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Full text of "Der griechische Roman und seine Vorläufer"

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600093577 


DER 


GRIECHISCHE  ROMAN 


UND 


SEINE  VORLÄUFER. 


• 


DER 


GRIECHISCHE  ßOMAN 


UND 


SEINE  VORLÄUFER. 


VON 


ERWIN  ROHDE, 

ORD.  PROFESSOR  DER  CLAS8.  PUILOLOOIE  AK  DER  UNIVERSITÄT  JENA. 


LEIPZIG, 

DRÜCK  UND  VERLAG  VON  BREITKOPF  UND  HÄRTEL. 

1876. 


9  )  ^        &        1^7 


Das  Ueberfietzungsrecht  vorbehalten. 


MEINEM 


LEHRER  UND  FREUNDE 


OTTO  RIBBECK 


IN  liElDELBKKG 


r.KWIDMKT. 


Vorrede. 


Das  vorliegende  Buch  behandelt  einen  durchaus  problema- 
tischen Gegenstand :  es  stellt  sich  die  Aufgabe,  die  allmähliche 
Entstehung,  Entwicklung,  Ausbildung  einer  griechischen  Roman- 
dichtung begreiflich  zu  machen,  das  besondere  Wesen  dieser 
Dichtung  aus  der  Art  ihres  Werdens  zu  erklären.  Wenn  nun 
hierbei  von  dem  uns  noch  vorliegenden  Ergebnisse  dieses 
Werdeprocesses  auf  diesen  Process  selbst  zurUck  zu  schliessen 
war,  so  kann  sich  freilich  der  Verfasser  nicht  verhehlen,  dass 
die  Gefahr  eines  Trugschlusses  hier  genau  so  nahe  liegt  wie 
überall  wo  von  der  Wirkung  auf  die  Ursache  zurtlckgeschlossen 
werden  muss.  Auf  jeden  Fall  glaubt  er,  das  Rechte  getroffen 
zu  haben ,  indem  er  eine  grössere  Energie  der  Arbeit  auf  die 
Darlegung  der,  zur  endlichen  Erzeugung  des  Romans  zusam- 
menwirkenden Ursachen  als  auf  die  Charakterisirung  der  einzel- 
nen Romane  selbst  verwendet  hat ;  das  Interesse  der  Forschung 
heftet  sich  hier  weit  mehr  an  die  Entstehung  der  Gattung  als 
an  die  besondere  Art  der  Indi\iduen,  welche,  selbst  von 
geringer  Kraft  und  tagenthümlichkeit ,  eben  nur  als  Gattungs- 
wesen Bedeutung  haben.  Nun  ist  ja  auch  »das  Individuelle 
unaussprechbar«;  die  Entstehung  der  Gattungen  und  Arten 
Hesse  sich  doch  vielleicht  ergründen  und  aussprechen.  Ist 
hiernach  das  lange  Verweilen  bei  den  »Vorläufern«  des  eigent- 
lichen Romans  w^ohl  ausreichend  begründet,  so  muss  freilich 
der  Verfasser  eingestehen,  dass  ihn  ein  wenig  auch  persönliche 
Neigung  länger,  als  unbedingt  nöthig  war,  in  den  Vorhallen 
aufgehalten  hat.  Vielleicht  theilen  aber  die  Leser  seine  Neigung ; 
vielleicht  finden  sie,  dass*  es  einem  Buche  nicht  zum  Nachtheile 
gereiche,  wenn  es  nicht,  wie  ein  Epigramm,  alle  Aufmerksam- 
keit  gewaltsam   auf  den  Schluss  hindrängt,    sondern,    gleich 


—     VIII     — 

eiuem  epischen  Gedichte,  jedem  Aiigeublick  der  Entwicklung 
und  Darstellung  sein  selbständiges  Behagen  verstattet.  Zudem, 
wer  durch  liebliche  ThalgrUnde,  durch  stille,  dicht  ver^vach- 
sene  Wälder,  Über  frei  erhobene  Berggipfel  endlich  nach  einer 
kahlen  sandigen  Ebene  zu  wandern  hätte ,  kann  man  es  dem 
verargen,  wenn  er,  ohne  sonderlich  zum  Ziele  zu  eilen,  des 
schönen  AVeges  geniesst,  auch  wohl  von  der  geraden  Strasse 
sich  bisweilen  ablocken  lässt,  hier  und  da  eine  leuchtende 
Blume  abpflückt,  ja  wohl  einmal,  unter  einem  schattigen  l^aum 
am  Waldesrande  hingesunken,  sinnend  in  das  weite  sonnige 
Land  hinausblickt?  Man  braucht  doch  nicht  immer  im  Boten- 
schritt auszugreifen.  —  Ob  nun  freilich  die  Wege,  auf  denen 
ich  die  Leser  zum  vorgesetzten  Ziele  zu  flihren  unteniehme, 
die  nächsten,  ob  sie  gar  die  einzigen  seien,  darüber  mag  ur- 
theilen,  wer  hier  zu  urtheilen  ein  Recht  hat.  Jedenfalls,  denke 
ich,  sind  die  Oegenden,  welche  mit  mir  zu  durchwandern  ich 
den  günstigen  Leser  auffordere,  an  und  für  sich  der  Betrach- 
tung  würdig,  auch  zum  Theil  nicht  unlustig  zu  durchwandeni. 
Uel)er  die  besondere  Art  der  von  mir  festgehaltenen  Betrachtung 
weiss  ich  selbst  nichts  zu  sagen.  Es  giebt  der  Weisen,  das 
Alterthum  zu  betrachten,  viele  und  vielfältige:  ich  trage  nicht 
das  geringste  Verlangen,  meine  Art  der  Auffassung  und  Dar- 
stellung Jedermann  als  die  allein  richtige  aufzudrängen.  Mag 
doch  Jeder  seine  Strasse  ziehen;  nur  lasse  man  auch  mich 
»auf  meinem  Sattel  gelten«. 

Die  durchgehends  festgehaltene  Ausführlichkeit  meiner  Dar- 
stellung bedarf  schwerlich  einer  besondern  Kechtfertigüng. 
Sämmtliche  hier  betretenen  Gebiete  waren  bisher  wenig  weg- 
sam. Juvat  integros  accedere  fontes  atque  haurire  — :  ich 
denke,  hierin  liegt  ein  wesentlicher  Reiz  der  hier  eröifneten. 
Betrachtung ;  aber  diese  unberührten  Quellen  lagen  in  der  W^ild- 
niss,  nicht  ohne  Anstrengung  und  Umständlichkeit  Hess  sich 
ein  Weg  zu  ihnen  eröffnen.  Da  mich  zudem  schwerlich  jemals 
in  diese  Gegenden  zurückzukehren  gelüsten  wird,  so  wollte  ich 
bei  dieser  Veranlassung  so  viel  wie  möglich  und  mehr  als 
geradezu  von  mir  gefordert  werden  konnte,  zur  Auttiellung  so 
dunkler  Gebiete  beizutragen  versuchen.  Auch  ist  wohl  eine 
mr>glichst  erschöpfende  Darstellung  gerade  bei  solchen  Gegen- 
ständen am  Platze,   in  w^elche  sich  selbst  tiefer  zu  versenken 


-    IX    — 

der  Verfasser  Beinen  Lesern  keineswegs  znmuthen  machte.  Man 
kr»nnte  beinahe  behaupten,  eben  solche,  ein  wenig  abgelegene 
und  sterile  Gebiete  der  Litteratur,  wie  das  hier  betrachtete, 
seien  der  Litteraturgeschichtc  zu  besonders  sorgfältiger  Bear- 
beitung zu  empfehlen.  Denn,  wo  sie  grossen  Autoren  gegen- 
übersteht, was  könnte  sie  da  Besseres  thun  als  dem  Leser,  nach 
einer  kurzen  Anleitung,  einfach  zu  sagen:  nun  gehe  du  selbst 
hin,  lies,  verehre,  und  suche  zu  begreifen!  Die  vielen  schlechten 
und  mittelniässigen  Autoren  zu  lesen  darf  sie  dem  Leser  in  der 
That  ersparen,  indem  sie  selbst  hier  die  Last,  ein  wenig  «Staub 
zu  fressen«,  Übernimmt,  und  den  wesentlich  nur  culturhistori- 
sehen  Werth  solcher  Autoren  sorgsam  ausgezogen  darbietet. 

Indem  ich  somit  die  P'xistenz  dieses  dickleibigen  Buches  zu 
erklären  unternehme,  muss  ich  beinahe  um  Entschuldigung 
bitten ,  dass  es  nicht  noch  ein  wenig  umfangreicher  geworden 
ist.  Die  in  der  Einleitung  ip.  5)  in  Aussicht  gestellte  Skizze 
der  griechischen  Novellistik  habe  ich  vorgezogen  fortzulassen. 
Eine  Einleitung  zu  einer  solchen  Skizze  bietet  ein  Vortrag,  den 
ich  auf  der  vorjährigen  Philologenversammlung  in  liostock) 
gehalten  habe;  derselbe  wird  sich  in  den  Verhandlungen  der 
Versammlung  abgedruckt  ündeu:  ich  kann  nur  bitten,  ihn 
als  das  aufzufassen  was  er  sein  will,  als  einen  Vortrag,  nicht 
als  eine  Abhandlung.  Vielleicht  komme  ich  später  einmal  auf 
eine  genauere  Betrachtung  der  griechischen  Novelle,  und  auch 
des  griechischen  Märchens  ;zu  dessen  Geschichte  ich  auch  in 
diesem  Buche  einige  zerstreute  Beiträge  geliefert  habe)   zurück. 

Das  angehängte  Kegister  verzeichnet,  zum  Zwecke  leichterer 
ßenutzbarkeit,  viele  Einzelheiten  aus  dem  bunten  Inhalt  dieses 
Buches,  jedoch  nur  in  einer  nach  Gutdünken  getroffenen  Aus- 
wahl; ich  bitte,  darnach  das  Register  beurtheilen  zu  wollen, 
und  kann  leider  nicht  versprechen,  dass  dasselbe  dem  Ideal 
eines  index  rerum  entspreche ,  welches  ja  wohl  darin  gipfelt, 
dass  er  die  LectUre  des  Buches  selbst  überflüssig  mache. 

Im  Uebrigen  muss  nun  das  Buch  seine  Sache,  wohl  oder 
übel,  .selbst  vertreten;  eine  besondere  Fürsprache  meinerseits 
würde  ihm  dazu  wenig  helfen.  Welches  auch  seine  feineren 
Schicksale  sein  mögen,  ich  selbst  gebe  es  nicht  ohne  Bewegung 
nunmehr  aus  der  Hand;  zwischen  den  Zeilen  und  oft  aus  den 
trockensten  Erörterungen  sieht  mir  mit  dunkeln  Augen  die  Er- 


—    X    — 

iunerung  an  viele  trübe  und  schwerlastende  Stunden,  Wochen, 
Monate  entgegen,  in  denen  dieses  Buch,  wie  ein  treuer  und 
hülfreicher  Freund,  mich  getröstet  und  mit  gelinder  Hand  auf 
Gebiete  eines  unpersönlichen  Interesses  geleitet  hat.  Möge  es 
nun  den  Weg  zu  denen  finden,  für  die  ich  es  geschrieben  habe. 
Ich  gestehe,  dass  ich  mir  nicht  allein  zünftige  Philologen  zu 
Lesern  wünsche,  sondern  dass  ich  mein  Buch  auch  den  Erfor- 
schem weiterer  Gebiete  litterarhistorischer  und  culturhistorischer 
Studien  zur  Beachtung  empfehlen  möchte,  ja  dass  ich  sogar, 
über  den  Kreis  eigentlich  gelehrter  Leser  hinaus,  das  Buch 
allen  ernstlich  gesinnten  Freunden  des  Alterthums  in  die  Hand 
geben  möchte.  Nicht  ohne  Rücksicht  auf  solche  unzünftige 
Freunde  des  Alterthums ,  dergleichen  ja  doch  wohl ,  trotz  der 
verheerend  um  sich  fressenden  »allgemeinen  Bildung«,  in  deut- 
schen Landen  hin  und  wieder  noch  manche  wohnen  mögen,  ist 
die  äussere  Einrichtung  des  Buches  getroffen,  welche,  das 
Beweismaterial  überall  vom  Texte  absondernd,  einem  jeden 
Leser  verstattet,  von  dem  also  in  die  Anmerkungen  verwiesenen 
rein  gelehrten  Bodensatz  sich  nur  eben  so  viel  anzueignen  als 
ihm  dienlich  erscheint.  Ich  verkenne  nicht,  dass  diese  Abson- 
derung des  speciellen  vom  allgemeinen  Theile,  wie  sie  dem  Buche 
hie  und  da  ein  etw^as  befremdliches  Aeussere  gegeben  hat.  mich 
bisweilen  verlockt  haben  mag.  in  den  Anmerkungen  noch  etwas 
weiter  von  der  geraden  Strasse  abzu1)iegen,  als  ohne  diese  Ein- 
richtung geschehen  wäre. 

01)  nun  ein  solches  Buch  \ne  das  hier  vorliegende  in  wei- 
teren Kreisen  Symiiathien  finden  werde,  vermag  ich  nicht  voraus- 
zusagen. Das  Eine  darf  ich  hoflcn,  dass  diejenigen,  denen  ich, 
in  meinen  Gedanken,^  den  ganzen  Inhalt  dieses  Buches  während 
der  Ausarbeitung  vorgetragen  habe,  die  es  auch  jetzt,  nach 
V^oUendung  des  Buches,  vor  Allen  sind  »quibus  haec,  sint  (|ua- 
liacunque,  arridere  velim«.  dass  meine  Freunde,  was  ich  ihnen 
zu  sagen  komme,  des  Anhörens  werth  finden  werden.  Möge 
denn  namentlich  der  Afann  dieses  Buch  theilnehmend  will- 
kommen heissen,  dem  das  Ganze,  als  ein  Unterpfand  der  Treue 
und  freundscliaftlicher  Gesinnung,  gewidmet  ist. 

Kiel,  am  2S.  März   IS7(J. 

Erwin  Rohde. 


Uebersicht  des  Inlialtes. 

Seit« 

Einleitung 1 

I.  Die  erotische  Erzäiilaugr  der  heUenistischen  Dicliter. 

4.  Auflösung  der  mythischen  Emptindun^swciso  der  Griechen  4  t 

9.  Individualistischer  Zug  der  hellenistischen  Cullurepoche  15 

3.  Stellung  der  Dichter  hellenistischer  Zeit  zu  mythischen  StotTen       19 

4.  Neue  Stoffe  erzählender  Dichtung. — Legenden;  im  Besonderen 

erotische  Legenden 22 

5.  Erotische  Sagen   dichterisch   ausgeführt  von   Slesichorus;    von 

Sophokles  und  Euripides; 27 

6.  Von  den  jüngeren  Tragikern  und  vom  Pantomimus  ....       35 

7.  Erotische   Sagen ,   gesammelt  von  Historikern  und  Antiquaren       38 

8.  Schriften  der  Philosophen  über  Liehe  und  Liebesabenteuer     .       55 

9.  Thatsächliche   Lebensverhältnisse   der  griechischen  Frauen  in 

hellenistischer  Zeit 59 

iO,  Erotische  Erzählungen  der  hellenistischen  Dichter.  Vorbereitet 
durch  Mimnermus,  Anlimachus.  Erotische  Sagen  bei  Phi- 
lelas  —  Hermesiunax  —  Simmias  von  Rhodus  —  Alexander 
Aelolus  —  Nicaenelus  —  Sosicrales  —  Phanokles  —  Kalli- 
machus  —  Dionysius  von  Korinth  —  Euphorion  —  Nicander 

—  Parthenius  —  Bulas  —  Simylus 72 

H.  Urkundlichkeit  dieser  erotischen  Erzählungen.  Anlehnung  der 
hellenistischen  Erotiker  an  die  Behandlung  analoger  Sagen 
in  der  Tragödie.  Romantisirung  der  alten  llcroenwelt.  An- 
lehnung an  die  Sammlungen  der  Historiker.  Des  i'arlho- 
nius  Sammlung  erotischer  Sagen.  Quellen  dieser  Sammlung  97 
12.  Die  erotische  Erzählung  der  hellenistischen  Dichter  als  Vor- 
läufer des  spätgriechischen  Liebesromanes ,  im  Allgemeinen 
als  Erzählung  erotischer  .Abenteuer  der  sentimentalen  Art, 
im  Besonderen  in  der  kunstmä'ssigen  Darstellung  solcher 
Abenteuer.  Reconstruirung  des  Wesens  hellenistischer  Erotik 
aus  Nachahmungen  derselben  bei  römischen  und  spätgrie- 
chischen Dichtern.  Ovid.  Nonnus.  Musaeus.  Die  Technik 
der  eroti.schen  Erzählungskunst  von  den  späteren  Roman- 
schreibern den  Erotikern  hellenistischer  Zeit  nachgeahmt  .     H6 

II.  Etlinogrraphische  Utopien,  Fabeln  und  Romane. 

4.  Der  griechische  Roman  äusserlich  zusammengesetzt  aus  einer 
erotischen  Fabel  und  einer  Masse  phantastischer  Abenteuer 
zu  Land  und  See.  Entstehung  dieses  zweiten  Elementes  aus 
einer  eigenen  Art  der  Reisedichtung 167 


—    XII    — 

Reite 

2.  Ethnographische  Phantasien  und  Märchen  in  der  Ody^ee  —  den 

Argonautenabenteuern  —  dem  Gedichte  des  Aristeas  —  den 
Reiseberichten  des  Pythcas,  Ktesias,  Mcgasthenes  u.  A.  Orien- 
talisches Element  in  solchen  Berichten.  Indische  Heiso- 
märchen.  Reisen  des  Sindbad.  Popularisirung  solcher  Phan- 
tastik  im  hellenistischen  Orient.  Ethnographische  Fabeln  als 
öltester  Theil  der  Alexandersage  des  Pseudokallisthenes.  Pnr- 
odirung  solcher   Fabeln   in  Lucians    »Wahren  Erzählungen«     17ä 

3.  Verbindung  ethnographischer  Fabulistik  mit  philosophischen  und 

politischen  Idealvorstellungen.  Utopien  der  Philosophen.  Pia- 
tos Atlantis.  —  Theopomps  Meropis.  —  Des  Hekataeus  Hy- 
perboreer. —  Sagen  von  glückseligen  Inseln  im  Norden  oder 
Westen.  Dttarakurus;  Attacoren  des  Amometus.  Fabelvolk 
des  Timokles.  —  »Heilige  Urkunde«  des  Euhemcrus.  —  Reise- 
bericht des  Jambulus 194 

4.  Verbindung  ethnographischer   Phantastik   mit  einer  erotischen 

Fabel  zum  Roman.  Antonius  Diogenes:  »Die  Wunder  jen- 
seits Thule«  ........' 242 

in.  Die  grrieclilsche  8ophi8tik  der  Kaiserzeit. 

i.  Aeussere  und  innere  Gründe  der  erneuten   Blüthe  griechischer 

Rhetorik  in  der  Kaiserzeit 288 

2.  Wirksamkeit   der  Sophisten   als  Lehrer   und   als   Prunkred ner. 

Art  ihres  öffentlichen  Auftretens 304 

8.  Litterarische  Thätigkeit  der  Sophisten.  Hinübergreifen  in  Phi- 
losophie und  Historie.  Willkürlichkeit  in  der  Wahl  ihrer 
Stoffe.  Formale  Sorgfalt.  Ihr  Bestreben,  eine  prosaische 
Poesie  zu  begründen 318 

4.  Phantastische  Schulthemen  der  Sophisten.  —  Erotische  Themen. 
—  Erotische  Briefe.  —  Erzählung  erotischer  Legenden.  — 
Erzählung  selbsterfundener  erotischer  Geschichten.  —  Auf- 
zählung einiger,  nur  dem  Namen  nach  bekannter  Dichter 
erotischer  Romane.  —  Benennung  solcher  Romane.  »Drama«». 
Sinn  dieser  Bezeichnung.  —  Epochen  der  Sophistik     .     .     .     336 

IT.  Die  einzelnen  sopliistischen  Liebesrouiane. 

1.  Des  Jamblichus  Babylonische  Geschichten 361 

2.  Des  Xenophon  von  Ephesus  Ephesische  Geschichten  ....  381 

3.  Geschichte  des  ApoUonius  von  Tyrus 4  08 

4.  Des  Heliodor  Aethiopische  Geschichten 424 

5.  Des  Achilles  Tatius  Geschichte  von  Leucippe  und  Klilophon  467 

6.  Des  Chariion  Geschichte  von  Chaereas  und  Kallirrboe     .     .     .  485 

7.  Des  Longus  Hirtengeschichte  von  Daphnis  und  Chloe.     .     .     .  498 

8.  Byzantinische  Liebesromane.    Euslathius  Macrembolita  —  Theo- 

dorus  Prodromus  —  Nicetas  Eugenianus  —  Constantinus  Ma- 
na.sses.  —  Spuren   spätgriechLscher  Romane   in.  romanischen 

Litteraturen.     Boccaccio 521 


Wer  heutzutage  seine  Leser  zu  einer  jjenauer  eingehenden  Be- 
trachtung der  Reste  griechischer  Koinanlitteratur  auffordert, 
der  darf  freilich  auf  jene  unbedingte  ästhetische  Antheilnahnie 
nicht  zühlen,  welche  den  übrigen  dichterischen  Kunstwerken 
des  wunderbaren  Volkes  stets  gewiss  ist.  Auch  ohne  uns  an 
(iie  hohe  Vorzug] ich keit  mancher  modernen  Romane  zu  erinnern, 
empfinden  wir  die  Mängel  der  griechischen  Erzeugnisse  dieser 
Art,  die  Schwächlichkeit  der  ganzen  Gattung  so  deutlich,  dass 
wir  kaum  noch  begreifen,  wie  eben  diese  leeren  und  schaalen 
(lebilde  in  einer  noch  gar  nicht  fernen,  und  tlbrigens  künst- 
lerisch reich  gebildeten ,  aber  freilich  alles  Antike  gewisser- 
maassen  in  Bausch  und  Bogen  gleichmässig  zu  verehren  gewohn- 
ten Zeit  Gegenstand  der  Bewunderung,  ja  der  Nachahmung  für 
einen  Cervantes  und  Tasso,  weiterhin  für  die  französischen 
Uomanschreiber  des  siebzehnten  Jahrhunderts  sein  konnten. 

Wenn  wir  aber  somit  vor  Ueberschätzung  dieser  Werke 
sicher  genug  sind,  so  mag  unsere  Betrachtung  um  so  nachdenk- 
licher auf  denjenigen  Eigenthümlichkeiten  dieser  späten  Erzeugnisse 
griechischen  Geistes  verweilen,  welche  sie,  ganz  abgesehen  von 
ihrem  künstlerischen  Werthe  oder  Unwerthe,  für  die  litterar- 
historische  Forschung  zu  einem  der  merkwürdigsten  Probleme 
machen.  Wie  vieles  nmss  hier  nicht  denjjenigen  räthselhaft 
erscheinen,  der  etwa  von  der  classischen  Poesie  der  Jugendzeit 
griechischer  Cultur  unmittelbar  zu  diesen  spälgeborenen  Kindern 
ihres  hohen  Alters  überspringt!  Hier  haben  wir  eine  erzählende 
Dichtung  vor  uns,  die,  obwohl  von  der  Wirklichkeit  des  Lebens 
und  der  Geschichte  gänzlich  abgewendet,  doch  die  dichterische 
Form  der  gebundenen  Rede  verschmäht,  durch  deren  Kraft  die 
erzählende  Dichtung  der  classischen  Zeil,  so  gut  wie  die  lyrische 
und   dramatische ,    sich  wie  mit  Flügeln  aus  der  Niedeining  des 

Buh  de,  Der  griechiitcbe  Kotnnn.  \ 


wirklichen  Lebens  in  ein  freies  Reich  der  Phantasie  erhob. 
Diese  prosaische  Poesie  reisst  sich  somit  gänzlich  los  von  »dem 
wahren  Elemente,  woher«,  nach  Goethe  *),  »alle  Dichtungen 
entspringen«,  der  Tonkunst,  deren  mächtiger  Zauber  es 
eigentlich  ist,  der  in  dem  Rhythmus  und  Klange  auch  des  nur 
gesprochenen  Verses,  als  idealisirendes  Vermögen  noch  nach- 
wirkt. 

Nächst  dieser  Incongruenz  des  poetischen  Inhaltes  und  der 
prosaischen  Form  verwundert  uns  der  Ursprung  der  also  vor- 
getragenen Geschichten.  Sie  verdanken  ihre  Entstehung  nicht 
dem  geheimnissvollen  Weben  einer  Volksphantasie,  deren  bilder- 
reiche Vorstellungen  von  den  beherrschenden  Kräften  der  Well 
und  des  Menschenlebens  allen  erzählenden  Dichtern  der  classi- 
schen  Zeit  einzig  zum  Stoffe  ihrer  kunstvollen  Bildungen  dien- 
ten; an  die  Stelle  jener  Mythen  sind  hier  die  freien  Erfin- 
dungen der  unbeschränkten  Willkür  individueller  Phantasie 
getreten.  Und  diese  Dichter,  die  so  viel  mehr  wagen,  als  die 
mythischen  Dichter  der  alten  Zeit,  erzählen  nicht  mehr  von 
Thaten  und  Leiden,  Fahrten  und  Kämpfen  wunderbarer  Helden ; 
ihr  wesentlicher  Stoff,  dem  alle  Erfindungen  einer  unruhigen 
Phantastik  nur  zur  Ausschmückung  dienen,  ist  die  Liebe,  eine 
Liebe  von  beinahe  moderner  Ueberschwänglichkeit  und  Schwel- 
gerei der  Empfindung.  Welch  ein  Abstand  von  dem  alten  Ho- 
mer, in  dessen  Gedichten  kaum  einmal  die  Töne  einer  herz- 
lichen Liebesempfindung  leise  anklingen,  der  in  so  romantische 
Liebesbündnisse,  wie  die  des  Paris  und  der  Helena,  des  Odys- 
seus  und  der  Circe,  Kalypso,  Nausikaa,  so  gar  kein  sentimen- 
tales Pathos  zu  legen  wusste,  —  zu  diesen  späten  Erzählungen, 
in  denen  eine  schmachtende  Galanterie  den  wesentlichen  Lebens- 
inhalt der  jugendlichen  Helden  ausmachen  kann! 

Das  empfindet  man  sehr  bestimmt:  hier  sind  von  den 
Eigenschaften,  die  wir  als  die  besonderen  Merkmale  griechischer 
Poesie  zu  betrachten  gewohnt  sind ,  kaum  noch  einige  Spuren 
nachgeblieben;  hier  regen  sich  schon,  ungeschickt  genug,  die 
Kräfte  einer  neuen  Welt;  und  leicht  verstehen  wir,  wie  die 
byzantinische  Zeit,  welche  den  herrlichen  Resten  altgriechi- 
scher  Dichtung   höchstens  das  Interesse  eines  dumpfen   Schul- 


1)  Annaieii  4  805. 


—    3    — 

fleisses  entgegenbrachte,  an  diese  Gattung  prosaischer  Poesie 
in  unmittelbarer  Nachahmung  anknüpfen  mochte.  Gewiss  ist 
es  diesem  Interesse  der  Byzantiner  zu  danken,  dass  wir  von 
diesen  Producten  überhaupt  einige  Kenntniss  haben.  Die  früheren 
Zeiten  schenkten  ihnen  so  wenig  Beachtung,  dass  uns  kaum 
einige  dürftige  litterarhistorische  Notizen  von  ihnen  reden, 
und  nicht  einmal  die  Ueberschrift  eines  litterarhistorischen 
Fachwerkes  auch  nur  von  einer  Lücke  Kunde  geben  würde. 
Denn  bezeichnend  genug  ist  es,  dass  wir  diese  Vorlaufer  einer 
ganz  modernen  Litte raturgattung  mit  keinem  antiken  Namen  zu 
benennen  im  Stande  sind,  sondern  in  diesem  einzigen  Falle  die 
übrigens  rein  antike  Nomenclatur  der  grossen  schriftstellerischen 
Gattungen  durch  den  modernen  Namen  des  »Romansa  ver- 
mehren müssen. 

Trotz  alledem  wurzelt  auch  diese  Gattung  der  Poesie  noch 
im  Boden  des  griechischen  Älterthums;  sie  zeigt  z.  B.  mit  den 
gleichzeitigen  Regungen  einer  neuen,  christlichen  Cultur 
durchaus  keine  sichtbare  Gemeinsamkeit;  und  so  fragt  man 
sich  mit  Verwunderung,  wie  doch  die  erzählende  Dichtung  des 
griechischen  Volkes,  mit  Homer  beginnend,  mit  einer  Schöpfung 
ihre  fruchtbare  Thütigkeit  beschliessen  konnte,  die,  gerade  in- 
dem sie  der  modernen  Welt  ein  nun  freilich  längst  Ubertroffenes 
Vorbild  unmittelbarer  Nachahmung  wurde,  auf  das  Deutlichste 
die  Selbslvernichtung  des  eigensten  Wesens  der  Antike  an  sich 
darstellt.  Aus  welchen  verborgenen  Ursprüngen  entstand  in 
Griechenland  das  ganz  Ungriechische?  Deutlich  genug  tragen 
diese  Dichtungen  die  Züge  des  Greiseuthums ,  einer  von  der 
Biüthe  längst  zum  Verfall  fortgeschrittenen  Entwickelung. 
Kamen  sie  aber  gleich  welk  zur  Welt,  »grauhaarig  gleich  sieit 
ihrer  Geburt«,  wie  Hesiod's  Gräen?  Und  wenn  das  undenkbar 
ist,  wo  finden  wir  in  der  Litteraturgeschichte  die  weiter  zurück- 
liegenden Spuren  ihres  allmählichen  Wachsthums?  Wenn  man  auf 
diese  Fragen  eine  bestimmte  Antwort  zu  geben  wünschen  muss, 
so  darf  man  sich  freilich  nicht  verbergen,  dass  hier  Alles  auf  Com- 
bination  gestellt  ist,  die  Gefahr  des  Irrthums  nahe  liegt,  und 
selbst  im  günstigsten  Falle  eine  lückenfreie  Reihe  zusammen- 
hänfii;ender  Entwickelung  sich  schwerlich  wird  aufzeigen  lassen. 


4     — 


2. 

So  bequem  werden  wir  es  uns  nun  jedenfalls  nicht  machen 
dürfen,  wie  der  Franzose  Chassang,  der  in  seinem  sonst 
durchaus  nicht  verdienstlosen  Buche:  »Histoire  du  roman  dans 
Tantiquit^  grecque  et  latine«*)  den  Ursprung  des  Romans  in 
der  freilich  acht  griechischen  »Lust  zu  fabuliren«  sucht,  alle 
historischen ,  biographischen ,  philosophischen  Fabelerzählungen 
der  »fabelreichen  Hellas u  kurzweg  zu  den  Romanen  rechnet, 
und  bei  dieser  unerwarteten  und  unerwtlnschlen  Vermehrung 
der  Ueberreste  griechischer  Romanlitteratur  nur  die  Eine  Haupt- 
sache zu  erklciren  vergessen  hat,  wie  man  nämlich  aus  der 
blossen  Lust  am  Lügen  und  Aufschneiden  die  poetischen 
Eigenthümlichkeiten  der  eigentlichen  griechischen  Romane 
verstehen  könne.  Offenbar  wollen  historische  Unzuverlässigkeit 
und  dichterische  Phantastik  mit  ganz  verschiedenem  Maasse  ge- 
messen sein  ;  die  Entstehung  einer  griechischen  Romandicht uni^ 
wird  man  nun  und  nimmer  anders  als  aus  der  Geschichte  der 
griechischen  Poesie  verstehen  können.  Damit  ist  schon  aus- 
gesprochen, dass  man  zur  Lösung  unserer  Frage  wenig  bei- 
getragen hat,  wenn  man  die  befremdlichen  Eigenschaften  der 
griechischen  Romane  durch  das  beliebte  Auskunftsmittel  der 
Annahme  orientalischen  Einflusses  zu  erklären  versucht ; 
selbst  wenn  diese,  durch  Huet's  Auctorität^)  lange  Zeit  all- 
gemein verbreitete  und  befestigte  Annahme  besser  begründet 
wäre ,  als  sie  es  ist.  Denn  eine  tiefer  eindringende  Betrach- 
tung würde  hier  so  wenig  wie  in  analogen  Fällen  bei  der  An- 
nahme fremdländischen  Einflusses  übersehen  dürfen ,  dass  das 
eigentlich  Erklärenswerthe  nicht  die  nackte  Thatsache  der  Ent- 
lehnung  fremder   Culturelemente ,    sondern   die   Disposition  des 

1)  A.  Chassang,  Histoire  du  roman  et  de  ses  rapporfs  avec  Thistoiro 
dans  Tantiquitö  grecque  et  latine.     Sme.  6d.  Paris  4  862. 

2)  lluet,  Tmitö  de  l'origine  des  romans.  (Ich  benutze  die  siii^nio 
«Edition:  ä  Paris,  4  685.)  p.  4  0  ff.  —  Einen  merkwürdigen  l*rolest  gegen 
diese  Ansicht  findet  man  in  Lobeck's  akad.  Reden,  p.  434:  »De  Tabu- 
larum  Romanensium,  quas  alte  ex  Oriente  repctere  solent,  origine  grae- 
canica,  piura  dicenda  sunt,  quam  hoc  loco  expromi  possint«.  Leider  hat 
Lobeck  seine  positive  Meinung  über  den  Ursprung  der  griechischen  Romane 
nirgends  kundgegeben  und  ausgeführt. 


griechischen  Volksgeistes  ist,  welche  diesen  in  beslimmlen  Zeil- 
punkten zur  fruchtbringenden  Aufnahme  solcher  ausländischen 
Einwirkungen  geneigt  und  fähig  machte.  Und  mit  dieser  Be- 
frachtung wfiren  wir  doch  wieder  auf  den  inneren  Entwicke- 
lungsgang  der  griechischen  Poesie  zurückgewiesen.  Uebrigens 
haben  solche  orientalischen  Einflüsse  auf  die  Entstehung  und 
Entwickelung  griechischer  ErzHhlungslitteratur  jedenfalls  nicht  in 
der  Richtung  stattgefunden ,  in  welcher  Huet  sie  wirksam 
glaubte.  Jene  orientalischen  Fabeln,  die  wir  heute  in  den 
Sammlungen  des  Pantschatantra,  Sindabad,  Vetälapantschavingatl 
u.  s.  w.  vereinigt  finden,  haben  höchstens  auf  die  griechische 
N  0  V  e  1 1  i  s  t  i  k ,  keineswegs  aber  auf  die  griechische  Roman- 
litteratur  einen  Einfluss  ausgeübt.  Ist  aber  nicht  ebea  jene 
griechische  Novell islik  (von  deren  Ueberresten  in  einem  An- 
hange zu  reden  sein  wird)  als  ein  Vorläufer  des  griechischen 
Romans  zu  betrachten?  An  sich  wäre  es  ja  nicht  undenkbar, 
dass  aus  dem  kleinen  Kerne  eng  umgränzter  Novellenerzählungen 
allmählich  die  gedunsene  Fülle  der  späteren  Romane  hervor- 
gequollen sei.  Dies  war  denn  auch  wohl  derjenigen  Gelehrten 
Meinung,  welche  Aristides  von  Milet  und  ähnliche  Autoren  zu 
den  Vorläufern  des  Xenophon  von  Ephesus,  Heliodor,  Achilles 
Tatius  u.  s.  w.  rechneten:  wie  z.  B.  Dunlop  im  Anfang  der 
i»History  of  fiction«*),  'Korals  in  der  'EmoroXi^  irpo;  'AXi^av- 
5()ov  Ba3iXe(o'j  2) .  Der  geringste  Mangel  dieser  Ableitung  des 
Romans  aus  der  Novelle  wäre  wohl  der,  dass  sich  ein  solcher 
Uebergang  nicht  historisch  nachweisen  lässt.  Denn  da  wir  in 
jedem  Falle,  um  die  Vorgänger  des  Romans  zu  erkennen,  auf 
innerliche  Verwandtschaft  der  Romane  mit  diesen  Vorgängern 
angewiesen  sind ,  so  muss  hier  freilich  eine  jede  Hypothese  in 
Bezug  auf  die  Nach  Weisung  der  historischen  Zusammenhänge 
den  Gegnern  dieselbe  Nachsicht  gewähren,  die  sie  selbst  in 
Anspruch  nimmt.     Eine  innerliche   Verwandtschaft  aber 


1)  John  Dunlop,  The  history  of  fiction,  zuerst  Edinburgh  48U  (ich 
benutze,  wie  billig,  die  Lieb  rech  tische  Uebersetzung,  Berlin  4  851). 

2)  Vor  seiner  Ausgabe  der  Aethiopica  des  Heliodor.  (Paris  4  804.)  — 
Hei  Pal  dum  US,  Rom.  Erotik  (Greifsw.  1833;,  p.  95  liest  man  die  wunder- 
liche Behauptung:  »Die  positiven  Elemente  des  (griechischen)  Romans«  seien 
»die  lasciverotischen  Erzählungen «,  die  Tabulae  Milesiae  und  die  »Wunder- 
und  Gespenstergeschichten«  nach  Art  des  Phlegon. 


—     6    — 

• 

des  griechischen  Romans  mit  der  Novelle  könnte  wohl  Mancher 
besonders  in  dem  Verhältnisse  erkennen  wollen ,  welches 
zwischen  den  Ereignissen  des  Romans  und  der  Hauptperson, 
an  der  sich  diese  Ereignisse  vollziehen,  obwaltet.  Hier  erken- 
nen wir  nämlich  einen  durchgreifenden  Unterschied  zwischen 
dem  altgriechischen  Roman  und  der  Gesammtvorstellung  von 
dem  Wesen  dieser  Dichtungsgattung,  wie  sie  in  neueren  Zeiten 
aus  der  Betrachtung  einiger  w^eniger  höchster  Vorbilder  der 
spanischen,  englischen,  französischen  und  auch  deutschen  Lit- 
teratur  und  der  zahllosen  Nachahmungen  solcher  vorbildliehen 
Romantypen  sich  uns  gebildet  hat.  Diese  modernen  Romane 
streben  —  und  die  vollkommensten  mit  der  grössten  Deutlich- 
keit und  dem  höchsten  Erfolge  —  dahin,  an  einer  Reihe  zweck- 
mässig erfundener,  oder  aus  der  geschichtlichen  Ueberlieferung 
sorgfältig  auserlesener,  geselzroässig  sich  entwickelnder  Ereig- 
nisse die  eigenthümliche  Art  eines  oder  mehrerer  Individuen 
sich  entfalten  und  darstellen  zu  lassen;  ihr  wesentliches  In- 
teresse beruht  gerade  auf  der  psychologischen  Kunst  einer 
solchen  Entwickelung ^) .  Der  Novelle,  wie  wir  sie  namentlich 
aus  den  italienischen  MeisterweiiLen  kennen,  kommt  es  im 
Gegentheil  darauf  an,  irgend  ein  merkwürdiges  Verhältniss  der 
Menschen  zu  einander  an  einem  besonders  deutlichen  Fall  zu 
verbildlichen;  wenn  dem  Roman  die  in  solchen  Verhältnissen 
sich  darstellende  Person  die  Hauptsache  ist,  so  ist  die  künst- 
lerische Aufgabe  des  Novellendichters  im  Wesentlichen  be- 
schränkt auf  eine  scharfe  und  geistreiche  Zeichnung  der  in- 
teressanten Verhältnisse,  in  welche  er  Personen  zu  einander 
stellt,    die   uns   nur  so   weit  und  so  lange  sie   in  die  flüchtige 


1)  Man  vergleiche  beiläufig  einige  einsichtige  Bemerkungen  bei  No- 
valis (Werke  [4801]  II  p.  542):  »Ein  Romaoschreiber  macht  eine  Art  von 
Bouls  rimds,  der  aus  einer  gegebenen  Menge  von  Zufällen  und  Situationen 
eine  wohlgeordnete,  gesetzmfissige  Reihe  macht,  der  Ein  Individuum  zu 
Einem  Zwecke  durch  alle  diese  Zufälle  zweckmässig  hindurchführt.  Ein 
eigenthümliches  Individuum  muss  er  haben,  das  die  Begebenheiten  be- 
stimmt und  durch  sie  bestimmt  wird.  Dieser  Wechsel  oder  die  Verände- 
rung eines  Individuums  in  einer  continuirlichen  Reihe  machen  den  interes- 
santen Stoff  eines  Romans  aus«  u.  s.  w.  —  Aehnliche  Betrachtungen, 
vornehmlich  aus  dem  eindringenden  Studium  des  »Wilhelm  Meister«  her- 
vorgesponnen, findet  man  auch  bei  anderen  »Romantikern«  der  älteren 
Periode  häutiger  vorgetragen. 


—     7     — 

Beleuchtung    solcher    Verhältnisse    treten .    interessanl    zu    sein 
brauchen. 

Jedem  Kenner  dieser  Litteraturgatlung  ist  es  nun  wohl 
gegenwärtig,  wie  entschieden  sich  die  griechischen  Romane  der 
novellistischen  Art  der  Darstellung  zuneigen,  wie  sie  zur 
psychologischen  Entwickelung  eines  bedeutenden  Individuums 
kaum  einmal  einen  Ansatz  machen,  sondern  sich  lediglich  in 
einer  wirren  Yerschlingung  der  seltsamsten  Ereignisse  gefallen, 
die  uns  durchaus  nur  als  Begebenheiten  fesseln,  keineswegs 
aber  die  besondere  Art  der  Helden  zur  kenntlichen  Darstellung 
zu  bringen  dienen.  Sind  sie  also  nicht  wirklich  als  auseinander- 
gezerrte,  willkürlich  erweiterte  Novellen  zu  betrachten,  deren 
Vorbilder  in  den  milesischen  Fabeln  zu  suchen  wären? 

Das  kann  trotzdem  nur  derjenige  glauben ,  der  von  Stil 
und  Charakter  der  antiken  Novelle  nur  eine  sehr  unbestimmte 
Vorstellung  hat.  Betrachtet  man  die  Reste  jener  Litteratur- 
gaiiung  genau,  so  erkennt  man  als  ihre  beste  Eigenthümlich- 
keit  eine  scharfe  Beobachtung  des  täglichen  Lebens,  einen  kräf- 
tigen und  unbefangenen  Realismus  der  Darstellung.  Im 
vollen  Gegensatze  dazu  steht  der  luftige  und  leere  Idealismus 
der  meisten  griechischen  Romane^).  Statt  in  einer  rein  äuf- 
gefassten,  bestimmt  gezeichneten  Wirklichkeit  bewegen  sich  ihre 
Gestalten  vielmehr  in  einer  nebelhaft  wogenden  Wolkenwelt 
von  nie  und  nirgends;  und  diese  Gestalten  selbst  gleichen  in 
ihrer  leeren  Tugendhaftigkeit  Niemanden  weniger  als  den  der- 
ben Figuren  der  novellistischen  Wirklichkeit:  wie  die  blutlos 
durchsichtigen  Schemen  einer  Zauberlaterne  schwebt  und 
schwankt  das  Alles  in  wunderlichem  Zuge  an  uns  vortlber. 
Wollen  wir  uns  der  unvergleichlich  fruchtbaren  Betrachtungs- 
weise Schillers  anschliessen ,  so  würde  die  griechische  Novelle 
und  der  griechische  Roman  weder  zu  der  naiven  noch  zu  der 
sentimentalen  Art  gehören;  sondern  jene  würde  der  realisti- 
schen Ausartung  der  naiven,  dieser  der  idealistischen 
Ausartung,  oder  vielleicht  richtiger  Vorstufe  der  sentimentalen 
Gattung  zuzurechnen  sein,  welche,  aus  der  Wirklichkeit  flüch- 
tend,  doch  der  höheren  Herrschaft  der  Vernunft  sich  nicht  zu 

1}  Eine  Ausnahme  bilden  einige  Theile  des  Romans  des  Achilles  Tatius; 
doch  kann  dies  nicht  Wunder  nehmen  bei  der  seltsamen  Mosaikarbeit  dieses 
Schriftstellers. 


—     8    — 

ergeben  weiss  ^).  Diese  Novelle  und  dieser  Roman  bilden  also 
geradezu  polare  Gegensälze,  und  es  würde  wohl  eine  sehr 
starke  üeberredungskunst  erforderlich  sein,  um  uns  glauben  zu 
machen,  dass  die  durchaus  unclassische  Ausartung  in  einen 
schattenhaften  Idealismus,  wie  sie  der  Roman  zeigt,  aus  ihrem 
vollsten  Gegensatze,  dem  scharfen  Realismus  der  Novelle,  her- 
zuleiten sei.  Mit  der  Novelle  mag  das  bürgerliche  Lustspiel, 
die  s.  g,  neue  Komödie,  eine  wirkliche  Verwandtschaft 
haben;  eben  darum  aber  ist  es  ganz  verkehrt,  dieser  Komödie 
einen  Einfluss  auf  die  Entwickelung  des  griechischen  Romans 
zuzuschreiben,  wie  Villemain^)  ihul.  Denn  war  nicht  diese 
Komödie,  nach  dem  bekannten  Worte  des  Cicero,  »imitatio 
vitae,  speculum  consuetudinis ,  imago  veritatis«"?  Und  könnte 
man  wohl  das  voUstUndigste  Gegentheil  aller  Eigenschaften  des 
griechischen  Romans  schärfer  aussprechen?  Was  also  die  No- 
velle vom  Roman  scheidet ,  dasselbe  legt  sich  als  trennende 
Kluft  auch  zwischen  den  Roman  und  das  bürgerliche  Lustspiel. 
Diese  Andeutungen  liessen  sich  leicht  weiter  ausführen. 
Man  könnte  namentlich  auf  den  völlig  entgegengesetzten  Geist 
aufmerksam  machen,  in  welchem  die  Novelle  und  der  Roman 
die  sittlichen  und  socialen  VerhUltnisse  der  Menschen  auffassen, 
vornehmlich  das  für  Beide  so  wichtige  Verhültniss  der  Ge- 
schlechter zu  einander.  Einer  gewissen  witzigen,  an  List  und 
Kühnheit  ohne  weitere  Bedenken  sich  erfreuenden  Ruchlosigkeit 
der  Novelle  stehl  der  feierliche,  fast  pathetische  Ernst,  mit  dem 
der  Roman  diese  Verhältnisse,  im  Sinne  strenger  sittlicher  Rein- 
heit, behandelt,  schroff  gegenüber  3).  Einige  üeberlegung  wird 
aber  lehren,  dass  diese  moralische  Divergenz  eine  Gemeinsam- 
keit nicht  nur  in  Colorit  und  Stimmung,  sondern  auch  in  dem 
Entwurf  und  der  Zeichnung  der  Lebensbilder  durchaus  unmög- 
lich machte.  —  Man  könnte  auch  zweifelnd  fragen ,  ob  die  so 
genau    geschlossene    Kunstform    der    Novelle    überhaupt    einer 


1)  Vgl.  Schiller,  Bricfw.  m.  Goellic  Hl  262,  263.  Werke  XII  246 
(Cotta) . 

2)  Essai  sur  les  romans  Grecs  (in:  Eludcs  de  littc^raluro  ancieime  cl 
<^tratigerc),  !>.  460.  Uebrigens  ^iirde  man  in  diesem  ganzen  Essai  des  be- 
rühmten Litterarhistorikers  vergeblich  nach  irgend  welchen  neuen  und 
fruchtbaren  Gedanken,  Combinationen  oder  Thatsacheii  suchen. 

3;  Auch  hier  machen  einzelne  Partien  hei  Achilles  Talius  eine  Ausnahme. 


—    9    — 

weiteren  organischen  Entwickelung  fähig  sei,  ob  eine  Ausweitung 
derselben  nicht  lediglich  eine  Zersprengung  sein  niUsse. 

Dieses  möge  genügen,  um  die  grosse  Unwahrscheinlichkcit 
eines  inneren  Zusanunenhanges  (les  griechischen  Rouians  mit 
der  älteren  Novellcnlitteratur  hervortreten  zu  lassen. 

Der  griechische  Roman  entstand  so  wenig  aus  der  Novelle, 
\\ie  die  ihnj  so  nahe  verwandten  » heroischen  a  Romane  des 
Scuderv,  Gomberville  u.  s.  w.  und  ihrer  deutschen  Nachahmer 
im  M,  Jahrhundert  aus  der  reichen  Noveilenlitteratur  der  Ita- 
liener und  Franzosen. 

3. 

Wir  werden  uns  den  wirklichen  Ursprüngen  griechischer 
Romandichtung  nur  dadurch  nähern  können ,  dass  wir  den 
eigentlichen  Kern  ihres  Wesens  bestimmt  ins  Auge  fassen. 

Die  Absicht  des  griechischen  Romanschreibers  ist  am  Aller- 
wenigsten die,  ein  Rild  des  Lebens  in  seiner  bunten  wunder- 
lichen Wirklichkeit  zu  zeichnen.  Seine  Aufgabe,  zu  deren 
Lösung  er  alle  Kräfte  einer  diffusen  Gelehrsamkeit  und  einer 
unstäten  Phantastik  aufbietet,  ist  vielmehr  eine  sehr  viel 
mehr  idealistische.  hn  Rahmen  einer  wechselreichen  Ge- 
schichte will  er  uns  ein  Bild  der  Liebe,  von  der  zartesten 
Sehnsucht  bis  zu  der  gewaltsamsten  Erregung  in  Schmerz, 
Zweifel  und  Eifersucht  vorführen.  So  verschiedcui  auch  die 
einzelnen  Autoren  diese  Aufgabe  behandelt  haben ,  die  Auf- 
gabe selbst :  ein  liebendes  Paar  durch  Nolh  und  Gefahr, 
Prüfung  und  Versuchung  zum  endlichen  Glück  zu  geleiten, 
bleibt  bei  allen  dieselbe,  eine  Schilderung  der  Leidenschaft 
dieses  Paares  der  wesentliche  Inhalt  ihrer  Dichtungen.  An 
den  weil  reicheren  psychologischen  Inhalt  moderner  Romane  ge- 
wöhnt, werden  wir  gut  thun,  bei  der  gegenwärtigen  Betrach- 
tung uns  gleich  zum  Anfang  diese  Beschränkung  des  griechi- 
schen Romans  ausdrücklich  ins  Gedächtniss  zurückzurufen. 
Ganz  richtig  formulirle  sie  ein  Zeitgenosse  der  ersten  wirklichen 
Romane,  mit  denen  die  Franzosen  des  M,  Jahrhunderts  den 
antiken  Vorbildern  nacheiferten,  der  Bischof  Huet  also:  Tamour 
doit  estre  le  principal  sujet  du  Roman  *) . 


1)  Huet,  De  rorigine  des  Romaos,  p.  3. 


—     10     — 

Vermulhlich  würde  mancher  moderne  Roroanschreiher  gea;en 
eine  solche  Einengung  seines  Kunslvermögens  lebhaft  prole- 
stiren:  ihn  tragen  stärkere  Flügel  auch  zu  höheren,  ferneren  Zielen. 
Im  Allgemeinen  freilich  gilt  die  Regel  noch  heute  für  den  Ro- 
man: für  den  griechisclxen  Roman  ist  sie  unbestreitbar  das 
oberste  Gesetz. 

Ist  nun  also  dieser  griechische  Roman  wesentlich  nichts 
als  eine  erzählende  Liebesdichtung,  und  will  man  nicht  zu- 
geben, dass  eine  solche  Dichtungsweise  in  Griechenland  einfach 
aus  dem  Nichts  fertig  hervorsprang,  so  wird  man  wohl  darüber 
nicht  in  Zweifel  sein  können,  dass  der  erste  Ursprung  solcher 
Liebesromane  in  einer  Poesie  zu  suchen  sein  müsse,  deren 
hauptsächlicher  Inhalt  ebenfalls  eine  erzählende  Darstellung  der 
Schicksale  leidenschaftlicher  Liebe  war.  Während  nun  die 
Dichtung  der  classischen  Zeit  zu  einer  solchen  Gattung  erotischer 
Erzählungen  kaum  einige  geringe  Ansätze  darbietet,  so  blühte 
dagegen  in  hellenistischer  Zeit  eine  reiche,  von  den  begab- 
testen Dichtern  mit  Geist  und  Feinheit  ausgebildete  besondere 
Gattung  poetischer  Liebeserzählungen ,  die  in  Zeichnung  und 
Färbung  mit  den  Liebesabenteuern  der  späteren  Romandichtung 
eine  wohl  erkennbare  Verwandtschaft  zeigen. 

In  diesen  erotischen  Dichtungen  alexandrinischer  Poeten 
den  ersten  Keim  der  so' viel  später  ausgebildeten  griechischen 
Liebesromane  entdeckt  zu  haben,  ist  Ruttmanns  Verdienst*). 
Die  Richtigkeit  seiner  Vermuthung  ist  seitdem  an  Einem 
allerkenntlichsten  Beispiel  mit  eindringlicher  Sorgfalt  und  ge- 
nauester Kenntniss  thatsächlich  nachgewiesen  worden^].  Es 
wird  unsere  nächste  Aufgabe  sein ,  die  Entstehung  und  volle 
Entwickelung  erotischer  Erzählungskunst  in  griechischer  Dich- 
tung in  einem  weiteren  Umblicke  zu  betrachten  und  den  Zu- 
sammenhang der  griechischen  Romandichtung  mit  dieser  überaus 
merkwürdigen  Entwickelung  hellenistischer  Poesie  nach  Ver- 
mögen darzulegen.  Es  muss  gestattet  sein,  hierbei  etwas  weiter 
auszuholen. 


1)  Buttmann,  Mythologus  11  445,  444.  Vgl.  auch  W.  Herlzberg 
in  Prutzens  Litt.  Taschenb.  4  846  p.  460  (der  freilich  mancherlei  Irrthüm- 
liches  einmischt). 

2)  C.  Diitbey,  De  Callimachi  Cydippa.     Lips.  4863. 


I. 

Die  erotische  Erzählung  der  hellenistischen 

Dichter. 

1. 

Die  bewundernswerihe  Einheitlichkeit  aller  Lebensäusserun- 
gen  des  griechischen  Volkes  in  seiner  eigentlich  productiven 
Culturperiode  prägt  sich  nicht  am  Undeutlichsten  in  der  That- 
sache  aus,  dass,  selbst  bis  in  eine  Zeit  freiester  individueller 
Entwickelung  hinein,  die  Dichter  jenes  Volkes  für  ihre  er- 
zählenden oder  unmittelbar  mimisch  darzustellenden  Werke 
ernsthafter  Art  sich,  wie  durch  einen  stillschweigend  anerkann- 
ten Zwang,  an  die  wunderbaren  Mythen  von  Göttern  und  Heroen, 
wie  sie  die  Vorzeit  ausgebildet  und  überliefert  hatte ,  als  an 
ihren  einzigen  Stoff  gebunden  sahen.  Wie  die  hellenischen 
Götter  nicht  die  Schöpfer,  sondern  die  Bildner  und  Leiter  der 
Welt  waren ,  so  die  Dichter  älterer  Zeiten  nicht  die  Erfinder, 
sondern  wiederum  die  kunstvollen  Bildner  ihrer  Stoffe.  Nie- 
mand wird  das  Fernhalten  eigener  Erfindung  bei  jenen  Dich- 
tem, den  künstlerischen  Genien  des  phanlasievollslen  Volkes, 
aus  einem  Mangel  selbständig  schaffender  Phantasie  erklären 
wollen.  Vielmehr  spricht  sich  in  dieser,  in  ihrer  Art  vielleicht 
einzigen  Erscheinung  der  nationale  Charakter  selbst  der  er- 
habensten Poesie  altgriechischer  Zeil  aus.  Anders  als  in  mo- 
dernen Zeiten  trat  selbst  der  gewaltigste  Dichter  nicht,  in  er- 
habener Einsamkeit  des  Denkens  und  Empfindens,  einer  frem- 
den Menge  von  Volksgenossen  gegenüber,  die  ihm  nichts  ge- 
währen und  kaum  ihn  verstehen  konnte;  sondern  seine  höchste 
Kraft  und  Würde  erreichte  er  gerade  als  der  deutende  Dar- 
steller der  mächtigsten  und,  edelsten  Triebe,  die,  im  Zeitpunctc 


—     12     — 

seiner  Wirksamkeit ,  seinen  Stamm  und  sein  Volk  bewejzten. 
So  slief;  er  nicht  als  ein  einsam  lierrschender  Berf;  aus  sum- 
pfi}ier  Kl»ene  auf;  wie  der  hoeli  üljerragcndc  oberste  Gipfel 
eines  weiten  Felsenjzehirj^es  nur  dureli  die  verschlungenen;  sich 
stutzenden  und  auf  breiter  Grundlage  aufthürnienden  unteren 
Hcrgmass(»n  zu  seiner  strahlenden  Höhe  emporgehoben  wird,  so 
trug  und  sitilzte  ihn  Iheilnehmender  Geist,  Sinn  und  Wille  seines 
Volkes.  ICinem  solchen  Volksdichter  konnte  es  wohl  gar  nicht 
in  den  Sinn  kommen,  die  Traund)ilder  seiner  einsamen  Phan- 
tasie dem  Volke  vorzuführen ;  was  ihm  die  Muse  an  Kraft  und 
Kunst  verliehen  hatte,  damit  schmückte  er  die  güUHchen  und 
heroischen  (lestallen  tlvr  Sage,  wie  sie,  von  dem  schöpferischen 
Volksgenius  mit  blühendem  Leben  beseelt,  im  Mittelpuncte  alles 
Lebens  und  Kmphndens  seines  Volkes,  wie  die  Abbilder  grie- 
chischen Wesens,  seiner  Verehrung  und  zugleich  seiner  künst- 
lerischen Betrachtung  überall  sich  darl)oten. 

Ks  ist  nun  aber  klar,  dass  diese  Beschränkung  der  Dichter 
auf  die  mythischen  StoOe  nicht  ohne  Gefahr  war.  Denn  war 
auch  i\vv  AuctoritjU  solcher  M>then  nichts  von  der  starren 
Strenge  eines  Dogma  lieigemischt ,  blieben  sie  vielmehr,  als 
lichte  M>then,  lebendig  und  im  organischen  Waehsthum,  so 
lange  der  Geist  des  Volkes,  In  dem  sie  wohnten,  selbst  leben- 
dig und  jugendlich  entwickelungsf<ihlg  ]>lieb :  so  musste  doch 
eine  fruchtbare  dichterische  Behandlung  dieser  Mythen,  die  mit 
so  vielem  künstlerisch  Schönen  docli  auch  den  ganzen  Schatz 
religiöser  und  sittlicher  Kmpündungen  <les  jugendlichen  Volks- 
sinnes einscidossen ,  immer  schwieriger  und  endlich  unmöglich 
w  erden ,  sol>ald  im  Volke  selbst  und  in  den  Dichtern  des 
Volkes  der  unbefangene  Glaube  und  die  Freude  an  den  Göttern 
und  (Umu  heroisi'hen  1-eben  dieser  Sagen  zu  sehwinden  be- 
gonnen. Vür  diesen  Verfall  des  mUhischen  Glaul)enS;  wie  er 
im  künstliclier  verscldungenen  ,  sorgenvoller  und  prosaisch 
ernstliafter  gewordenen  Leben  der  Nation  sich  allmiihlich  immer 
iHulrohlicher  entwickelte,  und  seil  dem  fünften  Jahrhundert 
vor  Chr.  (ieb.  auch  in  weiteren  Kreisen  des  Volkes  sich  be- 
merklich machte,  l>raucheu  wir  hier  nur  zwei  hauptsächliche 
GrUnde  anzudeuten. 

Die  Zeit  war  vorüln^r,  in  der  die  Sagendichtung  alle  Fähig- 
keiten   und    Bedürfnisse    des    (Jeistes,    in    unentwickelter   Ver- 


—     13    — 

einigung  bei  einander  ruhend,  uinscliloss,  den  ganzen  und 
volltönenden  Inhalt  des  Lebens  aussprach.  Als  sich  nun  eine 
Kraft  des  Geistes  nach  der  anderen  losrang  und  zu  besonderem 
Leben  entwickelte,  inusste  sich  zumal  und  zuerst  das  lebhaft 
erwachte  Streben  nach  unbildlicher,  eigenllicher  Erkennlniss 
der  Welt  und  des  Lebens  nothwendig  feindselig  gegen  die 
bunten  Trugbilder  der  alten  mythischen  Götterbilder  wenden, 
in  deren  Hunden  bisher  die  Leitung  alles  Werdenden  und  Ge- 
schehenden zu  liegen  schien.  So  ernsllich  und  eigenllich  an- 
gefasst,  musste  freilich  der  alte  Götterglaube  der  griechischen 
Wissenschaft  bald  erliegen.  Indessen,  wiewohl  hier  freilich 
die  Axt  an  die  Wurzel,  die  liefsle  Voraussetzung  alles  Götler- 
glaubens  gelegt  wurde,  so  wirkte  doch  diese  Art  der  Belrach- 
lung  zunächst  nur  auf  kleinere  Kreise,  und  vermochte  im  Ver- 
ständniss  des  Volkes  den  Glauben  an  die  olympische  Götlerwell 
jedenfalls  nur  langsam  zu  erschüttern,  deren  Namen  sich  sogar 
unter  den  Gelehrlen  manche,  als  Hülle  eines  freilich  sehr  will- 
kürlich veränderten  Inhaltes ,  gefallen  liessen. 

Nicht  die  Existenz  der  Götter,  aber  desto  ernstlicher  den 
dichterischen  Mylhus,  in  dessen  bewegtem  Geschehen  diese 
Götter  ihr  eigentliches  Leben  hatten,  bedrohte  eine  andere  Be- 
trachtungsweise dieser  neuen  Zeit.  Wie  es  in  Perioden  einer 
geistigen  Befreiung  von  all  überkommenen  Vorstellungen  zu  ge- 
schehen pflegt,  erregte  damals  die  ernsteren  Geisler  eine  tiefere 
Frömmigkeit  um  so  stärker,  je  entschiedener  sie  sich  von  der 
beruhigenden  Auctorität  befestigter  Religionsanschauungen  los- 
sagten. Indem  dieser  neu  erwachte  religiöse  Sinn  die  über- 
lieferten mythischen  Erzählungen  auf  ihren  moralisch-religiösen 
Gehalt  zu  prüfen  unternahm,  konnte  sich  ihm  der  Widerspruch 
nicht  verbergen,  der  jene  Göttergeslallen,  in  der  Wirksamkeit, 
welche  Sage  und  Dichter  ihnen  anwiesen,  entstellte.  Hier  war 
an  das  Steuerruder  der  Welt  eine  menschenähnliche  Gottheit, 
ja  eigentlich  eine  ins  Göttliche  gesteigerte  Menschheit  gestellt, 
der  doch  das  Göttlichste  im  Menschen,  die  Güte,  Milde,  Barm- 
herzigkeit und  Liebe,  ja  der  Sinn  für  Recht  und  Unrecht,  zu 
fehlen  schien.  Nicht  ohne  Grund  maass  man  diese  Entstellung 
vornehmlich  der  ausbildenden  Thätigkcit  der  Dichter  bei. 
Denn  die  Göttergeslallen  der  Sage,  in  denen  sich  zuerst  die 
herrschenden  und  be\Negenden  Gewalten  der  Natur,  dann,  ver- 


—      14     — 

möge  eines  tiefsiDBigen  Analogienspiels,  auch  die  dunkeln  Ge- 
walten^  die  des  Menschen  Sinn  zu  Heil  und  Unheil  antreiben, 
sich  personificirt  halten :  —  waren  sie  nicht  von  den  Dichtern 
nach  deren*  oberstem  Gesetze,  den  Forderungen  der  Schönheit, 
immer  bestimmter  ins  Menschliche  umgebildet  worden,  ohne 
dass  doch  diesen  menschenartigen  Göttern  menschlich  milder 
und  reiner  Sinn  eingepflanzt  worden  wäre,  neben  der  un- 
erbittlichen Kraft  und  Gewalt  ^j,  welche  die  älteste  Sage,  mit 
tiefer  Ahnung,  ihren,  im  elementarischen  Leben  herrschenden 
Naturgöltern,  einzig  mitgegeben  hatte?  Welches  nun  auch  der 
Sinn  gewesen  sein  möge,  in  welchem  Homer  und  Hesiod  und 
ihre  Zeitgenossen  die  moralische  Indifferenz,  ja  Ruchlosigkeit 
ihrer  Götter  ertragen  und  verstehen  konnten :  jedenfalls  war 
dieser,  im  Miltelpuncte  der  Gesammtempfindung  der  älteren 
Zeit,  als  rechtfertigender  und  beseelender  Geist,  wohnende  my- 
thische Sinn  den  Denkern  jener  späteren  Zeit  entschwunden, 
die  sich  mit  Spott  und  Unwillen  über  das  »stehlen  und  buhlen 
und  einander  betrügen«  ereiferten,  in  welches  die  Dichter- 
mythen ihre  Götter,  im  Verkehr  unter  einander  und  mit  den 
Menschen,  verstrickten. 

Und  nun  bekundet  sich  der  Tod  jener  mythischen  Em- 
pfindung gleichermaassen  in  der  zornigen  Verachtung  der  Phi- 
losophen, in  den  frommen  Versuchen  eines  Pindar,  die  Mythen 
einer  reineren,  aber  ihnen  innerlich  fremden  Moral  anzunähern, 
in  den  selbständigen  Erfindungen  monströser,  symbolisch  ge- 
meinter Mythen  von  Seiten  der  frommen  Mystiker  jener  Zeiten, 
endlich  in  der  begrilfsmässig  allegorischen  Ausdeutung  der 
Mythen,  welche,  als  eine  Rechtfertigung  der  Dichter  gegenüber 
den  Angriffen  der  Philosophen  zuerst  in  Anwendung  gebracht, 
von  Anoxagoras  bis  zu  den  letzten  Mitgliedern  der  stoischen 
Schule,  ja  bis  zu  den  frommen  Neuplatonikern  gar  manchem 
Denker  als  ein  Surrogat  für  das  wirkliche  Verständniss  des 
alten  Volksglaubens  gedient  hat.  Wenn  es,  in  der  Zeit  der 
höchsten  Kfaftentwickelung  des  attischen  Individualismus,  den 
Dichtern  der  tragischen  Rühne,  namentlich  dem  Aeschylus  und 
Sophokles,    noch   einmal    gelang,    dem  Mythus   das  Leben  ihrer 


1)  To  ^dp  xpaxoDv  vojAiCexai  Äeö;  (Menander  KapfvT^  fr.  4):  das  war  und 
blieb  freilich  auch  stets  urgriechisch. 


—     15     — 

eigenen  mächtigen  Seelen  einzuhauchen,  und  ihn  in  ein  inneres^ 
nothwendiges  Yerhältniss  zu  einer  tiefer  gefassten  Sittlichkeit 
zu  setzen,  so  blieb  dieses  doch  nur  die  ganz  pers()nliche  That 
jener  wunderbaren  Genien.  Unmittelbar  neben  ihnen  konnte 
sich  der  völlige  Verfall  des  mythischen  Verständnisses  auf  das 
Grellste  ktindthun  in  den  Dramen  des  Euripides,  in  deren  Be- 
handlung der  hergebrachten  mythischen  Stoffe  zuweilen  fast 
ein  offener  Hohn  und  die  Absicht  der  Parodie  durchschimmert. 


2. 

War  nun  also,  durch  die  erwachende  Wissenschaft  und  die 
selbständig  gewordene  religiöse  Speculation,  der  unbefangene 
Mythenglaube  bereits  erschütterl,  so  beschirjnten  doch  seine  Auc- 
toritäi  noch  immer  die  festgeordneten  Einrichtungen  des  öffent- 
lichen und  des  häuslichen  Lebens  der  alten  hellenischen  Stämme 
und  Staaten,  die  mit  tausend  Fäden  an  den  alten  Glauben  und 
die  alten  Sagen  geknüpft  waren.  Zur  vollen  Wirkung  kam  die 
veränderte  Stellung  der  Denkenden  und  Gebildeten  erst  in 
jener  Epoche  einer  ungeheuren  Ausbreitung  der  hellenischen 
Bildung  tlber  die  östliche  Welt,  welche  man  die  hellenistische 
zu  nennen  sich  gewöhnt  hat.  In  jener  Zeit  trug  Alles  dazu 
bei ,  das  schon  gelockerte  Band ,  welches  den  Einzelnen  mit 
Glaube,  Sitte  und  Empfmdungsweise  seines  Volkes  verknüpfte, 
völlig  zu  lösen,  und  ihn  gänzlich  auf  seine  individuelle  Einsicht 
und  Ansicht  zu  beschränken. 

Während  das  alte  Hellas  mehr  und  mehr  in  einem  ärm- 
lichen Stillleben  vermoderte  oder  sich  in  wüsten  Kämpfen  auf- 
rieb, breitete  sich,  in  den  ersten  Jahrhunderten  der  Diadochen- 
zeit,  in  den  grossen  afrikanischen  und  asiatischen  Reichen  der 
hellenistischen  Könige  ein  glänzendes  Leben  aus.  Dorthin  zog 
sich  auch,  was  von  geistigem  Leben  kräftig  blieb,  und  doch, 
bei  dem  Verfall  des  nationalen  Gesammtlebens ,  eines  künst- 
lichen Schutzes  durch  die  Hofgunst  nicht  entbehren  konnte. 
Indem  nun  der  Angehörige  des  alten  Griechenlands  aus  der 
Enge  seiner  eifersüchtig  beschränkten  Stamm-  und  Sladtgemein- 
schaft  herausgerissen,  in  eine  endlose  Weite  barbarischer  Länder 
hinausgetrieben,  in  prächtigen  Neugründungen  gewaltiger  Gross- 
städte   mit   Genossen   aller  anderen    griechischen  und  so   vieler 


■N 


—     16    — 

Iiaihgrieehisehen  SliSmine  und  einer  überwiegenden  Menge  bar- 
barischer Urbevvohner  zusammengewürfelt  wurde,  musste  er, 
schon  seit  geraumer  Zeit  zu  freiesler  Betrachtung  der  Welt  und 
des  Lebens  angeregt,  nothwendig  ein  Kosmopolit  werden 
und  ein  Hellene  im  ahen  Sinne  zu  sein  aufhören.  Nichts 
konnte  ihn  in  den  neuen  barbarisch-hellenischen  üeichen  an 
die  Sinnesart ,  die  Sitte ,  den  mit  allen  Einrichtungen  des 
Lebens  und  der  Kunst  unauflöslich  verflochtenen  Götterglauben 
seiner  alten  engen  Ileimath  binden.  Wirklich  befreite  er  sich 
so  völlig  von  der  Beschränkung  einseitig  hellenischer  Empfin- 
dungsweise, dass  er  sogar  den  tiefbegründelen,  auch  von  den 
Freisinnigsten  früherer  Zeit  stets  festgehaltenen  Gegensatz  des 
Hellenischen  zu  allem  Barbarischen  aufzugeben  geneigt 
wurde,  und  —  zum  ersten  Mal  in  der  Geschichte  der  Mensch- 
heit—  den  Gedanken  einer  kosmopolitischen  Einheit  aller  Völker 
und  Menschen  fassle^).  Zu  einer  solchen  Ansicht,  die  eine  ganze 
Menschheit  sich ,  ohne  charakteristische  Gruppen ,  nur  aus  un- 
zähligen, ihr  gewissermaassen  »reichsunmittelbar«  untergebenen 
Einzelnen  zusammengesetzt  denkt,  konnte  sicherlich  nur  eine 
Zeit  gelangen,  die  von  den  tief  und  unvertilgbar  den  Einzelnen 
bildenden  und  bestimmenden  Einwirkungen  einer  überlieferten, 
im  engen  Kreise  festgehahenen  nationalen  Sitte  und  Gesinnung 
an  sich  selbst  die  Wirkung  nicht  mehr  empfand,  und  die  freie 
Entwickelung  seiner  Anlagen  der  willkürlichen  Selbslbestimnmng 
des  Einzelnen  überlassen  sah. 

Diese  Neigung  zur  Vereinzelung  nährte  die  monarchische 
Verfassung  der  wichtigsten  hellenistischen  Staaten.    Wie  überall, 


1)  Ausdrücklich  hatte  eine  solche  Idee  der  Stoiker  Zeno  in  seinen 
Bü<-hern  »»vom  Slnnte«  vorfielragen ;  und  was  ihm  nur  »Traum  und  Ideal« 
hlieb,  meinte  man  in  Alexanders  Weltreich  in  Wirklichkeit  wenigstens  be- 
gonnen zu  sehen :  s.  Flularch  de  Alex.  s.  fort.  s.  virt.  I  6.  Alexander 
wollle  v^fj^  ÜTTTjXoa  k6'(0'j  td  im  y^j?  *ii  P-i«?  TroXixeia;,  ha  of^fiON  dvi)p(j[)7ro'j; 
aTiavTa;  oiTro'fTjvai.  Ibid.  I  8.  Ebenso  verwirft  Eratosthenes  bei 
Strabo  I  p.  66  die  Einiheiiung  der  Menschen  in  Hellenen  und  Barbaren: 
[J^Xtiov  Eivai,  drJZ^:f^  xoti  -Aa-Afa  ouXeiv  Taura.  Der  theorelische  Kosmopoliti^- 
mus  der  C^niker  und  Sloiker  ist  bekannt.  —  Schon  Theodorus  6  di^eo;  sagte: 
des  Weisen  Vaterland  sei  die  Welt  (Laerl.  Diog.  11  99).  —  Vgl.  auch  Me- 
nander  (nicht  Epicharrous)  bei  Stob.  tlor.  86,6.  Vs.  U  ff.  {Com.  IV  229): 
8;  dv  £j  YE^ovoi;  7^  ttJ  ^'jaei  7:00;  Td^aftd,  xdv  Alftio«!;  ig,  jif^Tep,  laxw  ei^Evfj; 
u.  s.  w. 


—     17    — 

so  gewährte  jedenfalls  auch  hier  die  »aufgeklärte«  Monarchie 
dem  Einzelnen  eine  grössere  persönliche  Ungebundenheit ,  als 
es  eine  auf  gemeinsamer  strenger  Selbstverwaltung  einer  ein- 
heitlichen Bürgermenge  begründete  demokratische  oder  oligar- 
chische  Volksregierung  je  darf  und  kann.  Hier  war  nicht  mehr 
ein  Staatswesen,  das  alle  seine  Vollbürger  der  gemeinsamen 
Ar]>eit  an  einem  gemeinsamen  Zwecke  ihr  individuelles  Belieben 
anzubequemen  zwang,  und  sie,  durch  die  Berechtigung  und 
Aufforderung  zur  Theilnahme  an  allen  wichtigsten  Geschäften 
des  Staates,  wie  durch  eine  heilsame  Nöthigung  zu  jener  gleich- 
massigen  Ausbildung  aller  edelsten  Kräfte  erzog,  die  wir  an 
den  Griechen  der  alten  Zeit  bewundern.  Der  Einzelne  war 
jetzt  in  seiner  Ausbildung  und  in  der  Verwendung  seiner 
Kräfte  durchaus  auf  sein  eigenes  Belieben  angewiesen.  Damit 
aber  löste  sich  nothwendig  jene  »Einheit  des  Stils u  auf,  die  in 
dem  organischen  Gemeinleben  der  griechischen  Kleinstaaten 
alle  Aeusserungen  der  reichsten  Bildung  in  Staat  und  Kunst  mit 
so  bewundernswürdiger  Nothwendigkeit,  wie  aus  Einem  gemein- 
samen Gedanken,  bestimmt  halte.  Denn  diese  Einheit  beruhte 
wesentlich  auf  der  unlöslichen  Vereinigung  des  individuellen 
Geistes  mit  dem  Leben  der  Gesammtheit. 

Endlich  fand  jetzt  zuerst  eine  durch  die  wissenschaft- 
liche und  darum  nothwendig  unpopuläre  Richtung  der  un- 
mittelbar vorhergehenden  Zeit  schon  vorbereitete  Trennung  der 
Volksgenossen  in  zwei  ganz  geschiedene  Massen  statt,  eine  un- 
gebildete Volksmenge  und  eine  zu  specieller  Virtuosität  der 
Bildung  erzogene  Minderheit  der  Gebildeten,  richtiger  der  Ge- 
lehrten. Es  leuchtet  ein,  wie  auch  diese  Aussonderung  der 
Bildung  auf  eine  begrenzte  Anzahl  Begünstigter,  wie  weiterhin 
die  subtile  Ausarbeitung  der  einzelnen  wissenschaftlichen  Dis- 
ciplinen  durch  eine  ganz  einseitig  concentrirte  Thätigkeit-  (die 
den  Alten  sicherlich  als  » banausisch  a  erschienen  sein  würde)  zu 
immer  eigensinnigerer  Ausbildung  eines  ganz  sich  selbst  be- 
stimmenden Individualismus  fuhren  musste. 

Was  konnte  nun  für  eine  also  zerklüftete  Gesellschaft  die 
mythische  Religion,  die  Wurzel  des  gemeinsamen  Em- 
pfindens der  Vorväter,  noch  bedeuten?  Wie  konnten  die 
Mythen,  die  feinsten  und  reichsten  Blüthen  dieser  Empfindung 
sich  kräftig  erhalten,    wenn  die  Wurzel   verdorrte?     Es  hätte, 

Bob  de,  Der  griechische  Ruman.  2 


—     18    — 

bei  den  eben  geschilderten  Verhältnissen,  nicht  einmal  der 
immer  allgemeiner  werdenden  nüchtern  rationalen  Welt- 
betrachtung, auch  nicht  des  zerstörenden  Einflusses  so  vieler, 
jetzt  lebhaft  einwirkenden  theologischen  und  theosophischen  Ge- 
danken des  uralten,  hochgebildeten  asiatischen  Barbarenlhums 
bedurft,  um  die  Gebildeten  dieser  Zeit  dem  langst  untergrabe- 
nen Hutterboden  mythischer  Religion  zu  entfremden.  Es 
musste  diesen  gebildeten  Griechen  ergehen,  wie  es  stets  in 
ähnlichen  Zeiten  der  Bildung  geht :  fingit  sibi  quisque  colendum, 
mens  vaga  quod  suadet^).  Im  Allgemeinen  war  wohl  in  keiner 
Periode  der  griechischen  Culturgeschichte  das  religiöse  Bedtlrf- 
niss  so  schwach,  wiä  in  dieser,  von  der  alexandrinischen  Bil- 
dung beherrschten  hellenistischen  Zeit  (auf  die  daher,  ganz 
consequent,  die  leidenschaftliche  religiöse  Reaction  der  ersten 
nachchristlichen  Jahrhunderte  folgte)  :  wo  aber  wenigstens  das 
BedUrfniss  nach  einer  gemeinsamen  Empfindung  in  allen  tiefsten 
und  wichtigsten  Angelegenheiten  des  Lebens  bei  den  Gebildeten 
sich  regte,  da  befriedigte  es  sich  zumeist  in  einem  Anschluss 
an  die  Auctorität  der  philosophischen  Systeme  der  Stoiker, 
Epikureer,  Skeptiker  und  Peripatetiker.  Diese  philosophischen 
Systeme,  des  herbeti  Tiefsinnes  der  älteren,  mejst  sehr  ein- 
samen Denker  entkleidet,  waren  gerade  in  ihrem  verdtlnnten 
Gehalte  nur  um  so  geschickter,  den  vielen  zerstreuten  und  zer- 
fahrenen Einzelnen,  als  ein  Surrogat  der  Religion,  die  verlorene 
Gesammtansicht  des  Lebens  und  der  Schaar  der  Gebildeten  eine 
Art  von  ideeller  Gemeinsamkeit  wiederzugeben.  Erklärt  sich 
aus  dieser  neuen  und  wichtigen  Bedeutung  der  Philosophie  die 
vorwiegende  Richtung  der  Philosophen  jener  Zeit  auf  das  Mo- 
ralische, praktisch  Wichtige,  so  beherrscht  doch  auch  die  Moral 
gerade  der  einflussreichsten  Systeme  ein  tiefes  Hisstrauen  gegea 
Weltlauf  und  Menschenschicksal,  welches  wiederum  dazu  bei- 
tragen musste,  ihre  Anhänger  zy.  möglichster  Vereinzelung  ihrer 
Wtlnsche,  Gedanken  und  Lebenseinrichtungen  anzuleiten  2) . 


1)  Worte  eines  heidnischen  Dichters  aus  der  Zeit  des  Unterganges  der 
alten  Religion  (anthol.  lat.  ed.  Riese  686,  44.  15). 

2)  Sehr  richtig   nennt  Giambattista  Vico  (in  s.  Autobiographie)  die  Mo- 
ral der  Stoiker  sowohl  als  die  der  Epikureer  »una  morale  di  solitari«. 


—     19     — 


3. 


Die  Dichter  jener  Zeit  wurzeln  nicht  nur  in  dem  Boden 
jener,  der  alten  volksthUmlichen  Empfindung  entfremdeten  Bil- 
dung, sondern  gehören  fast  sümmtlich  sogar  den  Kreisen  der 
gelehrten  Virtuosen  an,  die  im  emsigen  Stillleben  grammatischer 
und  antiquarischer  Studien  die  eigentlichen  Triiger  der  speci- 
fischen  Bildung  ihrer  Zeit  zu  sein  sich  dünken  durften.  Wie 
stellten  sich  nun  diese  ächten  Sohne  einer  ganz  entgötterten 
Zeit  zu  dem  bisher  einzigen  Stoffe  höherer  Dichtung,  den  alten 
Götter-  und  Heroensagen?  Sie  konnten  sich  zum  Theil  ganz 
davon  fern  halten,  und  thaten  es  mit  einem  richtigen  Gefühle, 
wenn  sie  ihren  Fleiss  dem  Spiel  mit  zierlichen  Epigrammen  zu- 
wandten ,  in  der  Idyllendichtung  den  bescheidenen  Freuden 
ländlicher  und  stadtischer  Behaglichkeit  einen  anmuthigen  Aus- 
druck gaben,  in^poetischen  Episteln,  in  Hochzeits-,  Trauer-,  Lob- 
gedichten ihren  freundschaftlichen  Gefühlen  genug  thaten  oder 
in  der  Vielgeschäftigkeit  einer  tändelnden  Feuilletondichtung 
(den  Choliamben,  Sillen,  kinaedologischen  Gedichten  u.  s.  w.) 
sich  vergnügten.  Andere  zogen  es  vor,  in  mühsamen  Lehr- 
gedichten das  Langweiligste  schwierig  und  praetentiös  vor- 
zutragen, und  so  den  ächten  und  tiefsinnigen  Begriff  des  wahr- 
haften Lehrgedichtes,  wie  er  von  den  alten  philosophischen 
Lehrdichtern  herrlich  aufgestellt  war,  zu  trüben.  Die  lebens- 
vollste Gattung  der  damaligen  Dichtung,  die  attische  Komödie 
neueren  Stils,  lag  gerade  den  hier  ins  Auge  gefassten  gelehrten 
Dichtern  ferne. 

Zu  einer  Behandlung  mythischer  Stofie  sah  sich  durchaus 
genöthigt,  wer,  mit  höherem  Ehrgeiz,  der  Tragödie  sieh  zu- 
wandte. Wir  mtlssen  gestehen,  dass  wir  von  der  Behandlung 
der  Mythen  in  den  Dramen  der  so  bald  gänzlich  erloschenen 
tragischen  Pleias  der  Alexandriner  keinerlei  Vorstellung  haben. 
Wie  sich  die  Mythen  in  dem  Rahmen  einer  leblosen  ofBciellen 
Hofpoesie  ausnehmen,  lehren  uns  die  Hymnen  des  Kallimachus. 
Wichtiger  ist  uns  hier  die  eigentlich  epische  Behandlung  der 
mythischen  StoiFe.  Und  hier  zeigt  sich  denn  ganz  unzweideutig, 
dass  eine  lebensvolle  Behandlung  der  eigentlichen  Mythen  jenen 
alexandrinischen.  Dichtern  nicht  mehr  möglich  war.  Der  Mythus 
war  wirklich  todt   in   diesem  zu   lauter    Einzelnen   aufgelösten 


-     20    — 

Volke;  und  wie  konnte  unter  den  HUnden  einer  gelehrten 
Stubendichtung  die  Behandlung  einer  heroischen  Sagenpoesie, 
die  sich  nicht  mehr  aus  dem  unaufhörlich  sprudelnden  Quell 
der  Volksdichtung  ernährte,  etwas  anderes  als  ein  frostiges 
Kunststück  werden?  Die  Erfahrung  lehrt,  dass  die  Gestalten 
einer  alten  sinnvollen  Sagenwelt ,  wenn  die  belebende  Seele 
entflogen  ist,  in  den  Händen  einer  niedrig  populären  Dichtung 
höchstens  noch  die  Merkmale  einer  unheimlichen  oder  gelegent-. 
lieh  auch  scurrilen  Riesenhaftigkeit  bewahren,  unter  der  Hand 
selbst  des  sinnigsten  Kunstdichters  doch  kaum  noch  das  Schatten- 
leben  einer  leeren  Idealitüt  gewinnen  können.  Es  geht  einmal 
nicht  an,  mit  den  erhabenen  Sagen,  in  die  eine  kraftvollere 
Vorwelt  all  ihren  Sinn  und  ihre  volle  Seele  versenkt  hat.  in 
später,  rationalistischer,  politisch  kalter  Zeit  nur  so  zu  tändeln. 
Den  hellenistischen  Dichtem  im  Besonderen  lag  die  Gefahr 
weniger  nahe,  in  einem  leer  allegorischen  oder  einem  unfreien 
und  unkUnstlerischen  symbolischen  Sinne  (dessen  Erfolge  die 
orphischen  Dichtungen  abschreckend  deutlich  erkennen  Hessen) 
mit  den  Mythen  zu  spielen;  desto  näher  lag  die  Gefahr  einer 
emplindungslosen  rein  historischen  Behandlung  der  Mythen 
einer  Zeit,  welche  die  Plattheiten  des  Euhemerus  mit  Beifall 
aufnehmen  konnte.  Es  verbtlndete  sich  hier  die  Abgestorben- 
heit des  mythischen  Gefühles  mit  der  allgemeinen  künstlerischen 
Mitlelmässigkeit  dieser  Dichter,  um  ihnen  die  höchste  Kunst 
und  Glorie  des  epischen  Dichters  unerreichbar  zu  machen, 
durch  welche  dieser  mit  dem  Geiste  Einer  Handlung  die  lange 
Reihe  einzelner  Thaten  un<l  Abenteuer  zu  beseelen  vermag,  in 
denen  sein  Gedicht  sich  abspinnt.  Woher  sollte  diese  hö<*hste 
Kunst  des  organi^irenden  Dichters,  die  Kunst  des  »totum 
ponere«  jenen  späten  epischen  Experimentatoren  kommen,  da 
es  ihnen  nicht  mehr  möglich  sein  konnte,  in  die  Eine  Empfin- 
dung oder  Anschauung  einzudringen,  die  sich  in  der  Schöpfung 
einer  mythischen  Figur  wie  Herakles  oder  Jason  oder  Theseus 
einen  körperlichen  Ausdruck  gegeben  hatte ,  und  sich  in  allen 
Wandlungen  der  Sage  mittönend,  wie  ein  musikalisches  Thema 
in  allen  Variationen,  behauptete? 

Mit  dem  Geiste  der  alten  Heldendichtung  entflog  diesen 
Dichtern  der  einheitliche  Hall  der  mythischen  Abenteuer;  und 
so  löste   sich    ihnen   unwillkürlich   die  bunte    Reihe  der  Erleb- 


—     21     — 

nisse  alter  Helden  in  ein  seelenloses,  chronikarliges  Hinter- 
einander auf;  das  wohlgruppirte,  von  Einem  künstlerischen  Ge- 
danken rhythmisch  geordnete  Gemälde  zog  sich  ihnen  gleichsam 
auseinander  in  einen  langgezogenen ,  mit  einzelnen  Historien 
bunt  durchwirkten  Teppich,  dessen  Bilderreihe  man  mit  Einem 
Blicke  unmöglich  zusammenfassen  konnte. 

Dieser  Fehler,  den  schon  Aristoteles  an  den  Dichtern  langer 
Epen  von  den  Thaten  des  Herakles  und  Theseus  rügte,  war  es 
wohl  eigentlich,  den  man  an  den,  mit  einem  tadelnden  Neben- 
sinne »kyklisch«  genannten  Epen  der  späteren  Zeit  durch  eben 
diesen  Beinamen  bezeichnen  wollte*).  Wie  weit  er  schon  an 
den  Epen  des  Panyasis ,  der  » die  erloschene  epische  Dichtung 
wieder  heraufführte (( ,  und  des  Antimachus  sich  zeigte,  lasst 
sich  nicht  mehr  genau  erkennen.  Wo  in  hellenistischer 
Zeit  sich  Versuche  zur  epischen  Behandlung  wirklicher  Mythen 
hervorthaten,  konnten  sie  von  jener  geschilderten  Frostigkeit 
unmöglich  frei  sein  2).  Jeder  Leser  empfindet  sie  in  den  Ar- 
gonautika  des  Apollonius  von  Rhodus,  an  seiner  leblosen  Hi- 
slorisirung  jener  phantastischen  Sagen,  welche,  von  dem  ge- 
lehrten Dichter  eben  nur  referirt,  nicht  aus  eigener  Kraft  belebt, 
zu  völligen  Märchen  werden,  denen  doch  aller  rechte  Mürchen- 
geist  ausgeblasen  ist;  an  dem  geradlinigen  Gange  seiner  dürren 
Erzählung,  der  Leere  seiner  göttlichen  und  heroischen  Gestalten. 
Es  verdient  aber,  im  Zusammenhang  dieser  Betrachtung,  her- 
vorgehoben zu  werden,  wie  naiv  sich  der  gänzlich  unepische 
Sinn  dieses  Dichters  in  dem  Verweilen  auf  der  inneren  Emp- 
findung seiner  romantischen  Heldin  ausspricht.  W^ährend 
ihm  die  eigentliche  Aufgabe  des  Epikers,  Belebung  der  Hand- 
lung zu  plastischer  Anschaulichkeit,  selbst  in  den  bewegtesten 
Scenen  nicht  gelingen  will,  findet  er  in  der  Schilderung  der 
Seelenkämpfe  der  Medea  stellenweise  einen  ganz  neuen  Klang, 
den   Ton   einer   leidenschaftlich   sentimentalen   Erregung^).      So 

1)  Die  Richtigkeit  der  Weicker'scheu  Auffassung  jener  von  Kaliimacbus 
und  Horaz  getadelten  »kyklischen«  Dichter  scheinen  mir  Merkels  und  Dil- 
theys  Einwendungen  nicht  widerlegt  zu  haben. 

2)  Vgl.  die  Aufzählung  solcher  Epen  bei  Welcker,  Ep.  Cycl.  I  4  09. 

3)  So  bei  der  erstep  Begegnung  des  Jason  und  der  Medea:  III  439  ff., 
namentlich  dann   in  den  nächtlichen  Seelenleiden  der  Medea  HI  616 — 843  . 
endlich  auch  bei  der  heimlichen  Zusammenkunft  der  Beiden  :  vgl.  III  104  4  f., 
1068  ff.,  1110  ff. 


—     22    — 

lässt  gerade  er  uns,  wider  Willen,  erkennen,  wohin  ihre  eigent- 
lichen Fähigkeiten  die  Dichter  jener  Zeit  wiesen. 


Es  muss  nun  anerkannt  werden,  dass  die  ästhetischen 
Stiinroftlhrer  der  hellenistischen  Dichtung  ganz  klar  erkannten, 
dass  in  der  Thai  das.  mythologische  Epos  im  grossen  Stile  seine 
Zeit  erftlllt  habe.  Schon  in  der  Schule  des  Philetas  von  Kos 
regte  sich  eine  entschiedene  Opposition  gegen  die  Versuche 
einer  erneuten  epischen  Production :  man  hört  die  Ansicht  des 
Meisters  selbst  in  einem  Jugendgedichte  seines  Schülers  Theo- 
krit,  den  s.  g.  Thalysien*).  Mit  vollem  Bewusstsein,  ja  mit 
Schärfe  und  Bitterkeit,  wies  dann  Kallimachus  im  Besonderen 
die  epischen  Unternehmungen  des  ApoUonius,  damit  aber  prin- 
cipiell  alle  weitläufig  angelegten  mythologischen  Epen  zurtlck. 
Bekannt  ist  sein  derber  Ausfall  gegen  den  schlammig  daher 
fluthenden  Strom  dar  Dichtung  des  ApoUonius  (h.  Apoll.  107  ff.) ; 
sein,  bei  einem  Polyhistor  sonst  einigermaassen  befremdlicher 
Ausspruch:  »ein  grosses  Buch,  ein  grosses  Hebel«  (fr.  3-^9 
p.  559  Sehn.),  sollte  wohl  den  gerade  jener  malten  epischen 
Dichtungsweise  eigenen  Fehler  treffen,  lange  Gedichte  nicht  aus 
einer  einheitlichen  grossen  Gonception  zu  gestalten,  sondern  sie 
aus  vielen  einzelnen  kleinen  Theilen  gewissermassen  zusammen 
zu  addiren.  Sich  selbst  hielt  er  von  solchen  Versuchen  fem; 
er  ruft:  »nicht  von  mir  erwartet  ein  laut  rauschendes  Liedu^j, 
er  rechtfertigt  sich,  dass  er  nicht  (gleich  jenen  Epikern)  ein 
grosses  zusammenhängendes  Gedicht  vorzubringen  wisse  (fr.  287); 
die  Kunst  des  Dichters  dürfe  man  nicht  nach  der  Länge  seines 
Gedichtes  bemessen 3).     Er  wusste   sehr  wohl,  worin  die  Kraft 


1)  Idyll.  VII  45 — 48:  a»?  jioi  xal  t^xtcov  jj,£y  dir^^^deTai,  oaxi;  dpeuviQ 
laov  ^peu;  xopucpqf  TcX^oai  o6{xon  '12pOfi.^oovTo;  %al  Motoav  ^p^iye;,  Ssoi  ttotI 
Xtov  dotofiv  dvTla  xoxx6CovTe;  ixdi9ia  p.o)^d(C4vtt.  Th.  zielt  im  Besonderen 
nicht  auf  ApoUonius  von  Rhodus,  sondern  auf  andere  und  frühere  Dichter 
weiiläuftiger  Heldengedichte,  z.  B.  Antagoras,  an  den  Bergk  achte.  Vgl 
auch  Hauler,  De  Thcocriti  vita  et  scriplis,  p.  15.  Merkel,  proleg.  in  Apoll. 
Rhod.  XXV. 

2)  jjLTjo'  dn  i[U\>  5icpäT£  (A^^a  »j^o^^ouoav  doi^v  TixxeoBai,  ßpovrav  h' 
o6x  i\t.6>ij  dXkä  Atoc  s.  Schneider,  Callin).  II  p.  437.  647. 

3)  Denn  diesen  Sinn  scheinen   die  Worte  des  48t.  Frgm. :  {xi^j  (xetpciv 


—     23    — 

seiner  KunslübuDg  lag.  Begreiflich  ist  es^  dass  der  Ehrgeiz 
einer  neuen  Schule,  nicht  zufrieden,  sich  gegen  die  missglUck- 
ten  Versuche  der  Rivalen,  es  dem  alten  Heiner  gleichzuthun, 
zu  richten,  sogar  ihr  Vorbild,  den  ehrwürdigen  Vater  der  Dich- 
tung selbst  nicht  unangetastet  Hess.  Schon  Theokrit  spottet 
über  diejenigen,  welche  die  neueren  Dichter  mit  einem  :  »genug 
für  alle  ist  Homer«  abweisen  wollten  (Idyll.  XVI  SO) ,  und 
Kalliraachus  scheint  in  der  That  dem  Homer  wenigstens  ein  niir 
ironisches  Lob  gespendet  zu  haben,  um  seine  eigene  neue  Weise 
zu  erhebend.  Jedenfalls  richtete  sich  aber  auch  jene  Opposition 
mehr  gegen  die  Praxis  der  homerisch  sich  dtlnkenden  Neueren, 
als  gegen  die  theoretische  Hochschätzung  des  alten  Dichters 
selbst . 

In  der  That  hatten  nun  jene  Dichter  ein  Recht,  nicht  ohne 
Selbstbewusstsein  ihren  Rivalen  sich  entgegenzustellen;  denn 
sie  haben  wirklich  ein  fruchtbringendes  Neues  in  die  Littera- 
tur  einzuftlhren  und  siegreich  zu  befestigen  gewusst. 

Im  Bewusstsein  freilich  jener  Neuerer  scheint  sich, 
ihren  Aussprüchen  nach  zu  urtheilen ,  im  Gegensatz  zu  den 
lang  ausgedehnten  Productionen  der  Gegner,  nur  eine  Tendenz 
zur  sorgfältigen  und  liebevoll  ausdauernden  Bearbeitung  kleiner 
eng  begrenzter  dichterischer  Stoffe  geltend  gemacht  zu  haben. 
Aber  einem  derartigen,  rein  negativen  Bekenntniss  der  eigenen 
Schwäche  konnte  wohl  eine  richtige  Selbsterkenntniss  zu 
Grunde  liegen;  wie  kann  man  aber  aus  ihr  den  Grund  der 
jedenfalls  weit  verbreiteten,  die  Gulturgeschichte  der  zunächst 
folgenden  Zeiten  lebhaft  beeinflussenden  Wirkung  ableiten? 
Vielmehr  war  die  Sauberkeit  der  Arbeit,  die  sie  auf  ihre  engeren 
dichterischen  Themen  verwendeten,  nur  eine  Unterstützung  der 


Gj^o(v(|)  nef>a(5(  Ti^N  oo'ftrjv  zu  haben;    auch   0.  Schneider,   Calllm.    II  p.  638 
versteht  sie,  wie  es  scheint,  öhnlich. 

1)  Die  beireffenden  Epigramme  des  Kallimachus  scheint  Dilthey  de  Cyd. 
8  ff.  richtig  gedeutet  zu  haben.  —  Auf  Angriffe  gegen  den  Homer  deutet 
wohl  auch  das  abwehrende  Wort  des  Euphorien  fr.  LXX:  dirpoTtp-aoroc 
""OiATipo;.  Vielleicht  genügte  solch  eine  Abwehr  voreiliger  Verunglimpfungen 
des  Homer  dem  Krates,  um  den  Euphorien,  in  jenem  bekannten  zwei- 
deutigen Epigramm  (anth.  Pal.  XI  318:  vgl.  Naeke  de  Choer.  p.  97  f. 
Meinekc  an.  AI.  80  f.),  der  Obscönitöt  zu  Liebe,  zum  'Ofitjptxö;  zu  machen. 
Denn  was  in  seiner  eigenen  Dichterthäligkeit  gerade  den  Euphorion  zum 
Homeriker  gemacht  haben  könne,  ist  nicht  abzusehen. 


—    24     — 

• 

bedeutenden  Wirkung,  welche  ganz  vornehmlich  auf  der  Wahl 
einer  neuen  Gattung  poetischer  Stoffe  beruht,  die  den 
besonderen  Fähigkeiten  der  gelehrten  Dichter  jener  Zeil  sich 
leichter  zu  künstlerischer  Bearbeitung  fügten ,  als  die  mit  allen 
Hebeln  einer  nachempfindenden  Reflexion  nur  mühsam  in  Be- 
wegung zu  setzenden  alten  Mythen. 

Von  eigenen  Erfindungen  hielten  sie  sich,  mit  einem  rich- 
tigen Gefühle,  durchaus  fern.  Zu  einer  Behandlung  eigentlich 
geschichtlicher  Stoffe  konnte  der  mehr  patriotische  als  künst- 
lerische Erfolg  des  auf  dieser  Bahn  voran  gegangenen  Choerilus 
wenig  reizen ;  die  dichterische  Darstellung  geschichtlicher 
Stammessagen  scheint  in  dem  romantisch  schimmernden  Ge- 
dichte des  Rhianus  von  den  Abenteuern  des  Aristomenes  nicht 
zwar  die  einzige,  aber  die  einzige  glückliche  Vertretung  ge- 
funden zu  haben.  Wollte  man  nun,  »nicht  in  den  Spuren  der 
Anderen  «*)  wandelnd,  die  breite  Bahn  der  heroischen  Mythen 
verlassen  und  in  der  reichen  Fülle  volksthümlich  poetischer 
Ueberlieferung  neue  Pfade  der  Dichtung  finden,  so  bot  sich 
noch  ein  letzter  Weg  dar  2). 

Es  gab  noch  eine  Gattung  volksthümlicher  Sagen,  die  ^ch 
als  Gegenstände  einer  rein  poetischen  Behandlung  den  künst- 
lerischen Talenten  einer  Zeil  darbieten  mochten,  welche  den 
eigentlichen  Mythen  jenen  tiefen  Hintergrund  alterthümlichen 
Sinnes  und  Lebens  nicht  mehr  zu  geben  wusste,  von  welchem 
losgelöst  sie  alsbald  zu  schaalen  Historien  wurden.  Ich  meine 
jene  harmlosere  Art  von  Sagen,  die  sich,  völlig  den  Ortssagen 
unserer  Heimath  ähnlich ,  an  seltsame  und  ungewöhnliche  Er- 
scheinungen des  Heimathbodens,  alte  Gebräuche  des  Cultus  und 
des  täglichen  Lebens,  auffallende  Benennungen,  an  mancherlei 
seltsame  Alterthümer  als  eine  Art  phantasievoller  Deutung  ge- 
knüpft hatten.  Man  mag  sie  »Legenden«  nennen,  nach  Welc- 
kers  Vorgang,  dessen  Verdienst  es  ist,  diese  Gattung  von 
Volkssagen    aus    der    grossen    Gemeinschaft    der    griechischen 


1)  er^pwv  t/via  fj.-?j  x«Äo[xa,  Callim.  fr.  293. 

2)  Dem  im  Folgenden  über  die  Legende  als  das  eigenUiche  Gebiet 
der  hellenistischen  erzählenden  Dichtung  Bemerkten  sei  vorangeschickt,  dass 
hiemuf  zuerst,  mit  Berufung  auf  Weicker,  sehr  einsichtig  hingewiesen  hat 
C.  Oilthey  de  Callim.  Cyd.  \u  H7. 


—    25    — 

»Mythen«  zuerst  klar  ausgeschieden  zu  haben').  Weloker  weist 
mit  Rech!  darauf  hin,  dass  diose  »Loiionden«  durchaus  keinen 
eigentlich  mythischen  Gehall  haben,  eine  wie  immer  gewen- 
dete Deutung,  dergleichen  der  wirkliche  Mythus  durchaus 
verlangt,  ihrer  ganzen  Anlage  nach  weder  fordern,  noch  auch 
nur  zulassen,  einen  »Aufschluss  über  das  Ursprüngliche,  den 
reinen  Sinn  der  Dichtungen  und  Symbole«^/  durchaus  nicht  zu 
bieten  haben.  In  ihrem  heimlich  verborgenen  Leben  waren  sie 
auch  den  weiter  und  weiter  gezogenen  Kreisen  der  heroischen 
Sage  fern  geblieben.  Wahrend  nun  diese,  aus  dem  eigentlichen 
Mythus  herausgesponnen  und  stets  vielfach  mit  ihm  verschlungen, 
bei  aller  Vermenschlichung  doch  einen  Rest  ihres  dämonischen 
ürwesens  bewahrte,  dem  die  neue  Zeil  nichl  weniger  fremd 
gegenüberstand  als  der  ganzen  Sinnesweise,  die  diese  alte 
Volkssage  erfüllte :  so  genügte ,  um  diese  vereinzelten  Ort- 
legenden dichterisch  zu  beleben,  ein  voraussetzungsloses,  rein 
menschliches  Kunstvermögen.  Denn  die  gottesdienstlichen  oder 
auf  alten  Brauch  zurückweisenden  Anlässe,  mit  denen  man  sie 
verknüpfte,  haben  zu  allermeist  mit  ihrem  inneren,  rein  poeti- 
schen Wesen  und  Sinne  wenig  gemein;  wenn  diese  auch, 
ebenso  wie  gewisse  Merkwürdigkeiten  der  umgebenden  Nalur, 
für  die  naive  Auffassung  des  Volkes  eine  nichl  geringe  Bürg- 
schaft für  die  W^ahrheit  der  mit  ihnen  verbundenen  Sagen 
darbieten  mochten  3),  so  sind  sie  doch  in  Wirklichkeit  nicht  viel 
mehr,  als  die  Vorwände,  unter  denen  man  eine  auch  rein  für 
sich  belrachtet  anmuthige  oder  sinnreiche  Geschichte  erzählen 
mochte,  eine  Art  Merkzeichen,  bei  denen  man  sich  solcher  Sagen 
erinnern  wollte,  an  denen  man  sie  fast  willkürlich  festhieh, 
wie  sich  wohl  an  hervorragenden  Zweigen  das  frei  flatternde 
Elfengespinnst  des  fliegenden  Herbstes  fängt. 

Dass  nun  in  diesen  »Legenden«  der  letzte  ergiebige  Stoff 
populärer  Färbung  den  Dichtern  der  hellenistischen  Zeit  dar- 
geboten war,  ist,    nach  unserer  ganzen  bisherigen  Betrachtung, 


1)  S.  namentlich  Welckers  Griechische  Götterlehre  I  93  fT. 

2)  Welckers  Briefe  an  W.  v.  Humboldt,  p.  84. 

3}  Bei  Gelegenheit  der  Legende  von  der  Versteinerung  der  hartherzigen 
Anaxarete  sagt  Ovid  met.  XIV  759  sehr  charakteristisch:  neve  ea  ficta 
putes,  dominae  sub  imagine  Signum  Servat.adhuc  Salamis,  Veneris  quod 
nomine  templum  Prospicientis  habet. 


—    26    — 

wohl  ersichtlich.  Einen  glücklichen  Tacl  bewährten  aber  die 
Gegner  veralteter  epischer  Dichtungsweise  darin,  dass  sie  wirk- 
lich der  Behandlung  solcher  volksthümlichen  Legenden  sich  zu- 
wandten. Man  darf  nicht  leugnen ,  dass  sie  freilich  zunächst 
theils  eine  schwächliche  Vorliebe  für  das  Minutiöse  solcher  leicht 
abzurundenden  Sagen,  theils  ein,  an  sich  unpoetisches,  antiqua- 
risches Behagen  an  ihrem  culturhistorischen  Werthe  gerade 
jenen  »seltsamen  und  noch  unabgenutzten  Geschichten«^)  geneigt 
machte,  an  denen  das  acht  alexandrinische  Vergntlgen  am  Sel- 
tenen ,  GuriosQD ,  nur  wenigen  Auserlesenen  Bekannten  Und 
Zugänglichen  sich  nach  Herzenslust  befriedigen  konnte.  In  den 
Bekenntnissen  des  Kallimachus,  des  Wortführers  jener  Schule, 
spricht  sich  allerdings  nicht  viel  mehr  aus  als  die  ekle  Ab- 
neigung des  gelehrten  Poeten  gegen  die  breite  Landstrasse,  den 
allgemeinen  Stadtbrunnen  der  üblichen  Dichtung'].  Und  so  ist 
es  denn  kein  Zweifel,  dass  in  den  Sammlungen  poetisirter  Le- 
genden, wie  sie  jene  Dichter  anlegten,  eine  grosse  Anzahl  dich- 
terisch todter,  nur  antiquarisch  interessanter  Ortssagen,  in  müh- 
samer Form  vorgetragen,  einen  breiten  Raum  einnahmen,  viel- 
leicht gar  die  Mehrzahl  bildeten.  Es  soll  hier  nicht  die  Rede 
sein  von  den  Fehlem  und  Tugenden  solcher  rein  gelehrten 
Dichtungen,  deren  leblose  Art  wir,  bei  der  trümmerhaften 
(Jeberlieferung,  wesentlich  nur  aus  ihrer  Wirkungslosigkeit  auf 
die  Dichtung  und  bildende  Kunst  der  Zeitgenossen  und  der 
römischen  Epigonen  ermessen  müssen  ^j.  Unter  so  vielen 
Schlacken  haben  uns  aber  diese  emsigen  Dichter  doch  auch 
manche  Stücke  von  achtem  Goldgehalte  hinterlassen;  und  zu 
diesen  gehören  vor  allen  anderen  eben  jene  romantischen  Dich- 
tungen, in  denen  sie,  nach  Anleitung  volksthümlicher  Legenden, 
die  wechselnden  Schicksale  jugendlicher  Liebespaare  poetisch 
darstellten.     Hiermit  haben  sie  den  bedeutendsten   Einfluss  auf 


1)  S^vat  xal  dhrptittoi  loTop(a(  (vgl.  Mor.  Schmidt,  Didymi  fragm., 
p.  356  f.)>  wie  sie  Dach  Arlemidor,  Onirocr.  IV  68  sich  in  den  Elegien  des 
Parthehius  und  ähnlichen  Gedichten  fanden. 

2)  Epigr.  XXX  Sehn.,  fr.  893. 

3)  Auch  von  dem  Euphorien,  dem  Hauptverlreter  dieser  Art  der 
hellenistischen  Dichtung,  scheinen  die  von  Cicero  verspotteten  scantores 
Eupfaorionts«  mehr  in  der  technischen  Behandlung  der  metrischen  Form 
als  in  den  Stoffen  ihrer  Dichtungen  gelernt  und  nachgeahmt  zu  haben. 


—     27    — 

die  gesammte  Einpfindiingsweise  ihrer  eigenen  und  der  folgen- 
den Zeiten,  ja  eine  Wirkung  geübl,  die  sich  bis  zu  den  so  viel 
späteren  Romandiehtungen  der  Griechen  fruchtbar  anregend  be- 
währte. 

Freilich  waren  sie  nicht  die  Ersten,  welche  auf  den  dich- 
terischen Gehalt  solcher  Liebeslegenden  aufmei*ksam  wurden; 
sie  konnten  sich  an  manche  Vorgänger  anlehnen ,  tlber  deren 
verwandte  Thätigkeit  ein  kurzer  Ueberblick  nicht  unbelehrend 
sein  wird. 


5. 

Wenn  in  den  kräftigen  Zeiten  hellenischer  Gullur  die 
epische  und  tragische  Kunst  sich  der  Darstellung  erotische^ 
Stoffe  jedenfalls  insofern  enthielt,  dass  sie  solche  nie  anders 
denn  als  ein  dienendes  und  untergeordnetes  Motiv  mit  anderen 
Motiven  einer  Handlung  verflocht,  und  auch  beim  gelegentlichen 
Berühren  dieser  Saiten  der  Empfindung  sich  mit  einem  flüchtigen, 
fast  scheu  vorüberstreifenden  Anklingen  begnügte  :  so  hatte  das 
schwerlich,  wie  man  doch  vielfach  glaubt,  darin  seinen  Grund, 
dass  die  leidenschaftlichen  und  phantasievollen  Menschen  jener 
Zeiten  Von  der  gewaltsamsten  der  menschlichen  Leidenschaffen 
oberflächlicher  erregt  worden  wären ,  als  die  matteren  Seelen 
späterer  Geschlechter.  Ihre  verständige  Nüchternheit  in  Werbung 
und  Eheschliessung  beweist  nichts  für  eine  solche  Meinung,  son- 
dern zeigt  eben  nur  so  viel ,  dass  sie  das  Recht  der  Leiden- 
schaft über  das  Leben  enger  begrenzten ;  und  dass  sie  der 
Kraft  und  Tiefe  ihrer  Liebesempfindung  den  stärksten  und 
heissesten  Ausbruch  zu  gewähren  sich  keineswegs  scheueten, 
zeigt  ja  vornehmlich  die  äolische  Lyrik  klar  genug. 

Nur  von  der  Erhabenheit  der  Tragödie  und  den  grossen 
Gestalten  des  heroischen  Epos  hielt  man  die  Darstellung  solcher 
leidensefaafilichen  Erregungen  fern.  Für  das  Epos  eignete  sich 
gerade  diese  Leidenschaft  am  Wenigsten,  die  zwar  im  ver- 
borgenen Inneren  gewaltig  toben  mag,  aber  der  anschauenden 
Phantasie  keine  jener  plastischen  Bilder  stark  erregter  Helden- 
kraft darbietet,  wie  sie  das  Epos  an  seinen  Hörern  vorüber- 
führen will.  Und  wenn  auch  das  Drama,  im  Gegensatz  zum 
Epos,   es  gerade  mit  solchen   innerlichen   Kämpfen  zu   thun 


—     28    — 

hat ,  so  mUsste  doch  wiederum  die  Liebesleidenschafl  der  Er- 
hahenheil  seiner  Absicht  am  Wenigsten  zu  entsprechen  scheinen. 
Stets  empfanden  die  Griechen  eine  stürmisch  übermächtige  Ge- 
walt der  Liebe  wie  ein  demüthigendes  UnheiJ,  ein  «Pathos«  zwar, 
aber  nicht  ein  heroisch  actives,  sondern  ein  rein  passives*), 
das  den  sicheren  Willen  verwirrte,  dem  Verstände  das  lenkende 
Steuer  aus  der  Hand  schJug,  und  den  Menschen,  wenn  es  ihn 
in  einen  Abgrund  leidenschaftlicher  Verwirrung  hinabriss,  nicht 
im  Untergange  erhob,  wie  die  heroischen  Frevelthalen  der 
tragischen  Helden,  sondern  ihn  trübselig  niederdrückte  und 
vernichtete.  Sicherlich  also  waren  tragisch  endende  Liebes- 
sagen nicht  die  geeigneten  Gegenstände,  um,  am  Feste  des 
Gottes  der  höchsten  Begeisterung,  eine  ungeheuere  Menge  feier- 
lich erregter  Menschen  zu  der  gemeinsamen  Empfindung  des 
Erhabenen  im  tragischen  Schicksale  gewaltigen  Menschenwillens 
emporzutragen. 

Wendete  also  das  Epos  und  die  ältere  Tragödie  sich  von 
derartigen  Sagen  absichtlich  ab,  so  braucht  es  doch  nicht  zu 
verwundern,  wenn  in  der  Tiefe  der  Volksüberlieferung  die 
menschlichsten  Empfindungen  bei  den  wechselnden  Schicksalen 
jugendlicher  Liebe  sich  in  zahlreichen  Sagen  aussprachen.  In 
der  That  nun  war  der  Schatz  volksthümlicher  Ueberlieferung 
der  griechischen  Stämme  an  erotischen  Legenden  ausserordent- 
lich reich,  viel  reicher,  als  man  nach  der  weit  verbreiteten 
Vorstellung  von  der  Abneigung  der  Griechen  gegen  alle  »Sen- 
timentalität« glauben  sollte.  Wir  wissen  nicht,  wann  das 
griechische  Volk  begann,  in  volksthümlichen  Romanzen  solche 
Liebesabenteuer  auch  im  Gesänge  zu  feiern,  wie  es  z,  B.  in 
dem  von  Aristoxenus^^  erwähnten  Volksliede  auf  den  Selbst- 
mord der  von  Iphiklus  verschmähten  Harpalyke  geschah.  In 
die  Kunstdichtung  wurde  diese  Gattung  populärer  Sagen 
schon  in  der  ersten  Hälfte  des  sechsten  Jahrhunderts  eingeführt 
durch  Stesichorus.  Vielleicht  im  Anschluss  an  jenes  Volks- 
lied von  der  Harpalyke  besang  er  die  Klage  und  das  traurige 
Ende  der  von  Euathlos  verschmähten  Kalyke  (fragm.  43  Bergk.). 


1)  Leidenschaftliche   Liebe   heisst   daher  vöoo;,  vöor^fxa;   vorzüglich  bei 
Euripides:  z.  B.  Uippol.  477.  730.  Ißk  ff.  fr.  340,  4.  404. 

2)  Bei  Athenäus  XIV  cap.  44. 


—    29    — 

In  einem  »Rh-adina«  benannten  Gedichte  erzählte  er  (fr.  44) 
von  dem  blutigen  Geschick  dieser  samisehen  Jungfrau,  die,  dem 
Tyrannen  von  Korinth  verraiihlt,  von  der  Neigung  zu  ihrem 
längst  geliebten  Vetter  nicht  lassen  wollte.  Ohne  Zweifel  folgte 
er  hierin  einer  populären  Sage,  dergleichen  sich  viele  Hhnlicher 
Art  gerade  mit  der  Erinnerung  an  die  Willktirherrschaft  so 
mancher  griechischer  Gewaltherrscher  verkntlpften.  Aus  einem 
sicilischen  Volksmärchen  führte  er  eine  der  später  am  weitesten 
berühmten  Gestalten  der  volksthümlichen  Liebespoesie  in  die 
Litteratur  ein,  den  Daphnis,  von  dem  er  erzählte,  wie  ihn, 
den  schönen  Hirten,  den  Sohn  des  Hermes,  eine  Nymphe  liebt, 
dann  aber,  als  er  die  geschworene  Treue  in  den  Armen  der 
Königstochter  gebrochen  hat,  blendet  und  einem  elenden  Tode 
überlässt^).  —  In  welcher  Gestalt  der  Dichter  diese  ganz  neuen 
Stoffe  in  die  erzählende  Lyrik  eingeführt  habe,  erfahren  wir 
leider  nicht.  Immerhin  dürfen  wir  auf  einen  weicheren,  mehr 
auf  dem  Gefühlsinhalt  als  auf  den  äusseren  Vorgängen  ver- 
weilenden Gang  und  Ton  der  Erzählung  aus  dem  Versinaasse 
schliessen,  welches  wenigstens  in  der  Rhadina  nicht  das  von 
Stesichorus  in  seinen  lyrisch-epischen  Gedichten  heroischen  In- 
haltes angewendete  rein  dactylische  oder  aus  getrennten  Dac- 
tylen  und  Trochäen  zusammengesetzte  episynthetische  (dactylo- 
epitritische]  ist,  sondern  ein  logaödisches,  welches  sich  den 
Maassen  der  s.  g.  »subjectiven«  Lyrik  der  Aeolier  nähert^). 

Während  also  schon  in  so  früher  Zeit  «die  erotischen  Er- 
zählungen als  der  erste  Keim  und  Anfang  der  Romandichtung 
hervortreten « 3)  y  so  lassen  doch  die  uns  erhaltenen  Ueberreste 
lyrischer  Poesie  der  nächstfolgenden  Zeilen  keinerlei  weitere 
Versuche     einer    erzählenden    Liebesdichtung    erkennen.      Erst 


1)  Dass  diese,  von  Aelian  V.  H.  X  18  vorgetragene  Version  der  Sage 
vom  Daphnis,  die  bei  dem  ebendorl  cilirlen  Stesichorus  vorgefundene  sei, 
ist  eine  so  einfache  Annahme  Welckers,  dass  sehr  starke  Gründe  er- 
forderlich wären,  um  etwas  anderes  glaublich  zu  machen.  Auch  in  der 
SoDderung  der  übrigen  Wendungen  der  Sage  scheint  mir  Welckers  feine 
Analyse  (kl.  Sehr.  I  489 — 202)  durchaus  das  Richtige  zu  treffen;  gewiss 
mit  Unrecht  hat  später  C.  F.  Hermann  (De  Daphnide  Theocrileo,  Gölt.  1858} 
das  so  sorgsam  Gesonderte  wieder  conlaminirt. 

2}   VgL  Westphal,  Griech.  Metrik  II  290.  744.  780. 

3}  K.  0.  Müller,  Griech.  Litt.-Gesch.  1366.  Vgl.  Mure,  crit  bist. 
of  tbe  lang,  and  litt,  of  anc.  Greece  III  246. 


-     30    — 

gegen  Ende  des  fünften  Jahrhunderts  bezeichnet  die  mit  er- 
staunlicher Wucht  und  Schnelligkeit  zur  höchsten  Höhe  eropor- 
geführte  Tragödie  der  -Attiker  ihren  Niedergang  vom  er- 
habensten Tiefsinn  zum  psychologisch  Interessanten  auch  dadurch, 
dass  sie,  in  einzelnen  Beispielen,  volksthümliche  Legenden  von 
leidenschaftlich  gewaltsamer  Liebe  und  ihrem  schmerzlichen 
Ende  zum  Gegenstand  dramatischer  Bearbeitung  wählte. 

Aeschylus  hatte  mit  vollem  Bewusstsein,  wie  man  glauben 
darf,  erotische  Stoffe  verschmäht.  Wusste  er  auch  von  einzel- 
nen erotischen  Motiven  einen  wahrhaft  tragischen  Gebrauch  zu 
ipachen,  und  z.  B.  durch  die  ruchlose  BuhlschaA  der  KJytäm- 
nestra  die  schwüle  Atmosphäre,  die  den  ganzen  »Agamemnon <& 
erfüllt,  noch  beängstigender  zu  machen,  so  diente  doch  dieses 
ganz  im  Hintergrund  gehaltene  Motiv  nur  einem  tieferen  tragi- 
schen Zwecke,  ähnlich  dem  verwandten  Verhältniss  in  Shake- 
speares Hamlet.  Mit  Becht  darf  er,  in  den  d Fröschen«  des 
Aristophanes,  dem  Euripides  entgegenhalten:  nie  habe  er  auf 
der  Bühne  ein  verliebtes  Weib  dargestellt'). 

Sophokles  verwandte  die  Liebesleidenschaft  als  ein  mit- 
wirkendes Motiv  in  vielen  Stücken :  z.  B.  die  Liebe  der  Medea 
zum  Jason  in  den  »Kolchierinnen«;  die  der  Hippodamia  zum 
Pelops  im  »Oenomaus«;  wohi  auch  das  heimliche  Liebesbünd- 
niss  des  Achill  und  der  Deidamia  in  den  »Skyrierinnen«.  In 
allen  derartigen  Beispielen  war  aber  die  Liebe  für  die  eigent- 
liche That  der  Helden  nicht  viel  mehr  als  eine  ermöglichende 
Unterstützung  oder  ein  Antrieb  neben  anderen  und  wichtigeren; 
einen  breiteren  Baum  mochte  sie  höchstens  im  »Oenomaus«  ein- 
nehmen. Wie  wenig  tfitt  in  dem  einzigen  uns  genau  bekann- 
ten Beispiel,  in  der  »Antigene u  die  leidenschaftliche  Liebe  des 
Haemon  aus  der  Beihe  der  vielen  leisen  Nebenbezüge  hervor, 
durch  welche  der  Dichter,  wie  durch  zartere  Biegungen  und 
Schwellungen  die  einfach  grossartigen .  fast  starren  Umrisse 
seiner  Heldin  für  ein  tiefer  empfindendes  Verständniss  beleben 
wollte. 

Ein  einziges  seiner  Dramen  hatte  die  zerstörende  Gewalt 
einer  frevelhaften  Liebesbegier  zum   wesentlichen  und  einzigen 


1}   Aeschylus  bei  Arist.  Ran.   1044  :  o6x  o\h'  o'jhtii  f^vTiV  ip&zvi   rcditot' 


—     31     — 

Inhalt,  die  »Phaedra«.  Es  scheint,  dass  dieses  das  erste  Beispiel 
einer  Liebestragödie  war.  Sie  entnahm  ihren  Stoß'  einer  troezeni- 
sehen  Ortslegende ^) ,  und  scheint  die  Heldin,  ihrer  unwidersteh- 
lichen Leidenschaft 2)  zu  ihrem  Stiefsohne  Hippolytus  hingegeben, 
nicht  als  zaghaft  verschämt,  sondern  als  eine  heftig  fordernde 
Liebende  dargestellt  zu  haben  3].  Ohne  Zweifel  war  es  ein  be- 
denkliches Wagniss,  den  Hörer,  statt  ihn  in  den  heroischen 
Flug  einer  auf  das  Grösste  gerichteten  gewaltigen  Willenskraft 
mitzuziehen,  vielmehr  im  peinlichen  Mitgefühl  in  den  Jammer 
einer,  alle  weibliche  Schaam  und  Scheu,  allen  nüchtern  ge- 
mässigten Willen  überwältigenden,  unseligen  Leidenschaft  mit- 
hinabzudrücken. Aber  es  begreift  sich  leicht,  dass  eine 
meisterhafte  Darstellung  des  allen  Menschen  verständlichsten 
Pathos,  zum  ersten  Male  in  der  vollen  Gewalt  seiner  dämoni- 
schen Wirkung  auf  der  Bühne  körperlich  dargestellt,  auf  die 
Empfindung  der  Zuschauenden  einen  tief  erregenden  Eindruck 
machen  musste.  Man  darf  annehmen^  dass  dieses  erste  Beispiel 
einer  Liebestragödie  eine  starke  Anregung  für  die  zahlreichen 
späteren  Bearbeitungen  erotischer  Yolkssagen  geworden  ist; 
eben  diese  Fabel  behandelte  Euripides  zwei  Mal,  und  in 
späterer  Zeit  war  gerade  die  Sage  von  Phaedra  und  Hippolytus 
»selbst  Barbaren,  die  nur  irgend  die  griechische  Sprache  er- 
teml  hatten«,  vor  allen  bekannt^]. 

Gleichwohl    hat    Sophokles    den    einmal    gewagten    Versuch 
nicht   erneuert.     Desto   eifriger  wandte   sich  Euripides   der- 

1)  S.  Welcker,  kl.  Sehr.  II  472  ff. 

2)  Von  der  Unwiderslehlichkeit  dieser  Leidenschaft,  als  einer  de-/|XaTo; 
vöoo;,  redet  fr.  64  4.  607  Dind. 

3)  Dieses  nach  der  sehr  wahrscheinlichen  Annahme  Welckers,  Gr. 
Trag.  395  ff.,  für  die  freilich  ein  zwingender  Beweis    nicht  vorhanden   ist. 

4)  Pausaoias  I  t2,  4.  Warum  crwöhnl  ührigens  Pausanias  hier  genide 
der  »Barbaren«?  Es  wäre  vielleicht  zu  überlegen,  ob  nicht,  mit  so  man- 
cheo  griechischen  Ueberlieferungen  nach  Osten  wandernd,  diese  (auch  in 
Griechenland  in  so  vielen  parallelen  Erzählungen  imitirte)  Sage  von  der 
Liebe  der  Phaedra  dort  im  Osten  den  Anlass  zu  den  mannichfachen  Er- 
zMblungen  von  der  Liebe  der  Stiefmutter  zum  Stiefsohne,  der  Verklagung 
des  Tugendhaften  tieim  Vater  u.  s.  w.  gegeben  haben  möchte.  Vgl.  z.  B. 
die  Geschichte  von  Sijawusch  und  Sendabeh  in  Firdusis  Königsbuche 
(Görras  Heldenb.  v.  Iran  II  4.  5),  die  sehr  bekannte  Rahmenerzählung 
der  Sieben  weisen  Meisler  (über  deren  buddhistische  Quelle  s.  Benfey,  Or. 
u.  Occ.  III  4  77,  Gödeke,  Ibid.  III  394)  u.  a. 


—    32    — 

<artif^en  erotischen  Stoffen  zu.  Ersichtlich  hängt  diese  Vorliebe 
zusammen  mit  seiner  Neigung,  die  heroische  Tragödie  in  die 
Enge  eines  bürgerlichen  Trauerspieles  herunterzuziehen,  und 
seiner,  namentlich  im  Gegensatz  zu  Aeschylus  so  bemerkbaren 
Bevorzugung  passiver  Helden.  Dazu  mussten  ihn  ganz  von 
selber  gerade  die  erotischen  Volkslegenden  besonders  an- 
ziehen, da  in  ihnen  alle  wesentlichen  Motive  der  Handlung  in 
die  innersten  und  allgemein  menschlichen  Empfindungen  der 
Handelnden  versetzt,  und  von  den  Bedingungen  einer  alt- 
hellenischen Cultur  und  Empfindungsweise  wenig  bestimmt 
waren ,  von  denen  der  Dichter  selbst  sich  innerlich  losgesagt 
hatte.  So  konnte  denn  in  der  Entwickelung  solcher  Fabeln  der 
Dichter  sein  grosses  Talent  zur  Dialektik  der  Leidenschaft  am 
freiesten  gewahren  lassen;  denn  hier  fiel  jener  befremdliche 
Gegensatz  zwischen  dem  alterthUmlich  grossen  Wollen  und  Thun 
der  Helden  heroischer  Mythen  und  der  ganz  modernen,  sophistisch 
eindringlichen  Seelenmalerei  des  Dichters  fort ,  der  in  seiner 
dramatischen  Behandlung  tragischer  Fabeln  der  eigentlichen 
Heldensage  so  disharmonisch  wirkt. 

So  halten  denn  auch  erst  mit  ihm  die  erotischen  Volks- 
sagen ihren  eigentlichen  Einzug  in  die  Bühne  der  dionysischen 
Festspiele.  Vor  Allem  zeigen  die  von  ihm  zuerst  dichterisch 
dargestelllen,  hier  nur  kurz  zu  berührenden  erotischen  Fabeln, 
in  der  Mannichfaltigkeit  ihres  Charakters,  von  wie  vielen  Seiten 
der  Dichter  die  Eine  Leidenschaft  darzustellen  suchte^). 

Die  Werbung  des  leidenschaftlich  Liebenden  stellte  Euri- 
pides  in  der  Gestalt  des  gewaltlhäligen  Polydektes  im  »Diktys« 
dar;  die  zwischen  heisser  Liebe  und  dem  kameradschaftlichen 
Gefühl  kriegerischer  WafTengemeinschafl  ganz  eigenthUmlich  ge- 
ll Im  Uebrigen  seien  nur  einige,  häufig  wiederholte  Hauptgedanken  des 
Dichters  über  das  Wesen  der  Liebe  (in  welchen  er  übrigens  durchaus  der 
populären  Ansicht  Ausdruck  giebt)  hervorgehoben.  Allmacht  des  Eros: 
Hippol.  535 — 534,  fr.  274.  Seine  Gewalt  über  die  ganze  Natur:  Hippol. 
1268—4482,  fr.  484.  890  (SophocI.  fr.  856.  —  Vgl.  Aeschyl.  fr.  48).  Dop- 
pelter Eros,  ein  unböndig  leidenschaftlicher  und  ein  maassvoller;  jener  wird 
ebenso,  als  verderbenbringend,  fern  gewünschl,  wie  dieser  ersehnt  wird : 
Iph.  Aul.  544  fr.,  Hipp.  258  ff..  Med-  627—642,  fr.  4  32.  4  40.  342.  674.  889 
(vgl.  Zopyrus  Stob.  flor.  63,  8;  Plautus,  Cure.  4  78).  In  dieser  doppelten 
Eigenschaft  heisst  Eros  sü.ss  und  .schmerzlich  zugleich:  Hipp.  347  f.,  fr.  26. 
867   (vgl.   fr.   trag.   ine.   4  54   p.  678  Nauckj. 


—    33     — 

theilte  Neigung  des  jugendliehen  Helden  zu  der  rüstigen  Ata- 
lanteim  »Meleager«;  und  wie  er  in  diesen  allen  Heroen- 
sagen die  Liebe  stark  in  den  Vordergrund  gerückt  hatte,  so 
wurde  namentlich  das  alte  Märchen  von  Perseus  und  An- 
drem eda  unter  seinen  Händen  zu  einem  der  glänzendsten 
Beispiele  ritterlicher  Liebe.  Er  zuerst  machte  in  seiner  »An- 
dromeda«  die  That  des  Perseus  zu  einem  »Kampfspiel  des  Eros«, 
den  Perseus  zu  dem  galanten  Ritter,  als  welcher  er  dann  in 
der  Vorstellung  auch  der  bildenden  Künstler  fortlebte^).  Die 
erotischen  Lieder,  Monologe  und  Gespräche  des  hoch  berühmten 
Dramas  blieben  bis  in  späte  Zeit  bekannt  und  beliebt,  vor 
allem  der  Anruf  des  Perseus  an  den  Liebesgott  2) .  Wieweit  im 
»Oenomaus«  und  in  den  »Sky Herinnen«  die  Liebe  des  Pelops 
zur  Hippodamia  und  des  Achill  zur  Deidamia  auf  den  Gang  und 
die  Färbung  der  Handlung  einen  Einfluss  hatte,  lehren  uns 
die  Bruchstücke  nicht.  Schwerlich  w^erden  wir  sie  uns  ganz 
zurücktretend  denken  wollen,  wenn  wir  bedenken,  dass  der 
Dichter  'in  der  »Antigene«  sogar  diese  erhabene  Jungfrau  mit 
dem  Haemon  in  eine  heimliche  Liebesintrigue  verflocht'*). 

Eine  ganz  andere,  dunklere  Färbung  hatten  einige  Tragödien, 
in  denen  die  durch  Tod  oder  Untreue  in  ihrem  Besitze  gestörte 
Liebe  des  Weibes  zum  ehelichen  Gatten  den  Inhalt  der  Dich- 
tung bildete.  In  dem ,  seinem  Inhalte  nach,  von  Welcker  so 
geistvoll  reconstruirten  »Protesilaus«  steigerte  sich  die  Liebe  zu 
dem  todten  Gemahl  in  dem  »hochsinnigen  Muthe«*)  der  Lao- 
damia  zu  einem  wahren  Pathos  der  Todessehnsucht,  die  sie 
in    den    Hades    dem    Geliebten    nachzog"»).      Die    nicht    minder 


1)  Ueber  bildliche  Darstellungen  der  Befreiung  der  Andromeda  unter 
Einfluss  des  Euripidos  s.  Welcker,  Gr.  Trag.  658  f.  Anm.  24.  Vgl.  Ilel- 
big,  Unters,  üb.  d.  campan.  Wandmalerei  p.  140  IT. 

2)  C'j  S'  ob  Oe&v  TtSpavve  xdvJ)f*üjrtov,  "Epw;  xtX.  fragm.  4  32  Dind. 

3)  Die  Angaben  über  die  Eui  ipidcischc  » Anligone«  im  Argument  der 
Sophokleischen  lassen  in  der  That  etwas  sehr  Plattes  erwarten;  es  geht 
aber  nicht  an,  mit  Welcker  durch  Combinirung  jener  Angaben  mit  dem 
Berichte  des  Hygin  fab.  72  einen  etwas  weniger  trivialen  Verlauf  herzu- 
stellen.  S.  Heydemann,  Ueber  eine  nacheuripeidische  Antigene  (Berlin  4  868). 

4)  Xfjjxa  Eü^sv^;.  fr.  658. 

5)  Man  nimmt  an,  dass  Euripides  die  Sage  in  der  Weise  ausgebildet 
habe,  wie  sie  Hygin  fab.  4  03.  4  04  erzählt.  Nach  einer  anderen ,  sehr  po- 
etischen Version  »Laodamia  opiavit  ul  unibram  mariti  videret.    Qua  re  con- 

Rohde,  Der  griechische  Roman.  3 


—     34     — 

starkmUthige  Medea  treibt  der  eifersüchtige  Schi^erz  bis  zur 
entsetzliehen  Raehethat.  Sie  bildet  einen  starken  Gegensalz  zu 
einer  dritten  Gattung  von  Liebest ragödien/  in  denen  die  psycho- 
logische Kunst  des  Dichters  ihre  volle  Virtuosität  in  der  Schilderung 
der  verzehrenden  und  auflösenden  Gewalt  einer  frevelhaften 
erotischen  Leidenschaft  auf  ein  weibliches  GemUth  entfaltete. 
Charakteristisch  ist  es,  dass  die  griechischen  Yolkssagen  denen 
Euripides  in  seinen  » Ehebruchstragödien «  (wie  man  sie  nennen 
könnte  folgte,  zur  Trägerin  der  verderblichen  Leidenschaft  stets 
die  Frau  machten;  es  scheint,  als  ob  griechisches  Gefühl  sich 
einen  Mann  von  einer  einzigen,  unmännlich  weichen  Begierde 
bis  zur  leidenschaftlichen  Missachtung  aller  menschlichen  Ord- 
nungen und  Gesetze  nicht  fortgerissen  denken  konnte  oder 
mochte.  Euripides  liebt  es  sogar,  dem  wilden  Verlangen  des 
Weibes  recht  stark  die  kalte  Abwehr  des  Mannes  entgegen  zu 
stellen.  So  sieht  in  der  »St heneböa«  der  unwiderstehlichen, 
im  träumerischen  Erinnerungsspiele  täglich  neu  genährten  Sehn- 
sucht der  tirynthischen  Königin  nach  dem  »korinthischen  Gast- 
freunde«'  die  bis  zu  grausamer  Härte  gesteigerte  Tugend  des 
Belle rophontes  gegenüber;  ähnlich  \ielleicht  im  »Peleus« 
der  Held  der  Astydamia*-^).  Im  »Phönix«  leidet  der  von  seines 
Vaters  Kebsweib  vergeblich  versuchte  und  ungerecht  verklagte 
Phönix.  Die  so  nahe  verwandte  Fabel  von  der  Phaedra  und 
dem  llippolytus  zog  den  Dichter  so  lebhaft  an,  dass  er  den 
Charakter  der  Heldin  in  zwei  verschiedenen  Auffassungen  zu 
gestalten  sich  bemühte.  War  ihm  die  ältere  Darstellung,  in 
welcher  Phaedra,  der  Sophokleischen  ähnlich,  von  ihrer  Eni- 
pfmdung  bis  zum  rücksichtslosesten  Verlangen  fortgerissen  wurde, 
weniger  gelungen,  so  hat  er  uns  in  dem  erhaltenen  »Hipjwlytus« 
ein  wirkliches  Meisterstück  der  ihm  ganz  eigenthümlichen  Kunst 
scharfer  und  subtiler  Zeicimung  krankhafter  Leidenschaft  hinter- 
lassen. Wir  haben  hier  nicht  bei  der  ohnehin  Jedermann 
bekannten,  unvergleichlichen  Kunst  zu  verweilen,  die  sich 
namentlich    in    der  schauerlichen    Weichheit    der   widerstandlos 


cessa.  non  deserens  umbrain,  in  amplexibus  eius  perii  l«:  Mythogr. 
Vat.  1  158,  II  24  5.  Diese  Version  erinnert  noch  stärker  als  die  andere  an 
die  wunderbare  nordi.<4rhe  Sage  von  Helgi  dem  Hundingstüdter  und  Sigrun. 

1)  T«i  Kopiv^wjj  ^i'^^i ,  in  dem  berühmten  fr.   667. 

2}  S.  Weicker,  Gr.  Trag.  p.  809. 


—     35     — 

alle  Lebenskraft  «lufJösenden  sehnsüchtigen  Empfindung  der 
Phaedra  bewährt;  hier  sei,  als  für  unsre  Betrachtung  wichtig, 
nur  hervorgehoben,  wie  treu  der  Dichter  sich  dem  Geiste  der 
volkstbümlichen  Legende  angeschlossen  hat.  Das  ganze  Drama 
\vird  von  dem  Widerstreit  der  Aphrodite  und  Artemis  bewegt; 
Hippolytus,  der  treue  Verehrer  der  jungfräulich  keuschen  Jagd- 
güttin  füllt  als  ein  Opfer  der  vernachlässigten  und  beleidigten 
Liebesgöttin  ^) .  Hier  redet  die  ächte  Empfindung  des  griechischen 
Volkssinnes  zu  uns;  zum  ersten  Male  sehen  wir  jenen  Wettkampf 
einer  spröden  Männlichkeit  und  des  übermächtigen  Verlangens 
künstlerisch  ausgebildet,  der  in  so  vielen  erotischen  Volkssagen 
der  Griechen  wiederkehrt,  und  den  Dichtern  erotischer  Fabeln 
in  hellenistischer  Zeit  stets  das  beliebteste  Motiv  zu  einer  leb- 
hafteren Spannung  ihrer  Erzählungen  geblieben  ist.  —  Schliess- 
lich sei  noch  der  »Aeolus«  erwähnt,  in  welchem  das  geheime 
Liebesbündniss  der  K a  n  a  k  e  und  ihres  Bruders  M a  k  a  r e  u  s  auf 
der  kritischen  Höhe  seiner  verhängnissvollen  Folgen  dargestellt 
wurde.  Der  Gegenstand  konnte  kaum  anders  als  widerlich 
wirken;  und  doch  fand  gerade  dieses  bedenklichste  Product 
einer  sonderbaren  Verwechselung  des  Peinlichen  eines  pathologi- 
schen Experiments  mit  dem  tragisch  Erschütternden  bei  den 
späteren  Tragikern  Beifall  und  Nachahmung. 

6. 

Die  spätere  Tragödie  muss  dem  Euripides  auch  in  seiner 
Vorliebe  für  die  Darstellung  verhängnissN oller  Liebesleidenschaft 
gefolgt  sein.  Nur  wenn  wir  ihre  wenigstens  äusserlich  sehr 
rege  Thätigkeit  ganz  vorzüglich  in  dieser  Richtung  beschäftigt 
denken,  ist  das  bekannte  Wort  des  Ovid  als  eine  nicht  gar  zu 
grelle  Uebertreibung  verständlich  : 

Omne  genus  scripti  gravitate  tragoedia  vincil; 

haec  quoque  materiam  semper  amoris  habet. 
(Trist,  n  381,  82.)      In    der    an    diese    Verse    geknüpften  Auf- 
zählung  erotischer   TragödienstofTe   treten   uns   freilich  zunächst 
Euripideische   Figuren    entgegen;    auf  spätere    Dichter    weisen 
aber,  neben  Ganymedes  und  Hylas,  die  Schoeneische  Atal ante. 


I)  Vgl.  gleich  den  Prolog,  dimn  V.  442  ff.   u.  s.  \s. 

3 


—     36     — 

deren  romantische  Liebe  zum  Hippomenes  Pacuvius,  nach  griechi- 
schem Vorgange,  ^um  Gegenstand  einer  Tragödie  machte  *) ,  und 
die  megarische  Scylla,  deren  Verrath  an  Vater  und  Vaterstadt 
diese  Tragödiendichter  vermuthlich  zuerst  statt  aus  dem  alter- 
thUmlichen  Motive  einer  Verlockung  durch  goldnen  Schmuck, 
wie  es  Aeschylus  kennt  ^j,  aus  jener  verbrecherischen  Liebe  zum 
Landesfeinde  hervorgehen  liess,  die  dann  den  Spateren  durch- 
aus als  sein  eigentliches  Motiv  gelten  musste.  Eine  noch  weit 
grasslichere  Verirrung  des  Gefühls  bot  sich  diesen  Dichtern  in 
der  kyprischen  Sage  von  der  Liebe  der  Myrrha  zu  ihrem  Vater 
Kinyras  dar,  die  sie  mit  einer  gewissen  Bevorzugung  zum  Gegen- 
stand einer  raffinirten  Seelenmalerei  gemacht  zu  haben  scheinen'^] . 
Wahrscheinlich  genug  ist  es,  dass  auch  die  Liebe  der  Byblis 
zu  ihrem  Bruder  Kaunus  schon  in  einer  Tragödie  dieser  Zeit 
vorgeführt  wurde^),  vielleicht  auch  das  verbrecherische  Ver- 
haltniss  des  Klymenus  zu  seiner  Tochter  Harpalyke^j.  Andere 
versuchten  sich  aufs  Neue  in  den  schon  von  Euripides  bear- 
beiteten Liebeslegenden :  so  fmden  sich  unter  den  bei  Suidas 
aufgezahlten  Tragödientiteln  des  alexandrinischen  Tragikers  L  y  k  o- 
phron,  neben  vielen  andern,  die  auf  eine  ganz  besondere  Vor- 
liebe für  neue  Gegenstande  hinweisen,  auch  ein  »Aeolus<s 
eine  »Andromeda«,  ein  »Hippolytus«^').  Die  schon  von  Stesichorus 
benutzte  schöne  Sage  vom  Daphnis  behandelte  der  Alexandriner 


1)  S.   Wcicker,  Trag.   4217—4223. 

2)  Cboeph.  613  ff.  Andere  Sagenbeispiele  von  der  Bestechung  der 
Weiber  durch  gohlenen  Schmuck  s.  bei  Weicker,  Ep.  Cycl.  U  374. 

3)  Welcker,  Trag.  1226  f.  Im  Anschluss  an  diese  Sage  schrieb  Pto- 
lemüus  Philopator  eine  Tragödie  »Adonis«  (Welcker  1269.  70.  Meineke 
com.  I  315). 

4)  S.  unten. 

5j  Warum  gerade  diese  Sage  unter  den  von  Hygin  skizzirlen  »schwer- 
lich« zu  den  aus  der  Tragödie  entlehnten  gehören  soll  (Welcker  p.  1227), 
sehe  ich  nicht  ein.  In  der  Gestalt ,  wie  Hygin  sie  fab.  206  (und  überein- 
stimmend 238.  239.  246.  253.  255)  crztihlt,  trögt  sie  durchaus  das  Gepräge 
der  bei  diesen  späteren  Tragikern  beliebten  Fabeln  voll  grässlicher  Natur- 
widrigkeit. Die  erzählende  Dichtung  der  Alexandriner  machte  (ähnlich 
wie  in  der  Sage  von  der  Byblis)  aus  der  Ermordung  der  Harpalyke  eine 
Verwandlung:  so  Euphorien  bei  Parthenius  13  (vgl.  Schol.  V.  11.2  291), 
dem  Nonnus  Dion.  XII  71 — 75  folgt. 

6)  Sollte  es  etwa  diese  erneute  Bearbeitung  der  Sage  von  Phaedra  und 
Hippolyins   sein,   auf  welche  der  Gedanke,    die  Phaedra  ihre  Anträge  dem 


—     37     — 

Sositheus,  freilich  in  einem  Salyrdrama,  wie  es  heissl^l.  — 
Und  so  möchte  noch  gar  manche  der  s{5äterhin  hei  erzählenden 
Dichtem  hervorlrelenden  Liebeslegenden  zuerst  von  diesen, 
durch  Euripides  ailgeregten  Tragödiendichtern  aus  dem  Dunkel 
volksthtimlicher  Uebcrlieferung  hervorgezogen  worden  sein. 
Eine  übergrosse  Fülle  solcher  Liebestragödien  lassen  doch  jeden- 
falls die  Wortfe  vermuthen.  mit  denen  Ovid  (a.  a.  0.  Vs.  407  f.) 
seine  Aufzählung  abbricht : 

Tempore  deficiar,  tragicos  si  persequar  ignes^), 
vixque  meus  capiat  nomina  nuda  liber. 
Von  der  grossen  Beliebtheit  aber  dieser  erotischen  Trag- 
ödien mag  der  Umstand  zeugen,  dass  bei  der  allmUhlichen  Auf- 
lösung der  tragischen  Darstellung  in  das  blosse  Gebärdenspiel 
des  Pantomimus  gerade  die  Liebesfabeln,  obwohl  sie  bei 
ihrem  mehr  nach  Innen  gewandten  Charakter  doch  sicherlich 
der  pantomimischen  Körpersprache  keinen  besonders  günstigen 
Gegenstand  darboten,  dennoch  bis  in  die  spätere  Kaiserzeit  sich 
auf  der  Bühne  erhielten,  wlllic  perpetuo  ficti  saltantur  amantesa 
sagt  von  der  pantomimischen  Bühne  seiner  Zeit  Ovid  (remed. 
amor.  755).  Lucian  zählt  in  der  Schrift  über  den  pantomimischen 
Tanz  (Cap.  37 — 60)  unter  den  zahlreichen  mythologischen  Gegen- 
ständen desselben  nicht  wenige  solcher,  vornehmlich  durch  die 
Tragödie  bekannt  gewordener  Liebesabenteuer  auf:  z.  B.  Akamas 
und   Phyllis^);    Hippolytus;  Scylla  und  Minos;  Bellerophon  und 


JüDgling  brieflich  machen  zu  lassen,  zurückginge?  Ein  solches  schrift- 
liches Liebesgeständniss,  von  dem  uns  die  drei  Tragödien  des  Sophokles 
und  Euripides  nichts  sagen,  setzt  Ovid  in  der  vierten  Heroide  (die  Wetcker, 
Trag.  402  gar  zu  entschieden  an  Sophokles  sich  nnlehnen  lässt)  voraus; 
dass  irgend  ein  bedeutender  Dichter  der  Soge  diese  Wendung  gegeben  habe, 
machen  auch  einige  Sarkophagreliefs  wahrscb(*inlich,  auf  welchen  ebenfalls 
Hippolytus  mit  einem  Briefe  der  Phaedra  dargestellt  ist.  (Vgl.  0.  J'ihn, 
Arch.  Beitr.  p.  84  0  flf.)  Ein  Bri^f  der  Phaedra  an  Hippolytus  auch  bei  A^in- 
centins,  Antbol.  lat.  279  Rs. 

1)  Welcker,  Trag.  1256. 

2j  Solche  »tragici  ignes«  sind  auch  wohl  bei  Modestinus,  Anthol.  lat. 
N.  278.  I  p.  4  83  R.  gemeint,  wo  als  Opfer  des  Eros  aufgezählt  werden: 
Phaedra,  Scylla,  Medea,  Procne,  Dido,  Canace,  Myrrha,  Eundne,  Aroihusa, 
Bybiis.  Berühmt  ist  die  Aufzählung  der  durch  unglückliche  Liebe  Gc- 
tOdteten  bei  Virgil,  Aen.  VI  442  ff.,  welche  Ausonius  im  Cupido  cruci  af- 
fizus  nachahmt. 

3)  Dass  hiermit  nichts  Anderes  gemeint  sei,  als  die  sonst  von  Phyllls, 


—    38    — 

Stheneböa;  Andromeda ;  Aeneas  und  Dido;  Achill  auf  Scyrus; 
Apoll  und  Daphne;  Pasiphae;  Ariadne;  Myrrha.  Dass,  wenn  auch 
nicht  alle  *) ,  doch  die  meisten  dieser  Themen  nach  Anleitung 
der  Tragödie  dargestellt  wurden,  würde  man  voraussetzen 
dürfen,  auch  ohne  die  ausdrückliche  Bemerkung  Lucians  (Cap.  61), 
dass  der  Pantomime  «vor  Allem  das  von  der  Tragödie  Vor- 
gebrachte« im  Gedctchtniss  haben  müsse.  War  doch  der  Panto- 
mimus  ganz  besonders  auch  in  den  Mythen  der  Erbe  der 
Tragödie  2)  . 

7. 

Wahrend  also  in  der  hier  flüchtig  angedeuteten  Thatigkeit 
tragischer  Dichter  so  manche,  und  vorzüglich  die  dunkeln  und 
traurigen  unter  den  volksthümlichen  Liebeslegenden  schon  eine 
künstlerische  Ausbildung  gewannen,  wurde  dem  mehr  cultur- 
historischen  und  stofflichen  Interesse,  welches  diealexandrinischen 
Dichter  solchen  Sagen  entgegenbrachten,  von  einer  andern  Seite 
förderlich  vorgearbeitet  durch  die  Aufmerksamkeit,  welche  seit 
einer  gewissen  Zeit  manche  Historiker  auf  die  Sammlung 
erotischer  Legenden  verwendeten.  Zwar  die  sogenannten  Logo- 
graphen scheinen,  trotz  ihres  Interesses  an  verborgenen  Stamm- 


und  Demophoon  (dem  Bruder  der  Akamas)  erzählte  rührende  Geschichte, 
vermuthete  Welcker;  Gr.  Trag.  p.  4227  ganz  richtig.  Er  halte  sich  zur 
Bestätigung  seiner  Meinung  auf  Tzetzes  zu  Lycophron  v.  495  p.  652  berufen 
können,  der  geradezu  dasselbe,  was  sonst  von  Demophoon  und  Phyllis  be- 
richtet wird,  von  Akamas  und  Phyllis  erzählt,  und  zwar  in  einer  Form, 
die  mit  der  gewohnlichen,  wohl  auf  einen  hellenistischen  Dichter  (Calli- 
machus?  s.  fr.  505]  zurückgehenden,  aetiologischen  Wendung  der  Sage 
(Hygin  fab.  59.  Serv.  ad  Virg.  ed.  5,  40.  myth.  Vatic.  1  459,  II  «44.  Vgl. 
Ovid.  art.  III  37  f.  459  f.  II  353;  anthol.  Palat.  V  265;  CoUuthus  v.  208  ff.) 
noch  nichts  gemein  hat,  und  um  so  eher  auf  eine  Tragödie  zurückweisen 
könfite.  —  Ganz  ebenso  wie  in  dieser  Sage  werden  Akamas  und  Demophoon 
auch  in  dem  Liebeshandel  mit  der  Laodicc  mit  einander  vertauscht  (Akamas: 
Hegesippus  bei  Parthen.  4  6,  Euphorion  bei  Tzetz.  ad  Lycoph.  494;  Demo- 
phoon: Plutarch.  Thes.  34). 

1)  Z.  B.  schwerlich  Daphne.  —  Ueber  Pasiphae  im  Besonderen  s.  0.  Jahn, 
Archaol.  Beilr.  p.  238  ff. 

2)  S.  Libanius  Orep  täv  6f>yT^3TÄv,  III  394,  4  2  ff.  R.  —  Ueber  die  panto- 
mimisch darjieslelllcn  Liebesgeschichlcn  vgl.  die  Zeugnisse  bei  P.  E.  Müller, 
De  {lenio  aevi  Theodoslani  II  4  05  ff.;  eine  Ircffende  Bemerkung  bei  Jac. 
Burckhardl,  Die  Zeit  Con^tantins  d.  Gr.  468. 


—  So- 
und Ortssagen  solche  Liebessagen  nicht  sonderlich  beachtet  zu 
haben  ^) ,  so  wenig  wie  Herodot  bei  all  seiner  Aufmerksamkeit 
auf  seltsame  und  charaktervolle  Volksüberlieferungen  2) .  Einen 
merkwürdigen  Uebergang  zu  den  eigentlich  gelehrten  Histo- 
rikern bildet  auch  hier  Ktesias,  der  in  der  wirkungsvoll  und 
mit  voller  Absicht  auf  eine  ergreifende  und  rührende  Wirkung 
vorgetragenen  romantischen  Liebesgeschichte  des  Meders  Stryan- 
gaus  und  der  Sakerkönigin  Zarinäa  ^)  vielleicht  unter  den  Griechen 
das  früheste  Beispiel  einer  ausführlich  und  mit  bewusster  Kunst 
prosaisch-poietischer  Darstellung*)  erzählten  Liebesnovelle  hin- 
stellte. Ohne  Zweifel  lenkte  dann  die  glänzende  Behandlung 
einzelner  erotischer  Volkssagen  auf  der  athenischen  Bühne  die 
lebhafte  Aufmerksamkeit  der  Sammler  auf  den  hier  noch  zu 
hebenden  Schatz  volksthümlicher  Poesie,  um  so  mehr,  da  die 
in  eigner  Productionskraft  allmählich  ermattende  Zeit  in  einem 
halbästhetischen,  halb  culturhistorischen  Interesse  sich  der  Be- 
trachtung altcrthümlicher  und  kindlicher  Zustände  und  Vor- 
stellungen in  der  Verborgenheit  des  eignen  und  fremden  Volks- 
lebens überall  mit  Eifer  zuwandte.  Bei  solchen  Nachforschungen 
entdeckte  man  nun  auch  jene  heimlich  blühenden  Blumen  einer  bis 
dahin  von  der  künstlich  ausbildenden  Dichtung  wenig  berührten 
Fülle  schöner  Liebeslegenden,  von  deren  Reich thum  uns  nun 
plötzlich  von  allen  Seiten  zuströmende  Beiträge  überzeugen. 

Selbst  die  grossen  Gesammthistoriker  des  vierten  und  dritten 
Jahrhunderts  fanden,  bei  der  episodenreichen  Behaglichkeit  ihrer 
Werke,  zuweilen  Raum,  um  solche  Sagen  mitzutheilen :  wie  denn 
Timäus,  nach  der  auch  von  Stesichorus  bearbeiteten  sicilischen 
Volkssage,  das  Märchen  vom  schönen  Daphnis  erzählte^),  er  zuerst 


1)  Die  bei  Suidas  ermähnten  Xuoet;  IpuiTixwv  ra&ibv  des  Kadinus  sind 
zwar  sicherlich  nicht  zu  climiniren  (\Nie  Müller,  fr.  hist.  II  3.  4  versucht), 
aber  als  eine  spüle  Fälschung  zu  hetrachton.     S.  unten. 

2)  Denn  Geschichten,  wie  z.  B.  die  von  Mykerinus  und  seiner  Tochter 
(II  494],  von  Intaphernes  und  seiner  Gattin  (III  418  f.)  u.  dg),  wird  man  ja 
wohl  nicht  hierher  ziehen  wollen.  —  Paris  und  Oenone :  Hellanicus  dv 
Tpmixoi;  bei  Parthenius  34. 

3)  Ctesias  fr.  25 — 28  Müller  (hinler  dem  Didolschen  Herodot)  und 
NicolauSy  Damasc.  exe.  de  virl.  Müller,  F.  H.  G.  III  364  f. 

4)  TroiTjTtiv  a6TÖv  xiXoItj  ti;  eIxötcu;,  sagt  Vom  Klesias  Demcirius  de  eloc. 
p.  309,  5  Sp. 

5)  Parlhen.  29. 


—     40     — 

auch  von  der  Liebe  der  Dido  zum  Aeneas  ^) .  Phylarch  scheint 
der  Erste  gewesen  zu  sein,  der  die  später  so  bertihmte  pelo- 
ponnesische  Sage  von  der  Daphne  aufzeichnete  ^] ;  einer  peioponne- 
sischen  Sage  entnahm  er  auch  die  wunderlichen  Liebesabenteuer 
des  Dimoetes^]. 

Ihre  eigentliche  Stelle  fanden  aber  solche  Liebeslegenden 
in  den  Sammlungen  von  Localgeschichten,  wie  sie  jene 
Zeit  so  zahlreich  hervortreten  sah.  Hier  fanden  im  engeren 
Rahmen  unter  den  Geschichten  von  den  bescheideneren  Thaten 
und  Leiden  einer  einzelnen  Stadtgemeinde  auch  jene  vom  heroisch 
Gewaltigen  der  althellcnischen  Mythen  mehr  zu  einer  {;;emüth- 
vollen  EmpGndsamkeit  sich  hinneigenden  Liebessagen  einen 
schicklichen  Platz,  in  denen  namentlich  die  hellenischen  Ansied- 
lungen  an  der  asiatischen  KUste,  die  weichere  Empfindungsweise 
einer  jüngeren  Zeit  sehr  charakteristisch  aussprechend,  die 
eigne  Vorzeit  sich  mit  einem  ganz  eigenen  romantischen  Schimmer 
umkleidet  hatten.  Reich  an  solchen  Liebessagen  waren  vor- 
nehmlich die  ionischen  Städte  Kleinasiens,  und  unter  ihnen 
wiederum  steht,  wie  in  allen  Aeusserungen  eines  blühenden 
Lebens,  Milet  voran.  Daher  finden  sich  besonders  in  den 
spärlichen  Ueberresten  der  zahlreichen  Schriften  über  milesische 
Alterthümer  und  Geschichte  dergleichen  Liebeslegenden  ver- 
zeichnet. So  erzählte  Arislokritus  in  einem  Buche  »Ueber  Milet« 
die  schon  oben  berührte,  an  die  bei  Milet  fliessende  Quelle 
Byblis  geknüpfte  Sage  von  der  Liebe  des  Kaunus  und  der  Byblis^) ; 
von  der  Liebe  der  milesischen  Königin  Kleoböa  zum  Antheus 
aus  Halikamass  berichtete,  in  dem  von  Milet  handelnden  Ab- 
schnitt seiner  Politien,  Aristoteles^).  Andre  Sagen  wissen  von 
einem  Kriege  Milets  mit  den  Naxiern  zu  berichten,  der  um  der 
verbrecherischen  Liebe  der  Milesierin  Neaera  zu  dem  Naxier 
Promedon  willen  entbrannt,  und  durch  die  unkluge  Liebe  des 
Diognet  aus  Erythrae  zur  Naxierin  Polykrile  zu  Gunsten  der 
Naxier   entschieden   worden    sei^).     Aus   alten   Localgeschichten 


1)  fr.  23  (Wcslcrmano,  llapaoo^o^p.  p.  245);  aus  Ti maus  Justin  iS,  3^6. 
2;  Bei  Parlhen.  45.     Vgl.   Hclbij^,  Rhein.  Mus.  XXI V  25*. 
3}  Bei  Parthen.  31. 

4)  Bei  Pariben.  W. 

5)  fr.  169  p.  501  Rose. 

ti)  Neaera  und  Proniedon :   TiieopUiasl  bei  Parthen.   48,  ol  Notjiojv  tj^- 


—     41     — 

schöpfte  wohl  Plularch*)  die  in  Milel  altberühmte  Legende  von 
der  Liebe  des  Phrygius  zur  Pleria.  —  Die  Nachbarslädle  blieben 
nicht  zurück.  Aus  ephesischen  Ortsgeschichlen  dürfen  wir 
ableiten  was  uns  eine  anmuthige  Sage  von  der  Liebe  des  Alexis 
und  der  Meliböa^j  ,  eine  andre  von  Rhodopis  und  Euthynikus^) 
berichtel.  Andre  Sagen  ftihren  uns  in  weitere  Fernen;  so  die 
an  die  Gründung  von  NicUa  in  Bithynien  geknüpfte  Legende 
von  der  Liebe  des  Sploeis  zur  Antiope,  die  Menekrates  in  einem 
Buche  »lieber  Nicola«  erzählte*).  Ein  Buch  über  »bilhynische 
Alierthümer«  gab  dem  Asklepiades  von  Myriea  Gelegenheit, 
von  dem  heimlichen  Liebesbunde  des  Lykastus  und  der  Eulimene 
auf  Kreta  zu  berichten^).  Auf  eine  ähnliche  antiquarisch- 
historische Sammlung  darf  man  unbedenklich  die  rhodische 
Sage  von  Kerkaphus  und  Kydippe  zurückführen®).  —  In  andern 
Grenzländern  der  hellenischen  Cultur  trieben  alte  Liebesfabeln 
des  lleimathlandes  neue  Blüthen;  so  erneuerte  sich  die  Sage 
von  Pelops  und  Hippodamia  in  der  Sage  von  der  odomantischen 
Fürstentochter  Pallene  und  ihrer  Liebe  zum  Klitus,  welche 
Theagenes  in  einer  Sammlung  macedonischer,  Hegesipp  in  einer 
Sammlung  Pallenischer  Sagen  mitgetheilt  hatte ').  In  ähnlicher 
Weise  wiederholte  sich  die  attische  Legende  von  Kephalus  und 
Prokris  in  einer  sybaritischen  Ortssage  ^). 

An   andern  Orten   begnügte   man   sich   nicht,    in    die   Ver- 
gangenheit der  eigenen  Stadt  erotische  Sagen  zu  verOechten ;  die 


Ypa^et«  bei  Plut.  de  virl.  mul.  17.    Polykritc  und  Diognet:  Aristoteles  fr.  5H, 
Andriscus  dv  ä  NaJiaxÄv  bei  Parthen.  9. 

1)  De  virt.  mul.  (vol.  II.  p.  2i4  Tauchn.).  Vgl.  Polyaen.  VIII  35. 
Aristaenetus  M5. 

2)  Servius  Aen.  I  720.     Vgl.  Gerhard,  Gr.  Mythol.  §  368,  2  c. 

3)  Ach.  Tal.  VIII  4  2. 

4)  Fragm.  hist.  gr.  II  345,  fr.  8. 

5)  Bei  Parthen.  35. 

6)  Bei  Plutarch,  Quaest.  Graec.  27.     Vgl.  Buttmann,  Mylhologus  II  436. 

7)  Parthen.  6.     Vgl.  Müller,  F.  H.  G.  IV  54  0. 

8)  Klitonymus  bei  Plutarch,  par.  min.  24,  2.  Das  ist  nun  freilich  ein 
höchst  verdächtiger  Gewährsmann;  aber  alle  Ci täte  dieser  Schrift  sind  doch 
keineswegs  erschwindelt,  z.  B.  nicht  das  Citat  aus  Parlhenius  c.  24,  4,  in 
welchem  eine  zweite  Parallele  zur  Geschichte  von  Kephalus  und  Prokris 
erzählt  wird,  die  sich  in  der  Thal  bei  Parlhenius  erol.  4  4  findet.  (Die- 
8ell>e  Geschichte  übrigens  bei  Sostratus  ap.  Stob.  flor.  64,  34.  Anonymus 
bei  Westermann,  irapiSoJoYp.  p.  223). 


—     42    — 

Phantasie,  einmal  in  dieser  Richtung  thätig,  umzog  auch  die 
Gestalten  der  alten  Heldensage  mit  dem  Dufte  einer  zarteren 
Empfindung.  Im  völligen  Gegensatz  zu  ait germanischer  Sage 
hatte  der  Mythus  der  Griechen  seine  herrlichsten  Helden  in 
männlich  stolzer  Selbstgenügsamkeit,  nur  durch  Kampfeslust  und 
Ruhmbegier  zu  grossen  Thaten  angetrieben  gezeigt.  Weiberliebe 
beschäftigt  kaum  in  mUssigen  Stunden  vorübergehend  ihre  Ge- 
danken.  In  der  nordischen  Sage  ertönt  in  jener  wunderbaren 
Dichtung  von  Brunhilds,  der  Walküre,  Liebe  zu  Siegfried  eine 
tiefer  und  voller  Ton  allerstärkster  Uerzensempfindung :  wie  kalt 
und  fest,  nur  vom  Heldenruhm  und  dem  Bewusstsein  seiner 
tragischen  Bestimmung  bewegt,  steht  dem  germanischen  Recken 
der  griechische  Siegfried,  Ach i Ileus,  gegenüber!  Wie  aber 
dieser  Achill  vielleicht  die  aiteste,  aus  dem  Dämonischen  in's 
Menschliche  herabgestiegene  Heldengestalt  der  griechischen  Sage 
ist,  so  hielt  die  Phantasie  des -^Volkes  gerade  ihn  am  längsten 
und  innigsten  fest;  unablässig  spann  sie  an  den  Abenteuern 
dieses  Idealbildes  eines  griechischen  Jünglings  weiter,  und  ihn 
zuerst  und  vor  Allen  belebte  sie  mit  den  mannigfaltigen  Em- 
pfindungen einer  ritterlichen  Erotik.  Es  scheint  als  ob  schon 
in  der  epischen  ))Aethiopisu,  beim  Anblick  der  Leiche  der 
schönen  Feindin  ein,  dem  Homer  noch  ganz  fremdes  Gefühl 
einer  romantischen  Sehnsucht  die  Seele  des  Jünglings  auf  einen 
Augenblick,  wie  ein  kurzer  Blitz,  durchzuckt  habe;  die  Tragiker 
verGochten  ihn  in  weitere  Liebesabenteuer;  von  den  alexandri- 
nischen  Dichtern  wird  unten  die  Rede  sein.  Aber  auch  die 
Historiker  versäumten  nicht,  ähnliche  Sagen,  mit  denen  das  Volk 
seinen  Helden  ausgeschmückt  hatte,  zu  verzeichnen.  So  erzählte 
von  der  Liebe  der  Peisidike  (einer  methymnäischen  Tarpeja) 
zum  Achill  der  Verfasser  einer  lesbischen  Gründungsgeschichte 
(bei  Parthenius  c.  11),  vermuthlich  Apollonius  von  Rhodus*). 
Mit  einer  andern  lesbischen  Liebeslegende  bringt  Aristokritus 
»lieber  Milel«^)  den  Achill  in  Verbindung.  In  ähnlicher  Weise 
dichtete,  den  Alexandrinern  vorarbeitend,  auch  an  andern  Ge- 
stahen  der  epischen  Sage  schon  die  Volkssage  weiter,  welcher 
die  antiquarische  Geschichtsforschung  nachging.     Dieser  späteren 


1)  S.  Müller,  F.  H.  G.  IV  3U. 
2    Parlhen.  26. 


—     43    — 

Volkssage  gehören  die  Liebeslegenden  von  Paris  und  Oenone*), 
Akamas  und  Laodice^;,  Dioraedes  und  Kallirrhöe^)  an. 

Während  so  in  den  neueren  Griechenländern  die  erolische 
Sage  ihre  reichsten  BlUihen  triebe  scheint  im  alten  Hellas  jene 
empfindsamere  Dichtung  einer  jüngeren  Zeit  erst  später  Wurzel 
geschlagen  zu  haben.  Denn  schwerlich  ist  es  doch  ein  reiner 
Zufall,  dass  erst  der  späte  Tansanias  un§  aus  dem  alten 
Griechenland  einige  ähnliche  Liebeslegenden  aufbewahrt  hat. 
Möglich  ist  es  freilich,  dass  auch  diese  Sagen  viel  älter  sind  als 
der  Erzähler.  Jedenfalls  muss  uns  der  eifrige  Perieget  als  ein 
Typus  jener  emsigen  Sagenforscher  dienen,  die  schon  seit  Jahr- 
hunderten das  griechische  Land  durchzogen  und  aus  dem  Munde 
des  Volkes,  der  Tempeldiener  und  der  Exegeten  und  Mystagogen 
die  wundersamen  Dichtungen  der  Volksphantasie  sich  berichten 
Hessen,  um  sie  getreulich  der  Nachwelt  und  der  künstleri- 
schen Ausbildung  gelehrter  Dichter  zu  überliefern.  So  hörte 
Pausanias  in  Athen  die  bedeutsame  Sage  von  Meles  und  Time- 
sagoras^],  in  Achaja  das  Märchen  von  der  Nymphe  Argyra  und 
dem  schönen  Hirtenknaben  Selemnius*),  im  arkadischen  Orchome- 
nus  eine  pathetische  Sage  von  der  frevelhaften  Liebe  des  Tyran- 
nen Aristomelidas^] ,  in  Kalydon  die  Legende  von  Koresus  und 
Kallirrhoö '} ,  die  eine  gewisse  Verwandtschaft  mit  der  oben 
berührten  kretischen  Sage  von  Lykastus  und  Eulimene  zeigt, 
und  wie  in  einer  freien  Variation  in  der  ebenfalls  von  PaUvsanias  ^) 


1)  Zuerst  bei  Hellanicus,  dann  bei  dem  Pseudokephalon.  Vgl.  0.  Jahn, 
Arch.  Beitr.  330  ff. 

2)  Parthen.  46  aus  Hegesipps  MiXT]ataxai.     Vgl.  oben  p.  38. 

3)  Juba  iv  AtßuxoT;  bei  Plutarcli.  par.  min.  23.  (Leber  Diom.  handelt 
Juba  auch  bei  Plinius  X  61). 

4)  Pausan.  I  3S,  i.  Diese  Sage  erzählt  in  rhetorischer  Ausschmückung 
auch  Aelian  fr.  69,  11.  p.  219  f.  Hercher.  Vgl.  übrigens  Weicker,  Alle 
Denkm.  IV  165.     Gr.  GOtterl.  III  196. 

I    5)   VII  23,  1 — 3.     (Vgl.  die  von  mir  edirlen  Excerpte  aus  Isigonus  c.  38. 
Acta  soc.  phil.  Lips.  I  p.  39]. 

6)  VIU  47.  6. 

7)  VU  21,  1—5. 

8)  VII  19,  .1 — 5.  (Uebrigens  wolle  man  bemerken,  dass  die,  in  Guarinis 
Pastor  fido  zur  Voraussetzung  der  ganzen  Fabel  gemachte  Sage  von  Aminto 
und  Lucrina  [s.  Atto  I,  sc.  2]  völlig  der  von  Paus,  erzählten  Sage  von  Ko- 
resus und  Kallirrhoiii  nachgebildet  ist.  So  ist  aber  jenes  ganze  Gedicht  ein 
Gewebe  antiker  Sagenmotive). 


—     44     — 

orzfihllen  aehilischcn  Sage  von  Melanippus  und  Komnctho  wieder- 
höh  wird.  Bemerkenswert K  ist,  wie  naiv  in  den  Worten,  mit 
denen  Pausanias  die  Erzählung  jener  grausigen,  vielleicht  sehr 
allen  Tempelsage,  abschliesst,  die  Richtung  der  in^s  Romantische 
färbenden  neueren  Volkssage  und  ihrer  Sammler  auf  das  Gefühl- 
volle sich  ausspricht.  Das  Liebespaar  opfert  sich  gemeinsam, 
zum  Wohl  des  Landes,  der  Artemis;  der  Erzähler  aber  meint: 
dieser  Tod  sei  für  die  Liebenden  kein  Unheil  und  Leid,  )>denn 
allein  dem  Menschen  wiegt  die  Erfüllung  seiner  Liebessehnsueht 
sogar  den  Verlust  des  Lebens  auf.«  Bei  solchen  Aeusserungen 
begreift  man  wohl ,  wie  eine  wuchernde  Volksphantasie  ge- 
legentlich auch  ganz  ehrbare  alle  Sagen ,  in  freier  Umbildung, 
allmählich  zu  förmlichen  Liebesromanen  ausspinnen  konnte :  wie 
das  an  einem  sehr  merkwürdigen  Beispiel  die  so  vielfach 
variirle,  schliesslich  bei  Servius  als  ein  heiterer  erotischer 
Roman  uns  entgegentretende  Legende  vom  schönen  Hymenäus 
zeigen  mag*). 

Früher  schon  als  die  erotischen  Sagen  des  eignen  Volkes 
hatten  griechische  Historiker  ähnliche  Dichtungen  fremder, 
namentlich  der  hierin  so  fruchtbaren  orientalischen  Völker 
beachtet.  Von  Ktesias  habe  ich  schon  geredet.  Die  phoenicische 
Sage  von  der  Myrrha  (welche  auch  Panyasis  schon  berichtet 
hatte)  erzHhhe  Klitarch^).  Ja  es  scheint,  dass  die  Kenntniss 
orientalischer  Liebesfabeln  hie  und  da  griechische  Stämme  zu 
einer  wetteifernden  Ausbildung  ähnlicher  Sagen  auf  heimischem 
Boden  angeregt  habe.  Hierfür  giebt  es  ein  sehr  merkwürdiges 
Beispiel,  welches,  um  seines  vielfältigen  Interesses  willen^  näher 
zu  betrachten  gestattet  sein  möge. 

Aristoteles  hatte  in  dem  von  Massilia  handelnden  Abschnitt 
seiner  Politien  Folgendes  erzählt  3).  Der  Phokäer  Euxenus,  mit 
seinen  Landsleuten  nach  Massilia  gekommen,  war  ein  Gastfreund 
eines  benachbarten  Barbarenkönigs  Nanus.  Einst  war  Euxenus 
bei  diesem  zu  Gaste,  als  die  Tochter  des  Gastgebers  durch  eigne 
Wahl  sich  einen  Gatten  aus  den  Gästen   bestimmen   sollte.     Sie 


1)  S.  Servius  zur  Aen.  IV  99.     Mytliogr.  Vat.  I  75,  11  §49. 
2j  S.  Müller,  Script,  bist.  Alex.  p.  77.  fr.  3a. 

V,  Fr.   503    p.   499    Rose.      Im  W^csontlichcn     übereinstimmend  Justin 
XI.llI  3,  8-H. 


—     45     — 

(ritt  nach  dem  Mahle  in  den  Männersaal  und  überreicht  die 
Trinksehale  zum  Zeichen  ihrer  Wahl  dem  Euxenus.  Aus  ihrer 
Ehe  leitet  sich  das,  nach  ihrem  Sohne  Protus,  benannte  Ge- 
schlecht des  Protiaden  in  Massilia  her.  —  Eine  anmuthige  Sage, 
die  allerdings  »die  Zuneigung  welche  sieh  die  Fremden  bei  den 
f^ndeskindern  zu  erwerben  wussten«^)  symbolisch  zu  schildern 
trefflich  geeignet  ist.  Aber  tiber  ihren  Ursprung  erweckt  eine 
andre  Sage  eigenthtimiiche  Gedanken,  welche  nach  dem  Berichte 
des  Chares  von  Mytilene,  eines  Hofbeamten  Alexanders  des 
Grossen^)  Athenäus  (XIII  c.  35.)  mittheilt.  Hystaspes  herrscht 
über  die  Meder,  sein  Bruder  Zariadres  über  die  Länder 
»oberhalb  der  kaspischen  Thore  und  bis  zum  Tanais. «  Ersieht 
im  Traume  die  Odatis,  die  schönste  aller  Jungfrauen  Asiens, 
des  Omartes,  Königs  der  Marather  (jenseits  des  Tanais)  Tochter, 
und  verliebt  sich  in  sie.  Auch  sie  hat  ihn  im  Traume  gesehen. 
Zariadres  hält  beim  Omartes  um  die  Tochter  an,  der  aber  schlägt 
sie  ihm  ab.  Eines  Tages  veranstaltet  Omartes  ein  Fest  und 
fordert  die  Odatis  auf,  aus  den  anwesenden  Gästen  durch  Ueber- 
reichung  einer  goldnen  Trinkschaale  sich  einen  Gatten  zu  er- 
wählen. Weinend  steht  sie  am  Mischkruge,  da  tritt  plötzlich 
Zariadres,  der  vom  Tanais  heimlich  aufgebrochen  ist  und  zu 
Wagen  die  Entfernung  von  800  Stadien  durcheilt  hat,  neben 
sie,  in  scythischer  Tracht.  Sie  erkennt  den  Traun)geliebten, 
giebt  ihm  die  Schaale,  und  er  entführt  sie  auf  seinem  Wagen. 
—  Wie  auffallend  diese  Erzählung  mit  der  inavSsaliotischen 
Sage  übereinstimmt,  bemerkte  schon  Athenäus.  Es  scheint  in  der 
That,  dass  in  der  griechischen  Version  nur  ein  etwas  abgeschwächter 
Nachhall  der  asiatischen  Sage  zu  erkennen  sei ,  von  welcher 
phokäische  Schiffer  leicht  genug  gehört  haben  konnten  auf  den 
Pontusfahrten,  an  .denen,  neben  den  Milesiern,  ja  auch  die  Pho- 
käer  einigen  Theil  nahmen.  Denn  dass  etwa  umgekehrt  die 
reicher  ausgebildete  asiatische  Sage  aus  der  dürftigeren  griechi- 
schen entstanden  sei,  ist  an  sich  wenig  wahrscheinlich,  und 
darum  völlig  unglaublich,  weil  eben  jene  Sage  in  asiatischer 
Dichtung  festgewurzelt  und  weit  ausgebreitet  ist.  Denn  was 
Chares  am  Schluss  seiner  Erzählung  —  von   der  er  versichert, 


1)  E.  Curtius,  Griech.  Gesch.   I  368. 

