch sonst noch gar manches in dieser Rette
wunderlicher Abenteuer; nicht am Wenigsten die kindliche
Unbefangenheit, mit der z. B. ein König des babylonischen
Reiches zum Zeitgenossen einer Königin von Aegypten mit dem
noch manches Einzelne zu corriglren. So ist p. 50, i\ (Hinck) : Tp(-/e; hi
xin TiCTtcov oiiXai oiaicX^ovxat xaddfTrep TcXtSxafxoi fjsonx&s xtX., statt ouXat
okine allen Zweifel zu schreiben: o6paiat, »die Haare des Schwanzes«,
im Gegensatz zu den erst später erwähnten Haaren der Mähne, p. 50, t7.
S8 Ist vielleicht zuschreiben: BtoaoxeTai oi xal ^u^ixt^etv dauTÖ^^ xal xaxd
«^■^ifia ßaBttciv (xc) xal Tai; ^lalv ^jjioelv u. s. w. : jedenfalls ist zu dem :
Tat; ptolv dfATT^slv Y^^P^^'^ ^^^^ nähere Bestimmung, des Inhaltes :
»mit Anstand und Kunst« (und das besagt eben xaxä. «x^fioi) erforderlich,
denn überhaupt mit der Nase zu schnauben, aus den Augen zu blicken
u. s. w. braucht doch das Pferd nicht erst zu lernen [aus xal [rjaxd] ^fi\M
[Pa]((C€tv wurde in leicht erkennbaren Uebergängen xal 9^7]|jLaT(Ceiv). p. 49, 32
schreibe: — IpYou. ol (x^vtoi itcCot xtX. Die Trejol bilden einen Gegen-
satz zn den vorher ennrähnten, voranreitenden, vornehmen {iticeic (Z. SO);
unmöglich können sie, wie bei der gewöhnlichen Lesart geschieht, als eine
Unterabtheilung derselben aufgeführt werden. — p. 60, 7: töiv hk eU
TCOftir^v '^axiQp.ivcDV (Tttttcdv) y puooy aXtvwv ttc^vtcu'v &9irep e65ai(A(Svo>'v "(Xh-
vatx&v. »goldgezäumt wie reiche Frauen«: das ist recht wunderlich*
Schreibe y puso^Xatvaiv (vgl. Äj^Xawo;, fxeXdlYyXaivo;), mit goldenen Gewän-
dern (Decken, was ja ^^XaTvai auch sind] bedeckt, wie reiche Frauen. Zwar
gehört die /Xatva nicht eigentlich zur Tracht der Weiber: gleichwohl
würde sich schwerlich ein anderes Wort auffinden lassen, welches mit der
gleichen, unserer Stelle dienlichen Doppelbedeutung ein menschliches
Kleidungsstück und eine Decke bezeichnet. Mit Purpurdecken und ge-
streiften Gewändern bedeckt sind auch die Prachtpferde im Aufzug des
persijicheu Königs: Xenophon Cyrop. VllI 8, 41. 46.
— 380 —
acht griechisch-inacedonischen Namen Berenice gemacht, eine
alanische Söldnertruppc in die Zeit dieses selben Königs ver-
setzt wird u. s. w.
Die Darstellungswcise ist selbst aus den wesentlich doch
nur den Stichlichen Inhalt skizzirenden Exceq)ten des Photius
noch einigermaassen, ihrem Wesen nach, erkennbar. Die eigent-
liche ErzHhlung scheint 3ich , in einer gewissen trockenen
Ktlrze, auf einen Bericht des rein ThatsHchlichen beschränkt zu
haben. Dies darf man, glaube ich, daraus schliessen, dass der
tiberwiegenden Mehrzahl der von Suidas ausgezogenen Bruch-
stücke ihre Stellung im Verlauf der doch nur aus einem so
knappen Abriss bekannten ErzHhlung sich nachweisen Idsst :
dies wäre ein unbegreiflicher Zufall, wenn 'die Erzählung selbst,
sich in weiteren Umschweifen bewegend, vieles nicht unmittel-
bar zur Sache gehörige berührt hätte. Während also in der
knapperen und gewisser Maassen eiligeren W'cise der Erzäh-
lung der Boman des Jamblichus mehr demjenigen des Xeno-
phon von Ephesus als etwa dem des Heliodor geglichen haben
wird, gewann derselbe die grosse Fülle seines Umfangs von 16
(oder gar von 39) Büchern durch eine wahrscheinlich sehr be-
trächtliche Anzahl eingelegter Stücke. In diesen zumal
scheint sich die sophistische Kunst des Jamblichus gezeigt
zu haben : in ihnen werden die Früchte seiner griechischen
Studien, durch welche er selbst ein »guter Bhetor« geworden
zu sein sich dünkte, sich prangend ausgelegt haben. Der Rah-
men der Geschichte musste für solche lose eingelegte, beliebig
auszudehnende Beiwerke tausend Gelegenheiten darbieten. Da
konnten lange gelehrte Excurse über babylonische Alterthümer
eingeschoben werden, und einige dergleichen bezeichnet ja auch
Photius ausdrücklich. Zu kunstreichen Beden, zu zierlich präch-
tigen Beschreibungen bot sich erwünschter Baum: wie frei
Jamblichus hierin schaltete , mag daraus abgenommen werden
dass, während die kleinen Bruchstücke des Suidas sich zum
erheblichsten Theil an ihre gehörige Stelle rücken lassen , wir
für die drei uns erhaltenen längeren Einschiebsel in dem Auszug
des Photius nicht mit Bestimmtheit auch nur die Gegend anzu-
geben wissen, in welcher sie gestanden haben mögen. Aus
diesen eingelegten Stücken nun leuchtet insbesondere der So-
phist i sehe Charakter der Schriftstellerei des Jamblichus her-
— 381 —
vor. Antonius Diogenes war auch in seinen Abschweifungen
wesentlich Antiquar geblieben, dem es auf eine Zusammen-
stellung wichtiger und interessanter Thatsachen ankam.
Jamblichus ergeht sich in Abschweifungen hauptsächlich um
der anmuthigen, kunstgerechten Form der Darstellung willen.
Seine Schilderung des Aufzuges des Königs von Babylon gleicht
in der gezierten Form des Ausdruckes, der bunten Mosaik aus-
erlesener Worte am Meisten gewissen verwandten Abschnitten
etwa der Aelianischen Schriften , und ist wie diese vornehm-
lich nur ausgeftlhrt um der Zierlichkeit dieser äusseren Form
willen. Die beiden Reden sind vollends ganz und gar in dem
ächten Tone der zahlreichen, uns erhaltenen fingirlen Gerichtsreden
der Sophistenschulen gehalten. Die Erotik selbst mochte zu
mancherlei Ethopöien Anlass bielen , in welchen diese abstrac-
ten Liebenden zu reden hatten, wie man es eben an den Schul-
modellen erlernt hatte. Der Rest einer Eifersuchtscene der
Sinonis imterscheidet sich in nichts von dem heftig renommi-
stischen Tone , den wir in verwandten Auftritten der übrigen
sophistischen Romane vernehmen.
2.
Dem Jamblichus reihen wir zunächst denXenophon von
Ephesus an, unter dessen Namen uns ein Roman »Ephesische
Geschichten von Antheia und Habrokomes« in fünf Büchern er-
halten ist. Es giebt keine äusserlichen Gründe, welche uns
berechtigten, in der zeitlichen Reihenfolge diesen Schriftsteller
unmittelbar hinter Jamblichus aufzuführen. Seine Person ist
uns völlig unbekannt: ja die wiederholt ausgesprochene Ver-
muthung älterer Gelehrten, dass mit dem Namen eines »ephe-
sischen Xenophon« nur irgend ein namenloser Obscurant, als
mit einem willkürlichen und ziemlich apspruchsvollen Pseudo-
nym, uns äffe, entbehrt nicht einer gewissen Wahrscheinlich-
keit. Suidas (oder doch wohl noch sein Gewährsmann Hesy-
chius lUustrius) giebt sich den Anschein, diesen Autor als Ver-
lasser mehrerer Werke zu kennen : ausser jenem Roman (der,
nach seiner Angabe, 10 Bücher umfasste) schreibt er ihm nocK
ein Werk »lieber die Stadt der Epheser« zu »und Anderes«.
Wir müssen völlig dahin gestellt sein lassen , wieviel Glaub-
— 382 —
Würdigkeit diesen Angaben zukomme. Für uns bleibt die
einzige ächte Quelle der Renntniss dieses wie der meisten
übrigen Romanschreiber sein Roman selbst. Man möge sich
zunächst eine gedrängte Uebersicht seines Inhalts gefallen
lassen.
Buch I. Habrokomes, der Sohn eines vornehmen Bürgers von
Ephesus wurde, um seiner unvergleichlichen Schönheit und vollkom-
menen geistigen Ausbildung wiUen, von den Bürgern seiner Stadt,
ja von allen Bewohnern der Provinz fast wie ein Gott verehrt. Er
selbst wurde dadurch so stolz, dass er neben sich keine Schönheit
anerkannte und den Eros, als ihm gegenüber machtlos, verhöhnte.
Eros, erzürnt über den spröden Knaben , braucht seine Macht , um
an einem Festzuge der Ephesier zum Artemistempel in Habrokomes
eine heftige Liebe zu der schönen Antheia, einer ephesischen Jung-
frau, zu entzünden. Antheia wird von gleicher Gluth ergriflen;
beide leiden eine Zeitlang in schweigender Sehnsucht. Das Orakel
des kolophonischen Apoü oflenbart den ängstlich nach dem Grunde
des Leidens ihrer Kinder fragenden Elternpaaren die Ursache der
Krankheit, giebt die sehr einfache Heilung an, fügt aber dunkle
Weissagungen langer Irrfahrten und Leiden des Paares hinzu, wel-
ches endlich doch »nach Leiden ein froheres Loos« gewinnen werde.
Nun wird die frohe Hochzeit des schönen Paares gefeiert. »Ihr
ganzes Leben war ein Fest.u Aber nach kurzer Zeit schicken die
Eltern, um dem Orakel des Gottes zu genügen, das junge Ehepaar
auf Reisen. Das Schiff trUgt sie zunächst nach Rhodus, wo sie im
Tempel des Sonnengottes eine goldene Rüstung als Weihgeschenk
hinterlassen. Auf der Weiterfahrt werden sie von phönicischea.
Seeräubern unter Führung des Korymbus überfallen ; unter den zanm.
Verkauf auf das Räuberschiff Hinübergeschleppten sind auch Habro —
komes und Antheia. Alsbald ergreift den Kor^'mbus heftige Lieb^
zum Habrokomes, seinen Raubgesellen Euxeinos eine gleiche Neigung
zur Antheia. In Tyrus, oder genauer auf dem, nahe bei Tyras
gelegenen Besitzthum des Apsyrtus, in dessen Dienste die ganzo
Bande stand^ angekommen ängstigen Beide die Unglücklichen durd»
Werbung, welche ein Jeder für den Andern vorbringt.
Buch II. Lebhafte Klagen des bedrängten Paares. Zu ihren
Glück fordert Apsyrtus gerade sie, durch ihre Schönheit überrascht,
für sich; in Gesellschaft zweier ihrer Sclaven, Leukon und Rhode y
lässt er sie in die Stadt T^tus bringen. In seinem Hause verlieb^
sich alsbald seine Tochter Manto in Habrokomes ; als dieser ihrem»
durch mündliche Botschaft der Rhode und durch einen Brief aa- —
gebrachten Liebeswerbungen widersteht, verklagt sie ihn beim Vater*»
als ob er ihrer Ehre nachgestellt habe. Apsyrtus lässt ihn grausadCi
züchtigen und in ein finsteres Gemach sperren: die Tochter ab^^
vermählt er mit einem S)Ter, Moeris. Nach Antiochia, der Heima€J>
— 383 —
ihres neuen Gatten , abreisend , nimmt Manto den Xeukon und die
Rhode, aber auch die unglückliche Antheia mit sich. Dort ange-
kommen lässt sie die beiden Sclaven über See verkaufen^ die Antheia
aber versucht sie, an einen tölpischen Ziegenhirten, Lampon, zu
verheirathen. Gerührt durch ihre Bitten imd die ErzUhlung ilirer
Schicksale schont indessen Lampon ihrer Ehre.
Mittlerweile hat Apsyrtus, durch den aufgefundenen Brief der
Manto aufgeklärt, den schuldlosen Habrokomes frei gegeben, ja zum
Verwalter seines Hauswesens bestellt.
Leukon und Rhode, nach Xanthus in Lycien verkauft, leben
bei ihrem Herrn, einem kinderlosen Greise, wie dessen eigene
Rinder.
Manto, von dem Hirten auf die, diesem mitgetheilte Leiden-
schaft des Moeris für Antheia aufmerksam gemacht, befiehlt dem
Hirten, die verhasste Nebenbuhlerin in den dichtesten Wald zu füh-
ren und zu tödten. Abermals durch ihre Klagen gerührt, tödtet
indessen Lampon die Antheia nicht, sondern verkauft sie .an Händ-
ler, die mit ihr nach Cilicien. fahren. Das Schiff scheitert: die Ge-
retteten, zu denen Antheia gehört, fallen dem Räuber Hippothous
in die Hände.
Habrokomes hat den Aufenthalt der Antheia erfahren: er eilt
zum Lampon, und, von diesem über die wetteren Schicksale der
Gattin unterrichtet, nach Cilicien.
Dort ist die Räuberbande eben beschäftigt, die Antheia an einen
Baum zu binden, um sie durch Pfeilschüsse, dem Ares zum Opfer,
zu tödten, als Perilaus, ein vornehmer Cilicier, mit einer grossen
Schaar von Begleitenr, sie überrascht, und bis auf den glücklich
entfliehenden Hippothous die meisten niedermacht, andere gefangen
nimmt und nach Tarsus führt, darunter auch die Antheia. In Tarsus
trägt er der schönen Gefangenen, die er lieb gewonnen hat, seine
Hand an : sie schlägt sie nicht aus , sondern erbittet sich Hur eine
Frist von dreissig Tagen. —
Habrokomes trifiTt dicht bei der Räuberhöhle in Cilicien auf den
Hippothous. Dieser trägt ihm sofort Kameradschaft an; gezwungen
willigt Habrokomes ein, mit ihm, zu weiteren Raubthaten, nach
Kappadocien und Pontus zu ziehen.
Buch Ul. Durch Kappadocien ziehend kommen sie endlich
nach Mazakon. Dicht am Thore quartieren sie sich ein, um einige
Tage zu ruhen. Beim Mahle erzählen sie sich ihre Geschichte.
Zuerst berichtet Hippothous, wie er in seiner Vaterstadt Perinth
einen schönen Knaben Hyperanthos leidenschaftlich geliebt habe.
Ein reicher Byzantier Aristomachus kauft den Knaben ; Hippothous
aber folgt ihm nach Byzanz, tödtet den Aristomachus und flieht mit
^m Geliebten. Bei Lesbos überfällt ein Sturm das Schiff; Hyper-
anthos kommt im Meere um; der verzweifelte Hippothous setzt ihm
•in Grabmal und wendet sich dann dem Räuberleben zu. Als Hip-
— 384 —
•
pothous weiterhin auch jener durch Perilaus ihm entrissenen Jung-
frau gedenkt , erkennt in ihr Habrokomes seine Antheia ; von ihm
beschworen , beschlicsst Hippothous , mit dem Freunde gemeinsam
sich wieder nacli Cilicien zu wenden.
Inzwischen sind die dreissig Tage, welche der Autheia zuge-
standen waren , verflossen. Die Hochzeit mit dem Perilaus wird
feierlich begangen; Antheia aber hat sich von einem in Tarsus an-
wesenden ephesischen Arzte Eudoxus ein Giftpulver ausgebeten; als
man sie nun in das Brautgemach geführt hat, trinkt sie in einem
Becher Wasser das Pulver und sinkt, mit einem letzten Abschieds-
seufzer an den fernen Habrokomes^ um. Perilaus ist untröstlich;
da man die Braut für todt hält, lässt er sie mit vielem Pomp in
einem Grabgewölbe vor der Stadt beisetzen. In der Einsamkeit er-
wacht dort Antheia : der Arzt hatte ihr nur ein Schlafpulver gegeben.
Schon beschhesst sie, nun durch Hunger sich den ersehnten Tod zu
geben: da erbrechen Räuber, nach den mitbeigesetzten Kostbar-
keiten lüstern, das Grab. VV'ider ihren Willen schleppen sie die
Antheia mit sich und führen sie zu Schiff nach Alexandria in
Aegyplen.
Habrokomes und Hippothous, nach Tarsus gelangt, erfahren von
einer Alten die Geschichte des Perilaus und seiner Braut. In der
Nacht macht sich Habrokomes allein auf, und fährt ebenfalls nacb
Alexandria.
Dort haben die Räuber die Antheia an Psammis, einen Indier,
»einen der Könige jenes Landes«, welcher nach Alexandria ^ gekom-
men war »um die Stadt zu besichtigen und um des Handels willen«,
verkauft. Den schändlichen Absichten des »Barbaren« weiss Antheia
auszuweichen, indem sie ihm erzählt, sie sei noch auf ein Jahr,
nach einem Gelübde ihres Vaters, der Isis heilig und geweiht.
Das Schiff des Habrokomes war in der Grenzgegend von Aegyp-
ten und Phoenicien gescheitert; räuberische Hirten plündern die
Ladung, binden die Mannschaft und verkaufen sie in Pelusium.
Habrokomes, an einen ahen abgedienten Soldaten, Araxus, ver-
kauft, wird von dessen abscheulich hässlicher und lüsterner Frau,
Kyno, versucht. Um ihn zu besitzen, ermordet sie den Araxus; da
aber Habrokomes nun erst recht voll Abscheu vor ihr flieht, ver-
klagt sie denselben als Mörder ihres Mannes ; als solcher wird er
gebunden zu dem Pnifeclen von Aegypten geschickt.
Buch IV. Hippothous mit seiner Bande war durch Syrien und
Phönicien, sengend und mordend, nach Aegypten gezogen. la der
Nähe von Koptus machen sie, 500 Mann stark, Halt, um die nacb
Aethiopien ziehenden Reisenden auszuplündern.
Habrokomes, vom Präfecten in Alexandria ohne weitere Unter*
suchung zum Tode verurlheill, wird am Ufer des Nils an ein Krcai
gebunden. Der Unschuldige betet zum Sonnengott: ein Windstoss
wirft das Kreuz in den Strom. An den Mündungen des Nils fangen
— 385 —
die Wächter den auf seinem Kreuz stromabwärts treibenden. Habro-
komes wieder auf. Neu zum Feuertod verurtheilt, fleht er, bereits
auf dem, am Nil errichteten brennenden Scheiterhaufen stehend,
abermals zur Gottheit : Der Nil schäumt über und erstickt das
Feuer. Von der zweimaligen wunderbaren Rettung unterrichtet, be-
fiehlt der Präfect, den Gefangenen einstweilen in den Kerker zurück
zu bringen.
Psammis. mit seinem Gefolge nach Aethiopien ziehend, wird
von der Bande des Hipothous überfallen ; er selbst fällt ; die Antheia,
welche sich auf Befragen für eine Aegypterin, Namens Memphitis,
ausgiebt, wird von Hipothous nicht wieder erkannt, sowenig wie sie
selbst ihn wieder erkennt.
Habrokomes, als unschuldig erkannt, wird von dem Präfecten
(der statt seiner die Kyno kreuzigen lässtj entlassen; um von An-
theia Kunde zu erlangen, fährt er nach Italien.
Antheia, von einem in sie verliebten Räuber von der Bande
des Hippothous, Anchialus, in der Nacht überfallen, erschlägt den
Frechen mit einem Schwerte. Am andern Tage wird sie, als Mör-
derin des Kameraden, auf Befehl des Hippothous, lebend in eine
mit Balken verdeckte Grube versenkt, mit ihr zugleich zwei gewal-
tige Hunde ^) . Der sie bewachende Räuber , Amphinomus , fühlt
Mitleid, und wirft ihr Brot und Wasser in die Grube, womit sie
sich selbst und die Hunde am Leben erhält.
Buch V. Habrokomes , vom Winde, statt nach Italien , nach
Sicilien getragen, wohnt in Syrakus bei einem alten Fischer Aegia-
leus. Diesem erzählt er seine Erlebnisse ; der Alte erzählt ihm da-
gegen, wie er in seiner Heimath Lacedaemon ein Mädchen Thel-
xino<i geliebt, auch bei einer Nachtfeier ^) ihrer Liebe theilhaftig
geworden, endlich aber, da die Eltern das Mädchen einem Anderm, dem
Androkles, verheirathen wollten, mit ihr, die er, in der Hochzeit-
nacht selbst, nach altspartanischer Sitte, geraubt und in Kleidung
und Haartracht wie einen Jüngling zugerichtet habe, nach Korinth
geflohen und von dort nach SiciHen gefahren sei^). Die Lacedae-
1) Aehnlich ist es, wenn im altrümischen Recht ein Vatermörder in
einen Sack gesteckt wurde zugleich mit (anderem Gethier undj einem
Hunde : vgl. Grimm , D. Rechtsalt. p. 697 f. (Ueber lebendiges Eingraben
als Strafe für Frauen vgl. ebendas. p. 694).
2) Liebesbündnisse bei solchen Tcawj^i^ec waren gewiss häufig; die
neuere Komoedie Hebte dieses Motiv: vgl. Meineke zu Menander Ploc.
fr. HI (IV p. 494. 4 91).
3) Die Erzählung ist äusserst unklar V 4 , 7 : xa\ ^ ^OTe(Xa{jiev iauToO;
'VüxtC. iccXdövxe; ouv xfjc TtöXewc ijeiptev iiz "Ap^o; u. s. w. Hercher, ver-
tnuthlich an dem Abscheeren der Haare »just in der Hochzeitsnacht« An-
stoss nehmend, schreibt: — OeX;iv<T,c. is auT^ oüv tiJ täv •(. vjxtI i^ßk-
%4vcec T^c tt^Xeo»; xtX. Dadurch wird die zweite Hälfte' des Vorgangs
Roh de, D«r griechische Roman. 25
— 386 —
monier verurtheilten die Flüchtigen zum Tode ; sie aber lebten in
dürftiger Einsamkeit, selig in ihrer Vereinigung. Vor Kurzem sei
Thelxinoe gestorben : aber er bewahre ihren Körper, auf aegyptische
Art conservirt, in seiner Hütte. Wirklich zeigte er dem Uabrokooies
die Mumie: ein altes Mütterchen , die aber dem Alten, nach seiner
Versicherung^ immer noch wie ein schönes junges Weib erschieo,
sein Augentrost, seine Erquickung nach der Last des Tages.
Hippothous zieht mit seiner Bande wieder nach Norden. Der
Wächter der Antheia, in sie verliebt, bleibt heimlich zurück, zieht
die Unglückliche aus der Grube und schwört ihr, sie nicht zu be-
rühren. Von ihm und den ganz zahm gewordenen Hunden begleitet,
geht sie nach Koptus.
Die Bande des Hipothous wird bei Pelusium von Polyidus,
deutlicher, die erste aber vollends unverständlich. Dann müsste man
nämlich annehmen, dass Aegialeus der Geliebten die Haare schon vor der
Hochzeitsnacht, zu irgend einer unbestimmten Zeit, abgeschoren habe.
Wenn dies der Fall war, so begreift man nur gar nicht, wie denn eine
solche Entstellung ohne Aufsehen habe vor sich gehen können, wie uns
von dem Erstaunen und Unwillen der Eltern und des Bräutigams so gar
nichts gesagt werden könne. Man wird sich vielmehr (worauf auch Locella
p. 260 hinweist) zu erinnern haben, dass der Vorgang nicht umsonst in
Sparta spielt. Ohne Zweifel liegt in den Worten des Xen. eine Erinnerung
an die bekannte altsparlanische Sitte des Brautraubes, wobei der Jüng-
ling die Geraubte von der Nympheutria wie einen Mann kleiden und ihr
das Haupthaar abscbecren Hess. Vgl. 0. Müller, Dorier H 278. Vielleicbt
wollte er nun (wenn die La. der Hs., wie ich annehme, richtig ist) den
Greis sagen lassen: an dem Abende, an welchem Androkles, nach alter
Sitte, die Braut sich hätte rauben sollen, h aOng t^ xd>v Yd{jioiv snni:d,
kam ich ihm im Raube zuvor, und ich war es daher auch, welcher
die (in diesem Falle auch für die Flucht so dienliche] symbolische
Scheerung und Verkleidung vornahm. Genau so macht es, in dem vob
Herodot VI 65 berichteten Falle, Demaretus: er gewinnt sich die bereits
dem Leutychides verlobte Perkalos cpOdoat dprdoat xai oyoiv -fjrmM.
Anstatt nun aber diesen phantastischen Vorgang dadurch in das rechte Licht
zu setzen, dass er deutlich ausspräche, wie die Scheerung und Verkleiduag
der Theixinoä nur ein begleitender Act des Raubes derselben wafi
lässt Xenophon diese Hauptsache, ohne sie auszusprechen, nur errathen:
und daher cutsteht die Unklarheit seiner Erzählung, eine Unklarheit
übrigens , welche vermuthlich auch in seiner eigenen Vorstellung von dem
ganzen Acte vorhanden war, und wohl daraufhinweisen dürfte, dass er
diese anmuthige Geschichte von dem Aegialeus und der Thelunoc; einem
älteren Erzähler nur nacherzählte, ohne die eigentliche Bedeutung jener
so wirkungsvoll zur Belebung des Abenteuers dienenden altspartanischen
Sitte, bei flüchtiger Benutzung des Vorgängers, recht begriffen zuhaben
und in rechtem Sinne selbst hervorzuheben.
— 387 —
einem Verwandten des Praefecten , angegriffen ; Hippothous allein
entkommt nach Alexandria, und schitlK sich dort nach Sicilien ein.
Polyidus zieht, um ganz Aegypten von Räubern zu reinigen,
stromaufwärts. In Koptus wird Ainphinomus ergriffen und darauf
auch Antheia. Diese entgeht den Verfolgungen des Polyidus nur
dadurch, dass sie in Memphis sich in den Tempel der Isis, die sie
bereits vor Psammis gerettet hat, flüchtet. In dem Heiligthum des
Apis befragt sie das dortige berühmte Orakel nach dem Geschicke
des Habrokomes. Die vor dem Tempel spielenden , und des Gottes
Meinung offenbarenden Kinder geben ihr den tröstlichen Bescheid
einer baldigen Wiedervereinigung mit dem Gatten. Getröstet zieht
sie weiter. In Alexandria angekommen, erregt sie die Eifersucht
der Gemahlin des Polyidus : durch einen ergebenen Sclaven lässt
diese sie nach Tarent bringen und in ein Bordell verkaufen.
Mittlerweile sass Hippothous in Tauromenium ; Habrokomes war,
um Nachrichten von der Gattin zu bekommen , nach Italien gekom-
men ; in Ephesus hatten die traurigen Eltern des Paares alle vier
sich ums Leben gebracht; Leukon und Rhode, nach dem Tode ihres
Herrn in Xanthus zu dessen Erben eingesetzt , hatten sich auf den
Rückweg nach Ephesus gemacht, waren aber, da sie erfuhren, dass
in Ephesus weder Habrokomes und Antheia noch deren Eltern an-
zutreffen seien, in Rhodus geblieben.
Antheia, vom Kuppler gezwungen , sich Öffentlich feilzubieten,
heuchelt einen Anfall der sogenannten »heiligen Krankheit«, welche
sie behauptet, durch einen Schlag auf die Brust bekommen zu ha-
ben, den ihr eines Abends das Gespenst eines jüngst begrabenen
Mannes, an dessen Grabmal sie vorüberging, gegeben habe^).
Indessen war Habrokomes nach Nucerium in Unteritalien ge-
1) Die ganze Erzählung ist sehr merkwürdig (V 7, 7. 8). Bei Gelegen-
heit einer festlichen 7:avvu)rU von den Seinigen abirrend kommt das Kind zu
dem Grabe eines jüngst verstorbenen Mannes: da springt »Jemand« aus
dem Grabe hervor, sucht sie zu halten, sie schreit und flieht (er setzt ihr
Dach , darf man denken) , endlich wird es Tag , da schlägt er sie auf die
Brust, und seitdem ist sie krank. — Der »Jemand« ist ohne Zweifel das
Gespenst des Begrabenen: er wird geschildert als ^(pd^vai ^oßepöc, cpcuv-^v
^ 7co}Xi^tiyz yaXe7:u}T£pav (vgl. p. 372, 24); wenn er dfvdpcuTcoc genannt
wird, so will das sicherlich nur sagen, dass er einem Menschen ungefähr
gleich sah. (So beisst z. B. der Daemon, welcher in einer Erzöhlung der
Acta Thomae [c. 52 p. 230 Tischend.] die Seele der Scheintodten durch die
Hölle führt dfv^pcuTio^ d1ztylJH^i tiq eio^^ fjiXa; SXoc u. s. w.) Der Schlag
des Gespenstes auf die Brust bewirkt Krankheit, wie der Elfenschlag (vgl.
Grimm, D. Myth. 429). Vgl. die Gespenstergeschichte bei Petron. p. 75,
9. 40 ed. Buecheler (ed. maj.). Ueber die, von den [kd^oi, xa^dprai, dfOprai
und dXaCöve; angegebenen abergläubischen Ursachen der Upd vöao; ein sehr
merkwürdiger Bericht bei Hippocrates I p. 592 f. ed. Kühn: darunter auch
-j^pdbnv (Verstorbener] ^fo5ot.
25*
— 388 _
kommea, und arbeitete , durch Noth gezwungen , bei einem Stein-
metzen.
Hippothous hat sich in Tauronieniutn mit einem alten Weibe
verheirathet, diese dann, da sie bald starb, beerbt und fahrt nun
auch nach Italien, in Begleitung eines schönen Knaben, Klisthenes.
In Tarent kommt er gerade darüber zu , wie der Kuppler die für
ihn unbrauchbare Antheia auf dem Markte verkauft. Er erkennt sie
(wiewohl sie ihn nicht] als seine ägyptische Gefangene , kauft sie
und erfährt von ihr ihre weiteren Erlebnisse. Auch er verliebt sich
nun in sie; als er seine Werbung anbringt, erzählt sie ihm ihre
wirkliche Herkunft und ihre Vermählung mit Uabrokomes. Hoch
erfreut, die Frau des nie vergessenen Freundes diesem bewahren
zu können, forscht nun Hippothous diesem selber nach.
Habrokomes , der harten Arbeit in Nucerium müde , hatte sich
nach Ephesus eingeschiflX. Ueber SiciUen (wo er den alten Fischer
gestorben fand), Kreta und Cypern war er nach Rhodus gekommen,
und hielt sich dort, der früheren Anwesenheit eingedenk, eine Zeit
lang auf. Eines Tages findet er im Tempel des Sonnengottes, neben
jener von ihm einst dort aufgestellten Hüstung, eine Tafel zu seinem
und der Antheia Gedächtniss, aufgestellt , wie die Inschrift besagt,
von Leukon und Uhode. Als er weinend dasteht, kommen Leukon
und Rhode hinzu ; bald wird Habrokomes erkannt , und von den
treuen Dienern in ihre Wohnung gebracht und dort gepflegt.
Auch Hippothous war mit Antheia nach Ephesus aufgebrochen.
Auch sie landen auf Rhodus ; am Tage nach ihrer Ankunft geht An-
theia in den Sonnentempel und hängt zu dem alten Weihgescbenk
ihre abgeschnittenen Haare , mit einer , die Weihung zu Gunsten
ihres Gatten bezeugenden Inschrift. Leukon und Rhode finden später
diese Inschrift und melden dies dem Habrokomes. Am nächsten
Tage treffen Leukon und Rhode die Antheia selbst im Tempel an.
Sie holen den Habrokomes hinzu , und die Liebenden haben sicJi
wieder. Nach einem gemeinsamen Freudenmahle legen sich alle
zur Ruhe : Habrokomes und Antheia überzeugen sich gegenseitig,
dass sie Beide die heilig beschworene Treue einander bewahrt
haben.
Am andern Tage fahren sie Alle nach Ephesus, ziehen zuvör-
derst in den Tempel der Artemis, welcher sie, nach Opfern und Ge-
beten, Weihgeschenke und ein Gemälde, alle ihre Abenteuer dar-
stellend, darbringen. Den Eltern errichtet das Paar stattliche Gtar
her »und sie selbst lebten fortan, ihr gemeinsames Leben wie ein
Fest begehend«. Leukon, Rhode und Hippothous blieben bei ihnen
in Ephesus.
Es ist zunächst klar^ dass auch aus dem hier skizzirten
Romane des Xenophon selbst eine völlig sichere Bestimmung
seines Zeilalters nicht gewonnen werden könne: es ist nicht
— 389 —
zu verwundern , dass die Ansätze der Gelehrten zwischen dem
zweiten und dem fünften Jahrhundert hin und her schwanken ^) .
Mir scheinen die Gründe für eine frühere Ansetzung zu über-
wiegen. Der Roman des Xenophon spielt keineswegs in einer
künstlich restaurirten fernen Vergangenheit (wie die Romane
des Jamblichus, Heliodor, Charilon) : er erwähnt ganz unbefan-
gen des Praefecten von Aegypten. dergleichen vor Augustus
gar nicht existirten, sowie eines Eirenarchen von Cilicien^) ; man
sieht, er giebt sich durchaus keine Mühe, seine Erzählung aus
seiner eigenen Zeit in eine phantastisch angeschaute Vergan-
genheit zurückzuschieben. Wenn er somit seine Personen
schlechtweg in die Zustände seiner eigenen Zeit hineinstellt,
so dürfen wir sicherlich annehmen, dass die besonderen Einrich-
tungen und eigenthümlichen Verhältnisse, welche in seinem Roman
hieunddaausderfarblosenllnbestimmtheitderGesammtschilderung
hervortreten, nicht aus einer, nur auf gelehrtem Wege erforschten
Vergangenbeil, sondern aus der Gegenwart, der eigenen Kennt-
niss und Erfahrung des Xenophon entnommen seien. Und aus
diesem Gesichtspuncte , denke ich, gewinnen allerdings die
Schilderungen mancher Oertlichkeiten und Sitten, einige durch-
aus ungezwungene und vom Dichter festgehaltene specifisch
1) Nicht vor das fünfte Jahrhundert setzt den X. z. B. Chassang, hist.
du roman dans Tantiq. p. 423: genügend widerlegt von Nicolai a. 0. p. 82;
ia's 4—5. Jahrhundert H. Peter, Schweiz. Mus. 4866 p. 29 A. 41; in das
Ende des zweiten, oder den Anfang des dritten Jahrhunderts AI. Em.
Locella in der Vorr. s. Ausg. (Vindob. 4 796) p. VIFI ff.; in das zweite
Jahrhundert Jacob Burckhardt. Const. d. Gr. p. 224, mit Berufung auf den
Artikel X6n. TEph^sien in der (mir hier nicht zugänglichen) Biographie
universelle. Beiläufig will ich doch auch hervorheben, dass ich die Aus-
gabe des X. E. von Hofmann Peerlkamp (Hartem 4 84 8) nicht benutzen
konnte. Ich citire durchweg (nach Capiteln und Paragraphen , oder nach
Seiten- und Zeilenzahl) nach Horchers Au.sgabe.
2) h rfjc AJ^Otttou TÖT6 dtp/oiv IH 42, 6; 6 oip^wv Tfjc A{-(6ircoü IV 2, 4
u. s. w. Das ist der richtige Ausdruck für den praefectus Aegypti:
vgl. Marquardt, Rom. Staatsverw. (4873) I p. 286, 2. Derselbe residirt in
Alexandria (IV 4, 4): s. Marquardt p. 287, 4. — Eirenarch: 6 Tfj;
clpf^vT)« tFJ; hi KiXixfa Ttpocorcfe; p. 358, 9 (vgl. Locella p. IX), p. 870, 6:
dtpyecv ^yc ipoxo vVjI^tj Tfj; etp-^ivt)« ttj; dv KiXixb: so wurde auch in Smyrna
der Eirenarch nach Wahlen der Bürger vom Statthalter ernannt: Aristides
I p. 523 Dind. (vgl. Massen in Dindorfs Aristides vol. III p. CXXVII f. ;
Marquardt a. 0. p. 524).
— 390 —
antike Yorstellungsarlen insofern einiges Gewicht, als sie uns
denselben als einen Zeilgenossen der letzten, von christlichem
Einflüsse noch völlig unberührlen Zeiten des rein-griechischen
Heidenthums erscheinen lassen. Locella, der um die Erklä-
rung des Xenophon nicht unverdiente Herausgeber dieses Ro-
mans weist mit Hecht darauf hin, dass die Art, in welcher
Xenophon der Stadt Kphesus und ihres berühmten Artemis-
Tempels erwähne , sehr walirscheinlich mache , dass derselbe
seine Erzilhlung vor der Verwüstung des Tempels (und wohl
auch der Stadt) durch Gothenschwiirme im Jahre 263 geschrie-
ben habe. Ebenso weisen auf eine nicht allzu weil herabzu-
drückende Zeit des Dichlcrs seine Erwähnung des (die Ge-
schicke seines Paares so wesentlich bestimmenden) Orakels des
Apollo in (Klaros bei) Koiophon hin: in der That finden wir
nach der Zeit des Alexander Severus (2^2 — 235) dieses einst
so blühende Ueiliglhum nie wieder erwähnt'^]. Man mag noch
hinzufügen , dass alle in der Schilderung des Xenophon ge-
legentlich etwas deutlicher hervortretenden Einrichtungen des
öfl'entlichen und hauslichen Lebens in ganz unverdächtiger
Weise das ächte Gepräge jener spätgriechischen Zeit tragen,
welche, vom Christenthum sogut wie von zerstörender Barba-
rensitte im Ganzen noch nicht berührt , die alte Cultur der
göttlichen Vorfahren noch so nothdürftig, und wenigstens in
den äussern Formen, fortschleppt e. Offenbar noch aus der eige-
nen Erfahrung des Dichters heraus ist z. B. der Festzug der
Ephesier zum Tempel der Artemis im ersten Anfang des Ro-
mans geschildert**); die alte griechische Sitte wird einfach als
1} S. Locella praef. p. IX. Zerstörung des ephcsischen Artemistcmpels
durch die Gothonzüge unter Golliouus: Trcbell. Pollio Gallien. 6, i\
Jordanes de rcb. Goth. iO. — Man vergleiche, zur Besttttigung der Beob-
achtung des Locella, mit Xenophon die ganz bildlose, anschauungsleere
Art, ^ie Achilles Tatius im 7. und 8. Buche seines Romans des epbe*
sischen Artcmistempels gedenkt.
2) S. I 6; vgl. Locella p. \. Letzte Krwbhnung unter Alexander
Severus: Marquardl , Hdb. d. röm. Alt. IV p. 106 A. 654. G. Wolff, De
noviss. orac. aet. p. 12. Das, bei X. V 4 erwähnte und geschilderte Orakel
des Apis weist dagegen nicht so bestimmt, wie Locella p. X A. 2i meint,
auf eine frühe Zeit hin : dasselbe wurde noch spät im vierten Jahrhundert
verehrt: Marquardt a. 0. p. 113. — Andere unwesentliche Argumente
Locelias lasse ich bei Seite.
3) I 2. Wenn dabei die Antheia als diejenige, welche r^p^e rljc xin
— 391 —
gttliig und allgemein bekannt vorausgesetzt in dem, was ge-
legentlich von Einzelheiten einer llochzeitfeier *) , einer feier-
lichen Bestattung^) mehr angedeutet als, mit antiquarischer
Absichtlichkeit, ausgeftihrt wird. Wie die flaue Gottergeben-
heit, mit welcher die Personen der Erzählung, unparteiisch ge-
nug, bald Helios, bald Isis und Apis, bald wieder Artemis ver-
ehren, ganz in die Zeit des gewohnheitmässig weiter betriebenen
alternden Heidenthums verweist, so ist in der Bedeutung, welche
ganz unverkennbar der Dichter einer rechten und gehörigen
Bestattung der Leichen beimisst^ ein acht antiker Zug, auf
einen bekannten festgewurzelten Aberglauben gegründet, er-
halten 3) .
mp9£v«v TolSeo»; im Kostüm der Gottheit selbst (§ 6) auftritt, so mag auch
dieses der Wirklichkeit nachgebildet sein; gerade von Priesterinnen der
Artemis wird uns anderweitig Aehnlichcs berichtet: vgl. Schümann , Gr.
Alterth. II 2 44 3.
1) Bei der Hochzeit.sfeier der Antheia mit Perilaus wird die Braut in
den ^aXafjLOc geführt und dort allein gelassen : hi ^otp lleptXao; fjterd t&v
^(Xaiv e^oyeiTo: III 6, 4. Locella bemerkt hierzu p. 227: notandum est,
nee ipsam sponsam, veteri Graecorum more, fuisse ad nuptiale convivium
adhibitam. Dass dies allgemeiner Gebrauch der Alten gewesen sei, ist
nun freilich eine irrige Annahme: s. Becker, Charikl. III 309 f., aber vor-
gekommen muss es sein, wie aus den (bei Becker p. 309 oben, angezo-
genen) Versen des Apollodor bei Alb. VI 248 D. (com. IV p. 447) hervor-
geht. Um so sicherer ist in diesem Zuge bei X. eine Spur alterthümlicherer
Sitte zu erkennen.
2) III 7 , 4 : Antheia wird am Morgen (t]fx£pa; le^o^lsri^ : die ix^opd
findet nach Gricchensitte früh morgens statt: Becker, Char. III 96) in ein
Grabgewölbe gebracht, Opfer geschlachtet, viele Kostbarkeiten mit ver-
tehlossen , sie selbst dann nicht in einem Sarge , sondern auf einer unbe-
deckten 7c>iyr) zurückgelassen. Dies Letzte namentlich ist bezeichnend: so
liegen, in der bekannten, von Goethe benutzten, Geschichte von der aus
dem Grabe wiedergekehrten Philinnion bei Phlegon mirab. 4 (p. 420, 4 8 ft.
West. , welche Geschichte übrigens Phlegon einem [pseudonymen] Briefe
des Hipparchus, Verwalters der vom Kg. Philipp von Macedonien eroberten
Stadt Amphipolis an Arrhidaeus entlehnt hat) die Leichen, in der xa^jidpa
offen auf unbedeckten xXlvat.
3) Verehrung des Helios: p. 344, 23; 374, 30; 395, 20; der Ar-
temis: namentlich p. 399, 44; der Isis: p. 376, 43; 384, 20; namentlich
397, 25; des Apis: p. 305, 8. — Was die Sorgfalt für regelrechte Be-
stattung der Leichen betrifft, so bemerke man, wie in der sonst so athemlos
eiligen Erzählung sich immer noch Platz findet, um die, nach unserer
Vorstellungsweisc so unwichtige feierliche Beisetzung Verstorbener verhält-
nissmässig breit zu erzählen: III 2, 43; V 40, 3; V 45, 8.
— 392 —
Ich meine, dass , nach der ganzen Physiognomie dieses
Romans zu urtheilen^ wir ohne grosse Vermessenheit seine Ab-
fassung, mit Locciia u. A., in die Grenzzeit des zweiten und
dritten Jahrhunderts setzen dürfen. Es bliebe jedenfalls abzu-
warten, ob Jemand so deutliche Spuren einer viel späteren
Gulture|)oche in dem Roman des Xenophon würde nachweisen
können, wie sie sich dem Aufmerksamen überall aufdrängen
in dem Roman des Achilles Tatius, in oder unter dessien Zeit
manche Gelehrte mit unbegründeten Machtsprüchen, den Xeno-
phon herabgedrückt haben ^} .
Für unsere gegenwärtige Betrachtung wäre es vorzüglich
wichtig, die Stellung der Dichtung des Xenophon in der Reihe
der uns erhaltenen Romane richtig bestimmen zu können. Es
finden sich gewisse auffallende Aehnlichkeiten in einzelnen Mo-
tiven der Romane des Xenophon und des Ueliodor. Dort
wie hier wird eine der Hauptpersonen der Geschichte, zum
Menschenopfer für eine blutgierige Gottheit auserkoren, mit
genauer Noth gerettet ^j; dort wie hier wird die eine der bei-
den Hauptpersonen, ungerecht wegen eines, von einem Andern
vollführten Giftmordes zum Tode verurthcilt, durch ein förm-
liches von der Gottheit geschicktes Wunder, vor einem elen-
den Tode auf dem bereits brennenden Scheiterhaufen gerettet'];
dort wie hier spielt nicht nur ein wesentlicher Theil der Ge-
schichte in Aegypten, sondern gleichmässig fällt in beiden Ro-
manen gleich beim Eintritt in dieses Land der Held den räu-
1) Unter Achilles herunter rückt den Xenophon z. B. Dorville ad
Charit, p. XIX; nach Achilles und Longus nennt ihn, in seinei* Aufzäblnog
der Roma nsch reiber» auch Korais Heliodor. I p. le'. Seine Gründe sind
sehr geringfügig: 7.um Schluss declamirt er, es sei diirtftavov ort f^xf^aoiv
h Srvo?pd»v et; töv a{d)va 3tci; ifivir^(3£ tov nXourapyov, xiv roXT,vöv, Hv
Aouxiav^v, xal a>,Xo'j; toio6to'j; oo^oü; xal 7reratoeu|i£vov»c avSpac. Waniin
denn nicht? hat denn nicht dieser selbe atcuv auch den PtolemSus He-
phaestions Sohn, den Phlegon und andere dergleichen Heroen hervorgebracht?
2} Anlheia bei Xen. H 18, 2; Theagenes bei Hei. X.
3} Habrokomes bei Xen. IV %, 8. 9 ; Chariklea bei Hei. VlII. 9 p. ttl.
(Aehnlich mirakulOses Erlöschen eines brennenden Scheiterhaufens Öfter Id
Christi. Märtyrergeschichten, z. B. Acta Pauli et Theclae c. 22 p. 49 f.
Tischend.: aber auch bei Parthenius 6 p. 9, 23 if. Hereber; von Krösof
vor Cyrus erzählt eine ^ähnliche Wundererrettung Xanthus bei Müller Fr
bist. I p. 44 f.).
— 393 —
berischen Hirten Unterägyptcns in die Hände ^). Diese lieber-
• einstimmung in theilweise gewiss sehr ungewöhnlichen Erfin-
dungen weist entschieden auf Entlehnung des einen Dichters
bei dem andern hin; eine Entlehnung welche sich sogar bis
auf die äussere Erscheinung der Heldin erstreckt: denn es
wird doch schwerlich ein blosser Zufall sein, wenn tiberein-
stimmend Heliodor wie Xenophon uns gleich im Beginn ihrer
Erzählung die Heldin im vollständigen Costüm der jungfräu-
lichen Artemis, mit dem Bogen bewaffnet, vor Äugen ftihren^].
Es kann sich nur fragen, welcher von beiden Autoren dem
andern nachgeahmt habe. Ein genügender Beweis für die
Priorität des Einen oder des Andern wird sich nicht fuhren
lassen^] : beachtet man aber, wie die meisten jener eben er-
wähnten Motive bei Xenophon kaum angedeutet und wie noch
im Keim verschlossen, bei Heliodor voll und umständlich ent-
wickelt sind : so wird man vielleicht geneigter sein, dem Xeno-
phon die erste Erfindung dieser abenteuerlichen Motive, dem
Heliodor deren kunstgerechte Verwendung und Ausführung zu-
zutrauen , und also dem Xenophon eine zeitliche Priorität zu
belassen, auf welche ohnehin die eben entwickelten andern
Gründe entschieden hinführen.
Bei aller Unfassbarkeit der Person dieses Xenophon wird
es sich also wohl hinlänglich rechtfertigen lassen, wenn wir
ihn zwischen Jamblich und Heliodor gestellt haben. Ihn vor
Jamblich zu setzen wird ohnehin nicht leicht irgend Jemand
versucht sein : es ist aber zudem doch sehr wahrscheinlich,
dass den, durch ein statt des geforderten Giftes getrunkenes
Scblafpulver herbeigeführten Scheintod der Heldin^) Xenophon
den, aus unsrer oben gegebenen Analyse des Romans des Jam-
blichus erinnerlichen analogen Erzählung dieses Dichters ent- *
lehnt habe.
1) Hei. I; Xen. Hl i%, 2. (Aus Heliodor wiederum Ach. Tat. IV 4 2.) Die
ßo6iioXoi X^orai in Uoterägyplen kennt schon Eratosthenes bei Strabo XVII
p. 802 (III p. Mi9, 7 Mein.)
2) Xen. I 2, 6. Heliodor I t (vgl. HI 4; V 5; VM1.)
3] Wenige möchten so entschieden sich aussprechen wie Korais, welcher
(ad Heliodor. vol. H p. 6), energisch genug, versichert: dpyaiÖTcpov 'HXt-
o^pou Y*TOv£vai xöv toI 'E^eaiaxdl Ypct'j'avTa, 6u^eU fi ja' av 7re{oei£v, ouo* Tjv
4) Xen. III 6. 6. S. oben p. 369.
— 394 —
Auf jeden Fall iebtc und schrieb Xenophon vor Chari-
toD; der seinem Romane die Erbrechung des Grabes der
bereits als todt beigesetzten Fleldin nachbildete ^) , und vor
jenem Sophisten, der gegen Ende des fünften Jahrhunderts die
unter dem Namen des Aristaenelus bekannte Sammlung
erotischer Briefe verfasste: denn zu dem überallher zusammen-
gestückten Bettlermantel bunter Phrasen, mit welchem dieser
Scribent seine eigene Hiisslichkeit und Blosse verdeckt, sind
auch einige Lappen aus dem Romane unseres Xenophon ver-
wandt worden 2).
Die Heimath des Autors wird uns im Titel seiner Erzäh-
lung genannt; und wir finden keinen Grund an seinem ephe-
sischen Trsprung zu zweifeln, wenn wir sehen, wie er im
Ganzen in der Umgegend von Ephesus wohl Bescheid weiss':;
während er freilich von der Lage der ägyptischen Städte zu
einander^), ja von der Lage der Insel Cypern nur sehr dunkle
1) Xen. in 8, 8; Chariten I 6 — 10. Dass Cli. dies aus Xen. entlehnt
habe, picbt auch Dorville ad Char. p. 246 zu. — Uebrigens wird, jemehr
die Scheu vor den Gräbern sicii minderte, desto häufiger ein solches raub-
gieriges Erbrechen der Grabgewölbe in Wirklichkeit vorgekommen sein.
Vgl. z. B. Phle^on niirab. i p. H9, 18 AT. West, und eine ganze Reihe
von Epigrammen des Gregor von Nazinnz gegen solche Grabräuber im achten
Buche der palatin. Anthologie, namentlich von ep. 176 an.
2) Plagiate des Aristaenetus aus Xenophon: s. ßoissonade u. A. zu
Aristaen. p. 331. 649. 667; Locclla zu Xen. Eph. p. 131 (zu p. 3, 4.) Hier
eine einzige Probe: Xen. 1 9, 4 : vai 'AßpoxfJfXTj, ooxw ooi xaXifj, xal jurd Tf,i
OT|V e'jii.op;piav dpizxoi aoi; Aristaen. 11 7 p. 150, 3 Boiss. : apa ooxd> ooi xa).i|
xai [jL£Ta TTjv ür^s eOptop^iav dpcoxoj aoi ;
3; Man beachte , dass nur in der Gegend von Ephesus der Verf. die
Entfernung genauer angiebt: drzb tt,; r^Xccu; irl to Up^v ora^tot claiv hcd
p. 380, 13. (vgl. Ilerodot I S6j : von Ephesus nach Kolophon ein otaTcXovc
oraoicuv ^Yooi^xovra p. 315, 11 (70 St. nach Strabo XIV p. 648.)
4) IV 1 macht Hippothous mit seiner Bande folgenden Weg : Pelusium,
Hermupolis, Schedia , dann in den Sicbov); des Menelaus (vgl. Strabo XVII
p. 800 [p. 1116, 4 rr. .Mein.l), an Ale\andria vorüber, nach Memphis »und
von da nach Mcndes«! von da nach Leontopolis und von dort »an nicht
wenigen xcufxat vorüber, von denen die meisten unbedeutend« nach Koptus
(welche Stadt offenbar, nach Vorstellung des X., unmittelbar an der Grenze
von Aethiopien liegt.) Das sind ja wahre fjfjpp.V)xa)v dixparot! — Anders
übrigens liegt die Sache doch wohl III 12, 1: das Schiff des IlabrokoDies
dxTrlTTTrci im t«; ixßoXd? tou NelXou t^v te FlapalTiov xaXoufjLivT]v xal <Dot-
vlxTj; SoT) TtapadaXaaaio;. Räuberische Hirten ergreifen die Gestrandeten
und führen sie 6oov Iprjfjiov roXXVjv nach Pelusium. Diese «sogenaoote
— 395 —
Vorstellungen zu haben scheint. Wer wäre wohl je, wie es
der Habrokonies des Xenophon thut, um von Italien nach Ephe-
sus EU kommen, zuerst nach Kreta, dann nach Cypern und
von dort nach Rhodus gefahren ! Diese sonderbare Verwor-
renheit geographischer Vorstellungen füllt aber um so stärker
auf, als Xenophon offenbar in der selbstgefälligen Aus-
legung geographischer Kenntnisse sich und den Lesern an
vielen Stellen noch ein besonderes Fest zu bereiten beflis-
sen ist.
£s muss also scheinen, als ob dieser Dichter, selbst ruhig
daheim sitzend, nur seine Phantasie auf einen, endlich freilich
wieder nach Ephesus zurücklaufenden seltsamen Irrgang durch
so viele Provinzen des weiten Reiches ausgeschickt habe.
Vielleicht hätte er auch der Phantasie diese unruhige Jagd am
Liebsten erspart. Denn ganz unverkennbar keucht er schwer
unter der, nun einmal ftlr einen Romanschreiber damaliger
Zeil unerlässlichen Verpflichtung, in einem rastlosen Wechsel
des Ortes und der buntesten Ereignisse den Reiz seiner Dich-
tung zu suchen. Man kann sich nicht leicht eine ungeschick-
tere Manier^ die Reiseabenteuer seines Liebespaares einzuleiten,
erdenken als diejenige ist, mit welcher Xenophon dem tyran-
Paraitios« ist uns leider gänzlich unbekannt. Aber dem Xen. nun gleich,
nach einer von Locella gebilligten Conjectur des Hemsterhusius, zuzutrauen,
er habe Paractonium (llapaiTÖviov oder FlapaiTOvtav statt flapatTtov) dicht
an die östlichste Nilmündunf;, an die Grenze von Phönicicn und in die Nachbar-
schaft von Pelusium gesetzt, ist doch etwas unverantwortlich. Vermuthlich
will Xen. eine ganze Gegend bezeichnen, gewiss kommt dem, was er
selbst geschrieben hatte, eine andere Conjectur des Hemsterhusius (p. 238
Loc.) näher: t^jv üapaTaiviov xaXoupivTjv : d. i. die Gegend der Tawlat, der
an Aegyptens Nordküste, zwischen dem Meer und den Küstenseen sich hin-
ziehenden schmalen Landstreifen. Will man indessen schon einmal einen
Namen rein aus Conjectur herstellen, so läge wohl viel näher, zu schreiben :
T^^s iTapdlxTtov xaXoufJi£v7]v. Xen. will offenbar die öde Küstengegend
an der äussersten Ostgränze Aegyptens (bei Rhinocorura und dem Berge
Casius) bezeichnen -. konnte diese nicht ganz wohl V) rapdxTioc heissen ?
Vielleicht hiess sie aber auch wirklich V) IlapatTto;, und dann müsste man
eingestehen, dass hier einmal Xen. mehr von ägyptischer Geographie wusstc
als uns aus unserer sonstigen Ueberlieferung zu wissen vergönnt ist. So
kennen wir auch nicht die, bei Xen. p. 882, 24 f. erwähnte ägyptische
Ortschaft 'Apela (s. p. 383, 5. 42), ohne dass man doch an eine blosse Er-
findung des Xenophon denken dürfte.
— 396 —
nisch sich auferlegenden Typus griechischer Roniandichtung
sich fügt. Das junge Paar war bereits so beqtiemlich versorgt
und verheiralhet: wie in aller Welt sollte man sie nun auf das
wilde Meer bringen, auf welches ihre Pflicht als ächte Roman-
heldcn sie doch einmal rief? Sie haben rein nichts da draus-
sen zu suchen. Hier fiel nun dem Dichter ein überaus beque-
mes, freilich auch ungewöhnlich absurdes Mittel ein, mit dessen
Hülfe er die Handlung in die durchaus nothwendige Bewegung
setzen konnte. Das Orakel des klarischen Apoll sagt, gleich
am Beginn der Handlung, voraus, dass die Beiden über das
Meer fliehen werden, von Räubern ^) verfolgt, dass sie Fesseln,
Grab und Scheiterhaufen erdulden, endlich aber, nicht ohne
Einwirkung der Isis, ein besseres Loos gewinnen werden. Der
Gedanke, eine göttliche Weissagung zum Hebel der Handlung
zu machen, war nicht neu: wir fanden einen solchen Hebel
bereits beim Antonius Diogenes ihiitig. Wahrend aber, im nor-
malen Verlauf der Dinge, der alleswissende Gott die unab-
wendlich und ohne Willkür der Menschen eintretenden Ereig-
nisse nur vorausschaut und, dunkelredend, voraus andeutet:
so ist beim Xenophon die Sache umgekehrt. Ohne das Orakel
wäre das junge Ehepaar einfach daheim geblieben: »ein Fest
war ihr ganzes Leben« heisst es^); was zwang sie, in den
harten grauen Wcrkeltag hinüber zu gehen? Nichts als eben
das Orakel des Gottes. Nur weil der Gott gesagt hatte, sie
würden auf leidvolle Irrfahrten ausziehen, ziehen sie, wie uns
der Dichter ausdrücklich angiebt ^) , wirklich aus. Da war es
freilich leicht prophezeien, wenn die Wahrsagung wie ein Be-
fehl angesehen und ausgeführt wurde I Sehr ungeschickt ist es
aber namentlich, wie durch eben diese Vorausverkündigung
der Dichter sich selbst alle Spannung unterbindet. Wir wissen
ja, alle diese Unfälle sind so schlimm nicht gemeint ; mag die
Antheia in ein Grabgewölbe geschlossen, Habrokomes auf den
brennenden Scheiterhaufen gestellt werden: beide werden sie
unverletzt davon kommen; der Gott hat ja das glückliche Ende
1) p. 835, 19: dficp^tepot ^e6|ovTat uTietp aXi XiQOTO^tmxTot: so, und
nicht (wie die Hs. bietet) Xuaao^itoxToi, ist ohne Zweifel, nach einer Con-
jectur des Hemsterhusius (p. t51 Loc), zu lesen.
2) p. 838, 2i.
3) 1 4 0, 8. (vgl. p. 843,
— 397 —
voraus verkündigt. Daher sind denn auch die Eltern, bei der
Abfahrt des Paares, zwar betrtlbt, aber doch nicht muthlos,
»da sie den Schluss der Wahrsagung vor Augen hatten«^);
man begreift nur diese sonderbaren Alten nicht recht, welche
sich zuletzt doch, ohne das sicher zu erwartende glückliche
Ende abzuwarten, aus Muthlosigkeit um das Leben bringen 2).
Ilabrokomes ist vernünftiger: im tiefsten Elend fordert er zu-
versichtlich vom Gotte den glücklichen Schluss seiner Weis-
sagung ein 3). Leider bewirkt, was den Leidenden zum Trost
gereicht, dieses Mal beim Leser nur Langeweile. Kann man
naiver eingestehen als dieser Dichter, dass man den Leser nur
mit bunten Bildern zerstreuen, ein psychologisches Interesse
aber gar nicht erregen, spannen, endlich befriedigen will?
W^enn ausser der Absicht auf eine sehr oberflächliche Zer-
streuung der Dichter noch einen andern Zweck hat, so ist es
sicher kein menschlich psychologischer, sondern ein theologisch
erbaulicher. Die eheliche Treue des Paares soll, unter tau-
send Gefahren, geprüft werden; dies ist der Zweck ihrer Aus-
sendung unter Rauber und Kannibalen. Natürlich bewahren
sich Beide vollkommen, aber man setzt ihnen hart zu. Die
wichtigsten Abenteuer entspringen aus ihrer übergrossen, ver-
hängnissvollen Schönheit, die von ihnen selbst vielfach, als
Grund ihrer Leiden, verwünscht wird^). Es ist* aber der Gott
der Liebe selbst, der ihnen diese schweren Versuchungen und
Qualen auferlegt. Eros, durch den spröden Uebermuth des
Habrokomes beleidigt, rächt sich durch .diese Kette von Leiden.
Diese Rache des durch Sprödigkeit beleidigten Eros ist, wie
wir uns erinnern, ein viel verwandtes Motiv der hellenistischen
Erotik^), und von dorther durch Xenophon entlehnt. Er combi-
nirt nur dieses, an sich nicht unwirksame Motiv sehrunklar und
ungeschickt mit dem ebenfalls beliebten Motiv des apollinischen
Orakels*), und operirt somit eigentlich mit zwei Hebeln zugleich,
1} p. 339, is f.
2) p. 387, n.
2) V 1, 13.
4) p. 346, 26 : u) r?]; dxaipou i:p6; ^xax^pou; e^fjiop^lac ! p. 366, i : liä
Tf|V ÄTtatpov eufAopcpiav 'AßpoxöjiTj; [xis h T6p^j T^Övrjxev, ^d> 5* ^vraufta. Vgl.
Doch 386, 8; 388, i.
5) S. obüu p. U7.
6) S. namentlich p. 346, 24: dpyeiai tä p.e{xavTeupi^va' Tip.toptav f-
— 398 —
von denen man doch keinem recht die Kraft zutraut, die nur
ein, diesem Dichter durchaus mangelnder, unbefangener Glaube
an die unmittelbar in das Leben eingreifende Macht der Götter
ihnen geben könnte.
lieber die Erfindung der einzelnen Abenteuer , welche
unter dieser doppelten Götterleitung das liebende Paar durch-
zumachen hat, mag man nach Durchiesung der oben gegebenen
Inhaltsübersicht selbst urtheilen. Für uns wenigstens ist Xeno-
phon der erste Romanschreiber, welcher den Kreis seiner Hand-
lung auf Aegypten, Kieinasien und einige Gegenden von Unter-
italien und Sicilien eingeschränkt hat: man darf, wenn man
sich des schrankenlosen Umherschweifens in dem Buche des
Antonius Diogenes erinnert, in dieser Beschränkung auf einige
der am gründlichsten civilisirten Provinzen des römischen Rei-
ches immerhin eine Wendung zu einer mehr bürgerlichen,
etwas weniger phantastischen Gattung der Romandichtung er-
kennen. Die einzelnen Abenteuer sind durchaus nach der
Schablone gearbeitet, und das verwundert uns nicht weiter.
Ueber Seestürme, RHuber zu Land und See, Bedrängnisse durch
rohe oder gar verliebte Herren und Herrinnen ging nun ein-
mal die Phantasie dieser Poeten nicht hinaus. Auch das ist
nicht weiter verwunderlich, dass Xenophon so wenig wie Jam-
blichus eine zufällige Reihenfolge wilder Abenteuer zu einer
durch innere Causalität wohl verknüpften Reihe von Erlebnis-
sen zu gestalten weiss, von denen eines aus dem andern mit
Nothwendigkeit erfolgt. Inunerhiu ist das beispiellose Ungeschick
erstaunlich, mit welchem die einzelnen Fäden seiner Handlung
dem Xenophon, trotz der ersichtlichsten Bemühung, sie wohl
und sinnreich zu verschlingen, wirr und immer wirrer neben
einander her laufen. Sobald die Liebenden erst einmal aus
oTj jx€ b fteö; (d. i. Eros) rf^; yrepri^avb; eUirpirrci. Die directe Ein-
wirkung des Eros wird zumal am Anfang des Romans stark betont:
12, 2; 12,9; 13,1; 14, 4. 5; fxeTavoia des Ilabrokomes, dem Eros
gegenüber: p. 833, i (vgl. mit p. 329, 23). Aber durch die heftige, sehr
bald ihre Befriedigung erreichende Liebe zur Antheia ist doch eigentlich
H nicht genügend gestraft; eine weitere Strafe des Gottes sind alle Irr-
fahrten, Leiden und Versuchungen des ganzen Romans: dies wird auch
p. 846, 24 gesagt, aber im weiteren Verlauf der Erzählung Ittsst, zu
Gunsten des Orakelmotivs, der Dichter diese Leitung der Dinge durch Eros
einfach fallen.
— 399 —
einander gerissen sind, beginnt das zweckloseste Hin- und Her-
fahren im Zickzack. Habrokomes gehl nach Cilicien um dort
die Gattin zu suchen : kaum angelangt lässt er sich, unerledig-
ter Sache, vom Hippothous nach Kappadocien schleppen. Sehr
bald erfahrt man dass diese Abschweifung, sinnlos wie sie ist,
auch für die Oekonomie des Gedichtes durchaus keine Bedeu-
tung hat: die Beiden kehren nach Cilicien zurtick. Von Tarsus
führt der Liebende nach Alexandria, um dort etwas von der
Antheia zu erkunden: wie er gerade auf diesen Ort verfiel,
erfährt man nicht ^) . In der That ist nun Antheia nach Alexan-
dria geschleppt worden; aber ihr Weg kreuzt sich nicht mit
demjenigen des Habrokomes; man sieht abermals nicht die
Absicht des Dichters bei dieser aegyptischen Excursion. All-
mählich dämmert es dem Leser auf: dem wunderlichen Poeten
ist es unbequem, seine und des Lesers Blicke, wenn er sie
von der einen Person zu der andern abspringen lässt, einen
gar zu grossen Sprung machen zu lassen. Gewiss nur dämm
müssen Beide ihre, tibrigens unter einander gar nicht zusam-
menhängenden Erlebnisse stets in Einem Lande durchmachen.
Von Aegypten geht Habrokomes nach Sicilien, weiter nach Ita-
lien 2) ; richtig kommt auch Antheia nach Italien , ohne doch
auf den Gatten zu treffen, den sie freilich erst am Schluss des
Ganzen wiedersehen darf. Mit Hippothous dagegen kreu-
zen sich ihre Wege wiederholt; damit aber auch hiedurch
nicht dem Ganzen ein voreiliges Ende gemacht werde , so
müssen wir glauben dass bei dem ersten Zusammentreffen der
1) Denn nichts ^ird doch erklärt durch die Angabe p. 371 , U (H.
schiffte sich nach Aegypten ein) ^XtiiCcov h-^ tou; X^jora; tou; ouX-^oaviac
Tcdvra (? als Object zu ouXVjo. unverständlich, rdvxa hcisst sonst adverbial
wohl: zu jeder Zeit, in jeder Hinsicht: s. Ach. Tat. p. 98, 24; 488, 22 ed.
Herchcr, Xen. Eph. p. 852, 47; 864, 29; 393, 32. Sollte es hier heissen
können: auf jeden Fall?) iv Ai^uT^M* »aTaX-Zj^J^etv. AW)y^* ^' aixiv elc raOra
iXicU 8üOTuyf|C.
2) p. 377, 7 heisst es ganz trocken vom Habrokomes: ^Trtßok oxd^ou;
Mifi'zo rfyi in 'kaXtac, A; dxel rcja^fjirvöc ti TtcprAvÄcla?. Warum er diese,
die er doch bis dahin in Aegypten suchte, nun plötzlich in Ualien ver-
muthet, ist unbegreiflich. Er wird nun zunächst nach Sicilien abgelenkt,
aber er beharrt bei seiner Vorstellung, Antheia müsse in Italien sein (wohin
sie denn auch mittlerweile , ohne sein Wissen , wirklich gebracht worden
ist), und geht richtig dorthin ab p. 887, 2 — 7.
— 400 —
Beiden in Aegypten, trotz der erst kurz vorher in Citicien ge-
schlossenen Bekanntschaft, keins das Andere wiedererkennt^).
Man ist froh, wenn endlich alle Personen, statt so blind-
lings hinter einander herzulaufen, durch den blinden ZubU
[gleichzeitig nach Rhodus geführt werden; worauf dann die
Marionetten in den Kasten gelegt werden können.
Es sind in der That blosse Marionetten, welche dieser
stümperhafte Poet vor uns tanzen lässt. Das liebende Paar
selbst hat durchaus keine klar erkennbare Individualität:
sie lieben einander, das ist gewiss, aber ausser der Liebe ist
auch nicht der geringste Funke eigentlichen Lebens in ihnen 2] .
Natürlich bleiben alle ihre Erlebnisse rein Uusserlich. Einigen
anderen Personen versucht der Dichter ein wenig besonderes
Colorit zu geben : die alte Kyno wie die junge Manto sollen
die* ungezügelte Leidenschaftlichkeit der Barbaren verkörpern:
es mag bemerkt werden, wie schlecht der Dichter auf die Bar-
baren überhaupt zu sprechen ist^). Der alte friedlich träu-
mende Fischer Aegialeus ist mit wenigen Strichen nicht ganx
übel gezeichnet. Ist man dagegen schon verwundert, in dem
reichen Apsyrtus, welcher seinen Reichthum der erfolgreichen
Thaiigkeit der von ihm in Sold genommenen SeerHuber ver-
dankt, einen durchaus wohlgesinnten Biedermann kennen lo
lernen, so erregt vollends der Charakter des llippothous das
höchste Befremden. Dieser edle Räuber sieht nichts Schlimmes
darin, die unschuldige Antheia seinen Genossen zum Ziel ihrer
Pfeile darzubieten, er durchzieht weiterhin die Provinzen rau-
bend, sengend und mordend^), und gleichwohl schliesst Habro-
komes mit ihm die genaueste Freundschaft, gleichwohl gilt er
1) p. 376» 38. Dagegen bei der dritteo Begegnung, in Tarent, erkennt
Hippothous die Antheia alsbald wieder, diese aber ihn nicht: p. 394, 6. 49.
2j So heisst es denn auch p. 389, 10 vom Habrokonnes in Beiiehuog
auf die Antheia: auTt) ^dp i^^ auTcJiToü ßtov» Ttavro; xal r^; irXdvr,; t) uirilksi;.
3) Psammis will alsbald, als avdpcoico; ßdp^apo;, die angekaufte Antheia
entehren, p. 374, 31. — p. 372, 2: oetoioaipiovE; oe (p6oei ßdpßapoi. Naiv ist
CS, wie p. 348, 28 die »Barbarin« Manto ihre bestialische Natur pflicht-
niässig selbst anerkennen muss: sie sagt zur Rhode: loOi (jiev oUirric ousa
£p.i^, todt oe öpYTjC ncipaoopi^vY) ßap^dpou xal rfiixr^^hrfi,
4) p. 373, 45: ol Tcepi 'Iirnödoov - ijeoav rrjv ItX Zupla;, iröv 5 xi £|i7C0^
Xd^oiev i7ri)^ctpiov i:oio6(xcvoi ' ^v^npr^oav oe xal xöbpia; xal dv^pac dirio^poSov
ttoXXoü;.
— 401 —
auch dem Dichter, der nirgends ein Wort der Missbilligung
ttber sein Treiben äussert, für einen durchaus tadellosen Cha-
rakter: denn sonst würde die »poetische Gerechtigkeit«, die
hier im schönsten Flor steht, ihn zuletzt nach Gebtihr abge-
straft haben, während sie ihm jetzt am Ende, wo die Tugend
sich vergntiglich zu Tisch setzt, seinen Platz neben den Uebri-
gen anweist. In dem hier sich offenbarenden moralischen
Stumpfsinn des Autors darf man wohl eine Aeusserung jener
Empfindungslosigkeit ftir Recht und Unrecht erkennen, wie sie
in despotisch regierten, schlaff verwalteten, eigentlich von der
rohen Gewalt des Stärkeren geleiteten Staaten aus der täglichen
Gewöhnung an die als unabwendlich betrachtete Rohheit, Tücke
und gewaltsame Selbstsucht der Mächtigeren bei den scheu
sich duckenden Geringeren sich auszubilden pflegt.
Die Erzählungsweise des Xenophon unterscheidet sich von
derjenigen der übrigen uns erhaltenen Romanschreiber durch
eine ungewöhnliche Gedrängtheit und Knappheit. Die über-
raschendsten Ereignisse werden durchaus ohne rhetorische
Fanfaren eingeführt, vielmehr ganz trocken und schlicht erzählt;
ja an Stelle des rhetorischen Ueberflusses jener andern Autoren
nimmt man vielfach eine wirkliche Dürre des Ausdrucks und
der Darstellung wahr. Stellenweise liest sich diese Erzählung
fast wie eine blosse Inhaltsangabe einer Erzählung; fast könnte
man auf den Gedanken kommen , gar nicht einen voll ent-
wickelten Roman, sondeiii nur das Skelett eines Romans,
einen Auszug aus einem ursprünglich viel umfangreicheren
Ruche vor sich zu haben ^) . Wenn irgend Jemand einmal rich-
1) Ich meine dies ganz ernstlich. Man erinnere sieb, dass nach Suidas
das, in der uns vorliegenden Gestalt nur fü nf Bücher umfassende Werk deren
zehn gehabt haben soll. Auf diese isolirte Aussage wftre freilich wenig
Gewicht zu legen, wenn nicht in dem Werlte selbst sich einzelne Ab-
schnitte fönden, welche di^ Vermuthung sehr nahe legen, dass hier eine
ursprünglich umständlichere Erzählung bis beinahe zur Unverständlichkcit
abgekürzt sein möge. Z. B. p. 369, 24 ff. finden wir den Habrokomes
plötzlich in Tarsus, während wir vorher noch gar nicht einmal erfahren
haben, dass er auch nur nach Cilicien zurückgelangt sei (s. p. 863, 38 f.).