'If   Er  war  siaa-yY^Aeu;  dos  Königs.     S.   Plulorcli.  Alex.   40. 


—     46     - 

sie  sei  »in  den  Geschichtsbüchern«  (doch  wohl  der  Perser) 
aufgeschrieben*)  —  hinzu  setzt,  dass  jene  Sage  »bei  den  in 
Asien  wohnenden  Barbaren  wohlbekannt  und  hochbertthmt  sei, 
auch  malerisch  dargestellt  werde  in  Tempeln,  Königshallen 
und  PrivathHusern«,  das  wird  ungemein  glaublich  gemacht  durch 
ein  merkwürdiges  Zusanmientreffen.  Schon  Droysen  ^j  hat  die 
nahe  Verwandtschaft  dieser  Sage  von  Zariadres  mit  der  schönen 
ErzHhiung  von  Guschtasp's  Brautwerbung  erkannt,  wie  sie 
im  Königsbuch  des  Firdusi  überliefert  ist').  G.  lebt  uner- 
kannt in  Rüm.  Der  Kaiser  von  Ri*im  veranstaltet  ein  Fest,  an 
welchem  seine  Tochter  Katfiyiün  sich  einen  Gatten  wählen  soll. 
Sie  aber  hat  im  Traume  unter  vielen  Männern  Einen  gesehen, 
schön  vor  Allen,  den  sie  einzig  liebt.  Guschtasp  ist  auch  zum 
Fest  gegangen;  die  Prinzessin  erkennt  in  ihm  den  »Jüngling 
des  Traumesa  urid  reicht  ihm  den  Strauss,  zum  Zeichen  ihrer 
Wahl.  —  Offenbar  haben  wir  hier  zwei  Versionen  derselben 
persischen  Sage  vor  uns.  Vermöge  einer,  im  Leben  der  Sage 
nicht  seltenen  Verschiebung  ist  bei  Firdusi  Guschtasp  (Hystaspes) 
zum  Helden  der  Sage  geworden,  der  bei  Chares  ein  Bruder 
des  Zariadres  heisst;  im  Uebrigen  stimmt  der  Bericht  des  Fir- 
dusi mit  der  von  Chares  erz<1hlten  Sage  so  weit  durchaus  über- 
ein, als  mit  einem  einzeln  .stehenden  Abenteuer  ein  in  einen 
weitgesponnenen    Sagenkreis    eingefügtes    Ereigniss    überhaupt 


1)  »h  Tat?  tiTopCai;  'fi'^poimain  p.  575  B. 

2}  Gesch.  Alexanders  c1.  Gr.  p.  281  A.  3. 

3)  8.  Görres  Heldenbuch  von  Iran,  Cap.  XXXII.  (II  p.  250.  251). 
Dr.  Andreas  macht  mich  darauf  aufmerksam,  dass  die  Sage  von  Guschtasp 
und  Kaläydn  sich  auch  bei  dem  persischen  Historiker  Mirkhond  finde: 
s.  History  of  the  early  kings  of  Persia,  translaled  from  the  original  Persian 
of  Mirkhond  by  David  Shea  (Lond.  1832)  p.  267.  Doch  fehlt  in  jener  mehr 
rationalistischen  Darstellung  der,  ihre  Wahl  bestimmende,  wunderl>are  Traum 
der  katäyün.  Hat  sie  darin  sicherlich  einen  alten  Sagenzug  eingebüsst,  so 
mochte  ich  es  andererseits  für  das  Ursprünglichere  halten,  wenn  bei  Mirk- 
hond die  Jungfrau  ihre  Wahl  durch  Zuwerfen  einer  Orange  erklärt. 
(So  übrigens  auch  in  der,  angeblich  aus  Firdusi  geschöpften,  Darstellung  der 
Guschtaspsage  bei  Malcolm,  Gesch.  Persiens  I  45  d.  Ueb.).  Ueber  die 
aphrodisische  Bedeutung  des  Apfels  und  ähnlicher  Früchte  s.  nament- 
lich Dilthey  de  Callim.  Cyd.  p.  114  f.  (Von  den  Persern  Strabo  XV. 
p.  733  [ii  vuuL'fCo;]  7ra(i£{>yeTai  iizX  ton  ÄaXaaov  «:po?paYaiv  jxfjXov).  Durch  Bei- 
behnltnng  dieses  Zuges  wird  alH*r  die  persische  Sage  einem  auch  sonst  der 
Guschtaspsage  merkwürdig  verwandten   neugriechischen    Märchen  sehr 


—    47     — 

übereinstimmen  kann  \.  Bei  dieser  wohl  einzig  dastehenden 
Beglaubigung  einer  von  Firdusi  erzahlten  Sage  durch  einen 
griechischen  Bericht  aus  dem  vierten  .lahrhunderi  vor  Chr. 
mUssten  wahrlich  stärkere  Gründe  vorgebracht  werden,  um  ge- 
rade diese  Sage  als  eine  junge  verdächtig  zu  machen^  als 
diejenigen  sind,  die  für  eine  solche  Verdächtigung  Spiegel  Eriin. 


ähnlich,  in  welchem  ehenfalls  die  Tochter  des  Königs  —  nach  einer  auch 
heute  noch  in  Griechenland  vorkommenden  Sitte  [s.  Wachsmuth,  Das  alte 
i•^iechen^.  im  neuen,  p.  83]  —  den  unter  einer  grossen  Fraierschaar  Er- 
wählten durch  Zuwerfen  eines  Apfels  bezeichnet:  s.  v.  Hahn,  Griech. 
und  albanes.  Märchen  N.  70  (II  p.  56),  (vgl.  auch  ebendas.  N.  6  [I  p.  94], 
einen  Zug  in  Grimms  >rEisenhansa  [N.  136.  p.  530  ff.,  12.  Aufl.],  in  dem 
böhmischen  Märchen  »vom  wilden  Mann»  [Ztsch.  für  d.  Mythol.  II  446] 
und  ein  weitverbreitetes  Murchen,  in  welchem  der  dumme  Hans  nur  durch 
seinen  Wunsch  die  ihn  verspottende  Prinzessin  zur  Geburt  eines  Knaben 
gezwungen  hat,  dessen  unbekannter  Vater  nun  dadurch  ermittelt  wird,  dass 
9lle  Männer  des  I.andes  an  dem  Knaben  vorüberziehen  müssen  und  der 
Knabe  einen  goldenen  Apfel  seinem  Wunsch vater  giebl:  odenwalder 
Märchen  hei  Ploennies,  Ztsch.  für  deutsche  Mythol.  1  39  f.,  schleswigsches  Mär- 
chen bei  MüUenhofT,  Sagen  aus  Schleswig-Holstein,  p.  43f  N.  XIY,  etwas 
entstellt  in  einem  italienischen  Märchen:  Straparola  Piac.  notli  III  4,  in  Val. 
Schmidts  Auswahl,  p.  235  ff. 

1)  Es  fehlt  eben  darum  bei  Firdusi  die  Fahrt  des  Helden  zum  Orte 
der  Brautwahl,  denn  Guschtasp  ist  ja  .schon  am  Orte.  —  Uebrigeus  trägt 
die  ganze  Geschichte  des  Guschta.sp  vor  und  nach  der  Braulwahl  alle  Züge 
einer  ächten  alten  .Sagenüberlieferung.  Beiläufig  sei  erwähnt ,  dass  hier 
sich  das  älteste  Beispiel  für  einen  sehr  weil  verbreiteten  .Märchentypus 
findet,  in  welchem  der  Held  einen  Ditichen  erlegt,  ihm  die  Zunge  aus- 
schneidet, und  später,  gegenüber  dem  Yerrälher,  der  den  Lohn  des  Drachen- 
kampfes  für  sich  in  Anspruch  ninmil,  durch  die  ausgeschnittenen  Spolien 
sich  selbst  als  den  Thäter  legitimirt.  Für  dieses  .Märchen  hat  R.  Kohler 
in  Eberts  Jahrb.  für  engl,  und  roman.  Lit.  YIl  i33  zahlreiche  Beispiele  ge- 
sammelt, ohne  sich  des  Firdusi  zu  erinnern,  bei  dem  von  Guschtasp  ein 
ganz  analoges  Abenteuer  erzählt  wird  (Görres  p.  252—256.  Bei  Mirkhond 
p.  268  f.*  fehlt  das  Ausschneiden  der  Zungen).  Vgl.  ferner  noch  Straparola 
von  Yal.  S<:hmidt  p.  220  (dazu  Schmidt  p.  345),  eine  ungarische  Sage  bei 
[polyi,  ZtS(;h.  für  deutsche  Mythol.  II  165  f.,  Basile  Pentanieroiie  I  7  (1 
p.  402  Liebr.) ;  auch  einen  Zug  in  der  Sage  von  Peicus  und  Akastus  (Apol- 
lodor.  Hl  43,  3.  4),  die  deutsche  Sage  vom  Wolfdietrich  (Uhland,  Schriften 
zur  Gesch.  der  Dichtung  und  Sage  I  4  75.  Das  Ausschneiden  der  Zungen 
auch  im  Märchen  »der  gelernte  Jäger«,  Grimm,  N.  441  [p.  440  der  42.  Ausg.]) 
u.  s  w.  Man  bemerke  auch,  dass,  ganz  ähnlich  wie  bei  Firdusi,  die 
Gattenwahl  und  jener  Drachenkampf  verbunden  sind  iin  griechischen 
Märchen,  v.  Hahn  N.  70. 


—     48     — 

Allerlhiimsk.  I  p.  668  angeführt  hat  \ .  Vielmehr  ist  diese  Sage 
auch  dadurch  interessant,  weil  sie  an  einem  seltenen  Beispiel 
die  langlebige  Z^ihigkeit  orientalischer  Sagenhildungen  erkennen 
Ulsst.  Die  wesentlichen  Elemente  dieser  sehr  alten  Erzählung: 
das  erste  Erblicken  des  Geliebten  im  Traum,  und  die  feierliche 
öffentliche  Gatleftwahl  von  Seiten  des  Mädchens  wiederholen  sich 
oft  in  orientalischen  Geschichten,  meist  freiließ  in  indischen  2). 
Von  einer  Gattenwahl  berichtet  z.  B.  die  wohlbekannte  Sage  von 
\al  und  Damajanti^),  die   des  Mahabharata   erzählt;    femer   die 


1)  Abgesehen  von  seinem  allgemeinen  Misstrauen  gegen  die  persische 
Heldensage  von  Lohrasp,  Guschtasps  Vater  an  (p.  659  flf.)  stösst  Sp.  sich 
nn  dem  Kaiser  von  Rüm,  d.  i.  Griechenland,  der  als  ein  Christ  dargestellt 
wird,  dem  Zuge  der  gesammten  Abenteuer  des  Guschtasp  nach  Westen, 
statt  nach  Osten  und  Norden,  und  dem  rein  persönlichen,  mit  Irans  Ge- 
schicken nicht  weiter  verknüpften  Inhalt  der  Sage.  Die  beiden  letzten  üm- 
stflnde  mögen  ja  vielleicht  die  Einfügung  dieser  Saji^c  in  den  Zusammen- 
hang der  Schah-nameh  als  einen  erst  später  vollzogenen  verdächtig  machen; 
aber  sie  reichen  doch  sicherlich  nicht  hin,  die  ganze  Sage,  für  sich  betrachtet, 
und  im  Besonderen  ihren  durch  Chares  so  nachdrücklich  beglaubigten 
Mittelpunct,  als  jung  erscheinen  zu  lassen.  Denn  der  christliche,  byzan- 
tinische Kaiser,  der  ja  freilich  »unmöglich  nur  bis  in  die  Zeit  der  Achae- 
nienidcn,  geschweige  in  eine  frühere  Zeil«  zurückgehen  kann,  darf  doch 
kaum  im  Ernst  als  Beweis  für  die  Jugend  der  Sage  selbst  aufgeführt  wer- 
den, wenn  man  nicht  etwa  die  vielen  Tausende  von  Sagen  und  Märchen 
für  spät  und  jung  erklären  will,  in  denen  eine  naive,  »unhistorische •>  Zeit 
eine  uralle  Fabel  ^anz  unbefangen  in  Sitten,  Costüm,  Oertlichkeil  ihrer 
eigenen  örtlichen  und  zeillichen  Umgebung  eingekleidet  hat.  Was  man  aber 
erwarten  sollte,  wäre  doch  efhe  Erklärung  darüber,  wie  sich  denn  Spiegel 
das  Verhältniss  des  Chares  zu  dieser,  nach  seiner  Meinung  wohl  gar  erst 
in  christlicher  Zeit  entstandenen  Sage  denkt.  Will  er  auch  den  Bericht  des 
Chares  verdächtigen,  von  welchem  er  selbst  (p.  665)  zugiebt,  dass  er  im 
Wesentlichen  mit  der  Erzählung  des  Firdusi  identisch  sei?  Wenn  er  aber 
das  Zeugniss  des  Chares  gelten  lassen  muss,  so  kann  doch  die  Existenz 
«ler  Sage  schon  im  vierten  Jahrhundert  v.  Chr.  nicht  geleugnet  werden, 
und  es  verliert  das  von  dem  christlichen  Kaiser  hergenommene  Argument 
alle  Bedeutung. 

2;  Die  freie  Wahl  des  Gatten  scheint  in  Persien ,  in  historischer  Zeil 
w'eni<;stens,  ebenso  unerhört  gewesen  zu  sein,  als  sie  in  Indien  (»nach  der 
Sitte  der  Gandharven«)  gewöhnlich  war.  Darum  logt  auch  die  Sage  eben 
jene  Gattenwahl  nicht  nach  Persien,  sondern  zu  einem  frenidon  Stamme, 
bei  Chares  zu  dem  (unbekannten,  aber  durch  die  Sarmaten  schwerlich  zu 
ersetzenden)  »Marathernn,  d.  h.  zu  den  nordischen  nomadischen  Ira- 
niern,  hei  Firdusi  an  den  glänzenden  Hof  des  Kaisers  von  ROm. 

'A]   In  Bopps  L'ebfM'srlzung,  p.   12  IT. 


—     49    — 

ebendaselbst  erhaltene  Sage  von  Aniba^),  eine  budtUiislische 
Fabel 2),  eine  moderne  hindoslanisehe  Geschichte^),  u.  s.w.  Das 
poetische  Motiv  der  Traumliebe  findet  sich  noch  weit  häufiger 
verwendet^).     In   einer   schönen   Vereinigung    aber    lebten,    so 

1)  In  HoUzinanns  indischen  Sagen  I  p.   192  Vs.  16  ff. 

2)  S.  Benfey,  Pantschalantra  I  280.  Solch  eine  Gattenwahl  auch  in 
dem  Catrnnjaya  Mähälmyam  (Jainalegenden,  6.  Jahrh.  n.  Chr.):  s.  Weber, 
Ueber  das  ^atr.  M.,  p.  25. 

3)  Bei  Garcin  de  Tassy  bist,  de  |la  littörat.  hindoui  et  hindoust.  ;il 
p.  4  68.  Vgl.  eine  siamesische  Sage  bei  Bastian,  Völker  des  östlichen  Asiens  IV 
p.  354.  Einen  Gatten  wöhlt  sich  übrigens  aus  der  Schaar  der  Freier  auch 
Helena,  nach  manchen  Versionen  der  Sage,  s.  Welcker,  Ep.  Cycl.  II  305  f. 
Anro.  5,  der  sich  auch  der  Geschichte  vom  Zariadres  dabei  erinnert.  —  Aus 
nordischer  Dichtung  bringt  Grimm,  Deutsche  Rechtsalterth.,  p.  42i  A  1 
einige  Beispiele  von  Gatten^ahl  bei.  (Vgl.  auch  ein  »mähri$ch->\alachisches(c 
Märchen  bei  Wenzig,  Westslav.  Märchenschatz,  p.  i — 5), 

4)  Z.  B.  in  der  sehr  alten  Legende  von  der  Uschä   (vgl.  die  Cilate  von 
Brockhaus,  Sachs.  Ges.  1860.  p.  134,  zu  Somadeva  VI  31,  wo  die  Legende 
novellistisch  dargestellt   ist.     So  übrigens  auch   im   hindostanischen   Prem- 
sagär  bei   Garcin  de  Tassy  a.  0.   II  156 — 158.     Dramatisirl  in  »Madhurani- 
mdba«  Wilson,  Theater  der  Hindu  II  268  ff.),  in  dem  indischen  Roman  Da- 
Cakumära-Caritam  (Weber,  Ind.  Streifen  I  333),  in  dem  buddhistischen  Drama 
Ndg^nanda  (translated  by  Palmer  Boy,  London  1872),  p.  14;  persisch  1001 
Tag,   Cabinet  des  f^es  XV  p.  391.  437.  520  f.     Continuation  des  1001  nuits 
II  (Gab.   des  fäes  XXXIX)  p.  25.  70.     Dschamis  »Joseph  und  Suleika«  ist 
bekannt.     Vgl.  noch  das  persische  Tutinameh  von  Iken,  p.  133,  das  türkische 
Tatinameh    von    Rosen    II  p.  254.      (Vgl.   übrigens    auch  Wuks   Serbische 
BJttrcben,  N.  27  p.  166).     In  Nachahmung   solcher  orientalischen  Beispiele 
bat  dann  auch  der  ehrliche  Ziegler  seiner  »Asiatischen  Banise«  eine  solche 
gegenseitige  erste  Bekanntschaft  durch   ein  Traumgesicht  eingewoben.     Die 
Beliebtheit  eines  so  sonderbaren  Molives  erklört  sich  gerade  im  Orient  sehr 
einfach  aus  dem  eingeschlossenen  Leben  der  Frauen  und  der  dadurch  ver- 
anlassten  Verlegenheit   der   Romanschriftsteller  um  ein  Mittel,   ihre  Paare 
zusammenzuführen.     Aus  demselben  Grunde  lieben  sie  es,   den   Helden   in 
ein  Bild  des  nie  zuvor  gesehenen  Mädchejis  sich  verlieben  zu  lassen  (ausser 
dem  bei  uns  bekanntesten  Beispiel  der  Turandot  [Gab.  des  föes  XIV  p.  872. 
376],  vgl.  die  Geschichte  des  Seif-el-Muluk  in  Lanes  1001  nights  III  p.  308 
— 371  [dieselbe  Geschichte,  aber  mit  einem  witzig  gewendeten  Ausgang  im 
Gab.    des   f^es  XIV  p.  541— XV  30],  die  Sage  von  der  Schirin  in  Nisamis 
»Ghosru  und  Schirin«  [s.    Hammer,   Die  schönen  Redek.  Persiens  p.  109]; 
eine  arabische  Geschichte  in  der  Contin.  des  1001  nuits  III  p.  177).     Auch 
dieses  Motiv  stammt  vermuthlich  aus  Indien:  man  findet  es  z.  B.  vei*wen- 
det  in    einer  eingelegten   Erzöhlung    des  Da^akumära-caritam    's.    Weber, 
Ind.   Streifen  I  849)  u.  s.  w.;   am   frühesten  vielleicht    in  dem  Drama  Ma- 
lavikagnimitra  (Wilson,  Th.  d.  Hindu  II  221),  welches  (nach  W^eber,  Vorr. 

Roh  de,  Der  ^ecbische  Roman.  4 


—     50    — 

scheint  ^s,  beide  Motive  weiter  in  einem  Romane,  der  als 
eine  phantastische  Ausführung  der  von  Chares  und  Firdusi  über- 
lieferten Sage  zu  betrachten  ist.  Ein  vorauszusetzendes  älteres 
Original  scheint  verloren  oder  noch  nicht  herausgegeben  zu 
sein;  auf  sein  einstiges  Vorhandensein  glaube  ich  aber 
schliessen  zu  müssen  aus  drei  mir  bekannten  Variationen 
die  mir,  bei  ihrer  engen  Verwandtschaft,  auf  einen  gemein- 
samen Archetypus  hinzuweisen  scheinen ;  es  sind  das  zwei  hin- 
dostanische  Romane:  »die^Abenteuer  des  Kamrup«  und  »Qüissa- 
I-Khawir  Schah«  und  ein  georgischer  Roman  »Miriani«*).  Ihr 
wesentlicher  im  »Kamrupa  am  reinsten  erhaltener  Inhalt  ist 
dieser,  ileld  und  Heldin,  in  getrennten  Ländern  lebend,  sehen 
einander  im  Traume  und  lieben  sich  gegenseitig.  Der  Held 
erfährt  irgendwie  den  Aufenthalt  seiner  Geliebten ,  er  macht 
sich  dorthin  auf  und  kommt,  nach  |>'ielen  Abenteuern,  endlich 
an.  Rald  darauf  veranstaltet  der  Vater  der  Heldin  eine  öffent- 
liche Gatten  wähl;  von  der  Geliebten  beschieden,  ist  auch 
der  Held  anwesend,  und  ihn  wählt  die  Jungfrau,  bleibt  auch, 
trotz  des  Vaters  Zoni,  bei  ihrer  Wahl.  —  Man  wird  die  nahe 
Verwandtschaft  mit  der  Sage  des  Firdusi  nicht  verkennen,  einen 
besonders  nahen  Anschluss  an  die  von  Chares  überlieferte 
Form  aber  darin  bemerken,  dass  hier  wie  dort  der  Held,  seinem 
Traumgesicht  folgend,  aus  weiter  Ferne  zur  Gattenwahl  herbei 
kommt.  Ist  schon  aus  diesem  Grunde  eine  directe  Herkunft 
dieser  Romanversion  aus  Firdusi  nicht  glaublich,  so  wird  eine 
derartige  Möglichkeit  vollends  abgeschnitten  durch  die  Betrach- 
tung  eines   älteren    Sanskrilromanes,    der   VAsavadattA   des   Su- 


zu  seiner  Uebers.,  Berlin  1856]  wirklich  dem,  ins  2.-4.  Jahrb.  n.  Chr.  zu 
setzenden  Kalidasa  angehört.  —  Zuweilen  werden  beide  Motive,  Traum  und 
Bild,  verbunden:  so  z.  B.  in  dem  gleich  zu  erwähnenden  Roman  »Miriani«; 
im  türkischen  Tutinameh  II  3t 0  Rosen,  etc.). 

1)  Den  Kamrup  kenne  ich  nur  aus  einer  Inhaltsangabe  bei  Causin  de 
Perceval,  Journal  Asiatique  4  835  (Tome  XV},  p.  450  ff.  lieber  das  Miriani 
vgl.  Brosset  ebendas.  4  835  (Tome  XVI),  p.  489  ff.  559  ff.;  über  Quissa-I- 
Khawir  Schah:  Garcin  de  Tassy,  Hist.  de  la  litt^r.  bind.  II  p.  550—578. 
Die  unverkennbare  Verwandtschaft  der  drei  Romane,  die  durch  manche 
Variationen  des  Grundthemas  nicht  verdeckt  wird,  wird  jeder  Leser  von 
selbst  erkennen;  daher  ich  sie  näher  nachzuweisen  unterlasse.  Verwandt 
ist  übrigens  auch  die  in  der  vorhergehenden  Anmerkung  erwähnte  Ge- 
schichte von  Seif-el-Muluk. 


—     51     — 

bandhu^).  Dieser  Roman,  vermulhlich  schon  vor  dem  sechsten 
Jahrhundert  n.  Chr.  geschrieben,  beginnt  ebenfalls  mit  dem 
beiderseitigen  Traumgesicht,  und  schliesst  daran  die  Gatten- 
wahl und  die  weile  Fahrt  des  Helden.  Er  beweist  unwider- 
leglich, dass  schon  lange  vor  der  Zeit  des  Firdusi  in  Indien 
diese  Sage  lebendig  war,  und  also  nicht  erst  aus  seiner  Dich- 
tung dorthin  getragen  zu  werden  brauchte.  Und  w^er  darf, 
nach  dieser  wohl  schon  allzuweit  ausgesponnenen  Betrachtung, 
daran  zweifeln,  dass  w  ir  in  dieser  schönen  Sage  eine  sehr  alte 
romantische  Dichtung  besitzen,  die  im  Orient  weit  und  lange, 
ja  bis  auf  unsere  Tage,  verbreitet,  wie  in  einem  matteren  Ab- 
bild sich  in  jener  phokHisch-massaliotischen  Sage  wiederholt  hat  ? 

Die  Geschichtschreibung  jener  Zeit  begnügte  sich  übrigens 
nicht,  alte  Liebeslegenden  eigener  und  fremder  Stamme  zu 
sammeln  und  zierlich  vorzutragen ;  das  Wohlgefallen  an  solchen 
Sagen  übertrug  sich  bald  aus  der  mythischen  Vorzeit  in  die 
hellere  Geschichte  neuerer  Zeilen.  Mit  ^Vorliebe  knüpfte  man 
bedeutende  geschichtliche  Ereignisse  an  verhängnissvolle  Thaten 
jener  Liebesleidenschaft,  die  man,  bei  genauerer  Betrachtung, 
in   allen   Zeiten  so   bedenklich   thätig  und  einflussreich  fand  2). 

Ja  man  suchte  selbst  in  der  jüngsten  Vergangenheit  solche 
Ereignisse  mit  Vorliebe  auf;  namentlich  der  beredte  Phylarch 
scheint  sich  in  der  Ausmalung  derartiger  pathetischer  Liebes- 
novellen aus  der  eignen  oder  kurz  vergangenen  Zeit  gefallen  zu 
haben 3).  Auch  aus  den  »Historien«  des  Arisfodem  von  Nysa 
wird  ein  ähnliches  Ereigniss  berichtet  ^j.     Wie  sehr  aber  hier- 


1)  S.  den  Auszug  bei  Weber,  Ind.  Streifen  1  375  fT.  Der  Held  hat  die 
Väsavadattä  im  Traume  gesehen;  er  zieht  aus,  sie  zu  suchen.  Auch  [sie 
hat  ihn  im  Traume  gesehen;  bei  einer  vom  Vater  veranstalteten  Gatten- 
wahl weigert  sie  sich  daher,  einen  der  anwesenden  Prinzen  zu  wählen: 
sie  wartet  auf  den  Traumgeliebten.  Dies  erfahrt  der  Held  durch  einen  Pa- 
pagei, er  zieht  hin,  trifft  die  Geliebte,  sie  erkennen  sich  u.  s.  w.  Das 
Uebrige  gehört  nicht  hierher. 

2)  Beispiele  für  solche  Liebesabenteuer  von  historischer  Bedeutung 
bieten  z.  B.  die  aus  älteren  historischen  Quellen  geschöpften  5  dpcuxtxal 
^oj-f^aeu  des  Plutarch. 

3]  Vgl.  die  Geschichten  von  Phayllus  und  der  Frau  des  Aristo:  Phyl. 
bei  Parthen.  25;  von  Chilonis  und  Acrotatus:  Phylarch  bei  Müller,  F.  H.  G. 
I  349.     Vgl.  Droysen,  Gesch.  d.  Hellen.  H  188  f. 

4)  Arist.  bei  Parthen.  8. 

4» 


—     52     — 

l)ei  zuweilen  die  Phantasie  geschäftig  sein  mochte,  alte  Liebes- 
'  fabeln  in  die  neuere  Geschichte  hintlberzuspielen,  mag  schliess- 
lich ein  interessantes  Beispiel  andeuten.  Alle  Welt  kennt  — 
und  wäre  es  nur  aus  Goethes  Anspielung  im  »Wilhelm  Mei- 
ster« 1)  —  die  zarte  Sage  von  Antiochus,  der  seines  Vaters,  des 
Königs  Seleucus  zweite  Gattin,  seine  Stiefmutter  Stratonice, 
heimlich  liebte.  Die  verholene  Gluth  machte  den  Jtlngting  krank 
und  bettlägerig.  Als  nun  keiner  der  Aerzte  einen  körperlichen 
Krankheitsgrund  entdecken  konnte,  erkannte  endlich  der  be- 
rühmte Erasistratus  von  Keos  die  Ursache  des  psychischen  Lei- 
dens, indem  er  alle  Schönheiten  des  Hofes  durch  das  Kranken- 
zimmer gehen  Hess,  und  an  dem  heftigeren  Herzschlag  des 
Kranken  bei  dem  Eintritt  der  geliebten  Stratonice  den  Grund 
des  Uebels  leicht  bemerkte.  Mit  vorsichtiger  Berechnung  sagte 
der  kluge  Arzt  dem  Könige,  seine,  des  Arztes,  Frau  liebe  der 
Prinz.  Als  nun  der  König  in  ihn  drang,  durch  Abtretung  der 
Frau  des  Kranken  Leben  zu  retten,  fragte  er:  wtirdest  denn 
Du  in  einem  ähnlichen  Falle  Deine  geliebte  Gattin  opfern?  und 
als  der  König  das  unbedenklich  bejahte,  entdeckte  er  ihm  den 
wahren  Zusammenhang,  und  der  grossmtlthige  König  trat  dem 
Sohne  die  Stratonice  wirklich  ab  2).  —  Die  Geschichte  enthält 
in  sich  nichts  Unmögliches  ^) ,  und  man  hat  sie  bisher  auch  als 
Wahrheit  hingenommen^).     Nun   wird    freilich   die  Wiederkehr 


1)  Lehrj.  Buch  I  Cap.  7  und  Buch  VII!.  Cap.  10. 

2)  Die  List  des  Arztes,  erst  von  seiner  eigenen  Frau  zu  reden,  gehört 
durchaus  zur  Vollständigkeit  der  Erzählung;  in  dieser  Vollständigkeit  er- 
zählen  sie   Appian  Syriac.  59—61,   Plularch,  Demetr.  38,  Lucian,   De   dea 

^  Syr.  17.  4  8.  Eine  abgekürzte  Version,  in  welcher  diese  kluge  Wendung 
des  Arztes  fehlt,  bieten  Julian,  Misopogon,  p.  60 — 64  (Paris  1566),  Suidas 
s.  'EpaotoTpaToc ,  Valerius  Maximus  V  7  ext.  1,  der  aber  statt  des  Era- 
sistratus einen  mathematicus  Leptines  nennt.  Von  einem  unerlaubten  Ein- 
verständniss  der  Stratonice  und  des  Antiochus  scheint  Lucian  Icarom.  15  und 
cal.  non  tem.  cred.  14  (c.  Schol.)  reden  zu  wollen.  Durch  Lucian  übrigens 
blieb  die  Geschichte  wohl  im  byzantinischen  Mittelalter  bekannt:  es  wird 
auf  sie  angespielt,  z.  B.  in  dem  sonderbaren  »Timarion«  (saec.  12},  c.  28. 
p.  71  ed.  Ellissen. 

3}  Wie  denn  Galen  eine  ganz  ähnliche  Diagnose  einer  Liebeskrankbeit 
selbst  vollbracht  zu  haben  behauptet:  7t.  tou  7:poYivtÖ3xeiv  XIV  p.  626.  681  K. 

4)  So  z.  B.  Droysen ,  Gesch.  d.  Hell.  I  507  f.  —  Uebrigens  erzählt 
Plutarch,  Demetr.  38  das  Ereigniss  unmittelbar  nach  Demetrius'  Thron- 
besteigung in  .Macedonien  und  vor  dem  Getenkriege  des  Lysimachus  (c.  39): 


—     53    — 

auffallend  ähnlicher  Sagen  in  orientalischen  und  daraus  ab- 
geleiteten miltelalterlich  occidentalischen  Erzählungen  noch  nicht 
genügen,  um  den  ganzen  Bericht  als  eine  willkürliche  Hislori- 
sirung  einer  ursprünglich  ganz  unhistorischen  Novelle  erschei- 
nen zu  lassen.  Denn  es  könnte  diese  Geschichte,  vom  Erasi- 
stratus  auf  den  berühmten  arabischen  Arzt  Avicenna  über- 
tragen *),  eben  dadurch  im  Orient  berühmt  und  beliebt  gewor- 
den und  in  mannichfachen  Wendungen  nachgeahmt,  endlich  vom 
Orient  aus  durch  Vermittlung  der  Gesta  Romanorum  und  wei- 
terhin des  Boccaccio  in  den  Occident  zurückgekehrt  sein  ^j .  Ich 
glaube  in  der  That,  dass  auf  diesem  Wege  die  Geschichte  ihren 


es  mag  also  in  das  Jahr  293  fallen.  Warum  Droysen  es  unter  dem  Jahre 
288  erzählt,  lässt  eine  Notiz  p.  608  Anm.  errathen.  Dort  heisst  es:  »Der 
älteste  Sohn  dieser  Ehe  starb  247,  vierundvierzig  Jahre  alt,  s.  Clinton  III 
p.  840«.  Es  soll  wohl  heissen :  »vierzig  Jahre  alt«:  denn  in  diesem  Alter 
starb  im  Jahre  247  Antiocbus  II  Theos  zu  Ephesus:  s.  Porphyr,  in  Müllers 
Fr.  bist.  gr.  111  p.  707  §  6.  War  also  dieser  »älteste  Sohn«  des  Antiochus  I 
und  der  Stratonice  287  geboren,  so  wird,  scheint  Droysen  zu  meinen,  ihre 
eheliche  Verbindung  288  stattgefunden  haben.  Das  Argument^  an  sich  un- 
sicher, wird  völlig  hinfällig  dadurch,  dass  Antiochus  II  gar  nicht  der  äl- 
teste Sohn  dieser  Ehe  war.  Er  kam  zum  Throne  erst,  nachdem  ein  äl- 
terer Bruder,  Seleucus  (dessen  auch  Malalas  p.  205,  1.  2  ed.  Bonn,  gedenkt), 
wegen  Verdachts  von  Intriguen  gegen  den  Vater,  getödtet  war.  Dieses,  von 
Trogus  prol.  26  nur  angedeutete  (von  Droysen  II  251  nur  ganz  flüchtig  be- 
rührte) Ereigniss  erzählt  jetzt  etwas  deutlicher  Joannes  Antioch.  fr.  55  (Fr. 
h.  gr.  IV  p.  558).  Es  bleibt  also  nicht  der  geringste  Grund  übrig,  an 
Plutarchs  Zeitangabe  zu  zweifeln. 

1)  Von  Avicenna  wird  eine  ganz  analoge  Heilung  eines  liebeskranken 
georgischen  Prinzen  (in  einer  der  abgekürzten  griechischen  Version  ent- 
sprechenden Form)  erzählt  in  einer  Biographie  des  Avicenna  bei  Car- 
donne,  M^anges  de  litt.  Orient.  II  154. 

2)  Sehr  häufig  findet  sich  in  orientalischen  Geschichten  die  Entdeckung 
des  Liebesleidens  durch  Pulsfühlung.  Val.  Schmidt,  Beitr.  zur  Gesch. 
der  romant.  Poesie,  p.  43  verweist  auf  »Hammer,  Rosenöl  I  242«.  Dieses 
Buch  ist  mir  nicht  zugänglich;  vgl.  aber  statt  dessen:  1004  Nacht  (Bres- 
laaer  Uebers.),  N.  462  (XI  45)  473  (XI  113)  547  (XIH  10)  Anhang  XIH  198. 
Les  avent.  de  Kamrup  (Journal  asiatiquc  1835.  XV  460).  Contin.  des  1001 
Duits  IV  (=  Gab.  des  f^es  41),  p.  295.  Der  Geschichte  des  Antiochus  kommt 
am  Nächsten  eine  Episode  in  der  merkwürdigen  arabischen  Erzählung  »Le 
pouvotr  du  destin«:  Gontinuation  des  1001  nuits  I  (=  Gab.  des  fäes  XXXVIII), 
p.  163  fif.  —  Uebergang  nach  Europa:  Gesta  Romanorum  40  p.  335  ed. 
Oesterley;  Episode  in  Boccaccios  Decamerone  II  8  (dazu  Schmidt  a.  0.). 
Sf^terhin  wurde  die  Geschichte  unmittelbar  aus  den  griechischen  Quellen 
geschöpft:  so  z.  B.  in  Kirchhofs  Wendunmuth  2,  19. 


—     54    — 

Kreislauf  vollendet  habe,  und  enlnehnie  also  aus  diesem  Um- 
stände kein  Argument  gegen  ihre  historische  Glaubwürdigkeit. 
Viel  bedenklicher  ist  es,  dass  bei  g  riechischen^Schriftstellern 
dieselbe  Sage  auch  auf  andre  Zeiten  und  Personen  Übertragen 
wird.  Von  Hippokrates  und  Perdiccas,  dem  ^Sohne  des 
macedonisehen  Königs  Alexander  tdes  Ersten  [erzählt  dieselbe 
Begebenheit  die  fälschlich  unter  ^Soranus'  Namen  tiberlieferte, 
aber  aus  keineswegs  verächtlichen  Quellen  geschöpfte  Biographie 
des  Hippokrates;  und  diese  Version  der  Sage  |war  auch  dem 
Lucian  bekannt  ^) .  Durch  solche  Wanderungen  und  Wandlun- 
gen wird  nun  aber,  wie  in  allen  analogen  .Fällen,  die  histo- 
rische Glaubwürdigkeit  jener  Geschichte  überhaupt  fraglich,  und 
es  wird  zum  Mindesten  sehr  zweifelhaft,  ob  wir  es  mit  irgend 
einem  wirklichen  Ereigniss  oder  mit  einer  anmuthigen  Fiction 
zu  thun  haben,  die,  ursprünglich  rein  im  Reiche  der  Phantasie 
heimisch ,  (späterhin ,  w  ie  so  viele  sinnreiche  Anekdoten ,  an 
das  Andenken  zweier  berühmter  Aerzte  sich  geheftet  hatte,  und 
durch  die  geschickte  Darstellung  eines  gewandten  Geschichts- 
schreibers gerade  in  der  an  Erasistratus  und  Antiochus  ge- 
knüpften Form  eine  besondre  Berühmtheit  erlangte.  —  Auf  jeden 
Fall  mag  diese  Erzählung  vor  Allen  dazu  dienen,  den  Geist 
innerlicher  Verwandtschaft  uns  zu  vergegenwärtigen,    der  jene 


1)  S.  Pseudosoranus,  Vita  Hippocr.  §  %  (Westermann,  Bio^pi^oi, 
p.  430).  Lucian  nennt  de  bist,  conscr.  85  als  Typus  eines  weichlichen 
Menschen  Perdiccas,  und  setzt  erklärend  hinzu:  ei  hi]  oMc  ioxiv  6  Tf|( 
{jLYjTpuiac  ^paodelc  *ai  ^i'  «W  xaTeoxXTjxtfic ,  dXXd  [xi?;  i'Avxbyo;  6  rrj;  (so  mit 
Recht  Frilzsche;  toü  die  Hss.)  2eXE6xou  2TpaTovUY]c  ^xe(vT]c.  Die  Heraus- 
geber sind  hier  in  Verlegenheit.  Graevius  und  Solanus  (ed.  Bipont.  IV. 
p.  518)  wollten  den  ganzen  Satz:  li  o-?)  —  £xeivT]c,  als  ein  spätes  Scholion, 
streichen.  C.  F.  Hermann  (p.  220)  und  Fritzsche  (ed.  Lucian  I  4  p.  83) 
sahen  wohl  ein,  dass  ohne  einen  solchen  Zusatz  »Perdiccas«  als  Typus  eines 
Weichlings  ohne  Weiteres  bmzustellcn  unsinnig  und  unverständlich  wäre; 
sie  behalten  daher  jenen  Satz  bei,  ohne  doch  die  historische  Berechtigung 
desselben  nachzuweisen;  ja  Hermann  versichert  ausdrücklich,  von  Per- 
diccas erzähle  Niemand  etwas  derartiges.  Er  scheint  diese  Version  also 
für  ein  Autoschediasma  des  Lucian  zu  halten;  als  einen  Irrlhum  desselben 
sieht  sie  Sommerbrodt  (zu  Luc.  Icaromen.  15)  an.  Alle  Zweifel  werden 
durch  die  Stelle  des  Pseudosoranus  gehoben.  —  Endlich  liest  man  bei  Dra- 
contius,  Hylas  40.  41  :  Privignoque  suo  potiatur  blanda  noverca:  •alter  erit 
Perdicca  furens.  Der  Herausgeber  bezieht  (im  Index)  diese  Erwähnung 
des   Perdiccas  wohl  mit  Recht  auf  das  von  Lucian  angedeutete  Abenteuer. 


—     55     — 

erotischen  Erzählungen  der  hellenistischen  Historiker  mit  den 
Romanschriftstellern  der  spateren  Zeit  verbindet.  Gerade  das 
Motiv  jener  klugen  Diagnose  der  Liebeskrankheit  hat  Heliodor 
im  vierten  Buche  seiner  »Aethiopischen  Geschichten«  benutzt, 
wo  der  Arzt  Akestinus  das  Liebesleiden  der  Chariklca  in  ähn- 
licher Weise  erkennt  ^) .  Die  Verwandtschaft  beider  Erzählungen 
erkannte  der  sogenannte  Arislaenetus  sehr  wohl,  der  im  drei- 
zehnten seiner  Briefe  die  Geschichte  des  Antiochus  vorträgt, 
aber  mit  leicht  erkennbarer  Umformung  sich  der  Namen  des 
Heliodorischen  Romanos  bedient  ^) .  Möglich  ist  es ,  dass  auch 
hier  die  hellenistische  Dichtung  die  Vermittlung  tibernommen 
hatte:  wenigstens  scheint  die  Verwendung  dieser  Sage  als  Ge- 
genstand des  Pantomimus  ^)  auf  irgend  eine  dichterische  Aus- 
bildung derselben  hinzuweisen. 

8. 

Indem  nun  also  durch  dieses  von  allen  Seiten  lebhaft  ge- 
nährte Interesse  das  griechische  Volk  gewisser  Maassen  selbst 
erst  mit  dem  reichen  Schatze  seiner  Liebessagen  bekannt  ge- 
worden war,  nachdem  namentlich  in  den  Dramen  des  Euripides 
die  Leidenschaft,  tlber  ihr  eignes  Wesen  erstaunt  und  entsetzt, 
mit  grübelndem  Scharfsinn  sich  gegen  sich  selbst  gekehrt  hatte  *) , 


1)  Heliodor  IV  8. 

2}  Aristaen.  epist.  I  13.  Bei  Heliodor  heisst  der  Vater  Charikles,  bei 
Ar.  Polykles ,  bei  Heliodor  die  Kranke  Chariklea,  bei  Arist.  der  Kranke  Cha- 
rikles,  bei  Heliodor  der  Arzt  Akestinus,  bei  Arist.  Panakius.  Die  Parodirung 
des  Heliodor  durch  Arist.  bemerkte  schon  Kora'is,  Heliod.  II  p.  144.  — 
Im  Apollonius  Tyrius  (c.  18),  wo  eine  in  allen  Romanen  herkömmliche  ein- 
feche  Liebeskrankheit  erzählt  wird,  vermag  ich  keine  Nachahmung  der  Ge- 
schichte des  Antiochus  zu  erkennen  mit  Riese,  p.  VIII. 

3)  S.  Lucian,  De  salt.  58. 

4]  Erwähnt  seien  hier  einige  (refTende  Bemerkungen  aus  einem  feinen, 
obwohl  nicht  sonderlich  tief  eindringenden,  und  im  historischen  Theil  doch 
allzu  flüchtigen  Aufsatze  von  Edw.  Bulwer,  »The  influcnce  of  love  upon 
liierature  and  real  lifo«  (Bulwers  miscell.  prose  works.  Tauchnitz  ed.  vol.  IV). 
p.  313.  Mit  EuMpides,  bemerkt  Bulwer,  beginne  Inder  erotischen  Dich- 
tung »tbe  distinction  between  love  as  a  passion,  and  love  as  a  sentiment«. 
Bei  Seppho  noch  sei  die  Liebe  nur  Leidenschaft,  bei  Euripides  »somethin^ 
more ;  it  is  an  occupation  of  the  intellect  —  it  is  a  mystery  to  fathom,  — 
a  problem  to  solve.    Love  with  him  not  only  feels,  but  reasons,   reasons 


—     56    — 

war  es  nicht  mehr  als  billig,  dass  auch  die  Philosophie  ihre 
Reflexion  diesem  dunklen  Räthsel  *)  zuwendete,  dessen  ver- 
hängnissvolle Bedeutung  jetzt  erst,  so  scheint  es,  den  Griechen 
ganz  fühlbar  wurde.  Plato  hatte  den  Eros  in  einem  Überschwung- 
liehen  Sinne  gefeiert,  der  uns  hier  nicht  berührt.  Dem  mehr 
sinnlichen  und  irdischen  Wesen  der  Liebe  und  ihren  Wirkungen 
in  Leben,  Geschichte  und  Sage  widmeten  erst  spätere  Denker, 
schon  auf  der  Grenze  des  »Hellenismus«  stehend,  eine  intensive 
Aufmerksamkeit.  Voran  standen  die  Peripatetiker:  es  gab 
Untersuchungen  »über  die  Liebe«  von  Aristoteles  selbst,  von 
Theophrast,  Kleareh,  Aristo  u.  A.^j  Auch  die  andern  Schulen 
aber  bezeugen  durch  den  unermüdlichen  Wetteifer  der  Unter- 
suchung das  unerschöpfliche  Erstaunen,  mit  dem  diese  Zeit  das 
Problem  der  Liebesleidenschaft  betrachtete :  Sokratiker,  Stoiker, 
Epikureer,  ja  auch  Cyniker  handelten  von  der  Natur  der  Liebe 
in  eignen  Schriften :  rspt  lpu>To;,  ipwnxoi,  Ipwnxai  xiyyai  über- 
schrieben'^) .  Einzig  die  peripatetischen  Schriften  dieser 
Art  sind  uns,  ihrer  Anlage  nach,  einigermaassen  bekannt.  Die 
Ueberreste  derselben,  wie  sie  uns  vornehmlich  Athenäus  über- 
liefert, zum  Theil  auch  Plutarch  seinem  'Epoirixo;,  einem  späten 
Nachklang  dieser  ganzen  Gattung  der  Schriftstellerei,  eingewebt 
hat.  lassen  uns  erkennen,  dass  jene  Philosophen  auch  diese 
Untersuchungen  vorzugsweise  im  Dienste  ihrer  weit  ausgedehnten 
charakterologischen  Studien  unternommen  hatten.  Wie 
man  die  nur  scheinbar  rein  historischen  Studien  der  Peripatetiker 
auf  litterarhistorischem,  antiquarischem,   culturhistorischem  Ge- 


perhaps  overmuch.     Be  that  as  it  may,  he  is  the  first  of  the  Hellenic  poets 
who  interests  us  intellactually  in  the  antagonism  and  afOnity  of  the  sexes«. 

1)  Ein  dtviYfxci  ouaeupcrov  xal  ouoXutov  nennt  die  Liebe  Plutarch  irepi 
IpooToc  bei  Stobaeus,  Flor.  LXIV  34. 

2)  S.  Val.  Rose,  Arislot.  pseudepigr.  p.  4  05. 

3)  Eine  Aufzöhlung  solcher  philosophischer  Autoren  über  die  Liebe  bei 
Winckelmann  zu  Plut.  Erotic.  p.  97—99.  Der  Ulteste  vielleicht  Kritiasr. 
<p63e(u;  ^poDTOc  (s.  Bach,  Critiae  quae  supersunt,  p.  401  ff.).  Ueber  den 
'EpaiTix(5;  des  SokraUkers  Euclides  vgl.  Meineke,  Fr.  com.  IV  p.  4  74 
und  Anal.  crit.  in  Athen,  p.  259  f.  —  In  den  Bruchstücken  der  mittleren 
Komödie  finden  sich  gelegentlich  witzelnde  Betrachtungen  über  Natur  und 
Wirkungen  des  Eros  (z.  B.  III  p.  226.  490,  namentlich  495  f.),  welche 
vielleicht  durch  ähnliche  Betrachtungen  der  philosophischen  Erotiker  an- 
geregt, zum  Theil  auch  diesen  parodirend  nachgebildet  sein  mögen. 


—     57     — 

biete  ihrer  Anlage  und  Art  nach  nur  dann  recht  verstehen 
kann,  wenn  man  sie  als  Sammlungen  allerreichsten  empirischen 
Materials  zur  lUustrirung  philosophischer  Beobachtung  auffasst: 
so  wendete  andrerseits  in  der  Behandlung  eigentlich  philosophischer 
Gegenstände  von  allgemeinerem  Interesse  ihre  Betrachtung  sich 
weniger  dem  innersten  Wesen  der  psychologischen  Erscheinungen , 
als  deren  charakteristischer  Aeusserung  in  einzehien  Aus- 
brüchen der  Leidenschaft,  dauernden  Gewohnheiten,  festgestellten 
Sitten  und  Einrichtungen  zu.  Auch  die  Schriften  »lieber  die 
Liebe  a  standen  lauf  diesem  Grenzgebiete  der  historischen  und 
der  psychologisch-philosophischen  Betrachtungsweise.  Ganz  be- 
sonders merkwürdig  ist  in  dieser  Beziehung  das  Buch  des 
Klearch  von  Soli  »lieber  die  Liebe«,  aus  dem  uns  Athenäus, 
der  es  noch  selbst  in  HUnden  hatte,  zahlreiche  Fragmente  er- 
halten hat.  Wie  Aristoteles,  Theophrast,  Heraclides  Ponticus  in 
ihren  Schriften  über  die  Liebe  allerlei  denkwürdige  Volkssagen 
von  leidenschaftlicher  Liebe  und  ihren  Schicksalen  mitgetheilt 
hatten  *) ,  so  lässt  auch  Klearch  es  sich  angelegen  sein,  durch 
historische  und  sagenhafte  Beispiele  die  Natur  der  Liebe  zu  er- 
läutern ^J  .  Auch  von  der  Liebesdichtung  handelte  er  3;  .  Vor- 
zugsweise aber  beschäftigen  ihn  die  Art  und  die  Gründe  der 
sinnreichen  Gebräuche  eines  zarten  Liebeswerbens,  wie  sie  von 
jeher  in  Griechenland  herkömmlich  waren.  Ganz  in  der  Art 
der  in  seiner  Seele  üblichen  CTjtTi}AaTa  und  ^:po^kr^\la'za  stellt 
er  spitzfindige  Untersuchungen  darüber  an :  warum  wohl  Liebende 
Blumen  und  Aepfel  in  Händen  zu  tragen  pflegen  *) ;  warum  man 
glaube,  dass  ein  Zerfallen  des  beim  Mahle  getragnen  Kranzes  die 
Verliebtheit  des  Trägers  andeute;  warum  man  der  Geliebten 
Thüre    zu    bekränzen    pflege  ^) .     Diese   Betrachtungen    nun,    in 


1)  Aristoteles,  Fr.  88:  Kleomachus.  —  Theophrast:  Sage  vom 
spröden  Leukokomas:  Strabo  X  p.  478.  Delphin  und  Knabe  :  Athen.  XIII  606  C. 
Gellius  VI  8.  Plinius  n.  h.  IX  8  §  28.  —  Heraklides:  Chariton  und  Me- 
lanippus,  Athen.  XlII  602  B  =  Aelian  V.   H.  II  4. 

2)  Liebe  des  Perikles  und  der  Aspasia  Athen.  XIII  589  D — F.,  des  Epa- 
minondas  XIII  590  C,  des  Gyges  XIII  573  A.  B.,  des  Antimachus  zur  Lyde 
XIII  597  A.  Helena  II  57  E.   Verliebtheit  einer  Gans,  eines  Pfaues:  XIII  606  C. 

3j  Ath.  XIV  689  A.  619  C.  D. 

4)  Ath.  XII.  c.  79. 

5)  Ath.  XV  669  F. :  das  (sehr  stark  corrupte)  Excerpt  aus  Klearch  hört, 
nach  meiner  Meinung,  erst  bei  674  B  mit  Cap.  10  auf. 


—     58    — 

(leDen  der  Philosoph  durch  immer  sinnreichere  und  künstlichere 
Deutungen  des  Einfachsten  und  Verstandlichsten  sich  selbst  zu 
übertreiren ,  und  noch  einmal  zu  übertreffen  sich  abmüht, 
schlagen  schon  völlig  den  Ton  der  spateren  Romanschreiber  an. 
jenen  unangenehmen  Ton  einer  frostigen  erotischen  Sophistik, 
die  in  ihrem  sonderbaren  galanten  Witze  vergnügt  umhertändelt, 
ohne  jemals  einen  Klang  einfacher  und  achter  Empfindung  zu 
finden.  Auch  die  süssliche  Manier,  in  welcher  Klearch  die  schöne 
Volkssage  von  der  Eriphanis  vortragt*) ,  erinnert  uns  daran,  dass 
wir  uns  dem  galanten  Zeitalter  der  griechischen  Poesie  nähern ^j. 


\j  Athenäus  XIV  649  C-  D. 
.   2,  Es  wird   nicht  überflüssig   sein,    von   der  gezierten  Pedanterie  des 
Klearch  eine   kurze  Probe  zu  geben.     Bei  Athenäus  XV  c.  9  liest  man: 
»Warum  sagt  man,   wenn  der  Kranz  der  Bekränzten  sich  auflöst,  sie  seien 
verliebt?    Hält  man  etwa,  weil  die    Liebe  die  Seele  der    Liebenden  des 
Schmuckes  entkleidet,  darum  den  Verlust  des   sichtbaren  Schmuckes  für 
ein  Feuersignal  und  Anzeichen  dafür,  dass  solche  eben  auch  des  Schmuckes 
der  Seele  entkleidet  seien?  [Hier  ist  das  Wortspiel  mit  der  zwiefachen  Be- 
deutung von   xöa^jio;  deutsch  nicht  wiederzugeben].     Oder  deuten  Einige, 
^^ie  in  dei*  Mantik  so  oft,  auch  hier  die  Wahrheit  aus  Zeichen?    Denn  der 
Schmuck  des  Kranzes,  der  nichts  Bleibendes  hat,  ist  ein  Zeichen  einer  un- 
beständigen und  dabei  im  Schmuck  sich  gefallenden  Leidenschaft.    Von  der 
Art  ist  aber  die  Liebe ;  denn  Niemand  ist  mehr  auf  Schmuck  bedacht,   als 
die  Liebenden.     Wenn  nicht  etwa  die  Natur,  wie  ein  göttliches  Wesen  jeg- 
liches  Ding  gerecht  austheilend,   der  Meinung   ist,  die  Liebenden  dürften 
sich  nicht  bekränzen,  bevor  sie  in  der  Liebe  gesiegt  hätten:   das  ist  aber, 
wenn  sie  den  Liebenden  ihren  Wünschen  gewonnen  haben  und  so  von  der 
Begierde  befreit  sind.     Den  Verlust  des  Kranzes  nehmen  wir  also  als  ein 
Anzeichen  dafür,  dass  sie  noch  im  Liebeskampfe  begriffen  sind.     Oder  ent- 
rcisst   etwa    Eros   selbst,    indem    er   nicht  duldet,   dass  man  sich  als  sein 
Ueberwindcr  bekränze  und  ausrufen  lasse,  jenen  Verwegenen  den  Kranz, 
und  giebt  so  den  Debrigen  eine  Aufklärung,  indem  er  andeutet,  dass  jene 
ihm  unterworfen  sind;  daher  die  Uebrigen  Jene  für  verliebt  erklären?  Oder 
>^cil,  was  gelöst  wird,  jedenfalls  gebunden  gewesen  ist,  die  Liebe  aber  die 
Fesselung  Bekränzter  ist,  —  denn  von  allen  Gefesselten  sind    einzig  die 
Liebenden  sich  zu  bekränzen  beflissen  —  hält  man  darum  die  Auflösung 
des   Kranzes  für  ein   Zeichen   der  Fesselung  durch  die  Liebe,  und  nennt 
solche,  denen  sie  begegnet,   verliebt?    Oder:  da  die  Liebenden  natürlich 
oftf   wenn  sie  bekränzt  sind,   ihrer  Aufregung  wegen  den    Kranz  abfallen 
lassen,  kehren  wir  darum  etwa  in  unserer  Schlussfolgerung  die  Reihenfolge 
der  Vorgänge  um,   und  vermulhen,   dass  der  Kranz  wohl  nicht  abgefallen 
sein  würde,  wenn  nicht  der  Träger  verliebt  wäre?    Wenn  nicht  etwa   da- 
rum, weil  die  Liebenden  schon  von  der  Liebe  umkränzt  sind,  der  Blumen- 
kranz bei  ihnen  nicht  haften  will.     Denn  schwer  ist  es  ja,  dass  auf  einem 


—     59    — 

9. 

So  sind  wir  endlich  zu  den  hellenistischen  Dichtern  ziirück- 
i^ekehrt,  durch  welche  zuerst  die  Liebe  in  den  Rang  der  obersten 
poetischen  Leidenschaft  eingesetzt  wurde,  den  sie  seitdem  mit 
so  grosser  Entschiedenheit  behauptet  hat.  Trotz  der  vereinzelten 
Vorgänger  aus  classischer  Zeit  bildeten  diese  Dichter  mit  ihrer 
Bevorzugung  der  erotischen  Leidenschaft  einen  sehr  bemerkbaren 
Gegensatz  zu  der  Empfindungsweise  der  Griechen  früherer  Zeit. 
Hätte  nicht  die  altgriechische  Sinnesart,  wie  sie  sich  in  Arislo- 
phanes  gegen  die  neuen  Künste  des  Euripides  empörte,  mit 
ganz  besonderm  Ingrimme  gegen  die  peinlichen  Conflicte  einer 
weichlichen  Liebesleidenschaft  protestirt,  mit  denen  dieser  Dichter 
das  erhabene  Pathos  der  tragischen  Bühne  zu  verfälschen  schien  ^)  ? 

so  grossen  göttlichen  Kranze  irgend  ein  beliebiger  kleiner  festsitze«.  —  Iph 
habe  stellenweise  mehr  paraphrasirt  als  übersetzt ;  auch  so  noch  bleibt  die, 
bei  aller  Spitzfindelei   unpräcise   Form  der  Schlüsse,   durch  eigene  Schuld 
des  Kiearch,   bestehen.     Uebrigens   habe    ich   in    der    Uebersetzung  einige 
nothwendig  schefncnde  Correcturen  stillschweigend  befolgt,     p.  209,  h   (ed. 
Meineke)  ist  vor  ei  fx9)  dfpa  ein  Punct  zu  setzen,    p.  209,  43  Sri  X6£Tai  {acv 
TTov  TÖ  SeSefxevov.     Das  ist  ja  an   sich  nicht  wahr,  und  passt  nicht  in  den 
Syllogismus.     Dem    erforderlichen   Sinne   entspreche  etwa:    Sti  X6eTai  {jlsv 
jxovov  TÖ  Tiplv  Seocfx^vov  (vgl.  Z.  22);    genauer  geredet*  wäre  freilich:    Sti, 
S  X6eTai,  TravT«;  oeScfxdvov  f^^.    Ich  weiss  die  Stelle  nicht  zu  heilen,  p.  209,  4  6 
^Xeoatv  die   Hs.    Meinekes  ^StjXitjoiv  enthält    nicht    den  bestimmten    Begriff 
der  Auflösung.     Besser  also:    StdXyaw,    wie  schon  Andere   vorgeschlagen 
haben,     p.  209,  49   7:eptppclv:    dav  fügt  Meineke  hinzu.     Ich  striche  ausser- 
dem am  Liebsten  das  überflüssige  aumv  (denn  so  wäre  doch  jedenfalls  zu 
schreiben),     p.  209,  24—25  3ti  — dpwvTec   habe   ich  gar  nicht  übersetzt,  da 
ich  diesen  ganzen  Satz  für  eine  stammelnde  Wiederholung  des  schon  Zeile 
42 — 4  7  angebrachten  Syllogismus  halle,  entweder  aus  der  Feder  eines  spä- 
teren Schreibers,  oder  wohl  gar,  grösserer  Deutlichkeit  wegen,   vom  Athe- 
näus  selbst  paraphrasirend  an  den   Rand   geschrieben,  und   später  an  un- 
passender Stelle  in  den  Text  eingeschoben,     p.  209,  29  Oelvat:  pisTvat  Mei- 
neke. —  In  dem  Reste  des  Klearchischen    Fragmentes  ist  noch  vieles  in 
Unordnung;   einiges  wird  wenigstens  geheilt,  wenn  man  p.  209,  29  hinter 
d6pac  einen  Punct  setzt,  p.  209,  32   vor  tou  ein  cb;  einschiebt,  p.  24  0,  29 
statt  af^exai:  dipxiaei  schreibt. 

1]  Vgl.  Aristoph.,  Nub.  4  372.  Ran.  850.  4  043  f.  4  084.  Gerade  der- 
gleichen erotische  Tragödienstoffe  parodirte  die  alte  und  mittlere  Ko- 
mödie besonders  gern:  so  Aristophanes  den  Aeolus  des  Euripides  im  Aeo- 
losicon  (Platonius,  p.  532,  45  Mein.  Aeolus  des  Antiphanes:  Mein.  com. 
I  323,  des  Eriphus,  ib.  420),  die  Andromeda  in  den  Thesmoph.  (Andromeda 
des  Antiphanes),   die  Phaedra  vielleicht  im  Anagyros  (s.  Bergk,   Aristoph. 


—     60     — 

Jetzt  wurde  vielmehr  gerade  diese  Eine  Leidenschaft  so  ü])er- 
mächliü,  dass  sie  fast  alleine  die  Dichter  der  Zeit  noch  mit  einer 
achten  poetischen  Empfindung  zu  beleben  vermochte.  Ich  will 
nicht  von  der  lyrischen  Liebesdichtung  der  hellenistischen  Periode 
reden,  welche  zwar  der  naiven  Kraft  und  dem  w  dunkeltiefen 
Leuchten«  innerer  Leidenschaft  der  aolischen  Lyrik  schwerlich 
gleichkam,  aber  in  Zartheit,  Lieblichkeit,  einer  gewissen  Süssig- 
keit  ^) ,  in  allen  Tugenden  acht  griechischer  C  h  a  r  i  s  doch  sicherlich 
nicht  hinter  ihren  römischen  Nachahmern,  Properz,  Ovid,  Tibull 
zurückstand,  die  sich  auf  Philetas  und  Kallimachus  so  gerne  als 
auf  ihre  Vorbilder  berufen 2)  .  In  ihrer  erzahlenden  Dichtung 
aber  nimmt  der  erotische  Stoff  einen  so  bedeutenden  Raum  ein,  dass 
man  hier  den  Beginn  jener  modernen  Geschmacksrichtung  erken- 
nen muss,  der  kaum  irgend  eine  dichterische  Darstellung  noch 
einen  Antheil  abzugewinnen  vermag,  in  welcher  die  Liebe  nicht  die 
eigentlich  belebende  Seele  der  Handlung  ist,  oder  zum  mindesten 
mit  andern  leidenschaftlichen  Antrieben  um  den  Vorrang  streitet. 
Nun  stand  jene  Dichtung  keineswegs  so  abseits  von  den 
Neigungen  und  Interessen  der  Zeit,  wie  eine  übertriebene  Vor- 
stellung von  der  Pedanterie  alexandrinischer  Stubendichtung 
noch  immer  Manchen  glauben  macht.  Sehr  gerne  erführe 
man,  ob  in  der  erzählenden  Liebesdichtutig  sich  die  wirkliche 
Empfindungsweise  der  Zeitgenossen  widerspiegele,  ob  die 
Weiberliebe,  die  für  das  altgriechische  Leben  eine  so  sehr  ge- 
ringe Bedeutung  hatte,  in  der  zarteren  und  sublimirten  Gestalt, 
wie  sie  uns  jene  Dichtungen  zeigen,  auch  das  Leben  der  helle- 
nistischen Jahrhundertc  bestimmt  habe.  Leider  geben  unsre 
dürftigen  IlUlfsmittel  uns  auf  solche  Fragen  so  gut  wie  gar  keine 
Antw  ort  ^j .     Wir  bemerken    wohl ,    dass  die  Emancipation   der 

fr.  p.  959),  Antiphanes  u.  A.  einen  Adonis  (des  Tyrannen  Dionysius?  Mei- 
neke  I  34  5),  u.  s.  w. 

1)  Ich  meine  jene,  in  deutscher  ästhetischer  Terminologie  nicht  genau 
zu  bezeichnende  Eigenschaft,  welche  die  griechischen  Aesthetiker  f\^x\tTr^^ 
zu  nennen  pflegen. 

2)  Vgl.  Bach,  Philetae  Phanoclis  et  Hermesianactis  rell.  p.  iS.  M. 
Hertzberg,  Quaest.  Propert.  p.  -190  f. 

3)  Eine  Untersuchung  über  die  Stellung  der  griechischen  Frauen  in 
hellenistischer  Zeit  hat  kürzlich  W.  Heibig,  Untersuch,  über  die  campan. 
Wandmalerei  (L.  4  873)  p.  i9i  ff.  angestellt,  aus  welcher  ich,  wie  man  be- 
merken wird,   zwar  manches  Lehrreiche  entnommen  habe,   der  ich  aber 


—     61     — 

Frauen  von  der  allen  streng  beschränkten  Sitte,  wie  sie  schon 
Aristophanes  in  einzelnen  Zügen  erkennen  lässt,  in  dieser  Zeit 
einer  immer  mehr  in*s  Luxuriöse  und  Weichliche  ausgebildeten 
Verfeinerung  der  geselligen  Bedürfnisse  betrachtlich  zunahm. 
Die  Reste  der  neueren  und  bereits  der  mittleren  Komedie  zei- 
gen, dass  selbst  in  Athen,  der  einstigen  Burg  allerstrengster 
Weiberzucht,  durch  energischen  Willen,  List  und  Gewandtheit 
die  Frauen  sich  eine  immer  freiere  Selbstbestimmung  zu  erobern 
wussten  *).  Eben  dieselbe  Komödie  zeigt  uns  in  .einem  treuen 
Spiegelbilde,  wie  lebhaft,  in  aller  Noth  der  w^üsten  Zeiten, 
Liebesintriguen  und  ein  schmachtendes  Liebesleben  den  Sinn 
der  eleganten  Jugend  beschäftigten.  »Hält  etw^a  nicht  —  so  fragt 
Plutarch^)  —  die  Dramen  des  Menander  ein  einziges  Band  zu- 
sammen, die  Liebe,  die  wie  ein  gemeinsamer  Lebenshauch 
durch  alle  ergossen  ist?«  Freilich  ist  'es  zumeist  der  Umgang 
mit  den  Hetären,  der  in  diesen  Bildern  der  geistreich  lieder- 
lichen athenischen  .lugend  gezeichnet  wird;  und  eben  diese 
Beschränkung  lehrt  aufs  Klarste,  dass  für  die  Darstellung  einer 
erotischen  Leidenschaft  —  wie  sie  jene  Dichter  bieten  woll- 
ten —  auch  damals  noch  ehrbar  bürgerliche  Verhältnisse  so 
wenig  einen  Boden  darboten,  wie  je;  hier  vor  Allem  gilt  jenes 
frivole  W^ort,  dass  zur  Ehe  die  Pflicht  antreibe,  die  Liebe  aber 
der  Hetärea  aufbehalten  bleibe.  Wo  die  Liebe  des  .lünglings 
auf  ein  ehrbares  Mädchen  gerichtet  ist,  da  bleibt  dieses  regel- 
mässig schüchtern  im  Hintergrunde.  Immerhin  zeigt  sich  in 
jenen  Komödien^)  (zumal  wenn  man  die  Frivolität  der  mittle- 
ren Komödie  vergleicht),  nicht  ohne  den  Einfluss  des  Euripi- 
des,  wie  man  vermuthen  darf,  vielfach  jene  Sehnsucht  nach 

eine  erneute,  zu  wesentlich  verschiedenen  Ergebnissen  führende  Betrach- 
tung desselben  Gegenstandes  entgegenzustellen,  nicht  für  überflüssig  halten 
durfte.  Ich  kann  nur  auflTordcrn,  die  beiden  Darstellungen  prüfend  mit 
einander  zu  vergleichen. 

1)  Hierüber  einige  gute  Bemerkungen  bei  Limburg-Brouwer,  Histoire 
de  la  civilisation  morale  et  röligieuse  des  Grecs,  tome  IV  eh.  VIII.  —  Be- 
zeichnend ist  es,  dass  Alexis  [und  Amphis  |: beide  der  mittleren  Komödie 
angehörig)  Komödien  des  Titels  TuvctixoTtpatia  schrieben ,  Amphis  gar  auch 
noch  eine  F'jvaixofxavia.     Vgl.  Meineke,  Hisl.  crit.  com.  398  f.  405. 

2)  Trepl  ipmxoi  bei  Stobäus,  Flor.  LXIII  34  (nach  Meinekes  Emendationen) 
Ovid  Trist.  II  370  :  Fabula  jucundi  nulla  est  sine  amore  Menandri. 

3)  Cebrigens  sind  eigentlich  sentimentale  Liebesergüsse  bei  Plautus 
und  Terenz  auffallend  selten:    vgl.    etwa  Plaut.   Asin.  111  3    [namentlich  v. 


—     62     — 

einer  Veredlung  der  Leidenschaft  im  wirkliehen  Leben,  die 
in  manchen  Werken  der  späteren  Tragödie  einen  verklärten 
Ausdruck  im  Reiche  der  Phantasie  gefunden  hatte. 

Im  Uebrigen  hörte  Athen,  je  langer  je  mehr,  auf,  der  eigent- 
liche Mittelpunct  griechischen  Lebens  zu  sein;  seine  Zustände 
geben  uns  gerade  in  dieser  Epoche  durchaus  keinen  Maassstab 
für  die  Stellung  der  Frauen  in  andern  griechischen  Ländern, 
die  man  auch  wohl  für  frühere  Zeiten  weniger  nach  einseitig 
athenischen  Nachrichten  beurtheilen  sollt«.  In  Sparta  waren 
die  Männer  mehr  als  je  »den  Weibern  unterthan«  ^) ;  dort  herrschte 
die  Kypris  unter  allem  martialischen  Getöse  2) .  In  den  wilden 
Kämpfen,  welche  die  Stadt  zu  bestehen  hatte,  treten  einzelne 
Frauen  scharf  und  lebhaft  hervor;  man  erinnere  sich  der  hel- 
denmüthigen  Archidamia  3) ,  der  übermüthigen  Chilonis,  der 
Gattin  des  Kleonymus  *) ,  vor  Allem  der  edlen  Kratesiklea ,  der 
Mutter  des  Kleomenes,  die  an  des  Sohnes  grossherzigen  Thaten 
und  Leiden  muthig  mitleidend  Theil  nahm,  und  endlich ,  nach 
seinem  Untergange,  von  den  aegyptischen  Henkern  ebenfalls 
getödtet  wurde  ^).  —  Wie  sich  in  den  hellenistischen  König- 
reichen, bei  <ler  ungeheuren  Erweiterung  des  Horizontes,  bei 
der  Auflösung  alter  Stammessitte  und  dem  unermesslichen  Zu- 
strömen barbarischer  Elemente,    die   Stellung  der  Frauen   ver- 


608  AT.  und  6i5);  eine  sehr  sentimentale  Figur  ist  der  Charinus  im  Mer- 
cator;  vgl.  auch  Ter.  Eun.  4  98  ff.  Man  könnte  meinen,  die  lateinischen 
Bearbeiter  hätten  solche  sentimentale  Stellen  weggestrichen :  wenn  nur  in 
den  Resten  der  neuen  Komödie  der  Attiker  selbst,  ausser  allgemeinen  Be- 
trachtungen über  Eros,  irgend  welche  Spuren  sentimentaler  Ergiessungen 
sich  fänden. 

1)  »Tov»;  AaxcSaifJtovio'j;  xaTT^xöo'j;  Cvrci;  det  töv  fisaix&sn  Plutarch  Agis  7. 
Dort  auch  die  merkwürdige  Nachricht  von  dem  grossen,  selbständigen 
Reichlhum  und  Grundbesitz  der  Frauen  in  Sparta.  (S.  Aristot.  Pol.  II  9 
p.  1270a.  23  f.,  vgl.  Grote,  History  of  Greece  II  387  f.). 

'  2)  Leonidas  anthol.  Pal.  IX  820 :  tlizi  t.ox  E6p(&Tac  rotl  tdv  K67:ptN  •  t, 
Xdßc  T6'jy7)  7j  '5iOi  Ta;  SrocpTa;  *  d  7:6X15  67:Xo[xciver  d  0'  draXciv  '(t^da^ij 
xal  losofjiai  diev  dTe-j/T];,  eire,  xcii  olxV;oa)  xdv  Aaxeoatfxovlav  u.  s.  w.  L'ebrigens 
bemerkt  Aristoteles  Polil.  II  9  p.  4269  b,  25  sehr  richtig,  dass  xd  tzo^Iol 
Ttbv  OTpaTituTixöJv  xolX  zoXctxtxtüv  YS'^wv  von  den  Weibern  beherrscht  zu  wer- 
den^pflegen. 

3)  Plut.  Pvrrh.  27  etc. 

4)  S.  oben  p.  54  Anm.  8. 

5}  S.  Droysen,  Gesch.  des  Hellenismus  II  p.  485.  549.  564. 


—    63    — 

ändert,  vielleiclit  auch  ihr  Einfluss  auf  das  ganze  Lehen  ver- 
stärkt und  verlieft  habe,  können  wir  kaum  ahnend  uns  vor- 
stellen. Die  Zustände  mochten  auch  in  dieser  Hinsicht  an  ver- 
schiedenen Orten  sehr  verschieden  sein.  Wahrend  in  Alexan- 
dria der  Ton  ein  freierer  gewesen  zu  sein  scheint^),  mag  z.  B. 
in  Rhodus,  damals  der  berufensten  Hüterin  wackerer  altgrie- 
chischer Art,  eine  alterthümlichere  Strenge  der  Sitte,  wie  sie 
dieser  Insel,  im  Gegensatz  zu  Alexandria  noch  in  späterer  Zeit 
ein  guter  Beobachter  nachrühmt  ^) ,  sich  auch  in  dieser  Richtung 
behauptet  haben.  An  andern  Orten  scheint  sogar  orientalisches 
Misstrauen  sich  eingedrängt  und  die  Einschränkung  der  Frauen 
noch  verschärft  zu  habend).  Auch  die  Verschiedenheit  des 
Standes  wird  nicht  ohne  Einfluss  gewesen  sein*).  Wir  ver- 
mögen nur  in  den  obersten  Kreisen  eine  gewisse  Veränderung 
zu  erkennen,  in  dem  starken  Hervortreten  zahlreicher  weibli- 
cher Charaktere  in  der  Staats-  und  Hofgeschichte  der  Diadochen- 
reiche.  Die  Politik  dieser  Zeiten  bediente  sich  im  weitesten 
Maasse  des  ganz  modernen  Mittels  der  diplomatischen  Heiraths- 
stiftungen ^j ;  wenn  aber  viele  Fürsten  sich,  nach  orientalischer 
Art,  durchaus  nicht  scheueten,  mehrere  dergleichen  diplomatische 


1)  So  scheint  es  allerdings  nach  dem  sehr  selbstherrlichen  Benehmen 
der  Frauen  in  den  Adoniazusen  des  Theokrit,  auf  welche  Heibig,  Unters, 
über  die  campan.  Wandmalerei  p.  192  hinweist.  Nur  gilt  zunächst  die 
hier  beobachtete  grössere  Freiheit  einzig  für  Alexandria  (wie  bereits  Becker, 
Charikl.  III  272  ganz  richtig  bemerkt  hat),  und  obendrein  ist  zu  bedenken, 
dass  die  beiden  bei  Theokrit  auftretenden  Frauen  Dorierinnen,  und  so- 
mit von  Haus  aus  an  freiere  Bewegung  gewöhnt  sind:  man  könnte  in  über- 
tragenem Sinne   sagen,    was   (v.   93)   die  Gorgo  so  selbstbewusst  äussert: 

2)  Dio  Chrysost.  or.  32  p.  679  R. 

3]  Im  cilicischen  Tarsus  zeichneten  sich  noch  zur  Zeit  des  Dio  Chry- 
sostomus  die  Frauen  durch  strenge  Haltung  aus  und  durch  eine  Tracht,  welche 
ihnen,  so  scheint  es,  sogar  nach  orientalischer  Sitte  das  Gesicht  verschleierte  ; 
und  dies  war  dort  althergebrachte  Sitte :  or.  33.  p.  24  R.  Solche  Ver- 
schleierung der  Weiber  war  übrigens  auch  in  Theben  üblich:  s.  Dicaearch. 
descr.  Graeciae  §  18  (Fr.  bist.  gr.  II  259). 

4)  Die  Frauen  der  untersten  Stände  genossen  wohl  stets  einer  etwas 
grösseren  Freiheit  der  Bewegung,  aus  den  einfachsten  Gründen:  ttöj;  yaii 
otov  te,  xooXueiv  i^iisai  Tot;  twv  di7:(5pcuv ;  Aristoteles,  Polit.  IV  15.  p.  1300a,  6. 

5)  Sogar  mit  dem  indischen  Könige  Tschandragupta  ging  Seleucus  Ni- 
cator,  zur  Befestigung  des  Friedens,  ein  x-rjoo;  ein:  Strabo,  p.  724,  Appian, 
Syr.  55. 


—     64     — 

EhebUndnisse  zu  gleicher  Zeit  einzugehen,  so  verfügten  andrer- 
seits, in  diesem  sonderbaren  Hin  und  \Vider,  die  fürstlichen 
Frauen  mit  einer  Freiheit  und  selbständigen  Kühnheit  über  ihre 
eigne  Hand,  die  uns  eine  völlige  Emancipation  der  Frauen 
wenigstens  in  diesen  höchsten  Kreisen  deutlieh  genug  erkennen 
lässt.  Das  merkwürdigste  Beispiel  bietet  vielleicht  Kleopatra  dar, 
die  Tochter  der  Olympias,  die,  zuerst  mit  Alexander  von  Epirus 
vermählt,  als  Wittwe  dem  Perdiccas  eine  Verbindung  angetragen 
hatte,  weiterhin  von  Kassander,  von  Lysimachus,  von  Antigonus 
umfreit  wurde,  endlich  sich  selbst  dem  Ptolemüus  verhiess,  als 
Antigonus  sie  in  Sardes  ermorden  liess^).  Nicht  minder  ener- 
gisch als  diese  Kleopatra  zeigen  sich  andre  Weiber  dieses  mace- 
donischen  Fürstenhauses :  ausser  der  gewaltsamen  Olympias  vor 
Allem  Kynane ,  die  Tochter  Philipps  und  einer  illyrischen  Für- 
stin, die  mit  ihrer  Tochter  Eurydice  selbst  in  die  Schlacht  zog. 
Hierin  könnte  man  einen  Excess  der,  den  illyrischen  Frauen 
stets  eignen  wilden  Unabhängigkeit^)  sehen.  Aber  ciuch  macedo- 
nische  und  griechische  Frauen  fürstlichen  Standes  zeigen  eine 
ähnliche  männliche  Kraft  und  Kühnheit:  z.  B.  jene  Kratesipolis, 
die  nach  ihres  Gatten,  Alexanders,  des  Sohnes  des  Polysperchon, 
Tode  als  eine  rechte  Heerfürstin,  durch  Wohlthaten  beliebt, 
durch  politische  Einsicht  und  mehr  als*  weibliche  Thatkraft  ^) 
stark,  Sikyon  eroberte  und  beherrschte ,  und  sich  bei  den  Be- 
weisen ihrer  Gunst  offenbar  um  die  Meinung  der  Welt  wenig 
bekümmerte  4).  Eine  ächte  Griechin  war  die  kühne  Lanassa, 
die  Tochter  des  Agathokles  von  Syrakus,  des  Pyrrhus  von  Epi- 
rus Gattin  5);  nicht  minder  Axiothea  die  Fürstin  in  Paphos,  de- 
ren tragisches  Ende  Diodor  XX  21  erzählt.  So  zeigen  sich  an 
den  grossen  und  kleinen  Königshöfen  die  Frauen  einflussreich 
und  thätig :  bei  Lysimachus  die  gewaltthätige  Arsinöe,  die,  sehr 


1;  Vgl.  in  Kürze  Diodor  XX  37.  Von  ihrem  Charakter  Ärrian,  De 
successor.  Alex.  §  40.  p.  246  Müller:  xpeirrov  rj  xa-zä  Y^vaixa. 

2)  Ueher  die  freie  Stellung  der  illyrischen  Frauen  vgl.  Abel,  Make- 
donien vor  König  Philipp,  p.  121.  Uebrigens  zog  auch  die  jüngere  Berenice, 
die  Gattin  des  Philadelphus ,  persönlich  in  die  Schlacht:  s.  Hygin,  Poet, 
astron.  2,  24  vgl.  0.  Schneider,  Callimach.  II  p.  150  IT. 

3)  ouveoic  TÖaYfjtaTix-?]  %aX  x^Xp-a  fieCCov  r,  xct-a  Y'jvaixa  wird  ihr  nach- 
f^criihmt  von  Diodor  XIX  67. 

4)  Vgl.  Plutarch,  Demetr.  9. 
5;  Droysen  I  396. 


—     65     — 

gegen  seiDen  Willen,  die  edle  Amaslris  verdrängte^);  in  Epirus 
ausser  der  Lanassa  Deidamia,  des  Pyrrhus  Tochter 2);  am  Seleu- 
cidenhofe  eine  ganze  Reihe  intriganter  Fürstinnen:  Laodice, 
Stratonice  ^) ,  Kleopatra  u.  A.  *).  Ganz  vorzüglich  treten  am 
ptoiemäischen  Hofe  die  Frauen  hervor:  Berenice,  die  Gattin 
des  Ptolemäus  Lagi:  Arsinoö",  die  Schwester  und  (nach  ihres 
ersten  Gemahles,  des  Lysimachus,  Tode)  Gattin  des  Philadel- 
phus*);  vor  Allen  Berenice,  die  Frau  des  Euergetes^).  In  die- 
sen Monarchien  regierten  also  ganz  eigentlich  die  Frauen  7). 
Hier  vornehmlich,  an  dem  Hauptsitze  der  gelehrten  Dichtung 
jener  Zeit,  wurde  es  auch  Sitte,  den  vornehmen  Frauen  poe- 
tische Huldigungen  darzubringen:  wie  die  Königinnen  zugleich 
mit  ihren  Gatten  den  Göttern  eingereiht  wurden ,  so  durfte  nun 
auch  der  Hofpoet  nicht  versäumen,  neben  dem  Könige  die  Kö- 
nigin zu  preisen®),  die  fürstlichen  Hochzeilen  im  Gedicht  zu 
feiern^);  ja  er  konnte  sich,  im  Uebermaass  galanter  Devotion,  bis 


1)  Für  ihre  politische  Bedeutung  zeugt  auch  das  freilich  nicht  eben 
schmeichelhafte  Factum,  dass  ihre  Verfeindung  mit  Philetaerus,  dem  Phru- 
rarchen  des  Lysimachus  in  Pergamum,  diesen  zum  Abfall  bewog:  Strabo  Xlil, 
p.  628.     (Jeher  Amastris  vgl.  auch  Meineke,  Com.  I  450  f. 

2)  Droysen  II  438. 
3;  Droysen  U  4U. 

4}  Vgl.  Heibig,  campan.  Wandmalerei,  p.  193. 

5]  An  dessen  Hofe  ausserdem  zahlreiche  Maitressen  ihr  Wesen  ge- 
trieben zu  haben  scheinen:  vgl.  Athen.  XIII  576  F. 

6}  Ihren  moralischen  Einfluss  auf  den  König,  auch  in  Staatsangelegen- 
heiten, schildert  sehr  bezeichnend   die  Anekdote  bei  Aelian  V.  H.  XIV  43.. 

7)  Ti  Y«P  otatp^pet  ^uvalxa;  ap/eiv  tj  toj;  ap/ovra;  uttö  twn  -('jsiiKLOi^  a.^- 
yesdat;  Aristoteles,  Polit.  II  9.  p.  1269b,  83. 

S)  S.  Theoknt  in  dem  Lobgedicht  auf  Ptolemäus  Philadelphus,  id. 
XVH  34  ff.  427  l 

9)  Kallimachus  schrieb  ein  Gedicht  auf  die  Hochzeit  des  Phila- 
delphus und  der  Arsinot':  s.  Frg.  196  und  dazu  Schneider,  p.  446  f.  — 
Vom  A  rat  US  wird  in  der  vierten  Vita  (p.  60,  5.  6]  ausdrücklich  gesagt: 
«uvfjV  'AvTiY<5v(p  Tc{)  Ma7t£0(ivcDv  ßaoiXel  y.cti<I)(XaT7j  to6to'j  ^ofxexi^.  Wohl 
nicht  zufällig,  sondern  eben  als  Festdichter,  kam  er  nach  Macedonien  ge- 
rade zur  Hochzeit feier  der  Beiden:  vila  IV  p.  60,  42.  Nach  Suidas 
schrieb  er  ^Tri^pafAf^aTa  eU  ^iXav  ttjv  öu^aTlpa  'AvxirdTpou;  das  würde  die 
Mutter  des  Antigonus  Gonatas  sein.  Indessen  irrt  sich  wohl  der  Gewährs- 
mann des  Suidas,  und  meint  vielmehr  eben  die  Gemahlin  des  Antigonus, 
welche  eine  Tochter  Seicukus  I.,  eine  Schwester  des  Antiochus  Soter  war. 
Dies  scheint  auch  Droysens  Meinung  zu  sein  (Gesch.  d.  Hellen.  II 479,  34). 

Roh  de.  Der  griechische  Roman.  5 


—    66    — 

zur  vollkonimenen  Abgeschmacktheit  versteigen ,  deren  Gipfel 
Kallimachus  erreichte  in  jener,  aus  CatuUs  Nachahmung  so  be- 
kannten Elegie  auf  das  von  der  astronomischen  Courtoisie  des 
Konon  unter  die  Sternbilder  versetzte  Haar  der  Königin  Bere- 
nice*).  Die  Zustände  der  Höfe  mögen  also  am  Ersten  den  ga- 
lanten Ton  der  hellenistischen  Dichtung] erklaren:  wenn  doch  in 
Wahrheit  »in  allen  souveränen  Staaten  der  Gehalt  ftlr  die  Dich- 
tung von  oben  herunter  kommt«  2).  Ein  gewisser)  Einfluss  des 
Hoftones  auf  die  btlrgerlichen  Kreise  konnte  nun  freilich  in  den 
hellenistischen  Reichen  so  wenig  ganz  fehlen,  wie  in  den  so 
nahe  verwandten  Zuständen  des  späteren  kaiserlichen  Rom. 
Gleichwohl  werden  wir  uns  htlten  müssen,  in  verkehrter  Ver- 
allgemeinerung, aus  der  freiem  Stellung  dieser,  in  streng  mo- 
narchischen Staaten  in  jeder  Beziehung  bevorrechtigten  ftlrst- 
lichen  Frauen  auf  eine  ähnliche  Freiheit  auch  der  Frauen  andrer 
Stände,  oder  gar  aus  den  Complimenten  der  Hofpoeten  auf  eine 
allgemeinere  Verbreitung  eines  galanten  Hoftones  im  Verkehr 
der  Geschlechter  zu  schliessen.  Im  wirklichen  Leben  ent- 
wickelte sich  höchstens  den  Hetären  gegenüber  eine  gewisse 
Ritterlichkeit,  die  nun  freilich  mit  einem  sehr  unangenehmen 
Zusatz  frivoler  Sentimentalität  versetzt  war.  Darüber  belehren 
uns  die  auf  eigne  persönliche  Verhältnisse  bezüglichen  Epi- 
gramme der  hellenistischen  Dichter,  deutlicher  noch  die  grae- 
cisirenden  Liebeselegien  der  Römer.  Von  einer  wesentlich  ver- 
änderten Stellung  ehrbarer  Mädchen  und  Frauen  erfahren  wir 
nichts.  Am  Ersten  sollte  man  glauben ,  dass  eine  Zeit ,  deren 
Lebenselement  ein  übereifriges  Lernen  und  Wissen  war,  in  der 
wenigstens  sicherlich  die  fürstlichen  Frauen  für  eine  reichere 
Bildung  empfänglich,  für  die  Feinheiten  der  künstlichsten  Dich- 
tung vorbereitet  waren 3),  auch  der  ehrbaren   Bürgersfrau,  von 


1;  S.  0.  SchDeidcr,  Callim.  II  p.  4  44—4  62.  —  So  baUe  die  (oben- 
drein kahlköpfige^  Königin  Slratonice  den  Hofdicbtern  zu  wetteifern  auf- 
gegeben, wer  im  Gedichte  am  schönsten  ihr  Haupthaar  preisen  könne:  Lu- 
cian  pro  imag.  5. 

2)  Goethe  (Wahrheit  und  Dichtung,  Buch  7,. 

3,  Von  der  Bildung  der  ptolemäischen  Frauen  bietet  ein  freilich  etwas 
spätes  Beispiel  Kleopatra,  des  Antonius  Freundin,  von  deren  Sprachenkennt- 
niss  Plutarch ,  Anton.  27  Wunderdinge  erzählt.  —  An  Arsinoä  (jedenfalls 
die  Schwester  und  Gemahlin  des  Ptol.  Philadelphus:  s.  Wytlenbach,    Plut. 


.    —     67     — 

der  z.  B.  die  pseudopythagoreischen  Schriflsleller  der  Zeit  so 
würdig  und  schön  zu  reden  wissen i) ,  die  Wohllhat  einer  freie- 
ren Geistesbildung,  eines  tieferen  Unterrichts  nicht  vorenthalten 
habe.  Aber  davon  berichten  uns  durchaus  keine  Zeugnisse.  Ein- 
zelne gelehrte  und  künstlerisch  thaiige  Frauen  jener  Zeit  2j  sind 
als  Ausnahmen  merkwürdig,  dergleichen  ja  auch  in  der 
elassischen  Periode  nicht  gefehlt  hatten.  "  Freilich  JerklUrt  sicn 
der  Charakter  eben  desjenigen  Theils  der  hellenistischen  Dich- 
tung, mit  dem  wir  uns  hier  beschäftigen,  vollständig  erst  dann, 
wenn  wir  dieselbe  ganz  vorzüglich  für  Frauen  bestimmt 
denken.  Vermuthlich  hört  man  einen  Nachklang  griechischer 
Dichter  der  hellenistischen  Epoche  z.  B.  in  den  Stellen  des  Pro- 
perz,    in   denen    dieser   weibliche    Leser    seinen    Gedichten 


Moral.  VI  2  p.  743)  richtete  der  Peripatetiker  Strato  einen  Brief:- Laerl. 
Oiog.  V  60.  Der  Philotera ,  Schwester  des  Ptolenoäus  Philadelphus  (vgl. 
auch  Schol.  Thcocr.  XVII  123)  scheint  Kailimachus  ein  Gedicht  gewidmet 
zu  haben:  s.  Meineke  zu  Callim.  p.  227.  —  Nicaea,  Frau  des  Alexander, 
Königs  von  Eubüa,  liebte  den  Euphorion  und  hatte  ihn  stets  um  sich: 
Meineke,  Anal.  Alex.  p.  8.  9. 

1}  Ich  meine  die  bei  Stobäus  zerstreuten  Aeusserungen  des  s.  g.  Kalli- 
kratidas,  der  Periktione,  des  Phintys  über  Ehe  und  Frauenzucht.  Alt- 
pythagoreische Vorstellungen  mochten  dabei  einwirken.  Im  Wesentlichen 
aber  giebt  diese  Gattung  der  Schriftstellerei,  welche  dem  ausgehenden  Hel- 
lenismus, etwa  dem  letzten  Jahrhundert  v.  Chr.  Geb.  angehört  (s.  Zeller, 
Phil.  d.  Gr.  III  2,  92),  über  die  Gesinnung  gewisser  wissenschaftlicher 
Kreise  Zeugniss,  vornehmlich  wohl  alexandrin  ischer.  Denn  in  Alexan- 
<1ria  waren  einige  letzte  Funken  des  Pylhagoreismus  nie  ganz  erstorben 
(vgl.  Zeller  p.  83  und  die  merkwürdigen  Stellen,  an  welchen  Kailimachus 
^eine  Zuneigung  zu  gewissen  pythagoreischen  Sätzen  ausspricht:  s.  Hecker, 
Comm.  de  anthol.  Gr.  p.  268  fT.  Hinzufügen  könnte  man  übrigens  Fr.  4  37: 
tl  ^ebs  oia&a,  ta^'  Sti  xai  f>l;ai  oa((xovi  rav  O'jvaxöv :  ein  acht  pythagoreischer 
Cedanke;  vgl.  z.  B.  lamblich.  V.  Pyth.  §  4  39). 

2)  Heibig  a.  a.  0.  p.  493.  Vgl.  Bergk,  Griech.  Lilleraturg.  I  465  f. 
Ein  ganzes  Register  ausgezeichneter  und  auch  gcjchrter  Frauen  aus  dem 
»Gastmahle«  des  Didymus  (p.  375  f.  Schmidt)  bei  Clemens,  Strom.  IV  p.  523 
Sylb.,  aus  welchem  hier  namentlich  die  Epikureerin  Themislo,  die  fünf 
gelehrten  Töchter  des  Diodorus  6  K{>(5vo;,  die  cynische  Philosophin  Hip- 
parchia  (die  mit  dem  Krates  herumzog)  hervorgehoben  werden  mögen,  als 
allerdings  bemerkenswerthe  frühe  Specimina  der  gelehrten  Virago.  —  Die 
Poesie  war  z.  B.  erblich  -in  dem  Geschlecht  der  Dichterin  Hedyle:  ihre 
Mutter  Moschine,  aus  Attika  stammend,  dichtete  Jamben,  Hedyle  selbst 
Epyllien  in  alexandrinischer  Manier,  ihr  Sohn  Hedylus  desgleichen:  Athen. 
VII  297  B. 

5* 


—    6S    —     . 

wünscht  *  .  Wie  aber  Properz  durchaus  nur  an  feiner  gebildete 
Courlisancn  denkt,  wie  nur  diese  es  sind,  denen  Ovid^)  Kennt- 
niss  dos  Philetas  und  Kallimachus  empfiehlt,  so  darf  man  auch 
in  der  hellenistischen  Welt,  ausser  in  höfischen  Kreisen,  wohl 
nur  bei  gebildeten  Hetären  eine  Theilnahme  an  der  gelehrten 
Tagesdichtung  voraussetzen.  Ftlr  manche  Seiten  der  so  mangel- 
haft bekannten  Cultur' jener  Zeit  muss  uns  überhaupt  die  ana- 
loge Entwickelung  der  römischen  Civilisation  zur  Zeit  der  aus- 
gehenden Republik  und  <ier  beginnenden  Kaiserzeit  einen  dürf- 
tigen Ersatz  bieten,  in  der,  als  in  einer  letzten  Xachblüthe 
hellenischer  Cultur,  das  gröbere  römische  Naturell  einen  wirk- 
lichen Anhauch  griechischer  Anmuth  zeigt.  Xur  eben  die  da- 
malige römische  Sitte  einer  gründlichen  Bildung  auch  der  ehr- 
baren Mädchen  und  Frauen  3}  kann  nicht  aus  griechischem  Ge- 
brauch herüber  genommen  sein  ^) :  wie  wäre  es  sonst  zu 
erklären ,  dass  noch  Musonius  und  Plularch  die  gleichmässige 
Bildung  der  Knaben  und  Mädchen  in  eignen  Schriften  erst  zu 
fordern  hatten^)  ? 

Wenn  nun  also  diese  reinste  Bezeugung  einer  höheren 
Achtung,  die  Wohlthat  freierer  Bildung,  dem  weiblichen  Ge- 
schlochte  im  Allgemeinen  auch  damals  noch  vorenthalten  wurde, 
so  ist  von  einer  wesentlichen  Veränderung  ihrer  eng  begrenzten 
Lebenseinrichtungen  noch  weniger  zu  bemerken.  Weder  an 
gemeinsamer  Tafel  noch  in  gemeinsamen  Zusammenkünften  bei 
Schauspielen  und    im  Theater^)    konnten    die   Geschlechter   — 


1)  III  U,  7  ff.  Haupt.),  IV  8,  49  ff.,  IV  9,  45  ff.  —  So  widmeten 
Philetas  und  Hermesianax  ihre  elegischen  Sammlungen  den  schönen  Freun- 
dinnen, deren  Namen  sie  auch  zum  Titel  derselben  machten. 

2)  Art.  am.  III  339  ff.,  vgl.  II  281   f. 

3]  S.  Friedländer,  Darst.  a.  d.  Sitteng.  Roms  H  448  ff.,  479  ff. 

4^  Vgl.  Menander,  Fr.  ine.  CLIV  (IV  p.  369):  pvar//  6  5iod«aiv  fp«?*- 
liLat'  o'j  xa)vtt);  roict. 

5;  Plutarch  schrieb  eine  Schrift:  ^i  xal  pvalxa«;  zaioeuriov,  Musonius 
eine  Abhandlung:  e(  rapa7:X7]aico;  zmoeux^ov  xa;  %*r^7xipai'zoii'Aoli',  (welche 
Frage  er  dann  bejaht),  beide  von  Stobäus  (resp.  Joa.  Damascenus)  benutzt. 
—  Noch  immer  wie  damals,  als  Xenophon  seinen  liebenswürdigen  Oixovo- 
{Atxo;  schrieb,  musste  in  dieser  spöten  Zeil  erst  der  Gatte  sich  der  Bildung 
seiner  Frau  annehmen:  Plutarch.  conjug.  praec.  48. 

6;  Es  ist  bekanntlich  mehr  als  wahrscheinlich,  dass  die  griechischen 
Frauen  die  Komödie  nicht  besuchten,  und  sehr  wenig  wahrscheinlich,  dass 
sie   auch   nur  die   Tragödie   besuchten.     Auf  keinen  Fall  aber  bot  sich  — 


—     69     — 

wie  doch  in  Rom  —  eine  galante  Geselligkeit  entwickeln ;  noch 
immer  gingen  ehrbare  Frauen  nur  von  argwöhnischen  Duefien  \ 
hegleitet  auf  die  Strasse  und  zu  Götterfesten;  ihr  Leben,  im 
Hause  vielleicht  zu  immer  grösserer  Macht  über  den  Gatten  aus- 
gebildet, verfloss  doch  völlig  in  ihren  abgetrennten  Weiberge- 
mächern; noch  Cornelius  Nepos  redet  von  der  Gynaekjonitis  als 
dem  beständigen  Aufenthalt  der  griechischen  Frauen'^).  Die 
Jungfrauen  vollends  aus  der  eifersüchtigen  Haft  des  eingezogensten 
Lebens  zu   befreien  ^] ,    hatte   eine   Umwälzung    aller  geselligen 


das  dürfen  wir  aus  dem  völligen  Mangel  einer  jeden  Hindeulung  schliessen 

—  im  Theater  irgend  eine  Gelegenheit  zu  einer  Annäherung  der  Geschlechter, 
wie  sie,  bei  römischen  Verhältnissen,  Ovid  so  lockend  auszumalen  liebt. 

—  (Im  alexandrinischen  Stadium  und  Theater  seiner  Zeil  erwähnt  zwar 
Die  Chrysost.  XXXII  p.  673  ausdrücklich  auch  '('j^aiai:  ob  aber  damit  ehr- 
bare Frauen  gemeint  seien,  ist  ebenso  zweifelhaft,  wie  z.  B.  bei  den  üp- 
pigen Festen,  die  nach  einer  bekannten  Stelle  des  Strabo  alexandrinische 
Männer  und  Frauen  in  Kanobus  begingen.  Hetären  freilich  scheinen  auch 
in  Athen  den  Theatervorstellungen  beigewohnt  zu  haben:  vgl.  Meineke, 
Menander  et  Phil.  p.  345). 

1)  Vgl.  z.  B.  das  Epigramm  des  Diotimus  von  Milet,  Anth.  Pal.  V  -106, 
auch  Pbilemon,  Fr.  ine.  XXXI  (IV  45).  Mit  Recht  findet  Becker,  Charikles 
111  S70  schon  die  Erlaubniss  zu  Erholungsspaziergängen  bei  Nicostratus  r.. 
fa|AOu  (vermutblich  dem  Stoiker,  den  Philo  einmal  cilirt)  Stob.  f1.  74,  62 
auffallend. 

2)  Ebenso  tritt  uns  das  Leben  der  Frau  z.  B.  in  dem,  den  Anfängen 
des  Hellenismus  angehörigen  ungemein  interessanten  Bruchstück  aus  der 
Schrift  des  Theophrast  »Ueber  die  Ehe«  entgegen,  welches  uns  Hierony- 
mus  in  einer  Uebersetzung  der  Seneca  erhalten  hat  (s.  Haases  Seneca  III 
p.  428  ff.).  Theophrast  redet  zwar,  mit  einer  gewissen  komisch  lamcn- 
tirenden  üet)ertreibung,  der.  man  die  allzu  genaue  Kenntniss  der  Komödie 
deutlich  anmerkt,  von  der  Haustyrannei  der  Frau ,  auch  von  ihren  Buhl- 
scbaften,  aber  von  irgend  welchen  Excessen  ausserhalb  des  Hauses  ist 
mit  keinem  Worte  die  Rede.  —  Uebrigens  ist  auch  das  an  diesem  Bruch- 
stück curios  wahrzunehmen,  wie  völlig  diesem  ächten  Peripatetiker  schon 
der  »vir  sapiens«  mit  dem  Gelehrten,  die  sludia  philosophiae  mit  den  librl 
zusammenfallen. 

3}  t)  TtaT«  i\  xaxdlxXeKJTo;  (die  freilich  doch,  wie  der  Fortgang  andeutet, 
mehr  als  die  Eltern  glauben  von  Liebesgeflüster  vernommen  hat)  Calli- 
machus  fr.  4<8.  —  Man  machte  übrigens  im  Speciellen  den  noch  strengeren 
Anspruch,  dass  die  Frau  sich  innerhalb  der  aüXio;  06{ia,  die  Jungfrau  gar 
Innerhalb  der  jxiöauXo;  06pa  zu  halten  habe:  vgl.  Meineke,  Menandri  et 
Pbilem.  rel.  p.  88.  Liebliche  Klage  eines  also  eingeschlossenen  Mädchens: 
Agathias  anthol.  Pal.  V  297,  doch  wohl  nach  einem  älteren  Vorbilde  (vgl. 
Horat.  c.  111  <2  etc.). 


—     70     — 

Einrichtungen  der  Griechen  bedeutet,  von  der  uns  Niemand 
eine  Andeutung  giebt.  Das  zarte  und  leidenschaftliche  Werben 
des  Junglings,  wie  es  die  erotische  Dichtung  der  Zeit  zu  schildern 
liebt,  konnte  der  Wirklichkeit  des  Lebens  schwerlich  nachge- 
bildet sein.  Die  Poesie  einer  solchen  Bewerbung  fand  beider 
griechischen  Sitte  einer  Verlobung  durch  die  VHter  gar  keine 
Stelle.  Es  ist  sehr  bezeichnend,  dass  in  den  zahlreichen  Be- 
trachtungen griechischer  Dichter  jund  Moralphilosophen ^  auch 
der  hellenistischen  Zeit,  über  die  Brautwerbung,  w  ie  sie  Stobäus 
im  70.,  71.  und  72.  Capitel  seiner  »Blumenlese«  angehäuft  hat, 
unter  allen  übrigen  Motiven  der  Wahl  nie  von  der  Liebe  als 
der  Heirathstifterin,  desto  öfter  aber  von  der  unüberlegten  Wahl 
einer  völlig  Unbekannten  die  Bede  ist*). 

Niemand  wird  so  thöricht  [sein,  an  dem  Vorhandensein 
reiner  und  starker  Liebe  im  griechischen  Leben  der  damaligen 
Zeit  zu  zweifeln.  Nur  dass  diese  sich  ihre  Bechte  auch  in  den 
Einrichtungen  des  bürgerlichen  Lebens  errungen  habe,  ist  schlecht- 
hin unbeweisbar.  Wenn  nun  (also  die  Liebe  in  der  Dichtung 
dieser  Periode  eine  so  wichtige  Stelle  einnimmt,  und  zwar  eine 
Liebe  2)  ,  die  von  der  sinnlichen  Gebundenheit  der  alten  Zeit  in 
die  reinere  [Höhe  (mächtiger,  zuweilen  fast  schwärmerischer 
Empfindung  sich  aufzuschwingen  strebt,  so  wird  man  dies  aus- 
einer  Bückwürkung  der  veränderten  LebenszustUnde  eben  nicht 
erklären  können,  aber  auch  nicht  allein  aus  dem  Zwange  einer 
ja  jedenfalls  nicht]  ohne  Grund  entstandenen  Moderichtung^ 
sondern  aus  einem  neuen  Zuge,  der  sich  in  jener,  von  kräftigeren 


i)  So  auch  Theophrast  a.  0.  p.  489  §  50:  — sola  uxor  non  ostenditur^ 
ne  ante  displiceat  quam  ducalur.  —  Es  ist  wirklieb  schon  eine  Ausnahme» 
wenn  einmal  (bei  Stoböus  fl.  LXXXV  8)  von  einer  aus  gegenseitiger  Nei- 
gung  geschlossenen  Ehe  die  Rede  isU  —  Nach  einer  feinen  Bemerkung  von 
Lehrs  Popul.  Aufs.  p.  93  f.  haben  die  Griechen  gar  keinen  Ausdruck,  der 
dem  deutschen  »Braut«  entspräche;  das  Wort  fehlt  ihnen,  weil  sie  eigent- 
lich jenen  so  lieblichen  Mittclzustand  zwischen  Mädchen  und  junger  Frau 
gar  nicht  kennen. 

2)  Schon  der  SokraUker  Euklides  stellt  (bei  Hermias  ad  Piaton.  Phaed. 
p.  312)  die  einigermaassen  verstiegene,  jedenfalls  durchaus  nicht  alt- 
griechische Meinung  auf:  «piXfa;  civai  tov  i^oiTOL  xcii  o'J%  a>.Xou  tiv6;  (itapa- 
cxEuaaTiTtöv),  xaxa  TjfA^eßtjx^;  S£  xtva;  ixTr^TiTetv  ei;  dcppoolöia:  in 
welcher  Theorie  ihm  dann  der  Stoiker  Zeno  folgte:  Athen.  XÜI  561  C  (s. 
dazu  Meineke,  Anal.  crit.  in  Ath.  p.  359;. 


—     71     — 

Interessen  weniger  bewegten  Zeit  ^) ,  einstweilen  noch  nicht  des 
Lebens,  aber  wenigstens  der  Sehnsucht  dieser  Menschen  be- 
mächtigt hatte.  Man  wird  auf  diese  Sehnsucht  als  auf  ein  sehr 
beachtenswerthes  Symptom  einer  innerlichsten  Veränderung  der 
alten  griechischen  Natur  hinweisen  dürfen,  wenn  man  auch  dns 
immer  gefährliche  Experiment  der  Erklärung  einer  solchen 
Veränderung  in  der  Empfmdungsweise  eines  Volkes  nicht  wagen 
mag.  Die  Incongruenz  zwischen  einer  beschränkten  und  harten 
Wirklichkeit  und  einer  nur  phantastischen  Freiheit  und  Stärke 
des  Geftlhls  darf  uns  hier  nicht  mehr  verwundem,  als  z.  B. 
bei  den  orientalischen  Dichtern  des  Mittelalters,  die  mitten 
unter  den  unwtlrdigsten  Verhältnissen  der  Frauen  die  Pracht 
und  den  Duft  ihrer  Liebespoesie  aufblühen  Hessen  2; ,  oder  als 
in  den  Zeiten  der  deutschen  Minnesänger,  wo  sich  eine  über- 
schwängliche  poetische  Weiberverehrung  mit  einer  sehr  einge- 
schränkten Stellung  der  Frauen  im  wirklichen  Leben  vertragen 
konnte.  Ist  doch  das  rechte  Element  gerade  der  sentimentalen 
Poesie  die  Sehnsucht  nach  dem  nicht  Vorhandenen. 

War  aber  eine  solche  Empfindung  in  den  griechischen  Herzen 
erw^acht,  so  braucht  es  für  die  Angehörigen  der  modernen  Cultur- 
entwickelung  am  Wenigsten  einer  Erklärung,  warum  der  helle- 
nistische Dichter,  dem  die  heroischen  Sagen  der  Vorzeit  nicht 
mehr  waren,  alsHecuba  dem  Hamlet,  während  ihn  das  mechanische 
Gesammtleben  seiner  Gegenwart,  und  auch  wohl  die  Engbrüstig- 
keit seines  eignen  Talentes,  mit  der  Poesie  der  grossen  männ- 
lichen Leidenschaften  des  lebendigen  Lebens  nicht  erfüllen 
konnte,  seine  Vorliebe  ganz  besonders  den  Schilderungen  jener 
Einen  Leidenschaft  zuwandte,  die  auch  in  einer  ganz  zersplitterten 
Zeit  den  Einzelnen   —  in   der  Wirklichkeit  oder  selbst  nur  in 


1)  'Epoo;  Y^P  ^91^'^  ^^'^i  '^o'^^  apT^U  2'f'J:  Eurip.  fr.  3J4.  Beö'fpaoro;, 
i^ioTrfitU  tI  ^oTiv  Jpooc,  Tzd^oi.  ecpTj  ^'r/j^i  oy oXaCouoT); :  Stobaeus,  Flor.  LXIV  29 
(vgL  Libaaius  vol.  IV  p.  ii2ä  ff.  Breite  Ausführung  eines  analogen  Gc- 
daokens  bei  Ovid,  Rem.  am.  135  ff.  So  ist  offenbar  auch  die  etwas  schroff 
an  das  übrige  Gedicht  herangeschobene  Strophe  des  Catull  51,  4  3  ff.  ge- 
meint;. 

2}  »Fast  jedes  lyrische  Gedicht  der  persischen  Poeten  besingt  Liebe, 
Wein  und  Blumen,  und  doch  ist  Liebe  im  Sinne  der  Dichter  äusserst  selten, 
der  Wein  durch  das  Religionssystem  verpönt,  und  ein  Blumenflor,  mit  Aus- 
nahme der  Rosen  zur  Zeit  des  Frühlings,  kaum  in  Persien  zu  finden«. 
J.  E.  Polak,  Persien  II  p.  268. 


—     72     — 

einer  jugendlichen  Wallung  seiner  Phantasie  —  wenigstens  ein- 
mal im  grauen  Nebel  seines  Lebens  die  sonnige  Poesie  eines 
kurzen  Frühlingstages  empfinden  lässt. 

10. 

Merkwürdig  ist  es  nun,  zu  sehen,  auf  welchem  Wege  jene 
hellenistischen  Dichter  allmählich  zu  der  ausgebildeten  Kunst 
der  erotischen  Erzählung  gelangten.  Diese  Kunst  steht 
offenbar  in  der  Mitte  zwischen  dem  dichterischen  Vermögen  des 
lyrischen  und  dem  des  epischen  Dichters,  an  beiden  theilhabend; 
und  so  nahm  sie  denn  auch  ihren  Ausgang  von  einer  Gattung 
der  Lyrik,  welche  zu  einer  Aufnahme  epischer  Elemente  vor 
allen  andern  geschickt  war,  von  der  Elegie.  Schon  in  den 
dürftigen  Ueberresten  der  Elegien  des  Mimnermus  finden  sich 
hin  und  wieder  Andeutungen  eines  erzählenden  Inhalts,  wenn 
auch  nicht  erotischen  Stoffes  i).  Eine  innigere  Verbindung  gingen 
Lyrik  und  epische  Erzählung  in  dem  elegischen  Gedicht  des 
Antimachus  ein,  in  welchem  dieser,  den  Tod  seiner  Geliebten 
Lyde  beklagend,  durch  einen  Hinblick  auf  das  allgemeine  Menschen- 
loos  sich  zu  trösten  suchte,  und  diesen  Trost  in  der  Erzählung 
einer  langen  Reihe  von  »traurigen  Ereignissen  aus  der  Ueroen- 
zeil«  fand,  unter  denen  die  Fahrten  des  Jason  und  der  Argonauten 
einen  breiten  Raum  eingenommen  zu  haben  scheinen 2).  Er 
handhabte  aber,  so  scheint  es,  diese  elastische  Form  einer 
Verknüpfung  elegischer  Betrachtung  und  epischer  Darstellung  sehr 
willkürlich  und  ungeschickt ,  indem  er  sich  tausend  Veran- 
lassungen schuf,  vom  geraden  Wege  abzubiegen ^  und  alle  neben- 
sächlichen Bezüge  der  gerade  erwähnten  Personen  und  Ereignisse 
auf  das  Umständlichsie  zu  verfolgen  3j .     Diese  Ueberfülle  schlecht 


1;  Erzählenden  Inhaltes  sind  Fr.  9.  40.  M.  49.  2i.  22  (Bergk.).  Ero- 
tischen StofT  könnte  man  höchstens  in  Fr.  21  erkennen  (zu  welchem  man 
vgl.  Weicker,  Ep.  Cycl.  II  357,. 

2i  Von  der  Aufzählung  der  tjpoiixotl  9u{Acpopa(  bei  Antimachus:  Plutarch 
cons.  ad  Apoll.  9.  —  Argonautenfahrt:  Fr.  7 — ik  (vgl.  dazu  namentlich 
Stoll,  Antim.  rell.  p.  78).  Ausserdem:  Bellerophon,  Fr.  15;  Geschichte  des 
Adonis?  s.  Bergk,  P.  lyr.  ed.  III  p.  644. 

3j  Nicht  die  Umständlichkeit  im  Allgemeinen,  sondern  gerade  den  oben 
bezeichneten  Fehler  des  endlosen  Ahschweifens  scheint,  als  einen  dem  Ant. 
eigenen,   Plutarch  bezeichnen   zu  wollen,    wenn   er    (de  garrul.  24)   einen 


—     73    — 

vertheilt^n  Stoffes  war  es  auch,  die  dem  Antimachus  die  bekannte 
ungünstige  Censur  des  Kaiiimachus  zuzog  ^) .  Gleichwohl  gewann 
er  gerade  mit  seiner  »Lyde«  den  bedeutendsten  Einfluss  auf  die 
elegische  Dichtung  der  hellenistischen  Zeit,  nicht  nur  als  bedenk- 
liches Vorbild  jener  dichterisch  ganz  unlebendigen  Art,  die  sich 
in  einer  gelehrten  »Abweichung  von  dem  Gewöhnlichen «^j ,  im 
Aufsuchen  »unbetretener,  andern  Dichtern  unbekannter  Pfade« 
gefilllt^),  sondern  vor  allem  als  der  eigentliche  Begründer  jenjer 
Kunst  einer  lyrischen  Erzählung,  richtiger  vielleicht,  einer 
erzählten  Lyrik,  wie  sie,  im  vollen  Gegensatz  zum  reinen  Epos 
der  alten  Zeit,  von  den  alexandrinischen  Dichtem  eifrig  aus- 
gebildet wurde,  und  seitdem,  genau  betrachtet,  nie  wieder  ganz  ' 
unterging,  bis  sie  in  neuerer  Zeit  fast  die  alleinige  Herrschaft 
in  unsrer  gesammten  Poesie  errungen  hat. 

Die  Hlt^ten  alexandrinischen  Efotiker  sehen  wir  durchaus 
auf  den  Bahnen  des  Antimachus  weitergehn.  Philetas,  der 
eigentliche  Archeget  der  specifisch  hellenistischen  Dichtung,  der 
Lehrer  des  Ptolemäus  Philadelphus,  als  Haupt  einer  poetischen 
und  grammatischen  Schule^)  hoch  angesehen,  gewann  doch 
seinen  höchsten  Ruhm  als  elegischer  Dichter;  mit  Kaiiimachus 
zusammen  hob  ihn  die  feststehende  ästhetische  Schätzung  des 
Alterthums  aus  der  grossen  Schaar  hellenistischer  Dichter  ver- 
wandter Richtung  als  Muster  und  Vorbild  hoch  empor.  Die 
Art  seiner  Dichtung  lassen  selbst  die  spärlichen  uns  erhaltenen 
Trümmer  noch    deutlich   genug   erkennen.      Sie    war   offenbar, 


wortreichen  Schwätzer,  der  sich,  ä  propos  des  bottes,  vom  Hundertsten  ins 
Tausendste  verliert,  gerade  von  der  Leetüre  des  Antimachus  herkommen 
last. 

1)  A60T,  xal  Trayu  Yf'C^M-P-a  *<»'i  o'^  xopöv  fr.  74  b  Sehn.  (444  Blomf.j;  tu- 
midus  ADtimacbus  Catull  95. 

2/  'AvTijxaj^o;  (d^p<iviiaev)  —  xoO  ouvrjftou;  tt^;  dfoXXaYij;  Dionys.  Halic. 
vet.  Script,  cens.  II  3. 

3)  Antipater  Thessalonic.  anth.  Pal.  VII  409,  5  (ortyov  aiveoov  'Avti- 
\ut/oio)  ei  Töv  äxpiTzos  xoti  dvIp-ßaTov  (jTpairov  aXXoic  fjiateai.  —  Charakteristisch 
für  die  Geschmacksrichtung  der  hellenistischen  Poeten  ist  auch  die  Reihen- 
folge der  Trinksprüche*  die  Posidippus  anth.  XII  468  ausbringt:  zuerst 
llimDermus  und  Antimachus,  dann  Posidippus  selbst  und  jeder  glücklich 
Liebende,  dann  Hesiod,  zuletzt  erst  Homer.  —  Man  las  jedenfalls  die  »Lyde« 
sehr  eifrig:  tU  oux  divc>i£aTo  A6oir)v;  Asclepiades  anth.  IX  63. 

4)  Philetas  wird  als  Lehrer  des  Grammatikers  Zenodot,  des  Dichters 
Theokrit  genannt. 


—     74     — 

nach  der  Weise  des  Anliniachus,  mehr  erzählend  als  rein  lyrisch  ^] ; 
ein  Fragment  wenigstens,  in  weichem  von  dem  W'ettiauf  des 
Hippomenes  und  des  Atalante  die  Rede  ist,  deutet  auf  die  Ein- 
flechlung  erotischer  Erzählungen  hin ^u  Dass  er,  ähnlich  wie 
Antimachus,  solche  lyrische  Erzählungen  wie  ausgeführte  Beispiele 
in  enger  Beziehung  auf  die  eigne  Empfindung  vorgetragen  habe, 
liisst  die  Zusammenstellung  seiner  »Battis«  mit  der  ))Lvde((  des 
Antimachus  hei  Ovid  (Trist.  I  6,  1  ff.)  vermuthen.  Eine  ähnliche 
Verschlingung  des  Sagenhaften  und  des  persönlichen  Gefühls 
versuchte  vielleicht  der  Dichter  in  einem,  nach  seinem  Vater 
»Telephus«  genannten  Gedichte,  in  welchem  z.  B.  die  Hochzeit 
des  Jason  und  der  Medea  erzählt  wurde  ^]  .  Einen  noch  barockeren 
und  willkürlicheren  Rahmen  darf  man  bei  einem  hexametrischen 
Epyllion  des  Philetas,  des  Titels  «Hermes«  voraussetzen,  in 
welchem,  wie  es  scheint,  <iie  Abenteuer  des  Odysseus  erzählt 
wurden,  und  zwar  ganz  in  jenem  modernen  Geschmack  romantisch 
ausgeschmückt:  so  hatte  z.  B.  der  Dichter  dem  im  Palaste  des 
Aeolus  verweilenden  klugen  Dulder  ein  heimliches  Liebesbünd- 
niss  mit  dessen  Tochter  Polymele  angedichtet**). 

Entschiedener  noch  als  der  Meister  w  endete  sich  sein  Freund 
und  Schüler  Hermesianax  von  Kolophon  der  Ausbildung  ero- 


]  Auf  erzählenden  Inhalt  weisen  fr.  U.  48.  22  (dieses  freilich  zweifel- 
haft: s.  Bcrgk,  Anthol.  lyr.  ed.  II  p.  VI;  28  (ebenfalls  zweifelhaft:  s.  Mei- 
neke,  Anal.  Alex.  p.  4  20)  ed.  Bach. 

2)  Fr.  45  (aus  der  Fabel  von  Atalante,  Tochter  des  Schoeneus,  und  Hip- 
pomenes, welche  Ovid  met.  X  560  ff.  Hygin  f.  4  85  erzählen.  Bach,  Phi- 
letae  rel.  p.  50  f.  mischt  ganz  verkehrt  die  durchaus  verschiedene  Sage 
von  .\t.  und  Milanion  ein]. 

3]  (PiXr^Tä;  is  Tt,X^^<i)  is  tq  tou  AXxiv«5o'j  olx(^  [i6s  *(di».os  xou  lioovoc 
xal  Tf,;  MrfieifiQ  YCfevf^aOat  cpr,aiv).  Schol.  Apoll.  Rhod.  IV  4  4  44.  ^iX.  6 
TtjX^^ou  Bach  p.  60,  mit  unnöthiger  Aenderung :  TifjXecpo«  ist  der  vom  Vater 
des  Ph.  genommene  Titel  des  Gedichts,  wie  J.  G.  Schneider  ganz  richtig 
erkannte.  Dichtungen  nach  den  Freunden,  an  die  sie  gerichtet,  oder  deren 
Andenken  sie  geweiht  waren,  zu  betiteln,  war  eine  beliebte  Sitte  der  hel- 
lenistischen Dichter :  eine  Anzahl  sonst  räthselhafler  Gedichltitel  erklört  auf 
diese  Weise  Meineke,  Anal.  Alex.  p.  46.  So  schrieb  Parthenius  von 
Chios  ein  Gedicht  cic  öcoropa  tov  ia-jToü  irat^pa  (Suidas;  ohne  Nolh  künst- 
lich gedeutet  von  Welcker,  Ep.  Cycl.  1250).  —  Uebrigens  darf  man  diesen 
Tclephus  nicht  mit  dem  viel  späteren  Grammatiker  Telephus,  dem  Per- 
fiamener  verwechseln  (wie  z.  B.  Villoison,  Schol.  Iliad.  p.  XXVIII  thut). 

4;  Parthen.  2.  Im  Uebrigen  vgl.  über  Form  und  Inhalt  des  'F'^pfA-fj;, 
.Meineke,  Anal.  Alex.  p.  848 — 51. 


—     75     — 

tischer  Erzählungskunst  zu^;.  In  den  Resten  seiner  in  drei 
Bücher  getheilten  Elegien,  die  er  nach  seiner  Geliebten  Leon- 
tium  benannte,  verrUth  uns  nichts,  dass  Hermesianax  sich,  nach 
rein  lyrischer  Art,  in  der  Schilderung  eigner  Empfindung  er- 
gangen habe;  vielmehr  knüpfte  er,   so  scheint   es,    die  Liebes- 


1  OiXo;  xal  YV(6pt}j.o;  des  Philetas  heisst  Hermesianax  bei  Schol.  Nie. 
Ther.  S.  Dass  er  dieses  nicht  sein  konnte,  dass  er  namentlich  den  Phile- 
tas nicht  als  einen  bereits  so  berühmten  und  hoch  gefeierten  Dichter  dar- 
stellen konnte,  wie  er  es  doch  thatsächlich  in  seinem  Gedichte  thiit,  wenn 
er  wirklich  dieses  Gedicht  (die  »Leontion«)  vor  3  02  abschloss,  hat  Bach 
p.  91  richtig  erkannt.  Dass  er  aber  sein  Gedicht  vor  302  vollendet  haben 
müsse,  schliesst  man  im  Anschluss  an  PausaniasI9,  8,  aus  seinem 
Stillschweigen  über  die  Verlegung  von  Ephesus  und  die  damit  verbundene 
Zerstörung  der  Städte  der  nach  Ephesus  versetzten  Lebedier  und  Kolo- 
phonier  durch  Lysimachus.  So  namentfich  Hertzberg  in  Prutzcns  Litt. 
Taschenbuch  4  846  p.  ibi  f.,  der  aber  Bachs  Einwendungen  nicht  im  Ge- 
ringsten entkräftet  hat.  Bachs  Gründe  bleiben  übrigens  in  voller  Kraft, 
ohne  dass  man  den  immerhin  misslichen  Ausweg  einer  gänzlichen  Verwer- 
fung der  Argumentation  des  Pausanias  einzuschlagen  brauchte.  Sehr  vor- 
eilig nämlich  haben  Bach  und  Hertzberg  jene  Verlegung  von  Ephesus  in 
das  Jahr  302  gesetzt.  Diodor  XX  107,  auf  den  sie  sich  berufen,  erzählt 
iKohl  von  der  Einnahme  von  Ephesus  durch  Prepelaus,  des  Lysimachus 
Feldherrn  im  Jahre  302,  auch  von  einer  gütlichen  Unterwerfung  der  Kolo- 
phonier,  aber  mit  keinem  Worte  von  jener  Umsiedelung  der  ganzen  Stadt 
Ephesus  (d.  h.  von  ihrer  Verlegung  aus  der  Niederung  in  die  Gegend  am 
Pion  und  Koressus:  E.  Curtius,  Abb.  der  Berl.  Akad.  h.  phil.  Gl.  1872 
p.  24  ff.),  zu  welcher  auch  damals  wahrlich  keine  Zeit  war.  Wann  diese 
Umsiedelung  stattfand,  ist  bis  jetzt  nirgends  näher  untei-sucht  (auch  Cur- 
tius  macht  keine  Andeutung  darüber):  einiger  Anhalt  zu  einer  genaueren 
Bestimmung  liegt  in  der  Angabe  des  Strabo  XIV  p.  640  und  Stephanus 
Byz.  s.  ''Ecpeooc  (den  Eustathius  zu  Dion.  Perieg.  828  p.  363,  16  fT.  Müller 
nur  abschreibt),  dass  Lysimachus  die  von  ihm  neugegründete  Stadt  Arsinoe 
benannt  habe,  nach  seiner  Gemahlin  Arsino^,  der  Tochter  des  Ptolemäus 
Lagi.  Diese  Arsinoe  heirathete  Lysimachus  ungefähr  im  Jahre  299  oder 
298:  denn  bei  Plutarch,  Demetr.  31  liest  man,  dass  »nicht  lange  Zeit«  nach 
dem  Abfall  Athens  von  Demetrius  (300)  Seleucus  um  die  Stratonice  freite 
irei  *ai  Auoifxciyov  etupa  twv  ÜToXefxaio'j  Ou^aTlficuv  rf^v  \kh  dauxi»  tt,v  hk  (die 
Lysandra)  toj  uuji  XatAßdvovTa.  Das  Praesens  beweist  die  Gleichzeitig- 
keit dieser  Werbungen.  Hierzu  stimmt  sehr  wohl  (worauf  A.  von  Gut- 
scbmid  mich  aufmerksam  zu  machen  die  Güte  hatte,  dessen  Worte  ich 
niitzutheilen  mir  wohl  erlauben  darf;  »das  Alter  der  von  Ptolemäus  Kerau- 
»nus  280  ermordeten  Sühne  der  Arsinoii,  des  16jährigen  Lysimachus  und 
»des  13jährigen  Phllippus  (Justin.  XXIV  3,  5);  von  einem  anderen  Sohne 
»Ptolemäus,  der  in  demselben  Jahre  als  mit  Ptolemäus  Keraunus  Krieg 
»führend  erscheint  (Trogus  prol.  24),  also  sicher  älter  als  jene  Beiden  ge- 


—     76     — 

ahonteuer  der  Vorzeil  an  das  »Glück  der  uüchsten  Nahe«,  die 
schöne  Geliebte,  nur  dadurch  an,  dass  er,  im  lieblichen  Ge- 
plauder, eben  an  dieser  die  wechselnden  Gestallen  der  Einen 
Leidenschaft,    die    auch   sie   vereinigte,    in  bunten   Geschichten 


«Nvesen  ist,  war  die  Mutler  vergeblich  gewarnt  worden  (Justin.  1.  I.  i,  4a). 
»Es  liesse  sich  der  Ausdruck  filius  (bei  Justin)  zur  Noth  auch  auf  einen 
»Stiefsohn  deuten;  aber  der  Name,  in  dem  sich  der  von  Arsinoi^s  Vater 
uPtolemäus  wiederholt,  macht  die  buchstäbliche  Beziehung  auf  einen  leib- 
»liehen  Sohn  ungleich  wahrscheinlicher.  Dann  war  er  spätestens  297  ge- 
nboren; folglich  hat  die  Arsinoö  den  Lysimachus  spätestens  298  geheiralhetc 
(Die  Arsinoc*,  Tochter  des  Lysimachus,  mit  welcher  Ptolemöus  Philadelphus 
in  erster  Ehe  verheirathet  war  [Schol.  Theoer.  4  7,  428],  wird  wohl  auch 
aus  dieser  Ehe  des  Lysimachus  stammen).  —  Vor  800,  rcsp.-299  kann 
also  die  Umsiedelung  von  Ephesus  nicht  stattgefunden  haben.  Ich  glaube 
aber,  man  hat  noch  eine  beträchtliche  Strecke  weiter  herunterzusteigen. 
Zu  einem  so  weitläuftigen  Unternehmen,  wie  es  die  Verlegung  einer  grossen 
Stadtgemeinde,  die  Einrichtung  eines  neuen  Wohnplatzes,  die  Ummauerung 
der  neuen  Stadt  ist,  wird  Lysimachus  kaum  auch  nur  den  Plan  gefasst 
haben,  bevor  er  Ephesus  und  die  benachbarten  Städte  in  einigermaassen 
sicherem  und  Dauer  versprechendem  Besitze  hatte.  Eines  derartig  unge- 
störten Besitzes  dieser  Städte  konnte  er  aber,  so  viel  ich  sehe,  sich  vor 
dem  völligen  Sturze  des  Demetrius  (287,  nicht  erfreuen.  Die  erste  Erobe- 
rung von  Ephesus  im  Jahre  802  kann  nur  eine  ganz  vorübergehende  ge- 
wesen sein :  denn  nach  der  Schlacht  bei  Ipsus  floh  Demetrius  gerade  dort- 
hin: Plutarch,  Dem.  30;  und  dass  er  in  den  nächstfolgenden  Zeiten  seine 
Herrschaft  in  jenen  Gegenden  befestigt  haben  muss,  beweist  die  Erzählung 
des  Plutarch  .Dcmetr.  35),  dass  (kurz  vor  der  Einnahme  Macedoniens  durch 
Demetrius  29^)  Lysimachus  ihm  »die  Städte  in  Asien«  entrissen  habe,  die 
er  also  bis  dahin  besetzt  gehalten  hatte.  Mit  Recht  zählt  Droysen,  G.  d. 
Hell.  I  572  zu*diesen  asiatischen  Städten  auch  Ephesus :  ob  aber  [wie  Guhl, 
Ephesiaca  p.  60  bestimmter  behauptet ,  als  Droysen  selbst)  gerade  in  diese 
Zeit  die  ümlegung  der  Stadt  zu  setzen  sei,  ist  mir  sehr  zweifelhaft.  Die 
asiatischen  Städte  müssen  nämlich  [vermuthlich  während  der  für  Lysi- 
machus so  höchst  unglücklichen  Kriege  gegen  die  Gelen)  noch  einmal  an 
Demetrius  verloren  gegangen  sein.  Denn  in  einer  Notiz  desTrogus  (Prol.  XVI), 
auf  welche  mich  wiederum  Gutschmid  aufmerksam  gemacht  hat,  liest  man, 
dass  Lysimachus  —  missus  a  Dromichaete  rursus  in  Asia  civitates,  quae 
sub  Demetrio  fuerant,  et  in  Ponto  Heracleam  occuparit.  Die  Zeit  der  Ein- 
nahme von  Hcraklea  steht  (wie  Gutschmid  hervorhebt]  sicher  durch  Dio- 
dor  XX  77,  nach  welchem  die  Söhne  der  Amastris,  Oiathres  und  Klear- 
chus  IL,  welche  eben  von  Lysimachus  entthront  und  getödtel  wurden  f.Mem- 
non  p.  581  Ml.)>  von  806  an  il  Jahre,  also  bis  289  regierten.  Jene  Ein- 
nahme der  asiatischen  Städte  fällt  also  zwischen  den  Getenfeldzug  des 
Lysimachus,  292  und  das  Jahr  289:  und  ich  sehe  keinen  Grund,  aus  wel- 
chem man  diese  Nachricht  desTrogus  vei  werfen  oder  einschränken  müsste. 


—     77     — 

vorüberführte  ^) .  Der  ordnende  Gedanke,  welcher  so  mannich- 
faltifze  Legenden  zur  Einheit  verbinden  mochte,  lässt  sieh  we- 
nigstens aus  den  Ueberresten  nicht  mehr  errathen.  Im  ersten 
Buche  hatte  der  Dichter  die  seit  der  geistreichen  Behandlung 
des  Dithyrambikers  Philoxenus  so  berühmt  gewordene,  von  den 
alexandrinischen  Dichtern  in  die  Wette  ausgebildete  2)  sicilischo 

Auch  damit  aber  war  Lysimachus  noch  nicht  in  dem  Besitze  dieser  Städte 
t>efestigt:  denn  als  Demelrius  287,  aus  Macedonien  vertrieben,  nach  Asien 
eilte,  Auaifidyo'j  Kaplav  xal  AuMav  diroor/joov  (Plutarch,  Demetr.  ♦ö)  unter- 
warf er  abermals,  mit  Gewalt  und  in  Güte,  viele  der  kleinasiatischen  Stödte 
(Plut.  ibid.])  die  dann  freilich  wohl  alsbald  dem  nachrückenden  Agathokles 
wieder  in  die  Hände  fielen.  Ephesus  wird  nicht  besonders  genannt  (denn 
die  Erzählung  von  dem  Verrath  dieser  Stadt  an  Lycus,  den  Feldherrn  des 
Lysimachus  bei  Polyacn.  V  49,  Frontin  III  3,  7  mit  Droysen  I  620  gerade 
hierher  zu  ziehen,  ist  kein  ausreichender  Grund  vorhanden) ;  soviel  ist  aber 
nun  wohl  klar,  dass  die  zur  Ausführung  des  grossen  W^erkes  der  Umsiede- 
lung erforderliche  Ruhe  und  Sicherheit  des  Besitzes  vor  287  überhaupt  nicht 
vorhanden  war.  Nachdem  erst  der  ärgste  Störenfried,  Demetrius,  unschäd- 
lich gemacht  war,  konnte  eher  an  ein  so  bedeutendes  Unternehmen  ge- 
dacht werden ;  es  ist  mir  wahrscheinlich  genug,  dass  dasselbe  ei^t  in  die 
letzte  Periode  des  Lysimachus,  zwischen  287  und  284,  falle.  Dass  in  dieser 
Zeit  gerade  Ephesus  im  ungestörten  Besitze  des  Königs  blieb,  geht  wohl 
auch  aus  der  Thatsache  hervor,  dass  Arsinoö,  des  Lysimachus  Gemahlin, 
nach  seinem  Tode  bei  Kurupedion  gerade  nach  Ephesus  flüchtete:  Polyaen. 
VIII  57  (freilich  vertrieben  sie  die  Anhänger  des  Seleucus  ;  und  bei  dieser 
Gelegenheit  wird  auch  wohl  der  aufgedrungene  Name  der  Neustadt  wieder 
abgeworfen  worden  sein;  s.  Sleph.  ßyz.  1.  l.J.  —  Für  Hermesianax  würde 
nun  nur  so  viel  aus  dem  vielleicht  gar  nicht  unberechtigten  argumentum 
ei  sileotio  des  Pausanias  zu  folgern  sein,  dass  er  vor  287  (und  vcrmuth- 
Mcb  kurz  vor  287)  sein  Gedicht  herausgab.  Und  damals  konnte  er  ja 
freilich  schon  recht  wohl  den  grossen  Ruhm,  seines  Lehrers  und  Freundes 
Philetas  preisen. 

1)  Dass  Hermesianax  seine  Erzählungen  direct  an  Leontium  richtete, 
zeigen  in  dem  grossen  Fragment  des  dritten  Buches  V.  49:  ^v^ihz-iZi^,  75: 
oioda,  73:  Yi'pti^o^eu  itouaa. 

2)  Ausser  von  Bion  und  Theocrit  auch  von  Callimachus  in  einem  Epyl- 
lion  raXaxda  (auch  in  Komödien  des  Nicochares,  Alexis,  Apollodorus  [Mei- 
oeke,  com.  I  254.  390.  467]).  Danach  denn  zahlreiche  römische  Dichter. 
S.  0.  Jahn,  Archäol.  Beitr.  p.  kW  ff.  Die  Verse  des  Callimachus  bei 
Athen.  VIII  284  C,  worin  eine  Anzahl  Seethiere  aufgezählt  werden,  versteht 
Meineke  zu  Theocrit  XI  56  p.  281  (ed.  3)  von  Gaben,  die,  der  Cyklop  von 
der  Galatea  verlange  (ganz  anders  freilich  Schneider,  Callim.  II  p.  164). 
Wie  konnte  er  das,  wenn  sie  ihm  nicht  entgegengekommen  war?  Sollte 
also  die  seltenere,  aber  bei  Nonnus  (Jahn  p.  413,  8)  und  auf  Wandbildern 


—     7S     — 

Sage  von  der  Liebe  des  Pohphem  zur  Galalea  erzahlt:  vermulh- 
lich  in  der  Nachbarschaft  dieser  Letzende  stand  eine  ErzHhlung 
von  der  ungltlcklichen  Liebe  des  Menaleas  in  Chalcis  auf  Euböa, 
der  sich,  von  der  schönen  Euippe  (wie  es  scheint,  einer  Quell- 
nymphC/   verschmäht,  vom  Felsen  sttlrzte  *) .     Im   dritten   Buche 


(s.  Heibig,  S\  inb.  phil.  Bonnens.  p.  363  f.  deutlich  vorausgesetzte  Version 
von  einem  zärtlichen  Einverständniss  des  Pol.  und  der  Gal.  auf  Callimachus 
zurückgehen? 

1;  Von  der  Liebe  des  Menaikas  zun)  Daphnis  Scholia  (»vetcra»  nach 
Ahrens)  Theocrit.  VllI  35,  mit  dem  Zusätze,  Hermesianax  lege  dieses  Liebes- 
hiindniss  nach  Euböa.  Wie  kommt  aber  Daphnis  nach  Euböa?  Er  >\ar 
zwar  auch  in  andererf  griechischen  Landschaften  ausser  Sicilien  localisirt 
{vgl.  MeinekCy  Anal.  Alex.  p.  250  ,  aber  nach  Euböa  versetzt  ihn  sonst 
Niemand.  Es  sieht  hun  doch  auch  genau  wie  die  Verbesserung  eines  Irr- 
thums  dieses  Scholiasten  durch  einen  anderen  aus,  wenn  es  in  dem  Ar- 
gumentum zu  Theokrits  neunler  Idylle  heisst:  ouoen  oi  lyet  rpo;  tov 
Miva/.xav  toOtov  (des  Theokrit;  ^vti  ^ixeXov  td  uttsj)  MenoIXxo'j  XaXxioeai;, 
öv  cpr^aiv  'EpfXTjaiava;  tpiaf^^vai  Tf^;  Ku^Tj^ala;  EuCtttit^;,  xal  oid  t6  \^.T^  drirj^- 
yav£iv  ajTT,;  xataxpTjjjivioiHivai.  Denn  wenn  doch  Daphnis  mit  Menaikas 
dem  EuböiM*  :aus  Chalcis  auf  Euböa)  im  Liebesbündniss  dargestellt  wurde 
von  Hermesianax,  wie  der  Scholiast  zu  id.  VIII  55  behauptet,  so  hatte  jener 
Menaikas  ja  allerdings  mit  dem  Menaikas  des  Theokrit  etwas  gemein,  näm- 
lich gerade  die  Liebe  des  Daphnis.  ja  es  war  ganz  dieselbe  Figur,  die  nur 
nach  Euböa  versetzt  war.  Aber  eben  dies,  die  Liebesgemeinschaft  des  Me- 
n.dkas  bei  Hermesianax  mit  dem  Daphnis,  von  der  jener  Scholiast  geredet 
halte,  will  der  Verfasser  des  Argumentum  vermuthlich  in  Abrede  stellen. 
Es  ist  ja  auch  glaublich  genug,  dass  der  Scholiast  zu  VIII  55,  da  er  von 
einem  bei  Hermesianax  vorkommenden  auf  Euböa  lebenden  Menaikas  ge- 
lesen halte,  nun  auch,  mit  irrthümlichem  Schluss,  dorthin  den  Hermesianax 
des  Menaikas  Liebesbündniss  mit  Daphnis  verlegen  Hess.  In  Wirklich- 
keit also  erzählte  wohl  Hermesianax  gar  nichts  von  einem  Liebesbündniss 
des  Daphnis  mit  dem  euböischen  Menaikas,  dem  unglücklichen  Liebhaber 
der  Euippe,  der  also  wirklich,  wie  der  Verf.  des  Argumentum  behauptet, 
gar  nichts  mit  dem  Theokritischen  Menaikas  zu  thun  hatte  (so  wenig  wie 
etwa  mit  jener  alten  Sagengestalt  gleichen  Namens,  die  uns  schon  oben  in 
dem  Volksiiede  von  der  Liebe  der  Eriphyle  begegnet  ist).  Verhält  sich 
übrigens  die  Sache  so,  so  bleibt  dem  Hermesianax  der  schätzenswerthe 
Vorzug  bewahrt,  aus  seinem,  noch  dazu  an  ein  geliebtes  Mädchen  ge- 
richteten Gedichte  die  Knabenliebe,  von  welcher  die  übrigen  Fragmente 
keine  Spur  zeigen,  fern  gehalten  zu  haben.  (K'jpr^va(a  heisst  die  Euippe  in 
dem  Argumentum.  Wie  kommt  aber  eine  Cyrenäerin  zu  euböischen  Hir- 
ten? Cod.  K.  schreibt  xprjvaia;.  Ist  also  die  Euippe  des  Hermesianax 
[im  Namen  der  hesiodeischen  Hippo  u.  a.  Nymphen  verwandt]  etwa  eine 
v6fx?pT^  xpr^vata?  [%o.  ohne  hinzugesetztes  vitttpr^;,  wie  ja  auch  aaaopyd;, 
yaidi].     Eine  Nymphe  liebt  ja  auch  Daphnis  . 


—     79     — 

zühlte  der  Dichter,  mit  einer  gewissen  cokelten  Niüvetäl  die 
zarteren  Empfindungen  der  neuen  Zeit  in  die  männlichere  Ver- 
gangenheit zurtickspiegelnd,  eine  lange  Reihe,  alter  Dichter  und 
Philosophen  auf,  die,  gleich  ihm,  in  den  Banden  der  Liebe  ge- 
legen hatten.  —  Dem  zweiten  Buche  endlich  gehörte  eine  ero- 
tische Erzifhlung  an,  deren  etwas  genauere  Betrachtung  die 
Dtlrre  dieses  Verzeichnisses  einmal  unterbrechen  mag  ^) .  Arceo- 
phon,  ein  Sohn  phönicischer ,  im  cyprischen  Salamis  lebender 
Eltern,  durch  Reichthum,  nicht  durch  vornehme  Abkunft  aus- 
gezeichnet, liebte  die  Arsinoi?,  des  stolzen  Nikokreon,  Königs  von 
Cypern,  Tochter.  Vergebens  bot  er  die  höchste  Braulgabe:  der 
Vater  wies  ihn  ab.  Vergebens  klagt  er  Nachts  sein  Leid  vor 
der  Geliebten  Thüre;  als  er  endlich  die  Amme  besticht,  sein 
Liebesbote  zu  werden,  entdeckt  Arsinoö  den  Antrag  ihren  Ellern. 
Die  werfen  die  Amme,  grausam  versttlmmelt ,  aus  dem  Hause: 
Arceophon  aber  tödtet  sich  durch  Hunger.  Als  am  dritten  Tage 
darnach  die  Verwandten  den  Leichnam  des  allgemein  betrauer- 
ten Jtlnglings  zu  Grabe  tragen,  blickt  Arsinoö  höhnisch  aus  dem 
Fenster  dem  Zuge  nach;  Aphrodite  aber,  über  so  viel  Härte 
und  Hoehmuth  ergrimmt ,  verwandelte  die  Spröde  in  einen 
Stein.  —  Hier  haben  wir  eine  vollständige  Liebesnovelle,  die 
uns  den  Charakter  solcher  alexandrinischen  Erzählungen  recht 
klar  veranschaulichen  kann.  Aus  einer,  an  einen  menschen- 
ähnlichen Stein  gekntlpften  Volkslegende ,  welche  in  der  stren- 
gen Vergeltung  der  kalten  Unempfindlichkeit  einen  Lieblingsge- 
danken dieser  Gattung  von  Sagen  darstellte,  ist  hier  der  Stoff 
2U  einer  pathetischen  Geschichte  entnommen,  welche  der  Dich- 
ter, vermuthlich  nach  eigner  Willktlr,  in  die  nächste  Vergan- 
genheit  versetzt  hat.  Nikokreon  nämlich  ist  kein  Andrer,  als 
der  im  Jahre  312  von  Ptolemäus  zum  Strategen  in  Cypern  ein- 
gesetzte Ftlrst  von  Salamis 2).  Auf  ihn,  als  den  Typus  eines 
stolzen  Tyrannen  3)  ist  diese  Fabel  übertragen,  die  ursprünglich, 
als  ächte  Sage,  völlig  zeitlos  war.     Denn  dieselbe  cyprische  ae- 


1)  S.  'Antoninus  Libcralis,  Metamorph.  39. 

2)  Diodor  XIX  79. 

3)  Bekannt  ist  namentlich  seine  grausame  Rache  an  dem  Philosophen 
Anaxarch,  sein  Hoehmuth  gegen  Menedemus  u.  s.  w.  Er  spielt  in  der 
Philosophengeschichte  der  spateren  Zeit  die  Rolle  eines  philosophenfeind- 
Hohen  Popanz,  eines  zweiten  Phalaris. 


—     80     — 

liologische  Legende  erzählt  auch  Ovidius^);  bei  ihm  aber 
heisst  das  Paar  Iphis  und  Anaxarete,  die  Ereignisse  liegen 
in  einer  unbestimmten  Vorzeit;  an  die  Version  des  Hemiesianax 
erinnert  nur  die  Herkunft  des  stolzen  Vaters  der  Anaxarete  von 
Teucrus^- ,  von  welchem,  nach  Hermesianax,  auch  Nikokreon, 
aber  freilich  auch  alle  andern  salaminischen  Fürsten  ihr  Ge- 
schlecht herleiteten  3) .  Im  Uebrigen  erhenkt  sich  bei  Ovid  der 
Jüngling,  nach  einer  sehr  beweglichen  Liebesklage,  vor  der 
Thüre  der  Geliebten :  und  hier  berührt  sich  die  von  dem  rö- 
mischen Dichter  benutzte  Dichtung  eines  hellenistischen  Eroti- 
kers mit  einer  unter  Theokrits  Idyllien  verschlagenen  Lie- 
beserzclhlung ,  einer  freien  Variation  dieses  offenbar  sehr  be- 
liebten Thema's,  welche  in  dem  eigenthümlich  weichen  und 
dunkeln  Ton  ihres  Vortrags  beweist,  wie  geschickt  jene  helle- 
nistischen Dichter  die  Stimmung  solcher  schwermüthigen  Ge- 
schichten auszudrücken  wussten^).  Es  scheint  aber,  als  ob 
diese  Sage  zu  jenen  Lieblingsgegenständen  der  hellenistischen 
Erotik  gehört  habe,  in  deren  wetteifernder  Ausbildung  und 
Variirung  man  sich  gar  nicht  genug  thun  konnte.  Gewisse  An- 
zeichen lassen  vermuthen,  dass  eine  nach  Kreta  versetzte  Ver- 


1)  Metam.  XIV  696—761. 

2)  Vs.  698:  Vidcrat  a  veteris  generosam  sanguine  Teueri  Iphis  Anaxa- 
reten  huniili  de  stirpe  creatus. 

3)  Vgl.  nameotlich  Isocrates,  Euag.  §  42  IT. 

4)  Idyll.  XXIII.  Eia  Mann  liebt  einen  schönen,  aber  hochmüthigen 
und  spröden  Knaben.  Als  diesen  keine  Bitten  erreichen,  erhenkt  sich  der 
Liebende,  nach  einer  letzten  Liebesklage,  vor  seiner  Thüre.  Der  Knabe 
bleibt  auch  jetzt  ungerührt;  als  er  aber  im  Gymnasium  einer  Statue  des 
von  ihm  beleidigten  Eros  zu  nahe  kommt,  stürzt  das  Bild  auf  ihn  und  er- 
schlägt ihn  (das  Letzte  nach  einer  beliebten  Wendung  griechischer  Sagen: 
vgl.  Wüstemann  zu  Vs.  58).  —  Die  Aehnlichkeit  mit  Ovid  liegt  hauptsäch- 
lich in  der  ganzen  Situation ,  weniger  in  der  Gemeinsamkeit  einzelner 
Stellen;  vielmehr  ist  gerade  den  Unterschied  zwischen  dem  rhetorischen 
Witze  Ovids  in  der  letzten  Liebesklage  und  dem  herzlicheren,  aber  auch 
weichlicheren  (an  Tibull  erinnernden)  Tone  des  griechischen  Dichters  zu 
beobachten,  sehr  lehrreich.  Uebrigens  scheint  wenigstens  der  bittere  Witz 
bei  Ovid  Vs.  736:  haec  tibi  serta  placent,  crudclis  et  impia?  (nämlich  der 
am  Thürpfosten  aufgehängte  Leichnam  des  Liebenden)  nicht  nur  zuföUig 
mit  Vs.  20.  21  des  theokritischen  Gedichtes  zusammenzuklingen:  Aaive  irai 
xal  IpoTo;  dvoi5t€ ,  oöjpd  Tot  fy%os  AoloÄta  Taüra  <p£(icnv ,  töv  dp-öv  ßp<5yov.  — 
Ein  ähnlicher  Selbstmord  des  verschmöhten  Liebhabers  vor  der  Thüre  des 
Geliebten  in  Konons  Erzählung  vom  schönen  Narcissus,  Gap.  24. 


—   8t    — 

sion  derselben  Geschichte  dem  Siinmias  von  Rhodiis  zum 
Gegenstand  einer  erzühhienden  Elegie  diente^).  Durch  solche 
Dichter  ausgebildet,  blieb  dann  diese  Sage  lange  bertlhmt;  noch 
zu  Plutarchs  Zeit  kannte  man  in  Cypern  die  Sage  von  der  ver- 
steinerten Schönen 2) ;  ja  es  scheint,  dass  sogar  die  bildende 
Kunst  sich  dieses  Gegenstandes  bemHchtigte^). 

1)  Plutarch,  Amator.  20  p.  766  D:  Ti^^  Top^ou;    tat»;  roivi^v  o'jx  cixt;- 
rj6vzt  T^?  Kpi^ooT]?,  TTapaTcX-fjaia   tiq   Ufxpax'jTrco'j'S'Q    (d.    i.    eben    der    von 
Aphrodite    versteinerten  cyprischen    Jungfrau)    iradouoTj;*    'zki^^   ^xetvr^    piev 
diT:e)a&(6d72  iiapax6<J/aoa  tov  dpaaTrJv  ioEtv  d%%0[JLiC<5[iL£vöv  —  die  Gorgo  aber  babe 
Asandros,  ein  vornehmer  aber  verarmter  Jüngling  geliebt,  auch,  trotz  zahl- 
reicher Rivalen,   die  ebenfalls  das   reiche   Mädchen   umfrciet^n,   alle   Ver- 
wandten  derselben   schon   für  sich   ge>^onnen   —  hier  bricht   in  den   Hss. 
Pfutarchs  Erzählung   leider  ab.     Sicher  ist  nur,  dass  die  Gorgo  sich  hart- 
näckig der  Liebe  erwehrte:  denn  als  ein  Beispiel  der   Rache   des   Eros  an 
den  trotzig  seiner  Macht  Widerstrebenden   will  Plutarch  (s.  p.  766  C)  aus- 
drücklich diese  Geschichte  erzählen.     Die  Rache  bestand  sicherlich   nicht 
in   Versteinerung   der  Hartherzigen,    aber  doch    in  irgend   einer  ähnlichen 
Strafe:  denn  sie  »erlitt«  ja  »Aehnliches  wie  die  IlapaxuTrro'joa«.    Nun  möchte 
ich   folgende  Combination  vorschlagen.     In  der  Anthol.    Palat.  VII  6^7  liest 
man  unter  der  Ueberschrift :    ^ifAoivtoou,  ol  hk  ^tfifiUi)   folgende  2  Di- 
stichen:   'ToraTa  otJ   tdo'   lei:re   cpiXrjv   ttotI   [xT^T^pa   TopYio   oaxpuöeooa,    o^pirj; 
yepslv  dcpaTTTOjiiviQ  •  aO^t  ja^voi;  Tiapd  7:aTp(,  t£xoi;  o'  iizl  Xtjjovi  (xolpqt  a>.Xav  0(m 
roXiü)  •pipai  xaoefjKiva.     Schwerlich  ist  dies  ein  selbständiges  Epigramm  (wie 
freilich  Bergk,  Lyr.  ed.  3  p.  1157  behauptet),  sondern  ein  Stück  aus  einer 
elegischen    Erzählung,     und  zwar   (nach    Bruncks   Hinweis;    grundlos    be- 
zweifelt von    Schneidewin,    Simonid.    rell.   p.   87.    f.;   Delectus  p.   403   f.) 
au.s  der  Fop^cd  des  Simmias  von  Rhodus,  welche  Athenäus  (XI  494  C) 
cilirt.    Diesem  Gedichte  des  Simmias  möchte  ich  nun  eben  die  bei  Plutarch 
nur  verstümmelt  erhaltene  kretische  Geschichte   zum  Inhalt  geben:   um 
so  mehr,    da  die  Gorgo   der  Anthologie  (wie  Jacobs  —  der  sie  freilich  für 
die  eigene   Geliebte  des   Dichters   hielt    [anim.   ad   anth.   Gr.  I  2   p.    4]  — 
richtig  bemerkt  hat:  anth.  Pal.  III  p.  382)  absichtlich  dorisch  sprechend 
eingeführt  ^ird.     In   den    Versen  der  Anthol.   sind    uns   also    ihre    letzten 
Worte  vor  dem  durch  des  Eros  Rache  bewirkten  Tode   erhalten.     Welcher 
Art  dieser  Tod  war,  lehren  freilich  auch  sie  uns  nicht. 

2)  Plutarch,  Amator.  20  p  766  C:  t(  ^ap  av  Ki^oi  ti;  Eu^uvOetov  xaX 
Aeuxoxöfiav;  ti  oe  ttJv  £v  K'jrpm  IIapax67r:ouoav  In  vuv  TTpooaYopeuopivijv ; 
so  wird  wohl  zu  schreiben  sein,  statt  des  überlieferten  und  von  den  Heraus- 
gel>ern  beibehaltenen :  %a\  Avj'Ao\t.d^rzihoi  ttJv  h  K.  Winckelmann,  Plut.  amator. 
p.  223  tappt  vollständig  im  Dunkeln.  Eux.  und  Leukokomas  sind  das  von 
Theophrast  ir.  Iptu-o;  besprochene  Paar  (Strabo  X  p.  478,  auf  den  auch 
Winckelmann  verweist;  v^l.  übrigens  auch  Conen  narr.  16);  damit  hat  aber  die 
zapa-x'JTTTO'JOa  nichts  gemein   (wie  auch   Wclcker  A.   D.  V  28  f.   noch  meinte;. 

3)  In  einem  schönen  Aphroditekopf  schmerzlichen  Ausdruckes,  auf  dem 

Robde,  Der  griechische  Uoman.  g 


—    82    — 

Eine  gleiche  Vorliebe  für  weiterverbreitete  und  viel  be- 
bnndelte  Typen  erotischer  Sage  zeigt  Herniesianax  in  den  bei- 
«len  uns  sonst  noch  bekannten  Krziihlungen  aus  seiner  »Leon- 
tion«.  Die  Sage  von  Leucippus  und  seiner  Schwester*)  ist  nur 
ein  Seilenstück  zu  der  Legende  von  Byblis  und  Caunus;  die 
von  «lein  Verrat h  der  Burg  zu  Sardes  an  den  belagernden  Cyrus 
durch  \anis,  die  Tochter  des  Kroesus^)  ist  nur  eine  der  sehr 
zahlreichen  Gestaltungen  einer  Sage,  deren  berühmteste  Form 
wohl  die  Tarpejalegende  ist^). 

Wie  nun  Ilermesianax  eine  Reihe  solcher  Liebeserziihlungen 
durch  einen  jedenfalls  nur  ganz  subjectiv  einheitlichen  Faden 
der  Empfmdung  vennuthlich  lose  genug  verbunden  hatte,  so 
wunle    es    in   der   hellenistischen    Dichtervveit    durchaus    Mode, 


Haar  eine  Gorgoncnmasko ,  sioht  Wolcker,  Archäol.  Zeitung  4  857  Sp.  A  ff. 
(=  Alto  Denkni.  V  p.  ?♦ — 35)  eine  Andeutung  der  durch  Aphrodite  ver- 
steinerten Anaxarele  ;  statt  ihrer  siehe  die  Göttin  selbst.  —  Vielleicht  eine 
Parodie  dieser  Ilapax-jTrro'jaa  ist  der  aus  Furcht  versteinerte  raponturrcov,  von 
dem  Zenobius  111  32  und  andere  Paroeniiographen  erzöhlen.  —  Endlich  ist 
es  nicht  unbelehrend,  <len  verschiedenen  Geist  zu  beachten,  in  welchem 
eine  innerlich  nahe  ven\andtc  Sage  von  einem  modernen  Autor  behandelt 
worden  ist:  ich  meine  die  Novelle  von  Girolamo  und  Salvestra,  in  Boccac- 
cios Decam.  IV  8  (aus  französischer  Quelle,  wie  Landau,  Quellen  d.  De- 
camerone  p.  52  aus  der  Uebereinstimmung  mit  dem  mhd.  Gedichte  Vrouwen 
triuwe  [v.  d.  Hagen ,  Ges.  abent.  XIII ;  s.  das.  I  p.  CXXIVJ  mit  Recht 
schliessl;.  —  Ganz  unpassend  vergleicht  Welcker,  A.  D.  IV  465,  4,  Boc- 
caccio V  8   (Nast^gio  und  seine  spröde  Geliebte). 

1)  Bei  Parthen.  5. 

2)  Bei  Parthen.  82.  Sicher  aus  der  »Leontion«  und  nicht  aus  den 
übrigens  mehr  als  problematischen  »nepoiy.al«  des  Herrn.,  wie  Bach  p.  484 
meint. 

3)  Bekannt  sind  die  Sagen  von  Scylla  und  Minos,  Achill  und  Peisidike 
(s.  oben  p.  k%] :  andere  bis  auf  Hegias  von  Troezen  und  Hesiod  (fr.  97  M.) 
zurückgehende  Beispiele  hat  Welcker,  Ep.  Cycl.  I  282  A.  458  gesammelt. 
Durch  die  Tarpejasage  (in  die  übrigens  das  sentimentale  Moment  der  Liebe 
wohl  erst  <lurch  Properz  V  4,  nach  hellenistischen  Reminiscenzen,  hinein- 
getragen worden  ist)  sind  dann  wohl  mittelalterliche  Sagen  angeregt,  wie 
die  von  Cacan  und  Romiida  bei  Paulus  Diaconus  IV  28  (danach  Gesta 
Rom.  49],  von  Karl  dem  Grossen  und  der  Tochter  des  Longobardenkunigs 
Desiderius  Grimnu  D.  Sagen  N.  443,  II  p.  414).  Zwei  verwandte  per- 
sische Sagen  weist  mir  mein  Freund  Dr.  Andreas  nach:  bei  Nie.  de 
KhanikofT  M<^m.  sur  la  partie  m<^rid.  de  l'Asie  centr.  p.  490  f.  («=  S<'hahnameh, 
Görres  Heldenb.  v.  Iran  II  407)  und  in  einer  Sage  von  Schapur,  deren  älteste 
Quelle  die  Chronik  des  Tabari  fed.  Zotemberg  2,  80—84)  ist. 


—    83    — 

derartige  abgeschlossene  Bilder  wechselnder  Leidenschaft  in 
leichten,  ziemlich  willkürlichen  Gruppirungen  zu  vereinigen. 
Wenigen  nur  scheint  es  gelungen  zu  sein ,  eine  so  anmuthige 
Verknüpfung,  wie  Hermesianax  sie  in  der  Verflechtung  mit  dem 
eignen  Gefühl  gefunden  hatte,  zu  erfinden.  Alexander  der 
Aetolier,  der  mit  Aratus  an  dem  Hofe  des  kunstsinnigen 
Antigonus  Gonat«is  von  Macedonien  lebte,  halte  in  seinem  »Apollo« 
die  etwas  schwerfällige  (und  dennoch  mehrfach  nachgeahmte) 
Form  gewählt,  alle  Liebesfabeln  den  weissagenden  Gott  selbst 
vorherverkündend  erzählen  zu  lassen  *  ■ .  Andre  griffen  auf  die 
trockne  Registerform  der  hesiodischen  Schule  zurück,  die  ihnen 
übrigens  doch  wohl  für  die  empfindsamere  Ausführung  «ler 
Liebessagen,  nach  modernem  Geschmack,  Raum  Hess.  So 
schrieb  Nicaenetus  von  Samos  einen  »Katalog  der  Fraueuö, 
Sosikrates^j  der  Phanagorite  »Eöen«,  aber  männliche^).  Einen 
ähnlichen  Charakter  zeigen  die  Reste  der  Elegien  des  Phanokles: 
in  seinen  ^Eptotfi;  Tj  KoXoi  zählte  er  alte  Sagen  von  der  Liebe 
der  Götter  und  Heroen  zu  schönen  Knaben  auf,  in  hesiodischer 
Art  die  einzelnen  Erzählungen  mit  einem  :  »oder  wie«  einleitend''). 
Die  geringen  Ueberreste  seiner  Dichtung  lassen  noch  den  aetio- 

1;  Dies  schliesst  Mcinckc,  Anal.  Alex.  p.  219  aus  den  bei  Parthenius  14 
erlraltenen  34  Versen  des  AröXXwv  mit  unzweifelhaftem  Recht.  —  War  die 
Kipxa  des  Alexander  (Alh.  VII  283  A;  s.  Meineke  p.  240)  eine  erotische 
Erzählung?  —  Er  behandelte  auch  die  Daphnissage:  Argum.  Theocrit.  Vlll ; 
s.  Meineke,  Anal.  Alex.  p.  250  und  zu  Theokrit  VII  72. 

2;  Oder  Soslratus:  s.  Hecker,  Philologus  V  421  (2(uOTpaTo;  6  tpova^o- 
peiTT^i  Steph.  Byz.  s.  M'jxöiXtj,  Elegie  »Tiresias«  des  Soslratus:  Eustath.  ad 
Odyss.   p.  4  665,  48  IT.). 

3,  Wie  aus  der  einzigen  Stelle,  an  welcher  die  lIoTai  des  Sos.  und  der 
KaTaXo^o;  -^'j-iai^S}^  des  Nicacnclus  (welcher  vor  Phylarch  gelebt  zu  haben 
scheint:  s.  Jacobs,  Anlhol.  Gr.  XIIl  p.  922;  und  jedenfalls  vor  Menodot 
von  Samos  oder  von  Perinlh  [s.  Müller,  Fr.  hist.  III  103],  welcher  bei 
Athen.  XV  673  B  des  Nicaenetus  gedenkt  als  eines  7:oiT,Tfj;  STriyoupio;  [^ajxou] 
xai  TTiv  inycfipiov  ioropiav  ^t(^a^T^^%vi^  is  -Xeiooiv)  erwähnt  werden,  bei  Athen. 
XIII  590  B,  auf  die  Absicht  einer  Parodie  der  Beiden  auf  die  hesiodischen 
Werke  geschlossen  werden  könne  (mit  Cioettling,  Hesiodi  op.  ed.  2  p.  LVII  f.), 
verstehe  ich  nicht.  Gerade  der  hesiodischen  Weise  standen  ja  in  völlig 
emslhafter  Kunslübung  diese  hellenistischen  Dichter  in  vielen  Rücksichten 
nahe.  —  Verwandten  Charakters  mögen  übrigens  die,  nur  von  Suidas  er- 
wähnten    Hponvat  des  Theokrit  gewesen  sein. 

4)  Mit  7^  a>;  beginnt  Kr.  1.  3  (Bach).  Vgl.  Preller,  Rhein.  Mus.  IV  1846 
p.  401. 

6* 


—    84     — 

logischen  Zweck,  in  der  Auswahl  solcher  Sagen  ganz  deut- 
lich erkennen:  von  der  Liebe  des  Orpheus  zum  KalaYs  erzählte 
er,  um  die  Sitte  der  Teetowirung  der  thracischen  Weiber  zu 
erklären*;:  die  Liebe  des  Agamemnon  zum  Argynnus  diente  zur 
Deutung  des  Beinamens  der  Aphrodite  Argynnis^j ;  einen  aelio- 
logischen  Sinn  verräth  auch  die  Sage  von  der  Verwandlung  des 
Cycnus^).  —  Dieser  aeti  ologische  Charakter  ist  es  nun  ge- 
rade, der  die  vorzüglich  von  den  hellenistischen  Dichtem  bear- 
beiteten Sagen  auszeichnet^].  Deutlich  genug  sprechen  sich  in 
ihrer  Vorliebe  für  solche  Sagensloffe  ihre  gelehrten  Neigun- 
gen aus,  welche  tlbrigens  wohl  auch  einem  Publicum  entgegen- 
kamen, das  in  seiner  Unfähigkeit  zum  Genuss  des  rein  und 
harmlos  Poetischen  schon  beinahe  modern  zu  empfinden  begann. 
Man  darf  aber  nicht  verkennen,  dass  dieser  aetiologische  Cha- 
rakter den  Ortssagen,  welche  jene  Dichter  nicht  ohne  rich- 
tigen kUn$>tlerischen  Instinct  sich  zum  Gegenstand  ihrer  Be- 
handlung erwählten ,  fast  nothwendig  innewohnt,  ja  dass  Orts- 
sagen und  aetiologische  Sagen  beinahe  identische  Begriffe  sind. 
So  vereinigte  sich  in  diesen  aetiologischen  Sagen,  wie  schon 
oben  (p.  24  fT.)  angedeutet  wurde,  in  einer  nicht  unglücklichen 
Mischung  die  gelehrte  und  die  Hcht  dichterische  Tendenz  jener 
Poeten.  Geradezu  ausgesprochen  wurde  aber  die  aetiologische 
Art  und  Absicht  der  alexandrinischen  Sagendichtung  von  dem 
Dichter,  in  welchem  die  längst  schon  angebahnte  neue  Dich- 
tungswoise  über  sich  selbst  zuerst  und  am  Entschiedensten  sich 
klar  geworden  zu  sein  scheint,  vom  Kallimachus.  Er  ver- 
dankte seinen  höchsten  Buhm  einer  Sammlung  elegischer  Er- 
zählungen, die  schon  in  ihrem  Titel.:  Aina  sich  als  einen  Kranz 
aetiologischer  Sagen  ankündigte.  In  einer  Beihe  ausgewählter 
Legenden  unterrichtete  der  Dichter  darin  seine  Leser  über  die 
»Gründe«    auffallender  Sitten    bei    öffentlichen    Wettspielen   und 


1)  Bei  Stobüus,  Flor.   LXIV  U.     Vgl.  Vs.  87.  i8,  auch  Vs.  21. 

2)  Fr.  5  p.  ?04  Bocli.  Vgl.  über  die  Sage  von  ArgyiMius  R.  Unger, 
Sinis  p.  121   fT. 

3)  Fr.  6  p,  205.  Eine  aetiologische  Tendenz  Hesse  sich  auch  wohl  in 
der  Erzählung  des  Phan.  vom  Raube  des  Ganymedes  (s.  Preller  p.  408; 
M.  Schniidl,  Didym.  p.   359  f.)  erkennen. 

4)  Dies  ist  sehr  richtig  schon  von  Fr.  Schlegel,  Sehr.  IV  p.  52,  und 
lann  oft  nieder  betont  worden. 


—     85     — 

Götterfeslen,  schwer  erklcirl)arcr  Benennungen  hellenischer  Oerl- 
iichkeiten,  Beinamen  einzelner  (iötler  und  wohl  noch  mancher 
andrer  Curiosiläten  *) .  Üic  bunte  Fülle  solcher  Sa.uen  halten 
ihm,  wie  er  im  Eingang  seiner  Dichtung  erzählte,  wie  einem 
zweiten  Hesiod,    die  Musen  milgelheilt,   zu  deren  Sitz  auf  dem 

1)  Viel  sicherer  könnte  man  sich  über  die  Themen  der  von  Kallimaohus 
bebandelten  Legenden  ausdrücken,  wenn  Otto  Schneider  mit  seiner, 
schon  früher  aufgestellten  und  zum  Theii  ausgeführten,  jetzt  im  zweiten 
Bande  seiner  Ausgabe  der  Caliimachea  p.  ^9—143  sorgfältig  durchgeführten 
Vermuthung  Recht  hätte,  wonach  in  Capitel  278  4-275.  276.  277  der  unter 
Hygins  Namen  überlieferten  Sagensammlung  der  wesentliche  Inhalt  der 
drei  ersten  Bücher  der  Atxta  erhalten  wäre.  Aber,  nach  meiner  Ansicht, 
hat  durch  allen  Scharfsinn  und  die  grosse  Gelehrsamkeit  ihres  Urhebers 
diese  Vermuthung  irgend  eine  Wahrscheinlichkeit  nicht  gewinnen  können. 
Die  Uebereinstimmung  jener  Capitel  des  Hygin  mit  den  Rosten  der  Attia 
läuft,  bei  genauerer  Betrachtung,  auf  das  nackte  Factum  zusammen,  dass, 
wie  bei  Jenem  im  ersten  Capitel  so  —  wie  Schneider  allerdings  ziemlich 
wahrscheinlich  gemacht  hat  —  bei  diesem  im  ersten  Buche  von  der  Ein- 
setzung griechischer  Wettspiele  die  Rede  war.  Selbst  hier  aber  trifft  es 
sich  so, 'dass  in  dem  einzigen  Falle,  wo  nachweislich  Kallimachus  von 
denselben  Spielen  geredet  hat  wie  Hygin,  er  von  jenes  Berichten  ganz 
abweichendes  erzählt.  (Es  sind  die  Nemeischen  Spiele,  bei  deren  Ein- 
setzung Kallimachus,  wenn  man,  wie  billig,  Probus  zu  Virg.  G.  111  19  wört- 
lich versteht,  nur  von  Molorchus  geredet  hatte,  den  Hygin  nicht  erwähnt, 
und  nicht  von  Archemorus,  von  den)  Hygin  spricht).  Im  zweiten  Buche 
handelte  Kallimachus,  nach  Schneiders  eigener  Vermuthung,  von  der  Rück- 
fahrt der  Argonauten  aus  Kolchis  und  den  bei  dieser  Gelegenheit  gegrün- 
deten Städten;  davon  steht  bei  Hygin  cap.  275  und  276  kein  Wort.  Im 
dritten  Buche  soll  Kallimachus,  wie  Hygin  cap.  277,  von  tit^iktza  geredet 
haben.  Das  könnte  man  nur  zugeben,  wenn  die  Uebereinstimmung  der 
vorhergehenden  Capitel  des  H^gin  mit  den  Themen  des  Kallimachus  eine 
wirklich  schlagende  wäre ;  da  sie  das  nicht  ist,  und  da  die  Ueberreste  des 
Kallimachus  von  einer  (mehr  als  ganz  beiläufigen)  dichterischen  Behandlung 
der  eopi^fjLaTa  durchaus  keine  Spur  zeigen,  so  bleibt  diese  Annahme  eine 
petitio  principii,  und  ist  an  sich  unwahrscheinlich  genug.  Denn  wie  selt- 
sam wäre  es  doch,  dass  unter  den  so  zahlreichen  und  oft  genannten 
Schriftstellern  irepl  e6pir)^dT(uv  (vgl.  Schneider  p.  44  Anm.,  P.  Eichholtz, 
De  scriptoribus  it.  e(»pY]^dTo)v.  Halle  4  867)  nie  der  berühmte  Name  des 
Kallimachus  auftaucht!  Ob  durch  die  scharfsinnig  ersonnenen  Umwege,  auf 
denen  Schneider  die  Geschichte  der  Cydippe,  welche  im  dritten  Buiche  der 
Atrta  stand  ,  mit  einer  Auseinandersetzung  über  die  Erfindung  der  Buch- 
staben in  Verbindung  setzt,  Anderen  seine  Hypothese  wahrscheinlicher  ge- 
worden ist,  weiss  ich  nicht;  ich  gestehe,  in  dieser  zweifelhaften  Angelegen- 
heit, das  von  Dilthey  als  Pointe  jener  Erzählung  hypothetisch  hingestellte 
alTtov  sehr  viel  wahrscheinlicher  zu   finden.  —  Endlich   aber,  wie  erklär 


—    S()    — 

• 

Helikon  ein  Traump:esichl  ihn  entrlk-kl  halte*).  Im  Grunde  war 
hiermit  nur  eine  neue  Form  zu  den  vorhin  s<*hon  erwähnten 
{gewonnen,  die  eine  lockere  Verknüpfung  einzelner  elegischer 
Erzählung  ermöglichen  sollten;  ein  wesentlicher  Unterschied  von 
den  ähnlichen  Versuchen  des  Philetas.  liermesianax  u.  A.  war 
nur  der,  dass  hier  keineswegs  die  Erotik,  sondern  die  reme 
Wissenshcgicr  das  verbindende   Band    bildete  2).     Ein   solcher 


CS  sich,  bei  dem  angenommenen  Zusammenhange  des  Hygin  mit  Kallimachus, 
dass  eine  wirklich  frappante  Aehnlichkeit  zwischen  den  Aussagen  beider 
Autoren  in  keinem  einzigen  Falle  sich  zeitrl?  Dass  von  Hygins  Berichten 
in  den  Fragmenten  des  Kallimachus  nichts  wiederkehrt?  Dass  von  den 
durch-  bestimmte  Citate  festgestellten  Themen  der  Atiia  auch  nicht  eines 
bei  Hygin  vorkommt?  Ich  meine,  ausser  der  Cydippe,  die  in  Fr.  1 — 8, 
Fr.  t3d.  17  angegebenen  aetiologischen  Themen  (zu  denen  man  violleicht 
Fr.  43c  hinzufügen  kann:  denn  es  scheint,  dass  der  im  Schol.  II.  H  48 
mitgetbeilte  Grund  für  den  Namen  des  Vgb.  rdp^apov  eben  das  atxiov 
des  Kallimachus  sei;  in  den  Schlussworten  to6tou  {jtvT^fjioveuet  KoXX.  iv 
irpedrcj»  aHcDv  [aitCaN  Übrigens  der  Yen.  A.]  müsste  dann  toütou ,  als  Neu- 
trum, sich  auf  den  ganzen  vorhergehenden  Bericht  beziehen.  — Vgl.  auch 
Schneider  p.  648  zu  fr.  494).  Die  vielleicht  mit  Recht  von  Schneider  sehr 
weit  gesteckten  Grenzen  der  Abschweifungen  des  Dichters  vom  eigent- 
lichen Thema  genügen  doch  sicherlich  nicht,  um  diese  merkwürdige  that- 
sächliche  Discordanz  des  ilygin  und  des  Kallimachus  mit  ihrem  angeblichen 
Zusammenhang  In  eine  glaubliche  Verbindung  zu  bringen.  —  So  sehr  man 
daher  auch  wünschen  könnte,  in  jenen  Capitcln  des  Hygin  einen  Ersatz 
für  das  verlorene  wichtige  Werk  des  Kallimachus  zu  besitzen,  so  wage  ich 
doch  nicht,  dieses  Ersatzes  mich  zuversichtlich  zu  bedienen.  Nur  soviel 
scheint,  nach  Schneiders  Beweis  (p.  45 — 48)  ziemlich  sicher  zu  sein,  dass 
im  vierten  Buche  von  Götterfesten,  unsicherer  schon,  dass  im  ersten  Buche 
von  Wettspielen,  im  zweiten  von  Städtegründungen  (im  Anschluss  an  die 
Rückkehr  der  Argonauten)  die  Rede  war.  Ob  aber  auch  nur  die  Einthei- 
lung  der  Materien  eine  so  systematische  war,  dass  jede  Materie  in  je  einem 
Buche  abgehandelt  wurde,  .scheint  mir  ^anz  ungewiss.  Denn  der  Wahr- 
scheinlichkeit einer  solchen  Annahme  Hessen  sich,  so  a  priori,  wohl 
auch  andere  Wahrscheinlichkeiten  entgegenstellen;  und  obendrein:  Tay' 
av  Ti;  elxo;  auTO  toOt  elvai  Xc^oi,  ßpoToiai  roXXa  rjY/divew  oütc  eixöxa.  — 
Uebrigens  bedauere  ich ,  Rauchs  Abhandlung  über  die  Aetia  nur  aus 
0.  Schneiders  Anzeige  im  Philologus  \X  163  ff.  zu  kennen. 