Man sehe ferner, wie abrupt plötzlich p. 857, 2 der Räuber Hippothous
zum ersten Mal auf die Bühne gestossen wird. Man betrachte eine Anzahl
Stellen, an welchen die, überall knappe Erzählung in wenigen Sätzen die
bedeutendsten Schicksale einer ganzen Handvoll der wichtigsten Personen
Rohde, Der griechische Roman. 26
— 402 —
tig bemerkt hat: wer ein Epos lesen wolle, dürfe so wenig
Eile haben, wie der richtige epische Dichter selbst, so muss
man gestehen dass unser Xenophon von dem epischen Geblüt,
von welchem doch auch dem Romanschreiber, als einem nahen
Verwandten des epischen Dichters, ein wenig in den Adern
kreisen sollte, allzu wenig in sich birgt. Er hat überall Eile,
er reisst uns, wie ein mürrischer Galleriediener, mit geschäfls-
mässiger Hast von einem Bilde zu dem andern, so dass uns
kaum irgendwo die so üüchtig vorüberhuschenden Gestalten
recht deutlich werden. Nur in den erotischen Partien am
Anfang der Erzählung^) verweilt er mit grösserer Liebe etwas
langer , und hier zeigt seine Erzählung eine gewisse unschul-
dig liebenswürdige Grazie und Süssigkeit, welche erkennen
lassen dass sein eigentliches Talent auf der lyrisch-idyllischen
Seite liegt. Eine weitere Probe dieses Talentes giebt er in
der anmuthigen, auch nicht ohne Anmuth erzählten Liebes-
geschichte des Aegialeus und der Thelxinoö^). Wie er frei-
völlig im Tone einer blossen Inhaltsübersicht zusammeudrängt : z. B. V 6.
Dergleichen Beobachtungen, combinirt mit jener Angabe des Saidas laffien
den Gedanken, dass uns möglicher Weise nur eine, das Ganze auf die
Hälfte des Umfangs zusammenziehende Epitome der ursprünglichea Er«
zälilung vorliege, nicht als völlig verwerflich erscheinen. Konnte nicht der
Verfasser selbst eine kürzere Gestalt seines Werkes, neben der umfangreiche-
ren, an das Licht zu stellen für zweckmässig halten? Dergleichen, von den
Verfassern selbst veranstaltete Epitomae der eigenen Werke sind im Alter-
thum durchaus nicht ohne Beispiel: so epitomirle Dionysius von Halicaroass
seine Archäologie selbst, so Pausanias und Actius Dionysius ihre Xi^i;, so
Nicanor sein eigenes Werk über Intcrpunction (s. Suidas), Thilochorus seine
Atthis (Suidas;. Wie in unserem Fall reducirte Phlegon ein eigenes Werk
in einer kleineren Ausgabe auf die Hälfte: e^parl/ev 6Xu(Airtaoac h ßißXCoic
t;', xd 0 aürd dv ßifiXtot; ri (ß' ohne hinreichenden Grund Müller, Fr. bist,
lll 603 b): Suidas.
1) I 1—9.
2) \ i, 4 — i^. — Beiläufig sei auch hier eine sonderbare Gedanken-
losigkeit des Xenophon hervorgehoben. Der Strandbewohner heisst AlytaXc^c
ohne Zweifel mit bedeutsamer At>sicht: aber man müsste in diesem Namen
geradezu eine Prophezeiung seiner Schicksale suchen, da er ja ur-
sprünglich und als er seinen Namen bekam, in Sparta lebte. Dass übrigenf
solche Anspielung auf Art und Charakter der einzelnen Personen des Romans
sich vielfach in den, vom Dichter ihnen gegebenen Namen (Antheia, Habro-
komes, Hyperanthus, Thelxino^, Kyno) erkennen lasse, bemerkt schon Lo-
cella p. S89 (zu 7t, 5) ganz richtig: diese Spielerei ist bei den erotischen
Dichtern nicht unbeliebt: sie findet sich bei Aristaenetus, bei Apulejot in
— 403 —
lieh diese, in den eigentlichen Roman völlig zusammenhanglos
hiDeingeslellte Geschichte einem alteren Erzähler entlehnen
mochte, so verdankt er auch den zarten und leidenschaftlichen
Klang jener erotischen Einleitung grösstentheils jenen helleni-
stischen Vorbildern , von denen im ersten Buche umständlich
gehandelt worden ist. In der Verbindung dieser erotischen
Malereien mit dem Hauptkörper seiner Erzählungen bewährt er
wiederum sein eigenthümliches Ungeschick. Der Vermählung
des liebenden Paares steht von Seiten der Ellern. nicht das ge-
ringste Hinderniss im Wege; wenn uns dennoch der ganze
Apparat einer verzweifelt unglücklichen, aussichtlos sich sehnen-
den Liebesleidenschaft vorgeführt, und den Eltern erst durch
den allwissenden Gott der rettende Gedanke eingegeben wird:
so erkennt man freilich die Absicht, um jeden Preis die
erotische Leyer voll ausklingen zu lassen, deutlich genug.
Von solchen wenig zahlreichen Ausnahmen abgesehen,
trägt Xenophon seine Erzählung zumeist mit der Trockenheit
und Knappheit eines Registers vor. Sein Buch bildet hierin
einen sehr merklichen Gegensatz zu den weiterhin zu betrach-
tenden Romanen des Ueliodor, Achilles u. A. Dem Xenophon
kommt es viel weniger auf die kunstreiche Form der Darstel-
lung als auf den Inhalt an, welchem er nach Kräften den
grössten Reichthum, die bunteste Mannichfaltigkeit zu geben
sucht. Muss ein solches Ueberwiegen des stofflichen Interesses
überhaupt für das Kennzeichen einer sehr niedrigen Stufe un-
entwickelter Kunst gelten, so mag man in unserm Falle eben
bierin ein weiteres Anzeichen einer etwas früheren Zeit des
Xenophon erkennen; er steht noch mehr auf der Seite des
Antonius Diogenes als auf derjenigen des vollentwickeltcn sophi-
stischen Romans. Gleichwohl wird man auch ihn sich als
den Metamorphosen (s. meine Sctirift über Lucians 'O'vo; p. 16), bei Cha-
riton, auch wohl schon bei hellenistischen erotischen Dichtern (Dilthey de
Call. Cyd. p. ki. p. 4 20 f.) und sonst ja häufig. Allen voran ging Vater
Homer, bei welchem viele unter den frei erfundenen Personen 6vo|i.a^Tixd<
benannt werden, wie Aristarch mehrfach notirt hatte (s. Lehrs, Aristarch.
ed. I p. 274). — (Ganz naiv sagt, in Nachahmung solchen antiken Gebrauchs,
Boccaccio in der Einleitung zum Decamerone: per ciö, acciö che quello
che ciascana dicesse senza confusione si possa coroprendere appresso, per
nomi alle qualitä di ciascuna convenienti o in tutto o in parte intendo di
aominarle).
26*
_ 404 —
einen Rhelor zu denken haben: kaum wagte wohl in jenen
Jahrhunderlen irgend ein Laie sich in das Gebiet der »schönen
Litteratur« , welches nun einmal der Rhetorik als ihr eigenstes
Eigenthum zugefallen war. Es fehlt auch in seiner Erziihiung.
welche meistens mit dem schlichten Botengang , wie* er sonst
wohl populüren »Volksbüchern« eigen ist, geradeswegs auf ihr
Ziel zuschreitet, nicht völlig an allerlei rhetorischen Seiten-
sprüngen und Abschweifungen. Hie und da giebt es patheti-
sche Schilderungen (z. B. bei dem Ueberfall des SchiflFes durch
die Seeräuber ^)), vielfach gefühlvolle Monologe oder Duette der
unglücklichen Liebenden ^/ , es fehlen auch die knappen , fein
gedrechselten Briefchen 3) nicht ganz, in denen die andcra
Romanschreiber ihre rhetorische Kunst besonders zu zeigen
lieben; einmal versucht sich der, sonst mit Beschreibungen
ungemein karge Dichter auch, und nicht ohne Glück, in der
zierlichen Beschreibung eines kostbaren babylonischen Zelttep-
pichs ^j. Aber alle dergleichen rhetorischen Kunstleistungen
treten doch , dem Raum und der Bedeutung nach , in diesem
Romane sehr zurück vor der einfachen unverblümten Erzäh-
lung des rein Thatsächlichen. Dieser schlichteren Haltung ent-
spricht auch die Sprache des Autors. Auch hier fällt, zumal
im Gegensatz zu der Manier des Achilles Tatius , Longus u. A.,
die Abneigung gegen die rhetorische Phrase auf. Xenophon
bewegt sich durchaus in der schmucklos einfachen, sorglosen,
ja bisweilen nachlässigen, Redeweise des gewöhnlichen Lebens,
welcher sonst die Rhetoren jener Zeit stolz und vornehm aus-
weichen. Man bemerkt keine sonderliche Aufmerksamkeit auf
die » attische a Reinheit des Ausdruckes, vielmehr fallt eine An-
zahl wenig correcter, zum Theil aus unserer sonstigen Kennt-
niss der griechischen Sprache nicht weiter zu erhärtemder
Wörter und Wortformen, sonderbarer Gonstructionen, seltsamer
1) I U, S ff. Vgl. auch den sehr umständlich geschilderten Abschied
des Paares von Ephesus: 1 40, 6 iT. u. s. w.
2) Ausser den erotischen Partien im Anfang vgl.: 1 41, S fT., II 4.
II 7. 8, II H, 4. 5, III 5, 2 ff., III 6, 5, 111 8, III 40, «. 8, IV 6, 6 f..
V 4, 4J, V 6, 5, V 8, 8 f., V 8, 7 ff., V 40, 4 f., V 44.
3) p. 350, 20; 354, S; 357, 6.
4) I 8, 2. 8. Vgl. F. Matz, De Philostrator. in describ. imag. fide
p. 44.
— 405 —
Verwendung wohlbekannter Wörter zu sonst ungebräuchlichen
Bedeutungen auf^). Alle diese Abweichungen vom classischen
Sprachgebrauch treten bei Xenophon mit voller Unbefangenheit
auf: man merkt wohl, dass der Autor sich gar nicht bewusst
ist, wie gröblich er versjösst gegen das oberste Gebot der Rhe-
torik seiner Zeit, welches durchaus verlangte , dass man rede
»wie ein Buch«, nämlich wie die nur noch in Büchern leben-
dige Sprache eines längst vergangenen Alterthums. Es ist
häufig hervorgehoben worden, dass in diesen späten Zeiten ein
mehr oder weniger classisch reiner Ausdruck bei griechischen
Autoren lediglich grösseren oder geringeren Fleiss, mehr oder
minderes Talent, in der Aneignung einer thatsächlich todten
1) Hierfür einige Beispiele per saturam. ^SioTopcTv t?jv tt^Xiv »betrach-
ten« p. 344, 3S (vgl. Locella p. 4 68 f.); tö 7p^(A|i.a (so die Hs.) p. 350, 29
»der Brief«, (vgl. Steph. Thes. s, v.) ; ebenso p. 350, 17 fpa\i\ui'zio^ (so die
Hs.) ; ^uoooTreTv TiNa : Jemanden erschrecken, p. 877, 19 (s. Lobeck ad Phryn.
p. 490); iauTov dxSixetv p. 350, 26 (s. Steph. Thes. s. ixh.) ; d^a^tv* ei;
S<^ii^ p. 854, 4 7 (so die Hs. : vgl. Steph. Thes. s. ^»^^i;) ; iraf»' Ixaoxa p. 364,
47 SS kxd^xoTZ (s. Locella p. 224) iTziympia p. 329, 3 : so die Hs. ; vgl»
dva^a p. 392, 9 (s. Lobeck Paralip. 468), BaßuXcnvCa p. 336, 24 (und 352,
22?); 5iV)Y7)fAa = Erlebniss p. 362, 24; 377, 3; 394, 23 (die Herausgeber
verweisen auf Hemsterhus. ad Thom. Mag. p. 236). Für alle diese und
ähnliche Dinge lassen sich Beispiele aus anderen spätgriechischen Autoren
beibringen (auch, wenngleich erst aus Theophylactus Simocattes, für den
transitiven Gebrauch von ouvouoidCeiv [p. 353, 29] : s. Lobeck zu Soph. Aj.
p. 384 [ed. II] citirt in Steph. Thes. s. v.); anderes scheint ganz ohne wei-
teres Beispiel zu sein. So iizXa'ppai xivo; p. 897, 3 ; dTzt^feX(s%ai p. 392, 2
(so die Hs. Von den vorgebrachten Aenderungvorschlägen würde wohl
Struves dlvTe^Tj^. [s. Steph Thes. s. d^t^f.] bei Weitem den Vorzug ver-
dienen ; ich sehe aber keinen hinreichenden Grund, dieses Wort ganz aus-
zurotten : andere Composita mit dir- e^- weisen die Lexica aus späten Scri-
beuten nach); t^i^X-q die Nebenbuhlerin p. 355, 49 (vor willkürlichen Aen-
derungen geschützt durch Aristacnetus I 25 p. 4 55, 4 4 ed. Hercher, wo
man jetzt zwar C'')X'r)fJiova liest, CtjXtjv aber, mit vielem Anderen von Aristae-
netus aus Xenophon entlehnt, in der Hs. steht, [vgl. C'^jXa * cpOövo; gloss.
Graecobarb. Ducange Gloss. med. et inf. Graec. s. v.]) — Der scharfe
Unterschied welcher p. 367, 27. 82. zwischen vuiicpt] (sonst meist die
junge Frau, hier aber nothwendiger Weise: die Braut) und pvV) gemacht
wird, ist wohl nicht auf classischem Sprachgebrauch begründet. So scheidet
aber auch Hei iodor genau zwischen v6|i.(pT] (avtjSti^ fa[keTf\: Aeth. p. 204, 28*
143, 5; 246, 6. 23. 32 (ed. Bekker.) — pvaixa (Rofiai »ich werde dir eine
Frau zuführen« p. 354, 22 mit sehr selten vorkommender Anwendung des
Medium.
— 406 —
Buchersprache, «allenfalls auch mehr oder weniger günstige Ge-
legenheit zu rhetorisch- grammatischen Vorstudien, endlich
stärkeren oder schwächeren Einfluss gewisser landschaft-
lich-besonderer Verkrüppelungen des altgriechisehen Idioms
erkennen lasse, ftlr die Zeit der einzelnen Scribenten dagegen
nur ein sehr zweifelhaftes und, wenn es ohne weitere Unter-
stützung auftritt , geradezu gar kein Anzeichen hergebe. Es
wäre aber endlich Zeit, nach dieser hinreichend begründeten
Einsicht nun auch zu handeln , und sich bei der Bestimmung
des Zeitalters spcUgriechischer, chronologisch nicht genau zu
fixirender Schriftsteller nicht durch die Machtsprüche einiger
Gelehrten verbluß'en zu lassen , welche lediglich nach dem
Maassstabe eines reineren oder gelrUbteren Atticismus die Zeit
solcher Schriftsteller festzustellen unternehmen. Man erschwert
sich durch ein solches sunmiarisches Verfahren *) nur die Er-
kenntniss der einzelnen Stadien in der allmählichen Verwitte-
rung der Züge des einst jugendlich blühenden Antlitzes der
griechischen Sprache, wiihrend gerade solche, gelegentlich hinter
der Zeihen Schminke classisch antiken Ausdrucks hervortretende
natürliche Züge einer alt gewordenen Sprache im Einzelnen
lehren können, was ja im Allgemeinen Niemand bezweifelt, wie
früh der, durch die Litleratursprache jener Zeit künstlich ver-
steckte Verfall in der unbefangeneren Sprache des täglichen
Lebens begann, und wie emsig er im Verborgenen fortwühlle.
So genügen denn auch bei Xenophon die mannichfachen Incor-
rectheiten des sprachlichen Ausdrucks ganz gewiss nicht, um
ihn unter Heliodor oder gar unter Achilles Tatius herunter zu
drücken, sondern sie lassen nur seine mangelhaftere rhetorisch-
stilistische Ausbildung erkennen. — Sonderbar stechen übri-
gens von seinem sonst bis zur Dürre schlichten Ausdrucke
einzelne wenige fast poetische Wortbildungen ab ^j ; man könnte
1) Vor einem summnrischcn Verfahren in solchen Zcithestirumungeo
nach dem Spnichgchrnuch als einem mindestens noch verfrühoten y^'^ni
sehr richtig z. B. Lobeck Agiaoph. p. 36i ; und wer hatte dazu ein besseres
Recht als der Commcntator des Phrynichus?
2) Z. B. TJVava^^p-TjveTv p. 362, 35, wohl auch cuoatfi.o9uvT] p. 345, Si; '
vüv dD.Tjftfi); }jL£[jia^,xa 2x1 Ipco; diXr,ftivo; Zpov f,Xixia; (t)Xix(av cj. : Hemsterb.)
o'jTn tfZK, p. 884, 28 »dass die Liebe nicht in der Lebenszeit ihre Grense
lindol«, io weichem Sinne TjXtxla (anders als das lateinische aetas) sonst
wohl nicht gebraucht wird.
— 407 —
vermuthen , dass dergleichen Verzierungen ihm aus emsigerer
Beschäfligung mit der Dichtung in gebundener Rede geläußg
waren : wenigstens bezeugen einige in seine prosaische Erzäh-
lung eingeschobene Verse, dass er sich nicht ungern in Hexa-
metern reden hörte ^). Im Uebrigen darf man nicht befürch-
ten, dass er sich vom dichterischen Taumel leicht über die
Ebenen der gewöhnlichsten Prosa emporreissen lasse. Viel-
mehr ist er froh, mit einigen stets wiederholten durchaus haus-
backen prosaischen Redewendungen gerade über die poetisch ge-
hobeneren Stellen seiner Erzählung hinwegschlüpfen zu können ^j;
und so zeigt sich die Armuth dieses wirklich bornirten Kopfes
überhaupt in dem dürftigen Vorrath stereotyper Formeln und
Ausdrücke, mit welchen er zumal in den Uebergängen von
einem Abschnitt der Erzählung zum andern die Verbindungs-
brücke zu schlagen pflegt. 3).
1] I 6, 8; III 2, 43; p. 385, 4 6. (Bemerkenswcrlh sind die kühnen
Neubildungen I 6, 2 : XiQTroSlancToc, (Ai^o^dXaaao;.)
2) Z. B. werden heftige Erregungen des GcmUthes stets mit Floskeln
abgethan wie diese: ttoXXA ajjia dwoöv — , d[va{x(?aaa Trdtvra — , Iwoia oe
T^dvTCDV duTov el;T)p)^eTo — xoretye o* auTou; iroXXd ajxa TtdOt] — u. s. w.,
worauf dann einfach ein Katalog der verschiedenen Stimmungen und Leiden-
Schäften folgt, und die Sache abgemacht ist. Vgl. p. 340, 9; 351, 7;
864, 86; 374, 8; 372, 30; 397, 49; 380, 46. — Eine Aufgabe war es, die
verschiedenen Arten der Liebcsleidenschaft, welche Antheia allen ihr begeg-
nenden Männern einflösst, und deren, je nach dem Charakter der Einzelnen
verschiedenes Entstehen zu nüanciren. Bei Xen. geht das sehr einfach ab:
man verliebt sich jedesmal ix TcoXXiJc t9)c %i%^ i^pipav ^'Leu;, ix Tffi auvr,-
&OUC oiairrfi, U. s. w. : p. 344, 48; 848, 43; 358, 48; 377, 25.
3) Der Sprung von den Schicksalen der einen Person zu denen einer
anderen wird fest stets durch ein: £v toutoi eingeleitet: p. 345, 9; 347, 48;
884, 44; 357, 4; 377, 4; 352, 7; 366, 44; 364, 44; 393, 24; 394, 8; 896,
S2. Aehnliche Armuth bei Einführung einer neuen Person. Da heisst es
regelmässig wie p. 372, 20 : (dliveiTai tov 'Aßpox6[j.T]v n^gfs^(nrfi oxpaTidkrjc)
"Apaco; Touvopia. oütoc 6 "Apajoc xtX. : s. Hercher erot. 1 p. LIV (zu
p. 358, 4 4.) — Wenn ein angesehener Mann auftritt, wird seine Stellung
bezeichnet, wie mit einem unabänderlichen Titel, mit den Worten: x&v xd
npaära dxel ^uvapiivoiv: so p. 329, 4 ; 360, 44; 360, 29; 376, 6. — Im höchsten
A£fect heisst es stets von der aufgeregten Person (toiv roS&v) npoOxu-
XCcTo; so p. 858, 4; 366, 3; 368, 29; 397, 28. — Soll gesagt werden, dass
Jemand etwas nicht ohne Mühe tbut oder vollbringt, so heisst es stets:
(i>v7}^cic eioeX^eiv, E'jv7]^eiaa h Ta^tj> piot '^£^i9%ai u. s. w. : p. 852, 26;
860, 24; 362, 6; 380, 29; 383, 24. — Noch sei einer gewissen Armuth des
Xen. im Gebrauch der Partikeln gedacht; er kennt nicht xal— ^ (Hercher
— 408 —
3.
Neben den Ephesischen Geschichten des Xenophon findet
ein Roman am schicklichsten seine Stelle, welcher, wiewohl nur
in lateinischer Verkleidung uns tiberliefert , dennoch in einer
Geschichte des griechischen Liebesromans eine kurze Er-
wähnung beanspruchen darf. Ich meine die »Geschichte
des Apollonius von Tyrus«, jenes so wohlbekannte, durch
vielfältige Uebersetzungen den meisten Nationen des Mittelalters
angeeignete Volksbuch, dessen iilteste uns erreichbare Gestali
in lateinischer Sprache man allgemein, nach dem Vorgange des
zweiten Herausgebers (M. Velser 1595), für die Uebersetzung
und Ueberarbeitung eines ursprünglich griechisch geschriebenen
Romans zu halten geneigt ist').
Wir werden auch hier gut thun, zunächst den wesent-
lichen Inhalt jenes merkwürdigen Büchleins der Erinnerung
wieder vorzuführen.
Der König Antiochus, in d<^r nach ihm benannten Stadt Antiochia
residircnd, lebt in verbrecherischem Liebcsbündniss mit seiner eigenen
Tochter. Um von dieser andere Freier fernzuhalten, giebt er jedem
Bewerber ein Käthsel auf; alle welche dieses nicht zu lösen ver-
mochten, und bisweilen auch solche, denen die Lösung gelungen
war, wurden enthauptet und ihre Kopfe, zur Warnung des Für-
witzes, über dem Thor des Schlosses aufgehängt. Unter zahlreichen
anderen Prinzen und iierren kommt auch Apollonius aus Tyrus »der
Vorr. zu p. 329, 9), nicht -youv (Herch. Vorr. za p. 846, 4t), wiewohl -yi
(Herch. Vorr. zu 386. 4 6). Hat Jemand geredet und es soll angegeben
werden was er weiter Ihat, so wird hei Xen. dies Weitere regelmässig
durch ein etTtdbv, X^^ousa u. dgl. aber oline hinzugesetzte Partikel einge-
leitet. (S. Hercher Vorr. zu p. 337, 89.)
1) Ich verweise für alle hier nicht zu erörternden litterarischen und
bibliographischen Puncto auf die Ausgabe der liisloria Apollonii regis Tyri
von AI. Riese (L: 1871) und auf Teuffels Gesch. d. röm. Lit. § 48«. —
Mittelalleriichc Bearbeitungen: Grösse, Allg. Litcrürgesch. II 3, 457—460.—
Als ein Beweis für die grosso Beliebtheit der Geschichte möge noch an-
gemerkt werden, dass in der Vilkinasaga dem König Artus von Bertangaland
zwei Söhne gegeben werden, Iron und Apollonius. von denen der Zweite
von Altila zum Jarl über Tira eingesetzt wird. (P. E. Müller, Sagabibl.
II 209, übersetzt von Lange;. In diesem Apollonius \on Tira (dessen
Schicksale im Uebrigen keine sonderliche Achnlichkeit mit denen des Ro-
manhelden zeigen) hat man mit Recht eben jenen Apollonius Tyrius des
Volksbuches wiedererkannt.
— 409 —
erste Mann in seiner Vaterstadt« nach Antiochia; er löst das ihm vorge-
legte R'äthsel, in welches der König sein eigenes ruchloses Bündniss
mit der Tochter verhüllt hatte, wird aber dennoch von dem schänd-
lichen König abgewiesen, ja mit dein Tode bedroht. Er fahrt eilends
nach Tyrus zurück, rüstet dort ein Schiff mit Getreide und vielen
Kostbarkeiten aus und fährt in der Nacht ins Meer hinaus. Ein ihm
von Antiochus nachgeschickter Sklave trifft ihn bereits in Tyrus nicht
mehr an: er kehrt unverrichteter Sache zum König zurück, und
dieser verheisst grosse Belohnung demjenigen der ihm den Apollonius
lebendig oder todt ausliefere. Während man ihn nun überall sucht,
kommt Apollonius nach Tarsus in Cilicien. Ein Landsmann, Helle-
hicus, unterrichtet ihn dort von dem Edict des Königs; ein Bürger
der Stadt, Stranguillio , den er um ein Versteck in Tarsus angeht,
berichtet ihm von einer Hungersnoth, die in der Stadt wüthe ; Apol-
lonius überlässt grossmüthig den Bürgern einen Theil des Getreides
welches er mitgebracht hat, zum Einkaufspreise. Zum Dank errichten
die Bürger ihm ein ehernes Standbild auf dem Markte. Nach einiger
Zeit fährt Apollonius nach der Cyrenäischen Pentapolis ab. Ein See-
sturm zertrümmert das Schiff; Apollonius, allein von der gesammten
Mannschaft, wird lebend bei Cyrene ans Land geworfen. Ein alter
Fischer begegnet ihm, bewirthet ihn unter seinem ärmlichen Dache
und bekleidet ihn mit der Hälfte seines eigenen Gewandes. Von
dem Fischer zurechtgewiesen geht Apollonius in die Stadt ; im Gym-
nasium erfreut er den mit grossem Gefolge anwesenden »König jenes
ganzen Landes«, Archistrates, zuerst durch gewandtes BallspieP],
dann durch geschickte Handreichung beim Bade. Der König zieht
ihn zur Tafel; die Königstochter, welche in den Saal tritt, um die
Gäste zu begrüssen, veranla^sst den unbekannten Mann, seine Schick-
sale zu erzählen. Als sie, auf Geheiss des Vaters, die Gesellschaft
durch Gesang zur Lyra erheitert, spricht Apollonius nur ein beding-
tes Lob aus, dessen Berechtigung er alsbald durch eigene mimische
und musikalische Vorträge beweist^). Auf Bitten der Tochter behält
1) p. 47, k — 7. Die hier angedeutete Art des Ballspiels ist, wie es
scheint, die £ic(9xupoc genannte, weiche Pollux IX 404 schildert (vgl.
Eastath. Od. VllI 37 p. 4601, 35 Rom. Schol. Plat. p. 358 Bekk.), viel-
leicht auch das, nur keinesfalls mit dem dTt^axupoc zu identificirende, har-
pasta genannte Ballspiel (über welches vgl. Marquardt, Rom. Alt. V 2, 425).
2) c. XVI p. 20, 7 R.: egressus foras Apollonius induit statum, Co-
rona Caput decoravit et accipiens lyram inlroivit triclinium cet. Vor statum
setzt Riese ein Kreuz, zum Zeichen der Corruptel, ein. Es scheint einfach
ein Adjecliv zu fehlen: wie gleich nachher Apollonius statum comicum
und sodann (statum) trag ic um anlegt, so hier vermuthlich statum lyri-
cum. Status muss in diesem Zusammenhang nicht oy^fxa, wie sonst wohl,
sondern oxeu-^ bedeuten sollen. Status lyricus wäre also jenes bekannte
Festcostüm der Kitharoeden : ein lang fliessendes Gewand u. s. w. Vgl.
beispielsweise Dionys. Byz. anapl. Bosp. p. 4 7, 4 0 (ed. Wescher] , vom
— 410 —
Archistrates dea Fremdling bei sich ; derselbe unterrichtet die Priii-
zessin in der Musik. Eines Tages trifft der König, mit Apollomus
auf dem Markte umherwandehid , drei vornehme Jünglinge, welche
um seine Tochter anhalten. Er schickt den ApoUonius mit einem
Briefe, welcher die Namen der drei Bewerber und die Summe des
von einem Jeden verheissenen Brautkaufgeldes enthält, zu der Tochter:
sie solle aufschreiben, welchen sie wähle. Sie wählt statt aller An*
deren den langst geliebten ApoUonius, und der König verbindet die
Beiden zur glücklichsten Ehe. . Nach einiger Zeit erfährt ApoUonius
von einem tyrischen Schiffer, dass Antiochus mit seiner Tochter vom
Blitze erschlagen sei, die Herrschaft aber ihm, dem ApoUonius, auf^
bewahrt werde. Um sein Reich einzunehmen, fährt Apolionius ab,'
von seiner Gattin begleitet. Auf dem Meere gebiert diese eine
Tochter, sinkt aber alsbald selbst wie todt um. Da an Bord eines
Schiffes keine Leiche geduldet wird, lässt der trostlose ApoUonius
den Leichnam seiner Gemahlin in einen wohlverschlossenen Kasten
legen und ins Meer werfen. Am dritten Tage wird der Kasten bei
Ephesus ans Land getrieben; ein Arzt, Chaeremon, findet ihn; schon
will uian den Leichnam im Feuer bestatten , da kommt ein Schüler
des Chaeremon darüber zu, bemerkt noch Leben in dem staireB
Körper und belebt endlich die Scheintodte. Auf ihre Bitten wird sie
unter die keuschen Priesterinnen der Artemis aufgenommen. — Apol-
ionius kommt nach Tarsus, übergiebt seine kleine, Tochter und deren
Auuue Lycoris dem Stranguillio und dessen Frau Dionysias, und fährt
wieder ab, nach Aegypten. Die Tochter, Tharsia benannt, wird in
Tarsus erzogen. Als sie da^^ vierzehnti^ Jahr erreicht hat, erfährt
sie von der sterbenden Lycoris ihre Herkunft und die Namen ihrer
Aeltern. Dionysias, wegen der Hässlichkeit ihrer eigenen Tochter
auf die schöne Tharsia ergrimmt , beauftragt einen • ihrer Sklaven,
einen Gutsverwalter, die Tharsia zu ermorden. Der lauert iiir auf,
wie sie, ihrer Gewohnheit nach, aus der Schule kommend, zu dem
Grabmale , welches sie der Lycoris am Meerosufer errichtet bat,
geht; er packt sie, verstattet ihr aber noch eine kurze Frist, um
Gott anzurufen. Da erscheinen Piraten, vertreiben ihn und entführen
die Tharsia. Der Sklave meldet der Dionysias, Tharsia sei todi;
diese heuchelt heftigen Schmerz und errichtet, dicht neben dem-
jenigen der Lycoris, der Tharsia ein Grabmal. — Die Piraten landen
in Mitylene und \ erkaufen die Tharsia an einen Bordellwirth. Sie
weiss aber ihre Ehre zu bewahren, indem sie die Besucher durch
nehentliche Bitten rührt, so dass sie ihrer schonen und ihr doch
das Geld auszahlen das sie ihrem Herrn übergeben muss. Athena-
goras, »der Erste in jener Stadt <s nimmt sich ihrer besonders an. —
Mittlerweile war ApoUonius, nach Ablauf von vierzehn Jahren, wieder
nach Tarsus gekommen; dort erfährt er durch Dionysias von dem
Kitharoeden Chaicis: 67r6T€ tt^v 9xeuV)v dit.i:ioyi^6^tsoi t^v 5p%iov dtioM
— 411 —
angeblicheD plötzlichen Tode der Tharsia; er besucht ihr Grabmal
und fährt wieder ab, im untersten Schiffsraum liegend und einsam
trauernd. Statt nach Tyrus, wohin die Fahrt gerichtet war, wird
das SchiflF nach Mitylene verschlagen. Man feiert dort gerade die
Neptunalien. Apollonius verstattet der Mannschaft mitzufeiern. Athe-
nagoras, welcher, am Hafen wandelnd, das schon geschmückte Schiff
lobt, wird von der Mannschaft zu ihrem Gastmahle geladen. Er
nimmt die Einladung an, vermisst den Herrn des Schiffes, und, als
er hört, dieser, mit Namen Apollonius, liege trostlos und theilnahm-
los im untersten Räume , um seine Tochter trauernd , steigt er hin-
unter, um ihn zur Theilnahme am Feste aufzufordern. Vergebens.
Da sendet Athenagoras (dem die Gleichheit des Namens dieses Schiffs-
berrn und des Vaters der Tharsia bereits aufgefallen war) zu dem
Kuppler, um die Tharsia holen zu lassen. Auf sein Geheiss steigt
sie zum Apollonius hinunter und versucht ihn durch Gesang (in wel-
chem sie ihr eigenes Schicksal andeutend enthüllt) zu trösten. Apol-
lonius aber schickt sie , reich belohnt , wieder fort. Vom Athena-
goras ermuthigt, steigt sie abermals hinunter, giebt dem Apollonius
sein Geld zurück und versucht ihn durch eine Reihe von R'athseln
zu unterhalten ; Apollonius findet zu allen die Auflösung. Als er .sie
nun dennoch gehen heisst, umfängt sie ihn und versucht ihn aus
seinem Versteck hervorzuziehen. Er stösst sie zurück , so dass sie
zu Boden fällt. Weinend beklagt sie ihr unglückliches Schicksal,
und nun endlich erkennt, nach der Aufzählung ihrer einzelnen Er-
lebnisse, Apollonius seine Tochter: der Kuppler wird nun von der,
an dem Geschicke des Apollonius theilnehmenden Bürgerschaft ver-
brannt; dem Apollonius, der die Stadtgemeinde reich beschenkt, wird
ein Standbild errichtet; Tharsia wird dem Athenagoras zum Weibe
gegeben. Durch ein Traumgesicht aufgefordert, fährt Apollonius mit
Tochter und Schwiegersohn nach Ephcsus und trägt im Artemis-
tempel, in Anwesenheit der Priesterinnen, vor dem Bilde der Artemis
seine Erlebnisse vor. Seine Gattin erkennt ihn wieder; die ganze
Familie fährt nach Antiochia. Dort nimmt Apollonius das ihm zuge-
fallene Reich ein : dann geht er nach Tyrus und setzt dort Athena-
goras zum Könige ein, weiter nach Tarsus, wo Stranguillio und
Dionysias ihrer schändlichen Absicht überführt und vom Volke ge-
steinigt werden (während der Sklave, auf Bitten der Tharsia, frei
ausgeht) . Zuletzt fährt die Familie nach Cyrene ; der alt« König
Archistrates stirbt beglückt in den Armen der Seinen : der arme
Fischer wird reich belohnt, so auch Hellenicus. So herrscht denn
Apollonius über Antiochia , Tyrus und Cyrene ; in glücklicher Ver-
einigung mit seiner Gattin erreicht er ein Alter von 74 Jahren.
Seine eigene und der Seinen Erlebnisse aber hat er selbst beschrie-
ben, und je ein Exemplar dieser Erzählung zu Ephesus im Tempel
der Artemis und in seiner Bibliothek aufstellen lassen.
— 412 —
9
Nach dieser Ueborsicht des Inhalts wird den Lesern un-
serer zusammenhangenden Betrachtung der griechischen Roman-
litteratur ohne Weiteres kh^r sein, wie richtig Diejenigen ur-
theillen , welche in dieser Erzählung durchaus die Manieren
des sophistischen Romans wiedererkannten. Der ganze Kreis
der Abenteuer ist derselbe in welchem, mit einziger Ausnahme
des Longus, alle diese Romanschreiber mit ermüdender Beharr-
lichkeit ihre Helden umherhetzen. Es ist aber, tlber den all-
gemeinen Romanapparat der Piraten, Seestürme, Scheintodten,
Traumgesichter u. s. w. hinaus, noch eine ganz besonders nahe
und sicherlich nicht aus reinem Zufall erklärbare Verwandt-
schaft dieser Erzählung mit der Dichtung des Xenophon zu
bemerken und gelegentlieh auch schon bemerkt worden*).
Wichtige Ilauptlinien der Erzählung sind beiden Romanen gc-
meinsim) : so die Verheirathung des Paares gleich beim Beginn
der Abenteuer statt, wie bei den meisten übrigen Romanschrei-
bern, am Ende des Ganzen , die beabsichtigte Ermordung der
Heldin durch einen, von der eifersüchtigen Herrin beauftragten
Sclaven; das Mitleid des Mörders, die Rettung der Unschuldi-
gen, ihre Verhandlung an einen Kuppler, die Bewahrung ihrer
Reinheil in dem schdndlichen Hause; die endliche Wieder-
erkennung der in einem Tempel zusanmientreffenden Lieben-
den durch das abgeschmackteste Mittel , eine Aufzählung der
eigenen Abenteuer im lauten Selbstgespräch. Auch untergeord-
nete Züge zeigen eine mehr als zufällige Aehniichkeit : die Auf-
nahme des ApoUonius bei einem alten Fischer in der Nähe von
Cyrene erinnert an den Aufenthalt des Habrokomes bei jenem
syracusanischen Fischergreise; vermuthlich reizte die idyllische
Heimlichkeit eines solchen Bildes genügsamer Armuth zur Nach-
ahmung. Die Gattin des ApoUonius wird für die Artemis selbst
gehalten, nicht anders des Xenophon Antheia^). Sogar in der
Kürze und Trockenheit der E rzä h hm gs weise könnte man, der
Breite und pathetischen Fülle in der Vortragsart der übrigen
Romanschreiber eingedenk, vielleicht eine Gemeinsamkeit der
Manier beider Erzähler erkennen. Ja , bis auf einzelne Lieb-
lingswendungen hinunter könnte man die beiden Dichter ge-
1) Die Aehniichkeit mit Xenophons Erzählung wird kurz angedeutet
von W. Meyer, Sitzungsber. der Münchener Akad. phil. Cl. 4 872 p. 8.
2) Ap. Tyr. p. 6«, 13. Xen. p. 331, \%.
— 413 —
meinsame Bahnen gehen zu sehn vermeinen. ^) So vielfache
und genaue Uebereinstimmung erklärt sich nur, wenn man den
einen dieser zwei Schriftsteller geradezu als einen Nachahmer *
des Andern anerkennt; es bleibt freilich einigermaassen un-
gewiss, welchen man für den jüngeren und somit für den
Nachahmer des Andern zu halten habe, wiewohl kaum irgend
Jemand widersprechen würde wenn man dem Xenophon die
Priorität der Zeit und der Erfindung zuspräche.
Mit all diesem ist noch nicht gesagt, dass der Verfasser der
Geschichte des Apollonius ein Grieche war und griechisch seinen
Roman zuerst geschrieben habe. Es bliebe ganz wohl denk-
bar dass irgend ein lateinisch redender Zeitgenosse der spät-
griechischen Sophistik in seiner eigenen Sprache eine Nach-
ahmung griechischer Vorbilder der erotischen Romandichtung
gewagt habe. Wenn ich dennoch, gleich anderen Gelehrten,
mich der hergebrachten Ansicht zuneige und die uns vorlie-
gende lateinische Fassung der Geschichte des Apollonius nur
für eine Uebersetzung eines griechisch geschriebenen Romans
halten möchte, so bewegen mich, unter den Gründen welche
der jüngste Herausgeber^) für eine solche Ansicht vorgebracht
hat, weniger die nicht sonderlich deutlichen und tiefen Spuren
graecisirender Redeweise, welche derselbe in dem lateinischen
Texte erkennen will, als der ebendort gelieferte Nachweis einer
doppelten Schicht griechisch -heidnischer und christlich-
lateinischer Vorstellungen, Lebensgewohnheiten und Redewen-
dungen, welche in diesem Roman so völlig gesondert und un-
vermischt über einander liegen wie etwa in einem Palimpsest
die groben Züge einer christlichen Mönchsfaust über den edlen
1) Uebergänge mit is To6Tt|> bei Xen. : s. oben. So »inlerea« bei Ap.:
p. 83, 44; 33, 44; 38, 49. — irpox'j>a6(iievo; tcuv ro^cuv im Affect, oft bei
Xen. : s. oben. So in pathetischen Situationen im ApoUoniusroman häufig :
genibus tuis provolutus, proslrata pedibus ejus u. s. w. : p. 46, 4 ; 39, 2S;
40, 43; 44, 46; 43, 5; 58, 4 7. — Beweis grossen Wohlwollens: iraiSa;
ivöfAiCsN eauToO U. U. : Xen. p. 355, 8; 380, 9; 372, 26. Apoll, p. 32, 4 0
adoptavil sibi filiam ; p. 44, 3: custodiebal ac si unicam suam filiam. —
Der Uebergang von der fröhlichen Hochzeit zu weiteren Abenteuern (Ap.
p. 26, 24 ; Xen. p. 338, 23 (T.) mit ähnlich kurzen Worten. — Bemerkens-
werthe Sorgfalt für das Bcgräbniss, wie bei Xen. (s. oben), so auch bei
Ap. : p. 29, 8; 30, 44; 35, 43; 38, 44.
2) Riese in der Vorrede zu seiner Ausgabe p. XI— XIII.
— 414 —
halbv^rwischten Buchstaben der ersten Hand, die uns ein werth-
volles Stück alter Redekunst überliefern wollte. Es ist nach
jenem Nachweis deutlich genug , dass der heidnisch -antike
Untergrund des Ganzen und die plump aufgesetzten christ-
lichen Zuthatcn nicht von Einer Hand herrühren können; und
wenn wir somit an dem ältesten uns erreichbaren lateinischen
Texte zwei verschiedene Arbeiter thatig sehen, so ist allerdings
kaum eine einfachere Erklärung dieses heidnisch - christlich
schillernden Doppeiwesens denkbar als die von dem Heraus-
geber befolgte, wonach ein ursprünglich von einem griechi-
schen Anhänger des alten Glaubens griechisch geschriebener
Homan von einem Christen der lateinischen ReichshUlfte in
seine Sprache frei übertragen wUre.
Die ursprüngliche Physiognomie des, für uns hier einzig
interessanten griechischen Originals unter der christlich-lateini-
schen Entstellung heraus genau wieder erkennen zu wollen,
würe freilich ein ziemlich aussichtsloses Bemühen. Denn der
l'eberselzer hat nicht nur einzelne christliche Wendungen ein-
gestreut, die Rathsel mit welchen Tharsia ihren Vater im un-
teren Schiffsraum unterhalt, aus der Sammlung der Rathsel-
gedichte des Symphosius herüber genommen, und wohl diese
ganze doch allzu absurde Tröstung eines tief Leidenden durch
Rathsel fragen *) aus eigener Bewegung eingeschoben ; es scheint,
als ob er auch die Haltung, den Vortrag der ganzen Erzählung
wesentlich umgestaltet habe. Der Grundton der Geschichte ist,
in dicvser lateinischen Fassung, nahe verwandt dem Tone der
Volksbücher unserer modernen Litteraturen ; es ist jener
treuherzig ungelenke Ton der Erzählung, der sich zumeist so
eng wie möglich an die Darlegung des rein T hat sachlichen
halt, dieses ganz schlicht mittheilt und, da Schreiber und Leser
solcher Bücher die V^'elt aller Enden des Wunderbaren und
Wunderwirkenden voll sehen , auch das Allerseltsamste und
Wunderbarste mit der vollsten Gelassenheit und ohne Ausrufe
der Verwunderung vortragt. Das Volk liebt es bekanntlich gar
1) Liegt hierin etwa eine Reminiscenz an eine sehr populäre Märchen-
Wendung, nach welcher Trauernde und Kranke durch Gaukler, Spielleate,
Narren zum Lachen gebracht und geheilt werden ? (wofür einige Beispiele
bei Benfey, Panlschat. I 518; vgl. auch Oesterley zu Paulis Schimpf und
Ernst 357 p. 513; Grimm, D. Myth. B07 u. s. w.).
— 415 —
nicht, auch bei den Erholungsfahrten der Phantasie, in denen
es von schwerer Arbeit ausruhen will, in den engen Kreis
seines mühseligen armen Lebens sich einschränken zu lassen:
wo die acht volksmässige Erzählung nicht durch Ironisi-
rung der alltäglichen Enge eben über diese Enge sich erhebt,
da zieht sie am Liebsten gleich recht weit in$ Blaue und in
ein phantastisch vornehmes Dasein hinaus. Mit Königen und
Prinzessinnen ist sie ganz vertraut, aber freilich sind es Mär-
chenkönige, die sich so schlicht und gemüthlich bewegen und
ausdrücken, als ob sie gar nicht eine grossmächtige goldene
Krone Tag und Nacht auf dem Kopf trügen. Ganz von dieser
Art sind die Hauptßguren des ApoUoniusromans : dieser gute
alte König Archistrates, seine naive Tochter, der brave Apollo-
nius selbst 1), der wie ein ächter Märchenkönig überall mit
Gold um sich säet, und gelegentlich auch ganz unbefangen auf
Handelsreisen auszieht^) ; selbst der bitterböse König Antiochus
hat etwas naiv Beschränktes.
1} Ich bin oinigermaassen in Zweifel, ob in dem griechischen Original
die ganze Gesellschaft so vornehm gewesen sei, wie in unserer lateinischen
Version. • Ueber den Stand des Apollonius wenigstens ist diese selbst ein
wenig im unklaren. Auf dem Titel heisst er Rex Tyri; rex Apolloni redet
ihn Hellenicus an p. 9, 4 2. Er selbst sagt p. 62, 15 f.: ego ab adulesceulia
mea rex, nalus Tyro u.'s. w. (A fehlt; aber wie ß ohne Variante auch
ein Bruchstück der Tegernseer Hs.: vgl. Meyer, Münchener Akad. Phil.
Cl. 4872 p. 26). Vgl. p. 4 3, 3. Oefter nur princeps patriae, wie auch
Athenagoras princeps patriae oder civitatis heisst, wie in Tarsus principe»
patriae erwähnt werden (p. 38, 4). Stellen bei Riese p. XII (patria übrigens
= gens, natio, civitas, ist viel mehr spätlateinisch als spätgriechisch. Sehr
häuGg z. B. bei dem Anonymus Ravennas). Dieses princeps civitatis soll
Yermuthlich nichts anderes bezeichnen, als etwa bei Xenophon von Ephesus
dv^ tAv Td Tcpurra ir&X ouva[j.£vu>v, eine angesehene Stellung, aber keine
Herrschergewalt. Violleicht rückte erst der Lateiner, indem er (wie ich
annehme) die Gestalten des Künigs Antiochus und seiner Tochter hinzu-
fügte, auch das ganze übrige Personal in höhere Sphären hinauf. Man
beachte, wie unklar im letzten Capitel die Art der Verwaltung der angeb-
lich dem Apollonius zugefallenen drei Reiche sich darstellt (vgl. Riese adn.
crit. zu p. 66, 25).
2) Zwar p. 4 3, 3 heisst es: ne deposita regia dignitate mercatoris vi-
deretur adsumere nomen u. s. w. Aber nachher c. XXVIII p. 32, 23 sagt
Apollonius zu den tarsischen Freunden : er wolle sein Reich nicht ein-
nehmen, auch nicht nach Cyrenc zurückkehren sed potius opera mcrcaturus
(zu schreiben wird wohl einfach sein mit Gesta Rom. 453 p. 520, 35 Oest. :
sed agam potius opera mercatoris).
— 416 —
Wie weit diese voIksthUmliche Art der Erzählung bereits
in dem griechischen Original vorgebildet sein mochte , wird
sich schwer ausmachen lassen. Man wird indessen wohl ge-
neigter sein, hierin die ganz unbeabsichtigte YerwandluBg zu
erkennen , welche die Erzählung bei ihrem Durchgang durch
den Kopf des lateinischen Bearbeiters erlitt, wenn man mitten
in der schlichten Erzählung des Ganzen hie und da einzelne
Spuren einer mehr rhetorischen Ausbreitung des Vortrags,
einer pathetischen Beleuchtung dieser erstaunlichen Aben-
teuer bemerkt, welche zu dem Tone des Uebrigen sehr
wenig passen wollen. Ich rechne dahin die (gar in Verse
gesetzte) lebhafte Schilderung des Seesturmes (cap. 14), die
pathetische Anrede des gestrandeten Apollonius an den Neptun
(cap. 42), eine Verwünschung der eigenen, im herbsten Leide
thränenlosen Augen durch Apollonius (cap. 38) , einige feier-
liche Beden ^) , dergleichen im griechischen Original, wie z. B.
auch beim Achilles Tatius, gegen das Ende des Ganzen, als
eine prächtige rhetorische Coda des Bondo, sich am stattlich-
sten aufgebauscht zu haben scheinen. Solche rhetorische Zier-
rathe, dem ächten sophistischen Boman so unentbehrlich-, passen
freilich in die Erzählungsweise eines Volksbuches wenig hinein;
man ftlhlt auch wohl, wie der lateinische. Bearbeiter dieselben
möglichst kurz und unlustig abmacht. Auch hier also bemerkt
man die Thätigkeit zweier verschiedener liände; ist es da
nicht wahrscheinlich, dass die Discrepanz erst durch die lieber-
arbeitung überhaupt entstand? dass wir uns in dem griechi-
schen Original auch die gesammte Erzählung weit rhetorischer
gehalten denken dürfen, und aus jenen wenigen, durch den
Lateiner fast verwischten Spuren einstigen rhetorischen Glanzes
uns das Bild eines ganz regelrechten sophistischen Bomans, der
wohlbekannten Art, in der Vorstellung reconstruiren dürfen? —
Bestärkt wird man in einer solchen Annahme, wenn man an
einzelnen Scenen bei rechter Betrachtung die Vergröberung
einer ursprünglich zarleren Zeichnung noch ganz wohl be-
merken kann. Z. B. in der Scene am Beginn des Gastmahls
beim König Archistrates , welche vielleicht von dem Griechen
dem Gastmahl des Menelaus in der Odyssee nachgebildet war');
1) p. 59, 7 ff.; 60, 4 ff.; 60, 24— 6<, 7; auch 42, 42 ff.
2) Apoll, p. 48, 5 ff.: vgl. Odyss. 5 74 ff. (Athenaeus V c. 44).
— 417 —
in der ganzen Erzühlung von der Bewerbung der drei Jüng-
linge um des Königs Tochter *) , die in der hölzernen Darstel-
lung des Lateiners die. von diesem wohl kaum empfundene
schalkhaft gemUthliche Haltung y welche der griechische Autor
hier dem guten alten König gegeben hatte ^ nur noch leise
ahnen lässt. Spuren einer lebhafteren Charakteristik zeigen
sich auch noch in der Scene zwischen dem Arzte Chaeremon
und seinem überlegen klugen Schüler ^] , weiterhin in der
halb scurrilen halb (nach Art der Kuppler in der Komödie) mit
Hohn brutalen Haltung des Kupplers^]. Wenn übrigens der
Bearbeiter manche feinere Züge der Zeichnung verwischt hat,
so mag andererseits eine gewisse, in Wortspielen sich vergnü-
gende bäurisch witzige Art, die er hie und da seinen Figuren
leiht, wohl seine eigene Zuthat sein^).
Man findet demnach Anzeichen genug dafür, dass der grie-
chische Boman, ursprünglich eine Arbeit sophistischer Bhetorik
(wiewohl vermuthlich immer noch jener einfacheren Art, wie
sie der, unserm Autor so nahe verwandte Xenophon darstellt},
erst unter den Händen des lateinischen Bearbeiters, ausser
anderen beträchtlichen Veränderungen ^) , jene Umwandlung in
eine Art von Volksbuch erlitt, welche das lateinische Buch dem
ganzen Mittelalter so sympathisch vertraut gemacht hat.
Wenn übrigens die Willkür des lateinischen Bearbeiters
einmal so weit um sich gegriffen hatte, so wird man sich viel-
leicht auch fragen dürfen, ob derselbe nicht etwa auch den
Gang der Erzählung durch einen nicht eben geschickten Zusatz
eigenmächtig erweitert haben möchte. So oft ich diesen Boman
lese, drängt sich mir stets die Wahrnehmung auf, wie völlig
zusammenhanglos das Ganze in zwei ungleiche Theile zerfalle.
ApoUonius wirbt im ersten Theil um die Tochter des Königs
Antiochus; er wird abgewiesen und zieht nun ins Weite. Man
sollte denken, die vergebliche Werbung mache ihm irgend
1) c. XIX— XXI.
2) c. XXVI. XXVII.
3) Z. B. p. 89, 47; p. 40, 8. 8. (Man denke z. B. an den frechen
Ballio im Pseudulus.).
4) S. Riese, Vorr. p. XV.
5) Mit Recht wohl iiimmt Riese p. XVI an, dass der Uebersetzcr das
Original vielfach, zumal gegen Ende, abgekürzt habe.
Bohde, Der griechischd Roman. 27
— 418 —
welche Beschwerden: aber davon hört man kein Wort; viel-
mehr, als ob er nie andere Liebesgedanken gehabt hätte, ver-
bindet er sich mit dem ersten Madchen das ihm sich geneigt
zeigt. Wir könnten den König Antiochus mit samrot seiner
Tochter entbehren, ohne dass die übrige Handlung im Gering-
sten verHnderl zu werden brauchte. Es ist wahr, der König
Antiochus kommt auch im ferneren Verlauf der Erzählung ge-
legentlich wieder vor. Einmal nennt bei seinem Schiffbruch
an der libyschen Küste Apollonius den grimmen Neptun »grau-
samer als König Antiochus«^). Nachher hören wir, dass An-
tiochus mit seiner Tochter vom Blitz erschlagen sei. Das war
in der Ordnung ; aber seltsam ist es schon , dass sein Reich
nun »dem Apollonius aufbewahrt« wird*^). Welches Anrecht
hatte der auf »das Reich von Antiochiaa? Er selbst nennt es
(nach einer der lateinischen Versionen), wo er im Artemis-
lempel seine Erlebnisse aufzählt sein »väterliches Reicht^);
aber warum erfährt man denn das erst so spät und so ganz
beiläufig? — Er bricht nun von Cyrene mit seiner Gattin auf,
um dieses Reich in Besitz zu nehmen. Als diese gestorben ist,
wendet er sich nach Tarsus, lässt dort seine Tochter, und geht
selbst nach Aegypten auf volle vierzehn Jahre. Warum geht
er nicht nach Antiochia, wohin ja doch sein Lauf gerichtet wart
0 Nach d^^ Verlust meiner theuern Gattin will ich das mir auf-
bewahrte Reich nicht in Besitz nehmen a sagt er selbst den
Tarsischen Gastfreunden *) ; denen scheint das auch ganz natür-
lich vorzukommen: nicht so dem Leser, denke ich. Was wäh-
rend der vierzehn Jahre mit dem »Reiche von Antiochia« ge-
schieht, erfahren wir nicht. Als die ganze Familie endlich
wieder beisammen ist, wird nur ganz kurz gemeldet : »Apollo-
nius also ging nach Antiochia und nahm das ihm aufbewahrte
1) p. 15, io.
2) p. 87, 6. 7.
3) Cum desiderassem properare ad patrium (meum i) regnum perctpteiH
dum (so i; om. ß) : p. 63, 4. 3. Die, von Riese durch eine wunderücbe
eklektische Vermischung der Texte von ß und 7 versteckte Verschiedenheit
der Vorstellung in diesen beiden Hss. ( A fehlt hier) drückt sehr t)eieicb-
nend aus, wie undeutlich auch den verschiedenen Redactoren der lateini*
sehen Uebersetzung der Grund der Erbansprüche des Apollonius auf das
Reich des Antiochus war.
4) p. 83, 34 f.
— 419 —
Reich inBesitztt^); und damit gut. Es scheint mir hinreichend
deutlich zu sein, dass Antiochus, seine Tochter und sein »dem
Apollonius aufbewahrtes a Reich mit der eigentlichen Fabel
nichts zu thun haben. Wir mtlssten freilich den Dichter des
griechischen Originals genauer, seiner Art und Thätigkeit nach,
erkennen können , um bestimmt behaupten zu dürfen , dass
Ihm dieses sehr ungeschickt eingeflochtene, völlig mttssige
Motiv nicht angehören könne. So viel dürfen wir sagen, dass
eine genauere Betrachtung der uns vorliegenden lateinischen
Gestaltung des Romans den Eindruck hinterlasse, als ob die
Geschichte des Antiochus der übrigen Erzählung erst nach-
träglich vorgesetzt, und dann sehr locker und ungeschickt
mit dem weiteren Verlauf der Abenteuer verflochten worden
sei: daher ihr fernerer Einfluss auf den Gang der Handlung
überall nur Inconvenienzen und Seltsamkeiten erzeugt hat
Was den lateinischen Bearbeiter zur Vorsetzung eines solchen
Prologs bewegen konnte, Hesse sich wohl allenfalls errathen.
Es bedurfte irgend eines Motivs, um den Apollonius von Tyrus
aufzuscheuchen und in Bewegung zu setzen. Wie, wenn der
griechische Dichter dieses Motiv in einem, den Apollonius zu
weiten Irrfahrten ermunternden und antreibenden Orakel-
spruch gefunden hätte? Das Motiv wäre absurd gewesen;
aber hat es denn Xenophon, dieses Dichters nächstes Vorbild,
nicfit ebenso gemacht? Consequenter Weise musste dann die
Leitung des Orakels, so gut wie bei Xenophon, sich durch den
ganzen Verlauf der Romanhandlung in Geltung erhalten. Ein
christlicher Bearbeiter nun konnte zwar vereinzelte Spuren
des Ileidenthums in seiner Ueberarbeitung dulden; aber die
ganze Begebenheit durch einen Weisheitsspruch eines heidni-
schen Dämons leiten und bestimmen zu lassen, das musste ihm
gegen das Gewissen gehn. Er musste auf ein anderes Motiv
sinnen, das im Anfang und sodann weiterhin durch den gan-
zen Verlauf der Handlung jenes anstössige heidnische Be-
wegungsmittel schicklich ersetzen konnte. Und hier mochte
ihm denn ein Motiv, das sich in griechischen Sagen gleichwie
in zahlreichen Märchen und Sagen anderer Völker vielfach aus-
gebildet zeigt, zunächst in den Sinn kommen: ein Vater, der
1) p. 64, 8.
27*
— 420 —
die eigene Tochter lieht, die Freier durch schwierige Aufgaben
(hier wie bei der Tarnndot durch dunkle Rathselj abschreckt*).
Man begreift sogar, warum er ein solches Motiv gerade an An-
1} Oenomaus, seine Tochter Hippodamia liebend, schiebt darum durch
die Wagenfahrten mit den Freiern ihre Vermählung hinaus (vgl. Ritschi.
Op. I 8U). Sithon, seine eigene Tochter Pallene liebend, ouCu^Ctjv ^v^xottte
indem er die Freier im Kampf erlegte. So Nonnus Dion. XLVin 91 ff.
(der Zug von der Liebe des Vaters zur eigenen Tochter fehlt in den, unter
einander sehr verschiedenen Versionen der Sage von Sithon und Pallene
bei Conon narr. \0 und Parthenius 6). — Der Vater der Side liebt seine
eigene Tochter; sie tödtet sich auf ihrer Mutter Grab, wird in den Granat-
apfelbaum (ji>oid) verwandelt, ihr Vater in den Hühnergeier (ixTivoc) » der
daher noch jetzt gern auf der j>ota sitzt: Dionyslus ISieunxd II c. V p. 475
(in Schneiders Oppian). Einige andere Sagenbeispiele berührt Hygin. fab. 96t,
— Seine eigene Tochter liebte auch, so scheint es, Phokos, iwelcher die
•
Freier mit Gastereien hinhielt, bis sie ihn erschlugen. S. Zenob. VI 37 u. A«
(vgl. Paroem. Gott. I p. 174) Otuxou £pavo;. — Liebe des Vaters zur eigenen
Tochter ein sehr beliebtes Märchen- und Sagenmotiv: deutsche Sage vom
Kaiser Heinrich Hl bei Grimm, D. Sagen N. 483 (H p. 182 f.) ; vgl. Kuhn und
Schwarz, Nordd. Sagen, Märchen u. Gebr. N. 208 p. 184 f. S. femer »des
Reussenkönigs Tochter« aus Enenkels Weltbuch bei v. d. Hagen, Gesammtab.
II S95 fr. (u. dazu v. d. Hagen III p. CLIV ff.) ; deutsches Märchen
»Allerlcirauh« (N. 65 Grimm), im Anfang (vgl. auch Grimm, Kindermärchen
IIP p. 58 ganz oben); gälische Märchen bei Köhler Or. u. Occ. II ISO f.,
294 (n. XIV); walachisches Märchen bei Schott N. 3 p. 96; Basile Pentam.
II 6 (I 206 ff. Liebr.); griechisches Märchen: von Hahn N. 27 (I 191).
Mit dem Anfang von » Allerleirauh « verwandt Straparola N. 6 p. 115 (f.
(der Auswahl von Val. Schmidt), weiches Märchen, merkwürdig genug, io
seinen, uns hier allein inlercssirenden einleitenden Theilen sich vollständig
wiederholt in Wuks Serbischen Märchen N. 28 p. 170 ff. — p. 4, 5: Die
Köpfe derjenigen, welche das Räthsel nicht lösen konnten, 'werden über
dem Thore, Nachkommenden zur V^Tarnung, aufgehängL Aehnliches oft ia
Märchen ; und so ja auch in der Sage von Oenomaus : vgl. Ritschi,
Opusc. I 809. — Die Geschichte von der Turandot, aus Gozzi-Schiller so
bekannt, steht in der persischen Märchensammlung 1001 Tag (Cabinet des
föes XIV 359—458, Tag 63—82). Dergleichen Räthsellösung als Bedingnng
für Freier findet sich oft in Märchen: vgl. persisch-armenisches Märchen
(nach Peter Neu) bei Haxthausen, Transkaukasia I 326 ff.; die vierte Er-
zählung in Nisamis Heft peiger (v. Hammer, die seh. Redek. Persiens p. 116);
die deutschen Märchen »das Räthsel« (Grimm N. 22) und »Vom klugen
Schneiderlein « (Grimm N. 114). In's bäurisch Scurrile ist dieses Märchen-
motiv von der Gewinnung der Braut durch Räthsellösung gezogen in dem
Schwank bei v. d. Hagen, Gesammtab. N. 63 (wozu einige Parallelen bei
R. Köhler in Pfeiffers Germania N. R. II [1869] p. 270 f.).
— 421 —
tiochus »von dem die Stadt Antiochia ihren Namen bekommen
hat« anknüpfte^).
Wir sind bei Gelegenheit des König Anliochus und seiner
Räthsel selbst ins Rathen verfallen. Will man sieh aber über-
zeugen, wie gut die eigentliche Erzählung von den Abenteuern
des ApoUonius der Figuren des Anliochus und seiner Tochter
entbehren könne , so lese man die Version des Apollonius-
romans in einem neugriechischen Mürchen: Nr. 50 der von
Hahn*schen Sammlung neugriechischer und albanesischer Märchen.
Dort sind zwar einige ächte Märchenmotive eingeflochlen , aber
von der Blutschande des Antiochus und seiner Tochter, von
den Räthselfragen , von seinem dem ApoUonius aufbewahrten
Reiche ist mit keinem Worte die Rede , ohne dass die Erzäh-
lung Schaden nähme. Die Abenteuer des »Prinzen« beginnen
dort gleich mit dem Seesturm und der Aufnahme des Gestran-
delen bei dem alten Fischer ^l. Mag dieser Version auch viel-
1) rex Antiochus, a quo ipsa civitas nomen accepit Antiochia. c. i.
Ein solcher Antiochus, nach welchem Antiochia benannt war, konnte genau
genommen in Antiochia gar nicht regieren. Denn Scleucus Nicator benannte
die Stadt ja nach seinem verstorbenen Vater Antiochus: Strabo XVI
p. 794 extr. , Libanius I 801, 12 ff. R. , Pausanias bei Malalas p. 204, 2 ff.
Bonn. Aber Malalas setzt dieser Ucberlieferung seine eigene, wohl auf
populärer Annahme beruhende Meinung entgegen, wonach Antiochia viel-
mehr nach des Seleucus Sohne und Nachfolger Antiochus (Soter) benannt
worden wäre. Dieser Meinung folgt wohl auch der lateinische Bearbeiter
des Ap. Tyr. Und wenn er diesen Antiochus im Sinne hatte, so begreift
es sich freilich ganz leicht (und so weit wenigstens pflichte ich Riese p. VIII
bei) , wie er ihn in ein inccstuoses Liebesverhältniss verstrickt sich vor-
stellen mochte: er hatte eine dunkle Erinnerung von der Liebe dieses
Antiochus zu seiner Stiefmutter Stratonicc (von welcher oben geredet
i.st, p. 52).
2) In dem Märchen wird der »weiberscheue Prinz« von seinem Vater
ausgesandt, ob er etwa irgendwo eine ihm genehme Frau finde. Sein
SchifT scheitert, der alte Fischer rettet ihn. Er wird Knecht bei dem König
und verbirgt seine Schönheit, indem er über »sein wunderschönes seidenes
Kopfhaar« eine Ochsenblase bindet, um wie ein Grindkopf zu erscheinen.
Durch sein schönes Flötenspiel angelockt, findet ihn einmal die Königs-
tochter am Brunnen, ohne seine Blase. Sie macht ihn zu ihrem Kammer-
diener, nimmt dann Musikunterricht bei ihm. Der weitere Verlauf nur in
Kleinigkeiten von dem des Apollonius-Romans abweichend. Die Abfahrt
des Prinzen aus dem Reiche seines Schwiegervaters wird gerechtfertigt
durch einen Brief seines Vaters (der vorher das junge Paar besucht hatte),
der auf den Tod erkrankt ist. Nachdem die Tochter untergebracht ist,
— 422 —
leicht weniger eine besondere Ueberlieferung als eine richtige
Empfindung für das Angemessene ihre Besonderheiten gegeben
haben : jedenfalls trifl't sie darin das Richtige , dass sie nicht
nur den König Antiochus sondern auch den ersten Aufenthalt
des Apollonius in Tarsus fortlasst. Denn dass dieser Abstecher
von Tyrus nach Tarsus vollkommen überflüssig sei für den
Gang der Erzählung^ mag schon die oben mitgetheilte kurze
Inhaltsübersicht lehren. Apollonius hat sich, durch Hellenicus
gewarnt, von den Bürgern der Stadt Verschwiegenheit und
Treue durch seine grossmüthigen Getreidespenden erkauft (diese
seltsamen Leute beginnen freilich »die Flucht des Apollonius
zu verbergen« damit dass sie ihm auf offenem Markt eine
Statue errichten!): man begreift gar nicht, welches »Geschick«
nun eigentlich, wie wir lesen, ihn »drängt«, alsbald die Stadt
wieder zu verlassen und sich nach Cyrene einzuschiffen >).
Wir können die ganze Episode des ersten tarsischen Aufent-
halts ohne jeglichen Schaden entbehren. Wir werden freilich
nachher noch einmal an die, von den Bürgern dem Apollonius
errichtete Statue erinnert: die sterbende Lycoris empfiehlt der
Tharsia , in etwaiger Bedrängniss sich zu diesem Standbild
fährt der Prinz zu seinem Vater, der bald stirbt; der Prinz übernimmt die
Regierung, lebt aber in düsterer Traurigkeit. Der angebliche Tod seiner
Tochter wird ihm von dem treulosen »Statthalter o, bei dem er sie gelassen
bat, gemeldet. Der Rest nicht wesentlich verschieden von dem Roman. —
Die Versteckung des verräthehsch schönen Haares des Prinzen in Knechts-
gestalt: »um sich das Ansehen eines Grindkopfes zu geben« (p. S74 Hahn),
sowie seine Entdeckung durch die Prinzessin bei Gelegenheit seines herr-
lichen Mttsicirens (dieses Letzte war es wohl eben, was hier zur Ein-
flechtung dieses Zuges veranlasste) ist ein beliebter Märchenzug : italienische,
deutsche, schwedische Beispiele bei R. Köhler in Eberts Jahrb. VIII (4867)
p. S58 ff. ; Episode in einem lappländischen Märchen bei Liobrecht in Pfeiffers
Germania N. R. III (1870} p. 179 f. Vgl. namentlich eine orientalische
Version dieses Märchenmotivs in der »histoire du roi Hormoz«, 1001 Tag
(Tag ISO (T.): Cabinet des fc^es XV 118. 133. — Der Anfang, und oon-
scquenter Weise auch der Ucbcrgang von der Hochzeit zu ferneren Irr-
fahrten, ist anders gewendet und motivirt auch in der altfranz. Version des
Apollonius, dem Epos von Jourdains de Blaivies: s. llofmann, Sitzungsber.
d. Münchener Akad. phil. Gl. 1871 p. 417 f. 436. Vgl. Dunlop-Lieb-
recht p. 187.
1) c. XI: Intcrposiiis mcnsibus sivc dicbus (vgl. 26, 23) paucis, hor-
tante Slranguilliono et Dionysiadc et prcmentc fortuna ad Pentapolitanas
€yrenaeorum regioncs adfirmabatur navigarc ut ibi iatero posset (nach cod. A.).
— 423 —
ihres , um die Stadt so hoch verdienten Vaters zu retten ^) .
Warum thut sie das aber später nicht? Wir sehen auch den
braven, etwas vorlauten Hellenicus noch einmal wieder: am
Schluss, als jeder der Reihe nach seinen Lohn bekommt, naht
sich auch Hellenicus und erinnerl den Apollonius an seine Ver-
dienste 2). Aber man merkt wohl die Ungeschicklichkeil des
Bearbeiters: dieser gute Hellenicus fHllt ihm erst gaüz zuletzt
ein ; und er verräth die Nebensächlichkeit dieser ganz überflüs-
sigen Figur dadurch, dass er selbst deren Heimath vergessen
hat : früher war er ein Tyrier ; jetzt begegnet er ohne Weiteres
dem Apollonius in Cyrene.
Alle dergleichen Fehler und Schwächen der Composilion
würden unter andern Umständen nur ebenso viele Zeugnisse
für die mangelhafte Kunst des Erfinders der Fabel sein. Da
wir aber einmal einen wenig gewissenhaften Ueberarbeiter an
dem Originalwerk thätig gesehen haben, so wird es wohl er-
laubt sein, solche störende und müssige Auswüchse für spätere
Erweiterungen einer ursprünglich einfacher angelegten und ge-
nauer in sich geschlossenen Erzählung zu halten.
1^ Zeit und Heimath des griechischen Dichters sind unbestimm-
bar. Die lateinische Ueberarbeitung wird bereits in einer
grammatischen Schrift des siebenten Jahrhunderts citirt^); viel-
leicht entstand dieselbe bereits in beträchtlich früherer Zeit^}.
1) p. t5, 2 fr. — Die Bereitwilligkeit zur Errichtung von Statuen er-
innert noch an die Art auch des späten Alterthums: vgl. Friedlttnder,
Darst. a. d. Sitteng. 111 466 £f.
2) p. 66, 4 7 ff.
3) Im Traetat de dubiis uominibus (Gramm. lat. ed. Keil V p. 579) :
IQ ApoUooio Mgymnasium patet« = p. 4 6, 34 R. Vgl. Riese, Rhein. Mus.
XXVI 638 f.
4) Nach c. 34 sind 40 aurei mehr als eine halbe libra auri, aber noch
keine ganze. Christ bei W. Meyer a. 0. p. 4 bemerkt, dies passe auf die
Zeit nach Caracalla, unter dem zuerst 50 aurei auf ein Pfund geprägt wur-
den; die Rechnung nach aurei und sestertia weise aber auf eine Zeit vo
GoQStantin hin, da man seit dessen Regierung nach solidi und foUes rech-
nete. (S. in Kürze Marquardt, R. Alt. III S, 4 8. S4.) Die Schrift sei also
vermuthlich zwischen Caracalla und Constantin geschrieben. Wenn dieses
Argument (dessen Gewicht ich nicht zu beurtheiien wage] von maass-
gebender Bedeutung ist, so gilt es jedenfalls für die (älteste, uns verlorene)
lateinische Fassung, gewiss nicht (wie Meyer annimmt) für die Zeit
des griechischen Originals. Denn ohne Zweifel bediente der griechische
— 424 —
Das griechische Original wird Niemand vor das dritte Jahrhun-
dert setzen wollen ; eine genauere Zeitbestimmung versuchen zu
wollen, wäre ebenso eitel, als die Heimath des Dichters, der
ohne allen Zweifel den Kreisen der Sophisten angehörte und
mit gleichem Rechte an jeden beliebigen Ort sophistischer Stu-
dien versetzt werden kann, errat hen zu wollen^). Seine Per-
son scheint er selbst mit Absicht versteckt zu haben: die
Schlussworte des Romans lassen erkennen , dass er (mit einer
ähnlichen Fiction wie Antonius Diogenes) die Hauptperson der
Erzählung auch ftlr den Verfasser derselben ausgab und also
sich selbst hinter dieser besten Autorität versteckte.