1;  Auch  dem  Hesiod  erscheinen,  wie  es  scheint,  im  Prooemium  der 
Theogonic  die  Musen  im  Traume.  S.  namentlich  Bergk,-  Gr.  Litt.  Gesch. 
I  979  A.  28.  —  Kallimachus  erinnerte  .selbst  an  das  ähnliche  Erlebniss  des 
Hesiod,  wenn  die  sehr  probable  Yermuthung  Schneiders  zu  fr.  anon.  302 
(p.  764)  richlig  i.st. 

2,  Kallimuchus  befragte  die  Pioriden  um  die  »Gründe«  der  von  ihm 


—     87     — 

Rahmen  füsste  Sagen  jeder  (lattung,  die  nur  irgend  eine  aetio- 
logische  Pointe  hatten.  Ist  es  nun  aber  ein  Zufall,  dass,  hei 
allem  Ruhme,  dessen  diese  Aetia  als  Fundgrube  gelehrter 
Sagen  künde  und  zugleich  als  Muster  und  Vorbild  einer  kunst- 
voll geglätteten,  überzierlich  gewählten  Form  lange  Zeit  hindurch 
genossen,  —  dennoch  nur  eine  der  zahlreichen,  hier  ausgebildeten 
Sagen  bis  in  die  letzten  Zeiten  des  Griechenthums  wiederholt 
zur  Nachbildung  anreizte,  dass  als  prägnanteste  Bezeichnung 
des  verdienten  Ruhmes  des  Kallimachus  eben  diese  Eine 
Erzählung  von  Ovid  ^)  ,  der  uns  hier  als  Wortführer  der  allge- 
meinen Empfindung  gelten  darf,  hervorgehoben  wird?  Ich  rede 
von  der  Liebesgeschichte  des  Acontius  und  der  Cydippe, 
einer  dem  dritten  Buche  der  Aetia  eingelegten  elegischen  Er- 
zählung, deren  Gang  bis  in  zarte  Einzelheiten  hinein  wir  aus 
den  Nachbildungen  des  Aristaenetus  und  des  Fortsetzers  der 
Ovidischen  Herolden  so  deutlich  erkennen  können^]. 

Sicherlich  spricht  sich  in  der  Vorliebe  für  jene  höchst  an- 

ff 

muthige  Liebesnovelle  ein  richtiges  Urtheil  der  späteren  Zeiten 
über  die  eigentliche  künstlerische  Begabung  des  Kallimachus 
aus.     Man  war  nicht  so  ungerecht,  sein  dichterisches  Vermögen 


zu  behandelnden  Antiquitäten,  und  sie  antworteten  ihm  mit  Erzählung  der, 
diese  Gründe  mittheilcndcn  Sagen.  So  darf  man  die  Worte  des  Epigramms 
Anthol.  Pal.  VII  42  paraphrasiren :  at  0£  ol  e{po|A£v(M  difxcp'  tb^UYicuv  '/)p(6oov 
atTta  xal  (xaxapoav  eipov  d[t.ti{i6iu^'xi.  Fragte  er  aber  ein  für  alle  Mal,  und 
beantwortete  dann,  von  der  wahrheitredenden  Muse  inspirirt,  in  langer 
Sagenreihe  selbst  die  Fragen  nach  den  Gründen  so  vieler  heiligen  Ge- 
bräuche u.  s.  w.?  Oder  stellte  er  sich  in  stetem  Zwiegespräch  mit  den 
Musen  dar,  so  dass  er  stets  der  Fragende,  die  Musen  in  jedem  einzelnen 
Falle  die  Antwortenden  blieben?  Die  letztere  Weise  sieht  man  bei  Ovid 
in  den,  aller  Wahrscheinlichkeil  nach,  dem  Kallimachus  nachgeahmten  Un- 
terredungen mit  einzelnen  Gottheiten  befolgt,  welche  er  in  seinen  Fasten 
schildert  (s.  ausser  den  bei  Peter  zu  Ov.  F.  p.  4  3  verzeichneten  Fällen 
noch:  Vesta  III  698,  Venus  IV  1—18,  Thxbris  V  635  ff.,  Mercur  V  693  ff., 
Sancus  Vi  2U,  Minerva  VI  655,  Flora  V  183—378  [in  welchem  Gespräch 
die  Schlussverse  877.  8  eine  freie  Nachahmung  des  bekannten  fr.  121  des 
Kallimachus  enthalten]). 

1}  Ovid,  Remed.  391.  92:  Callimachi  numeris  non  est  dicendus  Achil- 
ies,  Cydippe  non  est  oris,  Homeris  bei.   Vgl.  Dilthey,  De  Call.  Cyd.  p»  46  f. 

2)  Ohne  Zweifel  Hess  der  Dichter  sich  in  der  Ausführung  dieser  Sage 
besonders  behaglich  gehen.  Forderte  ihn  dazu  etwa  die  Muse  auf  in  fr.  331 : 
90£77co  KuoluTTT^v  'xMrzTi  die  Hs. ;  Kjotirini  Meineke,  Hermes  HI  p.  454j 


—     88    — 

nach  den  kalt  officielien  Gölterhymncn  zu  beurtheilen,  die  uns 
zufällig  erhalten  sind;  man  lehnte  aber  stillschweigend  auch  die 
todlc  Gelehrsamkeil  ab,  die  sich  in  den  abgelegenen  Legenden  und 
seltsamen  hieratischen  Sagen,  welche  die  Aetia  unerquicklich 
anfüllen  mochten,  breit  machte.  Die  wirkliche  Meisterschaft  des 
Dichters,  die  mit  klarem  ßevvusstsein  nlovis  Knceladique  tumultusa 
leer  bombastisch  zu  besingen  sich  hütete,  erkannte  man  da,  wo 
er  aus  der  fremd  und  schaltenhaft  gespenstig  gewordenen  Welt 
der  alten  Mythen  in  die  Enge  und  trauliche  Nähe  einfach 
menschlicher  Zustande  herunter  steigen  konnte.  Wenn  ihn  die 
Natur  nicht  zum  Historienmaler  bestimmt  hatte,  warum  konnte 
er  nicht  als  Genremaler  ein  Meister  der  Kunst  werden?  Man 
mag  den  Kopf  schütteln,  wenn  man  den  Kallimachus  sogar  die 
grossen  Olympischen  Götter  in  die  häusliche  Beschranktheit  mensch- 
li(*hen  Alltagslebens,  in  ganz  bürgerlich  harmlose  Scenen  hinein- 
ziehen sieht  1) ;  immerhin  spricht  sich  hierin  noch  die  künstlerische 
Naiveiat  eines   wirklichen  Talentes  aus,  welches,  seine  Grenzen 

* 

empfmdend,  auf  die  unlebendige  Darstellung  blutlos  idealer 
Gölterabslracta  verzichtete,  dafür  aber  in  solchen  gemüthlichen 
Scenen  wenigstens  die  Kine  Hauptaufgabe  aller  Kunst  erfüllte, 
durch  volle  Belebung  seine  Geslalteu  dem  Leser  in  unbezw-eifel- 
barer  W'  i  r k  1  i c  h k  e  i  t  des  Seins  gegenüberzusl eilen.  Dass  man 
hierin  die  Kunst  des  Dichters  ganz  richtig  erkannte,  zeigt  der 
i^rosse  Buhm,  welchen  die  Darstellung  landlichen  Behagens  in 
seiner  »Hekale«  allezeit  genoss,  einem  »bukolischen  Epos«,  wie 
man  es  zulreflend  benannt  hat^J,  in  welches  die  alte  heroische 
Fabel  kaum  als  mehr  denn  als  ein  lebhafter  Cent  rast  zu  den 
friedlichen  Scenen  idyllischen  Genügens  verwoben  war.  W^esent- 
lich  dieselbe  Fähigkeit  mag  man  in  der  kunstreichen  Ausbildung 
der  Sage  von  Acontius  und  Cydippe  bewundert  haben.  Die 
Ereignisse  der  Sage  lagen  in  einer  unbestimmten  fernen  Vorzeil; 


1)  lieber  die  Genremalerei  des  Kallimachus  in  einzelnen  Scenen  selbst 
des  olympischen  Lebens  (wie  hynin.  in  Dian.  i42  ff.,  ibid.  66  ff.)  oder  der 
heroischen  Welt  (h.  in  Cer.  67  ff.)  hat  zuerst  einsichtsvoll  M.  Haupt, 
Ber.  d.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  1849  p.  3y  ff.  pesprochen.  Gegen  Cobcts  ober- 
flächlich verächtliches  Urtheii  vertheidist  sehr  richtig  den  Kallimachus 
0.  Schneider,  Philol.  XX  i37  f.  Vgl.  auch  Dillhey,  De  Call.  Cyd.  p.  46 
und  Heibig,  Campan.  Wandmalerei  p.  %ii  ff. 

2)  Naeko,  Opuscul.  II  423. 


—    89    — 

sie  wurden  dadurch  dem  lebendigen  Mitempfinden  der  Leser 
nicht  entrückt,  sondern  nur  in  jenen  reizend  dämmernden  Duft 
der  Ferne  |j;estelh,  der  sich  als  ein  zart  idealischer  Hauch  um 
alle  (icschichlcn  legt,  die  man  heginnen  kann:  »es  war  einmal«. 
Im  üehrigen  kam  die  Sage  selbst  der  Neigung  und  dem  Talente 
des  Dichters  willig  entgegen.  Ein  Krzeugniss  jener  weicheren 
Empfindung  des  griechischen  Volksgeistes,  mit  deren  allmählichem 
Emportauchen  aus  schtlchterner  Volkssage  in  die  kunstreichste 
Dichtung  wir  uns  hier  beschäftigen,  bot  sie  dem  hellenistischen 
Dichter  kein  alterthUmlich  herbes  oder  erhabenes  Motiv  dar,  das 
er  künstlich  ins  Engere  zu  ziehen  brauchte;  keine  antiquarisch 
gelehrten  Schlacken  überwuchsen  das  reine  Gold  der  lieblichsten 
und  menschlich  einfachsten  Legende.  Und  so  gelang  es  dem 
Dichter,  in  der  mit  aller  künstlerischen  Feinheit  und  süssesten 
Fülle  ausgeführten  Schilderung  jugendlicher  Leidenschaft  ein 
wahres  Muster  der  erotischen  Erzühlung  hinzustellen,  deren 
Ruhm  nun  wiederum  andrerseits  beweist,  wie  sehr  sich  in 
diesen  erzählenden  Liebesdichtungen  die  itchten  Fähigkeiten 
der  Dichter  und  die  Stimmung  der  Leser  jener  Zeit  begegneten. 
—  Fraglich  bleibt  übrigens,  ob  die  Fabel  von  der  Cydippe  die 
einzige  erotische  Erzählung  der  Actia  war.  Wenn  man  den 
hohen  Ruhm  bedenkt,  den  Kaüimachus  gerade  als  erotischer 
Dichter  bei  den  Römern  genoss,  so  sollte  man  in  jener  Sauunlung 
elegischer  F>zählungen ,  auf  die  sich  jener  Ruhm  doch  ganz 
vorzüglich  gründete  *) ,  noch  mehrere  dergleichen  Liebeslegenden 
anzutreffen  erwarten.  F^in  Zufall  mag  es  daher  sein,  dass  sich 
in  den  uns  erhaltenen  Ueberresten  nur  sehr  geringe  Anzeichen 
für  die  Behandlung  andrer  Liebessagen  finden  2). 


1)  Wenn  Kallimachus  als  icner  poet^  den  Liebenden,  zusammen  mit 
Philetas,  empfohlen  wird :  Ovid.  rem.  am.  759,  art.  am.  111829,  Propert. 
Hl  38,  32  (Upt.)  u.  s.  w. :  so  wird  doch  sicherlich  an  seine  Eilegien,  d.  i. 
an  seine  Atxia  (s.  Schneider,  Call.  II  p.  39)  zu  denken  sein  (die  obendrein 
Prep.  I.  1.  ausdrücklich  bezeichnet).  Es  mag  darnach  die  Frage  erlaubt 
sein,  ob  bei  den  Romern  jener  Zeit  der  Ruhm  des  Kallimachus  sich  über- 
haupt auf  irgend  ein  anderes  Werk  als  auf  die  AiTta  gründete,  und  ob 
nicht  selbst  bei  Ovid,  Trist.  II  367  f.  (trotz  des  entgegengesetzten  Scheines) 
nur  von  Liebeserzühlungen  der  Atxta  die  Rede  ist.  (An  ^(xuTixa  [nih]  des 
Kallimachus  denkt  bei  der  Stelle  des  Ovid  Schneider,  Call.  11  p.  iS). 

2)  Die  wenigen  Spuren,  die  auf  andere  Liebessagen  hinführen,  genügen 
nicht,   um  nicht  alle  dergleichen  Sagen  als  nur  beiläufig  erwähnt,  nicht 


—     90     — 

Das  grosse  Ansehen  des  Kaliiniachus  diente  nun  ohne  Zweifel 
zu  weiterer  BestiHi!j;ung  und  Befestigung  der  Vorliebe  für  die 
zierliche  Ahrundung  eng  begrenzter  Sagenstoü'e.  ihre  Zuscinunen- 
reihung  in  poetischen  Cyklcn,  im  Besondern  auch  ftlr  die  Aus- 
bihlung  erotischer  Sagen.  Aus  den  Aelia  des  Dionysius  von 
Korinlh  kennen  wir  nur  Eine,  und  gerade  eine  erotische  Sage'). 
Kuphorion  von  Chaicis,  der  Vertreter  der  neuen  Poesie  am 
Seleucidenhofe,  hatte  in  seinen  wThracier«,  ebenfalls  einen  jener 
Sagenkranze,  die  erotischen  Sagen  von  Harpalyke  und  ihrem 
Vater  Klymcnus  und  von  der  gewaltsamen  Entführung  der 
Apriale  durch  Trambelus  aufgenommen '^j ;  in  einem  andern  nach 
einem  Freunde  »ApoHodorus«  genannten  Sagencyclus  halte  er 
die  schreckliche  Sage  von  Klita  und  ihres  Vaters  Piasus  ver- 
brecherischem Liebesbtlndniss  erziihll*^).  Eine  ahnliche  Vorliebe 
für  erotis(;he  Sagen  tragischer  Färbung  verrUlh  endlich  auch 
seine  Behandlung  der  wechselnden  Sagen  vom  Tode  des  schönen 
ll^acinlhus,  die  er  vielleicht,    wie  andre  Dichter  jener  Zeil,  in 


ausriilirlich  beliandcli,  erscheinen  zu  lassen.  So  z.  B.  ilippol^tus  fr.  6. 
Aphrodite  und  Adonis  371,  ilylas  410,  Demophoon  (und  Phyllis)  505  (vgl. 
fr.  anon.  79  p.  7i0  Sehn.),  Ariadne?  163,  Scylla  (Nisi?)  184  s.  dort  Schnei- 
der p.  441  und  dcns.  p.  112;  vgl.  auch  Nonnus,  Dion.  85,  161  ff.  und  dazu 
Naeke,  Op.  I  230;  Hypermneslra?  100a,  -y  p.  281  [Oenonc??  Schneider  p.  74], 
Hippe?  386  (das  Ablassen  von  der  Jagd  und  der  Verehrung  der  Artemis 
bedeutet,  wie  in  vielen  tihnlichen  Sagen,  einen  Abfall  zur  Aphrodite; 
und  insofern  wenigstens  konnte  die  Fabel  einen  erotischen  Charakter 
haben,  ähnlich  wie  des  Euripides  MeXavlitTTij  t^  oo;pT)  [vgl.  fr.  492]).  — 
Wendungen  aus  erotischen  Erzählungen  könnten  sein :  eaxev  ot  aC<»s'?o;  -/a- 
TepoTToprro;  ^ti  225 ;  Oifxßpfj;  K'j::ploo;  dpfxoviT^v  267  ;  xoüpr^  oe  rapelaxo  oaxpu- 
•/EO'jaa  521  u.  s.  w.  (489:  TialaaTe,  töjv  o'  iiiay*  tj  oexä;  o'jx  öX^yt^?  vgl. 
Schneider  p.  647^ 

1)  Dem  übrigens  völlig  unbekannten  Dionysius  von  Korinth  schreibt 
Suidas  AiTia  ev  ßt^Xloi  ä  zu:  eine  darin  erzählte  Liebesgeschichtc  von  An- 
ton und  Philislus  berührt  Plularch,  Amalor.  17.  —  In  einem  poetischen 
Kesicyclus  (nach  Art  der  Ovidischcn  Fasti),  Mf^ve;  genannt,  erzählte  Simroias 
von  Rhodus  die  Liebesgeschichtc  des  Apoll  und  Hyacinlhus  (Steph.  Byz. 
s.  'A[i.6xXai;  vgl.  Apollodor  III  10,  3,  2;.  —  Aus  den  Apal  der  Byzantinerin 
Moero,  vermuthlich  auch  einem  Kranze  kleinerer  Dichtungen  (vgl.  Naeke 
ad  Yal.  Caton.  14y  kennen  wir  nur  die  Liebesgeschichte  der  Alcinoe  (Par- 
then.  27). 

2)  Fr.  20.   21. 
:i    Fr.  4. 


—     91     — 

einer  besondern DichUing  ausgeführt  halle*)  ;  wie  denn  ders;leirhen 
kleine  Lieheserziihlunt^en,  neben  den  unifiinj^icherenScnnrnhingen, 
auch  cinzehi  vielfach  aust;e})ildel  wurden :  man  denke  an  die 
»Galalea«  des  Kalliinachus,  die  »Scylla«  der  lled\le,  in  welcher 
der  Meerfj;oll  Glaukus,  wie  ein  zweiler  Cyclop,  um  die  »spröde 
Nymphe«  werbend  dargeslclll  wurde '-^1,  den  )»Lyrcusi<  des  Nicae- 
nelus-*)  u.  s.  w.  In  solchen  Einzeldichlunf2;en  durften  sich  die 
erotischen  Legenden  dann  wohl  der  gelegenllich  elwas  aben- 
teuerlichen gelehrten  Vermummung  entziehen,  die  ihnen  in  die 
bunte  Gesellschaft  aetiologischer  Sagensammlungen  allein  den  Zu- 
tritt verschaflKe.  Aber  auch  in  dergleichen  Samndungen  verloren 
derartige  Legenden  wenig  von  ihrer  iicht  poetischen  Art;  ja 
selbst  die  so  wunderliche  Einkleidung,  die  solche  Stoffe  in  einer 
damals  besonders  beliebten  Gattung  aetiologischer  Sagen,  den 
Verwandlungssagen,  fanden,  hat  nicht  verhindert,  dass 
einige  der  lieblichsten  Liebeserzühlungen  gerade  unter  dieser 
Hülle  sich  auf  die  Nachwelt  cterettet  haben,  denen  die  schliess- 
liehe  Verwandlung  der  Hauptperson  in  irgend  einen  Baum,  eine 
Blume,  ein  fliessendes  Wasser,  einen  Stein,  oder  gar  ihre 
Versetzung  unter  die  Sterne^)    einen    gar   nicht  unangenehmen 


1}  S.  Fr.  XXXVl— XXXVlll  (LXXXIX?)  Das  erste  Fragment  beweist, 
dass  Euphorion  ausser  der  Sage,  welche  den  Hyacinllms  mit  dem  Tode 
des  Aias  in  Verbindung  bringt,  auch  die  andere  von  der  Liebe  des  Apoll 
zum  Hyacinthus  vortragen  wollte  (beide  bei  Piinius  n.  h  XX!  38  §  66 : 
die  Worte  des  Piinius  sind  entschieden  verderbt:   ein   un!>eachtelcr  Ver- 

• 

besserungsvorschlag  bei  Nie.  Heinsius  zu  Ovid,  Met.  X  245).  Die  künst- 
liche Combination,  durch  welche  Ovid,  Met.  X  162— 2i9  und  XIII  394  IT. 
beide  Versionen,  vermittelst  einer  Prophezeiung  des  Apoll  X  207  ff.;, 
vereinigt,  ist,  als  ein  ücht  alexnndrinisches  Kunststück,  sicherlich  einem 
hellenistischen  Dichter  enUehnt.  — Einen  'Vaxiv&o;  schrieb  auch  Nicand  e  r: 
0.  Schneider,  Nicandrea  p.  45  halt  diesen  Titel  nur  für  die  Bezeichnung 
eines  Abschnittes  seiner  Metamorphosen.  —  Vier  Verse  aus  einem  Gedichte 
eU  T(ixivdo»^  des  Bion,  in  dem  weichlichen  Tone  dieses  Dichters,  bei  Sto- 
bäus,  Eclog.  1  5,  7.  —  Ceber  die  Hyacinthussage  vgl.  übrigens  auch  die 
gelehrten  Ausführungen  des  liemsterhusius  zu  Lucian.  d.  deor.  4  4  (11  290  IT. 
ed.  Bipont.). 

2)  Athen.  VII  297  B. 

3'  Parlhen.  4. 

4)  Ueber  Jungfrauen  der  Sage,  welche,  von  (löllern  geliebt,  endlich 
unter  die  Sterne  versetzt  wurden,  vgl.  Naekes  Samminngen,  zum  Valerius 
Calo  p.  4  84  f.  —  liier  mag  beiläufig  einer  von  Pseudoeratosthenes  Cataste- 
rism.  34  erzählten  Licbeslegende  gedacht  sein:    Poseidon  liebt  die  Amphi- 


—     92     — 

Anflug  eines  immer  sinnreichen,  durch  ein  tiefes  Mitfühlen 
heimlichen  Naturlebcns,  beseelten  märchenhaften  Phantasiespieles 
verleiht.  Man  darf  diese  Sagen,  wie  eben  bemerkt,  als  eine 
besondre  Gattung  aetiologischer  Legenden  betrachten,  da 
auch  sie  stets  auf  eine  poetische  Deutung  aufiallender  Eigen- 
heiten bestimmter  Thiere,  Pflanzen  und  sonstiger  Naturgegen- 
stände hinausliefen.  Doppelt  willkommen  waren  sie  den  helle- 
nistischen Poeten,  wenn  sie,  statt  auf  jede  Pflanze,  jedes  Thier 
der  bestimmten  Arl  zu  passen,  sich,  gleich  andern  aetiologischen 
Sagen,  auch  örtlich  fixiren  jiessen,  indem  sie  obendrein  mit 
der  Deutung  besondrer  Cultgebräuche,  Ortsnamen  u.  s.  w.  in 
Verbindung  getreten  waren.  Solche  im  engern  Sinne  aetiologische 
Verwandlungssagen  scheint  Nicander  in  seinen  »Verwand- 
lungen« mit  Vorliebe  ausgeführt  zu  haben').  So  weil  wir 
übrigens  aus  den  IJeberresten  den  Inhalt  dieses  Werkes  erkennen 
können,  überwogen  darin  solche  Sagen,  die  aus  dem  Mythischen 
schon  ins  Märchenhafte  hinüberspielten,  und  dem  Dichter  nur 
um  seiner  Vorliebe  für  das  Sonderbare  und  Phantastische  willen 
interessant  sein  konnten.  Gleichwohl  erzähhe  derselbe  doch 
auch  so  poetisch  sinnvolle  Sagen,  wie  die  von  Ilermochares  und 
Ktesylla^),  in  die  er  vielleicht  den  durch  Kallimachus  berühmt 
gev^'ordenen  Apfelwurf  des  Acontius  eigenmächtig  und  nicht  ganz 
geschickt  verflocht^);  von  Byblis  und  Kaunus  (fr.  46)*;  von  der 


trite  und  sucht  sich  ihrer  zu  bemächtigen;  sie  flieht  zum  Atlas,  auch  die 
meisten  Nereiden  verstecken  sich.  Unter  vielen  ausgesandten  Sptthern  ist 
CS  der  Delphin,  welcher  endlich  die  Verborgene  auffindet  und  dem  Posei- 
don möglich  macht  sie  zu  ehelichen;  wofür  denn  Poseidon  ein  Bild  des 
Delphin  unter  die  Sterne  versetzt:  »Xl^ei  hi  icepl  aOxoü  xal  ^ApTCfjitBopo; 
ivtaK  iXc-yeiotic  Taic  irepl  'EpcoTo;  [airff)  TieiroiTjpivaic  ßCßXoi;]«.  So  Pseudo- 
eratosthcnes ;  Schol.  Gcrmanic.  Arat.  SSO  (Arat.  ed.  Buhle  II  p.  74;  Mar- 
cian.  Cap.  ed.  Eyssenh.  p.  442,  H)  sagt  nur:  ut  Artemidorus  referl. 
Wer  ist  aber  dieser  Artemidor,  den  wir  hier  als  Dichter  erotischer  Ele- 
gien kennen  lernen?  Sicher  doch  ein  Dichter  hellenistischer  Zeit;  im 
Uebrigen  wüsstc  ich  nichts  von  ihm  zu  sagen.  (Verschiedene  Artcmidori 
zählt  auf  z.  B.  Stiehle,  Philologus  XI  4  94;  dort  wird  aber  unser  Artemi- 
dorus nicht  einmal  erwöhnt). 

1)  S.  0.  Schneider,  Nicandrca  p.   48  f. 

2)  Fr.  49  Sehn. 

3)  Dieses  nach  Diltheys  wahrscheinlicher  Vermuthung,  de  Callim.  Cyd. 
p.  409.  Es  ist  übrigens  kein  Grund  vorhanden,  die  ausdrückliche  Er- 
innerung an   die   öhnliche  Lisi  des  Acontius,  mit  Dilthey,  erst  auf  den 


—     93    — 

Liebe  der  Aphrodite  zum  Adonis  (fr.  65),  von  der  Brilomartis, 
einer  jener  spröden,  allen  Bewerbern  stolz  sich  entziehenden 
Jägerjungfrauen,  wie  sie  die  griechische  Sage  zu  zeichnen  liebte 
(fr.  67) ,  vom  schönen  Hylas  (fr.  48) ,  von  Apoll  und  Hyacinthus 
(fr.  66)  1) .  —  Darf  man  nach  der  anderweitig  bekannten  Vorliebe 
des  Dichters  für  erotische  Legenden  auf  die  Metamorphosen- 
Sammlung  des  Parthenius  schliessen,  so  muss  man  vermuthen, 
dass  in  dieser  die  erotischen  Verwandlungs^agen  einen  sehr 
bedeutenden  Raum  einnahmen.  Wirklich  lehrt  uns  die  einzige 
sichere  Angabe  über  den  Inhalt  jener  Sammlung,  dass  der 
Dichter  darin  die  verbrecherische  Liebe  der  Scylla  zum  Minos, 
ihren  Verrath  des  Vaters  und  der  Vaterstadt,  ihre  Verwandlung 
in  einen  Vogel  erzählt  hattet);  glaublich  geniig  ist  die  Vei- 
muthung,  dass  in  der  »Ciris«,  die  man  hinter  Virgils  Werken 
liest,  eine  lateinische  Bearbeitung  eben  dieser  Erzählung  des 
Parthenius  uns  erhalten  sein  möge^) .     Vielleicht  darf  man  den 


Antoninus  Liberalis  zurückzuführen.  Dilthey  erinnert  selbst  an  die  alexan- 
drinische  Sitte,  auf  Stellen  anderer  Dichter  im  eigenen  Gedichte  ausdrück- 
lich anzuspielen  {vgl.  darüber  noch  Lehrs  de  Arist.  st.  Hom.'-^  p.  69  Anm., 
Haupt,  HernDes  II  6  f.  und  namentlich  ind.  schol.  Berol.  aest.  4  855  p.  6.  7, 
Merkel,  Proleg.  ad  Apoll.  Rhod.  p.  XLVIII).  So  erwähnte  man  wohl  auch, 
bei  der  Erzählung  einer  Sage,  paralleler  Mythen,  die  von  anderen  Dichtern 
behandelt  worden  waren:  vgl.  in  der  ganz  und  gar  alexandrinisch  gefärb- 
ten Ciris,  Vs.  238,  und  die  Aufzählung  der  Sagen  von  Geschlechtsverwand- 
lung in  dem  Excerpt  aus  Nicander  bei  Anton.  Lib.  17,  in  welchem  schon 
die  Accusative  c.  Infin.  (T7:ep[i.TjaTpav — atpaadai  -  dizo^ipti'i,  SiTcpodtjv  [xe- 
TaßaXciv)  darauf  hinweisen,  dass  Antoninus  die,  der  Galatea  vom  Dichter 
selbst  in  den  Mund  gelegten  Aeussorungcn  beibehallen  habe.  Vgl.  auch 
Apoll.  Rhod.  111  997  ff.;  Quint.  Smyrn.  X  479  ff.;  Musäus  453  ff. ;  Propert. 
V  4,  89  ff. 

1)  In  der  F/jpt6*:Tj  hatte  Nicander  erzählt  von  der  Liebe  der  Selene 
zum  Endymion  (fr.  24;  vgl.  Aetolic.  fr.  6.  7;  Liebe  des  Pan  und  der  Se- 
lene fr.  ine.  8  [H5]:  vgl.  Dilthey,  Archäol.  Zeitung  4  873  p.  73  f.],  von  der 
Liebe  des  Nereus  zum  Glaucus  (fr.  25). 

2)  S.  Meineke  Anal.  Alex.  p.  270—272. 

3)  Die  grosse  Wahrscheinlichkeit  dieser  von  Heyne  ausgesprochenen 
Vermuthung  (welcher  0.  Ribbeck  Append.  Vergil.  p.  47  nur  zweifelnd  zu- 
stimmt), ergiebt  sicherst,  wenn  man  die  (grösstentheils  von  Welcker,  Gr. 
Trag.  4225  gesammelten)  Stellen  der  Alten  genau  in  Gruppen  sondert  (was 
auch  Heibig  in  Gerhards  Denkm.  u.  Forschgg.  4  866  p.  4  96  ff.  versäumt 
hat).  Danach  findet  sich  eine  Differenz  der  Berichlerslatler  in  drei  Punk- 
ten (wenn  man  die   älteste  Version ,    in   der  überhaupt   von   Liebe  der  Sc. 


—     94    — 

» Metamorphosen  ((  auch  ein  Bruchstück  zuweisen,  in  welchem 
Parlhenius  erzühltc,  wie  eine  in  den  Flussi;ott  Cydnus  verlielrte 
cilicische  Königstochter  von  der  Aphrodite  in  eine  Quelle,  die 
sich  in  jenen  Fluss  eri!;iesst,  verwandelt  wurdet).  Dann  mtlsste 
man  freilich  annehmen,  dass,  wie  jenes  Fragment  2',,  so  die  ganze 
Metamorphosensammlung  des  Parlhenius  in  elegischem  Vers- 
maass  geschrieben  war,  gleich  den  Aetia  des  Kallimachus.  Keine 
entgegengesetzte  Thatsache  zwingt  uns,  eine  solche  Form  für 
unmöglich  zu  halten;  denn  ein  in  heroischen  Versen  gebautes 
Bruchstück,  in  dem  Parlhenius  von  dem  Ende  der  liebeskranken 
B\blis  erziihlt^),    enthüll    doch  keinerlei  Andeutung   von  einer 

\iar  nichl  die  Rode  ist,  bei  Seite  lässt).  i)  Heirathsversprechen  des  Minos: 
llypn.  Ciris.  Er  weist  sie  gleich  nnrnngs  nl):  Ovid  melam.  VHI.  (Die 
ühri;*en  Berichte  sind  hierin  unklar.)  2)  Nach  Ueherj;ahe  der  Stadt:  a)  Minos 
bindet  die  Sc.  an  sein  Schiff:  Apollodor.  Properz  lY  19,  «6  i Haupt.)  (Prop. 
IV  49,  21—28  isl  wohl  zu  comhiniren  mit  V  4,  39  f.).  Ciris.  b)  sie 
springt  ihm ,  als  er  abnihrt ,  nach :  Hygin.  Ovid.  met.  c;  Minos  lässt  sie 
aus  dem  Schiff  ins  W'asser  werfen :  Pausaqias  II  34 ,  6.  8)  Ausgang  der 
Sc\ IIa:  a)  sie  ertrinkt:  Apollodor.  Pansanias;  b)  sie  wird  zu  dem  homeri- 
schen Meerungelhüm:  »magni  pol'lae«  bei  dem  Auclor  der  Ciris  53  ff.  Yir- 
gil  ed.  6,  74  ff.  Properz.  Ovid.  her.  XII  124  f.  arl.  I  331  f.  amor.  III  12, 
21  f.  S.  Heinsius  zu  Sabinus  epist  I  83;  c)  sie  wird  zum  Fisch,  ihr  Valer 
Nisus  zum  Haliaeelus:  lUgin.  vgl.  Ciris  485  f.  d)  sie  wird  zum  Vogel  Ciris, 
Nisus  zum  Ilaliaeetus.  Ciris.  Virgll  0.  1  404  ff.  (im  1.  und  2.  Puncle 
unklar)  l)ion\sius 'I;i£UTiy,a  2,  14  (in  J.  G.  Schneiders  Oppian- p.  190)  u.  A. 
Bei  solchen  Divergenzen  der  Darstellung  spricht  nun  die  l'ebereinsUmmung 
des  Dichters  der  Ciris  mit  Parlhenius  in  dem  zweiU'n  und  drillen  Puncte 
sehr  entschieden  für  Heynes  ohnehin  so  wahrscheinliche  Vermulhung  ;  in 
Bezug  auf  das  Heirathversprechen  des  Minos  kennen  wir  nur  durch  Schuld 
der  Berichlerstaller  die  Darstellung  des  P.  nicht. 

1)  Fr.  XXIV  p.  277  Mein.  Wie  die  Jungfrau  hiess  sagl  Euslathius,  der 
die  Verse  mittheilt,  nichl ;  ich  finde  auch  bei  Meineke  keine  Belehrung 
darüber.  Vielleicht  isl  es  aber  keine  andere,  als  jeneKomactho  von  der 
ganz  dasselbe,  wie  bei  Parlhenius  von  jener  rapO^vo;  7,  KtX'.xojv  elyev  dvix- 
TopiT^v  erzählt  wird  bei  Nonuus  Dion.  II  143  ff.  XL  138 — 145.  Vermulh- 
lich  hat  N.  eben  die  Krzählung  des  Parlhenius  vor  Augen ;  dass  er  ihn 
kannte  und  sogar  nachahmte,  beweist  gerade  jenes  fr.  XXIV,  aus  dessen 
5tem  Verse  Nonnus  XXVI  357  die  Bezeichnung  »joaToci;  Yajxo;«  entlehnt  hat, 
wie  A.  Ludwich  Beilr.  zur  Kril.  des  Nonnus  (Künigsh.  1873.)  p.  94  be- 
merkt —  lieber  andere  Sagenliguren  des  Namens  Komaetho  vgl,  Wernicke 
zu  Trypliiodor  p.   179. 

2)  Von  einem  andern  ciircischeu  Flusse  redet  ebenfalls  ein  Pentameter 
des  Parth.:  Fr.   XXVH   .Mein.   p.   279  ff. 

3)  Fr.   XXXII  p.  285. 


—    95     — 

Verwandlung  der  Byhiis,  wie  sie  Nicander  und  Ovid  in  ihren 
Metamorphosen  herichleten ')  :  so  dass  also  dieses  Bruchstück 
eher  einem  hesondern  Gedichte  als  der  Metamorphosensannnlunjj: 
angehören  dürfte. 


1)  Es  wird  nicht  ganz  unnütz  sein,  die  zahlreichen  Versionen  der  Sage 
von  derByblis,  von  denen  keine  mit  der  andern  völlig  übereinstimmt,  ein- 
mal genauer  zu  sondern,  als  bisher,  irgendwo  geschehen  ist.  Namentlich 
in  Bezug  auf  den  Ausgang  der  verbrecherischen  Neigung ,  vom  Bruder  oder 
von  der  Schwester,  und  in  Bezug  auf  das  schliessliche  Schicksal  der  B.  sind 
die  Erzähler  verschiedener  Meinung.  1J  Nicander  (ETepoioüfx.  11  bei 
Ant.  Lib.  30  [p.  55  Sehn.])  erzählt:  Byblis,  Tochter  des  Miletus  und  der 
Eidothea ,  der  Tochter  des  Eurytus,  liebt  ihren  Zwillingsbruder  Kaunus, 
sacht  ihre  Leidenschaft  lange  zu  verbergen ;  endlich  stürzt  sie  sich ,  vor 
übergrossem  Liebes.schmerz,  in  der  Nacht  von  einem  Bergfelsen.  Mitlei- 
dige N\mphen  halten  sie  zurück,  versenken  sie  in  Schlaf,  verwandeln  sie 
in  eine  Hamadryade  und  machen  sie  zu  ihrer  Gespielin.  Die  von  jenem 
Felsen  rinnende  Quelle  heisst  noch  jetzt  »Thräne  der  Byblis«.  (»Hama- 
dr>aden«  steht  hier  wohl  ganz  allgemein  für  »Nymphen«,  so  dass  man  im 
Besondern  ganz  wohl  auch  Wassernymphen,  Najaden  darunter  verstehen 
könnte;  nach  einem  Gebrauche,  den  Lehrs  Popul.  Auf.  p.  97  namentlich 
bei  Ovid  nachweist.  Vgl.  auch  B.  Schmidt  Das  Volksl.  d.  Neugr.  I  18«.) 
—  1)  Ovfd  Metam.  IX  444 — 665:  B.,  Tochter  des  Miletus  und  der  Cyanee, 
der  Tochter  des  Maeander  (also  von  Haus  aus  mit  dem  Wasser  verwandt: 
vgl.  Nicanders  Eurytus),  liebt  ihren  Zwillingsbruder  Kaunus,  entdeckt  sich 
ihm  durch  einen  Brief.  K.  weist  sie  entrüstet  ab,  wandert,  öfter  von  ihr 
angesprochen,  endlich  aus ;  B.  zieht  ihm  nach ,  wird  auf  ihren  Irrgängen 
endlich  in  eine  Quelle  verwandelt.  3)  Nonnus,  Dion.  XIII  548—561. 
Kaunus  liebt  seine  Schwester  Byblis  ,  flieht  von  Hause ;  B.  wird  zur  Quelle. 
k)  Sc  hol.  Theoer  it.  VII  415.  Kaunus,  Sohn  des  Miletus  und  der  Areia, 
liebt  seine  Schwester  Byblis ,  wandert  aus.  B.  erhängt  sich ;  nach  ihr  wird 
die  Quelle  Byblis  bei  Milet  benannt.  5)  Konon,  narrat.  2.  Kaunus  liebt 
.seine  Schwester  Byblis,  verlässt  Milel.  Auch  B.  irrt  nun  umher,  erhängt 
.sich;  aus  ihren  Thränen  entsteht  die  Quelle  Byblis  u.  s.  w.  6)  Nicaene-. 
lus  bei  Parthenius  11.  Kaunus  liebt  seine  Schwester  Bvbiis,  wandert  aus. 
sie  klagt  um  ihn  vor  den  Thoren  der  Stadt.  Das  Ende  fehlt  ofTenbar  nur 
in  dem  Auszuge  des  Parthenius,  dem  es  einzig  auf  das  Ausgehen  der  Liebe 
vom  Kaunus  ankam.  7)  Parthenius,  Fr.  XXXIl.  B\blis  liebt  den  Kau- 
nus; or  wandert  aus,  sie  erhängt  sich.  In  den  Versen  des  Parthenius 
scheint  hinter  ivedi^xaTo  eine  Lücke  zu  sein:  noch  hat  nunn  nicht  einmal 
gehört,  dass  die  B.,  nachdem  sie  »an  eine  feste  Eiche  den  Gürtel  knüpfend, 
iiiren  Hals  hineingelegt  hatte«,  auch  wirklich  gestorben  sei,  und  .schon 
sind  (in  der  Einsa  mke  it!),  »die  milesischen  Jungfrauen«  da,  um  ihre  Ge- 
wänder klagend  zu  zerrcis.sen.  Es  scheint  also  nach  i^^e^xaTo  mancherlei 
ausgefallen  und  der  Riss  durch  das  zufällig  metrisch  sich  anschliessende 
•Tal  o'  in'  ixeivr«  versteckt  worden  zu  sein.     Jedenfalls  stand  aber  auch  in 


—     96     — 

Mit  Farthenius  sind  wir  ein  das  Ende  der  Reihenfolge  helle- 
nistischer Liebeslegenden-erzHhIer  gelangt  i).  Er  reicht  schon 
in  die  Zeit  hinunter,  wo  die  Griechen  den  rüstigeren  Römern 
die  Fackel  der  Dichtung  zum  weiteren  Laufe  übergaben,  wo 
namentlich  auch  die  hellenistische  Dichtkunst,  durch  Farthenius 
und  einiger  Genossen  eigne  Vermittlung,  ihre  Grundsätze  und 
Kunslübungen  in  Rom  einführte.  Auch  die  noch  weiter  spinnende 
antiquarische  Sagendichtung  der  Griechen  selbst  wandte  um  diese 
Zeit  sich  dem  römischen  Sagenschatze  zu:  wie  z.  B.  Butas, 
der  Freigelassene  des  Jüngern  Cato,  nach  kallimacheischer  Art 
in  elegischen  Versen  aetiologische  Sagen,  die  sich  um  römische 
Sitten  gerankt  hatten,  behandelte^  ;  wie  ein  übrigens  unbekannter 
Simylus^)    die   römische  Sage    von   dem  Verrath    der  Tarpeja, 

den  ausgefallenen  Versen  nichts  von  der  Verwandlung  der  B.  in  eine 
Quelle;  denn  diesen  Ausgang  setzt  ja  gleich  darauf  Farthenius  seiner  eige- 
nen Version  als  die  Meinung  »einiger«  ausdrücklich  entgegen.  (So  auch 
Meineke  an.  AI.  p.  285),  und  schon  Mellmann,  de  caus.  et  auctorib. 
narrat.  de  mutatis  forntis  p.  85.)  Woraus  Dilthey,  Rhein.  Mus.  XXV 
4  55  geschlossen  hahe,  dass  Parlhenius,  gleich  Nicander,  die  B.  zu  einer 
Nymphe  werden  lasse,  verstehe  ich  nicht.  —  Uebersieht  man  diese  7  Ver- 
sionen, so  bemerkt  man  ganz  deutlich,  dass  ursprünglich  zwei  Sagen  vom 
Ausgang  der  B.  einander  gegenüberstanden ,  a)  eine  Verwandlung  ohne 
Selbstmord  (2.  8.),  b)  ein  Selbstmord  ohne  Verwandlung  (7.).  Diese 
Version  konnte  allerdings,  wie  Dilthcy  a.  0.  vermuthet,  sehr  wohl  auf  eine 
Tragödie  zurückgehen.  (Vgl.  einen  ühnlichen  Fall  oben  p.  36  A.  5. 
Eine  Comliination  beider  Versionen  verbünd  dann  Selbstmord  und 
Verwandlung  (1.  4.  5.)  ^6  bleibt  unbestimmt;  ebenso  Apollonius  von  Rho- 
dus  und  Aristocritus  r.  MiXVjto'j  in  der  Autorenangabe  bei  Farthenius].  Ob 
übrigens  in  der  älteren  Version  die  Liebe  vom  Bruder  (8.  4.  5.  6.)  aus- 
ging, oder  von  der  Schwester  (4.  2.  7.),  wäre  wohl  schwer  zu  bestim- 
men; denkt  man  freilich  an  den  sprüchworllichen  Gelirauch  von  Ka6v(0( 
Ipcuc  für  einen  epui;  irovripö;  [Arislotel.  Rhelor .  II  25  p.  4402  b,  8),  so 
scheint  die  erste  Version,  nach  welcher  Kaunus  der  eigentliche  Tröger 
der  schlimmen  Leidensi^hafl  war,  in  iilterer  Zeil  die  allgemeiner  verbreitete 
gewesen  zu  zein. 

1)  Andern,  als  den  oben  aufgezählten,  bei  Farthenius  behandelten  Sa- 
gen kann  man  nur  vermulhungsweise  einen  erotischen  Inhalt  geben:  so 
der  Sage  von  der  Anthippe  (Kr.  XIII  p.  267  f.),  vom  Iphiclus  (Fr.  XV  p. 
269.)  Die  Legende  von  der  Liebe  der  Phaedrn  zum  iiippolylus  (Fr.  XLVII; 
und  von  der  Eifersucht  der  (lattin  des  Kyanippus  (Fr.  XLIX)  lassen  den  F. 
nur  zwei  nicht  ganz  unverdächtige  Zeugen  erzählen. 

2j  s.  Plutarch  Romul.  24. 

3)  Diesen    Elegiker  Simylus   identificirt  Meineke   Comic.    1  p.    XV  mit 


—     97     — 

im  hellenistischen  Geschmack  zur  Liebessa^e  umgebildet  und 
auch  sonst  wunderlich  entstellt,  in  elec;ischem  Versmaasse  be- 
sang *) . 

11. 

So  sehr  nun  der  Geist,  in  welchem  diese  hellenistischen 
Dichter  ihre  Liebesabenteuer  vorzutragen  liebten,  schon  moderner 
Empfindungsweise  sich  annühert,  so  blieben  sie  doch  allgriechi- 
schen Ueberlieferungen  wenigstens  darin  treu,  dass  sie  die  SlolTe 
ihrer  Erzählungen  nicht  aus  eigner  Erlindung,  sondern  aus  der 
Sage  des  Volkes  entnahmen.  Mit  Recht  darf  sich  Kallimachus 
rühmen,  er  singe  nichts  Unbezeugt es 2).  Man  wollte  noch  inmier 
nur  dichterischer  Bildner  der  überlieferten  Sage  sein;  ja  man 
legte  auf  die  Urkundlichkeit  seiner  Berichte  ein  so  starkes 
Gewicht,  dass  man  wohl  gar,  mitten  im  Gedicht,  mit  gelehrter 
Genauigkeit  die  verschiedenen  Versionen  einer  Sage,  wie 
man  sie  bei  andern  Dichtern  angetroffen  hatte,  hervorhob  und 
kritisch   abwogt).     Zwar   scheint    es,    dass  nicht  ^lle  Mitglieder 


einem  Didaktiker  gleichen  Namens,  dessen  Person  und  Zeil  aber  gleichfalls 
unbestimmt  sind. 

1)  Plut.  Romul.  il.  Er  liess  die  T.  sich  in  einen  keltischen  Heer- 
führer verlieben,  vielleicht  nach  Anleitung  einer  asiatischen  Sage,  die 
von  Brennus,  dem  Gallierführer,  vor  Ephesus  dasselbe  Abenteuer  erzählte 
{s.  Klitophon  bei  Ps.  Plut.  par.  min.  4  5).  —  Diesem  Simylus  giebt  übri- 
gens Bergk,  P.  I>r.  ed.  III  p.  4189  noch  einen,  in  den  llss.  des  Elymol. 
M  185,  30  dem  Simonides  zugeschriebenen  Vers,  der  vom  Herakles,  wel- 
cher den  Hylas  sucht,  zu  handeln  scheint. 

2)  'AfxdipTypov  ouosv  detow  fr.  442,  vgl.  fr.  anon.  364  p.  784  Sehn.  — 
Auf  die  eigenen  Arbeiten  und  Mythenforschungen  des  Dichters  beziehen 
sich  wohl  auch  die  W'orte  des  Philelas  in  dem  schwer  verständlichen 
Bruchstücke  bei  Stobäus,  Flor.  LXXXl  1  —  TroXXd  |jLOY7)oai;,  {JL-Ji^iov  -avTotojv 
oijiov  eriaxcijuvo;.  (Die  sellsamsle  aller  Deutungen  dieses  vielbesprochenen 
Fragmentes  trägt  Härtung,  Die  gr.  Eleg.  II  p.  33  f.  vor). 

3)  Euphorion,  fr.  36:  Trop'^ypcTj  Od-Aivi^e,  oe  [xsv  |xla  'f^jii;  doio&v  — 
dvri/Aeiv:  im  Gegensalz  zu  anderen  Ueberlieferungen.  Meineke  p  70 
vergleicht  passend  ähnliche  Gegenüberstellungen  verschiedener  Ueberliefe- 
rungen bei  Nonnus,  Dion.  XU  292  IT.,  XLl  155.  Nach  alexandrinischem 
Muster  Ciris  54  IT.,  303  ff.  Naiv  stellt  sich  das  Verhällniss  dieser  gelehr- 
ten Dichter  zur  Ueberlieferung  beim  Apolloniirs  von  Rhodus  dar.  Beruft 
er  sich  schon  ohnehin  öfler,  unpoelisch  genug,  auf  die  Berichte  der  zpooftev 
doiooi,   der   ^dTi;  (I  18.  59.   123.   172.    II  856),    so  wird   seine  NaivetÄt  fast 

Bohde,  Der  griechische  Euman.  7 


—    9S    — 

(lieser  Dirhterreihe  mit  gleicher  Strenge  ihre  Erfindsamkeil  durch 
die  üeberlieferung  binden  Hessen ') ;  im  Allgemeinen  wird  aber 
die  leicht  erkennbare  Lust  dieser  Porten  an  einer  Variining 
und  sinnvollen  Weiterbildung  aher  Sagen  sich  weniger  durch 
die  Geburten  ihrer  eignen  Willkür  als  durch  ihren  eifrigen 
Spürsinn  nach  cigenthüinlichen,  sehsani  gewendeten  Localsagen 
befriedigt  haben,  welche  der  glückliche  Finder  vergnügt  hervor- 
ziehen und,  bei  aller  rngewöhnlichkeil  ihrer  Darstellung,  doch 
als  eine  urkundlich  überlieferle  Rarität  verehren  konnte 2). 
Ihre  Vorliebe  für  einen  bunten  Reichthum  noch  unausgenutzter, 
durch  Neuheit  interessanter  KrzJlhlung  anziehender  SagenstofTe 
bildet  allerdings  schon  einen  Tebergang  zu  der  Rastlosigkeit 
ewig  geschäftiger  Erfindungssucht,  zu  der  in  neueren  Zeiten  die 
Anforderung  neuen,  selbsterfundenen  Inhalts  namentlich  den 
erzählenden  Dichter  nöthigt;  gleichwohl  sagten  sie  wenigstens 
von  <ler  überkommenen  Sitle  dichterischer  Behandlung  volks- 
mHssig  überlieferler  Sagen  sich  nicht  los.  Vorzüglich  mochten 
sie  bei  dieser  Beschränkung  die  alle  Gewöhnung  und  das  An- 
sehen der  illlern  Dichlungsweise  feslhallen;  doch  darf  man 
glauben,  dass  sie  auch  die  künstlerischen  Vorlheile  zu  schätzen 


klüglidi,  wo  er,  wie  ein  nur  referirendor  Historiker,  ausdrücklich  fund 
doch  ohne  Ironie)  seinen  Unglauben  an  das  nun  einmal  Ueberlieferte  und 
darum  weiter  zu  Ueberliefernde  l)ekcnnt:  I  158  e(  Iteov  «ye  ^^Xei  xXio;, 
IV  982  f.:  iXaTE  MoOaai,  oux  iUlm^  isir.tu  zpoT^pwv  Itto;,  IV  1379  f.  (vkI. 
auch  IV  1674  (f.).  Aehnlich  dann,  nach  alexandrinischcm  Vorbild,  Ovid, 
Melam.  XIII  738.  XV  282  f.,  vgl.  III  3H.  Virj.'.  G.  III  891  A.  VI  178. 
(Verwandt,  obgleich  wohl  eher  durch  Pindars  Vorgang  angeregt,  Kallimachus 
h.  in  Jov.  60,  wo  er  sich  auf  die  ^T,vaioi  dioiooi  beruft,  um  sie  zu  corrigiren). 

1)  Z.  B.  hebl  am  Hermesianax  der,  in  verslecklen  und  verscholle- 
nen Sagen  doch  selbst  so  wohl  bewanderte  Pausanias  mehrfa(;h  eine  will- 
kürlich freie  Umbildung  der  Üeberlieferung  hervor:   VII  17,  5.  IX  35,  4. 

2)  Dies  gilt  wohl  selbst  für  den  überaus  gelehrten  P^uphorion,  bei 
dem  allerdings  manche  stark  nach  einem  Autoscliediasma  schmeckende 
MNlhenvcrsionen  vorkommen  iman  vgl.  was  er  von  den  Ursachen  der  Miss- 
gestall des  Thersites  erzählt  Fr.  181,  von  der  Abstammung  des  Prometheus 
\on  Hera  und  dem  Giganten  Eurymedon  Fr.  134,  der  Verleihung  Thebens 
an  die  Persephone  Fr.  48,  der  Opferung  der  Iphigenia  in  Brauron  .statt  in 
Aulis  Fr.  81  etc.).  Merkwürdig  ist  es  zu  bemerken,  wie  er  in  manchen, 
nicht  minder  sonderbaren  Berichten  alteren  Erzählungen  folgte,  und  zwar 
mit  entschiedener  Vorliebe  dem  Stesichorus:  s.  Fr.  61.  125.  126,  sentit 
dem  Sokrates  Fr.  144,  dem  Hegesippus  Fr.  55. 


-^     99    — 

wussten,  welche  dem  ausbildenden  Künstler  ein  überlieferter 
Stoff  gewährt.  Die  Kunst  fordert,  um  überhaupt  eine  volle 
Wirkung  zu  thun,  einen  gewissen  Glauben  an  die  Wirklichkeit 
und  Wahrheit  ihrer  Darstellung  ^j ;  und  man  bemerkt  leicht, 
wie  bedeutend  eine  uralte  volksmiissige  Ueberlieferung,  welche 
der  Dichter  seiner  Erzählung  zu  Grunde  legt,  indem  sie  gleich- 
sam die  »Wahrheit«  des  Erzählten  von  vorn  herein  verbürgt, 
den  flatternden  Traumgeslalten  der  Dichtung  einen  realen  Leib 
zu  geben  beiträgt.  Wichtiger  noch  mag  es  sein,  dass  in  den 
wahrhaft  poetischen  unter  jenen  Sagen,  wie  sie,  aus  verborgenen 
Ursprüngen  entsl<mden,  von  der  Phantasie  vieler  Geschlechter 
eines  Volkes  lange  Zeit  liebevoll  gehegt  und  ausgearbeitet  worden 
sind,  die  bedeutenden  sittlichen  Verhältnisse,  die  in  stetiger 
Wiederkehr  das  im  Grunde  überall  gleiche  Leben  der  Menschen 
bestimmen,  eine  typische  und  darum  ideale  Gestaltung,  eine, 
das  wirklich  Bedeutsame  zu  concentrirler  W'irkung  zusammen- 
drängende Verdichtung  gewonnen  haben,  wie  sie  den  Erfindungen 
seiner  individuellen  Phantasie  zu  geben  kaum  dem  grössten 
Dichter  einmal  gelingt.  —  Aus  solchen  Betrachtungen  mag  man 
es  sich  erklären  ,  warum  wir  diese  hellenistischen  Dichter 
wenigstens  in  der  Wahl  des  Stoffes  noch  nicht  die  Wege  eigner 
Erdichtung  einschlagen  sehen,  welche  die  spätem  Roman- 
schreiber betreten  haben. 

Die  Stoffe  ihrer  Erzählungen  mochten  sie  nun  zum  Theil 
selbst  aus  dem  Volksmunde  vcrnonunen  haben;  es  ist  wahr- 
scheinlich genug,  dass,  gleich  den  Periegeten  jener  Zeit,  auch 
die  gelehrten  Dichter  ausdrücklich  zum  Zweck  der  Sagenforschung 
das  Land  durchwanderten  ^) . 


1]  i^^  ou  Si  dT.i<y:o'j[Lt^  [im  Gedichte)  oyy  ifi6\t.e^a:  Aristoteles  probl. 
48,  10  p.  947b,  45. 

2)  Man  erinnere  sich  der  ol)en  p.  83  angeführten  charakterislischen 
Worte  des  Menodotus  ül)er  Xicaenetus. 

3)  Für  Kaliimac h US  insbesondere  vermuthet  dies  Dilthey,  De 
Callim.  Cyd.  p.  419  T.  Dass  er  nicht  sein  ganzes  Leben  in  Cyrene  und 
Alexandria  zubrachte,  beweist  fr.  4  09  (nach  den  Worten  des  Athenüus  be- 
zögen sich  diese  Verse  auf  ein  Gastmahl  in  Athen,  welchem  Kallimachus 
lieiwohnle ;  .  Meineko  bei  Schneider,  Callim.  II  p.  878  verlegt  dasselbe 
durch  eine  sehr  unsichere  Conjectur  nach  Theben.  Der  ^£voc,  von 
dessen  Massigkeit  Kniliinnchus  dort  redet,  war  nach  Athenüus  sein  oixeto; 
Sivo;;  sollte  dieser,  Meineken  anstossige  Ausdruck,  nicht  bedeuten  können: 


7* 


—     100     — 

Was  im  Besondern  die  erotischen  Legenden  betrifft, 
so  wird  man  es,  nacli  dem  Gange  unsrer  Betrachtung,  glaublich 
genug  Onden,  dass  die  Erzühler  der  hellenistischen  Zeit  sich 
hüußg  an  die  spätere  Tragödie  anlehnten,  in  welcher  so 
manche   dieser   Legenden   zuerst    eine    künstlerische   Gestaltung 

sein  [des  Kallimachus]  eigener  Gaslfreund,  der  mit  Kallimaehus  zusammen 
bei  Pollis  schmauste?  [oder  vielleiclit  des  Kallimachus  i^i6^evo;,  im 
Gegensatz  zum  zp^^evo;  der  Cyrenaer?]  .  Vielleicht  war  er  auch  in  Kreta 
(s.  Meineke  zu  Call.  h.  Jov.  42  p.  128).  Noch  eine  andere,  so  viel  ich 
weiss,  bisher  nicht  beachtete  l^pur  von  einem  Aufenthalt  des  Kallimachus 
in  Athen  verbirgt  sich  vielleicht  in  einer  lateinischen  Uebersetzung  des 
f£vo;  'ApaTOü,  die  aus  einer  spanischen  Hs.  Iriarte  vcröfTentlicht  hat; 
ich  kann  mich,  in  Ermangelung  des  Iriarteschen  Kataloges,  nur  auf  Wester- 
mann ,  BioYpd^oi  p.  58  beziehen.  Dort  heisst  es  vom  Aratus:  Factus  est 
autem  multum  litteratus  vir;  testatur  callimachus  assislens  ei  ab 
Infant ia  propter  praxipanem  mitilenum.  Die  unbehülflich ,  aber  gewiss 
wörtlich  übersetzten  Worte  ass.  ei  ab  inf.  mögen  griechisch  etwa  gelautet 
haben :  (TjaTs;  (technischer  Ausdruck :  z.  B.  Apollodor  bei  Laerl.  V  9, 
vielleicht  auch:  auvobv,  wobei  man  an  ein  contuhernium  des  Kallimachus 
und  Aratus  denken  mag,  wie  in  den  von  Lehrs  Aristarch.  p.  i6  ed.  1  behan- 
delten Fallen)  auTuj  1%  viou,  und  es  scheint,  dass  Kallimachus  solch  eine 
Jugendbekanntschaft  mit  Aratus  ^v  toT;  "po;  FIpaEi^avT^v  tov  M'JTiXr^vaiov  idenn 
diesen  Titel  geben  ja  wohl  die  lateinischen  Worte  pr.  prax.  mit.  wieder: 
vgl.  Vita  Arati  1  p.  54,  75  W.,  Schneider,  Callim.  II  p.  350  f.  Wörtlich 
verstanden,  Hessen  uns  freilich  die  lateinischen  Worte  den  Prax.  als  ge- 
meinsamen Lehrer  des  Kallimachus  und  Aratus  erscheinen.  Durch  den  Zu- 
satz: Mitilenum  wird,  beiläufig  gesagt,  die  Vermuthung  zur  Gewissheit, 
dass  des  Kallimachus  Praxiphanes  der  »erste  Granmiatiker«  war:  denn 
diesen  nennt  Klemens  ausdrücklich  einen  Mytilenäer)  erwöhnt  habe.  Wenn 
nun  also  Kallimachus  mit  A  ra  t  in  Jugendlichen  Jahren  irgendwo  zusammen 
gelebt  hat,  so  kann  man  dabei  schwerlich  an  einen  anderen  Ort  als  Athen 
denken:  denn  diese  Stadt  ist  die  einzige,  in  der  nachweislich  sowohl  Arat 
als  Kallimachus  einmal  sich  aufgehalten  haben.  In  diesem  Falle  würde 
man  wohl  Athen  als  gemeinsamen  Studienorl  der  Heiden  sich  zu  denken 
haben.  Arat  ging  von  Athen  mit  seinem  Lehrer  Persaeus  nach  Macedonien 
zu  .\ntigonus  Gonatas  (vita  Ar.  IV  p.  60,  10  fT.),  etwa  im  Jahre  275  (siehe 
0.  Schneider,  Nicandrea  p.  13,  vgl.  oben  p.  65  A.  9.).  Damals  mo(!hte  er  (wenn 
er  c.  305  geboren  war:  vgl.  Ritschi,  Opuscul.  I  71.  72)  gegen  30  Jahre, 
Kallimachus,  nach  der  wahrscheinlichsten  Berechnung  (s.  Keil  in  Rilschls 
Opusc.  I  236)  etwa  20  Jahre  alt  sein.  Dieser  konnte  also,  beim  Beginn 
seiner  Studienjahre,  sehr  wohl  mit  dem  älteren  Arat  in  Athen  zusammen- 
getrofTen  .sein,  und  kam  immer  noch  jugendlich  genug  nach  Alexandria  zu- 
rück, um  (auch  nach  der  überstandenen  Schulmeislerzeit  in  Eleusis)  nach 
dem  wunderlichen  Ausdruck  des  Tzetzos  veavioxo;  rf^c  aüXf^;  zu  werden, 
wobei  man  ja,  mit  Rücksicht  auf  die  ihm  übertragene  ungeheuere  Aufgabe 


—     101     — 

i?o\vonnon  halle,  die  ihren  liefen  Gehall  ans  Lichl  Irelen  Hess, 
(iemeinsam  sind  beiden  Diehlungsarlen  vorzüglich  solche  Liehes- 
sagen,  in  denen  eine  ieidenschafllichc  Verwirrung  sich  durch 
einen  gewaltsamen  Ausgang  schmerzlich  löste:  so  die  Sagen 
von  Scylla  und  Minos,  Cinyras  und  Myrrha  *)  ^  Canace  und 
Macareus^),  Cephalus  undProcris^),  llippodamia  und  Pelops^), 
Phaedra  und  Hippolytus  *) ,  Clymenus  und  Harpalyce  ♦» ) ,  vielleicht 


der  Katalogisirung  der  Bibliothek,  an  kein  allzu  jugendliches  Lehensalter 
denken  wird.  —  Ein  Wanderleben  führten  übrigens  manche  Dichter  jener 
Zeit.  Man  denke,  ausser  an  Arat,  an  Theokrit  oder  an  Euphorion,  in  etwas 
späterer  Zeil  an  Leonidas  von  Tarent  (anth.  Pal.  VII  745).  Die  Könige,  auf 
deren  »Milde«  die  armen  Poeten  durchaus  angewiesen  waren  (vgl.  Theokrit. 
16.  47)  gaben  schon  eine  bedeutende  Veranlassung  zur  Wanderung,  die 
Wissenslust  that  das  Uebrige. 

1)  Kinyras  und  Myrrha  als  Tragödie:  s.  oben  p.  36.  Dass  die  alexan- 
drinische  Erzahlungskunst  diese  Fabel  behandelte,  geht  mit  voller  Gewiss- 
heit theils  aus  der  Nachbildung  einer  solchen  Erzöhlung  bei  Ovid,  Metam. 
X  298 — 502  hervor,  theils,  und  noch  entschiedener,  aus  dem  mühsamen 
Gedichte  des  Cinna:  Zmyrna,  für  das  man  ohne  Zweifel  ein  ähnliches 
griechisches  Vorbild  vorauszusetzen  hat,  wie  für  die  Pseudovirgilische  Ciris. 

2)  »Aeolus«  des  Euripides:  oben  p.  35.  Ovids  eilfle  Herolde  »Canace« 
geht  sicherlich  nicht,  wie  Weicker,  Trag.  864  mit  Grauerl  annimmt,  auf 
das  Drama  des  Euripides  zurück:  denn  warum  sollte  Ovid  die  rafünirte 
Steigerung  des  Peinlichen,  wie  sie,  nach  Weickers  Nachweis,  Euripides 
seinem  Drama  gegeben  hatte,  wonach  die  Verlobung  des  Makareus  mit  der 
Entbindung  der  Canace  auf  Einen  Tag  zusammenfiel,  beseitigt  haben?  Da 
doch  dergleichen  Schärfungen  des  Conflicts  vollständig  dem  Geschmack  des 
Ovid  entsprechen.  Viel  eher  könnte  man  also  an  ein  alexandrinisches 
Vorbild  des  Ovid  denken.  —  Canaces  ignis  bei  Ovid,  Ibis  355,  unter  lauter 
specifisch  alexandrinischen  Mythenbeispielen.     Vgl.  ibid.  560. 

3)  rip^^xpi;  von  Sophocies.  Der  Inhalt  ist  durchaus  unbekannt.  Wie 
aber  diese  Sage  unter  den  Händen  der  hellenistischen  Dichter  aus  ihrer 
älteren  und  herberen  Gestalt  (Apollodor  III  4  5,  4,  Anton.  Lib.  44,  Hygin 
f.  4  89)  zu  einem  rührenden,  psychologisch  feinen  Gemälde  umgearbeitet 
wurde,  lösst  uns  die  Darstellung  des  Ovid,  Met.  VII  694  flf.  und  Art.  am. 
111  685  ff.  erkennen.  —  Upixpi^  des  Kom.  Eubulus:  fr.  com.  III  247.  —  Procris 
als  Jagdgenossin  der  Artemis:  Callim.  h.  Dian.  209  f. 

4)  Sophokles  und  Euripides  »Oenomaus«.  Auf  alexandrinische  Behand- 
lung des  Stoffes  lassen  vielleicht  die  Anspielungen  bei  Nonnus,  D.  XX  4  54  — 
465  u.  ö.,  sowie  eine  in  Virgilischen  Phrasen  ausgeführte  Erzählung  in  der 
antbol.  lat.  4  4   (I  p.  30  ff.  R.)  schliessen. 

5)  Alexandrinisch :  Kallimachus,  Fr.  7.     Vgl.  oben  p.  86. 

6)  S.  oben  p.  36  A.  5.  Mit  der  alexand  rinischen  Version  dieser  Sage 
nahe  verwandt  ist  die  Geschichte  von  der  Nyctimonc,  welche  ebenfalls, 


—     102    — 

auch  Kaunas  und  Bybiis*).  Der  Einlluss  dieser  späten  Trag- 
ödie mochte  wohl  weiter  reichen,  als  unsrc  dtirftigen  Nachrichten 
uns  mit  Bestimmtheit  zu  behaupten  erlauben;  ja  es  scheint,  dßss 
die  offenbare  Vorliebe  der  hellenistischen  Erzähler  für  schwer- 
mtlthige  und  traurige  Sagen  aus  einer  tiofecen  Gemeinsapi- 
keit  der  Empfmdung  zwischen  ihnen  und  den  gleichzeitigen 
tragischen  Dichtern  zu  erklaren  sei.  Jedenfalls  begegnen 
sie  sich  in  der  Neigung,  den  romantischen  Geist  sentimentaler 
Liebe  aus  neueren  Orlslcgenden  auch  auf  die  Heroen  alter 
Mythen  zu  tibertragen,  und  so  freilich  in  die  Physiognomie  dieser 
alten  Recken-  einen  sehr  fremdartigen  Zug  hincinzuzeichnen. 
Mit  Vorliebe  knüpfte  man  da  an,  wo  schon  die  ursprüngliche 
Sage  ein  erotisches  Verhültniss  wenigstens  angedeutet  hatte: 
aber  wenn  die  Dichtung  der  alten  Zeit  diese  Leidenschaft  kaum 
anders  kannte  und  verwandte,  denn  als  ein  gewaltsames  und 
verhängnissYolles  Motiv  zu  grossen  Katastrophen  des  llelden- 
lebens,  so  verweilte  man  jetzt  vorzüglich  auf  der  Leidenschaft 
als  solcher,  ihren  Wonnen  und  Schmerzen,  ihrem  sinnlichen 
Reiz  und  ihrem  begeisternden  Aufschwünge. 

Auch  hier  stand  Achill  voran.  Wie  ihn  die  jüngere  Volks- 
sage in  allerlei  fremdartige  Liebesbündnisse  verstrickte,  ist  oben 
hervorgehoben  worden.  Mit  besondrem  Behagen  führte  man 
jetzt  die  in  «llterer  Dichtung  nur  leise  augedeuteten  Liebesregungen 
des  herrlichen  Jünglings  aus.  Die  ui*sprünglich  so  harmlose 
Sage  von  seinem  Aufenthalt  auf  Scyrus  und  seiner  Verbindung 
mit  Deidamia  bildete  man  jetzt  zu  einem  Gemälde  voll  heim- 
lichen,  aber   nicht  ganz  unverfänglichen  Reizes  aus^).     In  sein 


von  ihrem  Vater  goschöndet,  in  einen  Vugel  ven^andeil  wird :  Hygin.  fab.  i04. 
Ovfd,  Mel.  II  590  fT. 

1)  Deren  Behandlung  in  der  Tragödie  allerdings  problematisch  bleibt: 
s.  oben  p.  96. 

2)  Achills  Landung  auf  Scyrus  und  seine  Verbindung  mit  einer  scyri- 
schen  Jungfrau  deutet  schon  die  ili<is  an  (I  668  [s.  dazu  Aristonicus,  und 
Lohrs  Aristarch.  p.  478  4.  Ausg.],  T  846,  Q  467);  die  Kyprien  Hessen  ihn, 
bei  dem  Sturm  nach  der  ersten  Landung  in  Troas,  dorthin  verschlagen  wer- 
den und  mit  der  Deidamia  »ich  verbinden  :ProcI.  S.  Weicker  Ep.  Cycl.  11 
441).  Ebenso  die  Kleine  Ilias  des  Lcsches  Weicker  U  240).  Die  Sage  von 
seiner  Verbergung  auf  Scyrus  beim  Beginn  des  Krieges,  seinen  Abenteuern 
in  Weiberkleidern  u.  s.  w.  ist  jünger.  Aeltestes  Zeugniss:  Polygnots  Ge- 
mälde, Pausanias  I  22,  6.     Dann  in  je  einer  Tragödie   von  Sophokles  und 


—     103    — 

BUndniss  mit  der  Briseis  legte  man  eine  demselben  ursprflnjzlich 
ganz  fremde  Senlimenlaliiai*).  Die  wunderbare  Sage  von  seiner 
zu spiit  auflodernden  Liebe  zur  erschlagenen  Penthesilea  srlieinen 
Tragiker  und  alexandrinisehe  Krzlihler  empfindsam  ausgeschmückt 
zu  haben 2).  Die  grausige  Sage  von  der  Opferung  der  Pol yxena 
am  Grabe  des  Achill  diente  den  Dichtern  dieser  Zeit  zum  Ausgangs- 
punkte für  eine  mannigfach  ausgeschmückte  pathetische  Liebes- 
geschichte ^).  —  Seltsamer  will  uns  eine  solche  Umstimnmng 
des  alten  Sagentones  in  das  Zarte  und  Gefühlvolle  bei  andern 
Helden  der  troischen  Abenteuer  erscheinen.  An  den  Schicksalen 
des  Odysseus  z.  B.  hatten  schon  die  Gedichte  des  epischen 
Cyklus,  und  vorzüglich  das  jüngste  derselben,  die  Telegonie  mit 
freiester  Willkür  weiter  gedichtet,  theils  in  dem  phantastischen 
Sinne  der  ältesten  Sage,  theils  in  dem  pragmatischen  und 
trocken  genealogischen  Geiste  des  ausgehenden  Epos.     Jetzt  zog 


Curipidcs  behandelt.  Namentlich  aber  bei  den  Alexandrinern  beliebt:  Bion 
id.  2;  nach  alcxandrinischeni  Vorbilde  Stalius  Achilleis ;  vgl.  Ovid  art.  am.  I 
68«— 702.  S.  Wclcker  Gr.  Trag.  403.  476  f.  Vgl.  0.  Jahn  Archäol. 
Beitr.  p.  852  ff. 

1)  Auf  gemeinsame  Benutzung  eines  hellenistischen  Dichters  weist  die 
Uebereinstimmung  des  Properz  (119,  9— <8:  welche  Verse  übrigens,  nach 
meiner  L'eberzeugung,  dort  ganz  willkürlich  und  verkehrt  eingeschoben 
sind}  und  des  Quintus  (III  551  ff.)  in  der  heftigen  Todtenklnge  der 
Briseis  um  Achill.  Ganz  anders  z  B.  die  Aethiopis:  Welcker,  Ep.  Cycl.  II 
«77.  49«.     Uebrigens  vgl.  auch  Quintus  VII  723  ff,  Ovid.  her.  III. 

2)  Ob  die  Aethiopis  wirklich  von  Liebe  des  Achill  zu  der  schönen 
Feindin  redete,  scheint  mir  keineswegs  sicher.  Achill  tödtote  den  Ther- 
siles,  sagt  Procius,  Xoiooptjftei;  Trpo;  auToO  xai  öveioia^el;  tov  Itü  ttq  Hev- 
0£9(Xei(f  KeYÖjiEvov  Ipwia.  Wer  sagt  denn,  ob  das  »Gerede«  wahr  ge- 
wesen? —  Etwas  zu  phantasievoll  Welcker,  Ep.  Cycl.  II  «70  f.  227.  Vgl. 
auch  Ovorbeck,  Gall.  her.  Bildw.  l  503  ff.  —  Später,  in  hellenistischer 
Dichtung,  mag  die  Liebe  des  Achill  zur  P.  stärker  betont  worden  sein: 
vgl.  Propert.  IV  ««,  «3  ff.,  Quintus  I  659—674,  Nonnus  D«on.  35,  27  ff.  — 
Tragödie  ^AyiXXeu;  Bepoitoxiövo;  des  Chaeremon :  Welcker,  Gr.  Trag.  «086; 
Penthesilea  eines  Römers:  Ribbeck,  röm.  Trag.  627. 

3)  Ein  solches  Liebeseinverständniss  zwischen  Achill  und  Polyxcna 
(dessen  ausgeschmückteste  Gestalt  man  bei  Philostratus  Her.  XIX  ««  ,  p. 
204  Kays,  antrifft)  schon  (mit  Gruppe)  in  der  WoX'j^i^  des  Sophokles  vor- 
auszusetzen, berechtigt  nichts.  Vielmehr  gehört  diese  Version  der  Sage  den 
Dichtern  der  aloxandrini sehen  Zeit  an.  S.  Welcker,  Gr.  Tragg.  p.  «88 
f.  Anm.  8  und  p.  ««45.  —  Noch  auf  der  Insel  Lcuke  verband  die  Sage  den 
Schatten  des  Achill  mit  der  Medea:  davon  dichtete  zuerst  Ibycus:  vgl. 
Schneidewin  Ibyci  rell.  p.  «53  f. 


—     104     — 

man  den  klugen  Dulder  in  nicin<'herlei  roraanlische  Liebesaben- 
leuer,  wie  wir  dies  oben  (p.  74)  ein  dem  Beispiel  des  Philelas 
gesehen  haben.  Den  Ton  solcher  hellenistischen  Fabeleien 
mögen  uns  einige,  doch  wohl  auf  griechischen  Vorgang  zurück- 
weisende Stellen  römischer  Dichter  vergegenwärtigen,  in  welchen 
das  vom  alten  Kpos  absichllich  im  wunderbaren  Dämmerlicht 
des  Mcirchens  gehaltne  Liebcsbtindniss  des  Odysseus  und  der 
Kalypso  in  den  Farben  einer  tändelnden  Kmpfmdsamkeit  aus- 
gemalt wird^). 

Das  merkwürdigste  Heispiel  ist  vielleicht  das  der  Medea. 
Schon  die  iilteste  Sage  hatte  in  den  Abenteuern  des  Jason  das 
Werk  des  ritterlichen  Helden  durch  die  Aphrodite  unterstützen 
lassen 2).  Sicherlich  aber  that  sie  sich,  mich  alterthümlicher 
Weise,  mit  einer  solchen,  nach  Aussen  gewisser  Maasscn  proji- 
cirten  und  von  Aussen  wirkenden  Personificirung  der 
Leidenschaft  in  der  (ieslalt  der  Liebesgöttin  genug.  Die  helle- 
nistischen Dichter  legten  die  Bewegung  in  die  Brust  der  Jung- 
frau selbst,  und  schilderten  die  stürmische  Erregung,  die  harten 
Kämpfe  im  Innern  ihres  Gemüthes,  die  endliche  Ueberwalligung 
ihres  ernsten,  ja  tragisch  schweren  Sinnes  durch  die  über- 
mächtige Neigung,  den  merkwürdigen  Zwiespalt  zwischen  der 
allniHchtigen  Zaubergewalt  der  Sonnenenkelin  und  der  ganz 
menschlichen  Bedürftigkeit  ihrer  Liebesempfindung.  Wie  weil 
hierin  die  Tragödie  ihnen  vorangegangen  sein  mochte  ^i ,  können 
wir.  nicht  mehr  ermessen:  wie  die  gelehrten  Darsteller  der 
Sage,    Antimachus    und   Philelas*;,    diese    für    elegische 


1)  Ovid.  arl.  am.  II  <23  ff.  Propert.  I  < 5,  9  ff.  —  Sentimentale  Aus- 
führung der  Liebe  der  Circe  zum  Odysseus  Ovid.  rem.  am.  i6i— J88. 
(Ktpxot    des  Alexander  Aetolus    »d   YvVjaiov  to  TroiTjfxaTiov «   Ath.  VII  283  A.). 

2)  So  die  NajTrdxTia  ^ttt):  Fr.  VII  p.  no.  Marksch.  Pindar  Pyth.  IV 
SIS  ff. 

3)  z.  B.  Sophokles  in  den  KoXyioe;?  Dieser  TraRödie  entlehnte  Apol- 
lonius  theils  die  Schilderung  der  festmachenden  Salbe  (III  845  ff. :  s.  Wcl- 
ckor  Trag.  335),  theils  einige  Momente  des  Kampfes  mit  den  '(rife^titi  (Schol. 
III  1373.  Das  Lemma  des  Scholions  weist  allerdinf;s  auf  v.  1872,  es  steht 
aber,  nach  Keil,  hinter  dem  Schol.  zu  v.  1331,  und  gehört,  wie  ich  glaube, 
eigentlich  zu  v.  1354  ff).  Sicherlich  bildete  aber  doch  auch  die  Liebe  der 
Medea  zum  Jason  ein  sehr  wesentliches  Moment  der  Handlung. 

4)  Antimachus  behandelte  die  Argonautensage  in  seiner  »Lyde«,  Pht- 
Ictas,  wie  es  scheint,  im  »Telephus«.     S.  oben  p.  72.  74. 


—     105     — 

Erzithlunf;  besonders  geeii^nete  Sage  behandelt  haben  mögen,  ist 
uns  ebenfalls  nichl  mehr  erkennbar.  Bei  A  p o  11  o  n  i  u  s  von  K  h  o  d  u  s 
merkt  man  wenigstens  die  A  bs  i  c  h  l ,  in  dem  zwiespJiltigen  Charakter 
der  Medea  beide  Seilen  hervortreten  zu  lassen:  aber  freilich 
steht  die  Weichheil,  ja  Weichlichkeit  ihrer  Liebesempündung 
durchaus  unverbunden  neben  der  Härte  ihrer  Handlungen,  ohne 
dass  ein  geheinmissvolles  Band  diese  Gegensätze  zu  der  Einheit 
eines  dämonisch  fremdartigen  Charakters  zusammenschlünge. 

In  ähnlicher  Weise  steigerten  die  Dichter  dieser  Zeit,  der 
Tragödie  sich  anschliessend,  das  erotische  Pathos  in  den  allen 
Sagen  von  Laodamia  und  Protesilaus  ^)  ,  von  Theseus  und 
Ariadne^);  als  ein  ganz  neues  Element,  so  scheint  es,  flochten 
sie   dasselbe    in   die  Sagen  vom  Herakles   hinein**).     Wurden 


1)  »Protesilaus«  des  Euripides.  Vgl.  oben  p.  33.  Nach  helleiiistischem 
Muster  dann:  Calull.  LXVIII  73—88.  104--130.  Properl.  J  19,  7  ff.  Ovid. 
heroid.  XUI.^Lacvius  Protesilaodamia ,  auch  Protesilaus,  oder  Laodamia 
genannt  (Welcherl  P.  I.  rel.  76—80). 

2)  Sammlung  der  Zeugnisse  für  diese  Sage:  Overbeck  Ber.  d.  sächs. 
Ges.  d.  Wiss.  Hist.  phil.  Cl.  1860  p.  22  A.  3.  Alcxandriniscb :  Catull. 
LXIV.  Dass  dieses  Gedicht  noch  alexandrinischem  Vorbild  gearbeitet  sei, 
hat  man  längst  bemerkt:  s.  namentlich  Haupt,  ind.  schol.  Borol.  aest.  1855 
p.  7(r.  An  ein  Gedicht  des  Kallimachus  aber,  das  Catull  nur  einfach 
übertragen  habe,  zu  denken,  genügen  die  von  Kiese,  Rliein.  Mus.  XXI 
p.  501 — 509  angeführten  Gründe  durchaus  nicht.  In  der  sentimentalen 
Auffassung  der  Ariadne  ging  vielleicht  Euripides  im  »Theseus«  voran.  S. 
0.  Jahn,  Arch.  Beitr.  SSS. 

3j  Herakles  und  Hylas:  Theocrit.  idyll.  XIII;  Callimachus  Fr.  410; 
vgl.  Fr.  512  mit  0.  Schneiders  Bemerkungen  p.  664;  Fr.  546  p.  685;  Apol- 
lon.  Rhod.  1  1207  ff.;  Euphorion,  Schol.  Theocrit.  XIII  6  (emendirt  von 
Meineke,  Anal.  Alex.  p.  152);  Nicander  bei  Anton.  Lib.  26  und  Schol.  Ap. 
Rh.  1  1236;  Simylus?  s.  Bergk  P.  lyr.  ed.  3  p.  1189.  Vgl.  endlich  Dra- 
contius,  Hylas.  Diese  Sage  war  also  ein  rechtes  dY(»jvia|xa  der  hellenistischen 
Dichter.  Propertius  I  20  combinirt  verschiedene  Versionen,  schliesst 
sich  aber  hauptsächlich  dem  Nicander  an  (Arganthi  v.  33  =  Argantho- 
nion  bei  Nie.  [freilich  auch  bei  Apoll.  Rhod.  I  1178J;  Ascanius  v.  4.  16  = 
Nie.  bei  Ant.  Lib.  [anders  z.  B.  Dionys.  Perieg.  8061;  in  den  H\las  ver- 
lieben sich  alle  dryades  nymphae  v.  45:-  so  auch  bei  Nicander  [freilich 
auch  bei  Theocrit]  :  s.  Schol.  Ap.  Rh.  I  1236;  anders  bei  Apollonius.  End- 
lich machen  bei  Nie.  die  Nymphen  den  H>las  zur  v/*{»,  xai  rpo;  rr^v  ßoT,v 
iroXXfltxu  dlvTEcpi^vei  'HpaxXei.  Nur  vom  Echo  kann  man  doch  auch  die 
Verse  49.  50  des  Properz  verstehen:  cui  procul  Aleides  ileral ,  responset, 
al  Uli  nomen  ab  extremis  fontibus  aura  referl.  Allerdings  ist  bei  Properz 
[v.  6]  Hylas  nicht,  wie  bei  Nicander,  ein  Sohn  des  Keyx,  sondern,  wie  bei 


—     106     — 

auf  diese  Weise  durch  das  Hinoindichten  zahlreicher  ZUge  einer 
aninuthigen^  idyllischen,  palantcn,  senlimenlalen,  auch  wohl 
sinnlich  hegehrlichen  Empfindung  in  die  alte  lleroenwelt  die 
gevvalligen  Recken  der  allen  Sage  mehr  und  mehr  zu  kühnen 
und  zarten,  um  Frauengunst  nicht  minder  als  um  lleldenruhm 
werbenden  Rittern  umgebildet,  so  umzogen  nun  diese  Dichter 
sogar  die  olympische  Göttcrwell  allmählich  mit  jener  ganz  eigen- 
ihUmlichen  Atmosphäre,  die,  mit  Worten  schwer  zu  schildern, 
jedem  Sinnbegal)len  namentlich  in  den  Dichtungen  der  römischen 
Epigonen  hellenistischer  Dichtung,  ganz  vorzüglich  aber  in  Ovids 
Metamorphosen  so  kenntlich  sich  bemerklwr  macht  i).  In 
den  Darstellungen  der  zahlreichen  Liebesverhältnisse,  in  welchen 


Hygjii  f.  U,  Apollnnius  u.  A.  'ein  Sohn  des  Theiodamas.  [Theiomenes 
lieisst  der  Vater  bei  Hellanicus  Fr.  39,  sonderbar  missverstanden  von 
K.  0.  iMüller,  Dorier  I  453]).  Von  der  hellenistischen  Poesie  angeregt  die 
Darstellungen  des  Hylasraubes  auf  campan.  Wandbildern:  tl^lbigs  Katalog 
N.  1360  IT.  —  Von  andern  Liebesbündnissen  des  Herakles  liebten  die  helle- 
nistischen Dichter  noch  zu  behandeln:  die  Liebe  zum  Diomus:  Rhianus  (&. 
Meineke  An.  Alex.  p.  177  f.);  vielleicht  auch  die  sonst  ganz  unbekannten 
^pdbpievoi  des  Herakles,  die  im  Schol.  Ap.  Rhod.  I  1S07  neben  Hylas  und 
Diomus  genannt  werden :  Perithoas  und  Phrix?  (ein  noch  seltsameres  Verzeich- 
nis» der  ip<6fAevo(  des  Herakles  in  den  Clemenlin  Homilien  V  15  p.  68,  16—18 
ed.  Lagardc;  am  Bekanntesten  darunter  Abderus:  s.  Philostr.  imag.  H  S5» 
heruic.  p.  197,  «4  ff.;  p.  165,  48  [ed.  Kayser  187i',  wo  auch  noch  ein 
Liebesbiindniss  des  Her.  mit  dem 'jugendlichen  Nestor  hinzu  gefabelt  wird. 
Hylns  und  Ahderus  neben  einander  genannt:  Julian,  or.  VH  p.  285,  20  Herll.) 
Hellenistisch  wohl  gewiss  die  (deutlich  aetiologische)  Sagenerztthlung 
von  der  Liebe  des  Her.  zu  der  Tochter  des  Syleus  in  Thessalien:  in  sehr 
sentimentaler  Form  bei  Konon  narr.  17  (dem  man  Apoliodor  11  6,  8,  2 
entgegenstellen  möge).  —  Endlich  Her.  und  Hesione  (nicht  selten  auf  cam- 
pan. Wandbildern:  Heibig  N.  1129—1132;  vgl.  p.  458.,  —  Erwtfhnl  von 
Calltmachus ,  Fr.  559.  Tragödienstoff:  Ribbeck,  Die  röm.  Trag.  p.  44  ff.) 

1 ;  DeuUicher  übrigens,  als  alle  Schilderungen  vermöchten,  sprechen  den 
Chanikter  dieser  letzten  ümdichtung  der  alten  Mythologie  die  maleri- 
schen Darstellungen  mythologischer  Gegenstände  aus  den,  von  der  italie- 
nischen und  französischen  Bildung,  und  ihrer  aus  den  Römern  geschöpf- 
ten Kenntniss  und  Auffassung  der  griechischen  Antike  beherrschten  Zeiten 
des  16.  17.  und  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  aus.  Wenn  UMn 
es  nur  cum  grano  .salis  verstehen  will ,  so  wird  man  leicht  zugeben ,  dass 
z.  B.  viele  mythologische  Bilder  der  vcnetian  ischen  Schule  des  16.  Jahr- 
hunderts einen  völlig  aloxandrinischen  Charakter  tragen,   einen  mehr 

« 

römisch-alexnndrinischen  die  mythologischen  Bilder  der  römischen   und 
bulognesischen  Schulen. 


—     107     — 

schon  die  alte  Sage  und  der,  von  den  Dichtern  der-hesiodischen 
Schule  förmlich  auf  ein  Svslcm  t^ebrachte  Ehrtseiz  adlicher  Ge- 
schlechter  die- Götter  mit  sterblichen  Frauen  verbunden  halle, 
kam  es  nun  nicht  mehr,  wie  in  der  alten  Dichtung,  einzii(  auf 
das  Factum  und  das  für  die  Genealoij;ie  wichtige  Resultat 
einer  solchen  Vereinigung  an;  sondern  auch  hier  verweilte  man 
jetzt  mit  VorlielK»  auf  der  Ausmalung  der  Leidenschaft,"  und  in 
dieser  Ausmalung  zog  man  die  Gölter  völlig  zu  den  sterblichen 
Menschen  herunter,  zu  ihrer  Schwücrhe,  Empfindsamkeit,  der 
willenlosen  Ueberwältigung  durch  die  Eine  Leidenschaft ,  und 
dies  alles  doch  ohne  die  Se  I  bs  ti  ron  ie ,  durch  welche  derjenige 
Dichter,  der  in  die  Odyssee  die  Erzählung  von  Ares  und  Aphrodite 
eingeschoben  hat,  die  Widerspiegelung  seiner  eignen  lüsternen 
Ausgelassenheit  in  der  Götterwelt  selbst  belächelt  und  erträglich 
macht.  Es  besteht  jetzt  in  der  That  zwischen  den  Schilderungen 
menschlicher  und  göttlicher  Liebesverhältnisse  kaum  noch  ein 
wesentlicher  Unterschied  des  Charakters ;  höchstens  dass  die 
ewig  wechselnden  Neigungen  der  Götter  jenen  fatalen  Bei- 
geschmack der  galanten  Unternehmungen  eines  grand  seigneur 
zeigen,  üb^r  den  sich  mit  Recht  der  grimmige  Spott  der  späteren 
christlichen  Apologeten  ergoss.  Zeus  selbst  und  Apollo  sind 
für  diese  Dichter  die  eigentlich  galanten  Götter  *);  aber  kaum 
irgend  <5iner  aus  der  olympischen  Gesellschaft  wurde  nicht  in 
diese  Netze  gezogen,  und  leicht  liesse  sich  denken,  dass  es  ein 
Dichter  dieser  Zeiten  war,  der  den  von  Lactantius  gelegentlich 
erwähnten   übermüthigen    Gedanken   ausführte,    in    [)rangendeni 


1)  Zeus  und  Europa:  Moschus  id.  II  (darnach  Lucian  dial.  mar.  15: 
*.  Hemsterh.  ed.  Bipont.  II  p.  392.  ,  Ovid.  nictam.  II  845  IT.,  Nonnus  Dion. 
I,  Achill.  Tat.  \  i.  —  Zeus  und  Scmelc:  Ovid.  met.  III  259  IT.,  Nonnus 
D.  Vn.  VIII.  —  Zeus  und  Kallisto:  Callimachus  Kr.  385  {aus  der  Apxaoia 
nach  Ernesti)  u.  ».  w.  Zwölf  Liebesverhältnisse  des  Zeus  aufgezahlt  bei 
Nonnus  VII  iil—\±S.  Noch  vollständiger  Kygin  fab.  i?^5  fp  13  Schm.;. 
Ein  ähnliches  Verzeichniss  schon  llias  H  317 — 327,  als  Emblem  (liesiodi- 
schen  Charakters,  athetirt  von  Aristophancs  Byz.  und  Aristarch.  —  Apoll. 
und  Coronis:  Ovid.  met.  II,  549  IT.,  vgl.  Simmias  v.  Rhodus  bei  Anl.  Lib. 
tO.  A.  und  Cyreno  (Hesiod.  Eöen  Fr.  143  M.  PindarPyUi.  IX.)  Apoll.  Rhod. 
n  502  ff.,  Nonnus  Dion.  XIII  300;  XVI  86;  XXV  180  IT.  A.  und  Daphnc  : 
s.  Heibig,  Rhein.  Mus.  XXIV.  A.  und  Branchus:  Callim.  Fr.  36  u.  s.  \n. 
Apoll  und  Cyparissus:  Ovid.  met.  X  106  IT.;  A.  und  Ilyacinlhus :  s.  oben 
p.  91.     Vgl.  übrigens  auch  Clement,  horail.  V  15  p.  68,  11  —  13. 


—     108     — 

Siejjeszuge  Me  Götter  vor  den  Wagen  des  triumphirenden  Eros 
i^espannl  vorzuführen^). 

Es  kann  nun  durchaus  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  die 
hellenistischen  Erzähler,  wenn  sie  auch,  in  der  hier  allein  in 
Betrachtung  gezogenen  erotischen  Poesie,  von  verwandten  Rich- 
tungen der  spHlen  Tragödie  ausgingen,  doch  ihre  eigenthümliche 
Weise  k\  der  Ausbildung  und  Darstellung  der  Sagen  überall 
behaupteten.  Diese  Weiterbildung  im  Einzelnen  zu  verfolgen, 
wiire  eine  Aufgabe  von  nicht  geringem  Interesse.  Für  unsrc 
Zwecke  genügt  es,  eine  allgemeine  Vorstellung  der  besonderen  Art 


.  1)  Lactantius  Inst.  div.  J  H,  1.  i:  Quis  est  tarn  excors  qui  hunc 
(Jovem)  in  caelo  regnarc  putct,  qui  ne  in  terra  quidcm  debuit?  Non  in- 
^ulsc  quidam  po^ta  Triumphum  Cupidinis  scripsit:  quo  in  libro 
non  modo  potentissimum  dcorum  Cupidinem,  scd  etiam  victorcm  facit. 
Enumeratis  eniin  amoribus  singulorum  ,  quibus  in  potestatem  Cupidinc 
ditioncmquc  venissent,  instruit  pompam ,  in  qua  Juppitcr  cum  celeris 
dcis  ante  currum  triumphantis  ducitur  catenatus.  Vgl.  .Preller,  Gr. 
Mythol.  P  416.  Es  soll  natürlich  nicht  mehr  als  eine  ganz  leichte  Ver- 
muthung  sein,  dass  in  hellen  istischer  Zeit  ein  griechischer  Dichter  die- 
sen übermüUiigen  Gedanken  ausgeführt  haben  könne.  Die  Vorstellung  eines 
glänzenden  Triumphzuges  konnte  den  Griechen  damaliger  Zeit,  aus  zahl- 
reichen eben  damals  üblichen  ähnlichen  Schaustellungen  siegreicher  Könige 
vertraut  genug  sein.  Das  Bild  des  Eros  als  Wagenlenkers  ist  in  der 
poetischen  Sprache  der  Griechen  seit  Anakreon  [ —  o'Jx  elSoj;  oti  ttj;  d|Afj; 
•W/fl;  tjvtoye'jei;)  ganz  gewöhnlich :  s.  Jacobs ,  animadv.  ad  anthol.  Gr.  I 
2,  p.  7.  —  Auf  ein  griechisches  Vorbild  stützt  sich  auch  wohl  Ovid  in  sei- 
ner Schilderung  eines  solchen  Triumphzuges  des  Amor:  amor.  I  2,  4  9—52. 
—  Seltsam  genug  ist  es,  dass  ein  wunderliches  Gedicht  des  Reposianus 
»de  concubitu  Martis  et  Veneris«  (anthol.  lat.  253.  1  p.  4  70  fl*.  R.)  in  der 
That  aus  einer  dem  von  L.  gemeinten  Werke  öhnlichen  Aufzülilung  gött- 
licher Sklaven  des  Eros  herausgenommen  zu  sein  scheint.  Von  einem 
Triumphzug  des  Amor  ist  hier  V.  7  die  Rede;  deutlicher  noch  v.  4 2  f.,  wo 
nur  durch  diese  Voraussetzung  die  von  Riese  beanstandeten  Worte:  utque 
ipsc  veharis  verständlich  werden.  Dass  aber  Mars  und  Venus  nicht  die 
einzigen  dem  Amor  dienstbaren  Gölter  seien,  deutet  der  Schluss  des  Ge- 
dichts an,  wo  ganz  ersichtlich  der  Uebergang  zu  einer  Liebesaffaire  des 
Phoebus  gemacht,  und  also  der  Zusammenhang  des  vorliegenden  Gedich- 
tes mit  einer  längeren  Reihe  erotischer  Erzählungen  angedeutet  wird.  — 
(Eine  allegorische  Malerei,  Eros  auf  dem  Throne,  über  Menschen  und  Thie- 
ren  königlich  herrschend,  im  schlechtesten  byzantinisciien  Geschmack ,  be- 
schreibt Eustathius  de  am.  Hysm.  II  7  ff.  XI  i.)  —  Eine  andere  Form 
der  cyklischen  Darstellung  der  »caelestia  crimina«  wählt  Övid,  metam.  Vi 
4  03  IT.,  indem  er  die  Arachne  auf  einem  Gewebe  die  Liebesabenteuer  des 
Zeus,  Poseidon,  Apoll,  Bacchus,  Kronus  in  langer  Reihe  darstellen  läsi»t. 


—     109     — 

und  Sinnesvveise  dieser  hellenistischen  Dichtung,  ihres  Unler- 
schiedes  von  früheren  Epochen  der  griechischen  Kunst,  ihrer 
Stellung  zu  der  späteren  Tragödie  gewonnen  zu  haben.  Beispiels- 
weise mag  indess  an  einer  einzelnen  Sage  die  sinnreiche  Sorg- 
falt betrachtet  werden,  mit  der  diese  Dichter,  ohne  das  Wesentliche 
der  Volksüberlieferung  zu  verlassen,  den  geistigen  Inhalt  durch 
immer  neue  Wendungen  zu  variiren,  zu  verliefen,  und  vorzüglich 
durch  eine  zarte  Sentimentalität  zu  beleben  versuchten.  Die 
Sage  von  der  einst  von  Paris  geliebten,  dann  um  Helenens  willen 
verlassenen  Oenone,  der  Tochter  des  troischen  Flussgolles 
Kebren,  war  ursprünglich  wohl  eines  jener  schwermüthig  lieb- 
lichen Märchen  von  der  Liebe  einer  Nymphe  zu  einem  schönen 
Sterblichen,  in  denen  die  Phantasie  des  griechischen  Volkes 
aller  Orten  zu  spielen  lieble^).  Wann  dieses  Märchen  in  den 
Kreis  der  grossen  troischen  Abenteuer  aufgenommen  worden 
sein  mag,  lässt  sich  nicht  mit  Sicherheit  bestimmen.  Die  Dichter 
der  llias  und  der  Odyssee  kennen  es  oll'enbar  noch  nicht,  auch 
die  Kypria  schwerlich  2) ;  der  Historiker  Hellanicus^)  mag  der 
erste  gewesen  sein,  der  in  seiner  pragmatischen  Erzählung  der 
troischen  Geschichten  auch  dieser  schönen  Volkssage  ihre  Stelle 


1)  Solche  erotische  Nymphensagen  sind  z.  B.  die  Sage  von 
Dapbnis  (vorzüglich  in  der  von  Stesichorus  überlieferten  Gestall:  s.  oben 
p.  29],  wahrscheinlich  auch  die  Sage  von  Menalkas  und  Euippe  (siehe 
oben  p.  78),  mit  der  die  bei  Ovid,  Met.  XI  751 — 795  erzühlte  Sage  von 
Aesacus  (einem  Sohne  des  Prianius)  und  der  vor  ihm  tliehenden  lles- 
perie  (die  man,  da  sie  Vs.  769  Cebrenis  hcisst,  als  eine  Schwester  der 
Oenone  und  ebenfalls  eine  Nymphe  betrachten  muss;  vgl.  Unger,  Sinis  p.  91) 
eine  leicht  zu  bemerkende  Aehnlichkeit  hat.  Solche  Nymphensagen  sind 
aber  ferner:  die  Geschichte  des  Hylas,  des  Selemnius  (ol^en  p.  43  A.  5), 
der  Salmacis  und  des  Hermap  h  roditus  (Ovid,  Met.  IV  285  ff),  ferner 
die  beiden  merkwürdigen  Erzählungen  des  Charon  von  Lampsacus  fr.  M 
und  43  (Müller).  —  Sollten  nicht  manche  Sagen  von  der  Verwandlung 
eines  liebenden  Mädchens  in  einen  Baum  oder  eine  Quelle  (Phyllis,  Bybiis 
u.  s.  w.),  ursprünglich  ebenfalls  derartige  Märchen  von  Baum-  oder 
Qoellnymphcn  gewiesen  sein?  —  Uebrigens  wird  es  Niemand  Wunder 
nehmen,  dass  gerade  solche  erotische  Nymphensagen  sich  sogar  im  heuti- 
gen Griechenland  noch  lebendig  erhalten  haben:  s.  B.  Schmidt,  Das 
Volksl.  d.  Neugr.  I  p.  1H  ff. 

2)  Ohne  hinreichenden  Grund  und  durch  keinerlei  Zeugniss  unterslülzt, 
selzle  Weicker,  Annali  deir  inst,  archeol.  XVII  UO  und  Ep.  Cykl.  11  9i 
das  Abenteuer  der  Oenone  in  die  K'jiTpta. 

3j  'E>.Ädvixo;  Tpwixüjv**     Parthen.   34. 


—     110     — 

:iDwies.  Künstlerische  Aushihlung  scheint  dieselbe  in  einer  Trag- 
ödie der  nacheuripideischen  Zeit  gewonnen  zu  haben  \.  ,  und 
seitdem  lebte  sie  in  der  wahrhaft  dramatischen  Gestall  fort,  wie 
sie  uns  l>ei  Apollodor,  in  <iem  Bruchstück  einer  prosaischen 
Schrift  des  Nicander,  vorztlglich  aber  in  •  den  mythischen  Er- 
zählungen des  Konon  vorliegt^].  Damit  aber  begnügten  sich  die 
hellenistischen  Dichter  nicht.  Dass  zu  ihrer  Zeit  die  früher  so 
versteckte  Sage  sehr)>ekannt  war,  beweisen  manche  Anspielungen 
auf  <lieselbe^):  sichere  Anzeichen  lassen  vermuthen,  dass  sie 
eine  so  völlig  ihrem  Geschmack  entsprechende  Sage  eifrig  aus- 
schmückten, theils  in  ihrem  id> Mischen  ersten  Theil.  dem,  durch 
die  Abreise  <ies  Paris  so  jäh  unterbrochenen  heimlichen  Lielies- 
leben  in  den  Wäldern  <ies  Idagebirges ^],  theils  in  ihrem  tragischen 
Abschluss.  Während  nun  die  bei  den  M\thographen  uns  er- 
haltene, gewöhnliche  Version  der  Sage  dhe,  nach  anfänglicher 
Weigerung  endlich  zu  spät  mit  ihren  allein  Bettung  bringenden 
Heilkräutern  dem  tödtlich  verwundeten  Paris  zu  Hilfe  geeilte 
Oenone  nach  einer  jammervollen  Todtenklage  sich  erhängen  liess, 
wusste  die  hellenistische  Dichtung  <las  Pathetische  dieses  Ausgangs 
noch  zu  steigern.  In  der,  ohne  Zweifel  einem  alexandrinischen 
Dichter  nachgebihleten  Darstellung  des.  Qu  intus  von  Smyrna*) 


1;  Dass  die  Sagt»  von  der  Ocnonc  Gegenslan<l  einer  Tragödie  der  spö- 
leren  Zeil  gewesen  sei,  scldiesst  Weicker,  Gr.  Trag.  H46  aus  der  Er- 
wähnung eines  Scenirum  exodiuin  dieses  Inliait^s  bei  Suelon.,  Doniitian.  10 
und  der  £x'f{iaai;  einer  Gruppe  des  Paris  und  der  Oenone  tiei  Chrislodor 
215  ff. 

2)  Apollodor  3,  1J,  6.  Nicander  »dv  tooi  irepiroiTjToit«  ^s.  0.  Schneider, 
Nirandrea  p.  27^  bei  Parlhen.  4.  Ebendas.  Kephalon  von  Gergithos  (vgl. 
0.  Jahn,  Arch.  Beitr.  p.  331,,  Konon  narr.  i3. 

a    Lycophron  57  f.     Bion  i,   11.     Slalius  Silv.  I  5,  21   Properl. 

4)  Nach  einer  alcxandrinisclien  Darstellung  dieses  ersten  Theiles  der 
Sage  dürfte  doch  wohl  0\ids  fünfte  lleryiide  gebildet  sein.  (Ganz  alexan- 
drinisch  klingen  dort  aurh 'manche  Einzelheiten:  z.  B.  Vs.  17  ff.,  auch  Vs. 
21   IT.:   vgl.  DilUiey,  De  Callim.  Cyd.  p.  82  f.). 

5;  Quintus  Snivrn.  Poslhomeric.  X  259 — 488.  Dass  diese  Erzählung 
nicht  aus  des  Dichters  eigener  Erfindung,  auch  nicht  aus  seinen  gewöhn- 
lichen Quellen  herrühre,  ticweisl  der  starke  Alistaiid  dieser  emptindungsvoll 
und  lebendig  vorgetragenen  Erzählung  von  der  sonstigen  Dürre  des  Quin- 
tus.  Köchly  (Proleg.  ad  Q.  p.  XXX;  Anni.  zu  X  440.  454  f.  p.  470) 
»irheint  die  ganze  Erzählung  für  eine  Nachahmung  der  Schilderung  des 
A  pol  Ion  ins  IV  41  ff.  von  der  Entweichung  der  Medea  aus  ihrem  väler- 
liciien    Hause   zu   hallen.     Das   mag   auch   für  die  von  kochly  speciell  be- 


—    111    — 

• 

schleppt  sich  der  verwundele  Paris  selbst  in  das  Gebirge  zu  der 
treulos  Verlassenen.  Erschöpft  sinkt  er  vor  ihr  nieder;  auf  sein 
Flehen  um  Rettung  weist  sie  ihn  mit  harten  Worten  ab  und 
liisst  ihn  ungeheilt  abziehen.  Bald  aber  ergreift  sie  die  Reue: 
sie  eilt  in  der  Nacht  durch  Berg  und  Wald,  beim  Lichte  der 
mitleidigen  Selene,  dahin,  wo  den  to<it  zusammengebrochenen 
Paris  die  andern  Nymphen  und  die  Hirten  auf  einem  Scheiter- 
haufen verbrennen.  Ohne  ein  Wort  zu  sagen,  verhüllt  sie  sich 
das  Haupt  und  springt,  eine  troische  Brunhild,  in  die  Flamme, 
die  den  inmier  noch  Geliebten,  der  Treue  in  den  Armen  einer 
Andern  Vergessenen  verzehrt^).     Mit  noch  feinerer  Berechnung 

• 

zeichneten  Verse  des  Qu  intus  zugestanden  werden;  alles  Uebrige,  und  über- 
haupt die  Erzählung  im  Ganzen  genommen,  dürfte  eher  einer  besonderen, 
je<ienfalls  aber  alexandrinisetien  Darstellung  jenes  tragischen  Endes  des 
Paris  und  der  Oenone  entlehnt  sein.  Dass  eine  epische  Darstellung  dieser 
Seenen  in  alexandrinische  Zeit  geliören  müsse,"  bedarf  keines  besonde- 
ren Beweises ;  die  besondere  Art  der  Dichter  gerade  jener  Zeit  zeigt  sich 
übrigens  auch  deutlich  genug  in  der  ganzen  Anlage  der  Erzählung:  wovon 
unten  ein  Wort.  Dass  aber  die  ganze  Partie  aus  einer  speciellcn  Darstel- 
lung von  Quintus  ziemlich  unbesonnen  seinem  Gedichte  eingefugt  sei. 
scheint  (ausser  der  unverhHltnissmässigen  Ausführlichkeit  der,  in  dem  Gan- 
zen dos  Gedichtes  des  Quintus  durchaus  nebensächlichen  Seenen)  die  son- 
derbare Prophezeihung  der  Hera  und  der  Moeren'  (343  fT.)  zu  l)eweisen. 
Dort  werden  allerlei  zukünftige  Ereignisse  (Hochzeit  der  Helena  und  des 
Deiphobus,  Zorn  des  Helenus,  Raub  des  l*alladium;  vorausgeseigt,  die  dann, 
seltsam  genug,  im  Verlauf  des  Gedichtes  des  Quintus  gar  nicht  eintreffen. 
Die  Herausgeber  haben  sich  dieses  sonderbare  Missverhältniss  verschie<len 
zu  erklären  gesucht  [s.  Tychsen  p.  XLJIl,  Köchly  p.  XXXI  f.j;  sollte  es  sich 
nicht  am  einfachsten  erklären,  wenn  man  annähme,  dass  Quintus  dieses, 
gerade  bei  alcxandrinischen  Dichtern  so  häutig  vorkommende  Kunststück 
einer  göttlichen  Voraussagung  des  Künftigen  aus  demjenigen  Gedicht,  dem 
er  überhaupt  diese  Episode  von  der  Oenone  entlehnte,  kurzweg  mit  herübei- 
genommen  hal)e,  ohne"  doch  zu  bedenken,  dass  eine  solche  Prophezeihung, 
in  einer  abgeschlossenen  Einzelerzählung  als  eine  Hinweisung  auf  weiteren 
Zusammenhang  ganz  passend  angebracht,  in  seinem  Gedichte  überhaupt 
absurd  war,  und  ihn  vor  Allem  der  genaueren  Darstellung  der  hier  voraus 
verkündigten  Ereignisse  nicht  üt)erhchen  konnte? 

1)  Häufig  folgt  (vermuthlich  nach  Erinnerungen  an  einen  alten  Gebrauch} 
in  heroischen  Sagen  der  Griechen  die  Gallin  dem  Gatten  in  den  Tod  nach 
(Beispiele  bei  Lasaulx,  Aid»,  il,  bayr.  Akad.  Philos.  philol.  Gl.  VH  i^Hh'd\ 
p.  49).  Aber  die  Selbstverbrennung  der  Witt>\e  ist  selten:  an  Euadne 
erinnert  Quintus  selbst,  Vs.  48t.  Weniges  Andere  bei  J.  (Jrimm  .  Kl. 
Sehr.  II  M6;. 


—     112     ^ 

scheint  ein  andrer  Dichter  den  Kampf  der  beleidigten  Gefühle 
der  Oenone  ausgeführt  zu  haben.  Nach  einem,  zwar  nur  bei 
einem  einzigen  späteren  Zeugen  erhaltenen,  aber  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  auf  die  Dichtung  eines  hellenistischen  Poeten 
zurückzuführenden  Berichte^)  hatte  Oenone  die  Leiche  des  Paris 
durch  ihre  Zauberkriiuter  bereits  wieder  belebt:  da  sprach  er, 
mit  dem  ersten  Lebenshauch,  den  Namen  der  Helena,  der  ver- 
hassten  Nebenbuhlerin,  aus,  und  Oenone  liess  ihn  in  den  Tod 
zurücksinken.  — 

Den  Zusammenhang  der  hellenistischen  Erotik  mit  der 
spiitern  Tragödie  einigermaassen  klar  zu  machen,  mögen  diese 
Bemerkungen  genügen.  Wie  weit  dieselbe  nn't  andern  Dichtungs- 
gattungen Ulterer  Zeit  in  der  Wahl  der  Stoffe  und  der  Art  ihrer 
Behandlung  sich  berührte,  wiire  schwer  zu  bestimmen,  und  soll 
hier  auch  nicht  näher  untersucht  werden  2j. 


I;  8(^hol.  Bernens.  Lucan.  1X973:  Ociionc:  ab  hac  Paris  dileclus  est: 
qui  cum  a  IMiilootele  occisus  essol ,  accopluni  corpus  licrbis  quibusdaiii 
iiiiiniaverai,  rursusquc  ouni  passa  est  inori,  cum  iile  reccplo  spirilu  nomi- 
narel  lielcnam  cum  suspirio.  »Arlificiosa  fabulac  forma  Alexaiidrini 
poetae  fabricam  tcsLari  vulolur:  cf.  R.  ünger,  Sinis  p.  95«.  Uscner  p.  343. 
(Unger  denkt  an  eine  Darstellung  des  Calliraachus  [vgl.  0.  Schneider, 
Caliim.  II  p.  74j). 

2)  Ein  gewisser  Zusammenhang  dieser  Dichter  mit  Slesichorus-lässt 
sich  nicht  verkennen  (vgl.  das  oben  p.  98  über  Euphorien  Bemerkte),  nur  ge- 
rade bei  den  erotischen  Sagen  kann  man  dergleichen  nicht  nachweisen.  — 
Die  genealogischen  Gedichte  <ler  hcs i od i sehen  Schule,  namentlich  der 
KotTo/vOYOc  Y'jvotixwv  und  die  Hoiai  werden  den  Erolikern  der  hellenistischen 
/eil  vermuthlich  mancherlei  Themen  dargeboten  haben.  Von  solchen  Fa- 
beln, welche  bei  diesen  Erolikern  nachweislich  behandelt  wurden,  finden 
sich  in  den  Fragmenten  jener  hesiodischen  Gedichte  berührt:  Atalantc  (T. 
des  Schoeneus)  und  Hippomencs,  xaraX.  Fr.  25.  26.  27  Marksch.  (S.  frei- 
lich Bergk,  Gr.  L.  Gesch.  I  4  005.)  Theseus  und  Ariadne:  Fr.  4  28.  Cyrene 
und  Apollo,  Ecien,  Fr.  4  43.  —  Der  später  so  oft  behandelten  Sage  von  der 
Liebe  der  Smynra  zu  ihrem  Vater  (Kinyras  oder  TheiasJ  gedachte  schon 
der  Epiker  l'anyasis:  Apoilodor  111  4  4,  4  (vgl.  Funcke,  De  Fanyas.  vita  ac 
poesi  p.  58—64.)  —  Bei  den  lyrischen  Dichtern  scheinen  sehr  wenig  eroti- 
sche Sagen  vorgekommen  zu  sein  (vom  Narcissus  erzählte,  nach  Probus 
zu  Virg.  eci.  II  48,  »Euriniades»:  Simonides  macht  daraus  H.  Keil;  andre, 
ebenso  unsichere  Vermuthungen  bei  Schneidewin,  Rhein.  Mus.  N.  F.  IV 
p.  443  f.):  am  ehesten  trifTt  man  dergleichen  bei  den  Dithyrambikem, 
z.  n.  beim  Licynmius  (Argynnus  und  llvmenüus  Fr.  5  p.  4252  Bgk.;  Nanis 
und  Cyrus,  Fr.  ß;  Kndwnion  Fr.  3),    auch   bei   Philoxenus    (Polyphem  und 


—     113    — 

Die  ergiebigste  Quelle  für  die  gelehrte  Dichtung  jener  Zeit, 
und  nicht  am  Wenigsten  für  die  erotische  Krzühlungskunst,  floss 
jedenfalls  in  den  Schriften  der  historischen  und  antiquari- 
schen Sammler,  die  aus  der  Geschichte  und  aus  der  sagen- 
haften üeberlieferung  der  einzelnen  griechischen  Landschaften 
ein  reiches  Material  poetischer,  von  der  Dichtung  bisher  unbe- 
rührter, mit  alten  Sitten  und  localen  Seltsamkeiten  vielfach 
verknüpfter  Erzählungen  zusammengetragen  hatten,  wie  sie  die 
hellenistischen  Dichter  für  ihre  dichterischen  und  gelehrten 
Tendenzen  gar  nicht  geeigneter  wünschen  konnten.  Nach  der 
oben  gegebenen  Auseinandersetzung  bedarf  es  keines  besondem 
Beweises  mehr  dafür,  dass  gerade  auch  für  erotische  Legenden 
die  Schriften  jener  Historiker  den  hellenistischen  Dichtern  als 
reiche  Fundgrube  dienen  konnten.  Dass  sie  dieser  Sammlungen 
in  Wahrheit  sich  fleissig  bedienten,  bezeugt  uns,  deutlicher  als 
manche  einzelne  Beispiele  eines  Zusammenhanges  zwischen 
Historikern  und  Dichtern  ^) ,  die  kleine  Schrift  des  Parthenius 
»Ueber  Liebesabenteuer«.  Dies  ist  eine  Sammlung  erotischer 
Sagen,  aus  Historikern  und  Dichtern  zusammengetragen,  zum 
Zwecke  dichterischen  Gebrauches  in  kurze  Excerptenform 
gebracht,  und  von  dem  Sammler  seinem  Freunde,  dem  römischen 
Dichter  Cornelius  Gallus  gewidmet,  theils  um  diesem  gelegentliche 
Anspielungen  bei  andern  Dichtern  verstandlich  zu  machen,  theils 


Galalca) ;  die  beicfen,  durch  Klearch  von  Soli  erhaltenen  Bruchstücke  des 
Lycophronides  (Bcrgk  p.  4279  f.)  sind  völlig  erotischen  Inhaltes,  das  zweite 
einer  Erzählung  von  einem  verliebten  Hirten  entnommen. 

1)  Z.  B. :  in  der  Sage  von  Paris  und  Oenone  (zuerst  erzählt  von  Hella- 
nicus),  von  Kaunus  und  Byblis  (Aristokritus  ::.  MiXi^tou,  dann  Nicander,  Par- 
thenius u.  s.  w.).  Antheus  und  Kleoboea  (Aristoteles  —  Alexander  Aetolus: 
Parthen.  44);  Harpalyke  und  Klymenus  (»Dektadas«  [Aretadas  corrigirt 
Gebet]  —  Euphorion  Parth.  4  3),  Akamas  und  Laodicc  (Hegesipp  Parlh.  4  6 
—  Euphorion  Fr.  LV  p.  97),  Apoll  und  Daphne  (zuerst  von  Phylarch  er- 
zählt), Trambelus  und  Apriatc  (Ister  bei  Tzetz.  ad  Lycophr.  468  —  Eupho- 
rion fr.  XXI  p.  57),  Assaon  und  Niobe  (Xanthus  h  AuSiaxoT; — Simmias  von 
Rbodus:  Parlh.  38),  Kephalus  und  Prokris  (in  der  bei  Ovid  erzählten  Form 
schon  von  Pherecydes  [s.  Schol.  Odyss.  XI  324]  mitgetheilt).  —  Als  deut- 
liches Beispiel  für  die  durchaus  qucllenmässige  Benutzung  von  Localhislo- 
rikern  muss  uns,  auf  einem  anderen  Gebiete,  die  Arbeit  des  Apollonius  von 
Rhodus  dienen.  Sicherlich  nicht  weniger  sorgtältig  arbeitete  Kallimachus. 
(Seine  'ExaXT]  war  vielleicht  auf  eine  Erzählung  des  attischen  Historikers 
Philochorus  begründet:  s.  Naeke,  Opusc.  H  p.  4  4). 

Bohde,  Der  griechische  Roman.  S 


—     114     — 

um  ihm  als  eine  MaterialiensaiiimluDg  für  eigne  elegisc*he  oder 
epische  Erzählungen  erotischer  Abenteuer  zu  dienen^).  Diese 
Sammlung  ist  uns  in  dreifacher  Beziehung  sehr  werthvoll.  Sie 
gewahrt  uns  den  klarsten  Einblick  in  die  Arbeitsweise  der 
gelehrten  hellenistischen  Erotiker;  sie  legt  zugleich  das  be- 
stimmteste Zeugniss  ab  fUr  den  genauen  Zusammenhang  der 
römischen  Kunstpoesie  der  beginnenden  Kaiserzeit  mit  der 
alexandrinischen  Dichtung;  sie  bietet  uns  in  der  Fülle  merk- 
würdiger Liebessagen  einen  völlig  unschätzbaren  Stoff  zur 
genaueren  Erkenntniss  der  sonst  nur  aus  dürftigen  Trümmern 
uns  bekannten  erotischen  Volkssagen  und  ihrer  Darstellung  bei 
prosaischen  und  poetischen  Erzählern,  ihr  Werth  wird  dadurch 
noch  gesteigert,  dass  bei  den  allermeisten  Erzählungen  die  Quelle^ 
aus  welcher  der  Sammler  sie  schöpfte,  ausdrücklich  angegeben 
wird.  Man  hat  nun  zwar  mit  Recht  l>ezweifelt,  dass  diese 
Quellenangaben    von    Parlhenius  selbst    l>eigesch rieben    seien^). 


1)  Dieses  Alles  sagt  deutlich  die  Vorrede  des  Büchleins.  FlapHlvioc 
Ko|ivT|Xliu  FdXXoi  yaipctv.  MdXiora  ool  ooxcüv  d|>p.fiTT£tv,  Ko(>vi^Xtc  rd)»Xf,  tt,v 
dÄpoiöiv  TttiN  ^ptDTtxuiv  ::a1jT)(xdTc»v,  eÜNaXeScCp^vo;  tu;  Z'i  ^XtOTa  iv  ßpayuTaTOi; 
dTrlsraXxi.  Tot  "ydp  rotpd  tioi  toiv  tioitjtäv  %ti\usa  7o6tcuv,  ii.ii  ot'^'^o'sXw;  )»£- 
XcYJi-^va ,  TtaTavoTjOei;  i%  Tdivo£  rd  rXciOTa ,  auTto  t£  ool  rap^arat  ci;  Irr,  xal 
O.tfeim  dva-yei"'  *«  p.dXt3Ta  iz  otOrwv  doptöotat  H-Tj^t  hiä  tö  pit;  TripcTvii  to 
TTEptrro«*  otuToi;,  8  hri  tj  ixt'i^jyr^,  /cipov  rept  auTÄv  ^vv«iT,Hig; '  olovei  -[dp  Oiro- 
jAVT^ixaTicuN  Tpcirov  auTd  O'jvEXeJdpietta,  r.n\  aoi  vjvi  tT|V  yp-Jjow  6(Aolav,  ci»;  lotxe, 
7:op£;rrat.  —  Wo  Ich  von  Horchers  Text  ab$!e^ichen  bin*,  habe  ich  mich 
den  evidenten  Conjecturen  von  Lnhrs  llerodiani  scr.  tria  p.  434  ange- 
schlossen. 

2)  Dass  die  Aulorenangaben,  welche  den  Erzählungen  des  Parthenius 
im  Palatinos  am  Rande  beigeschrieben  sind,  nicht  von  Parthenius  selbst 
herrühren  können,  hat  Horcher  kurz  bemerkt,  Philologus  VII  452.  N. 
Jahrb.  f.  Philol.  LXXXI  452.  Erot.  scr.  gr.  I  p.  V  f.  Ihm  stimmte  Mei- 
neke  bei,  Philologus  XIV  7.  8.  Vgl.  auch  Cobet,  Var.  loci.  p.  203.  Wider- 
sprochen haben  O.  Schneider,  Nicandrea  p.  28.  Bergk,  Gr.  Litteraturg. 
I  233,  aber  ohne  hinreichende  Gründe.  —  Für  etwas  ältere,  alier  ebenfalls 
fremdartige  Zusülze  hält  Horcher  die  hier  und  da  eingeflochtenen  Bruch- 
stücke von  Gedichten  (p.  16,  40—19.  18,  21—19,  31.  24,  28—25,  20.  82, 
6 — 9  seiner  Ausgabe).  Indessen  reicht  zu  deren  Verdächtigung  das  all- 
gemeine Versprechen  der  Kürze,  welches  Parthenius  in  der  vorhin  mil- 
getheillen  Vorrede  giebt,  schwerlich  aus.  Dass  Gallus  sogar  eher  einige 
Ausführlichkeil  wünschte,  deuten  zudem  die  Worte  ^.t^os — jicTip/jQ  an. 
Auch  müsste  derjenige,  welcher  jene  Verse  oingoscliol»on  liiitlo,  die  Absicht 
der  Täuschung  des  Losers  gehabt  haben:  sonst  hätte  er   nicht  die  Verse 


—     115     — 

Indessen  darf  man  diese  Beobachtung  nicht  dahin  missverslehen, 
als  ob  diese,  von  einem  späteren  Leser  des  Büchleins  hinzu- 
gesehriebenen  Notizen  unzuverlässige  und  werthiose  Aulosche- 
diasmen  desselben  seien  ^) .  Man  kann  sich  ihrer,  wie  dieses 
auch  in  unsrer  bisherigen  Betraciitung  durchaus  geschehen  ist, 
ohne  grosse  Bedenken  als  glaubwürdiger  Zeugnisse  bedienen, 
wenn  man  sich  nur  einer  bestimmten  Einschränkung  dieser 
Glaubwürdigkeit  bewussl  bleibt.  Genauere  Ueberlegung  macht 
es  nämlich  sehr  wahrscheinlich,  dass  diese  Angaben  auf  einen 
gelehrten  Kenner  äherer  Litteratur  zurückgehen,  der  zu  den 
meisten  Erzählungen  des  Parthenius  den  Namen  eines  Schrift- 
stellers hinzusetzte,  bei  welchem  er  in  der  That  die  gleiche 
Geschichte,  wenn  auch  vielleicht  nicht  überall  in  allen  Einzel- 
heiten genau  übereinstimmend  erzählt ,  angetrofl'en  hatte.  In 
manchen  Fällen  bleibt  es  unsicher,  ob  der  Zufall  diesen  Leser 
gerade  auf  die  wirklichen  Quellen  des  Parthenius  hingeführt  habe. 
An  der  Ehrlichkeit  dieses  Mannes  aber  zu  zweifeln,  hat  man 
keinen  Grund;  und  so  darf  man  mit  Bestinmitheit  annehmen, 
dass  bei  den  von  ihm  cilirten  Autoren,  selbst  wenn  Parthenius 
nicht  immer  gerade  sie ,  sondern  verwandte  Berichte  benutzt 
haben  soHte,  wirklich  im  Wesentlichen  dieselbe  Sage  erzählt 
worden  sei,  wie  in  dem  Capitel  des  Parthenius,  zu  welchem 
unser  unbekannter  Gewährsmann  sie  angeführt  hat^;. 


des  Parthenius  selbst  p.  16,  10  flf.  mit  den  Worten:  y.i'^t^ai  Ik  %ol  zap' 
tjjxiS  o'jTo»;  einj?eleilet.  Was  konnte  ihn  nber  zu  einer  solchen  Absicht  be- 
wegen? Dass  die  eingeflochtenen  dichterischen  Prol)en  den  Gallus  »in  der 
Freiheit  der  dichterischen  Gestaltung  beschränken»  könnten,  war  wohl  um 
so  weniger  zu  befürchten,  da  Gallus  ja  doch  seine  Dichtungen  nur  in  la- 
teinischer Sprache  abzufassen  beabsichtigen  konnte.  (Vgl.  auch  0.  Schnei- 
der a.  a.  0.). 

1)  Wie  z.  B.  Urlichs  Rhein.  Mus.  XXVI  595,    von  Dillhey  an  die   pro- 
blematische Herkunft  dieser  Notizen  erinnert,  allzu  schnell  zugiebt. 

2)  Das  oben  Bemerkte  beruht  auf  folgenden  Erwägungen.  Die  Quellen- 
angaben am  Rande  der  Hs.  künncn  nicht  von  Parthenius  selbst  herrühren : 
denn  warum  waren  sie  dann  unvollständig?  warum  fehlten  solche  An- 
gaben bei  c.  17.  20.  21.  23.  24,  und  warum  würde  durch  das  Zeichen  o 
^s.  Ilercher  a.  a.  0.)  in  cap.  10.  12.  30.  32.  36  der  Gewährsmann  der  Kr- 
zählung  als  unbekannt  bezeichnet?  Warum  weichen  vollends  in  c.  11. 
14.  34  diese  Randbemerkungen  von  den  im  Texte  selbst  gegebenen  An- 
gaben über  die  Quellen  ties  Parthenius  ab?  wie  könnte  man  es  endlich  er- 
klären, dass  zu  c.  8  eine  Quelle  angegeben  ist,  von  der  doch  ausdrücklich 


—     116    — 


12. 

Die  kleine  Schrift  des  Parthenius  pflegt  in  den  Sammlungen 
der  griechischen  Liebesromane  an  die  Spitze  gestellt  zu  werden. 
Man  könnte  sich  für  diese  Zusammenstellung  verschiedene  Gründe 
denken.     Vielleicht  glaubte  man,  dass  in  einer  Sammlung  pro- 

hinzugesetzt  wird,  dass  sie  In  den  Namen  der  Personen  von  Parthenius 
abweiche?  Gewiss  also  rühren,  wie  Hercher  annimmt,  diese  Citate  von 
einem  späteren  Gelehrten  her.  Aber  es  sind  Iceine  Schwindelei  täte  (wie 
z.  B.  manche  Citate  in  dem  Pseudoplutarch  »von  den  Flüssen«,  im  Pseudo> 
apulejus  de  orlhogr.  u.  s.  w.).  Zunächst  erweckt  schon  die  Gewissen- 
haftigkeit der  Angabe  bei  c.  8  eine  günstige  Meinung;  mehr  noch  das 
Fehlen  eines  Citates  an  den  soeben  genannten  Stellen.  Wollte  der  Urheber 
dieser  Angaben  nur  mit  beliebigen  Citaten  prunken,  so  war  es  ja  sehr 
leicht,  auch  an  jenen  Stellen  irgend  einen  wohlklingenden  Büchertitel  an- 
zubringen. Dazu  kommt,  dass  wir  in  einzelnen  Fällen  die  Ehrlichkeit  der 
Angaben  controliren  können.  C.  4  5  wird  Phylarch  citirt;  wirklich  erzählt 
dieselbe  Geschichte  Phylarch  bei  Plut.  Agid.  9.  Das  Citat  des  Sophokles 
bei  c.  3  bestätigt  Eustathius  ad  Odyss.  XVI  418  p.  4796  (Soph.  fr.  24  5a 
Ddf.j;  vgl.  Welcker,  Gr.  Trag.  248  f.  Mit  Andriscus  Na^ax&v  ä  c.  9 
stimmen  überein  ot  toiv  Na£taxä»v  ouffpacpei«  Plutarch.  virt.  mul.  4  7.  Der 
lehrreichste  Fall  ist  c.  28.  Von  dem  Schicksal  des  Cyzicus  erzählt  Par- 
thenius zwei  Versionen.  Dazu  wird  am  Rande  bemerkt:  laropel  KOcpoptoiv 
*A7:o)Aoi<6pt|),  xd  V  et?);  (die  zweite  Version,  von  C>z.  und  Klite)  'AroXXid- 
vioc  *ApfovauTtxd>v  ä.  Die  Richtigkeit  des  Citates  aus  Euphorion  bestätigt 
Schol.  Apoll.  Rh.  1  4063  (s.  Meiueke,  an.  AI.  p.  44.  42);  Apollonius  aber 
erzählt  die  Geschichte  vom  Tode  des  Cyzicus  im  Wesentlichen  überein- 
stimmend mit  der  zweiten  Version  des  Parthenius  (I  936—4  076);  nur  fehlen 
bei  ihm  einige  specielle  Züge  der  Erzählung  des  Parthenius  (KX.  reptcyudY) 
xol  roXXd  7C7Ta>o6paTO  und  :  vuxTojp  Xa^oOoa  xolc  ÄepaitoivlSa^ — ),  während  man 
bei  Parthenius  die  von  Apollonius  berichtete  Verwandlung  der  Thränen  der 
Klite  in  eine  Quelle  vermisst.  Parthenius  folgte  also  offenbar  einem  an- 
deren Gcwährsmanne  (etwa  dem  Kallimachus,  der  diese  Sage  in  der  ATxia 
erzählt  zu  haben  scheint:  s.  0.  Schneider,  Callim.  11  p.  70.  oder  dem 
Euanthes  [welchen  Keil  zu  schnell  in  den  bekannten  Neanthes  verwandelt 
hat],  der  sie  ebenfalls  berichtete:  Schol.  Ap.  Rh.  1  948.  4063  p.  366,  44. 
4065.  Apoll,  scheint  in  der  Hauptsache  dem  Deilochus  gefolgt  zu  sein: 
Schol.  I  974.  4  037.  4  039.  4  063.  4  065,  freilich  nicht  unbedingt:  s.  Schol. 
I  964.  966.  989).  Derjenige  aber,  welchem  die  Quellenangaben  verdankt 
werden,  kannte  die  wirkliche  Quelle  des  Parthenius  nicht,  und  setzte  statt 
ihrer  das  Citat  aus  Apollonius  hin,  welches  nur  im  Allgemeinen  genom- 
men für  zutreffend  gelten  kann.  In  ähnlicher  Weise  mögen  noch  in  man- 
chen Fällen  die  Citate  nicht  die  von  Parthenius  selbst  benutzte  Schrift, 
sondern  nur  eine  solche  angeben,  die  er  hätte  benutzen  können,   da  in  ihr 


—     117     — 

sai scher  Licbeserz<4hlungen  Parthenius,  als  der  älteste  Erzühler 
erotischer  Fabeln  in  prosaischer  Form,  ganz  füglich  mit  den 
eigentlichen  Ronianschreibern  späterer  Zeit  vereinigt  werden 
könne.  Aus  diesem  Gesichtspunkte  wäre  freilich  ein  andrer  als 
ein   ganz   äusserlicher  Zusammenhang   des   Parthenius   und   der 


wesentlich   dieselbe  Sage,  die  Parthenius  im  Auszug   miltheilt,   anzulrefTcn 
war.     Ganz  ehrlich  deutet  der  Verfasser  der  Citato   ein   solches  Verhältniss 
selbst  an  bei  c.  8.     Ijält  man  übrigens  nur  an  der  Voraussetzung  der  Ehr- 
lichkeit unseres  Mannes  fest,  so  ergiebt  sich  für  eine   Anzahl  von  Cilaten 
die   Vermuthung,   dass   in   ihnen   die  wirkliche   Quelle  des   Parthenius  an- 
gegeben sei,  aus  folgender  Betrachtung.     Parthenius  selbst  cilirt  im  Texte 
seiner  Erzählungen:    Nicacnetus  41.   Parthenius  H.     Alexander  Actolus  i9, 
Ntcander  34,  den  Verfasser  einer  Acaßou  xtioic  41.     Diese  Citat«,  wie  Her- 
cher   gcthan   hat,   zu   verdächtigen,    haben   wir   keinen  Grund.     Wenn  nun 
am  Rande  ebenfalls,  zu  c.  4  und  4,   Nicaenetus  und  Nicander  citirt  wer- 
den, so  darf  man  vermuthen,  dass  diese,  an  anderen  Stellen  von  Parthenius 
thatsächlich  benutzten  Autoren  auch  für  die  in  c.  4   und  4  erzählten  Sagen 
seine  wirklichen  Gewährsmänner  gewesen  seien.    Ferner  erweckt  die  mehr- 
malige    Wiederkehr    gewisser    Autoren     das    Vertrauen,     dass    in     ihren 
Schriften    der   Urheber   der    Randcitatc    wirkliche   Quellen    des   Parthenius 
entdeckt    habe.      Denn    —    seine    Ehrlichkeit    vorausgesetzt    —    wäre    es 
wohl  irgend   wahrscheinlich ,   dass  bei  jenen   Autoren ,    falls  sie  von   Par- 
thenius nicht  benutzt  wurden,   öfter  den   von   Parthenius  wirklich   be- 
nutzten   Berichten   Anderer    so   sehr    Aehnliches    sich    vorgefunden    haben 
sollte?     Aus    diesem    Grunde    darf    man    wohl    für    die    von     Parthenius 
thatsächlich    zu    Rathe    gezogenen    Autoren    halten:     Euphorion    (citirt 
zu   c.   43.    16.    28.     Davon   wird   das  Citat  zu   c.  28   anderweitig   bestätigt, 
wie  wir  soeben  gesehen  haben.   Auch  in  c.  4  6  ist  vielleicht  Euphorion  be- 
nutzt: der  Schluss  dieses  Capitels  stimmt  mit  Euph.  fr.  55  p.  98  überein) 
Hermesianax  (citirt  zu  c.  5.  22).     Apoll  onius  Kauvou  xtiat;  (c.  4.  44). 
Kephalon  (c.  4.  34).   Theophrast?  (c.  9.  4  8),  namenUich  aber  Phylarch 
(citirt   c.  45.  25.  34.     Das  Citat  zu  c.   45   wird    durch   Plutarch    bestätigt. 
Dass  Phylarch  von  Parthenius  wirklich   benutzt  worden   ist,   macht  auch 
c.  28  wahrscheinlich  [zu  welchem  sich  in  der  Hs.  kein  Citat  findet],  dessen 
Inhalt  als  aus  Phylarch   geschöpft  sich  mit   Sicherheit  erweisen  lässt:  vgl. 
Müller,  F.  H.  G.  I  349.     Droysen,  G.  d.  Hellenism.  11  4  88).     Dasselbe  Ar- 
gument gilt  übrigens  in  verstärktem  Maasse  für  die  zahlreichen  Citate   aus 
Nicanders  'ETepoio6|i€va  und  der  'OpviOo^ovia  des  Boeus,  die  sich  am  Rande 
desselben   Palatinus   den    Erzählungen    des   Antoninus    Liberalis   bei- 
geschrieben finden.     Wenn  die  Citate  zu  beiden  Sammlungen   etwa  —  wie 
ja  wahrscheinlich  genug  Ist  —  von  demselben   Gelehrten   herrühren,   so 
wäre  es  übrigens  wohl  möglich,  dass  dieser  seine  Kenntniss  so  zahlreicher 
Autoren  nicht  aus  eigener  Leetüre  ihrer  Schriflen,  sondern  aus  irgend  einem 
Handbuche  geschöpft  hätte,  in  welchem  bei  den  einzelnen  Fabeln  von  dem 
Sammler  die  Gewährsmänner  derselben  bereits  vermerkt  waren.     Auf  die 


—     118    — 

spälgriechischen  Liobesromane  srinverlirh  zu  ersehen.  Mit  grösse- 
rem Rechte  würde  man  in  (h*r  Sammlung  des  Parthenius, 
weniger  ihre  Form  als  ihren  Inhalt  und  ihre  wesentliche  Be- 
deutung beachtend  ,  einen  Ersatz  jener  bisher  geschilderten 
erzählenden  Erotik  der  hellenistischen  Dichter  sehen,  und  durch 
die  Verbindung  dieses  Vertreters  hellenistischer  Liebespoesie 
mit  den  spiUgriechischen  Romanen  der  Verwandtschaft  dieser 
prosaischen  mit  jener  poetischen  Liebesdichtung  einen  prägnanten 
Ausdruck  geben. 

Denn  in  Wirklichkeit  darf  man,  bei  aller  Verschiedenheit 
in  Form  und  Inhalt,  den  spälgriechischen  Liebesroman  als  eine 
weitere  Entwicklung  der  in  der  hellenistischen  Erotik  begonnenen 
Bewegung  bezeichnen. 

Zunächst  mag  man  dies  im  allgemeinsten  Sinne  verstehen. 
Beide  Gattungen  erzählender  Liebesdichtung  verbindet  eine 
gemeinsame,  durch  ihren  Gegensatz  zu  der  Weise  altgriechiseher 
Poesie  sehr  kenntliche  Empfmdungsweise. 

Ueberall  wird  auf  einer  gewissen  Stufe  ihrer  Entwicklung 
die  Poesie  von  der  lebhafteren  Kraftäusserung  ihrer  feurigen 
Jugend  zu  einer  ruhigeren  Bewegung  übergehen;  nach  der 
Schilderung  gewaltsam  nach  aussen  und  auf  die  Geschicke  einer 
grossen  Gemeinschaft  einwirkender,  dem  Auge  sich  in  mächtigen 
Bildern  darstellender  heroischer  Grosst baten  wird  sie  sich  den 
stilleren,  im  engeren  Kreise  nicht  weniger  tief  empfundenen 
Geschicken  des  Einzelnen  und  einer  äusserlich  nur  leise  bewegten 
bürgerlich  geordneten  Gesellschaft  zuwenden.  Unverkennbar 
bildet  in  der  griechischen  Poesie  die  hellenistische  Zeit 
die  Epoche  eines  solchen  bedeutsamen  Ueberganges.  Lebt  auch 
die  heroische  Poesie  der  alten  Zeit  noch  in  allmählich  absterben- 
den Nachklängen  weiter,  so  liegt  doch  die  originelle  und  lebendige 
Kraft  der  damaligen  Dichtung  in  jener  idyllischen  Richtung 
der  Poesie,  welche  sich  nicht  nur  ihr  eignes  Kunstgebiet  in  den 
eigentlichen  »Idyllen«  gründete,  sondern  mit  der  Naivetät  eines 
ächten  Kunsttriebes  auch  die  alte  Götter-  und  Heroenwell  sich 
unterwarf.  Aus  der  Verbindung  idyllischer  Tendenzen  und 
altmythischer    Stoffe    erklärt    sich    am    Tiefsten    der   besondere 


Benutzung  einer  solchen  Compilation  des  Pamphilus  scheint  die  eigen- 
thiimliche  Angabe  zu  Anl.  Lib.  c.  13  hinzudeuten. 


—     119    — 

Charakter  dieser  Poesie ,  ihre  eigenthümliche  Miltelslelhmg 
zwischen  altgriechischer  und  moderner  Dichtungsweise ;  eben 
dieser  Charakter  spricht  sich,  wie  man  leicht  versteht,  mit  einer 
concentrirten  Deutlichkeit  und  Bestimmtheit  in  den  erotischen 
Erzählungen  dieser  Dichter  aus,  welche  an  einem  sagenhaft 
überlieferten  Stoffe  die  idyllische  Auffassungsweise  in  einer 
fast  ungemischten  Reinheit  darstellen.  Es  leuchtet  ein,  dass 
diese  erotische  Dichtung  einer  von  der  altgriechischen  durchaus 
verschiedenen  Welt  poetischer  Empfindung  angehört.  Hier  ist 
nicht  mehr  die  machtige,  in  ihrer  eignen  KraftfUlle  sich  genü- 
gende Thal,  sondern  die  Leidenschaft  die  Hauptangelegenheit 
des  Daseins,  und  zwar  eine  solche  Leidenschaft,  welche  von 
allen  am  Wenigsten  in  weithin  sichtbaren,  plastisch  sich  dar- 
stellenden Thaten  auszubrechen  pflegt,  sondern  in  dem  Sehnen, 
Sinnen  und  Hoffen,  in  all  den  widerspruchsvollen  Regungen 
ihrer  inneren  Empfindung  ihr  eigentliches  Leben  hat,  ein  Leben, 
welches  in  der  eigenthümlichen  Vereinigung  eines  blinden  Triebes 
und  eines  grübelnden  Bewusstseins  sich  zu  jenem  Selbstgenuss 
der  Leidenschaft  steigert,  den  man  wohl  eigentlich  mit  dem 
Namen  der  Sentimental  itHt  bezeichnen  will.  Nun  wird  aber 
ein  solcher  Uebergang  von  der  Poesie  der  That  zu  der  Poesie 
der  Empfindung  in  der  litterarischen  Entwicklung  eines  Volkes 
nicht  durch  die  Laune  einzelner  Dichter  herbeigeführt;  sondern 
er  tritt  mit  einer  gewissen  Noth wendigkeit  überall  da  ein,  wo 
die  voll  entwickelte  Cultur  eines  Volkes  schon  zur  Ueberreife 
sich  neigt,  wo  die  künstliche  Verschlingung  der  Interessen  und 
Einrichtungen  dem  Einzelnen  die  freie  Regung  einer  grossen 
Kraft  nicht  mehr  verslattcn,  wo  das  Ruhebedürfniss  eines  geal- 
terten Volkes  die  Lust  an  der  That  verloren  hat,  welche  es  als 
eine  Zerstörung  der  ängstlich  und  fein  gewobenen  Netze  seines 
raffinirten  Daseins  nur  fürchten,  nicht,  wie  eine  jugendliche 
Vorzeit,  um  ihrer  kräftigen  Poesie  willen  freudig  bewundern 
kann.  Indem  diese  Stimmung  unwillkürlich  aus  der  Wirklichkeit 
auch  auf  die  Dichtung  sich  überträgt,  ergeht  es  der  Kunst,  wie 
dem  Leben :  die  Poesie  zieht  sich  in  solcher  Zeil  aus  dem  äussern 
Leben  in  das  Innere  der  menschlichen  Empfindung  zurück ;  und 
da  nun  alle  poetischen  Gottheiten  aus  dem  Pandora fasse  des 
Lebens  entflogen  sind,  so  bietet  sich  der  Empfindung  einzig  die 
freundliche  Göttin   der  Liebe  dar.    welche,  als  die  eigentliche 


—     120    — 

Poesie  des  Privatlebens  allein  zurück  geblieben  ist.  Wenn 
somit  das  Hervortreten  der  Liebe  unter  den  GegensUinden  der 
Dichtung,  und  im  Besondern  der  erzählenden  Dichtung  eines  Volkes 
ein  bedeutungsvoller  Ausdruck  einer  innerlichen  Veränderung 
seiner  ganzen  Empfindungsweise  ist,  so  wird  man  die  alexan- 
drinische  Erotik  und  die  Liebesromane  der  spHlgriechischen  Zeit 
umsomehrals  verwandle  Symptome  einer  derartigen  Verändt»rung 
griechischer  Sinnesart  ansehen  dürfen,  weil  sie  zu  der  so  deutlich 
ausgeprägten  Abneigung  der  griechischen  Dichtung  illterer 
Zeit  gegen  erotische  Themen  einen,  ihre  Zusammengehörigkeit 
desto  deutlicher  hervorhebenden,  sehr  kenntlichen  Gegensatz 
bilden. 

Schon  in  der  Gemeinsamkeit  erotischen  Erzilhlungsstoffes 
liegt  also  ein  Element  der  Verwandtschaft  zwischen  den  beiden 
hier  betrachteten  Gattungen  der  Dichtung.  Um  nun  weiterhin 
deutlich  zu  erkennen,  ob  auch  in  der  künstlerischen  Behandlung 
dieser  erotischen  Themen  sich  ein  Zusanmienhang  der  jüngeren 
mit  der  älteren  Erotik  erkennen  lasse,  wUre  freilich  eine 
genauere  Kennlniss  des  eigenlhümlichen  Wesens  der  hellenis- 
tischen Erotik  erforderlich,  als  die  Ungunst  der  Ueberlieferung 
sie  uns  verstatlet.  Denn  da  die  unmittelbaren  Uebcrreste  dieser 
merkwürdigen  Dichtungsweise  sich  fast  durchaus  auf  zerbröckelte 
Fragmente  der  einzelnen  Dichter  beschränken,  so  ist  es  völlig 
unmöglich,  den  Geist  und  die  künstlerische  Besonderheit  dieser 
erotischen  Erzählungen,  welche  sich  ja  jedenfalls  nicht  in  den 
einzelnen  Werkstücken,  sondern  in  ihrer  harmonischen  und 
charaktervollen  Zus«)nnnenfUgung  zum  Ganzen  aussprechen 
müssten,  aus  unvermittelter  Anschauung  zu  erkennen.  Es  ist 
aus  demselben  Grunde  unmöglich,  die  individuelle  Verschieden- 
heit der  einzelnen  Dichter  und  die  Wandlungen,  welche  durch 
ihren  Einfluss  die  künstlerische  Ausbildung  der  ganzen  Gattung 
dieser  Erzählungen  erfuhr,  auch  nur  in  ihren  allgemeineren 
Umrissen  sich  klar  zu  machen;  sondern  wir  sind  genöthigt, 
diese  hellenistische  Erotik  wie  ein  einheitliches  Ganzes  aufzu- 
fassen, in  welchem  wir  nicht  die  charakteristische,  ja  launen- 
hafte Eigenthümlichkeit  einzelner  dichterischer  Talente,  sondern 
einen  gewissen  dichterischen  Gesammtgeist  Ihätig  sehen:  wie 
sich  in  der  Entfernung  die  Düfte  von  tausend  verschiedenen 
Blumen  zu  einem  einzigen  allgemeinen  Wohlgeruch  verschmelzen. 


—     121     — 

Selbst  diesen  allgemeinsten  Geist  und  Duft  der  hellenistischen 
Erotik  aber  können  wir  nur  durch  eine  künstliche  Abstraclion 
gewinnen  aus  den  n)annigfaltiü;cn  Nachahmungen  dieser 
Dichtungsweise,  in  welchen  uns  spüle re  Zeiten  einen  unvoll- 
kommenen Eisatz  für  den  Verlust  der  originalen  Dichtung  hinter- 
lassen haben.  — 

Man  sollte  endlich  ein  verkehrtes  Vorurtheil  völlig  beseitigen, 
nach  welchem  die  künstliche  Dichtung  der  hellenistischen  Hof- 
poeten nur  als  die  halb  kindische  Tändelei  gelehrter  Stuben- 
dichter und  Zeitvertreib  enger  Cliquen  erscheint.  Die  wunder- 
liche Gelehrtenrepublik,  welcher  jene  Dichter  angehörten,  stellte 
wirklich  die  Blüthe  der  damaligen  Cultur  dar;  es  ist  gar  nicht 
zu  bezweifeln,  dass  die  aus  ihren  Kreisen  hervorgehende  Dichtung 
den  Empfmdungen  und  dem  künstlerischen  Geschmack  der  Zeil 
entsprachen,  und  auch  über  die  engeren  Kreise  der  Colterie 
hinaus  einer  gewissen  PopularitcSt  genossen,  falls  man  nur 
nicht  an  jene  höchste,  bildende  Popularität  der  grossen  Dichter 
aus  der  Zeit  der  noch  ungebrochenen  Einheit  griechischer  Cultur 
denken  wiin).  Ohne  einen  derartigen  innigeren  Zusammenhang 
mit  der  gesammten  Bildung  damaliger  Zeit  wHre  der  bedeutende 
Einfluss  dieser  Dichtungsweise  auf  die  darstellende  Kunst  der 
Zeitgenossen  gar  nicht  zu  erklHren,  über  welchen  uns  die 
Forschungen  der  letzten  Zeit  so  lehrreiche  Aufschlüsse  gegeben 
haben  2) . 

Zeigen  uns  nun  die  Wandbilder  der  campanischen  Ruinen- 
städte, in  welchen  die  mythologischen  Gestalten  der  hellenistischen 


1)  Man  könnte  für  diese  woilore  Wirkung  der  licllenislisclicn  Dichtung 
naancherlei  einzelne  Beweise  auflinden.  Nicht  nur  die  prolegirenden  Könige 
hatten  zum  Thcil  ein  ernstliches  Interesse  an  cUn-  neuen  Dichtungsweise 
(wie  z.  B.  entschieden  Antigonus  Gonalas,  von  den  Plolcmaern  wenigstens 
die  drei  ersten  [vgl.  Heyne,  Opusc.  I  p.  89,  Vi  p.  437"  ,  auch  bürgerliche 
Gemeinden  bewiesen  ihre  Thcilnahme,  indem  sie  einheimische  Dichter  ehr- 
ten, durch  Verleihung  des  Bürgerrechtes  (wie  z.  B.  die  Riiodier  den  Apol- 
lonius:  vita  11  p.  51,  9  West.)  oder  Aufstellung  seines  Standbildes  (wie 
z.  B.  die  Kot'r  den  Philetas:  Hermesianax  bei  Alben.  XIII  1\  Vs.  75  f.). 
Beroerkenswerth  ist  auch  die  Notiz  des  Laerlius  (11  133],  dass  der  Philosoph 
Menedemus  den  Antagoras,  Aratus,  Lykophron  zu  seinen  Lieblingsdichtern 
zählte. 

2)  Vgl.  in  Helbigs  Untersuchungen  über  die  campan.  Wandmalerei  ganz 
vorzüglich  Gap.  XX-XXIII. 


—     122    — 

Dichtung  wie  in  doppelter  ZiirUekspief^elung  in  klaren,  wenn 
aiieh  etwas  ahf<eblass(en  Umrissen  uns  entgegentreten,  wie  mächtg 
die  eigenthUmliche  Aufl'assungsweise  der  damaligen  Poesie  der 
gesammten  Phantasie  ihrer  Zeitgenossen  sich  bcmitchtigi  hatte: 
so  beweist  andrerseits  der  lilterarischc  Einfluss,  den  sie 
zuniirhst  auf  die  römische  und  weiterhin  auf  die  spHt  griechi- 
sche Dichtkunst  ausübte,  wie  viele  lebendige  und  Leben  er- 
zeugende Kraft  diese  Gelehrtendichtung  in  ihrer  wunderlichen 
Hülle  dennoch  barg.  Aus  den  unter  diesem  Einfluss  entstandenen 
Nachbildungen  römischer  und  spatgriechischer  Dichter  müssen 
wir  nun  wohl  oder  übel  das  Wesen  der  originalen  Dichtung 
uns  annähernd  zu  vergegenwärtigen  suchen.  Freilich  wird  durch 
die  verschiedenartigsten  Bedenken  diese  Arbeit  sehr  erschwerl. 
Was  zunächst  die  römische  Litleratur  l>etrifl\ .  so  unter- 
scheidet man  leicht  zwei  Perioden  eines  sehr  verschiedenen 
Verhältnisses  zu  den  hellenistischen  Vorbildern.  Die  erste  Periode 
ist  die  der  ausgehenden  Republik.  Damals  nahm  man  die  über- 
mächtig einströmende  hellenistische  Civilisation  mit  dem  ersten 
Eifer  der  Lernbegier  verehrungsvoll  und  ohne  viel  Kritik  auf,  und 
suchte  auch  in  der  Poesie  die  neue  Weise  durch  genaue  Ueber- 
setzungen ')  und  eine  fast  ängstliche  Nachahmung  der  Form  und 
der  ganzen  Manier  hellenistischer  Dichtung  sich  zu  möglichst 
treuer  Nachbildung  einzuüben.  Wären  uns  nur  etwas  zahlreichere 
und  ergiebigere  Ueberreste  der  Dichtungen  dieser  von  Cicero 
verspotleten  »Euphorionssänger«  erhalten,  so  würden  diese  am 
Ersten  uns  ein  treues  Bild  der  hellenistischen  Poesie,  im  Be- 
sondern auch  ihrer  erotischen  Erzählungskunst  gewähren  können. 
Jetzt  müssen  uns  einige  Caiullische  Gedichte  und  die  freilich 
zeitlich  spätere,  aber  schon  durch  ihre  vielfachen  Nachahmungen 


Ij  Von  dergleichen  Uebei'setzungen  sind  (ab{;e8chen  von  den  holperigen 
Versionen  des  Q.  Lutatius  Calulus  aus  CalUniachus:  Gell.  XIX  9,  4  4  u.  dergl.) 
zu  nennen:  Calull  c.  LXVI  (LXIV?;;  vgl.  c.  LXV,  CXVI ;  die  üeberseliun- 
gen  des  Varro  Atacinus  aus  Apollonius,  Aratus,  Alexander  6  Auyvos ,  später- 
hin die  Ueherselzungen  des  Cornelius  Gnllus  aus  Euphorion  (s.  Moineke, 
Anal.  Alex.  p.  24  f.,  78  f.).  (Ctilvus,  Jo.  [s.  Luc.  Müller,  Calull.  p.  85]: 
Cailimachus  'loO;  a^i^t;  [0.  Schneider,  Callim.  11  83  ff.]).  —  (Jeher  das 
wechselnde  Verbällniss  der  römischen  zu  den  hellenistischen  Poeten  (»pri- 
mum  Graecos  vertendo  eorum  artificio  assueverunt,  mox  imitali  sunt, 
postremo  felicissime  aemulati«)  einsichtige  Bemerkungen  bei  Merkel  zu 
Oviils  Ibis  p.   339  IT. 


—     123     — 

des  Catull  ihre  Zugehörigkeil  zu  dieser  älteren  Diehlungsweise 
bekennende  pseudovirgilische  »Ciris«  als  Proben  jener  genaueren 
Nachahmung  hellenistischer  Dichter  dienen.  Die  zahlreichen 
andern  Genossen  dieser  dichterischen  Gesellschaft  sind  für  uns 
kaum  mehr  als  leere  Namen,  die  IJeberreste  ihrer  Dichtungen 
sind  auf  dem  hier  eingenommenen  Gesichtspunkte  uns  haupl- 
silchlich  nur  durch  die  merkwürdige  (ileichartigkeil  ihres 
Tones  interessant,  welche  eben  zur  Erläuterung  ihrer  Abhängig- 
keit von  den  gemeinsamen  hellenistischen  Lehrmeistern  dient. 

Schon  die  stark  ausgeprägte  individuelle  Verschiedenheit 
der  grossen  dichterischen  Talente  in  der  beginnenden  Kaiserzeit 
lässl  den  mittlerweile  vollzogenen  Uebergang  der  römischen 
Dichter  zu  grösserer  Selbständigkeit  erkennen.  Zwar  blieben 
auch  in  dieser  goldenen  Zeit  ihrer  Litteratur  die  römischen 
Dichter  Schüler  der  Griechen  und  nicht  am  Wenigsten  der  Hof- 
dichter  jener  hellenistischen  Zeil,  deren  gesammle  Culturzustände 
ihrer  eignen  Gegenwart  so  verwandt  waren.  Es  ist  bekannt 
wie  Virgil,  ein  Schüler  des  Parthenius,  nicht  nur  seinen  Lehrer, 
vielleicht  auch  den  Euphorien  in  einzelnen  Gedichten  nach- 
ahmte^),  sondern  auch  in  seinem  Lehrgedicht  dem  Nicander'^j, 
in  seinen  bukolischen  Dichtungen  dem  Theokrit  folgte.  Dieses 
letzte  Beispiel  zeigt  aber  zugleich  sehr  deutlich,  wie  der  römische 
Sinn  und  die  persönliche  Befähigung  des  Dichters  seinen  griechi- 
schen Stoffen  einen  ganz  neuen  und  selbständigen  Geist  einzu- 
hauchen wusste ;  und  mit  gleicher  und  grösserer  Freiheit  mögen 
sieh  andre  römische  Dichter  jener  Zeit  ihren  griechischen  Vor- 
bildern gegenüber  gestellt  haben.  Namentlich  hiehen  sich  die 
elegischen  Dichter  von  einer  ängstlichen  Nachahmung  ihrer  viel 
bewunderten  und  gepriesenen  Vorbilder  und  Muster,  Philelas 
und  Kallimachus,  sicherlich  frei,  um  so  mehr,  weil  die  nächsten 
Anlässe  ihrer  Gedichte  in  ganz  wirklichen  und  persönlichen 
GemUthszuständen  lagen,  welche  einen  zwar  durch  griechische 
Kunst  temperirten  und  zierlich  gebildeten,  aber  doch  ganz  indi- 
viduellen Ausdruck  erforderten.  Kann  man  aus  diesem  Grunde 
die  Gedichte  des  Tibull  und  auch  des  viel  gelehrteren  Properz 
nur   mit   grosser   Vorsicht    zur   Reconstruction    des   Geistes  der 


1)  S.  Meineke,  Anal.  Alex.  p.  S72.  285  f.  36  f. 

2)  Vgl.  0.  Schneider,  Nicandrea  p.  74. 


—     124*  — 

Elegik  hellenislischer  Dichter  benulzen,  so  fällt  in  den  durch- 
aus ohne  persönliche  ßetheili^unf;  des  Dichters,  nur  aus  will- 
kührlieher  Phantasie  j;edichtelen*i  Liehesgedichlcn  des  Ovid  zwar 
dieses  Bedenken  fort:  in  diesen  hat  aber  wiederum  jener 
Jircnnende  Farbenglanz  der  ganz  specifisch  römischen  Lebens- 
zustiinde  welcher  sie  für  die  cuUurhistorische  Erkenntniss  der 
beginnenden  Kaiserzeil  so  unschätzbar  werthvoll  macht,  doch 
die  zarteren  Töne  der  hellenistischen  Elegiker  unkenntlich 
gemacht,  denen  Ovid  gleichwohl  so  viel  verdankt. 

Für  unsre  Zwecke  übrigens  könnten  diese  Elegiker  jeden- 
falls nur  einzelne  Farben  und  Züge  herleihen.  In  grossen  Zügen 
muss  uns  die  eigentliche  Kunst  hellenistischer  Erzählungsweise 
das  grosse  Werk  der  Metamorphosen  des  Ovid  anschaulich 
machen.  Dass  diese  Dichtung  ihrer  ganzen  Anlage,  ihrem  StofT 
im  Ganzen  und  in  seinen  einzelnen  Theilen  nach  eine  Nach- 
bildung ähnlicher  hellenistischer  Dichtungen  sei  ,  wird  von 
Niemanden  l)ezweifelt.  Auch  fllr  die  grosse  Vorliebe  der  helle- 
nistischen Dichter  für  erotische  Sagen  giebt  diese  römische 
Nachahnumg  das  lauteste  Zeugniss,  da  sie  selbst  eine  statlliche 
Auswahl   solcher   Liebeserzählungen   darbietet  2; .     Wenn    irgend 


1)  Bekannt  ist  das  eigene  Gcstandniss  des  Ovid  über  die  Gegenstands- 
losigkeit seiner  erotischen  Gedictite,  Trist.'  II  345  ff.  Seine  Corinna  var 
ofTenhar  nur  ein  Phantasiegeschöpf,  wie  dies,  genau  betrachtet,  die  Verse 
Amor.  II  17,  29  f.,  Art.  Hl  588  selbst  verralhen.  Vgl.  Joh.  Massen,  Vita 
Ovidii  zum  J.  73i  U.  C.  §  IV,  zum  J.  762  §  V. 

2)  Von  erotischen  Sagen  werden  folgende  in  den  xMeiamorphosen  des 
Ovid  kürzer  oder  ausführlicher  behandelt:  Apoll  und  Daphne  I  452 — 
567.  Von  und  Syrinx  I  689—712.  Juppiter  und  Callisto:  H  409  ff. 
Apoll  und  Koronis  II  542  ff.  (vgl.  Boeus  und  Simmias  von  Rhodus  bei 
Ant^m  Lih.  20  extr.)  Nyctimene  und  ihr  Vater  11  590  ff.  (vgl. 
Hygin  f.  204).  Juppiter  und  Europa  II  845  ff.  Juppiter  und 
Semele:  IIl  259  ff.  Narcissus  UI  339—510  (vgl.  Wclcker,  A.  D.  IV 
164  ff.:  s.  noch  Nonnus  48,  58t  ff.  anthol.  latin.  ed.  Riese  No.  9.  145. 
146.  147.  219.  Griechisches  Epigramm  bei  Gramer  anecd.  Paris.  IV  p.  886, 
16.  Beiläufig  mag  man  an  diesem  phantastischen  Mythus  [zu  dem  übrigens 
eine  arkadische  Sage  vom  Eutelidas  ein  merkwürdiges  Seitenstück  bildet: 
Plutarch.  sympos.  V  7,  4.  Aelian  Fr.  60  lieh.;  vgl.  Meineke,  anal.  Alei. 
p.  165  f.)  die  innere  Verwandtschaft  dieser  erotischen  Sagen  mit  der  Weise 
der  späteren  Romane  sich  verdeutlichen,  wenn  man  die  limsctzung  eben 
dieses  Mythus  in  einen  ziemlich  schaalen  Roman  völlig  im  Tone  der  sophisti- 
schen Liebesromane  in  dem  allfranzösischen  lai  de  Narcissc  [le  Grand 
d'AiissN  Fabliaux  ed.  Sbme  I  258  ff.]  betrachtet.)    Pyramus  und  Thisbe 


—     125     — 

wo,  so  mttsste  man  also  hier  von  dem  Geiste  der  hellenistischen 
Erotik  eine  deutliche  Vorstellung  gewinnen  können.  Aber  seihst 
in  dieser  bedeutendsten  Nachbildung  tritt  uns  die  Gestalt  der 
hellenistischen  Dichtung  nur  wie  von  einem  farbigen  Nebel  um- 
hüllt entgegen.     Man  überzeugt  sich  leicht,  dass  Ovid  die  freie 


IV  55—466.  Sol,  Leucothoö  und  Clytie  IV  HO  fT.  (vgl.  Naeke,  Va- 
ter. Cat.  p.  480).  Crocus  und  Smilax  IV  ä83  (ein  acht  alcxandrini- 
scher,  daher  auch  bei  Nonnus  mehrfach  ermähnter  Mythus:  s.  Mor. 
Haupt,  Hermes  VII  4872  p.  4  76  ff.  Vgl.  auch  llemsterhusius  zu  Lucian. 
d.  deor.  4  4  vol.  II  p.  288  Bip.  Uebrigcns  hat  in  Erinnerung  an  dieso 
Sage  Nonnus  wohl  auch  Dion.  XLII  34  0  geschrieben:  xal  xp6xov,  t^v 
id^^c,  :rapd  (AiXaxi  xaXöv  diim ,  nicht  ^<5Sov  wie  die  Hss.  und  Ausgaben 
bieten.)  Daphnis  IV  276  ff.  Salmacis  und  Herrn  aphrodilus  IV 
285—388.  Andromeda  und  Perseus  IV  669  IT.  (hier  tritt  freilich  das 
Erotische  ziemlich  zurück).  Pluto  und  Proserpina  V  863  fT.  Are- 
thusa  und  Alpheus  V  578  fT.  (s.  Cluver.  Sicil.  ant.  p.  456  f.,  vgl.  auch 
Boissonade  ad  Nie.  Eug.  lY  4  47.)  Medea  VII  9  ff.  Alcidanias  und 
seine  Tochter  VII  368  f.  (vgl.  Ant.  Lib.  4.).  Menephron  und  seine  .Mut- 
ter Vü  886  f.  Cephalus  und  Procris  VII  672—862.  Scylla  und  M  i- 
nos  VIH  6—454.  Meleager  und  Alalante  VIII  347  ff.  Lotis  IX  347 
(vgl.  Naeke  Val.  Cat.  p.  479.)  Bybiis  und  Caunus  1X444—665.  Iphis 
und  lanthe  IX  669-797.  Apoll  und  Cyparissus  X  406 — 442.  Apoll  und 
Ilyacinthus  X  462—249.  Pygmalion  und  seine  Statue  X  243—297. 
Cinyras  und  Myrrha  X  298 — 502.  Alalante  und  Hippomenes  X  560— 
707.  Ceyx  und  seine  Gattin  Alcyone  XI  44  0 — 572  (ausserordentlich 
schön  erzählt,  wohl  nach  einem  sehr  bedeutenden  Vorbilde.  Wenn  0. 
Schneider,  Nicandrea  p.  68  die  Notiz  des  Probus  zu  Virg.  G.  I  399  richtig 
deutet,  so  müsste  man  an  Nicander  denken.  Vgl.  Moschus  III  44;  Hygin 
f.  65  p.  63  Sc'hm.;  Mythogr.  Vatic.  19.)  Aesacus  und  Hesperie  XI 
754—795.  Acis  und  Galatea  XIII  750  IT.  Glaucus  und  Scylla  XIII 
900  —  XIV  74.  (Die  schöne  Nereide  Scilla  wird  vergeblich  geliebt  von 
Glaucus,  jenem  in  einen  Meerdämon  vorwandelten  Fischer.  Gl.  wendet 
sich  um  Hülfe  an  die  zauberkundige  Circe ,  welche ,  selb.st  in  Liebe  zum 
Glaucus  entbrannt,  die  Nebenbuhlerin,  durch  Vergiftung  der  Meergewiisser, 
in  jenes  homerische  Ungethüm  verwandelt.  Wohl  einfach  aus  Ovid,  Hygin 
fab.  199  p.  427  Schm.  Die  Geschichte  der  Verwandlung  des  (ilaucus  durch 
ein  Zauberkraut,  auf  dessen  Kraft  ihn  die  Wiederbelebung  darauf  gelegter 
todler  Fische  aufmerksam  gemacht  hat,  ist  ein  altes  Miirchen,  dichtori.strh 
aufgefasst  bereits  in  dem  FXaOxo;  Ilövrio;  des  Aeschylus  und  bei  Findar; 
es  findet  sein  Seitenstück  in  dem  hochalterthümlichen  Märchen  von  der 
Wiederbelebung  des  Glaucus,  Sohnes  des  Minos,  durch  Polyidus  [Apollodors 
III  S,  4;  Hygin  f.  4  36.],  welches  ebenfalls  dramatisch  behandelt  worden 
war  von  Sophokles  und  Euripides  [Weicker,  Gr.  Trag.  767  fT.].  Wie  aber 
in  dieser  letzten  Sage  tin  welcher  bisweilen,  statt  des  Polyidus,  Aesculap 
eintritt:  s.  Bergk,  Aristoph.  fragm.  p.  4  4  35  und   Apollodor.  III,  4  2,   3,  42] 


—     126     — 

Bewegung  seiner  eignen  reichbegablen  \atur  durch  die  Manier 
seiner  Vorbilder  durchaus  nicht  binden  lässl.  Die  Sliirke  seines 
Talentes  aber  liegt  in  der  unvergleichlichen  Leichtigkeit  eines 
breiten  und  geistreichen  Pinsels,  in  der  Beweglichkeit  und  un- 
versieglich  strömenden  Ftille  sichrer  und  sinnlich  reicher  Ge- 
staltungskraft, welche  in  dem  übermtithigen  Behagen  ihres 
üppigen  Phantasiespieles  vielleicht  nur  bei  A  riosto  ihres  Gleichen 
findet.  Kauu)  lässt  sich  ein  stärkerer  Gegensatz  denken  als 
zwischen  der  stets  lebendigen,  wenn  auch  zuweilen  etwas  leicht- 
fertig gewandten  Arbeit  dieses  dichterischen  Luca  fa  presto  und 
der  mtlhsam  sorgftlltigen,  schwerflüssigen ,  nur  stockend  sich 
bewegenden  Arbeit  der  hellenistischen  Musterpoeten  ^;.     Da  nun 

die  Kraft  des  Krautes  erkannt  wird,  indem  eine  Schlange  es  geschleppt 
bringt,  auf  eine  todte  Gefährtin  legi  und  diese  belebt:  so  wusste  eine  lydi- 
sehe  Stkiie  von  einem  Kraule  balis  [vgl.  Langkavel,  Botanik  d.  spät.  Gr. 
n.  100,  5],  dessen  Wunderkraft  ebenfalls  durch  die  Wiederbelebung  einer 
Scldan^^e  durch  die  andere  erkannt  und  dann  am  Tylos  erprobt  wurde :  s. 
Xanthus  Fr.  16  [vgl.  über  T6X(dv  auch  Nicol.  Damasc.  Fr.  49  §  37,  Fr.  hisl. 
111  383\  mit  dessen  Bericht  die  Erzählung  des  Nonnus  Dion.  XXY  451 — 551 
ohne  Zweifel  zu  combiniren  ist.  Das  hohe  Alter  dieser  Form  des  Märchens 
beweist  dessen  Vorkommen  bei  vielen  Völkern :  deutsch ,  »die  drei  Schien- 
genblütler«  Grimm  K.  M.  16,  und  dazu  Grimms  Anm.  l\\  p.  26;  MüllenhofT, 
Schleswigholstein.  Sagen  p.  419  f.;  Andres  bei  v.  Hahn,  Neugriech.  Märchen 
I  p.  56.  —  Von  dem  unsterblich  machenden  Kraule  halte  auch  Alexander 
Aelolus  im  'AXieuc  erzählt :  Alben.  VII  296  E ;  an  einem  Hasen  erkannte 
dessen  Kraft  Glaucus  nach  Nicander  ib.  297  A;  ein  Fisch,  wie  bei  Ovid, 
ist  es  z.  B.  bei  Schol.  Ap.  Rhod.  I  1310,  Tzetz.  Lycophr.  754  p.  769. 
Wem  Ovid  in  diesem  Theil  der  Sago  folgte,  i.sl  nicht  zu  erkennen:  nach 
Bergk,  Anlhol.  lyr.«  p.  XIII  wäre  Ovid  XIII  953  [und  damit  dann  wohl  die 
ganze  Verwandlung  des  GInucus]  aus  dem  FXaOxo;  des  Callimachus  ent- 
lehnt;  aber  Callim.  Fr.  484,  von  dem  uns  zudem  gar  nicht  gesagt  wird, 
dass  es  im  rXiOxo;  gestanden  habe,  zeigt  mit  Jenem  Verse  des  Ovid  doch 
nur  eine  sehr  schwache  Aehnlichkeil.  Die  unglückliche  Liet>e  des  Glaucus 
zur  Scylla  war  wohl  sicherlich  ersl  ein  Zusatz  der  hellenistischen  Poesie: 
anmuthig  behandellc  dieselbe  Hcdylo  in  ihrem  elegischen  Gedichte  Zx6XXT| 
, Athen.  VII  297,  B].  Andere  wussten  von  der  Liebe  des  Glaucus  zur 
Ariadne  auf  Naxos,  zur  Syme,  zur  II>dne,  zum  Melicertes  zu  sagen:  Ath. 
VII  c    47.  48). 

1)  Diesen  Gegensatz  mag  man  sich  in  prägnantester  Form  au.sgedrtickt 
denken,  wenn  man,  Kallimacluis  als  typischen  Vertreter  der  hellenisti- 
schen Dichtung  nehmend,  Ovids  abschätziges  Urtheil  über  diesen  Dichter: 
ingenio  non  vaiet,  arte  vnlel  der  trelTenden  Bezeichnung  des  Ovid  als 
poetaruni  i  nge  n  iosissim  us  bei  Senera,  (^uaesl.  natur.  III  27,  13  gegen- 
überstellt. 