4.
Wir sind nunmehr zu dem umfiinglichstcn der sophisti-
schen Romane gelangt, den zehn Btlchern Aethiopischer Geschich-
ten des Heliodorus.
Der Gang der Erzählung des Heliodor ist , in kurzem Al>-
riss, dieser.
An der Herakleotischen Mündung des Nil fmdet eine Schaar von
Räubern, unter zahlreichen Leichen und den Spuren eines gewaltsam
unterbrochenen festlichen Mahles, einen am Boden liegenden schwer-
verwundeten Jüngling, welchen eine, ^ie die Artemis gekleidete,
schöne Jungfrau ins Leben zurückzurufen versucht. Ein gestrandetes
Schiff liegt am Ufer. Eben sind die Räuber im Begriffe, mit der
Verfasser sich so gut wie alle anderen Romanschreiber griechischer
Münzrechnung.
1) Die Argumente, welche Teuffei, Rhein. Mus. XXVII iOk vorbringt,
um dem griechischen Dichter das »griechische Asien« als Heimath zu vin-
diciren, wollen wenig besagen, wie Riese ebendas. p. 625 ganz richtig be-
merkt. — Es finden sich einige auflUllige Spuren ungriechischer SiUe in
der Erzählung. So die Anwesenheit der Königstochter beim M&nnermahle,
welche sogar den einzelnen Gästen einen Kuss giebt und dann zu ihrer
Ergützung spielt und singt: c. XV. XVI. Soll etwa Archistrates als eia
»barbarischer« König geschildert werden ? In dem griechischen Tarsos gebt
die freigeborene , als Freie erzogene Tharsia in eine öffentliche scola , ein
auditorium: p. 83, 15 ff.; 35, 15; 36, 15. Das ist römische Sitte der
Kaiserzeit (vgl. Friedländer, Darst. a. d. Sitteng. l* 448) : ob dieselbe wirk-
lich auch in griechische Länder vorgedrungen war? Ich erinnere mich
aurs Neue der rälhselhaften Steile des Philostralus imag. 1 12, die ich oben
p. 146 A. 2 angeführt habe.
— 425 —
übrigen Beute auch des jugendlichen Paares sich zu bemächtigen,
da werden sie von einer anderen Räuberschaar vertrieben. Diese
zweite Schaar führt den Jüngling und die Jungfrau mit sich fort in
die Schlupfwinkel, welche sie auf den Inseln eines der Seen an der
Nilmündung bewohnen. Die Beiden, Theagenes und Ghariklea
genannt, werden einem schon früher gefangenen griechischen Lands-
manne, dem Knemon, zur besonderen Obhut übergeben. In der Nacht
erzählt ihnen Knemon seine Lebensgeschichte. Er stammt aus Athen.
Seine Stiefmutter, deren Liebesanträge er zurückgewiesen hatte, hat
ihn, im Bunde mit einer Dienerin, Thisbe, in den Verdacht einer
Mordabsicht auf den Vater zu bringen gewusst, worauf er vom Volke
verbannt worden war. Noch in Aegina hatte er erfahren, dass bald
darauf die Stiefmutter, von derselben Thisbe verrathen, ihre Schänd-
lichkeit mit dem Tode gebüsst habe. — Am andern Morgen verlangt
der Räuberhauptmann Thyamis, ein durchaus edler Mann, von der
gesammten Beute die Ghariklea allein für sich. Diese, welche sich
und den Theagenes, angeblich ihren Bruder, für zufällig an die ägyp-
ti.sche Küste verschlagene Ephesier ausgiebt, weiss einen Aufschub
der keineswegs ganz abgewiesenen Heirath mit dem Räuber zu er-
wirken. Sehr bald darauf aber wird die Räuberinsel von jenen an-
deren Räubern, welche Thyamis an der Nilmündung verjagt hatte,
überfallen. Thyamis verschliesst die Ghariklea in einem unterirdischen
Gange, und eilt in die Schlacht. Als er seine Sache verloren sieht,
schleicht er allein in jenen Gang zurück und ersticht eine ihm dort
begegnende, hellenisch redende Frau, die er für Ghariklea hält. Im
weiteren Kampfe wird er lebendig gefangen, seine Bande getödtet
oder zerstreut, die Hütten auf der Insel niedergebrannt von den Siegern,
welche dann abziehen.
Buch II. In der Nacht wagen sich Knemon und Theagenes aus
dem dichten, den See umkränzenden Rohre, in welchem sie sich
verborgen hatten, hervor, fahren nach der Insel zurück, dringen in
die Höhle und finden den weiblichen Leichnam. Verzweifelt sinkt
Theagenes an der für Ghariklea gehaltenen Leiche nieder: da ertönt
wiederholt aus den inneren Gängen der vielverzweigten Höhle die
Stiinme der Ghariklea, welche den Theagenes ruft. Sie tritt lebend
hervor ; die Leiche erkennt man bei Fackellicht als die der Thisbe.
Knemon berichtet nachträglich, wie er noch in Aegina erfahren habe,
dass Thisbe , deren zweifacher Verrath entdeckt worden war , aus
Athen habe fliehen müssen ; um sie zu fmden und zur Rechenschaft
zu ziehen , sei er eben nach Aegypten gefahren. Man Gndet bei
ihrer Leiche einen Brief an den Knemon, in welchem sie diesen,
ihren Mitgefangenen, um Rettung vor einem der Räuber anfleht, wel-
cher sie, in eifersüchtiger Liebe, eingeschlossen halte. Gleich darauf
tritt eben jener Räuber, Thermuthis, in die Höhle, um die dort ver-
steckte Thisbe zu befreien, die er, zu seiner Verzweiflung, nun todt
ßndet. Die drei Griechen buchen sich seiner zu entledigen, indem
— 426 —
sie ihn auf Kundschaft nach Thyamis ausschicken ; auf Verlangen des
Therniuthis muss ihn indessen Knemon begleiten. Es wird festge-
setzt, dass Knemon sich baldigst von dem Räuber losmachen und
das liebende Paar in einem Dorfe Ghemmis erwarten solle. Wirklich
gelingt es der List des Knemon, sich von Thermuthis (welcher als-
bald an einem Schlangenbiss stirbt] zu entfernen. Nach Chemmis
weiterziehend, trifll Knemon am Ufer des Nil einen hellenisch reden-
den und hellenisch gekleideten greisen Aegypter, mit welchem ge-
meinsam er über den Strom setzt und in Chemmis, in dem Hause
seines Gastfreundes, einkehrt. Dieser ist abwesend ; von seiner Tochter
freundlich aufgenommen, lagern sie sich zum Mahle. Beim Trünke
(der für den Alten freilich nur in klarem Wasser besteht] erzählt
der Greis dem Knemon zuvörderst, dass der Besitzer des Hauses»
Nausikles, mit einer, von dem persischen Phrurarchen Ifitranes ge-
führten Soldatenschaar ausgezogen sei, um die ihm geraubte Sklaviii
Thisbe, welche er dem Könige der Aethiopen verkaufen wollte, den
Räubern wieder abzujagen. Darauf erzählt er dem neugierig For-
schenden seine Geschichte. Er heisst Kalasiris und war früher Pro-
phet in Memphis. Um den Verlockungen einer schönen thracischea
Hetaere Rhodopis zu entfliehen und einen durch seine prophetische
Gabe ihm kund gewordenen zukünftig ))evorstehonden Schwertkaoipf
seiner beiden Söhne nicht ansehen zu müssen, verlässt er sein Vater^
land. Auf seiner weiten Reise kommt er, als nach dem Mittelpunct
göttlicher Weisheit, nach Delphi. Von dem Gott feierlich durch eine
besondere Anrede begrüsst, wird er vorzüglich mit dem Priester des py-
thischen Apoll, Charikles, befreundet. Dieser erzählt ihm wie er einst»
um dem Schmerz um seine gleichzeitig gestorbene Frau und einzige
Tochter zu entgehen, nach Aegypten und bis zu den Katarrakten des
Nil gereist sei. Dort habe ihm ein Gesandter des äthiopischen Königs
an den persischen Satrapen ein siebenjähriges Mädchen, welches seine
Mutter, zugleich mit einigen Erkennungszeichen, ausgesetzt habe,
übergeben. Er habe das Kind mit nach Delphi zurückgebracht und
erziehe sie, eine mittlerweile unvergleichlich schön gewordene Jung-
frau, Chariklen genannt, wie seine eigene Tochter. Sein einziger
Kummer sei, dass Chariklea, als Prioslerin der Artemis, jede Heiratfa
zurückweise, und ins Besondere die mit seinem, ihr zugedachten
Schweslersohn. — Zu derselben Zeit sollte gerade das pythische
Fest begangen werden; es mit zu feiern war an der Spitze einer
Reiterschaar der thessalischen Aeniancn, Theagenes, ein herrlicher,
dem Achill an jugendlicher Slatllichkeit zu vergleichender Jüngling,
erschienen. Er meldet sich beim Charikles; man begeht ein feier-
liches Opfer; da lässl die Pythia aus dem Adyton eine Weissagung
erschallen, welche in dunkeln Versen dem Theagenes und der Cha-
riklea eine lange Irrfahrt bis in das »dunkelfarbige Land der Sonne«
vorherverkündet. Keiner der Umstehenden versteht die Meinung des
Gottes; aber bald vcrgisst man den räthselhaften Spruch über den
Vorbereitungen zum grossen Festzug.
— 427 —
Buch III. lY. Bei dem prächtigen Zuge erblicken sich Ghariklea
und Theagenes zum ersten Male, und entbrennen alsbald in gegep-^
seiliger Liebe. Die Leidenschaft wird noch gesteigert, als bei einem
WettKauf Ghariklea dem siegreichen Theagenes den Kranz zu reichen
hat. Im Weiteren wird nun die Liebeskrankheit des Paares sehr
umständlich geschildert. Beide vertrauen sich dem Kalasiris an,
welcher dem gläubigen Gharikles gegenüber sich das Ansehen giebt,
als ob er durch Zauberkunst das spröde Herz der Jungfrau zur Liebe
erweicht habe; ein Gegenzauber scheine zu verhindern, dass diese
Liebe sich auf den Alalkomenes, den Schwestersohn des Gharikles,
richte. Vielleicht enthalte die Binde, welche Gharikles zugleich mit dem
Kinde von jenem Aethiopen erhalten habe, feindliche Zauberzeichen.
Durch diese listige Wendung entlockt Kalasiris dem Gharikles die
Binde. Sie ist mit äthiopischer Schrift in »königlichen« der hiera-
tischen Schrift der Aegypter gleichen, Buchstaben bestickt. Es er-
zählt darauf Persina, die Königin der Aethiopen, wie sie einst, durch
den Anblick der weissen Gestalt einer in ihrem Gemach abgebil-
deten Andromeda beeinflusst, ihrem dunkelfarbigen Gatten, Hydaspes,
ein hellfturbiges Mädchen, die einzige Frucht ihrer Ehe, geboren
habe. Wiewohl gänzlich schuldlos, habe sie in Angst dieses Kind,
mit einem magischen Ring, kostbaren Ketten und dieser Binde aus-
gesetzt. Kalasiris, welcher zudem früher 3elbst einmal, in Aethiopien,
von der Persina in ihr Geheimniss eingeweiht worden war, berichtet
der Ghariklea Alles ; und es wird nun eine Flucht nach Aegypten ver-
abredet, zu welcher schon vorher Apoll und Artemis, dem Kalasiris
im Traume erscheinend, diesen aufgefordert hatten. In einer Nacht
überfällt Theagenes an der Spitze seiner Aenianen das Haus des
Gharikles und raubt die Geliebte. Die Delpher halten noch in der
Nacht eine Volksversammlung und eüen den Räubern nach.
Buch V. Kalasiris aber hatte mit Theagenes und Ghariklea sich
(die übrigen Aenianen verlassend) an das Meer hinunter gewendet
und war auf einem phönicischen , nach Karthago bestimmten SchifTe
durch den kirrhäischen Golf hinaus gefahren. — Ueber dieser Er-
zählung war es tiefe Nacht geworden. Nausikles kehrt endlich zurück
und berichtet, wie er eine bessere Tliisbe sich erworben habe.
Knemon, der die Gefangene in einem Nebengemache in jammernden
Selbstgesprächen sich selbst Thisbe nennen hört, hat schreckliche
Nachtgesichter von einer wieder aufgelebten Thisbe zu überstehen.
Am Morgen klärt es sich auf, dass die angebliche Thisbe keine An-
dere ist als Ghariklea. Theagenes und Ghariklea waren nämlich von
den gegen die Räuber ausgerückten persischen Truppen auf der Insel
überrascht, worden. Die Ghariklea hatte Nausikles als seine ver-
inisste Sklavin Thisbe für sich in Anspruch genommen : den Thea-
genes hatte Mitranes an den Satrapen von Aegypten, Oroondates,
nach Memphis abgeschickt, damit dieser den schönen Jüngling dem
Grosskönig als Diener übersende. Kalasiris, von Ghariklea alsbald
— 428 —
wiedererkannt, kauft diese vom Nausikles los gegen einen kostbaren
Amethystring , welchen Chariklea ihm, aus den Erkennungszeichen
ihrer Mutler, gegeben hat, den er aber scheinbar aus einem dem
Hermes dargebrachten brennenden Opfer, wie ein Göttergeschenk,
herausholt. Beim Opfermahl vollendet dann Kalasiris seine Erzählung.
Das phönicische Schiff hatte (da, nach Vollendung der pythischen
Spiele, der Winter nahe war) auf Zakynthus Winterstation gemacht.
Kalasiris mit seinen Schutzbefohlenen hatte bei einem alten Fischer
Tyrrhenus freundliche Aufnahme gefunden. Von diesem benachrich-
tigt, dass ein Piratenschiff den PhÖniciem auflaure und dass der
Herr dieses Piratenschiffes, Trachinus, dem Tyrrhenus bereits .seine
Liebe zur Chariklea mitgetheilt habe, weiss er den Besitzer des phÖ-
nicischen Schiffes (dem er, als der angebliche Vater der Chariklea,
deren Hand verspricht) zu schleunigem Aufbruch zu bewegen. Jen-
seits Kreta werden sie von den Piraten überfallen, und nach kurzem
Kampfe besiegt. Ein Sturm wirft die , auf das phönicische Schiff
hinüber gezogenen Piraten mit ihrer Beute an die herakleotische Nil-
mündung. Ein üppiges Mahl wird am Ufer angerichtet: Trachinus
will die Chariklea ehelichen. Da hetzt der listige Kalasiris einen
anderen Piraten, Pelorus, auf: er sei es, sagt er ihm heimlich, den
Chariklea liebe. Pelorus fordert die Schöne für sich, als Lohn da-
für, dass Er zuerst das gekenterte Schiff der Phönicier bestiegen
habe. Da Trachinus ihm das verweigert, entbrennt eine wiide
Schlacht zwischen den Räubern; Chariklea, in dem Artemis-Costüm
in welchem sie von Delphi geflohen war, schiesst vom Bord des ge-
strandeten Schiffes unter die Feinde: Theagenes kämpft wüthend mit,
und erlegt zuletzt den einzig Ueberlebenden, Pelorus. Kalasiris hatte
ein Versteck gefunden : als er, nach beendigtem Gemetzel, sich wieder
heraus wagt , sieht er , wie eben die • Sumpfräuber das Paar fort-
schleppen.
Buch VI. Am andern Morgen ziehen die drei Männer aus, um
den Theagenes aufzusuchen. Unterwegs erzählt Knemon seine Erleb-
nisse zu Ende : wie er, um die Thisbo, welche aus Athen mit einem
Kaufmann aus Naukratis (eben dem Nausikles) entflohen war, aufzu-
suchen, nach Aegyplen segelnd, von Piraten gefangen, dann, diesen
entlaufen, an der ägyptischen Küste den Sumpfräubern in die HSnde
gefallen sei. Weilerhin begegnen die Drei einem Bekannten des Nau-
sikles, von dem sie erfahren, dass in der vergangenen Nacht Mitranes
gegen das Dorf Bessa ausgezogen sei, um den dortigen Räubern einen
hellenischen Jüngling (eben den Theagenes) wieder zu entreissen,
den diese, unter Führung ihres neuen Hauptmanns, des Thyamis,
den ihn nach Memphis Geleitenden abgejagt hätten. Die Dreie kehren
zur Chariklea, unverrichteter Sache, zurück. Knemon, dem Nausikles
seine Tochter zur Ehe giebt, bleibt nun zurück; Kalasiris und Cha-
riklea, als Bettler verkleidet, ziehen allein weiter, um den Theagenes
aufzusuchen. Bei Bessa finden sie viele Leichen und Spuren einer
— 429 —
Schlacht. Eine Alte belehrt sie, dass die heranrückenden Perser,
von den bessäischen Räubern angegriffen^ besiegt und raitsammt dem
Mitranes grösstentheils getödtet worden seien. In der Nähe des
Schlachtfeldes übernachtend wohnen sie einer grausigen Scene bei:
die Alle belebt durch Zaubers Gewalt auf kurze Zeil ihren, unter
anderen Kriegern aus Bessa gefallenen Sohn.
Buch YII. Thyamis war indessen kühnlich mit seinen Bessäern
und dem befreiten Theagenes nach Memphis gezogen. Er hatte dort,
als ältester Sohn des früheren Propheten, eben des Kalasiris, die
nächsten Ansprüche auf die erledigte Prophetenwürde gehabt, war
aber von seinem jüngeren Bruder Petosiris, der ihn bei dem Satrapen
Oroondates unlautrer Beziehungen zu dessen schöner und üppiger
Frau Arsace fälschlich zu verdächtigen gcwusst hatte, zur Flucht ge-
nöthigt und seiner Priesterwürde beraubt worden. — Die Räuber
ziehen vor die Stadt und fordern für den Thyamis die rechtmässige
Propheten würde zurück. Auf Entscheidung der, in Abwesenheit des
Oroondates regierenden Arsace sollen die beiden Brüder im Zwei-
kämpf um ihr Anrecht streiten. Vor den Augen der, von den Zinnen
der Stadtmauer zusehenden Arsace und der Stadtbevölkerung beginnen
draussen die Brüder den Kampf. Thyamis treibt den feige fliehenden
Petosiris vielmal um die ganze Stadt herum ; schon ist er im Be-
griff, ihn endlich zu durchbohren: da stürzt »wie aus einer Theater-
maschine« der eben mit der Chariklea zusammen angelangte Kalasiris
zwischen die feindlichen Söhne. Bald wird er, seiner Verkleidung
entledigt, erkannt; der Kampf wird beendigt; feierUch ziehen Vater
und Söhne unter dem Jubel der Bevölkerung in die Stadt und in den
Isistempel. Chariklea, endlich wieder mit dem Geliebten vereinigt,
folgt ihnen. — Arsace ist von einer leidenschaftlichen Begierde nach
dem schönen Theagenes ergriffen worden. Da sie selbst ihrem Elend
keinen Rath weiss, verspricht Cybele, ihre alte Dienerin, ihr zu
helfen. Sie geht am nächsten Morgen zum Isistempel. Dort erfährt
sie, dass der greise Kalasiris , nach frölilich begangenem Festmahle,
friedlich entschlafen sei. Sie benutzt den Anlass, um Theagenes und
Chariklea zur üebersiedelung in das Schloss der Arsace zu bewegen.
Arsace nimmt Beide mit grösster Zuvorkommenheit auf; aber keine Güte
der Herrin, kein Zureden der Cybele, vermögen den Theagenes den
Wünschen der Frau des Satrapen geneigt zu machen. Da verräth
Achaemenes, der Sohn der Cybele, dass Theagenes eigentlich ein
kriegsgefangener Sklave sei ; er selbst, der den Mitranes auf seinem
Zuge hegleitet hatte, habe ihn damals gesehen. Arsace, die nun
eine weit grössere Gewalt über den Stolzen zu haben meint, verlobt
zur Belohnung die Chariklea dem Achaemenes. Theagenes, zum
Mundschenk der Arsace gemacht, thut als wolle er ihren Wünschen
willfahren: Chariklea aber, welche nicht, wie er bis her vorge-
geben hatte , seine Schwester, sondern seine Braut sei , dürfe dem
Achaemenes nicht überlassen bleiben. Arsace willigt in seine Be-
dingung.
— 430 —
Buch VIII. Da Theagenes trotzdem in seioer Sprödigkeit Ter*
harrt, übergiebt ihn Arsace (welcher mittlerweile Thyamis, jeixt
Prophet geworden, freimüthig aber fruchtlos ihr Verhalten vorge-
worfen hatte) dem Obereunuchen Euphrates zur Züchtigung und Ein-
kerkerung. Der Chariklea soll, auf Arsaces Befehl, Cybele einen
Gifltrunk reichen ; aber die Becher werden vertauscht und Cybeie
trinkt selbst das Gift und stirbt. Chariklea , des Mordes angeklagt,
soll verbrannt werden: die Flammen des Scheiterhaufens weichen
vor ihr zurück, da sie den magischen Ring Pantarbes, welchen die
Mutter ihr mitgegeben hatte , an sich trägt. Sie wird zum Thea-
genes in den Kerker geworfen. — Unterdessen war Achaemenes,
der Chariklea beraubt, zum Oroondatcs nach Theben geeilt, und hatte
ihm die Ereignisse in seinem Hause mitgetheilt. Oroondates nUmlick
war auf einem Kriegszuge gegen den König Hydaspes von Aethiopies
begriffen, welcher die stets zwischen Aegypten und Aethiopien strei-
tigen Smaragdgruben und die Stadt Philae für sich gefordert ua4
letztere gleich durch Handstreich besetzt hatte. . Vom Oroondates
abgesandt kommt der Eunuch Bagoas nach Memphis und hott Thet-
genes und Chariklea ab. Auf dem Wege nach Theben erfahren am
noch, dass Arsace sich selbst umgebracht habe. Da Oroondates in-
zwischen von Theben nach dem, durch die Aethiopen gefährdeteft
Syene aufgebrochen war, zieht auch Bagoas dorthin. Aelhiopische
Kundschafter überfallen den Zug und bringen sie zum Könige der
Aethiopen.
Buch IX. Dieser hatte mittlerweile den Oroondates in Syene
eingeschlossen. Die Stadt wird belagert , mit einem weitgezogenen
Mauerkreis umgeben ; zwischen die Belagerungsmauem und die Stadt
leitet, durch einen gegrabenen Canal, der Aethiope den Nil. Die
Stadtmauern kommen ins Wanken ; die Stadt muss übergeben werden.
Vorher aber rückt Oroondates mit seinen Truppen Nachts heimhch
aus und eilt nach Elephantine. Hydaspes, der König der Aethiopen,
nimmt Syene ein, muss sich dann aber dem von Elephantine mit
starker Macht heranziehenden Oroondates zur Schlacht gegenüber-
stellen. Die ganz gepanzerten persischen Reiter (Kataphrakten) wer-
den von den leichtbewafTneten Blemmyern untaugUch gemacht, das
übrige Heer der Perser namentlich durch die Elephanten der Aethiopen
geworfen. Es fällt auch Achaemenes. Oroondates wird gefangen,
von dem gerechten König aber freigelassen. Das äthiopische Reich
erstreckt sich nun bis zu den Katarrhakten, und schliesst die Sma-
ragdgruben und Philae in sich. Hydaspes kehrt nach Syene zurück
und besichtigt die Merkwürdigkeiten der Stadt. Am andern Tage
wird dem feierlich thronenden König die Beute vorgeführt, darunter
auch Theagenes und Chariklea. Trotz der Ermahnungen des Thea-
genes findet Chariklea es zweckmässig, sich ihrem Vater noch nicht
zu entdecken. Die Beiden werden bestimmt, nach äthiopischem
Brauche als Kriegsopfer zu fallen.
— 431 —
Buch X. Der König zieht in sein Reich zurück. Auf einer
Wiese bei Meroi* findet eine festliche Versammlung statt: alles Volk,
die Königin Persina, die weisen Gymnosophisten, sind dem Heere ent-
gegengezogen. Auf dem reich geschmückten Plane werden dem
Helios, der Selene, dem Dionysus Thieropfer dargebracht. Zuletzt
verlangt das Volk die herkömmlichen Menschenopfer. Nur jungfräu-
liche und unberührte Mädchen und Jünglinge dürfen geopfert werden,
diese dem Helios, jene der Selene. Ein goldener Altar dient zur
Keuschheitsprobe: den Unreinen verbrennt er, wenn sie darauf ge-
stellt werden, die Sohlen. Theagenes und Chariklea bestehen die
Probe. Als das grausige Opfer beginnen soll, rüsten die Gymnoso-
phisten, diesem Schauspiel feind, sich zum Abzug. Da stürtzt Cha-
riklea dem Sisimithres, dem Haupte der Gymnosophisten, zu Füssen
und entdeckt ihre Herkunft. Durch das Zeugniss des Sisimithres,
welcher einst selbst das Kind dem Charikles übergeben hatte, die
Binde, das Eingeständniss der Persina, zuletzt ein sonderbares Mutter-
mal der Chariklea, wird endlich auch Hydaspes überzeugt, dass
Chariklea seine rechtmässige Tochter sei: das Volk spricht diese
nun von der Opferung frei. Sie muss nun eingestehen dass
Theagenes nicht ihr Brüder sei : sein wirkliches Verhäitniss zu ihr
wagt sie nur in dunkeln Andeutungen auszusprechen. Während
ein zum Opfer geeigneter Ersatz für die Chariklea gesucht wird,
ISsst der mächtige König sich die, zur Siegesfeier erschienenen Ge-
sandtschaften vorführen. Es kommt zuerst Meroebus, der Bruder-
sohn des Hydaspes. Dieser verlobt ihm alsbald die neugefundene
Tochter. Es folgen die Gesandten der Serer, Araber, Troglodyten,
Blemmyer, Tribut und Geschenke bringend ; zuletzt die Gesandten der
Auxumiten, welche dem Hydaspes nicht unterworfen, sondern be-
freundet waren: sie bringen eine Giraffe zum Geschenk. Als die
Opferthiere an den Altären des Helios und der Selene das seltsame
Ungethüm sehen, reissen sich dort die Pferde, hier ein Stier los
und* toben umher. Theagenes bändigt kühn und geschickt den wilden
Stier. Entzückt, verlangt das Volk, nun den Jüngling mit einem
ungeheuren feisten Aethiopen, welchen Meroebus mitgebracht hcat,
kämpfen zu sehen. Der gewandte Theagenes überwindet im King-
kampf den ungeschlachten Gesellen. Vom Könige aufgefordert, sich
eine Gnade zu erbitten, verlangt er, von der Hand der Chariklea
geopfert zu werden. Dies wird ihm abgeschlagen, da eine Frau
das Opfer vollziehen müsse, Chariklea aber Jungß^au sei. Zuletzt
kommen noch Boten des Oroondates. Sie bringen einen Brief, in
weldiem der Satrap bittet, einem, mit den Gesandten angekommenen
heUenischen Greise doch zur Wiedererlangung seiner, angeblich unter
den Kriegsgefangenen befindlichen Tochter behülflich sein zu wollen.
Der Greis wird vorgelassen: es ist Charikles. Vergeblich sucht er
unter den weiblichen Gefangenen seine Pflegetochter. Dagegen er-
kennt er den Theagenes und stürzt wüthend auf den Entführer seiner
Tochter zu. Sisimithres, den Charikles erkennend, klärt endlich Alles
— 432 —
auf; auf seinen Antrag werden die von d^n Göttern so sichtlich
Geschützten vor dein , in alle Zukunft aufzuhebenden Menschenopfer
bewahrt, und, feierlich mit der priesterlichen Binde der Heliospriester
geschmückt, nach vollbrachtem Opfer, unter Fackelglanz und Flöten-
schall, auf Wagen, zum Hochzeitsfest nach Meroe geleitet; womit
denn die Aussprüche des Orakels erfüllt und ihre Abenteuer been-
digt sind.
lieber die Person des Heliodor ist uns eine, jedenfalls
merkwürdige Notiz bei Sokrales, welcher in der ersten Hälfte
des fünften Jahrhunderts eine Kirchengeschichte schrieb, erhal-
ten. Dieser berichtet : in Thessalien werde ein Kleriker, wenn
er nach seiner Weihe sich nicht seiner ehelichen Gattin ent-
halte, excommunicirt. Diese Sitte habe dort Heliodor, Bischof
von Trikka eingeführt, »dessen Werk auch die Liebesgeschichte
sein soll, welche er in seiner Jugend schrieb und »Aethiopica«
benannte«^). Ein viel spHterer Kirchenhistoriker erweitert
diesen Bericht des Sokrates dahin, dass Heliodor, von einer
Provinzialsynode aufgefordert, entweder seine bedenklichen ero-
tischen Bücher zu verbrennen oder von seiner geistlichen Würde
zurückzutreten, lieber auf diese Würde verzichtet habe*).
Diesen Zusatz hat man meistens als einen sagenhaften .
Auswuchs des Berichtes des Sokrates verworfen, jenen Bericht
selbst aber um so fester gehalten ^j. Mit wenigen Ausnahmen
1) Socrates bist, eccles. V 22 § 51 (vol. II p. 684 ed. Hussey.): — düLXÄ
ToO jxev ii BeooaXt^i ^do'j; ^PX^T^^ 'HXiöSwpoc TplxxTj« ttj; Ixci iVii^JSMi
['HX. xXT]pixöc Tp. T. i. ivi. cod. C. ; Tp. t. i, Ye^6|xrvo; dTctoxo-iro;,
wohl richtig, Clinton Fast. Heil. vgl. Soor. ed. Hussey vol. III p. 426 f.],
o'j X^Y^Tai i:ovV))xaTa ipnrtxd ßt^Xta, B. n£o; wv ouN^Ta^e xal Ai^toictxdi i:poc-
TjY^pcuoev.
2) Nicephorus Callistus bist, eccles. XII 34 (vol. II p. 296 D 297 A ed.
Ducaeus, Paris 4 639 fol.): — dXXdl toD [Jiev is OeoaoXla fdoo; TcpoxoriipEcv
'HXi^^oDpo; IxeTvo; TplxxTj; iriöxoTioc. ou TiovVjfJiaTa dpootind elo^n vw 1»-
pi^^perai B. v£o; oiv ouvcTd^aTo AidtoTTixdi, nun hi xaXoOai xaura XapbcXciav
(so in den Gnonnologien des Max. Conf. etc.). hi S xoii rf^v iirt9xoirf|V
d?pTQp£d7j. Iirei^ Y*P ^oXXoic twv nIoon xiN^uveuetv ixei^v littet , i^ ^<&pt^
7:poa£TaTT€ o6vo5oc, tj xdc ß(ßXou; dlcpaNtCetv xal irupi BanaNOv, &;r<zvaircou9ac tiv
Ipwra, tJ [iTj /p^Nai lepdo&ai ToiaOra ouNd£[Ji£voN. t6n hi {jidXXoN i)v£o0at tfjv
3) So Huet De Torigine des Romans p. 52. 53, und viele Andere.
An der Identität des Bischofs und des Erotikcrs zweifeln z. B. Valesius lO
Socr. 1. 1. , Sorellus , den Bayle Diction. s. H^liodore n. E zu widerlegen
— 433 —
halten ältere und neuere Gelehrten für den Verfasser der Aethio-
pischen Geschichten jenen , übrigens nicht weiter bekannten
Bischof Heliodor von Trikka , den man an das Ende des vier-
ten Jahrhunderts, unter die Regierung Theodosius des Grossen
und seiner Söhne zu setzen pflegt. Für diese Zeitansetzung bieten
übrigens nicht einmal die Worte des Sokrates irgend einen An-
halt; vielmehr lassen diese die Zeit des Bischofs Heliodor ganz
unbestimmt. Einen christlichen Bischof sich als den Verfasser
der äthiopischen Erzählungen zu denken fand man aber um so
weniger bedenklich, w^eil man nicht nur in der Reinheit der
Sitten, welche diesen Roman zumal dem des Achilles gegenüber
auszeichnet, Spuren einer christlichen Sittlichkeit, sondern
auch in Worten und Wendungen Einflüsse christlicher Littera-
tur, in Sittenschilderungen und episodischen Berichten hie und
da den Widerschein christlicher Lebensweise und biblischer
Sage zu erkennen glaubte^]. Diese Spuren von Christlichkeit
des Verfassers beruhen indessen durchaus auf einem trügeri-
schen Schein: man mag sich eine Vorstellung von der Art
dieser eifrig aufgespürten Ghristianismen machen nach Proben
wie diese : Chariklea , fälschlich des Giftmords angeklagt und
hart bedroht, verlacht im Stolz ihres guten Gewissens die
Drohungen: das soll aus den Marlyrologien entnommen sein.
Sie wird aus dem Feuer wunderbar errettet: ohne Zweifel in
Nachahmung der drei Männer im feurigen Ofen. Kalasiris ist
ein Avatära des Aaron, Hydaspes ein Seitenstück zum Theodo-
sacht, neuerdings Jac. Eurckbardt, die Zeit Coostantins d. Gr. p. 313; dem
Ghassang, Hisl. du roman p. 415 scheint die Identität wenigstens nullement
prouväe. Gründlich untersucht hat bisheiv Niemand die Frage , die sich
doch, wie ich zu zeigen hoffe, vollständig in's Klare bringen lässt.
1) Christliche und biblische Einflüsse in Ausdrücken , Sittenschilderun-
gen, Sagenwendungen sucht beim Heliodor nachzuweisen Korais in seiner
übrigens vortrefflichen Bearbeitung des Heliodor mit griechischem Com-
mentar: is llapioiot; 1804 (2 voll.): s. vol. I p. xo' xe', vol. U p. 56 {zu
ocX. 56 OT. 18), 63 (zu 64, 12), 95 (zu 91, 9), 98 (zu 93, 4), 103 (zu 98, 10),
4S9 (zu 127, 25), 131 (zu 129, 11), 316 (zu 881, 23), 324 (zu 392. 20),
147 (zu 147, 20), 153 (zu 151, 16), 234 (zu 273, 17), 262 (zu 319, 12),
264 (zu 324, 17), 267 (zu 329, 2), 268 (zu 332, 10;, 270 (zu 335, 6)^
279 (zu 347, 2), 333 (zu 403, 15), 339 (zu 412, 12). Ich habe die sömmt-
Jichen Stellen aus Korais Commentar angeführt, damit Kundige sich selbst
von der völligen Nichtigkeit seiner Argumente leichter überzeugen künnen.
•
Bohde, Der ipriechische Roman. 28
— 434 —
sius^). Von ähnlicher Art sind alle diese Entdeckungen; wir
dürfen getrost iillen unbefangenen Lesern des Werkes über-
lassen, zu beurtlieilen ob ein ungetrübter Blick auch nur den
geringsten thatsüchlichen Anklang an Biblisches und Christ-
liches in der Erzählung des Heliodor entdecken könne.
Wir dürfen aber viel weiter gehen. Weit entfernt, dass
Heliodor sich irgendwo von christlichem Glauben durchdrungen
oder auch nur leise angerührt zeigte, bewährt er sich vielmehr
als ein keineswegs inditle renter sondern ganz speciiiseh from-
mer Anhänger des alten Glaubens.
Es nmss zunächst schon auffallen , wie häufig in dieser
Dichtung der Götter überhaupt gedacht wird. »Die Gottheit«^,
»die Götter«^) oder, mit einer, besonders bei frommen Neu-
pythagoreern und Piatonikern üblichen scheueren Bezeichnung
»die Mächtigeren«^], werden vielfach genannt. Daneben aber
gelegentlich auch »der Gott«^) : das möchte, nach antiker
S[)rechweise , aus der ganzen Sc*haar der Götter jedesmal der
als wirkend gedachte Einzelgott sein. Indessen lassen einige
Wendungen ganz deutlich erkennen dass für den Heliodor »der
Gott« ein Einziger, für sich allein allen übrigen Göttern ent-
gegengesetzter ist, nämlich Apollo, welcher, wie uns aus-
drücklich versichert wird, kein Andrer ist als die Sonne, rich-
tiger wohl als der Sonnengott ^j ; er allein steht , die sämmt-
lichen übrigen Götter aufwiegend , diesen allen in überlegener
Besonderheit gegenüber ?). — Häufiger noch als die »Götter«
1) S. Korais im Commcntar p. 264; 267; 4 31; 816; 824.
2) TÖ detov p. H, 4 (ed. Bekker) 255, 42; 290, U; 294, 28.
3; ol ^eoi p. 56, 4 ; 64, 6; 485, 28; 232, 46. 20. 84; 284, 4; 285, 49;
236, 7. 23. 80, 245, 4; 254, 23; 270, 2; 273, 20; 284, 34; 289, 47;
292, 4; 294, 40; 309, 82. ^d»v Tic p. 28, 23; 44, 49; 47, 45; 53, 24;
299, 29. — deoi oa)Tf)f>€c 248, 27; 269, 48. ^£ol ivöpioi 273, 82. lonoi
deot 36, 5. v6xioi deoi 83, 45. dNoiXioi deot 444, 80.
4) ot xpelTTOve;: 65, 28; 93, 44; 402, 44; 443, 9; 448, 7; 438, 46;
438, 9; 244, 8; 254, 48; 257, 9; 266, 27; 282, 44. xi xpciTTOv: 44,1;
232, 47; 309, 22.
5) 6 deöc 68, 28; 457, 49 — ^6;: 5, 80; 28, 29; vgl. 488, 82; 484,45.
6) p. 308, 24 : *Airö>^Na, töv aMv ^vTa xol 'HXiov. Und nun yer-
gleiche man Stellen wie p. 39, 40: uiro Tdyv dxTivtuv xoO ^eoO xaxauYoCofiivf),
wo 6 %t6i schlechtweg die Sonne ist. Aehnlich p. 24, 9 ff.
7) Vgl. p. 60, 29 oirfv^cofirv — sagt Kalasiris — dcoic i7X<i*P^<^^ (^* '*
Alpircloi<:) tc xal 'EXXr^vtoK; xal a^xu» fc 'AicöXXovi HuBicp. p. 64, 42:
— 435 —
werden die »Dümonen« genannt. Bisweilen ist, nach altgrie-
chischer Redeweise, DHnion nichts anders als ein unter Men-
schen wirkender Gott*). An andern Stellen treten aber »Götter
und Dämonen <^, als verschiedene Machte, neben einander ^J.
Da sind dann » Dämonen u jene, aus dem frommen Glauben ein-
zelner religiöser Secten allmählich in den Volksglauben, mehr
noch in die religiösen Vorstellungen mancher philosophischen
Schulen eingedrungenen Mittelwesen zwischen Göttern und
Menschen. Deutlich genug scheint bei Heliodor jene duali-
stische Vorstellung durch, welche aus dem Wesen der Götter
das Böse , Schadenfrohe , Ruchlose nach KrUften ausgesondert
und diese, in der Leitung des Menschenlebens so verhüngn iss-
voll thatigen Aeusserungen einer göttlich unbeschränkten Macht
den Dämonen überlassen hat^). Er redetauch wohl von dem
Dämon welcher den einzelnen Menschen und dessen Geschick
als sein besonderes Theil erloost habe: auch dieser ist im
Wesentlichen ein schadenfroher, wenig bedenklicher Quälgeist^).
*AicoXXov, £«pt) dlvaßoVjOac, xal Äeo(. p. 74, J7: irpo; 'AttöXXoivo; auTou
xal Töv ixjKJtopims aoi (^ecbv. p. 21, 2, 29: ir.6[».s'j\t.i aoi Äewv tov xdtXXiorov
'HXiov (welcher Ja = Apoll ist) xai deou; tou; dfXXoj;. \^\ p. 284, t (in, 6).
1) So p. 5, 30. 31; vgl. p. 269, .27 ; 275, 26. 27. p. 91, 23 heissi
Hermes, mit einer irdischen Frau verkehrend, ^aifxooN.
2) 0eoi xal ^atjjiove; neben einander: 90, 19 (vgl. 92, 9); 158, 22; 234, 8.
3) Den Göttern wird meist die Wirkung des Guten zugeschrieben:
vgl. die oben p. 434 A. 3. angezogenen Stellen. Es kommt auch einmal ein
ic^tov ßo'jXr^fia ^alfiovo; vor (196, 46), in der Regel aber ist vom Mpioiv
die Rede, wenn ein, von der oucfievela xpelTrovo; (234, 42) verhängtes Un-
heil auf seinen Urheber zurückgeführt werden soll. Vgl. p. 4, 4; 89, 25;
42, 2; 58, 27; 69, 8; 407, 25; 447, 81; 448, 29; 428, 27; 429, 42;
444, 26; 452, 49; 473, 28 (ßapeia ßouX-rioei . oa((iovoc) ; 198, 5. 42; 206, 48
(6 $a(|xa)v Towura i^fiiv TTpo^evei tgI EuruyVjfJLaTa , dv ot; i:X£ov ivzi xtX tö
•MTMi irpdkreiv t^« SoxoüaTj; euTTpaifia;) ; 212, 4; 269, 27.; 286,. 7 (fjL-/) ti;
Sa((j,a>v fj^iiv iTZiTzaifin) . 89, 29: ia rq; S^k^TTfOi xotl TfjC »dlppf^TOU töO 5at-
fAOvoc ßaaxovta;: vgl. 78, 47; 4 49, 32: oj Tfjc dfJLSiXlxTou xad' Vjfiwv toO hai-
lAOvoc ^tXoveixCac. Dergleichen wird man nirgends von den ^o( ausgesagt
fioden: wie ganz anders klingt selbst 294, 46: cu 06o(, die xaxol toTc xaXoTc
iobnaxt \tkVp*jsai.
4) 6 TÖre elXTj^ebs Öalficnv des Kalasiris verwandelt sich in die ver-
führerische Rhodopis: 64, 22 (dagegen %e6^ Tt; eU KaXdiatpiv (patv^pievoc
234, 34). Chariklea sagt 424, 26: 6 [».rfikizm xexopeafilvo; i\iLk d; dpyfii elXr^yobc
(aCfAarv, piixpiv täv i^oonwv öirod^fuvo«, eha i^rdtTjacv. Vgl. 467^ 22; 472, 48;
84, 29: ^col xal 6 ti?)v ölpX"^^ Xa^ebv 5a((iio>v.
28r
— 436 —
Die Götler dagegen wirken zumeist wohlwollend und weise
fürsorgend auf die Menschenwell ein. Wenn bisweilen noch
neben den Götlern und Diimonen die Moiren, welche in »un-
abwendbaren Bostiiimiungen« jedem sein Theil zumessen, er-
wähnt werden^), so ist freilich schwer zu sagen, wie sich die
Competenzen dieser verschiedenen Herren abgrenzen. Zuletzt
fehlt auch die Tyche nicht; als ein halbpersdnliches Wesen,
welches aber wohl zu den Dämonen , als ein besonders wilder
und willkürlicher Dämon, gerechnet werden soll 2).
lieber die Tyche, die Dämonen, die Götler selbst ragt sehr
merklich der Eine und oberste Gott, Helios -Apollo empor.
Während Zeus nur einmal in einer Phrase erwähnt wird, nicht
anders Ares, kaum je anders [und das in einer Liebesgeschichte \)
Aphrodite; während Dionys, Demeter, Hermes, Athene, Poseidon,
Isis kaum einmal beiläufig genannt werden, während selbst
Eros nur als eine herkömmliche Verzierung erotischer Fabeln
erscheint : sehen wir Apollo , im Bunde mit seiner Schwester
Artemis durch die ganze Reihe der Abenteuer in lebhaft be-
stimmender, leitender Wirksamkeit. Apoll ist es, der durch
den Mund der Pvthia dem Paare seine Geschicke voraus ver-
kündigt; stufenweise trelTen seine Voraussagungen ein, und
noch am letzten Ende der Abenteuer mahnt uns die Erfüllung
eines besonders dunkeln Zuges der Wahrsagung an die Weis-
heit und bestimmende Thätigkeit des Gottes^). Er ist es, der im
1) OeoT; ToU a>.Xotc xai Mo(patc 93, SS. Motpd>v arpeTnoi Spot 63, 17.
Vgl. 64, 30; 57, 13; 89, i9 ; 186, 45; 487, S8; 293, SO; 284, 4. — cl(i.ap-
jjL^VT) 63, 23; 400, 48; 409, 32; 428, 25; 485, 23. t6 Trerpoifif^ov 275, 34.
TTpoc toO (atpLOvUu etfiaptat: 293, 4. (t6 oixaiov: 272, 29; 283, 8.
6 TfjC A(xT); 6cp»aXfJi<Sc 238, 25. — 'Epivu;: 44, 49; 47, 34.)
2) T6yT,: 46, 28; 32, 4 ; 59, 4; 428, 25; 429, 9; 449, 9; 454, 34;
494, 20; 207, 3; 224, 47; 225, 47; 234, 44; 236, 34; 248, 30; 257, 2;
307, 47. An anderen zahlreichen Stellen tritt das Persönliche der
Tyche wenif^er deutlich hervor. Es ist öfter von mehreren xuyai die
Rede: äl Tuyai 184, 9; 32, 4. tü/t); tivoc ßouXTfjfjLaTi : 449, 9; xO^^tj Tic
59, 4. — 236, 30: Oco'j; t£ xai Tot; rapouaa; T6yac iitofivuvTEc Merk-
würdig 4 85, 44; tht xi ^aipioviov gXxt T6*/7] ti; xdlvOpc&Treia ßpaßeuouoa. —
4 68, 3 oiT\r/r^ xai oa(pLove;. Identisch scheinen T6y7) und ^((acdv gefiassk
zu sein V 7 p. 429, 9. 42. Und unverkennbar ist mit dem, p. 426, 5 ff.
geschilderten oaififiviov die Tyche gemeint.
3) Die weissen Binden der Helios- und Selenepriester, welche Hydaspes
und Persina ihren Kindern abtreten: X 44.
— 437 —
Traumgesicht dem Ralasiris befiehlt^ mit Ghariklea und Theagenes
nach Aegypten zu entfliehen *) ; er besorgt ihm das phönicische
Schiff zur Abfahrt 2) ; er lenkt und leitet, ordnet und veranstaltet
Alles, was dem auserwählten Paare begegnet 3). Schritt ftlr
Schritt enthtlllt sich »die göttliche Oekonomie« des Ganzen *);
staunend begreifen am Schluss alle Betheiligten, wie »die
Wunderwirkung der Gölter« durch Noth, Gefahr und schein-
bare Zufalle Alle zu dem vorher gewollten Ziele gelenkt hat*).
So bekommt die ganze Erzählung beinahe eine erbauliche
Tendenz; Theagenes selbst, dem Schutz der leitenden Götter
vertrauensvoll ergeben, spricht offenbar die Meinung des Dich-
ters selber aus , wenn er die Ghariklea einmal ermahnt , die
Götterleitung lieber fromm zu verehren als dartlber zu kltl-
geln^). Der Plan des Gottes wird uns nun freilich nirgends
klar vorgelegt, aber ich denke, man begreift ihn aus dem
Gange der ganzen Handlung. Ghariklea, geboren aus dem von
Helios abslammenden Königsgeschlecht der Aethiopen^) wird
unter der unmittelbaren Obhut des Helios-Apollo in Delphi er-
zogen , um dann , durch Leiden und Versuchungen erprobt,
nach langen Irrfahrten, zurUckgeleitet zu werden in das Land
der Sonne, welches unter dem Schutze des Helios und der
1) p. 89, 24. — Um die Ghariklea aufzußnden, haben die Götter den
Kalasiris aus Aegypten fliehen lassen: p. 93, 24 — 25.
2) p. H4, 6 ff.
3) Als Ghariklea auf dem Scheiterhaufen steht, ruft sie, die Hände
nach der Gegend des Himmels ausgestreckt, in welcher die Sonne steht,
den Helios um Schutz an: 231, 9 ff.
4) ii i% ^e&^ oixovo{ji('x 107, 32. Ihre Flucht aus Delphi entschuldigt
Ghariklea p. 309, 32 damit, dass sie geschehen sei nach dem ^o6XT]fxa tuiv
^tm'^, der oioixt)ai; dxetvtuv.
5) Sisimithres weist p. 310, 26 — 311, 9 darauf hin, wie sich in den
Schicksalen des Paares ganz deutlich ein %tXo^ ^Tj|X'XTo6pYT]{Jia offenbare.
Aehnlich schon Hydaspes p. 290, 2 ff., vgl. 296, 18 ff.
<i) ToO eucseßelv zXeov Tj toü cppoveTv dvT^yeoö^ai p. 234, 16.
7) Helios ist der -^t^dp/r^^ des Königsgeschlechts in Aethiopien: 106,
4 8. 22; (Helios Selene Dionysus : Tratpioi deoi der Aethiopen : 274, 24).
Hydaspes sagt p. 284, 1 : ''HXie -^esdpym Ttpofövmv ifioäv. — Verehrung des
Helios und der Selene , als der obersten , allein ewigen Götter in Aethio-
pien : Diodor III 8, 45 Wess. (ungenauer, wiewohl sonst aus gleicher Quelle
wie Diodor [Artemidor?] Strabo XVII p. 822). Vgl. aber namentlich Bion
Aiftioir. fr. 5 (fr. bist. IV 351). Al^ioirc; tou; ßaaiXioov irax^pa; oux £x<pamuaw
dXy cu; Svra; uloo; 'HXiou irapaoiWaaiv.
— 438 —
Selene steht und, weil es dem höchsten Gotte, Helios, so nahe
liegt, die Ileinicith göttlicher Weisheil ist. In dem Sonnenlande
Aethiopien leben, nach Heliodor, die Gymnosophisten, die
weisesten der Menschen; in sein eigenstes Reich, in das Reich
reinster Gotteserkcnntniss, führt Helios seine Schützlinge zurück :
ihr Ziel ist kein zufällig oder beliebig gewähltes.
Man wird nun wohl bemerkt haben, wie die ganze theolo-
gische Vorstellungsweise des Heliodor nichts anderes ist als eine
etwas abgeblasste Wiederholung der neupylhagoreischen,
aus altpythagoreischein Glauben und platonisirender Speculation
zusammengewobenen Theologie, wie sie uns in der pseudopytha-
goreischen Schriftstellerei , deren Reste Stobaeus aufbewahrt
hat, entgegentritt und in allerlei Variationen auch bei Maximus
von Tyrus, Plutarch und andern Halbphilosophen der beiden
ersten Jahrhundertc unserer Aera lebendig ist. Eine erste und
höchste, völlig überweltliche Gottheit; viele sichtbare Götter,
die Gestirne, und darunter als höchster Helios; eine ganze
W^elt von dämonischen Mittelwesen welche heilsam oder viel-
fach auch verderblich auf die Menschen einwirken : das sind
die wesentlichen Voraussetzungen dieses Glaubonskreises ^) .
Mehr als diese allgemeinsten Voraussetzungen theilt Heliodor
mit einem der praktisch wirksamsten, vorzugsweise religiös
gerichteten Mitglieder der neupythagoreischen Secte, dem Apol-
lo n i u s von T y a n a . Die Psychologie beider beruht freilich
wohl noch auf dem allgemeinen platonisch-pythagoreischen Spi-
ritualismus: die Seele, aus einer göttlichen Heimath in die
menschliche Leiblichkeit herniedergesunken, trägt die Fesseln
des Leibes, aus denen sie sich gleichwohl nicht willkürHch be-
freien darf; durch den Tod stirbt sie nicht im eigentlichen
Sinne, sondern wird, wenigstens nach einem gerechten Leben,
zu einem »bessern Loosc« hinübergeführt *). Die Götterlehre
1) Ich verweise in Kürze auf Zeller, Philos. d. Gr. HI S, 76 f., 400 f.,
103. \%%. 457 f., 487 f.
2} Diese Vorstollungsweise über Natur und Schicksale der 4^x^ ^^^ hei
Heliodor, wiewohl natürlich nirgends genau ausgeführt, gleichwohl deuUicb
erkennbar ani^cdeutet in Ausdrücken wie diesen: ^'jy^i dizai dvaNOpoir-^-
aa5a p. 71, 4i; Heio'rf r^ 'Vj/Tj 84, 5. Theagenes nennt 285, 6 Xiiciv
oeajjLÄv 'zi^u isWi^ht d7ro toO awuaTo; dr.M^n^s. Kalasiris sagt 69, 4 0 : i^j^
Tov o'jx i^d^to ToO ßio'j, Toi; l^£o)wOYOv>aiv tu; d^^p,iTov t6 TCpÄYJJta iretd^fAsvec
(acht pythagoreisch: Bückh, Philolaus p. 4 79 ff,). Mehrfach zeigt sich der
— 439 —
des ApoUoDius ist wesentlich die gleiche welche aus den An-
deutungen des Heliodor zu entnehmen war: ganz vorzüglich
treffen aber Beide in der Verehrung des Helios als des ober-
sten und reinsten Göttlichen zusammen. Dies ist der Cardinal-
punct der Religion des Apollonius^j. Mit der Unterscheidung
einer doppelten Geisterwelt hängt wohl die Annahme einer
doppelten magischen Weisheit zusammen^ einer niedrigen Zau-
berkunst (deren Realitcit ApoUonius sowenig wie Heliodor in
Zweifel ziehen will) und einer höheren göttlichen Weisheit.
Die letztere schreibt Heliodor seinem Kalasiris zu; ApoUonius
behauptete sie selbst inne zu haben und legte ein starkes Ge-
wicht auf ihren Unterschied von der vulgären Zauberkunst ^j.
Glaube an die gesonderte Existenz der ^^'^x*^ (^ cpaapLa) nach ihrer Tren-
nung vom Leibe: z. B. 5, 8; eUooXa der Getödteten : 6, 18; 48, 7. Die ^u/-^
gewaltsam Getddteter, noch Cnbegrabener schweift um die Erde herum,
Yon den ve(>T^pia elSoiXa nicht aufgenommen (allgemeiner griechischer
Volksglaube, noch heute bei den Neugriechen lebendig: B. Schmidt, Volksl.
d. Neugr. I 169). Von einem eigentlichen Tod der Seele kann keine Rede
sein: t?jc f^j^oLiUihi elc t9jv «T^pav X-^Ji^ divaXufte(ar^c 68, JO. Den ge-
storbenen Kalasiris sollte man ya(povTac xal cjcpTjfxoDvTac ixr£p.7cetv (An-
spielung auf bekannte schöne Verse des Euripides) , o>; Tfjc ßeXT(ovo^
^txei\yiy6T'x Xif^^ecuc xal irpö; x&v xpciTT(5vo)v xexXTjpoDpievov : 198, 81 ; -^p«»;
heisst der Verstorbene Kalasiris 196, 16 nach gewöhnlichem Sprachgebrauch;
spttter einmal 6 OetÖTaxoc KaXöiotpt;. Wenn Kalasiris 60, 82 die Chariklea
und den Thcagenes eU deouc dlva^pcKcpet, so thut er das wohl, weil er sie
für verstorben halt. Denn auch nach ApoUonius Tyan. epist. VII
p. 860, 81 (Philostr. ed. Kayser 1871 vol. I) wird ein Todter ^eö; ü dv-
^p<67CO'j. ApoUonius leugnet überhaupt entschieden das TsOvdvat im eigent-
lichen Sinne: s. ausser epist. VII, Philostr. V. Ap. p. 298, 4; 804, 4. Im
Uebrigen über die wichtigsten Puncte seiner Seelcnlehre die Zeugnisse des
Philostratus bei Zeller a. a. 0. p. 138.
1) U^ber den Sonnencultus des Apoll, vgl. die Stellen des Philostratus
bei Zeller p. 187 A. 6. Er selbst galt ja für eine Epiphanie des Helios-
Apollo.
2) lieber die zwiefache oo(p(a der Aegyptcr, die 57)fA(&ST];, welche etSoaXa
der Todten beschwöre und üeblem diene (u. A. auch cpavxaaCac täv jii?)
6vztas (uc ^vToov bewirke p. 93, 9: wobei man wohl an Vorgaukelung von
Gttrten u. dgl. zu denken hat, wie sie aus der Faustsage und sonst bekannt
sind [vgl. Liebrecht zu Dunlop p. 588 und zu Gerv. Tilbur. p. 64 f.]), und
die dXrjOob« oo?pla der Priester und Propheten, welche <p6ae(»; xpcircövcnv
|A£Toyo<; sei, den Geist erhebe, Kenntniss des Göttlichen und Vorauswissen
des Zukünftigen gewähre: hierüber handelt Heliodor III 16; vgl. VI 14
p. 176, 29 ff. Denselben Unterschied hielt ApoUonius fest: er will nur in
— 440 —
Die höheren Götter, und gar den Helios, erweicht man auch
nicht durch Thicropfer: wie Apollonius auf Abschaffung der
blutigen Opfer fortwahrend dringt , so verehren die gottbegei-
sterten Gymnosophisten des Ileliodor die Gottheit nur durch
Gebete und Raucherungen. Vom Fleisch der Thiere zu essen
ist, wie dem Apollonius, so dem Propheten Kalasiris ein Gräuel;
ebenso wenig trinkt er Wein. Das Ideal emer gottj^efäUigen
Lebensweise hat sich dem Ileliodor in die Figuren des ägypti-
schen Priesters und der äthiopischen Gymnosophisten gewisser-
maassen gespalten. Diese letzteren sind nun vor allem Andern
als eine Erbschaft des Apollonius zu betrachten. Ihn Hess die Sage
dem zweiten Sinne ein [kd-^o^ heisscn : episl. 46, 17; völlig in seinem Siooe
Philoslr. V. Apoll. V 4i; VII 39; VIII 7 p. 306, i ff. (mit Hei. p. 9S, 9
vgl. Pbil. p. 306, 5;. Ich bediene mich hier überhaupt ohne Umstände
des Philostratus als eines Zeugen für die Meinung, wenn nicht überall des
Apollonius selbst, so sicherlich des Damis. Ich bin durchaus überzeugt, dass
Philostratus, lediglich ein rhetorischer Redacteur des bei Damis gebotenen
Sagenstoffes, und selber gar nicht einmal gläubig, in dem Materielleo
seiner Erzählung nichts aus freier Willkür zugesetzt, auch in dem Re-
ligiösen das Phantastisch-excentrische eher abgeschwächt, als gesteigert,
lediglich im Rhetorischen und Formellen sich frei gehen gelassen hat].
Ein merkwürdiges Zeugniss über die von Ap. geübte [xa^cb, nicht yo'»J«^
in exe. cod. Barocc. 494 bei Gramer, Anecd. Oxon. IV 240. — Kalasiris,
der höheren aocpta theilhaftig, übt die poetische Kunst nur zum Scherz und
Schein: IV 7 (p. «05, 24 ff. merkwürdig ^»jvölfici;, dvrfOeoc ti;, die uTnjpte
des Zauberers); vgl. p. 134, 18 ff. Bei der Todtenbeschwöruog der bcs-
säischen Alten darf er eigentlich nicht einmal zugegen sein: p. 176, 29.
1) Die Gymnosophisten des Ileliodor möchten t6 delov nicht durch
Thieropfer, sondern nur oi' ci^^wv xai dpoifjiaTODV verehrt sehen : p. 282, 8 ff.
So soll nach Apollonius ::. (fustö)^ bei Euseb. praep. cvang. IV 13 die
höchste Gottheit nur durch Andacht des voO; verehrt werden; er verbietet
Thieropfer und Fleischesscn epist. 43 und enthielt sich selbst dieser Dinge.
Vgl. Philostr. V 25 p. 184; p. 315, 22 ff.; 320, 15 ff.
2) Kalasiris enthält sich der Fleischnahrung und des Weines: 62, 1;
89, 6 ff., ebenso wie Pythagoras und Apollonius. Dagegen geht Apollonius
in seiner völligen VIrginität weiter als Kalasiris, welcher verheirathet ist:
denn nur rrjv rdvor^jj-ov 'A^pooirrjv t6 rpotpTjTixov dTifxdCei ^ivo;: p. 26, 11.
(Diese rpocpf^xai der Aegypler werden zu dem xaT dX-rjOeiav ?pi>.ooo^5v unter
der Schaar ägyptischer Priester gerechnet, z. B. auch bei Porphyr, de abst.
IV 8 p. 167, 25 ff. N. Heliodor hält offenbar den Isispropheten in Mem-
phis [dessen Amt sich auf seinen Sohn vererbt, wie nach Herodot II 37
extr. alle ägyptischen Priesterämter] für den höchsten Priester: in der
Inschrift von Rosette Z. 6 folgen die TTpo^f^xai erst nach den dp^icpel;).
— 441 —
die höcfasten Vorbilder der Weisheit und Frömmigkeit freilich bei
den i D d i s c h e n Anachoreten aufsuchen und Gnden: sie führte
ihn aber auch zu den Gymnosophisten in Aethiopien, deren
Weisheit, wenn auch der indischen (von welcher sie hergeleitet
sein sollte) nicht ebenbürtig, doch der ägyptischen überlegen
war ^) . Bei den Aelhiopen überhaupt eine absonderliche Weis-
heit zu suchen konnten die Griechen wohl nur durch die,
ihnen so geläufige Uebertragung indischer Sagen auf Aethio-
pien veranlasst werden. Während nun im Uebrigen kaum
einige kurze unbestimmte Notizen uns von der vorausgesetzten
»Philosophie« der Aethiopen reden 2), so scheint Apollonius der
Einzige gewesen zu sein , welcher die , aus den Berichten des
Onesikritus so bekannten, in die Alexandersagen frühzeitig ver-
flochtenen und somit fast populär gewordenen indischen Gymno-
sophisten geradezu nach Aethiopien hinüber pflanzte und von diesen
fingirten äthiopischen Weisen wie aus eigner Kunde zureden wagte.
Ich glaube nicht zu irren wenn ich annehme dass nach seinem Vor-
bilde Heliodor jenen Chor bedürfnissloser Weiser in sein Sonnen-
land verpflanzte, welche als Propheten des Zukünftigen, als stolze,
nach Brahmanenart unabhängige Berather des Königs, in rei-
ner Gottesverehrung, ein der unbedingten Wahrheit, dem Edlen
und Guten allein geweihetes Leben führen ^) . Es darf uns dabei
1) — To6c Fufxvouc oo<p(a 'Ivo&v XeCirea^ai tüXIov tj 7rpo5yeiv Al^uirrtcov,
Philosir. V. Ap. p. 2^0, 48. — Diese FufAvoi werden im sechsten Buche des
Philostratus bald Aegypler, bald Aethiopen genannt. Die erste dieser Be-
zeichnungen ist nur ein nachlässiger Ausdruck des Philostratus, genau
geredet sind seine Gymnosophisten unzweifelhaft Aethiopen: wie denn
VI 16 p. i28, 17 ff. der Aegypter Nilus ausdrücklich berichtet, wie er
aus Wissensdurst zu den Aethiopen, den aTroixot 'M&v als der weisesten
Menschen gezogen sei.
2j So erzählt bei Lucian, Fugit. 8 die Philosophia, wie sie von den
Brahmanen et; AlftioTrlav, clta cl; ATy^tttov gezogen sei. So kommt
Dcmokrit auf seinen wissenschaftlichen Reisen u. A. zu den Gymnosophisten
in Indien %ol\ et; AlftiorCav: >'Tivl;n bei Laert. Diog. IX 35. (Von Aethiopiae
Magi, zu welchen Pythagoras und Demokrit gekommen seien, redet Plinius
n. h. 25 § 13.) — Gewiss beruht dieser Glaube an aethiopische Weisheit
nur auf Verwechselung oder Idcntificirung Aethiopiens mit Indien, über deren
Häufigkeit man vgl. Schwanbeck Megasth. Ind. p. 2, auch Letronne, Ma-
t^riaux pour l'hist. du christianisme cn Egypte etc. [Paris 1882) p. 31—33.
3) Die Gymnosophisten a6veopoi xal oup-ßouXoi twv Trpaxxiüav xtp ßaaiXet
fevöfAevoi p. 274, 10. Ihre Prophetengabe p. 274, 15; 276, 3, Sie dürfen
— 4« —
nicht stören, dass wir hier Züge der Inder und der äthi<q>i-
sehen Gymnosophisten des Apollonius verschmolzen finden:
Heliodor konnte dies um so leichter sich gestatten, weil bei ihm,
nach gut griechischer Vorstellung, Inder und Aethiopen nicht
wesentlich verschieden sind, sondern als die y> östlichen und
westlichen Aethiopen« von dem Einen meroYtischen König be-
herrscht werden^). Wie nun also Apollonius, der Sonnen-
verehrer, nach der »Heimath des Helios und der Inder« zieht, um
von der höheren Weisheit derer,' jwelche dem Helios, der Quelle
des Lebens und der Weisheit näher wohnen, zu lernen: so
lässt Heliodor sein auserwHhlfes Paar, unter der Leitung des
Helios-Apollo selbst , endlich in das sonnenreiche Land der
weisen Aethiopen, als in das würdigste Ziel einer beschwer-
lichen Lebensreise, gelangen 2), Und damit wir dieses erbau-
lichen Zuges seiner ErzHhIung ja nicht vergessen, schliesst er
bedeutungsvoll sein Werk mit den Worten : dieses Buch »schrieb
ein phönizischer Mann aus Emesa , aus dem Geschlecht der
vom Helios Herstammenden, des Theodosius Sohn, Hello-
dorusft^).
Wir sind weit genug von dem christlichen Bischof in Thes-
salien abgetrieben worden. Von Christlichkeit des Verfassers
nicht lügen: p. i86, 16; leben nur dem xaXöv xd-^oM^: p. 287, «8. — Die
Grundsätze der Gymnosophisten des Apollonius kurz zusammengefasst
Philostr. p. «U, 4«— n.
1) p. 25 <, 8: TWaTTTjc 6 twv irpo; dvoToXaT? xal (v>opt,atc Al^i^icmv p«m-
Xi6; (das sind die alten A(&(or£c rot hiyM (e(d(aTat xtX. des Homer a St ff.).
Daher denn auch X 35 extr. die Serer ihm Tribut geben, wie sie scboB
vorher (IX 4 6. 47) in seinem Heere mitgekämpft haben — p. J97, 17
bringen die aethiopischen Troglodyten yo'jaov töv fjiupfjiY)x(aN : eine üeber-
tragung der famosen goldgrabenden Ameisen aus Indien nach Aethiopien.
Ebenso übrigens bei Philostr. V. Apoll, p. 204, 27. Vgl. Schwaobeck
a. a. 0. p. 71.
2) Apollonius geht zu den Indern ivdu[AT)^eU nepl aurdv «bcXcirrönpot
(1^ tV)v S6vcotv ol Toto(%e dfv&pcoTroi, xa^apoor^patc 6(i,tXoOvTec dixTtotv, iktf
^orepot hk xci; Trepl ^üastoc re xal ^tms h6ifi^ arc df/idtoi xoX tipoc df/yiili
T^« C«poYÖvo'j xal Oeppt'^J; oooto; oixoOvrec: Philostr. p. 249, 47 ff. — tÄ
'HXto'j Te xal 'Iv^äv irdTpia ib. p. 228, 29.
3) — O'jv^alev dvi^p <I>oTvi5 'Epittnjv^c, x&v d^ *HX(ou fivo;, BcoSoohiiMT;
HXifS^poc. Die Worte twv d^p' 'HX(ou y^o» lassen allerdings in Zweifel
(wie Korais Heliodor. I p. xß' bemerkt) , ob Hei. sich als einen Abkömni'
ling des Helios oder nur als dem Geschlecht der Heliospriester in Emesa
angehörig bezeichnen will. Vielleicht aber Beides zugleich?
— 443 —
dieser Erzählung wird nun hoflentlich kein Einsichtiger mehr
reden, auch durch die sanfle, leise asketisch gefärbte Moral
dieses Buches nicht mehr zu einer Verwechslung der Stimmung
des späten, angestrengt frommen, ein wenig verwaschenen und
charakterlosen Heidenthums mit christlicher Moral verleitet
werden, mit welcher allerdings diese blässliche spätheidnische
Moral bei oberflächlichem Hinsehen einige Aehnlichkeit zu haben
scheinen könnte. Nicht einmal dass in späterer Zeit dieser
so nachdrücklich seinen heidnischen Glauben proclamirende
Heliodor zum Christenthum übergetreten sein möge, braucht
man als irgend wahrscheinlich zuzugeben. Die Identität des
Erotikers mit dem Bischof von Trikka wird bei Sokrates nur
mit einem »man sagt« eingeführt; noch Photius stellt sie als
ein unsicheres Gerücht hin ^) : und wie leicht konnte dieses
Gerücht, welches zwei Träger des sehr gewöhnlichen Namens
Heliodor 2) kurzweg verschmolz, sich bilden unter christ-
lichen Lesern, welche vor allen Romanen gerade diesen, den
Sitten am Wenigsten gefährlichen, am Höchsten geschätzt, ge-
lesen, gepriesen 3) j in byzantinischer und sogar noch in modernef
1) X^fcrai Socr. a. a. 0. Photius, Bibl. cod. 78 p. 51b, 40: toütov hk
2) Eine beträchtliche Anzahl von Schriftstellern des Namens He-
liodor verzeichnet Kabricius B. Gr. VIII 426. 427 Harl. Noch einige andere
nennt Meineke Anal. Alex. p. 884. — Nur mit Einem Worte sei gesagt,
dass das, in 269 holprigen Jamben sich hinschleppende Gedicht eines
Heliodor Tcepl Tfj5 tö»v ?pi>.oa«59«v. p-'joxixfj; T^yvT]?, an Theodosius den Gr.
gerichtet (odirt von Fabricius 1. 1. 4 49 ff. Man findet es oft in Hss. : ein
Expl. z. B. auf der Landesbibliothek in Cassel) , durchaus gar nichts mit
dem Vf. der Aethiopica zu thun hat, dem man es früher allgemein zu*
schrieb (s. Fabr. p. 4 48). Dieser Poet ist ein gläubiger Christ und lebte
etwa zu der Zeit, in welche man gewöhnlich den Erotiker setzt: aber mit
ihm verglichen ist ja freilich unser Heliodor aus Emesa ein wahrer Glas-
siker an Vernunft und Kunst des Ausdrucks.
3) Preis des Heliodor: Photius cd. 78. Ein Vergleich des Heliodor
und des Achilles Tatius von Mich. Psellus: Miscell. crit. Batav. VII 8
(4 786) p. 366 ff., auch bei Korais, Heliodor. I p. oy]' ff. Widerlegung von
Tadlern des Heliodor durch Philippus philosophus, bei Korais ib. p. Tf{:
die Fortsetzung jenes Fragments des Philippus theilt, aus cd. Marcian. 440
saec. 42, Hercher mit, Hermes III 382—388. Endlich eine TtpoHtD^ii tou
^(jkO^öXaxo; über Heliodor im cod. Laurentian. LXXXVI 8 der Medicea
fol. 804 b. (saec. 45/4 6) ; copirt in Bandinis Katalog.
— 444 —
Zeit nachgeahmt ^! haben , und freilich ein Interesse hatten,
dieses hochbewunderle Werk sich selbst und ihrem Glauben
anzueignen. Strenger Urlheilende mögen denn doch gezweifelt
haben an der correclen Gesinnung dieses angeblichen Bischofis:
und so bildete sich die von Nicephorus überlieferte Sage').
Wir unsrerseits wollen den christlichen Bischof Ileliodorus von
der Schuld an einem so heidnisch gemeinten Liebesroman völlig
entbinden. Wie wenn etwa unser Kroliker mit diesem christ-
lichen Heliodor in Wahrheit nicht einmal den Namen gemein-
sam gehabt h^tte sondern , gleich Xenophon und Chariton sei-
nen wahren Namen versteckend, den bedeutungsvollen Namen
des Heliodoros nur zu Ehren des grossen Helios und seines,
in Emesa blühenden Dienstes angenommen hatte Z^) —
So geflissentlich nun auch der Erzähler seine Frömmigkeit
hervortreten Idsst, so vermag er uns freilich dennoch darüber
nicht zu tauschen dass alle fromme Ehrfurcht, der ganze er-
bauliche Klang und Gang seiner Erzählung zunächst ihm nur
als ein absichtvoll erwähltes Reizmittel seiner rhetorischen
Künste dienen müssen, deren Entfaltung, als dem wichtigsten
Zwecke, die ganze Erzählung eigentlich zu dienen hat. Wenn
1) Ueber Nachahmung des Heliodor in des Cervantes »Persfles y Sigt»-
munda«; in Tassos Gerus. liberata (c. XU st. tl IT.: Resse giä TEUopia,
e forse regge Senapo ancor con fortunato impero u. s. w.), und bei anderen
Italienern (nicht auch, wie man mit Huei annimmt, in Guarinis Pastor fido:
s. vielmehr oben p. 43 A. 8) und Franzosen vgl. Dunlop-Liebrecht, Gesch. d.
Prosad. p. 44. p. 458. p. 511. Für die europäische Litteratur wirklich, und
nicht zum Heil, bedeutend wurde sein Roman als Vorbild der heroischen
Romane der Scudery u. s. w. (vgl. Dunlop p. 370) , daher denn auch för
die »Afrikanische Sofonisbe« des Philipp von Zesen: vgl. Cholevius, die
bedeutendsten deutschen Romane des 17. Jahrh. p. 31.
2) Honoris causa sei hier eines Wortes des Montaigne gedacht, Es-sais
livre H eh. VIH : »Heliodorus, ce bon evesque de Tricca , ayma mieai
perdre la dignit<^, le profit , la devotion d'une prelalure si vencrable, que
de perdre sa fille : fille qui dure encore bien gentille : mais ä Tadventnre
pourtant un peu trop curieusement et mollement goderonn^e pour fille
Ecclesiastique et Sacerdotale, et de trop amoureuse fagon«.
3) An sich freilich löge nichts Unglaubliches darin, einen Sophisten von
der Art unseres Heliodor unter den Priestern zu finden. Aetian war,
nach Suidas, ap-^iepeO;. Andere Beispiele von schriftstellerisch (und zwar
in profanen Gebieten) thätigen Priestern hat Lobeck Aglaoph. 195 gesam-
melt. Priester des Helios war Dionysius Rhodius taxoptxö;: Suid. s. v.
— 445 —
auch des Heliodor Frömmigkeit etwas liefer in seiner wirklichen
Empfindung begründet sein mag als etwa die des Philostratus
welcher den erbaulichen Lebenslauf des Apollonius von Tyana
lediglich in rhetorischer Absicht ftlr elegante Leser zubereiten
zuweilen selbst eingesteht: ein Sophist sogut wie Philostra-
tus ist auch er, und ein Sophist nicht am Wenigsten in der
Unbedenklichkeit, mit welcher er hier einmal seiner Redekunst
ein halb religiöses Ziel vorstellt. Man kennt diese rhetorische
Frömmigkeit aus manchen Stücken des Aelian und aus den
»heiligen Reden« des Aristides.
Als einen Autor der sophistischen Zunft haben wir
ihn vornehmlich zu betrachten und zu beurtheilen. Und
hier ist ihm nun das Eine Lob nicht streitig zu machen,
dass er unter den sophistischen Romanschreibern den Anfor-
derungen einer kunstgerechten Anordnung seiner Erzäh-
lung , der dispositio , xa^i; nach rhetorischem Kunstaus-
drucke , zu genügen fast als der einzige und nicht ohne
Glück bestrebt gewesen ist. Man wird aus dem vorangeschick-
ten Abriss. seiner Erzählung die künstliche Verschlingung der
Darstellung leicht bemerken. Wir werden am Anfang gleich
in die Mitte der Abenteuer gerissen und erfahren, bei bereits
erregtem Interesse , aus den Erzählungen des Knemon und des
Kalasiris erst allmählich, wie sich die Geschicke des Helden so
seltsam verwickelt und verschlungen haben. Freilich wird uns
diese künstliche Anlage etwas aufdringlich und rhetorisch ab-
sichtsvoll erscheinen : man erinnert sich der Vorschriften der
rhetorischen Lehrer, welche die »Umkehrung der Anordnung«,
die Verschiebung der Glieder der Erzählung aus der zeitlichen
Reihenfolge zu einer künstlichen Gruppirung empfehlen, und
an der vielbewunderlen Oekonomie der Odyssee erläutern^).
Man merkt bei Heliodor ein wenig zu sehr die Arbeit nach
diesem Recept. Immerhin erreicht er durch diese sorgfältig
überlegte Anordnung eine gewisse Spannung des Lesers.
Seine Personen wirken am Anfang mit einem gewissen geheim-
nissvollen Reiz, der uns unmerklich in die weitere Erzählung
1) Man sehe namentlich Theo progymn. 4: rept hiT(^iniaxoi , Spengel,
Rhet. Gr. II p. 86. Dort wird dem Rhetor die avacrpocpi^ r^; ra^ecu;
empfohlen, wie sie in der Odyssee, aber auch in dem Werke des Thucydidcs
angewandt sei.
— 446 —
hineinzieht : diese, wie die Artemis gekleidete und bewaflFnete
herrliche hellenische Jungfrau, mit einem stattlichen Jttngling
allein unter barbarische Fratzen verschlagen , kühn und beson-
nen in aller Noth; dazu der feierlich ernste Hauptmann . der
Rauber; deren abenteuerliche Schlupfwinkel in Sumpf und
Röhricht; Kampf, Brand und Mord: dies Alles wirkt, am An-
fang, gar nicht übel zur Erregung der Erwartung : wir sehen
diese seltsamen und wilden Vorgänge, aber wir begreifen sie
nicht völlig. Die NothlUge der Chariklea in Betreff ihrer Her-
kunft hült unsre Neugier nur hin; ein plötzlicher Seufzer »oh
Pytho und Delphi«^) Idsst uns eigne Zusammenhänge ahnen.
Die Erzählung des Kalasiris klärt Alles auf; dass gerade ihm
die Darlegung der vorhergegangenen Abenteuer tibergeben ist,
hat einen ganz guten Grund : er allein , als der priesterliche
Weise und der auserwählte Helfer des leitenden Gottes konnte
uns die verborgenen Fäden dieser höheren Leitung sehen oder
ahnen lassen, die wir doch nicht übersehen sollen. Ist nun
also bis zum Ende der Erzählung des Kalasiris die epische
Kunst des »Retardirens« gar nicht ungeschickt von dem Dichter
geübt worden, so geht freilich von da an, wo die Erzählung
ihren geradlinigen und durch die Mittheilungen des Kalasiris
sowie die Vorhersagungen des Apoll fest vorgezeichneten Gang
verfolgt, das Retardiren ins Schleppen über. Nachdem wir
uns durch die breite Erzählung von den Ereignissen in Mem-
phis hindurchgewunden, auch die allzu ausgedehnte Episode
der Belagerung von Syene und der folgenden Schlacht glück-
lich hinter uns gelassen haben, und nun endlich die Chariklea
ihrem rechten Vater gegenüber gestellt sehen , müssen wir die
Wiedererkennung der Verlorenen mit den seltsamsten Grün-
den, durch welche Chariklea selbst den ungeduldigen Theage-
nes abweist^) , verschoben und endlich gar noch die Rettung
des Theagenes, die Entdeckung seines nahen Verhältnisses zur
Chariklea durch einen, alle Andeutungen der Tochter miss-
verstehenden , fast übermenschlichen Stumpfsinn des wackem
Königs Hydaspes immer wieder und wieder verzögert sehen ^.
Bei diesem feierlich wankenden Processionsschritt der Erzäh-
1) p. 48, S4.
2) IX n,
3) X SO u. s. "w. Ein letzter Aufschub noch wieder p. 806, it.
— 447 —
lung vergeht uns zuletzt die Geduld vollständig; und was hilft
es uns, dass der Dichter durch den Mund der Chariklea uns
versichern lässt: Abenteuer, welche der Gott so vielverschlun-
gen angelegt habe, müsse er auch in weiten Umschweifen zu
Ende ftlhren ^) ? Nicht wenig trägt freilich zu dieser Weitschwei-
figkeit die umstündliche Breite bei , mit welcher der Dicliter
diese allzu weit gedehnten Abenteuer überall erzählt und er-
zählen lässt: hier haben wir den rechten Sophisten, dessen
Mund wie die Enneakrunos strömt und sprudelt. Und gar die
Wortfülle seiner Reden! Selbst der Todte welchen die greise
Mutter nach wiederholtem Anlauf endlich zum Leben und Reden
wieder erweckt hat: — wie ergiesst er sich nun aber auch
in wortreichen wohlgerundeten Sätzen ! 2) .
Eine sonderliche Kunst psychologischer Entwickelung
wird man nunmehr wohl schon gewohnt sein^ bei den Autoren
sophistischer Romand nicht zu suchen. Dienen diesen Rhetoren
überhaupt ihre seelenlosen Gestalten Vorzugsweise nur als Glieder-
puppen, an denen die herkömmlichen Stellungen und Drappi-
rungen experimentartig vorzunehmen sind, so tritt bei ileliodor
noch die Göttervorsehung hinzu , welche , von oben herab die
Helden der Erzählung leitend, deren Bewegung aus eigenen
tiefer liegenden Seelenmotiven geradezu ersetzt. Prophetische
Vorausblicke, Orakelsprüche des Gottes, bedeutungsvolle Träume ^)
sind die Mittel, mit welchen Heliodor seine Handlung weiter-
schiebt. Er rouss wohl auf Leser rechnen, welchen solche Hebel
noch glaublich und wirksam erscheinen konnten. Ist doch der
eigentliche Keim aller Abenteuer, die Geburt eines hellfarbigen
Mädchens von dunklen Eltern nur durch ein Wunder motivirt,
welchem freilich wohl, als einem nicht beispiellosen Spiele der
Natur, in damaliger Zeit die Meisten den Glauben nicht unbe-
dingt versagt haben würden*). — In der Charakterzeichnung
1) p. S69, S6-r-S8.
2) VI 45.
3) Träume: p. U, 5; %h, 18; 85, 93; 52, iO (dieser wird p. 53 ge-
deutet nach Anleitung des Artemidor Onirocr. I 28, wie Korais II p. 72 U
hervorhebt); 89, 4; 412, 24; 445, 7; 444, 6; 234, 48; 274, 8; 274, 27.
4) Persina gebiert dem Hydaspes ein weissfarbiges Mädchen, weil sie
bei der Empfängniss die weisse Gestalt der vom Perseus befreieten Andro-
meda, welche auf einer Malerei ihres Gemachs dargestellt war, vor Augen
— 448 —
überwiegt eine gewisse leere und leblose Idealität, weiche durch
VernieiduDg bestimmt individualisirender Züge sehr einfach er-
reicht wird. Dadurch bekommen die Gestalten des Theagenes
und der Chariklea einen Ausdruck kalter Musterhaftigkeit, der
ihnen unsere Sympathie sehr entfremdet. Die Jungfrau tibrigens
ist dem Jüngling wie an Schönheit ^j , so an Muth, kalter lieber-
legung und Besonnenheit so merklich überlegen, dass nicht un-
eben von den Byzantinern der ganze Roman nach ihr als der
Hauptgestalt » Chariklea a benannt wurde. Ein unverständliches
Compositum bleibt der Charakter des Thyamis, welcher, den
hochheiligen Beruf des Isispropheten zu erfüllen berufen und
würdig, doch nach seiner Verdrängung von Memphis nichts
Besseres zu thun weiss als unter die Sumpfräuber zu gehen,
wo er dann freilich das Muster eines »edlen Räubers u dar-
stellt^). Wir bemerkten eine ähnliche Stumpfheit des Urtheiis
in diesen Dingen bei Xenophon. — Am höchsten sollte sich
eigentlich jene feierliche Würde, mit welcher Heiiodor seine
Idealgestalten zu umgeben sucht, bei dem Propheten Kalasiris,
dem auserwählten Gefäss der Gottheit, steigern ; aber hier schlägt
gehabt hat: IV 8. Daher denn in der That X 14. 15 Chariklea eine auf-
fUllige Aehnlichkeit mit einem Standbilde der Andromeda zeigt. Der Glaube
an die Möglichkeit eines solchen »Versehens« der Empfangenden oder der
Schwangeren mag (wie z. Th. noch heute) weil genug verbreitet gewesen
sein. Schon Empedocles erklärte Unähnlichkeit des Kindes mit den Eltern
aus TQ xaxä t^jn ouXXr^^'i'v ^avraot^t xf^; •f*j^fiix6i, wenn diese etwa ein Bild
oder eine Statue liebe: Plutarch. Plac. phil. V IS; Galen, tt. 91X09. tsrop. SS
(XIX 327 f. Kühn). Von einer Wirkung der haustae sub ipso conceptu
imagines auf den Foclus redet Plinius N. H. VII § 5S. Eine derartige
Geschichte von einem Landmanne und seiner Frau erzählt Dionys. Halle.
vet. scr. cens. 1 Wo\. V SS2 Tauchn.) ; von einer Frau, welche A(&(oica
frcxe p.fjT6 Aldiori O'j^^t'^oii.i'^'ri pLtjxe Al^(oi|; ouaa, dDvX' h* xij» xaiptp rfjc ouvouotoc
AiOtoTTa ^avtaodetoa David comm. in Aristot. Categ. p. 72 a, SS Br. : also
das Gegenstück zu dem Erlebniss der Persina. Aber selbst bei einem Arzt
wie Soranus liest man, de muliebr. afTcction. c. 10 p. 51, IS ff. ed. Er-
merins : xi 5et Xc^eiv 2ti xal t6 ttoiov tt^; ^l'u-^tjc xaTdorrifiia cpipei Tivdc tKpi
TO'j; T'jTioü^ Tu)v auXXafxßavofxdvwv [xeTaßoXd; ; outcu; dv Ttj) ouvouotätCciv ::i8^o'j;
(oo^aai Tive; rtdr^xofxt^p^ou; ixür^aftv ' 6 ^e KuTrploDV xupawo;, «axöpt^p^oc <&v,
cU dYoiXfjiaxa irepixaXXf, xaxd xo6; TtXrjaiaafxo'j; xi?jv -^M'^air.'x ßX£:rciN dvaptoC«»^*
rax^jp e6[A6p(p(uv i-^isfco ral^cuv u. s. w. Vgl. auch Galen, vol. XIV p. 254 K.
1) Vgl. die merkwürdige Stelle p. 81, 15 (T.
2) Thyamis ist cpuoei xe xal ix Trat^cuv eO Tre^xwc rp^ 00^006^0^
p. 180, S. Vgl. namentlich noch p. SS, 8; 54, 10.
— 449 —
unsern Sophisten denn doch gelegentlich der Schalk in den
Nacken: die Zeichnung des Kalasiris mischt ganz wunderlich
Zttge des weisen Gottesmannes und des verschmitzten Aegypters
durch einander. Einige Ansätze zu schärferer Charakterisirung
werden bei manchen Nebenpersonen gemacht, welche den leuch-
tenden Idealgestalten zur Folie dienen sollen; aber dabei ver-
fiült der Dichter zumeist in das Karrikaturenhafte : wie z. B.
bei der Ausmalung der Verzagtheit und abergläubischen Angst
des Knemon. Aehnlich geht es ihm fast überall Wd er einmal
recht anschaulich malen will : zumeist wird eine solche Aus-
führung geschmacklos, übertrieben und allzu grellfarbig i). —
Das Gefühlvolle, lyrisch Empßndungsreiche will dem Dichter
nicht gelingen; er findet sich daher bei Gelegenheit der ersten
Liebesnoth seines Paares mit den, durch hellenistische Erotiker
hinreichend zubereiteten herkömmlichen Mitteln ab. Eher ver-
mag er einmal eine wild tobende Flamme unreiner Leidenschaft
darzustellen , wie diejenige der Demaenete zum Knemon , der
Arsace zum Theagenes^). Sein Talent, sehr merklich von dejn
desXenophon verschieden, weist ihn überhaupt, statt zum lyrisch
Schmelzenden, eher (wenn man so hohe Worte hier brauchen
darf) zu dem feierlich Pompösen der tragischen Kunst hin. Wir
erinnern uns, mit wie ernstem Bemühen die sophistischen Rhe-
toren von dem erhabenen Klange der tragischen Dichter zu lernen
suchten. Unser Sophist aus Emesa hat nun freilich vom ächten
tragischen Geiste wenig oder nichts : aber wenn nicht an den
ernsten Lebenshauch der tragischen Dichtung, so wenigstens an
dje glanzvollen, in grossartigem Pomp vorüberrauschenden Auf-
züge der tragischen Bühne (wir könnten sagen: der »grossen
Oper«) erinnern manche seiner glücklichsten Stellen. Es ist
gar nicht zu verkennen, dass in solchen Scenen wie dem grossen
Festzug in Delphi, dem Wettlauf vor versammelter Festmenge
ebendaselbst, dem Einzug des Kalasiris mit seinen wiederver-
söhnten Söhnen in Memphis, in dem ganzen glanzreichen Sieges-
1) Man vgl. einige Stellen , an denen Heliodor in eine crasse Ueber-
treibnng verfällt, die von seiner sonst künstlich festgehaltenen oefAvdrv]; um
so widerlicher absticht: p. U, 4; 183, %h ff.; 198, 15; 288, 24. Oder
die mühsame W4tzelei an solchen Stellen, wo seine sonst so starren Haupte
figuren einmal in das Scherzhafte herabsteigen sollen : p. 55, 26 ff. ; 88, 1 ff.
2) I 14; VII.
Rohdo, Der grieehisehe Roman. 29
— 450 —
feste der Aethiopen, dessen Beschreibung das zehnte Buch
füllt, eine nicht unbeträchtliche Begabung für die Entwickelung
reicher, stattlich gruppirter Bilder voll festlichen Glanzes und
grandiosen Schimmers sich darstellt. Nicht minder bekundet
sich ein malerisch empfmdender Sinn in den sehr wirkungs-
reich angelegten Bildern am Eingange des Romans: der wild
verwüsteten Ueppigkeit, den zuckenden Leichen, unter denen
das adlige Paar allein aufragt, dem gestrandeten Schiff am
Meeresufer; dies Alles beim ersten Frühlicht von seltsamen
Räubergestalten scheu betrachtet. Nicht minder effectvoll ist
z.B. der nächtliche Ueberfall der Aenianen >) dargestellt. Hatte
der Dichter etwa wirklich dieses Talent an den malerisch gross-
artigen Schaustellungen der Bühne genährt? Das Theater liegt
ihm jedenfalls stets in Gedanken: bis zum Ueberdruss (und
mehr noch sogar als bei Lucian, bei welchem man eine ähn-
liche Beobachtung machen könnte) drängen sich bei ihm die
von der Bühne genommenen Vergleiche und Metaphern'].
Seinem besonderen Talente entsprechend hat Heliodor, wie'
man anerkennen muss, Stoff und Schauplatz seiner Erzählung
nicht ungeschickt gewählt. Von dem acht hellenischen Fest-
glänze der pythischen Spiele führt er uns über das Meer nach
Aegypten, dem Land der Geheimnisse: »denn jede ägyptische
Kunde und Erzählung zieht ein hellenisches Ohr ganz beson-
ders an«, sagt er uns selbst •**) • Xenophon war ihm in der Ver-
1) IV 47.
2) Spafjia, in dem oben gelegentlich berührten Sinne, als »pathetisches
Ereignisse: 69, 7; 168, 5; 47S, 24; 18S, 2. Ausgeführter der Vergleich
mit den Vorgängen der Scene: p. 6S, 7; 429, 2 — 6; 485, 4 8 ff.; 84 0, Z9.
Merkwürdig namentlich p. 244, 40: der Zug der Gefangenen zum Könip»
von Merod f^v warep is opdip.aTi zpoava^cdvTjotc xai RpottoöoteN.
Diesen scenischen Brauch kennt man sonst nicht: ich finde aber eine Spur
der auch hier angedeuteten Sitte, einen (oder mehrere) festlich geschmück-
ten Schauspieler vor Beginn der Handlung auf die Bühne zu schicken, nicht
um den eigentlichen Prolog zu sprechen, sondern um den Namen des
Stückes zu nennen, auch bei Lucian, Pseudolog. 49. Das eben ist die
rpoavaopdtivTjat;, das rpoctoöitov noch vor dem Prologe. (Diese Stellen häUe
Dziatzko in seiner Untersuchung über Verkündigung des DramenUtels auf
der römischen Bühne benutzen können : De prologis Plaut, et Terent.
Bonn 4863.; . -
p. 67, 44.
— 451 —
«
legung des Schauplatzes nach Aegypten vorangegangen, hatte
auch die wilden Sumpfräuber im Hintergrund seiner Erzählung
auftauchen lassen : aber wie gewinnt nun erst bei Heliodor, in
der höchst anschaulichen Schilderung des abenteuerlichen Lebens
und Treibens dieser* »Bukolena in den Sümpfen der Nilnittn-
dung^), die ganze Scene ein düster phantastisches Colorit! wie
Irefflich eignet das alte Land der Weisheit sich zum Boden der
«rbaulichen Geschichte ^j. Wir steigen langsam hinauf in das
ferne Land der Äethiopen »an der Erde letztem Rand«^), wel-
ches, der wirklichen Kenntniss der Griechen nie rechjt erschlossen,
um so eher der Phantasie des Romanschreibers zufallen konnte.
Ueliodor übrigens, der wirklichen Natur des äthiopischen Landes
and Volkes offenbar völlig unkundig, hat sich aus älteren Nach-
richten ein seltsam anachronistisches Gemälde von einem glän-
zenden Aethiopenreiche in MeroO zusammengesetzt. Die Stämme
JVubiens, seit dem missglückten Kriegszuge des Kambyses nie
einer fremden Macht unterworfen ^j , scheinen, von fremder Gul-
tur abgesperrt, allmählich in einen roh barbarischen Zustand
versunken zu sein ; als rohe und klägliche Barbaren fanden sie
wenigstens die Römer, welche zur Abwehr räuberischer Ueber-
griffe unter der Regierung des Augustus tief in das Land ein-
drangen *) . Anders war es wohl noch zur Zeit der ersten Pto-
lemäer. Damals scheint, unter den Nachwirkungen der alt-
1) 1 5. 6. 28. 29; vgl. VI 43. lieber Xenpphon oben p. 893 A. 1. Dort
-wurde auch schon betont, dass bereits Eratosthenes die röuberischen Bukolen
i'nteraegyptcns kannte. Folgte Heliodor in seiner Schilderung solchen
älteiyn Berichten? er konnte deren freilich auch aus seiner eigenen Zeit
haben, in welcher die Bukolen durchaus ihr altes Wesen trieben : s. nament-
lich Dio Cassius LXXI 4, und vgl. Jac. Burckhardt, die Zeit Constantins
d. Gr. p. 438 f.
2) Man könnte vom Roman des Heliodor sagen : drA^ti^ el; Atpirrov
-röv |jit>Bov t) roi7]0(c, tva ti?jv fiTjxapa Töav oo^oin h6fon alvtSr^rai (Himerius ecl.
47 § 2 p. 256 W.ernsd.).
3) 'f^( iiz ^oyatot; Spoic (4 78, 4): das Schlussstück eines iambischen
Trimeters.
4) — p,T)oi7:oTS oeoiroTcta; iinfjXuoo; Trctpov XaßövTa;, von den Äethiopen,
Oiodor in 2, Z. 48 ed. W'esseling.
5) S. Strabos Bericht von dem Zuge des Petronius nach Napata: XVII
p. 820 f. Vgl. Plinius n. h. VI § 4 84. 482. Nicht einmal die meroitischen
Aethioper waren %aTe9xeua9fi.^voi %«).(»(, oOtc rp6; rölcfiov, ours rpö; t6v
^.Xov ßiov: Strabo p. 849.
29»
— 452 —
•
ägyptischen, auf Aethiopien Übertragenen Gultur, eine leidliche
Civilisation sich in dem Reiche von Mero^ erhalten zu haben»
Die Ptolemäer griffen wiederholt mit Gewalt in diese Gebiete^
hinüber^); auch wissenschaftliche Expeditionen drangen damals
tief in das geheimnissvolle Land ein^). Der Niederschlag der Ent-
deckungen jener Zeiten nun erhielt sich in der ethnographischen
Litteratur der Griechen, und es pflanzte sich, wie freilich oft in
dieser Disciplin, jene alte Kunde wie eine Nachrieht über noch
bestehende Zustände bis hinunter auf Diodor und Strabo, ja
Plinius fort'). Bei diesen Gelehrten bereit« stehen nun freilich
jene Berichte von altem Glänze und von jener männlich ernsten
Weisheit, wie sie Hei*odots bekannter Bericht den alten Aethiopen
nachrtlhmt, in seltsamer Verbindung mit den Nachrichten der
römischen Krieger und Forscher, welche Mero6 zerstört, das
ganze Volk in elende Barbarei zurückgesunken fanden^). Viel-
leicht erst im zweiten oder gar dritten Jahrhundert bildete sich
in Abessinien ein starkes äthiopisches Reich, welches von der
1) Von einem Kriege eines nToXefjiaioc gegen die Aethiopen spricht
Agatbarchides de mari rubro § SO p. 449, 6 ff. Müller. Müller ist in Do-
gewissheil, welcher Ptolemäus gemeint sei; ich möchte am Liebstea an
Pt. Philadelphus denken, dessen als rpc^rou {Acd' *EXXt]vix^; hwd^Ufo^ tU
AlOtortav oTpaTE6aavToc Diodor erwöhnt I 37. (Da dort von den Nil quellen
die Rede ist, so ist entschieden an einen Zug des Königs nach N übten zu
denken, nicht an seine Eroberungen an der Troglodytenküste [Plin. VI
§ 4 67, vgl. Tbeocrit 4 7, 87], wie Letronne Mat^r. pour l'hist. du obris-
tianisme en Egypte etc. p. 54 n. 4 zu thun geneigt ist.) An Euergetes
kann man nach richtiger Zertheilung der Adulitanischen Inschrift des Kosmns
Indicopl. freilich nicht mehr denken. ^
2) Dalion, Aristokreon, Bion, Basilis u. s. w. : Plin. VI § 48S. Auch
für solche wissenschaftliche Erforschung des Landes sorgte vornehmlich
Ptol. Philadelphus: Strabo XVII p. 789.
3) Plin. VI 29. 80. Strabo XVII; Diodor III init. : diese beiden Letzten
unverkennbar aus gleicher Quelle: vgl. namentlich Diod. III 8. 9 mit Strabo
p. 822 f.: vermuthlich Artemidor (vgl. Diodor III 44, 20).
.4) Meroö hatte, als die exploratores, >\ eiche Nero, als er einen aethio-
pischen Krieg im Sinne hatte (Plin. § 4 84) dorthin geschickt hatte, Aethiopien
bereisten, nur noch pauca aedificia: Plin. VI § 485. Die Hauptstadt war
Napata, dort regierte eine Königin, deren Titel (nicht Name) Gandace war:
§4 86. So schon zur Zeit des P. Petronius: Strabo p. 820. Eine Frau
regierte in Meroe bereits zur Zeit des Eratosthenes (über die Blemmyer und
Sembriten herrschend, nicht auch, über die Nuber): Strabo XVII p. 786;
XVI p. 770, 774.
— 453 —
Hauptstadt Auxomis aus nach Arabien hinüber griff und in
Afrika ganz Nubien bis zur iigyptischen Grenze sich unterwarft),
auch den Römern so unbequem ward, dass Diocletian sich ge-
nöthigt sah, die Grenze nach Norden hinaufzurtlcken und den
Barbaren einen schimpflichen Tribut 2u zahlen?). Wie dann,
bereits in der Mitte des vierten Jahrhunderts, diese auxomitischen
Aethiopen zum Christenthum bekehrt und damit denn für lange
Zeit auf einer gewissen Höhe der Bildung erhalten wurden, ist
bekannt.
1) Auxomis existirte ofTenbar noch nicht zur Zeit des König Juba II
von Mauretanien, da es in dessen, von Plinius VI 34. 35. wiederholter
Aufzählung der Städte der Troglodytice und des inneren Aethiopiens, gar
nicht genannt wird (s. Niebuhr in Wolf und Buttmanns Mus. d. Alter-
thumswiss. II 608]. Die früheste Erwähnung des auxomilischen Reiches
unter einem König Zoskales glaubte man bisher im Periplus maris erythraei
•§ S p. 264, 9 fr. zu finden. Wenn indessen dieser Zoskales nicht, wie
man früher annahm, mit dem Za-hakale der abyssinischen Königslisten,
wrelcher 77—89 n. Chr. regierte (s. C. Müller, Geogr. gr. mA. I p. XCVII)
identisch ist, sondern, wie Reinaud annimmt (Mäm. de Tacad. des inscr.
«t b. 1. XXIV, Si^me parlie. [mir nicht zugänglich: s. aber A. Weber,
Ind. Streifen II 266 f.]) mit dem, um 246 n. Chr. regierenden König (Za«-} Sagal
•derselben Listen: so hätten wir eine ältere Erwähnung des auxomitischen
Reiches als die in dem, darnach also um die Mitte des dritten Jahrhunderts
geschriebenen Periplus, bei Plolemäus. Bei diesem (Geogr. IV 8 p. 413 ed.
Mercator et Montanus Amst. 4 60S^) werden unter den arodcN toO roTafioü
(de» Nils) ixecöfEioi nöXci; in Acthiopien- aufgezählt Auxume, KoXöt] ttöXu,
IVidoTT] r6Xi; u. s. w. ; und darunter wird Auxume besonders ausgezeichnet
<jlurch den Zusatz: iv { ßaalXstov, das soll doch wohl heissen: wo eine
Königsgewalt (über die übrigen Städte) ihren Sitz hat (^aaiXeiov = ßaaiXe(a).
Mindestens also seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts, müssen wir an-
nehmen, arbeitete sich in Auxomis eine königliche Macht empor. Sie steht
noch in bescheidener Kraft zur Zeit des Periplus m. er. Viel weiter hat
•sie bereits um sich gegriffen zur Zeit des ungenannten Königs der aduli-
tanischen Inschrift des Kosmas (Böckh, C. I. Gr. III n. 54 27 B) , welcher
aber jedenfalls vor dem, später durch S. Frumentius zum Christenthum
bekehrten axomitischen Könige Aeizanas (s. Buttmann a. 0. p. 584 f.) lebte,
•dessen Thaten die axomilische Inschrift (Böckh N. 5428) verkündet: was
•der König der adulitanischen Inschrift erobert, besitzt der König Aeizanas
bereits. — Die weitere Entwickelung des merkwürdigen Reiches zu ver-
folgen, liegt uns hier fern.
2] Procop. bell. Pers. I 49 (v. I p. 402 f. Dind.). Es wird wohl nicht
zu kühn sein, diese Uebergriffe der Nubier und Blemmyer mit der Er-
starkung eines aethiopischen Reiches in Axomis in Verbindung zu bringen.
Schon der König der adulitanischen Inschrift herrscht fi^xp^ "^^"^ Aip^roo
-^ 454 —
Heliodor nun mischt in merkwürdiger WillkUr die Nach-
richten der verschiedensten Zeiten durch einander. Die Nach-
richten von einem glänzenden , goldreichen Aethiopenstaate io
Mero^ entnahm er theils dem Herodot, theils den Berichten
griechischer Gelehrter der Ptolemüerieit. Der grieehenfreund-
liche König Uydaspes, von einer mächtigen Kaste priesterlicher
Weisen umgeben, mag zusammengewoben sein aus einer unbe-
stimmten Reminiscenz an den König £rgamenes, welcher, »grie-
chischer Bildung theilhaftig geworden«, die frühere Prieslermacht
in Merol» stürzte , und jenen oben berührten Fabeln von äthio-
pischen Gymnosophisten , endlich aus einer dunkeln Kunde von
der Herrschaft griechischer Sprache in dem Reiche der Auxo-
miten^). Die so ausführlich geschilderten Kampfe um Syene
und Philae möchten leicht irgend einem Berichte über die
Grenzkriege entweder der Ptolemäer oder auch der Römer um
eben diese Gegenden nacherzählt sein 2). Wenn nun aber der
1) Ergamenes [auch aus Inss bekannt: s. Lepsius Briefe p. 112. 205]^
zur Zeit Plolcmäus des Z>^eiten, stürzte die bis dahin herrschende Priester-
machl: Diodor III 6, wo er fi6TCT/T|XU); 'EXXtjvix-^; d-^toiffi xaX ^OsOW^wz-
;^iXoao'fia;?j heissl. Weitere Spuren griechischen Einflusses in Nubieiv
finden sich nicht; auch die griechische Sprache drang dortbin wohl erst
mit dem Christenthum (Letronne I. 1. p. 52 ff.). Anders in dem aoxomi-
tischen Reiche. Den verbreiteten Gebrauch der griechischen Sprache [iD
einer, gegen Silkos Inschrift gehalten, immer noch erträglichen Gestalt) be-
weisen die adulitanische und axomitische Inschrift; und Zoskales heisst
Ypa|ijxaT(Dv ' E)v)>r^vixtt)v l{ArEtpo; Peripl. m. erythr. § 5.
2} VIII 1 : das stets streitige Philae hat der Aethiopenkönig i% irpoXif;'
6ecu; eingenommen; in Syene belagert er dann den persischen Satrapen.
Philae, Syene, Elcphantine wurden zur Zeit des P. Petronius von Aethiopen
durch Handstreich genommen : Strabo XVII p. 820 (ganz irrig also Letronne
p. 80 : rhistoire ne fait mention d' aucune incursion des peuples du midi
ä Syeue ou ä Philes avant le r(!gne de Diocletien). Gewiss waren es auch
zur Ptolemaerzeit diese Grenzpunkte, um welche man kämpfte. Die detail-
lirte Beschreibung der Kämpfe um Syene bei Hei. IX könnte leicht einer
Schilderung solcher Grenzkämpfe nachgebildet sein. Speciell erinnert die
Schilderung der persischen xaxa'^paxtoi , und ihrer Rüstung, welche Ross
und Mann ganz bedeckt (vgl. Lagarde, Ges. Abb. 202} an die in Filzpanzer»
bis an die Augen verhüllten Reiter auf ebenso gepanzerten I^ferden, welche*
der bei Agatharch. m. rubr. § 20 p. 119 erwähnte Ptolemäus den Aethiope»
entgegenstellte. Die Art, wie diese schwerfälligen Reiter bekämpft werden
von den leichtfüssigen Blemmyern (IX 18) erinnert stark an die Be-
Schreibung des Kampfes der Galater des Crassus gegen die partbischen Ka-
Uphraklen: Plutarch. Grass. 25. (Der Vergleich p. 260, 14 eines solchen
— 455 —
König von Mero^ als Herrscher nicht nur über die nubischen
Aethiopen und Blemmyer, sondern auch über die Troglodyten,
Araber und Serer dargestellt wird^), so verrüth sich hier be-
reits die Verwirrung des alten meroUischen Reiches mit dem
neuen auxomitischen; und wenn wir nun gar hören, dass die
»Axiomiteutt dem Könige von Meroö nicht zinspflichtig son-
dern befreundet und verbrüdert waren 2), so liegt es am Tage,
dass Heliodor eine unbestimmte Kunde von dem auxomitischen
Reiche seiner Tage kritiklos in jene alte Perserzeit zurückgetragen
hat, in welcher von Auxomis noch gar keine Rede war. Die
Reiche von Meroö und Auxomis haben überhaupt nie gleichzeitig
neben einander existirt, wie sich unser Dichter es vorstellt.
Diese, wie ich denke nicht ganz uninteressante Einflcchtung
einer Nachricht aus der unmittelbaren Gegenwart steht ganz
isolirt da in der Erzählung des Heliodor. Im Uebrigen hat er
nicht ohne eine gewisse Sorgfalt die einzelnen Züge seiner Dar-
stellung aus Büchern gezogen ^i . Eigene Anschauung des Landes
Fanzerreiters mit einem dvSpia; xtvoujxevoc kehrt ['^'oran Korais U p. 804
erinnert] wieder bei Claudian adv. Ruf. II 859. 360 : wohl aus gemeinsamer
Quelle). — Was Heliodor VIII 1 von den ^j-^dhtiAifJTüzioi, welche die Insel
Pbilae einsl besetzt hätten, erzählt, muss er selbst verantworten. Ohne
Zweifel meint er die einst, unter Psammelich, ausgewanderten Krieger: die
wohnten aber auf einer Insel noch oberhalb Meroä (Eratosth. Strab. XVJI
p. 786), nach Herodot II 30, 112 Tagereisen oberhalb Elephantine.
1) X 25. 26.
2) p. 298, i 1 : TTapf^aav ol ASicofiiTÄN irpeaßeytaf, «pöpou [xiv oux 5vtc;
uTioTeXei;, cpiXiot Se aXXoo; %a\ 'jr^öroNOoi.
3) Die meisten seiner aegyptisch-aethiopischen Nachrichten lassen sich
auch sonst aus Büchern belegen. Z. B. die goldenen Ketten in Aethiopien
p. 245, 16; Herodot III 23; Verehrung des Helios und der Selene in Aethio-
pien : oben p. 437 A. 7 ; des Dlonys p. 274, 24 etc. : Herodot II 29 ; die Gymno-
sophisten wohnen im flaviov p. 275, 17: den Pan verehren die Aethiopen
nach Slrabo XVII p. 822, Diodor III 8; Pferde dem Helios geopfert, xtii
Ta^pT(£T«) TdjN ÖEWN To Tot/ioTov , p. 278, 21: s. Herodot I 216 exlr., von
den Massageten (ähnlich Andere: s. Stein zu Herod. a. 0., Ovid F. I 385 f.,
Himerius eclog. 13, 36 ib. Werosdorflf p. 237). Dem Helios und der Se-
lene werden aber auch nach altem Brauch Menschen geopfert. Vgl.
Procop. Pers. 1 19 (vol. I p. 104, 3 Dind.) : ol BX^fA{AU£c xai dvÖpdEiTrou; Toi
tjXt^) ftietv eltudaotv (vgl. Letronne p. 36 f.)- — Streit der Perser und
Aethiopen um die a|jLapaYoeta fiitaXXa p. 218, 6 u. ö. Bei Talmis waren in
der That Smaragdgruben: s. Olympiodor. historiar. fr. § 37 (fr. bist. gr.
.IV 66). — Beschreibung der Giraffe (xa(AY]Xo7rapoaXt;) X 27 : ob aus alten
Beschreibungen (z. B. des Artemidor bei Strabo XVI p. 775), oder nach
— 456 —
und des Volkslebens scheint ihm nicht einmal in Unterägypten,
geschweige denn in den fernen Ländern an der äthiopischen
Grenze, in welche er uns hinauffuhrt, zur Seite gestanden zu
habend). Er ist ein ßUchergelehrler und theilt von seiner Ge-
lehrsamkeit reichlich mit. Ueberall schafHt . er sich Gelegenheit
zu Excursen und gelehrten Ausführungen tlber Gegenstände der
Naturkutide, der wirklichen oder der fabelhaften, der Aller-
thtlmer, ägyptischer, persischer oder griechischer: wobei ihm
denn, in Ermangelung lebendiger Anschauung, bisweilen curiose
Irrthümer begegnen 2), Der rechte Schulmeister tritt vollends
bei einigen ins völlig Abgeschmackte fallenden etymologischen
Spitzßndeleien hervor, durch welche er gelegentlich seine Er-
Autopsie? Giraffen brachte man nicht selten nach griechisch-römischen Gegen-
den: vgl. Friedländer, Darst. a. d. Sitteng. Roms 11' 530 f. — Brunnen in
Syene zur Messung des Nilstandc<i und Gnomon am Mittag ohne Schalten IX t7.
Schwerlich nach Autopsie geschildert: vgl. Strabo XVII p. 817; Plinias
n. h II § 483 u. s. w. (Letronne, M^m. de THcad. des inscr. VI [4 822] S91 ff.J.
— Pfeilkranz der Blemmyer p. 263, 34 ff.- vgl. Lucian de salt. 48.
1) Auf die geographischen Unklarheiten und Irrthümer des Heliodor in
aegyptischen Dingen weist Naber hin, Mnemosyne N. S. I (4878) p. 446 f.
Dahin zu rechnen sind jedenfalls auch seine Angaben in Betreff der %A/\vii
X^(A{jLi;, welche er etwa 4 00 Stadien südlich von der herakleotischen Mün-
dung des Nil sucht: II 4 8 extr. Er meint wohl nicht das Chemmis, wel-
ches tief unten, im thebäischen v<Sfxo; liegt, sondern die »schwimmende«
Insel Chemmis bei Buto , dicht an der sebennytischen Mündung des Nil
(Hecatacus fr. 284 u. s. w.) : aber auch auf die passt ja seine Angabe nicht.
2) Von solchen naturwissenschaftlichen, paradoxographischen, antiqua-
rischen Excursen seien folgende hervorgehoben. IV 8: demotische und
»königliche« Schrift der Aethiopen, letztere der hieratischen Schrift der
Aegypter gleich (dagegen nach Diodor III 3, 84 alle Aethiopen sich der
hieratischen Schrift bedienen). — Der aethiopische Stein irsvreCpßTi
schützt den Träger vor Feuersgefahr: VIII 4 4 (die ravtdpßri aus des Ktesias
'Iv6tx(£: Photius bibl. p. A5a, 28 ff. Vgl. Lagarde , Ges. Abb. p. 224). —
Mehrfach aetiologische Abschweifungen: über den Grund der starken
Meerbewegung am Ausgang des krissäischen Golfs, p. 4 38, 4 ff. (die
Anwesenden nahmen mit Lob und xpÖTo; die Auslegung der «Ma auf:
p. 4 38, 4 7 ff.); über die Gründe der Anschwellung des Nils im Sommer,
II 27 (Ileliodors Erklärung stimmt im Wesentlichen überein mit der des
Demokrit bei Diodor I 89 [oder des Thrasyalces von Thasos: Rose,
Aristot. pseudepigr. p. 240] : er lässt freilich den Kalasiris ganz pomphaft
behaupten, seine Theorie aus den ßtßXot Upa(, welche nur den Propheten
zugänglich seien, geschöpft zu haben; aber die Theorie der »Philosophen«
in Memphis war eine ganz andere : s. Diodor I 40 [ihnen schliosst sich
Nicagoras Cyprius bei Ps. Aristot. de inundatione Nili p. 637, 96 Rose an}.
— 457 —
Zählungen verziert; natürlich muss hierzu auch der alte Homer^
den die Priesterweisheit des Kalasiris uns als einen Aegypter
bekannt macht, sich missbrauchen lassen^). Uebrigens kann
die Verwandlung des grössten hellenischen Dichters in einen
Nur mit Heliodor p. 68, 3 ff. vgl. Diodor 1 kO, 28 ff.) ; über die Gründe
der Verzauberung durch den »bösen Blick« III 8 (im Wesentlichen überein-
stimmecfd mit Plutarch, Sympos. V 7, welcher vielleicht seinerseits aus den
2u(Aicooiaxa des Didymus geschöpft haben mag. Am Schluss bei Heliodor
etwds über den yapaSpuS; [aus Tbeophrast? s. Rose, Arist. ps. p. 858] und
den Basilisk [vgl! Rhein. Mus. XXVIIl 279], natürlich aus den ß(ßXoi<
Upaic iTQiU ^£p't C<i^a>v geschöpft :' p. 87, 2). — Von persischen Dingen
merkwürdig nur die Behauptung p. 226, 20 <f. : die stellvertretende Frau
des Satrapen dürfe kein Todesurtheil ohne die Zustimmung x&v iu xiXct
ücpsoiv fällen (vgl. Brissonius de reg.* Persar. 1. 2 § 2H p. 569 f. ed.
Lederlin) ; vgl. p. 229, 6. 28 ff. — Athenische Einrichtungen: Schiff an
den Panathenäen p. 43, k (vgl. Schömann, Chr. Alt. IP A47 A. 8); das
ßdLpadpov 47, 43; x-fjro; und (ivfifia Td)v '£ir(xo'jpe(a)v p. 22, 43 (zur Zeit der
Perserherrschaft in Aeg^pten!); Grube in der Akademie Iv^a tot; i^pooaiv
ol 7coX£p.ap/ot TÖ rdtptov ^va^iCo^oiv p. 23, 45 (vgl. Schömann II 5A4 A. 3j.
Curios ist die Gerichtsverhandlung wegen versuchten Vatermordes in der
Volksversammlung: I 4 3. 4 4. — Die pythischen Spiele in Delphi, so aus-
führlich er einzelne Theile derselben schildert in Buch III, IV, scheint He-
liodor nicht aus eigener Erfahrung zu kennen : einzelne Unglaublichkeiten
aus seinem Berichte hebt hervor Schömann II 66 A. 4 ; vgl. Limburg-
Brouwer bist, de la civilisation mor. et rel. des Grecs IV p. 4 34, auch
(über das Local) Dissen zu Pindar Pyth. VIII 20 p. 286 (ed. I;. Die
Zeit der Spiele musste er aber doch wenigstens genau kennen. Als die
Flucht des Kalasiris und seiner Schutzbefohlenen, unmittelbar nach dem
Feste, stattfindet, ist es Anfang des Winters: p. 4 39, 9; und in der That
steht jetzt fest, dass der Bukatios, in welchem die pythischen Spiele gefeiert
wurden, mit dem athenischen Metageitnioo (Aug. Sept.) zusammenfiel: Kirch-
hoff, Monatsber. d. Berl. Akad. d. W. 4 864 p. 4 29 ff. — Die Aenianen
schicken zur Sühne für ihren, in Delphi ermordeten Heros Neoptolemus zu
jedem pythischen Festspiel eine Theorie : p. 75, 4 1 ff . : das mag wahr sein.
— X 28 ff. Kampf des berittenen Thessalers Theagenes mit dem wilden Stier.
Mit Recht findet hier Korais II p. 358 f. eine gar nicht üble Darstellung
thessalischer raupoxada^ta : Heliodor konnte solche wohl auch aus eigener
Anschauung im Circus (vgl. FriedlJinder, Darst. a. d. Sitteng. 11^ 383) kennen.
1) Homer, ein Aegypter aus Theben, angeblich Sohn eines dortigen
Propheten, in Wahrheit des Hermes, '^O-fiTjpo; genannt, weil auf seinem
Einen Schenkel gleich von der Geburt an stark behaart!! III 4 4. Der Un-
sinn geht etwas weit. Aus der aegyptischen Thebais lässt übrigens auch
noch Olympiodor aus Theben den Homer herstammen: historiar. fr. § 38 (fr.
bist. gr. IV 65). — Etymologische Albernheit noch: dtoröc: dizo twv ioxöis der
Schlangen, aus welchen die Araber ihre Pfeilschäfte machen: p. 264, 40.
— 458 —
Barbaren befremden, da sonst Heliodor, als ein ächter Sophist
und zudem noch in besonderer Anlehnung an Apollonius von
Tyana, nicht wenig von den Vorzügen des acht Hellenischen
vor allem Barbarenthum zu reden weiss ^j.
Sparsamer als mit solchen Proben seiner Gelehrsamkeit ist
Heliodor mit speciell rhetorischen Einlagen. £s fehlt zwar nicht
an Reden , an zierlich gesetzten Briefen , auch ein Prachtstück
einer »Ekphrasis«, die Beschreibung eines fein geschnittenen
Steines, findet sich^j. im Ganzen aber will offenbar der Dichter
seine Stärke weniger in einer Mosaikarbeit aus vielen wohl ge-
glältetcn Zierrat hen sophistischer Kunst als in der Ausführung
eines in grossen Linien angelegten Planes der Gesammthandlung
zeigen. Er schreitet freilich uicht aus dem Kreise der gewöhn-
lichen Abenteuer zu Land und See heraus; er entlehnt auch
manche Züge seiner Erfindung dem Xenophon^j, Einiges viel-
leicht auch dem Jamblich ^], er verschmäht sogar parodirenda
Benutzung altbekannter Sagen nicht ^) : gleichwohl wird man
NclXo( weil er alljährlich viav (X6v herbeiführt: p. 267, 18. (Gleich dareaf:
NeiXoc sei gleich mit dem Jahre selbst, daher denn auch die Buchstaben
seines Namens, als griechische Zahlzeichen genommen, s t i X' o' a' and
zusammenadirt 365 ergeben!}.
1) Besonders stark in dem Briefe der Thisbe p. 47, i8: ߣXTto>f uro
yetpoiv dvTjp-fja^at twn awv (Kv/]fA(uvo;) xal XTj^sta; p-CTaXaßcTv 'EX)»7jvix"»ic , ^
t^avolTOii ßap'JT^pav C<»V ^^^ cpiXtpov ßapßaptxov iy%pa^ dvtapÖTcpov
T-9JC 'AtTtx:^; Myt^^oLi. Sonst noch oft in meist kurzen Andeutungen
höchste Werlhschötzung des Hellenischen, besonders des Attischen, Gering-
schätzung des Barbarischen ausgedrückt: p. 14, 18 f.; 81, 1; 32, 8; 86,7;
47, 16. 24 f.; 49, 26; 72, 13; 75, 6; 77, 32; 115, 20; 129, 32; 188, 24;
202, 25; 217, 9; 280, 25.
2) Reden: I 13; I 19. 20; 21. 22; 29; IV 19. 20; X 16. Pathetisches
Selbstgespräch des Theagenes: II 4. — Briefe: p. 47, 6; p. 106, 11 ; 131, 22;
220, 3. 9; 274, 12; 20; 306, 23. — ''Cx^patJt; der Sculplur auf einem
Amethyslringe : V 14 (die, p. 106, 26; 107, 3 (T. erwähnten, auf einer
.Malerei dargestellten fptuTc; 'Av^popifoa; Te xal llepa^ai; [vgl. Heibig, Campan.
Wandmal. p. 140 fT.] kann man doch kaum, mit Matz, De Philostr. in descr.
imag. (ide p. 14, zu den äxcpodaei; rechnen).
3) Darüber oben p. 892 f. — An Xen. erinnert noch die Aufnahme
der Flüchligen bei dem alten Fischer auf Zakynthus: V 18.
4) Dem Jamblich (oben p. 374) dürfte nachgebildet sein die Scene, in
welcher der Held an der Leiche einer Sclavin, welche er für die Leiche der
Geliebten halten muss, sich zu erdolchen beabsichtigt: II 3 ff.
5) Erkennung der Liebeskrankheit: s. oben p. 55. — Die Bublerin
Rhodopi^ll 25 ist der bekannten Hetäre gleichen Namens (Herodot U 182 etc.]
— 459 —
amuerkennen haben, dass sein wesentlichstes Verdienst in dem
Entwurf und der Ausführung des Planes seiner Erzählung liegt^
welcher man einen grossartigeren Zug, einen sinnreicher ge-
dachten, fester gefugten Aufbau nicht absprechen darf im Hin-
blick auf die übrigen sophistischen Romane, mit welchen man
den des Heliodor, wie billig, zunächst doch nur vergleichen
wird.
Was endlich die sprachliche Ausdrucksweise des Heliodor
betrifil, so ist diese, im Einklang mit der Feierlichkeit seiner
ganzen Handlung, vornehmlich durch das Bestreben, einen immer
auf gleicher Höhe getragenen Ton der Rede festzuhalten, aus-
gezeichnet. Leider entspricht dem Willen die Kraft nur wenig;
die Feierlichkeit artet vielfach in eine schwülstig grossspreche-
rische Redeweise aus; ein leeres und hohles Pathos, immer
festgehalten, verdriesst uns, weil die Gedanken einer so um-
ständlichen weitgebauschten Einkleidung allzu wenig würdig
erscheinen ; dazu merkt man noch überall den Fleiss, aber auch
die Mühe mit welcher der Sophist seine Perioden drechselt, die
oft genug ganz unleidlich geziert und frostig herauskommen^].
In die breit wallenden Falten seiner Rede, welcher er so gerne
den schwerwuchtigen Fall ernster Erhabenheit geben möchte,
hat er dann zahlreiche kurze, knapp gefasste allgemeine Sen-
tenzen, wie Edelsteine sauberster Bearbeitung, einfügen wollen.
Er mochte empfinden wie schwer es sei, ein Allgemeines auf-
zufassen und kurz auszusprechen : aber man kann freilich nicht
nachgebildet. — Das Abenteuer des Knemon und seiner Stiefmutter ist eine
der freilich häufigen (vgl. Limburg - Brouwer bist, de la civilis, des Grecs
1 437. 474; und s. oben p. 34 A. 4J Nachbildungen der Sage von Phaedra und
Hippel ytus. Demaenete erinnert auch selbst daran p. 48, 44: %al rept-
^7).0'jaa (tön KvTjfxtuva), 6 vio; 'litiröXiiTo;, 6 9t]0cu; 6 ^fiö;, IXeycv. Dass es
Unsinn sei, den geliebten Stiefsohn zugleich als Hippolytus und als Theseus
zu begrüssen, bemerkte bereits Korais (11 p. 4 9): er vermutbet: 6 Br^alw^
i>t6;. Die Aenderung ist nicht leicht, auch der Zusatz wenigstens entbehr-
lich. Vielleicht ist die Stelle durch eine Lücke entstellt; etwa: 6 v£o;
1) Man höre beispielsweise den Kalasiris p. 61, 5 ff.: natoec dpi-fitope^
ifjiol ^e^ov^Te;' tu-^tq y^P" P-^'-' ^*^^ to6toü; div£Sei5av , xaX dizixtxos ai ^^yfi^
^Ive;, xai <p6oi; t] (tot&coic in auToi; dvo[jLbfttj, xal ratipa fi-e dTzh TaytTjc
ii^Tvoi xal iv6{jLiaav xal (iivtSfiaaav. Oder man lese so mühsam gedrechseile
Wortverschränkungen wie p. 4 84, 28 — J9; oder die witzelnden Antithesen
p. 84, 9, wo Thyamis, die Chariklea in der Höhle einsperrend, betrübt ist
— 460 —
sagen, dass an seinen nüchtern altklugen Gnomen etwas anderes
als die Mühe der Fassung zu loben ware^]. Sein sprachlicher
Ausdruck ist ein achtes Sophistenwerk. Ein durchaus künst-
liches Froduct, aus den verschiedenartigsten Saften zusammenge-
braut. Im Uebermaass hat er die Dichter geplündert: dem Homer
zumal und dem Euripides entlehnt er vielfach ganze Rede-
üoskeln 2j , häufig auch einzelne poetische Worte , welche er,
seltsam genug, in seiner eigenen Prosa verbraucht 3; . Heliodor
hat otTcnbar sehr lebhafte Absichten auf die Ausbildung einer
poetischen Prosa: kein Wunder, dass ihm das ganze poetische
Lexicon dienen muss, dass er dem angemessenen, einfach zu-
treffenden Ausdruck förmlich ausweicht, um einen ganz haus-
backenen Begrif!' mit einem hochstrebenden, für ganz andere
Zwecke geprägten Worte unzutrefTend zu umschreiben^^. Er
XaplxXetav, vuxtI xat Co?«» ripa^e^mxot);. Aehnliches häufig.
1] Hier ein Verzeichniss der Fundorte solcher Sentenzen, welche der
Dichter bald in eigenem Namen vorträgt, bald auch (und oft im heftigsten
ACTect!) seinen Heiden in den Mund legt: p. 6, 40; 8, 40; 20, 4; 84, 21;
32; 43; 48, 27; 63, 30; 82, 27; 88, 24; 400, 2; 404, 82; 447,28; 457,4;
462, 29; 463, 7; 466, 4; 473, 24; 486, 34; 494, 25; 223, 25; 224, 29;
227, 22; 229, 28; 233, 24; 235, 3; 247, 24; 249, 46; 250, 6.
2) Die aus Homer entlehnten Wendungen und Worte bezeichnet sorg-
fältig, an der gehörigen Stelle, Korais im Commentar. Vgl. auch Naber in
seinen Observationes criticae in Heliodorum, Mnemosyne N. S. I (4878;
p. 447 f. Ebendort p. 4 48 einige Nachahmungen anderer Dichter. Aus
Euripides übrigens nicht nur, wie N. angiebt, p. 4 4, 24 f. (Eur. Med. 4847;,
sondern auch p. 4 5, 9: dX// Snw; dvf,p larj fCycl. 505) p. 4 98, 31 )^a((>ovTa;
eu^TjjjLoOvxa; ix7:£{xTteiv ;W|itüv) : Plularch. de aud. poet. 4 4 extr. Vgl.
noch Korais II p. 82. p. 208. — Verse oder Reste von Versen, deren Silx
ich nicht nachweisen kann, finde ich noch: p. 454, 48: tdriycipa t«v
r^vwv; p. 4 78, 4: '^f^^ It: hydxoii 2f>oi;; (vielleicht p. 62, 4: 6 Atövuso;
»yaipei ts {lüftoi; xai cpiXet xojfxwoia;«?). — Das, für prosaische Erzählung
viel zu genau ausgeführte Gleichniss p. 60, 42 fi. ist, wie Korais bemerkt,
entlehnt aus Moschus idyll. iV 21— 2S.
3) Poetische Worte: TtXoToreOciv p. 36, 4; xuXotoiäv 4 04, 24; ßeßTjXoOv
64, 25; 308,23; Tzlffio^ Partie. 4 42, 26; ,3u30o(o(xe6civ 493,28; ^u^^opprfclv
265, 24; 3|i6/ea0ai xatd tivo; 225, 4 (vgl. 294, 8;; öfi^f^ 4 09, 4; oip(«yo;
260, 47; didoOaXo; 52, 23; 'EXXa; für 'EUf^v 73, 28; 240, 80; drpirftv
486, 5; TEXNOXTÖvo; 294, 4; dip^io; (hier: furchtbar gross] 297, 8; fiXav
St. fiKoxTOL. (Pierson. Moer. 4 08.) Ich weiss wohl, dass manches von diesen
Wörtern auch bei anderen Prosaikern der sophistischen Periode erscheint:
sie bleiben darum nicht weniger von Rechtswegen poetisches Gut.
4; Als Beispiele des Gebrauchs starker, oder speciell gewendeter Worte
— 461 —
empfindet nicht, wie schaal gerade durch übermässige Verwen-
dung allzu hoher und volltönender Worte ein prosaischer Stil
wird. Ueberaus reich ist er an selbster fundenea, nicht immer
nach richtiger Analogie gebildeten Zusammensetzungen. Der-
gleichen liebten die Sophisten : man konnte sich, in dem willi-
gen Material der griechischen Sprache, so leicht als ein schöpfe-
rischer Sprachbildner erscheinen I Ein Bestreben nach altattischen
in einem allgemeinen und abgeschwächten Sinne mögen folgende dienen:
'fvtoptCetv Ttv( Tt, Jemanden etwas zuertheilen oder ähnlich: 60, 17 u. ö.;
^pu^pcla(h[( , ganz abgeschwächt 5d, 28; 64/8; t59, 4; dtroaxopoxtCetv
'fifMv 74, 13; irepiOTOcxi&tv ganz allgemein: umgeben 8S, S4; 418, 17;
18S, 4; 239, 6; 244, 17; 278, 8; fAväsdat itöXtv raTpi^a 92, 4; icupfopelv
Xay^ndha 97, 11; dva^Vjoaa&at d^^va; 97, ;!3; ^^tdiCeiv (einfach: steigern)
119, 21 ; ein merkwürdiger Vielgebrauch tön ^noÄv, irape|pav, ^trppäaOai,
xorrfYudv; ftuetv (nur: miltheilen) 6f, MI; 72, 18; 91, 9. itcptYpdi^iv
(»entfernen«) passim, z. B. 65, 'S; icaTijvai (vor Schreck) 106, 14; 111, 27; .
9Vfq^Ut^ 129, 15; 174, 1; 182, 22; frfjpaTpa d^ppoSCora 64, 19; Xwx6v
(»deutlich«) 204, 19; olorörepON 63, 81. — AffecUrt: t6 ScuTepeDov 278, 6;
t6 jji€Otüov 112, 27; 278, 10; 299, 19. fairrtCeiv 187, 5; oufiißairrCCwÄai
120, 15; iXx6e(N ^Xmaoav 78, 23; fbMveiv xt 308, 80; d<paua(vct^ braten 86, 14.
— Sehr deutlich zeigt sich diese Sucht, starke Ausdrücke zu gebrauchen,
den eigentlich zutreffenden, einfacheren Bezeichnungen auszuweichen, in
solchen Fällen, wo Heliodor em gewöhnlicheres Wort durch ein ferner
liegendes, bildliches ersetzt, und dieses nun construirt wie das eigentlich
zu setzende Wort. ' Von dieser abscheulichen Unart ist sein Buch ganz voll.
Zar Verdeutlichung einige Beispiele, p. 112, 27: toO p.cae6ovTOc dirslpou
itaar^fiaTOC ouvexSpafieTv tiq ttt^oci ti^n %i*3N £ve$pe69avT0c: statt
x<»X69avroc. — p. 181, 8: xö Tipäf fxa oöx»; fyeiv diiaxT]deU (= o6x dp&w^
•jitoXaßc6v) ; vgl. p. 208, 8. 9; — p. 154, 27: ol oe fiV) xaxaXieödai xiv
v(5fiov ddop'jßouv (etwa für: auv TtoXXtp dop6ß({) -^Slouv). — Aus derselben
Sucht, gewählt, sinnlich reich und voll, dichtergleich sich auszudrücken,
ist an vielen Stellen ein sehr abgeschmackter Missbrauch bildlicher Aus-
drücke in einem falschen Bilde entstanden: ein bedenklichstes Merkmal
des ^u^p<iv und %ax(SC7]Xov poetisirender Prosa. Z. B. p. 51, 18: cpövov Ixi
^P;a6v x6v o(5T}pov dcorxuovxa. p. 15, 29: cpeioat roXtwv al oc dvfdpc^^av I
p. 58, 15: oxoXV) %a\ i(S%i^z :Tpö; xö eXXrjNixdixepov ßXirouoa u. s. w.
1) Selbstg\ßmachte Wörter: irpo'JiiexX'jetv 261, 17; icpoeiSoiXoTuoietv 271, 20;
^arsü^ta^ai 217, 13; Xa^apöxT); 260, 8; ÄTjpoxifio; 299, 1; otot]pÖ7:Xo%0(
260, 7; öveipo^cv/)« 271, 31; dnpöfiayo« 117, 26; octpifjviov 122, 27; drpoo-
cpuXoc 130, 1; i^Xdoxcio; 192, 2; Trpocfißax^piov ifipi^) 154, 14; dvdf paTTTO^
87, 3; piioöXexxpo; 87, 21; %axaTjoxd$7]v 260, 80; xop{xt]S6v 262, 7. — Eigen*
mächtiger Gebrauch von sonst anders gebrauchten Worten: ■^t\un\>.isoi x6
ÖyL\iLa 88, 15; da^piaiveiv xi 98, 14; dpLTjyaveiv c. Infin. 51, 15; XTjpoi
»Wachsfackeln« 256, 18; iroXu^po« transitiv 140, 26; dospl (das Wort liebt
er überhaupt) Apac 174, 80.
— 462 —
Feinheiten des Ausdrucks ist nicht zu bemerken; es überwiegt
das Vergnügen an einem dichterisch blühenden vollen und
prunkenden Reichthum der Sprache. Gleichwohl sind die zahl-
reichen Spuren spatgriechischen Sprachgebrauchs^), arger Nach-
lässigkeit in Beugung und Fügung der Worte, ja mancher un-
erhörter Soioecismen und Barbarismen 2) , welche von dem Prunk-
1) Schlechter Gebrauch von splitgriecbischen Formen der Conjagation
und Declination, falscher Constniclion der Rede, auch unallischer, aber bei
vielen Späteren üblicher Worte: s. Naber a. 0. p. 45S— 160. (Beilfiafig sei
bemerkt, dass in seiner gelehrten Abhandlung Naber sich viele Mühe und
eine grosse Anzahl seiner Conjecturen sparen konnte^ wenn er nur nebeo
Hirsch igs Ausgabe des Heliodor auch die Ausgaben von Korais und Bekker
in die Hand hütte nehmen wollen, in welchen sehr viele der von ihm
behandelten Schäden längst gehoben sind. Ein einziges Beispiel. Naber
sagt p. 333: »turpe est in paucis Vitium quod nescio quomodo per omnes
deinceps editiones propagatum, viros doctos latuisse videtur« näm-
lich in dem Orakel des Apollo U 35 : fi^ovr i^cX(ou rp^; ydöva •*Mv*ir^y, Das
soll in allen Ausgaben stehen? es steht zwar in der überaus nachlässig
gemachten Hirschigschen ; aber T^orc' liest man bereits bei Kora'is p. 406, 44«
und ebenso bei Bekker p. 77, 4 0. — Und so in vielen Fällen.) — Von
spälgriechischen Worten hebe ich noch hervor: ivi^pefjiciv 34, 5; 'ft^nhvKtw
de re Venerea 45, 27; f>utaxc98at 56, 26; oru-pKllto} 496, 26; i^&pbfCccv
488, 24; ypcooTreiodai (passiv.) 453, 44; 466j 42; 489, 47; 495, 24; i:po-
xaTT|y6tv 255, 4; 8eorXa9TCtv 254, 48; d7:a\}^ahuifi<niL7.i; Bia^OTY^Cctv 245, 9;
ortXoOv 288, 47; f^oetv transit. 805, 4 0 (wie Achill. Tat. p. 40, 7); (A07aXU
284, 46; d^a^tb^axo^ (Lobeck Phryn. p. 92 f.); stets 9eX7]va(a (nach Lo(>eck
Paralip. 844 f. vulgär) statt ocXtjvt]: 23, 3; 484, 5; 445, 23; 475, 43; 80;
287, 42; 276. 45; 46; 49; 278, 23; 279, 26; 294, 4. (In Nachahmung des
Hei. wohl Achill. Tat. p. 4 03, 3.)
2) Von Heliodors Barbarismen der ärgste ist: ol ^(i^rzt^ st ol cp^sovic;
»die Eltern«; hervorgehoben bereits von Kora'is II p. 72 u. ö. , dann auch
von Cobet Mnemos. VI letzte Seite, und von Naber a. 0. p. 454. Sonst:
IpafjLfia, der Brief 48, 4 ; 276, 4. 6; 6 (xstpa^ u. A. : s. Naber; dva^rvetv Ttv«
54, 47; 239, 44; xd oifiiXT^fiiia 72, 44; das Perfeckum Tjvtaxe 207. 23;
f|{jiepüv Tpiwv von Zeitdauer 248, 45 [so freilich auch Philostratus V. Apoll,
p. 424, 6 (ed. Kayser 4 870) : p.7;Nä)v -errölpcDV ix£t ^iaTp('j»avT(; ebd. p. 229, 24;
JCenoph. Eph. p. 360, 3; 374, 49 (ed. Hercher) ; Achilles Tatius öfter
(s. meine Schrift über Lucians Ao6xio; -i^ 'Ovos p. 35 A. 3) u. s. w. Bei
Porphyrius V. Pyth. 35 p. 27, 49: brMt jiiXXoi ^vroüÖa yp^Nou tivo; (soder
Archetypus der Hss. , cod. Bodlejan. Gr. misc. 254j äviiaTpl^'civ corrigirt
Nauck: ypövov Ttvd, ohne Grund; vgl. Achilles Tat. VII 4 4, 2: yp^vou t:oXXo3
iioTpi'f/a; Ixuyev iv T6p9. Bei Procop. Gaz. epist. 4 64 p. 596, 27: iza^ihw
dhtk^irt TooouTou ypdvo'j Tcp Xtpi<|> 7:uCÖ(itcvov. Hercher corrigirt ohne Noth:
ToaouTov /pÖNOv]. Soloek sind jedenfalls die Constructionen : ^^Ofjval oc ispoe-
— 463 —
gewande der Übrigen Rede des Heliodor garstig abstechen,
sicherlich weniger seiner absichtlichen Gleichgültigkeit als einem
mangelhaften Studium der bereits todt gewordenen Schriftsprache
zuzuschreiben. Sie übrigens vollenden den Eindruck der er-
künstelten Unnatur dieser aus so bunten Elementen mühsam
zusammengesetzten Sophistensprache.
Alles zusammengefasst lUsst den Heliodor immerhin als den
bedeutendsten Vertreter des sophistischen Liebesromanes er-
scheinen; wofür ihn seine byzantinischen Verehrer auch stets
genommen haben. Es wlire nun für unsere ganze Betrachtung
^hr wichtig, die Zeit dieses »phOnicischen«^) Rhetors genauer
bestimmen zu können. Diese wird nach unten hin begrenzt
durch die Erwähnung seines Romans bei Sokrates. Das Gerücht
von der Ghristlichkeit des Heliodor ist uns, als ein reines Miss-
verständniss eifriger Bewunderer, völlig zerflattert; schwerlich
aber konnte sich eine solche Sage eher* bilden als geraume
Zeit nach der Herausgabe des Buches. War also die Person
unseres Sophisten bereits um die Mitte des fünften Jahrhun-
derts zu sagenhafter Unkenntlichkeit verflüchtigt, so wird man
dessen wirkliche Lebenszeit allerspatestens in die zweite Hälfte
des vierten Jahrhunderts setzen dürfen. Zu einem Zeitgenossen
etwa des Libanius^) macht den Heliodor auch die gewöhnliche,
an die bei Sokrates berichtete Sage als an ein Faktum sich an-
lehnende Annahme. Indessen erscheint eine so späte Ansetzung
jetzt nicht mehr statthaft, wo die specifisch heidnische Fröm-
TTcaYfieda 202, 4: wir sind beauftragt, dich zur Herrin zu bringen, zu
bewirken, dass du von der Herrin gesehen werdest; t6v veavlav a^^tv
dxo6aaaa 2t 8, 10: nachdem sie den Auftrag bekommen hatte, den Jüngling
hinzubringen. — reptouo(a »Vermögen« sehr oft: z. B. 4 2, 2.
1) Beilfiufig gesagt: die Bezeichnung des Heliodor als dvi^p <I)otNiS 'Efii-
oi]v<Sc am Schluss seines Werkes darf nicht etwa zu einer Herabdrückung
desselben bis in die Zeit, wo Theodosius d. Gr. Emesa zur Metropolis von
Phoenice Libanensis machte (Malalas p. 845, 3 ft.) gebraucht werden.
Schon vorher zur Syria Phoenice gehörig, wird Emesa öfter geradezu
zu Phoenicien gerechnet: z. B. Ammian. Marceil. XIV 8, 9 und schon viel
früher (Marquardt, Rom. Alterth. Ill 1, 198 A. 1887).
3) Ohne irgend welchen besonderen Anhalt machte Hieron. Wolf den
gelegentlich in den Briefen des Libanius vorkommenden, in Constantinopel
und in Italien der Redekunst beflissenen Heliodor, einen jüngeren Freund
des Libanius, zum Verfasser der Aethiopica. S. Fabricius B. Gr. VIll 127
Harl.
— 464 -^
migkeit des Heliodor, die Verwandtschaft seiner religiösen Vor-
stellungen mit denen des ApoUonius von Tyana kenntlich ge-
macht ist. Sein Ueidenthum tragt viel zu sehr den Charakter
der Unbefangenheit, als dass man ihn für einen Zeitgenossen
des Kaisers Julian, des » göttlichen a Jamblichus und seiner Schule
halten durfte. Zwar solche Leute welche, gleich Libanius oder
Himerius, in religiöser Beziehung wesentlich indifferent waren,
wurden auch damals noch durch ihre classische Bildung bei
einpr leidlichen Einfachheit und altgriechischen Klarheit der
mythologisch - religiösen Vorstellungen festgehalten. In from-
men, altgläubigen Griechen rang in jener Zeit eine angestrengtie^
fast verzweifelte Inbrunst der Liebe zu den alten Göttern mit
den gewaltsam herandrängenden religiösen Forderungen einer
neuen Welt ; im Kampfe mit, und doch unter dem tiefwirkenden
Einflüsse des Christenglaubens gebar die letzte Krall des Helle-
nenthums jene seltsame Welt von Dämonen, Geistern, Engeln,
zu Göttern hypostasirten Begriffen, deren Rangfolge, Macht und
Wirkungskreise die philosophische Phantasterei des Neoplato-
nismus, auf ein genaues, hierarchisch gegliedertes Schema
brachte. Wer damals fromm war, und mehr wohl noch wer,
gleich unserem Heliodor, aus halb künstlerischem Interesse aus
der Frömmigkeit Profession machte, der wurde unweigerlich in
jenes Gewimmel neuplatonischer Dämonen gezogen und zu jener
schwärmerischen Verzückung mystischer, philosophisch-theolo-
gischer Gottbegeislerung gezwungen, welche ganz vornehmlich
die Schule des Jamblich auszeichnet. Man braucht gar nicht
die Schulphilosophen allein ins Äuge zu fassen : man nehme nur
die populär sein sollende Darstellung des Götterwesens in dem
Büchlein des Sallustius zur Hand ^] ; man betrachte nur die ex-
1) Ich nehme mit Fabricius (s. Orelli ad Sallust. p. 4 94. t) and Zeller
(Philos. d. Gr. III %, 664 f.) an, dass dieser Sallustius, der Vf. der Schrift
zcf>l ^c&N xal xÖ9{iiou, weder der bei Damascius vorkommende Gyniker noch
ein Neuplatoniker aus der Schule des Proclus sei, sondern ein Freund des
Kaisers Julian. Es gab aber drei Leute des Namens zu jener Zeit:
s. Wernsdorff zu Himerius p. U. 4 2. Der Philpsoph ist, wie ich ret*
muthe, nicht der praef. praet orientis, sondern der praef. praet. Galliae,
cos. mit Julian 368 (Amm. Marc. XXIH 4, 4). Denn von diesem «gl
Julian or. Vlil p. 827, 4 Hertl., er sei j^r^Topctov ^xpoc xal ^tXoao^tcc
o'jx (Eircipoc (Ihn meint er auch wohl epist. 46 § 8; ihm ist vennnthlich
Julians vierte Rede gewidmet; ihn meint auch Eunapius Histor. § 17
— 465 —
centrische Phantastik, mit welcher der Kaiser Julian von den
Göttern, und nun gar von dem grossen »König Helios« redet
und schwärmt: und man wird erkennen, dass ein gebildeter,
und zumal (wie Julian] rhetorisch gebildeter Mann, wenn er
zugleich dem alten Glauben sich ernstlich anschliessen wollte,
in jener Zeit schlimmer Bedrängniss durch die Christen , gar
keine andere Zuflucht überhaupt finden konnte als die Lehre
der Neuplatoniker , deren hoch gespannte Frömmigkeit damals
geradezu die griechische Frömmigkeit an sich geworden war.