—     127     — 

Ovid  gerade  in  den  Metamorphosen  sein  sprudelnd  fruchtbares 
Talent  mit  besonders  fröhlichem  Behagen  sich  ergehen  I^sst,  so 
wird  man  das  wahre  Wesen  der  seinen  Diqhtungen  zu  Grunde 
liegenden  hellenistischen  Poesien  wohl  erst  durch  ein  künstlich 
vermittelndes  Verfahren  wie'der  erkennen  können,  welches  einige 
Aehnlichkeit  hat  mit  dem  bedenklichen  Versuch,  ein,  wunder- 
licher Weise  in  die  breite  und  kecke  Manier  eines  FreskogemJlldes 
umgesetztes  Miniaturbild  auf  seine  ursprünglichen  zierlichen 
Formen  zu  reduciren.  Ungewiss  bleibt,  ob  zu  der  hier  ange- 
deuteten Verschiedenheit  des  Styls  nicht  vielleicht  gar  auch  noch 
eine  weit  gehende  Freiheil  des  Ovid  in  der  Veränderung  der 
ihm  durch  die  hellenistischen  Dichter  überlieferten  Sagenstofl'e 
hinzukommt  ^)  ,  um  die  von  ihm  benutzten  griechischen  Vorbilder 


1)  Wir  müssen  f^estehen,  dass  über  die  wirklichen  Quellen  des  Ovid, 
sowie  über  den  Grad  der  Selbständigkeit  in  seiner  Behandlung  der  einzel- 
nen Fabeln,  unsere  Mittel  uns  kaum  irgend  ein  bestimmtes  ürtheil  erlauben 
(dürftig  und  meist  aus  aprioristischen  Betrachtungen  von  zweifelhaftem 
Wertb  aufgebaut  sind  Mellmanns  Bemerkungen  über  diesen  Punct:  Com- 
menl.  de  caussis  et  auctorib.  narrat.  de  mut.  formis  [Lips.  1786]  p.  94  (T.j. 
Die  genaue  Yergleichung  mit  der  einzigen  einigermaassen  reichhaltigen  pa- 
rallelen Fabelsammlung,  derjenigen  des  Antoninus  Liberalis  ergiebt,  das 
merkwürdige  Resultat,  dass  mit  dem  dort  vorzugsweise  benutzten  Ni- 
cander  Ovid  eine  aufTallendc  Ueliereinstimmung  in  der  Auswahl  der 
Verwandlungssagen,  aber  in  keinem  einzigen  Falle  eine  völlige  Uebercin- 
stinmiung  in  den  Einzelheiten  der  Erzählung  zeigt.  (Die  Angabe  des  Schol. 
Theoer.  V  92  über  Nicanders  Erzählung  von  der  Verwandlung  des  Blutes 
des  Adoois  in  die  Anemone  ist  zu  kurz,  um  erkennen  zu  lassen,  ob  Ovid 
X  734  ff.  gerade  ihm  folge;.  Man  könnte  geneigt  sein,  die  Abweichungen 
des  römischen  Dichters  auf  seine  in  spielender  Variirung  des  überlieferten 
Stoffes  sich  ergötzende  Willkür  zurückzuführen.  Mag  indessen  auch  bei 
manchen  der  Ovidischen  Erzählungen  ein  gewisser  Anschein  der  Wahr- 
sclieinlichkeit  für  diese  Annahme  sprechen,  so  sind  doch  in  den  meisten 
Fällen  die  Abweichungen  des  Ovid  von  Nicanders  Berichten  theils  so  fun- 
damental und  tiefgehend  (man  vgl.  z.  B.  Ovid  IV  389 — 415  mit  Ant.  Lib.  40 
(Plut.  Q.  Gr.  38,  Aelian  V.  H.  3,  42),  Ovid  VII  853  ff.  mit  Ant.  Lib.  2«, 
Ovid  \X  329  ff.  mit  Ant.  Lib.  32  [vgl.  B.  Schmidt,  Volksl.  d.  Neugr.  I  4  22]  , 
tlieils  wiederum  so  gänzlich  auf  gewisse  kleine  Nebenzüge  beschränkt,  in 
denen  eine  willkürliche  Abweichung  von  dem  Ueberlieferten  gar  keinen 
Zweck  und  Sinn  haben  konnte,  —  dass  man  vielleicht  mit  deni  gleichen 
Ret'ht  bezweifeln  kann,  ob  Ovid  die  TiT£(>oto6p.CNa  des  Nicander  überhaupt 
benutzt  habe.  An  dichterischen  Melnmorphosensammlungen,  denen  er  die 
auch  bei  Nicander  behandelten  Sn$;en  entlehnen  konnte,  war  ja  wahrlich 
kein    Mangel.      {Von    gelegentlicher    Benutzung    der    Metamorphosen   des 


—     128    — 

noch  mehr  zu  verdunkeln.  Was  aber  vor  Allem  in  die  bei 
Ovid  reproducirlen  hellenislischen  Erzählungen  einen  völlig 
fremden  Zug  hineinbringt,  das  ist  die  rhetorische  Art  des 
Römers,  welche  sich  oft  sogar  in  seine  ErzUhlung  eindriingt, 
und  in  allen  GcfUhlsausbrUchen  der  Helden  mit  dem  frostigen 
Schwalle  ihrer  Ueflexionen,  Sentenzen.  Antithesen  und  witzigen 
oder  pathetischen  Pointen  jeden  ächten  und  innigen  Ausdruck 
der  Empfmdung  fortschwemmt.  In  dieser  Manier  des  einstigen 
Hhetorenschülers  liegt  viel  eher  ein  Anklang  an  Euripides 
und  verwandle  Dichter  der  späteren  tragischen  Buhne  als  an 
die  hellenistischen  Vorbilder  des  Ovid,  zu  deren  charakteristischen 
Merkmalen  wohl  gerade  die  Abwesenheit  einer  solclien  rauschen- 
den Rhetorik  gerechnet  werden  darf*). 

Thcodorus  redet  Probus  zu  Virg.  G.  I  399).  Verhält  sich  die  Sache  aber  in 
der  That  so,  dann  bleibt  es  durchaus  ungewiss,  ob  und  wieweit  seine  Ab- 
weichungen von  den  uns  anderweitig  bekannten  Berichten  launenhafte  und 
willkürliche  oder  vielmehr  durch  die  von  ihm  zu  Grunde  gelegten,  uns 
verloi*enen  Berichte  ihm  vorgezeichnet  waren.  Sicherlich  erklären  sich 
z.  B.  die  Verschiedenheiten  zwischen  Ovids  Erzählung  von  Iphis  und  Ana- 
xai*ele  und  des  llerniesianax  so  nahe  verwandter  Dichtung  von  Arceophon 
und  Arsino<$  (s.  oben  p.  79  (T.)  auf  diese  Weise.  —  Leber  die  wirklichen 
Autoren  des  Ovid  sollen  hier  keine  Vermuthungen  geäussert  werden.  Bei- 
läufig nur  will  ich  auf  die  auffallende  Uebereinstimmung  einiger  Stellen  des 
Ovid  mit  Bruchstücken  der  Gedichte  des  Euphorien  hinweisen:  man  vgl. 
die  Erzählungen  des  Ovid  (VII  407  ff.)  und  des  Euphorien  (fr.  28  p.  64  f.: 
s.  Rhein.  Mus,  XXVIII  265.  283,  vgl.  noch  Schol.  Nie.  Alex.  48.  41. 
ü.  Schneider,  Adn.  cril.  ad  Nie.  AI.  ki  p.  277,  Lagarde,  Ges.  Abh.  p.  475) 
von  der  Entstehung  des  aronitum;  ferner  vgl.  Ovid  VI  434  f.  mit  Euphorion 
fr.  4  p  40  (vgl.  Ovid.  her.  11  4  47  ff.).  Gleich  Ovid  (VIII  273  ff,  XII  556  ff.) 
hatte  Euphorion  ;fr.  434.  fr.  77)  die  Sagen  von  der  Jagd  auf  den  kalydoni- 
schen  Eber,  von  den  Verwandlungen  dos  Periclymenus  erzählt;  gleich  jenem 
(XII  4  69  IT.;  halte  auch  Euphorion  (fr.  75,  vgl.  fr.  59)  sich  des  zur  An- 
knüpfung fremdartiger  Sagen  so  bequemen  Mittels  bedient,  den  greisen 
Nestor  erzählend  einzuführen.  —  Aus  den  Tifiairc;  des  Phanocles  ist  die 
Sage  vom  Cycnus  II  367  (f.  entlehnt:  vgl.  Bach  zu  Phanocl.  p.  205  f. 

1)  Um  in  dieser  Rücksicht  sich  den  Unterschied  zwischen  der  Manier 
des  Ovid  und  derjenigen  der  liellcnistischen  Dichter  recht  klar  zu  machen, 
vergleiche  man  die  vers<-hiedene  Behandlung  derselben  oder  nahe  ver- 
wandter Empfindungen  und  ihres  Ausdruckes  bei  diesen  und  jenem:  z.  B. 
die  letzte  Klage  des  Iphis  bei  Ovid,  Met.  XIV  71 K  (f.  und  die  des  Lielx^n- 
den  in  der  23.  theokritischen  Idylle  (vgl.  oben  p.  SO  A.  4.),  die  Seelenkämpfe 
der  Medea  bei  Ovid,  Met.  VlJ  4  4  ff.  und  bei  Apollonius  B.  III  (sicher  mit 
Absicht  vermeidet  Ovid  jeden  Anklang  an  Apollonius :  aber  wie  viel  iDoiger 


—     129    — 

Zu  dem,  trotz  dieser  Einschränkun[^en  sehr  reichen  Materiale 
welches  zur  Erkenntniss  der  hellenistischen  Erotik  die  Gedichte  des 
Ovid  darbieten,  bringen  die  späteren  römischen  Dichter  nur 
wenig  Neues  hinzu:  auf  die  classische  Litteratur  der  augustei- 
schen Epoche  gestutzt,  durften  diese  von  einer  unmittelbaren 
Nachahmung  der   Griechen   mehr   und   mehr   sich    emancipiren. 

und  tiefer  ist  die  Darstellung  des  griechisclien  Dichters  im  Vergleich  mit 
dem  aufgeregten  Rhelorenpathos  der  ovidischen  Heldin!),  die  Roden  des 
Aias  und  Odysseus  heim  Wettkampf  um  Achills  Waffen  bei  Ovid,  Met.  XIII 
und  hei  Quintus  Smyrn.  V  181  ff.  (sehr  gut  hat  Köchly  zu  Quintus  V  180 
p.  278  bemerkt,  dass  beide  Dichter  aus  gleicher  Quelle  geschöpft  haben  — 
doch  wohl  einem  hellenistischen  Dichter?  —  Ovid  aber  durch  seinen  rhe- 
torischen ^Bombast  sich  von  der  einfacheren  und  männlicheren  Redeweise 
des  Quhfilus  stark  unterscheide).  —  Ob  das  Anklingen  der  ovidischen  Rhe- 
torik an  die  tragischen  Reden,  im  Besonderen  an  die  ^riixdria  hixvnxd 
des  Euripides  sich  aus  directer  Benutzung  von  Tragödien  erklärt? 
Weicker  hat  in  manchen  Fällen  an  eine  solche  Benutzung  gedacht:  z.  B, 
der  Niobc  des  Sophokles  (metam.  VI  146  ff.:  s.  Weicker,  Gr.  Trag,  286  ff. 
Die  Geschichte  der  Niobe  erzählte  von  hellenistischen  Dichtern  z.  B. 
Euphorion:  fr.  135),  des  Tereus  des  Sophokles  (met.  VI  424  ff.:  siehe 
Weicker,  Gr.  Trag.  376.  El)en  hier  Vs.  431  f.  findet  sich  ein  merkwürdi- 
ger Anklang  an  Euphorion,  fr.  4),  der  PiCot^jaoi  des  Sophokles  (met.  VII  179  ff.: 
Weicker  p.  342),  desPalamedes  des  Euripides  (met.  XIII  60:  Weicker  p.  503). 
Mau  muss  aber  gestchen,  dass  ein  eigentlicher  Beweis  für  eine  solche  Annahme 
sich  nirgends  führen  lässt.  —  Hiermit  würde  die  Frage  nach  den  Quellen  der 
Ovidischen  Herotden  (richtiger:  Epistulae ,  s.  Luc.  Müller,  Rhein.  Mus. 
.Will -86)  zusammenhängen.  Auch  hier  hat  W^elcker  die  Benutzung-einzelner 
Tragödien  des  Sophokles  und  Euripides  angenommen  (epist.  IV  soll  die  Phaedra 
des  Sophokles  benutzt  sein  :  Weicker,  Trag.  402.  S.  aber  oben  p.  37  ;  ep.  VIII 
die  Herroionc  des  Sophokles:  W.  221  f.;  ep.  XI  der  Aeolus  des  Euripides: 
8.  aber  oben  p.  1 01  A.  2  ;  ep.  XIII  der  Protesilaus  des  Euripides :  Weicker  495  ff. 
[vgl.  die  Notiz  des  Antonius  Volscus  bei  Dillhey,  Cyd.  59,  Ribbeck,  Trag, 
lat.  ed.  2  p.  116],  ep.  XVI  39 — 92  der  Alexander  des  Euripides,  W."  464): 
aber  dle«e  Annahmen  bleiben  auch  hier  ziemlich  problematisch.  In  vielen 
dieser  poetischen  ifioTfidii  mag  Ovid  (und  seine  Interpolaloren  und  Forl- 
selzer)  das  Meiste  aus  eigener  Erfindung  und  den  Vorräthen  der  Redner- 
.schule  geschöpft  haben;  einige  derselben  sind  aber  so  entschieden  auf 
hellenistische  Sagenpoesie  begründet  (z.  B.  ohne  allen  Zweifel  ep.  49 
[nach  Merkels  Zählung]  Acontius,  20  Gydippe,  17.  18  Leander  und  Hero; 
und  doch  wohl  wenigstens  auch  2  Phyllis  [s.  oben  p.  38.  90,  und  vgl  mit 
Ep.  2,  121  ff.,  Ovid,  Rem.  am.  593—606,  dort  alier  wieder  Vs.  597:  »Per- 
fide Demophoon«  surdas  clamabat  ad  undas,  mit  Callimachus,  Fr.  505: 
v'jpL^ie  Arj(j.ocp^u)v ,  (Zoixe  ^i^e,  wohl  ebenfalls  Worten  der  klagenden  Phyllis 
selbst].  5  Oenone,  10  Ariadne,  11  Canace),  dass  man  auch  manche  Züge 
der  Seelenmalerei ,  der  galanten  Ansdrucksweise ,   der  in  Andeutungen  ein- 

Rohde,  Der  griechische  Roman.  9 


—     130    — 

Dagegen  spiegeln  sich  manche  Züge  der  hellenistischen 
Erotik  in  den  üeherresten  des  spUtgriechischen  Epos 
wieder.  Die  seit  dem  Ende  des  zweiten  Jahrhunderts  n.  Chr., 
zugleich  mit  der  sophistischen  Prosa,  wieder  aufgelebte  epische 
Dichtung  der  Griechen  zeigt  eine  merkwürdige  Unsicherheit  in 
der  Wahl  ihrer  Stoffe.  Neben  historischen  (legenstiinden 
unter  denen  die  phantastischen  Züge  Alexanders  des  Grossen 
mit  einer  leicht  verständlichen  Vorliebe  behandelt  wurden)  treten 
namentlich  gewisse  übergewaltige,  wegen  ihrer  formlosen  Riesen- 
haft igkeit  eigentlich  völlig  unepische  Mythen,  wie  die  Sagen 
von  den  Giganten,  von  den.Thaten  des  Dionysus  hervor.  Da- 
nel)en  aber  zeigen  dieselben  Dichter  eine  bemerkenswerthe 
Hinneigung  zur  epischen  Behandlung  zart  erotischer  Sagen 
im  alexandrinischen  Geschmack.  So  stellte  Soterichus  die 
Geschicke  der  Ariadne  im  Gedichte  dar,  derselbe  auch  die 
aus  Xenophon  bekannte  Liebesgeschichte  der  schönen  Panthea  ^) ; 
Tryphiodor  hatte  die  Sage  von  Pelops  und  Hippodamia 
episch  erzaldt,  Nestor  von  Laranda  bildete,  nach  langer  Zeil 
zum  ersten  Male,  den  in  hellenistischer  Zeit  so  beliebten  Sagen- 
stoff der  Methamorphosen  aus. 2).  Ja,  selbst  der  nüchterne 
Quintus   von   Smyrna   suchte   die  Dürre    seines   troischen   Epos 

{zeflociitonen  sachlichen  Erzähl unf;  auf  die  von  den  Dichtern  —  denn 
zwischen  Ovid  selbst  und  den  mannichfachen  in  diesen  Briefen  thtitigen 
jüngeren  und  geringeren  Geistern  brauchen  wir  hier  nicht  genau  zu  unter- 
scheiden —  benutzten  hellenistischen  Originale  vermuthungsweise  zurück- 
führen darf.  Mit  grossem  Geschick  hat  in  solchem  Sinne  Dilthey  den 
19.  und  20.  Brief  zur  Reconslruction  der  Cydippe  des  Kallimachus  benutzt; 
und  auch  für  unsere  Zwecke  werden  wir  uns  somit  dieser  Dichtungen  ge- 
legentlich bedienen  können.  —  Eine  allgemeine  Bemerkung  über  die  Quellen 
der  s.  g.  Herolden  des  Ovid  auch  bei  Merkel  zu  Ovids  Ibis  p.  874. 

1)  Suid.  s.  S(uTi^{>iyo;.  Die  Erzählung  von  Panthea,  der  Gemahlin  des 
Abradates,  dem  sie  bis  zum  Tode  treu  bleibt,  ja  im  Tode  nachfolgt,  steht 
bei  Xenophon  in  verstreuten  Zügen  des  vierten  bis  siebenten  Buches  der 
Cyropaedie.  Vermuthlich  ist  die  Sage  eine  freie  Erfindung  des  Xenophon: 
jedenfalls  war  sie  späterhin  nur  aus  seiner  Darstellung  berühmt;  vgl.  Lu- 
cian  iniag  4  0,  und  das,  nach  Xenophöns  Erzählung  ausgeführte  Bild  bei 
Philostr.  Imag.  1!  9. 

2)  Suidas  s.  Neotiop.  Ohne  rechten  Grund  führt  Niclas  zu  d.  Geoponica 
p.  788  und  p.  874  die  im  eilften  Buche  der  Wfur.osiyui  (c.  2.  4.  6.  40.  45. 
4  7.  4  9.  «a.  24.  29)  erhaltenen  kurzen  Erzählungen  von  Pflanzen-mctamoi^ 
phoscn  auf  das  Gedicht  des  Nestor  zurück.  Es  sind  dies  vielmehr  Reste 
aus  den  Progymnasmata  eines  Rhetors:  wovon  unten  noch  ein  Wort. 


—     131     — 

durch  die,  nach  alexandrin ischem  Vorbilde  ausgeführte  Dichtung 
von  Paris  und  Oenone  zu  beleben i). 

Offenl)ar  hatte  man  wieder  begonnen,  die  hellenistischen 
Dichter  zu  studiren ,  welche  während  der  vorangegangenen 
poesielosen  Zeil  ziemlich  unbeachtet  geblieben  waren.  Für 
eine  sehr  energische  Vertiefung  in  den  Geist  der  hellenistischen 
Dichtung  legt  denn  auch  diejenige  Dichtung,  welche  uns  nach 
Form  und  Inhalt  als  Typus  und  Muster  damaliger  epischer  Poesie 
dienen  darf,  das  deutlichste  Zeugniss  ab,  das  grosso  dionysische  Epos 
des  iXonnus  von  Panopolis.  Dass  Nonnus  seine  buntscheckige 
Phraseologie  nicht  zum  geringsten  Theil  aus  einem  genauen 
Studium  hellenistischer  Dichter,  wie  Kallimachus,  Apollonius, 
Theokrit,  Kuphorion,  gewonnen  hat,  ist  bekannt.  Er  entlehnte 
aber  diesen  Mustern  mehr  als  nur  einige  Redeblumen.  Zwar 
den  Stoff  für  den  Ilauptgegenstand  seines  Gedichtes,  die  dio- 
nysischen Mythen,  werden  ihm  eher  jüngere  Dichter  (wie 
Soterichus,  Dionysius^))  dargeboten  haben,  als  hellenistische 
Poeten,  welche  dieses  Gebiet  selten  betraten  3] .  Sicherlich  aber 
benutzte  er  für  die  bunte  Manuichfaltigkeit  der  seinem  Haupt- 
thema als  Abschweifungen  und  Episodien  eingeflochtenen  Abcn- 


]}  In  den  ersten  Beginn  des  wieder  belebten  Epos  gehört  der  Epiker 
Capito,  d(!ssen  'EfxuTixa  Athenaeus  X  425  B  erwühnt.  (Der  Philopappus, 
welchem  dieser  C.  nncli  Athen.  VIII  350  D  seine  07:ojjLvr,[i.aTa  gewidmet 
hatte,  ist  nach  Meinckes  sebr  wabrscheinlicber  Annabme  [an.  ciit.  ad 
Atb.  p.  ^55]  nicht  verschieden  von  dem  durch  sein  noch  erhaltenes  Grab- 
denkmal bekannten  Sohne  des  vertriebenen  Königs  Antiochus  Epiphanes 
Magnus  von  Kommagene  ,  dem  Freunde  des  Plutarch :  über  welchen  man 
vorzüglich  vgl.  Herlzberg,  Gesch.  Griechenlands  unter  der  Herrsch,  der 
Römer  II  843  f.)  — 

2)  Soterichus  schrieb  Baoaapixa  f^xoi  Aiovüoiaxa,  ßi^Xta  o:  Suidas.  Die 
Fragmente  der  Baozayi'Ad  des  Dionysius  zeigen  vielfache  Berührung  mit 
Nonnus:  es  scheint,  dass  N.  ihnen  namentlich  in  der  Darstellung  des  indi- 
schen Feldzuges  des  Dionysus  gefolgt  ist.  S.  R.  Köhler,  Ueber  die  Dlony- 
siaka  des  Nonnus  p.  44.  42.  52.  54.  55  ff.  62.  63. 

3)  Indessen  schrieb  doch  Theolytus  (vor  Apollonius  von  Rhodus 
lebend:  Weichert,  Leb.  d.  Apoll,  p.  258  f.)  Baxyixd  ^tttj  (ein  erotisches 
Abenteuer  daraus  bei  Athen.  VII  296  A.  B.],  Ncoplolemus  von  Faros 
(vor  Aristopbanes  von  Byzanz)  eine  Atovuaia;  (Ath.  III  82  D) ,  jedenfalls  ein 
episches  Gedicht:  s.  Meineke,  nnal.  Alex.  p.  357.  Endlich  halte  Eupho- 
rion  einen  Aiövuoo;  gedichtet,  dem  Nonnus  wahrscheinlich  Manches  ver- 
dankt: 8.  Meineke  a.  a.  0.  p.  21,  Lobeck,  Agtaoph.  558,  c. 

9* 


—     132    — 

teuer  nicht  am  Wenigsten  hellenistische  Dichtungen ;  und  wenn 
er  diesen  in  unmittelhnrer  Xcichbildung  freilich  wohl  nur  manche 
beiläufig  kurz  berührte  Sagenerziihlungen  entlehnt  haben  mag, 
so  führte  er  doch  nach  der  Analogie  hellenistischer  Gedichte 
numches  Abenteuer  aus,  welches  er  in  seinen  allgemeinen  Um- 
rissen sel))st  erfunden  haben  mochte.  Dieses  gilt  ganz  vorzüglich 
von  den  erotischen  Abenteuern,  welche  als  erwünschte  Ruhe- 
punktü  an  so  vielen  Stellen  den  wüsten  Tumult  seines  ruhelosen 
Gedichtes  unierbrechen  ^j .  Für  die  Darstellung  solcher  Scenen 
konnten  spateren  Dichtern  allein  die  hellenistischen  Erzähler 
zum  Vorbild  dienen ;  und  so  zeigen  denn  auch  in  diesen  Partien 
der  Dionysiaca  die  ErzUhlungsweise,  die  Entfaltung  der  leiden- 
schaftlichen GemüthszustUnde,  das  ganze  Colorit  der  Darstel- 
lung ziemlich  deutlich  die  charakteristischen  Merkmale  der 
von  Nonnus  benutzten  hellenistischen  Dichtungen;  nur 
freilich  werden  diese  Goldkörner  älterer  Poesie  überall 
überströmt  und  umgewirbelt  in  dem  tobenden  Erguss  dithyram- 
bischer Rhetorik,  in  welchem  die  Rede  des  Nonnus,  wie  in 
einem  fortwahrenden  Taumel  trunkener  Aufregung  dahinbraust. 
Zu  dieser  wilden  Manier,  welche  alle  Ruhe  und  klare  Anschau- 
lichkeit der  Erzählung  unmöglich  macht,  alle  Gestalten  zu  fratzen- 
haften Schemen  verzerrt,  kommt  noch,  in  den  erotischen  Partien, 
eine  gewisse  Lüsternheit  der  Darstellung,  die  man  wohl  eben- 
falls von  den  aus  Nonnus  wiederzuerkennenden  Zügen  der 
hellenistischen  Erotik  abzuziehen  hat^). 


1)  Von  erotischen  Abenteuern  im  Gedichte  des  Nonnus  seien  hervor- 
gelioben :  Zeus  und  Europa  B.  I ,  Kadmus  und  Harmonia  B.  III.  IV.  Zeus 
und  Senieie  VII.  VIII.  Dionysus  und  Ampclus  XI  (vgl.  R.  Köhler,  Ueber 
Nonnus  p.  25.)  Kalamus  und  Karpus  XI  870—481.  Dionysus,  Hymnus,  Ni- 
caea:  XV  169  —  XVI  405  (vgl.  Köhler  p.  74).  Morrheus  und  Chalcomede 
XXXIII  U3  —  XXXV  222.  Dionysus,  Poseidon  und  Beroö  XLI  230>-262. 
399  —  XLIII  436.  Dionysus  und  Ariadne  XLVII  265—469  (vgl.  Köhler 
p.  89),  Dionysus  und  Pallene  XLVIIl  90—237  (s.  Köhler  p.  91),  Dionysus 
und  Aura  XLVIIl  238 — 942.  —  Zahlreiche  andre  erotische  Sagen  werden 
nur  heilUufig  erwähnt;  die  meisten  habe  ich  gelegentlich  schon  berührt. 

2)  Mit  Recht  setzt  diese  Lüsternheit  des  Nonnus  in  einen  Gegensatz  zu 
der  Weise  des  Kallimachus  Naeke,  Opusc.  II  p.  69.  Ebenso  frei  schei- 
nen sich  davon  aber  auch  die  übrigen  Erzöhlcr  erotischer  Abenteuer  aus 
hellenistischer  Zeit  gehalten  zu  haben ;  man  wird  keine  Spur  von  diesem 
aufs  höchste  unkünstlerischen  Fehler  in  solchen  Fragmenten  der  Dichter 
jener  Zeit  finden,  welche  einen  erzählenden  Charakter  tragen;  ja  man 


—     133    — 

Bei  Weilern  weniger  getrübt  tritt  uns  das  Wesen  der  helle- 
nistischen Liebeserzalilung  aus  dem  Gedichte  des  Mus  aus  von 
der  Liebe  der  Hero  und  des  Leander  entgegen.  Wenn 
dieser  Dichter  sich  von  dem  Bombast  und  dem  fieberhaften 
Pathos  der  Nonnischen  Schule,  welcher  auch  er  angehört,  fast 
völlig  frei  gehalten,  und  in  seiner  zarten  und  lieblichen,  durch 
einen  Hauch  altgriechischer  Charis  beseelten  Erzählung  bei 
Weitem  das  erfreulichste  Denkmal  aus  diesem  Greisenalter  der 
griechischen  Dichtkunst  hinterlassen  hat :  so  darf  man  wohl  den 
Grund  für  diese  Vorzüge  nicht  zuletzt  in  dem  Umstände  suchen, 
der  uns  eben  sein  Gedicht  auch  in  litterarhistorischer  Beziehung 
so  werthvoll  macht,  darin  nämlich,  dass  er  sich  weit  enger, 
als  es  der  unbändigen  Natur  des  Nonnus  je  möglich  gewesen 
wäre,  an  hellenistische  Vorgänger  angeschlossen  hat\).  Denn 
Musäus  hat  nicht  nur  der  Kunstmittel  seiner  hellenistischen 
Vorgänger  sich  bedient,  um  mit  ihnen  eine  ihren  Lieblings- 
themen analoge  Liebessage  auszuschmücken,  sondern  das  Thema 
selbst  und  damit  gewiss  auch  die  allgemeine  Anordnung  der 
Erzählung  und  manche  Einzelheiten  der  Darstellung  einem 
hellenistischen  Dichter  entlehnt  2).  Auf  die  einstige  Existenz 
eines   älteren    Gedichtes   von   dem   Liebesbunde   des  Leander 

• 

und  der  Hero  weist  uns  allerdings  in  unsrer  hier  seltsam 
lückenhaften  Ueberlieferung  keine  directe  IS^chricht  hin.  Aber 
es  kann  nur  die  Kunst  eines  Dichters,  und  zwar  eines  berühmten 
Dichters  gewesen   sein,    welche   diese  am  Hellespont  heimische 


wird  sehr  deutlich  den  Einfiuss  der  griechischen  Vorbilder  in  der  Abwesenheit 
der  Lüsternheit  in  den  erotischen  Kabeln  der  Ovidischen  Metamorphosen 
bemerken  können,  welche  gerade  hierin  einen  so  kenntlichen  Gegensatz  zu 
Ovids  auf  Verhältnisse  seiner  eigenen  Pereon  und  Zeit  bezüglichen  Gedichten 
erotischen  Inhaltes,  den  Amores,  der  Ars  amandi  u.  s.  w.  bilden. 

1)  Auf  die  von  Musäus  im  Allgemeinen  gewiss  treu  wiedergegebenc 
Art  der  hellenistischen  Erotik  würde  daher  auch  der,  nach  meinem  Ge- 
fühl freilich  viel  zu  harte  Tadel  zurückfallen,  den  W.  v.  Humboldt 
(Werke  IV  p.  189)  über  die  »spielende,  kalte,  bloss  zierliche,  und  daher 
immer  kleinliche  Manier«  ausgesprochen  hat,  in  welcher  M.  seinen  SlofT 
behandle. 

2)  Die  meisten  Erwähnungen  der  Sage  hat  bereits  Heinrich  in  seiner 
Ausgabe  des  Musäus  (Hannov.  4  793)  p.  XLII  fl.  zusammcngeslellt.  Man 
wird  leicht  bemerken,  in  welchen  Puncten  seine  Sammlungen  hier  ergänzt 
worden  sind. 


—     134     — 


actiologische  Loralsage  ^)  aus  ihrem  verborgenen  Winkel 
hervorzog  und  in  ein  so  strahlendes  Lieht  stellte,  dass  gerade 
sie,  vor  so  vielen  ähnliehen  Sagen,  als  ein  typisehes  Beispiel 
treuer,  unersehroekenster,  noeh  im  Tode  siegreielier  Liebe  schon 
bei  Virgil  und  Ovid,  weiterhin  dann  bei  römischen  und  griechi- 


])  S^c  knüpfte  sich  an  einen  einsam  stehenden  Thurm  bei  Sestos, 
'HpoO;  r6pYo;  genannt  Slrabo  XIII  p.  591),  und  bildete  in  späterer  Zeil 
den  wichtigsten  Ruliinestilcl  für  Sestos  und  Abydos  (von  beiden  Städten 
weiss  Pomponius  Meia  II  2,  I  19  nichts  weiter  tu  berichten,  als  dass  sie 
durch  diese  Sage  berühmt  seien;,  welche  daher  das  Abenteuer  sogar  auf 
ihren  Münzen  darstellten  (Abydos:  Mionnet  II  p.  637  n.  54.  55  [Septi- 
mus  Severus]  p.  638  n.  58  [Caracalla^  n.  60  Alex.  Severus] .  suppl6m.  V 
p.  506  n.  58.  60  ^Scpt.  Severus].  Aeltcr  scheint  die  ib.  p.  497  n.  3  auf- 
geführte Münze  zu  sein.  Sestos:  aus  autonomer  Zeit  zwei  Münzen  bei 
Rasche  lex.  univ.  rei.  numm.  IV  2,  774;  aus  der  Zeit  des  Caracalla :  Mion- 
net Suppl^m.  II  p.  539  n.  97.  98.).  —  Uebrigens  scheint  der  Thurm  der 
Hero  auch  noch  in  einem  andern  Sinne  ein  gewisses  Alter  der  Sage  zu 
verbürgen.  Die  uns  vorliegenden  Versionen  wissen  offenbar  keinen  Grund 
mehr,  aus  welchem  der  Jungfrau  dieser  einsame  Wohnplatz  angewiesen 
war.  Ovid  sagt  gar  nichts  darüber;  bei  Musäus  heisst  es,  sehr  wenig  klar, 
YÖtfxojv  doioaxTo;  £ouaa  irip^ov  dlrö  irpOY«5v(uN  rapa  fÜTosi  vaTc  ^aXdooiQ 
(32  f.^,  Hero  selbst  sagt  weiterhin,  sie  wohne  dort  oruYepaT;  ßouXiQOi  tox^jotv 
(i90j  ;  ein  (irund  für  diesen  »entsetzlichen«,  jedenfalls  sehr  auffallenden 
Rathschluss  der  Eltern  wird  uns  aber  nicht  mitgctheilt.  Dieses  einsame 
Wohnen  der  Jungfrau  i$t  ein  altes  beliebtes  Märchenmotiv ;  in  griechischer 
Sage  hat  man  für  die  Isolirung  der  Danae  einen  besondem  Grund  er- 
funden ;  sonst  wird  vielfach  ein  Mädchen ,  um  ihre  Tugend  zu  bewahren, 
in  völliger  Einsamkeit  erzogen,  als  ob  es  nicht  anders  sein  könnte:  z.  B. 
im  Märchen  des  Basile  Pentam.  I  3  »Pervontoa,  im  walachischen  Märchen 
bei  Schott  n.  27  p.  262  ff.,  oft  in  deutschen  Märchen  und  Sagen  (einiges 
bei  Uhland,  Schriften  z.  Gesch.  d.  Dichtung  und  Sage  III  423.  546).  Man 
mag  sich  auch  erinnern,  dass  die  weissagende  Veleda  »in  turre«  wohnte 
(Tncitus  bist.  IV  65:  vgl.  Grimm,  D.  Mylh.  p.  85.  86).  So  wohnt,  nach 
der  Volsungasaga ,  auch  Rrxnhilde  in  einem  (mit  der  wabernden  Lohe  um- 
zogeuen)  » Jungfraucnsaalo ;  hierzu  bemerkt  P.  E.  Müller,  Sagabibl.  11 
(übers,  von  Lange)  p.  25  A.  3 :  »buur  und  jomfrubuur,  ein  besonderes,  von 
den  anderen  Gebäuden  abgesondertes  Maus,  worin  in  alten  Zeiten  die 
Töchter  der  Könige  und  der  Grossen  für  sich  allein  wohnten.«  Ob  also 
dieses  einsame  Aufwachsen  der  Jungfrau  sich  einfach  aus  ältester  Sitte  er- 
klärt? oder  ob  dieser  oft  wiederholte  Sagenzug  einen  tiefer  liegenden 
Grund  hat?  (sonderbar  motivirt  ist  er  bei  v.  Hahn,  Griech.  Märchen  N.  48). 
Ich  will  darüber  keine  Vermutliung  äussern;  klar  ist  nur,  dass  die 
Bearbeiter  der  Sage  von  Hero  und  Leander  den  Grund  dieser  auffallenden 
Isolirung  nicht  mehr  kannten;  die  Sagenüberlieferung   hatte  ihn   vergessen. 


—     135     — 

sehen  Dichtern  bis  in  späte  Jahrhunderte  t^efeiert  werden 
konnte^l.  Auf  eine  bertlhnite  Stelle  dieses  Gedichtes  scheint  Vireil 
sogcir  ausdrücklich  anspielen  zu  wollen ;  Reminisccnzen  an  eben 
dieses  Gedicht  mögen  den  Ovidischen  Briefen  des  Leander  und 
der  Hero  zu  Grunde  lieizen^) ;  auch  die  malerische  Darstellung  der 
Sage,  w^elchc   uns  zwei  pompejanische  Gemülde  zeigen  3),   vvilre 


1)  Virgil.  Georg.  111  258—263.  (Uichtig  Pliilarjiyrius  [p.  337  Lion] : 
juvenis:  Leandri  nomen  occullat,  /lula  co^nita  erat  fabiila;  mit  ganz  ver- 
kehrtem Scharfsinn  dagegen  der  Bernei*  Scholiasl  [s.  Hagen  N.  Jahrb.  f. 
Philol.  Suppl.  IV  p.  938;:  nicht  die  ab  omnibus  poells  paene  cele- 
bratam  Sage  von  Hero  und  Leander,  sondern  ganz  im  Allgemeinen  ein 
Beispiel  ungliicklit^her  und  furchUoser  Liebe  wolle  Virgil  l^ezeichnen.  Als 
ob  nicht  das  Schwimmen  im  Meer  und  der  Tod  im  Welleuslurm  einzig  auf 
Leander  passtel)  Ovid.  art.  am.  II  249.  [amor.  II  16,  31.  32  scheinen  mir 
von  einem  Interpolator  herzurühren)  trist.  111  10,  41.  Vgl.  auch  Ovid 
Ibis  587  f.  Sil.  ital.  Vlll  621.  Lucan.  IX  955.  Stal.  Silv.  1  2,  87.  Martial. 
de  spectac.  25a.  25b.  Anlipater  anthol.  Pal.  IX  215,  5.  Endlich,  von  Hein- 
rich übersehen,  anthol.  lat.  (ed.  Riese)  48  (vgl.  199,  89)  und  Ausonius  im 
Cupido  cruci  affixus  (id>ll.  VI)  :  dort  tritt  unter  den  (zum  Theil  aus  Virgil 
Aen.  VI  442  IT.  entlehnten)  dem  Eros  zum  Opfer  gefallenen  Heroinen  auch 
die  Hero  (v.  22.  23)  auf. 

2)  EpI.st.  XVII,  XVlll  nach  Merkels  Zählung.  Mögen  diese  Briefe  (wie 
allerdings  von  dem  Briefe  der  Sappho  [vulgo  ep.  XVJ  an  wohl  alle)  auch 
mit  Ovid  selbst  nichts  gemein  hoben ,  so  stannuen  sie  doch  aus  der  Zeit 
der  ersten  Kaiser  (s.  Luc.  Müller,  de  re  melr.  p.  L.  p.  48;  und  gehören 
also  zu  den  frühesten  Zeugnissen  für  den  Ruhm  jener  Sage,  üebrigens 
scheinen  beide  Briefe  nachträglich  noch  durch  Interpolationen  erweitert  zu 
sein,  mehr  noch  als  der  Brief  des  Leander  (in  welchem  Lehrs,  Jahrb.  f. 
Philol.  LX.XXVll  p.  54  —  57  vielleicht  etwas  gar  zu  radical  alle  rhetorischen 
Auswüchse  fortschneidet)  die  Antwort  der  Hero,  in  welcher  dem  Interpola- 
tor anzugehören  scheinen  v.  3.  4.  71—114.  117—120.  131—142.  146  —  150. 
161—170.  485.  6.  (Dann  liele  das  anstössige  l'lixe  148  s.  Lachmann  Lucr. 
p.  50]  dem  Interpolator  zur  Last;  der  gegen  Ovids  frühere  Kunslübung  ver- 
slosscnde  polysyllabische  Pentameterschluss  202  's.  Luc.  Müller,  d.  r.  m. 
225]  gehört  freilich  jedenfalls  dem  ursprünglichen  Kern  des  Gedichtes  an). 

3)  S.  Helbigs  Verzeichniss  der  caiiipan.  Wandgemälde  N.  1874.  1375. 
—  Eine  merkwürdige  Notiz  des  Domitius  zu  Stat.  Silv.  I  2  ,  87  berichtet: 
Apelles  habe  die  Fabel  vom  Leander  gemall  »nobili  gloriaa.  (Ich  kenne 
diese  Notiz,  da  mir  jener  Gommentar  des  Dom.  nicht  zugänglich  ist,  nur 
aus  Heinrich,  Mus.  p.  XLIII  und  Welcker).  Sollte  nicht  diese  Angabe, 
welche  Welckern  (kl.  Sehr.  I  203)  »keineswegs  der  Erdichtung  verdächtigo 
schien,  nur  aus  der  in  schlechten  Hss.  des  Plinius  N.  H.  XX.XV  §  94  vor- 
gefundenen verkehrten  Lesart  entstanden  sein,  wonach  Apelles  statt  »heroa 
nuduroa  vielmehr  i>Hero  et  Leandrum«  gemalt  haben  sollte  (s.  Sillig  Catal. 


—     136    — 

schwerlich  ohne  vorherjiehende  dichlerische  Ausbildung  der 
Sage  denkbar.  Drängl  uns  aber  alles  dahin,  so  viel  Licht  von 
einer  bedeutenden  griechischen  Dichtung  ausgehend  zu  denken, 
so  kann  über  die  Periode,  welcher  eine  dichlerische  Behandlung 
einer  derartigen  aetiologischen  Liebessage  zuzuweisen 
wäre,  nicht  der  geringste  Zweifel  bestehen.  Ein  Dichter  der" 
hellenistischen  Zeil  war  es,  welcher,  die  ungemeine  poetische 
Schönheit  und  Innigkeit  dieser  Legende  erkennend,  dieselbe,  wie 
man  glauben  darf,  mit  besondrer  Liebe  ausbildete;  und  man 
kann  wohl  ohne  sonderliche  Kühnheit  annehmen,  dass  ein  Ab- 
glanz jener  alteren  Dichtung  in  der  Erzählung  des  Musüus  auf- 
bewahrt sei,  welcher  ein  so  berühmtes  Vorbild  sicherlich  igno- 
riren  weder  konnte  noch  auch  gewollt  haben  wird^). 

Durch    MusHus    ül^rigens    wurde    die    Sage    den    späteren 
Griechen  im  Gedilchtniss  erhahen^]  ,  dem  occidentalischen  Mittel- 


artif.  p.  72.  Vgl.  Brunn,  Gesch.  d.  gr.  Künstler  U206)?  —  Bemerkenswerth 
ist  die  von  Dilthcy,  De  Callim.  Cyd.  p.  59  hervorgezogene  Notiz  des 
Antonius  VqIscus  im  Argument  zu  dem  Briefe  des  Leander,  wonach  Phi- 
iostratus  von  dem  nächtlichen  Wagniss  des  Leander  geschrieben  haben 
soll.  Dillhey  hält  es  für  möglich,  dasi»  in  einem  vollständigen  Exemplar 
der  Philostratischen  » Bilder a  ein  Bild  beschrieben  worden  sei,  welches  das 
Abenteuer  des  Leander  darstellte;  und  in  der  That  würde  der  Charakter 
einer  solchen  Darstellung  z.  B.  mit  den  im  42ten  Capitel  des  Uen  Buches 
beschriebenen  Scenen  (»BöaTropo;«)  eine  gewisse  Verwandtschaft  zeigen. 

1)  Kine  Bestätigung  dieser  Annahme  eines  nähern  Zusammenhanges 
des  Musäus  mit  einem  freilich  mit  Namen  nicht  zu  bezeichnenden  Dichter 
hellenistischer  Zeit  wird,  wer  die  besondre  Art  der  hellenistischen  Dichter 
recht  bedacht  bat,  auch  in  dem  von  Musäus  nicht  verwischten  aetiologi- 
schen Charakter  der  Sage  erkennen.  Musäus  sagt  V.  23  fT. :  ou  V  elirore 
%el^i  (nach  S«»slos)  irepf^aei;,  oi^cö  [t-oi  xiva  Ttüp^ov,  ßirr)  rote  ^Tjoridc  HpA 
loraTo  X6/V0V  eyouoa  xai  TjYe|A<iv£ue' Aedvopip  u.  s.  w.  —  Hinige  dem  Musäus 
mit  dem  Dichter  der  Ovidischen  Briefe  gemeinsame  Züge  lassen  vielleicht 
auf  eine  Benutzung  eines  beiden  gemeinsamen  älteren  Originals  schliessen. 
Man  vgl.  Ovid  XVII  39—42  mit  Mus.  322,  Ovid  XVll  U9— 156  mit  Mus. 
242—214  (s.  Dilthey  Musaeus  p.  XIV)  Ovid  XVIll  4  69  f.  mit  Mus.  320,  vor 
Allem  aber  Mus.  255  oOto;  i6is  dpixr^; ,  auTooroXo; ,  aOt'JpiaTo;  vt/j;  (vom 
Leander  gesagt;  mit  Ovid  XVll  148,  wo  Leander  sagt:  Idem  navigium ,  na- 
vila,  vector  ero.  —  Hat  man  übrigens  schon  die  auffallende  Aehnlichkeit 
zwischen  Mus.  260 — 267  und  einer  Stelle  in  dem  Gedichte  eines  unbekann- 
ten Verfassers    ei;  'AXcpeiov  7:oTafJL<iv,  anth.  i*al.  IX  362   {V.  7  ff.)    bemerkt? 

{vgl.  Ovid,  XVll  101  rr.). 

2)  Auf  das  Gedicht  des  Musäus  darf  man  den  durch   gelegentliche  Ao- 


—     137     — 

aller  durch  die  Ovidischen  Herolden;  und  indem  sie  sieh  nun 
in  mancherlei  dichlerischen  Gestallungen  durch  das  Volk  ver- 
breitete ^)  ,  tönt  diese  Sage,  deren  Grundstinimung  an  moderne 
Gefühlsregungen  so  vertraut  anklingt,  endlich,  aus  der  eignen 
Empfindung  des  Volkes  wunderbar  neugeboren,  in  dem  deutschen 
Liede  von  den  zwei  Königskindern,  von  einer  schwermüthig 
stlssen    Weise    getragen,    im    Gesauge    uns  wieder   entgegen  2). 


spielun^sen  der  Epigrammatiker  des  6.  Jahrhundorts  (Agathias  anlh.  Pal.  V 
2«3,  3  f.  Paul.  Sil.  ibid.  V  293,  7.  Vgl.  auch  ibid.  IX  381)  bezeugten 
Ruhm  der  Sage  zurückführen.  Aus  Musäus  auch  Nicetas  Eugenianus  VI 
471 — 489.  —  In  dem  graecobarbarischen  Gedicht  xd  xaxa  HO.i^avopoN  xal 
XpuöovTCav  heisst  es  von  dem  Helden,  wie  er  im  ' EpojxöxaaTpov  umherwan- 
delt: eI5e  xdxei  T^v  A^a^^opov  ex  XU}ou  xexo{A(ji^vO'j  (v.  455,  in  Eliissens  Anal. 
d.  mittel-  und  neugriech.  Litt.  5  p.  65)  Leander  galt  also  noch  damals  als 
Typus  eines  Liebeshelden. 

1)  L'eber  Anspielungen  romanischer  und  deutscher  Dichter  des  Mittel- 
alters auf  die  Sage,  und  'über  Nachbildungen  der  Ovidischen  Dichtung 
vgl.  V.  d.  Hagen  Gesammtab.  I  p.  CXXVlll  IT.  K.  Bartsch,  AIhrecht  von 
Halberstadt  p.  XXXIV— XXXVl.  p.  GGXLVI. 

2)  Uhland,  D.  Volksl.  N.  91.  Die  Versionen  dieses  in  ganz  Deutschland 
und  auch  in  Skandinavien  heimischen  Liedes  zahlt  0.  Schade  im  Weimarischen 
Jahrbuchf.d.Spr.  III  (1855)  p.  269— 275  auf.  Vgl.  Uhland  Schriften  IV  p.  96.  (Aus 
Dithmarschen :  MüUenhofT,  Schleswi^holstein.  Sagen  u.  s.  w.  p.  609,13).  Zu  einem 
eigenthümlichen  Irrtbum  scheint  eine  Notiz  Gare  in  de  Tassy's  in  den 
(mir  nicht  zuganglichen)  Aventures  de  Kämrup  (Paris  1834)  p.  II,  v.  d.  Ha- 
gen a.  0.  p.  GXXVIII  f.  (und  darnach  auch  Schade  p.  270)  verleitet  zu 
haben.  Mit  Berufung  auf  G.  de  T.  erzählt  Hagen,  dass  »diese  Dichtung« 
(von  Hero  und  Leander)  »weit  ins  Morgenland«  zurückgehe,  nämlich  bis  in 
das  indische  Pendschab,  woselbst  an  den  Ufern  des  Ghinab  die  analoge 
Sage  von  Htr  und  Ränjha  in  Liedern  gefeiert  werde:  von  diesem  indischen 
Liebespaare,  behauptet  Schade,  werde  »»dieselbe  Geschichte  erzählt  wie  von 
Hero  und  Leander«.  Wie  weit  Garcin  de  Tassy  zu  diesem  Bericht  Ver- 
anlassung gegeben  haben  mag,  weiss  ich  nicht.  (Das  »Araisch-i  mahfil« 
[L'ornemenl  de  l'assemblöe]  des  [im  J.  1809  gestorbenen  hindustanischen 
Autors]  Afros,  auf  welches  er  sich,  nach  Hagens  Angabe,  beruft,  ist,  nach 
G.  de  Tassy  Hi^t.  de  la  litt,  hindoui  et  hindoust.  I  p.  31,  eine  statistisch- 
historische  Beschreibung  von  Hindustan;.  Ich  besitze  aber  eine  im  J.  1857 
verdffeDtlichte  Uebersetzung  einer  von  Macbül  Ahmad  »im  Jahre  1848—49  zu 
Delhi  herausgegebenen'  novellistischen  Darstellung  jener  in  Indien  so  be- 
rühmten Sage:  »Hir  et  Ranjhan,  lägende  du  Pendjab.  Traduite  de  l'hin- 
doustani  par  Garcin  de  Tassy.«  Darnach  ist  der  wesentliche  Inhalt  der 
Sage  der  folgende.  Ranjhan  liebt  die  Hir  auf  den  Bericht  einiger  Fakirs 
hin;  Hir  liebt  den  Ranjhan,  den  ihr  ein  Traumgesicht  gezeigt  hat  (vgl. 
oben  p.    49).     Hir  schickt  dem  Geliebten  durch  einen  getreuen  Brahmanen 


—     138     — 

Zu  deu  eigen! li<'hen  Xaehl)il(Uini;e!i  licllenistisrher  DichUiitgs- 
weise  hat  man  endlich  noch  inanehe  Dichtungen  späterer  Zeit 
hinzuzurechnen,  die,  auch  ohne  absichtliche  Nachahmung  älterer 
Vorbilder  do<*h  \on  der  einmal  zur  festen  Manier  ausgebildeten 
und  allgemein  verbreiteten  künstlichen  Weise  der  Erzählung 
erotischer  Abenteuer  beherrscht  wurden. 


einen  Brief,  um  ihn  zu  sich  zu  bitten.  R.  zieht  auch  fort,  nach  der  Stadt  Jang  — 
Siviil,  llirs  Wohnort.  U  nter>\('gs  müsse  r  den  für  chtbarangesch^vol- 
tenen  Fluss  Chi  nah  passiren;  er  stürzt  sich  in  dicWofien;  aus 
höchster  Lebensjzefahr  rettet  ihn  ein  muthi^er  SchiflTer.  In  dem  Dorfe,  wo 
jener  ScIjifTer  wohnt,  treffen  sich  Hir  und  Ranjhan.  Auf  Hirs  Bitte  macht  ihr 
Vater  den  R.  zum  Hirten  seiner  Heerden  ;  sie  selbst  bringt  dem  Geliebten 
Speise,  wird  aber  daltei  ertappt.  Hirs  Brüder  schicken  den  R.  mit  seiner 
Heerde  in  einen  Wald,  wo  zwei  gewaltige  Löwen  ihn  zerreissen  sollen;  R., 
»que  Dieu  avait  doue  de  la  force  d'un  lion  noir»  tödtet  die  beiden  Un- 
gelieuer.  Als  er  ermüdet  eingeschlafen  ist,  stehlen  Hirten  die  Leichen  der 
Löwen  und  geben  sich  als  die  Ueberwinder  derselben  aus;  Ranjhan,  sagen 
sie,  sei  von  denselben  zerrissen  worden.  Bald  aber  kommt  R.  wohlbehal- 
ten zurück,  und  weist,  durch  die  Ohren  und  Wedel  der  Löwen  ,  die  er 
ihnen  abgeschnitten  hatte,  sich  als  den  wirklichen  Löwentödter  aus.  [Hier 
erinnert  man  sich  sofort  jenes  oben  p.  47  berührten,  auch  in  Firdusis 
Erzählung  von  Guschtasp  vorkommenden  Sagenzuges'.  Räuber  entführen 
dem  R.  seine  Heerde ;  auf  einem  windschnollen  Rosse ,  das  ihm  Hir  ver- 
schafft, holt  er  die  Räuber  ein,  vernichtet  sie,  und  bringt  die  Heerde  zu- 
rück. Die  Verwandten  Hir's,  der  Verbindung  mit  R.  ungünstig,  verhei- 
ratheo  sie  mit  einem  Manne  in  Bazaran.  R.,  als  Fakir  gekleidet,  schleicht 
sich  zu  der  Trostlosen ,  sie  enlllicht  mit  ihm.  Der  Gatte  Hir's  holt  sie  ein; 
aber  durch  ein  wunderbar  ausbrechendes  Feuer  gemahnt,  verbindet  der 
Raja,  >or  welchem  der  Gatte  seine  Klage  angebracht  hatte,  Hir  mit  Ranjhan. 
Das  Paar  zieht  ab,  »mais  personno  ne  sut  oü  ils  ctaient  allös,  ni  cc  qu'ils 
claienl  devenus.  On  ignore  s'ils  furcnt  engloulis  sous  la  terre  ou  enlevös 
au  ciel.  11s  furent  cachös  a  Toeil  de  riiomme  comme  la  tache  du  pöchö 
originel  et  comme  le  Simorg  dans  le  Cnucase  de  la  disparition.«  —  Der 
wunderliche  Schluss  begreift  sich  vollständig  nur  aus  dem  mystischen 
Doppelsinn,  welchen  der  Autor  durch  die  ganze  Erzählung  hindurchklingen 
lässt.  Eben  diese  allegorische  Absicht  mag  überhaupt  beigetragen  haben, 
durch  Beseitigung  mancher  feineren ,  aber  allegorisch  nicht  verwend- 
baren Nebenzüge,  den  genaueren  Zu.sammenhang  dieser  sehr  merkwürdigen 
Sage  aufzulösen,  deren  hochalterthümliches  Wiesen  auch  durch  diese  zer- 
bröckelte und  wie  aus  halbem  und  unklarem  Verstandniss  wieder;:cgebeno 
Ueberlieferung  deutlich  hervorscheint.  Leider  giebt  G.  de  T.  keinerlei 
Nachweise  über  das  frühere  Vorkommen  dieser  Legende,  von  deren  hohem 
Ruhme  Macbiil  Ahmad  selbst  redet:  soviel  aber  ist  offenbar,  dass  mit  der 
griochischen  Sage  von  Hero  und  Leander  keinerlei  nähere  Verwandtschaft, 
und  ausser  der  zufälligen  Aehnüchkeit  der  Namen  Hero  und  Hir,  und  allen- 


—     139    — 

Aus  allen  diesen  Hülfsmilleln  nun  wird  man  über  das  Wesen 
der  hellenistischen  Erotik  nianchedei  Belehrung  gewinnen  können, 
wenn  man  vornehmlich  die  ihnen  cjemeinsamen  Züije  beachtet. 
Denn  dergleichen,  in  lateinischen  und  spätgriechischen  Dichtungen 
gleichmässig  wiederkehrende  Züge  weisen,  da  sie  jedenfalls 
nicht  aus  der  lateinischen  Dichtung  in  die  von  dieser  ganz 
unabhängige  spälgriechische  hinübergetragen  worden  sind,  auf 
ein,  beiden  gemeinsames  Vorbild  zurück,  welches  eben  kein 
andres,  als  die  hellenistische  Poesie  sein  kann,  deren  Art 
und  Kunst  den  späteren  Dichtern  bis  zur  Gewohnheit  und  Manier 
geläufig  geworden  war. 

Indem  wir  nun  mit  diesen  Hülfsmitteln  das  Wesen  der 
hellenistischen  Liebeserzählung  uns  nach  Kräften  zu  vergegen- 
wärtigen suchen,  können  wir  uns  allerdings  einen  wesentlichen 
Unterschied  ihres  ganzen  Grundtones  und  ihrer  stilistischen 
Eigenthümlichkeil  von  derjenigen  der  späteren  Liebesromane 
nicht  verhehlen. 

Die  hellenistische  Liebcserzählung  ging  ursprünlich,  wie 
wir  gesehen  haben,  aus  der  Elegie  hervor,  und  trug  auch  in 
der  Zeit  ihrer  vollen  Blüthe  mit  Vorliebe  ein  elegisches 
Gewand ,  welches  nun  wiederum  auf  ihren  Gang  und  ihre 
Bewegung  einen  nothwendig  bestimmenden  Einfluss  hatte.  Die 
Elegie,  ursprünglich  zum  musikalischen  Vortrag  bestimmt *) , 


falls  noch  dem  durch  den  Druck  hervorgehohencn  Zuge  von  der  Durch- 
messung  des  trennenden  Wassers  (vpl.  Ovid.  amor.  111  6),  kaum  eine  lei- 
seste Berührung  stattfindet.  —  Dagegen  zeigt  mit  der  Legende  von  Hero 
und  Leander  eine  >\'irkiiche  Aehnlichkeit  eine,  mir  von  meinem  Freunde 
Dr.  Andreas  nachgewiesene  persische  Lokalsage,  deren  H.  Brugsch, 
Reise  der  k.  preuss.  Gesandtschaft  nach  Persien  1860/61  (L.  1862]  I  p.  184 
gedenkt.  Ueber  den  Fluss  Kyzyl-üzen  (Amardos)  führt,  dicht  bei  Mianöh, 
eine  Brücke,  die  »Jungfernbrucke«  genannt.  Diese  Brücke  Hess  eine  Prin- 
zessin erbauen,  welche  in  dem,  am  Ufer  gelegenen  »Jungfemschloss« 
wohnte,  um  dem  am  andern  Ufer  wohnenden  Schafer,  der  bisher  zu  der 
geliebten  Prinzessin  durch  den  Fluss  geschwommen  war,  den  Liebesverkehr 
zu  erleichtern.  Nun  blieb  aber  der  bisher  Getreue  fort.  —  Der  Vollstän- 
digkeit wegen  will  ich  noch  erwähnen,  dass  Garcin  de  Tassy  bist,  de  la  litt. 
hlnd.  II  p.  534  einige  Aehnlichkeit  zwischen  der  Sage  von  Hero  und  Leander 
und  einer  ebendort  von  ihm  analysirlen  hindostanischen  Liebeserzählung 
»La  flamme  de  l'amour«  von  Mir  Taqui  (Ende  des  18.  Jahrb.)  linden  will: 
eine  Aehnlichkeit,  die  mir  durchaus  unerfindlich  geblieben  ist. 

1)  Da  trotz  der  laut  schreienden  Zeugnisse  noch   immer  der  Ursprung- 


—     140     — 

konnte  freilich  l)ei  den  mancherlei  Diensien,  zu  denen  sie  von 
gnomologisehen  und  politisch  reflectirenden  Dichter  gezwungen 
wurde,  einen  fast  prosaisch  nüchternen  Redeton  annehmen;  ein 
gewisses  latentes  musikalisches  Element  musste  sie  am  sicher- 
sten   da    bewahren,    wo    sie,    in    rein    poetischer  Absicht,    zur 

lieh  vollkommen  musikalische  Vortrag  der  Elegie,  als  eines  Gesanges  zum 
Flötenspiel,  hier  und  da  bestritten  wird,  so  mag  es  nicht  überflüssig  sein, 
die  klarsten  dieser  Zeugnisse  aufs  Neue  zusammenzustellen.  Ich  will  dabei 
vom  Dvc^o;  absehen,  wiewohl  in  Wahrheit  IXrfoc  nichts  anderes  besagt  als 
ToL  ^Xe^eta  auch,  nämlich  ein  Gedicht  im  sogenannten  elegischen  Maasse 
(nur  dasi«  der  tkrenetischc  Charakter  dem  ^e^o;  so  untrennbar  an- 
haftete, dass  man  eben  darum  die  durchaus  nicht  immer  und  nicht  einmal 
vorwiegend  threnetische  Elegie  der  späteren  Zeit  mit  dem  alle,  auch  die 
nichtthrenetischen  Gattungen  dieser  Dichtung  umfassenden  [ursprünglich  nur 
das  Versmaass  bezeichnenden]  Namen  ^XeYCta  benannte.  Im  weiteren  Sinne 
können  aber  auch  gelegentlich  nichtthrenctische  äXe^eta,  D^s^oi  genannt 
werden,  wie  bei  Callimachus  fr.  421].  Das  Wesen  des  D^e^o;  bezeichnet 
aber  vermuthlich  etwas  zuverlässiger  als  die  willkürlichen  Hypothesen  der 
Neueren  die  Definition  des  Didymus  (ap.  Schol.'  Arist.  Av.  217),  wonach 
eXe^oi  wären  ol  rpo;  auXöv  aoö;ji£vot  Opfjvot,  eine  so  klare  Definition,  dass 
man  wohl  von  der  Unfehlbarkeit  einer  vorgefassten  Meinung  sehr  stark 
überzeugt  sein  muss,  um  in  dieser  Definition  die  Bezeichnung  der  IXcyoi 
als  »trauriger  Melodien  auf  der  Flöte«  wiederzufinden,  die  man  nun  einmal 
zu  finden  entschlossen  ist.  Wir  lassen  also  den  IXe-fo;,  das  »zum  Aulos 
gesungene  Klagelied«  bei  Seite;  der  rein  musikalische  Vortrag  der  Elegie 
ist  auch  so  hinreichend  bezeugt.  Als  älteste  Elegiendichter  werden  (ausser 
Anderen)  so  unzweifelhafte  Musiker  wie  Olympus  und  Klonas  genannt 
(Suidas  s.  "OX'jixro; ,  liernclidcs  bei  Plut.  de  mus.  3  extr.}.  So  unzwei- 
deutig wie  möglich  sagt  Plutarch,  De  mus.  8:  dv  dpyjg  i'Kt'fiXoL  {jicfieXonoiT]- 
[t-hoL  ol  auXtoool  if|oov.  Ebendaselbst  heisst  ihm  Sakadas  der  Argiver,  ein 
Mitglied  der  zweiten  musikalischen  xardsTasK  in  Sparta ,  notr^rfjc  ^XeYeUnv 
[lejxcXoTToiTjjjLivojv.  Dieser  selbe  Sakadas,  zusammen  mit  Echembrotus  dem 
Arkadier,  trug  in  der  ersten  Pythias  (ol.  48,  3)  in  Delphi  plegien  zum  Aulos 
vor;  später  schalTte  man  dort  den  W^ettkampf  in  der  Aulodie  ab,  weil  dieses 
axo'jop.a  ouTt  eü^Tjjjiov  zu  sein  schien :  t]  f^p  a'jXoiola  ji^Xt)  xe  -^v  td  oxu^po»- 
TüÖTata  xtX  iXe^eXa  7:pooao<Sp.eva  toT;  a'jXoi«.  Pausan.  X  7,  5.  Mim- 
nermus war  ein  ttOXr^TTj;:  Hermesianax  b.  Ath.  XIII  598  A.;  auf  seine  mu- 
sikalische Thätigkeit  bezieht  sich  auch  der  Spott  des  Hipponax  fr.  96. 
Die  pai*aenetischen,  uns  zum  musikalischen  Vortrag  so  wenig  geeignet  dün- 
kendcn  Elegien  des  Theognis  waren  zum  Gesang  zur  Flöte  bestimmt; 
Vs.  244  fr.  sagt  er  zum  Kyrnus:  xii  ae  ouv  auXloxoiot  Xi^'J^p^^Y^oi;  v£oi 
(Zvopc;  — aaovTai.  Vgl.  noch  Ys.  251.  533.  (825)  943.  Von  den  Elegien 
des  Mimnermus  und  Phocylides:  jAEXoiOTj^fj'^ai  tä  MipiveppLou  xal  Owitu- 
Xtoou  bezeugt  Chamaeleo,  Ath.  XIV  620  C,  also:  sie  seien  gesungen 
worden,   nicht  »mit  Melodien«    nachträglich    »versehen«   worden,    wie 


—     141     — 

Erzählung  verwendet  \^^r(le.  Eine  solche  elegische  Erzählung 
konnte  den  epischen  Stofl*  unmöglich  mit  der  Behaglichkeit  aus- 
breiten, wie  das  alte  Epos;  nolhwendig  brachte  das  lyrische 
Maass  des  Vortrags  eine  Art  Bai  laden  ton  mit  sich,  in  welchem 
die,  im  alten  Epos  so  genau  und  anschaulich  geschilderten 
sichtbaren  Vorgänge  der  üusserlich  wirkenden  That  in  einer 
sprungartig  vorrückenden  Darstellung  nur  als  die  Uebergänge 
zu  den  rührenden  ergreifenden  oder  ergötzenden  Gefühls- 
bewegungen kurz  und  energisch  hingestellt  wurden  ,  auf 
denen  hier  der  eigentliche  Nachdruck  und  der  Glanz  der  Dich- 
tung ruht. 

Es  scheint,  dass  in  allen  Litteraturen,  vermöge  einer  gewissen 
nolhwendigen  Entwicklung,  zwischen  die  epische  Thatsächlich- 
keit  und  die  im  Roman  aufs  Höchste  entwickelte  Kunst  der 
Darstellung  innerlicher  Erlebnisse  eine  derartige  halblyrische 

K.  0.  Müller,  Gr.  L.  G.  I  4  89  übersetzt.  Tyrtaeus ,  dXeYeioTioiic  xaX  auXr^r/jc 
bei  Suidas  genannt,  xai  Ta  ^Xe^eia  %aX  tol  iizt]  acptolv  (den  Lacedaemoniern) 
xd  dsdizaifrza  iQOev:  Pausan.  IV  15,  7.  Derselbe  Pausanias  erwöhnt  IV  46,  7 
ein  messenisches  ao{xa  xsl  Iq  "^[t-äi  aoöfievov  in  elegischem  Maasse ;  (jLoeiv 
kann  man  nun  freilich  zur  Noth  immer  mit  »lebhaft  rccitiren«  überscizen: 
ob  auch  ao(xa  als  Bezeichnung  eines  bloss  recitiren  Gedichtes  vorkomme, 
ist  mir  doch  zweifelhaft.  Solon  nennt  sej^ne  eigene  Elegie  »Salamis«  eine 
v^z  fr.  4.  Von  dem  Vortrag  dieser  Elegie  sagt  Demosthenes  XIX  §  252: 
^Xe^eta  zoiVjoa«  ijße,  Plutarch,  Sol.  8:  is  tpoijj  oie^fjX^e.  (Dass  hier  von 
wirklichem  Gesänge,  nicht  nur  von  Recitation  die  Rede  sei,  beweist  Rud. 
Prinz,  De  Solonis  Plut.  fönt.  [Bonn  4  867]  p.  3.  4).  —  Mich  dünkt,  diese 
Zeugnisse  reden  deutlich.  Ihnen  entgegen  steht  einzig  die  Aussage  eines 
nicht  namentlich  genannten  Metrikers,  der  indessen  schwerlich  vor  dem 
ersten  Jahrhundert  unserer  Aera  lebte  (vgl.  meine  Schrift,  De  Julii  Pollucis 
in  app.  scaen.  enarr.  fönt.  p.  46  Anm.),  bei  Athcnaeus  XIV  632  D.  Doit 
werden  als  solche  Dichter  o\  {xij  TrpoaofYOvrec  7rp6;  xd  TronrjjxaTa  jwXtpolav  ge- 
nannt die  Elegiker  Xenophanes,  Solon,  Phocylides,  Thcognis,  Periander. 
Sehen  wir  auch  von  Solon  und  Phocylides  (für  dessen  Vortragsweise  doch 
vermutblich  das  Zeugniss  des  Chamaeleon  etwas  wichtiger  sein  dürfte,  als 
das  eines  unbekannten  Metrikers  späterer  Zeit)  ab,  so  widerspricht  Theo- 
gnis  ja,  in  den  angeführten  Versen,  selbst  ganz  ausdrücklich  der  Behaup- 
tung dieses  Anonymus.  Vom  Xenophanes  sagt  allerdings  Laeriius  IX  48: 
A^6^  ippa^v^hgi  xd  ea'jToD,  ohne  indessen  im  Besonderen  von  dessen  • 
Elegien  zu  reden,  vielmehr  in  einer,,  seine  l:rr]  tdfißou;  und  iXe^etac  zu- 
sammenfassenden Notiz.  —  Willig  angehört,  reden  die 'Zeugnisse  für  einen 
musikalischen  Vortrag  der  Elegie  in  älterer  Zeit  laut  und  verständlich ;  aber 
freilieb,  man  braucht  sich  nur  mit  der  Watte  einer  vorgefasstcn  Meinung 
die  Ohren  zu  verstopfen,   um  so  wenig  zu   hören   wie  ein  taub  Geborener. 


—     142    — 

Auflösung  der  epischen  Erzühlungsweise  sieh  stelle,  die  dann  leicht 
aus  der  Sa^ze  des  Volkes  sieh  die  zu  einer  solchen  Behandlung 
einzig  geeigneten  Gegenstände  auszulesen  vennag.  In  der 
griechischen  Poesie  dürfen  wir  —  bei  aller  Dürftigkeit  unsrer 
Krkenntnissniittel  —  diese  Mittelstellung  der  elegischen  Er- 
zählungskunsl  um  so  zuversichtlicher  anweisen,  weil  nicht  nur 
die  überall  in  der  Kunst  dieses  Volkes  bemerkliche  Harmonie 
zwischen  Inhalt  und  Form  uns  auch  einen  der  elegischen  (iestah 
entsprechenden  Geist  annehmen  lässt,  sondern  eine  solche  bal- 
ladenartig springende  und  ungleichmiissige  Erzühlungsweisc  uns 
sogar  noch  aus  den  in  epischem  Maasse  geschriebenen  eroti- 
tischen  Erzählungen  hellenistischer  Manier  entgegentritt,  welche 
auf  ihre  elegischen  Seitenstücke  und  Vorbilder  einen  verstärkten 
HUckschluss  erlauben  *  . 

1)  Diese  über  die  Schilderung  des  rein  Thalsächlichen  schnell  hinweg, 
zu  den  lyrischen  Ergüssen  der  Empfindung  oder  der  Ausmalung  patheti- 
scher Situationen  eilende  Darstellungsweise  wird  man  leicht  bemerken : 
z.  B.  bei  Musüus,  in  einzelnen  Erzählungen  des  Ovid  (z.  B.  Scylla  Metam. 
VIU.,  Byblis  IX,  Iphis  und  Anaxarete  XIV),  ganz  vorzüglich  aber  in  der 
(^iris.  Wie  kurz,  ja  bis  zur  Undeutlichkeit  abgerissen  ist  in  diesem  Ge- 
dichte die  Erzählung  der  thatsüchlichen  Ereignisse  (Belagerung  von  Megäre 
119,  Verralh  der  Scylla,  Eroberung  der  Sladt,  Strafe  der  Scylla:  886—390), 
dagegen  wie  breit  und  reich  ausgeführt  sind  der  Scylla  nächtliche  Klagen, 
ihre  Unterredung  mit  der  Amme,  ihre  Klage  als  Minos  sie  im  Wasser  nach- 
schleift! Aehnlich  in  CatuUs  Erzählung  von  Theseus  und  Ariadne,  C.  LXIV 
53 — 364  ;  und  sehr  auffallend  in  der  elogischen  Erzählung  des  Properz  (V  4) 
von  der  Tnrpeja.  Vgl.  auch  des  Quintus  Erzählung  von  Paris  und  Oenone 
(oben  p.  110  f.).  Auch  in  des  s.  g.  Arislaenetus  Paraphrasirung  der  Cydippe 
des  Kallimachus  darf  man  violleicht  eine  gewisse  üngleichmüssigkeit  der 
Erzählung,  in  der  ebenfalls  die  lyrischen  Momente  merklich  überwiegen, 
auf  das  Gedicht  des  Kallimachus  selbst  zurückführen.  —  Es  kommt  übrigens, 
um  die  besondere  W^eise  hellenistischer  Erzählung  vollends  zu  befestigen, 
noch  eine  andere  Eigenthümlichkeit  ihrer  Dichter  hinzu.  Als  die  Erben 
eines  unergründlichen  Schatzes  kunstreichster  Sagendichtung  der  älteren 
Zeiten,  selbst  die  Herren  eines  vielleicht  noch  grosseren  lloiics  unausgebil- 
deter  Volkssagen,  zu  der,  in  den  alten  Sagen  des  Volkes  und  der  Dichter 
völlig  nufgenährlon  Phantasie  gelehrter  Kunstgenossen  redend,  lieben  sie  es, 
nicht  den  Inhalt  der  Sage  breit  und  vollständig  darzulegen  ,  sondern  die 
Grundzüge  vorauszusetzen,  in  Anspiolung§n  zu  erzählen,  in  prophetischen 
Ausblicken  weitere  Verzweigungen  der  Sage  vorübergehend  zu  beleuchten, 
auf  einzelne  poetische  llühepuncte  aber  das  reichste  Licht  ihrer  Kunst  zu 
versammeln.  liiorübor  brauche  ich  mich  nicht  weiter  zu  verbreiten;  man 
bemerke  aber  die  innere  Verwandtschaft  dieser  Manier  mit  der  (in  gewissen 


—     143     — 

In  diesem  Ton  der  Flrziihlung,  aus  welchem,  wie  schon 
erwähnt,  die  ursprüngliche  musikalische  Natur  des  elegischen 
Maasses  dunkel  hervorklingt,  kann  allerdings  die  hellenistische 
Lieheserzählung  unmöglich  das  unmittelbare  Vorbild  der  von 
der  Feindin  aller  Musik,  der  Hhetof  ik  beherrschten  Erzähluugs- 
weise  des  griechischen  Liebesromans  geworden  sein ;  falls  man 
ihr  nicht  doch  in  ihrer  soeben  berührten  Mittelstellung  zwischen 
Epos  und  Roman  auch  in  der  Vortragsart  eine  gewisse  Beziehung 
und  Einwirkung  auf  diesen  letzteren  zugestehen  will. 

Dazu  verbreitet  der  Stoff  der  meisten  hellenistischen 
LiebeserzHhlungen  ein  dem  Roman  völlig  fremdes  poetisches 
Colorit  über  die  ganze  Darstellung.  Sind  auch  eigentlich  mythische 
Gegenstünde  selten,  so  leben  doch  viele  der  hier  behandelten 
Sagen  und  Legenden  in  einer  rein  phantastischen  V^^elt :  ganz 
der  Natur  der  gerade  hier  vorzugsweise  erwählten  Gattung  der 
Volkssage  gemäss,  zeigen  sie  eine  gewisse  Vorliebe  für  die  freie 
Natur  und  ihr  heimliches  Leben,  besonders  für  das  im  Walde 
und  um  verborgne  Quellen  spielende  Zauberwesen  der  Nymphen 
und  Nixen  *) .  Dieses  phantastische  Wesen  hat  nun  den  helle- 
nistischen Erzählungen  eine  Frische  und  Duftigkeit  bewahrt, 
welche  den  späteren  Romanen  ganz  fehlt.  Diesen  stehen  noch 
am  Nächsten  solche  Sagen,  welche  zwar  in  einer  unbestimmten 
Vorzeit,  aber  doch  durchaus  zwischen  Menschen  und  in  mensch- 
lichen Verhältnissen  spielen :  z.  B.  die  von  Kallimachus  behandelte 
Legende  von  Acontius  und  Cydippe,  oder  die  Sagen  von  Pyramus 
und  Tbisbe^j  ,  von  Iphis  und  Anaxarete,  von  llero  und  Leander. 


Beziehungen  aus  ähnlichen  Voraussetzungen  entstandenen)   Erzahlungsweise 
der  eddi sehen  Lieder:  vgl.  W.  Grioim,  D.  Heldensage  p.  363. 

1)  Die  Vorliehe  für  das  Waldleben  spricht  sehr  deutlich  aus  den  zahl- 
reichen Sagen,  in  welchen  jungfräuliche  Jägerinnen  die  Heldinnen  sind: 
wovon  unten.  Man  erinnere  sich  ferner  der  oben  p.  109  berührten  erotischen 
Nymphensagen ,  der  an  Pflanzen  geknüpften  Verwandlungssagen  (soweit  sie 
erotischen  Inhalts  sind,  aufgezählt  von  Naeke  zu  Val.  Cato  p.  178  (T.),  und 
beachte  in  Ovids  Metamorphosen  z.  B.  die  Darstellung  der  Sagen  von  Nar- 
ciss,  Callisto,  Arethusa,  Hermaphrodilus ,  Acsacus  und  Hesperie  u.  s.  w. 

2)  Ovid.  Metam.  IV  55—166.  »vulgaris  fabula  non  est«,  sagt  der  Dich- 
ter V.  5Ä:  ist  es  darnach  wahrscheinlich,  dass  bei  Plutarch  non  p.  s.  v. 
scc.  Epic.  10,  wo  neben  Xenophons  Erzählung  von  der  Panthea  s.  oben 
p.  430)  und  Aristobuls  Erzählung  von  der  heroischen  Thebanerin  Tinioklen 
f«.  K.  Müller  scr.    rer.   Alex.  m.    p.  95)    als   drittes   Beispiel    berühmter 


—     144     — 

Diese  und  ähnliche  Liebeserzählungen  wird  man  am  ersten  als 
kleine  Romane,  und  somit  wirklich  als  die  ältesten  griechischen 
Liebesromane  bezeichnen  können. 

Bei   solchen  Verschiedenheilen    in  Stoff  und  Ton   der  Dar- 
stellung weist  um  desto  entschiedener  auf  eine  engere  Verw'andt- 


Erzählung  von  wcihlicher  Scelengrösse  Beiirofi-iro;  repl  B-ZißT);  (so  die  Hss.: 
s.  Wyttenbach,  Plut.  Mor.  V  p.  466)  genannt  wird,  eine  Erzählung  des  Theo- 
pomp von  der  unglücklichen  Liebe  des  Pyramus  und  derThisbc  gemeint 
sei  (wie  z.  B.  Dilthey  de  Callim.  Cyd.  p.  119  ohne  Weiteres  annimmt)? 
Mir  ist  es  nicht  im  Geringsten  zweifelhaft,  dass  Plutarch  vielmehr  die  kühne 
That  der  Thebe,  Gemahlin  des  Tyrannen  Alexander  von  Pherae  meint, 
welche  mit  ihren  Brüdern  gemeinsam  den  Wütherich  todtete:  Xenoph. 
Hell.  VI  4,  85—37;  Diodor  XVI  U;  Conon  narr.  50,  Cicero  de  oflf.  II  7, 
25;  vgl.  Ovid,  Ibis  319  f.:  Lucian  Icaromenipp.  15  (s.  auch  0.  Ribbeck, 
Rhein.  Mus.  XXX  156  IT.};  Theopomp  konnte  dieses  Ende  des  Tyrannen 
nicht  übergangen  haben  fs.  fr.  839:  vgl.  Ribbeck  156.  158):  aus  ihm  mag 
Plutarch,  Pelop.  18.  31.  35  die  pathetische  Erzählung  von  der  That  der 
Thebe  entlehnt  haben.  —  Der  von  Ovid  wiedergegebeuen  babylonischen 
Sage  folgt  auch  Hygin  f.  242,  Servius  zu  Virg.  ecl.  VI  22;  sie  meint  auch 
Alcimus  anth.  lat.  715,  7.  8.  R.,  sowie  das  Distichon  des  Avitus,  anthol. 
tat.  73  I  p.  91  R  :  Pallia  nota  fovet  lacrimis  decepta  Themislo,  Pyramus 
heu  lacrimis  pallia  nota  fovet  [»Thcmisto  quae  sit  nescio»  sagt  Riese. 
Es  ist  die  zweite  Gattin  des  Athamas.  welche  die  Kinder  der  Ino  umbrin- 
gen wollte,  durch  die  schwarzen  Gewänder  aber,  welche  Ino  listiger  Weise 
den  eignen  Kindern  der  Th.  angelegt  hatte ,  getäuscht  (»decepta«  auch 
Hygin)  vielmehr  diese  tüdtete:  Hygin  f.  1.  4.  Vgl.  Welcker  gr.  Trag.  616.] 
Es  gab  aber  auch  eine  ganz  andere,  cilicische  Sage,  wonach  »Thysben 
apud  Ciliciam  in  fontem  et  Pyramum  inibi  in  fluvium  (den  bckannlen 
Strom  in  Cilicien,  von  dem  Strabo  p.  52  f.  p.  563  redet,  ohne  dieser  Sage 
zu  gedenken)  resolutos  dicunt«:  so  die  Pseudoclemenlinischen  Recognitiones 
X  26  p.  234  Gersd.,  in  eiper  merkwürdigen  Aufzählung  von  Metamorpho- 
sen, die  in  der  entsprechenden  Stelle  der  Homilien  fehlen.  Von  Entlebr 
nung  aus  Ovid  (von  der  z.  B.  Lehmann,  die  Clementin.  Sehr.  p.  460 
redet)  kann  natürlich  gar  nicht  die  Rede  sein :  vielmehr  bezieht  jener 
Schriftsteller  sich  auf  eine  wesentlich  verschiedene  (der  oben  p.  94  A.  1  dem 
Parthenius  vindiicirten  Sage  von  der  Komaetho  verwandte)  Sage  von  P.  und 
Tb.,  die  aber  wohl  ebenfalls  durch  eine  dichterische  Behandlung  berühmt 
geworden  war:  denn  auf  eben  diese  Version  der  Sage  spielt  Nonnus  wie- 
derholt an:  Dion.  VI  345  f.  851.  XU  84  f.  Genauer  erzählt  wird  sie  übri- 
gens von  Nicolaus,  progymnasm.  II  9  (Walz  Rhet.  I  p.  271);  vgl.  anch 
Iliuierius  or.  1  §  11.  (Thisbe  als  Quellnymphc  auch  bei  Themistius,  or.  XI 
p.  151  C.  Hier  mag  man  sich  auch  der  böotischen  |Quell?-]nymphe  Thisbe 
erinnern:  Pau.san.  IX  32,  2.).  —  Es  verdient,  als  ein  Beweis  der  fast  mo- 
dernen Art  solcher  erotischen  Sagen,  auch  hier  hervorgehoben  zu  werden, 
dass  die  Ovidische  Erzählung  von    P.    und  Th.    im   Mittelalter  bei  französi- 


—     145     — 

Schaft  der  älteren  und  jüngeren  griechischen  LiebeserzHhlungen 
die  überraschende  Aehnlichkeil  hin,  mit  der  in  beiden  das 
eigentliche  Liebesabenteuer  ausgemalt  wird.  Die  Ueberein- 
stimmung  der  innerlich  so  nahe  verwandten  Gallungen  griechischer 
Dichtung  in  den  Mitteln  derTechnik  erotischer  Erzühlungs- 
kunst  lässl  sich  bis  in  die  feinsten  Zügfe  verfolgen.  Für  unsere 
gegenwärtigen  Zwecke  mag  ein  allgemeiner  üeberblick  genügen  ^). 
Schon  die  Art,  wie  die  Dichter  das  erste  Zusammentreffen 
ihrer  Paare  herbeiführen,  zeigt  eine  merkwürdige  Gleichförmig- 
keit. Wo  die  hellenistische  Erzählung  nur  irgend  in  bürgerlichen 
Verhältnissen  sich  bewegt,  kennt  sie  kaum  eine  andre  Gelegen- 
heit für  das  erste  Aufkeimen  der  Liebe,  als  ein  von  Jünglingen 
und  Jungfrauen  gleicbermaassen  besuchtes  Götter  fest,  welches 
mit  der  jubelnden  Lust  seiner  Menschenmengen,  dem  Glanz 
seiner  feierlichen  Aufzüge,  dem  Dampf  und  Duft  der  Opfer  zu- 
gleich einen  prachtvollen  Eingang  für  die  Erzählung  und  einen 
durch  den  Contrast  sehr  wirksamen  Hintergrund  für  die  beiden 
jugendlichen  Menschen   bildet,   welche  durch  all  das  Getümmel 


sehen,  deutschen  und  englischen  Dichtern  sich  einer  ganz  besondern  Be- 
Hebtheit  erfreute:  zahlreiche  Anspielungen  und  Nachahmungen  verzeichnet 
K.  Bartsch,  Albrecht  von  Halberstadt  p.  LX-LXVI;  p.  CCL— CCLIL  Vgl. 
Oesterley  zu  Gesta  Roman,  append.  35=231  p.  743.  Hinzufügen  könnte 
man  noch  ein  sicherlich  aus  dieser  Sage  entstandenes  Volkslied  »Abend- 
gang«,  bei  Uhland  N.  90  I  p.  190.  Vgl.  dazu  Uhland  Schriften  IV  p.  89  ff. 
—  Endlich  sei  noch  einer  chinesischen  Liebeserzählung  »l'ombre  dans  I'eau« 
(bei  Abel  Remusat,  Meianges  Asiatiques  H  p.  339 — 341)  gedacht,  in  welcher 
R^musat  eine  Aehnlichkeit  mit  der  Ovidischen  Erzählung  von  P.  und  Th. 
finden  will,  die  sich  aber  doch  auf  einen  ganz  leisen  Anklang  reducirt. 

1]  Hier  mag  noch  einmal  ausdrücklich  auf  C.  Dilthey's  Buch  De  Calli- 
macbi  Cydippa  verwiesen  werden:  in  jenem  Buche  sind  zum  ersten  Male 
die  vieiraltigen  Uebereinstimmungen  älterer  und  jüngerer  Erotiker,  wie  sie 
auch  ältere  Gelehrte  in  umfänglichen  Sammlungen  von  »Parallelstellen  n 
hervorgehoben  hatten,  unter  den  richtigen  und  einzig  fruchtbringenden  Ge- 
sichtspunct  gerückt  worden ,  aus  welchem  dergleichen  Uebereinstimmungen 
einen  tbatsächlichen  historischen  Zusammenhang  der  Technik  erotischer 
Schilderung  bei  hellenistischen  Poeten  und  den  Dichtern  der  prosaischen 
Liebesromane  erkennen  lassen.  Indem  ich  also  auf  jenes  Werk  im  Allge- 
meinen verweise,  habe  ich  auch  im  Einzelnen  das  bereits  dort  angesam- 
melte Material  nicht  wieder  hier  vorbringen  wollen,  sondern  begnüge  mich, 
bei  jedem  von  D.  genügend  behandelten  Einzelzuge  auf  seine  Ausführun- 
gen hinzuweisen  und  selber  nur,  wo  ich  Neues  erweiternd  und  ergänzend 
vorzutragen  hatte,  den  ganzen  Beweisapparat  anzuführen. 

Bohde,  Der  griechische  Roman.  10 


—     146     — 

hindurch  sehnsüchtigen  Blickes  nur  Einer  den  Andern  suchen. 
Eben  dieses  selben  Mittels  zur  Herbeiführung  der  ersten  Bekannt- 
schaft bedienen  sich  unter  den  uns  erhaltenen  Bomandichtem 
Xenophon  von  Ephesus,  Heliodor  und  G h a r i t o n *) . 

Gewiss  liegt  der  Grund  für  die  Bevorzugung  gerade  dieser 
Einleitung  des  LiebesverliHltnisses  in  den,  auch  in  späterer  Zeit 
wohl  nicht  wesentlich  veränderten  thatsächlichen  Bedingungen 
der  griechischen  Sitte,  welche  eine  andre  Möglichkeit  des  Ver- 
kehrs ehrbarer  Jungfrauen  und  Jünglinge  kaum  kennen  mochte 2). 
Immerhin  wird  man  zugeben,  dass  durch  diese  Einförmigkeit 
des  Anfangs  eine  gewisse  Gleichmässigkeit  auch  der  weitem 
Entwicklung  einer  also  plötzlich  herbeigeführten^  nicht  langsam 
herangewachsenen  leidenschaftlichen  Neigung  bedingt  war. 

Sehr  charakteristisch  ist  nun  die  Weise,  in  welcher  die 
Bomandichter  die  Stimmung  des  von  der  Leidenschaft  noch  nicht 
ergriffenen  Jünglings  auszumalen   lieben.     Fremd  stand   er  bis 


1)  Xenoph.  I  %.  8  (vgl.  auch  III  3  p.  S60,  19  Hercher.  V  l  p.  380,  19) 
Heliodor  III  4  ff.  ^vgl.  VII  2,  p.  479,  30  Bekker).  Chariten  1  4.  (vgl.  III 
6  p.  59,  34  Horcher).  Aehnlich  dann  auch  Nicetas  Eugenianus  III  404  ff. 
Auf  einige  wenige  Beispiele  solchen  Zusammentreffens  der  Liebenden  bei 
älteren  Erotikern  weist  schon  Dorville  zu  Chariton  p.  47  hin;  nach  Andern 
hat  dann  Dilthey  Cyd.  p.  49  f.  die  reichste  Sammlung  solcher  Erzöhlungen 
aus  älteren  und  jüngeren  Erolikern  zusammengestellt.  Hinzufügen  mag 
man  noch:  Paris  und  Helena,  Lycophr.  4  06  (vgl.  die  wunderliche  Darstel- 
lung des  Dracontius,  Helena  v.  435  ff.) ;  Achill  und  Polyxena,  Philostr.  He- 
roic.  XIX  4  4 ;  Achill  und  Deidamia :  Slatius  Achill.  I  285  ff. ;  anthol.  Palat. 
V  494  (dazu  Dillhey  Rhein.  Mus.  XXVU  294);  Dioscorides  ibid.  V  53,  4.  2; 
vor  Allem  Plutarch  virt.  mulier.  42  :  xai;  Kicov  irapA^oi;  Ido;  f^v,  eU  Upd 
OTjiJL^aia  ou(ji::of»e6eodai  xol  0(T)(jiepeueiv  |xct  dXX-fjXwv,  ot  Ik  (xvTjTcfjpe;  ddcd>vTo 
T:aiCo'J3ac  %al  yopeuouoo;  u.  s.  w.  Vgl.  auch  Pindar  Pyth.  IX  98  ff.  Plaut. 
Cislell.  I  4,  94  ff.  =-  Menandr.  fr.  ine.  XX.XII  (IV  p.  243). 

2)  S.  Becker,  Charikles  lll^  265.  So  verliebte  sich  auch  Philipp  von 
Macedonien  in  die  Ohmpias,  als  er  sie  bei  einem  Myslerienfest  auf  Samo- 
thrake  erblickte:  Plut.  Alex.  2.  Himcrius  or.  I  §  42  p.  346.  —  Nur  auf 
Sklavinnen  eines  leno  passt  ein,  wie  es  scheint,  in  der  neueren  Komödie 
beliebtes  Motiv,  nach  welchem  der  Jüngling  das  Mädchen  auf  ihrem  Gange 
zur  Musikstunde  sieht  und  lieben  lernt:  vgl.  Plautus  Rud.  42  ff.,  Tert. 
Phorm.  84  ff.  Sehr  seltsam,  und  bei  der  griechischen  Sitte  fast  unver- 
ständlich bleibt  die  Erzählung  des  Philostratus  imag.  I  42  p.  842,  20  (ed. 
Kayser  4874):  xöptj  xal  iraTc  d[(i.^<ö  xaXcu  xal  cpoixÄvxc  Ta6T<|i  oioaaxdXtp 
7:pooexa6^3av  dD.X-/)Xotc  u.  s.  w.  Ist  etwa  auch  hier  von  zwei  Unfreien  die 
Rede? 


—     147     — 

dahin  allen  erotischen  Regungen  gegenüber,  ja  im  selbslgenug- 
samen  Stolz  meinte  er  wohl  gar,  die  Gewalt  des  Eros  verlachen 
zu  können.  Die  plötzlich  auflodernde  Leidenschaft  trifft  ihn 
nun,  als  Strafe  seines  spröden  Sinnes,  um  so  härter^:.  Hier 
bricht  bei  diesen  späten  Erotikern  eine  acht  volksthtlmlich 
griechische  Anschauungsweise  durch.  Die  Griechen  scheueten 
eine  leidenschaftlich  heftige  Liebe  wie  eine  sinnverwirrende 
Krankheit;  und  doch  erschien  ihnen  ein  diesem  allgewaltigen 
Triebe  hart  und  im  Gefühl  seiner  »Sophrosyne«  stolz  sich  wieder- 
setzender Sinn  wie  eine  frevelhafte  Hybris  2) ,  welche  von  dem 
beleidigten  Gotte  durch  Sendung  desto  härterer  Plage  bestraft 
werde.  In  zahlreichen  Sagen  spricht  sich  diese  Scheu  vor  der 
unheimlichen  Leidenschaft  aus;  ganz  vorzüglich  aber  liebten  die 
hellenistischen  Erotiker  eben  solche  Sagen  kunstvoll  auszubilden, 
in  denen  das  vergebliche  Ringen  einer  stolzen  »jungfräulichen« 
Seele ^)  gegen  die  Macht  des  Eros  warnend  dargestellt  war.  Zu 
ihren  Lieblingsgestalten  gehörten  daher  spröde,  der  Artemis  und 
der  männlichen  Jagd  ergebene,  die  Aphrodite  verachtende  Jung- 
frauen, welche  die  Gewalt  des  Eros  endlich  doch  bezwingt. 
Taugten  nun  auch  solche  Gestalten  nicht  in  die  bürgerlichen 
Gemälde  der  spätem  Romane,  so  klingt  diese  urgriechische 
Gesinnung  doch  in  der  anfänglich  spröden  Haltung  ihrer  Jüng- 
linge nach^j. 


1)  Xenoph.  Ephes.  I  1.  2.  Heliodor  III  17  p.  94,  17  vom  Thcagenes: 
dei  Yo^p  SiaTTTÖaai  irdaa;  xal  -^dit.o'^  autiv  xai  IpooTa;  xtX.  Charilon  II  4,  4  ff., 
VI  4f  5.  Vgl.  namentlich  auch  den  völlig  im  Tone  der  griechischen  Ro- 
mane geschriebenen  Eingang  des  Apulejanischen  Märchens  von  Amor  und 
Psyche,  Melam.  IV  18—31. 

2)  ol  -^dp  Kurpiv  ttE'j-yovTs;  dlv8p<6rcuv  df**^  voaoua'  6fi.ot(u;  toi;  dy^v  OTjpw- 
uivou  Eurip.  fr.  431. 

3)  irapöivov  ^'j/TjV  eyojv  sagt  der  Euripideische  Hippolytus  (Vs.  1006) 
von  sich  selbst. 

4)  Diese  stolze  Sprüdigkeit  gegenüber  den  Lockungen  der  Liebe,  und 
die  desto  härtere  Rache  des  Eros  (N^jxcoi;  S'  d^iXaasEv  (ooOoa  sagt  in 
einem  solchen  Falle  Nonnus,  D.  XVI  264,  XXXVII  423;  vgl.  Flaccus,  An- 
thol.  Pal.  XII  12)  bilden  das  Thema  vieler  hellenistischen  Erzählungen. 
So:  Apoll  und  Daphne  (Ovid,  Met.  I  456  ff.:  Quid-tibi,  lascive  puer,  cum 
fortibus  armis  u.  s.  w.) ,  Iphis  und  Anaxarele  (s.  oben  p.  80) ,  Narciss 
(wozu  WeIcker  A.  D.  IV  164.  165  eine  Anzahl  ähnlicher  Sagenbeispielc 
vergleicht).     Daphnis  (in  der  bei  Theoer.  I,  Nonnus  XV  307,  Serv.  V.  ecl. 

10* 


—     148     — 

Mit  der  Entstehung  der  Liebe  machen  diese  Dichter  es  sich 
regeiniüssig  sehr  leicht.  Da  giebt  es  kein  allmühliches  Wachsen 
und  Anschwellen  einer  anfänglich  leise  antönenden  Empfindung, 
kein  Zagen,  Zweifeln  und  Schwanken;  sondern  beim  ersten  Anblick 
ist  sofort  bei  Beiden  die  Neigung  entschieden :  staunend,  und  in 
seliger  Vergessenheit  alles  Uebrigen  heftet  Eins  die  Augen  auf  das 


VlII  6S  vorausgesetzten  Sage,  s.  Welcker,  Kl.  Scbr.  I  493  ff.),  wohl  auch 
Leucippus  (Hermesianax  bei  Parihen.  5:  denn  diesen  Sinn  einer  ursprüng- 
lichen Widersetzlichkeit  des  Leucippus  gegen  Aphrodite  sollen  doch  wolil 
die  Worte  des  Parlhenius  [p.  7,  48  Hercher]  andeuten:  Leucippus  habe 
sich  in  seine  eigene  Schwester  verliebt  »xaTot  fxijviv  'A^ppo^ttr^;«.  Vgl.  Apol- 
lodor  III  44,  4,  3  von  der  Smyrna:  aSrrj  xaxd  (jtf^viv  'A^poSttT);  (ou  ^dp 
auT-^v  ^-((Att)  (oyci  toO  r.axpia  fpcora),  und  vor  Allem  die  üt>eraDS  zahl- 
reichen Sagen,  in  denen  spröde  Jtigerjungfrauen  von  Eros  endlich 
desto  härter  gestraft  werden.  Hierfür  hat  Dilthey  p.  43  einige  Beispiele 
angeführt:  Daphne  (vgl.  Heibig,  Rhein.  Mus.  XXIV  iSi),  Syrinx  (vgl.  ausser 
Ovid,  Met.  I  693,  Nonnus,  Dion.  XL1I  384^390,  mit  der  Moral:  vr^Xlec 
cblv  EpcDTEC,  Zxt  xpeö;,  ^irirÖTC  roiviPjv  dirp^xTO'j  9iX4t7|to;  draitiCouai  Y^vat- 
xa;).  Arethusa  (ausser  Pausan.  V  7,  3,  vgl.  Ovid,  Met.  V  577  ff.,  Schol. 
Pind.  Ncm.  I  4),  Rhodopis  (Ach.  Tat.  Vlll  43:  vgl.  auch  Nicetas  Eug. 
III  364  ff.),  Nicaea  und  Aura  bei  Nonnus.  Man  füge  hinzu:  Atalante  im 
»Meleaper«  des  Euripides  (s.  fr.  539  und  Schol.  Virg.  A.  43,  468),  die 
von  Kallimachus  h.  Dian.  490 — 334  aufgezählten  Begleiterinnen  der  Ar- 
temis: Brilomartis  (vgl.  Nicander  fr.  67  Sehn.  Ciris  394  ff.),  Kyrene 
;s.  oben  p.  107),  Prokris  (vgl.  namentlich  Ovid,  Met.  VII  745  f.),  Atalante^ 
die  Tochter  des  lasios  (die  Liebe  des  Milanion  zu  dieser  spröden  Jägerin 
ist  ein  altes,  bei  den  hellenistischen  Dichtern  vorzüglich  berühmtes  Beispiel 
duldender  Liebe:  die  wichtigsten  Stellen  citirt  Welcker,  Gr.  Trag.  4330. 
Eine  Komödie  Milanion  schrieb  Antiphanes:  Meineke,  Com.  1  335).  Dazu 
ferner:  Arganthone  (Parthen.  36),  Beroö  (Nonnus  XLI  330  ff.),  Callisto 
(Ovid,  Met.  II  444,  Fast.  II  453),  auch  Pomona  bei  Ovid,  Met.  XIV  634,  Granat 
bei  Ovid,  Fast.  VI  4  07  ff.  (Ein  männliches  Seitenstück  ist  der  schon  von 
den  Tragikern  gefeierte  Hippolytus:  vgl.  oben  p.  34).  In  allerkenntlichsier 
Nachahmung  solcher  sagenhaften  Jungfrauen  sagt  auch  Heliodor  von 
seiner  Chariklen  II  33 :  dTir^f^oeuTai  a'jTijJ  Y^^f^^*»  *'**^  ripOsveüeiv  tov  Travra  ßiov 
oiaictvctai,  xai  TJ  'ApTljjiioi  C^xopov  ea'jW,v  inooüaa  i^tipai;  xd  TroXXd  oyoXdCct 
xai  daxEi  To^eiaN.  In  ihrem  Sinne  sagt  auch  Kalasiris  bei  Hei.  IV  40 
p.  4  09,  40:  t6  |x£v  direipaTOv  ^^viadai  T?jv  dpyt^v  £pa>To;  eüoaifiON.  Vgl. 
p.  4  08,  35  ff.  —  Stets  röcht  sich  die  so  lange  zurückgedrängte  Empfindung 
durch  späten,  aber  desto  heftigeren  Ausbruch:  voudeTo6(xevo;  &'  'Kpo;  fidXXov 
r(£|[ci,  Eurip.  Sthenebocn,  fr.  668;  saepe  venit  magno  fcnore  tardus  Amor, 
Properl.  I  7,  36.  Vgl.  Tibull  I  8,  7.  8.  74  ff.,  Ovid,  her.  IV  49,  Dracon- 
tiüs,  Epithal.   (VI;  4  09.  4  0.     Chariton  II  4,  5. 


—     149    — 

Andre*);  durch  die  Augen  strömt  die  Liebe  in  das  Herz 2. 
Dieses  plölzliche  Aufflammen  der  entschiedensten  Leidenschaft 
ist  auch  bei  den  hellenistischen  Erotikern  geradezu  ein  Gesetz 
der  künstlerischen  Darstellung  3) ;  aber  wahrend  diese  in  alter- 
thümlich  sinnlicher  Anschaulichkeit  den  Eros  selbst  hinzumalen 
lieben,  wie  er,  von  seiner  Mutter  angeleitet,  durch  den  ver- 
hängnissvollen Pfeilschuss  diese  plötzliche  und  unabwendbare 
Leidenschaft  entzündet^) ,  begnügt  sich  der  Roman,  den  bereits 


1)  Xeo.    Epb.  I  3,  1  :    6pd>9tN  dXX-f^XouC)    >^al  dXtoxerat  ^As^eta   Otto   toO 
Aßpox^fxoi»,  tjTcäTai  hk  brzh  toO  'EpoiTo;  'Aßpoxöfjnr);,   %a\  ivstibpa  xe  ouvc/^ore- 

pov  T^  »^p"*)  **^  d7:a)»Xaf?jvai  rfj;  ^^eoi;  ^WXwv  o'ix  ihdsaxo,  xaTstyc  hi  aurov 
irfui[U\Oi  6  dc^;  xtX.  Heliodor  IV  5  p.  84,  6  ff. :  6pLoO  te  dXXi^Xou;  e({>p(uv 
«l  vioi  xal  'Jjpwv.  —  Trp&Tov  jxev  ^o^p  ölÄp^ov  xi  xal  iitTOY)fi.ivov  ^arrjoav  —  xai 
T06«  69t)a)vfi.O'j;  dttvcT«  ^tti  iroX^  xat'  dXXi^Xoav  iH)5avTt?,  &;7r6p  etirou  Tvwpt- 
Covtf«  ^  t^4vT6«  irp^TCpov,  Tai;  (jivV)|i.au  dvaircjiTrdCorrE; ,  eixa  ifi£i&(a9av 
ßpay6  Ti  xtX.  Achill.  Tat.  I  4,  4:  db;  5e  eiSov,  eud^c  dTKuXcuXstv  *  xoXXoc  Y^p 
^6Ttpov  TiTpc6a7t€i  ߣXou;  xtX.  Chariton  I  1,  6:  ix  T6^t);  ouv  icept  Twa  xa(ji- 
icfjN  öTtNooripaN  ouvavTwvrec  iccpilireoov  dXX-fjXoi;,  toO  ÄeoO  TToXiTeuoafji^vou  TQvSe 
Ti^jv  [ouvoJetav  (so  Cobet,  Mnemos.  VIII  850)],  iV   ixd[Tgpo;  tÜ)  Wpjtp  ö'fOiQ* 

Toy^oK  oOv  ird&o;   [ipooJTtx&v  dvriSoDxaN  dXXi^Xotc (so  liess  wohl  auch 

Kallimachus  den  Acontius  und  die  Cydippe  durch  besondere  Veranstaltung  des 
Eros  nach  Delos  zusammengeführt  werden:  s.  Schneider,  Callim.  II  p.  102). 

2)  Heliodor  III  8  p.  86,  88;  5id  täv  äcp^aXfjidiv  xd  Tzd^r^  rate  «l/u/ai; 
«l«ToSc6ovTai  xtX.  Ach.  Tat.  I  4,  4:  öcp&aX(ji6c  ^dp  65ö;  dpcutixtp  Tpaup-att 
(vgl.  bei  demselben:  I  9,  4  ff.,  II  18,  4  p.  67,  23.  V  13,  4.  Philostralus, 
Epist.  12,  Eustath.,  Hysm.  p.  185,  8.  187,  26  Herch.).  Man  hat  längst  be- 
merkt (z.  B.  Jacobs  ad  Ach.  Tat.  p.  445),  dass  der  erste  Ursprung  der- 
artiger Redeblumen  bei  Plato,  Phaedr.  251  B  zu  suchen  sei.  —  S.  auch 
Xen.  Ephes.  I  9,  7.  8.  Die  hellenistischen  Erotiker  scheinen  aber 
ähnliche  Schilderungen  von  der  Macht  der  Augen  geliebt  zu  haben:  vgl. 
Nonnus  V  587  f. :  xal  Ad  icairratvovTt  cpu-^;  e^irdp&CNov  tJßiQv  6cp0aXfi.6c  irpo- 
-xiXcu&o;  ifCvexo  Trop-Tii?  Ipd^rcuv  Flepaecpövr^c  dxipT^To;  (VII  279:  ^iXCqi  y*P 
Ipmc  ^^Xe  Oa6fi.aTt  ^eitoiv),  XV  289:  ^fi.[i.a  —  ö/enrjYiv  dpcdtcuv  (vjjl.  XLII  48. 
VII  20S).  Ovid,  her.  12,  36.  Meleager,  Anthol.  Pal.  XII  106.  Musäus 
74.  75.  Vgl.  die  von  Heinrich  zu  Mus.  p.  77  citirten  Sammlungen  älterer 
Gelehrten,  ferner  Dilthey,  Cyd.  p.  56;  auch  Valckenaer  zu  Eurip.  Hippolyt. 
525  p.  219  (ed.  Lips.  1823),  Boissonade  zu  Phitostr.  Heroic.  p.  640,  zu 
Nicet.   Eugen.  II  121  p.  99  f. 

3)  Vgl.  Dilthey,  Cyd.  p.  56.  —  Man  vgl.  auch,  was  Donatus  zu  Terent. 
Enn.  prol.  6  von  dem  Inhalt  der  Menandrischen  Komödie  Odafxa  erzählt; 
and  die  feine  Ausführung  bei  Philemon  fr.  ine.  XLIX  (p.  414  Mein.  ed.  maj.): 
ip6»ai  irdvTCC  Ttp&TON,  tW  I9a6fi.a9av,  fTrsiT  lice9s(6pY)oav,  etT*  el;  iXirioa  dvi- 
tctoov  *  o5tco  f  (vct    ir.  to6t(ov  Ipo;. 

4)  Solcl^e  anmuthig  ausgemalte  Scenen,  in  denen  Eros,  meist  von  seiner 


—     150     — 

vollständig  zum  allegorischen  Schatten  gewordenen  Gott  mehr 
im  Ilinlergnmde  zu  halten,  und  redet  nur  von  seinem  ehrgeizigen 
Sinne,  der  an  dem  schönen  Paare  ein  besondres  Beispiel  seiner 
Macht  darzustellen  wünscht,  und  darum  eine  so  plötzliche  und 
gewaltsame  Neigung  in  ihnen  erregt*). 

Dass  Jüngling  und  Jungfrau,  welche  schon  durch  ihre  blosse 
Erscheinung  eine  solche  magische  Wirkung  auszuüben  vermögen, 
von  Gestalt  und  Antlitz  ganz  ohne  Maassen  schön  sein  mtlssen, 
versteht  sich  von  selbst.  Diese  Schönheit  dem  Leser  vor  Augen  zu 
stellen,  sparen  die  erotischen  Erzähler  die  stärksten  Farben 
nicht.  Noch  haben  sie  künstlerischen  Sinn  genug,  um  nicht 
mit  dem  fruchtlosen  Versuch  einer  förmlichen  Beschreibung 
der  körperlichen  Erscheinung  in  das  Bereich  der  Malerei  hinein- 
zupfuschen :  solche  Versuche,  die  doch  nur  in  dem  gleichzeitigen 
harmonischen  Nebeneinander  aller  Theile  beruhende  Schönheit 
in  einer,  die  einzelnen  Stücke  und  Bestandtheile  für  sich  und 
nach  einander  betrachtenden  AufzUhlung  anschaulich  zu  machen^ 


Mutter  schmeichelnd  aufgefordert,  den  verderblichen  Bogenschuss  Ihut,  ge- 
hören zu  den  beliebtesten  Prachtstücken  der  hellenistischen  Erotik.  VoraD 
ging  viellcichl  Kallimachus  in  der  Cydippe  (s.  Aristaen.  I  10  Init.  Vgl. 
Dilthey,  Cyd.  p.  45);  vgl.  im  Uebrigen:  Apoltonius  Rhod.  III  114 — 166. 
275 — 287  (Jason  und  Medea :  vgl.  Dracontius,  Medea  49  fr.],  Ovid,  Metam. 
I  463  (T.  (Apoll  und  Daphne.  lieber  die  hier  geschilderten  goldenen  und 
bleiernen  Pfeile  des  Eros,  vgl.  J.  Grimm,  Kl.  Sehr.  2,  322),  V  S64— S84 
(Pluto),  Nonnus,  Dion.  Vü  110—135.  192—201  (Zeus  und  Semele),  XYI 
S— 11  (Bacchus  und  Semele),  XXXIII  64— 194  (Morrheus  und  Chalcomede), 
XLl  399— XLII  39  (Bacchus,  Poseidon,  Beroii),  XLVIII  471-78  (Bacchas 
und  Aura);  solche  Vorbilder  dann  nachahmend:  Achilles  Tatius  VIII  12, 
4 — 6  ^Rhodopis  und  Euthynicus),  auch  Apulejus,  Metam.  IV  30.  31  (Psyche). 
Vgl.  auch  Musäus  17  IT.  (dort  schiesst  Eros  beide  zugleich  mit  Einem 
Pfeile :  ebenso  Longus  17,  2) ;  Dracontius,  Hylas. 

1)  Xenoph.    Eph.    1  2:    {jLr|Vtet-6  'Epw;*    ^tXöveixo;    y*P   ^   ^*^€  *«^ 

v»n£pr,9dvoi;  dLTrapairrjToc dSorXloac  oüv  iauTov   xal  rdoav  hGsaitv*   ipe>- 

TixÄv  cpapfjtd'AojN  Ttcpi^aXofjicvo;  dorpaTeuoEv  if  'AflpoxofXT^v.  Heliodor  IV  1  : 
T1Q  oe  'jOTCpala  t^is  U'MotM  d^cuv  ^Xt^^ev,  6  oe  täv  vioov  dT:if|X(jiaC£v,  d-^w^io^sTW^ 
To;,  oifjiai,  xal  flpa^cjovro;  "Epooio;,  xal  hi  dÄXTfjxäiv  56o  to'jtcov  xal  |i4Svo»v 
oO;  ä^65aTo,  [xl^i^rov  aYcuvtuv  töv  toiov  aTro'ffjvai  ^iXove  ix7)oavTo^.  Cha- 
riten I  1 ,  4  :  cp  i  X  ö  V  e  i  X  0  ;  o  ioxh  6  "Epto;  xal  yaipei  tou  nopao^Soic  xatop- 
öc(»[i.aaiv.  Vorher:  6  o'  "Epeo;  Ce^To;  lotov  f^öÖ.Tjoe  oupLTrXiJai.  VI  4,  5  p.  112,  6: 
6  T.pco;,  ate  o^j  «piXöveixoc  Äeo;,  dlvTiTarr^ixeNOv  tocuv  xai  ßeßouXeupivov,  dbc 
fjpETo  xaXu)C,  Eic  TO'jvavTtov  T^jN  t£/v7)v  repiitpe^j/ev  o'jtijj  xtX.  Vgl.  LonguS 
II  27,  2:  irapdivov  (die  Chloö)  i^  rfi  "Eptu;  piOOov  roi^iaat  Wkei. 


—     151     - 

bezeichnen  erst  die  leblose  Manier  byzantinischer  Autoren*'. 
Dagegen  gefallen  sich  die  erotischen  Erzähler  in  den  kühnsten 
Hyperbeln,    in   welchen   sie   die   Wirkung    der   Schönheil   auf 


1)  Lessings  Beobachtungen  über  Homers  Enthaltsamkeit  in  der 
Schilderung  der  körperlichen  Erscheinung  seiner  Gestalten  sind  Niemanden 
unbekannt  (s.  vorzüglich  Laok.  §  XX).  Genau  dieselbe  Tugend  des  Homer 
hebt  übrigens  schon  Dio  Chrysost.  or.  XXI  p.  508.  509  R.  hervor.  Lessing 
stellt  der  homerischen  Weisheit  die  Manier  des  Constantin  Manasses,  auch 
de«  s.  g.  Dares  Phrygius  (c.  XH)  entgegen,  welche,  nach  Art  eines  Steck- 
briefes, ein  ganz  genaues  Inventar  der  einzelnen  Körpertheile  der  Helden 
ihrer  Erzöhlung  geben.  Ansätze  zu  einer  solchen  malerisch  sein  sollenden  Schil- 
derung der  äusseren  Gestalt  finden  sich  (von  scherzhaften  Personalbeschrei- 
bungen bei  Komikern  [Plaut,  merc.  639  u.  sonst]  abgesehen},  freilich  auch  bei 
viel  älteren  Autoren :  man  lese  z.  B.  Chaeremon  bei  Ath.  XIII  608  D,  auch 
in  dem  Heroicus  des  Philostratus  etwa  die  Schilderung  des  Achill  (p.  24  2 
Boiss.,  von  Lateinern  z.  B.  Petronius  p.  4  74,  4  ff.  Buech.  Aber  allerdings 
ist  von  da  aus  bis  zu  jenen,  nach  Art  physiognomonischer  Lehrbücher  die 
einzeihen  Bestandtheile  der  Schönheit  trocken  aufzählenden  Beschreibun- 
gen der  Byzantiner  noch  ein  weiter  Weg.  (Näher  steht  den  Byzantinern 
schon  Aristaenetus  14).  Bei  diesen  bildete  sich  zumal  für  die  Beschreibung 
der  Helden  des  trojanischen  Krieges  ein  fester ,  im  Wesentlichen  immer 
wiederholter  Typus  aus  (vgl.  die  Citate  bei  Meister  zu  Dares  p.  44.  4  5). 
Voran  steht  hier  Joan.  Malalas  (p.  403  ff.  ed.  Bonn.) ,  und  dieser  wendet 
dann  dieselbe  Manier  pedantischer  Registrirung  der  Körpertheile  bei  den 
einzelnen  römischen  Kaisern  an.  A.  v.  Gutschmid  (Grenzboten  4  863  ,  I 
p.  345)  will  in  dieser  Manier  einen  Anklang  an  die  gleichzeitigen  griechi- 
schen Romane  erkennen.  Aber  in  den  sophistischen  Romanen  wird  man 
auch  nur  annähernd  ähnliche  pedantische  Schönheitsregister  vergeblich 
suchen:  dergleichen  findet  man  erst  bei  Theodorus  Prodromus  (Rhod.  et 
Dos.  I  39  fr.)  und  Nicetas  Eugenianus  (I  423  ff,) ,  welche  aber  ihrerseits 
sich  wiederum  an  die  oben  genannte  Byzantiner,  und  keineswegs  an  ihre 
sonstigen  Vorbilder  in  der  Romandichtung  anlehnen.  Wann  und  woher 
solche  Auspinselung  der  dichterischen  Gestalten  ihren  ersten  Ursprung  ge- 
nommen haben,  wäre  wohl  nicht  uninteressant  zu  untersuchen.  Vielleicht 
darf  man  einerseits  an  den  Einfluss  physiognomischer  Lehrbücher,  ande- 
rerseits an  der  Einwirkung  orientalischer  Neigungen  denken.  Aus  mei- 
ner sehr  geringfügigen,  nur  ganz  gelegentlichen  flüchtigen  Benutzung  ein- 
zelner orientalischer  Geschichtswerke  erinnere  ich  mich ,  in  diesen  genaue 
Abschilderungen  von  Königen,  ganz  in  der  Art  des  Malalas,  vielfach  ange- 
troffen zu  haben:  z.  B.  bei  Hamza  Ispahani.  Auch  schon  in  altchristlichen 
Erzählungen  findet  man  ähnliche  Schilderungen:  z.  B.  in  den  Acta  Pauli 
et  Theclae  §  3  (Tischend.  Act.  Apost.  apocr.  p.  44):  elBov  Ik  töv  OaOXov 
Ip^^fjievov,  dtvSpa  ji-ixp^v  tiq  fAe^^^et,  ^IiXon  tIj  xctpaX^,  di-ptOXov  Tat;  xWjiJtat;, 
cOrKTtudv,  ouNO^puv,  fi.ixp(üc  ^Trlppivov,  yaptto;  irXi^pT),  oder  in  dem  Martyrium 
Bariholomaei   §  2  (p.  245  Tisch.).     Man   erkennt  hier  eine  ganz  besondere 


—     152    — 

Alle  die  ihr  nahe  kommen,  darstellen^).  Wo  sie  doch  einmal 
diejenigen  Merkmale  der  Schönheit,  in  welchen  vorztlglich  ihr 
bewegliches  Leben  und  der  Zauber  ihrer  augenblicklichen 
Wirkung  liegt,  anzudeuten  unternehmen,  da  bewegen  sie  sich 
in  den  Metaphern  einer  galanten  Kunstsprache,  welche  in  ihrem 
wesentlichen  Bestände  jedenfalls  von  den  Erotikem  der  helle- 
nistischen Zeit  ausgebildet  und  festgestellt  war.  Absonderlich 
lieben  sie  es,  von  dem  strahlenden  Blick  der  Augen,  ihrer 
zündenden  Gewalt  zu  reden '^j;  von  der  zarten  Farbe  der  Haut, 


Art  stilwidrigen  Stils,  bei  dessen  Ausbildung  nur  gewiss  keine,  selbst  spttt- 
classische  Einflüsse  mitgewirkt  haben. 

1)  Xenoph.  Ephes.  H,  3:  f^N  Se  trepioiro6&aoTo^  diraotv  ^EcpcotoUf  dXXdxalxoU 
Tf|N  oXXtjv  'AoCaN  olxoüot,  xai  {jKfdXac  ti^ov  dv  aux«}»  toc  iXic((a^  Sxt  tcoXItt}^  Iooito 
iiaf  £poiv.  Ilpoaci^ov  hi  d>c  i^e«j»T<^  (Mtpaxi(|>  *  xaX  elsiv  ffirr^  TtNC«  ot  xal  i:(>ooex6vT)8«v 
iMvT6c  xal  icpoocu^avTO  xrX.  H ,  6  :  6icou  'AßpoxiS^iiT^c  ö^dctt),  o&cs  ärfak\La  nakhm 
i^atvcTO  o5ts  elxfbv  (des  Eros)  iinQ^ciTO.  Vgl.  Meleager,  Anthol.  Pal.  XII  56.  57. 
Vgl.  femer  die  Schilderung  der  Bewunderung  der  Anthea  und  des  Habro- 
comas  in  Rhodus,  Xen.  I  IS,  4.  3,  in  Tyrus  II  i,  4.  — Heüodor  II  8t  p.  7t,  24: 
dbpatÖTTjTt  oA^ktzoi  o&r»  ^  Tot  xdc  iccbac  uTUpß^ßXr^xev  (Ghariclea),  wäre  tc&c 
i^aX(i.6;  'EXXt]vtx6c  tc  xal  it^oi  iv:^  aM^s  cpiprrat,  xal  6icou^  ^acvofiiw]  sonn 
^  ^^(jiov  ^  dfopftv,  xaddiccp  dlp^^icov  dfak[kOL  icäoav  {<)^iv  xal  ddvoiav  itf 
iauTf)N  iicioTpi^ct.  Weitläuftiger  wird  der  Eindruck,  den  die  Jünglings- 
schönheit des  Theagenes  bei  seiner  Ankunft  in  Delphi  macht,  geschildert, 

III  S  p.  80,  H  ff.  (p.  81,  5:  i^iicXT^rcc  fiev  hi^  xal  icdvxac  xd  &p<ib(ACva,  xal 
Ti^v  vixiQTi^ptov  dv^psCac  tt  xal  xdXXouc  ^<^s  t^  vco^l^  rdvTc;  dicIvcfAOv«  ffiii 
hk  8öai  &7)pk6^u  Yvvaixcc  xal  tö  xfj;  ^^ux*^»  irddoc  iptpaTcl^  xp'jTtreiv  dJivatot, 
fA-^Xotc  TC  xal  dvdcotN  IßoXXov,  eufiivctov  dn^  auroD  xtvd,  dk  i^öxouv,  i^pcXx^ 
(Asvai.  xpCoi;  f^p  aÜkt)  (Ua  icapd  icdotv  ixpaTUvcTo,  p,i^  dv  ^avTjvat  Ti  xox*  dv- 
^pc&ico'j;,  8  t6  Bcay^ouc  Oirep^XotTo  xd>vXo^}.  Vgl.  auch  X  9.  CharitoD  I 
1 ,  S :  Tjv  ^dp  TÖ  xdXXo«  (der  Kallirrho^)  oox  dv^pdiniNOv  dX>.dL  dciov  —  — . 
^if^AT)  hi  ToO  icapaSö^ou  ^edpiaTo;  icavTa^ou  oiiTps^e  xal  fivrjorfJpEc  xaxippcov 
fiU  2upaxo6aa;Y  Suvasrat  te  xal  icai&ec  lupdvvoiv,  oiix  Ix  SixcXlac  (aövov,  dXXd 
xal  üi  'ItaXCac  xal  'HTrelpou  xal  vi^snv  twv  Iv  *Hire(p<u.  Aehnlich,  dem  Xe- 
noplion  am  Nächsten  verwandt,  obwohl  in  noch  viel  stärkeren  Hyperbeln, 
Apulejus  im  Anfang  des  Märchens  von  Amor  und  Psyche,  IV  38.  39.  Alt 
Vorbild  konnten  aber  solche  Schilderungen  von  der  Wirkung  der  Schönheit 
dienen,  wie  sie  z.  B.  Call  im  ach  us  im  Einging  seiner  Erzählung  von 
Acontius  und  Cydippe  ausgeführt  hatte  (s.  Aristaenet.  epist.  I  40  init. 
Callim.  fr.  562.  535.  469.  148.  103):  vgl.  0.  Schneider,  Callim.  II  p.  403. 
p.  695,  und  namentlich  Dilthey,  Cyd.  38  ff. 

2)  Heliodor  lll  4  p.  83,  13  von  der  Chariklea:  rtkios  dnh  twn  d^p^oXfidv 
o^a«  t)  tobv  o(f5aiv  (die  sie  in  der  Hand  trögt)  dr7)67aCcv.    Aehnlich  [TibuU] 

IV  3,  5  f.  von  der  Sulpicia:  Ulius  ex  oculis,  cum  vult  exurere  divos,  ao- 
cendit  geminas  lampadas  acer  Amor.  —  Xenophon  Eph.  I  3,  6  p.  3t1,  4  s 


—     153    — 

die  wie  der  reine  Glanz  des  Mondenlichts  schimmert  *) ,  wie 
Milch  oder  Schnee,  aus  welchem  die  Rosen  der  Wangen  her- 
vorblühen 2).  Mit  Rosen,  Lilien,  Anemonen,  und  andern  Rlumen 
die  Farben  der  Schönheit  zu  vergleichen,  ist  ein  beliebtes  Spiel  3:. 


d^aXp,oi  fopfoi,  cpaiopoi  [kv*  ui;  %öpr^;,  cpoßepol  0£  (u;  acucppovo;  (abgeschrieben 
von  Aristaenetus  1  10  p.  140,  31  Hercher).  Ach.  Tat.  14,»:  ^pipia  ^op^ov 
i^  ^lo^i,  vgl.  Philoslr.  Imag.  I  i3  p.  327,  21  flf.  Kays.  —  Sehr  häufig 
reden  ältere  und  spätere  Erotiker  von  dem  wie  Blitze  leuchtenden  Glänze 
(dbrpdirretM,  xaTaoTpdirrstv)  der  Augen.  Stellen  aus  Dichtern  (vorzüglich  Non- 
Dus)  und  Romanschriftstellern  bei  Dilthey,  Cyd.  p.  87.  88.  Vgl.  noch  von 
den  öcp^oXfituv  ixXdp.d»et;  Hesiod  fr.  134  M. :  yaplTcov  dipcapO^fiat'  lyouoa. 
Asciepiades  anth.  Pal.  XII  161,  3:  7pLepoN  dlorpdliiTOuoa  xaT*  ^(Ap,aToc>  Rhianus 
ibid.  XII  98,  9:  toTon  o£Xa;  ^^Lpiaotv  at^ei  xoüpo;.  Musäus  56:  *Hp<u  [lap- 
pLapUT^v  ^aptevToc  dicaorpdEicrouoa  icpo9<{iitoo.  Quintus  Smyrn.  1  58  f.  von  der 
Peoihesilea:  i^i:  d^puoi  5'  IfAspöcvrec  ö^doXpiol  piippiatpov  dXlpuov  dlxtCvcootv. 
Nonnus  V  485  f.,  XVItl  854.  Heliodor  Vli  10  p.  191,  9;  X  9  p.  281,  49. 
Vgl.  Dorville  zu  Chariten  p.  362;  Stellen  aus  späteren  Prosaikern  auch  bei 
Creuzer  zu  Plotin.  jDe  pulcrit.  p.  234  f.  —  Ovid,  metam.  I  499:  videt 
igne  micantes  Sideribus  simiics  oculos  (der  Daphne) :  Nonnus  IV  185  f.: 
cl  icoTe  StveuesN  cppCNOtepTiia  xuxXov  6ir»irf)c  6^aXpM>uc  iXiXiH^,  2Xir)  siXa^tCs 
IcX'^vv}  9^XT^i  [jLappt.atpovTi.  Vgl.  XLl  254  f.,  X  491  f.;  Alciphron  fragm. 
S,  4  p.  79  Mein.,  Petron.  126  p.  474,  7  Bchl.;  auch  Pseudohippocrates 
epist.  45  p.  296,  35  Horcher:  SiiXapiicoN  3^  auTfjc  ot  xnv  6iL}idxon  x6xXoi 
«slapdv  Tt  9&;,  oTov  dsripinv  fiappiapu^d;  ooxictv. 

1][  Tibull  III  4,  29:  Candor  erat,  qualem  praefert  Latonia  Lona:  vgl. 
dazu  Broukhusius.  Homer,  b.  in  Ven.  89;  TheocritlI79;  Nonnus  X  4  85  ff. ; 
XVI  18;  XXXVIH  122  ff.;  Musäus  57. 

2)  Von  den  Wangen  der  Schönen  Propert.  H  3,  41  f.:  ut  Maeotica  nix 
minio  si  certet  Hibero,  utque  rosae  puro  tacte  natant  folia.  Vgl.  Dra- 
oont.  Hylas  66.  Zu  dem  zweiten  Bilde  des  Properz  vgl.  Nonnus  XI  877  f.: 
xat  hi{tai  el)^c  '^dXoLyixi  icavelxcXov ,  dpi'^l  oc  XeuYtp  dxpoopoNe;  röp^upc  ^ho\ 
&t&*j{AÖypo'i  TOjpoui.  Achilles  Tatius  V  18,  1  :  -^v  oe  T<j>  ^vti  xak-i],  xai  -(dXaxTi 
(Acv  av  eiTCCc  aOrf);  xö  icpösconov  «e^pioftat  (I),  ^^oov  oi  ipiicstpuTCuodai  xatc 
icopctaü,  vgl.  Himerius  or.  I  49  p.  862.  Nicolas  Eug.  I  147  f.  Vgl.  Ach. 
Tat  I  4,  8 :  Xeuxf|  Trapeioi,  t6  Xcuxon  i^  (lioov  icpoivloorro  xat  ipitpieiTO  icop- 
^pav,  o?av  cU  xöv  iXicpavTa  Auoia  ßairrei  ^dvi^  (dies  wohl  in  Erinnerung  an 
Uias  A  441  f.):  sehr  ähnlich  Ovid,  Amor.  II  5,  89.  40.  Metam.  IV  332; 
▼gl.  Lucian,  Imag.  8. 

3)  Achilles  Tatius  1  19,  1  :  t6  toO  0(&pusiTOC  xdXXoc  duTJ);  itpöc  xd  xoü 
Xsi|M»voc  iipi^  dtvOv)  *  vapxtooou  piev  xo  npöoiDicov  foxtXße  XP^'^i  ^6$ov  oe 
dvfoXXsv  ^x  x^^  TcapciöL;,  Tov  hk  ii  x&v  öcp&aXpi&v  ipLappiaipcv  au^Y),  al  &e 
x6(&at  ßoaxpu/o6pLevai  pLäXXov  elX(xxo>ixo  xtoooü  [vgl.  Callimach.  fr.  44,  wo- 
ran Hecker  sehr  passend  fr.  anon.  23  p.  709  Sehn,  unmittelbar  anschliesst] 
xotoüxo«  TjV  AeuxUiTT];  im  xwv  Trpoac&rnv  h  Xetpt«^  (vgl.  den  schon  von  Ja- 
cobs citirten  Boissonade  zu  Nicet.  Eugen.  IV  425  p.  208).     Nonnus  X489: 


—     154     — 

Auf  wenige  derartige  Züge  beschränkt  sich  in  der  Regel 
die  Schilderung  der  Schönheit:  und  wenn  nun  auch  die  Er- 
fahrung an  der  Liebespoesie  aller  Völker  lehrt,  dass  die  Unmöglich- 
keit einer  eigentlichen  Beschreibung  der  Schönheit  V'  überall, 
bei  einem  dennoch  unternommenen  Versuch  einer  solchen  Be- 
schreibung, zu  sehr  ähnlichen  Bildern  und  Vergleichungen 
geführt  hat,  so  muss  doch  eben  diese  Beschränkung,  gegenüber 
der  ausschweifenden  Ueppigkeit  und  pedantischen  Zierlichkeit 
der  Schönheitsmalerei  in  orientalischen  Liebesdichtungen,  und 
in  Gedichten  aus  den  galanten  Perioden  europäischer  Litteraturen, 
uns  als  ein  Merkmal  specifisch  griechischer  Art  gelten,  und  die 
Uebereinstimmung  der  spätem  Erotik  mit  den  Manieren  der 
hellenistischen  Erzählungsweise  uns  diese  als  jener  Vorbild  auch 
in  diesen  Schilderungen  erscheinen  lassen,  in  denen  ihr  jeden- 
falls andre  Gattungen  der  griechischen  Dichtung  keinerlei  Anleitung 
geben  konnten. — Der  scheinbaren  Anschaulichkeit  einer  genauen 


ir.  fjieX^oDV  h'  SXov  etap  ^cpaivero.  XV  SS5  f.:  di)c  xptvov,  d>(  dve(i.c6vy} 
yiONCorv  fi.eX£a>v  ^ooöet;  dvccpaCveTO  Xetfji(6v.  Rosen,  Anemonen,  Lilien,  Hya- 
cinthen:  XVI  76  ff.,  XXXIV  106— H 3.  VgL  auch  Musäus  38—60,  und 
dazu  Heinrich  p.  62  f.,  Tibull.  III  4,  SS  f.  —  Die  Jungfrau  wird  auch  seihst 
einer  Blume  oder  einem  zarten  Stamme  verglichen:  xadd::cp  ^pvo;  ti  tAv 
cudoXwv  Heliodor  II  33  p.  73,  124  von  der  Chariclea  (vgl.  llias  1  56  Odyss. 
C  162  f.:  darnach  Aristaenetus  11p.  183,  30  ff.  Heb.).  Nicaenetus  (bei 
Parthen.  XI  p.  15,  23  Hch.)  von  der  Byblis:  ^ahoK-^z  ^vaXtpiiov  dpxe^^tai; 
ähnlich  ist  wohl  Euphorien  fr.  Vill  zu  verstehen.  Vgl.  die  schönen  Verse 
des  Catull  61,  21  ff.,  193  ff.  und  namentlich  in  der  Erzählung  von  Ariadne 
64,  89  f.;  Theocrit  18,  29  f.  u.  s.  w.  Vgl.  Menander  n.  imhtix-z.  in  Spengels 
Rhet.  gr.  III  p.  404,  5  ff.,  Eustath.  Hysm.  p.  208,  1  ff.,  Theodor.  Prodr. 
amator.  II  209,  Nicet.  Eug.  I  142.  —  Natürlich  wird  in  dem  Inventar  das 
(von  Rechts  wegen  blonde,  bisweilen  auch  schwarze,  »der  Hyacinthe  gleiche« 
[s.  Bolwon.  ad  Aristaen.  p.  221  f.]}  Haar  nicht  vergessen  (vgl.  Jarabüch. 
Babylon,  fr.  8  Hercher  und  dazu  Hercher,  Erot.  I  p.  XXXIII  f.).  Beson- 
ders liebt  man  die  Schilderung  eines  weiblichen  Haarschmuckes,  welcher 
zur  Htflfte  geflochten  ist,  zur  Htflfte  frei  herabwallt.  So,  mit  auffallender 
Aehnlichkeit  des  Ausdruckes,  Xenophon  Eph.  I  2,  6;  Heliodor  III  4 
p.  82,  4  ff.  (ed.  Bekker),  Himerius  or.  I  §  4  p.  330  §  19  p.  360  Wernsd., 
Apulejus,  Metam.  V  22  p.  91,  16  ff.  ed.  Eyss.  —  Stets  ist  die  Gestali 
schlank  und  hoch :  denn  nach  griechischer  Auffassung  t6  xölXXoc  dv  {le^dEXa» 
9tii]Laxtj  ot  fxixpol  ^'  dloTcTot  %al  oufjipieTpot,  xaXol  6'  o5.  Aristoteles  eth.  Ni- 
com.  IV  7  p.   1128  b,  7. 

1)  Who  has  not  proved,  how  feebly  words  essay  To  fix  one  spark  of 
Beauty's  heavenly  ray?    Byron  (The  bride  of  Abydos). 


—     155     — 

Abschilderung  der  einzelnen  Bestandlheile  der  Schönheit  konnten 
aber  diese  Dichter  um  so  eher  entrathen,  weil  ihnen  ein  Mittel 
der  Veranschaulichung  zu  Gebole  sland,  welches  vor  allen  andern 
als  ein  ücht  griechisches  gelten  muss.  Die  wunderbare  Vollen- 
dung, mit  welcher  in  jahrhundertlanger  Uebung  die  bildende 
Kunst  der  Griechen  die  Gestalten  der  Götter  und  Heroen  zu 
festen  Typen  ausgebildet  hatte,  bot  der  Phantasie  für  jede 
charakteristische  Form  der  Schönheit  und  Tüchtigkeit  einen  sicher 
ausgeprägten  idealen  Vertreter  dar.  An  solche,  jedem  Leser  aus 
taglicher  Anschauung  unmittelbar  gegenwartige  Typen  brauchten 
daher  die  erotischen  Erzähler  nur  zu  erinnern,  wenn  sie  die 
Schönheit  und  besondre  Art  ihrer  Helden  mit  unvergleichlicher 
Deutlichkeit  hervortreten  lassen  wollten.  Von  diesem  Mittel 
machen  sie  denn  auch  den  reichlichsten  Gebrauch  ^j .  Häufig 
vergleichen  sie  die  vollkommene  Schönheit  mit  einem  Götter- 
bilder);  ihre  Jünglinge  vergleichen  sie  mit  Eros  3),  mit  Achill 
und     andern    jugendlichen    Heroen  ^) ,     Jungfrauen     mit    Arle- 


1)  Eine  treffende  Bemerkung  hierüber  bei  K.  Keil,  Spec.  onomatol. 
Gr.  p.  21.  Galant  Pseudodemosthenes  amator.  §  11:  Ttji  ^dp  eixdotU  xi; 
6vT)Tdi'rf  8  dödvaTov  toTc  looOoiv  dp^dCexai  ttöOon  ;  xtX. 

2)  Xenoph.  Eph.  I  1,  6  p.  330,  5.  Heliodor.  X  9  p.  881,  17  d^aXfiaxi 
^oü  TzXio^  ^  ÖNtjTig  -f^jsaitX  TTpooeixaCoptf^Tj.  II  88  p.  78 ,  28.  Vgl.  Pseudo- 
demosth.  amator.  §  16.  anthol.  Pal.  V  15,  5.  6.  Potron.  126  p.  174,  2  Beb.: 
mutier  omnibus  simulacris  emendatior.  Bekannt  ist,  'wie  Lucian  in  den 
eix6v€;  die  Schönheit  der  Panthea  durch  eine  Zusammensetzung  auserwahlt 
schöner  Theile  von  einzelnen  Statuen  und  Bildern  veranschaulicht. 

3)  Xenoph.  Eph.  11.  Vgl.  anthol.  Pal.  XII  66.  57.  75.  76.  77.  78. 
Ovid.  metam.  IV  320  ff.  Nonnus  X  199. 

4)  Mit  Achill  vergleicht  seinen  Tbeagenes  Heliodor  II  35;  vgl.  VII  10 
p.  191,  16  ff.  (Plato,  Conviv.  180  A  vom  Achill:  8;  r^s  xaXXlwv  oO  fi.4vov 
HaTpöxXou  dXXd  xai  twv  f,p(u(6v  dTTd^vroav,  xal  ^i  df^vEio;  xtX.  Hei.  meint 
übrigens  nicht  das  weichliche  Bild  des  Achill,  wie  es  z.  B.  Bion  XV  17  ff. 
schildert  [öbnlich  auch  Andre:  s.  Unger  Sinis  p.  206  f.];  eher  kommt  sei- 
ner Vorstellung  nahe  die  Beschreibung  des  Achill  bei  Philostratus  Heroic. 
XIX  5  p.  200  K.)  Melite  bei  Ach.  Tat.  VII  2,  3  zu  dem  als  Weib  verklei- 
deten Klitophon:  toioütov  'AyßXia  Tzoxt  ddeaodfxr^N  dv  Ypacp^.  Chariten  I 
8  beschreibt  seinen  Chaereas  als  ein  fxeipdxiov  eu{xopcpov,  oiov  'AyiXXia  xal 
Nip£a  xal  IttttöXutov  xal  'AXxißidSTjv  TrXdarai  xal  •^pa^tXi  oetxNuouat  (hierbei, 
wie  auch  bei  den  Vergleichungen  mit  Eros,  wird  man  eher  an  jene  weich- 
lichen Jünglingsgestalten  zu  denken  haben,  wie  sie,  in  üebereinstimmung 
mit  der  gleichzeitigen  Dichtung  [vgl.  namei^tlich  auch  Tibull.  III  4,  25  ff.], 
die  Kunst  der  hellenistischen  Epoche  darzustellen   liebt:   s.   Hetbig,  Garn- 


—     156     — 

mis  ^)  ,  aber  auch  mit  Aphrodite  2) ,  oder  mit  den  Chariten ') , 
auch  mit  sterblichen  Heldinnen  der  allen  Sagen*). 

Die  Wirkungen  der  Leidenschaft  werden  mit  ziemlicher 
Eintönigkeit  nach  jenen  Symptomen  einer  wirklichen  Seelen- 
krankheit geschildert,  wie  sie  sich  in  Wahrheit  an  den  leiden- 
schaftlichen und  phantasievollen  Menschen  griechischer  Nation 
häufig  darstellen  mochte. 

Die  Liebe,   in   unzähligen  Redewendungen   mit  dem  Feuer, 


paD.  Wandmalerei  p.  iS9.  Vgl.  den  merkwürdigen  Ausspruch  des  Tyran- 
nen Kritias  bei  Dio  Chrysost.  XXI  p.  501  R:  xdLXXtoxov  I^-t]  eiSo;  iv  xotc 
appeot  xh  O^Xy,  Is  V  au  täte  07jX6(aic  TOuvavrCov). 

1)  Xenophon  Eph.  13,7.  Heiiodor  12  p.  5,  SS.  Chariton  l  i  ,  I«. 
VI  4,  <.  Ovid,  Met.  1  695  ff.  Fast.  VI  441  ff.  Nonnus  XVI  425.  XLII  447  ff. 
Quintos  I  664.  Diese  VergletcbuDg  übrigens  schon  bei  Homer  (Odyss.  h 
4Sa.  C  102.  454.  p  86}  und  Hesiod  (Scut.  8.  Eoön,  fr.  447  M.)  Vgl.  Lu- 
cian:  pro  imag.  25.  —  Mit  der  Selene  vergleicht  seine  Leucippe  Achilles 
Tatius  I  4,  8:  vgl.  Nonnus  VII  240.  XVI  48. 

2}  Chariton  I  4  4,  4  ff.  11  3,  9.  111  2,  4  4  ff.  IV  7 ,  5  f.  Apuleius  met. 
IV  28  f.  CatuU  64,  46  ff.  vgl.  Plaut.  Rud.  424 :  pro  di  iromortales,  Veneris 
ecfigia  haec  quidemst.  Nonnus  UI  449.  VII  229.  XXXIII  469—474.  Musaeus 
88.  68.  Quintus  Smyrn.  XIV  47—62. 

3)  Nonnus  XIII  889  ff.  XXXIV  37  ff.  Musaeus  77.  Vgl.  Callimachus 
Epigr.  LH  Sehn,  (nachgeahmt  nicht  nur  von  Krinagoras  anth.  Pal.  IX  845, 
sondern  auch  von  Nonnus  42,  466;.  Menophilus  bei  Stobttus  flor.  LXV  7 
V.  44  iei&o(Aiv7]v  XotplrcootN.  Aristaenetus  1  4  p.  483,  86  Horcher.  Von  den 
um  das  AnUitz  der  Schönen  tanzenden  Chariten  reden  ültere  und  jüngere 
Erotiker:  vgl.  ausser  den  von  Diltbey  Cyd.  p.  8f  f.  aufgezählten  Beispie- 
len, Nonnus  XI  878  f.,  Meineke  zu  Alciphron  III  65  p.  459,  Boissonade 
zu  Nicet.  Eug.  111  24  7  p.  4  56  f.  (Alciphr.  III  4  :  tö  ^e  SXov  Ttp^swirov  o6~ 
Tal;  ivop/eio^at  Tat;  icapctaic  etirou  av  xd;  XdEptta«  tön  'OpyofACvöv  dTioXtirouaac 
xal  Tf)c  'ApTa^iac  xpif]vT];  d7:ovt4^(ii£va«.  Die  letzten  Worte  sind  dem  Verse 
eines  unbekannten  Dichters  beim  Etym.  M.  s.  'Apfacpdqc  *  vt^pieNat  xpf^vijc 
l^apiov  *Ap7a^(7];  [s  Callim.  fr.  anon.  76  p.  749  Sehn.  Vgl.  auch  Hiller 
Eratosth.  carm.  rel.  p.  80  f.]  nachgeahmt:  s.  Meineke  Anal.  Alex.  p.  282  f.: 
ob  auch  der  ganze  Satz?)  Ungeschickte  Nachbildung  solcher  Phrasen:  Eu«- 
stath.  Hysm.  p.  242,  4  Hcrch. 

4)  Z.  B.  mit  Atalante,  Arladne,  Cassandra:  (hid,  Amor.  I  7,  4  8  ff., 
vgl.  ibid.  I  40,  4  ff.,  Properz.  I  8,  4  ff.,  I  4,  &  ff.  u.  s.  w.  —  Erwiihot 
sei  noch  die  Vergleichung  mit  Thetis:  Chariton  VI  3,  4  p.  440,  40:  vgl. 
Nonnus  XU  235.  XLVU  285.     Tibull.  1  5,  45. 

Gebikufte  Vergleich ungeu  mit  Here,  den  Chariten,  Artemis,  Athene  (vgl. 
Deidamia  bei  Statins,  Ach.  I  299  f.,  Chariton  p.  64,  4),  Aphrodite,  Selene, 
Hebe:  Nonnus  XLII  224   ff.,  XLVH  275—294. 


—     157     — 

oft  auch  mit  dem  unruhigen  Fluthen  des  Meeres  ^)  verglichen, 
nimmt  die  Seele  der  Liebenden  völlig  ein :  sie  haben  ftlr  Alles 
andre  keine  Aufmerksamkeit,  vernachUissigen  die  Pflege  des 
Körpers;  an  der,  oft  plötzlich  in  glühendes  Roth  umschlagenden 
Blässe  ihres  Antlitzes,  an  der  unstet  wechselnden  Stimmung 
bemerkt  man  die  tiefe  Erregung  ihres  Innern^].  Diese  lässt  sie 
selbst  Nachts  nicht  ruhen;  im  Dunkel  und  in  der  Stille  der 
Aussenwelt  reden  die  jGedanken  ihres  Innern  um  so  lauter  ^j, 
und  verfolgen   sie  bis   in   ihre  unruhigen  Träume*).     Die  über- 


1)  Tz6^vi  xu;xatvca9at,  xOp-a  K6:rp(^o;  u.  a.    Vgl.  Dissen  zu  Pindar  p.  6A8 
(I.  Ausg.).  Dilthey,  De'Call.  Cyd.  p.  70. 

2)  Longus  I  18,  6  aot]  ai-n^;  eiye  t?)v  ^jyi^v  —  Tpotp-fj«  i\iWkti,  v6xTa>p 
"fjYp^rvei,  Tfj?  di^^Xt);  xaT€«pp6vci  *  «wöv  i-^Osif  vöv  IxXarv  *  ctxa  ixdOcuirv  [?viell. 
ixdbi^i  eine  nicht  seltene  Verwechslang:  so  ist  z.  B.  Pseudocallisth.  II 
SS  p.  86b,  47.  24  ed.  C.  Müller  statt  des  überlieferten  ixddcuSov  wahr- 
scheinlich exad^aOrjoav  (vgl.  p.  88b,  S)  zu  schreiben],  clta  dlveirf)5a'  (1>XP^^ 
t6  rp^ooirov,  ^pudY];xaTt  auOtc  ^cpX^YETo.  Dieselben  Symptome  werden  oft 
erwähnt:  Appetitlosigkeit  (Longus  I  47,  4  p.  352,  8.  p.  266,  8.  267,  6. 
Ach.  Tat.  I  5,  3.  Ovid  her.  XI  28);  Gleichgültigkeit  gegen  die  gewohnten 
Geschäfte  (Longus  p.  252,  7.  8.  Vgl.  Sappho  fr.  90) ;  Blässe  des  Antlitzes 
(Catoll.  LXIV  4  00:  quanto  saepe  magis  fulvore  expalluit  auri.  Propert.  I  5, 
24.  9,  47.  43,  7  u  s.  w.  Ovid.  art.  am.  I  129  ff.:  palleat  omnis  amans, 
hie  est  color  aptus  amanti  etc.  Theocrit  2,  88.  Xenoph.  Ephes.  I  5,  2. 
HeUodor  III  49  p.  96,  5.  IV  7  p.  404,  22.),  die  oft  mit  plötzlicher  Gluth 
wechselt  (Heliodor  III  5  p.  84,  47:  irupp(aoav,  xal  ai^Oic,  toD  irddou;,  olpiai, 
xai  Tf|V  xapolav  inßpafiövxo;,  «byplaaav.  Achill.  Tat.  II  6,  4.  Apoll.  Rhod. 
111  297  f.),  unsteter  Wechsel  der  Laune  und  Stimmung  (s.  namentlich  He- 
liodor III  40  p.  88,  43—25.  III  5  p.  84,  48  ff.).  —  Vgl.  noch  Apuleius  me- 
tarn.  V  25  p.  93,  45  ff.  (ed.  Eyssenh.)  X  2  p.  482,  30  ff.  Lucian  de  dea 
Syr.  4  7  IpwToc  5e  dcpavio;  iroXXd  atjjjiifj'ta  xtX. 

3]  Properz  IV  4  7,  4  4  semper  enim  vacuos  nox  sobria  torquet  aroantes, 
spesque  timorque  animum  versat  utroque  modo.  Stellen  aus  erotischen 
Dichtern  und  Romanschriftstellern  bei  Diltbey  Cyd.  70.  Vgl.  noch  Nicet. 
Eug.  II  45.  Ovid  her.  XllI  404  ff.  Theocrit.  II  88  ff.:  •fjviSc  0171g  [ih 
:to*rroc,  aiY&vTt  0'  d-^xai '  d  0'  £pid  oO  oi^ig  ax^pvcüv  CvtooÖev  dv(a,  dXX  iizX  t#)v(|) 
-fisa  xaTaiOopiai  (vgl.  Apoll.  Rh.  III  743  ff.  Varro  Atacinus  bei  Seneca  rhe- 
tor  contr.  VII  4,  27  p.  34  2  f.  Kiessl.  Terent.  Eun.  249  ff.  Seneca  episl. 
56,  5,  Virgil  Aen.  IV  522—532.  Statins  Silv.  V  4,  8  ff.). 

4)  Achill.  Tat.  1  6,  5.  Theodor.  Prodr.  Rhod.  et  Dos.  II  829  ff.  Nie. 
Eug.  I  350.  Nonnus  XLII  324  ff.  (dvxlTUTrov  ^dp  Ip^ov,  ^rcp  xt\Ui  Ti;  is 
f^IxoTi,  vuxTt  $oxe6et  325  f.  Beliebter  locus  für  rhetorische  Ausführung:  vgl. 
Lucrez  IV  959.  Petron.  CXXX  p.  24  8.  Fronto  de  fer.  Als.  III  35  p.  443 
Nieb.).  XLVII  345  ff.  vgl.  XXXIV  96  f.  Ovid  met.  IX  469.  [Ovid]  ep.  Sap- 
pbus 438  ff.     Vgl.  Tibull  III  4,  55  f.  anthol.  Pal.  XII  425.  —  Properz  V  4, 


—     158     — 

mächtigen  Gedanken^  welche  sie  nun  ganz  gefesselt  halten, 
trennen  sie  von  den  geschäftigen  Menschen;  am  Liebsten  fluchten 
sie  in  die  Einsamkeit^) ,  Bäumen  und  Felsen  ihr  Leid  zu  klagen, 
und  den  Griechen  dieser  Zeit,  in  denen,  bei  alimählicher  Auflösung 
der  alten,  menschlich  individuellen  Gestaltung  der  Naturgewalten, 
bereits  ein  schwärmerisches  Gefühl  fUr  das,  nur  in  unbestimmter 
Ahnung  und  Mitempfindung  aufzufassende  allgemeine  Leben  der 
Natur  sich  zu  regen  begann,  schien  die  stumme  Natur,  die 
rauschenden  Bäume,  denen  [alte  Sagen  selbst  halbmenschliche 
Liebesempßndungen  zuschrieben  ^) ,  mit  der  gequälten  Menschen- 


65  ff.  (V.  74.    72  sind  vielleicht  als  abgerissene  Uebenreste  des  unruhigen 
Traumes  der  Tarpeja  zu  betrachten)  Apoll.  Rhod.  III  646  ff. 

1)  Callimacbus  in  der  Cydippe:  s.  Schneider  Callim.  II  p.  4  08.  Phano- 
cies  vom  Orpheus  (fr.  4,8):  iroXXdxi  (e  oxtcpoTotv  is  ä>.aeotv  iCet  dcl^cnv  fiv 
t:6%os.  S.  namentlich  Properz  I  48.  Vgl.  auch  die  PseudovirgiJische  Lydia 
(Dir.  4  04  ff.),  im  Eingang.  Epist.  Sapphus  4  87  ff.  (vgl.  auch  Ter.  Eun. 
246  ff.,  Plaut.  Merc.  656  f.). 

2)  Liebe   der   Palmen    zu    einander:    Achill.   Tat.  I  47,    8—5  (S.  dazu 
Jacobs  p.  479  ff.,  und  vgl.  Dilihey  Cyd.  78),  des  xp6xo;  zur  \i(kaz  (Nonnus 
XXXII  86  ff.  und  sonst:  s.  Haupt  Hermes  VII   476  ff.),    des  vdpxioooc  zu, 
istiuhmi  (Nonnus  XLII  802.  XXXLI  92.    Ueber  die  Sage  von  der  Anemone 
vgl.  Naeke  Valcr.  CaL  p.  50.  p.  480.)  u.  s.  w.     Dahin   gehört  auch,    was 
die  Alten  von  der  Liebe  der  Weinrebe  zur  Ulme  erzählen  (vgl.,  ausser  den 
von  J.  Grimm  kl.  Sehr.  H  878  citirten  Stellen,  Catull.   LXI   4  02  ff.     Ovid. 
amor.  11  48,  44.  her.  V  47  f.      Martial.  IV  48,  5.  Horat.  c.  I  86,  20.  epod. 
45,  5.     Merkwürdig  Commodianus  I  30,  4  6  p.  4  54  Oehl.  sicut  ulmus  amat 
vitem,  sie  [amate]  ipsi    [divites]    pusillos    [»    pauperes].     Grimm   verroisst 
Spuren  dieser  Auffassung  bei  den  Griechen,   nicht  ganz  mit  Grund.     Von 
einer  Verwandtschaft  der  Rebe  mit  allerlei   Bäumen  erzählten  manche 
griechische  Dichter;  so  nannte  Hipponax  die  schwarze   Feige  cüfATiOvOu  xa- 
otYvf]T7)v:  s.  Athen.  III   4  8  B.   C.     Vermuthlich   rechtfertigt  sich  solch  eine 
Bezeichnung  durch  eine  besondre  Sage.     So  war  es  wenigstens  in  einem 
ähnlichen   Falle.    Quintus  Smyrn.    XIV  4  75   vergleicht  die  Umarmung  des 
Menelaus  und  der  Helena  mit  der  Verschlingung  des  xiosöc  und  der  if^fieptc* 
Dieser  Vergleich  soll  ganz  offenbar  an  die  Sage  vom   verwandelten  Kissos, 
der  nun  irept^yet  rf^v  ÄjjLrcXov,  erinnern :    s.   Nicolaus  'Prog>mn.  tt  5  (Walz 
Rhet.  I  270).  —  Geopon.  XI  29.     In  einer  viel  öltercn  Ueherlieferung  wird 
auf  eine  etwas  anders  gewendete  Sage  hingedeutet:  Eubulus  com.  bei  Athen. 
XV  679  B:  cb  jj-axotp  f^Ti;...    ouvlXXetai  tjOUTarov  repl  vjfjL'flov  euTpiya,  xtoo&c 
{»TCO);  xaXapLtp  TreptcpucTai.     Meineke  Com.  III  p.  252   schliesst  aus  den 
folgenden,  ganz  corrupteu  Worten,  dass  der  Komiker  auf  eine   uns  unbe- 
kannte Sage  von  der  Liebe  des  Kissos  (der  in    Acharnae   in   Attika  als  ein 
dionysischer  Dömon  verehrt  wurde:  Pausan.  I  34,  6.)  zu  einer  (rein  fingir- 
ien)   Nymphe  Ololygon  anspielen   wollte.      Er  will   vielmehr  auf  die  Sage 


—     159     — 
seele   zu  klagen  ^; .     Aber  dieser  Schmerz  lassl  nicht  nach ;    für 


von  der  Verwandlung  des  Kissos  und    Kala  mos  und   der  Freundschaft  der 
von  ihnen  benannten  Pflanzen  anspielen:  Meineke  ven\'eist  selbst  auf  Nonnus 
Dien.  XII  97  IT.:  dort  wird  eben  diese  Sage   von    Kissos   und   Kaiamos  er- 
zählt (vgl.  XII  188  ff.).    —    Myrte    und  Oelbaum    sind  einander    TiposcpiA-^ : 
Androtio  bei  Theophrast   de  caus.  plant.  III,    4  0,   4.     —    Die  Schilderung 
solcher  Liebesbündnisse  der  Pflanzen  gehörte  zu   den   Künsten   der  sophi- 
stischen Prunkredner:    für  Hochzeitsredner  empfiehlt  Menander  de  encom. 
(Spengel   Rhet.   III)    p.   402,  6:  ntfi  hk  o^vopcuv  ipetc  Sti  xdlTietva  oux  (ffiotpa 
^apimv  •  ol   ^dp   im  Tat;  xöp.au     auv66op.oi   ^piXoTe^vVjfjiaTa  fo-ixodsTia**  Sivopov 
eIs(,  •mX  toü  ^eoD  (des  Eros)  TocuTd  ioriv  cupV]p.aTa.  Aehnlich  ebendas.  p.  408, 
16.    8S,   und    nach    solcher  Anleitung    dann   Himerius    im   l7rtda>vdpLio(   ei; 
2eßf)pov   (or.  I)  §  8  p.  886  Wernsd.  —     Dergleichen  Vorstellungen,  welche 
den  Bäumen  und  Blumen  menschliche  Empfindungen  zuschreiben,  sind  darum 
besonders  merkwürdig,   weil   ihnen  vermuthlich  die  Vorstellung  von  dem 
Uebergange   menschlicher  Seelen    in  Pflanzen   zu  Grunde   liegt,   welche  in 
den,  zur  Erklärung  eben  jener  Liebesneigungen  einzelner  Pflanzen   erzähl- 
ten   Sagen,    sowie    in    zahlreichen    andern   griechischen     Pflanzenverwand- 
lungssagen sich  ja  geradezu    ausspricht,    und    ihr   hohes   Alter    durch    die 
weite  Verbreitung  ähnlicher  Sagen  (von  Liebe  der  Pflanzen  unter  einander, 
von  Pflanzen,  die  auf  den  Gräbern  Liebender  entsprossen,  sich  eng,  in  fort- 
lebender Neigung,  um  einander  schlingen  u.  dgl.)   bei  sehr  vielen  Völkern 
bewährt:  wofür  mancherlei  Beispiele  gesammelt  sind  bei   Jac.   Grimm, 
KI.  Sehr.  II  374 — 384  und   in   einem,   eben   diese  alte   Vorstellung  behan- 
delnden   Aufsatz    von    Koberstein,     Weimar.    Jahrbuch    I    73 — 400.      Vgl. 
R.  Köhler  ebend.  p.  479  CT.,  A.  Kuhn,  Die  Herabkunft  des  Feuers  p.  403, 
(Koberstein  p.  94  zieht  auch  ein  walachisches  Märchen  an  [Schott  N.  8],  in 
welchem  die  Seelen  der  von  der  Stiefmutter  getödteten  Kinder  in  2  Apfel- 
bäumen, dann  in  2  Lämmern,   endlich   wieder  in  2  goldenen  Knaben  ver- 
körpert werden.     Dieses  Märchen  gewinnt  dadurch  eine  ganz  ungewöhn- 
liche Bedeutung,  weil  ihm  ein,   im  43ten  Jahrhundert  vor  Chr.  aufgezeich- 
netes ägyptisches  Märchen  entspricht,  welches  aus  einem  Papyrus  £.  de 
Rougö  Revue  arch^ol.  IX  4  852  p.  385  ff.  und   darnach   Mannhardt,    Ztschr. 
f.  d.  Mythol.   u.  Sittenk.  IV  p.  232  ff,  mitgetheilt  hat.     Dort  wird  das  Herz 
des  Satu  zuerst  in  eine  Akazienblüthe  verborgen :   als  der  Baum ,  auf  Ge- 
beiss  seiner  treulosen  Frau,  umgehauen  wird,  stirbt  Satu,   lebt  aber  wie- 
der auf,  wird  zum  Apis;  als  die  Frau  auch  den  tödten  lässt,  wird  er  zu  2 
Perseabäumen ;  die  Frau  lässt  sie  umhauen,  da  springt  ihr  ein  Span  in  den 
Mund,  sie  gebiert  einen  Knaben,  der  wieder  kein  Anderer  als  Satu  ist  und 
später   König   wird.     V^l.    dazu    noch    ein    siebenbürgisches    Märchen    be 
Mannhardt  p.  264   f.,  den  Schluss  des  kleinasiatisch-  griechischen   Märchens 
»die  Cedercitrone (*    Hahn,    Griech.    Mch.  N.    49  I  p.  272.     Hierher    gehört 
auch  der,    in   vielen   Märchen    vorkommende   Versteck    der  Seele    irgend 
eines  Unholds  in  dem   innersten    vieler,   in  einander  geschachtelter  Dinge: 
s.  Köhler  Or.    und   Occid.    II   4  04.    4  02,  zu  dessen  Beispielsammlung  man 


—     160     — 

ihn    allein    giebt    es    kein   Heilmittel  2) ;    selbst    im   Wein,    dem 
Sorgenbrecher,    findet   er   nur  neue  Nahrung^!.     Endlich  bricht 


noch  ein  serbisches  Märchen,  Wuk  N.  8  p.  68,  ein  slowakisches  bei  Wen- 
zig  Westslav.  MUrchenscbalz  p.  490,  ein  russisches  bei  Vogl,  die  ältesten 
Volksmärchen  der  Russen  (Wien  4841)  p.  45 — 47  und  vor  Allem  die  orien- 
talische Version  in  Lanc's  4004   uights  111  p.  344  hinzufügen  mag). 

1)  So  in  der  Cydippe  des  Kallimachus:  s.  Dilthey  p.  78  ff.  Mitempfin- 
dung der  Natur,  der  Flüsse,  Bäume,  Felsen,  der  sprachlosen  Thiere  schil- 
dern namentlich  die  bukolischen  Dichter  gerne :  s.  einige  Beispiele  bei  Hei- 
big Campan.  Wandmalerei  p.  S84  f.     So  beweinen  den  todten  Daphnis  der 
Berg  und  die  Eichen  am  Ufer  des  Flusses:   Theocrit.  VII  74  f.,   die  Wald- 
thiere  und  seine  Heerde:  I  74  ff.     Besonders  liebt  Nonnus  solche  Schilde- 
rungen:  vgl.  Dion    111   68  ff..  V.  854  ff.    XU    423  ff.    XV   297  ff.  869-~890. 
895  ff.   404  ff.,  XLVI  865  ff.     Musäus  26  f.:  hil^to  o    ap/ait);  dXiT)y£a  Ttöpt- 
[kos  !Aß6<^ou  el9^t  iro'j  xXatovTa   fi^pov  xal   Ipwt«  Aedtv^pou  (dazu  Heinrich 
p.  48}.     [Ovid]  ep.  Sapphus  4  54  f.:  Quin  etiam  rami  positis  lugere  videntur 
Frondibus,  et  nullae  dulce  quenintur  aves.  (amor.  III  4,  4.   Ganz  ähnlich  JD 
deutschen  Liedern :  auch  hoeret  auf  die  nachtigal  zu  singen  in  dem  gruenen 
thal  u.  s.  w.     Mehr  dergl.   bei   Uhland,   Sehr.  III  445.    543  f.).     Sehr  an- 
muthig  [Virgil]  Lydia  4  6  ff.  (von  modernen  Nachbildungen  vgl.  namentlich 
die   schöne   Elcgia    X   des  Äriosto   UO  lieta    piaggia,   o  solitaria    valle«]). 
Plautus,    Mercat.    42   ff. :    non   6go   item   facio  ut  alios    in    comoediis  vidi 
amatores   facere  qui  aut  Nocti   [vgl.  anthol.  Pal.   V   4  64    ff.]  aut    Die,   aut 
Soli  aut  Lunae  [vgl.  die  Klage  des  Mädchens  bei  Theocrit  2,  65  ff.     Aehn- 
lich   schon  Euripides   im  'Irr^iXuTo;    x«X'j7rr6fjL€No; :    Schol.    Theoer.    2,    40] 
miserias  narrant  suas.  —  Eine  solche  Klage  bei  Longus  1  4  8,  2:  oTov  ^dou- 
aiv  al  (itj5(5ve;,  •?)  hi  Ifif^  oupi^;  owui:^  [Pervigil.  Veneris  fin. :  illa  cantat,  nos 
tacemus;  quando  ver  venit  meum?  quando  fiam  uti  chelidon  et  lacere  de- 
sinam?]*  olov  oxtpröoiv  ol  Ipt^oi,  xa^oi  xdÄT'jxai  *  olov  dx^dl^ti  Td  df^fttj,  xdbfcb 
OTC^dvou;  ou  T:\ixm,  dXXd  td  p.ev  Xol  xal  6  udxivdo;  dv&El,  Adcpvt;  ht  fiapaCvc- 
tai.  —  (Vertrauter  ist  uns  ein  solches  Mitlebcn  und  Mitleiden  der  stummen 
Natur  in   nordischer  volksthümlichcr  Dichtung.     Als  Baidur,   der  gute,  ge- 
storben ist,  klagen,  um  ihn  aus  Hels  Gewalt  zu  weinen,  um  ihn  »Menschen 
und  Thiere,  Erde,    Steine,   Bäume   und  alle  Erze«,  wie  es  in  Gylfaginoing 
der  jüngeren  Edda  heisst:  Simrocks  Uebcrs    p.  282.     Wer  kennt  nicht  die 
wunderbaren   Verse  des  Volksliedes:  »Als  Christ  der  Herr  in  Garten  ging«: 
»Nun  bieg  dich  Baum,  nun  beug  dich  Ast,    Mein  Kind  hat  weder  Roh  noch 
Rast;    nun   bieg  dich   Laub   und  grünes  Gras,  lasst  euch  zu  Herzen  gehen 
das«.     »Die  hohen  Bäum*  die  bogen  sich,  die  harten  Stein'  zerkloben  sich« 
u .  s .    "  .  1 . 

2;  Theocrit  44,  52:  y&Ti  t6  tpdpjj.ax'S'v  ^axiv  dfxr^yavdovro;  fporro;  oÄx  oÄ«. 
Propert.  II  4,  7  ff.,  Longus  II  7,  7 :  'Epw-o;  ouSev  cpdpaaxov,  o'j  Trtvöfuvov, 
oOx  ladiöpirvov,  oux  is  (poal;  XaXoujxEvov.    Hcliod.p.   4  04,  6.    Chariten  VI  8,  7. 

3)  Achill.  Tat.  II  3,  3 :  T.p»;  xal  Ai(ivuao;,  Euo  ß(aioi  deoC  [Propert.  I 
3,  48:  Amor  und  Liber  «dorus  uterque  deus«],   vgl.  Callimachus  epigr.  41 


—     161     — 

auch  wohl  die  erschöpfte ,  durch  die  schweigend  erduldete 
Qual  doppelt  gequälte^)  Natur  in  einer  wirklichen  Krankheit 
zusammen  ^j . 

In  der  weitem  Entwicklung  des  LiebesbUndnisses  werden 
die  Berührungen  der  Romanschreiber  mit  den  hellenistischen 
Erzählern  geringer  und  lockrer.  Der  Grund  liegt  nahe.  Jene 
hielten  sich  im  Allgemeinen  näher  an  die  wirklichen  Verhältnisse 
der  griechischen  bürgerlichen  Welt,  welche  eine  häufigere  und 
freiere  Annäherung  der  beiden  Geschlechter  kaum  verslattelen, 
und  daher  der  Werbung  und  ihrer  |K)etischen  Mannichfaltigkeit 
nur  spärlichen  Raum  liessen.  Die  Erzählungen  der  hellenistischen 
Erotiker  dagegen  bewegten  sich  zumeist  in  einer  fernen  Vor- 
zeit, in  welcher  sie  theils  die  freiere  Sitte  des  Heroenalters, 
theils     eine    rein     phantastische    Ungebundenheit    voraussetzen 


Sehn.)  ^j'UX'^v  xataa^^övre;,  dxfi.atvouoiv  eU  dvaio^uvtlav,  6  jjlev  %a(uv  aur^v  t(jj 
ouvf)det  'tZMpi,  6  5e  tov  oivov  U7rex7iaup.a  cpepoav  '  oivo?  ^ap  Ipraxo;  tpocp*/).  Al- 
ciphron  epist.  1  35,  2.  Tibull.  I  5,  37 :  saepe  ego  temptavi  curas  depellere 
vino:  at  dolor  in  lacrimas  verterat  omne  merum.  —  Venus  in  vinis  \si 
»ignis  in  igne«  irup  irX  irup  [vgl.  Bergk,  Comm.  de  rel.  com.  att.  34]: 
s.  Heinsios  zu  Ovid.  Art.  am.  I  %kk. 

1)  Heliodor  IV  5  extr.  TpocpVj  vöoojv  yj  auoTr/j,  xi  oe  ixXaXo^jjLevov  etJTrapa- 
fA687]Tov.  Aehnlich  Achill.  Tat.  11  29,  k.  5.  (Dicere  quo  pereas,  saepe  in 
amore  leval  Propert.  1  9,  84).  Vgl.  Nicet.  Eug.  I  269.  11  U5.  VI  348  mit 
Boissonades  Anmerkungen. 

2)  So  föllt  bei  Heliodor  IV  7  Chariklea  in  eine  förmliche  Krankheit; 
ebenso  Anthea  und  Habrokomas  bei  Xen.  Eph.  1  5,  Chaereas  bei  Cbarilon 
I  4,  9.  4  0.  Vgl.  Apoll.  Tyr.  48.  So  Phaedra  bei  Euripides  (Hippol.  429  fT.); 
auch  die  liebende  Simaetha  bei  Theokrit  II  85.  86.  Vgl.  Ovid,  Her.  XI  27  ff. 
—  Oben  ist  die  Erzählung  von  Antiochus  und  Stratonice  ausführlicher  be- 
handelt worden.  —  Chariton  hat  eine  eigenthümliche  Vorliebe  für  einen 
anderen  Ausbruch  übermächtiger  Empfindung :  bei  jeder  passenden  und  un- 
passenden Gelegenheit  lässt  er  seine  Helden  in  Ohnmacht  sinken:  so 
p.  38,  28.  46,  4.  66,  20.  80,  4  4.  4  37,  34.  Dergleichen  wird  bei  anderen 
griechischen  Erotikern  selten  vorkommen  (vgl.  indessen  Ovid,  her.  Xlll  23  f., 
met.  IX  584  ff.);  vielmehr  zeigt  sich  hier  eine  gewisse  orientalische 
Weichlichkeit :  in  orientalischen  Erzählungen  gehört  es  durchaus  zum  guten 
Ton,  dass  an  dei*  richtigen  Stelle  das  liebende  Paar  in  Ohnmacht  falle  vor 
grosser  Freude  oder  Schmerz  oder  anderen  Erregungen  des  Gemüthes 
(z.  B. :  4004  Nacht  [Breslauer  Uebers.]  XI  400.  403.  XII  449.  423.  436.  442. 
XIV  275.  XV  89.  4  26;  Nisämi's  Leila  und  Medscbnun,  Hammer,  Schöne 
Redek.  Persiens  p.  413;  Baital  Pachisi  N.  44  p.  408  Oest.;  indisch:  Kä- 
dambarl,  Weber,  Ind.  Streifen  I  p.  364.  363,  Väsavadattä,  ebend.  I  p.  877; 
in  der  oben  p.  437  f.  analysirten  Erzählung  von  Hir  und  Ranjhan  u.  s.  wj. 

Bohde,  Der  griecbitichü  Homan.  11 


—     162     — 

durften,  wie  sie  dem,  bei  ihnen  so  gern  p;eschilder(en  Natur- 
leben in  Wald  und  Einsamkeit  entsprach.  So  erklUil  es  sieh 
leicht,  warum  selbst  in  den  uns  einzig  erhaltenen  abgeblassten 
Nachbildern  hellenistischer  Erotik  die  Werbung  und  die,  im 
beziehungsreichen  Spiele  zu  inmier  hellerer  Flamme  auflodernde 
Leidenschaft  viel  farbenreicher  und  sinnlich  frischer  erscheint, 
als  in  den  Romanen,  welche  tlber  diesen  lieblichsten  Abschnitt 
einer  Liebeserziihlung  sehr  schnell  hinfortzugehen  pflegen. 

Uebrigens  machen  doch  der  Hirten roman  des  Longus,  und 
die  Liebeserzühlung  des  Achilles  Tatius  eine  Ausnahme :  in  dem 
letzten  scheinen  ganz  absonderliche,  im  wirklichen  Leben  der 
Griechen  vielleicht  undenkbare  Verhiiltnisse  ausdrücklicli  in  der 
Absicht  zu  Grunde  gelegt  zu  sein,  um  dem  Erzähler  zur  Ent- 
faltung seiner,  aus  älteren  Erotikern  entlehnten  Darstellung  der 
Werbung  Gelegenheit  zu  geben. 

Unter  allen  Umstünden  sind  die  Gelegenheiten  zu  unmittel- 
barer Annäherung  selten.  Der  Liebhaber  muss  sich  meist  be- 
gnügen, in  der  Einsamkeit  zu  seufzen,  den  Namen  der  Geliebten 
in  die  Bäume  zu  schneiden  ^j  ,  den  Spuren  ihrer  FUsse  zu  folgen^), 
durch  das  Blumenorakel  sich  ihrer  Liebe  versichern  zu  lassen 'j. 
Erwünscht  sich  :  wäre  ich  nur  eine  Biene,  um  zu  ihr  zu  fliegen^]  ; 


1)  S.  Bocker,  Charikles  I  351.  Vgl.  noch  Oviü  her.  5,  24  fT. :  incisa« 
servaut  a  te  mea  nomina  fagi,  et  legor  Ocnone  falcc  notata  tua  etc.  Cal- 
purnius  bucol.  1  20  f.  III  89;  aothol.  Palat.  XII  430,  3. 

2j  Dilthey  Cyd.  p.  36.  Vgl.  auch:  iVirgil.]  Lydia  8  ff.  invideo  vobis 
agri.  —  0  fortuuali  niinium,  inultumque  beati,  in  quibus  illa  pedis  nivei 
vestigia  punet.  Aiciphron  III  67,  4  :  —  ßouXeoOat  tä  toTv  iro^otv  T)^ 
xatacpiXetv.     Philostralus  epist.   4  8  p.  235,  3  ff.  Kays,  ebeiidas.  36.  87. 

3)  TT)X^(pt>.ov :  Tbcocrit  III  28  ff.  Vgl.  dort  Schol.  und  PoUux  IX  4i7 
(Dort  findet  sich  im  Laurentianus  56,  4  am  Rande  von  man.  2  folgender 
Zusatz:  toOto  £otIv  2i:cp  TrotoOatv  dzi  t&v  {lapcuXioiv  [Lattich],  X^^^^uoat  to 
ei  dr^oLTÄ  fjL€  h  oeiva).  Becker  Chari kl.  I  326  ff.  Eine  andre  Licbesprobe  be- 
.stand  darin,  dass  mau  Apfelkerne  an  die  Decke  des  Zimmers  zu  schnellen 
suchte:  gelang  es,  so  bedeutete  der  xt6i:o;  der  Kerne  Wohlwollen  von 
Seite  des*  Geliebten,  ebenso  wie  der  klatschende  Ton  des  Weines  im  Kotta- 
bosspiele.  Pollux  I\  428;  s.  auch  Horaz  Sal.  U  3,  272  f.  Vgl.  Becq  de 
Fouquieres,  Le  jeux  des  ancicns  (Paris  4869)  p.  64,  und  über  den  eroti- 
schen Sum  des  Kottabos  denselben  p.  24  4  ff. 

4)  Theocrit.  III  42  aide  fsvolfiav  d  ^opißeOaa  p.Oviooa  xat  ic  rios  dEvrpo^ 
lxotp.av  T^  x(9o6v  oiaSuc  xal  tdv  irc£f>iv  d  tu  :ruxdo^t.  Aehnliche  sentimen- 
tale  Wünsche   sind   in  griechischer  Liebesdichlung  nicht  seltener  als  bei 


—     163     — 

in  der  Ferne  muss  er  die  Menschen  und  selbst  die  Bilder,  die 
sie  umgeben,  eifersüchtig  beneiden  i).  Härter  leidet  vielleicht 
noch  in  ihrer  Einsamkeit  das  im  Weibergemach  verschlossene 
Mädchen^].  —  Aber  Eros,  in  den  Listen  der  Liebe  sein  eigner 
Lehrmeister^)  ,  findet  gleichwohl  Mittel,  um  ein  Einverständniss 
herbeizuführen.  Zuweilen  übernimmt  die  Amme  eine  Vermitt- 
lung *)  ;  in  einfachen  Verhältnissen  spricht  der  Liebhaber  in 
Geschenken    seine    Neigung    aus^) ;    vermag    er    sich    selbst    zu 


moderneren  Dichtern.  Chloe  bei  Longus  I  U  ,  2  p.  249,  24:  EtOe  auTOü 
oupi^;  ^Y£vöfXT]v  Tv  cfXTTvelig  jxoi  *  a!öe  ai$,  iV  uir'  dxelvou  v^fxujfxai.  Vgl.  II  2 
p.  263,  4.  lY  46  p.  343,  24.  Andere  wünschen  sich  zu  sein:  der  Vogel,  mit 
welchem  die  Geliebte  tändelt:  Rhianus  a.  Pal.  Xll  4  42,  5,  der  Wind,  der 
sie  föchelt:  anth.  Pal.  V  83,  die  Rose  an  ihrer  Brust:  anth.  Pal.  V  84., 
der  Delphin  der  sie  trüge:  a.  Pal.  XH  52,  5,  der  Quell,  aus  welchem  sie 
tränke:  Nonnus  Dion.  XLII  424  fT.,  die  Waffe,  die  sie  (auf  der  Jagd}  führt: 
Nonnus  Dion.  XV  257  ff,  die  Leier,  die  ein  schöner  Knabe,  der  Schmuck, 
den  eine  schöne  Frau  trägt:  Scolion  4  9.  20  (Bergk.  p.  4293)  ,  Anacreontica 
22,  5  ff.  (ed.  V.  Rose),  Nicetas  Eugen.  II  327  ff.,  ein  Ring,  den  sie  trägt: 
Ovid.  amor.  II  45,  9  ff..  Scurril  Strato  anth.  Pal.  XII  4  90,  3.  Aus  moder- 
ner Zeit  sind  die  Wünsche :  Wenn  ich  ein  Vöglein  war'  u.  dgl.  Jedem  ge- 
läufig; Beispiele  aus  mittelalterlicher  Volksdichtung  bei  Uhland  ,  Schriften 
zur  Gesch.  d.  Dichtung  und  Sage  III  p.   283  ff. 

1}  Vgl.  Propert.  II  6,  9  ff.  (in  einem  andern  Sinne  schilt  ebendaselbst 
V.  27  ff.  der  Dichter  auf  die  damals  übliche  Gattung  der  Wandbilder. 
Vgl.  Friedländer,  Darst.  a.  d.  Sittengesch.  Roms  V^  329,  4.  —  Seltsam  ist 
das  Zusammentreffen  mit  einer  indischen  Erzählung,  aus  dem  Somadeva 
übersetzt  bei  Benfey  Pantschat.  I  439:  ein  eifersüchtiger  Mann  fürchtet  bei 
seiner  schönen  Gemahlin  einen  Verlust  der  Tugend  »selbst  von  gemallen 
Figuren«).     Eifersucht  des  Liebhabers  auf  den  Gatten  :  Ovid  her.  XV  243  ff. 

2)  Vgl.  die  schöne  Klage  der  Hero,  Ovid  her.  XVIII  9  ff.;  ähnlich  das 
Epigramm  des  Agathias.  anthol.  Pal.  V  297.  Verwandt  auch,  in  der  be- 
rühmten Klage  der  Medea  bei  Euripides  über  das  elende  Loos  der  Weiber, 
V.  i44  ff.  (247  tjjxiv  o'  dva^xT)  rpö;  p.[av  ^yi^^  ßX^Ttgiv.  Vgl.  Edw.  Bulwer 
Ifiscellan.  prose  works  IV  p.  260.) 

3)  Achilles  Tat.  I  4  0,  4:  auTo^löaxTo;  ^ap  loriv  6  ^eö;  (Eros)  öo^iottjc 
S.  dazu  Jacobs  p.  449.  Nonnus  VII  44  0:  aocpö;  a^rooloaxTOC  'Epw;.  Vgl. 
auch  Ach.  Tat.  V  27,  4.  Longus  IV  4  8,  4  und  dazu  Villoison  p.  273.  — 
Aehnlich  Eurip.  fr.  4  62 :  —  xdfv  tpauXo;  tJ  tgEXX',  el;  IptnTa  7:d;  dvVjp  oocpcM- 
tcpo<.  Vgl.  fr.  433.  Aristarch.  trag.  fr.  2  p.  564  N. :  outo;  ^dp  6  Oeoc 
(Eros)  Tcal  t6v  do^vfj  oO^veiv  ti^oi  xal  tov  diropov  e&p(oxeiv  iröpov. 

4)  Vgl.  Ovid  metam.  XIV  7  03  ff.,  in  der  Erzählung  von  Iphis  und  Ana- 
xarete.     Achilles  Tat.  II  4  0  ff. 

5)  Vgl.  Theocrits  KuxXwij/,  den  Glaucus  der  Hedyle,  auch  Pygmalion 
bei  Ovid.  met.  X  259  ff.     Longus  I  45,  3. 

11* 


—     164    — 

nähern,  so  ßndet  er  auch  die  richtige  Weise  um  seiner  Leiden* 
schafl  Gehör  zu  erbillen%  denn  Peitho  geht  ihm  zur  Seite  2). 
Beim  gemeinschaftlichen  Mahle  zumal  drilckt  eine  conventionelie 
SymftK)lik  die  innere  Empfindung  aus.  Beim  Becherwechsel 
trinkt  der  Liebende  aus  demselben  Becher,  aus  dem  vorher  die 
Geliebte  getrunken  hatte  ^) ;  Zeichen-  und  Augensprache  deuten 
das  Geheimniss  noch  verständlicher  an^).  Nach  beendigtem 
Mahle  singt  er  wohl  von  fremder  Liebe,  sicher,  dass  die  zarte 
Verhüllung  der  eignen  Empfindung  leicht  durchschaut  werde ^). 
Auch  der  Beiz  der  Musik  hilft  die  gebundene  Empfindung  lösen, 
und  fuhrt  die  Herzen  zusammen^).  —  Je  weiter  nun  die  Ge- 
schichte  von   der  Schilderung  des  bloss  ZustHndlichen  zur  Ent- 

1)  Achilles  Tat.  11  4,  4:  IX^e  yeip'Sc,  ÄXi«!/ov  ooxtuXov,   i^X(ß«v  orfvoEov. 

xoXeiv  xal  cptXfjsai  xpayTjXov  zum  Theil  entlehnt,  wie  Heinrich  zu  Musaeus 
p.  88  richtig  bemerkt,  aus  Musaeus  444  f.  v^^l.  433.  Wie  man  zart  und 
discret  zu  werben  habe,  führt  Achilles  140  geschmacklos  genug  aus:  vgl. 
damit  Musaeus  429—432.  4  64.  5.  Nonnus  XXXV  437  f.  XLII  209—243.  Ovid 
art.  1  663  fT.   (her.  XVI  485  f.),  auch  Lucian  Amor.  53. 

2)  Davon  liebt  Nonnus  zu  reden:  vgl.  111  84.  4  42  fT.  XI  280.  XXV 
4  50  fr.  XLI  252. 

3)  Achilles  Tatius  11  9.  Ekelhaft  breit  ausgesponnen  in  dem  Roman 
des  Eustathius,  namentlich  Ruch  11,  HI,  V.  Andere  Stellen  bei  Becker 
Charikl.  1  66  f.  Vgl.  noch  Ovid  art.  am.  I  576  ,  heroid.  XVI  79  f.,  Arl- 
staenetus  epist.  I  25  p.  4  55,  4  IT.  ed.  Hercher.,  Philostratus  epist.  38,  La- 
cian  dial.  deor.  5,  2;  6,  2;  auch  Meleager  anthol.  Palat.  V  4  74  (Bekannt 
ist  Goethes  Nachahmung  dieser  anmuthigen  Sitte,  im  Anfang  des  Wilhelm 
Meister.)  —  Dieselbe  Spielerei,  den  besonderen  Umständen  gemäss  verän- 
dert, im  Hirtenroman  des  Longus,  I  24,  4:  dM^aa%ev  aMjv  xal  oupCTTCtv* 
xol  Glp;a{iivY)C  £p.7r»*eiv  dprdCcuv  ti?)v  oOpi^fa  xotc  yeCXeotv  o'ixo;  touc  xaXdp.oüc 
inixpv/ns.  *  xal  ioöxet  piev  otoblsxetv  dpLapTavouoav,  cuTTperdc  oe  otd  'rijc  o^ptTpfOc 
XXo-fjV  xaxctplXei. 

4}  S.  ganz  vorzüglich  Ovid  nnior.  I  4,  4  7—28;  ferner  Ovid  amor.  11  5, 
4  7  f.  art.  I  565  ff.  her.  XVI  84   ff.  TibuU.  I  2,  24   f.  6.  49  f. 

5)  Ovid.  her.  XV  244  f.  A!  quotiens  aliquem  narravi  potus  amorem, 
ad  vultus  roferens  singula  verba  tuos,  indiciumque  niei  ficto  sub  nomine 
feci:  ille  ego,  si  nescis,  verus  amator  eram.  So  räth  bei  Nonnus  XLI! 
254  ff.  Pan  dem  Bacchus,  vor  der  spröden  Beroti  von  der  Liebe  des  Apoll 
zur  Daphne,  des  Pan  zur  Pitys  u.  s.  w.  zu  singen.  Vgl.  Achilles  Tatius 
1  5,  4  ff. 

ti;  Vgl.  Ach.  Tat.  II  4  Menandr.  Hrja.  fr.  II  (IV  4  38):  tcoXXoTc  üi:£xiwiüf*' 
iaz'  ^poiToc  piouotx-^.  S.  auch  llelbig,  Unters,  über  die  campan.  Wandmale- 
rei p.  260. 


—     165     — 

Wicklung  des  Geschehenden ,  der  besondern  Erlebnisse  des 
liebenden  Paares  vorschreitet,  desto  weiter  gehen,  auf  so  ver- 
schiedenem Boden,  die  Wege  der  hellenistischen  Poeten  und 
der  sophistischen  Romanschreiber  aus  einander. 

Die  aufgezählten  einzelnen  Züge  erotischer  Schilderung 
reichen  indessen  aus,  uns  den  thatsächlichen  Zusammenhang 
dieser  prosaischen  mit  jener  älteren  poetischen  Kunst  der  Liebes- 
erz^hiung  erkennen  zu  lassen.  Sie  umfassen  freilich  nur  einen 
eng  begrenzten  Kreis  der  einfachsten  Symptome  einer  Leidon- 
sc4iaft  welche,  ihrer  allgemein  menschlichen  Natur  nach,  zu  allen 
Zeiten,  bei  allen  Nationen  im  Wesentlichen  sich  gleichartig 
äussern  wird.  Es  ist  aber  ein  Unterschied  zwischen  den  un- 
mittelbaren Aeusserungen  der  Leidenschaft  und  deren  Wider- 
schein im  Zauberspiegel  der  Kunst.  Jene  werden  auch  ohne 
äusserliche  Ueberlieferung  stets  und  überall  aus  gleichen  Be- 
dingungen in  gleicher  Gestalt  erzeugt  werden.  Uebcreinstimmung 
in  der  Auswahl,  der  Gruppirung,  dem  Golorit  der  Aeusserungen 
eines  leidenschaftlichen  Triebes  im  Kunstwerk  lässt  sich  nicht 
so  einfach  durch  Hinweisung  auf  die  unveränderliche  Natur  jener 
Triebe  selbst  erklären.  Eine  solche  Uebcreinstimmung  erklärt 
sich  in  der  That  nur  aus  der  Fortpflanzung  eines  bestimmten, 
fest  ausgeprägten  Stils  der  künstlerischen  Darstellung. 

So  weisen  denn  auch  die  hier  betrachteten  stilistischen 
Uebereinstimmungen  der  hellenistischen  Poesie  und  der  sophis- 
tischen Romandichtung  auf  einen  wirkliehen,  historischen 
Zusammenhang  dieser  beiden  Kunstgattungen  hin.  Wie  freilich 
dieser  Zusammenhang  über  die  W^eite  der  zwischen  den  beiden 
Weisen  erotischer  Erzählung  liegenden  Zeiträume  hinweg  her- 
gestellt worden  sei,  ist  mit  Bestimmtheit  nicht  zu  sagen.  Man 
könnte  meinen,  dass  durch  jene  hellenistischen  Dichtungen  die 
Manier  erotischer  Darstellung  eine  so  sicher  gezogene  Bahn,  ein 
so  genau  bestimmtes  Maass  gewonnen  habe,  dass  auch  prosaische 
Erzähler  erotischer  Abenteuer  der  sentimentalen  Art  ganz  von 
selbst  und  ohne  Nachahmung  im  Einzelnen  in  diese  selbe  Bahn 
einlenken  mussten.  Es  ist  aber  nicht  zu  bezweifeln,  dass  die 
Dichter  prosaischer  Liebesromane  auch  in  einer  bewussten  und 
absichtlichen  Nachahmung  der  alten  Vorbilder  sich  den  Stil 
erotischer  Erzählung  anzueignen  versuchten.  Die  sophistische 
Rhetorik,  welcher  alle  Romanschreiber,  von  Jamblichus  abwärts, 


—     166     — 

augehüren.  Torsrhiiiühte  ein  genaues  Studium,  eine  welleifemde 
Nachbildung  der  Dichtung  älterer  Zeiten  keineswegs,  am  Wenigsten 
da,  wo  sie  seihst  eine  Art  von  Poesie  in  Prosa  auszubilden 
bestrebt  war.  Wenn  sich  dieses  Studium  nun  auch  zumeist 
auf  die  grossen  Dichter  der  altdassischen  epischen,  dramatischen, 
1\  Tischen   Kunst    bescliränkte.    so   mochte   man   doch   ftlr  solche 

• 

Gebiete    der   Darstellung,    in    denen  jene   classischen   Vorbilder 
keinerlei    Muster   darbieten   konnten,    auch   zu   den   Dichtungen 
der   hellenistischen   Nachblttthe  der  Kunst    heruntersteigen.     Es 
ist  oben  angedeutet  worden,  wie  zu  der  gleichen  Zeit  die  Dichter 
in   gebundener   Rede    in   eifriger   Xachahnmng    die  Manier    der 
hellenistischen  Poeten  nachzubilden  beflissen  waren.     Zum  Theil 
mochten  nun  die  sophistischen  Dichter  erst  durch  eine  Anlehnung 
an    die  gleichzeitigen   Versktlnstler    wie    sie    z.  B.    I)ei  Achilles 
Tatius  ganz   deutlich   erkennbar  ist)    zu   deren  Vorbildern,  den 
Dichtern    der    hellenistischen     Zeit,     hinüber    geleitet    werden. 
Wenn   wir  aber  bemerken,    wie   ein  allerdings  spätes  Mitglied 
der  sophistischen  Zunft,  der  Verfasser  der  erotischen  Briefe  des 
sogenannten   Aristaenetus ,    die    l)ertthmte    Liebeserzählung   des 
Kallimachus   von  Acontius  und  Cydippe   einfach    in  Prosa  Über- 
tragen hat,  so  werden  wir  nicht  länger  daran  zu  zweifeln  brauchen, 
dass  auch  die  Verfasser  sophistischer  Liebesromane  die  nunmehr 
hinreichend     ins    l-ichl    gestellte    Uebereinstimmung    erotischer 
Schilderung    nu't    der   Manier  der   Erotiker    hellenistischer   Zeit 
zum    grOssten   Theil   aus   einem   directen    Studium   dieser   ihrer 
Vorbilder  gewonnen  haben. 


u. 
Ethnographische  Utopien,  Fabeln  nnd  Romane. 

1. 

Einer  erzlihlenden  Dichtung,  welche  von  der  gebundenen 
Rede  zur  prosaischen  Darstellung,  von  der  künstlerischen  Aus- 
bildung überlieferter  Volkssage  zu  eignen  Erfindungen  sich 
wendet,  erwachsen,  wenn  sie  nicht  etwa  bloss  eine  Erschlaffung 
der  älteren  Kunstweise  darstellt,  unzweifelhaft  ganz  neue  Aufgaben 
für  die  Wahl  und  stilistische  Behandlung  ihrer  Stoffe.  Die 
prosaische  Form  zieht  auch  den  anfänglich  Widerstrebenden  aus 
einer  idealistisch  dargestellten  Phantasiewelt  zur  realistischen 
Behandlung  der  den  Dichter  umgebenden  Wirklichkeit  und 
Gegenwart  herunter.  Dabei  verschiebt  sieh  ihm  von  selbst  der 
Schwerpunkt  des  Interesses.  Unter  allen  Umständen  interessirt 
uns  in  der  Dichtung  wesentlich  nur  die  Darstellung  menschlichen 
Seelenlebens.  Aber  wenn  in  Hlterer  Zeit  die  äussere  That  ein 
getreuer  und  nothwendiger  Ausdruck  dieses  Seelenlebens  war, 
und  daher  der  hauptsachliche  Gegenstand  dichterischer  Dar- 
stellung sein  durfte,  so  ist  in  den  späteren,  von  künstlichen 
Culturbedingungen  eingeschnürten  Zeiten,  welchen  eine  solche 
prosaische  Erzählungskunst  stets  angehören  wird,  das  innere 
Lel>en  bedeutender  Menschen  ein  viel  reicheres  und  bewegteres, 
als  der  äusserliche  Ausdruck  ihrer  an  lebhafter  Bethätigung  so 
mannichfach  gehinderten  Thatkraft  erkennen  lässt.  Bei  diesem 
Auseinanderfallen  einer  zumeist  seelenlosen  Aeusserlichkeit  und 
einer  tief  und  voll  erklingenden,  nach  aussen  aber  nur  wie  in 
einem  gedämpften  Echo  sich  hörbar  machenden  Empfindung  wird 
der  ächte  Künstler  prosaischer  Erzählung  ohne  Zaudern  seine 
Wahl  treffen.  Man  hat  richtig  bemerkt,  dass  der  moderne  Roman 
in  seinen  vorbildlichen  Vertretern,   als  ein  acht  psychologi- 


—     168     — 

seh  es  Kunstwerk,  an  äusserem  Leben  sehr  arm,  an  innerem 
um  so  reicher,  und  reicher  als  allere  Dichtungsgattungen  sei*). 
Wie  nun,  für  diese  vorzugsweise  psychologische  Aufgabe,  der 
Roman  einen  von  der  epischen  Vorstellungsweise  sehr  merklich 
verschiedenen  Stil  auszubilden  habe,  wollen  wir  hier  im 
Einzelnen  nicht  betrachten.  Nur  eine  wesentliche  Eigenschaft 
dieses  Stils  sei  hier  ins  Auge  gefassl :  die  Breite  der  Dar- 
stellung. Jeder  prosaischen  Erzühlungsweise  ist,  der  Poesie 
gegenüber,  schon  darum  eine  gewisse  Breite  wesentlich  eigen- 
thUmlich,  weil  ihr  die  so  unvergleichlich  intensive,  gleichsam 
wie  ein  voller  Accord  viele  Töne  zu  gleichzeitigem  Erklingen 
verbindende  Ausdrucksweise  der  poetischen  Sprache  verwehrt 
ist.  Im  Roman  erfordert  zudem  das  Verhaltniss  des  Dichters 
zum  Stoffe  eine  breitere  Ausführung  als  im  Epos  nothwendig 
war.  Dort  bot  den  Stoff  die  Sage  dar,  in  welcher  eine  für  den 
Dichter  und  seine  Zeit-  und  Volksgenossen  jedenfalls  unbedingt 
gültige  Empfindungsweise  einen  Vorgang  beseelte,  an  dessen 
Wahrheit  und  Wirklichkeit  das,  durch  die  dichtende  Schöpfer- 
kraft vieler  Generationen  ihm  eingebildete  poetische  Leben 
keinen  Zweifel  entstehen  Hess.  Viel  mehr  Bemühung,  eine  vieL 
grössere,  gleichsam  überredende  Ausführlichkeit  der  Darstellung, 
als  bei  einem  so  günstigen  und  willigen  Gegenstand,  ist  jeden- 
falls erforderlich ,  um  einen ,  rein  der  Einbildungskraft  eines 
Einzelnen  entsprungenen  Stoff  aus  einem  blossen  [»hantastischen 
Traumbilde  zu  jener  Lebendigkeit  und  Wirklichkeit  umzubilden, 
die  ihn  erst  zum  vollen  Kunstwerke  macht;  um  die  ganz  indi- 
viduelle   und    jedenfalls    in    irgend    einer    Richtung    einseitige 


\}  Schopenhauer,  Parcrga  Bd.  II  p.  A73  f.  (3.  Ausg.}:  »Gin  Roman 
wird  desto  höherer  und  edlerer  Art  scyn,  je  mehr  inneres  und  je  weni- 
{j;er  äusseres  Lehen  er  darstellt;  und  dies  Verhaltniss  wird,  als  charak- 
teristisches Zeichen,  alle  Ahstufungen  des  Romans  begleiten,  vom  Tristram 
Shandy  an  bis  zum  roheston  und  thatenreichslen  Ritter-  oder  Rttuberroroan 
herab.  Tristram  Shandy  freilich  hat  so  gut  wie  gar  keine  Handlung;  aber 
wie  sehr  wenig  hat  die  neue  Heloise  und  der  Wilhelm  Meister!  Sogar  Don 
Quixote  hat  verhaltnissmässig  wenig,  besonders  aber  sehr  unbedeutende, 
auf  Scherz  hinauslaufende  Handlung:  und  diese  vier  Romane  sind  die 
Krone  der  Gattung».  Dasselbe  gelte  für  Jean  Pauls  und  sogar  für  Walter 
Scotts  Romane,  in  welchen  das  äussere  Leben  wesenUich  dazu  diene,  das 
innere  (als  den  eigentlichen  Gegenstand  unseres  Interesses)  in  Bewegung 
zu  setzen ;   während  in  schlechten  Romanen  es  seiner  selbst  wegen  da  sei. 


—     169    — 

Empßndungsweise,  welche  sich  in  einer  solchen  Dichtung  des 
Einzelnen  ausspricht,  dem  Hörer  verständlich;  ergreifend,  ja  zur 
vollen  Milempfindung  fortziehend  zu  machen.  Endlich  ist,  den 
wesentlich  im  Innern  der  menschlichen  Emündung  liegenden 
Schauplatz  dieser  Dichtungsweise,  bei  dem  in  ihm  herrschenden 
geheimnissvollcn  Dämmerlichte,  übersichtlich  und  deutlich  zu 
machen,  nur  dann  möglich,  wenn  maD  seinen  verschlungenen 
und  unberechenbar  mannichfaltigen  Schluchten  und  Irrpfaden 
beharrlich  und  mit  ausdauernder  Aufmerksamkeit  auf  ein  un- 
endliches genauestes  Detail  nachgeht.  Der  psychologischen 
Aufgabe  des  Künstlers  kann  zudem  nur  eine  lange  und  mannich- 
faltige  Reihe  von  Ereignissen  dienen,  in  denen  die  (Iharaktere 
-seiner  Personen,  die  doch  nur  in  der  Bewegung,  nicht  in  starrer, 
monumentaler  Positur  ihre  eigenste  Art  darlegen  ^) ,  sich  ent- 
falten können.  Zuletzt  dürfte  man  vielleicht  behaupten,  dass 
eine  Nöthigung  zur  Breite  für  den  Roman  schon  in  der  grösseren 
Anzahl  der  Personen  liege,  deren  er,  mit  dem  Epos  verglichen, 
zu  bedürfen  scheint.  Es  scheint  nämlich,  als  ob  ihn  hierzu  der 
jedem  Künstler  nothwendig  eigne  Wunsch,  ein  allgemein  gültiges, 
typisches  Bild  menschlichen  Wesens  darzustellen,  nöthige.  Denn 
während  in  alter  Zeit  eine  in  der  Art  des  Anschauens  und 
Empflndens ,  in  Sitte ,  W^illensrichtung  und  Handlungsweise 
wesentlich  gleichartige  Volkseinheit  das  ihr  als  allgemein 
menschlich  Geltende  sehr  wohl  in  wenigen,  kräftigen,  alle  AfTecte 
deutlich  aussprechenden  Charaktergestalten  vom  Dichter  dar- 
gestellt sehen  konnte :  so  bildet  eine  reicher  und  künstlicher 
entwickelte  Cultur  ihre,  mehr  und  mehr  nur  auf  die  eigne 
Einsicht  und  Ansicht  gestellten  einzelnen  Mitglieder  zu  einer  so 
unermesslichen  Verschiedenheit  der  Sinnesart ,  zu  einer  so 
capriciösen  Mischung  intellektueller  und  moralischer  Absonderlich- 
keiten aus,  dass  der  Dichter,  um  seine  Absicht  einer  künstleri- 
schen Allgemeingültigkeit  zu  erreichen,  meistens  genöthigt  sein 
wird,  eine  grössere  Anzahl  dieser  eigensinnig  absonderlichen, 
auf  den  wunderlichsten  Wegen  nach  der  verlorenen  Sicherhei 
des  Lebens  tappenden  Individuen  vorzuführen,  um  aus  ihrer 
Vereinigung  das  in  so  vielen  Einzelnen  wie  in  tausend  Facetten 


1)  Aorep   xa    ocup.aTa    i%    töjv    xivi^öetov    xplvetai,    out»    xai   xä   '^^. 
Aristot.  Etb.  Nicom.  IV  4  4  p.  4128a,   44. 


—     170     — 

gebrochene    Eine   Lichl    des    menschlichen   Wesens   reiner  und 
voller  wieder  zu  versammeln*;.  — 

Den  hier  angedeiitelen  stilistischen  Nothwendi^keiten  würde 
sich  nun  wohl  auch  der  griechische  Homan  zu  fUf;en  gehabt 
hal>en,  wenn  er  aus  der  bisher  betrachteten  Kunstgattung  der 
hellenistischen  Liebeserziihlung  einfach  in  der  Weise  hervor- 
gewachsen wiire,  dass  er  den  aus  volksthUmlicher  Ueberlieferung 
entnommenen  Sagengehalt  mit  einer  frei  erfundenen  erotischen 
Fal)el,  die  poetische  Form  mit  der  prosaischen  vertauscht  hütte. 
Vielleicht  hUtte  er,  auf  dem  Wege  einer  solchen  Entwicklung 
von  innerer  Nöthigung  fortgezogen,  allmählich  zu  einem  ähnlich 
charakteristischen  Ausdruck  des  Kunst  Vermögens  und  des  ge- 
sammten  geistig-gemüthlichen  Wesens  des  späteren  AUerthums* 
sich  ausgebildet,  wie  ihn  für  die,  mit  jenem  späteren  AUerthum 
so  mannichfach  verwandte  neuere  Zeit  eben  die  Romandichtung 
der  modernen  Völker  darbietet. 

Nun  zeigt  aber  der  griechische  Roman  eine  von  dem 
modernen  Roman  —  insofern  wir  dessen  proteische  Vielgestalt 
nach  den  vorbildlichen  Meisterwerken  der  Gattung  zu  einiger 
Einheitlichkeit  begrenzt  und  bestimmt  denken  —  sehr  wesentlich 
verschiedene  Physiognomie.  Von  den  soeben  berührten  Eigen- 
thümlichkeiten  modemer  Romandiohtung  besitzt  der  griechische 
Roman  nur  die  einzige  Eigenschaft  der  R reite.  Aber  weit 
entfernt,  dass  in  ihm,  wie  im  modernen  Roman,  diese  Breite 
sich  als  eine  nothwendige  Folge  der  nach  Innen  sich  vertiefen- 
den psychologischen  ErzUhlungsweise  begreifen  Hesse,  stellt  sie 
sich  vielmehr  nur  als  die  Rreite  der  Dissipation  dar,  eine  Breite, 
welche  lediglich  durch  die  Anhäufung  der  äusserlichsten  Erleb- 
nisse entsteht,  dichterischer  Tiefe  keineswegs  zur  deutlicheren 
Darstellung,  sondern  zum  Ersatz  dienen  soll.  Hierin  vielleicht 
liegt  die  wesentlichste  Schwäche  des  griechischen  Romans :  dass 
er  das  Sagengebict  und  die  Kunstmittel  der  epischen  Dichtung 
vcrliess,  ohne  doch  auf  das  Gebiet  der  psychologischen  Dichtung 
überzutreten,  auf  welchem  allein  eine  prosaische  Erzählungs- 
kunst sich  fruchtbar  entwickeln  konnte.     Sein  Grundthema :  die 


1  Ich  glaube  bemerkt  zu  haben,  dass  nur  in  solchen  Romanen,  deren 
ausschliesslicher  Go{i;enstand  die  Lielie  ist,  eine  Beschrönkung  auf  wenige 
Personen  nicht  einen  dürftigen  und  ermüdenden  Eindruck  macht:  z.  B.  in 
der  Nouvelle  Ü^Ioise,  im  Werther.     Der  Grund  ist  leicht  zu  erkennen. 


—     171     — 

Schick^le  eines  Liebespaares,  würde  zwar  einen  solchen  psycho- 
logischen Stoff  von  grosser  Entwicklungsfähigkeit  dargeboten 
haben.  Aber  schon  dieses  Grundthema  wird,  nach  Anleitung 
hellenistischer  Vorbilder,  zumeist  ganz  schablonenhaft  behandelt. 
Und  vollends  würden  diese  Dichter  sehr  in  Verlegenheit  sein, 
wenn  sie  in  ein,  im  Grunde  so  einfaches  Verhültniss,  wie  es 
die  Liebe  zweier  Menschen  zu  einander  ist,  so  viel  Kraft,  Tiefe 
und  ächte  Leidenschaft  legen  sollten,  dass  sie  nur  durch  die 
ErzähluQg  seiner  Entstehung  und  allmählichen  Entwicklung 
dem  Leser  dauernde  und  volle  Theilnahme  abgewönnen.  Daher 
sinnen  sie  darauf,  den  magern  Stoff  durch  Alluvion  fremdartiger 
Bestandlheile  zu  verbreitern,  die  mangelnde  Intensität  des  Inte- 
resses durch  Extension  der  Ereignisse,  das  im  Innern  wirkende 
Leben  durch  eine  unruhige  äussere  Lebhaftigkeit  zu  ersetzen. 
Und  hierbei  verfallen  sie  auf  das  Auskunftsmittel  aller  schwachen 
Poeten :  sie  setzen  an  die  Stelle  des  poetisch  Bedeutsamen  ohne 
Weiteres  das  Ungewöhnliche  und  Abenteuerliche. 

Der  regelmässige  Verlauf  ihrer  Geschichten  ist  dieser:  dass 
die  Liebenden  sich  finden ,  nach  kurzem  Beisammensein  ins 
Weile  getrieben ,  durch  unerhörte  Abenteuer  aus  einander  ge- 
rissen, zu  Land  und  Meer  umhergeschleudert;  und  nach  man- 
nichfaltigen  Prüfungen  ihrer  Treue  und  Standhaftigkeit  endlich 
zu  seiiger  Vereinigung  wieder  zusammengeführt  werden. 
Den  Zwischenraum  zwischen  dem  verheissungsvollen  Anfang 
und  der  endlichen  Befriedigung  des  Endes  füllen  die  buntesten 
Abenteuer  aus.  Aber  auch  diese  heftig  bewegten  Ereignisse 
weiss  der  griechische  Romanschriftsteller  nur  selten  in  einen 
tieferen  Zusammenhang  mit  dem  Charakter  und  inneren  Leben 
gerade  seines  Paares  zu  setzen.  Diese  grell  gemalten  Abenteuer 
könnten  ebenso  wohl  jedem  andern  Paare  liebender*  Menschen 
begegnen;  sie  sind  bestimmt,  rein  durch  ihre  eigne  Seltsamkeit 
die  Phantasie  des  Lesers  zu  beschäftigen.  Ja  man  bemerkt  bei 
genauerer  Betrachtung  sehr  deutlich,  dass  die  Gesammtheit  der 
meisten  dieser  Romane  sich  aus  der  Liebesgeschichte  und  den 
Abenteuern  zu  See  und  zu  Lande,  als  aus  zwei  durchaus  dis- 
paraten Theilen,  nur  ganz  mechanisch  zusammensetzt. 
Am  Deutlichsten  tritt  dies  bei  den  ältesten  uns  bekannten 
Romanen  hervor.  An  ihnen  erkennt  man  am  Klarsten  die  in 
diesem  Abschnitt  näher  zu   erörternde  Thatsache,   dass  nämlich 


—     172     — 

erst  aus  der  VereinigunG:  des,  der  hellenistischen  Liebesromanze 
nachgebildeten  erotischen  Elementes  mit  einer  eignen  Gattung 
abenteuerlicher  Rcisedichtung  das  wunderliche  Ganze  des  griechi- 
schen Homans  entstanden  ist.  Die  allmähliche  Entwicklung 
dieses  zweiten  Elementes  zu  betrachten  wini  unsre  nüchste 
Aufgabe  sein. 


Die  Menschen  haben  sich  von  jeher  darin  gefallen,  von  der 
Enge  und  Mühseligkeit  der  täglichen  Wirklichkeit  sich  zu  er^ 
holen ,  nicht  sowohl  durch  die  Sammlung  und  Anstrengung 
sJfmmt lieber  kntfte  des  Geistes,  wie  sie  der  andiichtige  Gcnuss 
hoher  Dichtung  erfordert,  als  durch  ein  zerstreuendes  Spiel  mit 
den  kühnsten  Erfindungen  einer  launenhaften  Phantasie,  welche 
alle  Formen  und  Lebensbedingungen  der  wirklichen  Welt  in 
UbermUthiger  Laune  auf  den  Kopf  stellen,  mit  einer  ächten, 
seelenvollen  Poesie  aber  kaum  mehr  als  jene  Leichtigkeit  und 
die,  diese  begleitende  Heiterkeit  des  nur  vorgestellten  Vor- 
ganges gemein  haben,  womit  sie  ja  freilich,  gleich  dieser,  über 
eine  beschwerlich  ernsthafte  Wirklichkeit  und  ihre  harte  Thatsttch- 
lichkeit  sich  erheben.  Es  giebt  Völker,  deren  gesammte  Dichtung 
nie  über  eine,  solchergestalt  entstehende  Poesie  des  Seltsamen 
und  Bizarren  hinausgekommen  ist.  In  der  griechischen 
Dichtung  nimmt  sie  nur  einen  bescheidenen  Platz  ein.  In  der 
eigentlich  mythischen  Poesie  ist  diese  Art  des  Phantasiereizes 
durch  eine  weit  höhere  und  iichtere  Kunstweise  überwunden. 
Das  Abenteuerliche,  Bunte,  Seltsame  rein  um  seiner  selbst 
willen  fand  seine  eigentliche  Stelle  in  einer  eigenthümlichen 
Art  ethnographischer  Dichtung,  deren  Spuren  man  durch 
die  ganze  griechische  Littcratur  verfolgen  kann. 

Sie  hatte  ihren  ersten  l^rsprung  in  der  leichtbeweglichen 
Phantasie  griechischer  Seefahrer,  welche  von  weiten  und  gcftlhr- 
lichen  Reisen  heimgekehrt,  in  ihren  Sagen  und  Erzählungen 
einen  kleinen  hellen  und  menschlichen  Kreis,  den  wohlbekannten 
Winkel  des  Miltelmeeres,  von  einer  wilden  und  nebelhaften 
Well  voll  aller  Schreckbilder  und  zauberhafter  UngethUme  um- 
lagert zeigten.  Diese  Schiffersagen  bildeten  sich  zu  einem  künst- 
lerischen Ganzen  aus   namentlich    in  den  Sagenkreisen   von  der 


—     173     — 

Heimfahrt  des  Odysseus,  und  von  den  Zügen  der  Argonauten. 
Die  £rziihlung  des  Odysseus  bei  Alcinous,  diese  ülteste  Robin- 
sonade ^) ,  zeigt  deuth'che  Spuren  einer  uralten,  zum  Tlieil  wohl 
gar    vorgriechischen   Fhantastik  ^) ;    die   Reste    der  Argonauten« 

1)  »Jedenfalls  beginnt  in  der  Europäischen  Littcratur  mit  dem  Apolog 
bei  Alkinoos  die  Reihe,  welche  mit  Robinson  Crusoe  schliesst. «  Nitzsch 
Amnerkgf;.  zur  Odyssee  Bd.  III  p.  XXII.  Daher  denn  auch  Lucian,  Ver. 
Hist.  I  3,  der  wunderbaren  Berichte  des  Ktesias  und  lambulus  gedenkend, 
behauptet:  apyT^io;  oe  auToU  *«i  oiodaxaXo;  xf^;  ToiautTjC  ßo)}xoXo'/(a;  h  tov» 
'UuTipo'j  'Oo'jaseu;,  toT;   irepi  tov  'AX%(voov    oiTj-yoüfi^voc     ävdfxojv     xe     oouXeiav 

2)  Ich  erinnere  nur  an  die  Wiederkehr  einzelner  SagenzUge  in  den 
üeberlieferungen  und  voiksthümlichen  Dichtungen  andrer  Nationen:  vor 
allem  an  das  sehr  weit  verbreitete  Märchen  vom  Polyphem  (vgl.  W. 
Grimm,  Abb.  d.  Berliner  Akad.  1857  p.  \ — 30,  zu  dessen  Nachweisen  man 
ein  gülisches  und  ein  ungarisches  Mürchen  [beide  bei  Kühler,  Orient  und 
Occident  II  120  IT.],  zumal  aber  eine  sehr  beachtenswerthe  orientalische 
Vei-sion  in  dem  Märchen  von  Seyf-el-Muluk  [Lane  <001  nights  III  p.  358 
— 355)  hinzufüge.  Eine,  dem  »Ojti;«  des  Odysseus  nahe  vei-wandte  List 
kehrt  in  einem  Märchen  aus  der  Bukowina  [Staufer,  Ztsch.  f.  deutsche  My- 
thol.  II  210J  wieder),  an  dieCharybdis  (auffälligste  Verwandtschaft  eines 
Zuges  in  dem  indischen  Märchen  von  den  Abenteuern  des  Saktideva,  bei 
Somadeva  c.  26,  Bd.  II  p.  162  der  Uebers.  von  Brockhaus.  Auf  diese  Co- 
incidenz  macht,  nach  Brockhaus,  auch  Gerland,  Allgriech.  Märchen  in  d. 
Odyssee  [Magdeb.  <869j  p.  4  8  aufmerksam;  alle  übrigen  von  diesem  Ge- 
lehrten entdeckten  Ver^'and tschaften  der  beiden  Sagenkreise  scheinen  mir 
mehr  als  problematisch),  an  die,  vielleicht  aus  der  Argonautensage  erst  in 
die  Odyssee  herüber  genommenen  Symplegaden  (welche  in  dem  mon- 
golischen Epos  »die  Thaten  des  Bogda  Gesser  Chan«  wiederkehren:  Jülg, 
Verh.  d.  Würzb.  Philologenvers.  [L.  4  869)  p.  64).  Freilich  könnte  man 
wohl  bei  einzelnen  dieser  Sagen-Coincidenzen  in  Zweifel  i»ein ,  ob  solche 
Sagen  aus  gemeinsamer  Quelle  geflossen  seien  oder  einfach  aus  dem  Grie- 
chischen durch  die  orientalischen  Völker  entlehnt.  Eine  nicht  geringe 
Wahrscheinlichkeit  hat  z.  B.  die  Annahme  einer  directen  Entlehnung  des 
Märchens  von  der  Circe  in  dem  Abenteuer  des  Vijaya  und  .seiner  Gefähr- 
ten bei  der  Yakschiui  Kuveni  im  Mah^vansa:  s.  Albr.  Weber,  On  thc  Ra- 
mäyana  (transl.  by  C.  Boyd;  Separatabdruck  aus  dem  »Indian  Antiquary« 
Bombay  und  London  4873)  p.  21—27  (wiewohl  dort  —  in  bedeutendem 
Onterschied  von  der  Odyssee  —  die  Gefährten  nicht  verwandelt  sondern, 
wie  es  scheint,  nur  zur  Erstarrung  gebracht  werden:  wobei  man  sich 
der  im  Märchen  sehr  gewöhnlichen  Versteinerung  von  Menschen  durch 
Zauberer  und  Hexen  erinnern  mag  [vgl.  deutsches  Märchen  Grimm  N.  60 
p.  258  d.  zwölften  Aufl.;  griechisch  von  Hahn  N.  22  p.  M\  u.  s.  w.  So 
werden  Riesen  bei  Sonnenaufgang  zu  Steinen:  Grimm,  D.  M>th.  54  8,  ebenso 
wie   die   Hedningen    in    der   Jüngern    Edda:    Simrocks    Uebers.    p.  8UJ) ; 


—     174     — 

abenteuer,  wie  sie  uns,  in  ihrer  ültesten  Geslall,  aus  dem  dritten 
Buche  des  Hesiodischen  »Verzeichnisses  der  Frauen«  erhalten 
sind,  sind  uns  als  Documente  einer,  ganz  ersichtlich  schon  viel 
jüngeren  Periode  jener  ethnographischen  Mcirchendichtung  merk- 
würdig ^) .  Hier  begegnen  uns  schon  jene  UngethUme  und  halb- 
menschlichen  Fratzen,  wie  sie  von  nun  an  unveränderlich  die, 
durch  vordringende  Forschung  freilich  inuner  weiter  hinaus- 
geschobenen unbekannten  Krdgrenzen  bevölkern  mUssen  :  z.  B. 
die  Makrokephalen,  die  Halbhunde,  die  Fygmüen ;  aber  auch 
schon  die  gerechten  Hyperboreer ,  die  höhlenbewohnenden 
» Unterirdischen  ((,  die  nomadischen,  Pferdemilch  trinkenden 
Scythen  2) . 

In  den  folgenden  Zeiten  einer  unruhigen  Wanderlust  diente 
die  reiche  Fülle  neuer  und  seltsamer  Kunde,  wie  sie  kühne 
Kaufleute  und  die  Theilnehmer  an  den  ColoniegrUndungen  aus 
den  Lündern  des  fernen  Westens  und  Nordens  nach  Hause  zurück- 
brachten, vor  Allem  dazu,  die  Phantasie,  statt  sie  durch  die 
Krkenntniss  der  Mannichfaltigkeit  des  Wirklichen  zu  befriedigen, 
nur  zu  immer  neuen  abenteuerlichen  Vorstellungen  aufzuregen. 
Mit  der  schrittweise  vorschreitenden  P>weiterung  der  Peripherie 
der  wohlbekannten  Krdstrecken  rückte  freilich  das  Beich  des 
Wunders  immer  weiter  hinaus;  aber,  zurückweichend  wie  ein 
Traumbild  das  man  zu  ergreifen  strebt,  schien  es  in  der  un- 
deutlichen Ferne  nur  immer  lockendere  Geheimnisse  zu  ver- 
sprechen. 

Anfangs  schien  noch,  in  den  Berichten  von  weiten  Beisen, 
die  poetische  Form  auch  den  hihalt  als  einen  wesentlich  er- 
dichteten, den  Märchen  der  Odyssee  verwandten,  ungesch^ier 
bezeichnen  zu  wollen.     So  in  dem  Gedichte  des  Aristeas  von 


Weber    \i.  27)  leitet  auch  die  eben  erwähnte  Wiederholung  der  Symple- 
gadcnsage  aus  einfacher  Entlehnung  des  griechischen  Märchens  ab. 

1)  Die  Abfassungszeit  des  Hesiodischen  KaTaXofo;  pvaixoüv,  im  Beson* 
dem  des  dritten  Buches,  scheint  unbestimmbar.  KirchofTs  Hypothese  (Com- 
pos.  d.  Odyssee  p.  60—64),  der  zufolge  das  dritte  Buch  i^eraume  Zeit  nach 
Ol.  30«  verfasst  sein  soll,  beruht  auf  zwei  nicht  strict  beweisbaren  An- 
nahmen. 

2)  Max(>ox£<paXoi,  'Hfxixuvec,  fluYfxaToi  Hesiod.  fr.  LXXIV^  Mksch.;  'Ticcp- 
ß<5p£oi  fr.  LXXV  (die  Hyperboreer  ermähnte  auch  "ÖjxTjpoc  ^v  'Eicif övoioi : 
Herodot  IV  8J.  Vgl.  Hymn.  Homer.  VII  «9);  KaTouSatoi  fr.  LXXH;  Scytben 
fr.  LXIII. 


—     175     — 

Proconnesus  über  die  Greife  und  einäugigen  Ariniaspen  und 
andere  Wundergeschöpfe  der  von  ihm  bereisten  nordischen 
Nebehvelt  M.  In  welchem  Sinne  der  allem  Phantastischen  gegen- 
über sonst  so  leicht  und  gern  gläubige  griechische  Hörer  diese 
Wundererzahlungen  hinnahm,  liisst  uns  wohl  die  Art  ahnen,  in 
welcher  Aeschylus  in  der  Prometheustrilogie  die  Greifen  und 
Arimaspen,  die  Stemophthalmier  und  mehr  dergleichen  Ungeheuer, 
mit  den  grausigen  Gestalten  altgriechischer  Mythen,  den  Phor- 
kynen  und  Gorgonen  vermischt,  in  die  Beschreibung  der  Fahrten 
der  Jo  und  des  Herakles  verflicht 2).  So  hatten  wie  mit  einem 
neuen  Zuwachs  der  alten  Mythenwelt,  schon  Alkman  und  andre 
Dichter  mit  solchen  neu  erfundenen  Wundergestalten  gelegentlich 
gespielt  ^) . 

Bald  aber  fasste  man,  der  allmählich  sich  immer  machtiger 


1)  Herodol  IV  iS.  U.  (vgl.  32.).  Die  Zeil  des  Arisleas,  d.  h.  des 
Verfassers  des  unter  dem  Namen  dieses  (schon  von  Pindar  [fr.  254  Bergk.j 
erwähnten)  Wundormannes  gehenden  Gedichtes  'ApifxdaTreia  lässt  sich 
leider  nicht  bestimmen.  Die  lilterarhistorische  Combinalion  der  Alexan- 
driner setzte  ihn  als  Zeitgenossen  des  Croesus  und  Cyrus  an  (Suidas  s. 
'Apifjicloiceia.). 

2)  Aeschylus  Prom.  vinct.  703— 8U:  die,  v.  799  IT.  erwähnten  Greife 
und  Arimaspen  sind  dem  Gedichte  des  Arisleas  entlehnt,  wie  Weil  zu  v.  799 
mit  Recht  annimmt.  [Aus  Arisleas  denn  auch  ^ohl  die  etymologische  An- 
deutung Tdv  T6  p.ouN(u7:a  orpaxöv  'ApifxaoTiov  ilTnroßafxova  804  f.,  vgl.  Stein 
zu  Herodot  IV  27,  7.  Die  richtige  Etymologie  des  scylh.  'Aptfxaanö;  »mit 
Pferden  vertraut a  (s.  MüllenhofT,  Monatsber.  d.  Akad.  zu  Berlin  4866 
p.  555}  könnte  indessen  in  dem  J7:iioßdp.ova  des  Aesch.  angedeutet  sein]. 
Im  »gelösten  Prometheus«  sagte  Prometheus  dem  Herakles  die  Abenteuer 
seiner  Fahrt  vom  Kaukasus  zu  den  Hesperiden  voraus:  dabei  wurden  die 
Kynokephaloi ,  Sternophthalmoi ,  Monommatoi  »xal  dXXa  fxupCa«  erwähnt 
(fr.  194),  neben  den  gerechten  Gabiern  (fr.  490),  den  Scylben  (fr.  492)  u.  A. 

3j  Alkman  erwähnte  die  (irgendwo  im  Osten  gesuchten)  Steganopoden, 
die  nördlichen  Issedonen,  die  rhipäischen  Berge,  die  Annichoren  und  an- 
dere Phantasievölker,  vermuthlich  in  einer  scherzhaften  Aufzählung  der 
Völker,  zu  denen  sein  Dichterruhm  gedrungen  sei :  vgl.  Schneidewin,  Conjj. 
crit.  p.  47—30.  —  So  gedenkt  Pindar  der  Hyperboreer  (Ol.  HI  25—29.  50. 
Pyth.  X  45  IT.),  wie  vorher  schon  die  homerischen  '£71(70^01  (Herodot  IV  32 ; 
s.  Welcker,  Ep.  Cycl.  II  399.  Vgl.  bymn.  homer.  VII  29,  mit  Baumeisters 
Bemerkung  p.  338),  später  Antimachus  (fr.  44  8  p.  4  07  StoU.  [s.  indessen 
Meineke,  Steph.  Byz.  650,  5].  Vgl.  Phereniku5  von  Heraklea  bei  Schol. 
Piod.  Ol.  Hl  28.  Tzelz.  Chil.  VII  680  ff.)  und  der  hellenistische  Dichter 
Simmias  von  Rhodus  (dv  'AiröXXcuvt,  wo  auch  von  den  Üfxtxuve«  die  Rede 
war.     Steph.  Byz.  s.    Hpiix'jve«,  Tzetzes  Chil.  VII  693  ff.). 


—     176    — 

ausbildenden  Nei{{ung  der  Zeit  p^enwlss,  auch  solche  Wunder  nur 
als  Gegenstiindc  einer  auf  alle  Din^e  und  Vorgünfzie  der  Welt 
gerichlelen,  ernsthaflen  und  unersättlichen  Wissbef|;ierde.  Lustig 
zu  stehen  ist  nur,  wie  man  nun  diese  wunderlichen  Erfindungen 
ganz  ehrbar  in  die  übrigens  durchaus  prosaisch  genauen  und 
nüchternen  Berichte  von  Natur  und  Sitten  ferner  Länder  hinein- 
trug, und  wie  denn  schliesslich  die  urgriechis(*he  »Lust  zu 
fabulirenu  immer  wieder  den  hellen,  mit  klu«;er  Neugierde  iiuf- 
me.rken(l(*n  griechischen  Verstand  in  ihre  ausgelassenen  Wirl>el 
hineinzirlit.  Als  Vertreter  dieser  absonderlichen  Vermischung 
von  riclitiger  Beobachtung  und  phantastischer  Fabel  mag  für  die 
nordischen  Lilnder  Pytheas  von  Massilia  genannt  werden  i). 
Vor  allem  aber  S4*limückte  uriechisclie  Phantasie  den  Süden  mit 
den  buntesten  Wundern,  und  mehr  als  alle  andre  das  falielhafte 
Land  im  Südosten,  das  Land  der  Inder,  wo  die  üppigste  Bildungs- 
kraft der  Natur  die  menschliche  Kinbildungskraft  selbst  zur 
wetteifernden  Fortsetzung  ihrer  Wunderschöpfungen  aufzufordern 
schien.  In  dreifacher,  durch  S k  y  1  a  \ ,  K  t  e s  ia s ,  M  ega sth e n es ^i 
vertretenen  Stufenfolge  erschloss  die  griechische  Forschung,  in 
inuner  genauerer  und  im  Ganzen  erstaunlich  treuer  Schilderung, 
die  Keuntniss  des  wunderreichen  Landes  und  seiner  Bewohner; 


1j  Die  Reisen  des  Pytheas  nach  dem  Norden  Kuropas  fanden  etwa  zu 
gleicher  Zeit  mit  Alexanders  des  Gr.  Ernberun|;szü^en  in  Asien  statt:  vgL 
Fuhr  Pytheas  v.  Mass.  p.  43,  MüllcnhofT,  1).  Alt.  I  ä36.  Seine  Boriclite, 
>^ eiche  schon  dem  Kratoslhenes  ernster  perürksicliligung  ^erth  erschienen, 
sind  durch  kritische  Betrachtung  im  Allgemeinen  von  dem,  seit  Polybius  und 
Strabo  ihnen  anhaftenden  Verdacht  der  Lügenhaftigkeit  immer  enischiedeoer 
befreit  >^orden.  Gleichwohl  hielt  er  sich  nicht  ganz  fixM  von  Fabeleien:  man 
denke  an  seine  ErzUhlungen  von  dem  oufxptfxa,  7:Xc'jfi.ovi  HaXaTTU;>  ioix6;,  in 
welches  hoch  im  Norden  Erde,  Luft  und  Wasser  übergingen  (Strabo  U 
{>.  104;,  von  den  Panotiero  und  llippopoden  (Mela  III  6:  von  Müllenhoff 
p.  40t  AT.  auf  Pytheas  zurückgeführt^  von  Lipara  (MüllenhofT  367  f.  vgl. 
Cirimm,  D.  Myth.  440). 

2)  Man  darf  in  der  Tliat  nur  diese  drei  Männer  als  die  Vertreter  selb- 
stündiger  Forschung  ül>er  indische  Dinge  nennen ;  aus  Megasthenes  sc^hOpf- 
ten  wesenUich  die  späteren  Geographen,  auf  Skyla\  aber  gehen,  nach  der 
wahrscheinlichen  Annahme  Schwanebecks  (Megaslhenis  Indica  ,  Bonn  1846» 
p.  6;,  die  indischen  Berichte  des  Hecatoeus  (fr.  174  —  479  F.  bist.  gr.  I 
p.  M)  und  des  Herodol  (111  98—105.  106.)  zurück.  —  Die  nach  den  Aus- 
sagen griechischer  Kaufleute  zusammengestellten  Berichte  des  Ptolemaeus 
liegen  diesseits  der  hier  zu  berücksichtigenden  Zeit. 


—     177     — 

in  gleichem  Maasse  steigerte  sich  aber  auch  die  Lust,  zu  allem 
Wunderbaren  der  Wirklichkeit  auch  noch  die  allerseltsamsten 
Wahnbilder  der  Märchenphantasie  in  so  reicher  und  fremdartiger 
Umgebung  anzusiedeln.  Ks  ist,  als  ob  die,  aus  dem  Leben  und 
den  thätigen  Gedanken  der  Griechen  mehr  und  mehr  verdrängte 
dichterische  Wunderlust  sich,  als  in  einen  lelzten,  schützenden 
Unterschlupf,  in  das  Bereich  der  nunmehr  allmächtig  werdenden 
Wissenscha  ft  gefluchtet  hätte.  Machlen  diese  ethnographischen 
Fabeln  die  übrigens  so  ernsthaften  Werke  jener  Reisebeschreiber 
zu  halben  Märchenbüchern,  so  darf  es  uns  auch  nicht  weiter 
in  Erstaunen  setzen,  eben  diese  seltsamen  Berichte  aus  Westen 
und  Osten,  aus  der  limhUllung  authentischer  und  richtiger 
Nachrichten  herausgeschält,  säuberlich  zusaunnengestellt  zu  sehen 
in  einer  eignen  Art  alexandrinischer  Schriftwerke,  jenen  gelehrten 
Sammlungen  von  «Paradoxa«,  deren  erster  Urheber  kein  Ge- 
ringerer als  Kallimachus  gewesen  zu  sein  scheint').  In  Wahr- 
heit bereitete  nun  diese  phantastische  Art  der  ethnographischen 
Schilderung  eine  eigne  Gattung  förmlicher  Heisedichtung  in 
prosaischer  Form  vor.  Denn  fast  ohne  ihr  Wissen  hatte  sie 
einer  sonderbaren  Art  fremdländischer  Poesie  den  Eingang  in 
die  griechische  Litteratur  eröffnet.     Wenigstens  für  Ktesias  und 


1  Kallimachus  der  älteste  Sammler  von  Haufidaia  %at  ;:apdöoSa :  Wester- 
mann  riapaoo;oYpa^ot  p.  X,  0.  Scboeider,  Callim.  II  p.  330.  Die  meisten 
Sammler  dieser  Art  richteten  übrigens  ihre  Aufmerksamkeit  mehr  auf  wun- 
derbare Erscheinungen  in  der  Welt  der  Pflanzen,  Thiere,  Metalle,  Flüsse 
und  Quellen,  als  auf  Eigenlhümlichkeiten  der  Ethnographie  (obwohl,  nach 
dem  Vorgange  des  Ephorus,  auf  sonderbare  Sitten  fremder  Völker) .  Ethno- 
graphische Raritäten  und  Wunder  hatte  aber  z.  B.  der  Geograph  Protago- 
ras  im  sechsten  Buche  seiner  FecDfxeTpta  xf^c  olxoufx^vt);  gesammelt:  s.  Pho- 
Uus  bibt.  cd.  488  (vgl.  Westermann  p.  XLIII) ,  auch  Isigonus  von  Nicaea 
in  seinen  ''A-tora  (vielleicht  auch  Agatbarchides  von  Knidus;  sofern  der 
bei  Photius  cd.  2t 3  corrupt  überlieferte  Titel  einer  Schrift  dieses  Autors: 
^i:iTO(j.V]  Twv  fluY^e^pacpÖTcuv  Tepl  fto'jfxioicuv  dvlpiaiv  wohl  eher  als  in :  ir.  ^. 
dxo'jGfifltTODN  oder  divaYvoaafxdTojv  [so  Weslermann  p.  XVII]  oder :  tt.  %.  NÖfxcuv 
[C.  Müller  Geogr.  gr.  min.  I  p.  LVIII],  zu  verändern  sein  möchte  in:  r. 
%auix.  dvÄpcÄrcuv  [abgekürzt  geschrieben  :  dvcuv].i  —  Eine  mittelalterliche 
Sammlung  solcher  antiker  ethnographischer  Fabeleien,  in  welcher  die  wohl- 
bekannten Skiapoden,  Astomoi,  Akephaloi,  Opisthodaktyloi  mit  all  ihren 
Verwandten  wieder  auftreten,  ist  derLibcr  de  monstris,  welchen  nach 
Berger  de  Xivrey  (Traditions  töratologiques)  M.  Haupt  im  index  scbol. 
Berol.  aest.  4  868  wieder  herausgegeben  hat. 

Rohde,  Der  griechische  Roroan.  12 


—     178     — 

Me[>;asthenes  ist  es  vollstündig  erwiesen,  dass  sie  ihre  ErzJfhlungen 
über  die  Wunder  Indiens  aus  dem  Munde  persischer  oder 
indiseher  Berirhterstatler  i^esehöpft  liatlen,  welche  ihnen  in  den 
Sa^^en  von  den  » Schaufelohren«  »SchatlenfUsslern«  i>Ilundsköpren«i 
» Fyj^niüen  u  u.  s.  w.  nur  alle  Miirchen  der  mit  dem  Ungeheuer- 
liehen  so  vertraulich  spielenden  indischen  Volksdichlung  wieder- 
erzühlt  hatten  i).  Der  Fehler  der  frriechischen  Krzlihler  liesland 
nur  darin,  dass  sie,  allzu  ^elehrif;,  jene  Gestallen  der  indischen 
Diehtunfi;  aus  dem  Wolkenreiche  des  Märchens  herunter  zogen 
und  auf  Erden  ansiedelten.  Indien  war  aber  nicht  nur  das 
Vaterland  jener,  von  dem  allzu  empfänjzlicheu  griechischen  Geiste 
willig  aufgenommenen  und  weitergesponnenen  ethnographischen 
Phantastik :  es  scheint,  dass  man  dort  frtihzeitig  auch  begonnen 
habe,  solche  Erfindungen  zum  Gegenstände  einereignen  Art  der 
Poesie  zu  machen.  Dies  liess  sich  jedenfalls  nicht  schicklicher 
ausführen  als  in  der  Form  einer  romanhaften  Reisebeschreibung, 
welche  ihren  Helden  der  Reihe  nach  zu  den  unerhörtesten 
Seltsamkeiten  führen  konnte.  Auf  solche  Reiseromane  konnte 
kein  Volk  des  Orients  leichter  verfallen,  als  das  indisi*he,  dessen 
Kaufleute  schon  in  ältester  Zeit,  und  lange  bevor  selbst  die 
Araber  \Veitere  Seefahrten  wagten,  die  geheimnissvollen  Buchten 
und  Inseln  des  indischen  Oceans  besuchten  2; .     Ihre  schranken- 


1)  Me^a<ithenes  fr.  30  (Fr.  liist.  11  p.  k±k)  ttoruft  sich  gerade  für  seine 
Wunderberk'hte  nuf  die  ErzähluiipMi  der  indischen  (ptXoao^oi.  Vgl.  auch 
Aelian  h.  an.  \VI  20  init.  Noch  die  im  sechsten  Jahrhundert  n.  Chr. 
nach  Alexandria  kommenden  Indier  crzöhlten  von  piovoTcoocg  avi^paiiroi,  sie- 
henköpfigen  Drachen  und  andern  Mirakeln  ihrer  Heimath :  s.  Damascius  vila 
Isidori  §  07  p.  t26,  39  fT.  West.  Ktesias  berichtete  die  indischen  Fabeln 
nach  persischer  Ueherlieferung:  Photius  bihl.  cd.  7i  p.  S6a,  4  ff.  Bk. 
Die  bei  ihm  und  Megasthcnes  erwähnten  £votixtovtec,  iviuToxoiTai,  tbroXixvoi, 
oxidl7?ooe(,  p.ov^xa>>.ot ,  wx'jttooc;  ,  xuvoxecpa/.ot ,  (AONOfifiaTot  u.  s.  i^'.  sind  als 
(ieschüpfe  der  indisclien  Phantasie  aus  dem  Mahabharata  und  Kdm^yana 
nachgewiesen  von  Schwanebe(*k  Megasth.  Indica  p.  66  fT.  und  Lassen  lud. 
Alt.  11  ATH  fr.  ('Die  von  Meg.  erwähnten  'A3T0(A0t,  welche  nur  von  dem 
Duft  von  Blumen  uml  Braten  leben,  sind,  nach  Schwanebeck  p.  69,  in  in- 
dischen Quellen  nicht  nachweisbar.  Ich  fühlte  mich  dabei  immer  an  den 
im  Anfang  des  Baital  Pachisi  (p.  46  Oest.j  erwähnten  Büsser  erinnert,  wel- 
cher, mit  den  Füssen  an  einem  Baume  hängend,  nur  von  cingeathmetem 
Rauche  lebt.  Die  "AaTOfioi  kennt  übrigens  auch  der  Liber  de  monstris  c.  tk 
p.  98  Berger;. 

2)  üeber  die  frühen  Seefahrten   indischer  Kaufleute   nach   Ceylon   und 


—     179     — 

lose,  die  klare  und  genau  hegriinzte  Wirklichkeit  durchaus  in 
ein  zauberhaftes  Getriebe  Übernatürlicher  Gewalten  auflösende 
Einbildungskraft  musste  ihnen,  auf  solchen  Fahrten,  jedenfalls 
die  ausschweifendsten  Wunder  vorspiegeln.  Nun  scheint  es 
freilich,  als  ob  bisher  irgend  ein  Denkmal  indischer  Reisedichtung 
nicht  bekannt  geworden  würe.  Aber  eine  Widerspiegelung 
solcher,  gegenwärtig  verlorner,  indischer  Erzählungen  darf  man 
unbedenklich  in  einigen  arabischen  Reiseronianen  erkennen, 
unter  welchen  die  Abenteuer  Sindbads  des  Seefahrers  am 
Weitesten  bekannt  sind*).  Man  nimmt  freilich  ziemlich  allgemein 
an,  dass  die  Abenteuer  des  Sindbad  eine  junge,  arabische 
Erfindung  seien  2).  Indessen  scheint  mir  dies  wenig  glaublich. 
Die  arabischen  Kaufleute,  Reisebeschreiber  und  Geographen 
zeigen  sich  überall  als  sehr  nüchterne,  klare,  ja  skeptische  Reob- 
achter  fremder  Länder  und  Zustände.  Mögen  also  von  arabischen 
Reisenden  etwa  die  vollkommen  richtigen  Nachrichten  über 
Eigenthümlichkeiten    der  Thier-    und    Pflanzenwelt    herrühren, 


darüber  hinaus,  und  nach  Arabien  s.  Lassen  Ind.  Alterlhun)sk.  II  p.  578  ff. 
Die  Araber  waren  in  jener  frühen  Zeit  noch  keine  Seefahrer  in  grösserem 
Stile:  s.  Lassen  p.  58i  fT. 

\)  Ausser  den  Reisen  Sindbads  des  Seefahrers  vgl.  man  »The  story  of 
Seyf-el-Mulook  and  Bedeea-el-Jemäl«  in  Lane's  1004  nighls  III  p.  308— 37t, 
die  sehr  merkwürdigen  »Avenlures  d'Abouifaouaris,  surnomm«^  le  grand 
voyageurn  in  1001  Tag  (Cabinet  des  f^es  XV  it31  fT.) ,  den  hindostanischen 
Roman  »Les  avenlures  de  Kamrup«  (s.  oben  p.  50),  die  von  Galland  aus 
dem  Türkischen  übersetzte  »histoire  du  prince  de  Carizme  et  de  la  prin- 
cesse  de  G6orgie«  (Gab.  des  f^es  \VI  211—251). 

2)  Nach  de  Sacy  wären  diese  Abenteuer  »un  roman  vraiment  arabe 
d'origine«;  dieser  Meinung  schliesst  sich  Lane  1001  nights  III  p.  60.  61  an: 
die  Zeit  ihrer  Entstehung  sei  nicht  genau  zu  bestimmen;  indess  leiteten 
die  vielfachen  IJebereinslimmungen  mit  wunderbaren  Berichten  der  arabi- 
schen Geographen  Kazwini  (zweite  Hälfte  des  13.  Jahrh.)  und  Ibn-el-Wardi 
(f  Mitt«  des  14.  Jahrh.)  darauf,  in  den  Erzählungen  dieser  Forscher  die 
Quellen  der  gleichartigen  Berichte  in  1001  Nacht  zu  erkennen,  und  somit  das 
Härchen  von  Sindbad  für  jünger  als  jene  beiden  Geographen  zu  hallen. 
Wesentlich  gleich  ist  Rcinaud's  Meinung  (Relation  des  voyages  faits  par  les 
Arabes  et  les  Persans  dann  Tlnde  et  ä  la  Chine  dans  le  IXo  siede.  Paris  1845  1 
p.  CLXXV— CLXXX,  fast  wörtlich  wiederholt  in  seiner  Ausg.  der  Geographie 
d'Aboulf^a  I  [Paris  1848]  p.  LXXVI— LXXVIII).  —  Uebrigens  habe  ich 
weder  Richard  Hole's  Commentar  zu  den  Reisen  des  Sindbad  ,  noch  Wal- 
ckenaers  Aufsalz  über  dieselben  (Nouv.  Annales  des  Voyages  1838)  be- 
DQlzen  können. 

\2* 


—     180     — 

weiche  sich  mitten  unt«r  den  eigentlichen  höchst  phantastischen 
Reiseabenteuern  des  Sindbad  finden,  so  wird  man  dagegen  die 
phantastischen  Beslandtheile  dieses  und  verwandter  Reiseromane 
um  so  weniger  als  die  eigne  Krßndung  so  kluger  und  scharfer 
Beobachter  gelten  zu  lassen  haben ,  als  sie  sich,  bei  genauerer 
Betrachtung,  zum  allergrüssten  Theii  als  Trümmer  sehr  alter 
Sagen    mit   Bestinmitheit   erweisen^).     Da    nun   einige   der  be- 

I;  Dies  mag  eine  kurze  Uebersicbt  über  die  bauptsächiichsten  Wuuder- 
bericbte  des  Sindbad  bestätigen.  i.  Reise:  a)  Landunj^  auf  einer  schein- 
))aren  Insel,  die  sieb  ptötzlicb  als  ein  riesiger  Fisch  aus^\eist:  Kazwini  bei 
Lane  p.  83.  Aber  dieselbe  Sage  schon  l>ei  Pseudocallisthenes  III  4  7  (AY) 
fvgl.  Zacher  Pseudokall.  p.  U8  f.j,  und  in  einem  talmudisohen  Märchen 
(Freudenlhal,  Orient  und  Occid.  III  354).  —  b;  Insel  Kabil,  dort  Musik  von 
unsichtbaren  Wesen:  kazwini  bei  Lane  p.  88.  Aber  ein  ähnlicher  Bericht 
»chon  im  Periplus  des  Hanno  (§  U  p.  H  f.  Müller);  vgl.  Masudi,  Les  prai- 
ries  d'or  c.  XVI  (v.  I  p.  343).  —  i.  Reise,  c)  Sindbad,  schlfffend  auf  einer 
einsamen  Insel  vergessen,  findet  sich,  erwacht,  allein;  er  bindet  sich  an 
das  Bein  eines  riesigen  Rokh ;  der  nimmt  ihn,  auffliegend,  mit  in  die  Luft. 
Aehuliche  Luftfahrt  bei  Kazwini,  Lane  p.  94  f.  Aber  K.  citirt  ausdrücklich 
als  seine  Quelle  »thc  author  of  llie  Kitäb-el-Ajaib  (Buch  der  Wunder)«. 
Also  ist  dieser  Sagenzug  älter  als  Kazwini.  In  der  That  findet  sich  dio 
Sage  von  einer,  nut  Zuhülfenahme  eines  Vogels  bewerkstelligten  Luftfahrt 
in  den  Märchen  vieler  Völker:  zunächst  im  Pseudocallisthenes  (LC)  II  44 
(lieber  bildliche  Darstellungen  dieser,  durch  mittelalterliche  Alexanderro- 
mane sehr  berühmt  gewordenen  Luftfahrt  Alexanders,  an  Bauwerken  des 
Mittelalters  s.  Cahicr  Nouv.  niel.  d'archeol.  etc.  (Paris  4874j  p.  165  IT.),  so- 
dann in  der  Vita  Aesupi  c.  27  ff.  (p.  i90  IT.  Eberli.  Vgl.  Basile  Pentam.  IV  5 
[IIp.  56  Liebr.j},  in  einer  talmudischenSage  (s.  Heinemann  Vogelstein,  AdnotatL 
ex  litteris  oriental.  petitae  ad  fabulas  quae  de  Alex,  magno  circumfer.  Vrat. 
4  865  p.  15  Anm.  4.),  in  Firdusi's  Erzählung  von  Kai  Chosru  (Görres  Hei- 
denb.  v.  Iran  I  i44  fi*.),  in  indischen,  neugriechischen,  serbischen  Mär- 
chen (Somadeva  c.  26  II  p.  163  f.  Br.  [eine  Parodie:  Bharataka  dvatrinvikA 
bei  Weber,  Ind.  Streifen  I  248];  von  Hahn  Neugriech.  Märchen  II  p.  418, 
I  p.  132;  Wuk  Serb.  Märchen  N.  43  p.  237  f.)  Beiläufig  gesagt:  mit  Un- 
recht .stellt  Lipsius  (Die  (^u.  der  röm.  Petrussage  p.  4  64)  neben  .solche  Er^ 
Zählungen  die  Sage  von  der  Luftfahrt  des  Simon  Magus.  In  dieser  fehlt 
das  wesentlichste  Glied ,  die  Hülfe  des  Vogels ;  ihr  liegt  vielmehr  der 
Glaube  an  die  Fähigkeit  heiliger  .Männer,  sich  in  der  Luft  schwebend  zu 
erhalten,  zu  Grunde,  ein  Glaube,  der,  ursprünglich  von  Indien  ausgehend 
(vgl.  den  Bericht  des  Damis  über  das  Schweben  der  Brahmauen,  bei  Phi- 
lostr.  V.  Ap.  III  15  p.  93,  2G  [ed.  Kayser  1870];  III  17  p.  96,  26;  VI  46 
p.  244,  1;  VI  41  p.  224,  1;  die  zahlreichen  Berichte  vom  Schweben  des 
Buddha  [z.  B.  Spence  Hardy,  East.  Mon.  p.  2,  St.  Julien,  les  Avaddnas  I 
p.  23  f.];  die  Erzählung  des  Ibn-Batüta  [c.  XVII  p.  162  Lee]   vom  Schwe- 


—     181     — 

deutendstcn  sagenhaften  Zttge  sich  schon  jetzt  geradezu  als 
indisches  Gut  nachweisen  lassen,  so  werden  woh]  einsichtige 
Beurtheilcr  wenig  Zweifel  darüber  hegen,  dass  die  eigentliche 
Heimath   nicht   nur   einzelner   Züge,    sondern   des  wesentlichen 

ben  eines  Yogi),  dann  auch  auf  neuplaionische  und  christliche  Heilige 
übertragen  wurde  (z.  B.  auf  den  Jamblichus:  Eunapius  v.  Soph.  p.  43 
Boiss.,  auf  Filippo  Neri :  Goethe  Ital.  Reise  [Werke  in  40  Bden.,  XXIV  p.  9. 
490]  u.  s.  w.).  —  d)  8.,  von  dem  Rokh  im  Diamantenthaie  niedergesetzt, 
bemerkt,  wie  Kaufleutc  Fleisch  hinunterwerfen,  welches  Geier,  sammt 
den  daran  festsitzenden  Diamanten,  in  die  Höhe  tragen;  er  lässt  sich 
selbst ,  in  solches  Fleisch  gewickelt ,  emportragen.  Ebenso  holt  Alexan- 
der d.  Gr.  Diamanten,  nach  Kazwini  bei  l^ne  p.  98.  Aber  K.  mag 
wohl  aus  solchen  Berichten  schöpfen,  wie  sie  jetzt  vorliegen  in  dem 
»Aristoteles«  de  lapidibus  p.  865,  2  (f.  und  390,  27  ff.  ed.  Rose  (Zschr.  f. 
deutsch.  Alt.  XVIII  [4  875]),  ein  Stück  spötester  Alexandersage.  Zudem  er- 
innert Lane  selbst  an  einen  ähnlichen,  viel  alteren  Bericht  bei  Epiphanius 
(derselbe  findet  sich  in  Epiphanii  Opera  cd.  Dindorf  Vol.  IV  p.  490.  494). 
Verwandt  ist  ofrent>ar  auch  die  von  Herodot  111  4  44  mitgetheilte  Sage  von 
der  Kinnamomon-ernte.  —  3.  Reise.  Hier  bildet  den  Mittelpunct  die  Sage 
vom  Polyphem.  —  4.  Reise,  e)  Neger  mästen  die  Gestrandeten  mit  einer 
betäubenden  Speise  und  fressen  sie  dann.  Aehnliches  bei  Kazwini  (L.  400), 
der  sich  aber  auf  einen  älteren  Bericht  (des  Yakoob  Ibn-Is-häV,  the  tra- 
voller)  beruft.  —  f)  Im  Lande  der  PfelTersammler  heirathet  S.*  eine  Einge- 
bome  ,  und  wird  nach  deren  Tode  mit  ihr  begraben  (vgl.  I..ane  p.  404, 
Grimm,  Kindermärchen  III  p.  25  der  8.  Aufl.) ;  aus  der  Grabeshöhle  zeigt 
ihm  ein  Thier  einen  Ausweg.  Dies  Letzte  ein  alter  Märchenzug,  bekannt 
aus  den  Abenteuern  des  Messeniers  Aristodem  (Pausan.  IX  48,  6.  7,  nach 
Rhianus)  Indisch  :  Stan.  Julien  les  Avad^nas  II  p.  45.  — 5.  Reise,  g)  EinRokh 
zertrümmert  das  Schiff  durch  einen  herabgeschleuderten  Felsen.  Aehnlich 
Kazwini  bei  Lane  p.  408,  der  sich  indessen  wieder  auf  einen  älteren 
Bericht  beruft.  —  h)  Ein  alter  Mann,  von  S.  getragen,  schlingt  sich  mit 
seinen  schlaffen  Beineu  unlöslich  fest  um  ihn.  S.  berauscht  ihn,  löst  ihn 
ab,  und  tödtet  ihn.  Aehnlich  Kazwini  bei  Lane  p.  404.  Aber  L.  verweist 
selbst  auf  den  Roman  von  Seyf  Zu-1-Yezen,  und  auf  die  indische  Ver- 
sion derselben  Sage  in  den  Abenteuern  des  Kamrup.  Man  kann  dieses 
wunderliche  Märchen  noch  weiter  verfolgen  (vgl.  die  Erz.  von  Seyf-el-Mu- 
luk,  bei  Lane  4004  nights  III  p.  354  ,  den  georgischen  Roman  Miriani, 
Journal  asiat.  4  835  XVI  p.  468  f.,  den  hindostanischen  Quissa-i-Khawir 
Sbah,  bei  Garcin  de  Tassy,  Hist.  de  la  litt.  bind.  II  559.  Verwandt  wohl  auch 
die  l(MtvTÖiro5£(  und  ifAavrooxeXeic  der  Alten :  Pomp.  Mola  III  4  0,  Apollodor 
bei  Tzetzes  Chil.  VII  766,  Pseudocallisth  (AV)  111  2» ,  vielleicht  auch  das 
Gespenst,  das  dem  heiligen  Hilarion  auf  den  Rücken  sprang  [Hieronymus 
V.  Sti.  Hilar.  Opp.  Paris  4645  fol.  TI  p.  248  E]).  —  6.  Reise,  i)  S.  f^hrt 
schlafend  auf  einem  Floss  durch  eine,  von  dem  Strom  durchflossene  Höhle. 
Aehnliche  Fahrt  auf  einem  unterirdischen  Flusse  in  dem  Roman  von  Seyf 


—     182    — 

Kernes  dieser  arabischen  Reiseromane  Indien  sei^  dassell>e  fabel- 
reichü  Land,  aus  weleheni,  niil  dem  ^esammten  Orient,  auch 
die  Araber  jene   unzähligen   Märchen    und  Novellen   empfingen, 

Zu-I-Yozcn  bei  Lane  p.  109;  auch  in  der  Erz.  von  Ahulfaouaris,  Gab.  des  f^^es 
\V  i86,  dann  in  den  mitteiallerlichon  Sagen  von  llüon  von  Bordeaux,  Herzog 
Krnst  u.  s.  w.  (s.  Bartsch,  Herzog  Ernst  p.  CLX.  Dunlop-Liebr.  p.  478  a}: 
vor  Allem  \^1.  man  die  indische  Erzählung  im  (/.atrunjaya  Mähätmyam 
p.  83  Weber.  —  Die  7.  Reise  enthalt  keine  sagenhaften  Bestandtheile.  — 
Ausser  den  hier  hervorgehobenen  sagenhaften  Zügen  enthalten  die  Reia>e- 
erzahlungcn  des  Sindbad  noch  eine  Anzahl  ethnographischer  und  zoolofti- 
scher  Curiositäten,  welche  allerdings  wohl  .specilisch  arabischen  ßerinhleo 
entlehnt  sind ,  und  sich  grossentheils  schon  in  den  von  Reinaud  [in  der 
oben  näher  bezeichneten  Rclati(ui)  verofTentlichten  Reiset»eschreibungen  am- 
bischer  Kaufleüte  des  9.  Jahrhunderts  finden.  Mit  Kazwini  zeigt  sich 
weder  hier  noch  in  den  eigentlich  märchenhaften  Partien  eine  Aehnlicbkeit 
der  Art,  dass  an  eine  dirncte  Entlehnung  aus  ihm  zu  denken  wäre.  Viel- 
mehr erklären  sich  die  llebereinstimmungen  lediglich  aus  der  Benutzung 
gleicher  Quellen ,  und  leiten,  ihrem  män'henhaften  Theile  nach .  auf  die 
Annahme  der  einstigen  Existenz  älterer  orientalischer Reiitemarchen  zurück, 
dergleichen  gar  mancherlei  umlaufen  mochten,  und  als  deren  jüngere  Reflexe 
man  nicht  nur  die  Reisen  Sindbads  zu  betrachten  hat,  sondern  auch  die 
übrigen  verwandten  Dichtungen  orientalischer  Litteraturen,  von  denen 
einige  oben  p.  4  79  A.  1.  genannt  sind,  und  hier  nur  besonders  die  Abenteuer 
des  Ahulfaouaris  und  der,  mir  nur  aus  einzelnen  Notizen  Lane's  it004  nights 
IH  p.  t09.  p.  520  n.  tl>  bekannte  arabische  Roman  von  Seyf  Za-l-Vezen 
hervorgehoben  werden  mögen ,  weil  diese  beiden,  viel  entschiedener  als 
die  Fahrten  Sindbads,  auf  die  mittelalterlichen  Dichtungen  von  den  Reise- 
abenteuern des  Herzogs  Ernst  und  Heinrichs  des  Löwen  eingewirkt  haben 
'Seyf  Zu-1-Vezen  scheint  das  eigentliche  Vorbild  für  die  Abenteuer  des  H. 
E.  zu  sein;  Abulf.  enthält  auch  einige  Züge  dieser  Sage  [namentlich  den 
Magnetberg,  den,  als  am  [Indus  gelegen,  übrigens  schon  Plinius  n.-  h. 
II  2H  erwähnt*,  vor  Allem  aber  findet  sich  hier  [cab.  des  fees  XV  836  IT.] 
das  orientalische  Urbild  für  die  im  Occident  weitverbreitete  und  nament- 
lich an  Heinrich  den  Löwen  geknüpfte  Sage  [s.  Bartsch  Herzog  Ernst 
p.  CXIV  f.  CXVH  f.i  von  dem  Traumgesicht  des  in  der  Fremde  Weilenden 
von  bevorstehender  Wiederverheirathung  seiner  Frau ,  seiner  zauberhaften 
Rückkehr,  seiner  Ankunft  im  entscheidenden  Augenblicke).  Im  »Sindbad« 
liegt  dann  eine  allerdings  acht  arabische  Verarbeitung  älterer  Reisemir- 
chen  mit  ausgewählten  Seltsamkeiten  aus  den  Berichten  der,  seit  dem 
9.  Jahrb.  den  fernsten  Osten  besuchenden  arabischen  Kaufleute  vor.  Aber 
den  Kern  der  märchenhaften  Berichte  für  ursprünglich  arabisch  zu  halteo, 
haben  wir  keinen  Grund.  Wenn  wir  hierfür  ein  Vaterland  zu  suchen  hät- 
ten, so  würde  uns  vielmehr  Alles  nach  Indien  weisen.  Denn  hierauf 
führen  die  unter  c,  g,  h,  i  nachgewiesenen  indischen  Parallelen  zu  den 
Erzählungen  des   Sindbad ,    insofern  die  sicheren   Ergebnisse  der  verglei- 


—     183    — 

welbhe  dann  allerdings  zuletzt  durch  ihre  Vermittlung  in  die 
westliche  Welt  hintihergeleitet  wurden  ^) . 

Es  scheint  nun  kein  Grund  vorzuliegen ,  warum  man  die 
indische  Phantasie  sich  nicht  schon  zur  Zeit  einer  innigeren 
Berührung  mit  den  griechisch-orientalischen  Reichen  der  Dia- 
dochen  mit  der  Ausspinnung  solcher  abenteuerlich  reizender 
Reiseromane  beschäftigt  vorstellen  sollte.  Ja  es  Hesse  sich  wohl 
denken,  dass  die  eben  damals  in  griechischer  Litteratur  auf- 
tauchende Gattung  frei  erfundener  Reiseniürchen  nicht  ganz 
ohne  Einfluss  orientalischer  Vorbilder  sich  entwickelt  habe. 
Zeigen  nicht  solche  Erzählungen  wie  z.  R.  der  alsbald  noch 
etwas  nüher  zu  betrachtende  Rericht  des  J  a  m  b  u  1  u  s  von  seiner 
angeblichen  Fahrt  nach  einer  wunderreichen  Insel  des  fernsten 
südlichen  Meeres  mit  den  Abenteuern  des  Sindbad  die  auffallendste 
Charakterverwandtschaft  ? 

Sicher  ist,  dass,  nicht  ohne  Einfluss  der  orientalischen 
ürbewohner  und  Nachbarvölker,  in  den  griechischen  Reichen  des 
Orients  jene  absonderliche,  acht  orientalische  Poesie  des  Aben- 


chenden  Märchenkundc  uns  ohne  Weiteres  berechtigen,  den  indischen 
Berichten  unter  den  orientalischen  die  Priorität  zuzuschreiben.  Die 
letzte  Parallele  (i)  ist  ohnehin  viel  höheren  Alters  als  die  arabischen  Er- 
zählungen, denn  sie  ist  dem  (^alrunjaya  Mj^hätmyam  entlehnt,  dem  älte- 
sten, im  6.  Jahrh.  nach  Chr.  abgefassten  Legendenbuche  der  Jainasecte 
(analysirt  von  A.  Weber,  Abhh.  f.  d.  Kunde  d.  Morgenl.  Bd.  I  No.  4). 
In  den  dort  p.  31  IT.  erzählten  Fahrten  des  Bhimasena  liegt  ein  sehr  be- 
achtenswerther  Rest  acht  indischer  Reisemärchen  vor,  von  deren  einstiger 
Fülle  sonst  nur  versprengte  Trümmer  erhalten  oder  bekannt  geworden 
sind.  (Hier  auch,  p.  32,  die  [wohl  ursprünglich  griechische:  vgl.  Conen 
oarrat.  35]  Erzählung  von  dem,  für  einen  Andern  in  eine  Edelsteingrube 
Gestiegenen  und  dort  im  Stich  Gelassenen,  die  sich  in  den  Abenteuern  des 
Abulfaouaris  p.  278  fT.  wiederfindet). 

1)  Die  indischen  Reisemärchen,  sofern  sie  eine  feste  litterarische  Ge- 
stalt gewonnen  hatten,  mochten  den  Arabern  (so  gut  wie  die  Erzählungen 
der  sieben  weisen  Meister,  des  Pantschatantra  u.  a.)  durch  persische 
Vermittelung  t)ekannt  geworden  sein.  Zwischen  Persien  und  Indien  bestand 
zur  Zeit  der  Sassanidenherrschaft  ein  lebhafter,  und  zwar  gegenseitiger 
Seehandel  (s.  Reinaud,  Relation  des  voy.  I  p.  XXXV— XXXIX  G^ogr. 
d'Aboulf^da  I  p.  CCCLXXXII  fT.  und  vgl.  was ,  nach  guten  Kaufmanns- 
berichten ,  Kosmas  Indicopleustes  von  dem  Verkehr  persischer  Kaufleute 
mit  Ceylon  im  6.  Jahrh.  n.  Chr.  erzählt:  Top.  Christ,  p.  388.  839  6  u.  s.w.); 
um  so  glaublicher  ist  es,  dass  die  Perser  auch  die  Seefahrermärchen  der 
Inder  kennen  lernten  und  sich  assimilirten. 


—     1S4     — 

leuerlichen,  jener  am  bunt  weehselnden  Spiele  mit  den  Un- 
geheuern Zerrbildern  einer  erreiztcn  Kinbildungskraft  sich 
ver{{nüf;ende  Miirehensinn  cHk^Ii  die  {griechische  Bevölkerung 
allmählich  durchdrun&;en  haben  nmss.  und,  ein  neues  Feld 
fzrenzenloser  Ertindun^  eröHnend,  dazu  bei|j;elragen  hat,  die 
ächte  griechische  Weise  der  seelenvolh^n  Darstellung;  des  einfach 
(■rossen,  Schönen  und  Annmthi}j;en,  vor  Allem  des  Menschlichen, 
der  Bevölkerung  jener  Reiche  immer  fremder  zu  machen  und 
die  ei&;enlhümliche  Vorstellun^swelt  des  Mittelalters  vorzul>ereilen. 
Dies  zei^t  sich  sehr  deutlich,  wo  einmal  neben  der,  durchaus 
auf  Vorausselzunticn  einer  der  griechisch-orientalischen  Volks- 
bildunf;  immer  fremder  werdenden  Ver^aufzenheit  ktlnstiich 
erbauten  Hofpoesie  jener  Zeiten  eine  populäre  Dichlun^sweise 
den  Li(d>lin^sträumen  der  Volksphantasie  (icslalt  fiiebt. 

Wir  besitzen  in  dem.  unter  dem  Namen  des  Kall  ist  henes 
überlieferten  Volksbuche  von  dem  Leben  und  den  Thaten  Alexan- 
ders des  (i rossen  ein  {;elreues  Abbild  der  sehr  wunderlichen 
Vervvandlun{j;  welche  die  schinunernde  .lün^linf;s$4estalt  des 
macedonischen  Eroberers  in  der  Vorstellunf^  der  griechisch- 
orientalischen Völkerschaften  allmählich  erfahren  hatte.  Hier 
sind  die  wirklichen  Krei^^uisse  seines  Lebens  kaum  in  ihren 
nothdUrfti^sten  Grundlinien  erhalten :  der  von  diesen  Linien 
umschlossene  lidialt  ist  ein  (zanz  neuer  und  fremdartiger  gewonlen. 
Aber  gerade  die  Naivetät,  mit  welcher  hier  die  (icschichte 
durchaus  in  bedeutungs\olle  Sage  umgewandelt  ist,  beweist  auf 
das  Eindringlichste,  dass  der  wesentliche  Inhalt  dieses  seltsamen 
Romans  nicht  der  Willktlr  eines  Einzelnen  entsprungen  ist, 
sondern  dass  uns  in  ihm  eine  ächte  Volksdichtung  vorliegt, 
welche,  etwa  zur  Zeit  der  letzten  Ptolemäer  zuerst  in  eine  feste 
(■estalt    gebracht  ^:  ,     weiterhin,    um     ihrer    grossen    Beliebtheil 


1  Dass  die  Fabel  in  Aleiandria  zur  Zeit  der  Ptolemaerlierrschafl  eot- 
stand  Uli  sei,  hat  C.  Müller  introduct.  p.  X\  ff.  genugsam  be'^ie&en. 
Sehr  wahrscheinlich  ist  es,  dass  auch  die .  an  die  rechtmässige  Herrschaft 
der  Ptolemäer  so  deutlich  anknüpfende  Öltesle  Aufzeichnung  der  Sage 
noch  in  die  Zeit  des  ptolemäischen  Regimentes  falle.  Zacher  Pseudocall. 
p.  102  setzt  freilich  die  ültestc  Aufzeichnung  erst  nach  100  p.  Chr.:  aber 
das  hierfür  geltend  gemachte  Citat  aus  Favorinus  l)ci  Julius  Valeriu:» 
und  in  der  armenischen  ücbersctzung  kann  als  genügender  Anhalt  für  die 
Aufstellung  dieses  Terminus  post  quem  nicht  gelten.  Denn  warum  könnte 
nicht  jenes  Citat,  welches  Ja  nicht  nur  in   BC .   sondern  auch   in   A   fehlt, 


~     185    — 

willen,  einer  unaufhörlichen  Um-  und  WeilerdichUmg  unter- 
worfen wurde*).  Eine  genauere  Analyse  der  einzelnen  Acte 
dieser  heroischen  Handlung,  welche  sich,  trotz  der  Verwirrung 
und  Verschlingung,  in  welcher  sich  uns  gegenwärtig  Alles  dar- 
bietet, gleichwohl  noch  mit  ziemlicher  Zuversicht  durchfuhren 
lüsst,  ergiebt,  dass  in  der  ursprünglichsten  Form  der  Erzilhlung 
der  auch  gegenwärtig  noch  so  deutlich  zu  erkennende  orien- 
talisch-griechische Charakter  der  Sage  noch  weit  entschiedener 
hervortrat.  Von  dem  Hintergrund  seiner  europäischen  Heimath 
fast  völlig  losgelöst,  erschien  der  grosse  König  darin  noch  aus- 
schliesslicher als  der  Eroberer  und  Ordner  des  Ostens,  als 
welcher  er  allein  für  die  Völker  Asiens  und  Aegyptens  eine 
Bedeutung  hatte ^).    Dieser  orientalische  Charakter  des  Alexander- 


ersl  in  einer  besondern  griechischen  Version  des  ursprünglichen  Textes, 
aus  welcher  die  so  nahe  verwandten  Jul.  Val.  und  Armen.,  als  aus  einer 
gemeinsamen  Quelle  schöpften,  hinzugesetzt  sein? 

1)  Die  älteste  der  uns  erhaltenen  Redactionen  des  Romans,  diejenige 
des  cod.  A.,  muss  vor  dem  J.  340  n.  Chr.  abgeschlossen  sein,  da  Julius 
Valerius,  welcher  einen  zu  der  Familie  A  gehörigen  griechischen  Text  üt>er- 
setzt,  schon  wieder  benutzt  worden  ist  in  dem,  zwischen  340  und  345 
geschriebenen  Uinerarium  Alexandri.  S.  Zacher  p.  44 — 84.  Ueber  das  all- 
mähliche Anwachsen  der  einzelnen  Beslandtheile  s.  einige  Vermuthungen 
bei  Müller  p.  XXV  f.  (wobei  man  nur  die  ganz  unwahrscheinliche  An- 
nahme einer  Benutzung  des  'AXe^avopiaxö;  des  Solerichus  Oasita  in  Abzug 
bringen  muss).  Im  Allgemeinen  wird  man  wohl  nicht  irre  gehen,  wenn 
man  die  lebhaflcsle  Thüligkeit  an  der  Ausbildung  der  Sage  sich  in  den 
ersten  Jahrzehnten  des  dritten  Jahrhunderts  lebendig  denkt,  wo  die  Kaiser 
Caracalla  und  Alexander  Severus  mit  dem  Andenken  und  den  Reliquien 
des  grossen  Macedonicrs  einen  abenteuerlichen  Cultus  trieben  (siehe  über 
Car.  Cass.  Dio  77,  7.  8,  über  AI.  Sev.  Lampridius  v.  AI.  Sev.  30,  3.  31,  3. 
64,  3),  und  auch  die  Phantasie  des  Volkes  in  den  östlichen  Provinzen  des 
Reiches  sich  leidenschaftlich  mit  der  nie  vergessenen  Wundergestalt  Alexan- 
ders beschäftigte:  wie  dieses  namentlich  der  wunderliche  Zug  des  wieder- 
erstandenen Alexanders  unter  der  Regierung  des  Elagabalus  beweist,  von 
dem  Cassius  Dio  79,  18  erzählt  (vgl.  Jac.  Burckhardt,  Constantin  p.  262). 

2)  Das  Folgende  kann  ich  hier  nur  als  Thesen  hinstellen.  Es  gab  eine 
Gestalt  der  Alexandersage  vor  der  uns  bekannten  ältesten  (AV.):  darin 
waren  des  Königs  Kampfe  in  Griechenland  (Theben,  Athen)  gar  nicht 
erwähnt.  Ueher  dieser  ursprünglichsten  Gestalt  der  Erzählung  bildeten 
sich  zwei  Schichten,  a)  Man  fand  eine  Erwähnung  der  griechischen  Dinge 
doch  nötbig,  und  »chob,  seltsam  genug,  die  Erzählung  davon  nach  der 
Schlacht  bei  Issus  ein,  indem  man  den  König  plötzlich  nach  Hellas  zurück- 
führte, und  nach  der  Zerstörung  Thebens,  Unterwerfung  Athens  und  Spar- 


—     IS6     — 

ronians  —  den  Übrigens  die  Vorliebo,  mit  welcher  die  asiatischen 
Völker  im  Miltelaller  und  bis  in  neuere  Zeiten  jj;erade  diese 
Alexandersaf!:e  des  Pseudokallislhenes  sieh  aneii^nelen  und  in 
ihrer  Art  weiter  ausbihleten,  zu  l>ekräf(igen  dient  ^)  —  zeigt 
sich  nun  {jsanz  besonders  khir  wenn  man,  noch  tlber  die,  in 
AU^xandria  fest jzest eilte  illlesle  Forni  der  fzesanunten  Krz^hlung 
hinausgehend,  (iber  das  Alter  der  dort  zu  einem  nicht  durchaus 
einheitlichen  (ianzen  verein ij^ten  einzelnen  Hestandt heile  sich 
Rechenschaft  zu  Lieben  versucht.  T)a  erkennt  man  nämlich 
leicht,   <Iass   kein  Theil    dieser   wunderlichen   Com|K)sition    älter 

tas,  wie  (luivh  ciiiu  piötzlicho  Entriirkun^!,  vormitti^lst  der  Phrase:  xdixci9ev 
,v(»n  Siparta)  iijfi(xr,aev  ei;  xa  fxepTj  toiv  j3ap3d|io>v  oid  rrj;  Ki).»i(a;,  wiederum 
ins  lierz  Asiens  verselzle.  Si>  in  AV,  weh'lie  die  ünieca  1  4i — II  6  ein- 
srhiehen  iurspruii^lirti  sriiloss  sicth  an  I  41  ;;!leich  \\  7  .  h)  An  dieser 
Stelle  fanden  die  Graera  srlion  diejenigen  ,  welche  sich  der  natürlicheren, 
der  wirklichen  (ieschichte  enlspnn'henden  8lellnn{4  dieser  Ereignisse  er- 
innerten, die  Drheher  der  durch  BC  verlret^^nen  Version.  Sie  setzten  sie 
daher  vor  die  asiatische  Expedition  (I  i6  — i9j,  verfassen  at>er,  den,  in  A 
ihnen  vorliegenden  Rückzug  nach  (iriechenland  nun  völlig  zu  vertilgen; 
nunmehr  Hessen  sie  den  Anfang  dieses  Rückzuges  [1  42—4  4,  stehen  (wor- 
aus ehen  hervorgeht,  dass  sie  nicht  etwa  parallel  mit  AV  die  ursprüng- 
lich fehlenden  (iraeca  einsetzten  ,  sondern  sie  nur  an  eine  andere  Stelle 
verptlanzten.;.  -  Die  ursprünglichste  (jestalt  der  Sage  zeigte  in  dem  völli- 
gen Vergessen  der  griechischen  Angelegenheiten  sehr  deutlich  ihren  rein 
orientalischen  (Charakter ;  es  ist  nicht  unhedeutsam,  dass  in  der  Be- 
arheitung  der  Alexandersage  durch  Firdusi  die  Kämpfe  in  Griechenland 
wieder  vollshlndig  verschwunden  sind.  —  Den  ursprünglichen  Kern  der 
erzählenden  Theile  kann  man  sich,  der  t'ehersichtlichkeil  wegen,  in  4  0  Acte 
zerlegen,  deren  wesentlicher  Iidialt  etwa  folgendermaassen  zu  bezeichnen 
wäre:  1.  Nectaneho,  aus  Aeg\plen  fliehend,  kommt  nach  Macedonien  und 
schwängert  die  Olympias.  t.  Alexanders  <iehurt ,  seine  Jugend ,  bis  zu 
Philipps  Tod.  3.  AI.  zieht  nach  Afrika,  (irundung  von  Alexandria.  4.  Er- 
oberung von  Tyrus.  Schlachl  hei  Issus.  5.  AI.  geht  ^Is  sein  eigener  Ge- 
sandter ins  Lager  des  Darius.  Schlacht  am  SIranga.  Ermordung  des 
Oarius.  6.  Porus.  7.  Die  Brahmancn.  8.  Candace.  9.  Amazonen.  4  0.  Tod 
Alexanders  in  Hab\lon. 

li  Es  kann  als  vollkonmien  bewiesen  angesehen  werden,  dass  alle  bis 
jetzt  bekannt  gewordenen  orienlalischrn  Versionen  der  Alexandersage  au 
den  Roman  des  Pseudocallisthenes  zuru<'kgelien.  Nur  verwandelt  natür— 
tich  die  iranische  Sage  den  konig  aus  einem  Sohn  des  Nectanebo  in 
einen  Sohn  des  rechtmässigen  persischen  Herrschers,  des  Dara,  iwodurclv 
also  lUpsat  oixTjieOvT'xi  A>i;avof»fjv  —  um  die  Worle  des  Herodot  [III  i],  be« 
Gelegenheit  einer  ganz  analogen  Aneignung  des  Kambvses  von  Seiten  der 
Aegypler,  zu  parodiren;  vgl.  Dinon  fr.  H,  Polyaen.  VUi  29). 


—     187     — 

sei,  als  die,  in  die  Erz<ihlung  an  mehreren  Stellen  eingelegten 
Briefe,  in  welchen  der  König  »elbsl  von  seinen  Zügen  in  die 
fernsten  Liinder  des  Ostens  berichtet.  Diese  Briefe  sind  ganz 
ersichtlich  ohne  alle  Rücksicht  auf  die  uns  vorliegende  eigentliche 
Erzählung  vcrfasst,  der  sie  sogar  in  manchen  Einzelheiten  wider- 
sprechen. Andrerseits  kann  man  aus  dem  lockern  Geftlge  des 
Romans  die  in  diesen  Briefen  erzählten  Erlebnisse  nicht  heraus- 
nehmen, ohne  die  wesentlichsten  Ltlcken  hervorzubringen,  welche 
durch  keine  erzählende  Partie  des  Ganzen  ausgefüllt  würden. 
Es  ist  eben,  bei  der  Anlage  des  Ganzen,  schon  auf  jene  Briefe 
gezählt ;  der  Erzähler  Hess  mit  gutem  Vorbedacht  an  denjenigen 
Stellen  Raum  in  seiner  Erzählung,  wo  statt  ihrer  die  Briefe 
schicklich  eintreten  konnten.  Dieses  ganze  Verfahren  kann  nicht 
darüber  in  Zweifel  lassen,  dass  schon  vor  der  ältesten  Auf- 
zeichnung und  Gruppirung  der  ganzen  Sage  jene  Briefe  umliefen. 
Was  sie  uns  bieten,  ist  also  wahrscheinlich  der  älteste,  jeden- 
falls wohl  der  am  frühesten  und  weitesten  beliebte,  und  eben 
darum  zuerst  fest  ausgebildete  Kern  der  gesammten  Sage  *) . 


1)  Auch  hier  muss  mir  erlaubt  sein,  die  Ergebnisse  meiner  Unter- 
suchung nur  kurz  hinzustellen.  Es  gab  Darstellungen  der  Alexandersagp, 
welche  alle  hauptsöch liehen  Abenteuer  in  Briefform  vortrugen.  Und 
zwar  existirten  mehrere  parallele  Briefe.  1)  a)  Ein  Brief  des  AI.  an 
Aristoteles  schilderte  seine  Erlebnisst;  (von  welchem  Puncte  an?)  bis  zu  der 
Zusammenkunft  mit  den  Brahmanen  (Jul.  Val.  IH  17  p.  130  b  Müller:  »nam 
cetera  tibi,  ad  Brachmanas  usque,  pracmiseram.}.  Daran  schloss  sich 
ß)  ein  Brief  an  Arist.,  welcher  die  weiteren  Züge,  nach  Prasiaca  berich- 
tete: hiervon  einige  Trümmer  aufgenommen  in  der  Briefmosaik  III  17, 
nämlich  a  —  c  (AV),  nach  Zachers  zweckmässiger  Bezeichnung.  — !2)  Ein 
Brief  an  Aristoteles,  unmittelbar  nach  der  Besiegung  des  Darius  beginnend, 
schilderte  den  Zug  nach  Prasiaca  (wohin  man  das  Reich  des  Porus  ver- 
setzte :  man  erinnere  sich  ,  dass  schon  ein  angeblicher  Brief  des  Kraterus 
ao  seine  Mutter  den  AI.  bis  an  den  Ganges  ziehen  Hess:  Strabo  XV  p.  702). 
Hiervon  Reste  in  III  17  d  —  k.  Nach  vielen  Beschwerden  sind  die  Wan- 
dernden  endlich  nach  Prasiaca  gekommen  (nicht  »wieder«  »wieder  zu- 
rück« nach  Pr..  wie  Zacher  p.  159  paraphrasirt.  So  müsste  es  allerdings 
sein ,  wenn  eine  organische  Vorbindung  zwischen  d  —  k  und  a  —  c  be- 
stünde, denn  freilich  ist  in  c  das  Heer  ja  schon  in  Pr.  gewesen.  Die 
gänzliche  Zusammenhanglosigkeit  der  nur  willkürlich  aneinandergehängten 
Briefe  tritt  aber  gerade  darin  hervor,  dass  hier  in  K.  das  Heer  keineswegs 
wieder  nach  Pr.  kommt,  sondern  zum  ersten  Male:  denn  nichts  anderes 
kann  man  doch  aus  den  Worten  in  A  p.  122b,  16  (-i^X9op.ev  ei;  ttjv  xard 
^9iv  6^v  n^iv  9^ouoav  ei;  rfjv  flpaaiaxTjv  ir<iXiv)  und  bei  Valerius  p.  124  a, 


—     ISS     — 

An  dic^sen  Briefen  zeif^t  sich  nun  iin{j;en)ein  deutlich,  was 
eigentlich  an  den  Thaten  des  Königs  die  Phantasie  des  Volkes 
fesselli?.  (Jern  erfreute  man  sich  —  wie  so  mancher  sinnreiche 
Zug  der  eigentlichen  Krzählung  des  Pseudokallisthencs  beweist 
—  an  dem  ritterlich  hohen  und  edlen  Sinne  des  Helden:    aber 


U  PrHSJHca  advcntiihamus)  herauslesen,  ^io  ja  denn  auch,  in  d,  die  ^pyt) 
Tfj;  r'jpeia;  keineswe{;s  von  Pnisiaoa ,  sondern  von  den  Porlac  Caspiae  aus 
geschieht;.  Prasiac«  wird  erobert  (ix'jpieuaafjLev  tq;  llpaataxf^c  TroXeo»;  A 
p.  4^22  h,  23 j.  Hier  nun  eine  Lücke  in  AV,  welche,  nach  meiner  Mei- 
nung, aus  der  in  hiteinis<*her  Uehersetzung  einzeln  vorhandenen    Epistola 

Alexandri  Magni  de  situ  Indiao ad  Aristotelem  praereptorcm  säum 

(cd.  princ.  s.  a.  Lutetiae,  von  Jacohus  Colineus  Catalaunensis)  zu  ergänzen 
ist.  Nach  Besiegung  des  l*orus  (zu  dem  vorher  Alexander  als  sein  eigener 
Gesandter  [und  Spöherj  gegangen  isl,  wie  schon  früher  zu  Darius:  11  14  f. 
Ein  merkwürdig  ^eit  verbreiteter  Sagenzug:  Aehnliches  wird  erzählt  von 
Constantin  d.  Gr.  in  Paneg>r.  IX  18  p.  586  fT,  ed.  Arntzen,  von  Galerius, 
hei  Kutrop.  IX  35  und  Synesius  de  regno  p.  19  A  ed.  Pet. ,  von  Bahrain 
von  Persien  bei  Firdusi  IGörres  II  139],  \on  Shapor  II  von  Persien  [s.  Nöl- 
deke  Ztsch.  d.  d.  morgenl.  Ges.  1874,  p.  277.  292])  schenkt  AI.  diesem 
sein  Reich  zurück  und  zieht  nun  in  Begleitung  desPorus  weiter,  dem 
Meere  zu,  wo  sich  denn  immer  neue  Wunder  andrängen.  (Diese  Darstel- 
lung konnte  freilich  der  Pseudocallisthenes  nicht  gebrauchen,  da,  nach  sei- 
ner Erzählung  III  4  Porus  im  Zweikampf  mit  AI.  gefallen  ist.  Dass  aber 
auch  ihm  eine  durchaus  dem  Gange  der  Krzählung  in  der  Ep.  AI.  analoge 
Form  des  Briefes  ursprünglich  vorlag,  zeigt  die,  auf  eine  Verstürameluiig 
deutlich  hinweisende  Verwirrung  in  A  gerade  an  der  Stelle,  wo  der  omi- 
nöse Porus  einzutreten  hatte:  p.  123  a,  1;  ja  unter  den  Satzbrocken 
schwimmt  sogar  noch  ein  verrätherisches  TjfjiTropo)  herum,  in  welchem 
C  Müller  ganz  richtig  das  ursprüngliche  ouv  IIc6o<{)  erkannt  hat).  Endlich 
kommt  AI.  zu  den  redenden  Bäumen  des  Mondes  und  der  Sonne,  welche 
ihm  seinen  bevorstehenden  Tod  in  Babylon  ankündigen  (diese  Partie  ist  auch 
in  AV,  ja  auch  in  LBC  erhalten :  III  17  1.  Der  angehängte  Schluss:  nun  kehrte 
ich  nach  Persien  zurück,  eireiYoiir^v  oe  Itzi  xa  2^efjiipa]jLeai;  ßdot>.eta  ist 
vielleicht  nur  von  Pseudocall.  hinzugefügt ,  um  einen  Uebergang  zu  sei- 
ner eignen,  alsbald  folgenden  Erzählung  zu  machen.  Was  die  Epist.  ad 
Arist.  noch  w;eiter  an  wunderbaren  Abenteuern  hinzufügt,  mag  aber  eben- 
falls ein  willkürliches  Anhangsei,  und  kein  ursprünglicher  Bestandtheil  des 
Briefes  sein.  Dieser  würde  jedenfalls  schon  und  bedeutend  mit  jeoeir 
wundersamen  Todesweissagungen  schliessen).  —  3)  Brief  des  AI.  an 
Olympias,  den  Zug  von  Babylon  zu  den  goldenen  Säulen  des  Herakles, 
die  Unterwerfung  der  Amazonen  (ohne  Aehnlichkeit  mit  der  Erzählung 
des  Ps-rall.  III  25:  daher  Jul.  Val.  p.  140  b,  28  ganz  schlau  von  ceterae 
quoque  Amazones  spricht},* den  Zug  an  das  Rothe  Meer,  unter  mancherlei 
monströsen  Völkern,  zur  Stadt  der  Sonne  (auf  einer  Insel  im  Meere),  nach 
der  Burg  des  Cyrus  und  Xerxes  schildernd.     Dieser  Brief  ist  im  Ps.  call. 


—     189    — 

am  Liebsten  malte  man  sieh  doch  aus^  wie  er  im  fernsten,  un- 
bekannten Osten  unter  Kämpfen  und  Beschwerden  tief  ins  Reich 
der  Wunder  eindrang.  Hier  konnte  sich  der  Hang  zum  Aben- 
teuerlichen überschwenglich  genug  thun;  und  so  werden  diese 
Briefe  gar  nicht  mUde,  mit  mancherlei,  nach  Zeit   und  Yolksart 


III  27.  28  (AY,  vollständiger  in  LBC),  zwischen  die  Amazonen  und  des 
Königs  Tod  in  Babylon  eingeschoben.  Sein  Ende  scheint  verloren;  AV 
brechen  stumpf  ab;  was  BC  noch  hinzusetzen,  ist  ihre  eigene  Erfindung. 
Es  scheint  aber  nach  den  Worten  bei  Jul.  Val.  im  Beginn  des  Briefes,  als 
ob  auch  die  vor  dem  hier  geschilderten  Zuge  liegenden  Abenteuer  des 
AI.  in  einem  besondern  Briefe  an  Ol.  dargestellt  worden  wären:  so  dass 
also  auch  in  diesen  zwei  [oder  mehreren]  Briefen  an  Ol.  der  ganze  Kreis 
der  sagenhaften  Erlebnisse  des  Königs  umschrieben  gewesen  wäre.  —  Mit 
dem  verlorenen  ersten  Briefe  an  Olympias  hat  schwerlich  etwas  gemein 
4}  ein  Brief  an  dieselbe ,  welcher  in  grössler  Kürze  die  Ereignisse  bis 
zum  Tode  des  Darius  erzählt,  und  dann,  in  weitläufigerer  Darstellung,  von 
deot  Zuge  des  Heeres  in  die  Wüste,  dem  Kampf  mit  ungeheuren  RiescMi, 
von  miraculösen  Bäumen  und  Gelhiercn,  endlich  von  einem  Zuge  in  das 
»Land  der  Seligen«  berichtet.  Dieser  Brief,  in  LB  unversehrt  erhalten, 
füllt  den  Inhalt  von  II  23,  32,  33,  36,  37,  39,  40,  41  (s.  Zachers  Analyse, 
p.  134  ff.).  —  5j  Endlich  handelte  ein  Brief  nicht  des  Königs  selbst,  sondern 
irgend  eines  Mitgliedes  des  Heeres,  von  andern  noch  gröberen  Wundern 
jenes  abenteuerlichen  Zuges  nach  Osten,  welche  schliesslich  in  der  oben 
p.  180  erwähnten  Luftfahrt  cumuliren.  Eine  Art  Epitome  dieses  letzten 
Briefes  bietet  C  in  II  43  dar;  eine  ausführlichere  Version  hat  C  mit  dem 
Briefe  4  zusammen  zu  einer  erzählenden  Darstellung  verarbeitet:  II 
24 — 42.  Aualysirt  man  nämlich  diese  Erzählung,  so  bemerkt  man  leicht, 
dass  sie  zusammenge.setzt  ist  aus  jenem  4ten  Briefe  an  Ol.  und  dem  In- 
halte des  in  II  43  vorliegenden  weiteren  Briefes.  Denn  sicherlich  kein 
Zufall  ist  es,  dass  unter  den,  II  43  aufgezählten  Abenteuern  gerade  die  im 
4ten  Briefe  enthaltenen  ;c.  23.  32.  33.  36.  37—39.  40.  41)  fehlen:  offen- 
bar ist  II  43  eine  kürzere  Fassung  nicht  der  ganzen  Erzählung  in  C  von 
II  24 — 42,  [so  Zacher  p.  134.  142)  sondern  nur  jenes  zweiten  Bestand- 
theiles,  der  mit  dem  Inhalte  des  4.  Briefes  zusammen  die  Erzählung  in 
II  24  —  42  ausmacht.  Jener  zweite  Bestandtheil  wird  uns  nun  freilich  gegen- 
wärtig in  C  (II  24 — 31.  33.  34.  35.  41  und  einzelne  Stücke  in  den  andern 
Capiteln)  als  eine  Erzählung  in  dritter  Person  dargeboten;  dass  aber 
das  Ganze  ;so  gut  wie  die,  aus  Brief  4  in  die  Erzählung  in  C  übertragenen 
Abschnitte)  ursprünglich  in  Briefform  abgefasst  war,  lässt  eine  Nachläs- 
sigkeit in  c.  39  erkennen  wo,  mitten  in  der  Erzählung  von  »wir«  und 
Büos«  die  Rede  ist  (p.  85a,  43.  44;.  Es  erzählte  also  das  Ganze  ein 
Theilnehmer  des  Zuges,  und  zwar  nicht  der  König  selbst  (von  dem  ja 
überall  als  einem  Drillen  geredet  wird)  sondern  irgend  ein  Anderer.  — 
Brief  5  hat  man  längst  als  ein  spätes,  specifisch  jüdisches  Machwerk  er- 
kannt; ob  der,  in  C  mit  ihm  verbundene  Brief  4  ebenfalls  jüdischen  Ur- 


—     190     — 

ihrer  Verfasser  wechselnden  AusschniUrkunfsen,  den  Zug  des 
Konif^s  durch  die  (lehiete  aller  niü^lichen,  zum  Theil  schon  aus 
Ktesias  bekannten  Tn^ethünie  zu  schildern,  seine  Kifnipfe  niil 
unfceheuren  Fahel^escliöpfen  tliierischer  und  halbnienschlicber 
Art,  seine  Abenteuer  bei  der  Fahrt  ins  I^nd  der  Seligen,  ja 
bei  einer  Taucherparlie  in  das  tiefste  Meer  und  bei  einer  ver- 
wegnen Luftfahrt,  seinen  Verkehr  mit  redenden  Vöj^eln,  mit  den 
sin;j;enden  Hiiumen  der  Sonne  und  des  Mondes  u.  s.   w. 

So  kann  uns  dieser  Abschnitt  des  Märchens  von  Alexander 
als  eine  Probe  jener  abenteuerlichen  Ueisepoesie  dienen,  welche, 
beim  Verschwinden  des  Mythus,  von  Osten  her  allmiihlich  vor- 
dran^  und  einen  breiten  Raum  in  der  Litteratur  damab'ger 
Zeiten  ein{j;enonunen  haben  muss.  Denn  diese  Al>enteuer  Alexan- 
ders siml  nicht  viel  mehr  als  ein  zufällii;  erhaltener  Best  einer 
weit  ausgedehnten  Fülle  idinlicher  Miirchen.  Wir  würden  aber 
kaum  eine  Ahnun«:  von  der  Fruchtbarkeit  und  populären  Be- 
deutung dieser  Art  der  Litteratur  haben,  wenn  nicht  das  Zerr- 
bild derselben,  welche  Luc i an  in  seinen  »Wahren  Er- 
/ählun&;en«^  aufgestellt  hat,  uns  aufmerksam  machen  mtlsste. 
Niemand  parodirt ,  und  jrar  mit  so  gewaltsamem  Witze  wie  er 
die  »Wahren  Cieschichteu«  durchzieht,  das  Wirkungslose;  am 
wenigsten  wandte  Lucian  seinen  Spott  an  gleichgültige  und 
verborgene   Thorheiteu    in   jener   späten  Kpoche   seines  Lebens, 


Sprunges  sei,  scheint  mir  wiMiiger  gewiss.  Indessen  liat  Heiiienianu  Vogel- 
steiii  a.  a.  O.  p.  li— ä6  allerdings  selir  wahrscheinlich  gemacht,  dass  die, 
in  Brief  4  liherlieferte  Sag<>  von  dem  Zuge  Alexanders  zum  Paradies  oder 
zur  Quelle  des  Lebens  ans  j  üd  is<*  her  Quelle  in  die  Alexandersage  f^ckommen 
sei  denn  tue  weiteren  (*.oml)inationen  V's.  nach  welchen  die  Sage  den 
Juden  wiederum  \nn  Persern  überliefert  worden  sein  soll,  haben  nichts 
Cel)erzeUKend(*s\  —  Das  Alter  dieser  Briefe  mag  nun  ein  verschiedenes 
sein;  jinlenfalls  sind  aber  alle  von  den  erza  h  I  enden  Theilen  des  Pseudo- 
call,  unabhängig,  insbesondere  Ix'wei^t  für  ilie  Briefe  1,2,  3  die  Art, 
wie  sie  in  den  Zusammenhang  der  Krziihlung  nothttürftig  eingepasst,  ver- 
stümmelt und  durch  Verlusrliung  der  Widersprüche  mit  dem  eraablendeo 
Texte  in  tJebereinstimmung  gesetzt  worden  sind,  dass  sie  keinesfalls  von 
dem  t  rheber  der  übrigen  Erzühlung  selbst  verfassl,  sondern  von  ihm  schon 
vorgefunden  und  seinem  \V<'rke  nur  eingewolten  worden  sind.  Doch  hier- 
über kann  ich  mich  jetzt  nicht  genauer  auslass«Mi. 

I)  Man  giebt  dieser  S<*hrifl  gewöhnlich  den  Titel:  dXr^^oOc  ioTopta; 
/.o^o;  a.  'p'.  Indessen  ist  sie  im  Vaticanus  90  überschriel>cn :  Whr^w 
4it]yt,pl4?cuv  a',  3',   im  Marcianus  434  :  'A'/.r^Hivuiv  otTjT|ixaTiov  a,  p'. 


—     191     — 

welcher  auch  die  )>  Wahren  ErzühluD|j;en(t  angehören^).  In  jener 
letzten  Zeit  seiner  lonj^eu  schriftstellerischen  Wirksamkeit  wandte 
er  sich,  mit  deutlich  erkennbarer  Absicht,  von  seiner  früheren 
Manier  einer  ziemlich  leeren  Verspottung  eines  lilngst  erstorbenen 
Gütterglaubens  und  gewisser,  ganz  allgemeiner  und  zu  allen 
Zeiten  auf  der  Oberflilche  schwimmender  Thorheilen  der  Menschen 
zur  Ironisirung  oder  directen  Geisselung  der  besondern  Gebrechen 
seiner  Zeit,  vorzüglich  jenes  trüben,  die  nahende  Nacht  an- 
kündigenden Aberglaubens,  der  damals  so  beängstigend  die 
griechische  Welt  zu  überziehen  begann.  Dieser  Richtung  seines 
Allers,  der  wir  bei  Weitem  die  inhaltsreichsten  W^erke  seiner 
vielgestaltigen  Schriftstellerei  (wie  z.  B.  den  Alexander,  Philo- 
pseudes,  Peregrinus  Proteus)  verdanken,  gehören  auch  die 
»W^ahren  Erz^ihlungen«  au:  auch  sie  zielen  nicht  ins  Leere  und 
Allgemeine,  sondern  auf  eine  jedenfalls  weit  verbreitete  und 
wirkungsreiche  Classe  von  Schriftwerken.  Die  in  wunderbaren 
Reisedichtungen  übermässig  wuchernde  Fabelsucht  war  Lucian 
keineswegs  als  einen  harmlosen  poetischen  Trieb  gelten  zu  lassen 
geneigt :  er  sieht  hier  nur  einen  verderblichen  Lügengeist  thütig, 
der  von  dem  Apolog  beim  Alcinous  an  durch  die  ganze  griechische 
Litteratur  sich  ziehe,  und  den  er  nun  durch  eine  parodirende 
Steigerung  ins  Ingomessene,  in  seiner  vollen  Abgeschmacktheit 
bioszustellen  unternimmt.  So  schildert  er  denn  die  abenteuer- 
lichste Reise,  die  ihn  ohne  Aufhören  unter  den  tollsten  Fratzen 
umhertreibt,  und  ihn  endlich,  nachdem  sie  ihn  zuerst  auf  den 

1)  Dass  die  »wahren  Erzählungen <>  in  Lucians  höheres  Aller  fallen, 
schliesse  ich  aus  der  deutlich  erkennbaren  Vorliebe  für  Epikur,  welche 
er  II  48  verräth.     Lucian  zeigt  in  seiner  Jugend  Hinneigung   zum  Piatonis- 

• 

mus  (s.  Nigrinus,  geschrieben  c.  U5  n.  Chr.);  weiterhin,  im  Hermotimus 
(geschrieben  c.  160)  sehen  wir  ihn  auf  dem  Slandpunct  eines  ausgebilde- 
ten Skepticismus;  eine  lebhafte  Vorliebe  für  die  Lehre  des  Epikur  zeigt 
er  erst  im  Alexander  (geschrieben  nicht  lange  nach  t80);  aus  der  gleichen 
Epoche  mögen  denn  auch  die  wahren  Erzählungen  stammen.  (Dieser 
Stufenfolge  philosophischer  Neigungen  oder  Velleitäten  des  eigentlich  durch- 
aus un philosophischen  Schriftstellers  widerspricht  auch  der  »Icaromenip- 
pus«  nicht,  welcher  wahrscheinlich  ISO,  also  in  der  Epikureischen  Zeil 
Lucians  geschrieben  ist:  s.  Fritzsche  Luc.  op.  II  4  p.  159  f.  Man  wolle 
bemerken ,  dass  in  jener  Schrift ,  c.  21  ,  unter  den  von  der  Selene  ver- 
wünschten Philosophen  die  Epikureer  nicht  mit  genannt  werden.  Die  Vor- 
würfe des  Zeus  gegen  die  Epikureer,  c.  32,  sind  ja  in  Lucians  Sinne  viel- 
mehr ein  Lob  derselben). 


—     192     — 

Mond  und  andre  Gestirne,  weiterhin  in  den  Bauch  eines  unge- 
heuren Fis(*heS;  dann  nach  der  Insel  der  Seligen  und  dem  Orte 
der  (rottloseii  p;e fuhrt  hat,  durch  ininier  noch  {j;estei}j;erte  Wunder 
und  Ungeheuer  an  das  Land  jenseits  des  Oceans  wirft,  von 
welchem  die  griechischen  Reiscfahulisten  so  mancherlei  Erträumtes 
zu  l)erichten  wussten.  Nur  der  parodistische  Zweck  kann  so 
dicht  gedriingten  Possen  eine  Bedeutung  geben.  Lucian  ver- 
sichert ausdrücklich,  dass  Jede  einzelne  seiner  Kründungen  auf 
einen  bestimmten  Autor  und  dessen  LtlgenlH'richte  ziele*).  Er 
nennt,  als  «lie  bedeutendsten  Vertreter  der  von  ihm  vers|)oUeten 
Litteratur,  gelegentlich  Ktesias  und  Jambulus''']  ,  erwähnt  auch 
des  Homer,  Aristophanes,  llerodot^).  Mit  unsern  Mitteln  ist 
es  kaum  möglich,  auch  nur  bei  einigen  wenigen  der  hier  sieh 
drängenden  parodistischen  ZUge  das  parodirte  UrbihI  zu  be- 
zeichnen. In  manchen  Fällen  sehen  wir  wohl  alte,  z.  Th.  nach 
dem  Orient  zurückweisende  Märchenztige  durchscheinen,  der- 
gleichen \on  den  bei  Lucian  verhöhnten  Autoren  ihren  eignen 
Erfindungen    eingewoben    st^in    mochten-*).      Im    Tebrigen   muss 

1 1  I  i :  Tuiv  isTopO'Jtxivfjjv  IfxaTrov  oOx  a7caj(X(uOT|Ttu;  T^vixtai  rpöi  Tiva; 
Ibo  Vat.  90  Marc.  434;  r.[t.  t.  tj|v.  vulgo)  töiv  ra/aioiv  rotT,Ta>v  t6  xai  ovj- 
fpa^cujv  xai  cpi/oGOc^cuv  TTo/J.d  Tepdoria  xai  (xj^^oiOTj  cj^^Cf oatp^Toiv ,  oO?  x« 
6vofiLa3Ti  dv  c^(4ac^ov,   ei  ut,  xai  a'jTu>  ooi  ex  xfj;  dva^^^iusccu;  cpavcTobai  e|jLc)«Xo'». 

2)  I  3  Ktesias  i.diesor  habe  iilier  iiulisolie  Din^fe  ^escliriobeii  St  fAtjic 
a-iTo;  eio£  fATjTe  dT/^/vOu  d>. TjOeOovxo;  -T/xo-jaev.  So.  statt  der  ofTenhar  inter- 
polirten  Vul^ate:  citto^to;,  ausser  geriiif^eren  Hss.  auch  Vat.  90,  Marc.  4S4. 
Vielleirht  richtig;  oder  ist  AAHH&uovto;  corrunipirt  aus  MVBc6ovto;?>; 
dann  Jainbulus,  dazu  zoX).  oi  dX/.oi  von  gleicher  Art. 

3)  Homer  I  3,  I  17.  II  3i;  Aristophanes  I  :29.  Herodot  II  5.  vgl.  II  84. 
—  Einmal  rühmt  er  sich,  etwas  mittheilen  zu  können,  wovon  noch  Nie- 
mand  bisher  gemeldet  habe:  II  Zi  extr.  Auch  diese  (ie wissen liaftigkeit, 
unter  lauter  Lügen,  ist  natürlich  eine  Parodie  Öhnlicher  Angaben  orttndungs- 
reiclier  Fabelerzähler.  So  sind  auch  Wendungen  wie  diese  J  40;>:  oiSa  (in 
dr^Toi;  doixota  iaT0f>7,auiv,  ).£;a)  o"  Ofxui;,  oder  fl  18;  :  to  utvToi  nXf^ftoc  o'Jtwv 
'der  Nephelokeutauren.  oOx  OMi^pvln,  jxf,  -w  xai  dnorov  oü?Tj  *  toioütov  Tji», 
scherzhafte  Nachbildungen  ähnlicher,  kritisch  freimüthiger  Redensarten  der 
verspotteten  Lügenhistoriker. 

4)  Was  zuerst  die  parodirten  Herichle  alterer  Fabulisten  betriflfi,  so 
muss  ich  mich  hier  mit  einer  kurzen  .Aufzählung  dessen,  was  mir  gerade 
gegenwärtig  ist.  begnügen.  Die  Erlindungen  des  Antonius  Diogenes 
in  seinem,  alsbald  naher  zu  betrachtenden  Romane  scheint  Lucian  wenig- 
stens an  zwei  Stellen  zu  persitliren:  i  9  tT.,  wu  er  seine  Erlebnisse  auf 
dem  Monde  schildert  (dorthin  liess  auch  Diogenes  seine  Helden  gelangen: 


—     193     — 

uns  gerade  unsre  Unwissenheit,  unsreUnfähigkeit,  die  Beziehungen 
der  übergrossen  Mehrzahl  der  scherzhaften  Züge  nachzuweisen, 
eine  belehrende  Andeutung  gewähren  tlber  die  ungetneine  Frucht- 
barkeit und  Erfindsamkeit  der  Griechen  auf  dem  Gebiete  dieser 
wunderlichen  Reiseromantik,  von  deren  ohne  Zweifel  zahlreichen 
Vertretern  wir  nur  eine  geringe  Anzahl  auch  nur  bei  Namen 
nennen  können. 


p.  285,  4  ff.,  286,  86  Herch.)  und  II  29   fT.  in  der  Schilderung  der  vTjaoc 
dbcßfiov  (Td  iv  ^AiBou  sah  bei  Diogenes  die  Derkyllis:   p.  238,  32).  —  I  28: 
die  Leute  auf  dem  Monde  nähren  sich   nur  von  dem    Rauch   gebratener 
fliegender  Frösche.    Dies  scheint  auf  die  dfoTOfi-oi  des  Megaslhenes  zu 
zielen :  vgl.  oben  p.  4  78  A.  1.   (Hatte  übrigens  irgend  ein  Grieche  von  fliegen- 
den Fröschen   erzählt?    Wunderlich   trifft  es  sich,   dass  man  auf  Borneo 
wirklich  eine  Art  fliegender  Frösche  entdeckt  hat:   s.  Wallace,   Der  malay. 
Archipel  1 54 .  —  Specielle  Parodien  der  Berichte  des  K  t  e  s  i  a  s  wtisste  ich  nicht 
zu  bezeichnen ;  wenn  nicht  etwa  die  Eigenthümlichkeit  der  Mondbewohner, 
welche  o^ht  T^pTjvxat  Stsr.tp    if]fjisT;  (I  28)  uns   an  den   Bericht  des  Ktesias 
von   jenem  Volke  in   Indien  erinnern   darf,    bei   welchem   Sxav  ti  -^ivriTai 
iraiMov  o&  rix^on  tV|V  ttu^^jv  odhk  diroTraxei  u.  s.  w.     Wie  die  Mondbewohner 
Lucians  (I  24]  Milch  ausschwitzen,  so  erzählt  Ktesias,  dass  jenes  Volk  oO(>eT 
T*ipöv,  o6  ?:dvu  rayuv  xxX.  (Phot.  48b,  10  ff.).  —  Homer  soll  natürlich  in  dem, 
was  von  der  Insel   des  Kalypso  erzählt  wird  (II  85  f.)   persiflirt  werden; 
einer  einzelnen  Stelle  des  Dichters   (II.   XX  228  f.)    ist  vielleicht  die  Er- 
zählung von  den  auf  dem  Wasser  laufenden  <I>eXXÖ7:ode;  nachgebildet  (s.  F.  V. 
Fritzsche,  Quaest.  Lucian;  p.   170).     Die  Unterredung  mit  Homer  (II  20), 
\^obei  dieser  sich   für  einen  Babylonier  und  alle  athetirten  Verse  für  sein 
achtes  Eigenthum   erklärt,   soll  die   bis  ins  Alberne   (namentlich   von  den 
Krateteern)  gesteigerten  Bemühungen  der  Grammatiker  und  grammalischen 
Dilettanten  um  des  Dichters  wirkliche   Heimath    (vgl.   Schol.  A.   II.  ^  79: 
ZttjMoxoi  6  KpanfjTeioc  XaXSalov  t^v  ^0p.7]pöv  cp7]oiv)  parodiren :  solch  eine 
aothentische  Auskunft  konnte  sich  ja  freilich  den  Nachrichten  kühn  an  die 
Seite  stellen,   die  der,   von  dem  Grammatiker  Apion  aus  dem  Todtenreich 
heraufbeschworene  Schatten  des  Dichters  selbst  oder  das  von  dem  Kaiser 
Hadrian    um    die   Herkunft    desselben   befragte   delphische    Orakel   geben 
mochten.  —  Hesiod  (Op.  172  f.)  schwebt  wohl  dem  Lucian  bei  der  Schil- 
derung der   Fruchtbarkeit  des  Landes  der  Seligen  (II  48)  vor.  —  Einzelne 
Züge    dienen    entschieden,    die   Fabelberichte   des   Theopomp   von  dem 
Lande  jenseits  des  Ocean   (s.  unten)   zu  parodiren.    So  vgl.  man  mit  den 
zi^^al  ifikmtoi  xal  VjSov^;  (II  4  6)  die  irotafiol  i^jSovJj;  xal  XOtttjc  im  Meropen- 
laDdc  des  Theopomp  (Aelian  V.  H.  III  48).     Die  77)  dlvrin^pav  '  t^  b^'  ifj^wv 
ohcou(Aiv|2  %eifx.dvT),  nach  der  Lucian  II  47  verschlagen  wird,  ist  ja  das  eigent- 
liche Gebiet  jener  Theopompischen   Fabeln.  —   Zu  einer  besonderen   Be- 
trachtung fordert  die  Schilderung  der  Bewohner  der  Insel  der  Seligen  IM 2 
auf.    Da  helsst  es:  auTol  oe  ot{i(i.aTa  fji&v  oOx  f/oustv  dXX'  dva'fetc  xal  dfoapxot 

Rohde,  Der  griechUebe  Uoman.  ]3 


—     104     — 


^Väh^en(l  nun  d'wsv.  »kunstwidrigen  (iespenslor«  in  der 
PlKintnsie  des  Volkes  und  einer  «zewissen  populiiren  Dichtung 
ihr  W'esen  lriel)en,  die  Nalur  der  Din^e  weniger  ins  Ideale  als 
nach  der  Seile  des  Fratzenhaften  steigernd  und  überbietend, 
waren   ernstere  Geister  beinUht,    der  liier  jjjep;ebenen  Anregung 

etat  [dva^etc  auch  Marcian.  434.  Dieso  allgemein  lieibchaltene  Lesart 
kann,  wegen  des  alsbald  folgenden  Zusatzes :  et  youv  [jit]  a^javz6  Tt;  xtX.  nicht 
richtig  sein.     Auch  steht   sie  nicht   im   Vaf.   90.     Dieser  bietet  vielmehr: 

9  9 
a^aNcTc,  9  und  9  wohl  von  erster   Hand  übergeschrieben:   am  Rande  von 

(ilter,  vielleicht  der  ersten  Hand:  r  i^izeU.  Beide  Lesarten,  gleich  un« 
brauchbar,  weisen  doch  auf  alte  Corruptel  der  Stelle  hin.  Man  schreibe: 
dXXoi  oia^aveT;,  woraus  sehr  leicht:  dXV  a^aveT;  entstehen  konnte)  —  — 
xaX  oX»;  loixc  Y'javf,  ti;  y)  'I^'j/i?)  aOröN  TrcpiroXclv  t^^v  toü  Of6tjLaTOC  ijioidniT« 
::ef>t%et[i.£vTj.  Neben  diesen  letzten  Worten  xai  Z\mz  xtX.]  steht  im  Marcianns  414 
fol.  47n;  am  J\ande,  von  erster  Hand  geschrieben,  das  Scholion:  c{;  ^ 
•jTTep  Bo'jXtjN  TcpaToXoYO'jfjie^a  izi'n.oiTTti.  Dass  in  die  Gegenden  jenseib 
Tliule  irgend  Jemand  Menschen  von  durchsichtigen  und  schattenhaften 
Kürpcrn  versetzt  hotte,  ist  nicht  bekannt  und  wenig  glaublich.  VennoUi- 
lieh  bezieht  sich  das  Scholion  [welches  sich  übrigens  auch  {n  cd.  Crbin.  419, 
fol.  44b  findet)  vielmehr  auf  die  alsbald  folgende  Nachricht  des  Lucian, 
dass  in  dem  Lande  der  Seligen  weder  Nacht  noch  Tag,  sondern  ein  däm- 
merndes (Xuxa'JY^O  Licht  herrsche,  auf  welche  Stelle  denn  auch  in  den 
Vossianischcn  .^cholien  die  Notiz  bezogen  ist.  Diese  Angabe  passt  nlimlich 
sowohl  auf  den  Aufenthalt  der  Seligen  (vgl.  namentlich  Pseudocallisth. 
II  89  in.)  als  auf  den  höchsten  Norden,  von  dem  z.  R.  Plntarch,  De  fic. 
in.  o.  1.  S6  Aehnliches  erzählt  ;vom  hohen  Norden  Asiens  ganz  Aehnliehes, 
merkwürdiger  Weise  mit  einer  ihm  jedenfalls  aus  mündlicher  Sage  za- 
gekommenen  Erzählung  des  Pscudocallisthenes  [II  S9]  verbanden,  bei  Mareo 
Polo  in  c.  45  p.  554  d.  l'ebers.  von  Bürck.).  Der  Scholiast  nun  dachte 
wohl  (wie  ich  schon  in  meiner  Schrift,  Ueber  Lucians  *livo;  p.  S9  angeoom- 
inen  habe)  an  eine  Persiflirung  der  urep  Bo6Xr^v  dfrisra  des  Antonios 
Diogenes.  Auch  mag  er  Recht  haben,  denn  ganz  einfach  aus  einer  Be- 
nutzung des  Theopomp  in  dem  gelehrten  Werke  des  Diogenes  Hessesich 
die  Wiederkehr  einer  .sehr  Ubniichen  Angabe  bei  Theopomp  erklären, 
welcher  von  dem  Toro;  ''Avotto;  im  Meropenlande  erzählt  hatte :  «orciX^^pft« 
a'Jtiv  o5te  uro  ox^irou;  oOre  uro  ^eot-i;,  d*pa  oe  irtxcTsIfat  Ip*j9^p.an  ficprf-  * 
\xhos  doXepo)  ^Aelian  V.  H.  3,  18).  —  Im  (Jebrigen  bieten  die  Schollen  fUr 
die  Entdeckung  der  parodischen  Beziehungen  sehr  wenig  Hülfe.  Zuweilen 
faseln  sie  von  Parodirung  biblischer  Sagen  (so  beziehen  sie  die  Be- 
schreibung der  märchenhaft  prächtigen  Stadt  der  Seligen,  I!  44,  auf  das 
himmlische  Jerusalem,   die   Krziihhing   von  dem  plützlichtMt  Tranbentragen 


—     195     —    • 

zu  freier,  die  Schranken  der  alten  Mythen  überspringender 
Erdichtung  sich  zu  bemächtigen,  und  dem  taumelnden  Gange 
solcher  geographischen  Traume  eine  festere  Richtung,  einen 
edleren  Rhythmus  zu  geben. 

des  Mastbaumes  [bei  der  Lucian  doch  nur  an  einen  bekannten  dionysischen 
Mythus  dachte],  II  41,  auf  Aarons  Stab!  [Aehnliche  Sagen  übrigens  bei 
vielen  Völkern:  vgl.  Liebrecht  zu  Gerv.  Tilb.  p.  412].  Eine  bemerkens- 
werthe  Notiz  bietet  Schol.  Marcian.  434  zu  11  4S  (bei  dem  Gastmahl  der 
Seligen)  :  oiaxovoyvtai  hk  %a\  Sia^^pouow  Ixaöxa  ol  dLvep.oi]  el;  xa  wcpl  Bpay- 
lidlvorv  TepaToXoYo6p.eva  Ttp  'Aaaup(u)  (so,  und  nicht  tcüv  'A90up((uv,  wie 
Schol.  Voss,  haben)  6iaa6pei.  Von  den  Brahmanen  erzählt  etwas  ziemlich 
Aehnliches  Pbilostratus  V.  Ap.  III  27  p.  4  05,  10  fl* ,  nach  Damis.  Meint 
nun  diesen  der  Schol.  unter  dem  »Assyrier«,  oder  wen  sonst?  (Ein  ganz 
analoger  Zug  [komisch  gewendet:  Cratinus  fr.  com.  II  287]  im  Märchen 
von  Amor  und  Psyche,  Apul.  met.  V  3  p.  80,  44  Eyss.,  und  öfter  in 
orieDtalisch-occidentalischen  Märchen  :  z.  B.  Wenzig,  Westslavischer  Märchen- 
schatz p.  437.  Einleitung  zu  Oegisdrecka  der  Edda  [p.  52  der  Simrock- 
schen  Uebers.]:  »Das  Ael  trug  sich  selber  auf«.  —  Ohne  Grund  findet 
Mebler,  Mnemos.  III  p.  3  mit  dem  oben  (p.  480)  erwähnten  Berichte  des 
Hanno,  Peripl.  §  44  eine  mira  simililudo  in  dem,  was  Lucian  II  5  von  der 
Annäherung  an  die  Inseln  der  Seligen  erzählt,  wo  man  sanftes  Tönen  und 
eine  ßoif)  wie  beim  Mahle  hört:  twv  piev  auXouvTwv  x&v  oe  ^nnivouvrojv 
(sehr.  iicqL^tSvTcov?  »dazu,  nämlich  zum  Flötenspiel,  Singender«).  Aber 
das  geht  ja  bei  Lucian  ganz  natürlich,  und  nicht,  wie  bei  Hanno,  dämonisch 
wunderbar  zu.  —  Nun  von  den  Spuren  alter  Märchen  einige  der  vorzüg- 
lichsten Beispiele.  I  8:  Weinstöcke,  aus  welchen  oben  Mädchen  heraus- 
wachsen. So  erzählen  Märchen  vieler  Völker  von  Menschengestalten,  die 
aus  Bäumen  hervorwachsen:  z.  B.  4  004  Nacht  N.  456,  X  p.  260  (Breslauer 
Uebers.);  mehr  bei  Liebrecht  zu  Gervas.  von  Tilbury  p.  68  Anm.  f.  Vor 
Allem  könnte  man  noch  eine  orientalische  Schifiersage  vergleichen,  nach 
welcher,  auf  einer  Insel  Wak-wak  im  indischen  Occan  (oder  richtiger  an 
der  Küste  von  Mozambique?  s.  Peschel,  Gesch.  der  Erdkunde  p.  4  42) 
Biume  wachsen,  .welche  stall  der  Früchte  Menschenköpfe  tragen:  s.  Kas- 
wini  und  Ibn-el-Wardi  bei  Lane  4  004  nights  III  p.  523 ;  Albyruni,  Gesch. 
Indiens  bei  Reinaad,  Fragments  arabes  et  persans  in6dits,  relatifs  ä  1'  Indc 
(Paris  4845)  p.  424.  —  124:  die  Bewohner  des  Mondes  haben  einen  hohlen 
Bauch,  in  welchen  die  Kinder,  wenn  es  kalt  wird,  hineinkriechen.  (Vgl. 
übrigens  Plautus,  Trin.  424).  Etwas  Aehnliches  wird  vom  Seehunde  er- 
lilhlt  bei  Aelian  h.  an.  I  4  7,  vom  Rhinoceros  (oder  wirklich  vom  Känguruh? 
8.  Reinaud,  G^ogr.  d'  Abulf^da  1  p.  CCCXCU)  nach  El-Djahiz  bei  Masudi, 
les  Prairies  d'  or  c.  4  6  (I  p.  387)  u.  A.  —  1  29:  In  Lychnopolis  rennen 
Nachts  eine  Monge  Lichter  umher,  darunter  auch  Lucians  Hauslicht.  Er- 
innert an  das  Märchen  vom  »Gevatter  Tod«,  in  welchem  der  Tod  seinem 
Gevatter  in  einer  Höhle  alle  »Lebenslichter«  bei  einander  zeigt:  Grimm 
N.  44     vgl.  R.  Köhler   in  Eberts  Jahrb.  f.    roman.    Spr.  VH  p.  49;.     üeber 

13* 


—     196     — 

Man  lebte  in  der  Zeit  der  politischen  Utopien.  Seit  un- 
j^eheuere  Kreignisse  die  Grundlagen  aithellenischer  Staaten- 
urdnunj^  erschüttert,  eine  auflösende  Bildung  auch  in  dem 
Kinzelnen  die  sichern  Instincte  einer  unbedingten  Einordoung 
in  die  Organisation  des  Ganzen  gelockert  hatten,  musste  nun 
Treilich  auch  die  philosophische  Kritik,  wenn  sie  an  dem  Ideale 
einer,  durch  abstracte  Ueberlegung  gewonnenen  Vorstellung  von 
den  Zielen  des  Staatslebens  die  thatsadilichen  Verhältnisse  der 


das  > Lebenslicht «r  s.   Wackerna^el   in    Haupts  Ztschr.    VI  SSO  AT.  —   I  H: 
Kin  ungeheurer  Fisch   verschluckt  die  Reisenden ;    nach  langem  Aufenthalt 
kommen  sie  unversehrt  wieder  heraus.     Das  Alter  ähnlicher  Sagen  beiengt 
vor  Allem  das  Al>enteuer  des  Propheten  Jonas.     Ein  gleiches  begegnet  dem 
Saktideva  bei  Somadeva  c.  25  (II  p.  140  Br],  dem  Bhimasena  im  Qitruqjaya 
.M^Atmyam  p.  32,   dem   Bahudhana   im   Viracaritra  (H.  Jacobi,  Ind.  Stod. 
XIV  124;.  der  Nennella  im  Pentamerone  des  Basile  V  8  fll  p.  tt7  Liebr.]. 
In  einer  Version  der  7  Reisen  Sindbads  (Cairo-Ausg.  bei  Lane  1001   night« 
III  p.  118}   machen  grosse  Fische  nur  einen  Versuch  zu  einer  tthnlichen 
t'nthat.   Bezeichnend  für  die  Heimath  solcher  Sagen  ist  es,  dass  Dion^-sins 
Perieg.  603  IT.  solche,  ganze  Schiffe  mit  Mann   und   Maus  überschluckende 
xf,Tca  gerade  in   die  Gegend    \on  Taprobane   versetzt.  —  11  18  ff.:   Die 
Schilderung  des  Landes  der  Seligen  erinnert  in  vielen  Zügen  an  die  mlircheu- 
haflen  Berichte  vom  Schlauraffenland.    Die  Griechen  hatten  sich  (auch 
abgesehen   von  ihren,  doch  weniger  kindischen  Sagen  über  die  Inseln  der 
Seligen    längst  in  ähnlichen  behaglichen  Phantasien  gefallen:  so  die  jüngeren 
Komiker   >.   Bergk,   Comm.   de  rel.  com.  Atl.  p.  140,,  sodann  ^obl  auch 
manche   Darsteller  indischer  Natur:    wovon   ein  lehrreicher   Reflex   bei 
Dio  Chrysost.  or.  85,  II  p.  70-^-78  R. ;  man  mag  ihn  vergleichen  einerseits 
mit  der  Erzählung  des   Lucian,  andererseits  z.   B.    mit  dem   Brahmanen- 
liericht  liei  Onesicritus  fr.  10.     Honiglluss  in  Indien:  Ktestas  exe.  §  IS  MI. 
Vieles  Verwandle   im  weiteren  Verlauf  unserer    Betrachtung.      Ueber   die 
SohlaurafTenländer  moderner  Volksdichtung  vgl.  Grimm,  Kinderm.  III  p.  289  ff. 
(8.  Ausg.  .  —  II  40:   der  Flügelschlag  eines  riesigen  Halkyoncn  bringt  ^as 
Schiff  zum  Sinken.     Im  (.ialrunjaya  Muhdtm>am  p.  81  machen  riesige  BhA- 
rnnda-Vögel  durch  Schlagen   ihrer  Flügel  und  <len  so  erzeugten  Wind  das 
festsitzende  Schiff  flott.  —  1  25:  die  Bewohner  des  .Mondes  haben  l>eweg- 
liche   Augen,    die  sie  herausnehmen   und   beim    Gebrauch    immer  wieder 
einsetzen,   auch   gelegentlich   verlieren  und   sich  dann  von  Anderen  leihen 
niü.ssen  u.  s.  w.     Erinnert  an   das   Mürchen  von   der  I^mia,   welche  Ihre 
Augen  ebenfalls  ausnimmt  und  in  einen  Beutel  steckt:    Diodor  XX  41   (vgl. 
Duris    fr.  35;    Fr.  h.  gr.  II  478),   Plularch  de  curios.  2.     So   halben  auch 
die  Gorgonen,    und   ebenso  die  Phorkidcn  nur  Ein  gemeinsames  Auge,  das 
Jede   nach    Bedarf -benutzt.     S.   Schol.    Aescb.   Proni.  798    p.  264  f.    DInd., 
Eratosth.   Catast.   22.      Eben.so  der  Teufel    und   ein   Riese   in  einem  lapp- 
ländischen Märchen  bei  Liebreclit,  Pfeiffers  Germania  N.  R.  III  185. 


—     197    — 

griechischen  Städle  und  Staaten  mass,  das  Ungenügende  einer 
überall  durch  Noth  und  Zufall  bestimmten  und  eingeengten 
Wirklichkeit  unmuthig  empfinden.  Der  Philosoph  mochte  sich 
durch  Aufstellung  der  Gesetze  eines  Idealstaates  über  die  blosse 
Negation  des  Wirklichen  und  Gegenwärtigen  erheben;  aber  auch 
so  kam  er  über  unbefriedigte  Forderungen  und  Wünsche  nicht 
hinaus.  Vielleicht  zu  seinem  Glück  bot  sich  ihm  keine  Gelegenheit, 
an  einer  praktischen  Neuorganisirung  der  menschlichen  Gesell- 
schaft die  Lebenskraft  seiner  idealen  PlHne  zu  erproben;  um 
so  sehnlicher  musste  er  streben,  aus  vergeblichem  Wunsch  und 
hoffnungsvollen  Träumen  wenigstens  bis  zu  jenem  poetischen 
Scheine  einer  Wirklichkeit  sich  zu  erheben ,  welcher  die 
Dichtung  von  der  abstracten  Vorstellung  des  Denkers  unter- 
scheidet. Dieser  Drang,  das  begrifflich  so  Deutliche  nun  auch 
im  ktlnstlerischen  Bilde  anzuschauen,  trieb  ihn  mit  Nothwendig- 
keit  zur  Erschaffung  jener  Dichtungsgattung,  die  man,  nach 
Schillers  Terminologie,  sehr  wohl  als  »sentimentale  Idylle« 
bezeichnen  könnte ,  zur  Ausführung  eines  poetischen  Bildes 
nämlich,  in  welchem  der  Krampf,  die  Spannung,  die  Noth  der 
mangelhaften  Wirklichkeit  völlig  abgeworfen  wird,  und  das  reine 
Ideal  des  Denkers  in  freier  und  stolzer  Gestalt  sich  als  das  ächte 
Wirkliche  darstellt. 

Es  scheint,  dass  zu  dieser  neuen  Art  der  Poesie  Plalo  den 
ersten  Anstoss,  durch  sein  eignes  Vorbild,  gegeben  habe.  Wie 
ihn  seine  innerste  Natur  trieb,  in  mannichfaltigen  Mythen 
seine  philosophischen  Abstractionen  ins  künstlerisch  Bildliche 
zu  steigern,  so  musste  er  ganz  besonders  wünschen,  sein  poli- 
tisches Ideal  in  einer  dichterischen  Verkörperung  lebendig 
und  frei  bewegt  vor  sich  zu  sehen.  Er  gesteht  es  selber  ein*), 
dass  ein  solcher  Wunsch  es  war,  der  ihm  die  Erdichtung  seiner 


1)  Kritias  zu  Sokrates,  Tim.  26  C.  D.:  tou;  itoXka«  xai  Ti?iv  7t(5Xiv  f^v 
y%ki  (in  dem  Gespräch  vom  Staate)  i?)[jiiv  A;  iv  pi60c|)  oiigeiada  o6,  vOv  [act- 
cvcTX^vTC«  drl  xdXT^de;  5eupo  ^oofiev  tu;  ixtistp  TifjvSc  ouoav,  xal  to'jc  itoXtra; 
«ÖC  ^irvoou,  (pT|00(i.ev  ixe(vo'Jc  toüc  dlX7)divoi»;  elvai  rpo^övou;  i^ji.wv.  p.  19  B  C 
sagt  Sokrates:  Wie  man  schöne  Thtcre,  die  man,  abgebildet  oder  lebendig, 
in  Rahe  gesehen  habe,  nun  auch  in  Bewegung  zu  sehen  wünsche,  so 
wünsche  er  die,  in  den  Gesprächen  vom  Staate  im  Zustande  der  Ruhe  ge- 
schilderte Musterstadt,  in  angemessener  Bewegung,  und  namentlich  im 
Kriege  mit  den  Nachbarn,  die  Vorzüge  ihrer  Anlage  und  Einrichtung  be- 
tbatigen  zu  sehen. 


—     lOS     — 

nAllrintis«  oinffiib.  jon('  herUlini(c  Krzäliliinj:  vou  einem  iirallen, 
vor  DeukalioDs  Zeilen  Hellenden  idoalzustande  des  athenischen 
Staates  und  seinen  Kämpfen  mit  dem  Volke  der  Atiantiker, 
welche  auf  einer  grossen  Insel  im  äussern  Oeean  wohnton,  aber 
auch  in  Europa  und  Afrika,  bis  Tyrrhenien  und  Aegyplen, 
herrschten.  Diese  Erzühlung,  deren  Grundlinien  im  Anfan|2 
des  »Timaeusu*;  gezogen  sind,  sollleim  »Rritias«  genauer  aus- 
geführt werden.  Die  Absicht  kam  wohl  nie  zur  vollen  Aus- 
führung; denn  es  scheint,  als  ob  schon  das  Alterthimi  nicht 
mehr  als  das  auch  uns  einzig  erhaltene  Bruchslttck  des 
))Kritias«  gekannt  habe^).  Immerhin  lassen  auch  die  geringen 
Reste  des  Ganzen  uns  erkennen,  dass  in  Jenem  vordeukaliouischen 
Athen,  mit  seiner  Kasleneintheilung.  seiner  Gütergemeinschaft, 
seinem  w  ohlgeordneten  Leben  auf  glücklichstem  Boden  ^) ,  der 
eigentliche  Platonische  Idealstaat  vor  Augen  gestellt  werden 
sollte;  wilhrend  die  ausführlichen  Schilderungen  von  der  Pracht 
und  Herrlichkeit  der  Atlantis,  ihrem  üppigen  Reichthum  an 
Metallen,  Fruchtbiiumen,  WohlgerUchen  und  allen  ErtrUgnissen 
der  Erde,  Thieren,  der  goldnen  und  silbernen  Pracht  ihrer 
Paläste  und  Tempel,  denen  gleichwohl  ein  barbarischer  Zug 
deutlich  erkennbar  aufgeprägt  ist^],  dem  philosopischen  Mustor- 
Staat  das  Gegenbild  einer  mehr  äusserlichen  Uoppigkeit  und 
Glanzfülle  entgegenstellten  sollten*').  Uebrigens  hat  Plato  selbst 
durch  die  Gründlichkeit  mit  welcher  er,  am  Schluss  seiner 
Itirzählung,  Erdbeben  und  Ueberschwemnumg  zugleich  mit  dem 
alten  Athen  die  allanlische  Insel  vernichten  lässt^! ,  dem  ver- 
ständigen Leser  klar  genug  angedeutet,  wo  eigentlich  dieses  so 


1)  Tim.  I».  iO  Ü— a3  E. 

2;  Plutarch  wenigstens  (v.  Solon.  3i)  bericlitet,  dass  Plato,  durch  den 
Tod  verhindert,  den  'Ax/avTixö;  X^y'^»  unvollendet  hinterlassen  habe.  — 
In  die  Reihe  der  Platonischen  Schriften  hatte  schon  Aristoph'anes  von  B}- 
znnz  den  »Kritias«  aufgenommen:  Laert.  Diog.  Hl  6t  (vgl.  Ueberwegj 
Aechtli.  d.  Plalon.  Sehr.  p.  90). 

3)  Kasteneintheilung  im  alten  Athen:  Tim.  34  A  IT.,  Grit.  MO  C,  Güter* 
gemeinschaft :  Grit.  tlO  D,  Güte  des  Bodens:  Grit.  110  E. 

4)  Von  dem  prächtigen  Tempel  des  Poseidon  sagt  Plato  selbst,  Grit.  416  D, 
er  habe  el^ö;  Tt  ßipßap^txöv. 

5;  Dieses  führt  sehr  richtig  aus  Susemihl,    Genel.   Entwickelung   der 
Piaton.  Philos.  II  p.  485  Vf.,  504. 
6)  Tim.  p.  25  G.  D. 


—     1-99    — 

leicht  heraufgezauberle,  noch  leichter  wieder  ins  Nichts  versenkte 
Inseliand  seine  Lage  und  seinen  Ursprung  habe.  Endlich  hat 
man  sich,  in  neuerer  Zeit,  auch  entschlossen,  die  Atlantis,  statt 
sie  in  Amerika  oder  in  Schweden,  auf  Ceylon  oder  auf  Spitz- 
bergen zu  ßxiren,  nur  im  grenzenlo9en  Meere  der  dichte- 
rischen Phantasie  zu  suchen,  und  die,  von  dem  philosophischen 
Dichter  mit  lächelndem  Ernste  dargebotene  Beglaubigung  der 
geschichtlichen  Wahrheit  seines  Berichtes  durch  die  doppelle 
Auctorität  des  Selon  und  jenes  ägyptischen  Priesters,  der  diesem 
die  uralte  Uär  in  SaYs  erzählte,  nach  ihrem  bloss  poetischen 
Sinne  zu  verstehen  ^j .  Das  Ganze  ist  freieste  Dichtung,  höchstens  an 
einige  kosmologischc  und  geographische  Theorien  angeknüpft-^). 
Indem  nun  aber  andre  philosophirende  Dichter,  mit  jener 
Platonischen  Skizze  wetteifernd,  ihren  Träumen  von  einer  voll- 
kommen glückseligen  und  tugendhaften  Menschheit  Gestalt  zu 
geben  versuchten,  verschmähten  sie  nicht,  die  Farben  zu  ihren 
Schilderungen  jener  bunten  Pracht  geographischer  Fabel- 
erzählungen zu  entlehnen,  von  denen  wir  vorhin  gesprochen 
haben.  Eine  spätere  Zeit  musste  freilich,  je  weiter  sie  in  die 
unbekannten  Winkel  der  Erde  vordrang,  mit  schmerzlicher 
Gewissheit  immer  bestimmter  einsehen,  dass  auf  Erden  das 
Land  der  Seligen  nicht  zu  finden  sei;  man  musste  sich  zuletzt 
begnügen,   es  in  ein  nicht  weiter  zu  behelligendes  »Jenseits« 


1)  Die  früheren  Phantasien  über  die  wirkliche  Lage  der  Atlantis  hat 
gründlich  beseitigt  H.  Martin,  Etudes  sur  le  Tim^e  de  Piaton  (Paris  1844) 
^.  S57~832.  Auch  die,  noch  von  Martin  festgehaltene,  aegyptischc 
Grundlage  der  ganzen  Sage  hat  Susemihl  a.  a.  0.  p.  47S  ff.  als  blosse 
FicUen  erkannt. 

2)  Dahin  gehört  die  Annahme  ungeheurer  Veränderungen  auf  dem 
Erdboden  durch  Ueberschwemmungen  und  Erdbeben:  vgl.  Posidonius  bei 
Strabo  II  p.  4  02.  Hieran  schliesst  sich  die  Meinung,  dass  durch  solche 
Naturereignisse  auch  wohl  schon  ganze  alte  Cuiturzustttnde  der  Menschen, 
von  denen  wir,  in  einer  neuen  Gulturperiode  lebend,  nichts  mehr  wissen, 
Temichtet  worden  sein  möchten:  eine  Meinung,  die  bei  Plato  noch  öfter 
hervortritt  (z.  B.  Leg.  III)  und  b^i  Aristoteles  und  seinen  Schülern  aus- 
führlicher begründet  wurde  (vgl.  Rose  zu  Aristot.  fr.  8  p.  35,  Bernays, 
Theophrast:  Ueber  Frömmigkeit  p.  44  fl*.).— Wenn  Plato  (Tim.  25  D)  durch 
den  Untergang  der  Atlantis  den  Ocean  schlammig  und  flach,  und  daher 
«nzugänglich  werden  lässt,  so  stand  wenigstens  das  also  erklärte  Factum  in 
seinem,  wie  im  Glauben  des  [ganzen  Alterthums  fest  (vgl.  MüUenhofT,  D. 
Alteriumsk.  I  78.  420). 


—     200     — 

zu  vorlogen.  Den  Griechen  durfte  der  unbekannte  Theil  der 
Rrde  no4*h  }^ross  und  weit  $;enug  erscheinen,  um  allen  lloflhungen 
und  CilttckstrHunien  sichern  Wohnplatz,  um  selbst  den  abge- 
schiedenen Seelen  der  Kdlen  auf  gilicklich  verborgenen  Inseln 
eine  StHtte  seligster  Belohnungen  darzubieten  i) .  Der  philo- 
sophische Dichter  aber  brauchte,  um  seine  sehnsüchtigen  Trüunie 
zur  |>oetischen  Wirklichkeit  zu  \ erdichten,  zu  den  verschwende- 
rischen Wohlthaten  der  Natur,  welche  die  Phantasie  seiner 
Landslcute  Über  jene  vor)>orgenstcn  Krdfernen  ausgegossen  sah, 
nur  eine  menschliche  Bevölkerung  hinzuzufügen,  welche  in  un- 
gestörtem (ilücke  imd  vollkonunener  Tugend  jene  Gaben  der 
Natur  genoss.  Ohne  die  höchste  Gerechtigkeit  und  Besonnenheil 
musste  ihm  ja  freilich  ein  solches  schattenloses  und  müheloses 
(iltick  unvollkouunen,  ja  unertrHglich  erscheinen^).  Denn,  wenn 
freilich  den  Griechen  die  Arbeit,  von  deren  n Würde«  sie  kein 
sonderliches  Aufliel>en  zu  machen  gewohnt  waren,  nur  als  Werk 
der  Noth  erschien,  das  sie  daher  auch  von  ihren  Vorstellungen 
vollkommener  Zustande  nach  Krifften  fernhielten,  so  wusstcn  sie 
doch  sehr  wohL  dass  sie  nn't  dem  Ideal  welches  sie,  stall  des- 
jenigen einer  möglichst  nutzbringenden  Arl>eit,  dem  wahrhaft 
Freien  zur  Erfüllung  vorstellten,  der  schweren  Kunst  v>der  Müsse 
sich  edel  zu  bedienen«'*),  im  Grunde  an  eine  liereits  ideale, 
adlige  Menschheit  sich  wendeton,  die  ein  Recht  hütte,  sich 
\ün  der  Noth  und  ihren  Werken  zu  emancipiren. 

..Wenn  daher  der  philosophische  Dichter  in  einem  fabelhaften 

1;  Beiläufig  sei  einer,  auch  neben  den  belianntcn  älteren  gricuhiiicbcn 
Zciignis<icn  heachtenswcrUicn  Stelle  des  Plautus  (naeh  Pliilemon)  Trin.  549  f. 
;;edHelit:  Kortuiialoruin  tnemurant  insulas,  Quo  cünoti  qui  actatem  egerinl 
caste  suam  Convc^niant.  So  liberal  waren  freilich  die  Aeltercn  mit  dieser 
Belohnung  nicht  umgegangen. 

2)  rioXXf^;  oeT  oixaioc6vT,c  xal  roXXfjC  9oi9po86v7j;  tou;  äpirra  ooxoOvrac 
rpoTTEiv  xat  -avToiv  tcwv  ti.7xapiIo|Jt£v(DV  a7:oXa6ovT«;,  oIon  et  tw£c  elaiv,  Ansp 
r/i  roiTjTai  ^aiv,  iv  (i«xapcuv  vfjöoi; '  [jtaXtora  y«P  oOtoi  oeT|00vTai  9t).09o^; 
Y-OLi  ifo^poTjvTj;  xat  oixaioo'jvTj;,  oatp  »xaXXov  T/oXaJjoaai*^  ev  d^l^ovC^  täv  TOtov- 
Tcnv  dYadcüv :  Aristoteles,  Polit.  VI!  4  5  p.  1334a,  28  IT.  avcu  y^p  dpcrf);  ou 
oaotov  ^spEiv  c[i.[i.£X(&;  xd  iUTjy^inivzi :  Idcni  Eth.  Nicom.  IV  8  p.  H 34  b,  80. 

3)  T6  Oüvaaftai  rxT,  jjl(5vov  dr/oXetv  opHw;  d}Xd.  xal  oyoXdCctv  xaXft^, 
wovon  Aristot(;.les  so  oft  redet,  iiicr  liegt  der  wesentlichste  Grund  zu  der 
M)  grossen  Verschiedenheit  der  Tendenz  (im  wörtlichen  Sinne)  des 
Lebens  nach  griechischer  und  moderner  Anschauung. 


—     201     — 

Lande  am  Ende  der  Welt  einen  Zustand  voraussetzte,  in  welchem 
die  vollkommensten  Bedingungen  zu  äusserem  Glücke  durch  die 
reinste  menschliche  Tugend  gekrönt  wurden,  so  hatte  er  nur 
einer  weit  verbreiteten  populären  Vorstellung  zu  folgen.  Die 
Griechen,  denen  ja  freilich  (im  Allgemeinen,  und  von  einzelnen 
mystischen  Secten  abgesehen)  das  GefUhl  der  menschlichen 
Sündhaftigkeit  wenig  Beschwerde  machte,  kannten  eben  darum 
doch  auch  nicht  die  selbstgerechte  Verachtung  des  reuigen  und 
begnadigten  Sünders,  den  Hrgeren  Sündern  gegenüber.  Bei 
dem  gerechtesten  Stolz  auf  die  Vorzüge  ihrer  griechischen  Natur 
waren  sie  geneigt,  die  Blüthe  einer  ungetrübten  moralischen 
Reinheit,  die  sie  daheim  nicht  fanden,  eher  bei  den  fernsten 
»Barbaren«  zu  suchen,  welche,  von  den  Verlockungen  einer 
gefahrenreichen  Cultur  noch  unberührt,  die  ursprüngliche  Rein- 
heit der  menschlichen  Natur  leichter  bewahren  mochten.  Es 
wurde  zum  festen  Glaubensartikel  der  Griechen,  dass  voll- 
kommene Gerechtigkeit  und  Heiligkeit  nur  bei  einigen  barbari- 
sehen  Völkern  am  äussersten  Rande  der  Erde  zu  finden  sei. 
Schon  Homer  nennt  die  milchtrinkenden  Nomaden  des  Nordens 
)> die  gerechtesten  der  Menschen «') ;  und  je  mehr,  im  Laufe  der 
Zeiten,  eine  übersattigte  Cultur,  im  Ekel  vor  sich  selbst,  ihre 
Blicke  rückwärts  wandte,  und  nur  im  einfachsten  Naturzustände 
Friede,  Glück  und  Tugend  der  Menschen  heimisch  zu  finden 
glaubte  2),    desto  eifriger  bestärkte   man   sich   in   der  Meinung, 


1)  II.  N  5.  6.  Zeus  sendet  seine  Augen  nach  dem  l^ndc  —  df^'j&v 
' litirrifioXYov,  '^htxTo^fOi'^  ^Aßlwv  te,  oixatoTOTaiv  dvOpc&ircuv.  Es  ist  bekannt, 
wie  eifrig  schon  im  Alterthum  der  Sinn  dieser  Verse  discutirt  wurde.  Ich 
hebe  hier  nur  die  Worte  des  Arrian.  exp.  AI.  IV  1,  4  hervor,  welcher 
meint,  diese  gerechten  "Aßtot  seien  a'jT<Svop.oi  geblieben,  ouy^  i^xtOTa  oid  r.tsios 
ts  xai  otxaidn^To. 

2)  Eine  uralte  Vorstellungsweise  des  griechischen  Volksglaubens  sieht  die 
Menschheit  nicht  in  fortschreitender  Entwickelung  zu  immer  höherer  Ver- 
edelang aufsteigen,  sondern  in  stufenweiser  physischer  und  moralischer 
Verschlimmerung  von  einer  ui*sprünglichen  Höhe  der  Tugend  und  Glück- 
seligkeit immer  tiefer  herabsinken.  Diese  Meinung,  in  dem  homerischen 
oloi  vOv  ßf>oTol  etotv  nur  angedeutet,  findet  ihren  kenntlichsten  Ausdruck  in 
dem  hesiodischen  Mythus  von  den,  aus-  anfänglicher  seliger  Unschuld  zu 
immer  schlimmerem  Elend  und  Frevel  absteigenden  Geschlechtern  der 
Menschheit.  (Op.  et  D.  4  09—204):  ein  Mythus,  dessen  volksmässigen  Sinn 
die  immer  wiederholten  Nachbildungen  deutlich  bezeugen  (s.  Ovid  Metam. 
I  $9—462;  Arat.  Phaen.  400—436  [variirt  voo  Germanicus,  Ar.  Phaen.  97  ff., 


—     202     ~ 

dass  das,  vor  der  heilcnischcn  Civilisation  Ittngst  entwichene 
Glück  der  Uns(;huld  hei  den  fernsten  BarlKircn  noch  lebendig 
anzutreffen  sei.  So  wiederholen  sieh  immer  wieder  die  Nach- 
richten von  der  Tugend  und  einem  vollkommenen  GlUckszustand 

Fest.  Avicn.  Ar.  Pliaen.  i77  IT.,  Cktfo  Aratca  fr.  XYI  Buhle;  an  Arat 
Vlingt  deutlich  an  Horazcns  berühmtes  Wort:  actas  imrcntum,  pejor  avis 
etc.,  c.  III  0  extr.],  dem  Juvcnal  Sat.  VI  4 — iO  nachzueifern  scheint;  Ba- 
brius  prooem.  fab.  8.  auch  die  orphi^rhcn  Stellen  bei  Lobeck  Agiaopli. 
510  tr.;  und  vgl.  Lobecks  akad.  Roden  p.  185  ff.).  Philosophische  Betracblar 
der  Cuiturentwickelung  der  Menschheit  waren»  ]c  nach  ihrem  verschiede- 
nen Standpunct,  gctheiltcr  Meinung  über  das  Glück  und  die  Gerechtigkeit 
der,  vor  einer  feineren  Ausbildung  der  Cultur  lebenden,  uranfUnglichen 
.Menschheit.  Plato  redet  gern  von  dem  seligen  Leben  unter  der  Herrschaft 
des  Kronos,  von  der,  in  der  Einfachheit  der  Gonussmitte!  und  der  ganzen 
Lebensweise  l>egründeten  Friedfertigkeit,  Genügsamkeit,  Troaherzigkeit  der 
ältesten  Menschen  s.  Leg.  III  c.  2.  8;  IV  c.  6;  Polilic.  c.  45.}-  AehnUcb 
namentlich  Dikaearch  im  Anfang  seines  Bio;  'EX>.(£&o;  ;Fr.  bist.  gr.  U 
i83  f.,.  Dem  Dikaearch  scheint  auch  in  dieser,  für  die  Culturgeschichte 
ja  allerdings  so  wesentlich  bestimmenden  Frage  der  überhaupt  so  völlig 
verschieden  gestimmte  Thcophrast  entgegen  getreten  zu  sein:  eine,  der 
Dikacarchischen  durchaus  entgegengesetzte  Vorstellung  deutet  sein  merk- 
würdiges Wort  von  dem  »ungewürzten«  Leben  der  Vorzeit  an  (bei  Athen. 
\II  54  4  D,  nach  Korais  Emendation, .  Und  su  malten  denn  Manche  sieb 
die  Notli,  die  thierische  Rohhcit  und  nackte  Scheusslichkcit  des  ursprüng- 
lichen, erst  ganz  allmählich  zu  einiger  Ordnung  und  Ausschmückung  des 
Lebens  fortgeschrittenen  Menschengeschlechtes  grell  genug  aus:  so  der 
Tragiker  Moschion  in  einem  berühmten  Bruchstück  (fr.  7  pag.  68t  Nauek; 
vgl.  Kritias  Sisyph.  I  p.  594  N. ;  auch  Orpheus  bei  Lobeck  Agl.  S46.  Paro- 
dirend  der  Koni.  Athenio  in  den  Xafiö^qncs;:  Meineke  Com.  fr.  IV  559); 
so  namentlich  die  Philosoplien  der  Epikureischen  Schale  (8.  Lucret. 
V  9i5  ff.  Nach  epikureischer  Theorie  auch  Horaz,  Sat.  18,  99  ff.  [vgl. 
Heindorf.J,  wohl  auch  Lucian,  Amor.  33.  34i,  durch  deren  Einfloss  auch 
diese  Vorstellung  eine  gewisse  Verbreitung  gewonnen  haben  mag  (vgl.  z.  B. 
Diodor  I  8;  II  38;  Aristides  I  p.  3i  Dind.;  und  die  spielenden  Wendungen 
dieser  Vorstellung  bei  Ovid  art.  am.  IF  748  ff.,  Tibull  II  4 ,  37  ff.].  Die 
volksthümliche  Vorstell ungsweiso  scheint  gleichwohl  die  alte  von  einer 
Entwickelung  in  pejus  geblieben  zu  sein,  wie  schon  die  Vorliebe  der  Dich- 
ter für  die  Ausmalung  der  einstigen,  nun  längst  verschwundeneu  Glück- 
seligkeit des  goldenen  Ge.schlechts  im  satumischen  Zeitalter  erkennen  Uisst 
's.  des  Broukhusius  Sammlungen  zu  Tibull.  18,  85.  Vgl.  auch  Empedo- 
des  V.  405  ff.  434  ff.  ed.  Stein.,.  Auf  der  Seite  dieser  Volksmeinung 
standen  ohne  Zweifel  auch  die  Stoiker:  ihre ,  stark  cynisch  gefärbten 
politischen  Idealvorstellungen  zeigen  ja  so  klar  wie  möglich,  dasa  sie  den 
wünschenswerthesten  Zustand  der  Menschheit  in  der  Wiederl>erstellong 
jenes,  noch  völlig  unverfälschten  »nalurgemüssen«  Lebens  erkannten,  wie 


—     203     — 

bald  der  nordischen  Völker,  der  nomadischen  Scylhen  ^] ,  im 
Bosondern  der  nördlichslen  Siamme^),  bald  der  Actliiopen  iief 
im  Süden  ^) ,  bald  der  Inder  im  fernen  Osten  ^)  ,  endlich  des 
üussersten  aller  Völker,  der  halb  fabelhaflen  Seror*). 

Solche  volkslhUmliche  Vorstellungen  gaben  die  gUnsligsleu 
Bedingungen  für  philosophische  Dichter,  die  ihre,  in  einer 
»sentimentalen  Idylle »  verkörperten  Ideen  von  Bestimmung  und 
Gltlekseligkeit  der  Menschheit  nicht  durchaus  ins  Blaue,  sondern 
auf  einen  Boden  stellen   wollten,   dem   der  Glaube   ihrer  Leser 

es  völlig  doch  eben  nur  vor  jeder  eigentlichen  Culturentwickelung  anzu- 
treflen  sein  konnte. 

Ij  Deber  Gerechtigkeit  und  Glückseligkeit  der  Scythen  s.  namentlich 
Ephorus  fr.  76.  78.  Aus  Ephorus  schöpft  Nicolaus  Damasc.  d&div  o'jva^. 
c.  SS  p.  4  74  f.  West.,  und  wohl  auch  Aelius  Dionysius  bei  Eustath.,  iL  Xlll 
,  p.  946.     Vielleicht  auch  Justin.  II  2? 

2)  Von  der  Heiligkeit,  den  justissimi  mores,  den  ritus  dementes  der 
*Ap7ijiL7:aToi  (s.  MülienhofT,  Monatsber.  d.  Berliner  Akad.  4  866,  554),  cr- 
zöhfen  Herodot  IV  23,  Pomp.  Mela  I  49  cxtr.  Plin.  n.  h.  VI  §  84.  35. 

3}  Von  den  Aethiopen  Nicol.  Damasc.  42  p.  476  West.:  doxoüat  oi 
eOs£ßetav  %a\  StxatoouvTjv.  Auf  einen  glücklichen  Naturzustand  laufen  die 
Berichte  des  Herodot  III  SO  fT.  hinaus. 

4}  Hiervon  namentlich  Ktesias.  Leber  die  Gerechtigkeit  der  Inder  im 
Allgemeinen:  Indic.  fr.  57,  §  8  p.  81a  (ed.  C.  Müller);  vgl.  §  44  p.  82a: 
TToXXd  Xd^Et  (Ktesias)  Titpl  tf,;  ^ixaioauvr^;  auxwv.  üeber  die  Gerechtigkeit 
der  indischen  Pygmäen:  §  4  4  p.  84  b,  der  Ilundsküpfe :  §  20  p.  83b,  der 
Dyrbäer  fr.  83  p.  64  b. 

5)  Gerechtigkeit  der  Screr:  Plin.  VI  20,  Mela  III  7  init.  Vgl.  auch 
Clemens  Rom.  Recognit.  VIII  48  p.  495  Gersd.,  IX  49  p.  24  4  (aus  Barde- 
sanes  ::.  Et{xap{xlv7]c ,  aus  dem  übrigens,  beiläufig  gesagt,  auch  die  in 
Cramers  Anecd.  Oxon.  IV  236.  237  mitgetheilten  v(S{Ai[xa  ßapßapixoL  excerpirt 
sind).  —  Von  Aethiopen,  Indern,  Serern  gleichmässig  wird  erzählt,  dass  ihre 
natargemässe  Lebensweise  sie  ein  sehr  langes  Leben  (420,  430  Jahre) 
erreichen  lasse:  vgl.  Herodot  III  23  (Aeth.) ;  Ktesias  fr.  57,  §  45,  Clitarch. 
fr.  42,  Onesicr.  fr.  25,  Dio  Chrysost.  or.  35,  §  24  p.  499  Emp.  (Ind.); 
Lacian  Macrob.  5,  Ktesias  p.  371  n.  22  Bahr  (Ser.).  Bei  dieser  Sago 
mochten  indische  Berichte  einwirken,  welche  den  fabelhaften  Uttara 
Kunis  4  000,  4  0,000  Lebensjahre  gaben  (vgl.  Lassen,  Ztschr.  L  d.  K.  d. 
Morgenl.  II  p.  67),  was  dann  Megasthenes  von  den  indischen  Hyperboreern 
aussagte  (fr.  29,  9  p.  44  7  Schw.).  Auf  ein  förmliches  System  wurde  dio 
indische  Ansicht  von  der  langen  Lebensdauer  der  Urmenschen  in  der  bud- 
dhistischen Kosmologie  gebracht:  vgl.  Koppen,  Rel.  d.  Buddha  1  280  L 
—  Dieselbe  Vorstellung  diente  dann  den  Fabulisten,  Theopomp,  Hecataous 
Jambulus  u.  s.  w.  zur  Grundlage  ihrer  Erzählungen  von  übermässiger 
Lebensdauer  ihrer  Märchen  Völker. 


—     204     — 

«*inr  ^t*\\i.s»e  HcHÜt^t  zuzuerkennen  sich  leicht  entschloss.  Der 
Historiker  Theopomp  seheinl  der  Krste  gewesen  zu  sein,  der 
in  dieser  (iHllunff  prosniseher  Dichtung  mit  Plato  zu  welteifern 
unternahm  '  .  Im  achten  Buche  seiner  Philippisi'hen  Geschichten^, 
erzühlte  er.  einer  uralten  Sage  folgend,  wie  König  Midas  von 
Phngicn  einst  den  Silen  durch  Wein,  den  er  in  eine  Quelle 
gemischt  halle,  trunken  gemacht  und  so  in  Fesseln  habe  sehlagen 
lassen  3).  Krwacht,  habe  sich  der  Halbgott  durch  Offenbarung 
Maines  tiefsten  Wissens  lösen  mtlssen.  Er  redete  zuerst  von 
dem   elenden   \jh>»v   der  Menschen  ^) .    und    stellte  diesem,    als 

1.  Die  Restr  seiner  Erzählunf:  vun  der  Meponi;  ff^  (denn  diese  miu», 
obwohl  man  aus  Aelians  Auszug!  das  kaum  errathen  würde,  die  wichtigste 
Stelle  im  Ganzen  eingenommen  haben:  s.  Apollodor  l>ei  Slrabo  VII  p.  199j 
bei  Müller,  Fr.  hi.st.  j:r.  I  p.  i8»— J»l,  fr.  74—77. 

2.  tnter  den   n^paoeiffiSTa  öiTj^t,««;  wird   bei  Theon  Pro^\ninasm.  1 
in  Sfienpels  Rhet.  gr.  11  p.  60,  S1    aufgeführt:  r.nttOL  Beo'i(i.n(p  dv  t^  6706^ 

TAI*  <l>(>.tr7:(xdrv  t,  toO  Üci/.t.voS  'oif,-piat;  . 