Es ist nicht zu verkennen, wie ganz anders dieses Alles bei
Heliodor ist. Von dem Göttergettlmmel , der wilden Theurgie,
der schwülstig überspannten Frömmigkeit der Neuplatoniker noch
keine Spur; gar keine Spur vollends von ihrer erstaunlichen
Begriffsspalterei und schwindelerregenden Äbstractionsfähigkeit.
Ueberhaupt gar kein Einfluss des Neoplatonismus ; wohl aber
sehr deutliche Spuren einer Einwirkung der noch viel ein-
facheren , dem Volksglauben noch nicht völlig entfremdeten
Glaubensweise jener, zwischen Pythagoreismus, Piatonismus und
Stoicismus eklektisch sich bewegenden frommen Philosophen der
ersten Jahrhunderte der christlichen Aera, welche die später so
hoch gespannte, fast wie eine, freilich ganz fruchtlose, anti-
christliche Gegenreformation zu betrachtende, religiöse Phan-
tastik des Neoplatonismus erst leise intonirend vorbereiteten.
Heliodor sieht in dem Banne der Anschauungsweise des Apol-
lonius von Tyana, genauer gesagt, jenes durch Damis und Phi-
lostratus gemeinsam erzeugten neupythagöreischen Idealbildes
des Apollonius von Tyana. Noch halte ofTenbar, zur Zeit des
Heliodor, die viel straffer gespannte Betrachtungsweise der neu-
platonischen Philosophen diese mehr populäre Weise philosophi-
scher Frömmigkeit nicht abgelöst: die Frömmigkeit seiner Zeit
ist, um es kurz zu sagen, nicht die neuplatonische, sondern
die neupythagoreische.
Ich kann mir demnach den Heliodor nicht als einen Zeit-
genossen des Jamblichus und Julianus vorstellen. Ich sehe an-
dererseits nichts was uns veranlassen könnte, seine Lebenszeit
€. Müll.) — Die Schrift darf also als ein populäres (s. c. 4 3 p. 4S Or.)
Blanifest des neuplalonischen Glaubens aus der Schule des Jamblich gelten :
und nun vergleiche man etwa mit Heliodor die Götterlehre dieses Büch-
leins (c. 6) oder dessen Bestimmung der Bedeutung der T6-/7] c. 9 p. 84.
Roh de. Der griechische Roman. 30
— 466 —
über die zweite Hälfte des dritten Jahrhunderts herunter zu
drücken. Jedenfalls lebte er nach dem zweiten Philostratus,
dessen Biographie des Apollonius von Tyana er gekannt haben
muss; aber warum soll er nicht ein Zeitgenosse des dritten
Philostratus, ein Mitglied der zweiten unter den oben bezeicb-
neten drei Hauptperioden der Sophistik gewesen sein? Wenn
es sehr begreiflich ist, warum mit den meisten anderen Mitglie-
dern dieser zweiten Periode auch unser, doch keineswegs ganz
verächtlicher Rhetor in der litterarhistorischen Ueberlieferung
völlig verschollen ist, so könnte man sein Bild recht wohl sich
erneuern, wenn man ihn etwa in die Zeit des Kaisers Aurelian
versetzte. Gleich dem Kaiser ein Verehrer des Apollonius von
Tyana ^), dessen GuIt übrigens von Emesa, des Ueliodor Vater-
stadt aus, durch die Emisenerin Julia Domna angeregt war;
gleich dem Kaiser ein gläubiger Verehrer des Helios als des
obersten Gottes ^j, mochte er in Emesa ein Zeuge der gewaltigen
Kämpfe mit jenen Persem und ähnlichen »Barbaren« gewesen
sein, denen er es in seinem Romane so tlbei gehen lässt; in
den Leiden seiner treu zu Rom stehenden Vaterstadt^) mochte
1) Mao lese die merkwürdige Geschichte von der TrautnerscheiDiuig
des Apollonius bei Vopiscus vita Aureliani S4. Natürlich wfire er dem
Aurelian nicht erschienen, wenn dieser ihn nicht in verehrenden Gedanken
schon vorher gehegt hütte.
2) Ueber den Cult, welchen Aurelian dem Sonnengott« von Bmen,
dessen Dienst er ja auch nach Rom verpflanzte (vgl. Marquardt, Hdb. d.
röm. Alt. IV 92) widmete, s. namentlich Vopiscus V. Aurel. S5, 4; Zi, 7;
S5, 3 ; 39, S. 6. — (Das Ausschweifendste im Sonnendienste leistet übrigens
wohl Macrobius, welcher, Saturn. I 17— i8, der Reihe nach alle anderen
Götter mit dem Helios identificirt.)
3) Wie unter Valerien die Emisener Shapor von Persien abgewiesm
haben, erzählt (nicht ohne fabelhafte Ausschmückung) Malalas Chron. p. t%$
Bonn. Später waren sie der Zenobia feindlich, den Römern freundlich ge-
sinnt, und empfinj>;en daher jubelnd den siegreichen Aurelian: Zosimus 154.
— Die Stadt wurde bereits (um 260) von Balista so mitgenommen »ut ci-
vitas paene tota delerelur«: Trebell. Poll. Gallien. 3, 4: daher denn Gallien
in Emesa ein Upov (jl^y« (doch wohl des Sonnengottes) zu gründen, richtiger
wohl neu zu gründen hatte: Malalas p. 298, 10. Später muss die Sladl
aufs Neue sehr gelitten haben: t) o'jxi-ct ::6Xt; heisst sie bei Lihanius 11
p. 132. Der Tempel bestand gleichwohl noch: wie von einem -besteheodeo
redet Julian or. IV p. 195, 12 ff. (vgl. p. 200, 2) ed. Hertlein (*E(i£oav mit
Spanheim). Die Einwohner waren, wie leicht zu begreifen, noch damtli
eifrige Heiden : auf einen Wink Julians verbrannten sie die td^ot tAv FoXi*
— 467 —
er seinen Hass gegen die »Barbaren« genührt haben; im frohen
Gefühl des endlichen Sieges mochte er, stolz auf seine Zuge-
hörigkeit zu der treu bewährten, im erneuten Glänze des Sonnen-
dienstes schimmernden Stadt, seinem Romane die Schlussworte
hinzusetzen : dieses schrieb ein phönicischer Mann aus Emesa,
aus dem Geschlecht der vom Helios Herstammenden, des Theo-
dosius Sohn, Heliodorus.
5.
Es folge der Roman des Achilles Tatius »Die Geschichte
der Leucippe und des Klitophon« in acht BUchem.
Vor einem Bildniss in Sidon, welches den Raub der Europa
darstellt, trifll der Verfasser mit einem Jüngling zusammen, welcher
ihm seine Abenteuer, als ein Beispiel der Macht und des Ueber-
muthes des Eros, erzählt. Er heisst Klitophon und stammt aus
Tyrus. Sein Vater Hippias hatte ihm eine Tochter aus zweiter Ehe,
Kalligone, zur Ehe bestimmt. Klitophon aber, vorher mit diesem
Plane ganz einverstanden, wird anderen Sinnes, als die Tochter
Xaion (Jolian. Misopog. p. 96. p. 107 ed. Paris. 4566). Ein glänzendes
Bild von Emesa, Stadt und Tempel, vom Ende des vierten Jahrhunderts
würde uns die begeisterte Schilderung des Festus Avienus descr. erb. 1084
bis 1091 bieten, wenn anders diese, bei. Dionys. Perieg. fehlende Lob-
preisung von Emesa wirklich, wie man annimmt (s. Müller, Geogr. gr.
cnin. H p. XXIX f.), erst von Avien zugesetzt ist: was aber doch nach
Steph. Byz. s. 'EjAis^a sehr zweifelhaft ist. Eine gewisse Blüthe der Stadt
am Ende des vierten Jahrhunderts scheint auch die Thatsache zu bezeugen,
•dass Tbeodosius d. Gr. Emesa zur Metropolis von <I>otN(%T] At^vfjoto; machte :
Malal. p. 345, 3 ff. — Uebrigens rühmt Avien 1087 f. die Studien der
Emesener: incola claris cor studiis acuit. Von Sophisten stammten, ausser
unserem Heliodor, aus Emesa Fronto (zur Zeit des Alex. Severus) und ül-
pianus: s. Suidas: der letzte wohl nicht verschieden von dem Sophisten
Ulpianus, der bei Suidas 'Avtio^^eu; rfj; Supla; heisst, aber wohl nur nach
<lem Orte seiner Wirksamkeit (wirklich kommt bei Libanius epist. 758
[8. Sievers, Liban p. 42 A. 228] ein Rhetor Ulpian in Antiochia vor); denn
«s heisst gleich weiter: Trat^eOoa; TtpÖTepov (unter Constantin d. Gr.) eU
*Efjieoav: hoffentlich ja doch nicht vor nciner Geburt in Antiochien. Diese
kann also mit der Bezeichnung 'AvTioyeu; nicht gemeint sein. — (Die Stadt
•existirt bekanntlich noch jetzt als Hems oder Hims. Aber wer kennt nicht,
aus den Rückertschen Makamen des Hariri, den Schulmeister von Hims,
«das berühmt ist durch die Zucht — von Thorheitsgewächs und Narrheiüt-
frucht«? es scheint ein syrisches Schiida geworden zu sein. Sic transit
gloria mundi).
30*
— 468 —
seines Vaterbruders Sostratus, Leucippe, mit ihrer Mutter aas
Byzanz nach Tyrus kommt, um während der Kriegswirren, in welche
Byzanz verstrickt ist, in Tyrus beim Hippias eine Zuflucht zu finden.
Er verliebt sich alsbald in die schöne Fremde, und von einem etwas
älteren Freunde, Klinias, und einem schlauen Sclaven, Satyrus, an-
geleitet, weiss er die häußgen Gelegenheiten, welche ihn beim Mahl
und im Garten mit der Geliebten zusammenführen, wohl zu benutzen,
um mit Erfolg um ihre Gegenliebe zu werben. Hippias bereitet indessen
des Sohnes Hochzeit mit der Kaüigone vor: da wird die Kalligone
von einem Jüngling aus Byzanz, Kallisthenes, welcher mit einer Fest-
gesandtschaft nach Tyrus gekommen ^ar, bei einem Feste am Meeres-
strande geraubt, und in dem Wahne, dass dies die Tochter des
Sostratus sei, um welche Kall, sich einst vergeblich beworben hatte,
zu Schiffe entführt. — Klitophon giebt sich mit der Leucippe ein
nächtliches Stelldichein in deren Schlafgemach: die Mutter kommt
indessen darüber zu; und, wiewohl der schnell enteilende Klitophon
nicht erkannt worden ist, findet das Paar es doch nöthig, in Gesell-
schaft des Klinias und Satyrus zu entfliehen. Sie eilen nach Berytus
und schiffen sich dort nach Alexandria ein. Ein Sturm zertrümmert
das Schiff; das Liebespaar rettet sich an die aegyptische Küste bei
Pelusium. Von dort nach Alexandria fahrend, werden sie von den
Bukolen, den aegyptischen Sumpfräubem, gefangen. Leucippe wird
fortgeschleppt, um als Sühnopfer für die Bande geschlachtet zu werden;
Klitophon, zurückbleibend, fällt mit den übrigen Gefangenen in die
Hände einer Schaar Soldaten, welche die sie bewachenden Bäuber
ergreift und vernichtet. WeUerziehend , sehen sie, wie die übrigen
Bäuber, jenseits eines breiten Grabens, die Leucippe tödten, ihre
Eingeweide opfern, die Leiche eingraben, und sich dann davon
machen. Nachdem der Graben ausgefüllt ist, eilt Klitophon hinüber;
schon ist er, in einsamer Nacht, im Begriff, auf dem Grabe der
Geliebten sich zu tödtcn: da kommen Satyrus und ein aegyptischer
Jüngling Menelaus, den sie auf dem Schiffe kennen gelernt hatten,
herbei. Sie ziehen alsbald die Leucippe lebendig aus dem Grabe,
und erzählen dem Klitophon, wie sie, ebenfalls an den Strand getrie-
ben, von den Räubern gefangen, mit der Leucippe zusammengetroffen
seien , die Opferung sich hätten übertragen lassen , und mit Hülfe
eines Theaterdolches mit zurückweichender Klinge und eines der
Leucippe vorgebundenen blutgcfüllten Darmes scheinbar die TÖdtung
vollzogen hätten. — In die nunmehr mit Klitophon wieder vereinigte
Leucippe verliebt sich der Anführer der Soldaten, Charmides; durch
Menelaus lässt er ihr seine Anträge machen : sie bittet nur um einige
Tage Aufschub, bis man nach Alexandria komme. Plötzlich aber
wird sie wahnsinnig, durch einen allzustark gemischten Liebestrank,
den ein ebenfalls in sie verliebter Soldat ihr einzuflössen gewusst
hat. Die Bukolen besiegen, durch eine List, die Soldaten; andere
Soldaten vernichten das ganze Räubemest; von Räubern und Sol-
— 469 —
daten befreit, zieht Klitophon mit der wieder gebeilten Leucippe und
den Freunden nach Alexandria. Einer der Soldaten, Chaereas, welcher
mit ihnen gegangen ist, entführt auf einem Schiffe die Leucippe:
Klitophon, auf einem KriegsschifTe nachsetzend, sieht, wie die arg
bedrängten Räuber ein Mädchen, der Leucippe gleich, am Bord des
Schiffes enthaupten und den Rumpf ins Meer stürzen. Er fischt
diesen Rumpf auf und bestattet ihn bei Alexandria. In tiefer Trauer
dort weiterlebend , lässt er sich zuletzt doch von einer reichen und
schönen Wittwe aus Ephesus, Melite, überreden, ihr die Ehe zuzu-
sagen und kehrt mit ihr nach Ephesus zurück. Gleich am ersten
Tage sieht er auf der Villa der Melite eine arg misshandelte Sciavin,
welche ihn lebhaft an Leucippe erinnert. Ein Brief derselben, welchen
ihm Satyrus heimlich übergiebt, bestätigt seine Yermuthung. Aufs
Nene an die einzig Geliebte erinnert, muss er gleichwohl, den Bitten
der Melite nachgebend , endlich in die bisher immer aufgeschobene
Hochzeit mit dieser Frau willigen. Da kommt ganz unerwartet der
erste Mann der Melite, der sich aus einem Schiffbruch, in dem man
ihn umgekommen geglaubt hatte, gerettet hat, wieder nach Ephesus.
Er lässt den Klitophon fesseln und einsperren. Melite, welche aus
dem Briefe der Leucippe, welcher dem Klitophon entfallen ist, den
wahren Namen der Sciavin und deren Verhältniss zum Klitophon
erfahren hat, besucht denselben im Gefängniss. Nachdem sie hier
ihm endlich die bis dahin verweigerte Liebesumarmung abgeschmeichelt
hat, wechselt sie mit ihm die Kleider und lässt ihn entwischen.
Auf der Strasse stösst er auf Thersander, der ihn nun in das Öffent-
liche Gefängniss werfen lässt. Durch seinen, von der Leucippe
abgewiesenen Sclaven Sosthenes angelockt, macht Thersander der
Leucippe, welche noch auf der Villa lebt, einen Besuch ; heftig ver-
liebt macht er ihr seine Anträge, aber völlig vergebens. Nun stiftet
er einen Mann an, sich mit in das Gefängniss werfen zu lassen und
dort dem Klitophon von der, durch Melite angeordneten Ermordung
der Leucippe zu erzählen, deren er selbst, mit dem wirklichen
Mörder zusammen reisend, fälschlich angeklagt sei. Aufs Tiefste
erschüttert, klagt nun Kl. in dem Ehebruchsprocess des Thersander
gegen ihn und Melite sich selbst des Ehebruchs und der Ermordung
der Leucippe an. Trotz des Widerspruches des Klinias wird er zum
Tode verurtheilt, und soll, um über die Mitschuld der Melite an
Leucippens Tode auszusagen, soeben gefoltert werden: als der
Priester der Artemis den Verlauf des Gerichtes hemmt, weil eine
Festgesandtschaft der im Kriege siegreichen Byzantier an die Artemis
angekommen ist ; an ihrer Spitze Sostratus, der seine Tochter wüthend
vom Klitophon fordert. Leucippe war inzwischen, da Sosthenes auf
Oeheiss des Thersander geflohen war und die Thüre ihres Gemachs
unverschlossen gelassen hatte, hülfeflehend in den Tempel der Ar-
temis geeilt. Dort finden sie Sostratus und der Priester; auf des
Letzteren Bürgschaft wird Klitophon aus dem Gefängniss entlassen.
— 470 —
Am andern Tage grosse Gerichtsverhandlung: Thersander und ein
für ihn antretender Redner beschuldigen die Melite des Ehebruches;
der Priester giebt in einer sarkastischen Rede dem Thersander die
Anklagen zurück. Gottesurtheile sollen entscheiden. Melite schwört^
nach Thersanders Vorschrift, mit dem Klitophon keine eheliche Ge-
meinschaft gehabt zu haben, »so lange Thersander abwesend war«:
sie steigt in einen Teich »das Wasser des Styx« genannt, welches-
Meineidigen bis zum Halse steigt, bei wahrem Eide ruhig bleibt.
Ebenso bewährt Leucippe ihre Jungfräulichkeit in der »Hohle des
Pan«, aus welcher, da sie darin eingeschlossen ist, ein liebliches
Spiel auf der Syrinx gehört wird, während, wenn ein Weib, welches
sich fälschlich ihrer Jungfräulichkeit rühmt, darin verschlossen wird,
ein schrecklicher Schrei ertönt und die Meineidige nicht wieder zum
Vorschein kommt. Leucippe tritt wohlbehalten heraus. Thersander
entflieht ; Sosthenes , eingeholt , gesteht Alles auf der Folter. Beim
Mahle, welches im Hause des Priesters die Liebenden und den
Sostratus vereinigt, erzählt zuerst Leucippe, wie jene, am Bord des
Schififes getödtete Frau ein anderes, ebenfalls aus Alexandria mit-
geschlepptes Weib gewesen sei, wie Chaereas bei einem Streit mit
den übrigen Räubern um den Besitz der Leucippe getödtet worden^
wie sie selbst dann verkauft worden sei. Sodann berichtet Sostratus,
dass Kallisthenes, mit der geraubten Kalligone nach Byzanz zurück-
gekehrt, sein vorheriges wüstes Leben geändert, auch im Kriege
gegen die Thracier sich ausgezeichnet habe und jetzt, um die Hand
der Geraubten ehrlich zu erhalten, zu deren Vater nach Tyrus gereist
sei. — Man reist dann nach Byzanz, und feiert dort die Hochzeit
des Klitophon und der Leucippe ; darauf nach Tyrus , wo gerade
Hippias im Begriffe stand, dem Kallisthenes seine Tochter feieriich
zu verbinden.
Die Lebenszeit des Achilles Tatius lässt sich mit weit
grösserer Zuversicht bestimmen als diejenige seines Vorbildes^
des Heliodor. Zwar was uns Suidas und Eudoeia über ihn
mittheilen, ist verkehrt und unbrauchbar*). Damach wäre er
der Verfasser nicht nur der Liebesgeschichte des Klitophon,
sondern auch eines Buches ȟber Etymologie <( und eines histo-
rischen Sanimeierwerkes, zumal aber eines Buches über die
Sphäre. Aus dem letztgenannten Buche besitzen wir einige
1) Suidas (Eudoeia p. 69] : 'AxiXXeu; Stcktio; (sicj 'AXe^v^pcuc, 6 i^di^
xa *aTd AEüxlmjv xal KXeixo^Ävxa -aolI d[XXa (vgl. Jacobs ad Ach. Tat ,
p. V A. 2) ipcuxrad iv ßißX(oic t)'. '^i'^osis loyaxov Xpioxtavo; xal drtoxoro;.
ifpa^e, oe Trcpl cfotpa; xai ixvpioXoYlac xal löxop(av ou(jl(jlixxov roXX&v xai fU^
YdXcov xal 8a'jjj.ao(a>v divopd>v |jivY]pLOve6ouoav. 6 oe Xö^o; tjxoO xoxa TTfitvxa S{&oto&
xoTc ipfuxixoi;.
— 471 —
Auszüge, i^elcbe zu einer Einleitung in das astronomische Ge-
dicht des Arat zugeschnitten sind ^) . Es sind Zusammenstellungen
aus älteren Autoren , zumal stoischen , aus den Schriften des
Eratosthenes und mancher späteren Astronomen. Der Verfasser
muss vor der Mitte des vierten und nach dem Anfang des dritten
Jahrhunderts gelebt haben^j. Ihn mit dem Verfasser unseres
Romans zu identificiren kann Suidas (oder vielmehr Hesychius
Ulustriusj nicht durch eine historische Ueberlieferung bewogen
worden sein ; er würde dann nicht den Zusatz gemacht haben :
»sein Stil aber ist in allen Stücken dem der Liebeserzählung
gleich«. Dieser Zusatz verräth, dass die Identität der beiden
Schriftsteller nur erschlossen ist, und erschlossen aus einem
ganz unkräftigen Argument : denn in Wahrheit zeigt die schlichte
Gelehrtensprache der Excerpte aus dem Buch tlber die Sphäre
mit der barocken Zierlichkeit der Schreibweise des rhetorischen
Erotikers nicht die entfernteste Aehnlichkeit. Nun wird auch
der Verfasser jenes Buches über die Sphäre gar nicht Achilles
Tatius sondern nur Achilles genannt ^} ; ein Grund mehr , an
1) ix T&v !AyiXXI(D; rpoc eioa^for^s ti^ /c^i 'Apaxo'j cpaiv6p.eva (so in cod.
Laurent. S8, 44: Bandini graec. II 67): d. h. Excerpte aus einem Buche
des Achilles, eben dem über die Spbaere, aus dem Laur. und einer römi-
schen Hs. edirt von P. Victorius, dann im Uranologium des Petavius
p. 1S1 ff.
2) Unter den Autoren, i^elche über die sphaera geschrieben hätten,
wird in den um 354 vollendeten Matheseos libri des Firmicus Maternus,
IV 10 auch genannt: prudentissimus Achilles. S. Jacobs p. IX f. Wie
lange vor Firmicus Achill schrieb, ist nicht genau zu bestimmen : in den
Excerpten bei Petavius finde ich keinen anderen Anhalt hierfür als den,
aus welchem ich die oben angegebene Begrenzung (Anfang des dritten Jahr-
hunderts) entnommen habe, nömlich die Nennung des Astronomen Hypsicles
c. 16 p. 136 A. Hypsicles war Schüler des unter Marc Aurel und Verus
blühenden Isidorus: s. Fabricius B. Gr. IV 20 Harl. Genau wäre die Zeit
des Astronomen Achilles zu bestimmen, wenn man sicher wüsste, wann der
mir unbekannte 'Iot5(uptav6; gelebt hohe, der im zweiten Excerpt p. 166 Pet.
als 6 ^i$aaxaX6; |jiou vom Achill eingeführt wird. Ist damit etwa kein An-
derer als Hypsicles, der Schüler des Isidorus gemeint? — Der Verfasser
des Buches Ueber die Sphaere könnte übrigens recht wohl mit dem, bei
Suidas genannten Etymologen Achilles identisch sein: etymologische
Versuche und sonstige Spuren grammatischer Gelehrsamkeit zeigen die Ex-
cerpte seines Buches mehrfach.
3) So sei Firmicus; in den Excerpten des cd. Laur., in einer Wiener
Hs. bei Lambecius Bibl. Caes. VII cod. CXXVIII p. 493 ff.
— 472 —
seiner Identitäl mit unserm Sophisten zu zweifeln. Diese wird
aber völlig abgewiesen durch eine andere Betrachtung. Unser
Erotiker ahmt unverkennbar einige Stellen des Gedichtes des
Musaeus von liero und Leander nach^). Musaeus nun gehört
ohne allen Zweifel zu der, durch peinliche Strenge gewisser
metrisch -rhythmischer Gesetze sehr kenntlich ausgezeichneten
Dichterschule des Nonnus. Den Nonnus setzt man mit gutem
Grunde in den Anfang des fünften Jahrhunderts : ein Nachahmer
seines Schülers konnte nicht wohl vor der Mitte desselben Jahr-
hunderts schreiben 2). Kann somit von einer Identificirung des
Erotikers Achilles mit dem viel älteren Verfasser des Buches
über die Sphäre nicht ferner die Rede sein, so brauchen wir
doch unter den angegebenen Zeitpunct, die Mitte des fünften
Jahrhunderts, unsern Sophisten nicht herunter zu drücken. Der
Verfasser der erotischen Briefe des sog. Aristaenetus hat zu
dem bunten Mischmasch seines überall zusammengeboi^ten
1] Ach. Tat. 42, 43 — 18 (ed. Horcher.) sind offenbar nachgeahmt den
Versen des Musaeus 92 — 98. Wogegen Ach. Tat. I 4, 3 nicht noth wendig
(wie Passow zu Mus. p. 96 meint) aus Mus. 56 ff. entlehnt sein muss,
sondern von Beiden nach gemeinsamem Vorbilde gearbeitet sein kann : vgl.
Ach. Tat. 1 49 und Dilthey Callim. Cyd. p. 67. 68. Aus Musaeus 448 ff.
ist aber wieder die artige Wendung bei Ach. Tat. p. 63, 4 4 ff. entlehnt.
Sonst vgl. noch mit Mus. 4 44 Ach. Tat. 64, 7; mit Mus. 248 (dazu Hein-
rich) Ach. Tat. 4 42, 25.
2) Die Zeit des Musaeus ist nach unten hin nicht so unbestimmbar,
wie man nach der unsicheren Ausdrucksweise unserer Litteraturgeschichten
glauben sollte. Verlockend klingt Passows Meinung (Mus. p. 97 f.), wonach
der Dichter Musaeus identisch wäre mit dem gleichnamigen Freunde des
Rhetors Procopius von Gaza, an den dessen 48. und 60. Brief gerichtet
sind , und der zumal nacb dem zweiten dieser Briefe als ein {AOu9or6Xo;
erscheint. Es scheint aber docb, als ob der Grammatiker und Dichter
Musaeus nicht unbedeutend älter sein müsse als Procop. Dieser war wohl
etwa ein Zeitgenosse des s. g. Aristaenetus, welcher wiederum etwa in der
zweiten Generation nach Musaeus gelebt haben muss: denn er ahmt dem
Ach. Tatius , und dieser dem Musaeus nach. Jedenfalls aber lebte und
schrieb Musaeus vor Aristaenetus, als welcher ihm einige Floskeln entlehnt
hat: 8. Boisson. ad Arist. p. 455; Dilthey De Callim. Cyd. p. 34. — Gleich-
wohl bliebe zu überlegen, ob mit diesen Betrachtungen sich nicht dennoch
Passows Identification des Grammatikers M. und des M. des Procopius ver-
einigen Hesse. Procop erreichte ein hohes Alter (xTJpa;); wenn auch nicht
das der o^öopa Trpesß'jtai: s. die Leichenrede des Choricius auf Procop.
p. 8, 4 4 ff.; p. 24, 4 5—4 7 Boisson.
— 473 —
sprachlichen Ausdrucks auch einige erlesene Wendungen dem
Achilles Tatius entnommen ^) . Diese erotischen Briefe sind aber
etwa auf der Wende des fünften und sechsten Jahrhunderts
verfasst. •
Somit wäre Achilles Tatius als ein Zeitgenosse jener in
Aegypten blühenden Schule epischer Dichtung, als deren Haupt
Nonnus betrachtet wird, anzusehen. Er lebte wohl sogar in
dem unmittelbaren Wirkungskreise jener Schule, in Alexandria :
denn einen Alexandriner nennt ihn Suidas, und ebenso die
Handschriften seines Romanos. Alexandria, durch rhetorische
Studien weniger ausgezeichnet, erhielt seinen alten Ruhm einer
Verbindung der grammatischen Studien und gelehrter Dichtung
bis in das sechste Jahrhundert aufrecht ^j. Kein Wunder, dass
1) Von weniger auffallenden Uebereinslimmungen des Ach. Tat. und
des Aristaenelus (vgl. die Ausleger des Arist. bei Boissonade ad Ar. p. 646.
648. 673. 7i7) absehend , hebe ich nur zwei merkwürdige Coincidenzen
hervor. Ach. p. 42, 7: d^pu; {ji^Xaiva, t6 piXav dfxpaTOv : Arist. I 1 p. 4 33, H
(Herch.) : 6^p6; oe p.£Xatva, t6 (A^Xav axpaTov. Ach. Tat. V 25, 8 p. 153, 1 :
e6vo0^s xal dv^pöfuve xai xaXXou; xaXoO ßaoxave. Hercher, xaXou strei-
chend, bemerkt in der Von*, p. XXVII: xoXoD dittographiam esse intellexit
Jacobs; cf. Lobeck. Paralipp. p. 536 (wo ähnliche Verbindungen, wie: o(xt]
(ixaia, alay6vrj al<r/pd etc. angehäuft sind, unser Beispiel für sehr bedenk-
lich erklärt wird. Vgl. übrigens auch Seiler zu Longus p. 177). Diese
seltsame Verbindung wird indessen geschützt durch Aristaenetus, dem die-
selbe offenbar besonders gefiel. Man liest bei ihm, epist. 1 11 p 148, 13:
xd^XXo; Y^ xaXov, vtj tä; c^tXa; 'Öpa; (und Hercher, indem er, Epistologr.*
p. XXIII, auf die Stelle des Ach. Tal. verweist, scheint damit seine Ver-
werfung des xaXou wieder zurücknehmen zu wollen;. — Ob in solchen
Fällen irgend Jemand den, ganz auf fremde Kosten lebenden Aristaenetus
für das Vorbild, Achilles Tatius für den Nachahmer halten wolle, müsste
man jedenfalls erst abwarten. — Der s. g. Aristaenetus muss ungefähr ein
Zeitgenosse des Apollinaris Sidonius (c. 430 — 488} gewesen sein: s. Mercier
bei Boissonade ad Arist. p. 581.
2) Die Aegypter leidenschaftliche Poeten, aber schlechte Rhetoren*.
Eunap. V. Soph. p. 92: s. oben p. 332 A. 2. Eunap. denkt wohl sicher
an Nonnus und seine Schule. Aber noch Prokop von Gaza schreibt
(epist. 8) dem Stephanus : ihn halte wohl Alexandria fest yapiTwv Svexa xai
Toy ooxclv aiJTov ^/eiv ffiri xöv 'EXixÄva: d. h. weil dort der Sitz der
Dichtung sei. Wie aber der Dichter Musaeus »fpont.[i.oL'zix6iti heisst, so
war auch jener, der Dichtkunst ergebene Stephanus ein Grammatiker, wie
der weitere Verlauf des Briefes beweist: das wird eben auch damals noch
in Alexandria die gewöhnliche Verbindung gewesen sein. (Es heisst bei
Procop. : ou hi pioi ^oxei; t6v BT^a^tu; dTieivov [d. i. den DemophoonJ iCjXoi-
— 474 —
unser Achilles, dessen eigentliche Slellung wohl ohne Zweifel
richtig mit der Benennung »Rhetor« angegeben wird^), mehr als
andere Rhetoren von den Manieren der damals blühenden Dich-
tungsweise angenommen hat, welcher er nicht nur in dem blu-
migen Colorit seiner Schilderungen und Beschreibungen sondern
deutlich genug auch in manchen einzelnen Motiven und deren
Behandlung nacheifert^).
Was uns Suidas noch weiter berichtet: Achilles Tatius sei
»zuletzt«, d. h. wohl nach Veröfl'cntlichung seines Romans,
)) Christ und Bischof« geworden, hat man längst als eine Parodie
der gleichen Sage von Heliodor erkannt und verworfen^). Ich
möchte aber vermuthen, dass unser Sophist ein Christ gar nicht
erst zu werden brauchte, sondern es bereits war, als er seinen
Roman schrieb. Zwar fehlt es bis in das sechste Jahrhundert
xivat, xai tauTa toi; raiol xaÖTjo6fuvo; »NU(jLCp(e At^iao^ocdv, ähiXE ^iv««- Da*
ist ein Bruchslüclc des Gedichtes des Kallimachus von Demophoon und
Phyllis: fr. 505 p. 660 Sehn., ^o indess die Herausgeber sich der Stelle
des Prokop nicht erinnert haben. Diese ist in mehrfachem Betracht sekr
interessant. Zuerst lehrt sie, wie allgemein bekannt noch damals — wohl
nicht ohne den Einfluss der kallimachisirenden Dichter der Zeit — solche
Gedichte des Kallimachus waren. Weiterhin aber macht sie sehr wahr-
scheinlich, was oben p. 38 und 1S9 angedeutet worden ist: dass für die
romantische Geschichte von Demophoon und Phyllis die Erzählung des
Kallimachus [in den Aetien : das alrtov war entweder die Natur des fifandel-
baumes, phyllis, oder wahrscheinlicher »novem cur una viae dicantar«
Ovid. Art. IM 87; iwia 6oo( Hygin. f. 59 p. 61, 1. 2. M. Schm.] die be-
kannteste Quelle und daher auch wohl für die uns erhaltenen Erzöhler der
Sage das Vorbild gewesen sei. Jedenfalls dürfte wohl was Procop, der jt
ausdrücklich an Kallimachus erinnert, von besonderen Zügen der Sage
mittheilt, in epist. 8 und 86, aus Kallimachus entnommen sein: so das
Zählen der vorüberfahrenden 6Xxbioe; von Seiten der Phyllis [vgl. avch
epist. 103 init ]. Vgl. Ovid epist. Phyllidis [heroid. 11] Ii5 ff. Vgl. auch
Ovid ebd. 105: utquc tibi excidimus, nullam, puto, Phyllida oosti
mit Procop. epist. 86 p. 566, 3 (Hercher.): 6 jAev cuOi; fACTcßXfjÄtj xal Tf,v
<l>üAX15a TToXiv ou* elocv [tj^ci?]).
r Bei Thomas .Mag. s. dva^aivo).
2) Ist es, z. B. , ein Zufall, dass Achilles, gleich dem Nonuus, seine
Dichtung mit einer Schilderung des Raubes der Europa beginnt, welcher
doch mit seiner Dichtung höchstens einen ganz entfernten allegorischeo
Zusammenhang hat? Die Auffindung der Purpurschnecke bringen Beide
gleich intempestiv an: Nonnus Dion. 40, 306 ff., Ach Tat. II H, 4 £r. Es
giebt wohl noch manche Berührungspuncte der beiden Dichter.
3) S. Jacobs p. Ml.
— 475 —
nicht an gebildeten Männern, selbst hohen Staatsbeamten, welche
Heiden blieben *) . Aber die nächste Voraussetzung für die Grie-
chen jener Zeit ist doch stets die, dass sie dem Christenglauben
angehört haben. Nun findet sich freilich in dem Romane des
Achilles keine leiseste Spur christlichen Glaubens und Sinnes;
aber aus dem Gebiete der rhetorischen Kunst hielt strengerer
Stil überhaupt alles Christliche fern; nirgends vielleicht zeigt
sich überraschender das künstlich unwirkliche Traumleben dieser
Sophistik, als in dem rein phantastischen Heidenthum, in wel-
chem diese, wenn nicht die Gedanken und das Leben, so doch
die Phraseologie ihrer christlichen Angehörigen erhielt. Wer die
Geduld hat, die Briefe des Procopius von Gaza, die Reden und
Declamationen des Choricius durchzulesen, wird in diesen, selbst
bei rein christlichen Themen, selbst die christliche Terminologie
fast in der Art antik umhüllt finden, wie sie den italienischen
Humanisten der Renaissance geläufig ist; in Grabreden sogar
wird er selbst der Unsterblichkeit der Seele nur mit philoso-
phischer Reserve gedacht ßnden; in den Briefen des Procop
wird er kaum einmal eine leiseste Andeutung eines eigentlich
christlichen Glaubens, dagegen häufig Anrufungen der Götter^
des »Zeus und der anderen Götter«, bittere Betrachtungen über
das wüste Treiben der weltregierenden Tyche^) u. dgl. antreffen.
1) Vgl. Finlay, Gricchenl. u. d. R. p. 869. — Nach Suidas s. 'Hauyioc
wäre auch Hesychius lllustrius von Milet ein Anbänger des alten Glaubens-
gewesen. Geradezu widerlegen lässt sich diese Vermuthung (mehr ist es
ja nicht) wohl nicht (denn Gründe, die aus dem angeblichen 'OvofjtoroXÖYOc
des Hesycb. geschöpft sind [gleich den von C. Müller, Fr. bist. IV 148
vorgebrachten] gelten nicht). Uebrigens würde vielleicht auch der Artikel
über Ach. Tat. gegen dieselbe sprechen, wenn dieser, wie doch wohl alle
bei Suidas und Kudocia vorkommenden litterarhistorischen Glossen deren
gemeinsamer Quelle, dem (ächten) 'CKofjiaToXofo; des Hesychius entnom-
men ist.
2) Von der T6y7), ihrer Willkür, ihren TralY^ia, wie sie, dvxpu^dioa toTc
dv^pcoTTtvot; , alles mit leichtfertiger poTr/] ins Schwanken bringe, der '^sdut.r^
unerreichbar sei u. s. w , redet Procop völlig wie ein Heide: epist. 34»
36. 38. 45. 52. 75. 92. 10^ Besonders aufliKllig sind Redensarten wie: Th^^
T6)^T)v TTpoae'jy o|jiai 24; t]uy6fjL7)v ttq T6yT] 98. Nur eine Art Condes-
cendenz, zur thatsächlichen Praxis des Procop in den übrigen Briefen wenig
stimmend, ist es, wenn er einem frommen Freunde schreibt (ep. 1): »Als
die Ursache (eines Misserfolges) möchte ich nicht die Tyche nennen,
namentlich dir gegenüber, sondern die Vorsehung Gottes, welche, wie sie
— 476 —
£s ist merkwürdig genug, dass noch damals dieser antiquarisdie
Mummenschanz (denn weiter ist es nichts) , im Interesse des
Stils, geduldet wurde. Wo nun gar altheidnische Gegenstände
rhetorisch behandelt wurden, da musste der Sophist sich recht
ausbUndig heidnisch zu gebärden suchen, und jeden christlichen
Anklang so fern halten wie etwa Nonnus, der doch auch das
Evangelium des Johannes paraphrasirt hat, in seinem dionysi-
schen Gedichte. Der Roman aber gehörte nun einmal lu diesen
heidnischen Gebieten: einmal, in der Mitte des zweiten Jahr-
hunderts war, in der Rahmenerzählung der s. g. Clementini*
sehen Homilien, ein Versuch gemacht worden, dem Schema des
heidnischen Abenteuerromans einen christlichen Inhalt lu
geben; es scheint, dass dieser Versuch vereinzelt blieb ^).
Aeusserlich wenigstens waren die Romanschreiber, bis zu den
Byzantinern herunter, verpflichtet, die Zustände und Glaubens-
weise der heidnischen Zeit in ihren Romanen festzuhalten:
dies war nun einmal die eigentliche Welt der Kunst. Das heid- .
nische Gewand beweist also nichts gegen die Christlichkeit des
Achilles Tatius. Aber die Göttergestalten sind in seinem Roman
so völlig schaal und nichtig geworden, so durchaus, nicht ein-
mal zu allegorischen Schemen sondern zu blossen Namen und
will, uusere Angelegenheit lenlct«. Dies ist der Gipfel der christlichen An-
wandlungen des Sophisten. Vgl. auch epist. 91. (Jod doch war er in
christlicher Lilteratur sehr wohl bewandert: Choric. p. ii.
Ij So fern unserer ganzen Betrachtung christliche Dichtung und Legende
sonst auch liegt, so sei doch dieses Ciementinischen Roroanes mit Einem
Worte gedacht, weil die ganze Anlage desselben (Reise der Matthidia durch
ein Traum}!esicht motivirt — Seesturm , Trennung der Hauptpersonen •—
Gefangennahme der Söhne durch Seeräuber, Verhandlung an die Wittve
Ju»ta ~ zuletzt Wiedervereinigung und dlvaYvo>ptOfji6; aller Personen dei
Romans) gar zu deutlich an das Schema der heidnisch-griechischen Romane
erinnert, als dass man den Gedanken einer Beeinflussung des Christen
durch gleichzeitige heidnische Poesien fernhalten könnte. Die Grundlage
des, in den Homilien und Recognitiooen benutzten Familienromans, die
'A^aYvcupiSfxol KXf|ixcvTo;, scheint in der Zeit der höchsten Blüthe der
Sophistik, zur Zeit der Antonine, verfasst zu sein (Upsius, die Qu, d. rdni.
Petruss. p. 17). Natürlich konnten von dem erotischen Roman der Sophistik
in dieser christlichen, zum Rahmen theologischer Disputationen dienenden»
die rpovo(a deoO als ein Beispiel zu illustriren bestimmten (s. Gl. homil.
XV 4 p. 147, 2 fl". ed. Lagarde) Geschichte nur einige Hauptzüge entlehnt
werden.
— 477 —
begrifflosen Worten geworden, der Glaube an die Götter ist in
seinen Personen so ganz unmerkbar, der Dienst der Götter so
blass und ohne eigene Anschauung nicht geschildert, sondern
nur hier und da genannt, — dass man wohl fühlt, der Dichter
habe an die Wirklichkeit dieser Götter selbst nicht mehr ge-
glaubt, ja selbst mit der Phantasie sich in einen solchen Glauben
nicht mehr zu versetzen vermocht, weil er um sich herum nicht
einmal Andere sich zu ihm bekennen sah. Vor Allem aber
bemerkt man in dem ganzen Verlauf der Abenteuer nichts von
einer Leitung und Veranstaltung der Götter; Orakel greifen
zwar ein in die Absichten 'der Menschen ^j, aber in einer so
plumpen und kahlen Art, dass man gerade hier am Meisten
spürt, dass diese Maschinerie nur angewandt wird, weil sie
einmal zum herkömmlichen Getriebe eines regelrechten Romans
gehörte. Natürlich ist, wiewohl der Glaube geschwunden ist,
ein wenig Aberglaube, an Traumgesichte und böse Zeichen,
geblieben 2). Wer aber herrscht und frei schaltet in dieser
götterlosen Welt, das ist wiederum nur die leidige Tyche.
Bei keinem der übrigen Romanschreiber wird sie und ihr grund-
loses oder neidisch boshaftes Treiben so oft zu Aülfe gerufen
vom Autor, verwünscht und gescholten von seinen Figuranten
wie beim Achilles 3). Vielleicht glaubte er unter all seinen heid-
1) Xpr^ojxiv toyouoi p. 68, H; 105, 3: man hört nicht, bei welcher
Gelegenheit, in welchem Heiligthume, man begreift nicht (wie doch bei
Heliodor) welchen Sinn, welche Absicht die Gottheit mit ihren Befehlen
verbinde.
2) Bedeutungsvolle Traumgesichte: p. 41, 7; 77, 8 ff. (diese beiden
besonders scheusslich] ; 65, 20; iU, 8; 185, 18; 186, 21; 187, 3.- Eine
besondere Theorie über Traumzeichen : 1 8, 3 : «piXei t6 oatpiöviov zoXXaxu
Tou dvÄ(i<6itoi; t6 (jlIXXov n6xtcdp XaXeiv, ou)^ Iva ^uXeCSwvrai (xV) radeiv (ou fäp
elfjiappivY]c 56vavTai xpaTeiv) dXX' Iva Ttou^ÖTCpov iraa^ovre; ^^pcuot. Imitation
des Heliodor p. 63, 27 ff., wie Jacobs p. 412 hervorhebt: aber sehr ähn-
liche Vorstellungen trifft man z. B. bei dem christlichen Indifferentisten
Procop von Caesarea : s. Teuffei, Stud. u. Char. 227 f. — Böse Wahrzeichen:
V 3, 3; 4, 1. — Aberglaube: im Wasser Umgekommene gelangen nicht in
in den Hades: p. 142, 15 ff. Andres 143, 15; 149, 2 ff.
3) T6xt): 8. p. 52, 25; 53, 3; 79^ 18; 107, 2«; 116, 2; 118, 14; 28;
125, 11; 130, 28; 135, 29; 138, 13; 20; 143, 3; 144, 6; 147, 6; 154, 14;
157, 14; 158, 11; 167, 23; 174, 14; 177, 11; 185, 27. Bisweilen wird die
TuyjQ ausdrücklich ein 6a((j.cuv genannt: 438, 13. 14; vgl. 107, 26 und 29;
118, 19 und 23. Sie ist aber wohl kein guter Daemon (SatfjiQiv xt; d^aOöc:
— 478 —
oischen Gi^tterwesen allein an diesen tückischen Dämon. Jeden*
lalLs ist dieser es, der nach seinem Belieben die ganze Hand-
lung des Romans in Bewegung setzt. Am deutlichsten tritt
dieses Spiel eines blinden Zufalls bei der Flucht des Liebes-
[Miares aus Tyrus hervor. Stets waren die Roroanschreiber ver-
legen um einen Grund für die Irrfahrten ihres Paares. Achilles
nun, statt des etwas abgenutzten Mittels eines Götterbefehls sich
xu bedienen, entlehnt vom Heliodor den Gedanken, die Ver-
bindung der Liebenden durch die Verlobung des einen Theils
von Seiten der Eltern zu verhindern. Die also ganz wohl
motivirte Flucht des Liebespaares wird nun aber bei Achilles
wieder ganz unnöthig, nachdem die dem Klitophon bestimmte
Braut von einem Anderen geraubt ist. Wenn sie dennoch sich
auf die Flucht begeben , so ist (da ja nicht einmal Klitophon
bei seinem nächtlichen Stelldichein erkannt worden ist} kein
anderer Grund dafür ersichtlich als die Noth des Dichters, der
durchaus einer solchen Flucht bedarf, damit die Geschichte
nicht vor der Zeit zu Ende gehe. Hinterher erfahren wir gar
noch , dass einen Tag nach der Flucht Botschaft voni Sostratus
gekommen sei, wonach dieser die Leucippe dem Klitophon frei-
willig verlobte. So sehr hänge Alles vom Zufall ab ! meint der
Dichter*). Es lohnt nicht, weiter zu verfolgen, wie alle ferne-
ren Ereignisse des Romans lediglich vom Zufall gelenkt und
an einander gehängt werden. Von einer psychologischen Be-
gründung kann so wenig die Rede sein, dass man sogar zwei-
feln könnte, ob dieser Klitophon, der Held des Ganzen, den
jeder Windstoss des Zufalls anders wendet, überhaupt, diesen
äusseren Gewalten gegenüber, irgend einen Gegenhalt in seiner
Seele habe. Die ganze Zweideutigkeit seiner Handlungen er-
klärt sich auf das Einfachste aus seiner völligen Seelenlosigkeit.
If3, 13), sondern nach den Vonwürfen, die man ihr überall macht, xu
schliessen, ein böser Daemon (408, 24: ir^%6sT^9i |jioi oa({Ai»v Tt; if^;
it«)^apa; rfiosf^i;. Neben einander T6yT) *ai oatjjLojv: 4 66, 4. Ueber die un-
bcKlingte, den Menschen fast der moralischen Zurechnung entlastende Macht
»des Daemon« eine merk\v'ürdige Aussage p. 491, SO. Sostratus sagt zum
Klitophon, der ihm doch die Tochter geraubt und so viele Schmerzen be-
reitet hat: et t1 [jloi oufAß^^r^^e Xunr^ptSv, o'j oov ioTiN, dXXd xoO oa(|«,ovo;-
Dtts klingt ja fast wie die Entschuldigung des homerischen Agamemnoo:
ir(i^ V oux alTtö^ elfjLi, di)Xä Zeu; vai MoTpa xai i^^epo^otTi; 'Eptvuc xxk.
V V tO, 4.
— 479 —
Wenn ihn freilich der Dichter nicht einmal rein und der Ge-
liebten treu gebildet hat, so mag man diese Abweichung von
dem herkömmlichen Romanschema aus einer eigenthümlichen
Absicht des Achilles sich erklären. Er will offenbar von dem
farblosen Idealismus älterer Romane zu einer mehr realisti-
schen Bestimmtheit der Zeichnung und Färbung hinUberlenken,
und dieses nicht nur in der Darstellung der Sitten und der
äusseren Vorgänge des Lebens, (in welcher man gleichwohl,
aus der Mischung gelehrter Reminiscenzen und eigener An-
schauung des Dichters, nirgends die Züge einer bestimmten
Zeit und Bildungssphäre heraus erkennt^]), sondern auch in der
Zeichnung der Charaktere. Höchstens der Leucippe ist ein Rest
der abstracten Musterhaftigkeit der Romanheldinnen, wiewoM
auch dieser nicht ungetrübt, verblieben ; den übrigen Personen
hat der Dichter eine schärfere Eigenthümlichkeit zu geben ge-
sucht; freilich will ihm dieses nicht anders gelingen, als indem
er sie alle ins Niedrige zieht. Ein eigener Mangel an Würde
bezeichnet alle seine Figuren: diese lüsterne Melite, den trotz
seines vornehmen Standes mit völlig besinnungsloser Rohheit
1) Wenn z. B. Hippias seinen Sohn Klitophon mit seiner eigenen Toch-
ter aus zweiter Ehe verheirathen will (p. 40, 27; 50, 19), so geht das ja
freilich nicht geradezu gegen altgriechische , wenigstens attische Sitte (s.
Becker, Cbarikl. III 288], aber dass ein solches sicherlich zu allen Zeilen
seltenes Verlöbniss so nahe verwandter öfAordlTptoi ohne ein einziges er-
Ittuterndes Wort, wie die gewöhnlichste Sache, erwähnt wird, bleibt auf-
fallend. Will sich etwa hiermit Achilles ein recht archaisches Ansehen
geben? oder halte sich die in Aegypten heimische (s. Pausan. I 7, 1)
Sitte der Geschwisterehe dort, in dem Heimathlande des Achilles, länger
erbalten? — 1 5 ist die Jungfrau mit ihrer Mutter beim ou(jLic<Satov der
Männer anwesend. Dies nun freilich ganz gegen altgriechischen Gebrauch :
aber vielleicht hatten in einzelnen griechisch gebildeten Provinzen des rü-
BDischen Reiches sich hierin in später Zeil wirklich die Sitten gelockert.
Man erinnere sich des ähnlichen oben angemerkten Falles im Apollonius
Tyrius; und vgl. ein Epigramm des Agathias, Anth. Pal. V 267, in welchem
Einer dem Andern erzählt, wie er sich in eine Jungfrau (keine Hetäre) ver-
liebt habe, welche er beim oeirvoN »5'jviq 7iex)ap.lvrjV eopaxev h orißdSi«. —
Der realistischen Tendenz des Achilles werden einige etwas genauere Angaben
ans dem Gebiete der MAiterthümem verdankt : Art des Thorverschi usses I1 1 9, 5 ;
wandernder Homerist mit einer ganzen Kiste voll Kostümstücken: lU 20, 4. 6 ;
darunter ein Tbeaterdolch mit einer in den bohlen Griff zurückweichenden
Klinge: lU 20, 6; 24, 4 f. (Vgl. Lobeck ad Sopb. Aj.2 p. 360 f.).
— 480 —
um sich herum wUthenden Thersander^), den Priester der Ar-
temis, welcher zum Schutz des Klitophon eine Rede hftit']
gleich der eines zotigen Hanswursten, nicht am wenigsten den
Klitophon selbst, der mit seinen Begierden fortwährend zwischen
Melite und Leucippe herumschwankt, und in der Gefahr stets
sich feige misshandeln iHsst, um hinterher desto kräftiger zu
schreien und zu gesticuliren ^j . Man ist, diesen Figuren gegen-
über, häußg in Zweifel, ob ihre grotteske Abgeschmacktheit ihnen
vom Dichter mit bewusster Absieht gegeben sei, oder einbch
dessen eigene Gemüthsart und die der ihn umgebenden Graeculi
dieser späten, bereits stark zum Byzantinerthum hintibemei*
genden Zeit abspiegle. Mögen aber ihre Absonderlichkeiten
mit mehr oder weniger Absicht vom Dichter angelegt sein, leere
Schemen ohne eigentliches Leben bleiben sie doch.
Freilich wendet nun auch Achilles seinen besten Fleiss auf
ganz andere Dinge als die Charakterzeichnung seiner Helden.
Wenn bei Jamblich und Heliodor die Beiwerke rhetorischer und
gelehrter Art, als : Reden, Briefe, Beschreibungen u. dgl. immer
noch einen bescheidenen Raum im Ganzen des Romans einge-
nommen hatten, so haben bei Achill solche Beiwerke die eigent-
liche Erzählung in so üppiger Fülle überwuchert, dass sie ge-
radezu zur Hauptsache geworden sind. Sein Roman ist ein
förmliches Mosaik von sophistischen Betrachtungen und Discus-
sionen über die Liebe , ihr Wesen , ihre Aeiisserungen , ihre
verschiedenen Arten *) ; von weitläuftigen Reden und Monologen,
1) Man sehe nur, wie er tobt: V 23, 5; VIU i ; vgl. auch p. 469, SO ff.
2) Vlll 9.
3] Man lese namentlich VIII 1. 2. Thersander schlägt ihn so lange
ins Gesicht, bis er sich an seinen Zöhnen die Hand verwundet. Nun erst
wird Klitophon lebendig und nun? ja nun erfüllt er laut brüllend in einer
langen, witzig sophistirenden Klageredc das Heiligthum mit Getöse: iif otc
^Tupawi^Or^N TpaftooÄv ^v^rXTjaa ßofj; t6 Upöv. Auch der Priester schilt den
Frevler aus, eine grosse Menschenmenge stürmt herbei, Klitophon bekonunt
immer mehr Muth [i^oi hk TeOappr^xiÄ; p. 4 90, 20) und declamirt weiter.
— Dergleichen ist sicherlich nicht parodisch von Achilles gemeint.
4) Diese eigentlich erotischen Excurse vornehmlich in den zwei ersten
Büchern; ausser den einzelnen Scenen der Werbung des Klitophon selbst,
z. B. auch eine lange Auseinandersetzung über die Liebe der Pfouen, der
Pflanzen, des Magnets, des Alpheus und der Arethusa, der l-^u und der
afjLupatva (vgl. Nonnus I 284 f.), I 16 — 18 (lauter beliebte Sophistenstücke).
Eine Diatribe ül)er die Vorzüge der Weiberliebe oder der Knabenliebe'
— 481 —
von wohlgedrechselten Briefen ; von sonstigen rhetorischen Pracht-
stücken, die mit 'der Erzählung selbst noch weniger zu thun
haben : Beschreibungen von Bildern , Schilderungen aus der
Naturgeschichte und dem Menschenleben, Erzählungen alter
Mythen und äsopischer Fabeln u. s. w. Alles löst sich in eine
Reihe selbständiger Einzelheiten auf; um zu immer neuen Ab-
schweifungen sich eine Veranlassung zu schaffen, um die ein-
zelnen Stückwerke an einander und alle in die Erzählung ein-
zufügen, sind dem Sophisten die leichtfertigsten Redewendungen
II 35 — 38, in welcher, so viel ich sehe, Lucians 'Epore; nicht benutzt
sind, wohl aber Xenophons »Gastmahl« [mit p. 85, 18 vgl. Xen. conv.
VIll 39; mit p. 87, 20 ff. Xen. II 8. 4], und vielleicht einige Epigramme
des Straten [mit p. 87, S4 ff. vgl. auch Strato, Anlh. Pal. XU 7. 492] und
wohl gewiss mancherlei andere Epigrammenpoesie [mit p. 85, 4 9 vgl. Anth.
Pal. V 277]. So ist auch in der Declamation gegen die Weiber, I 8,
Manches aus älteren Epigrammen entlehnt und prosaisch umgebildet: man
vgl. z. B. Anth. Pal. IX 4 65, 466, 467, drei Epigramme des Palladas, eines
etwas filteren Zeitgenossen und Landsmannes des Achilles. Anderes
Erotische ist dem Musaeus nachgemacht und Vieles würde man als ent-
lehnt aus hellenistischer Poesie erkennen, wenn unsere Kenntniss dieser
Poesie nicht so lückenhaft wäre. Vgl. die Parallelen oben im ersten Ab-
schnitt § 42. Manches klingt ganz unverkennbar an Epigramme der An-
thologie an: z. B. p. 64, 43 ff., p. 44, 48 ff. [vgl. Macedonius, Anth. V 243];
62, 4 ff. [vgl. Archias, Anth. V 59, und namentlich Nonnus, Dion. 34, 66 ff.
8. auch Ach. Tat. p. 440, 4 ff.]; 63, 47 ff. [vgl. Marc. Argent. anth. V 32] ;
402, 4 ff. [vgl. Anth. V 229]. Auf gemeinsame hellenistische Quellen mögen
übereinstimmende Stellen des Achilles und des Ovid zurückgehen, wie
z. B. p. 48, 46 ff., Ovid. art. II 345 f., 48, 24 ff., Ovid. art. I 643 f., 50, 4 ff.,
Ovid. art. I 673 ff. — An die Benutzung hellenistischer und spötgriechischer
Dichter erinnern auch einige Spuren von Versen mitten im Texte des
Achilles: p. 460, 30 f. (öcpDaXfjLo; oxav xoi;) »Sdxp'jaiv u^pav^« £otxe »irrjYij;
ept^H^ovifiaCui« (bereits von Hercher hervorgehoben); p. 4 44, 4 f.; i}.ir^f:6s
{ji€ — "^'jY^^ f\}sfxX%0L »cXsudlpav [lev cu; l^uv, So6Xt)v oe vuv«, ein iambischer
Trimeter; p. 66, 40: [jiixp6; 5' aur^jv i%dK'jTVze »xöyXo; ^y^6xX({j f^^XH^"*
1) Reden: namentlich in den Gerichtsverhandlungen am Schluss des
Ganzen: VII 7. 9. 44; VIII 8. 9. 4 0. 44. Die langen Reden des achten
Buches sind, der Lage der Dinge nach, vollständig überflüssig: wo6 oei
XÖYwv« sagt endlich Thersander selbst: VIII 4 4, 4; und so ist es auch:
aber — »verbiete du dem Seidenwurm zu spinnen«! Merkwürdig ist
übrigens die Rede des Artemispriesters (VIII 9) in ihrer ersten Hälfte.
Dieser Mann, welcher »vorzüglich der Komiidie des Aristophanes nach-
eifert« (p. 499, 20 f.), redet in lauter Zoten unter der Hülle unverfäng-
lichen Ausdruckes. Diese zweideutige Redeweise gehörte zu den beson-
deren Kunststücken der Rhetorik : es sind dies i9^T)(xaTi9fjLivai unod^oei; xar'
Robdc, Der griechische Roman. 31
— 4S2 —
gut genügt). Man sieht wohl, die Abrundung einer grossen
Fülle solcher einzelnen Stücke ist ihm die wesentlichste Auf-
gabe; der Roman selbst muss für ein so buntes Mosaik kaum
mehr als den einheitlichen Untergrund hergeben. Daher haC
Achilles sich die Erfindung seiner Fabel recht bequem ge^
macht. Er setzt sie zum grOssten Theil aus schlecht verwen-
deten Reminiscenzen an ältere Romane zusammen. Jamblich
und Xenophon mögen Einzelnes beigesteuert habendi ; vor Allem
ffi'faatv: s. Hermogenes de invent. (Spengel. Rh. j;r. II] p. S59. 260 f.
Philosiratas rühmt die Gewandtheit ii solchen doyr^fAaTtepLiv^i bfizoHotti am
Polemo (V. S. p. 5S, t ff.), am Rufus (ebd. p. 4 00, 26 (T.) am Antipater
(p. 440, 6). üebrigens konnte von der aristophaniacben Komödie der Red-
ner wohl die offene aictypoXo^t«, aber nicht die zotige (»n^voca (welcbe nach
einer trefflichen Bemerlkong des Aristoteles [Etb. Nie. 4lS8a, St ff.] viel-
mehr der neueren Komödie eigen war) erlernen. — Lange Klagereden
(fiOvtjiSlai) : I 4». 44. — Briefe: p. 44, «0; 445, 45; 147. 45. — 4»-
<fpd9tti von Bildern: s. Matz, De Philostr. fide p. 42. 48. Beschreibung
eines Bechers: II S; eines Hochieitsgewandes : II 44, 2. 2; eines Gartens:
I 45. — Parerga aus der Naturgeschichte: Aufflndung des Porpnrs
II 42; paradoxe Gewttsser 11 44, 6 ff., Aegyptisolie Ochaen II 15, t; Vogel
Phoenix III 25 ; Nilpferd IV 2 ; Geburt des Elephauten IV 4 ; dessen Wohl-
geruch IV 5; Nil IV 42; IV 4 8, S f.; Krokodil IV 4 9. — Aus mensohlichem
Leben: Serapisfest V 2; sehr unklare Beschreibung von Alexandria V 4;
von Pherus V 6, 3. — Mythenerzähtun;;: Tereus Procne und Philomele V 5;
Syrinx und Pan VIII 6; (beilftufig: Keuschheitsprobe in der SyrtnxbOhle,
wohl nach A. T. in byzantinischen Jamben geschildert von einem Anonymus
bei Boissonade zu Nie. Eug. IX 274 p. 398;: — Zwei aesopische Fabeln
II 24. 22: von der Mücke, dem Elephanten und dem Löwen; der Mücke^
dem Löwen und der Spinne. Die zweite Fabel auch fab. Aesop. 284 Halm
(die erste, aus A. T. aufgenommen, ebd. 264); beide vielleicht orsprüngtidi
indisch: vgl. Benfey, Pantschat. 1 24 5 f.
1; Am Lächerlichsten vielleicht p. 69, 9 ff. Man bertttb, in Byzaaz,
über den Sinn eines dunkeln Orakelspruches: Chaerephon, der oberste
Feldherr, tritt auf: »ich werde«, sagt er, »den ganzen Spruch euch er-
kiSren«; übrigens hnt man nicht nur die Natur des Feuers , ^ sondern
auch die des Wassers zu bewundern. Denn — : und nun folgt eine lange
(aus Panidoxcnsammluiigrn, etwa der des Isigonus, zusammengekratzte)
Reihe von seltsamen Erscheinungen an Quellen und Flüssen, die mit dem
Orakel nicht das Geringste zu thun haben: und damit schliesst denn die
Rede des Keldherrn! — Mit ähnlicher Leichtfertigkeit ist ein langer Excurs
über den Elephanten eingefügt IV 4. 5. Vgl. auch p. 58, 24 ff.; 72, 28 ff.;
4 82, 24 ff. u. s. w.
2) Aus Jamblich ist vielleicht der Gedanke entlehnt, Feinde durch die
Durchbohrung eines Deiches in L'eberschwemmungsgefahr zu bringen (Jam-
— 483 —
aber wird sich jddem Li^er der beiden Romane des Heliodor
und des Achilles die Wahrnehmung aufdrängen , wie dieser
Jenem nicht nur eine grosse Menge einzelner Wendungen und
Phrasen entlehnt ^j sondern in dem Gange der Erzählung selbst,
Von der Flucht des Liebespaares an, durch den ganzen Verlauf
ihrelr Abenteuer bei deü ägyptischen Bukolen biä zur endlichen
glorreichen Keuschheitsprobe der Heldin hindurch zahlreiche
und wesentliche Züge der Handlung nachgebildet hat'^). Frei-
lich fehlt auch hier dem Achill der grössere und freiere Zug
der Zeichnung, welcher den Roman des Heliodor, als ein Ganzes
betrachtet, auszeichnet. Auch seine Handlung selbst ist zusam-
mengesetztes, übel verbundenes Stückwerk. Wir brauchen dies
hier nicht zu verfolgen; nur auf die Einfügung einiger selt-
samer, in weitverbreiteten Sagen und Märchen wiederkehrender
blich bei Hinck, Polemonis decl. p. 45. 46: Ach. Tat. IV 4 4): s. Hercher,
Hermes 1 863. Man Icönnte freilich auch Heliodor IX 3 ff. vergleichen. —
An Xenophon Eph. erinnert t. B. die (beabsichtigte) Opferung der Heldin
für die Räuberbande (Xen. II 48; Ach. HI 42, 2; 45).
1} Von Phrasen, welche Achilles dem Heliodor entlehnt hat, bemerke
man z. B p. 97, 30: -JJot] tö^ dpf^vON öp^-^dofiai. Hei. p. 467, 28: qfawfxrv
a'jT^) dfW)NO'j$ %a\ Y^ou; bizopr^ri^Afu^a (bei Hei. hat das Bild, im Zusammen*
hange einen Sinn; nicht so bei Ach.); Ach. 90, 42: öXoXti^fiö; xjsaixBn,
dXaXaYfAo; dvSpcbv. Hei. 83, 26: cbXöXu^av \ik>t al YUvaixE;, •^XdXaSav 5s ot
avope;. Vgl. Ach. 43, 27 mil Hei. 203, 45; Ach. 58, 4 3 f. mit Hei. 80, 9;
Ach. 50, 49 ff. mit Hei. 80, 28; Ach. 88, 25 mit Hei. 23, 82. Vielfach
entlehnt er ihm Gemeinplätze und Sentenzen. Vgl. Ach. 44, 4-5 mit Hei.
68, 30 ff.; Ach. 44, 2—42 mit Hei. 40, 46 ff.; Ach. 80, 22 ff. mit Hei.
404, 30 ff.; Ach. 446, 80 f. mit Hei. 24, 5^; u. s. w.
2) Bereits Photius, Bibl. 87 p. 66a, 24 ff. bemerkt die Aehnlichkeit
der dtaa^eu-?) %ai rXdoi; Töbv ^tr^^^!^^'^"''' ^^^ Achilles mit dem Roman dofi
Heliodor. Vgl. auch Psellus bei Korais, Heliod. 1 p. r,a. Unverkennbar
ist die Nachahmung des Heliodor durch Achilles in der Auswerfung der
Liebenden an der ägyptischen Küste (III 5 ff.); ihrer Gefangennehmung
durch die, in den Niisümpfen lebenden (IV 4 2, 4 ff.) Bukolen (III 9); der
Liebe des Sklaven (bei Achilles: Sosthenes; bei Heliodor: Achaemenes) zu
der Heldin, welche er, selbst abgewiesen, dem Herrn nnbietet (Ach. VI 3;
Hei. VII 28. 29; Vlll 2) ; wohl auch der Bedrängniss der Heldin durch den
Feldherrn und ihrer scheinbaren Nachgiebigkeit (Ach. IV 6 ff.; Hei. I 49 ff.
6. Korais, Hei. II p. 43 f. Wiewohl die beiden zuletzt erwähnten Züge
auch bei Xenophon sich linden). Weiterhiu jedenfalls in der Keuschheil.s-
probe am Schluss; und vielleicht auch in der ambitiösen Kriegsbeschreibung
^IV 43 ff.; Hei. IX), in der scherzhaften Verwendung des Zauberglaubens
^lU 4 8, 2. 8) u. s. w.
31»
— 484 ^
Züge in die Handlung des Romans des Achilles sei mit Einem
Worte hingewiesen ^) .
1) Entführung der Kalligone vom Opfer durch Jünglinge in Weiber-
tracht: II 48. Jacobs p. 547 verweist auf Ähnliche Geschichten bei Hero-
dok V SO u. 8. w. — II 84: Menelaus erzählt, wie er auf der Jagd, auf
einen wilden Eber zielend, statt dessen seinen Geliebten durchbohrt. Pas-
send vergleicht man die Geschichte von Adrestos und dem Sohne des
Kroesus: Herodot I 86—48. — VM : Meiita besucht den Klitophon im Ge-
(ttngniss, wechselt mit ihm die Kleider; er entkommt in Weibergewttndem.
Vgl. die Sage von den Minyern und ihren Weibern, Herodot IV 4 46 u. ö.
Müller, Orchom. p. 807 ff. — lii «4 : der Leucippe, welche geopfert wer-
den soll, binden die Freunde einen blutgefüllten Darm vor, den dann Me-
nelaus, als Opferer, mit dem Theaterdolch aufschlitzt, u. s. w. Dergleichen
gehörte vielleicht zu den Künsten der <hiufiaToiroio( (vgl. was von vorgebundenen
x6oTeu erzählt wird bei Athen. I 20 A, und die scheinbare Erdolchung des
Gauklers Satyrion bei Theod. Prodr. Rhod. et Dos. IV 226 ff.). Vielleicht ent-
lehnte aber Achilles diesen Einfall einem filteren Märchen : wenigstens kommt
im Märchen höufig ganz ähnliches vor: vgl. v. Hahn, Griech. Mch. 42
(I 250), engl. Mch. Jack the giant-killcr (The fairy book, vom Author of John
Halifax, Lond. 4874 p. 72); Müllenhoff, Sagen aus Schleswig-Holstein p. 444 ;
Straparola, Piac. notti p. 144 Schm. — VIII 44. 42. 44: Thersander, um
die Buhlschaft der Melite mit Klitophon während seiner Abwesenheit fest-
zustellen, zwingt diese in das »Styxwasser«, welches meineidigen Frauen
bis an den Hals steigt, vor Reinen zurückweicht, hinabzusteigen, ein Täfel-
chen um den Hals, auf welchem der Schwur geschrieben steht: sie habe
mit Klitophon keinen geschlechtlichen Verkehr gehabt, »so lange Ther-
ander abwesend war«. Der Eid wird, in dem Styxwasser, richtig und
ohne Gefahr geleistet — denn Melites Liebesvereinigung mit Klitophon hatte
erst stattgefunden, als Thersander bereits zurückgekehrt war. — In dieser
raffinirten Eidesleistung mit Reservation erkenne ich das erste Beispiel einer
späterhin in Orient und Occident weit verbreiteten Geschichte. Arabisch
bei Cardonne, M6I. de litt. Orient. I 48—46. (Eine Frau, des Ehebruches
[mit Recht] angeklagt, lässt sich, auf dem Wege zum »bassin d'^preuve«
von ihrem, als Narr verkleideten Liebhaber umarmen; sie schwört, ausser
von ihrem Galten nur von diesem Narren berührt worden zu sein, und
steigt, ohne unterzusinken, in das Eidwasser). Indisch in der mongo-
lischen Uebersetzung der Sinh^sana-dvatringaCi, Ardschi Bordschi Chan:
s. Schiefner, bull. bist. phil. de l'acad. de St. Pötersb. 4 857 p. 74 (dort
gehtnuch noch eine Rettung aus dem Gefängniss durch Kleiderwecbsel voraus,
wie bei Ach. Tat. VI 4). Ferner bei Straparola, Piac. notti IV 2 (im Aus-
zug bei V. d. Hagen, Ges. ab. II p. XXXIX ff.), in Gottfrieds von Strass-
bürg Tristan (V. 45522 ff.: aus einer Tristansage auch in der nordischen
Gretters-saga [43/44 Jh.]: P. E. Müller, Sagabibl. I [übersetzt von Lach-
mann] p. 494) und wohl noch sonst. — IV 48, 2 ff. Die Bukolen flcheo
scheinbar um Gnade. Greise ziehen voran, grüne Zweige tragend;
— 485 —
Alles Dun endlich, die Romanfabel selbst und die bunte
Fülle der Einlagen wird vom Achill lediglich vorgetragen, um
seiner rhetorischen Kunst die mannichfaltigste Veranlassung zur
Entwickelung ihrer wohlgettbten Kraft zu geben. Viel ent-
schiedener als bei Xenophon und Heliodor, wohl auch bei Jam-
blichus, tritt bei diesem Sophisten die rhetorische Absicht
hervor und der rein dichterischen in den Weg. Der ganze
Roman wird dem Achilles zur StilUbung. Der Charakter seines
Stils Hesse sich aber wohl am Treffendsten , mit einem der
Baukunst entlehnten Ausdruck, als das Barocke bezeichnen.
Er hat eine starke Abneigung gegen die gerade Linie des ein-
fach sachgemässen Ausdrucks. Daher bewegt sich seine Schreib-
weise überall in den Schnörkeln, Verzierungen, koketten Aus-
biegungen des poetischen und tropischen Ausdrucks, in rheto-
rischen Wortspielen , Antithesen , reimenden Satzenden u. dgl.
Und so mag ei^'^denn, in der oft bis zur Abgeschmacktheit ge-
steigerten zierlichen Pracht seines bunten Pfauengefieders, in
der Unbefangenheit, mit welcher er jeden beliebigen Gegen-
stand, und zumal die erotische Fabel, nur als eine Aufgabe für
rhetorische Exercitien verwendet, als ein immerhin merkwür-
diger Vertreter der ausgeprägtesten Sophistik betrachtet werden.
6.