3.  Die  Sage  war,  jedenfalls  schon  in  sehr  früher  Zeil,  den  Griechen 
aus  phr>gischer  Ueberlicferung  bekannt  geworden.  Man  tixirte  sie  an  i^ehr 
verschiedenen  .Stellen,  bald  in  Phr\pien  (Xenophon,  Anab.  IS.  4  t,  Pausan. 
I  4,  5;  vgl.  Ovid.  niet.  XI  90  ff.;,  bald,  nach  macedonischer  Volkssagc,  in 
dem  alten  phrygisehen  Gebiet  in  Makedonien,  in  dem  Rosongarlen  des 
Midas  (\gl.  Nicander  fr.  74,  ii  (T.;,  iim  Kusse  des  Bermius  Hcrodot  VIII  1S8. 
vgl.  Coiion  nerrat.  1  .  Welcher  von  beiden  leberlieferungen  Theopomp 
gelolgt  .sei,  wird  uns  nichl  gesagt:  da  ab<*r  Dionxsius  Halic.  epist.  ad  Pomp. 
i'.  6  extr.  von  der  Krzahlung  des  Theopomp  repi  Xei).7;noO  toü  ^ovfiTo;  ii 
Maxeoovtasprirht,  und  dieselbe, de  vet.  scr.  cens.III  8:  tdRcptToviv  Maxc- 
00 via  let/.T^vov  iTTopTjUfvTa  nennt,  so  wird  man  vielleicht  annehmen  dürfen, 
dass  Theopomp  die  S*ene  nach  Macedonien  verlegt  habe:  obwohl  sich  die 
allzu  kurzen  Worte  des  I)ion\sius  auch  wohl  anders  verstehen  Hessen.  — 
Das  hohe  Aller  der,  in  griechischer  Litteratur  nicht  \or  Bacchylidcs  fr.  S 
nachweisluircn  Sage  besttiligt,  ausser  der  (von  Pn*ller,  Gr.  Myth.  1' 404 
hervorgehobenen)  VcrwandUchaft  mit  den  Sagen  von  eingefangenon ,  zur 
Weissagung  gezwungenen  .Meergreisen  (vgl.  auch  Grimm,  D.  Myth.  405*}, 
vor  Allem  die  Wiederkehr  durchaus  analoger  Sagen  \on  trunken  gemachten 
und  dann,  gefangen,  zur  Weissagung  gezwungenen  Waldmännern  bei  an- 
deren indogermaniM'hen  Völkern.  Vgl.  die  altfranzösische  Sage  von  Meriin 
bei  Vnl.  Schmidt,  Slraparoln  p.  336  f.  gerade  d  icsor  Thcil  der  Sage  stammt 
auslndien:s.  Liebrech l  und  Benfey,  Or.  u.  Occ.  1841—354).  und  namentlich 
A.  Kuhns  Nachweise,  die  llcrabk.  des  Feuers  p.  38—36.  iFür  hohes  Alter 
der  Sage  spricht  auch  die  Localisirung  derselben  in  Macedonien,  dem 
ältesten  Sitze  der  später  erst  nach  Asien  übergesiedelten  Phryger  [vgl. 
Kick,  Die  ehemal.  Spracheinheit  der  Indogerm.  Europas  p.  408  ff.j). 

4;  C.  .Müller  (fr.  77;  thcilt  dem  Silen  eine,  bei  Clemens,  Str.  VI  p.  74» 


—     205     — 

strahlendes  Gegenbild,  gegenüber,  was  er  von  einem  glückseligen 
Lande  am  fernsten  Rande  der  Erde  wussle.  Jenseils  des  Oeeans, 
in  welchem  Europa,  Asien  und  Afrika  nur  als  Inseln  schwimmen, 
liegt,  so  erzählte  er,  das  einzige  wahre  Festland,  ein  Land  von 
unermesslicher  Ausdehnung^].  Dort  gedeihen,  wie  die  Thiere, 
so  auch  die  Menschen  zu  einer  ungeheuren  Grösse ^j  und  bringen 


aufbewahrte  pessimistische  Betrachtung  des  Theopomp  zu;  schwerlich  mit 
Recht,  denn  genau  betrachtet,  ergiebt  sich  jene  Betrachtung  als  eine  (etwa 
von  einem  Feldherrn)  im  Drange  einer  einzelnen,  ganz  bestimmten,  un- 
mittelbar drohenden  Todesgefahr  angestellte  und  ausgesprochene  Reflexion, 
wie  sie  in  den  Mund  des  Silen  gar  nicht  passt  (Cic.  Tusc.  I  48,  auf  den 
sich  MUUer  beruft,  paraphrasirt  [wie  eine  Vergleichung  mit  Plut.  cons.  ad 
Ap.  unzweifelhaft  beweist]  den  Krantor  r.  it£vdouc  und  hat  also  die  Er- 
zllhlang  des  Aristoteles  von  Midas  und  Silen,  nicht  die  des  Theopomp 
im  Sinne).  *  Gleichwohl  darf  man  annehmen,  dass  auch  Theopomp  den  Silen 
vom  Elend  des  menschlichen  Lebens  habe  beginnen  lassen;  dass  er  die  Zu- 
stünde in  der  MepoirCc  dem  elenden  Leben  auf  unseren  »Inseln«  nachdrück- 
lich habe  entgegensetzen  wollen,  lassen  die  nachher,  bei  Gelegenheit  der 
Hyperboreer,  getfusserlen  Worte  deutlich  erkennen;  und  es  scheint,  als  ob 
jener  berühmte  Satz:  dip)^'^v  [kh  (a9)  ^uvai  xtX.,  in  welcher  der,  die  grie- 
chische Lebensbetrachtung  so  tief  durchdringende  theoretische  Pessimismus 
sich  auf  das  Allerherbste  ausspricht,  als  die  eigentliche  Weisheit  des  Silen 
mit  jener  Sage  nothwendig  verbunden  gewesen  sei:  er  findet  sich  mit  ihr 
verbunden  nicht  nur  l>ei  Aristoteles  (fr.  87),  sondern  auch  bei  Bacchyiidcs 
(fr.  3:  s.  Bergks  Anm.  p.  1SS7},  und  tthnlich  war  es  denn  wohl  auch  bei 
Theoporop. 

1)  Diese  Vorstellung  von  einem  Festland,  welches  jenseits  des,  unsere 
Erdtheile  nur  als  Inseln  umsch liessenden  Oeeans  liege,  hat  Th.  nicht  er- 
funden. Schon  Plato  kennt  sie,  wenn  er  von  dem  Uebergange  von  der 
Atlantis  irX  t^jV  xaTovnxpu  räoav  IJTrcipov  redet,  Tim.  44  E.-  Spttter  war 
die  Annahme  eines  solchen  Festlandes,  sowohl  im  Norden  von  Europa, 
als  im  SUden  von  Afrika,  allgemein  verbreitet:  vgl.  A.  v.  Humboldt  Krit. 
l}nterss.  üb.  die  histor.  Entw.  der  geogr^  Kenntn.  v.  d.  n.  Welt  (übers. 
von  Ideler)  I  p.  4  44.  p.  474 — 487.  Ohne  Zweifel  ist  es  ein  Nachklang  an- 
tiker Vorstellungen,  wenn  christliche  Autoren  in  dem,  angeblich  im 
Süden  Asiens  den  Ocean  begrenzenden^  jenseitigen  Festlande  (demsell)en,  zu 
^em  noch  Hipparch  die  doch  längst  als  Insel  erkannte  Taprobane  rechnete) 
das  Land  der  Seligkeit,  das  Paradies  suchten :  s.  Cosmas  Indicopl.  p.  434  A, 
Lactantius  inst.  div.  II  43  n.  s.  w. 

3)  Die,  in  solchen  Fabeleien  immer  wiederkehrende  riesige  Grosse  der 
roSrchenhaften  Völker  ist  wohl  ein  Nachklang  der  Vorstellung  von  der  un- 
geheuren Leibesgestalt  der  Ul tosten  (und  tugendhaftesten)  Menschen. 
Funde  übergrosser  Knochen  betrachtete  man  als  Ueberreste  dieser  ältesten 
Menschheit:    s.  Phlegon.  mirab.  fS  — 19.     Die  Giganten   sind  vielleicht  ur- 


—     20()     — 

ihr  Lehen  zu  <ler  doppellen  Dauer  der  hei  den  diesseitigen 
iMenschen  gewöhnlichen  Lehenszeit.  Unter  vielen  anderen  Städten 
ragen  als  die  grössten  hervor  die  Stikite  Machimos  und  Eusebes. 
In  Kusebes  leben  <lie  Menschen  in  Frieden,  die  Erde  bietet 
ihnen  ohne  Pflug  und  Ackerstier,  ohne  Saal  ihre  Gaben;  die 
Götter  besuchen  sie  oft,  um  ihrer  grossen  Frömmigkeit  willen: 
ohne  Krankheil  lel>en  sie.  heiter  und  lacheml  sinken  sie  in  den 
Tod.  Machimos  ist  eine  Stadt  der  Krieger,  sie  herrscht  tiber 
ihre  Nachbarn.  Audi  dorl  leben  die  JMnwohner  ohne  Krankheit, 
sie  sterben  meist,  im  Kampfe  mit  Steinen  und  Holzkeulen  er- 
schlagen, denn  Kisen  verwundel  sie  nicht  ^].  Reich  sind  sie  an 
(lold  und  Silber,  Gold  gilt  ihnen  weniger  als  uns  das  Kisen ^. 
Kinsl  zogen  sie  auf  unsre  hiseln  herüber,  aber  schon  bei  den 
Hyperboreern,  auf  die  sie  zuerst  trafen,  kc^hrlen  sie  um,  weil 
diese,  als  die  glücklichsten  Bewohner  unsrer  Krdt heile  gepriesen, 
ihnen  allzu  elend  erschienen.  —  Was  Theopomp  den  Silen  noch 
weiter  von  einem  Volke  der  »Mcropes«  \> eiche  ebenfalls  auf 
jenem  Festlande  wohnten,  erzählen  Hess,  ist  uns  nicht  genauer 
bekannt;  wir  hören  nur.  dass  bei  ihnen  sich  ein  Ort  »Anostos« 
befand,  um  den  zwei  FKlsse  sich  zogen,  der  Fluss  der  Lust 
und  der  der  Trauer^).  Die  Frdchte  der  Bäume,  die  am  Flusse 
der  Trauer  standen,  erzeugten  dem  (Jeniessenden  unaufhaltsame 
Thrünen  bis  zum  endlichen  Tode:  wer  von  den  Frtlchten  der 
am   Luslstrome   stehenden   Bäume   ass,    <]er  wurde   stufenweise 


sprünglicli    auch    nichts   als    riesige    Urmenschen    f^Tj^eveic):     vgl.    Preller 
r.r.  Myth.  I  357;. 

1)  Erkennt  man  nicht  in  dieser  Entgegensetzung  der  heiden  StIUlte 
eine  Reminisconz  an  die  Platonische  Gegeniiherstcllung  von  Athen  und 
dem  Staate  der  Atlantiker? 

2)  Vgl.  Holiodor  Aethiop.  III  4  cxlr. :  osa  al^po;  rap'  cDloti  ci;  TflU 
ypeta;,  taÜTa  rar/  AiOiO'}/iv  6  ypuso;  vojiU«ai  (nach  liorodot  III  a3).  Epi- 
stuln  Alexandri  ad  Aristot.  de  situ  Indiae  von  den  Indern,  >^-eIchc  bei  deo 
Bttumcn  der  Sonne  und  dos  Mondes  wohnen :  aorc  et  ferro  et  plumbo 
cgeut,  auK»  altundant.  (Violleicht  aus  gleichen  orientalischen  Qaellen  ge- 
nossen, \^ic  gewisse  arabische  Nachrichten  von  einem  goldreichen  Frauea- 
reiche  [v^;!.  die  äthiopische  Candace]  auf  Inseln  des  indischen  Meeres: 
\gl.  Bacher  Nizami  p.  76.) 

3)  Merkwürdig  genug  stimmt  hierzu,  was  man  bei  Plinius  n.  h.  \XXI 
§49  liest:  —  Marsyac  fontem  in  Plirygia  ad  Celacnarum  oppidum  —  — 
non  procul  ab  eo  duo  sunt  fontes  (Ilneon  x>.ai(Mv.  ot  Gclon  i^cXosv)  ab 
olTcctu  Graocorum  nominuiii  dicti. 


—     207     — 

verjüngt,   bis  zum  kleinen   Kinde,   und  bis  zum  endlichen  Er- 
l<techen  ins  Nichts^). 

Die  hier,  nach  einem  kurzen  Auszug  des  Aelian^)  miige- 
theilten  Bruchstücke  der  Erzählung  geben  offenbar  nur  eine  sehr 
unvollständige  und  unklare  Vorstellung  von  dem  Ganzen^).  So 
viel  a]>er  ist  deutlich,  da^s  Theopomp  die  buntesten  Zierrathen 
älteren  geographischen  Märchen  oder  populären  Sagen  nur  ent- 
lehnte oder  nachbildete,  um  damit  seiner  allegorischen  Dichtung 
Fülle  und  Farbe  zu  geben.  Er  verhehlte  keineswegs,  dass  er, 
in   Anmuth   der   Erzählung   mit    den    fabelhaften   Berichten   des 


1)  Hier  haben  wir  eine  der  ältesten  Spuren  der  Sage  vom  »Jungbrun- 
nen«»  die  ich  mich  bestimmt  erinnere,  in  irgend  einer  Erzählung,  deren 
Fandort  sich  indessen  gegenwärtig  meinem  Gedächtniss  nicht  darbieten 
will,  genau  in  derselben  durch  consequente  Fortsetzung  der  Verjüngung 
die  Fabel  endlich  ad  absurdum  führenden,  eigentlich  wohl  scherzhaft  ge- 
meinten Form  ausgeführt  gefunden  zu  haben ,  die  sie  hier  bei  Theopomp 
xeigt  (Lukas  Kranachs  Bild  ist  bekannt).  Sonst  bringt  über  den  Jungbrun- 
nen einige  Notizen  Val.  Schmidt,  zu  Straparola  p.  S77  ff.;  vgl.  auch  Grimm 
D.  Mytb.  2.  Ausg.  p.  554.  Es  verdient  aber  bemerkt  zu  werden,  dass -die 
Sage  von  einem  verjüngenden  Teich  schon  im  Qatapatha  Brähmana  vor- 
kommt, in  der  Legende  von  der  Verjüngung  des  Cyavana,  die  Weber  Ind. 
Streifen  I  p.  49 — 45  übersetzt  hat.  Vgl.  Kuhn  Herabk.  des  Feaers  p.  44. 
42.  (Auf  der  Insel  Buru,  einer  der  Molukken ,  wächst  an  einem  See  eine 
Blame,  die,  nach  dem  Glauben  der  Einwohner,  Jeden,  der  sie  in  der  Hand 
hält,  wieder  jung  macht.  S.  Bickmore,  Reisen  im  osUnd.  Archipel  in  den 
J.  4865  und  4866,  p.  228  d.  Ueb.). 

2)  Var.  Hist.  III  48. 

3}  Unklar  bleibt  z.  B.,  in  welchem  VerhäUniss  die  M^pOTCCc  zu  den 
Bewohnern  der  Städte  }Adyi\i.o^  und  EuaeßV];  stehen.  Man  muas  doch  an- 
nehmen, dass  ihnen  die  wichtigste  Stellung  auf  jenem  Festlande  zuertheilt 
war:  wie  konnte  sonst  Apollodor  (bei  Strabo  VII  p.  299)  die  ganze  Erzäh- 
lung kurzweg  als  die  von  der  Mepo^U  t^  bezeichnen?  Bei  Aelian  erfährt 
man  aber  nichts  Genaueres;  nach  seinem  Berichte  sieht  es  fast  so  aus,  als 
ob  Th.  sie  als  eine  Art  von  TodtenVolk  geschildert  habe  :  der  t^tio;  'Avooto^, 
der  bei  ihnen  liegt,  ist  doch  ofTenbar  jener  dunkelste  Ort  »unde  negant 
redire  quemquam«,  von  dem  bei  den  Neugriechen  ganz  ähnliche  Benen- 
nangen  noch  heute  im  Schwange  gehen :  s.  B.  Schmidt,  D.  Volksl.  d.  Neugr. 
!  285.  —  Uebrigens  ist  es  vielleicht  erlaubt,  in  der  Komödie  MfpoTiU  des 
Alexis,  aus  welcher  Laert.  Diog.  III  27  zwei  auf  Plato  zielende  Spott- 
verse erhalten  hat,  eine  Parodirung  jener  gleichnamigen  Utopie  des  Theo- 
pomp zu  verrauthen,  deren  Herausgabe  Alexis  (welchen  freilich  Meineke 
Com.  1  875  etwas  gar  zu  lange  loben  lässt:  s.  Droyscn  G.  d.  Hell.  11  242< 
noch  ganz  wohl  erleben  konnte. 


—     208     — 

Klesias  und  Andrer  von  indisclien  Dingen  wetteifernd,  gleich- 
wohl nicht  den  trügerischen  Schein  wahrheitsgemiisser  Mit- 
theilungen erwecken  wolle,  sondern  das  Unglaubliche  nur  zur 
Belustigung  der  Einbildungskraft  vortrage  *)  ,  und  (wie  man  hin- 
zudenken darf,  als  anniuthige  liulle  eines  poetisch-philosophischen 
Gedankens. 

Auf  ihrem  eigentlichen  Boden  befanden  sich  übrigens  solche 
Erdichtungen,  welche  sich  doch  innerhalb  eines  sonst  rein  hi- 
storischen Werkes  etwas  wunderlich  ausnehmen,  in  den  Schriften 
nioralisirender  Philosophen;  und  zwei  der  bedeutendsten  Ver- 
treter dieser  Glasse  sind  es  denn  auch,  mit  denen  Apollodor^i 
den  Theopomp  in  eine  Reihe  stellt,  wenn  er  unmittelbar  neben 
seinem  »meropisclien  Lande«  als  verwandte  Dichtungen  die 
»kinnnerische  Stadt a  des  llekataeus,  und  das  »panchäiscbe 
Land«  des  Euhemerus  nennt.  Hekataeus  von  Abderal, 
«'in  Zeitgenosse  Alexanders  des  Grossen  und  des  ersten  Ptolemaeus, 
an  dessen  Hofe  er  gelebt  zu  haben  scheint^;  ,  war  ein  Schüler 
des  Skeptikers  Pyrrho.  Jene  älteste  Skepsis  war  weniger  eine 
theoretisch   philosophirende   Kunst  des   Zweifeins,   als  eine,  auf 


1)  ApoUodor  bei  Strabo  1  p.  48,  von  gewissen  fabulircnden  Geographen: 

adlXtOTa  *xat  ztHavcü;  td  TOtaD'a  [k'j^tdonn  T.tpX  t&v  ao-fjXwv  xai  tov  dpfOOU' 
aivojv.  HeoTTOfiroc  li  iioiuoko'^tX'zai,  cpi^aa;  oTt  xal  (Audovi;  tt  Tau  loropioic 
ipei,  *  xpeirrov  t^  «de  'llpöooTo;  xai  KtTjaia;  xal  'E)»Xdvixo;  xoi  ol  tol  Iv^ntd 
a'jf7pd'!/avTE;.  Jenes  Versprodien  des  Theopomp  l>ezog  sich  ohne  Zweifel 
s|)ccicll  auf  die  Erzälilung  von  der  Mepo'U. 

2)  Bei  Strabo  VII  p.  299. 

3)  Kein  andrer  ist  der  Hclcatacus  aus  Teos  (der  Mutterstadt  von  Ab- 
dera),  dessen  Slrabo  XIV  p.  644  gedenkt:  s.  Meinekc  Vindic.  Streb,  p.  SI4. 

4)  Josephus  c.  Ap.  1  22:  'Exatato;  6  ^AfloTipitTj;  —  —  'AXeSdlvdfMp  tiJ 
ßaoiXet  o'jvaxfidoa; ,  xal  llToXefAatiij  toI  Ad-^ou  GüY^cv^fisvoc  Er  wird  also 
am  ptolemiiischen  Hofe  gelebt  haben,  wie  so  manche  Philosophen.  ;Voo 
solchen  Hofpiiilosophen  in  Alexandricn  seien  z.  B.  genannt:  der  Peripateti- 
kei*  Strato  [Lnerl.  V  58 ;  ein  späterer  Strato  ibid.  64],  die  Cyrenaiker 
Thcodorus  [Uert.  II  4  02]  und  liegesias  [Cic.  Tusc.  1  §  88] ,  der  Stoiker 
Sphaerus  [I.aert.  VII  ill],  bei  Euergetes  Diodorus  h  Kpovoc  lAthcn.  XJI 
r>r)2  G,  Callimachus  fr.  70]  und  Pnnarctus,  Schüler  des  Arcesilaus  [Laert. 
II  4  44,  wohl  auch  der  Epikureer  Kolotes  [vgl.  Plutari'h.  adv.  Col.  I],  ein 
gew.  Timarchus  ,s.  Meineke  ad  Callim.  p.  278]  u.  s.  w.  Ob  diese  Alünner 
zum  Museum  gehorten?}  ~  Auch  Timon ,  der  Milschüler  des  liekataeas, 
stand  mit  Ptoleniaeus  Phiiadelphus  in  Verbindung:   Laert.   I\  410. 


—    209    — 

die  Einsicht  in  die  Unfassbarkeit  des  wirklichen  Wesens  der 
Dinge,  und  die  dieser  Einsieht  »wie  ein  Schatten  folgende« 
unerschüttert  gleichgültige  Gemüthsstimmung  (Ataraxie)  be- 
gründete praktische  Weise  des  Lebens,  die  mit  dem  cynischen 
Leben  mancherlei  Berührungen  zeigt.  Pyrrho  selbst  wollte  offen- 
bar durch  sein  Beispiel  und  Vorbild  lehren,  was  die  ächte 
Philosophie  sei ;  er  verschmähte  es,  seine  Lehre  durch  die  Schrift 
der  Nachwelt  zu  überliefern.  Sein  bedeutendster  Schüler, 
Timon  von  Phlius,  sprach  seine  Meinungen  nicht  ernsthaft  dedu*- 
cirend  aus,  sondern  in  Gestalt 'einer,  wiederum  an  verwandte 
cynische  Schriften  erinnernden,  bitter  satirischen  Poesie  höchst 
phantastischer  Gestalt  wie  sie  ja  allerdings  den  wesentlich  nega- 
tiven Inhalt  seiner  Philosophie  am  Kräftigsten  auszudrücken  geeignet 
sein  mochte.  Wie  denn  aber  jeder  ächten  Satire  ein,  wenn  auch 
nicht  ausdrücklich  bezeichnetes  positives  Ideal  zu  Grunde  liegt, 
gegen  welches  eben  die  Wirklichkeit  gewogen  und  zu  leicht 
befunden  wird,  so  scheint  es  nun,  als  ob  Hekataeus  der  von 
seinem  berühmteren  Mitschüler  so  hart  mitgenommenen  Verkehrt- 
heit der  Griechen  und  ihrer  Weisheitlehrer  ein  Idealbild  der 
edelsten  und  wünschenswerthesten  menschlichen  Zustände  ent- 
'  gegengehalten  habe.  Entgegen  der,  mit  aller  Folgerichtigkeit 
höchst  selbständiger  Charaktere  bis  zum  Absurden  getriebenen 
thatenlosen  Nachlässigkeit^)  des  Pyrrho  und  Timon  zeigt  Hekataeus» 
ein  in  Geschäften  der  Welt  wohl  erfahrener  Mann^,  überhaupt 
eine  weniger  schroffe  und  harte,  freilich  auch  wohl  weniger 
kräftige  Prägung  seines  Wesens.  Es  mochte  seiner  Natur  an- 
gemessener sein,  von  der  blossen  Negation  sich  wenigstens  bis 
zu  dem  Wunsche  eines  besseren  Zustandes  der  Dinge  zu  erheben. 
Der  damaligen  Zeit  war  es  allzu  natürlich,    das  Heil  bei  den 

1)  Hiermit  ist  nur  sehr  unbeholfen   umschrieben,  was  bei  Laärtius  IX 
64  die  dli:paY(AOOuvT]  des  Pyrrho  genannt  wird. 

2)  —  dv9|p  cptXöoo^poc  ä[ka  %fi\  irepl  tgIc  icpo&ic  IxavcGratoc  heisst  Helcataeus 
bei  Josephus  c.  Ap.  I  22.  Dies,  sowie  einige, 'in  den  dann  folgenden  Ex- 
cerpten  des  Josephus  aus  dem  angeblichen  Werke  des  H.  iztpi  'lou^atcov 
enthaltenen  Andeutungen  über  persönliche  Verhttltnisse  des  Hel£.  mag  man 
gelten  lassen  (s.  Müller  Fr.  Hist.  Gr.  II  384.  886),  wenn  man  auch  das 
genannte  Werk  selbst  (und  nicht  etwa  nur  das,  doch  wohl  davon  zu  unter- 
scheidende, sicher  jüdisch- hellenistische  Falsum  repi  'AßpdfiO'j)  für  eine 
der  zahlreichen,  zur  Verherrlichung  der  Juden  von  ihnen  selbst  angefer- 
tigten Fälschungen  hält. 

Rohde,  Der  griechische  Roman.  14 


—     210     — 

Barbaren  zu  suchen;  und  wenn  sein  Lehrer,  ohne  Zweifel 
«getrieben  von  der  damals  durchaus  gewöhnlichen,  und  späterhin 
nanienllich  durch  peripatetische  Gelehrte  befestigten  Meinung 
von  der,  in  den  uralten  barbarischen  Philosophien  verborgnen 
überlegenen  Weisheit,  mit  dem  grossen  Alexander  zu  den  Magiern 
und  bis  zu  den  indischen  Gymnosophislen  gezogen  war^) ,  so  floh 
Hekataeus  gar  mit  seinen  Wünschen  über  alle  Länder  der  be- 
kannten Erde  hinaus  und  verlegte  die  Wohnsitze  der  Glückselig- 
keit zu  den  fernen  Hyperboreern. 

Von  den  Hyperboreern  hatte  er  in  einem,  wie  es  scheint, 
umfangreichen  Werke  gehandelt^).  Es  war  eine  uralte  Vor- 
stellung des  hellenischen  Dichterglaubens ,  dass  jenseits  der 
rhipäischen  Berge,  von  denen  der  kalte  Nordwind  herabweht, 
von  den  Wohnungen  der  andern  Menschen  durch  endlose  wüste 
und  eisstarrende  Lünderstrecken  getrennt,  in  seliger  Einsamkeit 
das  gottgeliebte  Volk  der  Hyperboreer  wohne.  Ohne  Krankheit 
und  Altersplagen  vollbringen  sie  ein  langes  Leben,  bei  fröhlichen 
Festmahlen  und  musischen  Feiern,  in  welchen  sie,  durch  Reigen- 
tänze, Saitenspiel  und  Opferung  von  Eseln  vor  Allem  den  Apollo 
verherrlichen,  mit  dessen  Heiligthum  zu  Dolos  sie  uralte  Ver- 


1)  Laert.  Diog.  IX  61  :  Pyrrho  'Ava^p^ou  fftLo*j9t,  &)vaxoXoud»v  Tzacmjf^, 
(bc  ml  ToT;  FüjAvococpioTat«  ^v  'Ivßla  oufifAlcat  xa\  tou  Mdfoi^'  Cdev  "(vnm&nta 
hmxl  cptXo90cpf)oat,  xö  Tf^c  axaTaXT]<|;iac  xal  ir,o•)(f^Q  etSoc  tUv^arfdg^,  i2ic  ^Ao- 
xfl[vio;  6  'A^ltipirrii  ^t}o1v.  »Ascanius  horoo  ignotus  mihi.  Num  forte 
.scribendam  TiXaxaToc?«  C.  Müller,  Fr.  bist.  II  p.  384  b.  lu  der  Thal 
ist  der  Weg  von  €KATAIOS  zu  ACKANIOS  nicht  allzuweit,  man  wird  aber 
um  so  bereitwilliger  an  die  Stelle  des  Askanius  den  Hekataeus  setzen,  weil 
Hek.  zu  den  aucli  sonst  (nach  Sotlon  ?)  citirten  Gewährsmännern  des  LaMius 
gehört;  weil  ein  Zeugniss  desselben  über  seinen  Lehrer  an  sich  nalar- 
gcmäss  ist;  weil  endlich  eine  Ableitung  der  ihm  für  die  höchste  geltendea 
Weisheit  seines  Lehrers  Pyrrho  aus  barbarischer  Philosophie  gerade 
dem  Hekataeus  sehr  wohl  zuzutrauen  ist.  Denn  dass  er,  in  dem  damals 
entbrannten  Streit  um  den  Ursprung  aller  höchsten  Weisheit,  auf  Seite  der^  * 
jenigen  stand,  welche  den  barbarischen  Theosophen  den  Vorrang  ein- 
rüumten,  beweisen  sehr  deutlich  die  Ueberreste  seiner  Schrift  lieber  die 
ägyptische  Philosophie,  deren  sich  daher  auch  LaerUus  (prooem.  §  9—11) 
in  der  Darlegung  jenes  Streites  bedient;  und  nicht  ohne  Grund  und  Rttck- 
Kicht  auf  die  Wahrscheinlichkeit  wählten  jüdische  Fälscher  gerade  seinen 
Namen  zur  Empfehlung  eines  die  Weisheit  der  barbarischen  Juden  preisen- 
den Werkes. 

2)  Schol.   Apoll.    Rhod.    II  675   spricht  von   ßißX(a  irnfpa^öfueMi  «tpl 
t<üv  Tncpßopioi^  des  Hek. 


—     211     — 

hindung  unterhalteD.  So  halten  das  gotlesfUrchtige,  glückselige 
Volk  epische  und  lyrische  Dichtung,  auch  phantasievolle  Geo- 
graphen, wetteifernd  seit  Langem  gepriesen^].  Hekataeus  nun 
hatte,  wie  man  aus  der  Zusammenstellung  mit  der  »Meropis« 
des  Theopomp  schliessen  muss,  in  seiner  Schilderung  jenes 
hyperboreischen  Landes  ein  philosophisches  Ideal  zu  zeichnen 
versucht.  Die  dürftigen  Berichte,  die  uns  von  seinem  Buche 
sprechen 2),  lassen  leider  nicht  erkennen,  wie  er  diesen  Plan 
ausgeführt  haben  mag.  Sie  reden  uns  von  einer  Insel  Helixoia 
im  nördlichen  Ocean,  nicht  kleiner  als  Sicilien,  »dem  Kelten- 
lande gegenüber«  ^) ,  auf  welche  Hekataeus,  sie  vollends  von  der 
übrigen  profanen  Welt  absondernd,  seine  Hyperboreer  versetzt 
hatte;  von  ihrem  glücklichen  Leben  im  fruchtbarsten,  alljährlich 
zwei  Ernten  gewahrenden  Lande;  von  ihrem  Gultus  des  Apollo, 
dessen   Priester   man   die  ganze,  alltäglich   ihn   mit  Gesang  und 

1)  Die  Angaben  der  Alten  über  die  Hyperboreer  sind  übersichtlich  zu- 
aammengestellt  bei  Ukert  Geogr.  d.  Gr.  u.  R.  III  2  p.  898—406.  (Auf  die- 
sen verweise  ich  am  Liebsten,  weil  er  sich  aller  religionsgeschicbtlichen 
Gonstruetionen  enthalt.:  anders  selbst  K.  0.  Müller  in  seiner  sonst  so  schö- 
nen Darstellung  des  Gegenstandes,  Dotier  l  '^  i^l  —  %S^  \  und  vollends 
Barth,  Teutschlands  Urgesch.  [S.  Aufl.]  I  p.  4-^H4,  wo  die  Hyperboreer 
zu  einer,  über  ungeheure  Strecken  des  Nordens  verbreiteten  »religiösen, 
kirchlichen  Verbindung«,  einer  »geistlichen  Ordensbruderschaft«  werden  1). 

2}  Gesammelt  bei  C.  Müller  Fr.  bist.  gr.  II  p.  386  —  388. 

3)  Die  KeXTixif)  steht  hier  noch,  der  filteren  griechischen  Vorstellung 
eatsprechend,  kurzweg  für  das  Land  am  nordwesUichen  Ende  des  europäischen 
Festlandes,  mit  unbestimmter  Ausdehnung  nach  Osten  hin.  Vgl.  MüllenhofT 
D.  Alt.  I  423  f.  —  Was  eigentlich  Hekatäus  von  einem  Flusse  Kapa(i.ß6xT]; 
erzählt  hatte,  ist  nicht  ganz  klar;  »von  dem  Flusse  Paropamisus  an«  liess 
er  den  amalcius  oceanus  beginnen  »quod  nomen  eins  gentis  (der  Scythen) 
lingua  significat  congelatum.«  Unter  den  mannichfachen  Deutungen  dieses 
Namens  für  das  Eismeer  (s.  MüllenhofT  p.  4S4  Anm.)  scheint  mir  die  von 
Humboldt  befolgte  (von  a  intensivum  und  (idXxiot  erstarrt)  die  anspre- 
chendste. Dass  von  dem  Eismeere  griechische  Berichterstatter  schon  ge- 
nauere Kunde  gegeben  haben  müssen,  lässt  vor  allem  Lucians  Parodirung 
solcher,  ihm  natürlich  durchaus  als  erlogen  erscheinender  Berichte,  Ver. 
Hist.  II  i,  vermuthen.  —  Da  übrigens  Hek.  ersichtlich  an  genauer  Angabe 
erfundenner,  oder  (wie  Paropamisus)  einfach  übertragener  Ortsbezeich- 
nangen  ein  Vergnügen  hatte,  so  darf  man  aus  ihm  vielleicht  die,  bei  Schol. 
Apoll.  Rhod.  II  675  unmittelbar  hinter  einer  Notiz  über  sein  Werk  von  den 
Hyp.  mitgetheilte,  allerdings  unsäglich  thörichte  Angabe  herleiten:  Tpt«  ^i 
Ihni  T»v  'Tirepßopfojv,  'ETiiCctpupioi  xat 'FiTrixvYjfxlJioi  *ai  'OC<SXai  (wie  hei  den 
Lokrern; . 


—    212    — 

Saitenspiel  feiernde  Bevölkerung  nennen  könne  ^].  In  jedem 
neunzehnten  Jahre  komme  der  Gott  selbst  dorthin,  mit  Musik 
empfangen,  selbst  die  Rilhara  spielend  und  tanzend^).  Singende 
Schwane,  in  ungeheuren  Sehwarmen  von  den  Rhipaischen  Bergen 
in  den  herrlichen  Tempel  des  Gottes  niederschwebend,  be- 
gleiten ihn. 

Diese  Angaben,  welche  sich  wesentlich  innerhalb  der  Grenzen 
der  alten  Sagen  von  den  Hyperboreern  halten,  und  was  uns 
sonst  noch  von  einer  besonderen  Sprache  der  Hj'perboreer, 
ihrer  Freundschaft  gegen  die  Hellenen,  namentlich  die  Athener 
und  Delier,  von  den  Königen  des  Landes,  den  sechs  Ellen  hohen 
Nachkommen  des  Boreas,  gesagt  wird,  sind  offenbar  nur  zufollige 
Brocken  einer  sehr  reichen  und  ausgedehnten  Schilderung;  es 
wird  uns  auch  ausdrücklich  versichert,  Hekat^eus  habe  noch  sonst 
viel  Herrliches  und  Erhabenes  von  dem  Leben  der  Hyperboreer 
erzählt'].  Undeutlich  ist  übrigens  die  Einkleidung  so  wunder- 
barer Sagen.  Woher  kam  dem  skeptischen  •  Philosophen  seine 
Kunde?  »Nicht  zu  Schiffe,  nicht  zu  Fusse  wandernd  dürftest 
du  fmden  zu  der  Hyperlioreer  Festvereinigung  den  wundersamen 
Weg«,  sagt  ja  Pindar^).  Hekataeus  freilich  wusste  es  anders: 
manche  von  den  Hellenen,  erzahlte  er,  seien  hinüber  gekommen 
und    hatten    kostbare,    mit    hellenischen    Inschriften    versehene 


1 )  clvat  V  a'jTOuc  (stfmmtlichc  Hyperboreer)  AoTtcp  tepetc  Ttvac  'Ait^XXoi^, 
fr.  S.  So  nennt  Pindar,  Ol.  ITT  16  den  gcsammten  %ä(Aov  'Vircpßppiovv,  'AirdX- 
XcDvoc  OcpeCicovra. 

1]  Zu  diesem  frommen  Volke  kommt  der  Gott  noch  in  leibhafter  Ge- 
stalt, wie  bei  Homer  die  Götter  ^ap^et;  zu  den  Phaeaken  kommen  (Od)«. 
7j  204  fr.},  wie  sie  in  ältester  Zeit  mit  der  noch  un verderbten  Menschheit 
in  Person  verkehrten  (vgl.  Arat.  Phaen.  40)  f.  Ovid.  Fast.  I  S47  f.,  nament- 
lich aber  Catull.  64,  884  ü.),  wie  sie  zu  Theopomps  Stadt  der  Froromen 
gehen. 

3)  lioKkä  xoil  oepivd  Ixepa  Aellan  H.  An.  XI  1. 

4)  Pindar.  Pyth.  X  J9:  vaual  h'  oüre  Treji;  (div  dfv  eßpou  |  U  'Tiwppo- 
p£cuv  ifSrta  Oau^axav  fihis.  Freilich  bemerken  die  Erklärer  zu  jener  Stelle, 
dass  ja  niclit  nur  der,  weder  eines  SchifTes  noch  der  eigenen  Füsse  be- 
dürftige Perscus,  sondern,  nach  Pindars  eignor  Darstellung  (Ol.  111),  auch 
der  zu  Fusa  wandernde  Herakles  zu  den  Hyp.  gelangt  war.  —  So  ist  aber 
häufig  der  Geist  des  griechischen  Dichters  in  den  Horizont  des  jedesmal 
ihn  beschäftigenden  Mythus  völlig  eingeschlossen,  des  jenseits  Liegenden 
vergessen,  oder  sich  darum  nicht  kümmernd. 


—    213    — 

Weihegeschenke  dorl  gelassen').  Da  er  zudem  versicherte,  das 
Volk  der  Hyperboreer  cxistire  noch  zu  seiner  Zeit  2) ,  so  darf 
man  vielleicht  glauben,  dass  diese  Nachricht  und  zugleich  die 
ganze  Beschreibung  von  Land  und  Volk  der  Hyperboreer  dem 
Hekataeus,  nach  seiner  Fiction,  von  einem  Landsmann  vermittelt 
war,  der  in  eigner  Person  zu  der  heiligen  Insel  hinüber  ge- 
drungen war,  und  von  ihren  Zuständen  genaue  Kunde  zurück- 
gebracht hatte.  Das  mochte  denn  freilich  auf  die  Phantasie  der 
Leser  mit  einem  ganz  andern  Reiz  verlockend  wirken,  wenn  er 
ihnen  das  Land  der  seligsten  und  gerechtesten  Menschen,  zwar 
in  räthselhafter  Feme,  aber  doch  in  gegenwärtiger  Wirklichkeit, 
und  dem  Beharrlichen  wohl  erreichbar  vorspiegelte,  als  wenn 
Theopomp  seinen  alten  Waldgott  in  mythischer  Vorzeit  von  einem 
fabelhaften  Volke  erzählen  Hess. 

So  unvollkommen  uns  übrigens  die  Erzählung  des  Hekataeus 
bekannt  ist,  so  sehen  wir  dies  doch  mit  hinreichender  Deutlich- 
keit, dass  sein  wesentlichster  Zweck  der  war,  in  dem  Volke 
der  Hyperboreer  ein  Musterbild  frommer  Götterver- 
ehrung und  deren  segenreicher  Folgen  aufzustellen  ^j .  Eine 
solche  erbauliche  Tendenz,  wie  sie  den  aus  seinen  sonstigen 
Schriften  erkennbaren  theologischen  Neigungen  des  Hekataeus 
sich  übrigens  ganz  wohl  anschliesst,  braucht  uns  bei  einem 
Philosophen  der  skeptischen  Schule  nicht  ernstlich  zu  verwundern. 
Wenn  wir  vom  Wesen  der  Dinge  nichts  wissen  und  aussagen 
können,  sondern  in  jeder  Behauptung  nur  ausdrücken,  wie  uns 
die  Dinge  erscheinen;  so  hat  man  keinen  Grund,  den  Meinungen 
der  Menschen  von  Göttern,  ihrer  Existenz  und  Art,  ihrem  Ver- 
hältniss  zu  den  Menschen  anders  entgegen  zu  treten,  als  anderem 
Wahn  und  Meinen  der  Menschen  auch;  man  hat  sie,  als  dog- 
matische Behauptungen,  abzuweisen,  mag  sie  aber,  da  man  dem 
Schein  zu  folgen  in  allen  Dingen  genöthigt  ist,  als  solchen  eben 


1)  fr.  8  §  4. 

2)  fr.  4. 

3)  Für  einen  ouhemeristischen  Myihenverdreher  der  abgeschmacktesten 
Art  würde  man  ihn  halten  müssen,  wenn  auf  das,  was  nach  Natalis  Comes 
mytb.  IX  46  (citiri  bei  Müller  fr.  bist.  IV  657)  angeblich  »Hecataeas  de 
Hyperboreisn  von  den  Ohren  des  Midas  erzählt  haben  soll,  irgend  Verlass 
wäre.  Dergleichen  will  aber  zu  den  authentischen  Nachrichten  von  dem 
Buche  des  Uek.  sehr  wenig  passen. 


—     214     — 

Auch  gelten  lassen.  Der  Gewohnheit,  welcher  überhaupt  folgen 
zu  wollen  die  Skeptiker  ohne  Verletzung  ihrer  Principien  erklären 
konnten,  scheinen  sie  im  Besondern  auch  in  der  Götterverehning 
sich  geftlgt  zu  haben  ^j .  Wer  an  der  Möglichkeit  wahrer  und 
eigentlicher  Erkenntniss  zweifelt,  dem  thut  doch  wohl  ein 
Mythus  einmal  genügt).  Es  scheint  aber,  als  ob  HekatHus  die 
goldne  Brücke,  welche  gerade  von  der  Verzweiflung  an  der 
philosophischen  Wahrheit  so  bequemlich  sich  in  das  verbeissungs- 
voll  schimmernde  Land  des  mythologischen  Glaubens  hinüber- 
wölbt, besonders  guten  Muthes  überschritten  habe. 

Uebrigens  scheint  man  seit  jener  Erz<ihlung  des  Skeptikers 
die  Hoffnung,  das  Land  der  Seligen  auf  irgend  einer  phantasti- 
schen Insel  im  nördlichen  Ocean  antreffen  zu  können,  nicht 
wieder  losgelassen  zu  haben.  Von  grossen  Inseln  im  Norden 
unseres  Erdtheils  wissen  uns  manche  Berichte  zu  sagen  ^) ;  und 
eine  wunderliche  Erzühlung  Plutarchs  fabelt  von  Inseln  im 
Westen  Britanniens,  die  mit  dem  von  Hellenen  bewohnten  Theiie 


1}  Laert.  Diog.  IX  106:  A{vr|9iOT]fi.oc  —  du^ev  cpr^^tv  6(>tCetv  xöv  Iläppov« 
ooYfJtaxixd»;  oiA  xip  avTiXo^iow,  toTc  oi  cpatvofx^votc  dxoXou^etv.  Ibid. 
105:  TtfACDV  h  TU)  llu^nvi  cpT)9t  (ai^  £xßcßT]x^vat  T-fjv  ouvi^ftetav.  Datf 
die  älteren  Skeptiker  es  im  Besonderen  in  Sechen  der  Religion  mit  der 
o'j^fittöL  hielten,  lässt  schon  die  Stellung  des  Pyrrho  als  apytepet;  in  seiner 
Vaterstadt  Elis  [s.  Anligonus  Carystius  bei  Laert.  IX  64}  vermuthen.  In 
ihrem  Sinne  sagt  daher  auch  der  spätere  Skeptiker  Sextus  Empiricus  biromir. 
III  8  (p.  119,  16  ff.  Bk  )  ganz  correct:  (— repl  dcoO  oxoTT^awjiicv)  ixcTto 
rpoeinövTCC  Sn  Ttji  \tts  ßicp  xaTaxoXou&oimec  aöoSdotoJC  ^afAEv  clvat  dco&t 
xol  9£ßo(jiev  (^£oi>;  xal  irpovociv  aurou;  ^api^v,  7ip6c  o£  t9)v  npoicitctav  tatv 
ooYfJLaxtxüv  xdht  'ki'(ri[Lt^  —  (womit  er  dann  zur  Widerlegung  der  dogmati- 
schen Behauptungen  über  die  Existenz  und  Art  der  Götter  übergeht). 

2)  Etwas  derartiges  will  wohl  der  Vers  des  Timon  bei  Sextus  Emp. 
adv.  Math.  \I  20  (p.  540,  S4  Bk.)  andeuten:  ich  werde  reden  A«  (UK 
xatacpalverat  clvai  piudov  dXT]&e(Y)c  öpOöv  lycov  xav(Sva  xxX. 

3)  Unter  manchen  fabulosen  Berichten  des  Geographen  Xenophon  von 
Lampsacus  's.  Müller  F.  H.  Gr.  III  p.  209  a)  finden  wir  auch,  dass  er, 
drei  Tagereisen  von  der  »scythischen  Küste«  entfernt,  eine  » ungeheuer 
grosse«  Insel,  Baltia  (Skandinavien?  so  Zeuss  Die  Deutschen  und  die  Nachb. 
p.  270),  im  Nordmeer  angesetzt  hatte:  Plin.  n.  h.  IV  27.  Noch  mehr  nach 
dem  Märchen  schmeckt  der  Bericht  des  Pomp.  Mola  III  6  fln.:  Talca  in 
Casplo  man  (welches  nach  seiner,  wie  so  vieler  Alten,  Vorstellung,  nur 
eine  Einbuchtung  des  nördlichen  Oceans  ist)  sine  cuitu  ferlilis,  omni  fruge 
ac  fructibus  abundans;  sed  vicini  populi  quae  gignuntur  attingere  nefos  et 
pro  sacrilegio  habent,  deis  parata  existimantes  deisque  servanda. 


—     215    — 

des  jenseits  des  Oceans  gelegenen  Festlandes  eine  geregelte 
Verbindung  haben,  auf  deren  einer  heilige,  unverletzliche  Menschen 
wohnen,  während  auf  einer  anderen,  mit  allen  Gaben  des 
mildesten  Himmels  gesegneten,  der  alte  Kronos,  von  Schlaf  ge- 
fesselt, von  Dämonen  bedient,  in  einer  tiefen  Höhle  auf  gold- 
sehimmemdem  Felsen  ruht,  u.  s.  w.  ^).  Mögen  an  diesen  Fabeln 
gewisse  Sagen  der  nordischen  Barbaren,  auf  die  Plutarch  sich 
beruft^),  einigen  Antheil  haben:  jene  Sagen  aufzunehmen  und 
ausschmückend  zu  benutzen,  machten  doch  erst  acht  griechische 
Erzählungen,  wie  die  des  Theopomp  und  Ilekataeus,  geneigt, 
welche  nun  einmal  in  den  unwirthlichen  Nebelmeeren  des  höchsten  • 
Nordens  geheime  Zufluchtsorte  einer  überirdischen  Wonne  und 
Glückseligkeit  sich  vorzustellen  ihre  Landsleute  vorbereitet  hatten. 
Aeltere,  acht  volksthümliche  Vorstellutigen  suchten  das  Land 
der  Seligen  im  westlichen  Ocean.  Aber  wenn  der  alte,  von 
Hesiod  und  Pindar  ausgeschmückte  Volksglaube  erst  die  ver- 
storbenen Gerechten  auf  einer  oder  mehreren  fernen  Inseln 
versammelte,  so  schmeichelte  eine  spätere  Zeit  der  Phantasie 
mit  dem  Bilde  einer,  möglicher  Weise  auch  den  Lebenden  er- 
reichbaren, wirklich  vorhandenen  Welt  des  Friedens  und  Glücks, 
durch  die  farbenreiche  Wiedergabe  phönicischer  Sagen  von 
einer,  draussen  im  Westmecre  gelegenen,  von  sanftester  Luft 
umflossenen,  durch  die  segensreiche  Milde  der  Natur  mit  allen 
reichsten  Gaben  ausgestatteten,  und  zum  »Aufenthalt  der  Götter, 
nicht  der  Menschen  a 3)  geschaffenen  Insel,  welche  einst  von 
phönicischen  Schiffern  durch  Zufall  entdeckt,  später  aber  durch 
die  eifersüchtige  Wachsamkeit  der  phönicischen  Behörden  ver- 
borgen   und    unzugänglich    gehalten    worden    sei^].      Deutlich 


1)  S.  Plutarch  de  def.  orac.  48,  de  facie  in  orbe  lunae  i6  ff.  Vgl. 
Humboldt  Krit.  Unterss.  u.  s.  w.  I  p.  4  74  ff. 

2)  — TÖv  Kpövov  ol  ßdpßapot  xadetp)^dat  (AudoXo^Quotv  uir6  toO  Atoc  xtX. 
(de  fac.  26).  lieber  den  (geringen)  sagenhaften  Kern  der  Fabel  vgl.  Mühlen- 
hoff,  D.  Alterthumsk.  1  446  f. 

3)  —  ooore  ooxciv  a'jn^v  cuocl  de&v  xtvösv,  o*jx  dvdpt&nov,  uirapyctv  dfi- 
ß(oyrf)ptov,  otd  i^^v  unepßoX9)v  r^c  e6(at(jL0v(ac.     Diodor  V  49  extr. 

4)  Diodor  V  49.  20;  Pseudoaristoteles  mir.  ausc.  LXXXIV  West.  Nach 
Möllenhoffs  Untersuchungen  (D.  Alterthumsk.  I  467  f.)  wäre  Beider  gemein- 
same Quelle  ein  Bericht  des  Timaeus.  Indessen  wird  man  mindestens 
an  eine  unvermittelte  Benutzung  der  gleichen  Quelle  zu  glauben  durch 
die  beträchtlichen  Differenzen  der  beiden  Berichte  verhindert.    Bei  Diodor 


—     216    — 

l^cnug  si'hinimerl  es  aus  diesen  Berichten  hervor,  dass  in  solchen 
Sagen  der  Barbaren  die  griechischen  Wiedererzähler  eine  Be- 
slüligung  ihres  eignen  Volksglaubens  erkannten.  Kein  Wunder 
denn,  dass  später  Sertorius,  durch  ähnliche  Sagen  iberischer 
Schiffer  erregt,  ernstlich  den  abenteuerlichen  Gedanken  fassle, 
zu  jenen  »atlantischen  Inseln«,  dem  alten  homerischen  Wohnplatz 


sind  die  ersten  Entdecker  Phönicicr  im  Allgemeinen;   bei  Ar.    Karthager. 
Nach  Aristoteles  hatten  sich   auf  der  Insel  bereits  karthagische  Ansiedler 
niedergelassen,  als  die  Behörden  einen  ferneren  Besuch  der  Insel  bei  Todes- 
strafe verboten  (p.  S3 »   4  0  West.     Zu  schreiben  ist  vielleicht:    dveCmtodoi 
OavdTtp  CY)(AtoDv  —  »sie  hatten  verkündigen  lassen,  dass  sie  mit  dem  Tode 
strafen  würden a.    dveiiretv  von  officielier  Ankündigung  httufig;  freilich  wohl 
nicht  das  Medium;    aber  auch  von    aireinctv    ist    in    der  Bedeutung  »ver- 
bieten«,   die    hier    erforderlich     wäre,    das    Medium    nicht  gebräuchlich. 
Oder:  dl7tciXif)oaodai?    Die  Vulgata  aTrelrasf^at  ist  jedenfalls  sinnlos.)   und 
sämmtliche  Ansiedler  tödteten,  damit  sie  nicht  (zu  den  Feinden  der  Stadt T} 
die  Kunde  von  der  Insel  trügen,  und  damit  nicht  etwa  eine  dort  sich  be- 
festigende unabhängige  Macht  dem  Wohle  der  Karthager  gefährlich  werde. 
;Die  Worte  p.  i5,  42   f.:    [xtjoc  Tikfflo^  ourrpa^ev   iiC  outäv  ItzX  tJ^v  vfjoov 
xup(a;  TjyjQ  sind  völlig  unverständlich;  was  bedeutet  in   auTuv?    Dem  er- 
forderlichen Sinne  wenigstens  würde  genügen:   (atjOs  t:X-?)&oc  9u9Tpa^iv  iic* 
a'j[Toiic  xaTav]Täiv  ItX  W^v  vfjaov  xupta;  xuyj)   »damit  nicht  eine  Menge  [voB 
Unzufriedenen],  die  sich  gegen  sie  [die  TTpoeornrat  toiv  Kap)^TfOov(o]v]  zusam- 
mengerottet hätte  [vgl.  Polyb.  III  5,  3 :  ouctpacp^vrojv  iiti  tov  äT^lt.il'zplos  xfiv 
dOvXcDv  ßaotX^oiv]  nach  der  Insel  ziehend  [xaraycdv  einfach  b  hingehen ,  wie 
bei  Späteren  oft:  z.  B.  Diodor  XII  53,  Z.  66.  Wess.]    dort  sich  eine  eigne 
Macht  grüi|<jc«).  —  Bei  Diodor  machen  die  Entdecker  die  Herrlichkeit   der 
Insel  »Allen  kund«  (anaoi  ^Ndliptfiov  £ro(T]aav  c.  20,  85  Wess.,   nämlich  tf^ 
euöatjAO^fUv  r?);  vf|Oo*j,    nicht   die  Lage  der  Insel  selbst,  was  allerdingi, 
wie  Wesscling  hervorhebt,  zu  dem  Folgenden  übel   stimmen  würde.)    Von   • 
einer  phönicischen    oder  speciell  karthagischen  Ansiedelung  ist  nicht  die 
Rede.     Als  spiitcrliin  die  T\r rhener  eine  Colonie  dorthin  senden  wollco, 
hindern   die   Karthager  sie  daran,    fürchtend,   es  möchten   zu   viele   Kar- 
thager dahin  ziehen  und  in  der  Absicht,  für  zukünftige  Unglücksfälle,  wena 
sie  von  der  Secherrschaft  verdrängt  wären  (Z.  88  sehr.    l^a>.aTToxpaToup.i- 
voü«,  nicht  6aXaTToxpaTo>*Ta; :   wie    können  denn   zu  einer  Zeit  wo  etwa 
Tiepl  T^jv  KapyT]0<Sva  6XooyepU  nratofxa  au^ißatvot  die  Karthager  noch  Herren 
der  See  heissen?  Das  Passivum  bei  Demetrius  com.  XtxeX(a  fr.  II  [II  p.  877]) 
einen,  den  Siegern  unbekannten  Zufluchtsort  sich  olTen  zu  halten.  —   Klar 
ist  dieser  Bericht  des  Diodor  nicht.    Wenn  dieTyrrhcner  nach  der  Insel 
bereits  eine  Colonie  schicken  wollten,    so  mussten  sie  doch  die  Exisleni 
und  die  Lage  der  Insel  kennen :    wie   konnten  aber  dann    die  Karthager 
noch  hoffen,   dermaleinst  in  jener  Insel  eine  den  Siegern   unbekannte 
Zuflucht  tinden  zu  können?  Und  wenn  die  Tyr rhener  dort  eine  Colonie 


—    217     — 

der  Seligen  hinauszufahren,  und  so  aller  Noth  und  den  unauf- 
hörlichen Kämpfen  in  der  Menschenwelt  auf  ewig  zu  entrinnen  ^j . 
Nicht  minder  bereitwillig  nahm  man  andre  barbarische 
Sagen  auf,  in  denen  man  eine  Widerspiegelung  der  eigenen 
Wunschgebilde  zu  erkennen  meinte.  Alte  Sagen  der  Inder 
erzählen  von  einem  Lande  nördlich  des  Himalaya,  dem  Uttara 
Kuru.  Dieses  Uttara  Kuru  »ist  das  Land  ungestörter,  schöner 
Gentisse;  nicht  zu  kalt,  nicht  zu  warm,  von  Krankheit  frei, 
Kummer  und  Sorgen  sind  dort  unbekannt;  die  Erde  ist  staub- 
los und  wohlriechend,  die  Flüsse  strömen  in  goldenem  Bette 
und  rollen,  statt  der  Kiesel,  Perlen  und  Edelsteine;  die  Bäume 
tragen  nicht  nur  immer  Früchte,  auch  Stoffe  und  Kleider  aller 
Farben  wachsen  auf  ihnen,  und  jeden  Morgen  hangen  ihre  Zweige 


angelegt  hätten,  so  konnte  doch  das  nicht  die  Besorgniss  erregen,  dass 
allzu  viele  Karthager  zu  der,  dann  ja  von  ihren  Feinden  besetzten 
Insel  auswandern  würden.  Hatte  etwa  der  von  Diodor  liederlich  excerpirte 
Autor  erzählt,  dass  Tuppvj^wv  8aXa'CToxpaTo6vTa>v ,  zur  Zeit  des  Aufblühens 
tyrrhenischer  Seemacht,  nicht  die  Tyrrhener  sondern  unter  den,  von  ihnen 
eingeengten  Karthagern  Einige  den  Plan  einer  Colonisirung  der  Insel 
gefasst  hatten,  dann  aber  von  den  karthagischen  •  Behörden  gehindert  wor- 
den seien,  damit  nicht  allzu  viel  karthagisches  Volk  nach  der  glückseligen 
Insel  abströme  und  die  Feinde  vorzeitig  auf  einen,  erst  im  Falle  der  ausser- 
sten  Noth  aufzusuchenden  letzten  Zufluchtsort  aufmerksam  gemacht  wür- 
den? —  Deber  den  geographischen  Gehalt  der  Sage  vgl.  Humboldt  Krit. 
Unters.  I  4S4  ff. 

1)  Plutarch.  Sertor.  8.  9.  —  Vielleicht  thut  man  einem  übrigens  un- 
bekannten Marceil  US  nicht  Unrecht ,  wenn  man  aus  den  sonderbaren 
Nachrichten,  welche  er  in  seinen  Aldiozixd  von  sieben,  der  Persephonc 
heiligen,  im  Ocean  liegenden  Inseln  und  von  drei  andern  ungeheuer  gros- 
sen Inseln  des  Oceans  gegeben  hatte,  auf  deren  einer  die  Einwohner  noch 
von  der  Atlantis  des  Plato  Kunde  hatten  (s.  Martin  Tim^e  I  294  f.)  — 
wenn  man  hieraus  schliesst,  dass  auch  seine  AlOioTrixdi  nicht  zu  den  ernst- 
haften geographischen  Werken,  sondern  in  die  Classe  der  hier  behandelten 
philosophisch -geographischen  Märchen  gehörten.  Dass  die  sieben  Inseln 
der  Persephone  heilig  sind,  lässt  sie  wohl  als  Aufenthalt  der  abgeschie- 
denen Seelen  erkennen ;  es  sind  abermals  die  (Aaxapmv  vf]ooi,  welche  über- 
haupt zu  allen  hier  betrachteten  Fabeleien  den  ersten  Anstoss  gegeben 
haben  mögen.  —  Die  grosse  Oase  heisst  bei  Herodot  III  26  Maxdlprav  v-^oo; ; 
ein  Herodor  (unter  Caligula?  s.  Weichert  Apoll.  Rhod.  p.  4  64)  nannte  sie 
<l^iKniU  (was  ungefähr  dasselbe  wie  MaxdLporv  v-fjao;  besagen  will);  noch  im 
fUnflen  Jahrhundert  unsrer  Aera  macht  Olympiodor  (h.  Byz.  §  33 :  Müller  fr. 
bist.  IV  65)  ernstliche  Anstrengungen,  um  zu  erweisen ,  dass  in  der  That 
diese  Oase,  einst  eine  Meerinsel,  die  Maxdpiuv  vfjoo;  sein  möge. 


—     21S    — 

voll  der  schönsten  Frauen,  die  durch  einen  Fluch  des  Indra 
jeden  Abend  wieder  sterben  müssen.  Dort  wohnen,  ausser  den 
nördlichen  (Uttara)  Kurus,  die  Halbgötter  aller  Art,  in  ewiger 
Freude,  auch  die  sieben  grossen  Heiligen  der  Vor>velt«  u.  s.  wJ). 
Den  Griechen  war  dieses  fabelhafte  Land ,  aus  indischen 
Erzählungen,  wohl  bekannt;  wie  zu  erwarten,  fanden  sie  hier 
ihre  Hyperboreersagen  bestätigt.  Das  Uttara  Kuru  meint  wohl 
Megasthcnes,  wenn  er  von  indischen  Hyperboreern  spricht*). 
Zu  einem  phantastisch  erbaulichen  Romane,  den  »Hyperboreern« 
des  Hekataeus  nahe  verwandt,  hatte  ein  gewisser  Amonietus 
diese  Sagen  vom  Leben  der  »Attacoren«,  wie  er  sie  nannte, 
verarbeitet  3).  Dieser  Amonietus  scheint,  gleich  Hekataeus,  im 
Anfange  der  Diadochcnzeit  gelebt  zu  haben  ^j ;  ein  neues  Zeugniss 

1)  Lassen,  Ztschr.  f.  die  Kunde  des  Morgenl.  U  p.  68.  64,  nach  dem 
Rämayana.  Die  Uttara  Kurus  kommen  schon  vor  im  Aitar^ya  Brdhmana  des 
Rigveda  (s.  Lassen  Ind.  Alt.  I  542,  654,  846  f.)  und  erhielten  sich  auch  in 
der  buddhistischen  Sage,  in  welcher  Uttara  Kuru  eine  der  vier  Weltinseln 
ist  (s.  Koppen  Die  Relig.  des  Buddha  1  233) ,  lebendig.  Ptolcmäus  kennt 
das  Land  der  *Orroppox^ppai,  Ammianus  Marcellinus  den  Berg  der  »Opurro- 
carra«  (so  die  Hss.  XXIIl  6,  65  p.  834,  i  Gardth.).  Zu  diesen  von 
Lassen  angeführten  Stellen  füge  man  noch  Solins,  von  Martianus  Capelli 
wiederholte  Angabe  von  dem  glückseligen  »Attacenus  sinus«  (Sol.  p.  SOS, 
il  M.  M.  Cap.  VI  693.].  ~  Beiläufig  sei,  bei  Gelegenheit  der  auf  den 
Bäumen  wachsenden  Frauen  an  die  oben,  p.  195,  zu  Lucian  V.  H.  1  8  be- 
rührten Sagen  erinnert. 

2;  Strabo  XV  p.  701  :  Megaslheues  berichte  von  den  indischen  7(>.6oo- 
^01 :  Ttepl  Tä>v  yO.iexo»^  'TTtepßopioiv  rd  aOrd  Xi-^ti'i  £ipL(nv(5||  xal  Iltvodlpq» 
xal  d[X>vOi;  {ludoXtSfoi;.  Sicher  mit  Recht  denkt  hierbei  Lassen  (Ztsch.  p.  67) 
an  die  Uttara  Kurus;  zu  weit  geht  Schwanbeck  Megasthenis  Ind.  p.  71, 
wenn  er  die  ganze  Fabel  von  den  Hyperboreern  den  Griechen  überhaupt 
aus  Indien  zugekommen  sein  lässt.  Wird. man  denn  zur  Zeit  der  hesiodi- 
sehen  Gedichte  indischen  Einfluss  auf  griechische  Vorstellungsarten  nach- 
weisen können?  —  An  die  ebenfalls  hierher  gehörigen  Nachrichten  von 
den  langlebenden,  gerechten  Serern  (s.  oben  p.  203  A.  5)  erinnert' Lassen. 

3)  Plinius  n.  h.  VI  17  §  55:  bei  den  Serern  liegt:  —  sinus  et  gens 
Attacorum,  apricls  ab  omni  noxio  adflatu  seclnsa  collibus.  eadem  qua  Hy- 
perborei  degunt  temperie.  de  iis  privatim  yolumen  condidit  Amomeius, 
sicut  Hecataeus  de  liyperboreis.  Diese  Vergleichung  mit  Hek.  genügt,  um 
den  Charakter  des  Buches  deutlich  zu  machen. 

4)  Er  ist  älter  als  Kallimachus,  der  ein  Buch  von  ihm,  »dx  M£|A^pt»; 
dvd7tXo'j;w  citirt  bei  Antig.  Caryst.  mirab.  149  West.  Da  ihn  aber  Niemand 
vor  den  Zug  Alexanders  des  Grossen  wird  setzen  wollen,  so  hat  jedeDÜüIs 
C.  Müller  Recht,  wenn  er  ihn  unter  dem  ersten  oder  zweiten  Ptolemaeos 
blühen  lässt  (Fr.  H.  Gr.  11  896  b.). 


—     219     — 

für  das  Gefalleil,  weiches  gerade  jene  Zeil  an  solchen  philo- 
sophischen Utopien  fand.  Es  ist  wenigstens  recht  wohl  denkbar, 
dass  ein  übrigens  unbekannter  Timokles,  wie  er  seiner  schrift- 
stellerischen Art  nach  in  die  Reihe  der  hier  betrachteten  Autoren 
gehört,  so  auch  der  Zeit  nach  ihnen  nahe  stand.  Er  hatte,  unter 
einem  abenteuerlichen  Pseudonym  versteckt,  in  einem  uns  nur 
aus  einigen  kurzen  Andeutungen  bekannten  phantastischen  Buche 
die  wundersamen  und  glücklichen  Zustände  eines  von  ihm  selbst 
erfundenen  Volkes  der  »Schlangentödter«  sehr  bunt  ausgemalt  >) . 


1)  Photius  cpistol.  55  p.  4  41  (ed.  Montacutius,  Lond.  4654):  Ti(AOxXla 
iwvi,  fi&XXov  hk  XXovÄdyovÄXov  t6v  *Otpioxav6v  [htl  '(dp,  cb;  lotxe,  xal  xa 
M\um  Tepotcueo^ai)  xo*jp(Co9v  loos;  ^  p.etpaxiCt»'^  xoT;  (Aa8if)p.a9tv  'jjxouoa;, 
'O^pioxasÄv  ^xe(vo)V,  oO;  aOr^;  »jirsanfjaotTO,  ^^vo;  xal  9601V  xai  roXiTetav  *al  p^x^^ 
%a\  v(xac  %al  ß(aiv  aJ&va;  xal  r^Xixfa;  xal  eu^at{Aov(a;  oux  dvOpdbTcoiv  (a6vov  dXXd 
taX  ^'JTfirv  xai  I^Am'^  xal  y"^»  *a^  ÄoXblaoT];  xal  d£poc  xaÄ*  uTrepßoX-^iv  i};e*J9pLdT«v 
tcpaTCT^odfjLCvov.  Meineke,  der  [nach  einer  Jcurzen  Notiz  bei  Fabricius  B. 
Gr.    II   504    Harl.)    in    der    Htstoria    criiica    comicer.    gr.    p.    484    zuerst 

wieder  auf  diesen  Timokles  aufmerksam  gemacht  hat,  setzt  hinzu:  » 

satis  intelligitur,  Timoclis  librum  ex  Milesiarum  sive  Roroanensium  scrip- 
tionom  genere  fuisse,  miraculis  de  ficta  Ophiocanorum  gente  refertum. 
Videtur  Acutem  ille  satis  antiquus  scriptor  fuisse,  quum  Timoclis  nomen  in 
mediae  aetatis  historia  mihi  quidiem  plane  incompertum  sit«.  Usener 
weist,  im  Rhein.  Mus.  XXVIII  (4873)  p.  44  4.  640  eine  weitere  Spur  dieser 
Utopie  bei  Galen,  de  simplic.  medic.  VI  praef.  (XI  p.  798  Kühn)  nach, 
woselbst  die  Schriften  des  Hermes  Aegyptius  Xfjpo;  xal  itXdlopLaTa  toü  otiv- 
9£vTo;  heissen,  6pioi6TaTa  toT;  'O^tovlxoi;  tot;  Ko^x^^ax^f/Xa  (auf  diese 
Schreibung  führt  die  hsl.  Ueberlieferung :  s.  Us.  p.  640)  t/jxt  Y^p  (6X09;) 
4|fveTÖ  Tt;  K(i'f/\ax6'f/f\'i^ ,  dlXX*  el;  'fi'KmT'x  ou-pteiTai  Toövofjia,  xadauep  xal 
tdIXXa  rovra  tä  xatd  zh  ßißXlov  a'iroO  '(tfpa[i.itha.  —  Offenbar  war  also 
KoDchlakonchlas  oder  Chlonthakonthlos  das  absichtlich  barbarisch  gebildete 
Pseudonym  des  Dichters,  als  dessen  wirklichen  Namen  Photius  Timo- 
kte9  kannte.  Die  wunderliche  Erfindung  eines  glückseligen  Volkes  der 
»Schlangentödier«  stellt  Usener  in  Parallele  mit  den  »Öphiophagi«  des  Mela 
(lU  8  und  Plinius  n.  h.  VI  §  469)  in  einem  Winkel  des  rothen  Meeres 
u.  dgl.  NKher  verwandt  ist  vielleicht  noch  eine  Sage,  in  welcher,  wie  bei 
den  Schlangentödtern  des  Timokles,  das  Tödten  der  Schlangen  und  ein 
überlanges  Leben  in  Verbindung  gesetzt  sind.  Plinius  n.  h.  VII  2  §  27: 
Cyrnos  Indorum  genus  [Cyros  =  Uttarakurus,  Schwanbeck  Megasth.  Ind. 
p.  70  A.  64.  Eher  vielleicht:  Cyrnos  Sardorum  genus:  A6xo;  roXuypov(ou; 
^cü'^  (Ivai  Tou;  Kupv(ou;'  olxoü9i  V  ourot  icepl  Sap^^va.  .\th.  U  47  A.]  Isi- 
gonus  annis  centenis  quadragenis  vivere  tradit,  item  Aethiopas  Macrobios 
et  Seras  existimat,  et  qui  Athen  montem  incolant,  hos  quidem 
quia  viperinis  carnibus  alantur;  itaque  nee  capiti  nee  vestibus  eo- 
rum  noxia  corpori  inesse  animalia  (vgl.  Pomp.  Mela  II  2  extr.:   in  summo 


—     220     — 

Wie  sehr  in  daiiialij^er  Zeit  solche  geographische  Fabeleien 
als  anlockender  Rahmen  für  einen  lehrhaften  Inhalt  beliebt  waren, 
mag  vor  Allem  die  »Heilige  Urkunde«  des  Euhemerus  be- 
weisen.    Als    prachtiges  Eingangsthor   hatte   dieser    der  Oede 


[Atho  monie]  fuit  oppidum  Acrothoon,  in  quo,  ut  ferunt,  dimidio  longior 
quam  in  aliis  terris  aetas  babitantium  erat.  Plin.  n.  h.  IV  §  S7 :  oppidam 
in  cacumine  [des  Atbos]  —  Apollonia,  cuius  incolae  Macrobii  appellantor. 
Lucian  Macrob.  5.  -^  Schlangen  essen  übrigens  wirklich  einige  afrikani- 
sche Stämme,  wie  auch  die  Australier:  Pesefiel  Völkerkunde  p.  463.)  — 
Was  die  Zeit  des  Timokles  betrifft,  so  setzt  ihn  Usener  p.  44S  in  die 
zweite  Hälfte  des  zweiten  Jahrhunderts  n.  Chr.;  er  sei  nicht  früher  aniu- 
setzen,  weil  Lucian  in  seinen  »wahren  Erzählungen«  keine  Kenntniss  des 
Buches  zeige,  und  weil  Galen  durch  seine  ausdrückliche  Hervorhebung  dar 
Pseudonymität  des  Verfassers  errathen  lasse,  dass  zu  seiner  Zeit  das  Werk 
erst  kürzlich  an  das  Licht  getreten  und  daher  seinem  wahren  Charakter 
nach  noch  nicht  allen  Lesern  bekannt  gewesen  sei.  Das  letzte  Argument 
will  wenig  besagen.  Man  könnte  ja  mit  demselben  Recht  aus  Galent 
Aousserungen  schliessen,  duss  das  Buch  vor  sehr  langer  Zeit  erschienen, 
damals  so  gut  wie  verschollen,  und  eine  willkommene  Beute  für  gelehrte 
Schwindler  geworden  war:  daher  denn  Galen  es  nöthig  linden  konnte,  an 
den  in  Vergessenheit  ^erathcnen  wirklichen  Charakter  jenes  Lügenbuches 
wieder  zu  erinnern.  Nicht  kräftiger  ist  auch  das  aus  Lucians  Schweigen 
entnommene  Argument.  Wer  sagt  uns  denn,  dass  Lucian  alle  Erzeug 
nissc  jener  Fabulisten-litteratur  kannte,  dass  er  alle  ihm  bekannt  gewor- 
denen Erfindungen  dieser  Litteratur  zu  verhöhnen  sich  vorgesetzt  hatte? 
Wer  möchte  auch  nur  dafür  bürgen,  dass  in  den  »Wahren  Erzählungen« 
nicht  wirklich  Parodien  der  Lügenberichte  des  Timokles  sich  verbergen? 
Die  kurzen  Notizen  des  Galen  und  Photius  genügen  hierfür  nicht.  Wenn 
Lucian  den  lambulus  nicht  selber  namhaft  machte,  wenn  der  uns  erhal- 
tene Bericht  über  sein  Fabelbuch  nicht  bei  Diodor,  sondern  etwa  auch  erst 
bei  Photius  vorläge,  so  würde  schwerlich  irgend  Jemand  eine  Parodimng 
desselben  durch  Lucian  herausspüren,  und  man  könnte  dann  auf  ihn  mit 
demselben  Recht  oder  vielmehr  Unrecht  das  von  Usener  für  die  Zeit  des 
Timokles  geltend  gemachte  Argument  aus  dem  Stillschweigen  des  Lndto 
anwenden.  Ich  will  nun  meinerseits  weiter  nichts  behaupten,  als  dass 
nichts  im  Wege  stehe ,  den  unbekannten  Timokles  in  dieselbe  Zeit  zu  ver- 
setzen, in  welche  die  übrigen  uns  bekannten  Erdichter  ähnlicher,  noch 
nicht  mit  erotischen  Elementen  versetzter  Fabeln  gehören,  nämlich  In  eines 
der  letzten  Jahrhunderio  vor  unserer  Aera.  — Der  Name  des  fabelhaften 
Volkes  wird  wohl  genauer  von  Photius  als  von  Galen  angegeben.  Das 
'Ü^ioxavoi  des  Photius  giebt  Usener  durch  » Schlangenmctzler«  wieder; 
er  leitet  also  wohl  die  zweite  Hälfte  dieses  Compositums  von  xaU«  ab. 
Vielleicht  mit  Recht;  nur  wäre  dann  wohl  die  regelrechte  Bildung  'O^to- 
xövot:  xalvn,  x£xova,  xovi^,  dv5pox6voi  [Hesych.  Bekker  an.  894,  SO]. 
Vgl.  Lobeck  Tr^iioT.  i^i.  i60;  Cobet  Var.  Lect.  8tS. 


—    221     — 

seiner  pragmatisirenden  Mythenverdrehung  einen  vollkommenen 
utopistischen  Reiseroman  vorgebaut.  Von  seinem  Freunde,  dem 
König  Kassander  von  Macedonien ,  veranlasst  habe  er  —  so 
lautete  seine  Erzählung  —  weite  Reisen  unternommen;  und  so 
sei  er  einst  auch  vom  glücklichen  Arabien  aus  südwärts  in  den 
Ocean  hinausgefahren  ^) .  Nach  einigen  Tagen  gelangte  er  zu  einer 
Gruppe  von  Inseln,  unter  denen  sich  drei  besonders  auszeich- 
neten: die  erste,  die  »heilige«  genannt,  an  Weihrauch  und 
Myrrhen  überraus  reich,  von  dem  Volke  der  »Panchäer«  bewohnt, 
von  einem  König  beherrscht;  die  zweite,  der  Begräbnissort 
der  auf  der  heiligen  Insel  Verstorbenen  ^j :  endlich  die  dritte, 
dreissig  Stadien  nach  Osten  entfernt,  von  beträchtlicher  Grösse, 
Indien  so  nahe  gelegen,  dass  man  vom  östlichen  Vorgebirge  der 
Insel  das  indische  Festland  sieht.  Auf  ihr  wohnen  ebenfalls,  als 
Autochthonen,  die  Panchäer;  dazu  eingewanderte  Inder,  Scythen 
und  Kreter.  Mit  besonderm  Behagen  schilderte  Euhemerus  die 
SchOnheiteti  dieser  Insel,  namentlich  die  üppige  Fruchtbarkeit 
der,  die  Hauptstadt  Panara  umgebende  Ebene,  die  Fülle  des 
Baumwuchses,  das  segensreich  strömende  Wasser,  die  Mannich- 
faltigkeit  der  Thierwelt,  den  Reichthum  an  Metallen.  In  so 
herrlichem  Lande  wohnte  ein  glückseliges,  frommes  Menschen- 
geschlecht, in  drei  Kasten  gegliedert,  der  reichen  Gaben  der 
Natur  in  gerechter  Vertheilung  der  Allen  gemeinsamen  Güter 
geniessend.  Die  Leitung  der  Uebrigen  haben  die,  aus  Kreta  ein- 
gewanderten Priester.  Diese  wohnen  in  dem  geheiligten  Bezirke 
des  prachtvollen  Tempels,  welcher,  60  Stadien  von  der  Haupt- 
stadt entfernt,  in  fruchtbarer  Ebene  dem  Zeus  Triphylios  erbaut 
ist.  Hier  steigerte  sich  nun  der  Glanz  der  Beschreibung  des 
Euhemerus,  um  endlich  zu  gipfeln  in  jener,   neben  dem  Lager 

1)  Diese  Binlcituog  nach  Diodor  1.  VI  bei  Eusebius  Praep.  ev.  II  2 
(Diodor  ed.  Wesseling  vol.  II  p.  688).  Nimmt  man  das  tpiXoc  KaaodvBpou 
^aotXioc  wörtlich,  so  müsste  Euhemerus  diese  Reise  in  die  Zeit  nach 
(M.  448,  S  (807)  verlegt  haben:  in  welchem  Jahre  Kass.,  wie  die  andern 
Statthalter,  den  Königstitel  sich  beilegte  (Diodor  XX  53.).  Die  Reise  müsste 
dann,  der  FIction  des  Euh.  nach,  zwischen  807  und  296  (dem  Todesjahre 
des  Kassander)  stattgefunden  haben. 

2)  Wer  erinnert  sich  hierbei  nicht  des  Verhältnisses  der  Insel  Rhenaea 
zu  Delos?  »'P-^vaia  o'  £pY](jiov  vr^ol^iöv  ioriv  is  Tlrcapoi  xfj^  Ai^Xou  OTaS(oi;,  Cttou 
tA  fiv^fMtra  ToTc  Ä7)X(oic  lorlv.  o'i  ^6l^  I^eotiv  h  auTQ  ttq  A-^Xtp  Bdirreiv  o'jhi 
xaUtv  vcxp^v«.   Strabo  X  p.  486.    Vgl.  Bursian,  Geogr.  v.  Griechcnl.  II  4r>1  f. 


—     222     — 

lies  Gottes  aufgestellten   goldenen   SUuie,   auf  welcher  er  seine 
famosen  Berichte  von  der   eigentlichen  Urgeschichte  der  helle- 
nischen   (lOtter    aufgezeichnet    gefunden    hatte.      Hier   endlich 
mündete  sein   Roman   in  die  pragmatische  Mythendeutung  ein, 
zu  deren  Aufnahme  sein  farbiger  Reiz  eben  nur  geneigt  machen . 
sollte.    Aber  die  romanhafte  Einleitung  war  mit  solcher  anschau- 
lichen Genauigkeit  und  so  ersichtlichem  Behagen  ausgemalt,  dass 
der  leichtgläubige  Diodor,  um  den  eigentlichen  Kern  der  Euhe- 
meristischen  Entdeckungen  weniger  bekümmert,  sie  allein  und 
ihre  geographischen  und   ethnographischen  Beschreibungen  uns 
als    baare    Wahrheit    mittheilt  ^),    während   schärfer    Blickende 
diese  Fabeln  mit  den  Lügen  des  Antiphanes  von  Berga  auf  eine 
Linie  stellen^).     Schwerlich  aber    hatte  Euhemerus   bei   dieser 
Ausmalung   eines   (ingirten  Ideallandes   die  Absicht   einer  mehr 
als  poetischen  Täuschung,  so  wenig  wie  Plato  mit  der  Erdichtung 
seiner  atlantischen  Insel.     Nicht  ungeschickt  versetzte  er  seine 
Panchäa    nach  jenen  fernen   Ländern   und  Meeren   des  Ostens, 
welche,  ganz  vor  Kurzem  durch  die  Züge  Alexanders  des  Grossen 
einer    halben   Kunde   erschlossen,    den   Hellenen   alle    Wunder 


1)  Diodor  V  44—46;  Fragm.  1.  VI  ([[  p.  633  f.  Wess.).  Die  gering- 
rügigen  soDstigen  Zeugnisse  bei  Gerlach  histor.  Sludien  I  454  f.;  vgl.  Mül- 
li^r  Fr.  bist.  gr.  II  p.  4  00  a  Anm. 

2)  Eratoslbeoes    nannte  den    Eubemerus  Bep^alov:    Strabo  II  p.  414; 
Sji}.  I  p.  47.     Bcp^atCstv,   dvxl  toO  (jlt^o^  dAT^de;  X^^eiv  Steph.    Byz.  Bcfral» 
hirifriika   (des  Eudoxus)   Strabo  II   p.  4  00.   Strabo  II  p.    403  stellt  die  ^ 
9{jLaTa  des  Pytheas,    Euhemerus,   Antiphanes  neben  einander:  wonach  tf 
allerdings  scheint,    als    ob  auch   Antiphanes    speciell    lügenhafte   Reise- 
berichte verfasst  habe.      (Vgl.   auch  Marcian.   epit.  peripli  Menipp.  f  < 
(Müller  Geogr.  gr.  min.  I  p.  565,  4]).    Sonst  wissen  wir  durchaus  nichU 
von  ihm  :  ob  der  Antiphanes,  welchen  Antonius  Diogenes  (p.  288,  SS  Herolu} 
als  seinen  Vorgönger  nannte,  mit  dem  l>erüchtigten  Bergfter  identisch  9^ 
(wie  Meineke  h.  crit.  com.  p.  430  annimmt),  scheint  mir  völlig  ungewiss; 
seine  Lebenszeit,  die  allerdings  vor  die  des  Eratosthenes  fällt,  gerade  iwi* 
sehen  800  und  240  n.  Chr.  einzuschränken  (was  Passow  Verm.  Sehr.  p.  M 
»mit  Sicherheit«  thun  zu  können  glaubt]   sind  wir  nicht  berechtigt.    Ganf 
kritiklos  macht  Krahncr,  Grundlinien  zur  Gesch.  des  Verfalls  der  römlich. 
Slaatsrel.  (Halle  4  837)   p.  86  aus  dem  Bergäer,  dem  AnUphanes,   welcher 
nach  Irenaeus  adv.  haer.  II  49   eine  Theogonie  schrieb,   einem  Autor  iccft 
c'jpTjfAöiTcov,  des  Namens  Antiphanes,  dem  Aristophanes  (denn  so  bietet  cod. 
Laurent.    LXIX   22),    welcher   nach  Josephus  c.  Ap.  I  28  über  die  Joden 
st;hrieb ,    endlich    auch    noch    dem    berühmten    Komiker   Antiphanes  Eine 
Person. 


—    223    — 

und  Herrlichkeilen  zu  bergen  schienen.  Eine  dunkle  Kenntniss 
von  der  Inselwelt  des  indischen  Meeres,  einige  Nachrichten  von 
der  Natur  jener  Länder,  den  Sitten  ihrer  Bewohner,  haben  ihm 
ersichtlich  gedient,  seinen  Schilderungen  Bestimmtheit  und 
fremdartiges  Golorit  zu  geben ^).  Beachtenswerth  ist,  dass  er 
alle  eigentlich  fabelhaften  Züge,  alle  die  Fratzen  und  Ungeheuer, 
die  Steigerungen  der  menschlichen  Natur  in^s  Dämonische  und 
Gespensterhafte  verschmäht  hat,  mit  denen  sonst  die  griechische 


1)  Einige  Nachrichten  über  Inseln  des  indischen  Meeres  waren  schon 
zur  ZqiI  des  Euhemerus  den  Griechen  zugekommen :  von  Taprobane  sclieint 
Onesikritus   (fr.  48.  22)  zuerst  erzählt  zu  haben.     Gewisse  allgemeine  Vor- 
stellungen  von  dergleichen   Inseln  in  der  Nähe  Indiens  geben  denn  auch 
ganz  ersichtlich  dem  Euhemerus  die  Grundlage  für  seine  FicUonen.     Ob 
er  bei  seiner  grössten  Insel,  von  deren  icp^;  dvoroXdc  dvi^xovxo;  dxporrjplou 
^aol  dccopeiodat  r^v  'IvStx'jjv  d^piov  (d.  h.  hoch  in  die  Luft  ragend :  s.  Wesseling) 
[Diodor  V  42],  gerade  speciell  an  Ceylon  (welches  freilich  südöstlich  von 
Indien  liegt)  denkt,  ist  wohl  nicht  auszumachen.    Diese  unmittelbare  Nähe 
Indiens  verbietet,   bei  der  Panchaea  etwa  an   die  Insel  Dioscorida  zu 
denken,  wozu  man  übrigens  wohl  geneigt  sein  könnte  (dort  wohnten  in  der 
That  Inder,  Griechen  [und  Araber,  statt  der  »Scythen«  des  Euh.] :  Peripl. 
m.   eryth.  §  80,   vgl.  Reinaud,  Relation  II  p.   59;   von  ihrer  angeblichen 
Glückseligkeit  zeugt  ihr  Name  dvipa  sukhatara  s  v^oo;  eO^alfJUDv :  s.  Lassen, 
Ind.  A.  I  748,  C.  Müller  zu  Agatharch.  mar.  rubr.  §  408).   Jedenfalls  ist  in 
der  allgemeinen  Schilderung  der  Vegetation  (c.  43),  der  Thiere  (c.  45),  der 
lifroXXa  (c.  46)  der  Insel  die  indische  Natur  nicht  zu  verkennen  (zu  welcher 
freilich  die  c.  48  erwähnten  Weinstöcke  und  ^olvtxe;  [dergl.  damals  wenig- 
stens sicher  in  Indien  keine  wuchsen:  Lassen  I  264],    nicht  passen,   und 
auch  das  c.  46  genannte  xaooiTcpov  nicht,   insofern  die  indischen  Zinnlager 
erst  in  unsrer  Zeit  entdeckt,   und  im  Alterthum  Indien ,  wie  die  übrige 
Welt,  einzig  durch  die  Phönicier  mit  iberischem  und  brittannischem  Zinn 
versorgt  wurde:  Movers  Phon.  II  8,  62  ff,    Oder  hatte  Euh.  von  den  Zinn- 
lagern   auf    der   malaiischen    Halbinsel,    sowie    auf   Bangka    und   Billiton 
[s.  Bickmore,  Reisen  im  ostind.  Archipel  p.  40.  408  f.]  eine  dunkle  Kunde?). 
Problematisch  bleibt  der  Name  flaYX^Toi  (vgl.  auch  Wesseling  p.  865).    Ein 
allegorischer  Sinn  desselben  ist  wohl   nicht  nachweisbar.     Darf  man  sich 
dabei  etwa  der  indischen   Völkerschaft  der  Pdndja  erinnern,  welche  auf 
der   Südspitze   des   indischen    Festlandes   sass   und   von   dort  aus   Ceylon 
erobert  hatte?    (Ilav^aioi  bei  Megasthenes  [vgl.  Schwanbeck  p.  381,  Ilav^love; 
bei  Ptolemäus  [s.  Lassen,  Ind.  Alt.  III  209]).    Mit  indischen  Verhältnissen 
stimmen  auch  manche  der  den  Panchäern  zugeschriebenen  Sitten  überein: 
z.  B.  die  Abgabe  eines  Zehntels  von   allen  Früchten  an  den  König  auf  der 
•heiligen«  Insel   (c.  42:   vgl.    Megasth.   fr.    84   §  8  p.  426  Schw. ;    Lois  de 
ManoQ   [trad.   par  Loiseleur-Deslongahamps ,  Paris  4888]  VII  480 — 82),  das 
Kämpfen  auf  Kriegswagen   (c.   45) ,    die  Kasteneintheiluug  (c.  45 :  sie  ent- 


—     224     — 

Phaniastik  gerade  den  Orient  auszuschmücken  liebte.  Solche 
wilde  Arabesken  würden  freilich  auch  den  seltsamsten  Gegen- 
satz gebildet  haben  zu  der  [kahlen  Nüchternheit  des  inneren 
Kernes  der  Euhemeristischen  »Urkunde«,  um  welchen  sich  die 
Fabel  von  der  panchUischen  Insel  nur  als  ein  Rahmen  herumzieht: 
zu  jener,  noch  heute  nach  dem  Euhemerus  benannten,  prag- 
matischen Zersetzung  der  Göttersagen  in  die  Geschichte  mensch- 
licher Könige,  Helden  und  Abenteurer,  die  zwar  von  Euhemerus 
nicht  eigentlich  zuerst  gehandhabt,  aber  von  ihm  doch,  nach 
vereinzelten  Versuchen  Früherer,  über  die  gesammte  Breite  der 
griechischen  Mythologie  ausgedehnt  worden  ist^). 

War  bei  Euhemerus  die  Fabulistik  durchaus  zur  Dienerin 
herabgesetzt,  welche  ernsthafterer  Belehrung  nur  die  Stätte  zu 
bereiten  hatte,  so  sehen  wir  dieselbe  wieder  selbständig  und 
in  freierem  Spiele  sich  bew^egen  in  der  Erzählung  des  Jam- 
bulus.     Zeit  und  Vatefland  dieses  Autors  sind  uns  leidjer  un- 


spricht  zwar  nicht  genau  der  indischen  Eintheilung,  aber  diesen  Mangel 
theilt  sie  ja  mit  allen  griechischen  Berichten  von  diesen  Dingen.  Uebrigens 
mochten  dem  Euh.  bei  dieser  Kasteneintheilung  und  bei  der  GUtergemein- 
schafl,  die  er  seinen  Insulanern  zuschreibt,  auch  wohl  die  Verhfiltnisse 
}i;cwisscr  Stämme  des  südlichen  Arabiens  vorschweben,  von  denen  Aehn- 
liches  berichtet  wird  [Strabo  XVI  p.  782.8:  auf  die  Einflüsse  indischer 
Colonisten  führt  diese  Einrichtungen  zurück  Lassen,  Ind.  Alt.  II  580]} ,  die 
Tracht  (c.  45:  weiche  Wollenkleidcr,  goldne  Arm-  und  Halsbänder,  Ohr- 
ringe auch  bei  Männern,  buntfarbige  Schuhe,  c.  46:  die  Priester  tragen 
glänzend  weisse,  weiche  Linnenkleider,  golddurchwirkte  Hauptbinden,  bunte, 
künstlich  gearbeitete  Sandalen,  Goldschmuck  wie  die  Weiber,  aber  keine 
Ohrringe.  Deutlich  erkennt  man  hier  die  [im  Wesentlichen  noch  heute 
zutreffenden]  Züge  der  indischen  buntfarbigen  Kleiderpracht,  welche  den 
griechischen  Reisenden  so  lebhaft  auffiel  [vgl.  z.  B.  Megasth.  fr.  37  §  9, 
Curtius  Vill  0 ,  S4  mit  Freinsheims  Anm.] ,  wie  später  den  arabischen 
[s.  z.  B.  Reinaud,  Relation  etc.  I  p.  4  54]).  —  Diese  Reminiscenzen  an 
jüdische  Natur  und  Lebenswelse  sind  dann  natürlich  mit  rein  phan- 
tastischen und  griechischen  Zügen  stark  versetzt. 

1]  Auf  diese  gleichmässige  Durchführung  des  von  älteren  Historikern 
und  Mythographen  längst  einzeln  angewendeten  pragmatisch-historischen 
i^rincips  der  Mythendeutung  beschränkt  sehr  richtig  die  Neuerung  des  Eu- 
hemerus Lobeck,  Aglaoph.  989.  —  Uebrigens  ist  es  nicht  bedeutungslo6^ 
dass  unter  den  von  Lobeck  p.  987  ff.  aufgezählten  Euhemeristeo  vor 
Euhemerus  sich  nur  pragmatisirende  Mythengeschichtschreiber  [sit  venia 
verbo)  finden,  keine  Philosophen  und  namentlich  kein  Mitglied  der  cy re- 
nal schon    Schule.     Man    möge   daraus   entnehmen,    auf   wie   schwachen 


—     225     — 

bekannt  ^} ;  von  seiner  Reisebeschreibung  j  die  uns  bei  Lucian, 
im  Eingang  der  »wahren  Erzählungen.«,  als  eins  der  hauptsSich- 
lichslen  Magazine  abenteuerlicher  Lügenberichte  angekündigt 
wird,  hat  uns  Diodor  einen  kurzen  Auszug  erhalten,  welcher, 
in   verwirrter   und   sprunghafter  Auswahl,   offenbar  nur  einen 

Füssen  die  in  manchen  Geschichten  der  griechischen  Philosophie  sogar  ein- 
fach als  Thatsache  hiDgestellte  (z.  B.  bei  Ueberweg),  noch  von  Zeller,  Phil, 
d.  Gr.  II  1  p.  294  f.  835  (3.  Aufl.)  nicht  verworfene  Annahme  stehe,  dass 
Euhemerus  zur  Schule  der  Cyrenaiker  gehört  habe,  als  ein  Schüler  Theodors 
des  Atheisten.  Nicht  der  leiseste  Wink  der  Ueberlieferung  spricht  Tür  diese 
Annahme;  ihr  zu  Liebe  sogar  eine  Stelle  des  Laertius  Diogenes  (II  97} 
durch  Emendation  zu  einem  Zeugniss  zu  machen  (mit  Nietzsche,  Rh.  Mus. 
XXV  S31}  haben  wir  durchaus  kein  Recht. 

1)  Die  Zeit  des  Jambulus  ist  nur  in  so  weit  bestimmbar,  als  er  jeden- 
falls vor  Diodor,  also  vor  der  Zeit  des  Cäsar  und  Augustus,  lebte.  Wie 
lange  vorher,  muss  unbestimmt  bleiben.  Eine  Andeutung  könnte  man 
vielleicht  in  dem  Schluss  seiner  Erzählung  finden.  Wenn  er  da  (Diodor 
II  60)  zu  einem  philhellenischen  indischen  Könige  kommt,  der  in  Patali- 
putra  residirt,  und,  da  er  ihn  bis  nach  Persis  geleiten  lässt,  doch  jedenfalls 
ein  weit  nach  Westen  ausgedehntes  Reich  beherrscht:  so  treffen  diese 
Merkmale  offenbar  nur  bei  den  Königen  aus  dem  Geschlechte  der  Maurja: 
Tscbandragupta  (reg.  315—294) ,  Vindusära  oder  Amitrochates  (291 — 263) 
und  dem  grossen  A^oka  (263 — 226)  zu ;  ihr  Interesse  für  griechische  Cultur 
ist  bekannt,  ebenso  die  weite  Ausdehnung  ihres,  von  Pataliputra  aus  regier- 
ten Reiches,  welches  nach  dem  Tode  des  A^oka  in  mehrere  kleine  Herr- 
schaften zerfiel  (s.  Lassen,  Ind.  Alt.  II  472  ff.,  344  ff.).  Aber  aus  diesen 
Indicien  darf  man  irgend  einen  Schluss  auf  die  Lebenszeit  des  Jambul  nur 
unter  der,  mindestens  unsichern  Voraussetzung  ziehen,  dass  seinen  aben- 
teuerlichen Berichten  eigene  Erlebnisse  auf  einer  wirklich  unternommenen 
Reise  zu  Grunde  liegen.  Wie  aber,  wenn  er,  selbst  vielleicht  viel  später 
lebend,  das  Bild  indischer  Verhältnisse  so  wiedergab,  wie  es  ihm  etwa  in 
den  Erzählungen  der  Zeitgenossen  jener  Maurja-Könige ,  des  Megasthenes, 
Daimachus,  Dionysius  u.  A.  entgegengetreten  war?  —  Seine  Heimath 
nennt  uns  Diodor  nicht.  Zu  einem  Syrer  würde  man  ihn  zu  machen 
haben,  wenn  eine  Conjectur  Osanns  richtig  wäre.  Der  fälschlich  Octavius 
Horatianus  genannte  Arzt  Theodorus  Pri.scianus  spricht  im  2.  Buche  seiner 
Res  Medicae,  cap.  XI  (p.  22  C  der  ed.  Argentorat.  4582  fol. ;  p.  85  der,  von 
Sigism.  Gelenius  besorgten  ed.  Frobeniana,  Basil.  4  532,  4^)  von  der  Heilung 
der  männlichen  Impotenz:  —  interea  puellarum  speciosarum  vel  puerorum 
simillter  servitium  procreandum  est.  Utendum  (so  Gelenius)  sane  lectionibus 
aoimam  ad  delicias  pertrahentibus,  ut  sunt  Amphipolitae  (so  Gel.)  Philippi 
autHerodiani  autcerte  Sirii  aut  Amblii  (so  Gel.,  Syrii  Ambulii  ed.  Argent.) 
vel  ceteris  suaviter  amalorias  fabulas  describentibus.  Hier  hat  schon  Rei- 
nesius  Var.  Lect.  p.  54  4  (dem  Vossius  de  bist.  gr.  p.  276  West.,  und 
Fahricius   B.   Gr.   VIII   p.   453   Harl.   gefolgt  sind)   ganz  richtig  unter  dem 

Bohde,  Der  griechische  Roman.  15 


—     226    — 

sehr  geringen  Theil  seiner  seltsamen  Erfindungen  wiedergiebt^). 
Wir  erfahren  daraus  aber  doch  wenigstens  den  allgemeinen 
Gang  und  Inhalt  seiner  Erzählung. 

Jambulus,  von  Jugend  auf  der  Bildung  beflissen,  hatte  sich 
nach  dem  Tode  seines  Vaters,   eines  Kaufmannes,    ebenfalls  in 


Sirius  Amblius  den,  als  Syrer  bekannten  Romanschriftsteller  Jamblichas 
erkannt:  Osann  in  einem  übrigens  vollkommen  inhalUtlosen  Aufsatz  über 
»Jambulos  und  seine  Reiseabentheuer«  (Beilr.  z.  gr.  u.  röm.  Lilteratorg. 
I  287  ff.)  schlägt  vor  (ohne  der  tilteren  Behandlungen  dieser  Stelle  la 
gedenken],  zu  schreiben:  »aut  certe  S>Tii  Jambuli.«  Die  Einsetzung  des 
Jambulus  scheint  ihm  »um  vieles  gerechtfertigter«  als  die  des  Jambifichas; 
('r  hat  aber  versäumt,  wirkliche  Gründe  gegen  Jamblicb  und  fUr  Jambvl 
beizubringen.  Da,  dem  Zusammenhang  und  den  ausdrücklichen  Woriea 
des  Th.  Pr.  nach,  nur  von  amatoriae  fabulae  die  Rede  sein  kann,  so 
passt  vielmehr  Jamblichus  sehr  gut  in  den  Zusammenhang,  Jambulus  aber 
ganz  und  gar  nicht,  da  bei  ihm  eben  keinerlei  *RperctxcC  vorkamen.  Wenn 
Osann  (p.  S94}  meint,  aus  der  Zu.sammenstellung  mit  eigentlich  erotischen 
Erzählern  werde  »einiges  Licht  auf  die  Färbung  des  Werkes  des  Jambul 
zurückgeworfen « y  und  (p.  S98]  den  Jambul  das  Leben  auf  seiner  glück- 
seligen Insel  »wohl  nicht  mit  Umgehung  mancher  den  Sinnen  schmeicheln- 
den und  die  Phantasie  erregenden  Zustände«  schildern  lässt,  so  spricht  sich 
in  diesen,  durch  die  Deberlieforung  in  keiner  Weise  unterstützten  Annahmen 
eben  nur  der  handgreiflichste  Cirkelschluss  aus.  —  Der  Name  'lafißouXac 
;so  accentuirt  in  den  Hss.  des  Diodor  und  Lucian),  der  schwerlich  griechisch 
sein  kann  (vgl.  Lobeck  Proleg.  Pathol.  18i  f.),  klingt  allerdings  an  den 
unzweifelhaft  syrischen  Namen  'IdfAß>axoc  an.  Indessen  belehrt  midi  ein 
ausgezeichneter  Kenner  der  semitischen  Sprachen,  dass  der  Name  1afA.pol>).oc> 
wenn  er  überhaupt  semitisch  sei,  schwerlich  doch  gerade  aus  dem  Syri- 
schen, eher  aus  dem  Phönicischen  oder  Arabischen  sich  herieiten  lasse. 

1)  Die  sonderbare  Verwirrung  in  Diodors  Excerpten  aus  Jambol 
(H  55—60)  hat  schon  Wesseling  bemerkt:  Angaben  über  Natur  und  Men- 
schenleben auf  der  glücklichen  Insel  gehen  wüst  durcheinander;  das  Zu- 
sammengehtirige  ist  auseinander  gesprengt,  das  durchaus  Verschiedenartige 
verbunden.  Ein  Beispiel  genüge.  Cap.  57  erzählt  Diodor:  die  Bewohner 
der  Insel  haben  7  Schriftzeichen  von  98  Bedeutungen.  Die  Menschen  wer- 
den dort  sehr  alt;  Kranke  oder  Verstümmelte  müssen  sich  tödten.  —  Sie 
schreiben  von  oben  nach  unten.  Es  ist  bei  ihnen  Sitte,  nach  einer  be- 
stimmton Dauer  des  Lebens  sich  freiwillig  den  Tod  zu  geben  u.  s.  w. 
Dies  ist  die  Darstellungsweise  eines  flüchtigen  Compilators,  der  ans.  dem 
Gedächtniss  einige  Brocken  des  auszuziehenden  Buches  wiedergiebt, 
ganz  in  der  zufälligen  Reihenfolge,  in  welcher  das  Einzelne  sich  gerade 
seiner  Erinnerung  darbietet.  Man  wird  daher  schwerlich  die  Verwimng 
den  Abschreibern  des  Diodorischen  Werkes  zuzuschieben,  und  etwa  dnroh 
gewaltsame  Aus-  und  Einrenkung  der  einzelnen  Theile  eine  bessere  Glie- 
derung des  Ganzen   herzustellen   haben.     In  meiner  Wiedergabe  der  Dio- 


—    227     — 

Kaufmannsgeschäften  durch  Arabien  nach  dem  Lande  der  Ge- 
würze i]  begeben.  Von  Räubern  überfallen,  wurde  er  mit  einem 
Reisegefährten  zuerst  zum  Hirten  gemacht,  dann  von  Aethiopen 
gefangen,  an  die  Küste  geschleppt,  und  auf  einem,  für  sechs 
Monate  mit  Speise  und  Trank  versehenen  Schiffe  als  Sühnopfer, 
dergleichen  jene  Aethiopen  alle  sechshundert  Jahre  einmal  dem 
Meere  zu  übergeben  pflegten ,  in  den  Ocean  hinausgeschickt. 
Es  war  ihnen  streng  verboten,  wieder  umzukehren ;  man  hatte 
ihnen  befohlen,  nach  Süden  zu  fahren,  wo  sie  eine  glückselige 
Insel,  von  wohlwollenden  Menschen  bewohnt,  antreffen  würden. 
Nach  einer  Fahrt  von  vier  Monaten  gelangten  sie  zu  einer  run- 
den, 5000  Stadien  grossen  Insel,  und  wurden  von  den  Ein- 
wohnern gütig  aufgenommen.  In  der  Schilderung  der  Zustände 
auf  jener  glückseligen  Insel  bestand  nun  der  eigentliche  Inhalt 
der  Erzählung  des  Jambulus.  Sie  gehörte  zu  einer  Gruppe  von 
sieben  Inseln  von  etwa  gleicher  Grösse,  welche  in  gleichmassi- 
gen Abständen  eine  von  der  andern  entfernt  lagen,  und  deren 
Bewohner  sich  gleicher  Sitten  und  Lebensweisen  bedienten. 
Die  Insel  lag  in  der  Nähe  des  Aequators:  denn  Tag  und  Nacht 
waren   dort  immer  von   gleicher  Länge;    am   Mittag  warf  kein 


dorischeti  Notizen  habe  ich  aber  nicht  für  nöthig  l)eranden»  mich  an  die 

unordentliche  Anordnung  des   Compilators   zu  binden.  —  Dass  Diodor  aus 

den  Erzählungen  des  Jamhut   nur  eine  kleine  Auswahl  getroffen,  und  (als 

In  einem  historischen  Werke)  wohl  gerade  die  kühnsten  Erfindungen  seiner 

Phantasie  bei  Seite  gelassen   hat»   muss  man  daraus  schliessen,  dass  man 

In  den  'AXt]#^  hvfiii\iiaTa  des  Lucian,  In   deren  Anfang  (I  S)  doch  neben 

Kteslas  gerade  Jambulus  als  Hauptvertreter  der  zu  verspottenden  Litteratur- 

gfttltiBg   ausdrücklich   genannt  wird,    gleichwohl    keine   deutliche    Parodie 

irgend   eines,   bei  Diodor  überlieferten  Zuges  der  Jambulischen  Erzählung 

wird  nachweisen  können.    Allenfalls  könnt«  man  auf  Jambul  solche  Notizen, 

wie  die  von  der  Weibergemeinschaft  auf  der  Insel  der  Seligen  (V.  H.  2,  19), 

von  der  dort  üblichen  Kleidung  aus  purpurnen  Spinneweben  (V.  H.  9,  42 

—  vgl.  Jamb.  b.  Diod.  2,  59  p.  171,    19  ff.  ed.  Wess.)  bezichen:  aber  es 

ist  sn  vermuthen,  dass  überhaupt  in  der  Schilderung  dieser  v^oo;  fAaxdpmv 

(V.  H.  II  5—28}   sich   viel  speciellere  Parodirungen  einzelner  Angaben  des 

Jambul  verbergen,  welche  eben  durch  Schuld  des  allzu  kurzen  Auszuges 

bei  Diodor  sich  unsem  Augen  entziehen. 

1)  dva^alvoiv  hiA  r?jc  'Apaßfac  ^irl  t9)v  dpoi^aTOcp^pov.  Diodor  II  56:  er 
durchzog  also  Arabien  bis  zu  seiner  Südwestecke,  und  setzte  dann  über 
nach  der  gegenüberliegenden  vorspringenden  Küste  von  Afrika,  dem  heuti- 
gen Somal:  denn  dort  lag  i^  'Apoo^ato^c^po;  y(i(»pa:  vgl.  z.  B.  Marcian.  peripl. 
m.  eit.   I  43  p.   523,  27  Müller. 

15* 


—    228    — 

Gegenstand  einen  Schatten.  Das  umgebende  Meer,  von  heftiger 
Ebbe  und  Fluth  bewegt,  war  süss;  die  Luft  von  lieblichster 
Temperatur;  warme  und  kalte  Quellen  dienten  zur  Labung  und 
zur  Erhaltung  der  Gesundheit;  die  Bdume  trugen  stets  reife 
Früchte,  wie  im  Lande  der  Phäaken.  Oel  und  Wein  gab  es 
im  Ueberüuss,  dazu  manche  seltsame  Pflanzen,  von  welchen 
uns  ein  Rohr  genannt  wird,  das  Früchte  trug,  den  weissen 
Kichererbsen  ähnlich,  welche  in  Wasser  gelegt  aufquollen  und 
zu  süssen  Broten  breitgeschlagen  wurden;  das  Rohr  selbst,  im 
Umfang  einem  Kranze  gleich,  nimmt  mit  dem  Monde  zu  und 
ab^j.  Auch  von  den  Thieren  hatte  Jambulus  Wunderbares  zu 
berichten  2);  wir  hören  nur  von  einem  schildkrötenartigen  Thiere, 
mit  vier  Augen  und  vier  MHuIern  an  den  vier,  durch  die  End- 
punkte zweier,  wie  ein  griechisches  X  kreuzweise  über  seinen 
Rücken  laufenden  Linien  bezeichneten  Extremitäten  u.  s.  w. 
Die  Bewohner,   alle  einander  ähnlich ^j,    waren   vier  Eilen 

1)  Tou;  It  xaXcCpo'j;  iS  &v  6  xapr6;  iffi  Tpo^^;  Ytverai,  ^adl  OTC^avt- 
aiou;  ÄvTo;  xi  ircCyo;,  xaxA  tä;  rrj;  oeX-f^vTj;  dvatrX7]fM69eic  dvaidlT}po3od«t 
xal  röOav  xotd  Td;  dXaTT((>oci;  dvdXoYOv  xaTreivousdai.  c.  59  extr.  Die  im 
Druck  hervorgehobenen  Worte  können  doch  nur  das  bedeuten,  was  auch 
Wcssciings  Uebers.  ausdrückt:  coronae  orbeni  sptssitudine  aequantcs;  was 
lassen,  Ind.  AU.  III  261  Anm.  4  von  dicker  und  dünner  werdenden  HKrttnien 
des  Rohres«  sagt,  beruht  auf  einem  Irrthum.  Janibul  denkt  wohl  an  die 
indischen  Rohre,  von  deren  Dicke  Ktcsias  u.  A.  zu  erzählen  wussImi 
(Kies.  fr.  68  p.  90  Ml.  Plin.  n.  h.  XVI  §  462,  vgl.  Ps.  callistb.  III  47). 
Das  Ab-  und  Zunehmen  mit  dem  Monde  ist  eine  Erscheinung,  welche  die 
griechische  Paradoxographie  mancherlei  Gegenstttnden  zuschrieb:  z.  B.  den 
Eiern  der  Seeigel  (Antig.  mirab.  4  24  p.  9t,  2  West.,  Aristot.  h.  an.  V  40  elc), 
der  Leber  der  Möuse  (Antig.  ib.  p.  90  f.,  Aetian  h.  an.  II  56,  Archelaus 
bei  Boissonade,  Anecd.  1  44  7  f.),  gewissen  Steinen  (Apollonius  h.  mirab.  86; 
aus  gleicher  Quelle  [£({»7axo;  xepi  U^ms]  Plin.  87  §  4  84,  vgl.  Nonnos,  DioD. 
r>,  462  rr.,  Damasc.  v.  Isidori  §  9.  §  238  West.},  den  Austern  (Horat.  sat. 
II  4,  30;  Plin.'  2  §  409;  Clemens,  AI.  ström.  I  4,  54  p.  44,  88  KL),  den 
Auf^en  der  aUoupoi  (Gell.  XX  8,  6:  vgl.  Demctr.  de  elocuL  p.  297,  25  IT.  Spg.; 
darnach  dichtet  der  Romanschreiber  Antonius  Diogenes  den  Au^een 
seines  Astraeus  etwas  ganz  Aehnliches  an:  p.  284,  28.  24  Hch.i.  Der  Sage 
bei  Jambul  kommt  am  Nächsten  ein  Zug  im  PseudocallisUienes  II  81 
p.  S8b,  8  fr.:  dort  findet  Alexander  BUume  in  Indien,  welche  mit  der 
aufsteigenden  Sonne  wuchsen,  mit  der  niedersteigenden  niedergingen,  bis 
sie  ganz  verschwanden. 

2)  Jambulus  zählte  auf:  —  ^ihms  iraprjXXa^fx^va;  ^6oetc  «al  &id  th  iraptf- 
(o|ov  driOTOUiJL^a;,  cap.  59   (p.  4  74,  23  Wess.). 

3)  c.  56:   Die  Bewohner  der  Insel  waren  von  den  Menschen  unserer 


—     229     — 

hoch,  von  schöner  regelmässiger  Gestalt,  behaart  nur  auf  dem 
Haupte,  an  den  Augenbrauen  und  am  Barte,  übrigens  recht 
wunderlich  ausgezeichnet  durch  sehr  grosse  von  einer  Art  von 
Deckel  verschlossene  Nasenlöcher  ^) ;  durch  völlig  biegsame  sehnon- 
artigc  Knochen,  in  denen  gleichwohl  eine  solche  Kraft  wohnte, 
dass  etwas  einmal  von  jenen  Menschen  Angefasstes  Niemand 
ihren  Fingern  entwinden  konnte;  endlich  durch  eine  zwie- 
gespaltene  Zunge,  mit  welcher  sie  alle  menschlichen  Sprachen, 
auch  Vogelstimmen  nachmachen,  ja  mit  zwei  Leuten  zugleich 
zwei  verschiedene  Unterredungen  führen  konnten  2).  Sie  lebten, 
meist  ohne  Krankheit,  150  Jahre  lang ;  Verstümmelte  oder  Kranke 

Länder  sehr  verschieden,  dagegen  unter  einander  ndfvTec  i:apa7tXiF)9toi  toi; 
dvaicXdEofAaot  twv  9m\idTms.  Die  Aehnlichkcit  der  Einzelnen  untereinander 
bei  fremden,  durch  eine  zersetzende  Civilisation  noch  wenig  in  selbständige 
Individualitäten  zertheilten  Naturvölkern  muss  den  Griechen  sehr  auf- 
gefallen sein:  sie  heben  dieselbe  öfter  hervor.  So  namentlich  Hippocrates 
in  seiner  merkwürdigen  Schilderung  der  Scythen:  De  aäre  aquis  et  locis 
(Hippocr.  ed.  Kühn  vol  I)  p.  555 ;  p.  557  (dirf^XXaxxai  xwv  Xotnäiv  dvdpdbiroiv 
TÖ  ^xu^txov  Y^vo;  xal  lotxev  iM  twurltp,  SiCizep  t6  AlY6rTio^)  p.  558  etc. 
So  sagt  auch  Philostratus,  imag.  I  29,  hierin  sicherlich  der,  auf  richtiger 
Beobachtung  begründeten  Darstellungs weise  griechischer  Maler  folgend :  die 
den  siegreichen  Perseus  umstehenden  Aethiopen  waren  gebildet  oi 
nXeiOTOt  5p.oiot. 

1)  xd  ^ishi  (so  Eichsladt  mit  besseren  Hss.,  statt  des  früher  gewöhnlichen 
d^^i)  TpVijAaTa  ttoXö  täv  icap'  tjjjitv  l)^eiv  eupu^cop^orcpa,  xal  xaddruep  dTti^XoBT- 
tlSac  auToTc  ixTce^uxfvat.  c.  56.  Die  letzten  Worte  xal  xaDdlTrcp  xxX.  geben 
allerdings  keine  deutliche  Vorstellung:  wuchs  ihnen  also  aus  den  Nasen- 
löchern eine  Art  von  Kehldeckel  (iiri^XoirrU :  deren  Gestalt  man  mit  einem 
Epheublatte  verglich:  Pollux  11  106)  heraus?  (wie  man  den  von  Lassen, 
Ind.  Alt.  III  258  angegebenen  Sinn:  »die  Kehldccken  waren  gleichsam  sich 
berührend«  aus  Diedors  Worten  herauslesen  köime,  sehe  ich  nicht  ein). 

2)  Hiermit  könnte  man  vergleichen  die  Notiz  des  Liber  de  monstris 
c.  43  p.  440  Berger  (c.  40  p.  43,  48  IT.  ed.  Haupt):  Est  gens  aliqua  con- 
mixtae  naturae  in  rubri  maris  insula ,  quam  linguas  omnium  nationum 
(isdoexv  <ivdp«irlv7)v  oidXcxTov  Jambut  Diod.  2,  56)  loqui  posse  testantur,  et 
ideo  bomines  de  longinquo  venientes,  eorum  cognitos  nominando,  adtonitos 
fociunt,  ut  decipiant  et  crudos  devorent.  Eine  Quelle  dieser  Erzählung  ist 
nicht  nachweisbar;  der  zweite  Theil  derselben  (et  ideo  cet.)  erinnert 
allerdings,  wie  Berger  bemerkt  hat,  stark  an  die  Wundererzählungen  der 
Griechen  von  dem  aethiopischen  Thiere  xopox^a  (vgl.  C.  Müller  zu  Aga- 
thart;b.  m.  rubr.  §  77  p.  462,  und  dazu  noch  Dalion  dv  tiq  nptiiTQ  täv  Al- 
%toi:tx6v  bei  Jsigonus  c.  2,  Acta  soc.  phil.  Lips.  I  p.  35) :  mit  diesen  Er- 
zKhluogen  war  aber  offenbar  in  der  Quelle  des  Liber  de  m.  eine,  der 
Nachriebt  des  Jambui  nahe  verwandte  Erzählung  combinirt. 


—     230     — 

mussten  sich  selbst  Uklten;  iiHch  Erreichung  eines  gewissen 
Allers  gaben  sich  alle  selbst  den  Tod^  indem  sie  sich  auf  eine 
Pflanze  lagerten,  deren  betäubender  Duft  sie  durch  einen  sanf- 
ten 8chlaf  in  den  Tod   hinUbergeleitete  >)     Die  Leichen  werden 


1)  Einen  Widerspruch  des  Diodor  mit  sich  selber  findet  Lassen,  Ind. 
Alt.  III  259  Anm.  4  darin,  dass  er  erst  die  Insulaner  150  Jahre  erreichen 
lasse  und  bald  darnach  hinzufüge,  ein  Gesetz  bestimme,  dass  Niemand 
mehr  als  4  0  0  Jahre  leben  dürfe.  Das  Letztere  sagt  aber  Diodor  gar 
nicht,  er  spricht  nur  von  C'^i^  ^[/pi  ^x»v  (upiO(i^vf»v,  d.  i.,  wie  man  nach 
dem  Vorhergehenden  zu  verstehen  hat,  bis  zum  450.  Lebensjahre.  —  Die 
freiwillige  oder  erzwungene  Selbsttödtung  der  durch  Siechthum  oder  Alter 
der  rechten  Lebenskraft  Beraubten  [ —  intX  l\xa%ts  oux  ht  Eaurtj!  SiapxAv, 
vom  Demonaz,  Lucian  Demon.  5]  hat  Jambul  ofTenbar  aus  einer  harten 
Sitte  des  hohen  Alterthums  herübergenommen.  Ursprünglich  scheint  diese 
Sitte  bei  allen  indogermanischen  Stämmen  geherrscht  za  haben.  In  voller 
Lebendigkeit  zeigt  sie  sich  noch  in  altnordischer  Sage,  auch  im  Brauche 
der  alten  Wenden  und  Preussen:  s.  Grimm,  D.  Rechtsalt.  p.  486  flf. ;  vgl. 
K.  Weinhold,  Altnord.  Leben  p.  472  f.  Sie  bestand  aber  auch  bei  in- 
dischen Stämmen  (s.  Pomp,  lilela  III  7) ;  bei  den  iranischen  Baktrem 
(Onesichtus  bei  Strabo  XI  p.  547),  Massagetcn  [Herodot  1  246»Strabo  XI 
p.  518),  Derbikcn  (Strabo  XI  p.  530,  Mass.,  Derb,  und  Tibarener:  Porphyr, 
de  abstin.  IV  34),  Scythen  (Seit.  Empir.  &i:orjir.  III  §  34  0);  auf  Sardinien 
;Timaeus  fr.  38);  ja,  wie  bekannt,  sogar  noch  in  Rom  (vgl.  Marquardt, 
Rom.  Alt.  iV  p.  303  Anm.  4  213;;  auch  die  auf  Keos  bestehende  Sitte,  Im 
gebrechlichen  Alter  durch  einen  Gifttrunk  sich  selbst  zu  tödten  (Aelian 
V.  H.  111  87;  vgl.  Welcker,  Kl.  Sehr.  U  p.  503  f.;,  darf  als  ein  letster, 
auf  griccliischem  Boden  erhaltener  Rest  des  alten  grausigen  Gebrauches  be- 
trachtet werden.  Eben  diese  Sitte  auf  sein  Idealland  zu  übertragen,  konnte 
Jambul  um  so  eher  geneigt  sein,  weil  auch  den  Hyperboreern  die 
Sage  eine  ähnliche  Verkürzung  des  Lebens  vor  eintretender  Schwädie 
und  Gebrechlichkeit  angedichtet  hatte.  Pomp.  Mela  III  5,  von  den  Hyper- 
boreern :  ubi  eos  vitae  satietas  magis  quam  taedium  cepit,  hilares,  redimiti 
sertis,  semet  ipsi  in  polagus  e.\  certa  rupe  [s.  hierzu  Gautrekssaga ,  bei 
Grimm  a.  0.  486]  praecipites  dant  'vgl.  Plin.  n.  h.  IV  J  89).  —  Die  Pflanze 
übrigens,  auf  welche  gelagert  man  in  den  Tod  hinUberschlummcrt,  wird 
(c.  57]  ßoravT)  oi^uV^;  genannt.  Das  w&re  eine  »doppelgestaltige«  Pflanic. 
Da  man  sich  hierbei  nichts  vorstellen  kann,  so  übersetzen  die  Herausgeber 
des  Diodor  »duum  gen  er  um  herbat.  Diese  Bedeutung  hat  Si(puif)c  auch 
im  prosaischem  Gebrauche  thatsächlich  z.  B.  bei  Philostratus  V.  S.  p.  8,  Sf 
cd.  Kayser  4874.  Ist  die  Uebersetzung  richtig,  so  könnte  man  etwa  an  eine 
der  mandragora  ähnliche  Pflanze  denken.  Von  dieser  wunderbaren, 
frühzeitig  durch  allerlei  Aberglauben  geehrten  Pflanze  (über  die  abar^ 
gläubischen  Vorsichten  bei  ihrer  Ausgrabung  spricht  schon  Theophraat  h. 
pL  IX  8,  8;  vgl.  Grimm,  D.  Mythol.  4453  f..  Lobeck,  Agiaoph.  904,  und 
über  die  dort  erwtthntc  battaritis  oder  aglaophotis,  Langkavel,  Botanik  d. 


—    231     — 

bei  Ebbe  im  Meeressande  verscharrt:  dann  kommt  die  Fluth 
zurück  und  überschüttet  sie  vollends.  Die  Bewohner  verehren 
mit  Hymnen  und  Lobliedern,  als  Götter,  zumal  die  Sonne,  aber 
auch  den  Himmel  und  alle  Himmelslichter.  Sie  leben  in  Ab- 
theilungen, deren  keine  über  400  Mitglieder  zählt,  und  jede 
von  dem  Aeltosten,  wie  von  einem  König,  geleitet  wird.  In 
gemeinnützigen  Arbeiten  lösen  sie  einander  ab,  so  dass  Jeder 
abwechselnd  die  Anderen  bedient,  Fische  föngt,  Handwerk  oder 
Künste  ausübt,  Geschäfte  der  Gemeinde  besorgt  u.  s.  w.  Die 
Weiber  sind  Allen  gemeinsam,  so  auch  die  Kinder:  letztere 
werden,  damit  Gemeinsinn  und  Friede  erhallen  werde,  von  den 
Wärterinnen  häufig  vortauscht,  so  dass  nicht  einmal  die  Mutter 
wisse,  welches  ihr  eigenes  Kind  sei^).  Bald  nach  der  Geburt 
wird  durch  einen  Flug  auf  einem,  von  jeder  Abtheilung  gezüch- 
teten Vogel  Muth  und  Stärke  der  Kinder  geprüft;'  nur  die  dabei 
als  kräftig  Bewährten  zieht  man  auf^].  —  Ihr  Leben  bringen  sie 
zumeist  auf  blühenden  Wiesen  zu;  bei  den  üppigsten  Gaben 
der  Natur  leben  sie  in  wohl  geregelter  Massigkeit;  sie  geniessen 
hauptsächlich  gekochtes  und  gebratenes  Fleisch,  aber  ohne  rei- 
zende Gewürze ;  Vögel  und  Fische  bietet  Land  und  Meer  reich- 
lich dar;   auch  eine  grosse  Art  von  Schlangen   essen  sie.     Sic 


spftt.  Griechen  p.  83.  S.  aach  Lagarde,  Ges.  Abh.  p.  67),  deren  Saft  niclil 
aar,  sondern  deren  blosser  Geruch  schon  einschlöfcrn  sollte  (Plin.  n.  h.  XXV 
§  450)»  sagt  Plinius  n.  h.  XXV  43  §  447:  duo  eins  genera:  candidus 
<Iiii  et  mas,  niger  qui  femina  vocatur.  —  Bei  Lucian  ver.  bist.  11  33  steht 
auf  der  »Insel  der  Trftume«  ein  ganzer  Wald  baumhoher  Mohn-  und 
Mandragora  pflanzen.  —  (Man  könnte  versucht  sein,  be\  Diodor  statt 
(tftff}  ßordivTiN  zu  schreiben  Uio(puf|  ßordlvT^v,  »eine  eigenthüm liehe  Pflanze«; 
so  Diodor  V  80 :  l&io^ueTc  odXfitfYc;.  Dieselbe  Verschreibung  im  Schol.  Nie. 
Ther.  898  p.  65,  %%  K. :  'Apy^Xao;  iv  tot;  5itpu£oi  statt  ihio^uioi,  wie  schon 
Menrsius  corrigirte). 

1}  Hier  ist  die  Nachbildung  Platonischer  Wünsche'  und  Vorschläge 
evident:  auch  dieser  meinte  mit  der  Weibergemeinschafl  und  einer  Ein- 
richtung, bei  welcher  die  Mutter  ihr  eigenes  Kind  nicht  sicher  erkennen 
kMsne,  die  Einigkeit  in  seinem  Staate  zu  befördern.  S.  de  Republ.  V 
p.  46S  B  ff. 

2)  Auch  hier  liegt  die  Nachahmung  der  uralten,  bei  den  meisten  Völ- 
kern des  Altertbums  erhaltenen  Sitte  der  Tödtung  oder  Aussetzung  schwKch- 
liclier  Kinder  auf  der  Hand.  Zuweilen  kamen  hierbei,  wie  bei  Jambulus, 
fitatnliche  Proben  der  Kraft  des  Kindes  vor:  vgl.  z.  B.  Weinhold,  Altnord. 
Leben  p.  960  f. 


—     232     — 

speisen  nirht  alle  zu  gleicher  Zeil.  Für  jeden  Tag  ist  nur  Eme 
bestimmte  Gattung  von  Speisen  gestattet,  mit  deren  Genuss  sie 
somit  regelmässig  abwechseln.  Sie  treiben  allerlei  Wissen- 
schaften, zumal  die  Sternkunde.  Ihre  Schrift  hat  nur  sieben 
Zeichen,  welche  aber,  durch  vierfache  Umformung  eines  jeden, 
S8  Bedeutungen  annehmen  können. 

Bei  diesem  glückseligen  Volke  lebte  Jambul  mit  seinem  Ge- 
führten sieben  Jahre;  endlich  trieb  man  sie,  als  Uebelthater 
und  an  schlimme  Sitten  gewohnt,  aus.  Von  Neuem  auf  ihrem 
Schiffe  dem  Meere  überlassen,  wurden  sie,  nach  einer  Fahrt 
von  mehr  als  vier  Monaten,  endlich  an  die  sandige  und 
sumpfige  Küste  Indiens  geworfen.  Den  Gefährten  verschlangen 
die  Wellen ;  Jambul  gelangte  zu  einem  Dorfe,  dessen  Bewohner 
ihn  nach  Palimbothra  zum  König  brachten.  Der  gebildete  und 
griechenfreundliche  König  nahm  ihn  gütig  auf,  und  schickte  ihn 
endlich  mit  sicherem  Geleite  nach  Persien,  von  wo  er  schliess- 
lich nach  Hellas^)  sich  durchschlug.  Zurückgekehrt,  schrieb  er 
seine  Erlebnisse  auf  jener  Insel  und  was  er  in  Indien  Neues 
und  Unbekanntes  gesehen  hatte,  nieder. 

Die  hier  nach  dem  Berichte  des  Diodor  wiedergegebenen 
dürren  Notizen  geben  von  dem  Werke  des  Jambulus  jedenfalls 
insofern  einen  unvollkommenen  Begriff,  als  sie  uns  kaum  noch 
einige  ganz  verblichene  Spuren  jener  Annmth  l)ehaglicher  Er- 
Zcihlungskunst  erkennen  lassen,  welche  selbst  Lucian  an  der 
Schriftstellerei  des  Jambul  lobt  2).  Wenn  andererseits  der  Zu- 
sammenhang, in  welchen  Lucian  dieses  Schriftstellers  gedenkt, 
uns  verleiten  könnte,  in  seinem  Buche  nichts  als  ein  Gewebe 
toller  Lügenmärchen  zu  vermuthen,  so  dient  Diodors  magerer 
Auszug  doch ,  uns  von  einer  so  einseitigen  Vorstellung  zurück- 
zubringen. Es  scheint,  dass  Diodor  gerade  diejenigen  Angaben 
des  Jambul  vorzugsweise  herausgehoben  hat,  au^  denen  es  deut- 
lich wird,  dass  seine  Erzählung,  weit  entfernt,  sich  nur  an  einer 
leichtfertigen  Vcrschlingung  fratzenhafter  Märchenerfindungen  zu 
gefallen,  vielmehr,  gleich  den  Dichtungen  der  übrigen  hier  be- 


1)  D.  i.  wohl  nur  nach  Gegenden,   in  welchen  man  griechisch  sprach 
■so  'RXXök  bei  Späteren  nicht  selten),  also  etwa  nach  Syrien. 

2)  Lucian ,    Ver.  hisl.  I  8 :    l-^pvie  ht  xai  'lapißouXoc  repl  täv  ^  tj  (U- 
YoXtq  %fikdo9iQ  TToXXdl  rapiiooSa,  yvcupip-ov  jaev  araoi  xö  'i/t^iSo;  7:Xa9d|UtfvoC|  oix 


—     233     — 

handelten  Autoren ,  sich  zum  Ziele  setzte ,  in  der  Schilderung 
jener  Utopie  der  durch  die  Cultur  verderbten  westlichen  Well 
das  Bild  einer  in  ursprünglicher  Kraft  und  Schönheit,  in  seligem 
Frieden  und  den  einfachsten  Ordnungen  ursprünglichsten  Natur- 
rechts ein  langes  Leben  schmerzlos  und  schuldlos  geniessenden 
Menschheit  entgegen  zu  halten,  welche  einen  von  der  civilisirten 
Verderbniss  der  Griechen  weit  Ergriffenen  selbst  als  Gast  nur 
kurze  Zeit  unter  sich  dulden  kann.  Aber  freilich  lassen  uns 
einzelne  Angaben  Diodors  noch  deutlich  erkennen,  was  Lucians 
Andeutungen  uns  noch  bestimmter  zu  vermuthen  zwingen,  dass 
viel  stärker  als  in  den  verwandten  Dichtungen  des  Theopomp, 
Hekataeus,  Euhemerus  u.  s.  w.  diese  didaktisch-erbauliche  Schil- 
derei von  der  ausgelassensten  Phantastik  überwuchert  wird, 
welche  sich  in  den  kecksten  Eingebungen  ihres  Muthwillens  so 
unbefangen  und  ohne  Rücksicht  auf  das  idyllische  Sittengcmälde 
des  [Untergrundes  ergeht,  dass  man  wohl  sieht,  hier  stehe  das 
Abenteuerliche  rein  um  seiner  selbst  willen  und  werde  von  den 
ernsthaften  Absichten  des  Dichters  nur  kaum  noch  in  Schranken 
gehalten. 

Zieht  man  übrigens  sowohl  die  offenbar  tendenziös  philo- 
sophischen Grundlinien  der  Erzählung  als  jene  rein  fabulosen 
Wunderberichte  ab,  so  bleibt  von  solchen  Nachrichten,  die  man 
als  die  Ergebnisse  einer  wirklich  unternommenen  Reise  ernst- 
lich betrachten  könnte,  so  wenig  übrig,  dass  sich  das  ganze 
durch  die  feierliche  und  geheimnissvolle  Ausfahrt  in  das  unbe- 
kannte Meer  so  stimmungsvoll  eröffnete  Abenteuer  zu  einer 
blossen  dichterischen  Fiction  zu  verflüchtigen  scheint.  Ein  her- 
vorragender Forscher  hat  in  dem  Berichte  des  Jambulus  eine 
höchst  erwünschte  Nachricht  über  die  alten  Zustände  auf  einer 
der  Sunda-Inseln  zu  finden  geglaubt.  Die  für  diese  Meinung 
geltend  gemachten  Gründe  halten  indess  einer  unbefangenen 
Prüfung  nicht  Stand  ^)      Man   wird  den   Charakter  der   ganzen 


1)  Nach  Lassen,  Ind.  Altcrthumsk.  IH  p.  153 — 271  soll  unter  Jambuls 
Insel  Bali  zu  verstehen  sein.  Die  Gründe  für  diese  Behauptung,  v/ie  L. 
sie  p.  270  kurz  zusammenfasst,  sind  folgende  drei.  4)  Das  von  J.,  als  auf 
jener  Insel  herrschend  geschilderte  indische  Kastensystem  passe  (unter 
den  Sunda-Inseln,  an  die  übrigens  ausschliesslich  zu  denken  uns  doch  gar 
nichts  berechtigt)  nur*  auf  Java  und  Bali.  Auf  Java  nun  aber  passe  nicht 
die  von  J.  angegebene  Grösse  der  Insel,  5000  Stadien;  Javas  Umfang  sei 


—     234     — 

Erz^khlun^;;  richtiger  erfassen,  wenn  man  sie  als  ein  Seiteoslttck 
zu  den    Reiseberichten  Sindbads    des  Seefahrers  belrachtel. 


viel  gröRAer;  freilich  sei  Bali  wiederum  viel  kleiner,  Jambuls  Angabe  passe 
also  auch  für  diese  Insel  nicht ;  immerhin  sei  die  DifTerenz  zwischen  Bali  uDd 
Jambuls  Insel  geringer  als  zwischen  dieser  und  Java.   —   Ob  man  diese 
Argumentation  sonderlich  überzeugend  finden  könne,   mag 'dahin   gestellt 
bleiben.     Sie  ist  schon  darum  hinflillig,   weil  J.   ganz  und  gar  nicht  von 
Kasten   spricht.    Er   berichtet    (nach   Diodor  c.   87),   die  Inselbewohner 
lebten  xam  ou^ffvcdE;  xal  0'j0TV|(AaTa ,  ouvi^^fAivw  T«bv  oixcUrv  o*j  itXtidvMv  ^ 
TCTpaxo9((DV.    Diese  Beschränkung  der  Zahl   ist  bei  eigentlichen  Kastell  ua- 
sinnig  und  unmöglich,  daher  sie  denn  auch  Lassen  p.  268  für  ein  »Miss- 
verständniss«  erklären   muss.    Bei   blossen  Abtheilungen,  die  man  be- 
liebig vervielfältigen  kann,  ist  die  Begrenzung  der  Mitgliederzahl  ganz  ver> 
ständlich  und  leicht  durchführbar.    Der  Grundbedingung  des  indischen  and 
üt>crhaupt  jeden  Kastenwesens  widerspricht  es  vollkommen,    was  Diodor 
c.   59   berichtet:   dass  die  Bewohner  sich   in  den  verschiedenen  Arten  der 
Beschäftigungen  wechselnd  ablösten.    Auch  hier  sieht  daher  Lassen  p.  MI 
ein  »Missverständniss. «     Wer  aber  nicht,   durch    eine    leicht   begreifliche 
irrthümlich  vorgefasste  Meinung  verleitet,  die  Angaben  Diodors  mit  Gewalt 
auf  eine  Kasteneintheilung  zu  deuten  .sich  bemüht,  der  wird  ohne  Weiteres 
einsehen,   dass  Itei   ihm   von  gar  keinen  »Kasten«  im  eigentlichen  Slaae, 
sondern  einfach  von  Abtheilung  des  gesammten  Volkes   in  einzelne  kleine, 
durch  Gemeinschaft  der  Weiber   und  Kinder  verbundene,    durch   Seibit* 
rcgierung  unter  einem  Aeltesten   zusammengehaltene  Genossenschaften  die 
Rode  Ist.     Nichts  widerspricht   freilich   mehr  dem   System   der   indiscIwB 
Kastenabtheilung;   aber  ein   Missverständniss  ist  nur  auf  Seite  dessen, 
der  eben  diese  Kasteneintheilung  hier  sucht.  —  1)  Unter  dem  Rohre,  dessen, 
der  weissen  Kichererbse  gleichende  Früchte  in  warmem  Wasser  zum  Adf* 
quellen  gebracht,   dann  zerrieben,   zu  Broten   geformt  und  dann  gebacken 
werden  (c.  57),   muss  nach  Lassen  p.  256  »ohne  Zweifel  die  Sagopalme 
verstanden  werden.«    Diese  könne  man  allenfalls  als  ein  »Rohr«beafeichnen; 
noch     heute    werde    dos    schleimige    Mark    der    Palme    zerstossen ,    mit 
Wasser  vermischt,   und   zu  Kuchen  gebildet,   die  man  in  helssen  Formen 
hart  mache.     Warum  sollte  aber  Jambul,  wenn  er  die  Sagopalme  wirklich 
gesehen  hatte  und  beschreiben  wollte,  sie  ein  Rohr  und  nicht  eine  Palme 
nennen ;  warum  spräche  er  von  weissen,  erbsenartigen  Früchten,  wenn  er 
eigentlich  das  Mark  meinte  (also  das  Ifxi^paXov  cpo(vtxo;:  Athenäus  II  c.  85]f 
Es  scheint,  als  ob  doch  einiger  Zweifel  gestattet  sei  an  der  Nothwendlgkeit, 
durchaus  an   die  Sagopalme  zu  denken ,  zumal  da  ja  doch  das  den  Phasen 
des  Mondes    entsprechende  mythische  Ab-  und   Zunehmen   des  StammsSi 
welches  Jambul   (c.  59  f.  oben  p.  i28)   von  eben  diesem  »Rohre«  aassagt, 
nicht  sonderlich   nach  einer  getreuen  Beschreibung  einer  wirklichen,  von 
ihm  selbst  gesehenen  Pflanze  schmeckt.    'Man  lese  übrigens  nur  eine  genave 
Beschreibung  der  Gewinnung  des  Sagomehls  und  seiner  Zubereitung,  s.  B. 
))ei  Wallace,  der  malayischc  Archipel  U  107 — H2   d.  Uebers. ,  nnd  mto 


—    235    — 

GüDz  wie  in  diesen  mögen  auch  in  den  Berichten  pes  Jam- 
s  einige  Nachrichten  weitgereister  Kaufieute  mitman  cherlei 


bulus  einige 


wird  die  letzte  Spur  einer  Aehnlichkeit  dieses  Vorganges  mit  dem  von 
Jambul  beschriebenen  verschwinden  sehen.)  Die  Sagopalme  soll  nun  aber, 
nach  Lassen  p.  i70 ,  sich  nicht  im  Westen  Bomeos  finden ;  daher  man 
nicht  an  Java  sondern  (unier  den  Sundainscln)  nur  an  Bali  denken  könne. 
Dieses  Argument  verliert  natürlich  seine  Kraft,  sobald  man  nicht  von  der 
Identität  des  JambuHschen  Rohres  und  der  Sagopalme  üboi*zeugt  ist. 
S)  Die  Nachricht  des  Jambul  (c.  58  extr.) :  ima  o  f^soiv  aurai  vijoot. 
icapaicXifjotai  {Atv  toT«  (UY^dcot^  a6fi(jLCTpbv  B^dXXifjXow  ^leorrpculai,  irdoai  oi  xoi; 
outou  ^C9(  «al  v«S{AOi;  )rp(6;xcvai,  diese  Nachricht,  meint  Lassen  p.  270, 
besiehe  sich,  wie  »ein  Blick  auf  die  Karte  des  Indischen  Archipels«  zeige, 
oflenbar  auf  die  sieben  Inseln:  Java,  Bali,  Lombock,  Sumbawa,  Flores, 
Celebes  und  Borneo.  Nun  scheint  aber  die  Karte  zunächst  auch  eine 
andere  Auswahl  zu  gestatten:  warum  sollte  man  nicht  etwa  Tschindane, 
Timor,  oder  eine  der  zahlreichen  Inseln  im  Norden  von  Timor  in  die  Siebon- 
zahl einrechnen  und  statt  ihrer  einige  der  von  Lassen  bevorzugten  Inseln 
fortlassen  können?  Immer  vorausgesetzt,  dass  wir  unsere  Phantasie  auf 
diese  hinterindischen  Inseln  zu  beschränken  genöthigt  wtfren;  wozu  bisher 
sich  kein  Grund  ergab.  Unter  jenen,  von, ihm  ausgewählten  7  Inseln  er^ 
klärt  nun  Lassen  wiederum  Bali  für  die  glückselige  Insel  des  Jambul,  »weil 
die  Seereisen  der  Inder  damals  sich  nur  wenig  östlicher  als  Java  erstreckten 
ood  daher  Indische  Einflüsse  auf  den  östlicheren  Inseln  nicht  annehmbar 
sind«.  Von  »indischen  Einflüssen«  ist  nun  freilich  in  Wahrheit  auch  auf 
Jambuls  Insel  nicht  das  Geringste  zu  bemerken;  wenn  aber  eben  dieser 
angeblichen  »indischen  Einflüsse«  wegen  Lassen  durchaus  an  Bali  denkt, 
das  Vorhandensein  solcher  indischen  Einflüsse  indessen  auf  den,  ausser 
Java  und  Bali  zu  der  Siebenzahl  gehörigen  Inseln  leugnet  (was  er  ja  freilich 
mufls ,  wenn  seine  Argumente  allein  für  Bali  gelten  sollen) :  wie  stimmt 
damit  die  Angabe  des  Diodor,  dass  alle  7  Inseln  sich  gleicher  Sitten  und 
Gesetze  bedienten?  Sie  stimmt  damit  nicht  besser,  als  seine  anderen  An- 
gÜMB:  dass  alle  7  von  etwa  gleicher  Grösse  und  in  gleichmässigen  Ab- 
stioden  von  einander  entfernt  seien,  zu  jenen  7  Inseln  des  Indischen 
Archipels  stimmen  wollen.  Denn  freilich  sind  ja  Java,  Borneo  und  Celebes 
viel  grösser  als  die  vier  anderen  Inseln ,  und  den  Abstand  von  Flores  nach 
Celebes,  von  Java  nach  Borneo  kann  Niemand  dem  von  Java  nach  Bali, 
voo  Bali  nach  Lombock  gleich  oder  ungefähr  gleich  nennen.  Indessen  diese 
»Ongenaulgkeit«  ist  nach  Lassens  Meinung  »wenig  erheblich,  weil  Jambulos 
diese  S  Inseln  (Java,  Celebes,  Borneo)  nicht  aus  eigner  Anschauung  kennen 
lernte;  vielleicht  ist  sie  dem  unzuverlässigen  Diodoros  und  nicht  ihm  zuzu- 
schreiben.« Einmal  angenommen  (nicht  zugestanden:  denn  was  gäbe  uns 
dazu  das  Recht?},  dass  Jambulus  in  allen  t  Aussagen,  die  er  von  seinen 
sieben  Inseln  macht,  sich  »Ungenauigkeiten«  zu  Schulden  habe  kommen 
lassen:  so  darf  man  wohl  anfragen,  nach  welcher  Methode  es  erlaubt  ist, 
ans  eben  diesen  Aussagen  (die  man  ja  doch  alle  drei  nicht  brauchen  kann] 


—     236     — 

eigentlich  sagenhaften  Zügen  durch  einander  geschlungen  sein. 
Die  griechischen  Kaudeute   scheinen,    nicht  anders  als  die  ara- 


(lie  Lage  der  dadurch  bezeichneten  Inseln  bestimmen  zu  vollen?  —  Dieses 
sind  also  die  drei  Hauptgründe,  welche  für  die  Identificining  jener  sagen- 
haften Insel  mit  Bali  sprechen  sollen.     Es  Usst  sich  erwarten,   dass  die 
übrigen  Angaben  des  Jambul  nicht  eben  viel  zur  Unterstützung  einer  selbst 
durch  die  Hauptgründe  nur  so  schwach  l)ogründeten  Hypothese  beitragen 
werden.     Die  meisten  dieser  Angaben  sind  als  offenbar  sagenhaft  hier  nicht 
zu  benutzen:  es  tritTt  sich  indessen  doch  sonderkiar,  dass  nicht  wenigslenk 
ähnliche  Sagen  sich,  als  in  Bali  heimisch,   nachweisen  lassen  (wie  doch 
in  Ceylon:   s.  unten).     Die  Angaben   über  die  Lage  der  Insel  (c.  5S  exlr.) 
passen  auf  jede  Insel  in  der  Nöhe  des  Aequators ;  die  Angaben  über  die  von 
den  Insulanern  verehrten  Götter   (c.  59:    lehren  in  ihrer  Allgemeinheit  gir 
nichts  Bestimmtes.     Das  Fleischessen  der  Bewohner  (c.  59)   will  auf  eine 
\on  Brahmanen  bewohnte  Insel  doch   gar  zu  schlecht  passen  (L.  p.  SM); 
die    Weibergemeinschaft   nicht    besser    (Lassen    ibid.)-     Was   uns  von  der 
Vegetation ,  ausser  jenem  sonderbaren  Rohre ,   berichtet  wird ,  steht  rem 
Theil  im  Widerspruch  mit  der  wirklichen  Natur  der  indischen  Inseln:  denn 
wenn  ic.  59}  erzählt  wird,  dass  es  auf  der  Insel  u.  A.,  nicht  nur  »Rankent 
(wie  L.  p.  256  übersetzt),  sondern  geradezu  äfiTceXoi,  also  Weinstöcke  gebe, 
so  erscheint  es  do(;h   keineswegs  als  »selbstverständlich«,   wie  L.   p.  iST 
meint ,   dass  man  unter  dem  aus  diesen  Weinslöcken  gepressten  om;  nar 
eine  Art  von  Palmensaft  (aus  Ranken?)  zu  verstehen  habe ;  vielmehr  kannte 
offenbar   J.    die    Vegetation    unter    dem    Aequator   nicht   aus    eigener  An- 
s<*hauung.    —   Endlich   noch  ein  W'ort  von  der  Schrift  jener   Insulaner. 
Von  dieser  berichtet  Diodor  c.  57:  fpafipiaoiv  aOroy;  ypf^odal  (^a«i)  vrtä^ 
TTjV  S6va{Aiv  Tä>v  Tr^lkal^6sxms  elxoot  xal  oxtoi  t6v  dpiOiA^v,  xatd  hi  xou;  ya^vcfffiti 
tTTTÄ,  Äv  exaoTov  Terpaywc  ficTao/TjfjLaTiCcoÄai.  —  —  fpfi^o'J9t  hi  to'jc  OT{)rwt 
oOx  ei;  t6  rX^Ytov  exTeivovre;,  Aorep  r^fjtci;,  dXV  dvoitkN  xdxcB  xaTo^pd^povii; 
ei;  6p%6^      Diesen   Bericht  hat   E.  Jacquet,  Nouveau  Journal  asiatiquc  VIII 
.'1831)    p.   20 — tO   einer  genauen  Betrachtung  unterworfen.     Von  dem  gui 
willkürlich   eingenommenen  Standpunct  ausgehend,  dass  man  »le  commei- 
taire  du  texte  grec«  zu  suchen  habe,  »en  ce  que  nous  savons  des  alpbabel« 
de  Ceylan  et  de  la  Polynesie  asiatiquc«,  kommt  er  zu  dem  Resnilat: 
yapaxT^pe;  seien  hier  die  Consonanten,  (7T)p.a(vovTa  die  zu  diesen  Gonsonai- 
ten  hinzugefügten  Vocalisirungszcichen.    »Les  habitans  de  Tilc  ansirale 
avaient  donc  sept  consonnes,  qui,  conibin<^c8  avec  quatro  signes-voyelles, 
formaient  28  groupes  ou  syllabes«:  ein  Resultat,  welches,  wie  Jacquet  selbft 
zugesteht,  keinerlei  Aehnlichkeit  zwischen  dein  Alphabet  der  Bewohner  voi 
Ceylon  und   des  indischen   Archipels  und  dem   von  Jambul  beschrtebenefi 
ergiebt  und   also  i^nr  nicht  erkennen  liisst,  inwiefern  eigentlich  die  Nach- 
richten von  jenem  den  Angaben  über  dieses  zum  H:omnientaire«  dienen  konnes» 
Lassen    Ind.  Alt.  II  4059,  vgl.    III  264;  umschreibt  den  Bericht  des  Diodor 
folgender  Maassen:  »ihr  Alphabet  enthielt  28  Schriflzeichen,  unter  welchem 
Ausdrucke  mit  Vocalzeichen  versehene  Consonanten  zu  verstehen  sind ;  diese 


—    237     — 

bischen,    von  ihren  Reisen  ein  wunderliches  Gemisch  richtiger 
and  scharfer  Beobachtungen  und    abenteuerlicher  Märchen  mit 


bildeten  sieben  Classen,  welche  durch  ihre  verschiedene  Vocalisirung  ent- 
standen.« Das  hiernacti  beschriebene  Alphabet  von  nur?  Consonanten 
iitimme  zwar  durchaus  nicht  zu  dem  Alphabet  des  Sanskrit;  trotzdem  sei 
eben  das,  von  den  Brahmanen  auf  Bali  eingeführte  Sanskrit-Alphabet  zu 
verstehen;  freilich  werde  Sanskrit  nicht,  wie,  nach  Jambuls  Bericht  die 
Schrift  jener  Insulaner,  von  oben  nach  unten  geschrieben;  aber  diese  An- 
gabe beruhe,  ebenso  wie  diejenige  über  die  7  Consonanten,  auf  einem 
»Irrthum«  des  Jambul.  Ich  frage  wieder:  wenn  Jambuls  Angaben  durchaus 
Dicht  mit  der  Sanskritschrift  zusammenpassen,  woraus  wird  es  denn  eigent- 
lich deutlich,  dass  er  trotzdem  eben  die  Sanskritschrift  gemeint  habe?  In 
der  Regel  würde  man  doch  aus  der  völligen  Incongruenz  der  Beschreibung 
eines  unbekannten  Dinges  mit  den  tha Sachlichen  Eigenschaften  eines 
bekannten  Dinges  vielmehr  den  Schluss  ziehen,  dass  jenes  unbekannte 
Ding  von  diesem  bekannten  verschieden  sei.  Was  nun  die  Worte  des 
Diodor  betrifFt,  so  bedarf  es  natürlich  keines  weitläufigen  Beweises,  dass 
in  ihnen  ov](ia(NOvTa  nicht  » Vocalzeichen «  und  yapaxr^pEc  nicht  »Conso- 
nanten« bedeuten  können,  sondern  dass  der  ganz  unzweideutige  Sinn  dieser 
ist:  sie  haben  7  Buchstaben  (natürlich  heisst  i,  nichts  anderes  und 
nichts  specielleres],  welche  dadurch,  dass  ein  jeder  von  ihnen  vierfach  um- 
gewandelt wird,  im  Ganzen  28  Laute  darstellen  können,  so  dass  sie  also 
der  Bedeutung  nach  (xaxd  r^s  ^uvapiiv  twv  OYjfAatv^vxoiN]  in  der  Tbat 
t8  Schriflzeichen  ('^^[L\iaxa)  haben,  der  blossen  äusserlicben  Gestalt  nach 
(yipoxr/jp)  nur  7.  Es  ist  mit  keiner  Sylbe  angedeutet,  dass  die  7  ^^apaxT^pe; 
nur  Consonanten,  oder  nur  Vocale  seien,  und  dass  (im  ersten  Falle)  die 
28  Bedeutungen  durch  Vocalisirung  dieser  7  Consonanten  hervorgebracht 
worden  seien.  Zu  einer  Herbeiziehung'  irgend  welcher  indischen  Alphabete 
sind  wir  durch  nichts  berechtigt,  um  so  weniger,  als  ja  wunderlicher  Weise 
das  Resultat  einer  solchen  Herbeiziehung  dieses  war,  dass  sie  zu  einer  Auf- 
klttmng  über  die  Meinung  des  Jambul  nur  dann  beitragen,  wenn  man  diese 
Meinung  für  grundfalsch  und  auf  Missverständnissen  beruhend  erkläre!  Ob 
überhaupt  irgend  eine  historische  Reminiscenz  der  Angabe  des  Jambul  zu 
Grunde  liege,  ist  bis  jetzt  ganz  unsicher.  Man  könnte  vielleicht  das  Ganze 
für  eine  reine  Erfindung  desselben  halten ,  auf  welche  ihn  leicht  gewisse 
Theorien  griechischer  Grammatiker  bringen  konnten.  Die  Trivialgrammatik 
der  Griechen  warf  zwar  in  sehr  unklarer  Weise  Laut  und  Buchstaben, 
die  Bezeichnung  des  Lautes  in  der  Schrift,  als  identisch  zusammen.  Schärfer 
Beobachtende  wusstcn  aber  sehr  wohl  zwischen  Laut,  oxor/cTov  (rf^c  ^oivf^c) 
und  Schriftzeichen,  YpölfAfia  zu  unterscheiden  (s.  Ammonius  de  difT.  serm. 
'p.  87  [z.  Th.  corrigirt  von  Imm.  Bekker  zu  ApoUon.  de  pron.  p.  4  76],  Luc. 
Tarrh.  in  Cramers  an.  Ox.  IV  821,  22  und  namentlich  Moderatus  bei 
Porphyr,  v.  Pythag.  48  p.  98,  24  fT.  West.).  Diese  sahen  ein,  dass  Laut 
ond  Buchstaben  sich  durchaus  nicht  ohne  Weiteres  decken ;  Einige  fanden 
aus,   dass  die   Zahl  der  einfachen   Laute  die  der  griechischen  Buchslaben 


—     238     — 


nach  Hause  gebracht  zu  haben  <) :  es  konnte  der  Erzählung  des 
Janibul  an  Buntfarbigkeit  nicht  fehlen,  wenn  er,  aus  ihren  Mit- 


welt überrage:  sie  rechneten  60  oder  gar  66  OTor/eia  heraus  (s.  SeEtos 
Eropir.  adv.  gramm.  §  H2— H4:  Schnl.  Dionys.  Thr.  [MelampuK]  f  7 
p.  774,  25—777,  45.  beide  aus  gleicher  Quelle);  Andere  rechneten  fn 
Ciegentheil  aus,  dass  die  Anzahl  der  wirklichen  oroiyeta  t9);  «oivfic  nicht 
i4,  wie  die  fpdiiu.vn,  sondern  nur  4  t  sei  (s.  Dionvs.  Halic.  de  comp.  verb. 
44  p.  40  f.  ed.  Tauchn.  Ohne  Zweifel  sind  gemeint:  5  Vocale  [fi^iöyji 
4  liquidae  [A.av(>],  9,  und  von  jeder  tjC^yCs  der  df^eova  je  Eines  [P-lant, 
T-laut,  K-Iaut,  jeder  dreifach  modiflcaber).  Diesen  Specnlationeo 
entsprechend  statuirten  dann  Manche  Schol.  Dion.  Thr.  780;  Andere  bif 
V.  A.  Wolf  prol.  Hoin.  p.  LXIll  27),  dass  die  ttltesten  Griechen  in  der  Thal 
nur  die  für  die  Beseichnung  der  Laute  noihwendigen  Buchstaben  gebraucht 
htttten  (nämlich  nicht:  ^Tf^l^ybm;  während  doch  in  Wirklicfakeil schon 
die  älteste  griechische  Schrift  aus  dem  Phünicischen  Zeichen  auch  fUr 
^t]^^  herübernahm:.  Denn  dieser  Behauptung  liegt  offenlrar  einzig  eine, 
V(»n  historischer  Ueberlieferung  nur  in  einigen  Einzelheiten  unterstützte 
Speculation  zu  Grunde.  (Ganz  ähnlich  verhält  es  sich  wohl  mit  Caesars  Be- 
hauptung Is.  Lersch  Sprachphilos.  d.  A.  I.  488,  Uli  von  den  44  Urboch- 
Klaben  der  Römer  [anders  Wilnianns  de  Varronis  1.  gramm.  p.  428  n.  2];. 
Eine  ähnliche  Speculalion  nun  mochte  vielleicht  den  Jambulus  bewegen, 
seinen  Inselbewohnern,  denen  er  überhaupt  die  Zustände  und  Einrichtungen 
eines  unverbildeten  und  ursprünglichsten  Naturlebens  anzudichten  ersicht- 
lich sich  zur  Aufgabe  stellt,  auch  in  Bezug  auf  die  Schrift  eine  Beschrilii- 
kung  auf  die  zweck  massigste  und  in  überflüssigen  Zeichen  nicht  luxuriirende 
Bezeichnung  der  natürlichen  Tror/eta  zuzuschreiben.  Wie  er  es  möglidi 
gemacht  habe,  die  Zahl  der  einfachen  Laute  gar  nur  auf  7  einzuschrüDken, 
lässt  uns  freilich  der  Bericht  des  Diodnr  nicht  mehr  erkennen;  in  dieser 
Zahl  scheint  er  herkömmlicher  Weise  eine  besondere  Heiligkeit  gesehen  lO 
haben :  daher  auch  die  7  Inseln ,  von  denen  die  glückliche  Insel  eine  ist. 
In  der  That  aber  glaul)e  ich,  dass  auch  der  Sinn  der  kurzen  Angabe  des 
Diodor  am  verständlichsten  wird,  wenn  wir  annehmen,  dass  J.  behauptet 
habe:  die  Insulaner  wussten  die  sümmtlichen  Laute  lorot^cTa)  ihrer  Spradie 
zu  bezeichnen  durch  7  Buchstaben  ^^apaxrTipec ,  7oa^piaTa).  da  alle  übrigen 
I^ute,  als  blosse  Modificationen  jener  7 ,  sich  durch  leichte  (UTBr^Tjf&attopiSi 
jener  7  Buchstaben  bezeichnen  Hessen  'ganz  ähnlich,  wie  im  ältesten 
Griechenland  sämmtltche  Laute  durch  Modificationen  der  ursprünglichen 
46  Buchstat>en  bezeichnet  wurden,  nach  der  oben  berührten  Sage}.  Warum 
er  seine  Insulaner  von  oben  nach  unten  schreiben  Hess,  weiss  ich  nicht  mit 
Bestimmtheit  zu  sagen.  Man  darf  aber  vielleicht  vermuthen,  dass  er  ancfa^ 
hierin  einen  Zug  der  dort  bewahrten  uriiltesten  Blldungszustände  anzudeuten 
Iteabsichtigte :  es  ist  bekannt,  dnss  unter  den  Richtungen  der  Schrift,  welche 
vor  der  von  Pronapides  angeblich  eingeführten)  später  gewöhnlichen  in 
Griechenland  in  uralter  Zeit  üblich  gewesen  seien,  auch  die,  mit  der  hier 
von  J.  iiescrhriebenen  ül)ereinstinimende  Richtung  xirj-^rfi^'i  von  den  alten  Pa- 


—    239 


theilungen  eine  Auswahl  treffend,  diese  mit  gewissen  Sagen 
verband,  in  denen  man  ganz  deutlich  eine  Beziehung  auf  die 
Insel  Ceylon  erkennt ^j.    Der  griechische  Fabulist  unterscheidet 


Uieographen  genannt  zu  werden  pflegt  (z.  B.  Schol.  Dion.  Thrac.  p.  787,  24  ff.). 
—  Nach  dieser  ausführlich  motivirten  Widerlegung  der  Lassenschen  Hypothese 
erscheint  es  ganz  überflüssig,  andere  Annahmen,  welche  als  die  Insel  des 
Jambul  eine  der  Philippinen,  oder  Sumatra  erkannt  haben  wollen,  ebenfalls 
genauer  zu  prüfen. 

1)  Die  ^Tcoptxd  (tT^ff^f&aTa  geniessen  eines  sehr  zweifelhaften  Credits 
z.  B.  bei  dem  der  Geographie  so  kundigen  (wiewohl  jenseits  der  Grenzen 
seiner  Autopsie  etwas  allzu  skeptischen)  Polybius,  IV  39  §  H  ;  ib.  4S,  $  6.  7 
empfiehlt  er,  nach  genauer  Erkundung  der  Wahrheit  aus  der  töin  ?iX(DiCo|ji^fDv 
^^cu^Xofla  xal  xepaTeia  eine  vorsichtige  Auswahl  zu  treffen.  Vgl.  noch 
Marinus  bei  Ptolemaeus  Geogr.  I  H.  —  Ein  ergötzliches  Beispiel  derartiger 
Lügenberichte  von  Reisenden,  bei  Plautus,  Trin.  984 — 945. 

2)  Diese  Beziehungen  veranlassten  den  gelehrten  S.  Bochart,  geradezu 
die  Erztfhlungen  des  Jambul  für  eine  getreue  Beschreibung  jener  Insel  zu 
hallen,  und  als  solche  zu  wiederholen  (Canaan.  I  c.  46).  Wesseling  schon 
erkannte  ganz  richtig ,  dass  J.  nur  einzelne  auf  Ceylon  und  die  über  diese 
Insel  bei  den  Griechen  umgehenden  Sagen  passende  Züge  m  seine  eigenen 
Fabeleien  verwebt  habe.  Diese  Züge  sind  in  Kürze  folgende.  Der  Umfang 
der  Jambulischen  Insel  beträgt  5000  Stadien  (c.  55  extr.):  ebenso  der 
Ceylons  nach  Onesicritus  bei  Strabo  XV  p.  S9t.  —  Die  Bewohner  werden 
4  Ellen  hoch  (c.  56),  leben  4  50  Jahre  (c.  57).  Von  der  übermenschlichen 
Grosse  der  Bewohner  Taprobanes:  Mart.  Cap.  VI  §  697;.  vgl.  Plinius  VU  §  28 : 
Onesicritus  (tradit) ,  quibus  locis  Indiae  umbrae  non  sint  (nämlich  am 
Mittags  vgl.  Jambul  c.  56  fln. ;  jedenfalls  meint  On.  die  südlichsten 
Gegenden  Indiens)  corpora  hominum  cubitorum  quinüm  et  binarum  pal- 
raanim  existere,  et  vivere  annos  CXXX,  nee  senescere,  sed  ut  medio  aevo 
mori.  Von  Taprobane  Plinius  n.  h.  VI  §  94 :  vitam  hominum  centum  an- 
norum  modicam.  (Grosse  Menschen  in  Indien:  Pomp.  Mela  III  7,  84  ff. 
ed.  Abr.  Gronov.).  —  Namentlich  vergleiche  man  aber  mit  dem  Berichte 
des  Jambul  die  Nachrichten  des  Palladius  über  Taprol>ane,  bei  Pseudo- 
caJIisUi.  III  7.  8.  Dort  heisst  es:  Taprobane  —  £v0a  ciolv  ol  Xrföfuvot 
M«xptfßiot  («illi  quibus  Beatorum  nomen  est>,  Ambrosius  in  der  Uebersetzung 
des  Palladius ;  las  er  etwa :  ol  \t^.  Maxiptoi?) .  Z(ü9i  fo^p  eU  ti^v  v?JaoN  ixetvr^v  xal 
f»C  ixttTÖv  iCf^TifjxovTa  ItAv  ol  '(ipo'TX^  hl'  OircpßoXi^jV  x-TJ;  t&v  d^pnv 
KÖnpaotac  (vgl.  Jambul.  c.  56  p.  469,  9  Wess. :  c'jxpaTÖxaTOv  V  elvat 
T^  d£pa  icap^  a6Tot;.)  xal  dve^peuv^Tcp  xplfiari  ^eoD.  c.  8:  cbc  ^e  hvrfftyj'no 
ol  Ixciicv  ftMnvn  dnd^a  Xelirci  dv  toTc  töhoi;  ixctvoic  *  ^  xtp  a^T^  y^P  ^ 
fiiv  irt%il  «Xc6v,  6c  ^t  6p.(pax(Cetf  S;  oi  xpuY^at.  Vgl.  Jambul  c.  56  extr. : 
«od  xdk  imfcpoc  (i  ^ap'  a^ToTc  SXov  t^v  I^ivjtIs  dx|AdCctv,  &oirep  xal  h  7:ovrfi^i 
ffiv^shi'  ^^yij  ii:  ^^v{)  ^prjpdloxci,  fi-^Xov  R'  im  fA'/)X(p,  Qt^Tdp  inX  ora^puXiQ  eta- 
^puX^,  oOvov  h^  iid  (s(nuo  (Odyss.  h.  490  f.).  Vgl.  den  Bericht  des  chinesi- 
schen   Algers   Fa-hian    (5.    Jahrh.)   Ober  Ceylon    (TmvelF  of   Fa-hian    and 


—     240     — 

sieh  aber  von  dem  arabischen  sehr  wesentlich  darin,  dass  ihm 
das  bunte  Gewirr  von  halbrichtigen  Kaufniannsberichten  und 
ganz  phantastischen  Sagen  nur  als  Ausschmückung  eines  ernste- 
ren Untergrundes  dient.  DeuUicher  sogar  als  bei  den  übrigen 
hier  betrachteten  Autoren  tritt  bei  Jambul  auch  aus  der  üppig- 
sten Ueberwucherung  des  rein  Phantastischen,  die  specielle 
Tendenz  der  zum  Grunde  liegenden  v> sentimentalen  Idyllec 
hervor.  Es  ist  offenbar ,  dass  er  den  vollkommenen  Glückszu- 
stand der  Menschheil  in  der  Beschränkung  auf  den  einfachsten 
und  frühesten  Naturzustand  sieht ;  und  ich  glaube  nicht  zu  irren, 
wenn  ich  in  dieser  Ansicht  und  ihrer  besonderen  Ausführung 
einen  Anklang  an  die  Doctrinen  der  alteren  stoischen  Schule 
vernehme,  welche  in  ihren  politischen  Theorien  den  rohcsten 
Naturzustand,  mit  cynisch  herber  Consequenz,  als  das  Ideal  der 
Einrichtung  menschlicher  Gesellschaft  darzustellen  liebte^).    Was 

SuDg-yun  from  China  to  India,  transl.  by  S.  Beal,  London  1869)  p.  419; 
This  counlry  enjoys  an  equabie  climate,  without  any  extremes  of  tempen- 
turc  eithcr  in  hinter  or  summer.  The  planU  and  trees  are  always  ver- 
(lant  etc.  Aehnliche  Berichte  bei  persischen  Autoren,  vgl.  Reinaad,  G. 
d'Aboulf^da  I  p.  CCXXlll.  —  Andere,  nicht  von  Jambul  erfundene,  soodero 
aus  älteren  Sagen  herübergenommone  Züge  habe  ich  oben,  in  den  An- 
nicrlkungen,  gelegentlich  bezeichnet  —  Beilbufig  sei  hier  noch  auf  dif 
Si'hiiderung  eines  glückseligen  Fabellandes  im  fernen  Osten  aufmerksam  g^ 
macht,  welche  sich  bei  dem  lateinischen  Ueborsetzer  der  im  4.  Jahrhundert 
vorfassten,  ursprünglich  griechischen  s.  g.  Expositio  toUus  mundi  flndet:  is 
Müllers  Googr.  gr.  min.  II  p.  5U.  Dort  lebt  ein  gerechtes  und  glücklidiei 
Volk;  sie  stfen  nicht  und  ernten  nicht,  tUglich  fallen  ihnen  Brote  vom  Him- 
inol,.  dazu  bietet  sich  ihnen  wilder  Honig  zur  Nahrung  dar.  Ohne  Kttoigr 
regieren  sie  sich  selbst.  Krankheiten  kennen  sie  nicht,  auch  kein  Ungeziefer 
gicbt  es  dort.  Ihre  Kleider  reinigen  sie  nicht  im  Wasser,  sondern  im  Feoer 
(wie  die  ßrahmancn  nach  Hierocles  in  seinen  abentouerlichsn  OcXtotopc; : 
Fr.  bist.  IV  470  fr.  4.  Vgl.  epistola  Joannis  regis  Indiae  c.  43  ed.  Zarncke 
[Loipz.  Progr.  4  873]).  Edelsteine  führen  die  Flüsse  mit  sich,  mit  Netzen 
werden  sie  aufgefangen.  Nach  einem  langen,  von  Krankheit  freien  Leben 
(von  4iO  oder  H8  Jahren?)  legt  ein  Jeder,  sein  Stündlein  erwartend,  sieb 
auf  einen  »Sarkophag«  aus  wohlriechenden  Substanzen,  grüssl  seine  Freunde 
und  stirbt. 

1)  An  der  \on  Jambul  geschilderten  Einrichtung  des  Lebens  f^Ilt  vor 
Allem  auf,  dass  von  einer  eigentliclien  Staatsgemeinschaft,  von  der  Familie, 
von  gerichtlicher  Ordnung,  von  Tempeln,  Priestern,  Festspielen,  Well- 
kämpfen  (auch  vom  Kriege,  dem  Weltkampfe  der  Staaten  untereinander), 
kurz  von  den  Grundlagen  des  eigentlichen  hellenischen  Staatswesens  gar 
nicht  die  Rede  ist.    Seine  Insulaner  leben  in  kleinen  Abtheilungen,  innerhalb 


—     241     — 

die  Meister  der  Schule  nur  als  Wunsch  und  Theorie  aussprechen^ 
sucht  nun  Jambul  im  ausgeführten  Bilde  als  wirklich  der  An- 
schauung vorzustellen;  erst  so  aufgefasst  wird  der  wahre  Sinn 
seiner  Utopie  klar  hervortrelen.  Man  mag  sie  als  ein  stoisches 
Gegenstück  zu  dem  Platonischen  Idealbilde  des  alten  Athen  und 


deren  Weiber-  und  Kindergemeinschaft  herrscht;  alle  übrigen  Verhältnisse 
des  Lebens  sind  in  keiner  Weise  geregelt  und  in  bestimmte  Ordnungen 
eingeschlossen;  offenbar  geht  hier  Alles  zu,  wie  es  sich  bei  reinem  Befolgen 
der  primitivsten  Naturtriebe  in  einer  durchaus  noch  unorganisirten ,  durch 
die  glücklichsten  Naturverhältnisse  aber  vor  wilden  Ausbrüchen  der  Noth 
und  Selbstsucht  bewahrten  Menschenmenge  ganz  von  selbst  machen  würde. 
Genau  dieser  Zustand  nun  ist  es,  welcher  als  der,  für  den  Staat  der 
Weisen  wünschenswerthe  geschildert  wurde  in  der  (noch  unter  Krates' 
Einfluss  verfassten]  [loXiTeta  des  Z e  n o ,  dem  hierin  Chrysippus  folgte. 
Man  vgl.  den  Bericht  des  Skeptikers  Cassius  bei  Laert.  Diog.  VII  84  :  xoivdc 
td«  Yüvaixa;  SoYfxaTlCeiv  (xöv  ZVjvoava)  ifxottu«  (wie  das  vorher,  §  3t,  aus  der- 
selben Schrift  Berichtete)  h  T-j  [loXiTelqi  xal  xatd  tou;  Siaxoatou«  orl^ouc 
(?  soll  das  heissen  »in  einer  Ausführung  von  etwa  200  Zeilen?«  oder:  in 
seinen  »200  Versen?«  Eine  solche  Schrift  des  Z.  ist  unbekannt.  Man 
streiche  das  [aus  dem  Schluss  von  IIoXiTetat  durch  Verdoppelung  entstandene] 
xaC:  dann  ist  der  Sinn:  ungefähr  in  der  Gegend  der  ersten  200  ot()^oi;  ein 
neues  Beispiel  der  sonst  nicht  eben  häufigen  genauen  Citirung  einer  Stelle 
durch  stichometrische  Angaben,  [s.  Ritschi,  Opusc.  I  84],  welches  aber  sein 
vollkommenstes  Seitenstück  in  dem  [vielleicht  aus  gleicher  skeptischer  Quelle 
geflossenen]  Citate  bei  Laertius  VII  4  88:  xaxd  toU  y/Xlou;  ort^ouc,  findet) 
\i.ifi'  tepd  [xi^TE  otxaonfjpia  (xi^Te  f\)\t.^d9ia  Iv  Täte  iröXeoiv  o(xo(ofX£ia&at  xtX  :  d.  h. 
er  verwarf  kurzweg  alle  staatliche  Organisation.  Wenigstens  die  Gemein- 
schaft der  Weiber  (welche,  wie  es  ja  auch  Jambul  darstellt,  ein  mächtiges 
Mittel  zur  Eintracht  darbiete)  empfahl  auch  Chrysippus  ht  xt^  nept  icoXt- 
Tc(ac  (f.aert.  VlI  4  34).  Zeno  sowohl  als  Chrysipp  schraken  daher  auch  nicht 
vor  der  nothwendigen  Consequenz  zurück,  die  geschlechtliche  Vereinigung 
von  Blutsverwandten  als  erlaubt  binzustellcn  (s.  Laert.  VII  4  87  f.  Plutarch. 
de  Stoic.  repugn.  22  init.  Sexl.  Empir.  ^iroiuir.  I  460,  III  205.  246,  adv. 
math.  XI  494.  492).  —  Auf  Jambuls  Insel  werden  die  Alten  und  Kranken 
durch  ein  Gesetz  zum  Selbstmord  verpflichtet.  Dieses  entspricht  durchaus 
der  stoischen  Doctrin  (s.  namentlich  Seneca  epist.  moral.  70j ,  zum  Tbeil 
sogar  der  Praxis  ihrer  Schulhäupter:  vgl.  Zellcr,  Philos.  d.  Gr.  III  4,  285  f. 
(2.  Ausg.).  —  Die  Leichen  werden  von  den  Insulanern  ohne  sonderliche 
Feierlichkeit  im  Meersande  verscharrt.  Hier  zeigt  sich  deutlich  die  stoische 
Gleichgültigkeit  gegen  das  Schicksal  des  entseelten  Leibes:  wenn  er  sonst 
nicht  zu  brauchen  ist,  lehrte  Chrysippus,  mag  man  ihn  wegwerfen,  ohne 
sich  weiter  um  ihn  zu  kümmern,  wie  abgefallene  Haare  und  Nägel  (s.  Chrys. 
bei  Sextus  Emp.  utiotut:.  III  248  =  adv.  math.  XI  494).  —  Als  Götter  werden 
aof  der  Insel,  mit  Hymnen  und  Enkomien,  verehrt  zumal  die  Sonne,  aber 
auch  der  alles  umfassende   Himmel   und  alle  oüpdvia.     Auch  hier  erkenne 

Rohdc,  Der  griechisclie  Roman.  16 


—    242    — 

des  Staates  der  Atlantiker  betrachten :  und  so  finden  wir  am 
Schlüsse  der  Reihe  dieser  philoso()hischen  Dichtungen  uns  wieder 
auf  ihren  quellenden  Ursprung  zurückgewiesen^  von  dem  wir 
unsere  Betrachtung  anhüben. 

4. 

So  hatte   sich   aus  der  eigenthUndichen  Verbindung    einer 
buntfarbigen    Keisefabulistik   und  jener   idyllischen ,    oder  viel- 
leicht richtiger  und  eigentlicher  romantisch  zu  nennenden  Sehn- 
sucht, mit  welcher  das  sinkende  Altertimm  seinen  Blick  von  der 
überreifen  Fülle  der  vollentwickelten  BlUthe  der  Cultur  zu  deren, 
in  geschlossener  Knospe  das  Herrlichste  verheisscnden  Anfingen 
zurückwandte,  eine  besondere  Gattung  prosaischer  Dichtung  ge- 
bildet.    Ihre    wichtigeren  Vertreter   verdienten   im   Zusammen- 
hang unserer  Betrachtung  zunächst  schon  darum  einen  breiteren 
Raum ,   weil   man  sie   selbst   bereits  als  Dichter  einer  eigenen 
Art    von   Halbromanen    bezeichnen    könnte.      Jedenfalls   theilen 
ihre  Dichtungen   mit  eigentlich   so  zu   nennenden  Romanen  das 
wichtige  Merkmal    einer  völlig   freien  Erfindung   des  Stoffes, 
welche  zwar  der  l'eberlieferurg  und  der  Erfahrung  einige  Züge 
entlehnen  mag,  aber,    ungleich  z.  B.  jener  phantastisch  aufge- 
putzten   Quasi-geschichtschreibung ,    die    zur    gleichen    Zeit    in 
Griechenland  so  üppig  wucherte,  aus  der  Verbindung  des  Eni — 
lehnten  und  der    selbständigen  Erdichtung   ein   Ganzes   erbaut, 
welches    sich  als    freie  Dichtung    zu   geben   wagt,    und  keinen^ 
anderen    Glauben    an    seine   » Wahrheit  c<    von    den    Beschauem^^ 
verlangt,  als  den,  welchen  ein  jedes  Kunstwerk  zu  fordern  hat.  — 


ich  stoische  Ansicht:   den  Stoikern   galten   die  Gestirne   für  Götter  (in  dei 
Sinne,   in  welchem   sie  eine  Mehrheit  der  Gölter  üherhaapt  anerkannten);^ 
s.   Zelier    a.   0.   p.    4  76.    294.    —   Diese   stoischen  Vorstellungen  über  dea^ 
besten  Staat  sind   übrigens   in   allem  Wesentlichen  der  cynischen  Lehrte 
entlehnt:    vgl.    Zeller   Phil.   d.    Gr.    II  1^  p.  278  A.  4;  rynisch  ist  auch  di^ 
Gleichgültigkeit   gegen  das  Schicksal   der   Leichen:    s.    Lucian   Dcmon.  66. 
(Diogenes  erlaubte  sogar,   das  Fleist^h   der  Todlen  zu  essen ;    ebenso  dann 
Chrysipp:   s.   Meineke  An.   cril.   in   Ath.  307).    —  Man  hat  also  die  Wahl, 
ob  man  den  Jambul  für  einen  Anhänger  stoischer  oder  cynischer  Doctrinep 
halten  will.     (Dass  auch   der  Cynismus   einige  Neigung  zu  abenteuerlicher 
Fabulistik   nicht  ausschloss,   zeigt  sich    z.    B.  an  Onesikritus,   dem  Schüler 
des  Diogenes.)     Doi'h  wird  man   wohl  eher  nii  stoische  Einflüsse  denken 
dürfen. 


—    243    — 

Und   diese  Dichtung,   auch  hierin   dem  Romane  gleich,  kleidet 
sich  in  das  Gewand  prosaischer  Erzählung.     Ein  freies  Spiel 
der  individuellen  Phantasie,    dergleichen  selbst  die  Meister  der 
gebundenen  Rede,  in  dem  Glänze  der  alles  Unglaublichste  und 
Fremdartigste  durch  ihr  Zauberlicht  zum  Scheine  einer  idealen 
Wirklichkeit  verklärenden  musikalisch  getragenen  Verskunst  vor 
ihre  Hörer  hinzustellen   kaum  und    nur  in  bestimmten  Gränzen 
einmal  gewagt  hatten,    unternehmen  also  diese  Schriftsteller  in 
der  Form  der   alltäglichen  Rede   vorzutragen,    in   welcher  man 
sonst  die   thalsächlichen   Berichte    der  Geschichlschreiber,    die 
Discussionen   der  Redner,    die  Betrachtungen   der  Philosophen, 
slets  aber  nur  das  Belehrende,  den  Verstand  Unterrichtende  zu 
vernehmen  gewohnt  war.     Sicherlich  war  hiermit  ein  wichtiger 
Schritt  zur  Eroberung  der  Prosa   für  die  Poesie   und  somit  zur 
Begründung   einer  eigentlichen   Romandichtung   gethan.     Wenn 
diesen  prosaischen  Erdichtungen,  im  Gegensatz  zur  reinen  und 
freien  Dichtung,  ein  über  die  einfache  Darstellung  ihres  künst- 
lerischen   Gehaltes    hinausgehender    belehrender    Zweck,    eine 
didaktische  Tendenz  anhaftet ,  so  sind  sie  auch  hierin  die 
ächten  Vorgänger  aller  späteren  Romandichtung,   welche,  ihrer 
unsicheren   Mittelstellung    zw^ischen    Poesie    und   Prosa    gemäss, 
nie    gänzlich    von   dem  »Erdenrestea   einer  Tendenz   sich  hat 
befreien  können,  die  bald,  als  eine  rein  stoflartige,  sich  schwer 
niederziehend    ihr  anhängt,    bald    als  ein,    das  Ganze  beherr- 
schender abstracter  Gedanke  die  Dichtung  völlig  aus  ihrem  eige- 
nen Reiche  vertreibt,    und   sie   statt   »im  Besondern  das  Allge- 
meine zu  schauen«,  vielmehr  »zum  Allgemeinen  das  Besondere 
Xu  suchen«   zwingt,    die   aber   selbst    in   den  höchsten  Meister- 
werken   der  ganzen  Gattung   immer  noch   als   ein ,    wenn   auch 
noch    so  fein   sublimirler  eigenthümlicher  Dilft   und  Hauch  sich 
um  das  reine  Kunstwerk  zieht,  sehr  merklich  verschieden  von 
jener  Lehrhaftigkeit  und  Tendenz,  welche  man,  in  einem  tiefe- 
ren Sinne,  in  jeder  ächten  Dichtung  jeder  Art,  wie  freilich  auch 
in  jedem  W^erke  der  Natur  selbst  fmden  könnte. 

Gleichwohl  geht  jenen  Dichtungen  zum  vollen  Begriffe  des 
Romans  ein  sehr  wesentliches  Merkmal  ab.  Es  fehlt  ihnen  an 
Handlung.  Soweit  wir  die  Anlage  dieser  Erzählungen  über- 
sehen können,  linden  wir  nun  in  der  Einleitung,  w^elche  den 
Helden  an  den  Ort  seiner  Erlebnisse  zu  führen  hat  (und  allen- 


—    214    — 

falls  in  der  entgegengesetzten  Schlusspartic) ,  diesen  in  einiger 
Bewegung:  im  Uebrigen  nimmt  er  nur  die  Stellung  eines  ruhig, 
wenn  auch  verwundert  aufmerkenden  Zuschauers  ein,  an  dessen 
Auge  die  Reihe  der  Bilder  fremdartigsten  Lebens  sacht  vorüber- 
gleitet.  Sein  persönliches  Interesse  ist  so  gut  wie  gar  nicht  in 
dieses  Schauspiel  verflochten;  aber  auch  in  den  Bildern,  die 
sich  vor  seinem  Blicke  entfalten,  ist  durchaus  weniger  Bewe- 
gung und  Handlung,  als  Schilderung  des  ruhig  Beharrenden, 
Zustcindllchen  zu  gewahren.  Eine  dergestalt  wesentlich  nur 
schildernde  Dichtung  kann  nicht  eigentlich  ein  Roman  genannt 
werden.  Ein  vollständiger  Roman  konnte  vielmehr  aus  den  hier 
dargebotenen  Grundbestandtheilen  des  Romans  erst  dann  ent- 
stehen, sobald  diese  Schilderung  des  Zuständlichen,  dauernd  und 
gleichzeitig  neben  einander  Bestehenden  in  eine  bewegte  Reihe 
und  Succession  einzelner  Vorgange  aufgelöst  wurde,  oder  mit  den 
beschreibenden  Elementen  ein  episch-historisches  sich  verband. 

Eine  solche  Verbindung  war  es  nun  in  derTliat,  aus  welcher 
der  eigentlich   so   zu  nennende  griechische  Roman  hervorging. 

Zu  irgend  einer  Zeit  floss  das  erotische  Element,  dessen 
Ausbildung  in  hellenistischer  Poesie  so  umständlich  betrachtet 
worden  ist,  hintlber  in  die,  ihrer  selbständigen  Entwicklung 
nach  hinlänglich  charaklerisirle  ethnographisch -philosophische 
Idylle:  aus  der  Verschmelzung  dieser  disparaten  Bestandtheile 
entstand  der  griechische  Roman. 

In  dieser  Verschmelzung  gab  die  prosaische,  ethnographische 
Erzählung  gewisser  Maassen  den  derberen,  materiellen  Körper 
her,  in  welchen  die  Erotik,  aus  ihrer  poetischen  Höhe  her- 
niedersteigend, als  belebende  Seele  eintrat,  dem  für  sich  allein 
unbeweglichen  Bewegung  und  Empfmdung  mittheilend. 

Der  Gedanke,  diese  beiden  Elemente  zum  organischen 
Ganzen  zusammenfliessen  zu  lassen,  war  an  sich  ein  natürlicher; 
man  kann  genau  dieselbe  Verbindung  der  ethnographischen  Fa— 
bulistik  mit  erotischer  Dichtung  in  orientalischen  Litteraturen 
verfolgen,  welche  auf  diesem  Wege  gleichfalls  eine  eigene  Gal- 
tung des  Romans  erzeugten  ^) . 


1)  Ich  (lenke  vorzüglich  an  jenen  Typus  eines  orientalischen  Romans, 
dessen  verschiedene  Varia lioneii  ich  oben  p.  50  berührt  habe.  W>r  die 
Composition  jenes  Komaiis  näher  uniersuchen  ^^ollte,  würde  leicht  be- 
merken, dass  er  aus  einer   Versrhmelzun^  dnr,    von  mir  am   angeführten 


—     245    — 

Wann  in  Griechenland  dieser  Process  sich  vollzogen  habe, 
ist  mit  irgend  welcher  Bestimmtheit  nicht  anzugeben.  Es  ist 
E.  B.  sehr  wohl  möglich,  dass  der  trtlbe  Nebel,  welcher  unseren 
\.ugen  die  Geschichte  der  griechischen  Litteratur  im  letzten  Jahr- 
hundert vor  Christi  Geburt  zum  grössten  Theil  verhüllt,  auch 
die  erste  Entwicklung  dieser  neuen  Gattung  der  prosaischen 
Dichtung  verdockt. 

Einmal  vollzogen,  gewann  jedenfalls  diese  eigenthümliche 
\rerbindung  einen  bestimmenden  Einfluss  auf  Anlage  und  Art 
des  griechischen  Romans.  Soweit  sich  überhaupt  von  einer 
inneren  Entwicklung  und  Ausbildung  der  Kunstform  des  grie- 
chischen Romans  reden  lässt,  zeigt  sich  eine  solche  in  dem 
wechselnden  Verhältniss,  in  welches  sich,  wetteifernd  um  die 
Oberherrschaft,  seine  beiden  Grundbestandtheile  zu  einander 
stellen.  Anfänglich  überwiegt  ganz  unzweifelhaft  das,  aus  der 
Reisefabulistik  übernommene,  rein  stoffliche  Element  (Antonius 
Diogenes).  Es  tritt  aber  bald  mit  der,  ihm  beigeseilten  Erotik 
in  einen  engeren,  durch  die  rhetorische  Darstellung  vermittelten 
Bund  (Jamblichus);  es  musssich,  bei  Heliodor,  gefallen  lassen,  zur 
llluslrirung  eines  tiefer  liegenden  Sinnes  zu  dienen;  es  wird,  bei 
Xenophon  von  Ephesus,  seiner  selbständigen  Bedeutung  ganz  ent> 
kleidet,  um  einzig  der  erotischen  Erzählung  zum  belebten  Hinter- 
2;rund  zu  dienen;  es  wird  endlich,  in  dem  Mosaik  rhetorischer  und 
polyhistorischer  Studien,  aus  welchem  Achilles  Tatius  seinen  Ro- 
man zusammensetzt,  so  gut  wie  das  erotische  Element  und  das 
Allerlei  der  trödelhaften  Kenntnisse  des  Autors  zum  blossen  Stoff 
seiner  geschmacklosen   stilistischen   Kunststücke   herabgesetzt  i] . 

Stets  bleibt  aber  unter  so  mannichfachen  Variationen  ein 
gemeinsamer  Typus  der  Erzählung  bemerkbar,  welcher,  in  der 

Orte  besprochenen  altorientalischen  Liebesgeschichte  und  gewissen  Reise- 
marchen  entstanden  ist,  die  sich  z.  Th.  geradezu  wiederholt  finden  in  den 
Reisen  des  Sindbad. 

1)  Nur  hinzuweisen  brauche  ich  auf  die  naive  Deutlichkeit,  mit  welcher 
die  Titel  der  verschiedenen  Romane  das  Verhältniss  andeuten,  in  welchem 
in  einem  jeden  von  ihnen  das  Element  der  Reisefabulistik  zu  der  Erotik 
steht.  Diogenes  nennt  seinen  Roman:  »Die  Wunder  jenseits  Thule«;  He- 
liodor  (nach  dem  bedeutungsvollen  Ziele  seiner  ganzen  Erzählung) :  »Aethio- 
pische  Geschichten» ;  Jamblichus:  »Babylonische  Geschichtenn:  Xenophon: 
•Ephesische  Geschichten«  (nach  dem  Ausgangs-  und  Endpunkt  der  Aben- 
teuer); Achilles  endlich :  »Die  Abenteuer  der  Leukippe  und  des  Klitopbon«. 


—     246    — 

ununlerbrochenen  Kelle,    durch  welche  diese  Romane   mit  ein- 
ander zusammenhangen ,   sich  bis  zu   einem  ersten  Urbild  und 
Muster  der  griechisclien  Romane  überhaupt  verfolgen  lässt.    Bei 
der  Entstehung  dieses  ersten  Romans  halte  der  erotische  Dichter 
sich  die  Erfindung  der  Handhmg  seiner  ErzithUmg  dadurch  er- 
leichtert, dass  er,  einer  organischen,  von  innen  heraus  wachsen- 
den Erweiterung   der  engen    rein  erotischen  Fabel,    wie  er  sie 
bei  den  hellenistischen  Erzählern  antraf,  sich  überhebend,  durch 
äusserlich  angefügte  Zusätze  den  Umfang  seiner  Geschichte  ver- 
grösserle:    er  riss  sein  Liebespaar  gewaltsam  auseinander,   und 
führte  auf  den  abenteuerlichsten  Zügen  alle  Wunder  der  weiten 
Weit   und  der  noch  viel  weiteren  Phantasie  an  ihnen  vorüber; 
wobei    ihm    denn    die    Erfindungen   der  Reisefabulisten   älterer 
Zeiten  den  unerschöpflichsten  Stoff  zu  einer  inuner  wechselnden 
Anreizung    zerstreuungssüchtiger   Einbildungskraft    darbot.      So 
entfloh   er  förmlich   der  bedenklichen  Nöthigung,    das  liebende 
Paar  isolirt  zu  erfassen,  mit  seinen  einsamen  Gedanken  leiden- 
schaftlich beschäftigt,    gegen  die   zerstreuende  Mannichfoltigkeit 
der  umgebenden  Welt  wie  erblindet,    und  diesen,    an  äusserer 
Bewegung  so  armen  Zustand  durch  die  Wärme  und  Kunst  eines 
ächten  Dichters    interessant    und    bedeutend    zu   machen.     Von 
diesem   ersten  »Erfindera  des  griechischen  Romans   wurde   die 
Richtung  aller  seiner  Nachfolger  bestinmit.    Der  Kreis  der  Fahr- 
ten  und  Abenteuer  schränkte   sich   freilich   allmählich   auf  den 
östlichen   Winkel    des   »inneren«    Meeres    der   alten    Culturwell 
ein;    immer  aber   l)lieb  die  Erfindung   der  Romanschreiber  wie 
durch  einen  Rann  in  den  engen  Kreis  eingeschlossen ,    welchen 
der    erste   Begründer    der    ganzen  Gattung    umschrieben   hatte, 
und  den  einzig  Longus  in  seinem  llirleuroman  zu  überspringen 
gewagt  hat.     Immer   schicken   sie   ihr  kaum  vereintes  Paar  auf 
das   wilde  Meer,    ergehen  sich    in   der   Beschreibung    der  See- 
stürme,  die  sie  auseinander  reissen,  der  Schilderung  der  Aben- 
teuer und  Gefahren  in  fremden  Ländern  unter  Räubern,   in  der 
Sklaverei,  in  allen  barlmrischen  Winkeln  einer  sonst  ganz  regel- 
rechten  Givilisalion.     Ich    habe  schon    früher  angedeutet,    wie 
dieser  Charakter   des  Abenteuerlichen ,    neben    der  eigentlichen 
Erfindung,    auch    den    Stil    und    die   Darslcllungsweise    dieser 
sämmtlichen   Romane  durchdrungen  und  bestimmt   hat.     Wollte 
man  aber  bezweifeln,  dass  eben  dieser  Charakter  aus  der  Ver- 


—     247     — 

bindung  der  Erotik  mit  der  fabelhaften  Reisedichtung  und  dem 
überwiegenden  Einfluss  der  letzteren  auf  die  Erzeugung  des 
Romans  wesentlich  zu  erklären  sei:  so  mag  man  sich  einmal 
vergegenwärtigen,  eine  wie  durchaus  verschiedene  Physiognomie 
der  griechische  Roman  zeigen  müsste,  wenn  er  nicht  von  diesen, 
sondern  von  anderen  Eltern  abstammte.  Konnte  nicht  z.  R.  die 
Heldensage,  in  letzter  Entwicklung,  zu  Heldenromancn  zerspon- 
nen  werden,  so  gut  wie  sich  die  Heldensagen  der  romanischen 
Nationen  zuletzt  zu  breiten  Ritterromanen  aus  einander  ziehen 
lassen  mussten?  Die  Pragmatisirung  der  alten  Sagen  einerseits, 
ihre  Durchdringung  mit  dem  Geiste  einer  ritterlichen  Galanterie 
andererseits  hatten ,  in  hellenistischer  Zeit ,  dieselben  für  eine 
solche  letzte  Verarbeitung,  wie  mich  dünkt,  auf  das  förderlichste 
vorbereitet;  und  wirklich  finden  sich  ja  in  dem  ursprünglich 
griechisch  geschriebenen  Roman  des  angeblichen  Dictys,  und  in 
Philostrat^s  »Heroica«  deutliche  Ansützo  zu  einem  solchen  my- 
thologischen Romane.  —  Von  der  Novelle  war  wohl  eine  orga- 
nische Erweiterung  zum  bürgerlichen  Romane  nicht  zu  erwarten, 
da  ein  solches  Wachsthum,  wie  es  scheint,  durch  die  genau 
umgrenzte  Natur  der  Novellendichtung  überhaupt  ausgeschlossen 
ist-  Konnte  aber  nicht  die  hellenistische  Erotik ,  zum  Vorbilde 
einer  in  das  bürgerliche  Leben  übertragenen  romanhaften  Liebes- 
dichtung i)  geworden,  eine,  modernen  Romanen  naher  verwandte 

1)  Auf  eine  dunkle  Spur  einer  erotischen  erzätilcnden  Dichtungsart  in 
Prosa  (welche  doch  mit  den  s.  g.  milesischen  Novellen  nichts  geroein  ge- 
habt zu  haben  scheint)  aus  einer  vielleicht  ziemlich  alten  Periode  sei  hier 
doch  beiläufig  hingewiesen.  Athenäus  erzählt,  X  445  A:  'Av^la;  6  A(v- 
h  IOC ,  ovY76v^j«  5e  civai  cpeCoxcDv  KXeoßouXou  toö  ao^poö  &;  ^tjoi  <DiXöfAV7)aTo; 
(so  längst  verbessert;  <DiXöo7)fio«  die  Hs.)  h  TCf>  ^epl  lins  ev  *Pöoc|j  Sfi.ivdia>v, 
TCpeoßurepoc  xal  euoaifAuiv  ofvftpoiio;,  e'j^ut)«  te  Trepl  iro(t|Oiv  div,  rdvTa  xiv  ß(ov 
dotovusCaCfi''  1  ^oO^xa  xe  oiovuoiaxi^jv  «popwv  xal  itoXXou«  xplcpojv  oupißahc^rou;, 
i^f^  xe  7id»pt.ov  Gtei  \it%^  r]fi.£pav  xe  xai  vüxxwp*  xal  irpcöxo;  ei>pe  xi?)v  5id 
x&v  O'jv&lxcov  6vo(x(xxcov  TTOiTjaiv,  iji  'AaoiicöSojpo;  6  <DXidiotoc 
Soxepov  dypVjoaxo  dv  xolc  *^xaXoYa07)V  Idpipoi«.  ouxoc  oe  xal  x oo (a <{) - 
olo;  iizoiti  xal  oXXa  -oXXa  ^v  xo6x(p  xcp  xp^mp  xwv  iroiT)fi.<ixoiv,  &  ^S^PX^  "^^^^ 
lufÜ'  auxoO  cpaXXocpopoOoiv.  Dazu  nun  Ath.  XIV  639  A:  xd  'Aoo37Co6(6pou  irepi 
t6v  Ipojxa  xal  irdv  t6  töjv  ^poixix&v  dirioxoXÄv  fi-^o^  ^pcnxtXTJ;  xivo;  hiä 
Xöfoü  TcocTjoeo;  daxiv.  Antheas  von  Lindus  erfand  also  »die  Dichtung 
in  zusammengesetzten  Wörtern«;  worin  eigentlich  diese  Neuerung  bestand, 
hat  bisher  Niemand  glaublich  nachweisen  können.  Seine  Dichtung  muss 
aber   wohl    prosaische    Form    gehabt   haben.      Denn   es  heisst  weiter: 


—    248    — 

Gattung  acht  psychologischer  Romane  begründen  hclfeu?  Konnte 
nicht  aus  jener,  in  kleinen  scharfgezeichneten  Bildern  die  Phy- 
siognomie der  griechischen  Gesellschaft  darstellenden  Schrift- 
steiierei  gewisser  philosophisc^her  Humoristen,  in  Griechenland 
ein  Sittenroman  grossartigen  Stils  so  gut  iicrvorvvachsen ,  wie 
aus  der  analogen  Gattung  der  » menippischen  Satire«  in  Rom 
das,  noch  in  Trümmern  bewundernswerlhe  Meisterwerk  eines 
picarischen  Romans  in  den  »Satiren^  des  Petronius  sich  her- 
vorbildete?*)   Die  Elemente  waren  in  Griechenland  nicht  weniger 


Asopodor  von  Phlius  habe  ihm  in  dieser  Art  zu  dichten  nachiseahmt  »in 
seinen  Jamben  in  Prosa».  Jamben  in  Prosa  mögen  satirische  Schriften  in 
prosaischer  Form  sein  sollen  ;s.  Meineke,  Anal.  crit.  in  Ath.  p.  904 ;  vgl. 
Welcker,  Kl.  Schi.  I  i60  extr.>.  In  Prosa  waren  also  vermuthlich  auch 
die  sog.  »Komödien«  (sicherlich  in  dem  nicht  ganz  selten  vorkommenden 
weiteren  Sinne  des  Wortes:  .Meineke ,  Hist.  crit.  com.  p.  528)  »und  vieles 
Andere«  welches  Anthrus  den  mit  ihm  Herumschwärmenden  »anstimmte«, 
geschrieben.  Asopodor  nun,  den  wir,  nach  seinen  »prosaischen  Jamben« 
zu  urtheilen,  wie  einen  anderen,  älteren  Lucian  zu  denken  haben,  schrieb 
ausserdem  Schriften,  »die  sich  auf  die  Liebe  beziehen«  Ta  irept  ton  Ipom: 
dies  war  nicht  etwa  eine  Abhandlung  über  die  Liebe,  nach  Art  der  oben 
behandelten  Schriften  des  Klearch  u.  A.,  denn  Atheiiäus  nennt  die  Schrift, 
zusammen  mit  »der  ganzen  Gattung  der  Liebesbriefe«,  einer  »Art  von  ero- 
tischer Dichtung  in  Pnisau  zugehörig.  Wie  soll  man  sich  diese  Scbrifl 
also  anders  denken,  denn  als  eine  Art  von  prosaischer  Liebes- 
erzählung? Dann  wäre  also  Asopodor  wohl  gar  ein  Vorläufer  der  Dichter 
erotischer  Romane  späterer  Zeit.  Waren  nun  diese  Liei^esenUihlungeii 
identisch  mit  den  »prosaisi'hen  Jami)en«?  —  Leider  sind  uns  Personen 
und  Zeit  dieser  beiden,  nur  hier  erwähnten  Schriftsteller  völlig  unbekannt. 
Den  Antheas  macht  Lobeck,  Aglaoph.  307  zu  einem  ungefähren  Zeitgenossen 
des  Arion.  Dafür  giebt  es  kein  Indicium.  Denn  wenn  Asopodor  sich 
rühmte,  aus  Einem  (ieschlechte  mit  dem  t)erühmten  Weisen  und  Räthsel- 
dichter  Kleobul  von  Lindus  (einem  Zeitgenossen  des  Solon)  zu  stammen, 
so  beweist  dieser  Anspruch  sicherlich  keine  Gleichzeitigkeit,  ja  viel 
eher  eine  spätere  Lebenszeit  des  Antheas:  während  oder  kurz  nach  der 
lipbenszeit  des  berühmten  Kleobul  liess  sich  ja  des  Antheas  Verwandtschalt 
mit  ihm  leicht  feststellen ;  sie  war  aber  thatsächlich  ungewiss,  denn  es 
heisst  bei  Athenäus:  »er  behauptete,  ein  Verwandter  des  Kleobul  zu  sein«. 
So  galt,  in  später  Zeit,  Parthenius  von  Chius  für  einen  Nachkommen  des 
Chiers  Homer  (»'(IjiTjpou  drÖYOvo;«  Suid.  s.  Hapi^.;. 

1)  Solche  kleine  Sittenbilder,  Vorstudien  zu  einem  grösseren  Sitlen- 
romane,  waren  eine,  namentlich  im  Reginn  der  s.  g.  hellenistischen  Zeit 
weilverbreitete  Litteraturgattung.  lim  \i»n  den  Xapaxrrjpc;  des  Theophrast 
(welche  nur  für  Auszüge  aus  einer  systematischen  Ethik  zu  halten,  ich 
keinen  hinreichenden  Grund  sehe),    des  lleraclides   Ponticus  (Laert.  Y  88), 


—     249    — 

vorhanden,  als  in  den  westliehen  Theilen  des  römischen  Reiches : 
wie  denn  z.  B.  in  Lucian's  »Esel«,  so  phantastisch  im  Uebri|;en 
sein  Stoff  ist,  manche  Züge  der  scharfen  Sittenschilderunf^  eines 
Gaunerromans  uns  entgegentreten ,  dergleichen  in  dem  flauen 
Idealismus  der  erotischen  Romane  fast  völlig  fehlen.    Man  könnte 


des  Lycon  (s.  Ruhnken  ad  Rutil.  Lup.  p.  99),  des  Satyrus  (Ath.  IV  i68E), 
des  Aristo  von  Keos(Sauppe,  Philodem.de  vit.  X  p.  6.  34 ;  stark  hcnutzl,  wie  ich 
glaube  bei  Plutarch  de  curiositatc)  und  Aehnlicbem  zu  schweigen,  erinnere 
ich  nur  an  die  Schriftstellerei  des  Cynikers  Menippus  (Mitte  des  3.  Jahr- 
hunderts V.  Chr.,  nach  Nietzsches  evident  richtiger  Ansetzung,  welcher 
sich  jetzt  auch  Zeller,  Philos.  d.  Gr.  II  i,  246  f.  [3.  Aufl.]  vollständig  an- 
scbliesst),  der  als  Vorbild  des  Varro  bezeichnet  wird  in  einer  vielbesproche- 
nen Stelle  des  Probus  zu  Virgil,  ecl.  VI  81.  Nach  Anleitung  der  üeber- 
resle  der  Satiren  des  Varro,  und  nach  Analogie  mancher  Dialoge  des  Lu- 
cian  haben  wir  uns  also  das  Bild  der  menippischen  Schriften  eini.i^ermaassen 
zu  verdeutlichen.  Hort  man  freilich  die  Worte  des  Probus,  so  sollte  man 
meinen,  Varro  habe  von  Menipp  nichts  als  die  Vermischung  von  Prosa  und 
Vers  heriibergenommen.  Da  heisst  es:  »Varro  —  Menippeus-nominalus  a 
socictate  ingenii ,  quod  is  (Menippus)  queque  omnigeno  carmine  saliras 
suas  expoHveral«.  Aber  diese  Worte  enthalten  einen  Widerspruch  in  sich : 
die  societas  ingenii  kann  nicht,  wie  es  hier  geschieht,  einfach  durch  eine 
ziemlich  nebensachliche  Gemeinsamkeit  in  der  äusseren  Form  begründet 
und  erläutert  werden.  Nietzsche,  der  dies  zuerst  bemerkt  hat  (Beitr.  zur 
Quellenk.  u.  Krit.  des  L.  Diog.  Basel  1870  p.  33  f.;,  schreibt:  —  ingenii, 
et  quod  is  — .  Ich  denke,  viel  kräftiger  wäre  ausgedrückt,  was  Probus 
eigentlich   sagen   will,   wenn   wir  schrieben:    —   a  societate  ingenii.   quid 

quod    is  quoque expoHveral?     Den    Varro   verbindet  mit   Menipp  die 

Gemeinschaft  der  Sinnesweise.  Ja  sogar  in  der  wunderlichen  Vermischung 
von  Vers  und  Prosa  kommen  beide  iiberein.  —  Eine  derartige  humoristisch, 
gelegentlich  auch  sarkastisch  die  Welt  und  ihr  sonderbares  Wesen  ab- 
schildernde Schriftstellerei  war  aber  in  der  cynischen  Secte  überhaupt  her- 
kömmlich. Nichts  anderes  scheinen  die  s.  g.  »Tragödien«  des  Cynikers 
Diogenes  (oder  Philiscus)  gewesen  zu  sein  (vgl.  Meineke,  Anal.  crit.  ad 
Athen,  p.  805  flf.j,  vielleicht  auch  die  des  späten  Cynikers  Oenomaus, 
welche  denen  des  Diogenes  jedenfalls  ähnlich  waren  (s.  Julian,  orat.  Vll 
p.  273  Hertl.) ;  nicht  viel  anders  mögen  die  »Komödienn  des  Sillographen 
Timon  ausgesehen  haben  (Lobeck,  Agl.  p.  977).  Anderer  Art  waren  da- 
gegen die  »Tragödien«  des  Cynikers  Krates,  nach  der  Probe  (in  iamb.  Tri- 
metern)  bei  Laert.  Diog.  VI  98.  Hierher  gehört  aber  wieder  die  Schrift- 
stellerei des  Monimus  (Laerl.  VI  83),  des  Meleager  (aber  nicht  die  »Ko- 
mödien« des  Menippus  [Suid.],  denn  die  gab  es  gar  nicht:  Meineke  urtheilt 
richtiger  hierüber  Fr.  com.  I  494  als  in  den  Verbesserungen  V  12).  Vgl. 
AI.  Riese,  Varronis  satur.  rel.  p.  8.  Ueber  die  spasshafte  Art  des  Kuvixo; 
Tpöroc  der  Schriftstellerei  steht  eine  beachtenswerthe  Notiz  bei  Demetrius 
de  eloc.    §  4  70  (Spengel,   Rhet.   gr.    lil   p.   299,  24  ff.).     Zuletzt  gehört  zu 


—     250     — 

noch  manche  andere  Gattung  hellenistischer  Schrift  st  ellerei  nen- 
nen ,  welche  einem  werdenden  Romane  zum  Ausgangspunkt 
hätte  dienen  können.  Keine  wird  sich  nachweisen  lassen,  ausser 
der  erotischen  Dichtung  und  der  Reisefabulistik ,  welche  der 
griechischen  Romanpoesie  jenen  starken  Anstoss  gegel>en  hätte, 
der  sie,  lange  nachwirkend,  in  unverändertem  Kreislauf,  fort- 
während in  derselben  engen  Bahn  umzulaufen  zwang. 

Ks  mag  fraglich  sein,  ob  wir  im  Stande  wären,  die  hier 
angedeutete  absonderliche  Entstehung  des  eigentlichen  Romans 
aus  der  Betrachtung  seiner  späteren  Vertreter  zu  errathen, 
in  deren  Werken  die  MischungsslofTe  seiner  ersten  Erzeugung 
si'hon  zu  einer  etwas  einheitlicheren  Bildung  verschmolzen  sind. 
Zum  Glück  aber  bietet  sich  uns  wenigstens  Ein  Beispiel  dar,  an 
welchem  wir  den  soeben  erst  vollzogenen  Process  der  Mischung 
noch  mit  voller  Deutlichkeit  erkennen  können.  Ein  Zufall  lässt 
uns  das  erste  schtlchterne  Hervorkeimen  der  Erotik  aus  dem 
Boden  der  Reisefabulistik,  als  dem  nährenden  Untergrund  der 
ältesten  Romane,  in  der  Nähe  gewahren.  In  diesem  Sinne  ist 
uns  der  kurze  Auszug  von  grossem  Werthe,  in  welchem  der 
Patriarch  Pholius,  im  166.  Abschnitt  seiner  >^ Bibliothek u,  d.  i.  in 
der  Sanunlung  seiner  Lesefrllchte,  uns  wenigstens  in  den  algc- 
meinsten  Tnirisscn  einige  Kenntniss  des  Romans  des  Antonius 

diesem  xuvtx^;  too^o;  niurh  die  .von  Riese  p.  9  ganz  richtig  mit  in  diette 
Hciho  jäieslellle  humorislisrhu  Schriflslellerei  Bions  des  Borystheniten.  Dieser 
Philosopti,  von  einer  »Seele  zur  anderen  übersehend  fLaeiL  IV  51.  52),  war 
doch  vorzugsweise  cxnisch  gefarl)!.  Von  seiner  Schriftslelierei  sajrl  Era- 
tosthenes  bei  Slrabo  I  p.  15,  l.aerl.  Diog.  IV  52:  w;  rpwTo;  Fittov  ttjv  91- 
Xoao'ftav  dvfttvd  ^vso-jsev.  Dies  deutet  auf  eine  witzige  Gattung  populär- 
philosophischer  .SchrifisteHerei;  der  Ausdruck  übrigens  ist  sehr  giftig :  offen- 
bar  nümlich  hat  man,  um  ihn  richtig  zu  verstehen,  sich  zu  erinnern,  daits 
v6p.o;  i^**  'AIH,vT,3iv  TÄ;  £Taif>a;  divHiva  copfiiv  (Suidas.  vgl.  Becker,  Chari- 
kies  II  68).  Zu  einer  solclien  geputzten  Dirne  maciite  alst»,  nach  jenem 
Witzwort,  Bion  die  Philosophie :  eine  Deutung,  die  sich  sehr  wohl  dem 
Tone  der  ganzen  Biographie  des  Bion  beim  Laertius  anschliesst,  als  welche 
Biographie  ein  sehr  merkwürdiges  Beispiel  jener  bissig  verlaumderiscben 
Invectiven  bietet,  wie  sie  in  dem  damaligen  (iedränge  feindseliger  phi- 
losophischer Schulen  in  Athen  und  überall  in  Hellas  eben  so  liöufig  hin 
und  wieder  fliegen  mochten,  wie  später,  unter  iihnlichen  Verhältnissen,  in 
der  zweiten  Sophistenzeit  und  wieder  in  den  llumanistenkreisen  der  italieni- 
schen Frührennissance.  Kat  xcpafAEu;  x£pa|jiei  r^^ifMn  xtX.  Bion  stand 
namentlich   den   gleichzeitigen   Stoikern    feindlich  gegenüber.     Zieht  mau 


—     251     — 

Diogenes  vermittelt  hat^).  Dieser  Roman  führte  den  Titel 
»die  Wunder  jenseits  Thulea  (täv  OTrep  öouXr^v  aTriarmv  Ao^oi  x8'), 
und  behandelte  in  24  Büchern  die  höchst  abenteuerlichen 
Fahrten  und  Erlebnisse  eines  Liebespaares  und  ihrer  Freunde. 
Um  die  Stellung  dieses  Romans  in  der  Entwicklungsgeschichte 
der  ganzen  Gattung  richtig  zu  bestimmen,  wird  es  vor  Allem 
noth wendig  sein,  das  Zeitalter  seines  Verfassers  nach  Mög- 
lichkeit festzustellen.  Leider  liegt  uns  hierüber  keinerlei  Ueber- 
lieferung  vor;  die  wenigen  Andeutungen,  welche  Photius  aus  den 
eigenen  Aussagen  des  Antonius  Diogenes  erhalten  hat,  können 
nur  dazu  dienen,  die  Untersuchung  irre  zu  leiten.  Das  ganze 
Werk  war  der  gelehrten  Schwester  des  Verfassers,  Isidora,  ge- 
widmet: ausser  dieser,  der  eigentlichen  Erzählung  vorangeschick- 
ten W^idmung  war  (wie  es  scheint,  am  Schlüsse  des  Ganzen) 
dem  Romane  noch  ein  Brief  des  Antonius  an  einen  Freund 
Fauslinus  beigegeben,  in  welchem  jener  sich  unter  Anderem, 
wenn  dem  Photius  zu  trauen  ist,  »einen  Dichter  der  allen  Ko- 
mödie a  nannte  2).     Während  er  dort  im  Uebrigen  zugestand,  in 


aas  jener  Biographie  des  Laertius  die  Apophthegmeii ,  die  Noiizchon  aus 
FavorinuSy  die  eigenen  Verse  des  Laertius,  das  Homonymenregister  des  De- 
metrius  heraus:  so  sind  die  übrigbleibenden  rein  erzählenden  Theile  der 
Biographie  nichts  als  Stücke  einer  solchen  Invective  (nach  Art  des  Bio; 
SoncfxiTou;  des  Aristoxenus),  die  ein  boshafter  Zeitgenosse  dem  verhasslen 
Bion  ins  Grab  nachschleuderte.  —  Von  den  Bionei  sermones  übrigens  auch 
Horst,  epist.  2,  2,  60. 

1)  Ich  citire  den  Auszug  des  Photius  nach  dem  Abdruck  in  Herchers 
Ausgabe  der  Erotici  graeci  1  p.  233 — 238,  wo  das  Ganze  zweckmässig  in 
Paragraphen  zerlegt  ist. 

*lj  §  H  :  Xe^ei  ^e  eauTOv  Zti  roit^rf,;  diTi  %(ujx<»5(a;  zaXaia;.  Wörtlich 
genommen  würden  diese  Worte  den  Diogenes  seinem  eigenen  Fi-eunde, 
einen  ganz  unleidlichen  und  lächerlichen  Unsinn  miltheilen  lassen.  Was 
Diogenes  eigentlich  von  sich  selbst  ausgesagt  haben  mag,  ist  nicht  aus- 
zumachen. Es  Hesse  sich  aber  denken,  dass  er  sich  einen  Dichler  von 
xcD{A(i)o(ai  in  jenem  weiteren  Sinne  genannt  habe,  in  welchem  dieser  Name 
scherzhafte  Gedichte,  ja  wohl  gar  phantastisch  erfundene  Erzählungen  in 
Prosa,  für  die  man  keinen  recht  zutreffenden  Namen  hatte,  bezeichnen 
kann.  So  sind  wohl  die  » Komödien  (c  des  Antheas  Lindius  zu  fassen,  von 
denen  oben  geredet  ist,  so  vielleicht  auch  die  »Komödien«,  welche  Suidas 
dem  CaHimachus  zuschreibt.  Noch  einiges  Aehnliche  bei  Meineke  h.  crit. 
coro.  p.  527  f.  Niciit  anders  mag  es  zu  verstehen  sein,  wenn  Antiphanes 
von  Berga  (s.  oben  p.  222  A.  2)  bei  Steph.  Byz.  s.  B^pY^Qi  »ö  %min%6i«  ge- 
nannt wird. 


—     252    — 

recht  wunderlichen,  aber  durch  die  Berichte  cllterer  Autoren  su 
unterslützenden  Erflndungcn  sich  erfj;angen  zu  haben,  gab  er  in 
dem   an   seine  Schwester  gerichlelen  Widmungsbrief  vor,   den 
SlofT  seiner  Erzühlung  einer  authentischen  Aufzeichnung  zu  ver- 
danken, welche  eine  der  Hauptpersonen  des  Romans  veranlasst, 
und,  auf  hölzerne  Tafeln  niedergeschrieben,  sich  ins  Grab  habe 
mitgeben  lassen,  aus  welchem  sie  dann  zur  Zeit  Alexanders  des 
Grossen    wieder    hervorgezogen    worden    sei.      So    durchsichtig 
diese,    wohl   absichtlich   so    leicht   gezimmerte  Fiction   auch  ist, 
so  scheint  doch  sie  allein  es  zu  sein,  welche  den  ehrlichen  Pho- 
tius  veranlasst  hat,    die,   auch    ihm  unbekannte  Lebenszeit   des 
Antonius  Diogenes    vermuthungsweise   »nicht    sehr  entfernt  von 
den  Zeiten  des  Königs  Alexander«  anzusetzen*).    Um  eine  solche 
Annahme  als  völlig  undenkbar  zu  erweisen,    würde,    von  allen 
tlbrigen  Erwiigungen    abgesehen ,    schon  der  N  a  m  e  des  Autors 
genügen,  welcher  seinen  Triiger  als  einen  zur  Zeit  der  Hömer- 
herrschaft  lebenden  Griechen  bezeichnet,  der  entweder  als  Frei- 
gelassener   eines    Römers,    oder  als    römischer  N'eubürger  den 
Gentilnamen    seines  Herrn    oder  Patrons   seinem  ursprünglichen 
Namen  vorgesetzt  hat'-^).     Kine  (irenze,  über  welche  wir  diesen 
Autor  nicht  herunterrücken   dürfen,    bildet   die  Lebenszeit   des 
Porphjrius,     welcher    in    seiner    Biographie    des    Pythagoms 
(einem  Abschnitte  seiner  »PhilosophcngeschichleM)  das  Buch  des 
Antonius  Diogenes  citirt  und  benutzt.    Dieser  kann  also  spiltest^ns 
im  Anfang  des  dritten  Jahrhunderts  n.  Chr.  gelebt  haben.    Man 
ist  nun  neuerdings  ziemlich  allgemein  dahin  übereingekommen, 
dass  die  Lebenszeit  des  Antonius  Diogenes  in  der  That  auf  die- 
sen Husserslen  Zeitpunct,   die  erste  Ibilfte  des  dritten  Jahrhun- 
derts,   zu  üxiren   sei  3).     Zu   dieser  Festsetzung   ist   man  durch 

Atof  IvTjC  6  'AvTwvio;,  oOircD  ti  aatps;  eyojxcv  Ki-^iw ,  tt/.tjv  eoriv  OroXo^bao^ 
0)5  oO  Xtav  iroppcu  twv  ypo^wv  xoO  ßaotXia);  'AXe5a*'^P'J*-»-  §   t*« 

2)  Wie  sich  Alexander  Polyhistor,  Cornelius  Alexander  nannte  als  Frei- 
gelassener des  Cornelius  Lentulus  (Suid.);  oder  wie  der,  durch  Vennilte- 
lung  des  Q.  Lutatius  Catulus  zum  rimiischen  Bürger  gemachte  Diodonis 
sich  dann  Q.  Lutatius  Diodorus  nannte  (Cic.  Verr.  IV  §  87).  Die  Falle 
dieser  zweiten  Art  sind  zur  Zeit  der  ausgehenden  Republik  und  beginnen- 
den Kaisorzeit  namentlich  häufig.  Vgl.  Friedltinder,  Darst.  a.  d.  Sittengesch. 
Roms  H  p.  194.     Marquardt,  Rom.  Alterth.  V  t   p.  26  f. 

3;  So,  mit  einfacher  Hinweisung  auf  Meiners,  R.  Hercher,  N.  Jahrb.  f. 


—    253    — 

Christoph  Meiners  verleitet  worden,  welcher  in  seiner  »Ge- 
schichte der  Pythagoreischen  Gesellschaft  <(  die  Behauptung  auf- 
gestellt hat,  Bruchstücke  aus  der  Erzählung  von  Pythagoras  und 
den  Pythagoreern ,  welche  Antonius  Diogenes  seinem  Romane 
eingelegt  hatte,  seien  nicht  nur  bei  Porphyrius,  sondern  auch 
in  der  Schrift  des  Jamblichus  über  das  Leben  des  Pythagoras 
zu  finden,  und  diese  Bruchstücke  zeigten  deutliche  Spuren  einer 
Benutzung  der  Arbeiten  des  neupythagoreischen  Schriftstellers 
Nicomachus  von  Gerasa,  welcher  nicht  lange  vor  den  Antoninen 
gelebt  zu  haben  scheint.  Diogenes  müsse  also  später  als  Nico- 
machus gelebt  haben  ^) .  Indessen  beide  Behauptungen  beruhen 
auf  falschen  Ergebnissen  einer  ganz  oberflächlichen  und  sum- 
marischen Untersuchung  der  Quellen  des  Porphyrius  und  Jam- 
blichus. In  Wahrheit  hat  Jamblichus  den  Diogenes  gar  nicht 
benutzt;  in  den  Mittheilungen  des  Porphyrius  aus  Diogenes  fin- 
det sich  nicht  die  leiseste  Spur  einer  Benutzung  des  Nicoma- 
chus durch  Diogenes,  vielmehr  neben  einigen  romanhaften  eige- 
nen Erfindungen  des  Diogenes  lediglich  eine  Zusammenstellung 
älterer  Berichte,  vornehmlich  des  Aristoxenus  und  des  Heracli- 
des  Ponticus,  dergleichen  der,  in  hellenistischer  Zeit  festgestell- 
ten Vulgartradition  über  Pythagoras  und  seine  Schule  überhaupt 
zur  Grundlage  dienten,  und  freilich  zum  Theil  auch  von  Nico- 
machus in  den  bei  Porphyrius  und  namentlich  bei  Jamblichus 
erhaltenen  Auszügen  aus  seiner  Pythagorasbiographie  benutzt 
worden  sind  2). 

Philol.  LXXVII  p.  177,  dem  sich  Nicolai,  Ueber  Entstehung  und  Wesen  dos  grie- 
chischen Romans  2.  Aufl.  (Berlin  1867)  p.  44,  p.  85  anschliesst;  auch  Müllen- 
hoff,  D.  Alterthumsk.  l  391.  —  AelJere  Gelehrte  wiederholten  naiver  Weise 
die  Zeitl>estimmung  des  Photius:  so  Vossius  de  histor.  gr.  p.  137  West.; 
Fabricius,  Bibl.  Gr.  VIH  p.  157  Harl.,  Korais,  Vorr.  zu  s.  Ausg.  des  He- 
liodor  p.  8  u.  s.  w.  Das  Verkehrte  dieser  Meinung  hatte  bereits  Vavassor, 
De  ludicra  dictione  p.  148  erkannt;  in  dieselbe  Zeit  etwa  wie  Meiners 
setzt  Fr.  Passow,  Verm.  Schriften  p.  87  den  A.  D.  (Manso's  verm.  Sehr.  — 
auf  welche  Passow  verweist  —  konnte  ich  mir  nicht  verschafl'en).  —  Der 
Meiners'schen  Anselzung  hat  mit  Recht  widersprochen  Chassang,  Hist.  du 
roman  dans  Tant.  p.  379  f.,  freilich  auch  nur  widersprochen,  ohne  durch 
genaueres  Eingehen  in  die  Untersuchung  der  Quellenbenutzung  des  Jamblich 
und  Porphyrius  die  Frage  zu  erledigen. 

1)  Meiners,  Gesch.  des  Ursprungs,  Fortgangs  und  Verfalls  der  Wiss. 
in  Griechenland  und  Rom  I  p.  253.  281. 

2)  Wegen  der  Nichtbenutzung  des  A.    D.    in    dem   Buche  des  Jnm- 


—    254    — 

Einen  sirbcren  Schluss  auf  die  Zeit  des  Antonius  Diogenes 
erlauben  diese  Bruchstücke  seiner  pythagoreischen  Studien  nicht; 
wenigstens  aber  enthalten  sie  durchaus  nichts,  was  uns  hindern 

blich  US  Tiepi  toO  nji^afopetou   ßio'j   darf  ich  mich  auf  die  Gesammtergeb- 
nissc   meiner  ausführlichen  Untersuchung  über  die   Quellen  jenes  Buches 
im  Rhein.  Mus.  XXVI .  XXVII   berufen.     Mcincrs  (p.  S77.  280  f.)  vrill  eine 
Benutzung  des  A.    D.    im   Besonderen   bei   Jamblich   §  64 — 87,  §  103 — 419 
erkennen.      S.    dagegen    meine    Analyse   jener    Paragraphen,    Rhein.    Mas. 
XXVII  p.  30—34,   p.    37—46.     Was  die  Quellen  des  Porphyrius  in  dem 
Il'jdaföpou  ßio;  betrifTt,  so  halle  ich  im  Allgemeinen  an  der  im  Rhein.  Mus. 
XXVI  p    575  aufgestellten  Ucbersicht  fest;  nur  gerade  über  die  Ausdehnung 
der   von   Antonius   Diogenes   entlehnten  Stücke   bin  ich  ein  wenig  unsicher 
^'eworden.     Sie  beginnen  ohne  Zweifel  mit   §   40:    Ato^f^ou;  ^'  is  Totc  6^ 
H(*6)vTjV  drioToi;  xa  itLvza  tov  «piXoao^ov  dlx{iijild>i  oicXOfJvro;,  £xpiva  ^rfia^koK  ti 
to6to'j  TcaoeXHciv '  cpT^al  0£  tctX.    Ich  nahm  ehemals  an,  dass  das  hiermit  ein- 
geleitete  Excerpt  sich   ohne   Unterbrechung    bis   zum  Anfang  des   §  48  er^ 
strecke,  wo  dann  mit  dem  Citalc  aus  Dikäarch  zu  der  in  §  4 — 9  benutxteo 
gelehrten  Compilation  zurückgekehrt  werde.     Hierüber  bin  ich  jetzt  anderer 
Meinung.     Aus  Diogenes  stammt  sicher  §  4  0,  ebenso  was  in  §  44  über  des 
Pythngores  Reisen  erzählt,  und  durch  das  ^r^oCv  p.  48,  4  5   (ed.  Nauck)  aus- 
drücklich  auf  den   zuletzt   erwähnten   .\utor,   eben  den  Diogenes,    zurück- 
geführt wird.     §   4ä   dient  noch   zur  Ausführung  des  in  §  44   begonDeoen, 
§  13  berichtet   wieder   von  dem   schon   in    §  40  erwähnten  Astraeus,  einer 
liauptligur  des  Diogenes;    beide  gehören   ihm  al.so  unzweifelhaft  an.     Auch 
was  in   §  44    über   Zamolxis   mitgethoilt  wird,   führe   ich  unbedenklich  auf 
Diogenes  zurück,    bei   welchem    (§  6  Herch.)  Zamolxis  ja  eine  nicht  unt>e- 
deulende  Figur  machte.     Aber  mit  dem  Knde  des  §  44   [cu;  llpaxXia  ^'auTOv 
(den    Znmolxis)    rpoaxuvoOaiv    ol    i^ap^-iapoi:    vgl.    Aiit.     Ding.     p.    i35,    47: 
/ifxöX^ioi  Traprd  Vhrm  rfir^  iJem  vo[xi|[o|jl^*<{>]  verliisst  Por|>hyrius  den  Diogenes. 
Dies  beweist  wohl  schon  das  Citat  des  Dionysophanes,  mit  welchem  §  41 
eröffnet    wird;    denn   wenn    auch    (nach    Photius  §  4  4   p.  237,  23)  Antonios 
Diogenes  einem  jedem  Buclie  ein  Verzeichniss  der  Schriftsteller,  aus  welchen 
er  die  in  demselben  milzutheilenden  S<*lt.samkeiten   geschöpft  haben  wollte, 
voransch  icktc    (ähnlich  wie  Plinius  n.  h.},  .so  ist  es  doch  völlig  unglaub- 
lich,   dass  er   innerhalb   seiner    Krzählung    förmliche   Citate    eingestreut 
haben  .sollte ,  am  Unglaublichsten   in  seinen  Berichten  über  Pythagoras  und 
Pytliagoreer,    die    er   dem    Astraeus    .selbst    in    den    Mund    gelegt   hatte 
(|).  234,  4  0  f.].     §  4  5—4  7  stammen  also,  allem  Vermulhen  nach,  aus  jener 
gelehrten  Kompilation,  welche   Porphyrius   schon    in    §   4 — 9   benutzt   hatte 
(zum  Theil  la.ssen  sich  die  Quellen  nachweisen:  p.  49,  45  —  49  Dionysophanes; 
p.   49,   23—20,  3:  Heraclides  Ponlicus  [Porphyr,  de  abst    I  26J ;  p.  20,  4—7: 
Aristoxenus    [Porphyr,   v.    Pyth.  §   9].     Woher  der  Rest  von  §  4  6  und  f  17 
.stamme,    ist  mit  Gewissheit   nicht   zu   .sagen:    §    4  7   stammt  jedenfalls  ans 
gleicher  Quelle   mit  Laertius  VIII  3  [vgl.  Porpli.  p.  20,  4  8  —  Laert.  p.  205, 
26  f.  ed.  Cobetj ;    verniuthungsweise   führe  Ich  Beider  Berichte  auf  den  bei 


—    255    — 

könnte,  diesen  Schriftsteller,  statt  ihn  mit  Meiners  an  jene 
äusserste  Grenze  des  erneuerten  Pythagoreismus  zu  steilen,  wo 
dieser    bereits    völlig    in    die    neupiatonisehe    Schule   übergeht, 

Laertius  ganz  kurz  vorher  genannten  Antiphon  irepl  toiv  t^  di(>£TiQ  rpwTeuoo^vccov 
zurück,   um  so  mehr,   da  Porphyrius  §  7.   8.    9  ein  betröcbtliches  Stück 
aus  demselben  Werke  dieses  selben  Antiphon  mittheilt.    Stammt  etwa  auch 
Porph.    p.    19,   «0— ««   =   Laert.  VllI  3    p.  205,  M  ff.   aus  Antiphon?).  — 
Von   §  20 — 31    ist  dann  Nicomachus  des  Porphyrius  Quelle.     Ein  zweites 
Eiccrpt  aus  Antonius  Diogenes  beginnt  mit  §  32:  t^v  oe  xaO'  t]fi.^pav  aOxoO 
^a-ycoY^^v  d^tjf^'jfuvo;  iAio^^vT)«  ?pTjo(v  tctX.    Ich  sehe  keinen  Grund,  dieses 
Excerpl  vor  §  36  exlr.   ( —  ::epi£yo6aaic)  enden  zu  lassen.     Was  aber,  ohne 
dass  eine  neue  Quelle  ausdrücklich  angekündigt  würde,  von  da  an  bis  §  41 
p.  30,  9  über  die  Lehren   und    Vorschriften   des  Pythagoras  erzählt 
wird,  gehört  doch  nicht  mehr  zu  der  von  Diogenes  geschilderten  »täglichen 
Lebensweise«  des  Weisen,    und  eignet  sich   überhaupt  nicht  zu  einem 
historischen  Berichte,  wie  ihn  Diogenes  seinem  Astraeus  in  den  Mund  legte. 
§  44   p.    30,  9 — 16  bezeichnet  Porphyrius  selbst  als  aus  Aristoteles  (d.  i. 
Pseudoaristoteies  r..  t&s  IIudaYope((Dv)  entlehnt;    ob  auch  §  42  (aus  gleicher 
Quelle  mit  Laert.  VIIL  17.  18)  diesem  angehöre  (wie  Rose  Arist.  pseudepigr. 
p.  201  annimmt)   scheint  weniger  sicher:   s.    Rhein.    Mus.  XXVII  33  Anm. 
(Aus  jenem  Aristotelischen   Buche  scheint  dagegen  die  ganze,  sehr  lehr- 
reiche Exposition  über  altphythagoreische  abergläubische  Vorstellungen  und 
Vorschriften   zu   stammen,   welche   bei  Laertius   in   seiner  so  überaus  ver- 
wirrten Biographie  dÖs  Pythagoras  in  folgende  Fetzen  zerrissen  ist:  p.  209, 
8—25.    209,  39—210,    13.    212,    15—42.    ed.    Cobct.)      Mit   §  43    p.  31,   18 
foa  hi,  oder  auch  erst  mit  §  44  bTopoüst  li  kehrt  Porphyrius   noch  einmni 
zu   Antonius   Diogenes  zurück,   d.    h.   er  nimmt  die  §  36  p.  28,  16  abge- 
brochene Mittheilung  des  Diogenes   über  pythagoreische  Speiseverbote  ein- 
fach wieder  auf,   indem  er  sich  nun  zu  dem  strengen  Verbot  des  Bohnen- 
essens wendet,   das  durch   eine   ganz  wunderliche  Eigenschaft  der  Bohnen 
gerechtfertigt  wird.     Dass  dieser  Abschnitt   (bis  zum  Ende   des  §  45)    aus 
Antonius  Diogenes  stamme,  fol^^t  mit  Sicherheit  aus  Lydus  de  mens.  IV  29 
p.  488  Roether,  welcher  in  beinahe  wörtlicher  Uebereinstimmung  mit  Por- 
phyrius denselben   fabelhaften   Bericht   über   die  Bohnen  mittheilt,  ihn  mit 
den  Worten  einleitend  Aioy^vt);  oi  (p7)aiv  — .     Dass  dieser  Diogenes  kein 
Anderer  sei  als  unser  Antonius   Diogenes,   hat  G.  Wolff,   de  Porphyrii  ex 
orac.  philos.    p.    16   zuerst  richtig   bemerkt.     Ob  Joannes  Lydus  die  Stelle, 
ebenso  wörtlich   wie  Porphyrius,    unmittelbar  aus  Antonius  Diogenes   ab- 
flchrieb,  oder  ob  er,  durch  irgend  eine  besondere  Notiz  über  den  Ursprung 
jenes  Abschnittes  des  Porphyrius  unterrichtet,   vielmehr  aus  diesem  seine 
Weisheit  schöpfte,   aber  statt  seiner  gleich   seinen  Gewährsmann   nannte, 
oiass  wohl   unausgemacht  bleiben.     An  der  Richtigkeit  seiner  Angabe  zu 
zweifeln  ist  keinesfalls  erlaubt.     (Es  finden   sich   übrigens  keine  weiteren 
Sparen  einer  Benutzung  des  ß(o(  \h%(i^6[jO'j  des   Porphyrius  bei  Lydus  de 
mens.).    —  In   §  45  werden   noch  2  Bemerkungen   per  saturani  angohängt: 


—    2i6    — 

vielmehr  in  jene  beträchtlich  frühere  Zeit  hinaufzurtlcken ,   wo 
<ius  den,  auch  in  der  hellenistischen  Periode  niemals  völlig  er- 


die  erste  stammt  aus  Aristoteles  ;fr.  479  p.  4  98  f.  R.),  die  zweite  (p.  Sl,  8  ff.) 
aus  Heraclides  Ponticus  (vgl.  auch  Hippoi.  i*cf.  haer.  i  2  p.  43,  53  ff.  Dnock.), 
beide  wohl  aus  jener  gelehrten  Compilation,  die  schon  in  §  4—9  und  sonst 
von  Porphyrius  benutzt  worden  war.  §  46  gehört  dem  Nicomachus  u 
(s.  Rhein.  Mus.  XXVII  54] ;  in  dorn  noch  übrigen  Reste  der  Biographie  ist 
sicher  kein  Bruchstück  des  Antonius  verborgen.  —  Dem  Antonius  Dio- 
iiKenes  gehören  also  in  der  Compilation  des  Porphyrius  an: 
§  40—44;  §  82  —  §  36  p.  28,  46;  §  44.  In  diesen  Abschnitten  nun  findet 
sich,  wie  oben  bemerkt,  nicht  die  leiseste  Spur  einer  Benutzung  des 
Nicomachus,  von  der  Meiners  redet  ;einc  solche  findet  sich  übrigens  auch 
in  den  früher  von  mir  dem  Ant.  Diog.  zugclheiltcn  Abschnitten,  §  45—17, 
87—43.  4.^  nirgends) ,  sondern  es  lassen  sich  ohne  sonderliche  Mühe  ganz 
andere  Quellen  des  A.  D.  nachweisen.  In  §  4  0—4  4  ist  das  Meiste  freie 
Krfindung  des  Antonius;  eingemischt  sind  einige  Züge  aus  älterer  Ueber- 
Ueferung  (ausser  den  aligemein  verbreiteten  [Reisen  des  Pyth.  zu  Aeg>ptem, 
Chaldiicrn,  Hebräern  (s.  die  Zeugnisse  bei  Zeller  Phil.  d.  Gr.  I  257;,  denen 
Diog.  aus  eigener  Liberalität  noch  die  Araber  hinzufügt] :  Brüder  des  Pytha- 
goras,  mit  Namen  Eunostus  und  Tyrrhenus  p.  48,  9  —  aus  Kleantheft» 
rectius  Neanthes  bei  Porphyr.  §  2  ;  Anaximander,  Lehrer  des  Pyth.  p.  48, 48  — 
nach  einer  sehr  verdächtigen  älteren  üeberiieferung,  welcher  auch  Apulejims 
Flor.    45,   Apollonius  bei   Porphyr.   §  3,   Jamblich.    v.    P.    §    4  4    folgt   [v^l  • 

Rhein.  Mus.  XXYII  24];  Lehrzeit  bei  Zaratas,  d.  i.  Zoroasler  p.  48,  26 

nach  Aristoxenus  und  Andern :   s.  Zeller  I  256.     Aus  Aristoxenus  auch  d  m. 
tyrrhenische    Herkunft  des  P\'thagoras,  §  40).     In   §  32—86  sind  folget 
Quellen  benutzt:  p.  26,  24—29:  Aristoxenus  bei  Jamblichus  v.  Pyth.  §  4 
(vgl.   Rhein.   Mus.    XXVII   88);   p.    27,    4—5:    Aristoxenus  b.   Jambl.   {  ! 
(s.  ibid.  p.  85);    p.  27,  5—7:    Timaeus  b.    Laert.  VIII    40  j   p.  27,  4  4—4' 
Aristoxenus  b.  Jambl.  §  414;  p.  27,  4  4 — 17:    Aristox.  b.  Jambl.  §  97,  { 

p.  44,  2  ff.   ed.    Westerm.    (s.  Athen,  II  46  F,  Lnert.  VIII  49);  p.  28,  6 1 

und    9 — 43   aus   gleicher   Quelle   wie   Laert.    VIII  20   (Aristoxenus?).     ]>i0 
Recepte  für  das  dfXi^iov  und  aofj/ov  des  Pythagoras,  p.  27,  4  8 — 28,  4   lassen 
sich  freilich  auf  keine  bestinmite  Quelle  zurückführen,  es  spricht  aber  audb 
nichts  für  ihre   Herkunft  von  Nicomachus.     Uebrigens  hat  Diogenes  hiff 
nichts  erfunden.     Ui-sprünglich  schrieb  das  Märchen  solch  ein  <2X(fjiov  [der- 
gleichen  auch   nordische   Märchen   kennen:    vgl.    Volsungasaga   cap.   52  bei 
P.  K.  Müller  Sagabibl.  II  (übers,  v.  Lange)  p.  55]  dem  Epimonides  zu,  dem 
es  die  Nymphen  geschenkt  hatten:  s.  Hermipp.  Smyrn.  fr.  48,  Laert.  1444. 
Plutarch.  conv.  VII  sap.  44.    Bald  aber  übertrug  die  Sage  dieses  zauberhafta 
Hungerstillemittel   von   dem,   schon    früh   in  den  Kranz  der  um  Pythagons 
gruppirten   Wundermänner  vertlorhtenen   Epimenides  auf  den  Pythagoras; 
von  den  d^Xifxov  essenden  Pythagoristen  redet  schon  der  Komiker  Antipbanes 
bei   Athen,   p.    4  64  A;   das  Recept    dazu    :in    welchem    stets  do^ö^Xov  und 
fiaXdi/T^   eine    wichtige    Stelle    eingenommen    halten)    theilt,    wesentlich   in 


—     257     — 

loschenen  ^)  Funken  die  altpythagoreische  Lebensweisheit  in 
neuer  Flamme  aufschlug.  Seine  pythagoreischen  Bruchstücke 
zeigen  ein  stark  überwiegendes  Interesse  für  die  praktische, 
durch  einen  absonderlichen  mystischen  Aberglauben  unterstützte 
Lebensweise  der  pythagoreischen  Secte ,  und  lassen  ihn  somit 
viel  eher  als  ein  Mitglied  jener  alteren  Glasse  von  Neupythago- 
reern  erscheinen,  die  sich  um  Apollonius  von  Tyana  als  um 
ihren  Mittelpunct  und  vorbildlichen  Vertreter  schaaren^j,  denn 
als  einen  Zeit-  und  Gesinnungsgenossen  der  späteren,  durch 
Nicomachus  repräsentirten  Anhänger  dieser  Secte,  welche  durch 
lebhaftere  Hinwendung  zu  speculativen  und  mystisch-metaphy- 
sischen Studien  das  völlige  Aufgehen  ihrer  Secte  in  den  so  nahe 
verwandten  Neoplalonismus  vorbereiteten. 

In  jene  frühere  Periode  würde  den  Antonius  Diogenes  auch 


Cebereinstimmung  mit  Diogenes,  Psellus  [wohl  nach  Anleitung  des  Africanus) 
mit,  lect.  mirab.  p.  443  West.  —  In  §44  schliesst  sich  Diogenes  vornehm- 
lichy  wie  es  scheint,  dem  Heraclides  Ponticus  an,  der  von  der  Verwandlung 
der  Bohnen  ähnliche  Fabeln  berichtet  bei  Lydus  de  mens.  IV  29  p.  487 
RtftheV.  (Diese  Fabeln  sind  übrigens  nicht  gänzlich  aus  den  Fingern  gesogen, 
sondern  übertreiben  nur  in  abgeschmacl^ter  Weise  die  auch  neuerdings 
mehrfach  beobachtete  Erscheinung,  dass  verschimmelnde  Bohnen  [und  so 
auch  verschimmelnde  Oblaten  und  Hostien]  sich  mit  kleinen  Thierchen 
überziehen,  welche  dem  unbewaffneten  Auge  völlig  wie  kleine  Blutstropfen 
erscheinen.)  —  Damit  wäre  denn  wohl  die  zu  lange  ungeprüft  hingenommene 
Meinerssche  Behauptung  hinreichend  widerlegt. 

1}  S.  oben  p.  67  A.  1.  So  werden  sogar  einige  Gelehrte  jener  Zeit  gerade- 
zu riu^aföpeioi  genannt,  wie  Lyco  oder  Lyons  aus  Jasus,  Athen.  II  69  E 
(vgl.  X  418  F,  Müller,  Fr.  hist.  II  370,  Ruhnken.  ad  Rutil.  Lup.  p.  400), 
Heraclides  Lembus,  c.  4  70  v.  Chr.  (s.  Usener,  Rhein.  Mus.  XXVIII  p.  434). 
Warum  sollte  man  solche  Angaben  nicht  wörtlich  vorstehen  dürfen? 

2)  Die  praktische,  der  pythagoreischen  Zahlenphilosophie  sogar  ab- 
geneigte Richtung  des  Apollonius  ist  bekannt  genug.  In  nicht  eigentlich 
wissenschaftlichen,  sondern  auf  altpythagoreischen  Aberglauben  und  aber- 
gläubische Vorschriften  gerichteten  Untersuchungen  treten  auch  die  dem 
Plutarch  gleichzeitigen  Pythagorcer  auf,  Lucius  aus  Etrurien  und  die  Schüler 
des  Alexikrates  (qu.  sympos.  VIII  7.  8).  So  auch  der  cptX^ao^o;  FIudaYOpix^c 
bei  Plutarch,  Symp.  IV  2,  3.  Gerade  solche  praktisch-religiöse  Vorschriften 
waren  es  auch,  welche  von  dem  neu  belebten  Pythagoreismus  der  Sextier 
Sotion,  der  Lehrer  des  Seneca  entlehnte  (Seneca  epist.  4  08  §  4  7  ff.,  vgl. 
0.  Jahn,  Ber.  d.  sächs.  Ges.  d.  Wiss.  4  850  p.  277—280).  Zu  den  ältesten 
Neupythagoreern  ist  übrigens  auch  Didymus,  Sohn  des  Heraclides,  der  an 
Neros  Hofe  lebte,  zu  rechnen.  (Suidas;  vgl.  Mor.  Schmidt,  Didym.  Chalc. 
p.  180  ff.). 

Bohde,  Der  griechische  Roman.  ]7 


—     25S     — 

die  Beobachtung  des  Photius  verweisen ,  dass  unter  Anderen, 
auch  Lucian  in  seinen  »wahren  ErzHhlungena  diesen  Autor 
vor  Augen  jzehabl  habe^).  Diese  Behauptung,  deren  Glaub- 
würdigkeit, nach  Beseitigung  der  von  Meiners  aufgestellten  irr- 
IhUmliehen  Zeitbestimmung,  nicht  das  Geringste  mehr  im  Wege 
steht,  darf  um  so  weniger  verworfen  werden,  da  sich  sogar 
noch  bei  unserer  dürftigen  Kenntniss  des  Romans  des  Antonius 
in  einigen  Puncten  eine  Beziehung  des  Lucian  auf  einzelne 
Fabeln  desselben  deutlich  erkennen  lüsst^j. 

Vor  Allem  aber  hoffe  ich,  dass  der  ganze,  in  diesem  Buche 
dargelegte  Zusammenhang  der  geschichtlichen  Entwicklung  des 
griechischen  Romans  darüber  keinen  Zweifel  bestehen  lassen 
werde,  dass  Antonius  vor  dem  nachweislich  ältesten  der  übrigen 
uns  bekannten  Romanschriftsteller  gelebt  und  geschrieben  haben 
müsse,  also  vor  Jam.blichus,  welcher  in  der  zweiten  Hälfte 
des  zweiten  Jahrhunderts  lebte. 

Ist  somit  auch,  die  Lebenszeit  des  Antonius  Diogenes  genau 
zu  bestimmen,  unmöglich,  so  weisen  doch  alle  Momente  ihn  in 
die  erste  Zeit  des  wiederbelebten  Pythagoreismus,  d.  i.  das%rste 
Jahrhundert  der  christlichen  Aera. 

Der  wesentliche  Verlauf  dieses  Romans  war  nun  folgender']. 

Im  Beginn  der  Erzählung  war  Dinias,  der  greise  Haupt- 
held, bereits  allen  Gefahren  entronnen.  Von  der  aussersten 
Grenze  der  Welt  zurückgekehrt,  sass  er  in  Tyrus,  im  Gespräch 
mit  Kymbas.    Diesen  hatte  »die  Gemeinde  der  Arkaderu^]   nach 

1;  §.  <3. 

2;  Solche  Dezicliungon  liahe  ich  mich  schon  in  meiner  Schrift  Ueher  Lu- 
cians  \ho;  (L.  1869}  p.  2ä  f.  nachzuweisen  bemüht.  Von  den  dort  etwas 
allzu  eifrig  aufgespürten  Parodirungen  des  Diogenes  durch  Lucian  halte  ich 
selbst  jetzt  nur  noch  die  oben  p.  4  92  f.  und  p.  494  bezeichneten  fest. 

*A)  Eine  Uebersetzung  des  Auszuges  des  Photius  und  einige  triviale  Ad- 
nierkun^zen  dazu  hat  gegeben  S.  Chardon  de  la  Rochette ,  Mölanges  de 
critique  et  de  philologie  L  Paris  1842)  p.  6  fit.  Seine  flüchUge,  an  allen 
Sc*hwieri;4keiten  schweigend  vorübergehende  Arbeit  hat  mir  höchstens 
einigen  negativen  Nutzen  gebracht. 

4.  t6  •».fiisb'i  tAv  'Apxaooav  p.  284.  2.  Eine,  wohl  nur  sehr  lose  Gemein- 
schaft der  arkadischen  Gaue  scheint  früh  und  lange  bestanden  zu  haben. 
Vgl.  E.  Curtius,  Peloponn.  I  4  72  ff.  Antonius  konnte  auch  an  Zustände 
seiner  eigenen  Zeit  denken :  über  die  xoiva  griechischer  Stämme  zur  Kaiser- 
zeit, s.  Kuhn,  Beitr.  z.  Gesch.  d.  Verfa.ss.  d.  röm.  Reiches  p.  79.  (Ein 
arkadisches  ist  nicht  darunter). 


—    259    — 

Tyrus  abgeschickt,  um  den  Dinias,  ihren  Landsmann,  zur  end- 
lichen Rückkehr  in  die  Heimath  aufzufordern.  Wegen  seines 
tlbergrossen  Alters  aber  nochmaligem  Reisen  abgeneigt,  zieht 
Dinias  es  vor,  in  Tyrus  zu  bleiben,  und  dem  Kymbas  zu  er- 
zSlhlen  was  er  auf  seinen  weiten  Fahrten  erlebt  und  vernommen 
hatte.  Alles  Folgende  ist  also  sein,  an  Kymbas  gerichteter  Be- 
richt 1) . 

Dinias  war  mit  seinem  Sohne  Demochares  »aus  Wissbegier«  ^j 
von  Hause  fortgezogen.  Durch  das  schwarze  Meer  und  das 
kaspisch-hyrcaniscbe  Meer  kamen  sie  zu  den  rhipUischen  Bergen 
und  den  Quellen  des  Tanais^),  wandten  sich  dann  »wegen  der 
grossen  Kälte «  nach  dem  scythischen  Ocean,  gelangten  von  dort 
in  den  östlichen  Ocean,  bis  zum  Aufgang  der  Sonne,  und  nach- 
dem sie,  in  langwieriger,  abenteuerlicher  Fahrt  in  weitem  Bogen 
9 das  äussere  Meer«  durchfahren,  auch  Karmanes,  Meniscus  und 
Azulis  sich  als  Reisegefährten  zugesellt  hatten,  kamen  sie  end- 
lich nach  der  Insel  Thule,  wo  sie  ihre  Fahrt  unterbrachen*). 


1)  Dieses  Verhällniss,  dass  Dämlich  dem  Dinias  der  Bericht  über  sfimmt- 
liche  Abenteuer  in  den  Mund  gelegt  war,  wird  von  Photius  nicht  gleich 
«olangs  klar  ausgesprochen ;  es  wird  aber  deutlich  aus  seinen  nachträg- 
licheo  ungeschickten  Andeutungen  p.  234,  4  fT. ;  p.  236,  8  (xax  dp/a;); 
p.  288,  45. 

2)  nLvzä  C'^i'^otv  loTopCac  §  2  init.  Solche  Reisen  nur  aus  Wissbegier, 
obwohl  in  Griechenland  seit  lange  her  durchaus  nicht  selten,  müssen  den 
Laien  doch  immer  noch  einigermaassen  als  Unternehmungen  müssiger 
Tboreo  erschienen  sein.  Ersichtlich  will  diese  Art  von  rcptep^Ca  Lucian 
verspotten,  Ver.  bist.  15. 

3)  itpö<  ToO  TovdliSoc  xd^  IxßoXd;  §  2 :  das  könnte  man  freilich  versucht 
sein,  mit  Chardon  de  la  Rochette  p.  6  zu  übersetzen:  aux  bouches  du 
Tana'is.  Diese  Mündungen  des  Tanais  müssten  dann  von  unserem  Dichter 
im  nördlichen  Ocean  gesucht  werden:  und  in'der'That  versetzten  Einige 
der  Alten  sie  dorthin;  selbst  Pytheas  muss  wohl  dieser  Vorstellung  nach- 
gegeben haben,  wenn  er  behauptete  (s.  Polyb.  bei  Strabo  II  p.  104},  dass 
er  ::Äoav  in^dot  t^jv  TrapcuxeaviTiv  t^;  E'jp<fi:rT;;  dizh  Paoefpcöv  lai;  Tavaioo;. 
Aber  hier  lässt  die  enge  Verbindung  der  ix^o^ai  tou  Tovdi'iBo;  mit  den 
•  rhipdischen  Bergen«  doch  wohl  eher  an  die  Quellen  des  Tanais  denken 
(ixßoXal  CS  Quellen,  Plato  Pbaed.  4  48  A),  welche  von  vielen  Geographen  in 
die  rbipMischen  Berge  gelegt  wurden  (z.  B.  Pompon.  Mela  1  49  extr.  Vgl. 
ükert  III  2,  497). 

4)  Zu  Grunde  liegt  dieser  ganzen  abenteuerlichen  Fahrt  genau  dieselbe 
Vorstellung  von  der  Erde  und  ihren  Theilen,  die  man  bei  Pomponius  Mela 
findet  fz.  B.   I  2).     Der  Tanais,  von  den  rhipäischen  Bergen  kommend, 

17* 


—     260    — 

In  Thule  trat  Dinias  in  ein  Liebes verhältniss  zu  der  Der- 
kyllis.  Wie  diese  dem  Dinias  erzHhlte,  stammte  sie  und  ihr, 
sie  begleitender  Bruder  Mantinias  aus  einem  vornehmen  Ge- 
schlechte  in  Tyrus;  durch  einen,  aus  seiner  zerstörten  Vaterstadt 
nach  Tyrus  geflohenen  und  von  ihren  Eltern  wohlwollend  auf- 
genommenen ägyptischen  Priester  Paapis,  einen  scheinheiligen 
Bösewicht,  verleitet,  hatten  die  Geschwister  durch  Zaubermittel 
ihre  Eitern,  in  dem  Wahne  ihnen  wohizuthun,  in  einen  todes- 
ähnlichen Schlaf  versenkt^).  Durch  diese  unbeabsichtigte  Fre- 
veithat  zur  Flucht  genöthigt,  hatten  auch  sie  sich  auf  Reisen 
begeben.  Sie  kamen  nach  Rhodus,  Kreta,  Tyrrhenien  und  zu 
den  italischen  Kimmeriern  ^j .  Bei  diesen  stieg  die  Derkyllis  in 
den  Hades  hinunter,  und  unterrichtete  sich  genau  über  die  Zu- 
stände in  der  Unterwelt ,  indem  ihr  der  Schatten  einer  längst 
gestorbenen  Dienerin  Myrto  Auskunft  gab'). 


trennt  Europa  und  Asien.  Im  Norden  bespült  der  Ocean  (von  dem  daf 
kaspische  Meer  nur  eine  Bucht  ist)  beide  Erdtheile;  sein  oberhalb  Askns 
liegender  Theil  ist  der  scythische  (im  Gegensatz  zu  dem,  über  Eorojpi 
liegenden  britannischen)  Ocean,  an  den  sich  nach  Osten  hin  der  eoisdie 
Ocean  schliesst.  Dinias  ftthrt  also  um  Asien,  weiterhin  südlich  um  Afrika 
herum,  dann  nördlich  bis  nach  Thule.  Für  die  Details  seiner  Erzähloogeo 
mochte  Antonius  mannichfaches  Material  in  solchen  Umscgelungen  des  n^ird* 
liehen  und  südlichen  Oceans  finden,  wie  sie,  mit  Recht  oder  Unrecht,  unter 
dem  Namen  des  Patrocles  (s.  Plin.  VI  §  58>  und  des  Eudoxus  (s.  Nepot 
bei  Mela  III  9)  umgingen. 

1)  Dass  dieses  der  Grund  ihrer  Flucht  war,  erfahren  wir  bei  Pbotio» 
wiederum  erst  durch  eine  nachträgliche  Notiz  p.  236,  18  ff. 

2)  Dem  Zusammenhang  nach  können  hier  (von  den  vielen  Kimmeriern, 
die  man  an  verschiedenen  Orten  in  Europa  und  Asien  suchte  und  fand) 
nur  die  am  See  Avernus  bei  Cumae  in  Campanien  in  unterirdischen  HöblO 
wohnenden  gemeint  sein,  welche  man  sich  als  Verwalter  eines  Todten* 
Orakels  und  Bewahrer  eben  jenes  Einganges  in  den  Hades  dachte,  in  wel' 
chen  Odysseus  eingefahren  war.  S.  die  grüsstentheils  aus  Ephorus  ge* 
schöpfte  Erzählung  des  Stmbo  V  p.  244  f. ;  vgl.  Scymn.  perieg.  S39  ff. 

3)  Hier  ahmt  Antonius  Diogenes  seinen  zahlreichen  Vorgängern  in  der 
phantastischen  Ausmalung  von  Höllen  fahrten  nach.  Allen  voran  steht 
die  Nixuia  der  Odyssee;  eine  solche  Nixuia  fand  sich  aber  auch  in  den 
N^sToi  des  epischen  Cyclus,  in  dem  hesiodischen  Gedicht  von  »Thesen» 
Hadesfahrt R  (s.  Welrkcr,  Ep.  Cyclus  I  260,  MarkschefTel,  Hesiod.  fmgm. 
p.  158  ft.).  [Dann  Virgil ,  Aen.  VI  u.  s.  w.].  Erbauliche  Tendenz  hatte 
jedenfalls  die  orphische  KaTcCSaai;  cU  "Aioou  (Lobeck  810  IT.] ;  ähnlich  wobi 
eine  schon  dem  Aristoxenus  bekannte  (vom  Komiker  Aristophon   bei  Laert. 


—    261     — 

Aus  dem  Hades  wieder  emporgestiegen^  zog  Derkyllis  weiter. 
Von  ihrem  Bruder  durch  uns  nicht  bekannte  Schicksale  ge- 
lrennt trat  sie  in  Verbindung  mit  Keryllus  und  Astraeus.     Ge- 


VIII  38,  wie  ich  denke,   parodirte)   pythagoreische    Hadesfahrt   (s.  Rhein. 
Mas.  XXM  557  f.).     Daraus  auch  Schol.   Apoll.  Rhod.  I  645  p.  839,  4  2  ff. 
Keil.    Dieser  am  Nächsten  möchte  der  Platonische  Mythus  von  dem  Pam- 
phylier  Er,  dem  Sohne  des  Armenius  (Rep.  X  c.  43  ff.)  stehen  [der  pytha- 
goreischen Schrift  vielleicht  auch  in  der  Einkleidung  des  Ganzen  als  einer 
ekstatischen  Vision  der  aus  dem  Leibe,   während  eines  Scheintodes,  aus- 
getretenen  Seele   verwandt.      Etwas   Aehnliches   berichtete   die    Sage   von 
Hermotimus,  einer  der  früheren  Verkörperungen  des  Pythagoras:  s.  Rhein. 
Mos.  a.  0.;  auch  von  Epimenides:  s.  Suidas  s.  '£iri(A.     Gab  es  auch  unter 
seinem  Namen  eine  solche  ekstatische  Höllenfahrt?    In  eine  solche  würden 
wenigstens  die  bei  Pausanias  VIII  48,  2  aus  Epimenides  mitgetheilten  Nach- 
richten über  die  Styx  sehr  wohl  passen] ;  dem  Plato  nachahmend  Plutarch 
in  seiner  Erzählung  von  der  Höllenfahrt  der  Seele  des  Thespesius  aus  Soli, 
De  sera  num.  vind.   22.     Frühzeitig  hatte  die  Komödie  sich  dieses  für 
phantastische  Erfindungen  und  beziehungsreichen  Spott  so  trefflich  geeigne- 
ten   Gegenstandes  bemächtigt:   eine  Hadesfahrt   führte  Pherecydes  in  den 
KpoiTcitaXoi  vor  (s.  Hemsterhus.   ad  Polluc.  IX  68,  Meineke  com.  I  p.  85), 
später  Aristophanes  in  den  Fröschen  und  im  Gerytades.    Ihnen  mochte  im 
Geiste   verwandt  sein  die  N^xuta  des  Cynikers  Menippus   (Laert.  VI  4  04), 
iron  welcher  die  wenig  witzige  NexuoficbTeta  des  Lucian  ein  jedenfalls  nur 
schwaches  Nachbild   ist,   welches  dann  wiederum  in  dem  von  Hase  zuerst 
herausgegebenen    Tifi.ap(c»v    ins    Byzantinische,    das   heisst   ins   völlig   Ab- 
^schmackte   umgebildet   wird.      (Uebrigens    kehrt    der  von   Lucian   aus- 
«f^eführte  Gedanke,  um  der  philosophischen  Erkenntniss  willen  in  die  Unter- 
yueXt  zu  fahren,  seltsamer  Weise  in  den  [etwa  gleichzeitigen]  Pseudoclemen- 
tinischen  Homilien  I  5  p.  4  4,  43  ff.  Lg.  wieder:  worauf  Hemsterhusius,  Luc. 
Bipont.  III  p.  339  aufmerksam  macht).    Vielleicht  ebenfalls  Menippus  war  es, 
«ler  Horazen  den  Gedanken  zur  fünften  Satire  des  zweiten  Buches  eingab.    In 
<«inem  ernsteren  Geiste  schilderte  der  Skeptiker  Timon  in  den  »Sillencc  seine 
eigene  philosophische   Hadesfahrt.      Moralphilosophische  Absichten    scheint 
Dikäarch  in  seiner  »Einfahrt  in  die  Höhle  des  Trophonius«  verfolgt  zu  haben, 
deren  Einkleidung  vielleicht  Plutarch  in  der  bekannten  Erzählung  de  genio 
Socr.  22  ff.    nachahmte.     Endlich    mag   man    sich    der  doch    wohl   einem 
Griechen   nachgeahmten  scherzhaften  Hadesfahrl  im  virgilischen  Culex  er- 
innern.    Uebrigens  kannte  und  liebte  auch  das  christliche  Mittelalter  diese 
Form  der  erbaulichen  Dichtung:  eine  christliche  Höllenvision  schon  in  den 
Dialogen  Gregors  des  Grossen :  Ebert,  Gesch.   d.  christl.  lat.  Lit.  522,  eine 
christliche  Himmel-  und  Höllenfahrt  in  Barlaam  und  Josaphat  p.  280  ff.  cd. 
Boisson.    (wahrscheinlich  7.   Jahrhundert) ;   mehr  bei   Liebrecht  zu  Gervas. 
Tilb.  p.  89  f.,  Ebert  a.  a.  0.  p.  599.  64  6.     Vgl.  auch  Grimm,  D.  Mythol.  767 
Anm.  8.     So  kann  man  diese  eigenthümliche  Gattung  religiöser  und  philoso- 
phischer Dichtung  durch  wechselnde  Schicksale  verfolgen  bis  an  jenen  Punct, 


—     262    — 

meinsam  kamen  sie  zum  »Grabe  der  Sirene«  ^].  Aus  dem  Munde 
des  Aslracus  erfuhr  Derkyllis  mancherlei  über  Pjthagoras  und 
Mnesarchus,  dessen  Vater.  Mnesarchus,  so  erzählte  Astraeus^:, 
von  den  auf  Lemnos  Imbros  und  Scyros  wohnenden  Tyrrhenern 
abstammend*),  fand  einmal  auf  einer  seiner  vielen  Reisen  ein 
kleines  Kind  unter  einer  stattlichen  Weisspappel  liegend.  Da 
Kind  sah  aufwärts  ungeblendei  in  die  Sonne;  im  Munde  hiel 
es  ein  kleines  Rohr,  in  welches  von  der  Pappel  ein  Thau  hin- 
eintröpfelte und  das  Kind  ernährte.     Mnesarch  nahm  das  wun 


derbare  Kind  mit  sich.     Als  dann  Mnesarch  endlich  Samos  sicbT^Th 
zum  festen  Wohnsitz  erkor,  fand  er  bei  einem  dorfigen  Bürger 
Androkles,    Aufnahme,    der  ihm  die  Verwaltung  seines  Haus- 
wesens anvertraute*).  In  reichlichen  Vermögensumstanden  konnt»- 


wo  Taltissimo  poeta  aus  ihr  die  Form  zu  der  erhabensten  Dichtung  ent 
nahm,  welche  die  chrisUlche  Litteratur  kennt,  -r  Antonius  Diogenes  mochl 
eine  solche  Episode  einzulegen  namentlich  durch  die  orphischen  und  p) 
Ihagoreisclien  Vorbilder  angetrieben  sein ;  für  diese  Schulen  war  ja  freilic 
nichts  wichtiger  als  eine  authentische  Bestüligung  jener  Verheissungeo  eio< 
seligen  L'nsterblichkeit  der  Gerechten  und  der  Strafen  der  Dnfrommen, 
welcher  ihre  Lehre  gipfelte. 

1)  Der  SeipTjvr^;  rd^o;   ist  ohne   Zweifel   das  Grabdenkmal  der  Sirei 
Parthcnope,   welche  sich   bei   Ncapolis   ins  Meer  gestürzt  hatte   (Lycopfa 
Alex.  720),  dort  begraben  war  und  mit  gymnischen  Agonen  geehrt  ward» 
S.  Strabo  i  p.  28;    V  p.  246;    Dionys  perieg.    859  mit  Schol.  und  EustatB^ 
comm.;  Sueton  fragm.  p.  306,  6  Roth. 

2)  Das  nun  Folgende  nach  den  Auszügen  bei  Porphyrius  v.  Pyth.  4  0 — 1         >'- 

3)  Vgl.  0.  Müller,  Orchomenos  p.  482. 

4    Porphyr.  §  40  p.  4  8,  4  :  dlvSpcuOev  o'  is  Xdffjwj)   dvaXtj^Äf^vai  uri  x 
(besser    wohl    'jtJj    to-j   =   Tiv<i;)  'Avopox)»lö'JC   diriyojptou ,    ö;   rf^v  i:ripiXct 
a'iT(j)  Tf|C  oixiac  £veyeij>i3€v  *  pto^vxa  o  dv  d^Ö^Svoi;  d^axp^^civ  to  Tratßtov,  'Aorp«« 
xa).£aavTa  xtX.     Wie   wunderlich !     Das  von  Mnesarch  aufgefundene  tzoliU 
wird,    zum   Manne  geworden,   von   Androkles  aufgenommen   und  mild 
Verwaltung    seines    Hauses    betraut;    trotzdem    wird    uns   darnach    ei 
erzählt,  dass  Mnesarch  dieses  selbe  »Kindlein«  mit  seinen  eigenen  Söhn* 
»aufgezogene   habe.     Wie   kam   übrigens  das  Kind  überhaupt  nach  Samo^» 
da  uns  doch  von  seinem  Pflegevater  Mnesarch  noch  gar  nicht  einmal  gesa^' 
worden  ist,   dass   dieser  dorthin  gekommen  sei?    Dazu  bedenke  man  noch 
den  über  alle  Maassen  harten  Subjectswechsel  zwischen  den  beiden  Sfitzeo. 
Es  ist  kein   Zweifel,   dass  in  dem   ersten   Satz  gar  nicht  von  dem  irou^tcv 
geredet  werden  sollte,  sondern  von  Mnesarch.     Nun  steht  in  dem  Texte 
des     Archetypus    unserer    Porphyriushandschriften ,    dem'    Bodleianus    Gr. 
misc.  254,  keineswegs  dvopaiH^v,   sondern  ISpu^dv  (s.  V.  Rose,  Hermes  5;, 
und    ebenso    in    der   «llesten ,   Münchener  Abschrift.     Man    schreibe   also: 


—     263    — 

nun  Mnesarch  den  Findling ,  welchen  er  Aslraeus  nannte ,  zu- 
gleich mit  seinen  eigenen  Söhnen,  Eunostus,  Tyrrhenus  und  Py- 
thagoras  aufziehen.  Von  diesen  adoptirte  übrigens  Androkles 
den  jüngsten,  Pythagoras,  und  schickte  ihn,  nach  vorhergehen- 
dem Unterricht  beim  Kitharisten,  Turnlehrer  und  Maler,  zu 
weiterer  Ausbildung  zum  Anaximander  nach  Milet.  Weiterhin 
kam  er  auch  zu  den  Aegyptiem ,  Arabern ,  Ghaldäem  und  He- 
bräern, von  allen  ihre  höchste  Weisheit  erlernend.  Den  Astraeus 
aber  schenkte  Mnesarch  dem  Pythagoras,  der  ihn.  nachdem  er 
in  einer  physiognomischen  Prüfung  seine  gute  Natur  erkannt 
hatte,  erzogt).  —  Dies  alles  erzählte  Astraeus  seiner  Freundin, 
und  dazu  noch,  »was  er  selbst  von  der  Philotis  vernommen 
hatte  «^).  Derkyllis  nun,  nachdem  sie  diese  Berichte  des  Astraeus 
eingeschaltet  hatte,  fuhr  fort,  ihre  eigenen  Erlebnisse  dem  Di- 
nias  zu  erzählen.  Sie  kommt  mit  Astraeus  und  Keryllus  nach 
Iberien,  zu  einer  Stadt,  deren  Bewohner  Nachts  sehen  konnten, 
am   Tage    aber    blind    waren  3).     Ihren  Feinden    that   Astraeus 

Kpu&^vTa,  wodurch  der  von  mir  im  Texte  angegebene  Sinn  entsteht.  — 
Die  Ernährung  des  Astraeus  durch  den  ^p6ao;  der  Weisspappel  darf  uns 
wohl  an  die  bekannten  Sagen  von  gottgeliebten  Sängern  erinnern,  welche 
als  Kinder  durch  den  Honig  freiwillig  dienender  Bienen  ernährt  wurden 
(s.  Welcker  zu  Philostr.  imag.  li  12  p.  466).  —  Das  Kind  blickt  dloxap^a- 
}vjx'zi  in  die  Sonne  p.  17,  32:  dies  ist  theils  eine  Folge  seiner  höchst  wun- 
derbaren Augen,  theils  auch  wohl  ein  Anzeichen  seiner,  vom  Mnesarch 
alsbald  geahnten  Oeia  ffveoi;:  die  Götter  selbst  dTcv^;  ^i*  SXou  ßX^rouai  %al 
t6  ^Xdcpapov  oOtcotc  d7ct[ji6o'jaiv,  Hcliodor  Aeth.  111  13. 

1)  Soweit  Porphyrius  §  13.  Die  Einzelheiten  der  Lehren,  welche  Py- 
thagoras bei  jenen  weisen  Völkern  empfing,  hielt  ich  hier  aufzuzählen  für 
unnöthig. 

2)  oTa  (PlXcfrrioo;  tjtö;  'AaTpaio;  f^xo'joe*^.  p.  234,  12.  Wer  diese  weiter 
nicht  erwähnte  »Philotis«  sei,  hat  Photius  zu  erklären  nicht  für  nöthig 
gehalten.  Da  sie  so  unmittelbar  in  Verbindung  mit  den  Berichten  des 
Astraeus  über  Pythagoras  genannt  wird,  so  ist  es  vielleicht  nicht  zu  kühn, 
in  ihr  irgend  eine  pythagoreische  Frau  zu  suchen,  welche  dem  Astraeus 
etwa  von  den  Einrichtungen  des  pythagoreischen  Bundes  Nachricht  gegeben 
hatte.  Hierher  könnte  man  dann  die  bei  Porphyrius  v.  P.  §  32 — 36,  44 
erhaltenen  Nachrichten  des  Diogenes  über  pythagoreisches  Leben  ziehen. 
Eine  P^thagoreerin  Philotis  kenne  ich  freilich  nicht:  sollte  diese  <I>tXa)Tt; 
aber  nicht  vielleicht  identisch  sein  mit  der  von  Jamblich  v.  Pyth.  §  267 
(>.  86,  20  West,  in  dem  Verzeichniss  der  IludaYoplSe;  genannten  «PiXti«, 
liryfltTTjp  Beicppio;  (so  cod.  Laurent.  86 ,  3.  Ob  Acö^ppovo;?  s.  p.  85 ,  23) 
roü  KpoToviaTou? 

3)  Ein  solches  Volk  setzte  der  Historiker  Eudoxus  von  Rhodus  (dessen 


—     264     — 

durch  Flötenblasen  Schaden  ^  .  Von  dort  freundlich  entlassen, 
gelangten  sie  zu  dem  einfültigen  und  rohen  Volke  der  Gelten, 
denen  sie  auf  Pferden  entflohen,  welche  durch  wunderbaren 
Wechsel  ihrer  Hautfarbe  ausgezeichnet  waren  ^  .  Sie  kamen  nun 
zu  den  Aquitauiern,  deren  Gunst  sich  namentlich  Astraeus  er- 
warb, indem  er  sie  an  dem  Ab-  und  Zunehmen  seiner  Augen 
das  Ab-  und  Zunehmen  des  Mondes  ermessen  lehrte,  und  nach 
dieser  Erkenntniss  den  bisher  streitigen  Wechsel  ihrer  beiden 
Könige  in  der  periodisch  zu  übernehmenden  Herrschaft  regelte'). 


Zeitalter  keineswegs  so  unbestimmbar  ist  wie  C.  Müller  Fr.  H.  Gr.  IV  407 
meint:  da  er  in  der  chronologisch  geordneten  Homonymenliste  des  Demetrius  ^ 

von  Magnesia  bei  Laert.   VIII   90  zwischen  dem  berühmten  Eudoxus  von         jm 
Knidos  und  Eudoxus  aus  Sicilien ,  einem ,  vor  dem  Grammatiker  Apollodor      ^sr 
von  Athen  lebenden   Dichter  der  neuen  Komoodie  [Meineke  com.  I  p.  491]        ^~] 
steht,  so  muss  seine  Lebenszeit  etwa  zwischen  850  und  200  v.  Chr.  fallen,       ^'  <; 
bei  Apollon.  h.  mirab.  24  Trepi  rrjv  KcXtixtjv.    Aehnlich  Aristoteles  {?  s.  Rose,    ^   -s, 
Arist.  pseud.  p.  624]  bei  Steph.  Byz.  s.  npfxapa.    ;Solche  Albinos  fand  man 
auch  in  der  asiatischen  Landschaft  Albania:  Isigonus  bei  Plin.  n.  h.  VII  §  42 
und  Gelliu$  IX   4,    6,   der  aber  nur  den  Plinius,  nicht,  wie  er  vorgiebt,«. 
griechische  Paradoxographen  benutzt :  s.  Mercklin  Jahrb.  f.  Philol.  Suppl.  IIK*    SI 
p.  642  f.). 

1)    ooa  'Aarpalo;    a'j\Sn    toU    7:oXc(j.(oi;   dxelvoiv   eip^dooro   p.    284^   46.    ^BS. 
Wir  erfahren  wiederum  nicht:  was  eigentlich  er  den  Feinden  anthat. 
er  eine  Zauberflöte ,   die  wie  Oberons  Hörn  alle  Zuhörenden  zum  Tanze 
zwang?     Ucber  solche   Zauberpfeifen  vgl.   Grimm,   Kindermfirchen  III  i9Si 
[3.  Aufl.]   zu  N.  410  »der  Jude  im  Dorn.«    Oder  gebrauchte  er  eine  ahn — 
liehe   List  wie  die    war,   durch  welche    einst   die   Gegner   der   Kardianev 
[s.  Charon  Lamps.   fr.  9)  oder  der  Sybariten  (s.  Aristot.  fr.  538  R.)  die  a; 
das  Tanzen  zum  Flötenspiel  gewöhnten   Pferde  derselben   in  der  Schlacb*' 
zum  Tanzen  zwangen  und   kampfunfähig  machten?     £ine   alte   Anekdote 
welche  (wie  Liebrecht  Or.  u.  Occ.  I  4  34  hervorhebt)    merkwürdiger  Wei 
nur  wenig  verändert  wieder  auftaucht  in  einer  buddhistischen  Parabel  be 
Slan.  Julien  Les  Aväidänas  Nr.  4  0  (I  56  fT.}. 

2i    oaa  a'jToi;  7:£pi  Tf^^  xard  ty,v  yooidv  twv   ittttcuv   iva)^.«^^;   ^T^T^ 
p.  234,  20.     Vielleicht  erinnerte  Antonius  sich  der  Erzählung  des  Posidoni 
(s.  Strabo  III  p.  4  63),   dass  die  ursprünglich  grauen  Pferde  der  Celtiberer 
wenn  mau  sie  ci;  TT^y  £$(u  'Ißr^pbv  bringe,  ihre  Farbe  veränderten. 

3]  Diese  den  a'JSo;xet({)3ei;   des  Mondes  entsprechenden  aüSopieu&oetc  dec* 
Augen  des  Astraeus  wurden  schon  oben  p.  228  berührt.    Ich  sehe  freilich  r 
qui  mcus  est  Stupor,  nicht  ein,  wieso  die  Aquitanier  einer  solchen  Parallele 
erst  bedurften,  um  die  Mondphasen,  die  ihnen  Astraeus  ja  nur  unmittelbar 
zeigen  konnte,  zu  erkennen.    Uebrigens  zeigt  sich  an  diesem  Abenteuer  sehr 
deutlich ,    dass   der   Astraeus   des    Diogenes    kein    Anderer    ist ,    als   jener         I    i^ 
Astraeus  des  Arat,  Phaenom.  98  2v  {>a  -zi  cpaaiv  |  Äarpwv  dpyoiwv  T,vzi^  ^pijxevai         |    ^' 

kl 


—     265     — 

Es  folgten  weitere  Abenteuerzüge  der  Derkyllis,  auf  welchen  sie 
nach  Spanien  zurückgetrieben  wurde  ^)  und  namentlich  zu  den 
Artabrern  kam,  wo  die  Weiber  in  den  Krieg  ziehen,  die  Manner 
das  Haus  und  die  weiblichen  Arbeiten  besorgen  ^j.  Weiter  ge- 
langte sie  mit  Keryllus  zu  den  Asturiem;  wider  Erwarten  ent- 
rannen sie  allen  Gefahren;  endlich  aber  traf,  wo  es  am  Wenig- 
sten zu  erwarten  war,  den  Keryllus  doch  noch  die  späte  Strafe 
für  eine  alte  Verschuldung.  Derkyllis  zieht  weiter  nach  Italien 
und  Sicilien.  In  Eryx  ergriffen,  wird  sie  vor  den  Tyrannen 
Aenesidemus  von  Leontini  geschleppt  ^) .    Dort  trifft  sie  den,  bei 


(sB  German.  Ar.  Pbaen.  4  04,  Avien.  Ar.  phaenom.  279  ff.),  den  Einige  für  den 
ältesten  Astronomen  hielten  (s.  Schol.  Ar.  98,  I  p.  88,  p.  276,  II  p.  407 
Buhle).  Er  ist  wohl  nicht  verschieden  von  dem  mythischen  Gemahl  der  Eos 
(Hesiod.  Tbeog.  878,  ApoUod.  bibl.  I  2,  2,  4),  und  kommt  zu  der  bei  Arat 
ihm  zugewandten  Ehre  offenbar  nur  seines  Namens  wegen,  sowie  das  aurum 
Aurus  erfand,  Kynes  die  xjvfj  u.  s.  w.  in  infinitum  (vgl.  Lobeck  Agl.  468). 

1)  Auf  welche  Weise,  erfahren  wir  nicht  genauer:  cuc  Iv  'Aprißpot; 
Ij^dr^  heisst  es  p.  234,  29. 

2)  Eine  derartige  Weiberherrschaft  bei  den  Artabrern  ist  sonst  meines 
Wissens  nirgends  bezeugt.  Von  der  Tapferkeit  und  Kraft  der  Weiber  bei 
den  nordwestlichen  Stämmen  Iberiens  redet  (nach  Posidonius)  Strabo  III 
p.  465  init.,  etwas  weiter  hin  erzählt  derselbe  von  »einer  Art  von  Weiber- 
berrschaft«  (I  p.  225,  7  Mein.)  bei  den  Cantabrern,  welche  z.  B.  die  Sitte 
hatten,  die  Töchter  zu  Erben  einzusetzen  und  ihnen  die  Sorge  für  die  Ver- 
heirathung  ihrer  Brüder  zu  überlassen.  (Eine  Spur  von  alter  Weiber- 
herrschaft zeigen  noch  einige  Sitten  der  heutigen  Basken,  der  Nachkommen 
der  alten  Iberer,  z.  B.  die  dort  noch  übliche  seltsame  Sitte  des  von 
Strabo  1.  1.  schon  bei  den  nördlichen  Iberern  ermähnten  s.  g.  Männerkind- 
bettes: vgl.  Max  Müller,  Chips  from  a  German  Workshop  II  p.  278,  Peschel, 
Völkerkunde  p.  26). 

3)  Einen  Tyrannen  Aenesidem  von  Leontini  kennt  auch  Pausanias 
V  22,  7.  Mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  nimmt  Böckh  (der  sich  unserer 
Stelle  übrigens  nicht  erinnert)  explic.  ad  Pindari  Ol.  II  p.  M7  an,  dass 
diess  kein  Anderer  sei,  als  der  mit  Gelon,  als  Feldherr  des  Hippokrates 
(Herodot  VII  454}  um  die  Herrschaft  in  Gcla  concurrirende  Sohn  des  Pa- 
taecus  (oder  des  Emmenides),  welcher,  von  Gelon  in  jenem  Wettstreit 
ttt>erwunden  (Aristot.  Rhetor.  I  42  p.  4  373a,  22),  sich  zur  Entschädigung 
der  Tyrannis  in  Leontini  bemächtigt  haben  möchte.  Dieser  Aenesidem, 
Zeitgenosse  des  seit  Ol.  72  in  Gela  regierenden  Gelon,  Vater  des  Theron, 
der  in  Agrigent  von  4S8— 473  regierte,  mag  selbst  in  Leontini  etwa  seit 
490  regiert  haben;  ungefähr  in  diese  Zeit  setzt  also  Antonius  die  Ereig- 
nisse seiner  Erzählung,  d.  h.  in  die  Zeit,  wo  Pythagoras  eben  verstorben, 
die  Blüthe  der  pythagoreischen  Genossenschaften  in  Unteritalien  aber  noch 
keineswegs  gebrochen  war  (vgl.  Rhein.  Mus.  XXVI  565  f.). 


—     266     — 

dem  Tyrannen  verweilenden  Priester  Panpis  wieder  an,  aber 
auch  ihren'  jzelieblen  Bruder  Mantinias,  der  seit  seiner  Trennung 
von  ihr  auf  weilen  Irrfahrten  die  seltsamsten  Abenteuer  erlebt 
hat,  und  ihr  von  Menschen,  Thieren  und  Pflanzen,  von  Inseln, 
ja  von  Sonne  und  Mond  *)  die  wundenbarsten  Nachrichten  mit- 
theilt. 

Derkyllis  und  Mantinias  rauben  nun  dem  Paapis  seinen 
Ranzen  mit  den  ZauberbUchern  und  seine  Kräuterkiste ,' und 
fliehen  damit  nach  Rhegium  und  von  dort  nach  Metapont.  Dort 
trifft  sie  Astraeus^)  und  benachrichtigt  sie,  dass  Paapis  sie  ver- 
folge. Gemeinsiun  fliehen  die  Drei  zu  den  »Thraciern  und 
Massageten«  zu  Zamolxis,  dem  Freunde  des  Astraeus^).  Den 
Zamolxis,  der  »bei  den  Getena  schon  als  ein  Gott  verehrt  wird,^  M^ 
bittet  Astraeus,  von  den  Geschwistern  angegangen,  um  RatfaK::A^h 
für  diese.  Zamolxis  gebietet  ihnen  durch  Orakelspruch,  zunächst  ^^t 
nach  Thule  zu  gehen,  wie  es  das  Schicksal  wolle :  später  wtlr — - 

1 


den  sie  nach  Hause  zurückkehren,  aber  erst  pach  vielen  Leiden. 
und  nachdem  sie  durch  eine  harte  Strafe,  welche  ihr  Leben  iir^  Ji 
Tod  am  Tage  und  Wiederaufleben  in  der  Nacht  eintheilen  werde 
ihre  unfreiwillige  Versündigung  gegen  ihre  £ltern  gesühnt  habe 
würde.     Indem  sie  Astraeus,  ebenfalls  göttlich  verehrt  von  de 
Geten,  bei  Zamolxis  zurücklassen,  ziehen  die  Geschwister  weile 
und  gelangen,  nachdem  sie  im  hohen  Norden  viel  Wunderbare 
gesehen  und  vernommen  haben,  endlich  nach  Thule. 

Dieses  Alles  berichtet  Dinias,  nach  der  Erziihlung  der  Der-"^^  r- 
kyllis,  dem  Kymbas  wieder.  Darnach,  erzHhlt  er  weiter,  s^^-«®* 
auch  Paapis,  die  Geschwister  verfolgend,  nach  Thule  gekommenÄrr^^ni, 
und  habe,  indem  er  ihnen  in's  Gesicht  spie  ^),  sie  in  jenen  voe  ^cdd 


1)  Es  scheint,  als  wenn  Mantinias  selbst  auf  diesen  Gestirnen  gewese 
wiire. 

2)  Nach    Metapont    hatte    sich    Asiraeus   wohl    ohne    Zweifel    als   nac '    ^* 
einem  der  llauptsitze  des  pythaf^oreischen  Bundes  gewendet. 

'.V:  Dio  «Massafieten«  Z.  i35,  15  sind  wohl  ein  Versehen  der  Abschreiben* -^ 
«les  Photius:  es  hoisst  woitorhin  p.  17  und  27  bei  ihm  ganz  richtig  »Geten^^- 
Hierhin   wird   wohl   die   Belehrung   über   Znimoxis  bei  Porphyrius  v.  Pythv- 
§  14  zu  stellen  sein,  ülier  deren  etymolo;:ischen  Theil    Za>.tjLo5i;  vom  thra^ 
kischen  !^nihx6i=  oopd  apxTOj',  man  vgl.  P.  de  Lajiarde,  Ges.  Abb.  p,  881  ff., 
A.  Fick,  Die  ehemal.  Sprachcinh,  d.  Indogerni.  Europas  p.  418. 

4;  Die  Zauberkraft  des  Anspeiens  Ist  bekannt.   Vgl.  Grimm,  D.  Mythol. 
1056    i.  Aufl.)    und   besonders  0.  Jahn,    Ber.  d.  .sächs.  Ges.  d.  Wiss.  1855         ■    v 


M 


—     267    — 

• 

Zarnolxis  vorausverkUndeten  zauberhaften  Zustand  versetzt,  in 
welchem  sie  am  Tage  todt  dalagen,  in  der  Nacht  aber  wieder 
auflebten.  Den  Paapis  erschlägt  ein  in  die  Derkyllis  verliebter, 
über  ihren  scheinbaren  Tod  verzweifelter  Thulite,  Namens  Thrus- 
canus,  der  sich  dann  auch  selbst  ersticht.  Noch  »vieles  Aehn- 
liehe«  hatte  Dinias  zu  erzählen,  auch  von  dem  Begräbniss  der 
Geschwister,  ihrem  Entweichen  aus  dem  Grabe  *) ,  den  Liebesaben- 
teuern des  Mantinias,  den  daraus  entstehenden  Verwicklungen. 
Hier,  bemerkt  Photius,  endigte  das  23.  Buch  des  ganzen  Wer- 
kes, dessen  Titel  bisher  nur  durch  einige,  am  Anfang  des  Gan- 
zen 2)  vorgebrachte  Nachrichten  über  Thule  gerechtfertigt  war. 
Im  letzten  Buche  erzählte  Dinias  weiter,  wie  sein  Gefährte  Azu- 
lis  ihm  berichtet  habe,  er  habe,  aus  den  von  Mantinias  und 
Derkyllis  mitgenommenen  Zauberbüchern  des  Paapis,  die  Mittel 
ersehen,  durch  welche  nicht  nur  die  Geschwister  von  ihrer 
Verzauberung  befreit,  sondern  auch  ihre,  in  Tyrus  immer  noch 
in  Zauberschlaf  versenkten  Eltefn  zum  Leben  wieder  erweckt 
werden  könnten.  Mantinias  und  Derkyllis  werden  dann  ent- 
zaubert und  eilen  nach  Hause,  um  auch  ihre  Eltern  wieder  zu 
beleben.  Dinias  dagegen  reist  nun  mit  Karmanes  und  Meniskus 
(aber  ohne  Azuiisj  in  die  nördlich  von  Thule  gelegenen  Erd- 
strecken. Hier  kam  er  nun  in  Länder,  wo  das  Sternbild  des 
Bären  im  Pol  stand,  die  Nacht  sich  über  einen  Monat,  sechs 
Monate,    ja  ein  ganzes  Jahr  erstreckte,   und  ebenso  der  Tag^j. 

p.  85.  (Verwandlung  durch  Anspucken,  4  001  Nacht/  N.  269,  VI  p.  4  25 
[Breslauer  Uebers.].  Zuweilen  wird  dadurch  auch  gute  Gabe  verliehen:  so 
Kunde  der  Thiersprache  im  serb.  Märchen  bei  Wuk  N.  3,  Erfüllung  aller 
"Wünsche  im  neugriech.  Märchen  bei  v.  Hahn  N.  4  4  0). 

1)  p.  236,  2:  r/jv  xe  "za^i^^  auTöav  %ai  t^jv  dxeiOev  'j7:avay({»pY)aiv.  Das 
kann  doch  nur  bedeuten:  wie  sie  (in  der  Nacht  nämlich,  wo  sie  ja  wieder 
auflebten)  wieder  aus  dem  Begräbniss  entwichen,  in  welches  man  sie  ge- 
legt hatte,  da  man  sie,  über  den  Wechsel  der  Verzauberung  noch  nicht 
belehrt,  einfach  für  todt  gehalten  hatte.  Hier  also  das  älteste  Beispiel  jener 
bei  den  Romanschreibern  so  beliebten  Erfindung  des  Begräbnisses  von 
Scbcintodten :  vgl.  unten  die  Abschnitte  über  Jamblichus,  Xenophon  von 
Ephesus,  Achilles  Tatius,  Chariten. 

2;  Nämlich  offenbar  da,  wo  Dinias  von  seiner  Ankunft  in  Thule  be- 
richtet hatte. 

3)  Von  einer  sechsmonatlichen  Nacht  in  den  Gegenden  nürdlich  von 
Thule  wissen  Manche  zu  reden  (s.  Fuhr  Pytheas  von  Massilia  p.  4  8  (T. ; 
vgl.  .MüllenhofT  D.  .\lterthumsk.  I  386.  401.  406),  von  einer  zwölfmonat- 
lichen wohl  nur  unser  Diogenes. 


—    268     — 

• 

Dazu  sah  er  noch  menschliche  Wesen  und  andere  Dinge  von 
so  wunderbarer  Arl^)  »wie  sie  Niemand  vorher  weder  gesehen 
noch  schildern  gehört  zu  haben  behauptet  hat,  ja  nicht  einmal 
in  freier  Erfindung  ersonnen  hat«.  Schliesslich  kamen  sie,  im- 
mer nach  Norden  ziehend,  gar  auf  den  Mond,  den  sie  als  eine 
andere,  ciber  hellleuchtende  Erde,  und  aller  Wunder  voll  er- 
fanden 2^.     Dann  wurde  berichtet,   »wie   die  Sibylle  die  Weis- 


1)  Vielleicht  mit  Recht  bezieht  Chardon  de  la  Rochette  p.  58  auf  diese 
Partie  des  Romans  des  Diogenes  die  Worte  des  Synesius  eptst.  CXLVIII 
(p.  731  extr.  ed.  Hercher) :  ol  oe  (die  Cyrenäer  im  Binnenlande)  Stdxcivra 
Td;  p>(&(i.a;  &9rep  t;(Aeu  (nömlich  ungläubig),  Ctov  brzk^  xfiv  l7:£«eiva 
Bo6Xt)c  dixo6o)[jicv ,  fiTt;  roxi  ivzis  i?)  8o6Xy],  Si^oOsa  toTc  Staßdocv  qc^ti?^ 
(ive6^jva  xaX  dve^D.epc'ra  4'e6oe9dat.  Dass  die  Thulitischen  Fabelberichte  des 
Diogenes   eines   gewissen  Ruhmes   genossen,    deutet   eine  Bemerkaog  des 

Servius  zu  Virgils  Georg.  1  80   (vol.  II  p.  477  ed.  Lion)  an:  Tbule] 

miracula  de  hac  insula  fenintur,  sicut  apud  Graecos  Ctesias  (?)  et  Dio- 
genes, apud  Latinos  Sammonicus  dicit.  (vgl.  MüllenhofT  a.  a.  0.  p.  891 
Anm.  2; 

2)  §  9 :  —  xai  t6  rivroiv  dlTriTC^SraTov ,  3ti  ropeuöfuvot  rpö;  ßoppSv  im 
oeXfjvr^N ,  cw;  ir.i  xi-va  •ff^^  TtaftaptDxrfTYjv ,  i:Xt)o(ov  d^f^ovio ,  hui  xe  'fCv6(Arvot 
tooiev  61  elxo;  r^v  (oeTv  ton  T0ta6TT)v  67:epßoX'^|V  irXa9(j.dT0}V  rpoavaTrXdaayrv. 
Diese  ungeschickten  Worte  sollen  doch  wohl  bedeuten,  dass  die  Reisenden 
im  höchsten  Norden  den  Mond  zuerst  ganz  in  der  Nöhe  sahen,  und  dann 
»dorthin  gekommen«,  d.  h.  auf  den  so  nahe  zur  Hand  liegenden  Mond, 
seine  wunderbare  Besehe  (Ten  hei  t  in  Augenschein  nahmen.  Märchenheldeo 
kommen  öfter,  am  Ende  der  Welt,  der  Sonne,  dem  Monde,  dem  Morgen- 
sterne so  nahe,  dass  sie  dieselben  mit  der  Hand  berühren  (oder,  wie  der 
Rheinische  Hausfreund  sagt ,  »einen  aufgehenden  Stern  mit  der  Hand  weg- 
haschen und  in  die  Tasche  stecken«)  können.  Einiges  dergl.  bei  Grimm, 
Kinderm.  HI  p  46  ;zuN.  25).  So  kam  auch  Pytheas  so  weit  nach  Norden, 
dass  ihm  die  Barbaren  »die  Stelle  zeigten,  wo  die  Sonne  schlafen  geht« 
(Geminus  elem.  astron.  5.  Cosmas  Indicopl.  p.  U9  B  ed.  Montf.},  was 
sicherlich  ganz  wörtlich  zu  verstehen  ist.  Auf  dem  Westende  Iberiens  war 
man  dieser  Ruhestätte  der  Sonne  so  nahe,  dass  man  sie  Abends  mit  Zischen 
ins  Meer  sinken  hörte  (Strabo  III  p.  4  38,  nach  Posidonius.  Vgl.  Valer. 
Flacc.  11  87:  rupto  sonuit  sacer  aequore  Titan;  dort  Burmann.  Vgl. 
Cleomedes  r.  [jiet.  ü  p.  4  09  Bake.  Verwandtes  bei  Grimm  d.  Myth.  688  f., 
703  f.).  Diogenes  aber  Hess,  wie  es  scheint,  seine  Helden  sogar  den  kleinen 
Zwischenraum  vom  Erdende  zum  Mond  noch  tiberschreiten.  Wenn  er 
nun,  ein  griechischer  Cyrano  Bergerac,  die  Zustände  auf  dem  Monde 
beschrieb,  so  that  er  dies  nicht  ohne  Vorgänger.  Seine  Freunde,  die  P\'tha- 
gorcer,  wussten  seit  Langem,  wie  es  dort  oben  aussehe.  Sie  hielten  den 
Mond  für  einen  %'^o[jio;  für  sich  (wie  auch  die  anderen  Gestirne),  von 
athmosphärischer   Luft   umgeben   (Plut.   plac.    phil.    II    43,   Stob.   ecl.   I  14 


—    269     — 

sagung  beim  Karmanes  wieder  anhub«^].  Darnach  wurde  einem 
Jeden  der  Reisenden  (durch  die  Gunst  einer  uns  nicht  naher 
bezeichneten  höheren  Macht)  ein  Wunsch  gewährt;  Dinias  selbst 
erwachte,  wie  er  erzHhlt,  seinem  Wunsche  gemäss  im  Herakles- 
tempel  zu  Tyrus,   wohin   ihn   also  schlafend  seine  Wunschkraft 

p.  440,  28  Mein.),  bewohnt  wie  unsere  Erde,  aber  von  animalischen  Wesen, 
welche  die  irdischen  um  das  Fünfzehnfache  an  Grösse  überträfen,  wie  auch 
die  Gewächse  dort  oben  den  unsrigeü  an  Schönheit  überlegen  s^ien  (Plut. 
ibid.  II  80,  Stob.  ecl.  I  26,  i  p.  4  58,  15  Mein.).  Die  Bewohner  scheiden 
keinerlei  Excremente  aus  (ibid.) ,' worin  sie  mit  Lucians  Mondmenschen 
übereinkommen,  welche  oOx  droupoOoi  xal  dcpo^G^ouotv  (Ver.  hifit.  I  28), 
dagegen  Honig  schnauzen  und  Milch  schwitzen  (I  24).  Diese  Weisheit 
theilten  die  Pythagoreer  mit  den  Orpbikern  (s.  Plut.  plac.  II  48) ,  welche 
den  Mond  dXXtjv  fOLlrt^  direCpiTov  nannten,  'S)  iz6}X  oupc  ^x^t,  t:6}X  dforea, 
itoXXd  piXa&pa  (s.  Lobeck  Agl.  p.  499  f.);  dass  sie,  wie  aller  eigentliche 
Aberglaube,  in  der  pythagoreischen  Schule  alt  war,  beweist  der  Spruch 
bei  Jamblichus  Y.  Pyth.  §  82:  t(  ^otiv  at  [laxeipcov  vfjOot;  tJXio;  ,  oeXifjvT]. 
Sie  dachten  sich  also  diese  Gestirne  als  Aufenthalt  der  verstorbenen  From-^ 
men  (so  noch  die  Neupiaton iker:  s.  Wyttenbach  zu  Eunap.  V.  S.  p.  417) 
Daher  auch  die  Grösse  und  Schönheit  (und  Reinheit)  der  dortigen  Geschöpfe. 
In  der  fabelhaften  Ausmalung  des  Mondlebens  mögen  sie  übrigens  zum 
Theil,  wie  in  ihren  abergläubischen  Vorstellungen  überhaupt,  älteren  popu- 
lären Phantasien  gefolgt  sein:  so  spricht  z.  B.  von  der  fünfzehnfach  über- 
menschlichen Grösse  der  Mondbewohner  auch  der  Mythensammler  Herodorus 
von  Heraclea  fr.  28  (Fr.  bist.  11p.  35).  Ich  denke  aber,  es  ist  wahrschein- 
lich genug,  dass  der  pythagorisirende  Diogenes  jene  altpythagoreischen 
Mondfabeln  zur  Grundlage  seiner  eigenen  Berichte  gemacht,  und  dass  vor- 
nehmlich seine  Lügen  Lucian  Ver.  bist.  I  24 — 26  habe  parodiren  wollen. 
—  Den  Mond  nannte  Diogenes  y^v  xa&apoiTdlTTjv.  Der  Ausdruck  ist  undeut- 
lich: »hellleuchtend«  (wie  -i^Xto;  xa&ap(i;,  cpdoc  xa&apöv  etc.)  habe  ich  oben 
nur  versuchsweise  übersetzt;  »une  terre  absolument  nue«  übersetzt  Chardon 
de  la  Röchelte  p.  4  3,  ganz  verkehrt.  Vielleicht  sollen  die  Worte  nur 
heissen:  eine  richtige  zweite  Erde,  wie  man  sagt  %adapol "EXXtjvcc,  echte, 
vollständige  Griechen,  xaOapö^  T([ji(uv,  %adapoc  SoOXo;  (vgl.  Meineke  zu  An- 
tiphan.  'A^p.  X,  vol.  III  p.  6,  der  aber  ohne  Grund  bei  Dio  Chrysost.  48 
p.  240  R.  das  xaöapöi;  Z^rrnn  "EXXr^va;  in  xaftapouc  verSndert:  vgl.  Liban. 
I  848,   3,  xai^apwc  7:6X1;). 

1)  <1);  V)  SlßuXXa  rfjV  [xavxixVjv  dr.b  KapfidNou  dvIXaßev.  p.  236,  39,  »on 
voit  ensuite,  que  la  Sibylle  apprit  de  Carman^s  Tart  de  la  divination«  über- 
setzt Chardon  de  la  Röchelte  p.  4  3  ganz  getrost,  ohne  mit  Einem  Worte 
anzudeuten,  was  er  sich  bei  dieser  Sibylle,  die  im  fünften  Jahrhundert  die 
Weissagung  erst  von  einem  obscuren  Karmanes  zu  erlernen  hat,  eigentlich 
denke.  Freilich  übersetzt  auch  Fabricius  B.  Gr.  X  p.  723  Harl. :  Sibyllam 
ait  artem  vaticinandi  a  Carmane  accepisse.  —  Von  was  für  einer  Sibylle 
ist  hier   überhaupt  die  Rede?    Ich  weiss  keinen  andern  Rath,  als  an  jene 


—     270     — 

{getragen  hatte  ^].  Er  stand  auf  und  traf  in  Tyrus  Mantinias 
und  Derkyllis  gesund  und  glücklich  an^  eben  so  ihre,  von  dem 
Todesschlaf  befreiten  Eltern. 

Soweit  die  Erzählung  des  Dinias.     Er  Hess  dann  von  der 
Derkyllis  —  die  er  bei  dieser  Gelegenheit  seinem  Landsmanne 


Sibylle  zu  denken ,  welche  bei  Plutarch  de  sera  num.  vind.  22  (IV  p.  4S 
Tauchn.)  Thespesius  in  seiner  ekstati8chen  Vision  weissagend  singen  hört, 
worauf  dehn  der  ihn  begleitende  Dämon  ihn  belehrt,  i^v  (poi'Wjv  thai  Y.i^\i)Xrfi' 
aoeiv  Ydp  aM^v  rcpi  t&v  p.e>A^vTa)V  is  Ttp  rpootOrqi  if^;  oeXifjVT^c  ircpi^po- 
(AivT|V.  Auf  dem  Monde  trifft  also  diese  Sibylle  auch  Dinias  mit  seinen 
Genossen  an.  Denn  dass  diese  wunderliche  Darstellung  nicht  etwa  von 
Plularch  erfunden  sei,  t>ezeugt  sein  eigener  Bericht,  de  Pyth.  oraic.  9.  Dort 
gedenkt,  an  dem  Steine,  auf  welchem  die  erste  von  Helicon  nach  Delphi 
gekommene  Sibylle  gesessen  hatte,  Serapion  t&v  indöv  iv  ot;  &(xvt]9cv  ivj- 
Tt^s  — ,  also  ölterer  sibyllischer  Verse  (nur  durch  Missverständniss  der 
Plutarchischen  Stelle  verleitet,  iässt  Clemens  Strom.  I  p.  858,  i%  ff.  Pott, 
dasselbe  den  Saparlmv  h  {ttcoiv  berichten,  oder  las  er:  iv  oic  Sf&vT]ocv 
aM^i*f).  In  diesen  £rT)  nun  sagte  die  Sibylle  von  sich  voraus,  t&c  oM. 
d7:odavouaa  XifiS«  p.avrix'Jic ,  dXX'  aWj  jxev  dv  tiq  öeXVjvo  repUtot,  t6  xqiXo6- 
pievoN  cpacv^picvov  YevopL^vr^  rpöaoiTcov  tctX.  Es  scheint  mir  mehr  als  wahr- 
scheinlich, dass  Antonius  Diogenes  dieses  alten  Glaubens  sich  bediente,  um 
unter  den  Raritäten  der  Mondwelt  schliesslich  seine  Helden  auch  jene 
urälteste  Sibylle  antreffen  zu  lassen.  Und  die  sollte  vom  Karmanes,  der 
doch  bis  dahin  von  solchen  Gaben  nichts  hat  verspüren  lassen,  die  Mantik 
erlernt  haben?  Ich  glaube,  n^v  piavTtxi^jv  dsika^t  ist  gesagt  wie  dvaXaßctv 
rdtXiv  Tf,v  dpXT^^  f  '^fi  TToXaidc  ^6^;  (lipo;  ti  dvaXaßcTv ,  tov  X^^ov  dvoXaßclv, 
nämlich  in  der  Bedeutung:  wieder  erlangen,  wieder  aufnehmen,  wieder 
anheben.  Die  Sibylle,  vermuthllch  aus  Mangel  an  Gelegenheit  seit  ihrem 
Aufenthalt  auf  dem  Monde  der  Weissagung  entwöhnt,  hub  ihre  Kunst  der 
Mantik  wieder  bei  dem  Karmanes  an,  indem  sie  ihm  eben  sein  Schicksal 
vorausverkündigte.  —  Anders  wüsste  ich  diesen  rflthselhaften  Bericht  nicht 
zu  verstehen,     el  oc  Xl^et  tu  d[XXo>;,  TrXaTcta  iciXeudo;. 

1)  Hier  ist  eines  der  ältesten  Beispiele  der  später  in  Märchen  so  gewöhn- 
lichen, durch  eine  göttliche  Macht  verliehenen  Kraft  zaubermächtiger,  stet^ 
und  sofort  in  Erfüllung  gehender  Wünsche.  Von  anderer  Art  ist  z.  B.  die 
Sage  vom  Thcseus,  dem  Poseidon  nicht  bei  einer  bestimmten  Gelegenheit^ 
sondern  für  eine  beliebige  spätere  Anwendung  die  Gunst  verliehen  hatte 
pir^oiv  {jidTatov  £;  Tpt;  eO^asOai  ^ec}>,  wie  aus  dem  Hippolytus  des  Euripides 
bekannt  ist.  Aehnlich  dagegen  namentlich  das  ächte  Märchen  von  Philemon 
und  Baucis:  Ovid  metam.  VIII  704  ff.  Aus  den  Märchen  modemer  Völker 
Hessen  sich  unzählige  Beispiele  anhäufen :  Sammlungen  bei  Grimm,  Kinderm. 
III  p.  U7  f.  (zu  N.  87],  Benfey  Panlschatantra  I  p.  495 — 499,  Oesterley  za 
Kirchhofs  Wendunmuth  <,  4  80  (Bd.  V  p.  45);  vgl.  auch  Liebrecht,  Orient 
und  Occident  III  878. 


—    271     — 

»vorstellte  —  Tafeln  von  Cypressenholz  herbeibringen,  damit  auf 
lieser  Erasinides  der  Athener,  der  Begleiter  des  Kymbas,  ein 
Eledekünstler,  die  eben  erzählten  Abenteuer  aufzeichne.  Diese 
Aufzeichnung  solle  Kymbas  in  zwei  Exemplaren  anfertigen  lassen, 
fon  denen  er  eines  selbst  mitnehmen  möge,  das  andere  aber 
1er  Derkyllis  hinterlassen  solle ,  damit  sie  es  dem  Dinias,  nach 
seinem  Tode,  in  eine  Kiste  verschlossen  mit  in  das  Grab  lege. 
Hiermit  schloss  der  eigentliche  Roman.  Ein  hinzugefügter 
Brief  des  Antonius  Diogenes  an  seinen  Freund  Faustinus  redete 
von  der  Sorgfalt,  mit  welcher  jener,  aus  älteren  Erzählern, 
seinen  Stoff  gesammelt  habe.  Ein  Brief  aber  an  Isidora,  die 
Schwester  des  Antonius,  leitete  das  Ganze  ein.  Dieser,  als  einer 
lernbegierigen  Frau,  war  das  gelehrte  Werk  gewidmet.  Un- 
mittelbar an  die  Widmung  schloss  sich,  als  einleitendes  Acten- 
stttck,  ein  Brief  des  Balagros  an  seine  Frau,  die  Tochter  des 
Antipater,  Phila  mit  Namen ^).  Balagros  erzählt  dieser,  dass 
nach  der  Einnahme  von  Tyrus  durch  Alexander  den  Grossen, 
ein  Soldat  den  König,  welchen  Hephaestion  und  Parmenion  be- 
gleiteten, als  zu  einer  wunderbaren  Entdeckung  zu  einem  Orte 
ausserhalb  der  Stadt  geführt  habe,  wo  sich  unter  der  Erde  eine 
Reihe  steinerner  Särge  mit  folgenden  seltsamen  Inschriften  fand : 
»Lysilla   lebte   35   Jahre«,  »Mnason,    des  Mantinias  Sohn,   lebte 


1)  Diese  Phila,  die  edle  Tochter  des  Antipater  (von  der  man  ein  so 
schönes  Bild  aiis  Diodors  Schilderung,  XIX  59  erhält)  ist  bekannt  genug. 
Sie  wurde  (im  J.  322)  mit  Kraterus  verheirathet,  nach  dessen  frUhem  Tode 
mit  Demetrius  Poliorketes,  nach  dessen  Verdrängung  aus  Macedonien  (287) 
sie  sich  durch  Gift  tödtete.  Von  einer  Verheirathung  mit  Balagros  (oder 
richtiger  Ba>.axpo;:  s.  Dindorf.  Steph.  Thes.  s.  v.)  liest  man  freilich  nir- 
gends etwas,  indessen  wird  sich  gegen  Droysens  Vermuthung  (Gesch.  d. 
Hellen.  I  98  Anm.  95)  nichts  Triftiges  einwenden  lassen,  wonach  Phila 
schon  vor  ihrer  Vermählung  mit  Kraterus,  mit  diesem  Balakros  vermählt 
gewesen  wäre.  Dieses  ist  um  so  eher  denkbar,  wenn  —  wie  Dr.  auch 
annimmt  —  der  Bai.  des  Antonius  Diogenes  kein  Anderer  sein  sollte,  als 
Balakros,  Sohn  des  Nicanor,  einer  der  kgl.  Leibwächter,  den  Alexander 
lom  Satrapen  von  Ciiicien  machte  (Arrian.  anab.  II  42,  2),  und  der  C&vto; 
In  'AXe$avopou  ermordet  wurde  (Diodor  XVIII  22) ,  wodurch  denn  Philas 
Hand  vor  322  wieder  frei  wurde.  Ich  sehe  dämm  keine  Veranlassung,  das 
Bi>%a7pov  des  Photius  mit  C.  Müller  Pseudocallisth.  p.  XIX  in  KpdTepov  zu 
▼erändern.  Ohne  rechten  Grund  hält  Fabricius  B.  gr.  X  723  den  Balakros 
des  Antonius  für  den  von  Steph.  Byz.  dreimal  citirten  macedonischen 
Geschichtsschreiber. 


—     272     — 

von  71  Jahren  66«,  »Aristion,  des  Philokles  Tochter,  lebte  von 
52  Jahren  47u,  )'Mantinias,  des  Mnason  Sohn,  lebte  42  Jahre 
und  760  Nachte«,  »Derkyllis,  des  Mnason  Tochter,  lebte  39 
Jahre  und  760  Nilchte«,  Dinias  der  Arkader,  lebte  125  Jahre«*). 
Als  die  Herren  rathlos  diese,  mit  Ausnahme  der  ersten,  durch- 
aus unverständlichen  Inschriften  betrachteten,  bemerkten  sie 
ein  an  der  Wand  des  Grabgewölbes  stehendes  kleines  Kästchen 
von  Cypressenholz,  auf  welchem  geschrieben  stand :  »Fremdling, 
wer  du  auch  sein  magst,  öffne,  damit  du  die  Erklärung  dessen 
findest,  worüber  du  dich  verwunderst«.  Im  Innern  des  Kastens- 
fand  man  jene  Cypressentafeln ,  auf  denen  Dinias  seine  Aben — 
teuer  hatte  verzeichnen  lassen.  Balagros  nun  hatte  von  diesei 
Tafeln  eine  Abschrift  nehmen  lassen ,  die  er  seiner  Frau  über- 


schickt ^j.    Als  ihr  Inhalt  folgte  alsbald  die  Erzählung  des  Dinias.     ^. 


1)  Die   Lösung  des  Räthsels  der  Inschriften  ist  freilich ,  nach  voraus- 
geschicktem Inhalt  des  Romans,  sehr  einfach.     (Etwas  sinnreicher  mit  tthn 
licher  Wendung,  eine  Grabscbrift  bei  Dio  Cass.  LXIX  19,  2:  Z((jiiXtc  ivraOl» 
itciTai,  ßiou;  fjiev  Irr)  TtSaa,  Ji^aa;  Ik  £tt)  iirtd.)     Die  Eltern  hatten  also  5  vo! 
Jahre   in  Todeserstarrung  gelegen,    Mantinias  und   Derkyllis  nicht  wenigi 
als  760  Tage  und  Nächte  zwischen  Tod  und  Leben  gewechselt.    Unbestim 
bar  bleibt  übrigens,  wer  die  vorangestellte  Lysilla  ist,  von  der  Photius  ni 
gends  ein  Wort  sagt.    'Aptoricov  (PdoxX^ouc  p.  237,  38  kann  Niemand  ande: 
als  die  Mutter  der  Derkyllis  sein  sollen.    'Apia-rituv  ist  aber  ein  Manne 
name!     Man  schreibe  'ApbTiov,  Deminutiv  von  'ApiaTc6:  solche  Deminuti 
weiblicher  Namen   sind  zwar  zumeist  Hetären  eigen,  es  finden  sich  ab^ 
auch  Bürgerfrauen  des  Namens  Zcasaptov,    Ntxctpiov  u.  s.  w.     Vgl.  Lobec 
Prol.  Pathol.  75. 

2)  Irrtbümlich  behauptet  R.  Hercher  N.  Jahrb.  f.  Philol.  Suppl.  I  p.  2 
die  Fiction  von  ausgegrabenen  Tafeln ,   durch  welche  man  irgend  welche 
bedenklichen  Schriftwerken   grösseres  Ansehen   geben  wollte,    komme 
dem    ersten   Jahrhundert   nach   Chr.    G.    nicht  vor.     Abgesehen  von  d 
controversen  Fall  der  Genealogien   des  Akusilaus  (Suid.  s.  'A%ou9.)  giebt 
ein  sehr  berühmtes,  von  Hercher  übersehenes  Beispiel  dieser  Art  aus  y~ 
früherer  Zeit:  nämlich  die  angeblichen    (pythagorisirenden;  Religionsbüclm 
des  König  Numa,  die  man  im  J.  4  81  vor  Chr.  auf  dem  Janiculus  ausgriEl'-' 
s.   Cassius   Hemina  und  Piso  bei   Plinius  n.   h.   XIII  §  84 — 87.     Varro  b^/ 
Augustinus  C.  D.  VII  34,   Livius  XL  29,  Plutarch  Numa  22  u.  s.  w.    Ver- 
muthlich  gehörten  solche  wirklich  veranstaltete  oder  nur  vorgegebene  AuA- 
tindungen  vergrabener  angeblich  alter,  in  Wahrheit  ganz  neuer  Bücher  zo 
den  Künsten,  mit  denen  die  büchersammelnden  hellenistischen  Könige  von 
specuiativcn  Köpfen  betrogen  wurden,  von  deren  Erfindsamkeit  die  Erklärer        ■  .^^ 
zu  den  aristotelischen   Kategorien  p.  28  a  einige  saubere  Proben  mittheilen 


-frs 


(vgl.  Dio  Chrysost.  or.  XXI  p.  505  R.)     Die  famose  Geschichte  von  dem  Keller        ■  l^; 


—     273     — 

Die  hier  gegebene  Uebersieht  des  Inhaltes  dieses  ältesten 
Romans  wird  es  wohl  von  selbst  rechtfertigen,  dass  ich  den- 
selben den  ethnographischen  Utopien  als  seinen  nächsten  Ver- 
wandten angeschlossen  habe.  Offenbar  sollte,  nach  der  Absicht 
des  Verfassers,  das  Ganze  zunächst  ein  reiches  und  mannich- 
faltiges  Repertorium  aller  jener  sonderbaren  Sagen  und  Berichte 
sein,  mit  welchen  die  Wundersucht  der  griechischen  Erzähler 
alle  Länder  der  bekannten  Welt  überzogen  hatte,  entweder 
nach  wirklicher  Erkundung,  oder  auch  nur  nach  den  Ein- 
gebungen jener  urgriechischen  »Lust  zu  fabuliren«,  welche 
dieses  Volk,  selbst  noch  in  seiner  »aufgeklärten«  und  gelehrten 
Zeit,  unwiderstehlich  antrieb,  jenem  Weltgedichte,  welches  die 
Menschheit,  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  weiterspinnend,  sich 
selbst  dichtet,  seinerseits  die  bizarresten  Märchen  einzuilechten. 
An  Stoff  konnte  es  einem  solchen  Unternehmen  nicht  gebrechen . 
Geographen,  Historiker,  Sammler  von  Seltsamkeiten  (Paradoxo- 
graphen) ,  endlich  die  Schaar  der  Erzähler  phantastischer  Utopien 
hatten  dem  Antonius  Diogenes  eifrig  vorgearbeitet;  aus  ihren 
Schriften  mögen  die  »Zeugnisse  älterer  Autoren«  entnommen 
sein ,  auf  die  sich  Diogenes  zur  Bestätigung  seiner  eigenen 
Wunderberichte  berief,  wie  er  denn  auch  einem  jeden  Buche 
ein  Verzeichniss  der  in  demselben  benutzten  Schriftsteller  vor- 
ausschickte ^] .  Die  Namen  dieser  Schriftsteller  für  erlogen  zu 
halten,  sind  wir  nicht  berechtigt 2).  Wenn  er  es  nur  mit  der 
Kritik  der  Ueberiieferung  nicht  allzu  genau  nahm,  konnte  er 
ja  selbst  das  Ueberschwänglichste  im  Bereich  des  Unglaublichen 
bei  irgend  einem  älteren  Gewährsmann  schon  ganz  ehrbar  vor- 
getragen finden.  Was  sein  Werk  von  denen  seiner  Vorgänger 
wesentlich  unterschied,  war  hauptsächlich  wohl  nur  die  kecke 
Verschlingung  so  vieler  sonst  vereinzelter  und  versprengter  Ab- 
sonderlichkeiten zu  einem  ganzen  Netze  von  » Unglaublichkeiten  a. 


za  Skepsis  (Plut.  Siill.  26,  Strabo  XIII  p.  608  f.)  hat  auch  einen  ganz  eigen- 
thüailichen  Beigeschmack.  —  Von  späteren  Beispielen  ist  wohl  das  lehr- 
reichste dasjenige  des  aDgebÜchen  Dictys  (s.  die  Vorrede  des  latein.  Dictys, 
Malalas  chron.  p.  133,  4  f.;  250,  2  ff.  u.  s.  w.). 

1)  §  U. 

2)  Ich  wüsste  wenigstens  nicht,  wodurch  sich  diese,  von  Hercher,  N. 
Jahrb.  für  Philol.  Suppl.  I  p.  279  aufgestellte  Behauptung  rechtfertigen 
Hesse.  Sicherlich  doch  nicht  durch  die  harmlose  Fiction  jenes  Briefes  des 
Balakros. 

Rohde,  Der  griechische  Roman.  Ig 


—     274     — 

welches  die  ganze  Well  wunderlich  schimmernd  tiberspannte 
und  schliesslich  gar  über  die  üusserste  Thule  noch  hinausragte, 
um  im  Monde  einen  allerkecksten  Ilaltpunct  zu  gewinnen ,  von 
welchem  aus  der  Held  nur  durch  einen  verwegenen  Wunsch 
sich  sprungweis  wieder  in  die  natürliche  Welt  zurückzuschwin- 
gen vermochte.  Gewiss  gerieth,  in  der  verlockenden  Gesell- 
schaft seiner  »alteren  Autoren«,  auch  Antonius  selber  in  Feuer, 
und  begann  nun  auch  auf  eigene  Hand  zu  fabuliren  und  auf- 
zuschneiden, immer  aber  mit  so  feierlicher  und  biederer  Miene, 
dass  selbst  der  ernste  Porphyrius  seine  Nachrichten  über  Pytha- 
goras,  die  doch  gleich  mit  einer  frei  erfundenen  Geschichte  von 
der  Jugend  des  Astraeus  eingeleitet  wurden,  als  »sorgfältige  Be- 
richte« hinnehmen  konnte.  Eben  jene,  von  Porphyrius  benutz- 
ten Berichte  über  Pythagoras  zeigen  uns  deutlich  die  eigentfittm- 
liche  Mischung,  zu  welcher  Antonius  wirkliche  Angaben  älterer 
Autoren  mit  seinen  eigenen  Erdichtungen  zusammenrüttelte. 

Wir  müssen  übrigens,  um  die  richtige  Vorstellung  von  dem 
Ganzen    zu    gewinnen,    den,    der  Absicht  des  Diogenes  nach, 
wichtigsten,  rein  stofflichen  und  gelehrten  Bestandtheil  des  Ro- 
mans in  einer  viel  breiteren  Masse  durch  die,  über  24  Bücher 
ausgedehnte  Erzählung  verbreitet  denken,   als  uns   der  Auszug 
des  Photius  noch  erkennen  lässt.     Dieser  giebt  uns  nämlich  im 
Wesentlichen  nur  den  Faden,   an  welchem  jene  aberteuerliche 
Gelehrsamkeit  aufgereiht  war :  die  eigentliche  Fabel  des  Romans, 
also   die  eigenste   Erfindung   des   Diogenes  selbst.     Hier  ist  es 
nun  bedeutsam,    wie    spärlich    und    fast    schüchtern   in  dieser 
Fabel  die   erotischen  Elemente  verwandt  sind.     Kaum, 
wir  einmal  erfahren ,    dass  der  weise  Dinias  in  Thule  mit  Der- 
kyllis  ein  LiebesbUndniss  einging,   dass  Mantinias  während  de 
Nächte,    in   denen  er   von   dem   Zauber   des  Aegypters   befreifl 
war,    verliebten  Abenteuern   nachging,   dass  jener   heissbltttiga 
Thulite,    Thruscanus,    ein  »feuriger  Liebhaber«   der  Derkyllis*"" 
gewesen  sei,  und  sie  zu  rächen  den  heimtückischen  Paapis  er- 
schlug, bei  welchem  man  übrigens  vielleicht  ebenfalls  erotisch 
Motive   zu    der   beharrlichen   Verfolgung    der  Derkyllis 
setzen  darf.     Das  bestimmende  Motiv  des  Ganzen  war  aber  d 
Liebe  nicht,  sondern  nur  ein  gelegentliches  Reizmittel,  welche 


1)  iparct^^  oidr-jpo;  Aepx'jXXlSoc  p.  285,  35. 


—     275    — 

ohne  den  Verlauf  des  Ganzen  zu  beherrschen,  nur  gelegentlich 
die  Reihe  unerhörter  Schauspiele  und  Wunder  mit  einem  mehr 
psychologischen  Interesse  beleben  sollte.  Die  ganze  Art,  in 
welcher  hier  die  Erotik  mit  dem  fabulosen  Stoffe  verbunden 
ist,  macht  den  Eindruck,  als  ob  diese  Verbindung  erst  eine  vor 
Kurzem  geschlossene,  beiden  Theilen  noch  unbequeme  sei.  Ob 
Diogenes  gerade  der  erste  war,  der  durch  Zusammenlöthen 
seiner  beiden  Hauptbestandtheile  den  griechischen  Roman  ge- 
schaffen hat,  mag  dahingestellt  bleiben;  zahlreiche  Vorgänger 
hat  er  schwerlich  gehabt^).  Photius  scheint  ihn  geradezu  für 
den  ältesten  aller  griechischen  Romanschreiber  zu  halten,  in- 
dessen mag  den,  auf  dem  Gebiete  dieser  Litte raturgattung  durch- 
aus nicht  unkundigen  Patriarchen  zu  dieser  Meinung  wohl  nur 
seine  freilich  ganz  verkehrte  Versetzung  des  Diogenes  in  die 
Zeiten  kurz  nach  Alexander  dem  Grossen  verleitet  haben.  Nicht 
mit  unrecht  aber  hält  er  ihn  für  ein  Vorbild  der  späteren 
Romanschreiber,  des  Jamblichus,  Achilles  Tatius  und  Heliodor^j. 
Vermuthlich  Hesse  sich,  wenn  das  Werk  des  Antonius  Diogenes 
vollständig  erhalten  wäre,  ein  Zusammenhang  dieses  älteren  mit 
den  jüngeren  Romanen  auch  in  manchen  Einzelheiten  erkennen. 
So  viel  bemerken  wir  auch  jetzt,  dass  die  ganze  Richtung  der 
späteren  Romane  in  diesem  älteren  Vorbild  schon  vorgezeichnet 
ist.  Hierüber  ist  in  den  einleitenden  Remerkungen  dieses  Ca- 
pitels  hinreichend  gesprochen.  Es  scheint  aber,  als  ob  Dioge- 
nes nicht  nur  in  der  Darstellung  eines  Liebespaares  auf  Reisen 


1)  Nach  Photius  §  44  erwähnte  Antonius  eines  Antiphanes,  der  vor 
ihm  ähnliche  Absonderlichkeiten  erzählt  habe.  Man  hält  diesen  Antiph.  in 
der  Regel  für  den  oben  berührten  Antiphanes  von  Berga:  so  Fabricius, 
B.  Gr.  VIII  4  57  Harl.,  Meineke,  Com.  I  p.  840  u.  A.  Es  scheint  mir  aber 
doch  sehr  zweifelhaft,  ob  Diogenes,  der  ja  auf  die  Glaubwürdigkeit  seiner 
Berichte  so  eifrig  pocht,  gerade  diesen  verrufensten  Lügenerzähler,  einen 
griechischen  Münchhausen,  unter  seinen  Vorgängern  habe  aufzählen  mögen. 
Vermuthlich  ist  ein  anderer,  uns  unbekannter  Antiphanes  gemeint:  denn 
von  den  sonst  noch  gelegentlich  genannten  Schriftstellern  dieses  Namens 
(s.  Meineke  a.  a.  0.,  Paulys  Realenc.  1  p.  4152  [S.  Aufl.]}  passt  freilich 
auch  keiner  hierher. 

2)  §  48: Tfiv  Trepl  SwovlSo  xal  *Po5dvY]v  [Jamblich],  Aeuxliiirijv  rt 

XQtl  KXsiTO^Ävra  [Achilles  Tatius],  xtX  XapixXeiav  xal  Bea^^^jN  [Hellodor], 
twv  Te  TTCpi  auTou;  i:Xaop.dlToiv  xal  tJj;  TrXdvTjc,  i^tiyzms  ts  %a\  dpTtaY^;  x«i 
xcvi'jvoiv  ii  AspxuXXlc  xoii  Ki^jpu)^.o;  xat  Bpouoxavöc  xal  Aetvb;  ^otxaat   irapdi' 

18* 


—     276    — 

und  der  Gefahren  und  Abenteuer,  welche  seine  Flucht  aus  dem 
stockenden  Leben  der  civilisirten  Welt  begleiten,  den  späteren 
Romanschreibern  zum  Muster  gedient  habe ,  sondern  auch  in 
der  leichtfertigen  Motivining  dieses  ziellosen  Wandems  und 
Schweifens,  und  somit  in  dem  ganzen  lockern  Aufbau  der 
eigentlichen  Geschichte.  Vielleicht  konnte  schon  sein  Beispiel 
die  Nachkommenden  ermuthigen,  auf  eine  psychologische  Be- 
grtlndung  der  Abenteuerfahrt  ihrer  Helden  so  leichtmttthig  zu 
verzichten,  wie  es  thun,  dieselben  vielmehr  durch  irgend  eine 
äusserliche,  leicht  ersonnene  Gewalt  ins  Weite  getrieben  worden, 
und  nun  Stürme,  Piraten  und  tausend  Zufälligkeiten  für  be- 
liebige Verzögerung  der  Heimkehr  und  Länge  der  Erzählung 
sorgen  zu  lassen. 

Nichts  drückt  wohl  den  Mangel  an  psychologischer  Kunst 
in  den  griechischen  Romanen  bedeutsamer  aus,  als  der  Name 
des  leitenden  Dämons,  der  in  ihnen  dem  liebenden  Paare  so 
grausame  und  wechselnde  Schicksale  bereitet.  Es  ist  kein  an- 
derer als  die  Tyche«  die  Gottheit  des  Zufalls:  sie  herrscht 
und  schaltet  nach  Willkür  über  das  arme  Paar,  das  ihre  Laune 
durch  die  Welt  hetzt.  W>nn  aber  diese  Romandichtung  sich 
vielfach  in  einer  künstlich  schwebenden  Phantasicwelt  bewegt: 
—  mit  diesem  Glauben  an  die  Mac^ht  eines  tückischen  Zufalls 
steht  sie  völlig  auf  dem  Boden  ihrer  Zeit ,  der  letzten  Lebens- 
zeit des  Griechenthums  *) .  Die  Tyche  ist  eine  junge  GOttin. 
Homer  kennt  sie  noch  nicht;  von  Archilochus  bis  Aeschvius 
tritt  sie  bei  den  Dichtern  auf  als  ein  Dämon  im  Dienste  höherer 
Gottheiten,  der  Moira  ähnlicher  als  einem  willkürlich  seine 
Gaben   verlheilenden  Zufall  2).     Wie   aber  der  Glanz  der  Olym- 


1;  An  Lehrs*  Aufsatz  über  die  Tyche  :Popul.  Aufs.)  brauche  ich  our 
mit  Einem  Worte  zu  erinnern. 

2)  Pausanias  IV  SO,  3  findet  die  erste  Erwähnung  der  T'V/y]  bei  »Homer« 
h.  in  Cer.  417:  schwerlich  ist  aber  die  dort,  und  bei  Hesiod  Theog.  M, 
auftretende  Okeanine  Tyche  mit  der  späteren  Glücksgöttin  identisch.  Diese 
wird  erwähnt:  Archilochus  fr.  <6;  als  Tochter  des  Prometheus,  Schwester 
der  Eunomia  und  Pcilho,  bei  Alcman.  fr.  62;  als  Tochter  des  Zeu;  'EXio- 
ftipio;,  als  eine,  und  zwar  die  mächtigste  der  Moiren,  bei  Pindar,  Ol.  XII  i  ff. 
und  im  Hymnus  nuf  Tyche,  fr.  13  p.  565  Bückh.  Ein  herrliches  Lob  der 
Tyche  in  dem  Bruchstück  eines  unbekannten  Melikers  bei  Stobäus  ecl.  I 
6,  13  (s.  Bcrgk,  Lyr.  ed.  3  p.  135i  f.).  Die  Tyche  besang  auch  Sophocies: 
8.  Bergk,  Lyr.  p.  576;  im  Dienste  eines  Gottes  tritt  sie  auf  bei  Aeschylus 


—     277     — 

pier  allmählich  verbleicht,  tritt  dieser  neue  Dämon  immer  be- 
drohlicher leuchtend  hervor.  Gewann  er  auch  wohl  nie  eine 
fest  ausgeprägte  greifbare  Gestalt,  gleich  den  alten  Göttern^), 
vermochte  er  auch  nie,  gleich  diesen,  in  wichtigen  Entschei- 
dungen Gedanken  und  Willensrichtung  des  Menschen  zu  be- 
stimmen, so  fühlte  man  um  so  mehr  die  äusseren  Schicksale 
des  Menschen  beherrs^cht  von  seiner  Willktlr,  welche  alle  Pläne 
und  klugen  Veranstaltungen  des  Sterblichen  rücksichtslos  über 
den  Haufen  werfen  konnte.  Zuerst  tritt  diese  neue  Herrin  der 
Menschengeschicke  kecklich  neben  die  alten  Götter.  Schon 
dem  Thucydides  ist  sie  die  eigentliche  Lenkerin  der  Weltge- 
schichte ;  wie  ihre  Thätigkeit  sich  zu  dem  Machtgebiet  der  Götter 
verhalte,  lässt  er  in  vorsichtigem  Dunkel 2).  Die  Redner  des 
vierten  Jahrhunderts  sprechen  wohl  nur  den  Volksglauben  aus, 
wenn  sie   die  Tyche   die  Herrin  aller  menschlichen  Dinge  nen- 


ilgam.  664:  s.  Nägelsbach,  Nachhom.  Theol.  p.  453.  Vgl.  übrigens  nament- 
lich  Welcker,  Gr.  Götterl.  II  799  ff.  —  (Wie  man  sich  es  zu  denken  habe, 
dass  eine  solche  Göttin  des  Zufalls  dennoch  unter  der  Leitung  eines  weise 
regierenden  Gottes  handle,  der  Moira  sich  füge  [o'j  fdp  r,pb  fiolpa;  ii  rj/r^ 
^idCerai  Trag.  ine.  424  p.  718  N.],  ihre  Gaben  gerecht  austheile  [tj-v^tio'jo 
-^piöv  hceCoTip  T^v  xax'  d$(av  T6yT)  |  fieplSa  ibid.  425],  mag  man  mit  Hülfe 
einer  halb  antiken  Vorstellung  Dante 's  sich  vergegenwärtigen.  Auch  er 
kennt  eine,  von  Gott  zur  Verwaltung  und  unaufhörlichen  Bewegung  der 
menschlichen  Dinge  eingesetzte  Göttin  Fortuna,  welche  auf  eigene  Hand, 
und  doch  als  Gotles  general  ministra  e  duce,  für  stete  Veränderung  der 
irdischen  GlücksverhäUnisse  sorgt,  oltre  la  difension  de'  senni  umani,  nach 
eigenem  Rathschluss,  ched  b  occnito  com'  in  erba  l'angue;  gegen  Anklagen 
der  Menschen  taub,  dreht  sie  ihr  Rad,  e  beala  si  gode.  S.  Inferno  c.  VII 
Vs.  70 — 96.  Vgl.  Jac.  Burckhardt,  Die  Cultur  der  Renaissance  in  Italien 
p.  402). 

1)  Merkwürdig  Menander  fr.  ine.  XLIII  {IV  247) :  dö6vaTov,  w;  dsTiv  ti 
«(b|«.a  Tfj«  T6yr^;  xtX. 

2)  Ueber  rjyt)  bei  Thucydides  s.  Classen,  Thucyd.  I  p.  LIX,  LX  (2.  Aufl.j: 
dass  aber  Thucydides  die  Tuyrj  sich  »nicht  als  eine  blind  zufällige,  sondern 
als  eine  nach  einer  höheren  Ordnung  waltende  Macht«  denke,  (wie  Gl. 
meint),  ist  wenigstens  nirgends  ausgesprochen.  Wenn  er  öfter  tu^t]  und 
ftAit-fi  einander  entgegensetzt  (s.  Gl.),  so  scheint  damit  doch  eher  eine 
Meinung  von  der  T6)rrj  angedeutet  zu  sein ,  wie  sie  in  der  64.  Rede  des 
s.  g.  Dio  Chrysostomus  (p.  328  R.)  als  die  allgemeine  ausgesprochen  wird : 
-rdc  dSVjXou«  t&v  rpaYfiaTtov  fuxaßoXdc  elc  Taunjv  dlva^^pouai,  xal  oi;  dizo 
Yvc^fAT^c  irr/^cipTjaaNTc;  Btfj(jiapTov,  To6Ta>v  dlcpiQpf)9dai  vo(jiiCo'jaiv  0::6  vrfi  vjyri^, 
^;  rivta  TcepiTToieTv,  ei  deXtjoai,  o'jvafxdvt);.     (Vgl.  Plautus,  Pseud.  678  ff.). 


—     278     — 

neu  ^] .  Als  dünn  aber  das  jjiesaminte  helienische  Staatengebäude 
zusaininenbrach ,  nach  den  ungeheuren  Erfolgen  des  niacedoni- 
schen  Eroberers  die  Lage  der  ganzen  Well  wie  tlber  Nacht  sich 
umgestaltete,  dann  weiter  in  den  wilden  Kämpfen  der  Diadochen 
und  Epigonen  Sieg  und  Niederlage,  Gewinn  grosser  Reiche  und 
tiefste  DemUthigung  ^so  plötzlich  mil  einander  wechselten ,  wie 
im  Gewitter  grelles  Blitzleuchten  mit  unheimlicher  Finsterniss, 
als  auch  die  Verhältnisse  der  Einzelnen  in  unsicheres  Schwan- 
ken geriethen  :  —  da  meinte  man  in  dem  wüsten  Durcheinander 
nur  noch  das  grausame  und  launische  Spiel  eines,  menschlicher 
Vernunft  untheilhaftigen,  gegen  die  Satzungen  des  Rechts  gleich- 
gültigen Dämons  des  willkürlichen  Zufalls  zu  erkennen.  Ein 
«luserwähltes  Spielzeug  der  Tyche  schien  andern  und  sich*  selbst 
der  unruhige  Demetrius  Poliorketes  zu  sein^j.  Aber  wie  viele 
Beispiele  bot  jene  Zeit  dar  für  ein  Werk  »Ueber  die  Tychea, 
wie  es  Demetrius  der  Phalereer  schrieb,  um  das  Spiel  der  »un- 
zuverlässigen und  Alles  gegen  unsere  vernünftige  Erwartung 
umändernden,  in  unerwarteten  Streichen  ihre  Macht  prahlend 
darthuenden «   Göttin    zu   illustriren'j.      Wie   lebhaft  die  allge- 

1)  Demosth.  Olynth.  II  §  ü:  fUfdXT]  f>on^  {aoXXov  Ik  oXov  i^  tu^t^  mfA 
Tzd^iZ  dati  TÄ  Ttb'i  dvdpttntov  r.^jdfit.n'zoL.  Aeschiu.  f.  leg.  §  13<  :  —  did  tiiv 
rj/T^v,  T^  rdlvTffiN  irzl  x'jp(a.  Diese  und  viele  andere  Stellen  bei  Nägelslwcb, 
Nachhom.  Theo!,  p.  154  fT.  Sogar  Plato  stellt  einmal  (Leg.  IV  709 AB),  ab 
einen  nicht  durchaus  zu  verwerfenden  Gedanken,  die  Meinung  auf,  t^oc 
eivat  oyeSov  aravca  xd  dlvftp<{)7:tva  Ttp^Yfxara,  freilich  um  alsbald  verbessernd 
zu  sn^cn,  Gott,  xal  ficTa  ^eoü  ':6/t]  xal  xatp«S;,  endlich  t^/vt),  leiteten  die 
menschlichen  Dingo. 

2)  S.  Plutarch.  Demctr.  85:  d)X  t)  T(iyr^  rcpl  oOoiva  twv  ßaotX^v  loftfv 
oGtw  Tpond;  Xa3eTv  [kz^dkii  xai  taysia;  xtX.  Ai6  xat  ^aotv  a'Mv  ht  wi; 
ye(pooi  jUTafloXaic  rp6c  Tfjv  T6yT^v  dvacpH^YT^'^^*  "^  Alay6)veiov  *  o6  to(  |tf 
cp'jod;,  c6  [xe  xaTa(Oeiv  (xaTa'joveTv ,  xara^^^teiN  hat  man  vorgeschlagen.  Eio 
Fut.  ist  wohl  nöthig.  xaTaixiclv?)  ooxsi;.  —  Aus  etwas  früherer  Zelt  di« 
sehr  merkwürdige  Anekdote  von  der  Tyche  des  Timotheus,  Sohnes  d« 
konon,  bei  Plutarch  Sulla  6.  (Entnommen  vielleicht  einer  Schrift  tc.  tu}^: 
dieselbe  Anekdote  auch  bei  Pscudodion  or.  LXIV  [irepl  76/7;;]  p.  SS7  R- 
In  derselben  Rede ,  p.  338 ,  wird  übrigens  die  Unbeständigkeit  der  Tyche 
namentlich  auch  an  den  Schicksalen  der  Diadochen  illustrirt,  auch  des  De- 
metrius  Poliorketes  nicht  vergessen). 

3)  Demetrius  Phal.  rrcpi  T6/7j;:  s.  Fr.  bist.  gr.  II  p.  868.  Aus  der- 
selben Schrift  vielleicht  die  Bemerkung  des  Demetrius  Phal.  über  das  nicbt 
einmal  einen  Tag,  sondern  keinen  Augenblick  lang  sichere  Glück  des  Men- 
schen,  bei  Plutarch  consol.   ad  Apoll.  6.     Vielleicht  auch  der  Ausspruch 


—     279     — 


meine  Volksansichl  von  der  Macht  der  Tyche  überzeugt  war, 
lässt  namentlich  die  Komödie  jener  Zeiten  erkennen^).  Immer 
wieder  reden  ihre  Dichter  von  der  Gewalt  der  Tyche,  der  blin- 


des Demetrius  bei  Laertius  Diog.  V  82 :  ou  (xövov  töv  IIXoOtov  IcpT)  pjcpXöv, 
d>Ad  'All  T^jV  Ä^TjYouaav  aOiiv  Tuyr^v.  —  Dem.  hatte  die  ungeheuren  Schick- 
salsveränderungen des  macedonischen  und  persischen  Reiches,  weiche  seine 
Zeitgenossen  selbst  erlebt  hatten,  als  deutlichstes  Beispiel  der  Macht  der 
Tyche  angeführt.  Dergleichen  historische  Beispiele  auch  bei  Aelian  V.  H. 
IV  8.  —  Charakteristisch  ist  auch  der  Ausspruch  des  Theophrast  bei 
Platarch  cons.  ad  Apoll.  6 :  ^oxono;  -q  Tu}^7)  xal  ^eiv^  7capeXdo0at  Ta  ;:po7:e- 
ÄOVTjfiiva,  xal  firraf^iij^ai  r^v  ooxoüoav  cuT^fAeplav,  o6dlva  xaip^v  lyo'joa  Taxtöv. 
(Vielleicht  aus  dem  Ka)Aiad£v7)«  des  Theophr. :  vgl.  Cic.  Tuscul.  V  9,  25).  — 
Aehnliche  Erlebnisse  Hessen  die  Römer  seit  Ausgang  der  Republik  an  eine 
nngemessene  Gewalt  der  Fortuna  (»ludum  insolentem  ludere  pertinax  for- 
tuna  — «  Hör.)  glauben;  worauf  hier  nicht  einzugehen  ist  (vgl.  indessen 
Plinius  n.  h.  II  7,  22;  s.  DöUinger,  Heidenthum  und  Judenthum  p.  301. 
Eine  wahrhaft  grässliche  Vorstellung  von  dieser  Fortuna  zeigt  das  Gespröch  • 
zwischen  ihr  und  dem  blutgierigen  Höllengott  bei  Pctron,  c.  de  hello  civili 
67 — 421).  —  Aus  älterer  Zeit  auch  noch  die  Apostrophe  des  Rhetors  Myron 
an  die  Tyche,  bei  Rutilius  Lupus  II  i  p.  75  ed.  Ruhnk. 

1)  Eine  vollständige  Uebersicht  über  zoyt]  in  der  Komoedie  (ausser 
Aristopbanes)  in  H.  Jacobis  Index  dictionis  comicae  p.  1081  f.  Zur  Be- 
kräftigung der  oben  angedeuteten  Vorstellungen  hier  nur  einige  der  prae- 
gnantesten  Aeusserungen.  Blindheit  der  T. :  Menander  (IV  195)  xutpXöv  fe 
xal  WoTTjvöv  (»unselig«)  ioriv  i^  T6xt).  Herrin  der  Welt:  vor  Allem 
Menander  IV  212  f.  Vernunftlos:  Menander  (IV  288,  CCXLVII) :  oOoev  xaTd 
XÖ70V  ^tYved'  wv  TioieT  Tü/t].  T'j)^7]c  avoia  ders.  IV  291,  CCLXV.  Lust  am 
Wechsel:  Menander  (IV  151,  VIII)  (uc  itotxlXov  TrpaYp.'  doxl  xal  rXavov  xiiyT], 
(IV  252,  LXIII) :  m  fjteraßoXaic  /alpouoa  zavroCau  Tuj^t),  IV  96,  I.  Philemon 
IV  31  ,  Anaxandridas  III  162:  vr/t]  oe  zdivra  p.eTa(p£pei  xd  0(6p.aTa  u.  s.  w. 
Com.  anon.  IV  692,  CCCLV.  A;  wpaiCe^'  "^  ^6/7]  7:p6«  toi»;  ßiou;  Menander 
fr.  ine.  291  (IV  295).  Herrschaft  über  die  Menschen:  statt  vieler  nur  den 
einen  berühmten  Ausspruch :  vr/ri  xd  Ovtjt&v  TrpdYixat  oOx  eußouX(a  des 
Tragikers  Chaeremon,  bei  Stobaeus  ecl.  I  6,  7 :  der  Spruch  wird  sehr  häufig 
citirt  (vgl.  Nauck  Trag,  fragm.  p.  607),  der  Komiker  Nicostratus  (III  285,  II) 
giebt  ihm  eine  noch  herbere  Fassung:  tü^t)  xd  dvY}T&v  TTpa^ixad',  i]  rpövoia 
li  I  TutpXöv  Ti  xdouvraxTÖv  doriv,  d)  TtdTep.  Dieser,  in  mancher  Beziehung  zur 
Komoedie  hinüberneigende  Tragiker  Chaeremon  redet  auch  sonst  von  der 
Tyche  ganz  in  dem  Sinne  der  Komiker:  s.  Stob.  ecl.  I  6,  15;  I  7,  2.  Von 
ihm  vielleicht  auch  Stob.  ecl.  16,  16:  TcdvTojv  pjpawo«  t)  T6y7]  'ori  t&v 
08ÄV  xxX.  (Stärker  noch  Pseudodio  or.  LXIV  §  2 :  «iiNÖfjLaoxai  i\  Tj/tj  ttoXXoT; 
Ttoiv  ^  dvOpcuTcoic  ovöfxaaiv:  nichts  anderes  als  die  Tyche  sei  was  man  nenne 
Nemesis,  Elpis,  Moira,  Themis,  Demeter,  Pan,  Leukothea,  die  Dioskuren,  ja 
[nach  §  9]  wohl  gar  Zeus.)     Tyche   =   Zufall:   Philemon  (IV  51,  XLVIII) : 


—     280    — 

den  unseligen  Herrin  der  Welt,  deren  vernunftlose,  nur  am 
ruhelosen  Wechsel  sieh  erlustigende  Willkür  nicht  nur  über  die 
Menschen,  sondern  selbst  tlber  die  Götter  herrscht.  So  von  der 
Oberleitung  der  (Jötter  losgebunden,  ist  diese  Tyche  nichts  an- 
deres als  der  Dämon  des  grundlosen  Zufalls,  die  auch  wohl 
dem  Schlafenden  ihre  Gaben  in  den  Schooss  schüttet^},  um  sie 
eben  so  beliebig  ihm  wieder  zu  rauben,  deren  Gewalt  sich  aber 
eben  darum  der  Einsichtige  ohne  fruchtloses  Widerstreben  fügt, 
»nach  dem  Glücke  lebend «^j. 

Spricht  sich  in  so  trostlosen  Vorstellungen  die  matte  und 
gedämpfte  Empfindungsweise  jener  Zeiten  aus,  so  ist  es  nicht  f 
zu  verwundern,  dass  dieselben  im  weiteren  Verlauf  der  griechi- 
schen Geschichte  sich  noch  mehr  befestigten,  dass  selbst  aus  den 
letzten  Zeiten  des  Griechenthums ,  als  längst  ein  ängstlicher 
Götterglaube  die  Freigeisterei  der  hellenistischen  Periode  ver- 
drängt hatte,  dennoch  uns  immer  wieder  ähnliche  Klagen  über 
die  weltlenkende  und  vewirrende  Macht  der  launischen  vemunfl- 
losen  Zufallsgöttin   entgegentönen  3) .     Am  Lautesten   reden  aber 


1)  Verse  der  neuen  Komocdie  auf  einem  Ttifelchen  in  Newyork  (s.  Wel- 
cker,  Rhein.  Mus.  XV  457):  tji  |ii^  o^^oaxev  i^  T6)^r^  xottM»|iivq)  (idkip 
^pafuixat  xav  urEp  Adha^  ^F^H^Tr  (Anders  freilich  Platen  in  einem  schönen 
Sonette,  welches  schliesst:  —  das  Glück,  wenn  es  nun  kommt,  ertragen, 
Ist  keines  Menschen,  wäre  Gottes  Sache.  Auch  kommt  es  nie,  wir  wetten 
nur  und  wagen,  Allein  dem  Schläfer  f^lU  es  nicht  vom  Dache,  Und  auch 
der  Renner  wird  es  nicht  erjagen.) 

2)  Ztt)[jLeN  TTpö;  a'jT^jV  zi^^  -zdyyi^  ol  0(ucppo*^e;  Menander  monost.  4  89  {IV  845). 

3)  Unter  den  Reden  des  Dio  Chrysostomus  stehen  drei  Declama- 
tionen  über  die  Tyche,  Or.  63,  64,  65,  von  denen  63  und  64,  die  Macht 
der  T^xhe  ausmalend,  jedenfalls  dem  Dio  nicht  angehören,  65,  die  Vor- 
würfe gegen  die  Tyche  abweisend,  nur  ein  Mosaik  aus  einzelnen,  denselben 
Gedanken  immer  wiederholenden  Stellen  ist,  in  dem  wohl  Einzelnes  dem 
Dio  angehören  mag.  Plutarchs  kleine  Abhandlung  repi  t6-^t](,  die  ge- 
wöhnliche Meinung:  rjyr^  xd  ^w]Td>*^  TpeCffiLaT  oOx  e'jßov»X(a  abweisend, 
bestätigt  doch  eben  die  allgemeine  Verbreitung  dieser  Meinung.  Aus  noch 
späterer  Zeit  z.  B.  Philostr.  V.  Soph.  p.  56,  22  (ed.  Kayscr  4871)  59,  4« 
(TjyT);  —  'X'jßepv(6oT];  Sravra)  62,  25.  98,  23.  124,  4  IT.  27.  Eunapius  Vit. 
Sophist,  p.  21  Boiss. :  t^jv  a)vOYOv  T6yT,N,  p.  25:  rffi  el;  aravta  veoteptCoOori; 
T6/t)c.  —  Vgl.  auch  Libanius  I  p.  159,  4:  ^eöv  xe  Ipifov  xat,  utp'  tqtä  irdEvrOr 
T6/T);.  Ueber  die  T6yT],  als  die  xpaToüsa  TavxayoO  xai  ßiaCo|jiyr|  ^tew 
^rep  a^^  i^&s-^  Td  rpd^fjLaTa,  namentlich  auch  Julian  epist.  ad  Themistinm 
(vol.  I  p.  331  ff.  Hertl.).  —  Bei  Dichtern  kommt  die  Tyche  selten  vor.  Vgl. 
indessen  Nonnus  Dionys.  XVI  220,   Palladas    (5.  Jahrb.),  anthol.  Palat.  IX 


—     281     — 

vielleicht  die  Romane  dieser  späten  Zeit.  Im  trüben  Spiegel 
lassen  sie  uns  gleichwohl  mit  unerfreulicher  Deutlichkeit  er- 
kennen, wie  jenen  Zeiten  das  Gesammtbild  des  menschlichen 
Daseins  erschien.  Durch  Länder  und  über  Meere  treibt  die 
»neidische  Tyche«,  wie  sie  immer  genannt  wird^),  ihre  Helden 
vom  Glück  in  das  Elend  und  immer  neue  Noth;  meint  man 
endlich,  nun  sei  des  Unglücks  Gipfel  überstiegen,  so  schleudert 
ein  Zufall,  eine  neue  Laune  des  Dämons  die  Armen  wieder  zu- 
rück.  So  treibt  sie  ein  zwecklos  grausames  Spiel  2)  mit  dem, 
zur  Bewährung  und  Uebung  ihrer  Macht  ^j  auserkorenen  Men- 
schenpaare, ein  Spiel,  dem  keine  menschliche  Ueberlegung  und 
Vernunft  ein  Hindemiss  bereiten  kann.  Dieser  grundlosen,  und 
doch  boshaften  Zufallsmacht  theilen,  mit  vielleicht  einziger  Aus- 
nahme des  Xenophon  von  Ephesus^),  alle  griechischen  Roman- 
schriftsteller eine  wichtige  Rolle  in  der  Verwicklung  ihres 
»Drama« ^)  zu;  selbst  die  Byzantiner,  Eustathius,  Nicetas  Euge- 
nianus,  Gonstantin  Manasse,  verschmähen  es  nicht,  diesem, 
freilich  wohl  noch,  mit  merkwürdiger  Zähigkeit,  in  dem 
Volksbewustsein  selbst  ihrer  Zeiten  lebendig  gebliebenen  ß)  Dä- 


480—483.  Nicht  wesentlich  verschieden  von  der  Tyche  ist  des  Quintus 
von  Smyrna  selbst  den  Göttern  überlegene  Moipa  oder  Aloa  [s.  Köchly, 
Quint.  p.  V— VII). 

1)  Der  Neid  der  Götter,  an  den  die  Alten  geglaubt  hatten,  ist  voll- 
ständig auf  die  Tyche  übergegangen.  So  heisst  es  z.  B.  bei  Plutarch, 
consol.  ad  Apoll.  6:  als  dem  König  Philipp  von  Macedonien  drei  Glücks- 
botschaften auf  einmal  überbracht  wurden,  sagte  er:  ocB  ^aifiov,  (Acxpiöv  ti 
to6toic  divTi^c  iXaTTajfjLaff ,  elocb;  oxi  toi;  p.eYa).ot;  z\)Vjyi\ii.a9i  cp^ovetv  rdcpuxev 

2)  T.ai^ixm  TrdXiv  tj  T(iyr^.     Ach.  Tat.  IV  9,  7. 

3)  Tfj;  T6/7);  ^Ufxvdlaiov  Ach.  Tat.  V  J,  3. 

4)  Wiewohl  auch  bei  Xenophon  von  der  tü/tj  (auch  dem  xvzt/tas  5a(- 
(tiDv)  die  Rede  ist:  p.  849,  4  9  (ed.  Hercher)  u  ö. 

5)  Dieser  Vergleich  mit  einem  Drama  z.  B.  bei  Heliodor,  Aethiop.  VII  6 
p.  4  85,  48  ff.  :  — t^te  Stj  z«»;  etre  ti  oaifiöviov,  etTe  tu/t]  tu  Tdlv^pöbreia  ßpa- 
ße6ouaa  xaivöv  dzeio(Soiov  ine'^a'^tboei  toi;  SpoifA^vot; ,  waTrep  ei;  dlvT- 
a7(6vtop.a  SpdijjiaTo;  dlpx'^i''  ÄXXou   rapeucplpo'jaa ,   xal  t6v   KaXdiatpiv   ei; 

i^|A^pav  'xol  c&pav  dxelvTjv   wairep  i%  fjLTjyavtj; icptortjaiv.     Zugleich   ein 

merkwürdiges  Beispiel  für  die  bequeme  VerNvendung  des  reinen  Zufalls,  die 
hier  ganz  harmlos  ausdrücklich  eingestanden  wird.  (Vergleichung  des  Lebens 
unter  Leitung  der  Tyche  mit  einem  grossen  Maskenzuge  bei  Lucian,  Necyom.  4  6) . 