Die Reihe der hier betrachteten Romane schliesse, als letztes
Beispiel dieses besonderen Schemas des sophistischen Romans,
die Erzählung des Chariten aus Aphrodisias von den Aben-
zur rechten Zeit springen die vorher durch die Zweige verborgenen Be-
waffneten hervor. Erinnert diese, durchaus märchenhaft unmögliche Ge-
schichte nur zuföUig an Malcolmes List und den wandelnden Wald von
Birnam im »Macbeth«? Ich vermuthe, Achilles habe dieses alte Märchen ge-
kannt und in seiner Art sich zu Nutze gemacht. Dasselbe findet sich bereits
{worauf Andreas mich hinweist) bei dem persischen Historiker Tabari
(f 922], Chronique trad. par Zotemberg II p. 30. Ferner bei dem fränki-
schen Chronisten Aimoin (Anfang des eilften Jahrhunderts: Wattenbach,
Deutschi. Geschichtsqu. I p. 88): s. Grimm, D. Sagen 429 (II 92). Vgl.
auch Grimm ebd. 91 ([ 149); MüllenhofT, Schleswig-Holsteinische Sagen
N. IX p. 43; p. 59f ; Wuk, Volksmärchen der Serben 42 p. 235; endlich
eine altarabische Sage , auf welche Hariri anspielt : Rückert , Makamen des
Hariri (2. Aufl.) II p. 4 4.
— 486 —
teuern des Chaereas und der Kallirrhoä. Folgendes ist der In-
halt der acht Bücher dieses Romans.
In Syrakus erblicken, bei einem zu Ehren der Aphrodite ge-
feierten Feste, Chaereas, der Sohn des Ariston und Kallirrho^, die
Tochter des Hermokrates, jenes berühmten Feldherm und Besiegers
der Athener, einander zum ersten Male. Sie entbrennen in heftigster
Liebe; bald vereinigt sie die Ehe. Nebenbuhler des Chaereas
wissen, nach einem ersten vergeblichen Versuch, die Eifersucht des
jungen Gatten zu erregen: er überrascht die Kallirrhoi^ bei einem
scheinbaren Versuch der Untreue, und wirft sie durch einen brutalen
Fusstritt zu Boden. Für todt wird sie in einem Grabgewölbe vor
der Stadt beigesetzt. In einer Nacht wird das Gewölbe von Räu-
bern, unter Führung des Theron, erbrochen, die mit beigesetzte^
Kostbarkeiten geraubt, Kallirrhoe, welche soeben aus ihrem Schein-
tode erwacht war, fortgeschleppt; zu Schiffe entfliehen die R&uber
mit ihrer Beute nach Milet. Sie landen 80 Stadien von der Stadt^
auf dem Landsitze des Dionysius, des ersten Bürgers von Milet.
Zufällig ist es gerade Leonas, der Verwalter des Dionysius, an
welchen Theron die K. verkauft. Der Räuber empfängt, als erste
Anzahlung des Kaufpreises für eine so übermenschliche Schönheit,
ein Talent und beeilt sich, heimlich abzufahren, damit sein Handel
mit einer Freigeborenen nicht entdeckt werde. Der Ven^^alter meldet
dem Dionysius den Ankauf der schönen Sclavio ; als dieser gelegent-
lich sein Landgut besucht, entbrennt er, wiewohl noch eben um
den Tod seiner ersten Gattin trauernd, in leidenschaftlichster Liebe
zu der schönen, nur mit der Aphrodite selbst zu vergleichenden,
und von der Landbevölkerung für eine der, in den dortigen Gegen-
den häuliger gesehenen Erscheinungen der Liebesgöttin gehaltenen
Griechin. Er behandelt sie mit der äussersten Schonung und Ehr-
erbietung; aber seinen, durch Plangoo, die Frau des Gutsverwalters
Phokas, vermittelten Liebesanträgen giebt Kallirrhoe nicht nach.
Zuletzt stellt es sich heraus, dass sie vom Chaereas schwanger ist;
das unglückliche Kind zu tödten wagt sie nicht; um es vor dem
Loose eines Sciavenkindes zu bewahren, willigt sie in die Vermäh-
lung mit Dionysius. Plangon vermittelt Alles; natürUch wird dem
Dionysius der Zustand seiner Braut verhohlen. Glückselig feiert
Dionysius, der sich in fruchtlosem Verlangen völlig verzehrt hatte,
das glänzendste Hochzeitsfest.
Mittlerweile war in Syrakus die Beraubung des Grabes entdeckt
worden. Nach allen Seiten hatte man Trieren ausgeschickt, um
Kallirrhoe aufzusuchen. Das vom Chaereas befehhgte Schiff war auf
das Piratenschiir gestossen : darin waren, nach langer Seefahrt, alle
üebrigen vor Durst gestorben; einzig Theron lebte noch. Er wird
nach Syrakus zurückgebracht ; auf der Folter gesteht er endHch seine
Schandthat. Alsbald schickt man ein Schiff nach MUet, um die
Kallirrhoe zu befreien ; Chaereas befehligt es ; ihm folgt sein getreuer
— 487 —
Freund Polycharmus. Sie landen bei dem Landgute des Dionysius;
dort erfahren sie von der bereits vollzogenen Eheverbindung des
Dionysius und der Kallirrboe. Pbokas, der Sclave des Dionysius,
merkt die Gefahr, die seinem Herrn droht; auf seine Anzeige von
der Landung eines feindlichen Kriegsscbiflfes werden Cbaereas und
seine Genossen Nachts von persischen Truppen überfallen, das Schiff
verbrannt, die Mannschaft fortgeschleppt und verkauft. —
Kallirrho^ gebiert im siebenten Monate ihrer neuen Ehe einen
Sohn, den Dionysius für seinen eigenen halten muss. Sic selbst
gedenkt stets des Chaercas: auf Veranstaltung des eifersüchtigen
Dionysius wird ihr berichtet , bei jenem Ueberfall des hellenischen
Kriegsschiffes seien alle Griechen umgekommen : sie veranstaltet daher
dem für todt gehaltenen Chaereas ein feierliches Begräbniss und
errichtet ihm bei Milet ein prächtiges, völlig ihrem eigenen ehemaligen
Grabe gleiches Kenotaph. Bei dem prächtigen Leichenzuge sieht sie
der, gerade in Milet anwesende Satrap von Karien, Mithridates, und
verliebt sich heftig in sie.
Nach Karien waren Chaereas und Polycharm verkauft. Bei
Gelegenheit eines Sclavenaufstandcs erfährt Mithridates zurällig den
Zusammenhang des Chaereas mit der Kallirrhoe. Er schickt einen
Böten an Kallirrhoe mit einem Briefe des Chaereas, einem eigenen
Briefe, und reichen Geschenken. Briefe und Geschenke gerathen in
die Hände des Dionysius. Der sieht in dem Ganzen nur eine Yer-
führerlist des Mithridates, welcher auch den Brief des (von Dionys
ernstlich für todt gehaltenen; Chaereas nur erdichtet habe. Er
beschwert sich bei dem Satrapen von Lydien und lonien, Phamaces;
der meldet die Angelegenheit dem Grosskönige Artaxerxes; der
König beruft Mithridates, und zugleich Dionysius mitsammt seiner
Frau*) zur Verantwortung nach seiner Residenz Babylon. Dem Be-
fehle wird gehorcht. In Babyion vertreten, in langen Reden, Dionys
und Mithridates vor dem Könige ihre Angelegenheit; zuletzt lässt
Mithridates, zum höchsten Schrecken des Dionys, den heimlich mit-
gebrachten Chaereas lebendig hervortreten. Mithridates zieht nun,
von der Anklage befreit, nach Hause ; zwischen Dionys und Chaereas
verspricht der König in einer neuen Gerichtssitzung zu entscheiden.
Er hat sich aber selbst in die, bei dem Gerichte anwesende Kai-
lirrhoü verliebt; in seinem Harem, wohin er sie einstweilen hat
bringen lassen, hat er täglich Gelegenheit, sie zu sehen ; kein Wunder,
dass er, unter erdichtetem Vorwand, die entscheidende Gerichts-
sitzung hinausschiebt. Mittlerweile sucht er, durch Vermittlung seines
Eunuchen Artaxates, die Schöne sich zu gewinnen; aber vergebens.
Plötzlich wird gemeldet: Aegypten sei abgefallen, der persische
Satrap ermordet, ein einheimischer König erwählt, schon rücken
1} Unzweifelhaft richtig ergänzr Cobel, Mnemosyne VIll (4 859) p. 242
den Brief des Königs p. 8t, 2t also : Atovjoiov, ifxov ooOXov, MtXf,oiov Trifx^ov
[xal TTjv 'f'j*talt,a os auToO a*j ji.7:efi.<loN j.
— 488 —
diese gegen Syrien und Phoenicien heran. Artaxerxes zieht mit
grossem Heere den Feinden entgegen; seine Gemahlin Statira und
seine übrigen Weiber folgen ihm in den Krieg; mit ihnen Kallirrhoe.
Gbaereas, in Babylon zurückgelassen, lässt sich erzählen, Dionysius
sei in die Dienste des Königs getreten und habe zur Belohnung die
Kallirrhot^ erhalten. Verzweifelt, und nur durch Polycharm Tom
Selbstmord abgehalten, verlüsst auch er Babylon und geht zu dem
Könige von Aegypten. An die Spitze der griechischen Söldner gestellt,
nimmt er das bisher vergeblich belagerte Tyrus durch einen kecken
Handstreich ein. Artaxerxes, um schneller vorwärts zu kommen,
schickt die Weiber nach der Insel Aradus an der syrischen Küste.
Er selber zieht dem aegyptischen Landheerc entgegen, besiegt das-
selbe und wirft die Rebellen bis nach Pelusium zurück. Bei der
Verfolgung thut sich Dionysius hervor; er bringt den abgeschnittenen
Kopf des AegypterkÖnigs, welcher in der äusserst en Noth sich selbst
getödtet hatte. Gbaereas hatte die aegyptische Flotte zu leiten; er
seinerseits besiegt die Flotte der Perser, und nimmt darauf Aradus
ein. Die dort vorgefundene reiche Beute wird eingeschifft, ebenso
Statira und die anderen Weiber; einzig Kallirrho^ weigert sich, trotz
aller verlockenden Vorspiegelungen des mit der Einschiffung beauf-
tragten aegyptischen Soldaten, (Tiesem zu folgen i). Gbaereas, von
der Weigerung der schönen Gefangenen unterrichtet , tritt . endlich
selbst in das Rathhaus, in welchem dieselbe stumm und verfaüllteo
Hauptes am Boden liegt. Er erkennt in der Gefangenen die ver-
loren geglaubte Gattin. Die Wonne der ersten Wiedervereinigung
wird gestört durch die Nachricht von der Niederlage des aegyptischen
Landheeres. Man beschliesst, in See zu stechen. Statira wird dem
Könige zurückgeschickt, die eingeborenen Acgypter grössten Theils
nach Hause entlassen ; mit dem Reste derselben und den Griechen
fährt Ghaereas nach Syrakus. Jubelnd nimmt die Bürgerschaft die
Zurückkehrenden auf; vor versammelter Volksgemeinde erzählt Chaefeas
ihre wunderbaren Erlebnisse. Während ein letzter Brief der Kal-
lirrhoe dem wackem Dionysius die Fürsorge für ihr Kind empfohlen
hat, bleibt sie selbst zu endlich dauernder Vereinigung bei dem
Geliebten in der Heimath.
Person, Heimath, Zeit des Chariton sind für uns voUständig
in Nebel gehüllt. Er leitet zwar selbst seine Erzählung mit
]) Dass p. 134, 2S. 29: ou (x6vov ^ap dvopctoc dA>.d xal pvatxa trotV^omi
sinnlos, auch in der ganzen Erzählung von dem Gespräch des aegyptischen
Soldaten mit der Kallirrhoe vieles unverständlich sei, hatte Gebet, Mnemos.
VIII 898 ganz richtig gefühlt. In der That ist zwischen xal und fuvatxa
eine grosse Lücke, i^elcho nicht durch einige einzuschiebende Worte, son-
dern nur durch eine ganze lange, auf einem ausgefallenen Blatte einst ent-
haltene Erzählung ausgefüllt werden kann , deren Inhalt Isidor Hilberg,
Philologus XXXIII (1874) p. 696 mit glücklichem Scharfsinn errathen bat.
— 489 —
den Worten ein: »Ich, Chariton aus Aphrodisias, der Schreiber
des Redners Athenagoras, will ein in Syrakus vorgefallenes
Liebesabenteuer erzählen«. Aber bereits der erste Herausgeber
seines Romans hat mit Recht bemerkt, dass man gut thue, diese
Angabe lediglich in einem allegorischen Sinne zu verstehen.
Der Dichter eines erotischen Romans, nach den Chariten, den
Göttinnen der Huld und Anmuth benannt, aus der Stadt der
Aphrodite, der lenkenden Gottheit seiner Dichtung, stammend,
Schreiber eines Athenagoras, bei dessen Namen man sich leicht
des Syracusaners dieses Namens, des Gegners des Hermokrates
und Zeitgenossen der Ereignisse des vorliegenden Romans ^) er-
innert: — es wäre in der That verwunderlich, wenn so viele
Indicien nicht darauf hinleiteten in diesen Personalnotizen nur
eine leichte sinnbildliche Verhüllung der wirklichen Person und
Lebensverhältnisse des Dichters zu erkennen, dergleichen wir
ja bereits mehrfach bei anderen Erotikern bemerkt haben ^j.
Die Zeit des (wirklichen oder nur Pseudonymen) Chariton ist
mit irgend welcher Zuversicht nicht zu bestimmen. Nur so viel
scheint eine genauere Retrachtung seines Romans zu lehren,
dass er die Romane des Jamblichus, Heliodorus und nicht am
Wenigsten den des Xenophon vor Augen hatte und nachbildete 3;.
W^enn sich ein gleiches Verhältniss unseres Dichters zum Achilles
Tatius nachweisen Hesse, so würde man denselben schwerlich
vor den Anfang des sechsten , höchstens in die letzten Zeiten
des fünften Jahrhunderts setzen dürfen. Es scheint mir aber
nicht bestimmt erweislich, welcher von diesen beiden Sophisten,
bei dem Zusammentreffen in ähnlichen Phrasen und Wendungen,
dem Anderen nachgeahmt habe*).
1) 'Adt)vaYÖpa;, 6; or^fiov» rpooraTY]; f^v xtX. Thucyd. VI 35.
2) S. Dorville, Animadv. in Char. p. 6—8.
3) An Jamblichus erinnert die ganze Scenerie der in Persien, Syrien,
Aegypten spielenden Theile des Romans; an seine Schilderung der Tupöooo;
Toü BaßuXoDvloDv ßaaiX£(u; (hinter Hincks Polemo p. 49 f.) eine ähnliche
Schilderung bei Chariton VI 4. — Dem Heliodor wird nachgebildet sein die
ganze Situation der Kallirrhoä im Schutze und am Hofe des Perserkönigs,
welcher ihr mit seiner Liebe (durch Botschaften eines Sclaven) zusetzt, bis
ein plötzliches Hemmniss Alles abbricht (Buch VI). Durchaus parallel ist
das Verhältniss des Theagenes zur Arsace bei Heliodor. Auch die Kunst
des Retardirens (z. B. V 7, 7 ; VI 2, 2 u. s. w.) scheint Chariton dem He-
liodor abgelernt zu haben.
4) Es finden sich allerdings manche Aehnlichkeiten zwischen Chariton
— 490 —
Dass der Dichler von Beruf Rhelor und Sophist war, wUr^e
auch ohne seine eigene Andeutung unbezweifelbar seio- Seip
Roman würde es, durch sein ganzes Schema wie durch die
Ausführung der £rzahlung, beweisen. Derselbe ist ein voli-
gU)tiges Probestück des sophistischen Romans, und keioesweg3
das unangenehmste.
Zwar die Erfindung der Fabel ist armselig und leicht ger
zimmert. Zum letzten Male die alten Possen: Scheintod und
Wiederbelebung, Rauber, Seefahrt und Sturm, Sciaverei, ver-
liebte Herren, die gewöhnlichen Bedrängnisse der Tugend, die
gewöhnliche glückliche Lösung. Die Liebesfabel ist auf einen
historischen Hintergrund gestellt ; man sieht wohl, wie Holiodor
und namentlich die babylonischen Erzählungen des Jambiichuß
dem Dichter als Vorbilder vorschwebten. Aber er macht ein^
etwas höhere PrUtensioni Nicht blosse Marchenkönige , gleich
denen des Jamblich und Heliodor, will er uns vorführen; seine
Geschichte ist in die Erlebnisse so unzweifelhaft historisch^
Personen, wie des edlen Hermokrates von Syracus und des
Königs Artaxerxes Mnemon verflochten. Schade freilich, dass
Hermokrates bereits gestorben war, als Artaxerxes Mnemon zur
und Achilles Tatius. Von Phrasen vgl. man Ach. p. 138, 28 (Hercher) :
Sosthenes der Leucippe den Liebesantrag des Thersander vermittelnd: f^%m
001 ^pipiuv 0(up6v d^a^^div, dXX' ^mo; euTuyjQsaoa (a-^j iniXV)9^ fjiov. Cbar.
p. 418, 15 (Hercher): Artaxates, der KaÜirrho^ den Antrag des Königs
überbringend : fACYdXoDv, eirev, dfa%m'^ 6i f6vai %T^ovJp6^ ooi xex6{Mxa * tj li
fjLvTjfjiöve'jf [jLO'j r^; euep^eoia;. — Ach. 98, 8 : [lölTirjv cot, cw ^dXaaaa, r^s jd-
piv (üfjLoXoYi^aajxev [ji^[ji^o[Jiai oou tiq ?ptXav0ptu'::(a. Char. 60, 21: cb %d-
Xaooa 'fiXdvOpcDire t( [u ^iE9a>9a;; — ferner vgl. die Beschreibung der
Lage von Tyrus bei Ach. 68, i6 ff. (vgl. auch Nonnus Dion. XL 311 ff.)
und bei Char. 125, 31 ff. (XeTTT^j ctoooo; aM^s ouvdTrro'jM ttq yIQ xwX'jci to
^Jl1^J vfjoov eivai. Char. Vgl. Ach. Tat. 121, 28: ei; auTr,v [ty;v x«Ta7«7i?jv]
oieip^e OTevcuTTÖ; to fii^ Trdaav vijaov -^e-^Mau Beider gemeinsames Vorbild
ist, wie Jacobs hervorhebt, Thucyd. VI 1 : SixeXia — iv cixoai sra^^CcDv pid-
Xiora jx^Tp(p TT,; OaXdooTj; oietp^exai to [t.i^ f^reipo; eivai). — Von dich teriscbeo
Motiven des Chariton hat z. B. das Verhältniss des Dionysius zu der, auf
seinem Landgutc aufbewahrten Sclavin , Aehnlichkeit mit dem Verhältniss
des Thersander zur Leucippe bei Achilles (VI 4 (T.); auch die Selbst^
verurtheilung des an der Rettung der Geliebten verzweifelnden Helden:
Char. I 5, 4, Ach. VII 7. 'Aehnlich freilich auch Heliodor p. 228, 21 ff.;
230, 7 (T. Bk.) ; wie bei Achilles Klitophon der für todt gehaltenen Leucippe
in Alexandria ein Grab errichtet (V 7. 8], so bei Chariton Kallirrhod dem
todt geglaubten Cbaereas (IV 1j.
— 491 —
Regierung kam^). Aber das stört den »Schreiber des Redners
Athenagoras« so wenig wie andere geschichtliche Inconvenienzen,
aus denen er seinen »historischen Roman« aufbaut ^j. Er schreibt
eben einen achten »historischen« Roman, dergleichen zumeist
auf sehr naive Leser berechnet zu sein pflegen. Hat also diese
Erzählung als eines der ältesten Beispiele solcher historisch-
romanhaften Tragelaphen ein gewisses Interesse, so verlaugnet
sie ihre Verwandtschaft mit dieser Gattung des Romans auch
darin nicht, dass man im Grunde nicht recht begreift, welchen
Zweck eigentlich diese historische Maskerade haben kOnne;
unter den Masken stecken ja doch nur die wohlbekannten
Gliederpuppen. Höchstens mag das Hineinziehen des helleni-
schen Liebespaares in den Pomp einer persischen Hofhaltung,
ja in die Kämpfe um den Besitz Aegyptens und Syriens, dem
Dichter dienen, den Gegensatz zwischen Barbaren und Hel-
lenen leuchtend hervortreten zu lassen, von dem er (wohl
vorzüglich durch Heliodor angeregt) so viel zu reden weiss und
den er endlich in den kriegerischen Grossthaten nicht nur des
Ghaereas sondern auch des Dionysius auf die Spitze treibt ^j.
In diesen historischen Decorationen seines »Dramas« lässt
1) Er starb ol. 93, 4 = 408 bei einem Versuche, seine Rückicebr nach
Syrakus zu erzwingen: Diodor XUI 75.
2) Der Abfall (und gar die, erst unter Ochus geglückte Wiederunter-
werfung) Aegyptens passt nicht in die Regierungszeit des Arlaxerxcs Mnemon.
Das Jahr der Erhebung Aegyptens ist ungewiss (vgl. Clinton. F. Hell,
p. 3t8 ed. Kr.) : aber jedenfalls fand sie bereits unter der Regierung des
Darius Nothus statt (Euseb. chron. ed. Schocne II p. 108). Dem Chariton
schwebte wohl eine ungenaue Erinnerung an die Kämpfe vor, welche Ar-
taxerxes in den letzten Jahren seiner Regierung gegen die, bereits unter
seinem Vorgänger abgefallenen Aegypter und ihren König Tachos führte.
Damals waren, wie auch bei Chariton, im aegyptischen Heere zahlreiche
griechische Söldner; wie bei Chariton der Grieche Chaereas, so befehligte
damals Agesilaus im aegyptischen Heere. (Diodor XV 90. 92). Damals
hiess freilich der Satrap von Lydien nicht Pharnaces, wie bei Chariton
(p. 70, 19], sondern Aulophradates; in Karlen herrschte Mausolus, während
bei Chariton dort Mithridates als Satrap sitzt.
3) Das hellenische Wesen ist dem Dichter identisch mit dem cpiXdv-
dped^rov, Tceicai^eufA^ov, dem (ppöv7][ia £\)^tsii] die Barbaren freilich schmähen
vielfach dieses ihnen entgegengesetzte Wesen; aber in dem Wettstreit des
Barbarischen und Hellenischen , der sich durch das ganze Werk zieht^
$iegen entschieden die Hellenen. Vgl. p. 86, 7. 85, 3i. 88, 8. 89, 6. 90, 2.
S7, 9. 44«, 44. 446, k. 447, 22. 427, 24. 29. 484, 46.
— 492 —
nun Charilon seine Helden umgetrieben und bewegt werden
durch eine Maschinerie, die er dem Romane des Xenophon von
Ephesus nachgebildet hat. Wie bei diesem Eros, treibt hier
Aphrodite selbst das unglückliche Paar, das sie (wie Eros bei
Xenophon) doch bereits selbst verbunden hat, durch die Länder;
sie ist, wie wir wiederholt hören, die Ursache aller ihrer Lei-
den^;. Freilich ist diese Götterieitung bei Chariton noch mehr
zur blossen herkömmlichen Formel erstarrt, als bei Xenophon;
wir erfahren nicht einmal irgend einen Grund (wie doch bei
Xenophon] aus welchem die Gottheit eine so harte Strafe über
die Unglücklichen verhängt: für KallirrhoO scheint die ihr mit-
gegebene, hier wie bei Xenophon vielfach verwünschte »gefähr-
liche, hinterlistige Schönheit u einen hinreichenden Grund zum
Leiden abzugeben^). Von einer persönlichen Wirksamkeit der
Göttin, nach antiker Weise, ist vollends gar nichts zu verspüren;
ihre Leistung bleibt verhüllt und unsichtbar; höchstens könnte
man in den häufigen warnenden Traumgesichten der Helden^
eine unmittelbare Einwirkung der Gottheit vermuthen. Von an-
tiker Frömmigkeit, von wirklichem Glauben an die Persönlich-
keit der Götter ist überhaupt nichts in dem ganzen Romane zu
verspüren ; auch ohne bestimmte Spuren des neuen Glaubens in
dem Romane nachweisen zu können , darf man zuversichtlich
behaupten, dass der Dichter ein Christ und in christlichen Vor-
stellungen aufgewachsen sei *j . W' enn wiederholt von einem ein-
zelnen Orte bei Milet die Rede ist, an welchem die Aphrodite um-
zugehen pflege*), so wird diese, bei der antiken Vorstellungsweise
1) S. p. 29, 22. 29, 30. «9, 19. 59, 31. 68, 15. 102, 34. 431, 4 (T.
^36, 13. 146, 44. 457, 4.
2) Vgl. p. 25, 31. 93; 32: xdXXo; iTrißouXov, ei; toüto {a^vov uro tf^;
<puac(u; oodiv. Iva T:\T^lH^<il^ xfiiv otaßoXcuv. 145, 28: ob xa>.>.o; irißouXov.
«6 [xoi TrdvToav xaxwv attiov xtX.
3) Solche Träume \^ erden erwähnt: p. 26, 24. 30, 30. 42, 8. 69, S.
94, 8.
4) Als Kallirrho(^ zuerst dem Leonas zu Gesicht kommt, meint er:
^täs impaxhai. %ai ^ap V "*» Xö^o;, Iv toi; dlYpoT; 'A^pootrrjv iTTt^aCveolai:
p. 24, 21. Plangon zur Kallirrho^, p. 29, 42: OM rpö« rf^v 'A^poUrr^ w
cü^^i repi aauTfj;. irnpavT,; o^ laxiv ivBd&e 7) deo; xtX. Vgl. p. 84, k,
b] Einigermaassen christlich klingt, was gelegentlich von den FUgongeD
der (freilich ja auch den Heiden bekannten) rp<Svoia gesagt wird : p. 82, 48.
34. 55, 24 {vgl. 56, 5: ^aifxojv ti; Tifxwpi;). Merkwürdig p. 96, 46: T^ Ic
— 493 —
von der ErscheinuDg der Götter wo und wann es ihnen beliebt
fast sinnlose Beschränkung eher an gewisse Ueberreste eines, in
christlicher Bevölkerung noch weiter spukenden, unheimlich ge-
wordenen Heidenthums erinnern. In dieselbe Sphäre des Volks-
glaubens versetzen uns die mehrfachen Erwähnungen der »Nerei-
den« als wunderbar schöner, gelegentlich aus dem Wasser herauf
steigender und unter den Menschen verkehrender Dämonen ^) :
Jedem fallen alsbald die »NeraYden« des heutigen griechischen
Volksglaubens ein, welche ganz gleich unseren Nixen einen letz-
ten Rest altheidnischer Belebung der geheimnissvoll wirkenden
Naturkraft, zumal des so sichtbar lebendigen Wassers darstellen.
Selbst zu dem Glauben an das wirre Treiben der neidischen
T y c h e , von welchem Chariten so viel redet, und an welches er
um so gewisser glaubt, weil er ja mit dieser unumschränkten
Macht der Zufallsgöttin sehr ungeschickt die künstlich festge-
haltene Leitung der Dinge durch die Aphrodite durchkreuzt ^j :
— auch zu diesem Glauben konnte wohl eine populäre An-
schauungsweise christlicher Zeit sich im Herzen ernstlich be-
kennen.
Die Anlage des Romans ist überaus einfach. In gerader
o-?j t6)^7], ßaoi).eü, ajw '^^^a »aT^oTtjoe [diese Worte verstehe ich nicht ; Dor-
villes Cebersetzung und Erklärung machen sie nur dunkler. Vielleicht:
T^ hi 9€ T6yT], ßaaiXEU, d^iov ^vra xvzi^Trifst »die Tyche hat dich, o König,
als einen Würdigen eingesetzt« — nömlich zum Könige; ßaaiXia zu %a-
TeoT/jae aus ßaaiXeü zu entnehmen] xal tj iipövoia tcüv aXXmv ftetbv
(pavepd; iro^oe Td; dTrißouXd;. Das klingt freilich durchaus nicht christlich.
— 6 %t6i p. 53, 20. 4 43, 9. — '- Christlich -heidnischer Volksglaube könnte
CS sein, wenn das Grab von einem &alfjia>v, welcher die Todten zu holen
kommt, bewacht wird: p. 46, 4 5 ff., 25. ol r^; dlOX(a; (der verstorbenen
ersten Frau des Dionys) oa((xove; p. 32, 32. oatpicuv d-^a^i redet Kallirrhoe
den todt geglaubten Chaereas an, p. 86 8. Vgl. 99, 3.
1} Dionysius, von der Schönheil der Kallirrhoö betroffen, p. 33, 24:
fjLia Nüjx^pöiv tj NTjpTfjtöoaN ix doXdaoT); dveXi^^XuOe. xaTaXa[Aßdvouoi 0£ xal Sal-
(Aovac xaipol Tive; elfiapfi^voi [so Cobet, Mnemos. VIII 258; £[(jLapfjL£vY]; die
Hs.] d^dfuri^ «pdpONTe; 6fi.iXtac fiet' dvBpcdirov xxX. Das öT^fioaS^orepov irXijdo;
dveTreidexo Std t6 xdXXo; xal tö äfsrnTZO^ ttj; yovaixi; Zti NTfjpr/i; ^x öaXdaoTjc
dvaßißTjxcv: p. 50, 3. Vgl. p. 3, 8. — Leber die Neraiden des neu-
griechischen Volksglaubens vgl B. Schmidt, D. Volks), d. Neugr. 1 4 02 ff.;
auch C. Wachsmuth, D. alte Griechen!, im neuen p. 30 f., 50 ff.
2) Tüx^. Vgl. p. 47, 23. 23, 5. 23, 4. 26, 3. 40, 4. 46, 25. 47, 25.
52, 8. 74, 46. 77, 7. 79, 44. 83, 48. 85, 24. 93,25. 449, 9. 436, 8. 443, 4.
— 494 —
Linie, schlicht und ohne üppige Auswüchse geht die Ertählung
auf ihr Ziel zu. Es fehlen alle Excurse und Abschweifungen;
und wenn hierin der Roman des Chariton zu allen bisher be-
trachteten Werken der gleichen Gattung einen merklichen Gegen-
satz bildet, so könnte man, die ganze Reihe der Romatie, von
dem abenteuerlichen Werke des Antonius Diogenes äü, über-
blickend, wohl sagen, dass hier die Romandichtung den, ihrem
Ausgangsrpuncte geradezu entgegengesetzten Pol erreicht habe.
Dort ein Üppiges Geflecht und Gewirre buntfarbigef , seltsam
schillernder Abenteuer und Fabelberichte, durch die erotische
Erzählung mit lockerem Faden zu einem dichten Kraute nisam-
tnengehelten : hier die Erlebnisse eines liebenden Paares, durch
sehr geringen Aufwand localer und geschichtlicher Fttirbung spsip-
sam colorirt; ein gänzlicher Mangel antiquarischen Priittkes:
selbst von rhetorischen Ergiessungen nur die pathetischem Klagen
und Selbstgespräche der Leidenden, sowie die Gerichtsreden ^)
breiter gehalten, sonst sehr wenig der eigentlichen Geschichle
Fremdes: einige zierlich gefeilte Briefe*), wenige und kurz
gefasstc Sentenzen. Chariton hat es gewagt, seine erotische
Erzählung rein durch sich selber wirken zu lassen. Der Vor-
satz ist ohne Zweifel zu loben; aber freilich iässt sich nicht
leugnen, dass der schlichte Aufbau seiner Dichtung einen ziem-
lich kahlen Eindruck macht. An Feuer und Kraft fehlt es nicht
nur dem Dichter sondern auch seinen Figuren. Immerhin ist
die Gesammtstimmung eine wohlthätigere als die der anderen
sophistischen Romane. Eine gewisse Milde , Billigkeit und
Menschlichkeit zeichnet alle Figuren aus, vornehmlich die Be-
dränger des Liebespaares, den guten Dionysius und den Ktmig
Arlaxerxes. Durch diesen Charakter der Hauptpersonen wird
eine gewisse leise und eingeschränkte Bewegung der Handlung
bedingt, welche ganz gewiss schwerer durchzuführen war, als
die heftig zuckende Erregung einer durch maasslose und ge-
wissenlose Wütheriche bestimmten Handlung nach der gewöhn-
lichen Romanschablone. Allerdings fliesst von dem Dichter in
1) Monologe: p. t5, 19. il 9. p. 54, 9. 60, 21. 68, 6. 85, 24. 88. 13.
98, 22. 102, 28. 106, «7. H5, 22.. 128, 81. 130, 31. Gericbt^reden dts
Dionysius und des Mitliridates V 6. 7. Sonstige Reden: p. 6. 40. 7, 1.
J 10. p. 19, 10. VII 3. 2—5 VII 3, 8—11. VIII 2, 40. 44. VUI 8.
2) Briefe: IV 4, 7 ff. IV 5, 8. IV 8, 4-8. VUI 4, 2. 8. 5. 6.
— 495 —
seitte Personen eine eigenthümlieh lähmende Kraftlosigkeit hin-
tlber : alle werden sie von den Ereignissen , in rein passivem
Verbluten, gezogen und geschoben; man verwundert sich, am
Schluss des Ganzen den bis dahin so wenig energischen Ghae-
reas urplötzlich zum siegreich handelnden und herrschenden
Kriegshelden sich umwandeln zu sehen. Solche Thatkraft
stimmt wenig zu seiner sonstigen Weichlichkeit, zu der Weich-
lichkeit der ganzen Erzilhlung und fast aller Personen derselben.
Starre Seelenhärte und renommistische Leidlosigkeit nach Art
einer amerikanischen Rothhaul war ja nie die Sache eines ächten
Griechen; aber diese weichliehe Nervosität der Figuren des
Chariton , welche bei jeder Aufregung in Ohnmacht fallen , im
ThrMnenerguss förmlich schwelgen ^)y im Unglück gleich ver-
aweifelnd auf Selbstmord sinnen, erinnert doch beinahe an die
Oberzarte Ven^iindbarkeit der Gestalten asiatischer Dichtung^
zmnal der indischen. Es verdient bemerkt zu werden, dass
die Heidin ^ Kallirrhoä sich bei w eitern stärker und zumal be-
sonnener zeigt als ihr Gatte Chaereas, welcher nur von äem
braven, einzig zu diesem löblichen Zwecke vom Dichter erfun-
denen Polycharm drei, vier Male vom beabsichtigten Selbstmord
abgehalten wird^'. Ja die Volksversammlungen, welche übrigens
nichts Wichtigeres als die Theilnahme an den Geschicken dieses
einzelnen Paares zu kennen scheinen , brechen sogar bei der
blossen Erzählung der Leiden ihrer Lieblinge im Chor und
unisono in Thränenströme aiis-^j. In solchen und ähnlichen
1) Ueberdie zahlreichen Obnmachtsaofölle bei Chariton s. oben p. 464 A. S.
Thräo^n bei jeder Gelegenheit : z. B. p. 35, 45. 55, 2. 64, 2. 409, 29. Als
dem Dionys der Entschluss der Kallirrhoe , ihn zu heirathen, angekündigt
wird, fällt er in Ohnmacht; das ganze Haus bejammert ihn als todt, selbst
Kallirrhoe touto oj% fjxouosv dioa%p*JTl: 111 4, 3. Als Milliridates die Kall,
zoai ersten Male sieht, dr/a^fi xatiTreocv Aorsp Tt; k^ öirpoaooxf-T^'j acpevoövTj
ßXY]9eU, %aX fxöXi; auTOv ol dcpaTreuTfjps? uroßaaraCovTe; l^pcpov. IV 8, 9.
2) Gleich nachdem Chaereas scheinbar die Kall, getödtet hat, iroxTeivai
jjiev eauTÖv ^TrsÄupici, lloX'jyapfxo; o iy-cuXue p 4i, 24. Und so denn wieder
p. 404, 25; 408, 24; 109, 42. \j:l. p. 423, 47; 455, 24.
3) Die N<5fjLipLo; ix/Atjarx der Syracusaner macht den Fürsprecher des Chae-
reas bei Hermokr tes I 4, 44. Als Theron aufgefunden worden ist, versammelt
sich die ixxKrizia: iTtcivr^v tt,v ir^Xr^alav f^YlfO'^ xiX yüvalxs;! lll 4, 4. Und so sehr
nimmt das Volk an den Geschicken dieses einzelnen Paares Theil, dass, als es
sich darum handelt, die Kallirrhoe aufzusuphen, 6 of^fxo; dveßör^se »irdivTS^
— 496 —
Seltsamkeiten spürt man freilich recht stark die Haltlosigkeit
des spaten Graeculus. . •
Der schlichten Anlage der Erzählung entspricht im Allge-
meinen der Stil der Darstellung. Man wird, nach dem Bom-
bast und der leeren Feierlichkeit des Heliodor, dem unleidlichen
Gewitzel und schillernden Phrasenfunkeln des Achilles Tatius
nicht unangenehm berührt durch die einfache und klare Sprache
des Chariten. Das Lob ist freilich ein sehr relatives, und wird
dadurch stark eingeschränkt, dass man auch hier gestehen
muss, dass die grössere Einfachheit des Ausdruckes durch eine
gewisse blutarme Mattigkeit desselben erkauft wird. Vollends
eine Hervorhebung der dargestellten Vorgänge zu plastischer
Deutlichkeit, wie sie bisweilen dem Heliodor recht wohl gelun-
gen ist, will dieser völlig anschauungslosen Darstellungsweise
des Chariten nie glücken. Er ist noch am glücklichsten in
den lyrisch-gefühlvollen, bisweilen nicht ohne Herzlichkeit ge-
schriebenen Monologen und Gesprächen seiner Helden; sein
episches Talent ist sehr gering; gerade wo es sich zu bewäh-
ren hätte, reisst er uns, mit einer stereotypen Wendung, über
die deutliche Vorstellung der einzelnen Vorgänge zu dem letzten
Ergebniss fort; dies und jenes, heisst es dann, »geschah
schneller als man sagen könnte u^)^ und damit gut.
Der sprachliche Ausdruck ist mit Fleiss ausgebildet; er ist
entschieden reiner als derjenige des Achilles und auch des
Heliodor. Classischen Mustern, vornehmlich Xenophon und
Thucydides, ahmt der Sophist, so gut es gehen will, nach; aus
der Leetüre des Herodot entlehnt er einige, seiner übrigens so
leidlich, und ohne Praetension, nach attischer Regel gebildeten
TcXeuompiev« p. 57, 4S. So versammelt sich denn auch zuletzt, um die Er^
lebnisse der Zurückgekehrten anzuhören, das ganze Volk, Männer und
Weiber, im Theater: VIII 7, 4. Recht gemüthlich wird es aber erst
VIII 8, 4 4 Chaereas schlägt vor, die mit ihm nach Syrakus gekommenen
griechischen Soldtruppen zu Bürgern von Syrakus zu machen. »Natürlicht
sagt das Volk von Syrakus, x^ip^o'^^^«^«» toOto. Vifjcpiojxa i^pitpr], xal fu<>^
ixeivoi xaOloavrc« jx^poc ^oov t^« ixxXv]9(a;. — Thränenerguss des ganzen
Volkes bei Erzählung der Leiden des Chaereas, p. 4 54, 26: ^pfjvov i^k^^rrfitt
iizX TO'jToi« t6 TrXfjfto;. Vgl. p. 48, 44: TaOta X^^ovroc ^pfjvo; ^^eppdTt].
1} Xö^ou däiTov. Die Stellen bei Cobet, Mnemos. VIII 284. Aehnlicb
übrigens bisweilen Heliodor.
— 497 —
Sprache eingestreute lonismen^'. Dichter hat er eifrig ge-
lesen ^ ; wunderlich genug flicht er nicht nur , w ie fast alle
spätgriechischen Scribenten, einzelne Anspielungen auf home-
rische Krafistellen , sondern ganze Verse der Uias und Odyssee
den Reden seiner Figuren, ja auch dem Laufe seiner eignen
Erzählung ein ^) . Sonst hält er seine Rede von stark abstechen-
den poetischen Worten^) im Allgemeinen so rein wie von
1) l}el>er Cbarttons Nachahmung der Alten, namentlich des Thucydides
and Xenophoo s. Gebet in seinen Annotationes oriticae ad Charitonem,
Mnemosyne VIII SS9 ff. passim ; auch Nov. Lect. p. 37S f. ; über seine aus
Herodot entlehnten lonismen dens. Mnem. VIII 236.
2) Berufung auf Erzählungen der Dichter und itaXatä Ivr^ikora häufig :
z, B.*p. «, 8; 88, 27; vgl. 4^, 27; 84, 8 u. s. w.
3) Solche Homerverse (bisweilen gleich drei hintereinander) finden
sich eingelegt : p. 5, 25. 40, 5. 34, 45. 42, 4. 54, 29. 60, 3. 69, 46. 70, 4.
77, 29. 80, 43. 83, 28. 87, 26. 92, 6. 95, 4. 404, 20. 406, 43. 407, 30.
442, 48. 425, 10. 427, 8. 428, 34. 429, 47. 439, 44. Bisweilen legt er auch
Verse aus Komikern ein: z. B. 84, 42: i^hs xade6Setv ti^v t' ^poofxIvTjV
f^eiv (s. Meineke fr. com. IV 625 ; V p. CCCXXXV) ; einiges Andere bei
Cobet, Mnem. VIII 266 (Schluss eines Trimeters vielleicht auch p. 46, 20:
nXotrro« Ä^^pTjcro; vrxpui).
4) Poetisch z. B. xaUodat tivo; 84, 42; cpTjfACCeiv 89, 9; ot ßaoiXetc König
und Königin 4 06, 14 ; vielleicht auch ^Xdaoeiv 4 44, 27 (und 72, 47 nach
Cobet, Mnem. VIII 238); aus missverstandenem poetischen Gebrauch
vielleicht zu erklären %mi:ai iTTzgpa\Usai 46, 4 0 (vgl. Dorv. p. 4 04. Cobet
p. 253). Ist so etwa auch das wunderliche dr.txdhj^e oxöto; Tf); ^'^x*^^
AiONuoiov (67, 4) = dirsox^fiaoe (s. Dorv. p. 346) zu erklären? Entschieden
durch Missverständniss entstanden, und nicht durch Conjectur zu beseitigen,
ist dtßpmToc = dfaiTo; p. 4 4 4, 4 0. — Bisweilen zeigt sich einige Vorliebe zum
kühnen übertragenen Gebrauch gewöhnlicher Worte. Z. B. ^pLaYoiYeiN:
ixefcvTj [X'Sv'rj dTTdtvToov ihrnifx'^difriozs ötp^aXpiou; 74, 7. Vgl. 86, 4 9 (auch
452, 49). — Neu gebildet scheinen dpfOOTÖXo; 74, 30; doiöoeuto; 426, 24. —
Nach spätgriecbischem Sprachgebrauch schmeckt namentlich : dOeTetv = dxi-
^dCeiv 83, 8 (s. Dorv. p. 424); XofOTiouai 50, 4. 54, 42; OTrcjoeiN tivC alicui
favere 4 05, 7. 42; xd^iov statt däaoov 4 06, 3; eU -^v xaTaXircuv statt i^ ^5
4 47, 80 (vgl. intpp. ad Longum p. 268 ss. cd. Seiler); ouvroc^aadat tiv(, Ab-
schied von Jemanden nehmen, 446, 20. Ganz seltsam sind Ausdrücke wie:
öft>a>.pLO'j; dxTSiveiN 90, 42 (vielleicht in Nachahmung später Dichter: vgl. Hor-
cher, Erot. II p. XV zu 4 54, 5. Vgl. auch Virg. Aen. V 508: oculos tetendit.),
£oT(&c statt irapeoT(6c? (s. Hercher p. VII zu 54, 4 4); ganz unverständlicL
endlich p. 435, 45: t^jv •yu'^atxa, t^jV eupov i^ TiXaTolai; TeTa^jx^vr^v (irXa-
Tc(au Dorville p. 642, welches sein soll = d^opaic. Abgesehen von dem
unverständlichen Plural, würde ja dies gar nicht der Situation entsprechen :
Kallirrhoä liegt ja in einem oXxrnia am Markte: 4 34, 5 ipptjAfxivv] %a\ tf^
Roh de, Der griechisch« Roman. 32
— 498 —
eigentlichen, über die Grenzen der Missbrancbe des spHtgriechi-
sehen Pseudoatticismus hinausgehenden Soloecismen. Auch hier
erkennt man seine ganze Art wieder , eine gewisse farMose,
lobenswUrdige aber wenig ergötzliche Mittelmässigkei4. IHe
Arbeit, welche ihm die Ausfeilung einer im Ganzen so rein-
lichen Sprechweise gekostet haben mag, drängt sieh nicht auf;
aber man spürt wohl die Erstarrung der lebendtgei^ Spraciie,
die Enge und Armuth eines mühselig hergestellten pfa^acspeDh^-
gisehen llausrathes an der vielfachen Wiederholung fertiger
Redewendungen und der ängstlichen Gleichförmigkeit der Phra-
sen ^) , welche der Kritik des stark verderbten, uns in einer
einzigen Handschrift überlieferten Textes eine nicht geringe
Stütze bietet, die Leetüre des Romans aber noch ganz besonders
eintönig macht.
7.
Zuletzt wenden wir uns der Betrachtung eines Liebesromans
zu, welcher, nach ganz besonderem Schema angelegt, wenigstens
für uns der einzige Vertreter einer eigenthümlichen Gattong
ist. Ich rede von des Longus Erzählung von Daphnis und
Chloö in vier Büchern. Den Verlauf dieser Erzählung zu ver-
gegenwärtigen möge der folgende Abriss des Inhalts genügen.
7isxaXu|A{Afvt) 137, IS. Nun redet freilich hier ein 2igyptischer Soldat : es ist
ungewiss, wie weit Chariton in der Charakterisirung des barbarischen
Griechisch gehen wollte [zu dem ich das sonderbare h otrXtp {Aä>.Xov 4 35, 89
rechne]. Der erforderliche Sinn ist wohl: die ich auf dem Erdboden ihis-
gestreckt fand. Vielleicht: £v TiXateioic dxTeTaji.i"vtjv [TCTafiivTf;v conj.
Dorville p. 642] »auf den Dielen des Fussbodens hingestreckt «c. rXTretov,
eine flache Tafel, bei Polybius VI 34, 8. 4 0).
1) Von dergleichen stereotypen Redewendungen hebe ich beispielsweise
hervor: jxöXi; xai t.nz iXt^ov (xai ßpa^^tu; u. ö.) : 15, 9. 87, 31. 34, 88.
35, 32. 38, 29. 31. 46, 9. 10. 55, 5. 58, 29. 65, 5. 66, 26 etc. -z^ &ctva
xaTeXafxßave rd^/ra 6{ao0: und dann ein Katalog verschiedener Empßndungefl
(ähnlich oR bei Xen. Ephes.): 16, 14. 54, 16. 58, 8. 80, 28. 99, 15. In
X^ovTo; auToO — : 18, 3. 27, 3. 7. 10. 54, 29. 57, 11. 75, 8. 99, 6. 184, 18.
128, 18. 131, 12. 137, 18. ^6(J6i cpiX^CijxSv ianv avÖpairo;, ^uasi eicXrtj
doTiv 6 £piö; u. dgl. S. Cobet, Mnem. VIII 254. ttäc av ti; fittj^i^aarto %vc
diias — 71, 7. 99, 10. 138, 21. 144, 26 u. s. w. Manches Andere derart
bat Horcher in der Vorrede zu seiner Ausgabe hervorgehoben (und für die
Heilung analoger Stellen benutzt).
— 499 —
Der Dichtei^, iA eihefti Hain der Nymphen auf Lesbos jagend,
sieht dort ein vielbewundertes GemUlde, voll erotischer Scenen.
Den Inhalt dieses GemHides breitet nun seine Romanerzählung aus. —
Auf dem Landgute eines reichen Mytilen'äers auf Lesbos findet
eines Tages dessen Ziegenhirt Lamon, eine verlorene Ziege suchend,
diese in einem Dickicht, wie sie einem kleinen Knäblein, welches
am Boden liegt, das Euter reicht. Er hebt den Knaben, sammt den
bei ihm liegenden kostbaren Erkennungszeichen, auf, und erzieht
ihn wie sein eignes Kind.
Zwei Jahre später findet der Schafhirt Dryas, in benaöhbarter
Gegend, in einer Nymphengrolte , ein von einem Schafe genährtes
kleines BlUdchen ; auch er nimmt den Findling , sammt den daneben
liegenden Erkennungszeichen, auf und erzieht ihn in seiner Hütte.
Als der Knabe 15, das Mädchen 13 Jahre alt geworden ist,
schicken, von den Nymphen durch Traumgesichter dazu ermahnt,
die Pflegeältem Beide, als Hirten der Ziegen und Schafe, zusammen
auf eine gemeinsame Flur. Gemeinsame Pflicht, gemeinsame Spiele
verbinden das Paar zur herzlichsten Freundschaft. Einst fällt Daphnis
in eine Wolfsgrube; Chloe, von einem Rinderhirten Dorko unter-
stützt, hilft ihm heraus. Als sie den Geretteten an der Quelle in
der Nymphengrotte abwäscht, regt sich zum ersten Male in ihr eine
Sehnsucht, der sie keinen Namen zu geben weiss. — Dorko hat
sich in Chloe verliebt ; bei einem Wettstreit um einen Kuss des
Mädchens trägt indessen Daphnis über ihn den Sieg davon. Nun
ergreift auch, durch den Kuss der Chloe erregt, den Daphnis ein
Verlangen, dessen Ziel und Namen er nicht kennt. Dorko seiner-
seits, mit einer Bewerbung um Chlot^ vom Dryas abgewiesen , ver-
sucht sie eines Abends an der Tränke , in eine Wolfshaut verhüllt,
zu überfallen ; da die Hirtenhunde die Verkleidung nicht respectiren,
kann er noch froh sein , vor ihren Bissen durch Chloe und Daphnis
errettet zu werden. — Der Sommer kommt heran; in Scherzen und
Tändeleien nährt sich in dem jungen Paare die wachsende Gluth.
— Da landen tyrische Seeräuber an dem Gestade, an welches die
Hirtenflur grenzt : mit andrer Beute schleppen sie den schönen
Daphnis auf ihr Schilf; vom Dorko, welcher an den Schlägen der
Räuber stirbt, erhält ChloÖ, welche um Hülfe zu ihm geeilt war,
eine Syrinx , auf welcher sie eine Weise bläst, bei deren Klang die
auf dem Räuberschiffe befindliche Heerde des Dorko mit Gewalt ins
Wasser springt, um ans Land zu schwimmen. Das Schiff schlägt
um ; die gepanzerten Räuber ertrinken, Daphnis rettet sich ans Land.
Gemeinsam begraben die Beiden den guten Dorko.
[Buch n.] Der Herbst kommt heran. Bei der ausgelassen fröhlichen
Traubenemte helfen Daphnis und Chloi^ ; bald aber kehren sie von dem
wilden Jauchzen der Weinlese zu ihrer heimlichen Hirlenflur zurück.
Ihrer unverstandenen Liebessehnsucht hilft ein alter Hirte, Philetas, ein
wenig nach, indem er ihnen erzählt, wie eines Morgens in seinem
32*
— 500 —
Garten Eros selbst, ein kleiner leicht beschwingter Götterknabe, ihm
begegnet sei und von Daphnis und Chloe als seinen auserwäblten
Lieblingen geredet habe. Von Philetas angeleitet, ergötzen sich die
Beiden in Küssen und langen Umarmungen. Diese erotischen Exer-
citien unterbricht ein fremdartiges Ereigniss. Reiche Jünglinge aus
Methymna waren, mit einem Schiffe am Ufer entlang fahrend, in die
Gegend der Flur gekommen. Während sie selbst am Lande der
Jagd nachgehen, hatte eine der Ziegen des Daphnis ein aus Weiden
geflochtenes Seil, an welchem das Schiff befestigt gewesen war, zer-
fressen; das Schiff war von den Wellen fortgetrieben worden.
Wüthend fallen die Methymn'aer über den Daphnis her; da aber
mit Lamon und Dryas noch andre Landleute, dem Daphnis zu Hülfe,
herbeikommen, wird in einem, von Philetas geleiteten Schiedsgericht
die Sache \ erhandelt. Da die Fremden dem, ihnen ungünstigen
Spruche des Philetas nicht Statt geben wollen, werden sie von den
Landleuten mit Gewalt verjagt. Zu Hause wissen sie aber das
Ganze als eine Gewaltlhat der Mytilenäer, in deren Gebiete die Flur
liegt, darzustellen; der Feldherr der Methymnäer fährt mit zehn
Schiffen aus und brandschatzt die mytilenUische Küste. Auch Chio?
wird von den Feinden geraubt. Den verzweifelnden Daphnis tröstet
im Traume der Zuspruch der Nymphen. Von ihnen angegangen,
erschreckt Pan durch furchtbare Erscheinungen die Feinde, bis sie
die Heerden und Chlol* selbst zurückgeben. Die frohe Gemeinschaft
der Hirten feiert die Wiedervereinigung durch ein lUndliches Fest
mit Schmaus, Flötenspiel und Tanz. Nach neuen Liebeständeleien
schwören Daphnis und ChloÜ einander feierlich ewige Treue.
'Buch 111.1 Die Fehde zwischen Methymna und Mytilene wird
bald beigelegt. — Der Winter kommt, und verschliesst Alles in die
engen Hütten. Daphnis, um ein Mittel, die Geliebte wiederzusehen^
verlegen, geht zu dem Gehöft des Dryas und fangt dort von den,
in dichten, epheuumrankten Myrtenbäumen nistenden Vögeln viele
auf seinen Leimnithen. Verzweifelt, da sich ihm kein Vorwand zum
Eintritt in das Haus darbieten will, ist er im Begriff wieder abzu-
ziehen: da tritt Dryas, einen räuberischen Hund verfolgend, aus der
Thüre, und lädt freudig den Jüngling zum Eintritt ein. Ein länd-
liches Mahl vereinigt die Familie; Daphnis, auch die Nacht über bei
den Freunden zu verweilen genöthigt, findet am andern Morgen
Gelegenheit, im Vorhause die Chloe aufs Neue seiner Liebe zu ver-
sichern. — Endlich kehrt der ersehnte Frühling zurück und ver-
einigt in verjüngter Liehe das Paar zu den alten sehnsüchtigen
Spielen auf der Wiese. Den Daphnis lehrt eine kecke Nachbarsfrau,
Lykainion, im Walde die kühneren Spiele des Eros kennen. Der
Chloe gegenüber hält er sich gleichwohl in den Grenzen harmloserer
Tändelei. — Allmählich stellen sich zahlreiche Freier um die schöne
Chloe ein; die Pflegeältem denken ernstlich daran, sie zu Ter-
heirathen: Daphnis, wegen seiner Armuth verzweifelt, wird im
— 501 —
Traume von den Nymphen angewiesen, am Meeresstrande einen
Beutel mit 3000 Drachmen aufzusuchen, welcher dort, aus dem
fortgetriebenen, dann gestrandeten Schiffe der Methymnäer ausge-
worfen , in der Nähe eines verwesenden Delphines liege. Er findet
das Geld und bringt nun als reicher Mann seine Bewerbung beim
Dryas an. Der verspricht ihm die Hand des Mädchens, einigt sich
mit dem Lamon (welcher von den 3000 Drachmen nichts erfährt) ;
man will nur die Zustimmung des gemeinsamen Herrn erwarten.
Glückselig eilt Daphnis zu Chloi^; ein süssduftender Apfel, den er
ihr vom höchsten Wipfel des Baumes heruiiterholt , ist ihr Braut-
geschenk.
[Buch IV.] Gegen Ende des Sommers wird den Gutsleuten die
bevorstehende Ankunft ihres Herren, des reichen Mytilenäers Diony-
sophanes gemeldet. Lamon rüstet für seine Ankunft namentlich einen
herrlichen, hoch gelegenen Garten zu; zum Possen für ihn und
Daphnis vernichtet aber heimlich, in einer Nacht, ein abgewiesener
Freier der GhloS, Lampis, die schon gepflegten Blumenpflanzungen. Des
Dionysopbanes vorangeeilter Sohn, Astylus, erlässt den Geängstigten
die Strafe für diese unverschuldete Verwüstung. Bald kommt auch,
mit grossem Gefolge und seiner Gattin Klearista, Dionysopbanes
selbst. Gnathon, der Parasit des Astylus, bittet sich von diesem
den Daphnis, der seine schaamlosen Anträge kräftig zurückgestossen
hatte, zum Geschenk aus; ihm zu Gefallen erbittet sich Astylus den
schönen Hirten zu seiner eignen Bedienung. Da imn die Gefahr
droht, dass Daphnis als Sclave in die Stadt geführt werde, erzählt
endlich Lamon, dass er gar nicht dessen ächter Vater sei; wie er
ihn gefunden; welche Erkennungszeichen er bei ihm angetroffen
habe. An den vorgewiesenen Erkennungszeichen entdecken Dionyso-
pbanes und Klearista, dass Daphnis ihr eignes Kind, das vierte ihrer
Kinder sei, welches sie aus Besorgniss um Zersplitterung des Ver-
mögens ausgesetzt hatten. Astylus erkennt mit Freuden seinen
Bruder an, den nun, da die andern zwei Kinder gestorben sind, die
Eltern freudig aufnehmen. ChloS, welche, in der Einsamkeit
trauernd, sich von Daphnis vergessen glaubt, wird von Lampis
gewaltsam entführt: aber Gnathon, um sich beim Daphnis wieder
in Gunst zu setzen, jagt, von andern Dienern des Astylus unter-
stützt , dem Lampis und seinen Genossen die schöne Beute alsbald
wieder ab. Nun erzählt auch Dryas dem Herrn, wie er die Chloe
einst aufgefunden habe. Dionysopbanes willigt in die Heirath des
Daphnis und der Chloe; sie fahren sämmtlich in die Stadt; und bei
einem Gastmahle, welches Dionysopbanes, von den Nymphen im
Traume ermahnt, den vornehmsten Mytilenäern giebt, erkennt die
herumgezeigten Erkennungszeichen der Chloi^ der reiche Megakles
als die einst von ihm, in Zeiten grosser Arrauth, mit einem Töch-
terchen ausgesetzten Dinge wieder. Da nun auch Chloe ihren rech-
ten Vater wiedergefunden hat, wird die frohe Hochzeit gefeiert,
— 502 —
aber eine ländliche Hochzeit, vor der geliebten Nymphengrotie ; denit
so hatten es Daphnis und Chloe gewünscht. Glücklich verbunden,
verbringt nun das Paar sein ganzes Leben »in Hirtenweise«, auf
dem Lande, in idyllischer Genügsamkeit.
Ueber Zeit und Heimath des völlig unbekannten Longus
wUre jede Vermuthung zu viel. Diesem Erotiker seine ricblige
Stelle anzuweisen ist uns nicht einmal, wie doch bei den
übrigen bis hierher betrachteten Romanschreibem, seine Ab-
hängigkeit von früheren Gliedern dieser, durch stete Nach-
ahmung untereinander verbundenen Kette von So|)his(en behttlf-
lieh. Der besondere Charakter seiner Erzählung erlaubte ihm
nicht, bei den so wesentlich verschiedenartigen Abenteuer-
romanen seiner Zunftgenossen erhebliche Anleihen zu macben;
wo er seine Motive nicht selbst erfindet, bildet er sie viel
alteren Rukolikern, dem Theokrit u. A. nach^). loh glaube^
dass er auch aus den Briefen des Alciphron Einzelnes entlehnt
habc^]; aber mit dieser Beobachtung ist nichts weiter bestätigt
als was ohnehin kein Vernünftiger bezweifein würde, nämlich
dass unser Sophist nach dem Ausgang des zweiten Jahrhunderts
[in welches man den Alciphron, als einen Zeitgenossen des Lu-
cian^), ungefähr zu versetzen berechtigt ist) gelebt habe. An-
dererseils gewinnen wir nichts durch die Thatsache, dass ein
Scribent des zwölften Jahrhunderts, Nicetas Eugenianus, auf
den llirtenroman des Longus ausdrücklich anspielt 4) : denn es
bedarf keines besondem Beweises dafür, dass derselbe nicht
1) Vgl. Loogus p. 246, IS (ed. Hercher) mit Tbeocrit I 52 f.; Longus
265, 27 mit Theocrit XV 422; Longus 266, 27 mit Tbeocrit XI 4 ff. ; Lon-
gus III 4 3, 4 IT. mit Theocrit I 87; auch Longus 255, 23 mit Theocrit I 4
;s. dort Fritzsche. Vgl. auch die Phnise bei Demetrius de eloc. Sp. Rbet.
III 303, 4 4); mit Longus II 4 — 6 Manches in des Mosebus 'Epo; opaTrhr^;;
mit Longus 252, 20 Mosch. 2, 27.
2) Es Hndet sich bei Alciphron wiederholt z. B. die Scene vom Vogel-
fang im Winter: Longus HI 5 IT., Alciphr. III 30; die auf das Syrinxspiel
des Hirten lauschenden Ziegen: Longus IV 15 u. ö., Alciphr. HI 42; der
scurrile Einfall des Schmarotzers, sich vor dem Selbstmord erst noch ge-
hörig den Bauch füllen zu wollen: Longus p. 34 3, 26, Alciphr. 111 49 § 3.
3] Für einen solchen darf man ihn halten wegen der Vereinigung der
beiden Namen bei Aristaenelus I 22: Aouxtavö; 'AXx(^povi.
4} NiceUs Eug. VI 439—450.
— 503 —
nach dem letzten Ausgange der classisch sich gebärdenden So-
phistik, also nicht nach der ersten Hälfte des sechsten Jahr-
hunderts geschrieben haben könne. Stehen uns somit, um die
Lebenszeit des Longus uns irgendwann genauer fixirt zu den-
ken, das dritte, vierte und fünfte Jahrhundert zu unentschie-
dener Wahl ofien, so mag es wohl nur ein wenig beweisendes
persönliches Gefühl sein, welches mir, bei einer Vergleichung
des Longus mit dem Achilles Tatius, Jenen als des Andern
Vorbild in stilistischer Manier erscheinen lüsst, und es mir sehr
glaubhaft macht, dass Achilles dem LoDgus auch in manchen
einzelnen Motiven, z. B. der sonderbaren Einleitung der ganzen
Erzählung durch des Autors Bewunderung einer bildlichen, auf
die Abenteuer des Romans hier unmittelbar, dort symbolisch
hinweisenden Darstellung, der ambitiösen Beschreibung eines
Ziergartens u. s. w. nachgeeifert habe^). An sich wenigstens
enthalt der Hirtenroman des Longus nichts, was ihn unter die
Zeit des Achilles herunterzudrücken geeignet wäre.
J)ie Heimath dieses Schriftstellers ist ziemlich gleichgültig;
es scheint übrigens, als ob er auf der Insel Lesbos einige Orts-
kenntnisse besitze 2).
Auf keinen Fall geben uns die Yerschreibungen des Namens
dieses Sophisten in einigen Handschriften genügende Veran-
lassung, an der Richtigkeit der in andern Handschriften deut-
lich überlieferten Benennung desselben zu zweifeln 3). Der
1) Mnn vgl. auch die Einflechtung der Sage von Pan und Syrinx bei
Acb. Tat. VIII 6, 7 IT. wie bei Longus II 34. Auch der nicht unwirksame
Eingang von einer prächtigen Stadt aus (Ach. Tat. 1 4) wiederholt sich
wohl nicht zufällig bei Longus I i.
2) Anschauliche Beschreibung der Stadt Mytilene (wie eines lesbischen
Venedig) l 1. Niedriger Wuchs der Trauben auf Lesbos IM, 4 (vgl. Plehn,
Lesbiaca p. 7).
3) Im Vaticanus steht der richtige Name A^^fou (roijAevixcuv töjn xaxÄ
Ad^Ntv %at XXÖTjN) ; in der einzigen vollständigen Hs., dem cd. der Abbadia
di Firenze, n. 2728 (in der Laurentiana) soll, nach Courier, am Anfang und
Schluss des Ganzen zu lesen sein: A670U iroijjicvixwv — . Cobets Collation
der Hs., welche Hirschig miltheilt, schweigt hierüber; wie viel Couriers
Collationen taugen, lehrt aber Cobets Nach vergleichung desselben Florentinus
an vielen Stellen (s. Cobets Var. Lect. 4 72 ff., wo auch die schaamlosen
Verläumdungen des Courier gegen del Furia zuerst gründlich aufgedeckt
sind). Aber auch wenn dieses Aöfou wirklich in der Hs. steht, bleibt die
vielfach mit Beifall aufgenommene (von Jacobs p. 6 seiner Uebersetzung des
— 504 —
lateinische Name dieses griechisch schreibenden Rhetors befrem-
det doch um nichts mehr als die völlig analogen Namen andrer
griechischer Sophisten, des Celer, Niger u. s. w. Am Aller-
wenigsten kann ein Kenner dieser ganzen Litteraturgattung an
der Zugehörigkeit des Longus zu dem Kreise sophistisch-rheto-
rischer Fabulisten zweifeln. Mag auch, wie man versichert,
der Beiname des )> Sophisten « , welchen Jungermann, einer der
ältesten Herausgeber des Romans (i 605) , dem Verfasser des-
selben beigelegt hat, in keiner Handschrift sich wiederfinden ^) :
das ganze Wesen dieser Hirtengeschichte gab, auch ohne alle
äussere Bestätigung, zu dieser Benennung das ausreichendste
Recht. Das ganze Unternehmen des Longus, das Hirtenleben,
dessen einfache Freuden und Leiden, zum Hintergrund eines
erotischen Romanes zu machen, begreift sich überhaupt nur aus
der eigensten Art, aus gewissen eigenthtlmlichen Studien der
zweiten Sophistik. Es mag wohl der Mtlhe lohnen, in kurzer
Betrachtung verstandlicher zu machen, wie ein, in den uns
erhaltenen Ueberresten antiker Litteratur so völlig singuläres
Unternehmen durch verw^andte Bestrebungen älterer Zeiten all-
mählich vorbereitet wurde.
Die Liebe zum Landleben ist alt unter den Griechen, auch
in mannichfaltigen Seufzern der in ihre engen Mauern einge-
zwängten Städter schon in frtlher Zeit (z. B. beim Aristophanes]
laut geworden. Einen sehnstlchtigen und, wüewohl nur ganz
leise anklingenden, sentimentalen Ton Qimmt diese Liebe zur
ländlichen Natur und Lebensweise erst in der hellenistischen
Zeit an, in welcher das anspruchsvolle Treiben der Stadt deren
Angehörige um so fester halten mochte, je weniger es doch,
bei dem Verfall des altgriechischen Begriffes der ttoXi;, das
innere Leben derselben ganz auszufüllen und wie aus einem
lebengebenden Mittelpuncte zu bestimmen vermochte. Nun
hören wir, in den Lustspielen der »neuen Komoedie« immer
wiederholt den Preis des »Landes«, seiner Ruhe und friedlichen
Longus kurz abgewiesene) Vorstellung Schölls (G. d. gr. Litt. III 460 der
Uebers.}, wonach dieses A670U 7:oi[X6^(xd)v irrthümlich aus Ilotficvtxttiv Xofoc
ÖL ß u. s. w. entstanden sein soll, ein nach jeder Richtung monströser
Einfall.
1) So Villoison vor seiner Ausgabe des Longus (Paris 4 778) p. III.
— 505 —
EiDsamkeit ^] ; nun suchten die Philosophen die Stille des »natur-
gemässen« Lebens in einsamen Gerten, dergleichen die Peri-
patetiker, die Platoniker, die Epikureer besassen; nun redet
aus den absichtsvolleren Naturbeschreibungen, wie sie, in
Wechselwirkung wohl mit der allmählich sieh selbständiger ent-
faltenden Genre- und Landschaftsmalerei, die Poeten der helle-
nistischen Jahrhunderte ausfuhren, eine inniger hingegebene
Vertiefung in das Leben und Weben der »Natur«, als sie den
älteren Griechen, welchen alles Gute vom Menschen kam und
zum Menschen ging, natürlich gewesen war. Hierüber ist nach
der berühmten Darstellung Humboldts und einigen an die seinige
angeschlossenen neueren Untersuchungen nichts weiter zu sagen
nOthig.
Ganz der besondern Richtung entsprechend, welche das
Naturgefühl der Alten stets innehielt, befriedigte sich nun die
Liebe zur ländlichen Natur weit mehr als in einer sentimental
empfundenen Verherrlichung der freien, völlig sich selbst über-
lassenen Natur, in einer Darstellung des Menschen in der
reinen Stille eines froh beschränkten Lebens in und mit der
ländlichen Natur. So in die Empfindung des Menschen selbst
hineingezogen, drängt sich das innigere Gefühl des Naturlebens
zwar nicht, wie etwas Selbständiges, auf in den Idyllien des
Theokrit, aber es lebt in seinen Gestalten, denen die wonnige
Ruhe, die einfachen Willensregungen ihres Innern zufliessen
aus der umgebenden Natur, in deren Leben und Sein ihr eignes
Leben unlöslich verflochten ist. Diese eigenthümliche Weise
des Naturgefühls musste nothwendig, statt in einer rein lyrischen
Ergiessung, in einer bald mehr dramatischen, bald epischen
1) Vgl. z. B. Menandcr 'YSp(a fr. I (IV 207): a>; rfii) tcJi jxiooyvrt tov/;
cpa6Xou; Tp67:o*j; IpTjfjiia %ol\ tw {jLeXrc&vri iirfik Iv rovr^pov, Ixaviv xrfjjx d-ypo;
t^i^ois xaXöj; xtX. Vgl. ferner Menander, fr. com. IV 194 (VII); 273
(CLXXIV); 289 (CCLIV) ; Philemon ibid IV 44 (XXVIII) : auch Amphis ibid.
III 808; Alexis III 518 iXXXlI) etc. — Aehnliche Lobpreisungen ländlicher
Genügsamkeit aus alexandrinischen Kunstgedichten mögen uns durch ver-
wandte Ergiessungen des Properz Tibull u. a. römischer Dichter (Einiges
bei Friedländer, Darst. a. d. Sitteng. Roms IP 189 f.) vertreten werden. —
tj fcoopYix*^ oixaiot: Aristoteles oeconom. 1343a, 28. Bemerkenswerth ist
auch, wie Agatharebides (de mari rubro § 49 p. 140 Müll.), im vollen
Ueberdruss an künstlicher Cultur, sogar die glücklichen Naturzustände der
armseligen Ichthyophagen preist.
— 506 —
Gestaltufig sich zu verkörpern streben. Von der ersten Art
mögen, ausser manchen Idyllien des Theokrit, auch einige Dithy-
ramben der sputern Zeit^) gewesen sein. Wie sich in die
Epyllien der hellenistischen Zeit ein starker Zug zur Darstellung
des idyllischen Stilllebens einer märchenhaften Vorwelt ein-
drängte, ist oben mehrfach hervorgehoben worden. Wir haben
einen verwandten Trieb in jenen »sentimentalen Idyllen« ein-
zelner philosophischer Dichter wahrgenommen, in denen ein
enger Verkehr der Menschen mit einer milden Natur einen
wesentlichen Bestandtheil ausmachte. Entschiedener als bei
diesen Philosophen löste ein epischer Zug die Schilderuag des
Zustündlichen in eine Reihe idyllischer Vorgänge auf in solchen
Dichtungen wie der vielbewunderten und, in verwandten Dar-
stellungen, vielfach nachgeahmten »Hekale« des Kalliraachus^) ;
1] Z. B. solche gew. Mss bukolische Dithyramben wie der Polyphem
des Philoxeiius, jene oben p. H2 A. 2 erwähnte erotische Hirtengeschichte in
einem Dithyramb des Lycophronides.
2) Nachahmungen der idyllischen Scenen in der Hütte der, den Theseus
bewirthenden Hekale sind jene nahe verwandten Erzählungen von der Eiii<r
kehr wandernder Götter in die Hütte eines Sterblichen, wie sie oamenllicb
Nonnus auszuführen liebt. S. die Beispiele bei Naeke, Opusc. II H8. 421 f.
Vgl. noch: Bacchus in Tyrus: Achill. Tat. II 2. Auf ein wenig bekanntes
Beispiel solcher Götterbewirthung spielt Nonnus an, Dion. XVIII 85 IT.:
Zfjva xotl 'Ai:«iXXa>va jxitq (st^tooc x^ani^ri ♦ ♦ » * xal <I>XcYua« ^rt ndvto«
dvepp(^cuoe ilaXdaoiQ vfjoov CXt^v Tptö^ovrt 6ia(}pif)^a; 'Evoot^dipv , dfA^T^pat
[so, nicht d|ji^oTipo'j;, die Hss.] i^dikait xal o'j TipVjvi^e xpiaiv^. Es fehlt die
Hauptsache f die Namen der beiden Weiber (djAcpoTipac 38) welche Zeus
und Apollo bewirthcl zu haben scheinen. Den Namen der Einen bewahren
indessen die Hss. Denn statt Tpotr^CY) (welches nur eine Erfindung Faicken-
burgs ist) bieten sie* [xax^XXcu. Als Appellativ gefasst ist dies freilieb,
wie Köchly, Nonii. I p. LXXV sagt, eine »monströse vox«, aber es ist ein
Eigenname: MaxeXXdd. Makcllo ist eine freilich sehr obscure Gestalt ge-
lehrter hellenistischer Dichtung. Bei Schol. Ovid. Ibis 473 liest man: Ni-
cander dicit, Macelon (iliam Damonis cum [hier fehlt, denke ich, die
Zahl der Schwestern der Macelo: etwa II oder III, welche ZifTern hinter
dem m von cum leicht ausfallen konnten] sororibus fuisse. barum hospitio
Juppiter susceplus, cum Thelonios, quorum hie Damo princeps erat, cor-
rumpentes venenis successus omnium fructuum fulmine interficeret, servavit
eas. sed Macelo cum viro propter viri nequitiam periit u. s. w. Hier
haben wir eine Macelo, welche den Zeus gastlich aufnimmt und deren
Stamm vernichtet wird: können wir zweifeln, dass diese identisch ist mit
der MaxeXX(6 des Nonnus? Wie es scheint, folgte Nicander einer, an das Ge-
schlecht der Euxantiaden in Milet angeknüpften, nach Milet wetsendeo Ort-
— 507 —
in mancherlei kleinen Uirtenromanen, wie sie Hermesianax und
andere poetisclie £rzahier der hellenistischen Zeit ausbildeten:
statt aller mag die älteste, am Frühesten künstlerisch gestaltete,
am Weitesten berühmte Sage vom schönen Hirten Daphnis
sage: vgl. 0. Schneiders Nach Weisungen über diese Euxantiaden, Nicandrea
p. 4 33 f.; Callimachea II p. 659 f. Ob bereits Jemand jene nicandrische
Erzählung zur Aufhellung der Verse des Nonnus benutzt habe, weiss ich
gegenwärtig, da zur Zeit mir, ausser Köchlys Ausgabe, keinerlei kritische
Hülfsmittel für Nonnus zu Gebote stehen, nicht zu sagen. Folgt nun
übrigens Nonnus dem Nicander? Bei diesem kommt gerade 2^akelo um,
bei Nonnus könnte gerade sie, mit noch einem Weibe, dem allgemeinen
Untergang entkommen zu sein scheinen. Bei Nicander ist Macelo die
Tochter des Dämon, Königs der tückischen »Thelonii«. Wer mögen diese
»Thelonii« sein? 0. Schneider weiss keinen Rath; ich denke aber, es sind
keine Anderen, als die wohlbekannten Teichinen, etwa in der abgeleite-
ten Form TcX^tvioi (vgl. Steph. Byz. s. TeX^U und s. 2ixu(6v.). [Oder Bth-
ftvtoi, von BeX^Ne;?]. Denn von den Telcbinen wird ja ganz ähnlich wie
hier von den »Thelonii« berichtet, dass sie die Feldfrüchte (durch darauf
gesprengtes Styxwasser) verdorben hätten,* Nonnus D. XIV 46 ff. u. A. ;
s. Lobeck, Aglaoph. i^9^ f.; 119S. Gleich den »Thelonii« werden die Tel-
cbinen vernichtet, entweder von Zeus (Ovid. Met. Vil 365 ff.) oder von
Apollo (Servius ad Aen. IV 377). Nicander nun hatte gedichtet, wie dem
Untergang der übrigen Teichinen einige wenige Töchter des Königs Dämon
(Dam-nameneus als Herrscher der Teichinen : Nonnus XIV 38) entrannen,
welche vorher den Zeus gastlich bewirthet hatten, in einer Scene, die man
sich nach Art der so nahe verwandten Erzählung von Philemon und Baucis
bei Ovid (met. VIll 617 ff.) ausgeführt denken mag. So Nicander. Der
Autor, welchem Nonnus folgte, verlegt, wie es scheinen könnte, die Scene,
und auch die Person der MaxeXXcu, zu den Phlegyern, welche ja, nach
bekannten Sagen, durch Zeus oder Apollo eine ganz ähnliche Vernichtung
erfuhren, wie die Telcbinen. Verwunderlicher Weise sitzen aber des Non-
nus Phlegyer auf einer Insel (vfjoo; 87) und werden von Poseidon ver-
tilgt. Hierin folgt Nonnus ohne Zweifel dem Euphorien, welcher, soweit
mir bekannt, ganz allein eiii Gleiches von den Phlegyern berichtet: siehe
Servius ad Aen. VI 618 (Euph. fr. CLV p. 154 Mein.). Ob Nonnus auch in
der vorausgehenden Sage von der Bewirthung des Zeus und Apollo bei der
.Makello dem Euphorien folgte? Alles genau betrachtet, glaube ich das
nicht: vor Allem, wenn Zeus und Apoll kurz vor der Katastrophe die
Phlegyer besucht hätten, warum bestraften dann nicht sie selbst, sondern
Poseidon die Frevler? Kurz, ich denke, Nonnus spielte zuerst auf die von
Nicander erzählte Sage von der Makello und den Telcbinen an, und dann
erst auf die, von Euphorien berichtete Sage von der Vernichtung der
Phlegyer, welcher übrigens, dem Zusammenhang nach, jedenfalls auch eine
Bewirthung eines Gottes (etwa des Poseidon selbst?) bei zwei guten Weibern
vorangegangen sein muss ; welche Weiber (dfMpotipac 38) eben darum am
— 508 —
geDannt werden. Mit ausgesprochener Absichtlichkeit ^] benennt
Longus seinen verliebten Hirten nach diesem Urbild der Gattung.
Die sophistische Rhetorik nun nahm, in ihrer Weise,
diese Art der Naturpoesie in den Kreis ihrer eignen prosaischen
Dichtung auf. Ein sehnsüchtiger Zug zur Ruhe der Natur war
der immer mtlder werdenden Zeit wohl wirklich natürlich : er
äussert sich z. B. in Lobpreisungen ländlicher Einfachheit bei
einigen Popularphilosophen^). Die sophistische Kunst liebte
sowohl landschaftliche Schilderungen, bald selbständig, wie in
Aelians (wohl alteren Mustern nachgebildeter] Schilderung des
Thaies Tempe ^j , bald als aufdringliche Decoration eines patheti-
schen Vorganges^), als auch die Darstellung menschlichen Lebens
in einfach ländlicher Natur. Diese letztere Art idyllischer Dar-
stellung findet man, wunderlicher Weise in die Form brieflicher
Mittheilung verkleidet, in Aelians Bauernbriefen und in einigen
Briefen des Alciphron ausgeführt^). Man erinnere sich auch
Leben erhalten wurden. Die Lücke zwischen Vs. 35 und 86 hat den
ßchluss der Erzählung des Nicander und den Anfang derjenigen des Eu-
phorion verschlungen. — Als Probe solcher idyllischen Erzählungen von
Bewirthung wandernder Götter muss uns die Ovidische von Philemon und
Baucis dienen. Diese mag wohl in neueren Volkssagen mehrfach einfach
nachgeahmt sein (so, denke ich, in der schweizer Sage bei Grimm, D.
Sagen N. 45, I p. 57 f.) ; aber die grosse Fülle aller, vor aller Bekannt-
schaft mit Ovid entstandener und ausgebildeter Sagen von Bewirthung wan-
dernder Götter lässt nicht bezweifeln, dass diese, in alexandriniscber Zeit
so gerne hervorgezogenen behaglichen Sagen zu dem ältesten Schatz ge-
meinsamer indogermanischer Mythenbildung gehören. S. namentlich
J. Grimms Sammlungen, D. Myth. 8. Ausg. p. XXXIV— XXXVUI. Vgl.
noch Benfey, Pantschat. I 497.
1) Vgl. Longus p. 243, 9. 40.
2) Man vgl. beispielsweise den Preis des Landlebens bei Musonius,
Stob. flor. LVI 18; die Schilderung der idyllischen Lebensweise in der
cyrenäischen Abgeschiedenheit bei Synesius epist. 4 48 (p. 784 ff. Hercher;.
3) Aelian Var. bist. III 4. Vorbild vielleicht eine berühmte Beschrei-
bung von Tempe im neunten Buche der Philippica des Theopomp: fr. 83.
84 Ml. Auch von Dio Chrysostomus gab es eine, in sophistisch ge-
schmückter Rede ausgeführte Beschreibung von Tempe: t) t&v TejAitöv
^pdoi; (= Ixcppaot;) : Synesius, Dio p. 824, 7 Dind.
4} Vgl. den Spott des Plutarch über diese obligat gewordene Ausmalung
des landschaftlichen Hintergrundes bei erotischen Erzählungen: Amator. 4:
5) Auch der Sophist Melesermus schrieb u. A. ein Buch iTcivroXövv
— 509 —
der oben bereits berührten Liebhaberei für rhetorische Schil-
derungen der Jahreszeiten und des Lebens der Pflanzen ^) ; man
führe sich eine, aus der splitesten Zeit der Sophistik erhaltene
Studie des Ghoricius von Gaza vor, in welcher die Empfindungen
eines Hirten beim endlichen Eintritt des Frühlings nach langer
Wintersnoth ausgesprochen werden^) : und man wird sich bereits
sehr nahe an den Standpunct unsres Longus herangeführt sehen.
Vielleicht doch einige Einflüsse solcher sophistischer Modeschrift-
stellerei wirkten mit jedenfalls viel machtigeren und tieferen
Antrieben einer, an philosophischen Studien genährten schmerz-
lichen Sehnsucht nach der reinen Natur zusammen , . um den
Die Chrysostomus zur Ausbildung einer ächten idyllischen
Novelle zu bewegen, wie sie in der, bereits im Alterthum mit
Recht vielbewunderten »euböischen Rede oder dem Jäger« dieses
philosophischen Rhetors vorliegt 3). Dio erzählt darin, wie er
einst, an der Küste von Euböa gestrandet, mit einem Jäger zu-
sammen getroffen, und von diesem nach seiner Hütte geleitet
worden sei. Unterwegs erzählt der Jäger seine Geschichte.
Er lebt, mit seinem Bruder zusammen,. in den Bergen in ein-
fachsten Verhältnissen. Ein einziges Mal ist er in die Stadt
gezogen, um Pacht für das von ihm bewirthschaftete Staatsland
zu zahlen. Man will ihn festhalten ; das Volk, im Theater ver-
sammelt, beräth über sein Schicksal; zuletzt wird er auf das
Zeugniss eines, von ihm einst gastlich aufgenommenen Bürgers
entlassen. Man kommt zur Hütte des Jägers. Ein einfaches
Mahl vereinigt die Familien der beiden Brüder; harmlose Scherze
dYpoixtxwv (Suid.). Verwandten Charakters wohl auch des Sophisten Ni-
costratus daXarro'jpYol (Suid.).
1) S. p. 335 A. 4.
2) 'HÖOTToita roifji^voc. xbo« av cizoi X6f ou; iroijxYjv , ix ocpoSporipou yei-
fjifovo; £apo; diriXotfArovro;. Diese Ethopoeie wird (mit einem noch bei
mehreren Rhetorensiücken dieser Gazaeischen Schule vorkommenden
Zweifel) in einer Vaticanischen Hs. dem Ghoricius, in einer Pariser dem
Procopius von Gaza zugeschrieben. S. Ghoricius ed. Boissonade p. 484 —
4 89. Vieles erinnert hier lebhaft an Longus, nur ist Alles viel steifer und
starrer ausgefallen. Aus einer ähnlichen Frühlingsbetrachtung des^ Ghoricius
auch p. 284 ß'.
3) Eußoixö; ^ Kuv7]Y<5;: orat. VII (6 E6ßo£6;: Philostr. V. S. p. 7, 4 6).
Schönes Lob dieser Rede bei Synesius, Dio p. 822, 25 ff, Dind. (p. 38. 39
Pelav.).
— 510 —
enthüllen dem Gast die LieT)e des Sohnes seines Wirthes zn der
Tochter des Bruders. Zuletzt verbindet ein ländliches Hoch-
zeitfest das junge Paar. »Und ich musste diese Menschen glück-
lich preisen« (so fasst Dio seine Erzählung zusammen) »und ihr
Leben für das seligste halten von allen Menschen, die ich
kannte «*). — Dieses Alles ist in schlichtester hertslichster Weise
dargestellt, ohne alle kokette Phrase, mit der Anschaulichkeit
des innerlich Erlebten. Man spürt wohl, das$ wenigstens in
diesem einen ernsten Menschen es ein wahrhaftiges Bedürfniss
war, welches ihn in der Wüste einer abgestorbenen Cfvilisalion
eine reine Quelle aufzusuchen trieb, an welcher er, dem hohlen
Gelehrtenwesen seiner Zeit und der, an der zerfallenen Pracht
jener euböischen Stadt so lebendig vefsinnlichten freudlos ge-
schäftigen Nichtigkeit des Stadtlebens entflohen, einen tiefen Zug
des Trostes und der Hoffnung thun könne ^j. —
Nach so mannichfaltigen älteren Ansätzen zu einer prosaischen
Poesie idyllischer Schilderung und Erzählung war es, von Seiten
eines Sophisten, kein allzu grosses Wagniss, solche einzelne
Bilder, wie man sie bis dahin ausgeführt hatte, durch eine
erotische Fabel zu einem Ganzen, einem idyllischen Romane zu
verbinden. Ob auch nur die Verflechtung idyllischer Einzel-
scenen zum einheitlichen »Drama« eine absolute Neuerung des
Longus war, mag zweifelhaft werden, wenn man bemerkt, wie
in der Einleitung der Dichter mit keinem Worte sein Unter-
nehmen als ein neues, zum ersten Male gewagtes, preist oder
entschuldigt. Für uns ist dieser Hirtenroman auf jeden Fall
der erste und einzige Vertreter einer, auf dem Boden altgrie-
chischer Cultur erwachsenen prosaischen Erzählungskünst, welche
1} p. 244 R. init.
2) Im Gegensätze zu dem rüstigen Jäger wird die, einer Krankheit
öhnliche lo/vörr^; der stödtisclien Gelehrten hervorgehoben: p. HO, 26 Diod.
— Wie ernstlich diese Sehnsucht nach gesunder Natur, der Widerwille
gegen die überlebte Civilisation seiner Zeit dem Dio eingeprägt ist, wird
keinem Kenner seiner Schriften unbekannt sein. Ich nur will t>eilöufig noch
daran erinnern, dass er in ähnlicher Stimmung auch die weltflüchtigen,
am todten Meer »eine ganze Stadt der Glückseligkeit« bewohnenden Essener
gepriesen hatte: Synesius Dio p. 323, 26 fT. Dd. Als er den Peloponaes
durchstreifte, hielt er sich von den Städten fern, verkehrte vielmehr auf
dem Lande mit Hirten und Jägern, ^^'^vaioi; te xai dTrXoTc fj^eaiv: or. I
p. 60 R.
— 511 —
die Erlebnisse eines jugendlichen Mensehenpaares fast nur wie
eine letzte Steigerung des Lebens einer sympathischen Natur
bebandelt, aus welcher diese Menschen so nothwendig bedingt
emporwachsen, dass ohne diesen Untergrund der Natur sie so
wenig Leben und selbständigen Inhalt haben könnten , wie die
Blüthe ohne Wurzel und ohne nHhrenden Boden. Dieses junge
Hirtenpaar trägt nicht nur die Farbe der wechselnden Zeiten
und Zustände der umgebenden Natur; ohne diese landscbaft-
liehen Umgebungen wäre es gar nicht vorstellbar. Kein Gedicht
des sinkenden Alterthums mag uns also gleich lehrreich die be-
sondere Art der Naturempfindung der nachclassischen Periode
grrechischer Bildung in seiner Begrenzung vor Augen führei^.
Stets blieb die Hingebung des Griechen an die stumme Natur
eine sehr viel gelassenere als die des modernen Naturschwäi^-
mers. Dieser sucht in der Natur ein Etwas, welches nicht der
Mensch sei, und dessen Anblick ebendarum ihn ganz von sich
selber befreit ; ihn begeistert die unmittelbare Empfindung eines
schrankenlos mächtigen Lebens, dessen Offenbarungen aus der
stumm beredten Natur zu ihm reden und raunen wie das
a^nungsreieh vieldeutige Brausen und Klingen der Aeolsharfe.
Sein NaturgefUhl hat einen pantheistischen Grundzug, eine
wesentlich musikalische Wirkung. Das antike NaturgefUhl blieb
stets, was es ursprtlnglich war, polytheistisch und plastisch.
Auch der späte Grieche sucht in der Natur wohl, statt der Ver-
wirrung der Menschenwelt eine ewig in gleichem Maasse bewegte
Harmonie, statt des hastigen Getümmels der Stadt die beschau-
liche Andacht auf stiller Fljur; aber er weiss nichts von der
gänzlichen Entrückung aus der Menschenweit durch die Ueber-
macht eines gewaltigeren Lebens in der nach eignen grossen
Gesetzen wirkenden Natur. Die erhabenen Schauer des finster
brandenden Meeres, des Urwaldes, des schweigenden Felsen-
gebirges, der »seligen Oede auf sonniger Höh'« würde er nie
empfunden haben. Die düstre Poesie eines Ruysdaelschen
Bildes hätte ihm nichts gesagt. Er sucht gar nicht die stolze
W^ildheil der gänzlich freien Natur, sondern eine gewisser
Maassen rationale Natur, vom Mensehen gebändigt, gesänftigl,
gebildet, ist es, in der er Ruhe und sanfte Erquickung auf-
sucht. Wenn er einmal der eivilisirten MeUvSchenwelt und ihrer
Qual zu entfliehen wünscht, so versetzt er sich und eine ideale
— 512 —
Menschheit doch höchstens in eine freiwillig milde Natur, welche
des Menschen nicht bedürfte, um von selbst zum Kunstwerk
sich zu gestalten. Wir wollen uns nur, aus unsem Betrach-
tungen im zweiten Abschnitte dieses Buches, des Hintergrundes
erinnern, auf welchen Jambulus und verwandte Fabulisten ihre
Utopien stellten. Das Ideal dieser Art der Naturempfindung ist
die Natur als Garten. Bezeichnend ist es, dass die liebevolle
Betrachtung der Natur bei spütgriechischen Autoren, wenn sie
sich einmal recht ergehen will, zumeist in die farbenreiche
Schilderung eines Lustgartens ausläuft, dergleichen wir aus
sophistischer Zeit eine ziemliche Anzahl besitzen*). Bezeich-
nend ist aber auch die Art der hier beschriebenen Gärten.
Stets wiederholt sich Ein Typus, welcher auch auf den Resten
antiker Landschaftsmalerei wiederkehrt ^j und, wohl einlach der
Wirklichkeit nachgebildet 3) , uns hinreichend deutlich macht, in
welchem Sinne diese Zeit die freie Natur zum Kunstwerke um-
zudichten liebte. Dieser Gartentypus nähert sich viel eher dem-
jenigen der altfranzösischen Gärten als der, am Ende des vorigen
Jahrhunderts eingeführten sog. englischen Gartenkunst. Sym-
metrische Anlage nach architektonischen Linien und Figuren,
1) Es gehört zu den Künsten des Rhetors ^x^pdCciv xdlXXoc x<>>P^^^ ^
9'jTe(ac hti^6po'Ji XII j^eup^xmv notxiXta; xal 5oa Totauta: HenDOgeoes de
Ideis p. 858, 4 4 Sp. Beschi-eibungen von Garteoanlagen : Lucian, Amores 4t}
Libanius IV 4 077 f. : Ixcppaot; xV]i:ou; Aristaenetus I 8; vgl. Alciphron fragm. €
(§ 4. 4. 8. 9); auch die Beschreibungen der Gartenanlagen in Daphne bei
Antiochia: Libanius 'Avtio)^(xöc I 850 ft,, in Batnae io Syrien: Juliao.
epist. 26 (p. 352 Hch.). — Interessant ist es, mit der Beschreibung des
fp/aTo; am Falaste des AIcinous, in der Odysse t} 4 4S fT., etwa die, in er>
sichtlicher Nachbildung dieser ältesten Garlenbeschreibung ausgeführte
Schilderung des ^pyaxo; der Elektre bei Nonnus, Dion. III 440 ff. zu Ter-
gleichen (und mit beiden wieder die nach antiken Vorbildern angelegte
Beschreibung des Gartens der Armida bei Tasso, Gcrus. lib. c. XVI st. 9 ff.]-
— Zuletzt: zwei Gartenbeschreibungen bei Achilles Tatius I 4 5; Longas
IV 2, vor allen übrigen bemerkenswerth.
2) Z. B. auf der Malerei in der Villa der Livia in Primaporta (einige
Stunden nördlich von Rom) : beschrieben bei K. Woermann, Die Landschaft
i. d. Kunst d. alten Völker (München 4876) p. 880 ff.
3; Man lese die, leider nur kurze Anweisung zur Anlegung eines ra-
pdoeioo; bei Florentinus. in den reeoTTovixa X 4. Bemerkenswerth ist daran
namentlich auch, wie wenig man darauf ausging, Lustgarten und Noti-
garten al)solut von einander zu scheiden.
— 513 —
bisweilen auch enge Verbindung mit der Architektur selbst^),
lassen ; weit entfernt, den Eindruck einer freien und zufälligen
Gruppirung hervorbringen zu wollen, vielmehr die Natur als
eine vom Menschen in Dienst genommene und, in künstlerischer
Absicht, gestaltete ganz bestimmt erkennen. —
Für diese eingeschränkte Weise des NaturgefUhls ist Longus
ein keineswegs verächtlicher Vertreter. Was man fem von der
Stadt suchte, das »Milde« des Landlebens^] darzustellen ist ihm
wohl gellingen. Gleichmässig wechseln die Zeiten des Jahres^);
die Menschen folgen mit ihrer Lebensweise und ihren Arbeiten
willig dem Leben der Natur, die sie umfangen hält. Dieser
rein idyllische Hintergrund ist weitaus das Beste des ganzen
Romans; die einzelnen Höhepunkte dieses harmlos stillen Land-
lebens sind mit sinnlicher Frische hervorgehoben : so die Trauben-
emte, der ländlich lebhafte Tanz nach der Befreiung der ChloS,
vor Allem die überaus lieblich ausgeführte Scene des winter-
lichen Liebesganges des Daphnis zum Hofe des Dryas^]. Ab-
sichtlich hält von diesen Bildern ländlichen Genügens der Dichter
eine genauere Schilderung der beschwerlich niederziehenden
harten Arbeitslast des Bauern fem: er malt uns keine parfümir-
ten Salonschäfer hin, wie so viele seiner Nachahmer, aber den
Stall- und Mistgeruch erspart er uns ebenfalls. Mit Bewusstsein
hält er sich und uns in einer rein poetischen Welt, in welcher
auch wohlwollende göttliche Mächte schützend und leitend noch
in das Leben kindlicher Menschen eingreifen. Wie Daphnis
der Geliebten treuherzig die alten Hirtenmärchen von der Echo,
Syrinx u. s. w. erzählt^), so wird das eigne Leben des Paares
fast selbst zum Märchen durch das wunderbare Eingreifen des
1) Z. B. in dem, von Achilles Tatius 1 15 geschilderten Garten: dieser
ist an allen vier Seiten von Mauern mit vorgestellten Säulen umfasst.
2) Tb ^p.epov, ii %aXi\ irpaÖTTjc des ländlichen Lebens: Aelian epist.
rust. 13 (vgl. 30).
3) Beschreibung des Frühlings I 9, 111 12; des Sommei-s I 33, III 24;
des Herbstes 11 1 ; des Winters III 8.
4) I! 1. 2; 11 81 fr.; III 5—11.
5] Syrinx: II 84; Echo HI 23 ; Verwandlung einer nicht genannten Jung-
frau in die Ringeltaube, (pdaaa: I 27, 2 ff. Man erinnere sich der. oben
p. 344 zusammengestellten Beispiele sophistischer (iT2Yif)p.aTa vorzüglich aus
dem Krei.se der ipwTix-?) pLu^oXof(a (Longus p. 814, 7).
Rohde, Der griechische Bomui. 33
— 514 —
Pan , der Nymphen , des Eros >) . Diese GöUerDähe dient dazu,
uns vollends in das träumerische Behagen eines kindliehen, von
der wirklichen Welt so fem abgelegenen Märchenreiches surück
zu versetzen.
Nun vermag es freilich der Dichter nicht, in diesem rein
idyllischen Elemente sich ausschliesslich zu erhalten. Es ist
immer ein missliches Unternehmen, die Idylle aus einer eng-
begrenzten Einzelscene zu der Würde eines Epos oder Romans
erheben zu wollen. Ist in Wahrheit, nach einer treffenden
Bezeichnung Jean Pauls ^j, die Aufgabe der Idylle die Dar-
stellung »des Vollglückes in der Beschränkung«, so begreift
sich leicht, warum eine epische Idylle eigentlich ein eisernes
Holz sein muss. Das Glück, sofern es, aus langen Sehnsucbts-
qualen geboren, nur einem aus dunklen Wetterwolken flüchtig her-
vorbrechenden Sonnenstrahle gleicht, entzieht sich als solches dem
Kreise der Idylle durchaus. Jene sonnige Herbstruhe des Ge-
müthes aber, welche die Idylle eigentlich zu schildern unter-
nimmt, hat keine Geschichte; solches* Glück steigert sieb wohl
gelegentlich an einzelnen Ereignissen, selber ist es aber kein
Ereigniss, auch keine Kette von Ereignissen, sondern ein Zu-
stand, und zwar, wie bereits manche der Alten wussten, jm
Wesentlichen ein nur negativer, leidenfreier Zustand ^j. »Das
Glück iHsst sich nicht beschreiben«^). Das Epos, der Roman
1) Leitung des Ganzen durch Gros: p. 246, ii; 265, 46; 275, 41:
277, 42; durch Pan, die Nymphen und Eros: 324, 20. Die Nymphen
leiten die Entschlüsse der Hauptpersonen durch TraumersoheinongeD :
p. 244, 26; 274, 49; 277, 5; 299, 20; 828, 46; 324, 20. Sonst scheot
sich Longus durchaus nicht, ganz handfeste Wunder einwirken zu lassen:
wie denn Eros selbst dem alten Philetas in leibhafter Gestalt erscheint:
II 4 fr. ; wie Pan durch schreckliche Gesichte die räuberischen Methymniier
in Entsetzen setzt: \l 25 fT. ; wunderbar auch die Befre^uqg (|er Heenj|e des
Daphnis aus dem tyrischen Schiffe, I 80 (einer älteren Sage nachgebildet:
Villoison verweist auf Aelian Y. H. Vlll 49, Plin. n. h. Vlll § 2Q8). Ein-
mal greift doch auch Tyche in die Geschichte ein: toL (e t^c T6)^i}; (vgl.
804, 41} d[XXa ßouXeufAaxa: p. 848, 9.
2) Vorsch. d. Aesthetik § 78.
3) Ich erinnere an Epikurs Einsicht in die Negativitli^ der Lust: die
•ffiosii ist ihm navröc tou dX^oüvroc (»iregatpca« : Sext. Empir. adv. math. I
p. 661, 43 Bk., '^^£oda( tI {a-^ dX-fCiv: Plut. adv. Colot. 27 eitr.
4) »Le vrai bonheur ne se d^crit pas; il se sent, et se sent d'autant
mieux quil peut le nioins se d<^crire, pan*^ qu'il ne rteulte pas d'un recueil
— 515 —
stellen uns die Ereignisse, und das ist die Leiden einer gan^
und gar nicht idyllischen Welt dar; wo die Leiden aufhören,
hören auch Epos und Roman auf. — Es ist darnach nicht eben
verwunderlich, dass auch Longus, um seine Idylle zum Roman
zu gestalten, aus der eingeschränkten Hirtenwelt in das ge-
schäftige Leben der Städte hinübergreifen muss. Er thut dies
freilich mit wenig GlUck; und so wohl gelungen die Darstelluag
der ländlichen Zustände sind, so frostig sind die schlecht er-
sonnenen Abenteuer, mit welchen, in den Gewalllhaten der
Tyrier und Methymnäer, die äussere »Welt« in diesen stillen
Frieden hereinbricht. Zum Schluss zieht gar, im Gefolge des
reichen Gutsherrn, diese Welt mit Schall und Gepränge pomp-
haft breit aufs Land. Immerhin dient dieses leere Getümmel
in dem Romane des Longus doch nur zum Contrast gegen die
stiU^ Innigkeit des Landlebens; und zuletzt führt er uns, nach
der, aus Komoedien übel entlehnten »Wiedererkennung« der
Helden durch ihre reichen Eltern, dennoch wieder auf die ver-
borgene Flur zurück, auf der uns jedenfalls viel wohler wird,
als in dem athemlosen Umherschweifen der übrigen Romane.
Trotz der beflissenen Verwendung solcher romanhafter
Bindemittel will es übrigens dem Sophisten doch nicht recht
gelingen , ein innerlich zur Einheit verbundenes Ganze herzu-
stellen. Unter der Hand runden die einzelnen Bilder ländlichen
Lebens sich ihm zu selbständig neben einander stehenden
IdylUen ab*]. Er versucht es, aus dem Inneren des jungen
Paares eine zusammenhängende Entwicklung in die Reihe der
einzelnen Erlebnisse hinüber zu leiten. Die Liebe soll auch
hier die Seele des Ganzen sein. Gleich in den einleitenden
Worten sagt uns der Dichter, seine Erzählung solle sein »ein
erfreuliches Besitzthum für alle Menschen; den Kranken werde
es heilen, dem Trauernden tröstlich zusprechen, den, der geliebt
hat, süss erinnern, den, der noch nicht geliebt, berathen. Denn
durchaus Niemand entfloh je dem Eros, noch wird ihm wer
de faits, inais qu*il est un 6tat permanent«. J. J. Rousseau (Confessions
I. vi).
1) Man sehe z. B. wie locker solche einzelne idyllische Situationen an-
einandergehöngt und leichl verknüpft sind: l 25—26—27; oder II 2—3;
u. s. w.
3;j*
— 516 —
entfliehen, so lange es Schönheit giebt und Augen sehen «^].
So wird denn die ganze Erzählung in der That zu einer Kette
erotischer Tändeleien des Daphnis und der Chlo6; Eros ist es,
der in eigener Person die glückliche Entwicklung dieser Liebes-
leidenschaft leitet. Man wird keine tiefere psychologische Ent-
faltung dieser bald völlig entschiedenen Leidenschaft erwarten;
der ganze Roman dient lediglich , der Befriedigung des sehn-
süchtigen Verlangens äusserlich retardirende Hindemisse zu be-
reiten. Man mag es auch gelten lassen, wenn die Liebe dieses
jugendlichen Hirtenpaares sich wenig von dem Boden eines
süssen sinnlichen Begehrens entfernt. Aber die Art, in welcher
der Dichter dieses Begehren anstachelt und durch lüsterne Ver-
suche stets nur bis an die Grenze der Befriedigung führt, zeigt
ein abscheuliches muckerhaftes Rafßnement ^) , welches uns auf
das Unangenehmste spüren lässt, dass alle Naivetät dieses Idyl-
likers nur eine künstlich präparirte, dass er selbst eben doch
nichts andres ist als ein Sophist.
Es ist schwer begreiflich, wie man sich über diesen
sophistischen Charakter des Hirtenromans des Longus jemals hat
täuschen lassen, und eine ächte ursprünglfche Naivetät in diesem
künstlichsten aller Rhetorenproducte hat finden können. Bei
genauerer Aufmerksamkeit und einiger Bekanntschaft mit den
Manieren sophistischer Scribenten wird man den wahren Cha-
rakter dieser Erzählung leicht durchschauen. Immerhin beweist
die Täuschung einiger wahrlich nicht verächtlicher Beurtheiler
des Romans 'j , dass die künstlich angenommene Naivetät im
1) Er schliesst dann: if||jiTv S* i §c6; izapdayiot aco^povoirai xä rwr* jXXaiv
YpöE^civ: mit ttcht griechischer Scheu vor der Aufwühlung schlafender
Leidenschaft im eigenen Herzen. Aus derselben Empfindung ein verwandtes
Gebet am Schluss des (ohne Zweifel doch einem griechischen Original nach-
gebildeten) Attis des Catull, mit welchem Varro Eumen. XLIV Rs. passend
verglichen wird (BUcheler, Rh. Mus. 30, 428).
2) Ich meine solche Scenen, wie sie I 82, 4; II 8. 44; III 44. S4, S;
IV 6, 8 geschildert werden. Nach meinem Gefühl sind solche, in Wahr-
heit muckerhafte erotische Experimente sehr viel anst^^ssiger, als der be-
rüchtigte Vorgang zwischen Daphnis und Lykainion III 48.
3) Zu denen ja selbst, und vor Allen, Goethe gehört: Gespräche mit
Eckermann II 805. 848—824. 882. Goethen Übrigens war der Roman des
Longus nur in der französischen Uebersetzung des P. L. Courier bekannt
Diese Uebersetzung (Oeuvres complötes de Paul-Louis Courier, Paris 4880,
t. II p. 77 ff.), selbst nur eine Ueberarbeitung der Uebersetzung des
— 517 —
AIlgemeineD nicht ohne Geschick der ächten nachgebildet ist.
Und das bin ich auch zu leugnen gar nicht gesonnen. Studirt
aber bleibt diese Einfachheit der Empfindung und Darstellung;
und wie der Sophist in jenen widerlich lüsternen Liebesscenen
plötzlich unter dem Gewände der Unschuld den Bocksfuss heraus-
fahren lässt, so verfällt er andrerseits häußg genug, vor lauter
Bestreben, recht kindlich und sinnig zu sein, in eine kalt zier-
liche Spielerei oder in völlig läppische Affeetation ^) . Immerhin
hütet er sich vor den ungeheuerlichen Absurditäten mancher
moderner Schäfergeschichten ; und wie viele der Dichter, welche
das bedenkliche Gebiet der Idylle beschritten haben , mögen
sich wohl vor, den hier gleichmässig drohenden Gefahren eines
Abirrens ins Platte oder ins Affectirte gänzlich gehütet haben?
Ganz und gar sophistisch ist die Sprache und der Stil des
Longus. Wie es dem angenommenen Standpunkte einer sinnigen
Freude an einfacher Natürlichkeit entspricht, bemüht der Sophist
sich, seiner Darstellung durchaus den Charakter einer lieblichen
Simplicität zu geben. Der späte Rhelor Choricius von Gaza,
wo er sich zu einer Elhopoeie eines Hirten anschickt, sagt
geradezu: »der Art dieser Ethopoeie angemessen, werden wir
dem Hirten eine hirtenmässige und einfache Haltung geben «2).
Solche »Einfachheit«, wie er sie versteht, versucht denn auch
Amyot, ist allerdings in ihrer Art ein Meisterwerk, hat aber dem Longus,
statt des von ihm selbst gewählten überzierlich aufgeputzten Sophisten-
gewandes das Kleid einer alterthümlichen französischen Sprache angelegt,
welche, vor der akademischen Einschnürung des französischen Idioms in
der Periode Ludwig XIV blühend, einen treuherzig bürgerlichen und zu-
gleich sinnlich derben und frischen Klang hat, von dem in der geleckten
und unleidlich gezierten Ausdrucksweise des Longus durchaus gar nichts zu
spüren ist. Diese Travestirung muss allerdings beitragen, über den wahren
Charakter der Erzählung des Longus denjenigen zu täuschen, der dieselbe
nur so umgewandelt kennen lernt.
1) Einige Proben werden genügen: p. 341, 8: — r^; hk ^xiiXa^etotjc
tinathia xtxTouocv al^ec. 1 34, 4: -^xoOoOt^ (als Dorkon begraben wurde) xaX
t6»v ßooäv ^Xeetvd |jiuxif)|jiaTa xal ^pöfxoc xivec &^8t]aav d(Aa toi; |jiuxif)pA9tv ^xa-
xxor xal <bc iv 7iot|Ji£9iv eixaCs'^o xal ainöXoc;, xauxa ^pfjvoc fjv xmv ßodv inX
ßo'JX(SX(p xexeXeuTTpcöxi. Aehnlich läppisch: H 29, 1. Chloö, 18 Jahre alt
geworden, hört, mit kindlicher Verwunderung, zum ersten Male das Echo:
III 23, 2 u. dgl. m.
2} Choricius p. 4 84 :'nÖ(A(|> Be xfjc "^^0110110; iic6|jicvoi, icot)UV(x6v tc xal
d^cXcc auxcj>x6 i^^oc icepiB^oojuv.
— 518 —
Longus, mit stiidirter Absicht; seiner Erzählung zu Terleihen.
Wir wollen uns erinnern, dass diese selbe Eigenschaft der
»Einfachheit« Philoslratus dem Stile des Aelian nachrühmt^);
in der That ist mit der Schreibweise mancher kurzen Erzäh-
lungen des Aelian diejenige des Longus sehr nahe verwandt.
Eine solche sophistische Einfachheit prägt sieb vorzüglich in
grosser Schlichtheit des Satzbaues aus, welcher sich zumeist in
kurzen eingliedrigen Perioden bewegt, die einzelnen Phrasen
nicht hypotaktisch gruppirt, sondern pafataktisch an einander
lehnt, feste Verbindung durch Gonjunctionen vermeidet, för
asyndetische Reihenfolge der Sätze eine bedenkliche Vorliebe
zeigt. Wir hören, dass diese Manier, in kurzen, locker an-
einander gehängten Sätzen mit studirter Nachlässigkeit und Be-
haglichkeit dahinzuschlendern, auch in den Schriften des Hege-
sias, eines der Muster des »asianischeuff Stils der hellenistischen
Zeit sich bemerklich machte^], ebenso bei den asianischen
Rhetoren der Kaiserzeit ^j. Longus bietet ein fast bis zur
Garrikatur getriebenes Beispiel dieser Schreibweise*). Diese
»hirtenmässige Einfachheit« ziert er nun aber durch alle erreich-
baren Mittelchen auf, wie eine kokette Schäferin sich mit Bän-
derchen und Schleifchen putzen mag. Er giesst über seine
Sprache diejenige Anmuth und Zierlichkeit, welche nach antiker
Rhetorenterminologie den ^^apaxTiqp ^Xacpupo^ bezeichnet, also die
anmuthige Schreibweise^). Als Vorbild dieses Charakters galt
1) S. oben p. 834. — Ein bewandertes und vermuthlich doch auch
vierfach nachgeahmtes Muster dieser d^iXt la des Stils war auch, unter
den Sophisten der Kaiserzeit, Nicostratus : s. Hermogenes de Ideis p. 4i0 Sp.
2) Vgl. Cicero Orator 67, 226. — Auf den Stil des Longus könnte man
vollstfi'ndig anwenden, was Cicero, Brutus § 287 von Hegeslas sagt: quid
est tarn fractum, tam minutum, tarn in ipsa, quam tarnen consequitur,
concinnitate puerile?
3) S. die oben p. 318 A. 3 angeführte Stelle des Longin tiber die, voo
Arlstides verworfene fxXuau der asiatischen Rhetoren. Datunter ist ebeo
Jene in viele selbständige kleine Abschnitte zerhackte SiaXeXuiJiivT] X^^tc zn
verstehen, über welche einige feine Bemerkungen bei Demetrius de eloc.
$ 493. 494.
4) Es bedarf hierfür keiner einzelnen Beweise, da jede Seite des Ro-
matis voll davon ist. Zur Probe halle man sich ^ber etwa die Braot-
bewerbungsrede des Daphnis 111 29, 2 — 4 vor.
5) Die Merkmale des ^apaxn^jp ^Xacpupöci wie sie namentlich bei De-
metrius IC. ^p|jiT)ve(ac § 128 — 455 (Spengel. Rh. gr. III 290 ff^ attseinaoder-
— 519 —
den Alten die Sappho : es ist nicht zufällige dass Longus einmal ein
liebliches Gleichniss der Sappho in fast wörtlicher t'rosaumschrei-
bung seiner Erzählung eingelegt hat*]; er mag ihre Gedichte
[gleich dem Himerius) noch an vielen andern Stelleti vor Angeh
gehdbt haben. Er verirrt sich' abör, bei dem Bestreben, seine
Rede lieblich ins Ohr fallen zu lassen, häufig in eine unleidlich
gezierte Tändelei. Er schwelgt fortwährend in jenen, massig
aügewendet bisweilen ja so wirksamen Mitteln eines spielenden
Gleichklanges und Gleichmaasses der Rede, den Parisosen, Par-
homoiösen, liomoioteleuta , welche alle hinauslaufen auf eine
kokette Wirkung durch Verdoppelung gleichwichtiger, ähnlich
lautender, ähnlich auslautender Satzglieder. Wenige selbst der
späten Manieristen griechischer Rhetorik haben dieses Spiel mit
einem weichlichen Parallelismus der Satzglieder, mit Reimklängen
u. s. w. so weit ins Läppische ausgedehnt, wie Longus^); allen-
gesetzt werden, wird man fast sämmtlich in der Schreibweise des Longus
ausgeprägt finden.
1) Longus III 83, 4; nach Sappho fr. 93: s. dazu Bergk. p. Iyr.3
p. 907 f.
2) Für alle diese Spielereien bietet wiederum jede Seite des Romans
überreichliche Beispiele. Einige Proben mögen hierher gesetzt werden,
p. i42, 7 : 5ptj ^poTp^^a, i:eo(a Tiupocpöpa " -y^iXo^oi x}.T)[i.dit<üv, vofJ.al ttoiJAvtoav *
xal t] ddXarra irpoc^xXuCev ij^vt £xTeTa[i.^vig, 4^ölfjL(Acp [i.aXtfaxiQ. — p. 145, ii:
ßö{jißo; T^v -fjoT] (jieXctT&v, T^yo; öpvCdeov (jiouoixdiv, oxipr/jfjiaTa iroifxvlojv dpri^ev-
vi^Tcov * apve; ioxtpiojv 4v toi; Äpeciv, ißöptßouv is xotc Xeipiojai (xdXtrrai, is
•zaii X6yfi.ai5 xax^oov ^pvi^;. (Herchör, welcher zu dieser Stelle einsichtig
über den pedantischen Parallelismus des Longus handelt [Erot. I p. XXXVI],
hat denselben z. Th. eben in diesen Sätzen erst hergestellt. Man wird
aber auch noch, um den Parallelismus ganz vollständig zu machen, statt
xax^oov, dem r^y^o^ öpv(dojv fjiouotxcüv entsprechend, zu schreiben haben:
xaTt)youv). Aehnliches sehr oft bei Ach. Tat.: z. B. p. 38, 26: dl^p6;
direiiobjTo xal izh^ai xa\ x6fi.aTa' ai ir^xpai t^; y*^^ üTtepßeßXtjjxivöt, 6 dcppöc
:reptXeuxa(v(uv xä^ ir^Tpa;, xö xup.a xopu(po6{Aevov xal icepl xd; Tilxpa; Xu<SfUvov
iU xou? d9po6;. — Long. p. 464, 43: y'^H^^'O« -^v, jjkSvoc t)v. 280, 2: iruppiv
TiaiStov xol yXouxöv, Xeuxöv raiSlov xal dY^pcoyov. Vgl. Ach. Tat. p. 94, 18:
iroWjpTj; 6 yix«6v, Xeuxoc 6 yixdbv, 206, 28 : Tio^pt); 6 -/txdbv, öd^vY); 6 yvzdjN. —
Long. p. 279, 24 : — ldt]xav h xu) Xetjxövi, iv xoTc cpuXXou. 286, 7 : itpo
x^C aOX-^C xoO Ap6avro«, 67:* auxig rj ouXig. 299, 28 : el; xfjv if^s, eic xd; r?j;
dixpac Tidxpa;. — Reime auf Schritt und Tritt, z. El. p. 296, 29 : x^c ptouoixfj;
<ptovfDV, I xoü xdXXou; \t.ii vjyrjSis. 304, 2: ISeiaev 6 -zp'j'^&s dveXOeiv, [ ■^[i.iXrjoe
TiateJlclv. Und gar das wollüstige Geplatscher in Gteichlauten p. 304, i^ :
— Iva ii£oiQ yaptal xal r^ zoi\isio^ auxö TraT^air) ve[i.6[jievov ^ epirexöv ^papfid^i)
oupöpievov, T) ypövoc Saitav/jOiQ xe(p.evov. BXeröpievbv ^Tcatvou pievov.
— 520 —
falls könnte man ihm noch Achilles Taiius an die Seite stellen,
der ihm vielleicht gerade in solchen Manieren nacheifert. Zuletzt
tragt des Longus Wortschatz gar sehr zu dem überzierlichen
Colorit seiner geputzten Einfachheit bei. An Fleiss und Mtlhe
hat er es offenbar nicht fehlen lassen: aber der übergrosse
Aufwand altattischer, antiquarisch glossenhafter , dichterischer
Worte, durch welche er seiner Rede ein poetisches Ansehen
zu geben versucht >) , vollendet freilich den Eindruck eines
Sehr Aehnliches oft bei Ach. Tat. : z. B. p. 58, 18: 'Epooro« nvci | 'A^po-
hirrf* npoEcvei, | eu<6&c9( ^6XXo(( x o |ji ^ • | e6xiv^T0tc TCCTdlXoic x p u 9 a , | rd
ic^oXa T(j> Zc96p<p feXä.
1) Gesuchte, attische, antiquarisch aufgegrabene Worte sind z. B.
(la^av p. 308, 3 (vgl. Ruhnk. Tim. 184).x(TTäN (so Cd. Florent : s. Cotiet
V. L. 483) 818, 10; <ppi|jiölTTeo^at 347, 7 u. ö. ; oxixaXlCctv prurire,
391, 8 (von oxlräXoc Priap, Arist. Eq. 685, oxtTt^v Taugenichts, Phot. lex.
Vgl. Lobeck, Prol. Path. 98); xXav ^fXTceXov 801, 1 (in der xotW): xXa^jetv
s. Pierson ad Moer. 339, Lobeck, Phryn. 173. Ob so zu verstehen p. 385, 7
in der Beschreibung des Winters: xd (iv^pa itpxei xaxaxXcDfj.£votc: »die
Bäume sahen aus wie abgelesen«? Jedenfalls haben die bisher vorgebrach-
ten Emendationen die Stelle nicht geheilt. Ob: xaxauatvofiivotc? Lucian
Amor. 1 3 von Btf umen : ou&^ aOxd fipovzo^ ^ht] ^p^vou noXtd xaxa6acvev.
Choricius in einer Beschreibung des Winters : elorVjxcc xal xd IM^ nuaMntp
is trlv^ei Tf)v x(S(i.Y]v dTroxecpöfxeva: p. 185. Ob also unter RATAKAQ-
MEN012 sich etwa verbirgt: KATAKEKAPMEN012?) ; <Jüp(xx£l^» überall,
nicht oup(Cetv: s. Hercher p. XXXVl (vgl. Lobeck, Phryn. 193); xaxa-
vaix(Ce9^ai 353, 38 (verspottet bei Luc. Lexiph. 5) ir^pa ^Xd^ou »aas
Hirsch feil« 393, 11 (so X£a>v, dX(&ic7}S u. s. w. Fell vom Löwen, Fuchse.
Ruhnk. Tim. 357; vgl. Fritzsche zu Lucian. bist. cscr. 10, I 1 p. 143);
0(p6c Wolfsgrube 346, 35 (s. die Erklärer p. 177 f. der Seilerschen Aus-
gabe); dppt)^oc: 383, 7 (Pierson ad Moer. 55 f.); dva^evSpdc 363, 19;
oio6pa 368, 33; xapßaxivai 368, 34; i'^%6\L^mit.a ein Hirtengewand,
380, 31 (Jungermann zu Pollux IV 119); Cu(ji(xt]c 373, 16; ot]x(xt];
(Ipi^oc) 398, 38 (aus Theocrit 1 10); auxep^xac (oxpaxidixai) 378, 4; na-
Idbri 395, 10 (s. intpp. p. 381); Tp(ßoXa 801, 19 (s. intpp. p. 394 f.
xpiß(otc allerdings cd. Flor.: Cobet V. L. 181); dxuXoc 385, 15 (aus
Odyssee x 348). Ob Xaßif)t = Tipö^aoiv 393, 4? (s. Seiler p. 376 f. Her-
cher, Erot. I p. XLV. Ich glaube, es ist zu schreiben : a>c ^apd x9|v p-
vatxa ^TjXaS-?! xf^v x(xxouoav diriouoa). &a 348, 19? (die Stelle scheint mir
heillos corrupt, &a xou dvxpov ist. ganz unverständlich. Aber auch die
nähere Umgegend ist bedenklich: C«pia nepl xt]v ig6v, (lei^tafia iccpl x^
67p6v stehen gar zu absurd nebeneinander; stand etwa in dieser Gegend
ursprünglich das seltsame d»a? C^i^a Tiepl x9)v iguv, <&a ncpl xi^v öotpO'v wäre
jedenfalls eine leidlichere Zusammenstellung. — x9jv Äav Tcepc^todat nepl
TiPjv 6off{is Hermipp. com. II 405, VI). — Dem poetischen Wortschatze
— 521 —
sophistischen Stils, welcher durchaus in denjenigen Fehler ver-
fällt, den die antike Theorie sehr richtig als die Uebertreibung
der »anmuthigen Schreibart« bezeichnet, das xaxoCY]Xov ^] , die
verkehrte, vor allzu grossem Eifer ins Abgeschmackte abirrende
Beflissenheit studirter Anmuth.
8.
Chariten darf als der letzte derjenigen Romanschreiber be-
trachtet werden, welche noch auf den äussersten Grenzgebieten
der altgriechischen Culturperiode stehen. Wir könnten nunmehr
unsre Betrachtung beschliessen, wenn nicht über das Nachleben
der griechischen Romandichtung in byzantinischer Zeit noch
einige Worte zu sagen nöthig wäre. Eine genauer eingehende
Behandlung der nun noch zu nennenden Dichter möge dem-
jenigen überlassen bleiben, der etwa in einer Darstellung des
unerfreulichen Schattenlebens der Gespenster altgriechischer
Bildung in den langen byzantinischen Zeiträumen auch diesen
Nachahmern des Ueliodor. und Achilles Tatius ihre richtige Be-
deutung bestimmen könnte. Für uns haben sie, vom antiken
Ufer aus betrachtet, nur als vereinzelte Nachklänge allerspätester
griechischer Poesie ein schwaches Interesse; ein kurzer Blick
auf sie und ihre Werke darf uns genügen; und was könnte
sind enUehnt: ISiodac = (&eiv 248, 23; ouvoXoav 320, 26 (vgl. Valck. anim.
ad Ammon. 22) ; dvYjßöv 269, 6 (nach Valckenaers Cj.) ; cbpuea^ai 276, 21
(i7ioirr6eiv vom Meere 300, 1 (s. intpp. p. 291); aTreuSetv y^I^ov 298, 18
302, 18; 808, 5 (homerisch); ToSonotel^ (rd^ ö^pu«) 816, 16 (s. intpp. 828
von Longus wohl unmittelbar dem Alciphron III 19 § 2 nachgemacht).
6^(70voc 807, 19 (nach Theocrit XXIV 31); xanupov (^eXav) 265, 1»
icXaxu ßouxöXiov 265, 12 (Hom.) ; f)otCo; 268, 9 (Hom.); X(ii£pv/)TT]c
274, 12; Ttxepöv = Vogel: 286, 16; (leXlTeopia? 288, 22; 818, 21; 819, 10.
TipcDTÖppuTov -^äXa 298, 29; (i.ip.ir)T-/)c adjectivisch : [jliijitjt^v cpwv^v 295, 29
(s. namentlich Lobeck, Paralip. gr. gr. 271); {AcoainöXioc 311, 21 (s. intpp.
p. 313). — Einige anai Xc^^tuva des Longus verzeichnet Passow hinter
seiner Uebersetzung des Longus (L. 1811) p. 355 ff. — Nicht zahlreich
sind Ausdrücke späterer und unclassischer Graecität, wie : l(i.7i6peu(jLa 259, 10 ;
^XtfOT^pa 801, 25; ico((aviov, ein einzelnes Stück der Heerde: 241, 10 u. ö.
(s. intpp. p. 159); dicoooßetv, fortgehen 287, 25 u. ö. (s. intpp. p. 266);
IfApcoc 278, 23, etwa im Sinne von Ifjurvou;.
1) Das xaxöCYjXov bezeichnet als die Verirrung des -(Xa^upic yiapaxxiip
s.ehr richtig Demetrius de eloc. § 186 ff.
_ 522 —
auch zu längerem Verweilen locken i^ Non ragioniam di lor\
ma guarda e passa. —
Wir dürfen glauben, dass die Dichtungen des Heliodor,
Achilles und ihrer Genossen von Zeitgenossen und noch von den
weltlich Gebildelen der nächstfolgenden Jahrhundertc mit An-
Iheil, zum Theil mit Bewunderung gelesen wurden. In Blumcn-
lesen nahm man vielfach allgemeine Aussprüche und Betrach-
tungen des Achilles, des lleliodor auf^); man studirte dieser
beiden angesehensten Romanschreiber Werke auch als stilistische
Muster^); es scheint, dass man sogar Commentarien zum Heliodor
verfasst habe ^] ; man stritt lebhaft über den Vorrang des Heliodor
oder des Achilles^). Der ehrwürdige und in Wahrheit gelehrte
Patriarch Photius weist sich durch die seiner »Bibliothek« ein-
gefügton Auszüge und Besprechungen der Romane des Diogenes,
Jamblichus, Heliodor, Achilles als genauen Kenner dieser ganzen
Gattung der Litteratur aus.
Zur Nachahmung dieser so viel gelesenen Dichtungen
reizte es gleichwohl, so weit wir sehen können, Niemanden vor
dem, vom Ende des eilften Jahrhunderts beginnenden, überhaupt
durch einen gewissen Aufschwung litterarischer Bestrebungen
bezeichneten Jahrhundert der Komnenen. Wir wissen von
vier, den Romanen der Sophistenzeit nachgebildeten byzantini-
schen Liebesromanen; drei derselben fallen unzweifelhaft in die
Regierungszeit der Komnenen; von dem vierten darf man ein
gleiches vermuthen.
Dieser vierte Roman mag voranstehen. Es ist des i>£usta-
thius des Philosophen Erzählung von Hysmine und Hysminiaso^);
eine prosaische Erzählung in eilf Büchern. Seitdem man von
1) Noch nicht in die des Stobttus, aber in grosser Zahl in die Samm
lung des Maximus Gonfessofi und in die »Melissa« des Antonios.
2) Vgl. z. B. Bekker. Anecd. III 1089.
3) Ich denke an die XapixXe(ac ipfjit^vela rfjc otA^povo; ix for^t ^i-
XiTinou ToD cpiXooö^ou: Korais Heliod. 1 p. t:^\ S. ob^n p. 448 A. 8.
4) Psellus: vgl. oben p. 448 A. 3.
5) Th xa(K 'T9|jitv(av %a\ 'T9p.(vT]v Ipäym, t:o(t2(&a Euora^ou ^iXoo^^'j (ich
benutze die. Ausgabe von R. Hercher, Erot. scr. gr. 11 161—286). — D^r
rechte Name dieses »Philosophen« scheint Eostathios za sein: Earaithias
nennt .ihn eine Minderzahl der Hss. Vgl. Osann, Prolegomcna ad BustalhH
Macrembolitae De amoribos Hysm. et H. drama ab se edemhini. Gtssae 1853
p. H. 18.
— 523 —
der, bereits in einer Randbemerkung einer der zahlreichen
Handschriften dieses Romans vorgetragenen *) jfOr den treff-
lichen Metropoliten Eustathius von Thessalonike wenig schmeichel-
haften Vermuthung der Identität jenes nicht ungelehrten Er-
klärers des Homer und des Periegeten Dionysius nlit unserm
Romandichter Eustathius zurückgekommen ist , ist man über
Zeitalter und Person dieses Mannes völlig im Dunkeln. Zwar
nicht so ganz über die persönlichen Verhältnisse: denn die
Ueberschrift des Romans in einigen Hss. nennt diesen ein Werk
des y» Eustathius des Protonobelisimos, und megas chartophylax,
des Paremboliten — oder, wie es in andern Hss. heisst, Makrem-
boliten«^. Die byzantinische Titulatur bezeichnet den Eustathius
als einen der höchsten geistlichen Beamten byzantinischer
Hierarchie 3) ; »Makrembolitcs« oder »Parembolites« mag er nach
1) Am Rande einer Münchener Hs. liest marv: xou xal uoxepov ypruia-
xiaavTo; (XTjxpoTioXiTou deoooXovixT);. S. Grässe in einem (recht setir un-
fruchtbaren) Aufsatz: Ueber den griechischen Erotiker Eustathius u. s. w.,
Jahns Archiv f. Philol. u. Paed. IV (1836) p. 267. — Im Uebrigen sei
wegen des Litterarischen noch immer auf Fabricius B. Gr. VIII 186 Harl.
verwiesen.
2) no(T)p.a Euoradfeu TrpmxovcußeXioifiou xal [Aefo^ou yapxo^uXaxoc toO Tiap-
efjtßoXlxou (so cd. taurin. bei Boissonade, Anecd. V 330, ein Neapolitanus,
der Honac. 405; die andern Hss. |Jiaxpe[ApoX(xoti) xxX. S. Osann p. 41. Du-
cange, GIoss. ad scr. Yned. et inf. Graec. p. iOlO s. viDßeXtacpioc.
3} Ich habe das »[ni^n^ )^apTO(p6Xa6a absichtlich nicht übersetzt; dem
o Staatsarchivar« neuerer Zeiten entspricht dieses Amt ganz und gar nicht,
wie Grässe p. 269 meint (welcher dann, wunderlich genug, aas einer ein-
zigen, scheinbar an. Verse des 189. Psalms anklingenden Stelle des Romans
erst beweisen zu müssen glaubt, »dass unser Eustathius ein Christ gewesen
sei«. Uebrigens ahmt an jener Stelle [p. 178, 41 ff.] Eustathius keineswegs
dem Psalmendichter, sondern seinem gewöhnlichen Vorbilde, dem Achilles
Tatius [p. 63, 1 ff. Hch.] nach). Sondern der ^apxo(p6Xa^ ist der dritte in
der ersten Pentade der obersten Würdenträger der byzantinischen Geistlich-
keit : xpax&v xÄ ^xxXiQOiaoxtxot yapxqpa Sixatdbp^xa, xpixi?jc xÄv ßXoov ^Trod^aemv
xöbv ^xxXtjoiaoxixÄv, iy^tos xdlc ^aptixA; unodioet;, dXXol xol is xoic XoiTraTc x&v
xXY]pixdbv (»no^iaeoiv Ixotxoc, (bc Be^idl xou dpyupim^ )^e(p. Codinus Curopal.
de officialihus palatii Cpol. p. 4, 4 ff. Bekk. — Uebrigens wäre nach einer,
von den Erklärern des Codinus zu jener Stelle (p. 129 Bk.) angeführten
Aussage des Joannes Cantacuzenus n 1 (vol. I p. 818 Schop.) der Zusatz »p,^-
Yoc« dem yapxo96XaS erst 1328 vom Ks. Andronicus II verliehen worden; dürfte
man das als ganz sicher betrachten, so müsste freilich unser lUr^a^ )(apTo-
^OXai Eustathius viel später gelebt haben, al8 man gewöhnlich annimmt,
— 524 —
seiner Heimath heissen^). lieber seine Lebenszeit w^sste ich
nichts Begründetes vorzubringen ; ich bemerke wohl eine starke
Verwandtschaft zwischen seinem Romane und demjenigen des
Theodonis Prodromus; welcher von beiden des andern Vorbild
war, weiss ich nicht zu sagen; aber selbst wenn Eustathius
der Aeltere war, ist es mir wahrscheinlicher, dass wir ihn,
etwa als den frühesten Erneuerer erotischer Erzählungskunst,
in die Anfänge der Komnenenherrschaft , welche die übrigen
Versuche auf gleichem Gebiete sich entfalten sah, zu setzen
haben, als dass wir ihn uns ganz isolirt in irgend einem früheren
Jahrhundert des Byzantinismus lebend zu denken hätten^).
In den elf Büchern seines »Drama« erzählt nun Eustathius,
wie Uysminias aus Eurykomis, als Festherold zu den Diasien
nach Aulikomis gesandt, dort ein Liebesbündniss mit Hysmine,
der Tochter seines Gastfreundes schliesst, dann bei Gelegenheit
eines Gegenbesuches desselben und seiner ganzen Familie in
Eurykomis mit der, einem Andern verlobten Geliebten zu Schiff
entflieht. Bei einem ausbrechenden Sturme wird Hvsmine, als
Sühnopfer, ins Wasser gestürzt, der lästig jammernde Hysminias
ans Land gesetzt. Aethiopischc Räuber bemächtigen sich seiner;
1) Was eigentlich Maxpep.ßoXl'n); oder nape(i.ßoX(TT]; bedeute, ist gtnz
unsicher. Casaubonus dachte an eine Stadt Parembole in Aegypten; Lebas
mit Wilken an eine, nach den IfjißoXoc (byzantinisch es Säulenhallen) be-
nannte Oertlichkeit. S. Osann p. 44', welcher nichts zur Entscheidung
beiträgt. MaxpcfAßoXktooa heisst die Kaiserin Eudocia (mit spätgriechischer
Femininbildung: vgl. Lobeck, Paralip. 294); einen Räthseldichter »6 Ma-
xpe(jißoX(T7);« genannt, führt Osann an. Bei Beginn des zweiten Kreuzzuges,
M47, schickte Manuel Komnenus den Kreuzfahrern ' nach Ungarn zwei
Gesandte entgegen, von denen Einer war AT)|ji-/)Tpi6c rt; MoxpcfAßoXCTT};:
Cinnamus H 43 p. 67, 48 Mein. (Vgl. Wilken, Gesch. d. Krenzz. UI 4
p. «0«).
2) Osann p. 4 6 setzt den Eustathius zwar nach Photius, aber sehr
kurz nach Photius. Wenn es für das Erstere keine besseren Gründe gäbe
als den, dass Photius cd. 94 extr. den Eustathius nicht neben anderen
Erotikern erwähnt, so stünde es schlimm um Longus, Xenophon von
Ephesus und Chariton, welche dort ebenfalls nicht erwähnt werden, und
doch hofljpntlich nicht nach Photius gelebt haben sollen. Dass aber aus
den Verwechslungen von c und o, a und ^, e und o u. dgl. in den Hss.
des Romans abzunehmen sei, Eustathius habe seine Worte noch in Majuskel
geschrieben und also nicht nach Saec. 4 0 gelebt, wird ebenfalls nur gelten
lassen , wer die ältere Minuskelschrift- griechischer Hss. nicht recht kennt.
— 525 —
Soldaten jagen ihn, mit andrer Beute, den Räubern wieder ab
und verkaufen ihn nach Daphnepolis. Mit seinem Herren einst
nach Artykomis gekommen, ßndet er im Hause des Sostratus
die, durch ein Wunder gerettete Hysmine als Sclavin wieder;
sie geben sich als Geschwister aus. Die ganze Gesellschaft zieht
nach Daphnepolis zurück. Hysminias widersteht allen Liebes-
lockungen der eignen. Herrin und der Herrin der Hysmine. Die
Eltern des Paares, nach Daphnepolis gekommen, um das dortige
Orakel des Apollo nach dem Schicksal ihrer Kinder zu fragen,
treffen die Vermissten dort an ; auf Fürbitten des Priesters von
ihren Herren freigelassen, feiern, nach einer glücklich bestan-
denen Keuschheitsprobe der Hysmine, die Beiden ihre Hochzeit«
Der ganze Roman ist nichts als eine Carrikatur der Erzäh-
lung des Achilles Tatius. Aus dieser entlehnt Eustathius
(welcher, gleich dem Achilles, die ganze Geschichte von dem
Helden selbst erzählend vortragen lässtj die Situationen der
ersten sieben Bücher seiner Dichtung: die Geliebte mit dem
Liebhaber in Einem gastlichen Hause beisammen, und daraus
entspringend die besondere Art der Werbung : beim Mahle, in
verstohlenen Zusammenkünften im Garten, im Schlafzimmer.
Auch der weitere Verlauf der Erzählung ist dem Achilles nach-
gebildet: die Flucht mit Hülfe eines Freundes, die Trennung
der Liebenden, das Wiederfinden der Geliebten als Sclavin, die
Liebesanträge der Herrin, zuletzt die Befreiung durch die nach-
gereisten Eltern, die hülfreiche Vermittelung des Priesters, die
Keuschheitsprobe. Ich mag nicht so lange bei diesem Machwerk
verweilen, um die Entlehnungen aus Achilles, wie leicht thun-
lich wäre, in feinere Einzelheilen zu verfolgen. Freilich ist
es dem Byzantiner gelungen, selbst den Achilles noch an Ab-
geschmacktheit weit zu überbieten. Um die Liebeleien, die
sich fortwährend in demselben Kreise abgenutztester Galanterie
herumdrehen, gehörig ausdehnen zu können, muss genau die-
selbe Situation erst in Eurykomis dann in Aulikomis wiederholt
werden. So genijBssen wir (im vierten Buch) zweimal hinter
einander die gleiche, durch Störungen unterbrochene Zusam-
menkunft im Gakrten; dreimal dieselben widerwärtig süsslichen
Scenen beim Gastmahl u. s, w. Bis endlich das Paar zum Ab-
segeln kommt, hat der muthige Leser bereits mehr als sechs
Bücher voll langweiliger Gespreiztheit überwinden müssen. Es
— 526 —
verstaht sich, dass die üblichen Beiwerke nicht gespart werdep :
eine Beschreibung eines Gartens^), eines künstlich verzierten
Brunnens^], vor Allem einiger erschrecklich barbarischen alle-
gorischen Schildereien ^) werden uns weitläufig ausgebreitet.
Von irgend welcher Charakterzeichnung kann natürlich gar nicht
die Bede sein; selbst die so umständlich ausgesponnenen erg-
tischen Vorgänge der ersten Bücher haben keinerlei inneres
Leben: die Heldin, anfilnglich dimenmässig frei und frech <],
wird plötzlich ganz zurückhaltend und spröde^), der JUngling
schlagt eben so plötzlich aus fast grober Zurückhaltung in kecke
Zudringlichkeit uni. Wenn etwas charakterisch an diesen
charakterlosen Schemen ist, so ist es die ^cht byzantinische
Verquickung von sUsslicher Ziererei mit wahrhaft ungeschlachter
Hohheit des Wesens, welche sie überall merken lassen. Der
Held ist jedenfalls gesund angelegt: wenn die Liebesnoth am
höchsten ist, legt er sich regelmässig zu Tisch um zu essen
und gehörig zu trinken, »denn«, belehrt er uns^), »eine reich-
lichere Speise verlangt auch entsprechendes Getränk « ; und dann
ist es ihm stets vergönnt, ganz ordentlich auszuschkifen^}.
Schlafen und imnier wieder schlafen ist stets die ultima ratio
dieses verliebten Muripelthiers; kein Wunder denn, dass er uns
von ganzen Massen bedeutsamer Träume zu berichten weiss ^).
— Die Darstellung ist die eines wahnsinnig gewordenen Achilles
Tatius, nämlich die auf den äussersten Gipfel getriebene Affec-
lation eines barbarischen Pedanten. Ein ungeheuerlich breit
1) I k.
2) I 5.
3; S. ]| i— 6; II 7 -U ; IV 5—48.
4) 8. z. B. 1 9.
5) IV S.
Ü) p. 177, 4 5.
7) S. p. 468, 40; 469, 22; 478, 20; 497, 25, 226, 4; 987, S; 282,23.
Und w i e schlafen diese Liebeshelden ! wie die Handwerksburschen ; man
lese z. B. 4 84, 22: 6 fofh Kpauadevi^c cu^; 6tr^(6TTo>v dvipc^px*^ »Kra-
tisthenes fiel alsbald in Schlaf und schnarchte laut auf«I fn dteseo
Falle kann übrigens selbst Hysminias einmal nicht gleich einschlafen; er
fängt an zu difteln : d[v dXi<]/{} — sagt er, von der Geliebten redend — liv
WxTuXov, dvnÄXiflifjaeTai fevvaiÖTepov. AXX' £dXi<]/e y^^U- Nal ^Xtßfco> xal TtÄw.
^Av 0X(4^, 9X(ßT)oeTat' e( V ou ^X(<]/ei, dXiß-r]aeTai u. 8. w. Dies mag bei*
Ibuflg eine Stilprobe sein.
H) II 4; 411 5—7; V 4 ff.; VI 48; VII 48; X 4, 2.
— 527 —
ergossener Redeschwall 3pll durch die raubseligste Witzelei, die
sinnlosesten, alljfterirenden Worthäufungen, alberne Antithesen^),
eingesprengte Glapzstellen zahlreicher älterer Autoren (nament-
lich des Homer und des Euripides] u. dgl. mehr 2) anziehender
gemacht werden; und das Ergebniss ist doch nur ein, selbst
den Achilles überbietendes Wortgekräusel und peinliches Difteln
in armselig anspruchsvollen Phrasen 3] , denen die ganz corrupte,
nach byzantinischer Art in bauschigen Wortzusammensetzungen^)
sich behagende Redeweise des, nach seiner eignen Meinung
offenbar rein attisch schreibenden^) Dichters noch einen besonders
barbarischen Zusatz giebt.
Vermuthlich etwas später als Eustathius verfasste Theo-
dorus Prodromus (oder wie er sich in seinen Rettelgedich-
ten, ein byzantinischer Hipponax, um seiner grossen Armuth
willen, selber nennt, Ptochoprodromus^)) seine Geschichte von
1) Hier eine beliebige Probe; p. 188, \\ ff.: xipvä (xev ouv -^ xöpT] S^v-
7)^01; • i'i^ rj dZ'jYffiiu^ irivw, %a\ 7:(v(ov oi irtvoi, xal jx-?) irtvoiv irlvcu töv
£po>Ta. irlvei (xev ouv Z(»o^7]c xal Tpkoc if(6, &n (xou xal i^ lldv^ta irpo6iiie
xal irtvoiv xh^ i:6^a dX(ß«i Tf}( %öpT);, iziha xaTSici^lc tön ^(aöv* f) (e oiywo«
Tj -[XfüTXD T(ji oj^-^jAOTt XaXet xol XaXouaa oi^qi u. s. w. u. s. w. — Gi^pz
zwecklose, nur des Klanges wegen angebrachte AlliU^rationen, wie p. 164, 29 :
xa irept xpo^ol; xal TpucpeCc sehr häatig: z. B. p. 188, S3 ; 189, 22; 221, 5;
225, 16 f.; 251, 10. 13; 260, 25; 266, 6; 269, 25; 271, 16. 23; 284, 28.
2) Besonders sei doch noch hervorgehoben die dumme Dreistigkeit,
mit der fustathius gelegentlich ganz uralte Dicla sich wie eigene Erfin-
dungen zuschreibt: — dtXXo; auTÖc ' o&roi ^dp ^fcb töv «plXov öplCopiat 164, 25;
vgl. 165, 18. .
3) Ein ergötzliches Beispiel für dieses Herumwühlen in flitterhaftem
Phrasenwerk mag z. B. das erotische Gefasel p. 199, 16 — 26 darbieten;
wüsste man nicht, wovon er eigentlich raden will, man könnte meinen, es
sei etwa vom Austernessen die Rede: SXtjv dveppö^pouv toIc x^^^^^ — ^^K^
unter Anderem der die Freundin umschlingende Liebhaber xal 'iJ^eXov
tk-fj^ xaTa^a^eiv xal 8Xt]v aM^^ xaTepe6feadai. Dabei soll Einem nicht übel
werden !
4) Z. B. solchen Perlen wie: xaxaa-njXoYpa^elv, xaxa^uxoup^elv 285, 26 —
97; xaxaxXooxxaX^etv 240, 21 ; 249, 29; diravatie^eodat 240, 29; xaxaxcpa*jvo-
ßoXeto^at 249, 3 u. s. w.
5) TU oöv oStipc — T'Jjv fX&xxaN dxxixeuopi^vtiv iiwi — cbc xoxa-
Coif passiv x<ji Xöif9 xoO; '^d[t.o'j^ x-zk. 284, 1.
6) Dass Theodorus Prodromus und Theodorus Ptochoprodromus Eine
Person seien, nimmt mit Recht an Henrichsen, Ueb. die polit. Verse (Uebers.
L. 1889) p. 106. Dort p. 107 ff., ein Verzeichniss anderer Reimereien des
Theodoras; vgl. auch Fabricius B. Gr. VIU 137—144 Hart.
— 528 —
Rhodanthe und Dosikles. Theodorus lebte als Mönch in
einem Kloster zu Gonstantinopel , unter den Regierungen des
Johannes und Manuel Komnenos (reg. \\\S — 4180), welche
beiden Kaiser er mehrfach angesungen hat, bald in den ftlnf-
zehnsylbigen s. g. politischen Versen, bald in den, nach etwas
strengerer Norm gebauten byzantinisch-altgriechischen iarobischen
Trimetem, welche ihm, wie den meisten seiner Zeitgenossen,
abfliessen, wie das Wasser aus dem Stadtbrunnen, und in
welche er denn auch, ausser zahlreichen andern Reimereien,
diesen Roman eingekleidet hat. In neun Btlchem erzählt
derselbe, wie Dosikles aus Abydus die, bei ihrem Gange zum
Bade erblickte und geliebte, aber bereits einem Andern ver-
sprochene Rhodanthe, mit Hülfe einiger Freunde, entfuhrt, auf
Rhodus aber von Seeräubern überfallen und nach deren Heimath
geschleppt wird. Ein Mitgefangener, Kratandros aus Gypem,
tröstet, durch die Erzählung seiner eignen Leidensgeschichte,
das unglückliche Liebespaar. Liebeswerbungen eines der Räuber,
Gobryas, um die Rhodanthe werden glücklich abgewendet durch
eine grosse Seeschlacht, welche die Räuber mit einem mäch-
tigen Gegner, Bryaxes, zu bestehen haben. Bryaxes siegt; bei
der Heimfahrt scheitert das Schiff, auf welchem die Weiber
sich befinden; Rhodanthe wird aber von einem KaufmannsschifT
aufgenommen, und nach Cypern verkauft, an Kraton, des Kra-
tandros Vater. Der reist nach Pissa , des Brj^axes Residenz,
befreit, die, zum Opfer für die Götter bestimmten Freunde.
Kratander und Dosikles und kehrt mit ihnen nach Gypem zu-
rück. In Gypern treffen die Liebenden wieder zusammen; die
Liebe der Myrilla, Tochter des Kraton, zum Dosikles, ihre
Vergiftungsversuche gegen Rhodanthe, machen ihnen noch
einige Noth; bald aber kommen die, vom delphischen Orakel
nach Cypern gewiesenen Väter aus Abydus an; Väter und
Kinder fahren nach Hause zurück, und, von den Müttern
freudig empfangen, feiern Dosikles und Rhodanthe ihre Hochzeit.
Eiferte Eustathius dem Achilles nach, so ist des Theodorus
Vorbild der Roman des Heliodor. Ihm hat er die künstliche
Disposition der ersten drei Bücher seines Gedichtes entlehnt,
in welchen wir, gleich zuerst in den Ueberfall von Rhodus
durch die Räuber hineingerissen, erst nachträglich durch eine
Erzählung des Dosikles und eine Wiedererzählung des einst von
— 529 —
ihm den rhodischen Gastfreunden Erzählten die früheren Schick-
sale des Liebespaares erfahren. Aus Heliodor ist dann weiter
entnommen die Entführung der Geliebten mit Hülfe einer
Freundessehaar, die Liebe des Räubers zur Heldin, die diplo-
matische Art, mit welcher das Paar^ angeblich Geschwister, auf
die Anträge des Räubers eingeht^]; die beabsichtigte Opferung
der Kriegsgefangenen; die versuchte Vergiftung der Heldin
durch eine, in den Helden verliebte Herrin u. s. w. Vor
Allem berührt sich Theodorus mit Heliodor in der grossen Vor-
liebe, mit welcher er die kriegerischen Ereignisse, welche den
Wendepunkt des Ganzen bilden, ausmalt. Wo er von Heliodor
abweicht, scheint er von Eustathius einige der albernsten
Erfindungen entlehnt zu haben. Dort wie hier wird die Heldin,
aus den Wellen von Kaufleuten errettet, in die Sclaverei ver-
kauft; der Held trifft sie als Magd bei ihrer neuen Herrschaft;
die Väter, von einem absurden Orakelspruch geleitet, holen
zuletzt die lange Vermissten ab. Endlich hat Theodorus noch
einige absonderliche Motive und Episoden aus eigner, vielleicht
durch die Erinnerung an gewisse populäre Ueberlieferungen
geleiteter Erfindung eingelegt ^j. Der Charakter seiner Dar-
1) III 819—404.
2) Da, wie es II 179 so geschmackvoll heisst, ^UTtavd^ r?]; xöp7]c tö
aapx(oN d^pjfiß XouTpoO xal ^o-^c xadapobu so wird die, sonst (gleich der Hero)
vom Vater in ein »kleines Thürmcben« verschlossene (II 175 ff.) Rhodanthe
eines Tages in das öffentliche Bad geschickt, bei welcher Gelegenheit sie
Dosikles zuerst sieht. Das ist ein orientalisches Romanmotiv: so er-
blickt Aladdin seine Schöne bei ihrem Gang zum Bade, 1001 Nacht VII
p. 910 (Bresl. Uebers.) ; vgl. ebendas. XIII 155; auch Ardschi Bordschi
Khan bei Schiefner bull, de l'acad. de St. Petersb. 1857 p. 71 u. s. w. —
VIII 428 — 530 : als einst Dosikles und Kratandcr (in Cypern) auf der Jagd
sind, giebt Myrilla der Nebenbuhlerin Rhodanthe einen Trunk, der sie in
einen todtähnlichen Starrkrampf versetzt. Dosikles sieht auf der Jagd eine
Bärin ein erstarrtes Glied durch Auflegen eines Krautes heilen, nimmt das
Kraut an sich und heilt damit die Rhodanthe. Offenbar eine Nachbildung
des oben p. 126 erwähnten Märchens von den heilkräftigen Schlangen-
blättern. — Eigene Erfindung des Theodorus sind wohl die barbarisch
scurrilen Scenen des vierten Buches, V 114 ff., in welchen dem, vom
Mistylus bewirlheten Abgesandten des Bryaxes die Schauspiele eines ge-
bratenen Lammes, aus welchem Spatzen auffliegen (vgl. Petron. Satir. c. 40)
und einer scheinbaren Wiederbelebung eines scheinbar getödleten Gauklers
(vgl. oben p. 484 A. 1} vorgeführt werden.
Rotade, Der griechifiche Roman. 34
— 530 —
Stellung unterscheidet sich von denijenigen der Erzählung des
Eustathius ungefähr so wie die Art des Heliodor von derjenigen
des Achilles Tatius. Im Gegensatz zu der süsslich galanten
Weise des Eustathius sucht Theodorus einen heroischen Ton
anzuschlagen, der ihm aber freilich durchaus in das Rohe und
Metzgermässige umschlägt. Wie bei Eustathius die erotischen
Plänkeleien, so nehmen bei Theodorus die gräulichsten Kampf-
scenen ganze Bücher ein. Natürlich wird auch das Erotische
nach dem bekannten Recept abgethan^); sonstiges BeiweriL wird
ziemlich gespart ^j ; nur in trotzigen Briefen der beiden krieg-
führenden Herren, und in wahrhaft entsetzlichen, endlosen,
gedankenlosen, in diesen widerlichen byzantinischen Versen
abgehaspelten, je nachdem süsslichen oder bramarbasirenden
Reden und Selbstgesprächen thut sich dieser Versmacher eine
Güte^). Bryaxes z. B. , auf einem Schild stehend, renommirt
seinen Kriegern etwas vor in nicht weniger als dreihundert
und neunzehn Versen^). Dem Leser aber, das darf man glau-
ben, wird es bei dieser Art der Poesie graulich, »er reitet
geschwind«, um aus dieser Barbarei zu entkommen. Wer nicht
selbst, zur Strafe seiner Sünden, in dieses (Purgatorium zu
steigen genöthigt und geneigt ist, dem möge von der Yor-
stellungsweise dieser byzantinischen Barbaren etwa das ausge-
führte Gleichniss eine Ahnung geben, in welchem Theodorus
die Trennung der gefangenen Liebenden auf zwei verschiedene
Schiffe mit der Zerschneidung eines lebendigen Ochsen in zwei
Theile vergleicht*).
Und nun stand gar noch ein wunderlicher Poet auf, welcher
den Roman des Theodorus Prodronius wie ein classisches Yor-
1) Vgl. z. B. U S99. 899 ff. Genaue Schönheitsbeschreibang I S9 ff.
2) lx<ppaai; eines Bechers: IV 834 — 414.
3) Briefe IV 80--78; IV 428—504. — Klagen und Monologe: II 206—
815; VI 264—418; VH 17—160! — Reden des Bryaxes und des Kratander
für und gegen die Vortrefflichkeit von Menschenopfern: VII 858 — 520.
4) V 115—483.
5) VI 195—206. — V 101—106 wird das, von den Rudern des Schiffes
gepeitschte Meer mit einem alten Weibe verglichen, deren thränennaase
Wangen geobrfeigt werden, während sie selbst beult, schreit und spuckt!
Merkwürdig für byzantinische Seidenstickerei ist das hiervon hergenommene
Bild IX 820 ff. — Charakteristisch sind übrigens auch einige Bilder des
Eustathius: z. B. p. 194, 24; 255, 11.
— 631 —
bild nachzuahmen sich vorsetzte. Nicetas Eugenianus sagt
-es selbst in der Ueberschrift seines Romans von der Liebe der
Drosilla und des Charikles, dass er seine Geschichte anlege »in
Nachahmung des verstorbenen Philosophen Prodromüs « ^) . Dieser,
offenbar kurz nach dem Tode des Prodromus ^) , und also etwa
am Ausgang des zwölften Jahrhunderts geschriebene Roman
wird, gleich dem des Prodromus selbst, in byzantinischen Tri-
metem vorgetragen , und ist in neun Bücher eingetheilt. Es
wird darin erzühlt, wie Charikles die bei einem Dionysusfeste
2uerst erblickte Drosilla entfuhrt, von Seeräubern überfallen
wird, diesen entkommt, am Lande aber, vor der Stadt Barzos,
von Parthem gefangen wird. Die Gefangenschaft des Liebes-
paares theilt Kleander aus Lesbos, welcher mit der Ralligone
•entflohen, bei Barzos vom Sturme ans Land geworfen, und,
während Jene sich zu verbergen gewusst hatte, allein von den
Parthem gefangen worden ist. Frau und Sohn des Parther-
königs bedrängen Charikles und Drosilla mit Liebesanträgen.
Ein Krieg zwischen den Parthern und dem Fürsten der Araber,
€hag0S| fällt zu Gunsten der Araber aus; die drei Griechen
werden mit der übrigen Beute fortgeführt ; beim Transporte an
der Meeresküste wirft ein überhängender Baumast die Drosilla
vom Wagen ins Meer. Sie rettet sich ans Land. Die beiden
Jünglinge, von Ghggos frei gelassen, treffen in einem Dorfe
die zufällig ebendorthin gelangte- Drosilla an. Kleander^ von
dem Tode der Kalligone unterrichtet, stirbt vor Gram. Gnatho,
welcher ihm jene Nachricht gebracht hat, erkennt Charikles
und Drosilla als die Kinder seiner Freunde, welche, durch
Träume gemahnt, nach Barzos gezogen waren, und den Gnatho,
sich weiter nach den Vermissten umzusehen , ermahnt hatten.
Diese gehen nun nach Barzos, reisen mit den Vätern nach Hause
zurück, und werden, froh von den Müttern empfangen, durch
den Priester des Dionysus ehelich verbunden.
Die Nachahmung des Theodorus in der Anlage und Aus-
i) no(7]oic xupiou Nix-^TOü ToO Euf€veiavoü xatA [xifAtjaiv xoO [xa^apltou cpi-
XosöcpoD ToO lIpo^pöfjLO'j. So in der Pariser Hs. des Romans. S. Boissonade,
Nie. Eug. II p. 4 ff.
2^ Mit Recht schliesst Boissonade II p. 14 aus dem Zusatz toO [xaxapCxou
bei dem Namen des Theodorus Prodromus, dass dieser damals noch
nicht lange todt war.
34»
— 532 —
bildung des Ganzen liegt allerdings auf der Hand; Ton und
Charakter des Romans sind gleichwohl Ton dem des Theo-
dorus sehr verschiedeii , weniger martialisch als weichlich
erotisch. FUr Nicolas sind offenbar die erotischen Excurse, mit
welchen er den Rahmen der Ereignisse ausfüllt, die Haupt-
sache : Liebesbriefe, 'Liebesgesänge, lange abgeschmackte Klage-
reden , dazu Schilderungen von Landschaften und Festen theilt
er mit vollen Händen aus ^] . Ein origineller Zug begegnet auch
hier nirgends; vielmehr stiehlt Nicetas seine Redeblumen und
galanten Wendungen sich sehr unbefangen überallher zusammen ^
aus den Anakreonteen , den bukolischen Poeten, dem Musaeus,
den Epigrammen der Anthologie, auch aus Heliodor und Lon-
gus^), zumal aber aus Achilles Tatius^). Wo ihm einmal ein
eigner Einfall kommt, trägt er stets den Charakter des Ekel-
haften, welcher überhaupt ^alle Originalerfindungen dieser spät-
byzantinischen Poetaster bezeichnet*). Und um diese Arm-
seligkeiten völlig unerträglich zu machen, werden sie gar noch
in einem tragisch hochtrabenden, in ungeheuren Perioden,
feierlichen Umschreibungen , ellenlangen selbslerfundenen Com-
posita^j einherstelzenden Stile vorgetragen.
1) Briefe: I 169 ff., 202 ff., 240 ff., 284 ff., V 19» ff. LiebesgesäDge :
II 826-886, III 268 ff., 297 ff., IV 156 ff. Eine erotische Betrachtung beim
Anblick der schlafenden Geliebten: IV 880 ff. (nach Longus I 25, 2. Vgl.
Propert. I 8 u. s. w.). — Klagereden : I 226 ff., 289 ff. ; 11 8 ff., IV 109 ff. ;
V 181 ff., 188 ff.; VI 84 ff., 204 ff., 806 ff.; VIII 84 ff., 197 ff.; IX 87—
107. — Beschreibung einer schönen Wiese: 1 77 ff., eines Festes am Flus.se
Melirrhoas: III 65 ff.
2) Auf den Roman des Longus spielt Nie. ausdrücklich an VI 489 ff.,
auf den des Heliodor VI 888 ff. (dort heissl 'Apx'^\t.dsrii der bei Heliodor
'Ayianktrri^ Genannte), 898 f. Dem Heliodor macht er Vieles nach, auch ab-
gesehen von dem, was ihm durch Vermittelung des Theodorus aus dem
Heliodor zufliesst. So ist wohl dem Heliodor die, durch den ganzen Roman
sich erstreckende Leitung der Schicksale des Liebespaares durch einen
Gott nachgebildet: beim Nie. ist es der (hier allerdings sehr ungeschickt
eingreifende) Dionysus : s. I 247 ; III 408 ; IV 98 ; VI 668 ; VII 226.
3) in 268 ff., 297 ff.; HI 125 ff., 185 ff.
4) Z. B. VII 278 ff., wo ein Solotanz eines alten betrunkenen Weibs-
bildes geschildert wird. Oder IV 188 ff., wo Klinias der Drosilla folgendes
Compliment macht: oi ^m'^pa^il — «bpalov "Xpco;, ofjc y*^*^?^ p-Tjrpöc ^f*-
ßaXdiv Touc ^axT'jXouC) ßoXcbv t^ Sl^pouv XP^f^^^ T^^ ^^^ ^6ha.
5) Z. B. Xeuxcpudpd^pouc I 188, nriQvoToSQiröp^upoc II 148, Xeuxspul^O'
— 533 —
Von dem Romane des Konstanlinus Manasses, eines
Zeitgenossen des Theodorus Prodromus, welcher in neun Büchern
in politischem Versmaasse die Liebe und Abenteuer des Aristan-
der und der Kallithea abhandelte, sind uns nur eine Reihe
sentenziöser Betrachtungen auszugsweise erhalten^). Beiläufige
Andeutungen in diesen Excerpten genügen, uns erkennen zu
lassen , dass auch in diesem Romane , wie bei Theodorus und
Nicetas, von einem Ueberfall durch Barbarenhorden, einem
Kampf, der Gefangennahme des Paares, einem Mitgefangenen,
der die Liebenden zur Erzählung ihrer Geschichte auffordert,
begonnen wurde; weiterhin war von einem bösen Eunuchen,
einer verliebten barbarischen Herrin die Rede 2). Also immer
wieder derselbe enge Kreis kindischer Erfindungen!
Es war hohe Zeit, dass ein kräftiger Windstoss einmal diese
dürren Blätter bei Seite fegte. Solch ein freierer Hauch streifte
wenigstens auch die byzantinische Poesie, seit die Kreuzzüge
nähere Berührungen mit christlichen Nationen des Ostens brach-
ten, zumal seil (1204) in dem eroberten Gonstantinopel ein
lateinisches Kaiserthum und, dauernder begründet, in Morea
französische Fürstenthümer Wurzel schlugen. Zwar zu einem
neuen Trieb von originaler Kraft fehlten dem byzantinischen
Greisenthum alle Bedingungen; aber man wagte nun doch, ohne
Zweifel durch das Beispiel der » fränkischen « Nationaldichtungen
ermuthigt, das Nachstümpern antiker Form aufzugeben und in
der »rhomaeischena Volkssprache Dichtungen vorzutragen, welche
wenigstens nicht einer gänzlich abigelebten antiken Bildungswelt
elend nachgeäfft waren. Zumeist verhielt sich die erzählende
Dichtung dieser spätbyzantinischen Zeit einfach empfangend.
Orient und Occident strömte hier zusammen. Wie bereits in
früherer Zeit die orientalischen Novellenkreise des Pantschatantra
cpa)!j<p*5po; II 248, r.(n%i\o^ap'z(i[i.7.-:a III 121, 7rnr,voopofJLÄv V 46, dpyirepao-
cvT^dr^Tfi V 341, o'jfxa%0T^a'f^[i0L'zi VII 48 u. s. w.
1) In der ToSovid des Makarios Chrysokephalos : aus einer Hs. der
Marciana in Venedig edirt bei Boissonade hinter dem Nie. Eug., bei
Hercher, Erot. scr. II 555 ff. Ergebnisse einer neuen Vergleichung der
Hs. bei Hercher, Hermes. VII 488 f.
2) Buch I fr. i. 8. 9. arpatidiTai. 6 ßdipßapoi. 1. «. Furcht 4 >.6rT).
5. 10. xaXXoc IpcDc. ;vgl. 15. 16). 12 Erzählung fremder Leiden. 14 ge-
meinsame Klagen der cjvar/jiaXtoTiaftlvTsc. Ein böser Eunuch VI v. 23 ;
IX V. 10. Liebe einer barbarischen Herrin: IX 28—29.
— 534 -r
und des Sindabad durch Uebersetzungen der byzantiuischeu
Volkslitteratur angeeignet waren, so übertrug man jetzt einzelne
französische Dichtungen aus dem Kreise der Tafelrunde; von
der schonen Magelone; von Flores und Blancheflor; vom troja-
nischen Kriege; von ApoUonius von Tyrus^). Manche der-r
gleichen Dichtungen wurden durch diese Uebertraguogen in
volksthttmliches Griechisch so populär, dass sie sich noch heut-
zutage im Munde des Volkes als Märchen erhalten haben. Vo»
dem neugriechischen Märchen von Apollonins ist oben gelegent*
lieh die Rede gewesen. Ein anderes Märchen,^ die wohlbekannte
Sage von der guten Florentia in modemgriechischer Verkleidung,
erzählend'), stellt uns freilich in die schwankende Mitte zwischen
1) Ich meine die grieebischea Gedichte : 6 irp^aßvc Inn^rr^; loropia to^
'H}&iicp(ou ; ^PXcibpto; xal IIXaT^ta^Xibpa ; 6 iröXcfioc riic Tp<)Ml^c ; loropta ^AicoX-
XcDvtou Tou Tuplou. Litterfiriscbe Uebersicht über diese Dichtongen bei El-
lissen, Aoalekten der mittel- und neugriech. Lit. 5 p. 8 AT., W. Wagner,
Medieval greek texts I (London 4870} p. XVI ff.
2) Es ist die bekannte Geschichte von der treuen Frau, welche in Ab»
Wesenheit ihres Gatten von dessen Bruder vergebens versucht wird, «nd
dann, ins Weite getrieben, die Liebesanträge vieler ihr begegnender Mttnner
(eines Ritters, eines durch sie von der Todesstrafe losgekauften Verbrechers,
eines Schiffers) abzuwehren hat, endlich, durch Heilcuren weithin berühmt
geworden, in dem Kloster, in welchem sie Unterkunft gefunden hat, alte
Personen der Geschichte, von verschiedenen Krankheiten geschlagen, an--
kommen sieht, nach Bekenntniss ihrer Schuld alle heilt und mit ihrem
Gatten wieder vereinigt wird. Ueber die verschiedenen Versionen und Be-
arbeitungen dieser Dichtung von der guten Florentia von Rom s. Grftsse,
Literfirgesch. lll 1, S86. S87. Dieselbe wurde, mit unwesentlichen Ab-
weichungen, in Janina als Märchen erzählt: v. Hahn, Griech. Märchen
N. 46 (1 p. 440 ff.); der Herausgeber hat freilich von der Idealität de»
Märchens mit der berühmten Sage nichts bemerkt. Man darf wohl ver-
muthen, dass, ähnlich dem Roman vom ApoUonius von Tyrus, auch diese
Geschichte von der guten Florentia durch ein, wahrscheinlich nach einer
der französischen dichterischen Gestaltungen der Sage gearbeitetes griechi*
sches Gedicht in der Volkssprache in Griechenland so populär geworden
ist, dass sie sich, als Märchen, im Volksmunde bis heute erhalten konnte.
— Uebrigens stammt diese (in manchen verwandten Sagen [wie der vo9
Genovefa, namentlich aber den Sagen von Cresoentia : s. v. d. Hagen, Ges.
ab. n. VII und dazu Hagen I p. Gl ff., auch Oesterley zu Kirchhofs Wend».
unmuth 9, 28; zu G. Rom. S4» p. 747, von Hildegard: Grimm, D. Sagen
N. 487] variirte) Erzählung ohne Zweifel aus dem Orient, vermuthlich
aus Indien. Sie gehört ursprünglich in den Novellenkreis des »Papageien?-
buches«, zu dessen ältestem Bestand sie gehört: sie findet sich schon in
— 535 —
Orient und Occident, deren genaue Abgrenzung in der Periode
ungeheurer Bewegung in den Kreuzzttgen am allerwenigsten
durchzuführen ist.
Gänzlich beschränkt auf Uebersetzung blieb übrigens die
byzantinische Dichtung auch in dieser Periode nicht. Wie einst
byzantinische Mdnchsdichtung sich die erbauliche Legende vom
Leben des Buddha zu einem christlich-asketischen Roman in
der Geschichte von Barlaam und Josaphat weitergedichtet hatte ;
wie die griechische Liebesromantik der Sophistenzeit zu eignen
Nachahmungsversuchen angereizt hatte, so scheint byzantinische
Betriebsamkeit auch von der Uebersetzung romantischer Poesien
des Westens zu wetteifernder eigner Erfindung erotisch-ritter-
licher Erzählungen nach fränkischem Muster mehrfach fortge-
schritten zu sein^).
der ältesten uns erreichbaren Gestalt jener Sammlung, in Nachschabrs Pa-
pageienbuch, Nacht 83 (s. Pertsch, Ztsch. d. d. morgenl. Ges. XXIX [4 807]
p. 586 — 588), dann auch im tüiiiischen Tutinameh: Rosen I 89— 4 08. Diese
Sammlung von Erztthlungen ist in ihrem ttltesten Kerne indisch: Benfey,
Pantsch. I 25 u. ö. Wohl durch Einfluss des viel gelesenen und über-
setzten Papageienbuches wurde diese wohl ersonnene Geschichte dann im
Orient ausserordentlich populär ;und ist sehr häufig nacherzählt und in
spielenden Variationen weitergebildet worden. Von orientalischen, aus
dieser Geschichte entsprungenen Erzählungen sind mir bekannt: »Der Kadi
und seine Frau« 4 »04 Nacht N. 497 (XI 287-^-399 Brest. Uebers.) ; N. 490
(XI 234—286); 4 004 Tag, 987—4004 »histoire de Repsima« (Gab. des föes
XV 477—54 4); eine weltlich heitere Umdichtung in der »Aventure de la
fille d'un Visir« bei Cardonne, M61. de litt. Orient. II 86—57. Endlich
darf man die, nach chinesischem Geschmack mit einer Verherrlichung der
frommen Sorge für die Manes der Eltern verquickte und auch sonst ent-
stellte chinesische Geschichte: »Wie weit geht Kindesliebe« (in: Chines.
Erzählungen, von Abel Remu^at, deutsch von *r. L. 4827. I 8 — 406) als
einen letzten Ausfluss dieser indischen, wohl durch buddhistische Missionäre
nach China getragenen Erzählung betrachten. Nach dem Occident wird sie
im Bütlelalter durch arabische Vermittelung gedrungen sein.
1) Wenigstens hat man für die, nach dem Muster fränkischer Ritter-
gedichte angelegten griechischen Romangediohte A6ßtOTpoc xal ToSdliAVY), B^-
dovSpoc xal XpuodvrCa bisher keine ausländischen Quellen entdecken können.
S. W. Wagner a. a. 0. p. XVI. XVII. — Zu diesen original compositions
rechnet Wagner, der acht griechischen Namen wegen, auch das griechische
Gedicht von der Liebe des Kallimachos und der Chrysorrho^, welches nach
Meursius mehrfach angeführt wird in Ducanges Gloss. m. et inf. Gr.
Herausgegeben scheint dies Gedicht noch nicht zu sein; Wagner meint so-
gar, da es sich nicht, wie Gidel behauptet, in dem Katalog der Hss. der
— 536 —
Es bliebe nun zu fragen, ob die also eifrig Empfangenden
in dem Verkehr mit den fränkischen Fremdlingen nicht auch
ihrerseits gar Manches zur Vergeltung mitgetheilt haben mögen.
Durch die unermessliche Bewegung der Kreuzzüge , welche
überall, in weiten Erdstrecken, alles Lebendige heftig auf-
rüttelte und zusammenführte , wurde ja eben jene erstaunliche
Mischung fremdartigster Elemente bewirkt , welche, zuletzt
doch von einem einheitlichen Sinne und Gemttthsinhalt belebt,
das schimmernde Wunderwesen der » romantischen a Poesie ent-
stehen Hess. Wenn nun zu dieser Mischung der Christenglaube,
das Ritterthum, einheimische Sage und Märchen der romanisch-
germanischen und celtischen Stämme, die Dichtung des Orients,
durch Juden und Araber vermittelt, zusammenströmte, so darf
man sicherlich auch den Zusatz eines spätantiken Elementes
nicht vergessen. Vielfach floss wohl dieses Spätantike aus
solchen Dichtungen spätgriechischer Zeit, in denen der Volks-
sinn des sinkenden Hellenismus die Gestalten seiner eignen
Vorzeit in einer bereits stark verschobenen, verschwommenen,
nebelhaft schwankenden Widerspiegelung dargestellt hatte: wie
den Volksbüchern von Alexander dem Grossen, von dem Kriege
um Troja. Aber man darf vermuthen , dass auch die schaalen
Erdichtungen der Romanschreiber aus der sophistischen und .
der eigentlich byzantinischen Zeit nicht ohne bedeutenden Eio-
fluss auf die romantische Dichtung zunächst der Franzosen der
Kreuzzugsjahrhunderte gewesen seien; und die Hinüberleitung
kais. Bibl. zu Wien durch Lambcctus verzeichnet finde, könnten wir nicht ein-
mal bestimmt sagen, ob das Werk überhaupt noch existire. Ich denke, es liegt
in Leiden: wenigstens finde ich in dem Catalogus librorum tarn impressor.
quam mss. bibliothecae publ. univers. Lugduno-Batavae, cura et opera W.
Senguerdii et Jac. Gronovii et Joh. Heymann (Lugd. Bat. 1716 fol.) unter
den »Mss. latini ac graeci quos illustr. Jos. Scaliger bibliothecae legavit«
verzeichnet, p. 342 N. 55, ein »volumen graecum quod inscribitur -zh xa-rd
xa>.Xi(iayov xal yp'jaop^T) (so) ipcotix^v hiii^pi^a, postrema Graeciae aetate
compositum, incipiens:
ToO rpoTjfxio'j npöpTjai; cuc lyti tä toj x6op.ou
<ipy6}jL£da SiVjYT^oiv tivo; reipaCofxivo'j
xcipoiaxou xal TTpaxTixoO %a\ roXuaYaT:tp.o'j u. s. w.
Wie man aus dem weiterhin folgenden, sehr unklaren Bericht« errathen
kann, enthält der Band die Gedichte von Kallimachos und von Lybistros
hintereinander.
— 537 —
dieses spätgrieehischen Elementes in die ritterliche Dichtung
des Abendlandes mögen, als eine Art Vergeltung für die so viel
reicheren empfangenen Gaben, die Byzantiner vermittelt haben,
mehr vielleicht im persönlichen und mündlichen Austausch als
durch Mittheilung vollständiger geschriebener Romanerzählungen.
Zumeist werden solche , bewusst oder unbewusst der spätgrie-
chischen Romandichtung entlehnte Inspirationen der Erfindung
oder der Darstellung occidentalischer romantischer Dichtungen
so fest eingewoben sein, dass sie aus dem Gewebe des Uebrigen
einzeln und für sich schwer herausgetrennt werden können:
wie denn in der eben genannten lieblichen Dichtung von Flor
und Blancheflor christlich-ritterliche mit orientalischen und, wie
ich denke, manchen, spälgriechischer Romandichtung nachgebil-
deten Zügen zu unlöslicher Vereinigung verschmolzen sind.
Gewiss würde ein mit allen Elementen dieser romantischen
Mischungen gleich vertrauter Kenner mittelalterlicher Dichtungen
über dieses heimliche Weiterwirken griechischer Romanfabulistik
in romanischer Ritterdichtung viel Aufklärendes mittheilen kön-
nen^). Uns würde, auf dem hier festgehaltenen Standpunkte,
vorzüglich interessiren , wenn ein solcher Kenner uns darüber
belehren wollte, ob nicht etwa auch einzelne vollständige
Romane spätgriechischer oder antikisirender byzantinischer Fa-
brik in das Abendland übertragen und in abendländischer Verklei-
dung in einzelnen Producten romanischer Litteraturen uns er-
halten seiend). Die Geschichte des Apollonius von Tyrus, durch
Uebersetzungen und Bearbeitungen allen Nationen des Mittel-
alters angeeignet, bietet für eine solche Uebertragung ein merk-
würdiges Beispiel. Freilich ermöglichte hier die frühzeitig
verbreitete lateinische Ueberarbeitung des griechischen Ori-
ginals den Abendländern die Aneignung: aber hieran zeigt
sich doch nur, dass die lebhafte Bereitwilligkeit zur innigsten
Aneignung solcher Dichtungen nur einer äusserlichen Begünsti-
gung bedurfte, um zur That zu schreiten; und warum sollte
1) Weniges, und dieses Wenige sehr unbestimmt trägt hierüber vor
Cholevius, Gesch. d. deutschen Poesie nach ihren antiken Elementen I 154 f.
2) Klingen nicht so flaue Liebesgeschichten wie z. B. das französische
Gedicht von Gautier d' Aupas (analysirt bei Le Grand d' Aussy, Fabliaux III
393— S05 [3. Ausg.]} fast v/'ie Bruchstücke eines byzantinischen Bomans in
der Art des Eustathius Macrembolita?
— 538 —
der Zufall gleiche oder ähnliche Begünstigungen nicht auch in
andern Fällen gefügt haben? '
Ich für meine Person weiss nun für diese Aufgabe einer
Entdeckung griechisch-byzantinischer Romane in modernem Ge^
wände nichts beizutragen. Ich muss mich begnügen, die Auf-
merksamkeit auf einen einzigen Fall aus einer freilich betrachte
lieh diesseits der Zeit der Kreuzzüge, und bereits im ersten
Früblicht herrlicher Renaissance gelegenen Periode zu lenken,
in welchem der Gedanke an die Nachbildung eines spätgrie-
chischen Romanstofif^es sich mir lebhaft aufdrängt.
Es soll von keinem Geringeren als dem Giovanni Boccaccio
die Rede sein. Dieser erzählt in der ersten Novelle des fünften
Tages seines Decamerone Folgendes. Aristippo, ein vornehmer
Mann auf Cypern, hat einen halbthierisch stumpfsinnigen Sohn,
Galeso, den man Cimone nennt, »was in der dortigen Sprache
so viel sagen will wie in der unsrigen Dummkopf«. Dieser,
auf dem Landgute des Vaters wohnend, erblickt eines Tages,
in einem Walddickicht an einer Quelle, eine wunderschöne
Jungfrau, Efigenia, in Begleitung einiger Diener eingeschlafen
liegend ; er fasst zu ihr eine heftige Liebe, begleitet sie, da sie
erwacht ist, nach Hause, und bleibt nun selbst bei seinem Vater in
der Stadt. Mit seinem Herzen ist sein Verstand erwacht: in
kurzer Zeit bildet er sich in allen Künsten zu einem wohl-
erzogenen Menschen aus. Er hält bei Cipseo, dem Vater der
Efigenia, mehrere Male um deren Hand an; der aber hat die
Tochter bereits dem Pasimunda, einem vornehmen Jüngling aus
Rhodus , versprochen. Als endlich die Efigenia zu Schiff nach
Rhodus zu ihrem Verlobten geleitet wird, fahrt Cimone nadi,
entert das Schiff der Rhodier, springt allein hinüber und raubt
die Geliebte, und lässt die Rhodier unverletzt weiter fahren.
Ein Sturm treibt sein eignes Schiff, statt nach Kreta, wohin
er steuert, in eine Bucht der Insel Rhodus. Dort werden sie
von der Mannschaft des kurz zuvor angekommenen, von ihnen
Überfallenen rhodischen Schiffes erkannt, von herbeigeholten
rhodischen Herren ergriffen und vor den Lisimaco, in jenem
Jahre den obersten Magistrat in Rhodus, geführt, der sie ins
Gcfängniss werfen lässt. Nach einiger Zeit will Pasimunda seine
Hochzeit mit Efigenia, zugleich sein Bruder Ormisda die seine mit
der Cassandra feiern. Diese Gassandra hat^ Lisimaco seit langer
-^ 539 ^
Zeit geliebt. Er thut sieh daher mit Gimone zusammen ; gemein^
sam überfallen sie die beiden Bräute, welche mit den übrigen
Frauen beim Hochzeitschmause sitzen. Ein jeder ergreift seine
Geliebte, erschlägt den sich widersetzenden Bräutigam; Beide
eilen mit ihrer Beute auf ein bereitgehaltenes Schiff, und fahren
nach Kreta, wo sie sich mit den Geliebten verbinden. Durch
Vermittlung der Freunde kann endlich Lisimaco mit Cassandra
nach Rhodus, Gimone mit Efigenia nach Gypem zurückkehren.
Die Quelle, aus welcher Boccaccio den Stoff zu dieser Er-^
Zählung geschöpft haben könne, hat bisher Niemand anzugeben
vermocht ^] . Eine freie Erfindung seiner eigenen Phantasie darf
man hier sicherlich nicht erblicken wollen: eine solche würde
auch im ganzen Decamerone durchaus vereinzelt dastehen. Das
Ganze für den Bericht eines historischen Ereignisses zu halten ^) ,
verbietet schon, von allem Uebrigen abgesehen, das absichtsvoll
festgehaltene antik-heidnische Kostüm des Vorganges. Wenn
Boccaccio selbst, im Eingang seiner Erzählung, sagt, die fol-
gende Geschichte habe er »in den alten Geschichtsbüchern der
Cyprianer« gelesen 3), so wird man solche Quellenangabe unbe-
denklich dahin deuten dürfen, daas er (oder doch sein Gewährs-
mann) diese Novelle wirklich erzählt gefunden habe in einem
Buche, welches sie wie eine wahre Thatsache mittheilte, ohne dass
eiii solches Buch darum ein eigentlich historisches Werk gewesen
zu sein brauchte. Ich will es nun wagen, die Vermuthung aus-
zusprechen, dass diese »cyprischen Geschichten« derselben Art
gewesen sein mögen, wie etwa die »ephesischen Geschichten u
des Xenophon, die »babylonischen Geschichten« des Jamblichus,
die »aelhiopischen Geschichten« des Heliodor, nämlich ein spät-
griechisher Roman. Die ganze Erzählung scheint mir die
deutlichen Kennzeichen solcher Romandichtimg spätgriechischer
1} Den unsinnigen, noch von Manni getheilten Einfall, dass Bocc. in
dieser Novelle dem Pseudiotheokriteisehen BouhoXIoqloc (Idyll. 30) nachahme,
hat man jetzt wenigstens aufgegeben. S. Dunlop* Liebrecht, G. d. Prosad.
p. 234; Landau, Qu. d. Decamerone p. 408.
2) Was z. B. Val. Schmidt, Beitr. zur Gesch. d. romant. Posie p. 48,
nicht ganz abweist.
3) »S\ come noi nelle antiche istorie de' Cipriani abbiam giä letto<r.
-TT Ganz ähnlich ist es, wenn Bandello, Nov. I 25, behauptet, die Gesch.
vom Schatz des Rhampsinit» die er einfach dem Herodot nacherzählt, gefun-
den zu haben »nelle antiche istorie dei regi d' Bgitto«.
— 540 —
oder vielleicht auch byzantinischer Zeit zu tragen. Die Hand-
lung geht in heidnischer Vorzeit vor sich; mehrfach sehen wir
»die Götter« an der Maschinerie dieser Vorgänge thätig^), die
»neidische Fortuna« wirkt hier so unumschränkt wie die Tyche
in den Sophistenromanen ^j . Die Namen der Personen sind grie-
chische , und zwar nicht vom Boccaccio selbst erfundene : denn
wie könnte er sie uns sonst in so missverstandenen Entstellun-
gen überliefern ^j ? Der Schauplatz der Handlung liegt auf Rhodus
und Cypern (wie bei Theodorus Prodromus) , auf Kreta und dem
sturmbewegten Meere, welches diese Inseln verbindet: wir sind
durchaus in der Heimath der meisten griechischen Romane.
Die Handlung zeigt mit derjenigen der Sophistenromane eine
eben so nahe Verwandtschaft als sie von der ganzen Art der
sonst von Boccaccio am häufigsten benutzten Novellenstoffe
orientalischen oder französischen Ursprungs grundverschieden
ist. Das Unrealistische dieser Vorgänge, die schwächliche, flau
erfundene Intrigue, das süsslich Uebertriebene der Gefühle;
dazu die besondere Art der hier vorgeführten Abenteuer : See-
fahrt, Entführung der, vom Vater einem Andern verlobten Ge-
liebten, Sturm, verliebter Magistrat, ja einzelne absonderliche
Auftritte, wie die sehnsüchtige Betrachtung der schlafenden
Geliebten durch den Liebenden^), auch die lange gedrechselte
1) — egii pareva che gl' Iddii gli avessero conceduto il suo disio ac-
ciöche — u. s. w. gl' Iddii non volevano, che colui, il quäle lei contra li lor
piaceri voleva aver per isposa, potesse del suo presuntuoso disiderio godere
u. s. w. gli Iddii sono ottimi e liberali donatori delle cose aglt uomini
u. s. w. Daneben freilich auch einmal ganz treuherzig: rimanti con Dto.
2) la invidiosa fortuna; la fortuna non stabile. La fortuna, quasi pen-
tuta della subita ingiuria fatta a Cimone, nuovo accidente produsse per la
sua Salute u. s. w.
3) Aristippo, Efigenia, Lisimaco, Cassandra sind verständlich; Ormisda
ist wohl das perso-hellenische 'Op[x(o^; (ein den spätesten griech. Histo-
rikern und ihren Zeitgenossen geläufiger Name) ; Galeso s= FoXaiao; ; Cipseo
entstellt aus Ku'kXo;? Pasimunda weiss ich nicht zu deuten; es ist wohl
ein stark entstellter Name auf rovoa;. Welche Weisheit endlich hinter der
Angabe steckt: »Cimone, il che nella lor (nämlich de' CipriantJ lingua suonava
quanto nella nostra Bestione« überlasse ich Andern auszumachen.
4] Man erinnere sich der verwandten Scenen bei Longus und Nie. Eag.
S. oben p. 533 A. 1. Als Cimone so die Efigenia zum ersten Mal erblickt »da*
bitava non fosse alcuna Dea«; ganz nach der Ausdrucks^eise des griechi-
schen Romans. Man denke an Xen. Eph., an Chariton etc.
— 541 —
Rede, in welcher Lisimaco dem Cimone seinen Entführungsplan
ankündigt: Alles dieses zeigt die unverkennbaren Züge des
Liebesromans der griechischen Sophistik ; die ganze Novelle liest
sich wie ein Auszug aus einer Romandichtung jener Zeit und
Gattung. Wie freilich Roccaccio zu dieser Erzählung gekommen
sei; muss freier Vermuthung überlassen bleiben. Uebertrug er
sie kurzweg so wie er sie fand aus irgend einer fremden Sprache,
in derselben Weise wie er einzelne Novellen aus den Metamor-
phosen des Apulejus fast wörtlich übersetzt hat? Oder lag ihm
eine ausführlichere griechische Romanerzählung vor, deren In-
halt er selbst erst in den vorliegenden Auszug zusammengezogen
hat? Es ist ja bekannt, dass Roccaccio einigermaassen Griechisch
verstand, griechische Handschriften sammelte und zum Theil
abschrieb 1). Es scheint auch, als ob er noch einige andere
Dichtungsstoffe spätgriechischen Poesien entlehnt habe 2). Frei-
lich mochten, bei solchen Entlehnungen, lebendige Rathgeber
ihn in der Entzifferung griechischer Rücher unterstützen, z. R.
jener seltsame Grieche Leonzio Pilato, den Roccaccio selbst nach
Florenz zog^j. Hatte ihm also ein solcher Reistand auch die
Renntniss dieser, aus irgendwelchen romanhaften »Kypriakaa
geschöpften Erzählung vermittelt? Hatte er sie ihm nur in
mündlicher Wiedergabe, nach der Erinnerung an eigne einstige
1) Vgl. Tiraboschi, Storia della letterat. ital. I 4, 9 (IX 172 ed. Milan.
4838 in 420), i 4, 46 (IX 486).
2) Es 'Wäre z. B. zu überlegen, ob der Stoff der Teseide, 'welchen Bocc.
gefunden zu haben behauptet in »una antichissima storia e al piü delle
genti non manifesta, in latino volgare« von ihm nicht entlehnt sei
einem byzantinischen Gedichte in »rhomaeischer« Sprache. Tyrwhitt
(aus dessen Auszuge ich das Gedicht allein kenne) neigt in der That zu
einer solchen Annahme (Chaucers Canterb. Tales ed. 2. Oxf. 4 798. 1 p. 86 A. 43}.
— Ob nicht für seine Darstellung der Sage von Athis und Prophilias, Decam.
X 8, Boccaccio ein mittelgriechisches Gedicht benutzt haben mag, welches
zu dem uns erhaltenen altfranzösischen Gedicht über diesen Gegenstand
eine Parallele bildete? Für ein, gleich der Darstellung des Bocc., aus
paralleler Quell« mit jenem altfranzös. Gedichte geflossenes mittelhoch-
deutsches Gedicht vermuthet wenigstens W. Grimm (Haupts Ztschr. XII 485)
eine Herkunft aus einem miltelgriechischen Original.
3) Uebßr diesen gelehrten , aber überaus plumpen calabresischen Grie-
chen (in ogni riguardo una gran bestia, nennt ihn Petrarca) , bei welchem
Boc. Homer studirte, und dessen Aussagen er gelegentlich in der Genealogia
Deorum benutzt hat, s. Tiraboschl HI 4, 8 (XI 4 88 ff.).
— 542 —
Lectttre, mitgetheilt? Auf solche Fragen mag vielleicht ein
Kundiger genügende Antwort finden. —
Wir brechen hier unsre Betrachtungen ab. Nirgends
weniger als auf dem Gebiete, dem wir in diesem Buche unsre
Aufmerksamkeit zugewandt haben, lässt sich dem Hintiber-
wirken der alten Gultur in die neuere Zeit ein genaues Maass
bestimmen, nirgends weniger als hier ein starrer Zaun sich
ziehen, welcher »classische« und »romantische« Dichtung und
Empfindungsweise streng von einander schiede. Das mag
wohl auch dieses ganze Buch zu beweisen dienen. So eröffnet
der Betrachtung sich ein grenzenloser Ausblick. Aber freilich
muss jeder einzelnen Forschung ein bestimmtes Ziel gesetzt sein ;
und unser Ziel haben wir nunmehr erreicht.
Nachträge.
•
p. 46 ff. Zu der Sage von Zariadres und Odatis sei, nach
Mittheilungen von Andreas, noch Folgendes bemerkt. Der
Vater der Odatis heisst (Athen. XIIl 575 B) täv dirixeiva (d. i.
am rechten Ufer) toü TavatSo? ßaadeu? Mapa&wv. Diese
»Marathera gehören offenbar' zu den scythischen Stämmen:
daher erscheint Zariadres in der Versammlung der einheimischen
Dynasten selbst ebenfalls in scythischer Tracht (575 £). Man
verwandelt das unverstandene Mapa&u)V der Hs. gewöhnlich,
nach einer Gj. des Holstenius, in Ilapfiaraüv. »Aliud nomen la-
tere videtura, meint Meineke. Andreas ist geneigt, den Namen,
unverändert; als einen rein sagenhaften aus den eranischen
Sprachen zu erklären ; er schreibt : » Mapa&wv vergleiclie ich mit
mareta, martiya, welches etymologisch dem griech. ßpoTo; ent-
spricht; ßaaiXsu; Mapa&u)v ist also nichts anderes als ßaadsu;
ßpoToiv. Hierzu stimmt auch recht gut die Bedeutung des
Namens dieses Maratherkönigs '0[iapTT](;^ d. i. humarta oder hu-
martiya, Gutmann, EuavSpo;. Odatis (Udcliti, hudcliti) lässt sich
durch das griech. EuScopa wiedergeben; vgl. das einfache Da-
tis = Aa)pocc(. (Uebrigens sei der Name des Königs der Saker,
d. i. der Scythen, bei Polyaen VII 12 aus 'OfiapYr^; ebenfalls in
t)}JiapTT]c zu verändern). ' Sprechen also diese gut eranischen
Namenbildungen deutlich für die, ohnehin vernünftiger Weise
nicht zu bezweifelnde volksthümliche Ursprünglichkeit der Sage
von Zariadres und Odatis, so verbirgt sich, meint Andreas,
unter dem »Zariadres« vollends eine altberühmte Gestalt per-
sischer Sage: den »Zarlr« des Firdusi und des Mirkhond^ den
Bruder des Guschtasp, welcher diesem Zariadres entspricht,
habe Spiegel wiedererkannt in dem Zairivairi (»dieser Name
bedeutet höchst wahrscheinlich j^puaoftcopaE « Andreas) des Avesta
(Uebers. des Avesta, III p. LXV; p. 128 A. 3).
— 544 —
p. 48 A. 2. Eine leise Erinnerung an eine einst auch in
Persien heimische Sitte der freien Wahl des Gatten von Seiten
der Jungfrau ßndet Andreas in einem noch lebendigen Fest-
gebrauche erhalten, dessen Th. Hyde, Veterum Persanim et
Medor. et Parthor. religionis hist. (Oxon. 1760) c. XIX p. 258
gedenkt. An einem altpersischen Feste, Mardghirän genannt,
»i. e. Viricipes seu Viri Captuare (dies)« herrschen die Weiber;
die Männer thun, was jene ihnen vorschreiben, »hoc die fe-
minae capiunt juvenes, scilicet seligunt sibi vires«. — Uebrigens
wird auch nach altpersischer Sitte bei der Vermählung die Ein-
willigung des Mädchens eingeholt: Spiegel, Avesta II p. XXIX.
p. i08 A. 1. Bei R. Förster, Der Raub und die Rückkehr
der Persephone (Stuttgart 1874) p. 85 A. 2 lese ich die Ver-
muthung, der von Lactanz gemeinte Dichter eines Triumphus
Cupidinis. sei kein Anderer als Phanokles. Es wäre wohl
nicht tlberfltlssig gewesen, die Grtlnde für diese Behauptung
anzugeben. Die Bruchsttlcke der ^EpcDte«; r^ KaXoi des Phanokles
(s. oben p. 83 f.) zeigen, dass er ausschliesslich von Knaben-
liebe handelte; warum verschwiege Lactantius diese besonders
anstOssige Eigenthtlmlichkeit? Der Dichter des Triumphus Cu-
pidinis sprach ausschliesslich von Liebesverhältnissen der Götter;
Phanokles redet auch, und vorzugsweise, von Heroen und ihren
Liebesbtlndnissen mit schönen Knaben. Und wo feinde sich in
den Fragmenten des Phanokles die leiseste Spur davon , dass
er die von Eros bezwungenen Götter gefesselt den Wagen des
triumphirenden Liebesgottes ziehend dargestellt habe? Lohnte
es tlberhaupt, so ins Blaue hinein zu rathen, so könnte man
immer noch eher den Dichter des Triumphus Cupidinis in jenem
Artemidorus vermuthen, dessen elegische Erzählungen irepi
''EpwTo; oben p. 91 A. 4 erwähnt worden sind.
p. 180 Anm. a). Sollte nicht aus einem Missverständ-
nisse solcher, bereits damals unter den Anwohnern des per-
sischen Golfes volksthtlmlich verbreiteten Sagen von riesigen,
wie Inseln aus dem Meere ragenden, dann aber mit den lan-
denden Menschen plötzlich untertauchenden Fischen zu er-
klären sein, was Nearch (fr. 25 Müller [Scr. rer. AI. m.
p. 66 ff.]) sich von einer Insel im persischen Meerbusen er-
zählen Hess, T^ acpaviCoi too? irpocop(iio&^VTac ?
— 545 —
p. i88 Z. 17. 18 V. 0. Ueber Bahrain Gur von Persien vgl.
auch Hamza Ispahani (Annales ed. J. M. E. Gottwaldt. t. II
[transl. latina]) p. 40 : ab eo multae in Turania Graecia et In-
dia editae sunt res memorabiles ; Indiam quideni niutatis
vestibus petiit.
p. 203. lieber diese idealisirenden Vorstellungen der
Griechen von fernen Völkern kann man jetzt auch vgl. A. Riese,
»Die Idealisirung der Natur\'ölker des Nordens in der griechi-
schen und römischen Literatur« (Progr. des Gymn. in Frank-
furt a. M. 1875), namentlich p. 1—32.
p. 230 Anm. lieber die alte Sitte, im gebrechlichen Alter
sieh selbst das Leben zu nehmen, vgl. auch V. Ilehn, Gultur-
pflanzen und Hausthiere u. s. w. (2. Aufl. Berlin 1874) p. 463.
Ebendas. p. 474 wird auch von der , oben p. 266 A. 3 be-
rührten Etymologie des thracischen »Zalmoxis« geredet. Ob
freilich eine Angabe des Antonius Diogenes überhaupt so ge-
naue Untersuchung verträgt, mag dahin gestellt bleiben.
p. 247. Wegen romanhafter Verarbeitung des Mythus
konnte auch auf die KuTipiaxa des Xenophon von Cypern
verwiesen werden, welche die Sage von Kinyras Myrrha und
Adonis zum Romane umgedichtet halten. S. p. 346.
p. 350 A. 3. Spocfia in dem hier berührten Sinne auch
bei den byzantinischen Romanschreibern häufig: z. B. EusUith.
p. 244, 19; 246, 11; 285, 17; Theod. Prodr. amator. I 393;
VI 180; 280; VIII 389; 493; IX 36. 413.
p. 366 A. 2. Die a-n^XT) to5 Xsovtoc wird doch wohl ein-
facher verstanden, nicht als »Grabslele mit dem Bilde eines
Löwen«, sondern als Standbild eines Löwen. So in einer spüt-
byzantinischen (ursprünglich in elenden byzantinischen zwölf-
sylbigen Versen abgefasslen) Fabel (Fab. Aesop. 63 Halm.) :
supov 8s dv T^ o8({) TTStpivr^v ott^Xyjv ojxoiav av8pij iripav ott^Xyjv
XeovTOc aufATTvfYouaav.
Rohde, Der griechische Roman. 35
Druckfehler.
Xan 8cUe Seite 12 Z. 9 von unten utatt: begonnen: be^Anneii.
21 n 3 T. n. 0t«tt : in den nächtlichen Seelenleiden : in der ScklldervBf
der nächtlichen Seelenileiden.
n 22 n 6 V. u. statt: achte: dachte.
^ 28 „ 1 V. o. „ miüflte: mVAMte.
36 „ 7 V. u. y, lieta: lieaten.
, 4B g 9 V. o. „ des: dAs.
^ 61 ^ 5 V. o. ^ Komedie: Komödie.
„ Td n 14 V. tt. g lädt: läatt.
„ 85 n 1 V. II. « erklär: erklärt.
„ 87 ^ 5 V. u. , Homeri« bei: Homere. t«i.
n 88 n 6 V. u. „ die: der.
„ 141 „ 21 V. o. .„ recitiren: recitirten.
« 144 „ 10 V. u. ^ vindücirt«;n : vindlcirtt'n.
»
li^ ^ 6 V. u. n X:{^(ovo;: Xtifittivo;.
„ 156 ^ 25 V. u. n '"^^^ • '^•ur.
„ 108 „ 8 V. u. „ — : =.
^ 186 „ 20 V. o. f, nunmehr: vielmehr.
, 187 „ 16 V. u. « der: das.
188 „ 7 V. o. , T:«jpj{«?: nopt'!«;.
18Ü . 6 V. u. . 39: M.
190 , 18 V. o, « welche : welchen.
^ 221 n 18 V. u. « umgebende: umgebenden.
, 232 n 1^ v* *^' > welchen: welchem.
, 234 , 9 V. u. , dal tyxic«>.ov: de« ifxicaAo;.
, 235 „ l V. o. , pv«: det.
, 238 , 11 V. <K . bin: bei.
m 241 „ 25 V. o. , Tol; : To 0 ;.
, 243 . 2 ▼■ u. n nun: nur.
, 247 „ 16 V. o. , Heroica: Hon>ir«ii.
248 . 29 y. u. , Antheu.i: Anthe» .
„ 24S . 15 V. u. , A.topodor: Aatheft».
• 250 . 20 V. o. , In iitt SU .streichen.
„ 254 , 26 V. u. , Pythttgore«: Pythngtiras.
, 266 „ 5 V. o. , wuiidenl>ar!(ten : wuntlfrl>ar.<«ten.
. 266 « 21 V. o. , würde : würden.
, 270 , 13 V. o. „ von : vom.
, 274 , 23 V. ü. , abertcuorlichc: abenteufrlii-he,
, 280 , 17 V. o. f, vewirrtMule : verwirrvnde.
M 288 , 12 V. u. ., blüheilten : blühenden.
» 320 ,18|19v. o. , entbrannten: enthninsiie.
y, '346 , 5 V. u. « 8chauplat7.t: 8chauplats.
„ ii7l „ 9 V. o. . Erxähhlun«;: Krziihlung.
, SHT) ,!)n. llv.o. , Hipothous: Ilipp<>thou>i.
, 423 V, 8 V. u. , vo : vor.
, 429 • l V. u. , bij» her: bisher.
, 43^1 « 7 V. u. , Vorgaukeliing : Vor^aukeluni^en
„ 44(1 y, 2') V. u. « poetische: gnetisi-hc.
n -^'^ » 21 V. o. „ iiu»umnien:idirt : /iLsnmmenaddirt
, 46** „ 2(i V. n. , ergreift: an;:reift.
„ 470 „ 2 V. t». „ aniretender: eintretender.
« 515 „ H V. n. ., Zur^tände dind : Zu.stande lat-
, 5Ö2 Ceberschrift: ütatt: kritische: kritUch.
VicIlHch »ind Interpnnrtinndxeichen. 7.umal Kommata, fälHchlich 7.u<;e.fetzt (z. B. Seite 92
Z. 2 V. o. : Naturleben5, be^eeltenl oder fortgola.tflen fz. K. S. 360 Z. 21 v. o. : niuj«>en wir
wider Willen, bei dieser Vertheilung einstweilen unberücksichtigt la.«ifien, .^tatt: mussea
wir, wider Willen, bei u. s. w.i.
Register.
Achilles, erotische Abenteuer 42.
4 02 f. Typus 155, k.
Achilles, Astronom hli.
Achilles Tatius 470 IT. 489 f. 503.
Acontius und Cydippe 87 fT.
Aehnlichkeit der Barbaren unter ein-
ander 228, 3.
Aelian 345. 508, 3.
Aeschylus, Prometheus 475.
Aesopi Vita 167.
Aethiopen : verehren den Helios,
487, 7. — Gymnosophisten 441.
— Geschichte 45 1 fr. — Sitten 4 55, 4 .
Aetiologischer Charakter der hellenist.
Dichtung 84.
Agatharchides 177, 1. 505, 1.
Alciphron 343. 502.
Alemao 175, l.
Alcyone und Ceyx 125.
Alexandersage 181. 184 ff.
Alexander Aetolus S3.
Alexandria und Athen 359 f.*
Alexandrinische Dichtung im .5 6.
Jahrh. n. Chr. 473, 2.
Alexis Mepoicic 207, 3.
aXt[AOv 256 f.
Amometus 218.
Antheas Lindius 247, 1.
Balakros 271, 1.
Ballspiel 409, 1.
Bardesanes 203, 5.
Bttume; Liebe derselben unter ein-
ander 458, 1.
Antimachus, Lyde 72 f.
Antiochusu.Stratonice 52fr. 340.421,1.
Anliphanes von Bergs 222, 'i. 275, 1.
Antonius Diogenes 250 fT.
dcp£>.eia des Stils 518.
Apollonius von Bhodus 21. 97, 8.
105. 128, 1.
Apollonius von Tyana 298. 368, 5.
438 ff. 466.
Apollonius von Tyrus 408 fr.
Aratus 65, 9. 100.
Arceophon u. Arsinoe 79.
Ariadne 105, 2. 130.
Aristaenetus 343. 395. 473, 1.
Aristeas 174 T.
Aristides 317, 4.
Aristophontes 34 5, 4.
Aristoteles mirab. ausc. 84 : 215 f.
— T. Tiov lIudaYop£(tt)v: 255.
Artemidorus, Eiegiker 91, 4.
Asianische Rhetorik 289 f.
Asopodorus v. Phlius 247, 1.
Astraeus 264, 8.
Attische Sprache 328.
Atheisten 330 f.
Ausgrabung gefälschter Schriften
272, 2.
Auxomis 45, 3.
Beschreibung der körpercrscheinung
151.
Bion Borysthcnitcs 249 f.
Boccaccio (Decam. IV 8) 81, 2 (De-
cam. V 1) 538 ff.
35»
548 —
Bokchoris 870, 4.
Briseis 4 03, 1.
Buchstaben, ursprüngliche Anzahl der
griechischen, 237 f.
Caccilius von Calacte 326, 2.
Celer 348.
Ceylon 223, i. 289, 2.
XapaxTfjpec 248, 4.
Chariton 485 fT.
XapTocp6Xac 523, 8.
Choricius 509.
Damis 495. 440.
Daphnis 29. 36. 39. 78. 4.
Demetrius Phal. rspl T^^/t^; 278, 3.
oidXe;i; 322, 4.
Dikaearch, Bio; 'KXXotoo; 204, 2.
^xcppaaet; 835 f.
Elegie, musikalisch vorgetragen 4 39, 4.
Eroesa 463, 4. 466 f.
Entwicklung des Menschengeschlechts
nach griech. Vorstellung 201 , 2.
Ephcsus, Zeit der Umsiedlung durch
Lysimachus 75, 4.
Epilomao, von den Verfassern selbst
besorgt 402.
Epos hellenistischer Zeit 49 IT. ; spät-
griechisches 480 fr.
Festland jenseits des Ocean 205 , 4 .
Fische, ungeheure, vorschlucken
ganze Schiffe 4 96. 544.
Florontia, die gute von Rom, 584, 2.
Galatea und Polypbem 77 ff.
Gartenbeschreibungen 542, 4.
Gatlenwahl 48 ff.
Genitiv bczeichnetdieZcildauer462, 2.
Gerechtigkeit der Barbaren 201 ff.
Gespenster, erzeugen Krankheiten
387. 4.
Har|>al>kü 36.
Iledylc 67, 2. 94.
Hegesias 54 8.
Hekataeus v. Abdera 208 ff.
Bukolen in Unt«rägypten 454, 4.
Butas 96.
Byblis 95, 4.
Ciris 98.
Clementinische Homilien und Recog-
nitt. 444. 208, 5. 264. 476, 4.
Constantinus Manasses 588.
Cyniker, politische Theorien 242;
humoristische Schriftstellerei 249.
Dio Chrysostorous 280, 8. 298. 508, 8.
509 f.
Diodor V 49 f.: 245 f.
Dionysius Corinthius, AiTta 90.
opafxa 354, 4. 450, 2. 545.
Erdumsegelungen 259, 4.
Eros, Rache an Spröden 4 47 f. ; Pfeil-
schuss 449, 4.
^T/TjfiaTiOfi.iNai UTTO&iaet; 484, 4.
Euclides, ipmzi%6i 56, 8. 70, 2.
Eudoxus Rbodius 268, 8.
Euhemerus 220 ff.
Euphorien 28, 4. 26, 8. 86, 5. 90.
98, 2. 428. 484, 8. 506, 2.
Euripides, Liebestragoedien 34 ff.
Eustathius Macrembolita 522 ff.
Frauen, griechische, ihre Stellang in
hellenistischer Zeit 60 ff.'; io der
Kaiserzeit 854 ff.; vgl. 146, 2.
424, 4. 479, 4.
Glaucus u. Scylla 42, 5.
Gorgo 84.
Götter, ihre Liel>esabenteuer 4 07 f.
(Grammatik, im Dienste der Rhetorik
326 f.
Guarini, Paslor fldo 48, 8. 444, 4.
Guschtasp und Katayün 46.
Heliodor 424 ff. 443, 2. 488. 489.
825, 2.
Heliodoms ir. (iuortx-^c ^^X^^ 448, 2.
Herakles, erotische Abenteuer 105, 8.
— 549 —
Hermesianax 74—82. 88, 4.
Hero und Leander 438 fT.
Uerodes Atticos t98, 5. 815.
Uerodianus, Romandichter 847, 4.
Herzog Ernst, Reiseabenteuer 482.
Hesiod. 4 42, 2. yLvzdkofo^ '^\J'^nl%o»^^^^.
Hesychios Illustrius 475, 4.
Hippe 89, 2.
Jägerjangfrauen, mythische 4 48.
Jamblichus, Romandichter 864 ff.
458, 4. 482. 489.
Jaroblicb. ViU Pyth. 253, 2.
Jambalus 224 ff.
Kadmus von Milet, Erotikcr 847, 4.
Kallimachoa 22 f. 65, 9. 66, 3. 67, 4.
4 36. — AtTta 84 ff. — Helcaie 88.
506, 2. — Aufenthalt in Athen 99, 3.
Kallimachos and Chrysorrhoe, mittcl-
grlech. Gedicht 535, 4.
Kamrup, Abenteuer des 50.
Kanake und Makareus 4 04, 2.
Kapiton, Epiker; 'Epairtxa 431, 4.
Kaufmannsberichtc über fremde Län-
der 9i9, 4.
Kepbalus und Prokris 44, 8. 404, 3.
Kimmerier 260, 3.
Kinyras und Myrrba 4 04, 4.
Kissos und Kalamos 4 58, 2.
Laertius Diogenes, Biographie des
Bion Borysth. 250.
Laodaroia 38, 5. 4 05, 4.
Legende 24 f.
Lesbonax 344, 8.
Longos 498 ff.
Hftrchen. Beitrage zur vergleichen-
den Märchen- und Sagenkunde:
32, 4. 46 ff. 58. 82, 3. 425 f.
434, 4. 439. 459. 473, 2. 480 ff.
*204, 3. 264. 264, 4. 266, 4. 270, 4.
355, 4. 367. 370. 4. 378, 3. 444, 4.
420, 4. 424, 2. 484, 4. 529, 4.
534, 2.
Makelio 506, 2.
MaxpefxßoXiiTjC 524, 4.
Hippodamia und Pelops 4 04, 4.
Hir und Ranjhan 4 37.. 2.
Historiker, sammeln erotische Le-
genden 38 ff. 4 4 3.
Höllenfahrten, poetische 260, 4.
Hyacinthus 94, 4.
Hylas 4 05. 8.
Otco^^ocu rhetorische 295, 2.
Improvisationen 808 f.
Indische Reiseromane 4 78 ff.
Iphis und Anaxarete 80.
Irenaeus, Atticist 327.
Jungbrunnen 207, 4.
Klearch, r.. Ipwio; 57 ff.
Komaetbo 94, 4.
xa}{jLipo(a, in weitcrem Sinne 251, 2«
352.
Komoedie, parodirt erotische Tra-
goedien 59, 4 , parodirt erot. Be-
trachtungen der Philosophen 56, 3.
Sentimentalität der neuen Kom. 64.
Preis des Landlebens in der Kom.
505, 4.
Konchlakonchlas 249.
Kosmopolitismus der hellenistischen
Griechen 46.
Krokos und Smilax 4 25.
Ktesias 39. 493.
Lucian 345, 2. — Vera Uistoria
490 ff. 227. 258. 269. Nccyom. 264.
Nigrinus297. irpoXaXiaC 309.2. Philo-
soph. Standpunkt 494, 4. Vorlesun-
gen seiner Schriften 305.
Lyriker, erot. Sagen bei ihnen 4 42, 2.
mandragora 230, 4.
Marcellus, AiOioTitxd 24 7, 4.
MedeaundAchill 4 03,3, unii Jason 4 04f.
[UfoKo'^'jyii 34 8, 4.
Megasthenes 478, 4. 4 93.
Melesermus 343. 508, 4.
Menalkas und Euippe 78, 4.
Menippus Cynicus 249.
Metamorphosen 94 ff. ; in den Fea»-
irovtxd 844, 2.
— 550
Milaoion 448.
Mimnermus 72.
Moero 'Apa( 90, I.
Narcissus M2, 2. 124, 2.
Naiionalstolz der spaten Griechen
297 f., 400. 458. 491.
Natur trauert mit den Menschen I8d.
Natursinn, moderner und spätgrie-
chischer 504 (T.
Nereiden 498.
Nestor von Laranda 180. 844, 2.
Nicaenetus 88.
Odyssee, Märchen in derselben 178, 2.
Odysseus, erotische Abenteuer 104.
Oenone 109 ff.
Ocpiox^Noi 220.
Ovid. 124 ff. — Fast. 86, 2. — Me-
Uaf/aXoi des Euhemerus 223, 1.
Pantiiea 180, 1. 848.
Paniomimus, erot. Inhalts 87 f.
Paradoxographen 177. 482, 1.
Parlhenius, Metamorphosen 93 ff.
Parthenius t:. iporzi%ms iza^Tiy^dxm'^
118 ff.
Pausanias; erol. Legenden bei P. 48.
Penthcsilea 108, 2.
Pcrdiccas 54, 1.
Phaedra81. 34. 35. 36, 6. 101, 5. 459.
Phanokles 83 f., 128.
Phila 271, 1.
Philetas 78 f., 97, 2.
Philippus von Amphipolis 846, 3.
Philippus philosophus 448, 8.
Philtis 268, 2.
Phlegon (mlrab. 1) 891, 2.
Phlegyer 507.
Philosophen, rept IpcüTo« 56 ; am Pto-
lemäerhofe 208, 4. Rhelorisirendo
Philos. 321 f.
Quintus Smyrnncus 110, 5. 129.
Rauber »edle« 357, 1.
Rücilationen in Gricchcniand 304, 1.
353, 1.
Reposianus [anlhul. Iat.253 Rs.) 108, 1.
Mond, Einflussauf Wachsihum22B, 4.
Reisen auf den Mond 268, 2.
Musaeus 488 ff. Lebenszeit 472.
Nicander 92. 93, 1. 105, 3. 125.
127, 1. (06, 2.
Nicetas Eugenianus 531 ff.
Nicoslratus 326, 1. 352, 1. 508, 5.
Nilüberschwemmung, antike Theorien
darüber 456, 2.
Nonnus 36, 5. 94, 1. 181 ff., 474, 2.
Novelle 6.
Nyctimene 101, 6.
Nymphensagen, erotische 109, 1.
tamorph. 91, 1. 124 ff. 127, 1
(Quellen) 129. — Heroid. 110, 4.
129 f. (Quellen). — Heroid. 4 7.
18: 135 f.
Phyllis und Demophoon (oder Aka-
mas 37, 3) 37, 3. 429. 474.
Plato, Atlantis 197 ff.
Ps. Plutarch paral. min. 44, 8.
Plutarcb (de fac. in o. I. 26 ff.) 214 f.
Polemo, Sophist 315.
Polyxeua 103, 3.
Porphyrius. Quellen seiner Vita Py-
thagorae 254 ff.
Potamo 342.
Procopius von Gaza 472, 2. 473, 2.
475.
Ptolemaeus Hepbaestioot» &\. ^^ir^z
350, 1.
Puls als Verräther der Liebeskrank-
heit 53, 2.
Pyramus und Thisbe 143, 2.
Pythagoreer in Alexandria 67, 1.
257, 1. üeber Tyche: 282, 2.
Neopythagorcer 257 ff.
Pylheas 176.
Riesen der Vorzeil 205, 2.
Ritterromanc, mittelgriechiscbe 534 f.
Römische Dichter,. Nachahmer der
hellenistischen Poeten 122 ff.
— 551 —
Sallustius TTepl Oecüv %ai xöofxov) 464.
Schlangeaesder 249 f.
SchlarafTenlaml 496.
Schweben der Heiligen 4 80.
Selbstmord der Wittwe 44 4, 4, der
Alten und Kranken 230, 1. 545.
Sibylle Hn Mond 269, 4.
Silen und Midas 204 f.
Siodbads Reisen 479 ff.
Simmias von Rbodus, FopftCi 84, 4.
Mf^vc; 90, 4. 'AiröXXiov 75, 3.
Simylus 96 f.
Skeptiker, ältere 208 f., 24 8 f.
Soaerous 363, 4.
Sophistik. Name oocpiaT/^; 293, 2.
Kaiserliche Gunst 294. Ruhm-
begierde 293. Lehramt der So-
phisten 295. Uebung des Gedöcht-
nisses 296. OefTentliche Lehrstühle
304 ff.' Gerichtsreden 303. Oeffent-
liches Auftreten 305 ff. Kleidung
Tanais-mündungen 259, 3.
Tarpeja 82, 8. 97, 4.
Teichinen 507.
Thebe 4 44.
Theocrit 22. 80. 83, 3.
Theodoms Prodromus 527 ff.
Theophrast, Uebcr die Ehe 69, 2.
KaXXiaOlvtj« 279.
Tlieopomp MepoTrU 493 f., 204 ff.
Ulpian von Emesa 467.
Versehen der Schwangeren 447, 4.
WaldmUnner, gefangene, zum Weis-
sagen gezwungen 204, 3.
Wanderungen der Göller 506 ff.
Xenophon von Antiochia 346.
— von Cypern 346.
Zaimoxis 266, 8.
Zariadres 45 ff., 543.
307. Improvisationen 808 ff. Bei-
faürufeD84 4. Vortragsweise 342 ff.
Publicum 344. Eitelkeit 346. Eifer-
süchteleien 84 7. Pasquille 347, 2.
Streit mit den Philosophen 320, 2.
Stoffe ihrer Reden 328. Nachahmung
der Alten 324 ff. Sprachliche Stu-
dien 826 ff. Verbindung mit Gram-
matikern 328. Poetische Bestre-
bungen 332 ff. Schulthemen 837 ff.
Erotische Themen 338 ff. Erotische
Briefe 344 ff. Erotische Erzählun-
gen 344 f. — Perioden der Sophi-
stik 358 ff.
Sosicrates Phanagorita 83.
Soterichus 4 30.
Stesichorus 28 f.
Stoiker, politische Theorien 240 ff.
OToi)^crov und 7pd)jLfiLa 287.
Suidas 859, 4. 364, 4. 375, 4. 401, 4.
470 f.
d^oei;, rhetorische 295, 2.
Timokles 249.
Tragödien, erotische 30 ff.
Traumgeliebte 49 f.
Triumphus Cupidinis, Gedicht 4 08, 4.
544.
Tryphiodor 4 30.
Tyche 276— 282. 378,4.436,2. 475,2.
477, 8. 493, 2.
Uttara-kuru 247 f.
Weiberherrschaft in Iberien 265, 2.
Wunschkraft, zauberhafte 270, 4.
Xenophon von Ephesus 884 ff., 442 f.,
458. 482.
— von Lampsacus 24 4, 3. 346, 4.
Zonaeus 343, 4.
— 552 —
EinifT® kritische uid exegretisch behandelte Stelleu.
Achill. Tal. V 25, 8: 473, 4.
— — - p. 66, 10; 444, 4 (ed.
Hercher} : 484.
Anton. Diogen. p. 237, 88 'Hercher) :
272, 4.
Callimach. fragm. 4 09: 99, 8.
— fragm. 834 : 87, 2.
— fragro. 505: 474.
Chariton p. 46, 20 Hercher): 497, 3.
Diodor.'Sicul. U 57: 230, 4.
Fulgentius mythol. HI 6: 345, 4.
Jamblich. Babylon, p. 229, 5 (Her-
cher) : 875, 2.
Jamblich, zepl rpoöoou toO ßaßuX. ^a-
Klearch bei AthenaeusXV c. 9. 4 0 : 59.
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II
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