6)  Noch  heule  glauben  die  Neugriechen  an  die  Tyche:  s.  B.  Schmidt, 
D.  Volksleben  d.  Neugr.  I  p.  224. 


—     282     — 

inon  die  Verantwortung  für  die  abenteuerlichen  Sprünge  ihrer 
Krfindungskraft  aufzubürden *; .  Man  bemerkt  aber  leicht,  wie 
sehr  ein  solches  völlig  irrationales  Element,  in  lebhaft  bestim- 
mende Thatigkeit  gesetzt,  dazu  beitragen  musste,  den  Dichtem 
die  tiefere  psychologische  Begründung  ihrer  Erzählungen  zu  er- 
leichtern, ja  ganz  zu  ersparen. 

Welche  Macht  gerade  Antonius  Diogenes  der  Tyche  einge- 
räumt habe,  ist  aus  dem  Berichte  des  Photius  nicht  zu  erken- 
nen. Es'  kann  sein ,  dass  ich  diesem  Schriftsteller  einiges  Un- 
recht gethan  habe ,  indem  ich  eine  vorausgreifende  Bemerkung 
über  diese,  für  die  Mehrzahl  der  griechischen  Romane  so  wich- 
tige dämonische  Gewalt  gerade  an  die  Betrachtung  seiner  Dich- 
tung angeknüpft  habe^].  Wenigstens  aber  würde  selbst  mit 
einer  sehr  lebhaften  und  regellosen  ThUtigkeit  der  Tyche  in 
seinem  Roman  ein  anderes  Mittel  sich  ganz  wohl  vertragen, 
durch  welches  der  Dichter  seiner  stockenden  Handlung  eine  er- 
neute Bewegung  zu  geben  gewusst  hat,  die  er  aus  inneren, 
psychologischen  Motiven  ihr  zu  verleihen  nicht  vermochte.  Als 
seine  Helden  nach  dem  Getenlande  verschlagen  sind,  und  für 
weitere  Veranlassung  zum  Umherirren  Rath  geschaflft  werden 
muss,  hilft  sich  Antonius  Diogenes  ganz  einfach  damit,  dass  er 
durch  ein  Orakel  ihnen  eine  neue  Irrfahrt  geradezu  vorschrei- 
ben lasst.  Spürt  man  an  diesem  absonderlichen  Auskunfls- 
mittel  zunächst  den  glaubigen  Pythagoreer '%   so  darf  man  docb 


1)  Tyche  bei  Eustath.  am.  Hysm.  p.  247,  45  Herch.;    vgl.  p.  256,  i^  '^ 
bei  Nicetas   Eug.    sehr   häufig,    mit   den   Beinamen:    tu^tt^  ßaoxavo;,  dlYpi^-* 
d^^iaiyo'JOOLj  TraXafjLvala,  iXaorwp,  TrovTjpa,  ouojjicv/);:  I  5J.   299.  801.  306.  84  •- 
319.  II  46.  III  250.  V  276.  VI  87.  VII  205  ff.  (wo  ihr  ausdrücklich  entgege  um- 
gesetzt wird  r^   deoü  Trpövoia  tou    aojxTjpiou)    VIII  174  f.,  289.  818.  IX  *^ 
235   f.     (Odövo;   VIII   65;    oalficnv   aXaTump   IX   38).     In   den   Excerpten  0>  «^ 
dem  Roman  des  Const.  Manasse,  vgl.  111  1   IT.  15.   IX  3  (IX  87  ff.).  —  I>»' 
Aussagen   der  älteren   Romanschreiber   (Jamblich,   Hcliodor  u.  s.  w.)   ü.l>^ 
die  Tyche  werden  bei  der  Betrachtung  ihrer   Romane   gelegentlich   berü>t*  ** 
werden. 

2)  Die  Pythagoreer,    obwohl  sicherlich  nicht   in    den    Chor  der,     <i** 
Willkür  der  Tyche  Anklagenden  einstimmend,  scheinen  doch  eine  gewi*^^ 
grundlose  drj/ia    und    xuyVj  einzelner  Menschen    nicht  ganz  geleugnet    ^^ 
haben :  s.  Aristo&enus  (hier,  wie  in  seinen  Oy^aYopixat  aro;pda€tc  überhaupt 
nur  von  den  späteren  Pythagoreern  der  älteren  Schule  redend)  bei  Sto- 
bäus  eclog.  16,   18.     Vgl.  auch  den  s.  g.  Eurysus  ::.  Tj/ac  ib.  19. 

3)  Die   gläubige   Hinneigung  der  Pythagoreer,   alten   und   neuen  Suis, 


—     283     — 

nicht  vergessen,  dass  etwa  seit,  dem  Beginne  des  römischen 
Kaiserreiches  der  Glaube  an  die  Allwissenheit  der  Orakeldämo- 
nen ,  nach  einer  langen  Zeit  der  Ungläubigkeit ,  mit  anderer 
Deisidaemonie  sich  durch  das  ganze  Reich,  und  nicht  am 
Wenigsten  unter  den  Unterthanen  griechischer  Zunge,  aufs 
Neue  ausbreitete;  und  bis  zum  endlichen  Zusammensturz  der 
alten  Religion  die  Gemtlther  beherrschte.  Freilich  befragte  man, 
in  der  matten  Zeit,  die  alten  HeiligthUmcr  und  die  zahlreichen 
neu  emporschiessenden  Stätten  der  Weissagung,  nach  Plutarchs 
Klage,  nicht  mehr  um  wichtige  Angelegenheiten  des  Staats  und 
Rechtes,  sondern  um  die  alltäglichsten  Dinge,  um  Erwerb  und 
Geldverdienst,  um  Ankauf  von  Sklaven  und  Bestellung  der 
Felder,  um  Heilung  von  Krankheiten  und  die  Opportunität  einer 
Eheschliessung.  Um  so  mehr  griff  die  Orakelweisheit  lehrend 
und  leitend  in  das  Innere  des  täglichen  Lebens  und  Verkehrs 
ein :  und  man  versteht  nun  leichter,  wie  die  Romandichter,  den 
Antonius  Diogenes  an  der  Spitze ;  ohne  den  Schein  der  Absur- 
dität befürchten  zu  müssen,  um  die  Schicksale  ihres  Paares  die 
Götter  selbst  sich  bekümmern,  und  ihren  Irrgang  durch  »ge- 
heiranissvoH  offenbare«  Orakelsprüche  bestimmen  lassen  moch- 
ten. Durch  solch  einen  lenkenden  Götterspruch  konnte  sogar 
der  ganzen  Erzählung  eine  höhere  Weihe,  ja  eine  fast  religiöse 
Würde  gegeben  werden.  In  diesem  Sinne  verwendet  Heliodor 
das  Orakel  des  pythischen  Gottes.  Anderen  wie  dem  Xenophon 
von  Ephesus  und  dem  Achilles  Tatius  diente  das  Orakel  mehr 
zum  bequemen  Hebel  in  der  Romanmaschinerie ;  die  Byzantiner 
^Eustathius,  Theodorus  Prodromus)  bedienten  sich  seiner  ganz 
gedankenlos  als  einer  einmal  hergebrachten  Verzierung. 

Wie  übrigens  die  planmässige  Leitung  durch  einen,  die 
Zukunft  vorherschauenden  Gott  sich  mit  dem  unberechenbaren 
Treiben  der  Tyche  vertrage,  deuten  uns  diese  Dichter  nirgends 
an.  Es  scheint  aber,  dass  sich,  ihrer  Vorstellung  nach,  beide 
Mächte  ganz  einträchtiglich  neben  einander  bewegen.  Denn 
nach  allen  Stürmen,  nach  allem  grimmigen  Wüthen  der  »neidi- 
schen Tyche«  klärt  sich  am  Ende  immer  der  Himmel  wieder 
auf,  und  wohlbehalten  trägt  ein  günstiger  Wind  die  bedrängte 


zur  Mantik  jeder  Art  (ausser  der  Eingeweideschau)  ist  bekannt:  die   Zeug- 
nisse bei  Zeller,  Philos.  d.  Gr.  I  394,  III  %,  4  28. 


—    284     — 

Tugend  in  den  ersehnten  Hafen  der  Glückseligkeit.  Dieser 
glückliche  Ausgang,  welcher  das  Laster  bestraft,  die  Tugend 
angemessen  belohnt ,  gehört  ganz  wesentlich  zur  Charakteristik 
des  griechischen. Romans.  So  wenig  wie  irgend  einer  seiner 
Nachfolger  entbindet  sich  Antonius  Diogenes  von  der  Regel  einer 
wohlgefälligen  Auflösung  aller  kaum  ernstlich  gemeinten  Disso- 
nanzen. Ja,  Photius  hebt  mit  besonderem  Lobe  hervor,  dass 
aus  den  wunderlichen  Phantasien  des  Antonius  » zwei  sehr  nütz- 
liche Erkenntnisse  zu  erbeuten«  seien,  die  nämlich,  dass  der 
Frevler  am  Ende  st^ts  bestraft,  die  Unschuldigen,  mögen  sie 
auch  den  grössten  Gefahren  preisgegeben  erscheinen,  wider 
Erwarten  zuletzt  immer  gerettet  würden  i).  Diese  moralische 
Vergeltung  findet  er  besonders  an  dem  Schicksal  des  Keryllus 
und  des  Paapis  verdeutlicht  2) . 

Hier  hätten  wir  denn  also  jene  »poetische  Gerechtigkeit«, 
die  manche  Aesthetiker  sogar  dem  Homer,  Sophokles  und  Sha- 
kespeare andemonstrirt  haben ,  in  ihrer  ganzen  Herrlichkeit 
vor  uns.  Es  mag  sein,  dass  dieses  flache  Princip  gerecht 
genannt  werden  darf:  poetisch  ist  es  sicherlich  nicht,  schon 
darum,  weil  es  so  gänzlich  unwirklich  ist.  Die  Geschicke  der 
Menschen  verlaufen  nicht  nach  diesem  Princip:  thäten  sie  es, 
wozu  bedürfte  es  der  stets  erneuten  Versuche,  durch  eine  re- 
ligiöse Ausdeutung  und  Anleitung  einen  causalen  Zusammen- 
hang zwischen  Tugend  und  Glück  herzustellen,  den  ein  Unbe- 
lehrter  in  dieser  Welt  zu  finden  nicht  im  Stande  ist,  und  den 
auch  der  Gläubige  zuletzt  nur  in  einer  ewig  »jenseits»  gelege- 
nen Welt  der  reinsten  Gerechtigkeit  zu  finden  vermag.  Von 
seltenen  Fällen  al>gesehen,  in  denen  er  sich  geradezu  in  den 
Dienst  einer  Religion  stellt,  wird  der  ächte  Dichter  der  Religion 
überlassen,  dieses  ihr  wichtigstes  Problem  in  ihrer  Weise  zu 
lösen.  F>  selbst  geht  andere  Wege.  Gewiss  wird  er  es  nicht 
verschmähen,  auch  freundlichere  Geschicke  friedlich  auf  ebenem 
Strom  dahingleitender  Menschen  darzustellen.  F>  allein  aber 
darf  es  auch  wagen,  im  Drama  oder  Romane  wahrhaft  tragische 
Schicksale  edler  Menschen  darzustellen,  ohne  uns  doch  mit  dem 
Fiindruck   einer  schneidenden  Rrutalität   zu  entlassen ,    wie   sie 


ij  §.  u. 

2,   p.  234,  34  ff.,  p.   235,  87.     Vgl.  auch  p.  235,  21   ff. 


.    —    285    — 

eine  blosse  Abschrift  des  Lebens  und  seiner  harten  Ungerech- 
tigkeit uns  erregen  würde.  Er  wird  seinen  Helden,  der  im 
Anfang,  gleich  jedem  naiven  Menschen,  nach  Glück  auszog, 
durch  Leiden  zu  der  Einsicht  führen,  dass  er  das  Ziel  falsch 
gewählt  habe,  und  am  Ende  ihn  zwar  nicht  in  die  behaglichen 
Gefilde  der  Glückseligkeit  aber  über  alles  Verlangen  nach 
Glück  empor  führen.  Es  liegt  ein  eigener  Trost  in  der  Er- 
kenntniss  dass  wir  nicht  zum  Glück  geboren  sind;  der  tragische 
Dichter  lässt  uns  diesen  Trost  empfinden.  Ist  sein  Held  wesent- 
lich passiver  Natur,  so  sinkt,  nach  übergrossen  Qualen  des  Tages, 
dem  Leidenden  doch  endlich  die  Nacht  hernieder;  wer  empfin- 
det nicht,  am  Ausgang  der  »Wahlverwandtschaften«  in  dem, 
statt  aller  Glückshoffnungen  nahenden  Lebensende  etwas  von 
dem  »Paian  Tod«,  von  dem  die  alten  Tragiker  reden?  Der  heroi- 
sche Charakter  aber,  wenn  er  auch,  in  den  Wirbel  einer  feind- 
lichen Welt  geworfen,  von  seinem  Ziele  abgetrieben,  an  seinem 
Glück,  der  höchsten  Energie  des  Handelns,  gehindert,  in  bittere 
Leiden  verstrickt  wird,  wird  von  dem  Dichter,  eben  durch  seine 
Leiden,  zu  einer  Höhe  empor  geführt,  auf  welcher  er,  über 
allem  Glückverlangen  erhaben,  ein  ganz  anderes  Ziel  sich  vor- 
gestellt sieht,  und  sich  selber  getreu  zu  bleiben  als  sein  oberstes 
Lebensgesetz  erkennt,  an  dessen  Erfüllung  er  Alles  setzt. 

Zu  dieser  Höhe  tragt  uns  indessen  nur  der  starke  Flügel- 
schlag des  Genius  empor;  schwächere  Dichter  thuen  vielleicht 
ganz  recht,  wenn  sie,  der  oben  erwähnten  Brutalität  auswei- 
chend, ihre  Dichtungen  nach  dem  Princip  der  s.  g.  poetischen 
Gerechtigkeit  anlegen,  welches  nichts  anderes  ist  als  eine  Sanc- 
tionirung  jenes  Glaubens  an  die  causale  Verknüpfung  zweier  so 
völlig  geschiedener  Dinge  wie  sittliche  Güte  und  irdisches  Glück 
sind.  In  voller  Unschuld  lebt  dieses  höchst  unwirkliche  Princip 
freilich  nur  im  Märchen,  welchem  (ganz  im  Unterschied  vom 
Mythus)  dieser  kindliche  Optimismus  wesentlich  und  überall 
eigen  ist;  wer,  wie  die  meisten  griechischen  Romandichter,  so 
viel  von  der  ungerechten  Willkür  der  weltregierenden  Tyche 
zu  reden  weiss,  der  kann  jene  Märchenmoral  vom  endlichen 
Glück  des  Guten  nur  wie  einen  erborgten  Mantel  der  Missge- 
stalt des  wirklichen  Weltwesens  überhängen:  er  zerstört  nur 
bei  dem  Leser  jede  ernstliche  Wirkung  der  Leiden  und  Ge- 
fahren, in  denen  er  seine  Helden  umtreibt,  ohne  doch  die  lieb- 


—     286    — 

liehe,  so  kindlich  holdselige  Naivetät  des  Hehlen  Märchens  irgend- 
wie zu  erreichen.  Es  sei  übrigens  unverhohlen,  dass  in  einigen 
dieser  Romane ,  und  vielleicht  nicht  am  Wenigsten  bei  Antonius 
Diogenes,  ein  religiöser  Glaube,  der  alle  Leiden  nur  als  eine 
wohl  bedachte  Pitlfung  durch  eine  weise  Gottheit  darzustellen 
sich  bemüht,  den  gemüthlichen  Ausgang  etwas  weniger  fade 
erscheinen  lässl.  Nur  erwarten  wir  wohl  nicht  mit  Unrecht, 
bei  dem  Uebertritt  aus  dem  Epos  in  den  Roman  auch  die 
mythische  Welt  mit  ihren  patriarchalischen  Göttern  hinter 
uns  gelassen  zu  haben.  — 

Ist  nun    in  den    bis  hierher    betrachteten   Gharakterzügen 
Antonius  Diogenes   uns    durchaus    als    ein    alterer  Bruder  der, 
durch  unverkennbare  Familienähnlichkeit  sich  ihm  anschliessen- 
den griechischen  Romane  späterer  Zeit  erschienen,  so  zeigt  sich 
ein  fundamentaler  Unterschied  zwischen  ihm  und  allen  späteren 
Romanschreibem ,    sobald  wir  das  Verhältniss  des  Inhalts  zur 
Form  der  Dichtung   in  Betrachtung  ziehen.      Bei  Diogenes  ist 
das  stoffliche  Interesse  im  entschiedensten  Uebergewicht  über 
die  Sorge    für   eine    kunstreiche   und   anziehende  Darstellung. 
Man   könnte  dies  schon  aus  dem  gänzlichen  Stillschweigen  des 
Photius  über  die  stilistischen  Verdienste  des  Antonius  schliessen; 
wäre  hierüber  etwas  zu  sagen  gewesen,   so   hätte  der  kundige 
Patriarch  hier  so  wenig  wie  bei  den  übrigen,  von  ihm  in  seiner 
» Bibliothek  tt  besprochenen  Autoren  eine  Bemerkung  zu  machen 
unterlassen.     Deutlicher  reden  die  Auszüge  bei  Porphyrius :  sie^ 
bewegen  sich  durchaus  in  jener  bequemen,  völlig  schmuckloseik^ 
Gelehrt«nsprache ,    wie    sie    das   Zeitalter   der  alexandrinische 
Polymathie   zur  einfachsten  Darlegung   ihres  stofflichen  Wi 
sich  zurecht   gemacht  hatte.     Wir  hören  auch  in  dem  Bericht 
des  Photius  nichts  von  pathetischen  Reden ,  gezierten  Beschrei — 
buneen  von  Kunstwerken  und  Raritäten,  landschaftlichen  Schii — 
derungen,    gedrechselten  Briefen  der  Romanhelden:   nichts  vo^ 
all  jenen  rhetorischen  Prunkstücken  der  späteren  Romanschrei. - 
ber.     Es   ist  kein   Zweifel:    Diogenes  ordnete  die    redneriscl^^ 
Form  dem  stofflichen  Inhalte  seiner  Erzählung  völlig  unter.    Dm« 
übrigen  Romanschreiber  stallen  die  Sorgfalt  für  die  Form  dex"- 
jenigen   für  einen   bedeutenden   Inhalt  zum   mindesten    gleieim  : 
ja,  sie  benutzen  die  Fabel  ihres  Romans  wohl  gar  nur  als  ein^ 
Gelegenheit,   ihre   formale  Gewandtheit   zu   entwickeln.     Schon 


—    287     — 


der  zeitlich  dem  Diogenes  am  Nächsten  stehende  Roroanschrei- 
ber,  Jamblichus,  trennt  sich  in  dieser  Beziehung  von  Antonius 
Diogenes.  In  der  Zeit  zwischen  diesem  und  jenem  hatte  eine 
neue  Macht  bestimmenden  Einfluss  auf  die  Entwicklung  des 
griechischen  Romans  gewonnen:  die  sophistische  Redekunst. 


in. 
Die  griechische  Sophistik  der  Kaiserzeit 

1. 

Die  attische  Beredtsamkeit  hatte  zur  Zeit  der  äussersten 
Bedrängniss  des  Staates  durch  König  Philipp  ihre  kühnste  und 
lauterste  Flamme  emporlodern  lassen.  Mit  der  Freiheit  zugleich 
sank,  ermüdet,  auch  sie  zusammen.  Der  grossen  Staatsberedt- 
samkeit  im  Sinne  des  Demosthenes  fehlte  fortan  ein  würdiger 
Gegenstand,  an  welchem  sie  ihre  Kraft  und  Kunst  bewähren 
konnte.  Die  gerichtliche  Beredtsamkeit  starb  wohl  sieher  nicht 
ab;  aber  sie  lebte,  so  scheint  es,  ohne  Glanz  in  der  Stille  wei- 
ter. Die  künstlichere  Beredtsamkeit  zog  sich  nunmehr  in  die 
Schulen  zurück;  sie  verwandelte  sich  theils  in  ein  nur  theo- 
retisches Wissen  um  die  Kunst  der  Bede,  theils  übte  sie  ihr 
altes  Kunstvermögen  in  rednerischen  Scheinkämpfen  und  Tur- 
nieren, oder  in  prüchtif^en  Fest-  und  Prunkreden.  Auch  diese 
Kunst  der  nur  noch  wohlgercilligen  Bede  wanderte  aber  von 
Athen  aus  nach  den  volkreichen,  in  leidlichem  Frieden  blühen- 
ten  Städten  des  griechischen  Kleinasiens.  Dort  scheint  sie  ein 
wenig  beachtetes  Dasein  im  Schatten  der  Schulsäle  weilerge- 
führt zu  haben.  Wir  wüssten  kaum  irgend  etwas  von  diesem 
Dasein,  wenn  sie  nicht  doch,  diese  schwächere  und  weichlichere 
Tochter  der  alten  glorreichen  attischen  Bedekunst,  die  Lehrerin 
der  Bömer  und  so  die  Mittlerin  geworden  wäre,  durch  deren 
Verdienst  eine  Ahnung  wenigstens  von  der  kunstmässigen  Ent^ 
Wicklung  des  edelsten  menschlichen  Organs  durch  alle  Barbarei 
der  mittleren  Zeiten  sich  bis  in  die  neuere  Culturperiode  er- 
halten konnte.  Vornehmlich  aus  römischen  Berichten  erfahren 
wir  denn,  dass  in  aller  Verborgenheit  die  asiatische  Beredtsam- 


—    289    — 

keit  ein  regsames  Leben  entfaltete,  in  welchem  wohl  mancherlei 
Richtungen  sich  kreuzen  und  bekämpfen  mochten.  Ausser  einer 
strengeren  und  ntlchterneren  Uebung  der  Kunst,  wie  sie  vor- 
nehmlich auf  Rhodus  sich  erhalten  hatte,  gab  es  eine  üppigere 
Weise,  welche  im  Glänze  eines  barock  überladenen  und  grellen 
Schmuckes  der  Rede  sich  gefiel,  die  unter  dem  Namen  der 
asianischen  übel  bekannte  Beredtsamkeit.  Indessen  auch 
innerhalb  dieser,  über  viele  Städte  und  Provinzen  verbreiteten, 
asianischen  Manier  müssen  mannichfache  Schattirungen  bestan- 
den haben.  Von  anderen  Unterschieden  einzelner  Secten  dieser 
Schule  abgesehen,  sei  nur  Folgendes  hervorgehoben.  Während 
einer  der  ältesten  Vertreter  der  asianischen  Weise ,  der  Rhetor 
und  Geschichtsschreiber  Hegesias,  wegen  seiner  fratzenhaften 
Schreibart  von  allen  Kritikern  einer  späteren  Zeit,  und  nicht 
am  Wenigsten  von  Cicero  verhöhnt  und  verurtheilt  wird,  gab 
es  doch  unter  den  asianischen  Rhetoren  des  letzten  Jahrhunderts 
vor  Chr.  G.  einige  »keineswegs  verächtliche «%  wenn  es  anders 
erlaubt  ist,  dem,  in  rednerischen  Dingen  so  erfahrenen  und 
feinen  Urtheil  des  Cicero  ein  wenig  mehr  Glauben  zu  schenken, 
als  der  » modernen  Kritik«,  die  freilich  alle  Mitglieder  der  asia- 
nischen Schule  mit  gleicher  Verdammniss  straft. 

Nach  Rom  übertragen ,  konnte ,  trotz  ihrer  etwaigen  Ver- 
dienste, diese  Kunst  der  blossen  Uebungs-  und  Prachtrede  den 
grossen  Aufgaben  des  öffentlichen  Lebens  der  Republik  nicht 
genügen.  Aufs  Neue  sollte  die  Beredtsamkeit  Ernst  machen, 
und  in  den  heissen  Kämpfen  bürgerlicher  Zwietracht  die  Leiden- 
schaften entflammen ,  leiten  und  bändigen.  Die  ungemeinen 
rednerischen  Kräfte  der  römischen  Staatsmänner,  welche  doch 
keineswegs  die  Zucht  der  Schule  verschmäheten,  gingen  bald 
über  die  lebenden  Lehrmeister  in  Asien  zu  den  unsterblichen 
Vorbildern  und  Mustern  der  altattischen  Beredtsamkeit  zurück; 
aus  den  verschiedenartigsten  Studien  und  deren  Zusammenwir- 
ken mit  der  grossen  eigenen  Begabung  der  einzelnen  Redner 
ging  eine  neue  Kunst  selbständiger  und  lebensvoll  mannichfaltiger 
Beredtsamkeit  hervor. 


1)  Cicero  ia  eineu  oft  citirteD  Stelle,  orator  69,  231 :  —  fratres  illi, 
Asiaticorum  rbetorum  principes,  Hierocles  et  Menecles,  minime  mea  sen- 
tentia  contemnendi.  etsi  enim  a  forma  veritatis  et  ab  Atticorum  regula 
absuDt,  tarnen  hoc  Vitium  compensant  vel  facultatc  vel  copia. 

Bohde,  Der  gridchische  Roman.  19 


—     290     — 

Al>er  mit  der  Republik  fand  auch  in  Houi  die  grosse  und 
freie  Beredtsamkeit  ihr  Ende.  Es  blieb  wiederum  die  Schul- 
beredtsamkeit  übrig;  ja,  diese  gewann  nun  in  dem  fest 
liegründeten  weiten  Reiche  baUl  einen  neuen  und  grossartigen 
(ilanz.  Zuuäclist  bauschte  eine  kokette,  griechisch-römische 
Kunstrednerei  in  Rom  und  Italien  sich  auf,  nicht  zum  Beifall 
der  ernster  (jcsinnten,  welche  sich  der  männlicheren  Klänge  • 
der  republicanischen  Beredtsamkeit  noch  wohl  erinnerten,  aber 
bedeutsam  durch  den  tiefgehenden  Einfluss,  den  sie  auf  die 
reichen  Talente  der  römischen  Dichter  und  Schriftsteller  der 
damaligen  Zeit,  als  ihrer  Aller  Lehrmeisterin,  ausübte.  Als, 
bei  allmählichem  Erschlaffen  des  Kunstvermögens,  ja,  der  all- 
gemeinen Begabung  in  der  lateinischen  IlHlfte  des  Reiches,  eben 
der  Mangel  des  Talentes,  welches  sie  bis  dahin  getragen  hatte, 
der  griechisch-römischen  Redekunst  in  jenen  Gegenden  die 
Kraft  entzog,  fluthete  dieselbe  endlich  wieder  zurück  nach  ihrer 
östlichen  Ileimath.  Sie  traf  dort  einige  nie  erloschene  Funken 
der  alten  asianischen  Kunstübung  an  ^)  :  aus  ihnen  entfachte  sie 
eine  neue  Flaumie. 

Etwa  seit  der  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts  gewinnt  in 
Griechenland  und  Kleinasien  die  alte  Redekunst  neues  Leben. 
Viel  glänzender  als  einst  in  den  asianischen  Schulen  blüht  sie 
wieder  auf;  sie  bemächtigt  sich  der  gesammten  litterarischen 
Kunstthatigkeit  der  Griechen;  sie  tritt  in  den  Mittelpunct  ihres 
geistigen  Lebens,  dem  sie  einen  neuen  Aufschwung  giebt;  unc^ 

1;  Die  Anfänge  der  neuen  Sophistik  lagen  inSmyrna;  als  ihren  eigent— - 
lieben  Begründer  nennt  Pbilostratus  V.   S.   p.  24,  20   (T.   den   Nicctes  vmm 
ßmyma  (unter  Norva;,  der  auch  bei  Tacitus  dial.  15  (Z.  45  ed.  Halm)  als 
Hauplvertreter  der  griechischen  Rhetoren  des  ersten  Jahrhunderts  gensoKit 
wird.     Betrachtet  man  nun  aber  die  Bruchstücke  dieses  Nicetes,  welc^« 
der  Rhetor  Seneca  aufbewahrt  hat,  so  wird  man  in  der  aufgeregten  Manier 
(ur^^ax/o;   xal   oi»'j{iaiJLß<6or^;  heisst  er  bei  Philostr.   p.  24,   31    f.;  zu  den 
»caldi«  rechnet  ihn  Seneca   suas.   3   p.  26.    27  Kiessl.)     und    der  ganxen 
witzelnden  Art  keinen  wesentlichen  Unterschied  zwisdien  ihm  und  anderen 
Rhetoren  der  gleichen   Zeil,    auch    solchen,    die   Seneca   ausdrücklich  ^Is 
Asiani   bezeichnet   (wie   Adaeus,   Craton)  verspüren.     Und  so  scheint  di6 
zweite  Sophistik   überhaupt,   in   rhetorischer    Beziehung,    nichts   eigentlich 
Neues  gebracht,  sondern  nur  die  asianischo  Manier  erneuert  und,  von 
den,  im  Texte  genauer  zu  betrachtenden  Begünstigungen  der  Zeit  Verhältnisse 
getragen,  zu  einem  grossen  äusseren  Ansehen  und  ungemein  weitreichen- 
der Wirksamkeit  erhoben  zu  haben. 


—    291     — 

sie  erhall  sieb  in  dieser  wichtigen  Stellung,  wenn  auch  mit  all- 
mählichem Sinken  ihrer  Kraft  und  Freudigkeit,  bis  an  das  letzte 
Ende  der  altgriechischen  Gultur,  d.  i.  bis  in  das  sechste  Jahr- 
hundert. Ankntipfend  an  jene  erste  BlUthezeit  kunstmässiger 
Redetlbung,  welche  mit  allen  stolzen  Erinnerungen  an  die  reifste 
Entwickelung  des  griechischen  Genius  verflochten  war,  nannte 
sich  dieser  späte  Herbstflor  der  ßeredtsamkeil  die  zweite 
Sophistik. 

Die  Grtlnde  dieser  neu  erweckten  BlUthe  zu  bestimmen, 
ist  nicht  ganz  leicht.  Zunächst  bietet  sich  dem  Blicke  die  auf- 
fällige Förderung  dar,  welche  den,  auf  eine  Erneuerung  griechi- 
scher Redekunst  gerichteten  Bestrebungen  von  den  Herren  der 
Welt  selbst,  den  römischen  Kaisern  entgegengebracht  wurde. 
Hadrian  zuerst,  der  mächtige  Philhellene,  nahm  den  persönlich- 
sten Antheil  an  diesen  Bestrebungen;  die  Antonine  tbaten  es  ihm 
gleich ;  und  bis  tief  in  das  vierte  Jahrhundert  hinein  ruhte  der 
Glanz  der  Gnade  einzelner  Kaiser  auf  deii  rhetorischen  Studien  der 
Griechen.  Am  kaiserlichen  Hofe  gewannen  seit  Hadrian,  so  oft 
ein  litterarisch  gebildeter  Kaiser  dort  herrschte,  die  griechischen 
Sophisten  fast  so  grosse  Gunst,  wie  früher  griechische  Tänzer, 
Köche,  Freigelassene  und  Hetären.  Vielfach  wurden  sie  zur 
Leitung  der  kaiserlichen  Gorrespondenz  angestellt,  vielfach  in 
anderen  wichtigen  Aemtern  verwandt.  Die  Kaiser  selbst  be- 
suchten häufig,  auf  ihren  Reisen,  die  Vorträge  berühmter  Rhe- 
toren*);  ja,  sie  übergaben  ihnen  ihre  Söhne  «als  Schüler;   Marc 


1 )  So  Marc  Aurel  die  des  Hermogenes :  Philostratus  Vit.  Soph.  p.  83,  5  ff. 
(ed.  Kayser,  L.  1874),  des  Aristides:  ib.  p.  88,  Scptimlus  Severus  die  des 
Hermokrates:  ib.  p.  144  ,  4  7  ff.  Als  Marcus  nach  Athen,  der  Mysterien 
wegen,  kam,  hielt  er  auch  die  Vorträge  des  Sophisten  Adrianus  für  einen 
Theil  der  in  Athen  nicht  zu  übersehenden  Merkwürdigkeiten :  ib.  p.  92,  28  ff. 
Noch  Julian  ehrte  den  Libanius  durch  den  Besuch  seiner  Vorträge:  s.  Sievers, 
Libanius  p.  94  f.  —  Uebrigens  kann  es  mir  nicht  in  den  Sinn  kommen, 
diese  Skizze  des  sophistischen  Treibens  mit  vollständigen  Beweisen  zu  be- 
gleiten. Sondern  wie  ich  nur  einzelne,  meinen  Zwecken  genügende  Züge 
hervorhebe,  so  füge  ich  Beweisstellen  oder  speciellere  Ausführungen  nur 
da  hinzu,  wo  einzelne  wenig  beachtete  Thatsachen  zu  erhärten  waren,  oder 
besondere  Gründe  ein  etwas  genaueres  Eingehen  mir  wünsche nswerth  er- 
scheinen Hessen.  Wem  die  charakteristischen  Eigenthümlichkeiten  der 
zweiten  Sophistik  nicht  ohnehin  aus  den  Quellen  geläufig  sind,  mag  noch 
immer  auf  die  Compilation  des  Cresollius:  Theatrum  veterum  rhetorum, 
oratorum,   declamatorum   etc.    (Paris,    4620)  verwiesen  sein,  eine  fleissige. 


4  ni 


—    292    — 

Aurel  ging  noch  als  Kaiser  in  die  Lehre  eines  Sophisten^).  Die 
höclisten  Herrscher  erkannten  endlich  die  Bedeutung  dieser 
ganzen  Bewegung  förmlich  an,  durch  die  Errichtung  öffentlicher 
Lehrstuhle  der  Beredtsanikeit. 

Diese  kaiserlichen  Begünstigungen  sind  nun  freilich  nicht 
in  dem  modernen  Sinne  einer,  vom  Staate  ausgehenden  Ueber- 
wachung,  Beförderung  oder  Unterdrückung  geistiger  Richtungen 
zu  deuten^),  welcher  dem  Alterthum  überhaupt  fremd,  oder 
doch  nur  in  einem  ganz  engen  Gebiete  und  in  einer  lediglich 
defensiven  Richtung  bekannt  war.  Dennoch  ist  es  nicht  zu  be- 
zweifeln, dass  das  so  deutlich  ausgesprochene,  persönliche  Wohl- 
wollen der  Kaiser  zur  rascheren  Entwickelung  und  fruchtbaren 
Verbreitung  der  neuen  Sophistik  mächtig  beigetragen  habe^}. 
Hören  wir  doch,  dass  sogar  zur  Philosophie,  zu  deren  innersten 
Weihen  doch  wahrlich  stets  ungleich  weniger  Geister  berufen 
waren  als  zu  dem  Studium  der  Rhetorik,  alsbald,  nach  dem 
noch  unter  Antoninus  Pius  bemerklichen  Mangel,  eine  grosse 
Menge,  wenn  auch  nicht  von  Bakchen,  so  doch  von  Narthex- 
trägern  sich  drängte,  als  Marc  Aurel  auch  für  die  Philosophen 
Staatsbelohnungen  aussetzte^),  wonach  also,  beiläufig  gesagt, 
gewisse  sonderbare  Erfahrungen  neuerer  Zeiten  nicht  einmal 
neu  zu  nennen  wären. 

Jedenfalls  wirkte  (von   der  materiellen   Förderung   abgese- 


aber  in  jeder  Hinsicht  veraltete  Arbeit,  welche  durch  eine  gründliche  Neu- 
bearbeitung dieses  Gegenstandes  entbehrlich  zu  machen  eine  lohnende 
Aufgabe  wäre. 

1)  des  Hermogenes:  Dio  Cassius  LXXI  4,  2. 

2)  Dies  geht  schon  daraus  hervor,  dass  neben  den  immer  wenig  zahl- 
reichen, öfTentlich  angestellten  und  besoldeten  Rhetoren  eine  viel  grössere 
Zahl  durchaus  auf  eigene  Hand,  und  ohne  irgend  welche  Examina  oder 
ControUe  von  Seilen  des  Staates,  lehren  durfte. 

3)  Mit  Beziehung  auf  die  Rhetorik  sagt  Libanius  U  215,  H  IT.:  xd^  xt^- 

vafi.lv  a^^'''^^"'  6fA0'j  xtX  toi;  oioaoxojotv  euoaifxoviav  auTai  cp^pouaiv  xat  6  (iiodoc 
(b;  v»7:ep  (AEYdiXaav  fxEYa;.  Siav  oe  67:6  toO  O'jvaoTfiüovro;  ^Trinf^Seufia  xata^povi}^, 
xav  ypTjOTov  ij  TJ[  ^^aei,  ti^v  ööjav  dizokdiktxe  xtX. 

4)  Vgl.  Dio  Cassius  LXXI  85,  2:  rajxTrXTjÖeic  «piXcoo^eiv  iTrXdrcovto,  IV 
•J7t'  auTOü  rXoüTtCcuvrai ;  oder  Herodian  bist.  I  2:  toXu  TrXijöoc  dvop&v  90ffSrt 
•ijvc-piev  1^  Twv  ixelvo'j  i'des  Marc  Aurel)  xaipoöv  cpopd*  ^iXci  fdp  nm^  dcl  t6 
•jTti^xoov  Ci^,Xc^>  T?jc  To5  ipyovTo;  -fvtöpLtj;  fJioOv  (als  ob  man  aus  Royalismus 
»weise«  werden  könnte!;. 


—     293    — 

hen),  in  dem  monarchischen  Staate,  die  Gunst  der  Herrscher 
dahin,  den  Glanz  und  das  Ansehen  der  sophistischen  Be- 
redtsamkeit  in  den  Augen  der  griechischen  Bevölkerung  zu  er- 
höhen, ihre,  also  ausgezeichneten  Vertreter  zu  den  angesehen- 
sten Bürger  der  Städte  zu  machen ,  welche  als  Vorsitzende  bei 
Festversammlungen,  als  Verwalter  hoher  Stadtämter,  als  Ge- 
sandte an  die  Kaiser  hervorragten,  durch  Standbilder  und 
EhrenbeschlUsse  des  Volkes  ausgezeichnet  wurden  *) .  So  ge- 
wann der  Name  eines  Sophisten,  der  freilich  nie  ganz  abgekom- 
men 2) ,  aber  einer  gewissen  Obscurität  verfallen  war,  neue 
Ehre  3) ;  viele  Mitglieder  reicher  und  vornehmer  Familien  dräng- 
ten sich  zu  dieser  jetzt  so  glänzenden  Laufbahn  4).  Sicherlich 
zog  dieser  Glanz  des  Ruhmes,  welcher  die  Rhetorik  umgab, 
zahlreiche  und  eifrige  Bewerber  an^)  :  wie  sollte  es  einen  Grie- 


1)  Vgl.  Cresollius  p.  54  ff. 

2)  Dies  nimmt  mit  Recht  Westermann  Gesch.  der  griech.  Beredts. 
§  89,  44  an.  Wenigstens  i^öre  nicht  zu  bestimmen,  wann  die  Bezeich- 
nung oocptorfi;  wieder  aufgekommen  sein  möchte.  Von  Diodorus  aus 
Adramyttium,  einem  Zeitgenossen  der  mithridatischen  Kriege,  sagt  Strabo 
XUI  p.  64  4:  Tipooiroioufisvo; oo^ioxeOeiv  xd  ^Tjxopixdi,  seinen  Zeit- 
genossen Dionysius  von  Pergamum  nennt  er  oo^ior/;;,  XIII  p.  625.  Ganz 
verbreitet  war  dieser  Name  zur  Zeit  des  Dio  Chrysostomus :  vgl.  I  p.  672  R.  u.  ö. 

3)  Vgl.  1.  B.  Lucian,  Rhet.  praec.  4:  to  oefxvÖTaTov  toOto  xai 
TrdlvTifiOv  (s.  C.  L.  Struve  *Opusc.  II  446)  ^vofxa,  oocpianfj;.  Noch  vom  Li 
banius  sagt  Eunap.  V.  Soph.  p.  4  00  Boiss. :  Td>v  ßaatXIov  xwv  d^iaifidTcnv 
Ti  (li^iOTON  auTtj)  T:po«Ä£vTaiv ,  oux  ihiivzo^  ^if]oa;  t6v  oo^torf^v  elvai  jAclCova. 
Vgl.  auch  Cresollius  p.  444. 

4)  Es  ist  allerdings  zu  beachten,  dass  die  meisten  der  angeseheneren 
Sophisten  vornehmen  und  reichen  Häusern  angehörten.  Dies  vei*säumt 
daher  auch  Philostratus  nie  hervorzuheben:  s.  V.  Soph.  p.  28,  46;  40,  44  ; 
42,  46;  55.  45;  75,  4;  98,  44;  400,  4;  400,  24:  407,  25  ff.;  408,  27; 
4  42,  26  (wo  sich  einmal  einem  Sophisten  vornehme  AbkunCtr  nicht  nach- 
rühmen lässt,  findet  er  natürlich  die  passenden  Trostgründe:  p.  35,  40  ff. 
[vgl.  Tacitus  dial.  8.  Z.  42  ff.  ed.  HQlm.]).  Vgl.  Libanius  I  p.  3  u.  s.  w. 
Vornehme  Abkunft  ist  auch  ein  Ruhmestitel:  Philostr.  p.  4  42,  4  ff. 

5)  Wie  mächtig  der  persönliche  Ruhm  den  Sophisten  anreizte,  bedarf 
kaum  besonderer  Belege.  Mit  antiker  Offenheit  spricht  seine  Ruhmbegierde 
Herodes  Atticus  aus:  Philostr.  p.  60,  48  ff. ;  er  besonders  war  f^TTov  eWoSii;: 
ib.  p.  90,  28.  Dieser  Ruhmgier  dienten  bisweilen  die  sonderbarsten  Mittel : 
dyamQT^v  Attcooouv  TtXeivöv  xai  övofjLaoröv  elvii:  Lucian  Pseudolog.  26.  — 
Beiläufig  sei,  als  merkwürdiges  Indicium  der  Bewunderung,  welche  man 
hervorragenden  rednerischen  Individuen  entgegenbrachte,  die  Verehrung 
ihrer  Grabstätten    hervorgehoben.     Wäre  Polemo  in  Smyma  gestorben. 


—     294     — 

chen  nicht  dorthin  ziehen,  wo  die  staunende  Bewunderung  der 
Mitlebenden  das  Talent  zur  höchsten  Entfaltung,  zum  vollsten 
Genuss  seiner  eii^ensten  Gaben  aufforderte,  und  der  Nachruhm 
in  der  Zukunft  sogar  jenes  unsterbliche  Weiterleben  des  her- 
vorragenden Individuums  im  unvergänglichen  Leben  der  ge- 
sammten  Menschheit  verhiess,  dessen  begeisternde  Vorahnung 
noch  immer,  wie  einst,  den  achten  Hellenen  zur  höchsten  An- 
spannung seiner  Kraft  antrieb?  Kam  nun,  zu  der  Gunst  der 
Grossen  und  der  Bewunderung  des  Volkes,  noch  die  Lockung 
äusseref  Vortheile ,  welche  dem  berühmten  Redner  und  Rede- 
lehrer auf  das  Reichste  zuströmten,  so  könnte  man  in  dieser 
dreifachen  Macht  des  Ruhmes,  des  äussern  Glanzes  und  des 
Reichthums  in  der  That  die  drei  Sirenen  erkennen  w^oUen, 
welche  so  viele  Bew  erber  schmeichlerisch  an  sich  zogen  ^) . 

Dennoch  waren  diese  Husserlichen  Begünstigungen  nur  die 
Wirkungen  und  Ergebnisse  innerlicher  Gründe,  w-elche  eine 
letzte  BlUthe  griechischer  Redekunst  beförderten.  Der  wirk- 
samste dieser  innern  Antriebe  lag  ohne  Zweifel  in  einem  star- 
ken künstlerischen  Bedürfnisse  einem  Verlangen  nach 
künstlerischer  Ausbildung  der  Rede,  dessen  mächtige  und  lange 
wirkende  Impulse  wir  wenigstens  anerkennen  wollen,  wenn 
auch  ein  eigentliches  Verständniss  derselben  uns,  denen  aus 
eigener  Erfahrung  kaum  einige  schwache  und  schnell  ver- 
löschende Velleitäten  in  dieser  Richtung  bekannt  sind,  kaum 
möglich  sein  mag.  Es  regte  sich  hier  der  letzte  Trieb  jenes 
griechischen  Bedürfnisses  nach  einer  stilvollen  Gestaltung 
des  von  Natur  edlen  aber  rohen  und  ungebildeten  Stoffes,  ohne 
welches  die  Welt  schwerlich  je  erfahren  hätte,  was  die  Kunst, 
im  höchsten  Sinne,  sei  und  vermöge.  Vielleicht  nicht  ganz 
ohne  den  Einfluss  der  römischen  W'erthschätzung  der  Beredt- 
Scmikeit  bemächtigte  dieses  Kunstbedürfniss  sich  nun  eben  des- 


so  meint  Philostratus,  V.  isopli.  p.  54,  4  0  IT.,  so  würde  seine  Leiche  ohne 
Zweifel  in  dem  glünzcndslcn  Heiligthum  der  Stadt  beigesetzt  sein.  Häufig 
;;icbt  er  (wohl  zur  Erbauung  der  reiselustigen  unter  seinen  Lesern),  nach 
einer,  in  der  litlerarhistorischen  Ueberlieferung  der  Griechen  freilich  her- 
kümmlichen  Sitte ,  die  Grabstätte  berühmter  Sophisten  genau  an :  vgl. 
p.  38,   25;  54,  3  ff.;  55,  13;   104,  2i2;   106,  29;  122,  32. 

li  Hcichthum,  Ansehen,  Ruhm   bezeichnet  als  die  wesentlichsten  Vor- 
theile der  sophistischen  Laufbahn  in  Kürze  Lucian  Rhet.  praec.  2.  6. 


—     295     — 

jenigen  Stoffes,  den  es  in  der  vorangegangenen  hellenistischen 
Periode  im  Ganzen  auffallig  vernachlässigt  halte,  der  prosai- 
schen Rede.  Man  erkannte  jetzt  in  der  Ausbildung  der  Rede 
geradezu  die  wesentlichste  Grundlage  jeder  edleren  Bildung 
überhaupt  ^) ;  und  so  wies  man  in  der  Erziehung  der  höher 
aufstrebenden  männlichen  Jugend  den  rhetorischen  Studien  fast 
dieselbe  Stellung  an ,  welche  in  späteren  Jahrhunderten  die 
»humanioraa  lange  Zeit  behauptet  haben.  Die  Stellung  der 
Sophisten  jenes  Zeitalters  als  Lehrer  muss  man  hauptsächlich 
im  Sinne  behalten,  wenn  man  die  so  lange  andauernde  und 
merkwürdig  tief  einwirkende  Bedeutung  ihrer  Thätigkeit  recht 
verstehen  will.  Die  gesammte  Jugend  höheren  Ranges  ging 
durch  ihre  Schulen;  alle  die  grossen  Redekünstler,  selbst  den 
vornehmen  Herodes  Atticus  nicht  ausgenommen,  waren  auch 
Lehrer  der  Rede.  Sie  betrieben  diesen  Beruf  sehr  gründlich: 
nach  festen  Formen ,  wie  sie  eine  lange ,  zum  Theil  w  ohl  gar 
bis  auf  Aristoteles  und  Demetrius  von  Phaleron  zurückgehende  2) 
Schulerfahrung  ausgebildet  hatte,  wurde  die  Jugend  zunächst 
zur  Bearbeitung  kleinerer  Themen  angehalten,  welche,  von  der 
äsopischen  Fabel  bis  zur  Einbringung  eines  Gesetzes  einen  be- 
stimmten Kreis  durchlaufend,  zunächst  an  auswendiggelernten 
Musterstücken  alter  Autoren ,  an  selbstgemachten  Arbeiten  des 
Lehrers,  zuletzt  an  eigenen  Aufsätzen  der  Schüler  eingeübt, 
durch  Vergleichung  mit  classischen  Vorbildern  geprüft,  in  ihre 
Theile  zerlegt ,  besprochen  und  durchgenommen  w  urden ,  und 
so  die  Grundlage  zur  praktischen  Erlernung  und  begriffsmässi- 


1)  So  behauptet  z.  B.  Thfeo,  progytnn.  p.  70,  25  ff.  fSpengel,  Rh.  Gr.  11), 
die  rhetorische  Schulung  sei  nothwendig  nicht  nur  zukünftigen  Rednern, 
sondern  auch  allen  Denjenigen,  "welche  als  Dichter  oder  Geschichtschreiber 
oder  in  irgend  einer  anderen  Eigenschaft  die  Sprache  recht  zu  handhaben 
verstehen  müssen. 

2)  Aristoteles  und  seine  Schüler  Hessen  über  %i(sei<;,  allgemeine  Sätze, 
declamiren :  s.  ausser  den  von  Blass  D.  gr.  Bereds.  v.  Alex,  bis  Aug.  p.  57 
cUirten  Stellen  namentlich  auch  Quintilian  XII  2,  25  (coli.  II  4,  9),  Theon. 
progvmnasm.  p.  69,  4  ff.  Sp. ;  ferner  Seneca  Rhet.  p.  61,  24  Ksl.,  Tacitus 
dial.  or.  34,  Z.  26  f.  Halm.  —  Auf  Demetrius  (oder  auch  auf  Aeschines)  wer- 
den die  rhetorischen  Uebungen  in  fingirten  Streitfragen  mit  bestimmten  Per- 
sonen, uTTO^^aei;,  zurückgeführt:  Blass  p.  58.  — Solche  0£9et;  und  bnoHatiQ 
-bildeten  in  späterer  Praxis  stets  Theile  der  rhetorischen  Prog\ranasmen : 
vgl.  Rhet.  gr.  Speng.  II  4  7;  II  64,  5  ff.  24.  111  4   u.  s.  w. 


—     296     — 

\ien  Erkenntniss  jener  Technik  der  kunstgemässen  AuffinduDg, 
Anordnung  und  Darstellung  des  Redestoffes  darboten,  deren 
feine  und  scharfe  Ausbildung  wir  noch  heute  in  den  rhetori- 
schen Handbüchern  der  Alten  mit  Erstaunen  wahrnehmen*). 
Selbständigere  Uebungen  der  Schiller  schlössen  sich  an;  man 
vemachlüssigte  nicht  die  Kunst  des  Vortrags  und  namentlich 
der  systematischen  Ausbildung  des  Gedächtnisses^]:  und  so 
begreift  sich,  wie,  bei  dem  hiemach  anzunehmenden  Aufwand 
von  Kraft  nach  dieser  Einen  Seite,  sogar  die  aitgriechisehen 
Erziehungsmittel  der  Gymn<astik  und  Musik  allmählich  zurück- 
treten mussten^).  Es  mag  einer  Richtung,  welche  die  Bildung 
in  möglichst  reicher  Aufspeicherung  stofflichen  Wissens  sieht, 
sehr  wunderlich  erscheinen ,  dass  man  in  diesen  rhetorischen 
Studien,  also  in  einer  rein  formalen  Uebung  des  Geistes,  die 
geeignete  Vorbereitung  ftlr  jeden  höheren  Beruf  erkennen 
konnte  *) .  Wenn  auch  vielleicht  in  der ,  wesentlich  durch  ihre 
grammatischen  Studien  charakterisirten  hellenistischen  Pe- 
riode eine  solche  Richtung  auf  das  Stoffliche  die  griechische 
Bildung  tiefer  beeinflusst  haben  *  mochte ,  so  lenkte  die,  nun- 
mehr die  Grammatik  in  der  obersten  Leitung  der  hellenischen 
Gesammtbildung  ablösende  Rhetorik  wenigstens  in  der  star- 
ken Bevorzugung  formaler  Geistesbildung  wieder  in  die  Bah- 
nen altgriechischer  Erziehungsweise  zurück.     Ja  man    fand,   in 


1)  Die  genauesten  Angaben  über  den  Gang  des  rbetoriscben  Unterrichts 
giebl  Tbeo,  Progymn.  p.  65  ff.  Sp.  Sonst  vgl.  namenUich  Kayser  Philostr. 
Op.  (L.  1871]  II  p.  III  ff.  Ueber  die  Schulzucht  der  Rhetoren:  Sievers, 
Libanius  p.  49  ff. 

2)  TÖ  fjLvTjjjiovixöv :  s.  Volkmann,  Rhetorik  d.  Gr.  u.  R.  p.  480  ff.  Vgl. 
auch  Rose,  Aristot.  pseudepigr.  p.  140.  Besondere  Kunst  in  der  Schalang 
des  [i.MT^li.0'H%6s  l)rachte  einzelne  Lehrer  wohl  gar  in  den  Verdacht  der  An- 
wendung von  Zauberei:  so  den  Dionysius  von  Miiet:  Philostr.  V.  S. 
p.  36,  6  ff.  (Die  grossen  Erfolge  des  Adrianus,  später  des  Libanius  führ- 
ten die  Gegner  ebenfalls  auf  Zauberkünste  zurück:  Philostr.  V.  S.  p.  94,  7  ff. : 
Libanius  I  p.  84.} 

3)  So  wenigstens  seil  dem  vierten  Jahrhundert.  Auf  diese  wichtige 
Thatsache  weist  P.  E.  Müller,  de  genio  aevi  Theodos.  I  p.  6t.  62  hin;  sie 
ist  für  die  Erklärung  des  Ueberganges  vom  Griechenthum  in  das  Byzao- 
tinerthum  sicherlich  beachtenswerth. 

4)  Seneca  controv.  II  praef.  (p.  454 ,  27  Kiessl.)  räth  seinem  Sohne 
Mala:  eloquentiae  tantum  studoas:  facilis  ab  hac  in  omnes  artes  discarsas 
est;  instruit  etiam  quos  non  sibi  exercct. 


—    297    — 

der  hier  betrachteten  Periode,  in  der  Rhetorik,  ausser  anderen 
Bildungskrüften ,  sogar  die  ethische  Wirkungsfähigkeit,  welche 
freilich  keinem  ächten  Erziehungs-  und  Bildungsmittel  fehlen 
darf  1) . 

Endlich  dürfte  ein  national-hellenisches  Element,  wel- 
ches, diesen  erneuerten  Studien  innewohnend,  ihnen  gerade 
für  jene  Zeit  Leben  und  Bedeutung  gab,  nicht  zu  verkennen 
sein.  Bereits  seit  dem  Ausgang  des  ersten  christlichen  Jahr- 
hunderts macht  sich  in  der  griechischen  Litteratur  hie  und  da 
ein  lebhaftes  Bewusstsein  von  den  Vorzügen  der  griechischen 
Natur,  gegenüber  den  übrigen  Völkerschaften  des  Reiches  und  ganz 
besonders  den  herrschenden  Römern,  bemerklich.  Die  Hellenen 
begannen  mit  neu  erwachtem  Stolze  sich  als  die  eigentlichen 
Träger  einer  unschätzbaren,  aus  ihrer  Mitte  hervorgewachsenen 
Weltcultur  zu  fühlen,  welche  unter  den  Händen  der  Römer  in 
einen  innerlich  rohen  Genusstaumel,  eine  maasslose  und  freud- 
lose Schwelgerei,  in  jenen  » Soloecismus  der  Lüste «2)  aus- 
geartet war,  welchem  man  die  noch  immer  nicht  völlig  verkom- 
mene, künstlerisch  zarte  und  vornehme,  des  rechten  Maasses 
sichere  Sinnesweise  des  ächten  Hellenen  entgegenhielt,  wie  sie 
zumal  in  Athen,  inmitten  der  Armuth,  Philosophie  und  libera- 
len Gesinnung  seiner  Bewohner  sich ,  in  einem  sinnigen  Still- 
leben, erhalten  habe.  Mit  Begeisterung  und  in  dem  Tone  einer 
tief  erregten,  wahrhaftigen  Empfindung  trägt  Lucian  im  »Nigri- 
nus«  (der  merkwürdigsten  griechischen  Oppositionsschrift  von 
der  ästhetischen  Seite)  dieses  Lob  des  Hellenischen  vor  ^] ;  man 
begegnet  aber,  in  etwas  früherer  Zeit,  ähnlichen  Ergüssen  so- 
gar bei  dem  Römerfreunde  Plutarch^),  und  so  durch  die  fol- 
genden Jahrhunderte    bei    zahlreichen   griechischen   Schriftstel- 


1)  Z.  B.  Theo,  Progymn.  p.  60,  4  6  ff.:  die  Uebung  in  der  Rhetorik 
bewirke  nicht  nur  Fertigkeit  der  Rede,  sondern  auch  ypirjaT^v  ti  ffioi.  Viel 
kühner  Aristides,  or.  45,  II  p.  54  Jebb.  (72  Dind.) :  Terrdfpmv  ^vt»v  {lopCoav 
xffi  dpCTfiC  —  nämlich  cppoWjcaco; ,  0(u?ppoo6vY); ,  Bixaioauvtjc ,  div5pe(a?  — 
&?:ervTa  hia  r^c  ^T^Topixtj;  reroiT^Tai ,  xai  Srep  h  0{6{i.aTi  'pfAvaarixi?;  %oX 
laTptXT) ,  tout'  Iv  tiq  ^'^yji  *^''  '^^^^  "^^^  TTÖXecuv  rpdtyfjLaot  f)tjTOpiX'^  ^aivexat. 
(Aehnlich  von  Lateinern  z.  B.  Eumenius  pro  instaur.  scol.  8  p.  4  97  Arntz.) 

2)  ooXoixia{x6c  twv  tjoovwn,  Lucian  Nigr.  34. 

^)  Namentlich  c.  42  ff.  (Lob  Athens)  45  ff.  (Schilderung  der  römischen 
Barbarei) . 

4)  ypr^aT^TT);  und  ciXavdptuda  der  Athener:  Plul.  Vit.  Aristid.  fin. 


—     29S    — 

lern  bis  zu  Libanius  und  dem  Kaiser  Julian  herunter,  welche 
noch  einmal  in  lautem  Preise  die  hellenische  Gultur  begeistert 
feierten  und  zumal  alles  Römische  entweder  verwarfen  oder 
doch  if^norirten  V .  Aus  illterer  Zeit  sei  vor  Allem  noch  er- 
innert an  die  warme  Liebe  des  Dio  Ghrysostomus  für  alles  acht 
Hellenische,  dessen  Uusserste ,  in  ihrer  Vereinsamung  rührend 
einfach  und  rein  erhaltene  Vorposten  er  bis  zur  fernen  Nord- 
kUste  des  schwarzen  Meeres  aufsuchte;  und  an  die  reforinato- 
rische  Thätigkeit  des  ApoUonius  von  Tyana,  welcher,  unter 
lauter  und  oft  wiederholter  Betonung  des  adelichen  Charakters 
der  Hellenen,  sogar  dem  Traumbilde  einer  Wiederbelebung  der 
altgriechischen  Tugend  nachjagte^).  Vielleicht  hing  dieser  neue 
Aufschwung  eines  hellenischen  Nationalsinnes  zusammen  mit 
der  allmählichen  Erschlaffung  der  Römer,  durch  welche  das 
geistige  Uebergcwicht  sich  auf  die  hellenische  Seite  übertrug, 
auf  welcher  zwar  die  eigentliche  Kraft  nicht  eben  viel  grösser, 
aber  die  unzerstörbare  Grundlage  künstlerischer  Natur  und  eine, 
allerdings   wohl   nur   durch   ihre   Mattherzigkeit   vor    dem'  un- 


1)  ücber  die  ÄDtipathic  der  Griechen  und  Römer  in  der  Kaiserzeit  vgl. 
Finlay  Gr.    u.   d.   H.   59  ff.      Wie  fremd  dem   Libanius  alles  Römische 
blieb,  hebt  Sievers,   Libanius  p.   42   hervor.     \Yenn  er  die  Römer  gelten 
lasst,  so  höchstens  als  eine  Art  Ableger  der  Hellenen:   er  stellt  dem  »Bar- 
baren« (von  dessen    Ungebärdigkeit  er  schreckliche  Schilderungen   macht] 
kurzweg  den  *EXXtjV  entgegen:   oStc»  y^P  f,oi«5v   [aoi  xa>v£rv  xo  toi;  ßapßapou 
dvTlnaXov  *    xal   ouo^   |xoi  [liiu^lfzai  to  y^vo;   Atve(o*j.    (TTpEoßeut.    7:po;  'lo'jX. 
vol.  I  p.  458  f.)     Ebenso  weiss  Julian  an  den  Römern  vorzüglich  nur  das 
zu  loben,   dass  ihre  Stadt  'KaXt^vI;  ^^^o;  tc  xai  -oXiTetav  sei :  or.  IV  p.  498 
Herll.     Von  seiner  innigen  Liebe  zu  Hellas,   und  namentlich  zu  Athen,  als 
dem  Sitze  der  ächten   Bildung,   als  seinem  »wahren  Vaterlande«  redet  er 
or.  in   p.  4  52.  4  53  Hortl.     Aehnlich  von  Hellas,  als  des  Julian  yf^  ipcufjivi;, 
von   Athen,   dem  'KXXdSo;  o^pDaXfjtö;,    Libanius  im  'F^riTci^io;  ii:  'louXtov^. 
v.    I   p.    534.    —  Aus  etwas  älterer  Zeil  besonders  naiv  Aristides  or.  IX 
vol.  1  p.  4  05  Dind. :   wo  unter  den  Tugenden  des  rechten  Kaisers  kurzweg 
mit  aufgezählt  wird  t6  cptX^XXTjva  eivai. 

2]  Er  glaubte  an  eine  Wiederherstellung  der  althellenischen  ^^^^  daitb 
Griechenlands  Freigebung  unter  Nero,  und  zürnte  wegen  der  Aufhebong 
dieser  phantastischen  Maassregel  dem  Vespasian:  IMiilostr.  V.  Ap.  V  44. 
So  ermahnte  er  die  Spartaner  zur  Erneuerung  ihrer  allen  Zucht:  ib.  IV  S4  ff. 
Merkwürdig  ist  auch  sein  Eifer  gegen  die  Annahme  barbarischer  und 
römischer  Namen  von  Seiten  der  Griechen  in  Jonien  und  Sardes:  epist. 
71;  38:  Philoslr.  IV  5.  Von  den  Barbaren  heisst  es  einmal  ganz  unbe- 
fangen: ou  D£|iic  a'>co6;,  ßap^dpo'jc  Cvra;,  vj  rdayeiv :  epist.  21. 


— .    299    — 

geheuren  Frevelsinn  der  Römer,  wie  ihn  uns  Juvenal  schildert, 
bewahrte,  relative  Harmlosigkeit  der  Sitten  *)  der,  im  Wesent- 
lichen nur  reproductiven  und  conservirenden  Cultur  dieser  Zeit 
förderlicher  sein  mochte. 

Ein  erhöhetes  Selbstgefühl  mochte  namentlich  auch  die 
Hellenen  des  Mutterlandes  beleben ,  seitdem  die  Wunden  aus 
der  letzten  Zeit  der  römischen  Republik  allmählich  vernarbten, 
und  unter  Hadrian  und  den  Antoninen  die  üusserliche  Wohlfahrt 
des  Landes,  von  den  Kaisem  einsichtsvoll  gepflegt,  sich  leid- 
lich wiederherstellte.  In  dem  Geftlhl  der  Sicherheit  vor  äusserer 
Noth  konnten  sie  sich  noch  einmal  in  dem  Wahne  gefallen,  in 
allen  Culturverhältnissen  die  ächten  Enkel  und  Erben  des  alten 


1)  Für  diese,  freilich  nur  relative  Harmlosigkeit  der  Sitten  giebt 
mehr  das  Stillschweigen  der  Zeitgenossen  (namentlich  des  Lucian, 
dessen  Satiren  und  Invectiven  doch  stets  nur  die  Verirrungen  Einzelner 
trefien)  ,  zusammengehalten  mit  den  aligemeinen  Vorstellungen  von  dem 
Leben  der  gebildeten  Kreise,  wie  man  sie  namentlich  aus  Plutarchs  kleinen 
Schriften  gewinnen  kann,  Zeugniss,  als  bestimmte  Aussagen,  obwohl  doch 
auch  diese  nicht  fehlen  (ich  erinnere  noch  einmal  an  Lucians  Nigrinus). 
Die  Abenteurer  zogen  eben  aus  Griechenland  lieber  nach  Italien  hinüber 
und  machten  es  dort  denn  wohl  auch  nicht  besser  als  die  Römer  selbst. 
Im  eigentlichen  Griechenland  scheint  sich,  im  Vergleich  etwa  mit  der  kraft- 
vollen aristophanischen  Zeil,  eher  eine  Wendung  zu  zahmerer  Sittsamkeit 
vollzogen  zu  haben,  dergleichen  ja  keineswegs  immer  eine  Hebung  der 
wirklichen  sittlichen  Kraft  des  Volkslebens  indicirt.  —  Was  Hertzberg, 
Gesch.  Griechenlands  u.  d.  Herrsch,  d.  R.  II  280  IT.  (vgl.  496)  an  Beweisen 
für  den  »tiefen  Verfall  der  Sitten«  in  Griechenland  aus  Schriftstellern  des 
ersten  und  zweiten  Jahrhunderts  beibringt,  ist  wohl  anders  zu  beurtheilen. 
Theils  sind  dies  vereinzelte  Züge  leidenschaftlicher  LebergrifTe,  wie  sie  in 
keiner  Gesellschaft  irgend  einer  Zeit  je  gefehlt  haben,  theils,  und  zum 
grössten  Theil ,  reine  Phantasiebilder  aus  den,  von  Apulejus  seinem  »Gol- 
denen Esel«  eingewobenen  Novellen.  Novellen  sind  aber  keine  historischen 
Berichte,  ja,  sie  sind  nicht  einmal  als  Zeugnisse  für  die  Sittengeschichte 
irgend  eines  Volkes  ohne  Weiteres  zu  benutzen,  bevor  die  Herkunft 
jeder  einzelnen  dieser,  vom  leichtesten  Wind  über  alle  Völker  und  Zeiten 
verstreuten  Dichtungen  sorgfältig  festgestellt  ist.  Wird  man  denn  z.  B. 
daraus,  dass  dieselbe  Giftmordgeschichte,  welche  Apulejus  X2 — <2  erzählt, 
im  Pecorone  des  Ser  Giovanni  Fiorentino  wiederkehrt,  den  Schluss  ziehen 
wollen,  dass  dieselben  Zustände  wie  in  Griechenland  im  zweiten  Jahrhun- 
dert, im  vierzehnten  Jahrhundert  in  der  Romagna  (wohin  Ser  Giovanni 
seine  Geschichte  verlegt)  herrschten?  Wer  sagt  uns  aber,  welchem  grie- 
chischen Erzähler  welchen  Jahrhunderts  Apulejus  seine  Novelle  entlehnt, 
und  woher  jener  Erzähler  wiederum  den  Stoff  genommen  habe? 


—     300    — 

Griechonthums  zu  sein.     Noch    zeigte  ja   das  ganze  Leben    der 
Griechen  wenigstens  äusserlich  die   alte   Gestalt.     Ueberall   be- 
wegte sich,   in  den  kleinen  Stadtgemeinden,  Sitte  und  Verkehr 
im  Geleise  uralten  Herkommens;  noch  tagten  die  alten  Gerichts- 
höfe  und  Behörden   unter  altehrwUrdigen  Namen  und  Gebräu- 
chen ;  eine  unemiessliche  Ftllle  kunstvoller  Bildwerke,  die  Zeu- 
gen einer  alten,  Überschwenglich  reichen  Bildung,  schmttekten, 
trotz  aller  Beraubungen,    M<jlrkte,   Tempel   und    llallen.     Noch 
bluhcten  an  tausend  CultussUltten  die  jalten  Götterdienste,   wie 
vorztlglich  Plutarch  und  Pausanias  bezeugen;    die  Orakel  sogar 
Hessen    aufs    Neue    ihre    Stimme   vernehmen;    die  Wettspiele. 
jene    edelsten    Pflegstätten    des     hellenischen    Individuab'smus, 
gewannen   neuen   Glanz:   zu  den   vier  noch   immer  blühenden 
grossen    und    der   Fülle    localer   Agonen    kamen    manche   neue 
hinzu ;  darunter  das  grosse  von  Hadrian  gestiftete  Fest  der  Pan- 
hellen ien,  dem  der  Sophist  Herodes  Atticus  als  erster  Helladarch 
vorstand.     In   dieser    so    glaubenssüchtigen  Zeit    war    es    nicht 
ohne  Wichtigkeit,   dass  noch  immer  die  Athener  der  trostrei- 
chen, acht  hellenischen  Mysterien  von  Eleusis  walteten,    deren 
ahnungsvolle  Darstellungen  keinem   der   vielen   fremdländischen 
Geheimdienste  an  religiösem  Ansehen  nachstanden  ^) .    Noch  trug 
endlich,  auf  dem  Markte,  in  den  Gymnasien,  im  Theater,  das 
Leben  der  griechischen  Männer  jenen  Charakter  der  Oeffent- 
lichkeit,  der  dasselbe  so  bestimmt  vom  Byzantinerthum  unter- 
scheidet. 

Dennoch  war  aus  all  diesen  Ueberresten  des  Alterthums 
der  lebendige  Geist  der  Alten  entwichen;  sie  erhielten  sich, 
wie  ein  antiquirtes  Herkommen,  weniger  durch  eigne  Kraft 
als  durch  die  PietiU  und  die  Gewöhnung  der  Enkel,  welche 
ein  neues  Leben  zu  beginnen  nicht  mehr  die  Kraft  hatten. 
Den  Inhah  des  altgriechischen  Lebens  wieder  heraufführen  zu 
wollen,  wäre  ein  vergebliches  Bemühen  gewesen.  Den  begei- 
sterten Verehrern  des  alten  Hellenenthums,  welches,  seiner 
thatsiichlichen  Härten  entkleidet  und  nur  seiner  künstlerischen 
Herrlichkeit  nach  aufgefasst,  damals   zuerst   in   das   verklärende 


1)  Die  Eleusinien  wurden  (da  sogar  noch  Kaiser  Valentinian  sie  gewiss 
ebenso  wie  andere  griechische  Mysterien  ausdrücklich  duldete:  Zosimus 
IV  3  p.  176,  4  4  ff.  ed.  Bonn.)  gefeiert,  bis  Alarich  395  den  Tempel  ver- 
brannte: Eunap.  V.  S.  p.  52. 


—    301     — 

Licht  des  Glassischen  und  Vorbildlichen  trat,  blieb  zur  Nach- 
eiferung  nur  die  Form,  jenes  göttliche  Instrument  der  grie- 
chischen Rede*),  das  willigste,  tönereichste,  auf  welchem 
je  menschliche  Kunst  sich  ergangen  hat.  Von  dem  reichsten 
Yolksgeiste  erbaut,  von  den  grössten  Künstlern,  von  Homer  bis 
Demosthenes,  zur  höchsten  Fülle  des  Klanges  ausgebildet,  lag 
dieses  Instrument  noch  unzertrümmert  da:  wer  die  Kunst  ver- 
stand, konnte  die  Saiten  aufs  Neue  spannen  und,  zur  Wonne 
der  Welt,  noch  einmal  ihre  Töne  erwecken. 

So  war  es  die  hellenische  Gesinnung,  welche  zur  Erneue- 
rung der  griechischen  Redekunst  trieb.  Zwischen  die  römisch- 
barbarische Laienwelt,  die  immer  mehr  in  orientalische  Träume 
sich  einspinnende  Philosophie  und  Mystik  der  Zeit,  die  allmäh- 
lich stärker  sich  hervordrängenden  Triebe  einer  neuen  christ- 
lichen Cultur  gestellt,  konnten  diese  griechischen  Sophisten  und 
Rhetoren  sich  in  der  That  nicht  ohne  allen  Anschein  des  Rechtes 
wie  die  letzten  Vertreter  des  ächten  Hellenenthums  erscheinen. 

2. 

Nachdem  durch  das  Zusammentreffen  der  hier  angedeuteten 
äusseren  Gunst  und  inneren  Stimmungen  die  Kunst  der  Rede 
in  Griechenland  neu  belebt  worden  war,  war  es  nur  eine  An- 
erkennung ihrer  bereits  thatsächlich  wiedererlangten  Bedeutung, 
wenn  nun  auch  die  öffentlichen  Gewalten  dieselbe  in  ihren 
Dienst  nahmen  und  damit  zugleich  ihr  die  Gewähr  einiger 
Dauer  und  ungestörter  Entwickelung  darboten.  Schon  Vespa- 
sian  hatte  in  Rom  einen  besoldeten  Lehrstuhl  auch  der  griechi- 
schen Rhetorik  begründet  ^j ;  seit  Antoninus  Pius  gewann  ein  glei- 
cher in  Athen  ungleich  höheren  Glanz.  Auch  an  anderen  Orten 
bestanden  kaiserliche  Lehrstühle  der  Kunst  ^) ;  überall  genossen 


1)  Tou  X^yoi;  (die  Rhetorik  ist  gemeint)  fxoXXov  t^  t«])  y^vei  töv ''EXXrjva 
rkrjftio^  (daher  denn  Antiochia  und  Athen  rd  xwv  'EXX'/]v(uv  %aKd  bewahren) : 
Libanias  I  p.  333,  8. 

2)  Sueton  Vespas.  48.  Dies  ist  6  xaxd  rfjv  Tdbjxrjv  Äpövo;,  6  dvw  ftp6vo;, 
dessen  Philostratus  öfter  erwähnt:  auf  ihm  sassen  z.  B.  Philagros  (Philostr. 
p.  85,  24),  Adrianus  (ib.  93,  47.  Beiläufig  bemerkt:  über  Adrians  Aufenthalt 
in  Rom,  bevor  er  ioo^loTeuev,  eine  merkwürdige  Notiz  bei  Galen  tz.  toü  irpo- 
fCVi6oxccv,  XIV  637  K.),  Euodianus  (ib.  400,  5),  Heliodor  (ib.  425,  30). 

3)  Capitolinus  vom  Antoninus  Pius,  in  dessen  Biographie  c.  44  :  rheto- 


—     302     — 

ihre  lnh<il>er,  ausser  einem  Gehalte,  die  Befreiung  von  den 
schweren  Lasten  der  studt Ischen  Abgaben  und  liturgischen 
Leistungen  ^^ .  Die  StiUlte  blieben  nicht  zurück.  Wie  in  Athen 
neben  dem  kaiserliehen  ein  stadtischer  Lehrstuhl  der  Redekunst 
bestanden  zu  haben  scheint^),  so  scheint  eine  grosse  Anzahl 
der  vielen,  durch  das  weite  Reich  zerstreuten  Städte  griechi- 
scher Bevölkerung  Lehrer  der  Rhetorik  aus  eigenen  Mitteln  be- 
soldet zu  haben  ^).  Schon  die  Sorge  ftlr  den  Glanz  und  selbst 
die  Nahrung  der  Stadt  Hess  den  Behörden  die  dauernde  An- 
wesenheit eines  angesehenen  Redelehrers  wUnschenswerth  er- 
scheinen^).     So  erftlllte   sich   das  Reich    mit  griechischen   So- 


ribus  per  omnes  provincias  et  honores  et  salaria  detulit.  Ebenso  all- 
$;eincin  Lampridius,  von  Alexander  Severas,  c.  kk:  Rhetoribus  salaria 
instituit.  Später  wurden,  neben  Athen  und  Rom,  griechische  Rhetoren 
namentlich  in  Constantinopel  vom  Kaiser  unterhalten. 

1)  Hierüber  vgl.  namenUich  Kuhn,  die  städt.  und  bürgerl.  Verf.  d. 
röm.  R.  I   H9  f. 

2]  Wenn  anders  so  der  bei  Philostratus  V.  S.  p.  4  03,  H  erwJihnte 
roXiTixö;  Op6vo;  in  Athen  zu  verstehen  ist :  was  freilich  sehr  zweifelhaft  er- 
scheint: s.  C.  0.  Müller  im  Göttinger  Saecularprogramm  4  887  p.  43  Anm.  18. 

3;  in  Antiochia,  in  Caesarea,  und  anderswo:  s.  C.  0.  Müller  a.  a.  0. 
p.  48.  Auch  in  Constantinopel  und  in  anderen  Städten  :  vgl.  Sievers  Libanios 
p.  88;  p.  48  Anm.  44.  —  Noch  am  Ende  des  fünften  Jahrhunderts  besol- 
dete die  Stadt  Caesarea  in  Palaestina  Lehrer  der  Rhetorik:  sie  versacbte, 
den  Sophisten  Procopius  von  Gaza  yp'jotw  ttoXXui  ^eXeolCetv :  Choricius  p.  6 
extr.  Boisson.  Ganz  ähnlich  hatte  bereits  in  der  Zeit  des  Libanius  die 
Stadt  Caesarea  den  Antiochenern  einen  Sophisten  durch  grosse  Ver- 
sprechungen abspenstig  gemacht:  s.  Libanius  br.kp  t&v  jbTjTtSfxov,  Vol.  n 
p.  220,  4  9  ff.  Aus  dieser  Rede  sieht  man  übrigens  am  deutlichsten,  wie 
die  äusseren  Verhältnisse  der  oftlciell  angestellten  Rhetoren  geordnet  waren. 
Sie  bekamen  von  der  Stadt  ein  sehr  unregclmässig  eingehendes,  mm 
Lebensunterhalt  ungenügendes  Jahrgcld,  s6vTaSu  (p.  242,  43.  24St  ^ 
244,  10.  43  etc.)  und  waren  ausserdem  auf  die  noch  unregelmässiger  ein- 
laufenden Honorare  ihrer  Schüler  angewiesen  fp.  215].  Einige  sehr  An- 
gesehene bekamen  Grundbesitz  von  der  Stadt  zum  Geschenk:  so  Zeni^in^ 
fp.  24  8,,  und  um  eine  Anweisung  solcher  Landstellen  für  seine  armen 
Collegen  bittet  eben  Libanius. 

4)  Hierfür  sehr  charakteristisch  ist  die  Erzählung  des  PhilostratflS. 
V.  S.  p.  29,  4  6  ff.:  den  Scopelianus  forderten  die  Klazomenier  auf,  doch 
in  Klazomenac  Schule  zu  halten,  »da  ihre  Stadt  sich  sehr  heben  würde, 
wenn  ein  solcher  Mann  in  ihr  lehre«;  S.  blieb  aber  lieber  in  dem  grossen 
Smyrna :  die  Nachtigall  singe  wohl  im  Haine,  nicht  im  engen  Käfig. 


—     303    — 

phisten ;  sie  fehllen  selbst  im  fernen  Gallien  nicht  *) ;  aber  ihr 
eiifenllieher  Tummelplatz  war  das  griechische  Kleinasien,  zumal 
das  glänzende  Smyrna;  nlichstdem  Athen,  dessen  erhabene 
Erinnerungen  und  akademische  Ruhe^i  Manche  dem  brausenden 
Leben  in  Smyrna  vorzogen,  und  dessen  rhetorische  BlUthe  noch 
lange,  und  bis  an's  Ende  dieses  ganzen  Treibens,  fortdauerte, 
als  bereits  die  kleinasiatischen  Städte  ihren  Vorrana  an  Gon- 
stantinopel  und  Antiochia  hatten  abtreten  müssen,  wo  nun, 
neben  kaiserlich  und  städtisch  besoldeten  Lehrern  eine  grosse 
Anzahl  rhetorischer  Künstler  und  Kunstlehrer  sich  zusammen- 
drängte. 

Diese  öffentliche  Anerkennung  verdankten  die  Rhetoren  zu- 
nächst ihrer  Thätigkeit  als  Lehrer;  in  dieser  Eigenschaft  be- 
durfte man  ihrer  und  kam  ihnen  darum  entgegen.  Sie  selbst 
aber  richteten  ihre  Blicke,  über  das  Bedürfniss  hinaus,  auf  die 
freie  Darstellung  ihrer  Kunst.  Sie  übernahmen,  gleich  man- 
chen Rhetoren  der  ehemaligen  asianischen  Schule,  gelegentlich 
wohl  auch  die  rednerische  Vertretung  eines  Processi renden  vor 
Gericht  3);  aber  dieses  däuchte  ihnen  eine  leichte  und  verächt- 
liche Uebung^).  Ihr  eigentliches  Gebiet  war  die  Prunkrede,  in 
welcher  die  Kunst  sich  wesentlich  nur  um  ihrer  selbst  willen 
zeigt.     Dergleichen  Reden  setzten  sie  wohl  auch  für  die  Leetüre 


1]  In  Gallien  lebte  Lucian  eine  Zeit  lang:  Bis  accus.  27,  und  gehörte 
dort  zu  den  (ieY^Xo(AtoBotc  toov  oocpiordiv:  pro  merc.  cond.  15. 

2)  Der  Sophist  Proclus  von  Naucretis  t^jv  'A^vrjaiv  •^auylov  -^ardioaTo, 
und  zog  darum  dorthin:  Philostr.  V.  S.  4  04,  34.  Der  Philosoph  bei  Lucian 
Nigrin.  44  preist  die  athenische  -rjcuyjav  re  Ttal  dnpaYJtooüvrjv,  Ä  5i?j  &^%osa 
Tzap^  auTOtc  ^OTiv.  Expos,  totius  mundi  (c.  350  n.  Chr.).  §.  52  p.  524 
BIUU. :  Corinthus  negotiis  viget ;  habet  et  opus  praecipuum,  amphitheatrum, 
Athenae  vero  sola  studia  litterarum.     Sehr  bezeichnend. 

3}  lieber  die  gerichtliche  Beredtsamkeit  der  Asianer  vgl.  Blass  a.  0. 
p.  60.  64.  Nicht  zutreffend  ist  es  aber,  wenn  derselbe  hierin  einen 
»angeheuren  Unterschied«  zwischen  den  Asianern  und  den  »berüchtigten 
Declamatoren  der  Kaiserzeit«  begründet  sehen  will.  Auch  von  den  Sophisten 
dieser  Zeit  waren  manche  Gerichlsredner:  so  Nicetes  (Philostr.  p.  29,  45  f.), 
Theodotus  (ib.  74,  5),  Apollonius  von  Athen  (ib.  403,  8);  vgl.  noch  Philostr. 
p.  24,  25.  408,  4  4.  Auch  Lucian  war  wöhrend  seiner  ersten  sophistischen 
Zeit  StxriY^Spoc  in  Antiochia:  s.  Suidas  s.  Aoux. 

4)  Vgl.  Philostr.  V.  Apoll.  VI  36  p.  248,  30  (ed.  Kayser  4870).  —  Die 
]Mri9%i  Td>v  vöfjLosv,  d.  i.  die  Laufbahn  eines  Advocaten  überhaupt,  ist  tov 
TfjV  Stdvoiav  ßpao'jT^poiN :  Libanius  I  244,  3. 


—     304     — 

auf;  aber  zunächsl  hatten  sie  dieselben  doch  für  einen  mOnd- 
lichen  und  öffentlichen  Vortrag  bestimmt.  Man  wird,  um  das 
Wesen  der  lilterarischen  Production  auch  der  späteren,  helle- 
nistischen und  sophistischen  Periode  der  griechischen  Gultur- 
geschichte  und  ihre  Verschiedenheit  von  modemer  Art  recht  zu 
würdigen,  überhaupt  wohl  thun,  sich  gegenwärtig  zu  halten, 
dass  auch  damals  noch  alle  irgendwie  künstlerisch  anzulegenden 
Schriftwerke  weniger  für  ein  nachdenkliches  Lesen  im  einsamen 
Zimmer  als  für  ein  augenblickliches  Hören  und  Geniessen  am 
Licht  der  Sonne  oder  doch  im  Kreise  der  Freunde  bestimmt 
waren.  Dies  gilt  für  die  Werke  der  Dichter  und  Historiker, 
nicht  minder  aber  für  das  ganze  Gebiet  populärer  Schriftstellerei; 
ja  sogar  die  Lehrvorträge  der  Philosophen  und  der  Grammatiker 
waren  zunächst  nur  für  Hörer,  nicht  für  Leser  bestimmt^).    Ver- 


1)  Für  die  populären  Dichter  der  classischen  Zeit  versteht  sich  ein 
mündlicher  Vortrag  ihrer  Gedichte  ohnehin  von  selbst.  Aber  auch  die  ge- 
lehrten Poeten  der  späteren  Zeit  lasen  zunächst  ihre  Werke  vor.  Als  ganx 
allgemeine  Sitte  wird  diese  Art  der  ersten  VerÖffentlichkeit  vorausgesetzt 
in  den  Anekdoten  von  den  Vorträgen  des  Antimachus  (Cic.  Brut.  494]  oder 
Antagoras  [Apostel,  prov.  2,  83).  Ebenso  ist  zu  verstehen  die  Nachricht, 
dass  Apollonius  von  Rhodus  sein  Gedicht  inedeiiato,  erst  in  Alexandria, 
dann  in  Rhodus  (Westermann,  ßto^p.  p.  61,  4.  8^  50,  5.  9).  Damach 
scheint,  wenigstens  für  epische  Gedichte,  auch  in  hellenistischer  Zeit  die 
Recitation  die  allgemein  übliche  Weise  der  Bekanntmachung  gewesen 
zu  sein.  So  werden  denn  weiter  auch  die  dva^vaiOTtKot  unter  den  TVagi- 
kern  (Chaeremon)  und  Dithyrambikern  (Licymnius)  ihre  Gedichte  nicht 
sowohl  zum  Lesen  als  zum  Vorlesen  bestimmt  haben  (wie  im  kaiser- 
lichen Rom  auch  Tragödien  vorgelesen  wurden :  so  die  des  Curialias  Mater- 
nus:  Tacitus  dial.  2.  3.  44,  und  doch  wohl  auch  die  des  Seneca).  Diese 
Sitte  scheint  sich  bis  in  die  späteste  Zeit  erhalten  zu  haben:  öffentliche 
Vorträge,  von  Dichtern  so  gut  wie  von  Rhetoren  im  Theater  gelialteD, 
erwähnt  beiläufig  Themistius:  or.  XXVI  p.  842  A/B  und  XXVIIl  p.  844 B/C 
(Vgl.  auch  Dio  Chrys.  vol.  I  p.  403,  4  4  ff.  Dind.) :  ohne  Zweifel  war 
in  dieser  Weise  aufgetreten  der  Ai^üircio;  veavCoxo;,  isvf^o^  iri^j&iijaac, 
welcher  Tpay\Ma'^  %a\  ^ttt)  xal  5i&updt[xßo\>;  zu  dichten  verstand,  dessen 
Themistius  or.  XXIX  p.  347  A/B  gedenkt  (schwerlich  ist  Andronicus  ge- 
meint: s.  Sicvers,  Libanius  p.  279).  Noch  aus  dem  fünften  Jahrhun- 
dert erzählt  von  dem  Aegyplier  Pamprepius,  Malchus  fr.  20  (F.  H.  Gr.  IV 
p.  482):  07]pL09(a  7ro(T)|xa  dvap^vra  (in  Cons(antinopel)  Xafi7tpd>c  ittjMj« 
(lUus)  xtX.  Noch  im  sechsten  Jahrhundert  Lobgedichte  im  Theater  vor- 
getragen: Choricius  p.  26,  2  ff.  ed.  Boisson.  Hiernach  darf  man  sich  denn 
auch  wohl  dio  Werke  der  ägyptischen  Dichterschule  des  fünften  Jahr- 
hunderts im  Allgemeinen  als  für  die  Recitation  bestimmt  vorstellen;  und 


—     305    — 

bürgte  eben  diese  Bestimmung  für  mtlndlichen  Vortrag  der  Rhe- 
torik den  bedeutendsten  Einfluss  auf  weitere  Kreise  der  Litte- 
ratur,  so  drängte  natürlich  die  eigentliche  Redekunst  mehr  als 
alle  anderen  Gattungen  der  kunstmässigen  Prosa  vom  stummen 
Lesen  zum  Vortrage  vor  versammelten  Hörern. 

So  trat  denn  der  Sophist,  *  seine  Kunst  zu  zeigen,  aus  dem 
Schatten  seiner  Schule.  An  hohen  Familienfesten  war  er  der 
berufene  Redner;  vor  den  Provinzialbeamten  und,  in  besonderen 
Sendungen,  vor  dem  Kaiser  selbst,  vertrat  er,  in  prächtigen 
Kunstreden,  die  Angelegenheiten  seiner  Gemeine  oder  Provinz. 
Die  höchste  Probe  seiner  Kunst  hatte  er  abzulegen,  wenn  er  in 
voller  Oeffentlichkeit  vor  allem  Volk  auftrat.  Durch  Programme 
und  Boten  tagelang  vorher  eingeladen  versammelte  sich  das 
Volk  im  Theater  oder  in  gemiethelen  Sulen,  in  spaterer  Zeit, 
bei  zunehmender  Scheu  der  Gebildeten  vor  der  OeH'entlichkeit, 


überhaupt  hat  man  sich  wohl  die  meisten  griechischen  Poeten  gerade  der 
späteren  Zeiten  als  wandernde  »Rhapsoden«  zu  denken,  welche  von  Ort  zu 
Ort  ziehend,  vor  grösseren  Versammlungen  (häufig  an  den  nationalen 
Agonen)  ihre  Dichtungen  vorlasen  oder  dedamirten.  Ein  Typus  derselben 
(wohl  auch  für  spätere  Zeit  gültig]  ist  z.  B.  der  von  Cicero  vertheidigte 
Archias  (s.  namentlich  Cic.  p.  Arch.  §  4.  3).  —  Die  Historiker  scheinen 
ebenfalls  die  alte  (vorzüglich  aus  den  Anekdoten  über  Herodots  Vorlesun- 
gen bekannte)  Sitte,  ihre  Werke  vorzulesen,  lange  Zeit  beibehalten  zu 
haben.  (Von  Mnesiptolemus,  der  am  Hofe  Antiochus  des  Grossen  lebte, 
Athen.  X  432  B:  MvrjOtTrxoXifjLOu  dvolfvaioiv  iroiYjaafxivou  tosv  'loroptoiv).  So 
kennt  Lucian  die  Werke  der  zahlreichen  Geschichtsschreiber  des  Parther- 
krieges des  Verus,  die  er  in  seiner  Schrift  De  bist,  conscr.  verspottet, 
sämmtlich  nur  aus  Vorlesungen;  welche  dieselben,  in  Jonien  und  Achaia, 
veranstaltet  hatten:  man  lese  nur  darauf  hin  c.  44  IT.  jener  Schrift.  (Auch 
Ammianus  Marcellinus  las  zu  Rom  in  öffentlichen  irtoel^etc  seine  Historien 
vor:  Libanius  epist.  983).  —  Die  eigene  Schriftstellerei  des  Lucian  war 
aber  nicht  minder  zunächst  zum  mündlichen  Vortrag  bestimmt.  Dies  gilt 
sogar  von  den  Dialogen  nach  mcnippischer  Art  aus  der  mittleren  Lebens- 
zeit des  Autors:  dass  diese  in  dxpodoei;,  vor  einer  grossen  Menge  vor- 
getragen wurden,  bezeugen  der  »Zeuxistc  und  » npofjLT|Oeuc  ei  is  X(5yoi;«  des 
Lucian  ganz  unzweideutig  (im  Prom.  namentlich  c.  2 :  VjfACt;  ol  eU  ~a  ttXt]^ 
raptovTCC  xal  rd;  ToiauT«?  töv  dxpodseaiv  iTZv^-^iWoynt^,  c.  7 :  tou«  dxo6ovTa;. 
Vgl.  auch  Bacch.  5).  Ja,  die  in  Briefform  an  einen  Freund  gerichtete 
Schrift  TTfipi  Ttuv  tTtl  \nz9(^  o'jvövToav  war  vom  Verfasser  zunächst  vorgelesen 
und  dann  erst  für  die  Lcctüre  herausgegeben  worden  (s.  pro  merc.  cond.  8: 
rdXai  e6^jOx((Ar^at  ooi  toutI  t6  o^^fpafi^a  [eben  das  de  merc.  cond.]  xal  £v 
icoXX(f>  TiXVjOei  0€i)rÄlN ,  cb;  ol  töte  dxpoaadfjievoi  oit^y^^'^'^^  >  **'^  ^^^^  Tiopd  xolc 
zezai^eufiivoi;,  6:iöooi  6fji,i).etv  auTtp  xal  cid  x^^P^'»  ^7^^'^  "^Sloiaav.     Weiterhin ; 

Robdc,  Der  grieohiache  Roman.  20 


—    306    — 

;iuch  wohl  in  kleinen  Theatern  im  eigenen  Hause  des  Redners';. 
Häufig  zog  der  RedekUnstler  in  die  Fremde;  manche  Sophisten 
brachten  lange  Zeit  auf  solchen  Kunstreisen  zu,  die  sie  bisweilen 
bis  fem  in's  südliche  Aegypten^)  führten;  die  fest  angestellten 
Lehrer  reisten  wenigstens  in  den  Sommerferien ^i  von  Stadt  zu 
Stadt.  In  grosseren  Stüdten  gaben  sie  Schauvorsteliungen ;  die 
einheimischen  Redner  veranstalteten  bisweilen  einen  förmlichen 
Rednerkampf  mit  den  Fremden^}.  Am  Liel)sten  zogen  sie  den 
grossen  Nationalfesten  nach:    in  Olympia   und  an  den  anderen 


Opa  Srtu;  [AT^oei;  Iti  dxouarjrai  oo'j  dvaYivcaoxovro;  oOtö).  —  Für  die  münd- 
lichen und  öfTentlichcn  Vorträge  der  Grammatiker  bieten  der  famose  Apion 
und  der  Freund  des  Aristides,  Alexander  von  Cotyaeum  (s.  namentlicb 
Aristid.  XII,  I  p.  86,  5  ff.  Jebb.)  zwei  merkwürdige  Beispiele:  s.  Lehrs, 
Quaestt.  epic.  Abb.  I.  (Immerhin  eine  Richtung  auf  vorzüglich  persönliche 
Wirkung  und  mündliche  Belehrung,  wenn  auch  in  engerem  Kreise,  zeigen 
auch  die  alten  Heroen  der  grammatischen  Wissenschaft,  Zenodot,  Aristo- 
phanes,  Aristarch,  wenn  sie,  wie  nicht  bezweifelt  werden  kann,  die  Be- 
gründung ihrer  kritischen  Meinungen  und  Festsetzungen  im  homerischen 
Texte  nicht  in  schriftlichen  Commcntarien  niederlegten,  sondern  dieselbe 
nur  in  mündlichem  Lehrvortrag  ihren  Zuhörern  mittheilten ,  weiche  sie 
dann  wohl  oder  übel  der  Nachwelt  überlieferten).  —  Von  den  örTentlichen 
Vorträgen  mancher  Philosophen  gelegentlich  unten  ein  Wort.  —  Nach  allem 
diesen  scheint  es  doch  sicher  zu  sein,  dass  die  römische  Sitte  der  reci- 
tationes  aus  Griechenland  übernommen  ist,  und  dass  wir  die  wesentlichen, 
so  wohlbekannten  Züge  der  römischen  Vorlesungen  auch  nach  Griechen- 
land, in  unserer  Vorstellung,  übertragen  dürfen.  Gewiss  ist,  dass  die  Be- 
rechnung auf  einen  mündlichen  Vortrag  den  Charakter  der  griechischen 
Schriftstcllerei,  namentlich  in  formeller  Rücksicht,  stark  bestimmen  musste: 
so  erklärt  sich,  denke  ich,  z.  B.  die  Vermeidung  Jdes  Hiatus,  die  rhyth- 
mische Sorgfalt  auch  in  Prosaschriften  wesentlich  hieraus. 

1)  S.  Eunapius  V.  Soph.  p.  69;  vgl.  Wernsdorf  zu  Himerius  or.  XVI 
p.  673. 

2;  Bis  nach  Aethiopicu  reiste  z.  B.  Alexander  Ilr^XorXaTiuv :  Phiiostr. 
V.  S.  p.  77,  25.  Aristldes  erzählt  das  Gleiche  von  sich  selbst :  s.  or.  XLMU 
Al-^iimo;,  namentlich   (vol.  II]  p.  *57  f.  ed.  Dind. 

3)  Sommerferien  der  Hhetoren  (ebenso  wie  in  Rom) :  Sievers,  Libanios 
p.  23.     Rhetorische  Kunstreisen  während  dieser  Zeit:  ebcndas.  p.  26. 

4)  Davon  das  wunderlichste  Betspiel  bei  Plutarch  de  san.  tuenda  14: 
der  Sophist  Niger  in  Galatien  [oder  Gallien)  lässt  sich  mit  einem  zugewan- 
derten Sophisten  in  einen  Weltkampf  im  fAeXetav  ein ,  l)eachtet  in  seinem 
Eifer  nicht  eine  Fischgräte,  die  ihm  vor  Kurzem  im  Halse  stecken  geblieben 
war,   zieht  sich  durch  seine  Anstrengung  eine  Entzündung  zu,   und  stirbt. 


—     307     — 

Stätten  der  grossen  Wettspiele  durfte  in  damaliger  Zeit  der 
epideiktische  Vortrag  kunstreicher  Reden  nie  fehlen  ^) . 

An  Götterfesten  hatten  die  Redner  der  öffentlichen  Begeiste- 
rung Worte  zu  leihen;  und  man  mag  sich  als  die  glänzendste 
Sonnenhöhe  dieser  neuen  Sophistik  den  Tag  vorstellen,  an  wel- 
chem der  aus  Smyrna  herbei  gezogene  Polemo  zur  Einweihung 
des  im  grauen  Alterthum  begonnenen,  nun  endlich  durch  Ha- 
drian  vollendeten  Olympieion  in  Athen,  Von  der  Schwelle  des 
erhabenen  Tempels  vor  dem  Kaiser  und  allem  Volk  die  Bedeu- 
tung des  Tages  rednerisch  zu  feiern  hatte,  an  welchem  man  in 
der  That  an  das,  durch  die  Gunst  des  Herrschers  erweckte, 
nun  im  herrlichsten  Symbol  sich  widerspiegelnde  neue  Leben 
der  alten  Hellas  zu  glauben  sich  verleiten  lassen  konnte. 

An  solchen  festlichen  Tagen  trat  nun  der  Sophist,  von  zahl- 
reichen Schülern  geleitet,  vor  das  Volk,  im  Schmuck  der  reich- 
sten Gewänder,  wie  sie,  im  Gegensatz  zu  der  absichtsvoll 
schlichten  Tracht  der  Philosophen  zu  den  Abzeichen  der  Rhe- 
toren  gehörten  ^) .  Seine  Vorträge  selbst  konnten  sehr  mannich- 
ialtiger  Art  sein.  Häufig  hielt  er  eine  wohl  vorbereitete  Rede 
<ler  epideiktischen  Art,  sei  es  nun,  dass  diese  einen  fingirten 
<yegenstand  der  gerichtlichen  oder  der  berathenden  Beredtsam- 


1)  Vgl.  Cresollius  p.  480  ff.,  wo  aber,  wie  in  jenem  Werke  überall, 
«Ue  Zeiten  durcheinander  geworfen  sind.  Für  unsere  Periode  vgl.  noch 
l«ucian  Pseudolog.  5  init.  (Olympia)  Die  Chrysostom.  er.  VIII  p.  277/78  R. 
(Isthmische  Panegyris)  Lucian  Herodot  8  (grosse  Paneygris  in  Thcssalonike, 
^o  viele  Sophisten,  Rhetoren  und  Historiker  zusammenkommen  und  auch 
liucian  selbst  [vgl.  Scytha  9  ff.]  auftritt). 

2)  Wegen  der  glänzenden  Tracht  der  Sophisten  vgl.  namentlich  Lucian 
Khet.  praec.  16.  16,  Philostr.  V.  S.  p.  43,  22  (Polemo)  91,  18  (Adrianus). 
Blanche  Sophisten  verschmäheten  sie:  so  Aristides:  or.  LXIX,  II  p.  895,  8  ff. 
4ebb.  (Charakteristisch  genug  ist  es,  dass  in  späterer  Zeit  der  Tpißwv 
^ivtxou;  zu  einer  förmlichen  privilegirten  Uniform  der  Sophisten  wurde: 
Ol^inpiodor  in  Fr.  hist.  Gr.  IV  p.  68  f.  §  28 :  vgl.  Cresollius  p.  243  ff. 
Agathias  hist.  II  29  p.  68  C:  otoXi^|V  -^(A7c(o)^eTO  aefA,voTdt7)v,  67:o(av  rap'  i^fA,Tv 
t>t  Twv  }j&fn»'^  xa&Tj'pQTal  xal  ot^cHoxGiXoi  dfi^t^wjvrai) .  Der  Gegensatz  zu  der 
einfachen  Tracht  der  Philosophen  wird  öfter  hervorgehoben:  z.  B.  von 
Themistius  or.  XXVIII  init.  Als  Aristokles,  durch  Herodes  Atticus  bekehrt' 
von  der  Philosophie  zur  Sophistik  übertrat,  vertauschte  er  alsbald  seine 
bisherige  unsaubere  «Tracht  (ouaTriv?)«  rt^^  Isdfjta}  mit  einem  eleganteren 
Aeusseren:  Philostratus  V.  S.  p.  74,  18  ff.  VgL  die  Anekdote  von  Philo- 
stretus  bei  Plut.  Anton.  80. 

•      20* 


—     30S     — 

keil  behandelte  ^K  oder  diiss  sie  aus  dem  weiten  Gebiete  der 
eigentlichen  Prunkrede  oder  der  Gelegenheitsrede  irgend  ein, 
dem  Orte  und  der  Veranlassung  des  jedesmaligen  Auftretens 
angeuiessenes  Thema  zum  Stoffe  ihrer  künstlerisehen  Bearbeitung 
er>vahlle.  Im  L'ebermuth  des  KUnstlerbewusstseins  wandte  er 
auch  wohl  einmal  Wilz^  Laune  und  Scharfsinn  an  die  lobprei- 
sende Ausfuhrung  eines  jener  »unansehnlichen  Themen«,  der- 
gleichen schon  die  alten  Sophisten  behandelt  hatten,  und  von 
deren  kunstgemilsser  Ausarbeitung  uns  Lucians  »Lob  der  Fliege« 
ein  sehr  zierliches  Beispiel  darbietet  2). 

Den  höchsten  Triumph  konnte  aber  die  Kunst  in  einem 
gänzlich  unvorbereiteten  Vortrag  über  ein  erst  in  der  Feslver- 
sammlung  selbst  gestelltes  Thenm  feiern.  Solche  Improvisa- 
tionen, welche  nur  bei  der  reifsten  Entwickelung  der  Kunst- 
übung, unter  einem,  im  höchsten  Grade  mit  Liebe  und  Ver- 
stiindniss  der  Kunst  gleichsam  durchtränkten  Volke  irgend  einen 
Erfolg  haben  können,  waren  in  Griechenland  seil  Alters  beliebt. 
Schon  Gorgias  ghinzte  in  improvisirten  Beden  ^l,  bei  Dichtem 
war  diese  l.'ebung  vielleicht   schon  althergebracht*)  ;    wir  hören 


1  Solche  i-TAliilm  X«5y(uv  roXixixojv  kann  man,  im  wieiteren  Sinoe, 
doch  auch  zum  fi^oi  erioeixTixov  rechnen.  (Vgl.  Menandcr,  Rhet.  Sp.  III 
p.  331,  45  ff... 

2)  Lob  des  Wechselfiebers,  der  Mücke  etc.  Beispiele  solcher  H^i 
'jT.oHoeii  aus  alter  und  neuerer  Sophistcnzelt  bei  Crcsollius  p.  20t  f. ;  vgl.  ^  I. 

Volkmann,  Rhetorik  d.  Gr.  u.  R.  i65. 

:r  Die  Zeugnisse  bei  Zeller,  Philos.  d.  Gr.  I  930  ;3.  AuH.).  —  Vom  tf^» 
Isokrates  wird  diese  Kunst,  improvisirend  Ttepl  ixaoro'j  tojv  TrpoßoXXojiivaiv  -^»^«v 
circiv  vorausgesetzt  in  der  Anekdote  bei  Galen  r.  toO  rrpoYtvciaxEtv,  XIV  67J  K.       —  -^. 

4)  Improvisationen  des  Maracus,  des  Antipater  von  Sidon,  des  Licintus  -^^ms 
Archias,  mancher  Dichter  zu  Quintilians  Zeit;  allgemein  ausgebreitete  Sitte  ^^-^e 
der  Improvisation  in  Tarsos  in  Cilicicn :  s.  Welcker,  Kl.  Sehr.  II  X  Ml 
p.  XC — XCll.  Von  den  Künsten  dieser,  an  die  italienischen  iroprovisalori 
erinnernden  spaten  Autoschediasten  will  W.  die  natürliche  Gabe  der  Augen 
blicksdichtung  am  Anfang  der  Geschichte  der  Dichtung  streng  anter8chiedentf~si  n 
wisi»en.  Im  Allgemeinen  gewiss  mit  Recht;  aber  es  findet  sich  doch  ein^^  -«e 
bestimmte  Spur  einer  eißentlichen  kunstmässigen  Improvisation,  bei  gege —  -s?- 
benem  Thema,  auch  in  iilterer  Zeit.  In  dem  s.  g.  Certamen  Homeri  c 
Hesiodi,  dessen  Urform  auf  Aleidamas  zurückgeht,  beginnt  Hesiod  dami 
dass  er  dem  Gegner  einzelne  Fragen  vorlegt ,  welche  dieser  sofort  in  dici 
terischer  ^'orm  beantworten  muss:  p.  7.  8  ed.  Nietzsche;  er  Tährt  dam 
fort  p.  4«— U.  Das  ist  doch  nichts  anderes  als  ein  förmlicher  Wettkam 
im  Improvisiren  (vgl.  Nietzsche,  Rhein.  Mus.  XXV  589  f.  ;  und  so  enül»  it 


—    309    — 

späterer  Zeit  noch  gelegentlieh  von  dichterischen  Improvi- 
>ren:  selbst  Grammatiker,  wohl  auch  Philosophen  Hessen 
i  bisweilen  solche  alsbald  auszuführende  Themen,  zur  Uebung 

Geislesgegenwart  und  zur  Bewahrung  eines  sicheren  Wissens 
l  Verstehens,  aufgeben^).  Gern  möchte  man  erfahren,  ol) 
Redner  der  asianischen  Schulen  ähnliche  Improvisationen 
ntlich  veranstalteten.  Dem  Auftreten  der  Rhetoren  aus  der 
jiten  Sophistenzeit  geben  jedenfalls  gerade  diese  aulosche- 
>tischen  Reden  sein  besonderstes  Gepräge.  Der  zu  solchem 
gniss  bereite  Redner  verlangte,  nachdem  er  wohl  meistens 
3  kurze  Rede  zur  Einleitung  voraufgeschickt  hatte^) ,  ein  Thema ; 

Angesehenste  unter  den  Hörern  stellte  etwa  zuerst  eine 
gäbe 3);  Andere  folgten  ihm;  unter  der  Anzahl  der  Themen 
rde  eines,  sei  es  nach  dem  Belieben  des  Redners  oder  nach 
Scheidung  des   Publicums,    ausgewählt^),    über  welches  der 


1  auch  Plutarch,  conv.  Vll  sap.  4  0  von  diesem  Wettkampf  ganz  in  den, 
t  bei  rhetorischen  Autoschediasmen  üblichen  Ausdrücken:  ^pojTfjiei; 
»ßaXov.  —  dTiexptvaTO  0£  'IIolooo;  ix  toO  irapaTj/övcoc.  Mag  nun  auch 
Anordnung  jenes  Certamen  erst  dem  Aleidamas  angehören,  so  war  doch 
>  allen  Zweifel  die  Sage  davon  viel  älter,  und  diese  Sage  selbst  hat  gar 
c  Consistenz,  wenn  sie  sich  nicht  auf  den  thatsüchlichen  alten  Gebrauch 
her  Wettkarapfe  der  Rhapsoden  verschiedener  Schulen  in  dichterischen 
rspielen,  Lösung  von  Räthselfragen  und  improvisirter  Ausführung  gegebener 
cnen  stützen  konnte.  Etwas  Verwandtes  waren  ja  auch  jene  Wettkämpfe 
oetischen  Räthseln ,  wie  sie  z.  B.  in  den  hesiodischen  Gedichten:  »die 
bzeit  des  Keyx«,  und  »Melanipodie«  geschildert  wurden  (und  ähnlich 
.  B.  in  der  alten  Edda  sich  vorfmden). 

1)  Grammatiker  traten  im  Theater  auf,  und  hielten  ex  tempore  einen 
rag  über  eine,  zur  Behandlung  ihnen  aufgegebene  Stelle  irgend  eines 
sikers :  s.  Lehrs  Aristarch  p.  221   f.  ed.  I. 

2)  Eine  solche  praefatio  schickte  der  Rhetor  Isaeus  seinen  extempo- 
in  Vorträgen  voraus:  Plin.  epist.  II  3,  1.  Die  rpoXaXiat  des.  Lucian 
tin.,  Herod.,  Zeux.,  de  domo,  Dionys.,  Herc,  electr.,  Dips.)  geben 
n  genauen  Begriff  solcher  Vorreden,  in  denen  eine  anmuthig  gewendete 
iblung  schliesslich  stets  in  eine  persönliche  Empfehlung  des  Reden- 
ausläuft:   aber  sie  bilden  Einleitungen  zu  wohl  vorbereiteten,  nicht  zu 

mporirten  Reden  und  Vorträgen. 

3)  So  wenigstens  bei  Philostr.  V.  S.  p.  41,  %2:  als  der  Sophist  Marcus 
Byzanz  einst  in   Smyrna   die   otaxpißf,  des  Polemo  besuchte,  toD  floH- 

o;    aiToüvTo;    xd;    üTroO^aei;,    dnecxp^'fovTO    TidvTe;    d;    tov    Mdpxov,    Iva 

idXot. 

4)  Der  Redner  kann  von  den  aufgegebenen  Themen  einige  verwerfen: 
ian  Rhet.  praec.  18.      Plinius  epist.  II   3,  2    vom   Improvisator  Isaeus: 


X  » 


—    310    — 

Sophist  ohne  Weiteres,  höchstens  nach  einer  kurzen  Meditation  ^}, 
zu  reden  hatte. 

Bisweilen  kamen  nun  wohl  kleine  [Betrtigereien  bei  diesem 
Vorgange  vor,  durch  welche  dem  Redner  wohlbekanntes  als 
neu  und  unvorbereitet  vorzutragen  ermöglicht  werden  sollte^). 
Im  Allgemeinen  aber  darf  man  sich  die  improvisirten  Vorträge 
als  höchst  kunstreich  und  glänzend,  ja  als  die  glänzendste  Leistung 
dieser  Sophisten  überhaupt  vorstellen.  Lehrt  doch  eine  alte« 
heutzutage  wenigstens  an  Musikern  zu  erneuernde  Erfahrung, 
dass  eine,  durch  sorgsame  Uebung  bis  zur  mtlhelosen  Herrschaft 
über  die  Form  ausgebildete  Kunstfertigkeit,  im  Augenblick  einer 
lebhaft  erregten  Gluth  der  Empfindung,  bisweilen  ihren  Meister 
in  einem  wogenden  Erguss  seiner  Kunst  emporzuheben  und 
fortzutragen  vermag,  dessen  Kraft,  Schönheit  und  Stlssigkeit  in 
einer  ktlhleren  Stunde  und  bei  absichtlicherem  Bemtthen  ihm 
zu  erreichen  nie  wieder  gelingen  wilP).  Schon  darum  würden 
wir  sehr  unrecht  thun,  die  Verdienste  jener  rednerischen  Im- 
provisatoren nach  den  uns  erhaltenen  schriftlichen  Compositionen 
derselben  Sophisten  zu  beurtheilen*).  Die  wichtigste  Voraus- 
setzung zu  einer  bedeutenden  Wirkung  solcher  Improvisationen 
liegt   freilich   in  einem  Publicum,   welches   mit  Andacht  und 


poscit  controversias  plures,  eleclionem  auditoribus  permittit.  Das  end- 
gültig erwählte  Thema  ist  i^  vevixT]xuta  uirö&eaic  (Philostr.  p.  78,  SO), 
r)  o::ouoa3&eToa  OiröOeoic  (ib.  80,  9). 

1)  Vgl.  Philostr.  p.  38,  89  ff.  (Scopelianus)  48,  U  ff,  (Polemo)  78,  81  f., 
(Alexander).    Eine  solche  kurze  Bedenkzeit  sich  zu  nehmen,  räth  ausdrück- 
lich Quintilian  X  7,  20. 

2)  Man  Hess  sich  etwa  durch  vorher  instruirte  Freunde,  aus  der 
Sammlung  heraus,   eine  Aufgabe  zur  Improvisation  stellen,   auf  die  m^ 
sich  bereits  genau  vorbereitet  hatte:   Lucian  Pseudolog.   5.  6.     Oder 
Hess  sich  ein  Thema  aufgeben,  über  welches  man  schon  einmal  an  andei 
Orten  improvisirt  hatte:    wie   bei   einer   solchen   Gelegenheit  der  Sopfti^ 
Philagros  von  seinen  Neidern  verhöhnt  wurde,  erzählt  Philostr.  p.  85. 

3}  Quintilian  X  7 ,  j  3  f. :   si  calor  ac  Spiritus  tulit ,  f^equenter  acei« 
ut  successum  extemporalem  consequi  cura  non  possit.    Deum  tuncadfaii 
cum  id  evenisset,  veteres  oratores,    ut   Cicero   dielt,   aiebant.     Sed  r^Ci« 
manifesta  est.  u.  s.  w. 

4)   Seneca  controv.   III  praef.    p.   844,   80  ff.   Kiessl.)   von  dem    am»»- 
gezeichneten  Improvisator  Cassius  Severus:  non  est  quod  illum  ex  his  qu«e 
edidit  aestimetis  u.  s.  w. 


i 


—    311    — 

zugleich  einem  schnellen  Verständniss  und  bewusstem  Genuss  ^} 
allen  Feinheiten  und  Schönheiten  der  Rede  zu  folgen  vermag. 
Ein  solches  Publicum,  wie  es  gegenwärtig  in  der  ganzen  Welt 
nirgends  anzutreffen  sein  möchte,  war  im  damaligen  Griechen- 
land durch  die  allgemein  verbreitete  rhetorische  Schulung  der 
höher  Gebildeten  förmlich  herangezogen:  und  so  begreift  man 
denn  die  Schwelgerei  des  EntztLckens,  den  leidenschaftlichen 
Beifall,  mit  welchem  diese  Hörer  alle  geistreichen,  kraftvollen, 
fein  gewendeten  Stellen  einer  wohl  gelungenen  Improvisation 
aufnahmen.  Die  Redner  bedurften  durchaus  der  lebhaften  Zu- 
rufe, des  Klatschens  und  TtLcherwehens^) ;  die  feurige  Natur 
der  Hörer  Hess  diese  selbst  nicht  stille  sitzen  3]  :  es  ist  sehr 
thöricht,  dieser  Lebhaftigkeit  der  Empfindung  die  gleiche  Lebhaf- 
tigkeit der  Aeusserung  zu  vertlbeln.  Die  Eifersucht  der  Rhe- 
toren  und  ihrer  Anhänger,  gegenüber  den  Concurrenten,  schürte 
noch  das  Feuer;  Schüler  und  Freunde  des  Redenden  bildeten 
eine  Claque^);  die  allzu  genauen  Kenner  der  Kunst  übten  eine 
scharfe  und  gefährliche  Kritik^]. 


1)  Einen  bewussten  Genuss  aller  rhetorischen  Kunstmittel  verlangt 
vom  Hörer  z.  B.  Aristides  or.  XLIX,  II  p.  &i9  ff.  Dind. 

2)  Philostr.  V.  S.  p.  444,  3:  ixxpoUi  fäp  ojtUfrt  Xö^ov  xal  dxponzifi 
ocfAvcp  irpoO(67:c|>  xal  ßpa^uc  liraivo«  xal  t6  y^i  xpoxeTadat  ouvi^&mc  xtX. 
(Tacitus  dial.  89:  oratori  clamore  plausuque  opus  est).  Ueber  die  Empfind- 
lichkeit des  Rhetors  gegen  kalte,  unaufmerksame,  spöttische  Zuhörer, 
eine  drastische  Ausführung  bei  Synesius,  Dio  p.  842,  45  ff.  (ed.  Dindorf, 
hinter  dem  Dio  Chrysost.).  —  Ueber  das  Beifallrufen  bei  den  rhetorischen 
Schaustellungen  vgl.  im  Allgemeinen,  ausser  CresoUius  p.  271  ff.,  auch 
P.  E.  Müller,  De  genio  aevi  Theodos.  I  57 ,  Sievers,  Libanius  p.  27.  Noch 
im  sechsten  Jahrhundert  schreibt  ein  Bewunderer  dem  Rhetor  Procopius 
(Proc.  epist.  49):  »bei  jedem  Worte  deiner  Grabrede  erfüllte  ich  und 
alle  Zuhörer  das  Theater  (mit  Beifallrufen) ,  indem  wir  jedesmal  mit  S  te  n  t  o  r  •> 
stimme  (ßo6bvrcc  orevr^pctov)  schrieen.«    Das  muss  nett  gewesen  sein. 

3)  ThemisUus  XXVI  p.  815  C:  du$e(ji(a  (ay)xocvi?j  töv  TtjiXöiftp  b\koita^o'rrzoL 
xtTodat  dfvfls  (dfvco  Harduin]  inX  t?Jc  nirpac,  xal  xoO  ß^&pou  (add.  aäroO?) 
(ixivTjTdTepov. 

4)  Dies  sind  die  x^P^^'  Lucian  Rhet.  pr.  21.  Ein  speculativer  Rhetor 
in  Smyma  Hess  seine  Schuldner  sich  schriftlich  verpflichten,  seinen  [uktzat 
beizuwohnen  (natürlich  nicht,  um  stumm  zuzuhören) :  Philostr.  V.  S. 
p.  54,  U  ff.  Sonst  vgl.  noch,  ausser  CresoUius  p.  292  ff.,  Petavius  zu 
Themist.  or.  XXI  p.  244  B  (p.  648  f.  Dind.). 

5)  Vgl.  namentlich  Lucian,  Rhet.  praec.  22.  Dergleichen  Kritiker  meint 
wohl  Aristides,  or.  XLIX,  II  p.  895,  22  ff.  Jebb.  unter  den  dort  erwähnten 


—     312    — 

Von  dem  ZusainincnwirkcD  des  Redners  und  der  Hörenden 
iu  solchen  gesteigerten  Momenten  eine  wirkliche  Vorstellung  zu 
gewinnen,  ist  sehr  schwer;  man  darf  aber  glauben,  dass  in  der 
That  den  glUckliciien  Redner  bei  solchen  Veranlassungen  ein 
durch  die  spontane  Ilervorbringung  des  rhetorischen  Kunst- 
werkes lebhaft  aufgeregtes  WohlgefUhl  der  eigenen  Kraft  \i,  ein 
an  dem  Tönen  und  Wogen  der  klangreichsten  Sprache,  an  der 
»Fülle  des  eigenen  Wohllauts«  entzündeter,  halb  musikalischer 
Rausch  euiportrug  zu  einer  Begeisterung,  welche  die  alten  Rhe- 
toren  sel1)st  mit  dem  furor  poi'ticus  insofern  nicht  unpassend 
vergleichen ,  als  dieselbe  in  der  höchsten  Erregung  doch  der 
sicheren  Handhabung  sorgfältig  eingeübter  Kunst  nicht  vergass*}. 
Die  ganze  Person  des  Redners  wirkte  zur  Darstellung  des  ora- 
torischen  Kunstwerkes  mit.  Die  Stimme,  durch  besondere 
l'ebung  und  diaetetische  Mittel  geschmeidig  gemacht^,,  folgte 
allen  Stiumiungen  der  Rede  mit  einem  fast  nmsikalischeu  Aus- 
drucke,  welcher  bisweilen,  nach  einer  vcm  den  asianisehen 
Rheloren  vererbten  Tusitte ,  in  einen  förmlichen  Singeton  aus- 
artete^), und  für  sich  allein,  gleich  dem  Gesänge  eines  Vogels, 


TTposa-ycoYer«.. —  Man  lese  namentlich  auch,  was  Libanius  im  'AvTio-/ixd; 
1  p.  335  R.;  von  dem  genauen  Kunstverständniss  des  ^esammten  Publicums 
und  im  Besonderen  der  rhetorischen  Concurrenten  in  Antiochia  erztthlt. 
wo  denn  vör^oa  voaoOv,  xai  «/f];i.a  rjixa(iTr,fjL2vov ,  xtX  i*f^ii.a  oie^^a^jxivov 
euO'j;  T/.to. 

1;  —  extcmporalis  audaciae  at(iue  ipsius  temeritatis  vel  pruecipoa 
jucunditas  est:  Aper  bei  Tacitus  dial.  6  extr. 

2;  vgl.  Arislides  or.  XLIX ,  II  p.  5i5  fT.  Dind.  %iimZy  Ososopf-T»; : 
Philostr.  V.  S.  p.  28,  U  ff.  .;vj:l.  Plutarch  de  reeta  rat.  aud.  45;.  S.  Cre- 
sollius  p.  257  ff. 

3;  ^^'SY.r^\li^r^  tt;  cojvtJ  Philostr.  p.  S2,  3ü  (der  daher  auch  oft  die  Stirom- 
weise  der  Hhetoren  hervorhebt:  p.  97,  48:  jj.e>.i-/pa  Tig  r*"^5?  P-  ®''»  -9 
TTaycia  ':f^  ^cnvi^  u.  s.  w.;.  Einige  übten  den  Körper  durch  Gymnastik: 
Philoslr.  p.  4  01,  S  ff.  Um  die  Stimme  geschmeidig  zu  machen,  ass  man 
xpa^axavt^a  u.  s.  w. :  s.  S>nesius  Dio  p.  342,  8i  ff.  Dind.  Vgl.  Seneca 
controv.  I  praef.  p.  63,  24   ff.  ed.  Kiessl. 

4j  Singeton  der  Asianer:  Cicero  urator  §  27,  §  57.  In  der  Sophisten- 
zeit: Lucian  Rhet.  pr.  49,  Demon.  12;  Plut.  recl.  rat.  aud  7.  (>)^|:  Phi- 
lostr. V.  S.  p.  4  4,  43;  26,  29;  vgl.  80.  7.  Bisweilen  wurde  es  doch  selbst 
dem  Philostratus  zu  arg:  vom  Sophisten  Varus  sagt  er,  p.  4  20,  9:  7,v  tiyjp* 
e*>f(uvtav  air/'jv(uv  xa|jL7:aT;  asfidiTtov  ai;  r.a^  'JnooyfjOaiwiJ  ti;  twv  daeXYCTripoiv 
(von  römischen  Rhctoren  seiner  Zeit  sagt  Tacitus  dial.  26 :  läudis  et  gloriae 
et   ingenii  loco  plerique  jactant,    cantari    saltarique   commentarios   suos.;. 


—     313    — 

oder  dem  Spiele  eines  Kilharoden,  auch  des  Griechiselien  un- 
kundige Hörer  ergötzen  konnte*).  Vielleicht  wurde  dieser 
singende  Ton,  den  man  noch  heutzutage  bei  einer  einseitig  auf 
das  Rhythmische  achtenden  Kecitation  von  Gedichten  wahr- 
nehmen  kann,  durch  die,  bis  zu  einer  unglaublichen,  einem 
modernen  Ohr  schlechterdings  unfassbaren  Zartheit  der  Empfin- 
dung ausgebildete  Achtsamkeit  der  antiken  Rhetoren  auf  dem 
rhythmischen  Bau  auch  der  prosaischen  Rede  befördert,  dessen, 
hei  diesen  sophistischen  Rednern  freilich  vielfach  in  weichliche 
Spielerei 2)  ausartende  Feinheit  der  Redner  jedenfalls  wohlgefällig 
hervortreten  liess.  Bis  zu  welcher  Vollkommenheit  die  Gebärden- 
sprache des  Redners  durch  Nachdenken  und  lange  Erfahrung 
ausgebildet  war,  ist  namentlich  aus  Quintilian  bekannt;  auch 
hierin  neigten  sich  die  Sophisten  jener  Zeit  zur  heftigsten  Ueber- 
treibung :  in  l)acchantischer  Erregung  sprangen  sie  wohl  von 
dem  Stuhle,  auf  dem  sie  anfänglich  sassen,  auf,  und  begleiteten 
ihre  Rede  mit  den  wildesten  Gesticulationen^..  Uebrigens  er- 
trugen antike  Hörer  hierin  viel  mehr  als  moderner  Geschmacks- 
richtung, wenigstens  in  nördlichen  LiSndern,   zusagen  würde  ^;. 


Aristides  rühmt  sich  selber  nach,  dass  er  von  dieser,  wie  von  anderen 
rhetorischen  L'narten  sich  frei  gehalten  habe:  or.  50  II  p.  412,  7  ff.  Jebb. ; 
vgl.  or.  49,  II  p.   395. 

\)  Den  in  Rom  angestellten  Adrianus  hörten  auch  die  des  Griechischen 
Unkundigen  gern,  »wie  eine  gesangreiche  Nachtigall«,  nur  um  seines  Vor- 
trags willen:  Philostr.  V.  S.  p.  93,  20  ff.  Aehnliches  vom  Favorinus  ibid. 
^tf  9  vVgl.  auch  die  alberne  Geschichte  von  Trajan  und  Dio  Chrysostomus 
ebend.  p.  8,  13  ff.).  Mit  der  Wirkung  des  Spieles  und  Gesanges  eines 
Kitharoden  vergleicht  den  Reiz  dieser  süssen  Reden  spöttisch  Dio  Chrysost. 
or.  XIX  p.  486/487  R. ;  vgl.  Plutarch  de  recta  rat.  aud.  7. 

2)  Bisweilen  begegnet  ihnen,  dass  sie  in  das  verpönte  l;jL[j.eTpov  verfallen 
(vgl.  Volkmann,  Rhetorik  p.  444  f.  451);  es  ist  nicht  unnütz,  hervorzu- 
heben, dass  sie  auch  hierzu  sich  durch  den  Vorgang  des  Hegesias  und  an- 
derer Asianer  verleiten  Hessen:  s.  Theo  progymn.  p.  71,  9  ff.  Sp.  —  Wie 
es  der  allzu  wohlgefällige  Rhythmus  war,  der  bisweilen  zum  singenden 
Vortrag  verleiten  konnte,  deutet  z.  B.  Demetrius  r..  ef.jj.T^v£ia;,  Rhet.  Speng. 
III  p.  802,  15  an,  wenn  er  den  Rhythmus  des  Plato  Y^.acpupöv  xi\  u>otxov 
caf^mi  nennt. 

3)  "ocUa^ai,  Tup-raviCeiv :  Philostr.  V.  S.  p.  33,  10  ff.  Vgl.  Lucian  rhet. 
praec.  19.  Cresollius  p.  255  ff.  Eine  förmliche  unöxpiai;  der  Sophisten  in 
den  [ukhai,  mit  welcher  sie  ganz  schauspielermässig  einen  Tyrannen- 
mörder, einen  Bauer,  einen  Armen  darstellten :   Lucian  de  saltat.  65. 

4)  Cicero  erlaubt   das  Schlagen   vor  die  Stirn,  das  heftige  Aufstampfen 

^ 


—     314    — 

Solch  ein  Tag  des  öffentlichen  Aufireteos  brachte  dem 
glücklichen  Redner,  im  Glänze  der  Bewunderung  und  des  Ruh- 
mes,  den  Lohn  der  längsten  Bemühungen,  um  so  mehr,  da  zu 
solchen  Festen,  wie  zu  dem  ergötzlichsten  Schauspiele,  die  ganze 
Bevölkerung  der  Stadt  bis  zu  den  Handwerkern  hinunter^), 
häufig  auch  die  höchsten  Würdenträger  des  Reiches,  ja  bis- 
weilen die  Kaiser  selbst  sich  einzufinden  pflegten.  Die  ganse 
Sache  ging  mit  einem  Pomp  vor  sich,  der  wohl  erkennen  liess, 
welche  Wichtigkeit  man  solchen  rednerischen  Schaustellangeii^ 
beimass.  In  der  That  waren  die  Helden  solcher  Ehrentage,  die 
Sophisten,  häufig  die  angesehensten  Männer  ihrer  «Stadt;  um  sie 
und  ihre  Angelegenheiten  drehte  sich  das  Interesse  ihrer  Mit- 
bürger, nicht  nur  in  dem  armen  Athen  sondern  selbst  in  dem 
glänzenden  Smyrna;  die  zahlreichen  Schüler,  welche  ihnen  aus 
den  fernsten  Provinzen  des  ungeheueren  Reiches  in  so  bunter 
Mischung  zuströmten ,  wie  nur  je  die  Studenten  aller  Länder 
den  grossen  Universitäten  des  ausgehenden  Mittelalters ,  trugen 
ihren  Ruhm  in  alle  Fernen^].     Es  gab  nun  freilich  eine  über- 


mit  dem  Fusse,  Quintilian  wenigstens  das  Schlagen  der  Uüfle  (irardvoctv 
Tov  fiTjpöv):  s.  Volkmann,  Rhetorik  p.  491.  [Dieselben  heftigen  Gesten  kann 
man  noch  heute  z.  B.  in  Italien  an  Predigermönchen  in  der  Fastenzeit  wahr- 
nehmen, und  sie  passen  gar  nicht  .übel  zu  der,  in  ihrer  drastischen  Art 
ganz  vortrefnichen  Declamationsweise  dieser,  von  einer  frei  stehendeo 
Bühne  zum  Volke  redenden  Bussprediger.) 

1)  Die  bemerkenswertheste  Angabc  über  den  grossen  Andrang  Im 
öfTentiichen  Vorträgen  berühmter  Rhetoren  findet  sich  in  einer  Stelle  des  « 
heil.  Basilius,  auf  welche  CresoUius  p.  208  hinweist:  epist.  45S  (nach  an-  ^ 
derer  Zöhlung  351 ;  Basilii  Caes.  Opp.  der  Ausgabe  der  Congregation  von  * 
S.  Maure,  Benedictiiter  Ordens,  Paris  4730,  T.  III  p.  460  G).  Dieser  be-  - 
richtet,  bei  Gelegenheit  eines  Vortrags  des  Libanius  in  Antiocbia:  oux '^ov  m 
Ttc    lim  Td>v   di[({ivaiv  •^e'ii9%ai ,   o'jx   dSi({i|xaTo;   ^'pctp   ouvdbv ,    o'j    OTpoTUomiotc  2 

rapeivai  xaTT^:t£(7ovTo  toic  ifSiois,    Tausend  Zuhörer  eines  Sophisten :  Arrian.^ 
Epfctet.  3,  23. 

2j  Nur  beiläufig  sei  an  die  zuweilen  ganz  ungeheueren  Honorarc^v 
dieser  Zuhörer  erinnert  i'dns  stärkste  vielleicht  Philostr.  V.  S.  p.  49,  6  tt.)e  i 
um  darauf  hinzuweisen,  dass  schon  damals  die  noch  immer  moderne  Weis— - 
heit  zur  Rechtfertigung  solcher  Collegiengelder  geltend  gemacht  wurde- 
wonach  ein  Unterricht,  den  man  umsonst  empfange,  von  den  Scbültii^i 
nicht  gebührend  und  jedenfalls  weniger  als  ein  durch  Honorar  erkaofl»^ 
geschützt  werde:  Philostratus  V.  S.  p.  43,  20  ff.,  und  ganz  Ähnlich  LikMa- 
nius  vol.  III  p.  441. 


—     315     — 

grosse  Anzahl  Sophisten  und  Redelehrer,  unter  denen  gar  manche 
in  Dürftigkeit  und  Dunkelheit  ihr  Brot  verdienten,  manche  auch 
als  Freibeuter  die  Vortheile  des  Berufes  gewissenlos  ausnutz- 
ten ;  wie  uns  denn  Lucian  ein  solches  schäbiges  Exemplar  eines 
Sophisten  sehr  lebendig  geschildert  hat*).  Die  uns  näher  be- 
kannten Rhetoren  bilden  einen  nicht  allzu  grossen  »Kreis«  von 
Berühmtheiten,  aus  welchem  sogar  ein  Talent  wie  dasjenige 
des  Lucian  ausgeschlossen  blieb  2).  Die  angesehensten  wieder- 
um unter  dieser  Auswahl  waren  von  einem  Sonnenglanz  des 
Ruhmes  umflossen,  wie  nur  je  ein  Künstler  oder  Humanist  der 
Renaissance.  Ich  erinnere  nur  an  zwei  rechte  Vorbilder  der 
.Sophistik  aus  ihrer  glänzendsten  Zeit:  an  Herodes  Atticus, 
der  unter  den  Antoninen  in  Athen  |lebte  als  gefeierter  Lehrer 
der  Kunst,  als  Freund  der  Kaiser,  als  grossartiger  Wohlthäter 
der  Stadt,  zu  deren  Nutzen  und  Verschönerung  er  ein  fürst- 
liches Vermögen  fürstlich  aufwandte,  »der  König  der  Rede«, 
»die  Zunge  der  Hellenen «^j;  und  an  jenen  Polemo,  welcher 
etwa  zur  gleichen  Zeit  an  dem  andern  Hauptsitze  der  Sophi- 
stik, in  Smyma,  im  höchsten  Glänze  lebte  und  lehrte,  und  mit 
einem  erstaunlichen  Stolze  und  Selbstgefühl  seines  Ruhmes, 
der  sich  vornehmlich  an  seine  glänzenden  Improvisationen 
knüpfte ,  und  seiner  stattlichen  Reichthümer  genoss.  Er  trat 
mit  grossem  Pompe  öffentlich  auf;  in  dem  üppigen  Smyma  be- 
wohnte er  das  glänzendste  Haus,  und  trug  die  Stirn  so  hoch, 
dass  er,    wie  Philostratus    berichtet,  »mit  den  Stadtgemeinden 


1)  Die  gedrückte  Lage  der  vier  Redelehrer  in  Antiochia  schildert  Li- 
banius  in  der  Rede  btzkp  Tdäv  j^Tjtöpwv,  t.  II  p.  908  ff.  —  Das  oben  erwähnte 
»schttbige  Exemplar«  ist  Lucians  ^euSoXoftar/)C'-  über  die  Praktiken,  zu 
denen  ihn  seine  Armutb  veranlasste/  vgl.  namentlich  Pseudol.  c.  30. 

2)  4  Toöv  ootptOT&v  x6xXoc:  Philostr.  V.  S.  p.  27,  29;  <09,  30;  424,  5. 
Dass  Philostratus  in  seinen  Sophistenbiographien  des  Lucian  mit  keinem 
Worte  gedenkt,  ist  auffallend  genug :  die  Gründe  dieser  »Secretirung«  hat 
der  treffliche  Solanus  in  Kürze  sehr  richtig  bezeichnet,  zu  Luc.  pro  merc. 
cond.  15  (111  p.  582  Bip.).  Uebrigens  muss  irgend  ein  späterer  Geschicht- 
9ehreiber  der  Sophistik  auch  Lucians  Leben  erzählt  haben:  wober  wüsste 
sonst  Suidas,  dass  er  anfönglich  ^ixT^^öpo;  h  'Avttoxe^  t^c  Sup(ac  war,  was 
ja  in  seinen  Schriften  nicht  überliefert  wird?  (lieber  die  christlichen 
Erweiterungen  der  Lebensgeschichte  des  BXda;p7)fA,oc  ^  AuacpT]fAoc  s.  Fritzsche, 
Xuc.  opp.  I  2  p.  70.  p.  76). 

3]  ßaatXeu;  Td)v  Xöfcav  (s.  auch  Lucian,  Rhet.  praec.  M],  'EXXi^vo^ 
YX&oera:  vgl.  Westermann,  Gesch.  d.  griech.  Beredts.  §  90,  43. 


—     310     — 

wie  ein  höher  Gestelller,  mit  Herrschern  ohne  Unterthänigkeii, 
mit  Göttern  auf  dem  Fussc  der  Gleichheit  verkehrte^)«,  ja,  was 
wohl  noch  mehr  sagen  w  ill,  sogar  vor  einem  verehrlichen  Publi- 
cum durchaus  nicht  die  herkömmliche  Deumth  bezeigte ^j. 

Es  gab  nun   wohl   sehr    verschiedenartige   Richtungen   und 
Charaktere  auch  unter  der  Zahl  der  auserwühlten  Mustersophi- 
sten, wie  denn    z.  B.    Aristides   einen   bewussten    Gegensatz 
zu   den   »Asianern«   seiner    Zeit   bildete 3.,    das  ^Stegreifreden 
mit  harten  Worten  verwarf,  und  auch  wirklich  in  seiner  eige- 
nen schwerfälligen  und  umstiindlichen  Schreilnyeise  sehr  wenig 
von  dem  Feuer  und  der  koketten  Leichtigkeit   eines  Improvisa- 
tors zeigt.    Dennoch  sind  den  ineisten^Charakteren,  sowohl  der, 
durch  die  hier  beispielsweise  genannten  Männer  vertretenen  Zeit 
der  eigentlichen  HlUlhe  des  sophistischen  Wesens,  als  auch  der 
folgenden  Jahrhunderte  gewisse  wesentliche  CharakterzUge ,   als 
gemeinsame  Kennzeichen  der  ganzen  Gattung,  gleichmässig  eigen. 
Voran   steht  eine,    zuweilen  ganz  maasslose   Eitelkeit.     Diese 
war  freilich  ein  natürliches  Ergcbniss  ihres,  ganz  auf  die  persön- 
liche   Virtuosität   gestellten   Berufes.     Sie  erstreckte  sich  so  gut 
wie  auf  die  Kunst  auch  auf  die   äussere  Erscheinung    des  Ein- 
zelnen*) ,    und  gefiel  sich   wohl   gar   in   dem   zweifelhaften   Re- 


1;  Pliilostratus  V.  S.  p.  45,  30  iJ.  —  Mit  den  Göttern  standen  manche 
angesehene  Sophisten  in  recht  vertraulichem  Verkehr.  Wie  Aesculap  sich 
um  die  rhetorische  Erziehung  des  Aristides  bemühte,  ist  merkwürdig  genug 
zu  lesen.  Aber  auch  den  Sophisten  Antiochus  aus  Aegae  zu  heilen  und  zu 
upterhalten  hielt  der  brave  Heilgott  »für  einen  schönen  Kampfpreis  seiner 
(ärztlichen)  Kunst«:  Philostratus  V.  §.  p.  75,  iS. 

2;  Vgl.  Philostr.  p.  46,  9.  Dies  ist  eine  Probe  der  schönen  Unver- 
schämtheit, die  Lucian  dem  angehenden  Sophisten  empfiehlt,  Rliet.  praec.  45. 
Leberhaupt  erinnern  die  meisten  Züge  des  in  jener  Schrift  des  Lucian 
geschilderten  Sophisten  an  Polemo  (der  Invective  gegen  Pollux  unbeschadet): 
er  war  eben  wirklich  ein  Typus  der  Gattung. 

3)  oTi   Ttjv   TTAgovdlaaaav   -epi  tt,v   'Asiav   IxXuaiv   dvexTTjaaTo   'ApiorciOT,;  * 
ouveyd);  (?wohl  cuve/Vj;)  y<*P  ^^i  ^'^i  Itim^  xaiTTidavö;:  Longinus  art.  rhetor. 
Rhel.  Speng.  1  826,  80.     Gegen   die  yau^ivrii  der  Sophisten  seinerzeit  hält, 
seine   eigene  maassvolle   Declamationsweise  Aristides  selbst,   er.  XLIX,  III 
p.  895  Jebb. 

4)  Ueber  diese  Kitelkeit  auf  k()q)erliche  Schonheil  vgl.   wiederum  vor — 
züglich  Lucians  Rhetorum  praeceptor.     Philostratus  liebt  es,  die  körperlicbi 
Ersclieinung  der  Sophisten   zu   beschreiben:    z.    B.   p.  77,  6.    20;   83,  21      ^ 
86,  44;    402,  42;    448,  7.      Es  waren   meist    staUliche    Manner.     Aebnlici 


—    317    — 

nomme  eines  liederlichen  aber  unwiderstehlichen  Weiberhel- 
den *) .  Sie  eigentlich  war  es,  welche  'stets  einen  kleinen  Krieg 
der  Eifersucht  zwischen  den,  auf  ihr  Ansehen  wachsam  und 
neidisch  bedachten  Concurrenlen  erhielt,  allerlei  böse  Reden 
hin  und  wider  gehen  Hess,  in  späterer  Zeit  die  Anhanger  der 
unter  einander  verfeindeten  Lehrer  geradezu  zu  heroischen  Prüge-  ' 
leien  anfeuerte,  in  früherer  wenigstens  giftige  Pasquille  der 
Gegner  veranlasste  2],  Angesehene  Schulhitupter  verkehrten  in- 
dessen doch  auch  auf  dem  Fusse  einer,  zu  gegenseitijger  Liebe- 
dienerei bereiten,  diplomatischen  Höflichkeit  mit  einander 3). 
Nun  ist  Eitelkeit  sicherlich  keine  Eigenschaft  grosser  Cha- 
raktere; aber  sie  besteht  ganz  wohl  zusammen  mit  gutmüthi- 
ger  Harmlosigkeit  des  Temperaments,  und  dient  wohl  gar  dazu, 
eine,  durch  grosse  Energie  der  Arbeit  bewährte  Hingebung  an 
ein  immerhin  doch  ideales  Vorhaben,  wie  sie  die  besseren 
und  bedeutenderen  Sophisten  bezeichnet,  zu  beleben*).     Selbst 


auch  Eunapius  (und  z.  B.  auch  Damascius,  vita  Isidori  §  495).  Man  wird 
hierbei  sich  erinnern,  dass  die  Physiognomonik  in  jenen  Zeiten  eifrig 
hetrieben  wurde.  In  sehr  boshafter  Weise  hatte  Poleroo  in  seiner  Physio- 
gnomonik das  Urbild  eines  Weichlings  so  individuell  ausgemalt,  dass  die 
Zeitgenossen,  auch  ohne  Nennung  des  Namens,  sofort  den  Favorinus. 
des  Polerao  ärgsten  Gegner  erkannten:  Apulej.  de  physiognom.  p.  428,  vgl. 
Rose  p.  70  ff.  (Anecd.  gr.  et  graecolat.  I). 

1}  Vgl.  Lucian,  Pseudolog.,  und  Rhet.  praec.  23.  (Ein  solcher  iiitto6- 
(uvo;  ToL  oxiXt),  wie  ihn  Lucian  schildert,  war  z.  B.  Scopelianus:  Philostr. 
V.  S.  p.  47,  6). 

2)  Die  grossen  Prügeleien  florirten  erst  im  vierten  Jahrhundert,  dem 
Zeitalter  des  richtigen  Pennalismus:  s.  die  Beispiele  bei  Sieversr  Libanius 
p.  34.  Früher  Hessen  wohl  einmal  die  Anhänger  eines  Sophisten  dessen 
Widersacher  durch  ihre  Sclaven  prügeln,  so  dass  er  an  den  Folgen  starb. 
Der  grosse  Mann  selbst  hatte  keinen  Antheil  daran:  er  verglich  die 
Schmähungen  der  Gegner  mit  Flohbissen.  (Philostr.  V.  S.  p.  92).  •—  Pas- 
quille gegen  rhetorische  Gegner  sind  die  Invectiven  des  Lucian  gegen  Pol- 
lux  (Rhet.  praec.  fin.),  gegen  zwei  ungenannte  Sophisten,  im  Pseudologista 
and  im  Lexiphanes.  Bekannt  sind  die  Streitigkeiten  des  Polemo  und  Fa- 
vorinus,  Herodes  und  Demostratus  (Philostr.  p.  63,  41),  Herodes  und  Ari- 
stides  (Westerm.  BtOYp.  p.  324>  52  ff.). 

3)  Hierfür  Beispiele  bei  Philostratus ,  p.  41,  27  ff.  und  namentlich 
p.  48.  7. 

4)  Aristides  ist  sicher  der  Eitelsten  einer.  Und  doch,  welche  liebens- 
würdige Gesinnung,  welches  echte  Wohlwollen  spricht  sich  in  seinen  Grab- 
reden  auf  Eteoneus   und   Alexander  von  Cotyaeum  (or.  XI.  XII)  ausl     Mir 


—    318    — 

die  Wiedererweckung  alterthUmlicher  Gesinnung  blieb  nicht 
immer  Phrase ;  man  bedenke  nur,  dass  in  den  schweren  Zeiten 
der  Gotheinnotli  im  dritten  Jahrhundert  einDexippus  aus  den 
Kreisen  dieser  Sophisten  hervorging.  Ja,  will  man  nur  nicht 
ein  ganz  unzutrefTendes  modernes  Maass  anlegen ,  so  wird  man 
sogar  gestehon  müssen,  dass  bisweilen,  z.  B.  in  einzelnen  Zügen 
aus  dem  Leben  des  Herodes  Atticus,  das  persönliche  Selbst- 
bewusstsein  sich,  über  die  Eitelkeit  hinaus,  zu  jener  grossarti- 
gen, christlicher  Demuth  freilich  völlig  entgegengesetzten,  spe- 
cifisch  griechischen  Gesinnung  erhob,  welche  die  Alten  ixeYGi^OY{t>- 
yia  nennen ,  und  welche  sie  für  die  erhabenste  Tugend  des 
adelichen  und  als  solchen  sich  wohl  erkennenden  Geistes  und 
Charakters  hielten  *; . 

Fasst  man  Alles  zusammen,  so  wird  man  in  dem  farben- 
reichen Bilde  des  persönlichen  Auftretens  und  Wirkens  die- 
ser Sophisten  durchaus  die  bedeutendste  und  erfreulichste  Seite 
ihrer  ThUligkeit  erkennen  dürfen. 

3. 

Jedenfalls  halte  eine  ganz  auf  den  Augenblick  beschränkte 
rednerische   Thiitigkeit    einen   wesentlichen  Theil   ihrer  Bestim- 


scheint,  dass  ein  billiges  Urtheil  solchen  Reden  einige  doch  nicht  allzu  vor- 
laute persönliche  Eitelkeit,  einiges  Liebäugeln  mit  dem  Wohllaut  der  eige-  - 
nen,  namenUich  in  der  Rede  auf  den  jungen  Eteoneus  so  süss  und  lieblich 
tönenden  Empfindung  recht  wohl  nachsehen  dürfe.  —  lieber  den  Fleiss  •« 
und  die  Arbeitsenergic  der  meisten  Sophisten  braucht  kaum  etwas  specielles  ^ 
gesagt  zu  werden:  diese  Eigenschaft,  unter  den  echt  hellenischen  nicht  J 
die  geringste,  spricht  sich  in  tausend  Beweisen  überall  aus.  Vgl.  aber  im  m 
Besonderen,  was  etwa  Plinius  epist.  II  8  von  Isaeus  sagt,  oder  Philostratos  «s 
V.  S.  p.  78,  U  AT.  von  Herodes  Atticus. 

1;  Ich  will  mir  nicht  versagen,  dem  Unwesen  gegenüber,  welches  bis 

weilen  mit  der  griechischen  oojcppoa'jvr^  getrieben  wird  (die  man,  gemtith-     - 

lieh  genug,  wohl  gar  von  einer  Antigone  fordert),  an  die  Worte  des  Aristo 

teles  in  der  Nicomach.  Ethik  IV  7  p.  41281),  i  ff.  zu  erinnern,  in  we]chec:v 
der   ococpfyoajvT]   ihr   richtiger  Platz  angewiesen  wird:    ^oxcT  (jieYaX6<j;ux^^ 
eivai  6  fjLEYdiXojv  auxov  dl^idiv,  Ä;io;  uiv  •  6  ^dp  ji.i?j  xaT  di$(av  aOxo  iroi&v  -^Xtlho;^. 
—  fxeYaXö^'j/o;  fxev  O'jv  6  eipr^fx^vo;.  b  oe  (j.ixpöbv  dEio;  xal  toütwv  d^tvv 
erjTov  9(6'^  pcuv,  (xe^aXo^u/o;  o'  o5.    Man  lese  die  weitere  Schilderung  dieser 
vornehmsten  Gesinnung.     Dass  solche  (xcYaXo^poo'jvTj  etwas  acht  Helleni- 
sches,  den  Barbaren   völlig  Fremdes  sei,    führt  eine  schöne  Stelle  des 
Aristides  aus:  or.  XLIX  p.  400,  4  8  ff.  Jebb. 


—    319    — 

mung  erfüllt ,  wenn  sie  die  Hörer ,   auf  deren    Ergötzung  und 
Erbauung  sie  doch  einzig  berechnet  sein  konnte,  bis  zu  solcher 
Begeisterung  zu  entzücken  vermochte,   wie   es  dje   Redekunst 
der  Sophisten   that.     Eine  andere  Frage   ist   es.   ob  die  Kraft 
derselben  hinreichte,    auch  solche   Werke   zu  schaifen,   welche 
der  Nachwelt  zu  dauernder ,   nicht  durch  alle  Ilülfsmittel  des 
kunstvollen  persönlichen  Vortrags  bestochener  Betrachtung  über- 
liefert zu  werden  würdig  waren :  eine  Festdecoration  kann  ihrer 
Aufgabe,   einem  feierlichen  Tage   zum   bedeutenden  Schmucke 
SU  dienen,  vollkommen  genügen ,   ohne  dass  doch  eine  Ausfüh- 
rung derselben  in  festerem  Stoffe  rathsam  wäre,   welche  einen 
gaoz  anderen  und  strengeren  Stil  erfordern  würde.    So  werden 
sich  denn  auch  manche  Sophisten  auf  den   mündlichen ,   zumal 
improvisirten  Vortrag    beschränkt  haben  ^) ;   und  ob  sie   daran 
nicht  ganz  wohl  thaten,  mag  man  sich  beantworten,  wenn  man 
I-  B.  mit  dem  unermesslichen  Ruhme  des  Polemo  als  Augen- 
blicksredner die  Dürre,  Mühseligkeit  und  unergründliche  Lang- 
weiligkeit der  uns  erhaltenen  beiden  (ausgearbeiteten  Declama- 
tionen  desselben  Autors  vergleicht.     Im  Allgemeinen  verzichtete 
indessen  die  erneuerte  Rhetorik  so  wenig  auf  den  Ruhm,  auch 
der  Nachwelt  die  Documente  ihrer  ThUtigkeit  zu  hinterlassen, 
dass  sie  sogar  der  gesammten  prosaischen  Litteratur  der  letzten 
Zeit  des    Griechenthums    ihre    Spuren    tief    eingedrückt    hat. 
laicht  liesse  sich  selbst  in  den  Dichtungen  dieser  späten  Jahr- 
hunderte   (z.   B.    in    den   Gedichten    des   Nonnus)    ihr  Einfluss 


1)  Aach  für  viele  griechische  Rhetoren  wird  güllig  sein,  was  Seneca 
^^trov.  JII  praef.  in  Beziehung  auf  den  römischen  Rhetor  Cassius  Severus 
^f  einsichtig  ausführt,  dass  er  ganz  in  seinem  Element  nur  im  münd- 

"^en  Vortrag  war,  zumal  im  extemporalen.  —  Die  Proben  der  Bercdtsam- 
^^^  berühmter  Sophisten,   welche   man  bei   Philostratus   liest,   sind  wohl 

^'^haos  Reminisccnzen  aus  ihren    mündlichen    Vortragen.     Man  schrieb 

■•«elben  (ganz  wie  die  Vorträge  der  Grammatiker,  der  Aerzte  [s.  Galen. 
rjjj'  ÄSO;  XIX  <4  K.]  u.  s.  w.)  nach  (commentarii  [=  {*7:ofivi^,fxaTa] ,  zum 
^**Ü  ungenau:  Seneca,  Rhet.  p.  61,  8  Kiessl.,  vgl.  Philostratus  V.  S. 
"^  ^,  9;  Apulejus  Florid.  p.  10,  8  ff.  ed.  Krüger;  s.  auch  Sievers,  Libanius 
^'  ^7),  eifrige  Hörer  behielten  glänzende  Stellen  auch  wohl  in  ihrem  durch 
^•le  Uebuog  gestärkten  Gcdächtniss.  So  der  ältere  Seneca;  so  Adrianus 
J^"*  T^TUS:  Philostr.  p.  »0,  21  ff.     Vgl.  Sievers  a.  0.  «9.     Böse  Buben  be- 

■•Iten  natürlich  nur  das  Lächerliche  der  Vorträjie  im  Gedachtniss:  vgl. 
^•^n.  6  p.  10,  1  ff.  Bchl. 


nachweisen.     In  der  Prosa  beherrschte   sie   nicht   nur,    als  ihr 
eigentliches  Reich,  die  Rede    im    engeren   Sinne   und  in   ihren 
zahlreichen    {Spielarten ,    dazu   noch    den    weiten    Umkreis   der 
»schönen  Littoratiir«,  also  die  Erzählungen  und  alle,  in  irgend- 
wie   künstlerischer    Absicht    vorgetragenen   phantastischen    und 
thatsächlichen  Rerichte :    sondern  sie  griff  sogar  hinUl)er  in  das 
Gebiet  der  Historie  und   der  Philosophie.     Die   Geschichtschrei- 
biing,  schon  seit  den  Arbeiten  der  isokrateischen  Schule  an  die 
Oberherrscliaft  der  Rhetorik  gewöhnt,  wurde  jetzt  geradezu  als 
eine  eigene  Abtheilung  der  Redekunst  in  Anspruch  genommen  ^1 ; 
von  der  beängstigenden  Beflissenheit   der  Rhetoren   auf  diesem 
Felde    der   Darstellung    mögen   namentlich   die   Proben    rhetori- 
scher Bearbeitungen  der  Pariherkriege  des  Verus  Zeugniss  ab- 
legen, welche  Lucian  in  seiner  Schrift  über  die  Geschichtschrei- 
bung   miltheilt.     Zur    Philosophie    hatte   die   damalige   Rhetorik 
ein    eigenthümliches    VerhUltniss.      Der    alte,     nie     erloschen 
Widerstreit  zwischen  den  Künstlern  der  reinen  Form  der  Red 
und   den  ErgrUndern   des   innersten    Wesens   der  Dinge  enl — 
brannten  aufs  Neue  mit  grosser  Heftigkeit  in   persönlichen  un 
litterarischen    Zwistigkeiten '-) .     Dennoch    liefen    manche   Födei 
von  der  Rhetorik  zur  Philosophie  hinüber.     Einige  MUnner 
den  auf  der  Mitte  zwischen  beiden  Gebieten :    es  wäre  w^ohl  i 
der  That  bedenklich,  einen  Favorinus,  z.  B.,  mit  Entschiede 


m 


1}  Manche  stellten  als  viertes  ^hoi  der  Boredtsamkeit  (neben  dem 
3uji.ßo'j).£UTtx«5v,  otxavix<5v,  ^ptcofxiaaTix^v '  das  ^fvo;  loropix^v  auf,  sich  ftlsc' 
lieh  auf  Aristoteles  berufend.     Darunter  ist  eben  die   Geschichtschre 
bung,   als  rhetorische  Disciplin   gefasst,   zu  verstehen.     S.  Yolkmai 
Rhetorik  p.   12  f. 

2)  Die   Polemik  des   IMato,   spUter  namentlich  des  Epikur,   gegen 
Rhetorik   ist  bekannt ;    nicht  minder  die   der  Skeptiker  (Sext.  Empir.  kj 
'(^T^':o^ai) .    Interessant  ist  der  in  Athen  geführte  Disput  über  Philosophie  i^  '^ 
Rhetorik   bei   Cicero  de   orat.  1   c.    AH  (T.     (Vgl.   auch  Quintilian  II  47,        ^ 
mit  Rose**  Bemerkungen,  Aristot.  pseud.  p.  76.  77).    Aus  der  Sophisteniait     ist 
namentlich  des  Aristides  Lobpreisung  der  Rhetorik  gegenüber  dem  PItfto 
und  allen   philosophischen   Verächtern    derselben;    bemerkenswerth :   v'g/. 
H.  Baumgart,  Aelius  Aristides  ;L.  1874)  p.  U  ff.     Noch  aus  der  sptttesl^o 
Zeit  ein  Tadel   der  Rhetorik   von   philosophischer  Seite  bei  Damascius  V. 
Isid.  §  204.     Vgl.  Procop.  sophist.  epist.  88.     Persönliche  Reibereien,  i.  B. 
zwischen  dem  Cyniker  (oder  Stoiker)  Timokrates  und  Scopelian:   Philostr. 
V.  S.  47,  6;  und  Favorinus:  52,  13;  zwischen  Peregrinus  Proteus  und  He- 
rotles:  ib.  71,  11.     Demonax  und  Favorinus:  Luc.  Demon.  48  (vgl.  86). 


—    321     — 

lieit  nur  diesem  oder  nur  jenem  Lager  zuweisen  zu  wollen. 
£r  war  so  gut  Sophist  wie  Philosoph.  Andere  rechneten  sich 
selbst  mit  Bestimmtheil  zu  den  Philosophen,  und  doch  musste 
sie  schon  die  ganze  Anlage  ihrer  Vorträge,  mit  welchen  sie 
sich  im  Theater,  von  dem  ganzen  Apparat  sophistischer  Decla- 
■mationen  umgeben ,  an  die  Beifallsrufe  der  Menge  wendeten  ^j , 
ziothwendig  auf  die  sophistische  Seile  hinUberdrängen.  Eine 
solche  Theaterphilosophie  konnte  bei  dem  besten  Willen  nicht 
uuuhin,  den  Inhalt  der  Form  unterzuordnen,  und  dieses  eben 
ist  ein  wesentlichstes  Kennzeichen  der  sophistischen,  im  Gegen- 
satze zur  philosophischen  Weise.  Diese  philosophischen  Decla- 
Tnatoren  bildeten  in  damaliger  Zeit  eine  besondere  Kategorie 
^on  i> Philosophen,  welche  in  dem  Rufe  standen,  Sophisten  zu 
sein«^),  über  ihre  Wortjägerei,  ihre  ausschliessliche  Sorge  für 
z*hetorische  Form  ärgerten  sich  schon  Musonius  und  Epictet  ^j : 
sie  hielten  aber  aus,  so  lange  die  Sophistik  selbst  am  Leben 
X>lieb ;  für  uns  mögen ,  aus  den  verschiedenen  Stadien  der  So- 
phistik, Maximus  von  Tyrus  ^)  und  Themistius  ihre  Hauptvertre- 
Cer  sein  ^) .  Es  hilft  diesen  philosophischen  Schönrednern  nichts, 
dass  sie  selbst  alle  Gemeinschaft  mit  den  eigentlichen  Sophi- 
sten von  sich  abweisen  ^) ;  sie  so  gut  wie  Diö  Chrysostomus  und 


1)  Dies  sind  diejenigen  Philosophen,  welche  h  toTc  xaXoufJiivoic  dxpoa- 
"rQpCotc  ^poivaaxouatN,  isOTz6shoui  Xaßövrec  dxpoatdc  xat  ycipoVjdetc  eauToTc:  Dio 
Chrys.  er.  XXXII  p.  657  R.  Vgl.  Seneca  epist.  53.  Solche  dxpodioei;,  mit 
BeifoUkiatschen  u.  s.  w.  hielt  z.  B.  Themistius:  s.  Them.  or.  26  p.  313  D, 
«f4A. 

2)  ol  fiXooofi^oavTc;  £v  h6i^  xoO  oo^toreOoat:  Philostr.  V.  S.  init.  Vgl. 
Synesius,  Dio.  (Von  dergleichen  philosophischen  Akroasen  redet  ührigens 
auch  Platarch  in  der  Schrift  de  recta  rat.  aud.). 

3)  Blosse  Wortjäger  nennt  den  Favorinus  und  seine  philosophischen 
Oenossen,  Domitius  bei  Gellius  XVIII  7.  3.  Vgl.  Musonius  ebend.  V  l,  und 
vorzüglich  Epictet,  Dissertat.  III  23. 

4)  Diesen  declamirenden  Afterphilosophen  erkennt,  vielleicht  mit  Recht, 
Fritzscbe  wieder  (Lucian  II  4  p.  498)  in  jenem  St^wvtoc  aocptsn^;,  welcher 
in  Athen  behauptete,  aller  Weisheit  kundig  zu  sein  und  von  Demonax  so 
witzig  abgetrumpft  wurde:  Lucian.  Dcmon.  4  4. 

5)  OeffentUche  Vorträge  eines  cynischen  Philosophen  z.  B.  in  Julians 
siebenter  Rede  erwähnt. 

6)  So  namentlich  Themistius  or.  28.  Vgl.  auch  Dio  Chrysost.  or.  XII 
p.  t72R.  (Pfauen  und  Eule:  das  gleiche  Bild  anders,  und  beinahe  schwer- 
mttthig,  gewendet:   or.   LXXII  p.  387.  388],   und  den  Spott  des  Lucian  in 

Bob  de,  Der  griechidche  Romnn.  21 


—    322    — 

andere  Ueberlaufer  von  der  Sophistik  zur  epideiktischen  Popu- 
iarphilosophie  sind  um  so  gewisser  nur  als  eine  besondere  Gat- 
tung von  Sophisten  zu  erachten,  weil  die  rhetorische  Theorie 
einer  rednerischen  Behandlung  philosophischer  und  ethischer 
Gemeinplätze  sogar  eine  eigene  Stelle  in  dem  Fachwerk  ihrer 
verschiedenen  Gattungen  und  Arten  angewiesen  hat  und  die- 
selbe also  ausdrücklich  als  ihr  Gebiet  in  Anspruch  nimmt  \'. 
So  gut  wie  die  Geschichte  und  Philosophie  konnte  die  Rhetorik 
beliebige  andere,  ja  eigentlich  jeden  andern  Stoff  sieh  unter- 
werfen: denn  das  ist  leider  immer  das  Verhältniss  geblieben, 
in  welches  fremdartige  Gegenstande  bei  einer  Verbindung  mit 
der  Redekunst  traten.  Am  Liebsten  indessen  blieb  die  sophi- 
stische Beredtsamkeit  doch  für  sich  allein.  Bei  einer  solchen 
Beschränkung  konnte  nun  freilich  eine  Entartung  nicht  aus- 
bleiben. Zunächst  fehlte  es,  in  damaliger  Zeit,  der  eigent- 
lichen Beredtsamkeit  an  jedem  mit  Nothwendigkeit  sich 
darbietenden  Gegenstand.  Den  Stoffen  ihrer  eigenen  Gegen- 
wart wich  sie,  wenigstens  so  oft  '  sie  einen  höheren  Aufflug 
thun  wollte,  am  Liebsten  aus:  sie  erschienen  ihr  klein  und 
ruhmlos  2;.     Wenn  sie  dennoch  dergleichen  Themen   zu   behan- 


deln unternahm,  so  stellte  sie,    einer   realistischen   Behandlungac^  g 


seiner  späteren,  quasi-philosophischen  Zeit  über  die  Sophisten,  zu  deneic^  -?o 
er  doch  einst  selber  sich  gerechnet  hatte,  und  eigentlich  fortwährend  ge —  "^s?- 
hörte.  —  (So  nennt  sich  auch  Apulejus  in  den  Bruchstücken  seiner  mnm  mn 
sophistischen  Declamationen,  den  s.  g.  Florida,  wiederholt  pbilosopbas). 

1)  Reden  über  popularphilosophische  Gegenstände  heissen  5ta>.£3eu  nni^  jvid 
werden  als  solche  den  [».tXhai  über  fingirte  Themen  der  berathenden  ode^-^^^^r 
gerichtlichen  Beredtsamkeit  entgegengesetzt:  s.  Kayser  zu  Pbilostr.  V. 
(Heidelb.  1838;  p.  358  (zu  p.  90,  hO].  Sehr  deutlich  ist  dieser  Gegensat 
zwischen  den  roXtTixol  xal  d^o3^im%o\  twv  Xö^wv  und  der,  dort  sogenanDter 
^laXexTtx-fp  d.  h.  rhetorischer  Behandlung  philosophischer  Themen  ans 
geprögt  bei  Aristides  or.  50  p.  415,  17  fT.  Jebb.  Solche  ^toXi^ei;  hielte 
nun  zuweilen  auch  reine  Sophisten:  z.  B.  Proclus  von  Naucratis  bei  Phm'-^' 
lostr.  V.  S.  p.  106,  14  ff.  Und  die  oben  erwähnten  progymnasmatische^^  o 
l^£oei;  waren  ja  zu  einem  grossen  Theil  derartige  Sia>i^t«  in  nuce. 

2)  Dio  Chr^sost.  or.  2i  p.  505  R. :  ta»;  ti  jiio'j  xaTa^j>o"veT«  xal  ifjffl  j-«-' 
XtjpeTv    8ti   o'j   repl   K6(:>ou  xai  'AXxißiaoou  ^i-^vo ,    (u;rep  ol  co^ol  In  x«l  vy-^^. 
dX).d  N£pa>NO«  xai  toio6t«uv  rpafixaTcov  vcwT^pcov  te  xal  d^ö^ov  pivt;vovt6«»- 
Wie   sich  dieser  Ekel   gegen  die   Kleinheit  der  gegenwärtigen   Zeit  in  der 
ganzen   Litteratur  des  zweiten,   dritten  und   vierten  Jahrhunderts  ausprügf» 
deutet  sehr  einsichtig  an  Jac.  Burckhardt,  Constantin.  p.  t85  f. 


—    323    — 

• 

ron  Grund  aus  abhold,  dieselben  zumeist  in  einen  Reflex  des 
üterthums  ^) ,  von  welchem  ihr  alles  Licht  des  Erhabenen  und 
Mlen  auszugehen  schien.  Viel  lieber  aber  wandte  sie  sich  unmit- 
elbar  Gegenständen  der  alten  Geschichte  oder  Göttersage  zu; 
licht  ungern  führte  sie  rein  phantastische  Stoffe  aus.  Aber  die 
Vahl  der  Gegenstände  entschied  sich  doch  im  letzten  Grunde 
lurchaus  nach  der  grösseren  oder  geringeren  Leichtigkeit,  mit 
velcher  dieselben  sich  einer,  im  Sinne  der  Zeit  wirksamen  rheto- 
ischen  Ausschmückung  darzubieten  schienen.  Selten  verband 
'Ja  achtes  und  eigenes  Gefühl  den  Redner  mit  seinem  Thema: 
nit  der  Phantasie  allein  versetzte  er  sich  soweit  in  dessen 
nneren  Gehalt,  dass  er  alle  Seiten  ausspähete,  auf  denen  er 
las  schillernde  Licht  seiner  Beredtsamkeit  sich  widerspiegeln 
assen  konnte.  So  vermochte  er  mit  einer  ärgerlichen  Leich- 
igkeit  und  Gewandtheit  über  jeden  beliebigen  Gegenstand  zu 
eden ,  das  Kleine  gross ,  das  Grosse  klein  zu  machen  ^)  ,  jede 
beliebige  Gesinnung,  welche  irgend  Jemand  irgendwann  ein- 
nal  haben  konnte,  je  nach  den  Erfordernissen  des  Augenblicks 
inzunehmen  und  mit  Nachdruck  vorzubringen,  ohne  doch  selbst, 
ait  seiner  eigenen  Empfindung,  irgendwie  betheiligt  zu  sein, 
freilich  war  diese*  Art  empfindungsloser  Schönrednerei  die  noth- 
vendige  Frucht  einer  bis  zur  höchsten  Stufe  der  technischen 
^ntwickelung  getriebenen  Redekunst',  welche,  von  jedem  sub- 
itantiellen  Hintergrund  losgelöst,  nun  für  sich  allein  souverän 
lein  wollte.  Die  Redekunst  als  solche  hat  es  —  trotz  aller  Ver- 
;icherungen  der  Rhetoren,  dass  nur  der  beste  Mensch  der  beste 
Redner  sein  könne  —  mit  Wahrheit  des  Inhalts,  Aufrichtigkeit 
1er  Gesinnung,  Aechtheit  der  Empfindung  durchaus  nicht  zu 
hun ;  diese ,  für  eine  lebendige  Beredtsamkeit  ja  freilich   sehr 


1)  Daher  die  ewige  Einmischung  von  Salamis  und  Marathon,  Leonidas 
md  Kynaegirus,  welche  Lucian  verspottet,  Rhet.  praec.  18.  Vgl.  Jupp. 
Tag.  32;  Dio  Chrysost.  29  p.  5H  ;  auch  Reines,  zu  Eunap.  V.  S.  p.  894 
Soiss. 

2)  TÄ  jjicv  OfjLixpd  {xefdXoDC  "Ki^ti^,  rd  o^  iLf^d^a  optixpcä;:  diese  ficht  so- 
ihistische  Kunst  (Plato,  Phaedr.  267  A)  stellt  Longinus,  Speng.  Rhet.  I  828,  k 
rarzweg  als  ^TjTopixfj;  Ip^ov  hin.  Vgl.  Apuleius  de  dogm.  Piatonis  III 
^.  262  Hildebr. :  oraloris  excellentis  est  lata  anguste,  angusta  late,  vulgata 
iecenter  (?  schreibe  recenter,  und  streiche  dann  beide  Worte,  als  ein 
Slossem  zum  folgenden:  us.  n.),  nova  usitate,  usitata  nove  proferre,  ex- 
teouare  magna,  maxima  e  minimis  posse  efficere  u.  s.  w. 

21* 


■y 


—     324    — 

• 

wesentlichen  Erfordernisse  hatte  in  alter  Zeit  die  Redekunst 
einfach  vorausgesetzt:  sie  waren  mit  den  Gegenständen 
selbst  gegeben,  so  lange  diese  Gegenstunde  von  dem  lebendigen 
Loben  und  seinem  eignen  Interesse  dem  Redner  aufgedrungen 
wurden.  Seit  diese  Gegenstünde  selbst  verschwunden  waren 
und  nur  durch  die  Phantasie,  nach  willkürlichem  Belieben,  wie- 
der heraufbeschworen  werden  konnten,  vermochte  die  einzig 
übrig  gebliebene,  rein  formale  Kunst  der  Rede  jene  ethischen 
Voraussetzungen  einer  achten  Beredtsamkeit  nicht  zu  ersetzen. 
Immerhin  mag  man ,  ehe  man  der  sittlichen  Entrüstung  über 
ein  solches  lügenhaft  leeres  Gaukelspiel  und  rhetorisches  Kunst- 
feuerwerk die  Zügel  schiessen  lässt ,  noch  bedenken ,  dass 
wenigstens  die  Absicht  der  Täuschung  diesen  Rhetoren 
fern   liegen   musste.     Betrachtet   man   nur  die  Unbefangenheit, 

mit  welcher  z.  B.  in  der  Schrift  des  Menander  über  die  Prunk-    

rede  der  angehende  Rhetor  angewiesen   wird,    Lob   und  Tadel     M  ^\ 

rein  nach  rhetorischen  Erfordernissen,  und  mit  grosser  Gleich - 

gültigkeit  gegen  die  thatsüchlichen  Verhältnisse,  auszuspenden,  ^.  ^, 
so  wird  man  auch  wohl  glauben  dürfen,  dass  wenigstens  der  m.  t 
grosse  Theil  des  Publicums,  welcher  in  der  Rhetorenschule  sein 
Bildung  sieh  erworben  hatte,  die  wirklichen  Leistungen  de 
Meisler  der  Kunst  ebenfalls  als  rein  rhetorische  Kunstwerke,^ 
zur  Ergützung  der  Phantasie,  des  W^itzes,  des  Kunstverstande^ 
bestimmt,  auffasste,  und  hinter  seinen  Tiraden  nicht  mehr  au 
richtige  Gesinnung  suchte,  als  der  Redner  in  der  That  aufg 
wandt  hatte. 

Nach  alle  diesem  wird  man  diesen  Rednern  am  Leichtestei^  ^o 
gerecht  werden ,  wenn  man  sie  vorzugsweise  von  der  Seit»  Jle 
ihrer  formalen  Redekunst  betrachtet. 

Hier    muss    man    auf  jeden    Fall    die    grosse   Energie    de— 5-J5 
Fleisses  anerkennen,  mit  welchem  diese  MHnner  die  erstorben»    ^e 
Schönheit   und   Fülle    der    griechischen   Rede    neu    zu    beleber     o 
suchten.     Sie   schulten   sich   durchaus    an    den    grossen   Alteo^^; 

deren  Werke  sie  unablässig  durchforschten ;  dass  aber  die  Nach - 

ahmung    der    Classiker    wenigstens    nicht    zu    einer    trockene':*^ 
GleichmUssigkeit  der  Manier   führte,    beweist   wohl   die  gross.^ 
Mannichfaltigkeit    der   Stilarten,    welche   aus   den  sophistischen 
Studien  hervorgehen  konnte,    und    deren   man  sich  alsbald  be-       m-^ 
wusst  wird,  wenn  man  die  Namen  des  Aristides,  Lucian,  Liba-       »  *^ 


—    325    — 

niu3,    Julian,    Himerius,    Philostratus,    Aelian   neben  einander 
nennt.     Dass  diese   grosse  Verschiedenheit    individuellen   Aus- 
druckes, welche  an  sich  Ja  ein  Lob  sein  konnte,  so  leicht  über 
die,  durch  die  antiken  Vorbilder  so  liberal  gezogenen  Grenzen 
eines   reinen  Geschmackes  hinausirrle,  scheint  weniger  in  eig- 
ner Licenz  der  Einzelnen  seinen  Grund  zu  haben,  als  in  einer 
nicht  immer  wohl  geleiteten  Wahl  der  nachzuahmenden  Muster. 
Ein   begreiflicher   Zug  der  Wahlverwandtschaft   führte  manche 
-der  neueren  Sophisten  über  die  ernsten  Alten  hinaus,  zu  ihren 
^eigentlichen  Vorgängern,    den   rhetorischen  Manieristen  Gorgias 
und  Hippias  *) ;    und  wie  diese  einer   prunkenden  Kunstberedt- 
.samkeit  hellere  Lichter  und  keckere  Linien  leihen  konnten,  als 
<lie^    an  die  Sache  denkenden   praktischen  Redner   und  Histo- 
riker,   so  mögen,    um  des  gleichen  Vortheils  willen,   auch  die 
^sianischen  Rhetoren  gelegentlich  als  Vorbilder  benutzt  wor- 
■den   sein.     Wenigstens    finden   sich  bei   den  affectirtesten  der 
.sophistischen  Autoren  gerade  diejenigen  Fehler  wieder,  welche 
.strengere  Kritiker  an  Hegesias  und   den   Asianern  rügten :    ein 
in  kleinen  selbständigen  Abschnitten  daher  trippelnder  Satzbau, 
-eine  seltsam  verdrehte  Stellung  der  Worte,  ein  unmässiger  Ge- 
1)rauch   der    Tropen  und   Figuren,     ein  weichlicher,    leicht    in 
<len  Fehler  fast  metrischer  Cadenzirung  verfallender  Rhythmus. 
'Schlimmer  war  noch,  dass  man  die  hervorragenden  Meister  der 
neuen  Sophistik,  welche  man  wohl  gar  schon  bei  Lebzeiten  den 
grossen  Alten  gleichstellte,  ja  vorzogt),   alsbald   selber  wieder 

1)  Von  Adrianus  aus  Tyrus  erzählt  Philostratus  V.  S.  p.  9*,  25:  t9jv 
T:apaa%cü*r)v  T?j;  X^^ewc  dtzo  Ttöv  dpyalajv  aocpiotÄv  itEpießdiXXeTO.  Vom  Proclus 
«US  Naucratis  ebendas.  p.  4  06,  U:  Stc  ippiTjaeiev  eU  oiciXe^iv,  t7r::taCovT(  tc 
4({yxci  %oX  ifopxtG^ovTt.  Eine  Streitfrage  war  es,  ob  man  dem  Kritias  nach- 
ahmen dürfe.  Ihn  führte  zuersV  in  den  sophistischen  Gebrauch  Herodes 
Atticus  ein:  Philostr.  p.  72,  8  f.  Auch  Phrynichus  in  der  cocpiTcixT)  rapa- 
mLe'j-f\  zählte  Kritias  unter  den  Musterautoren  auf:  Photius  bibl.  cod.  158. 
Eine  gewisse  Geringschätzung  deutet  Pollux  VII  496  an:  KptTiac — xat  roX- 
\tA  Tan  fxaXXov  avroO  nexpipivcov. 

2)  Dem  Herodes  rief  die  in  Olympia  versammelte  Menge  zu:  ei;  cb; 
AT|(AOoOiv7]c !  Philostr.  p.  49,  24.  »Einen  der  zehn  Musterredner«  nannte 
denselben  -i]  'EXXdc:  Philostr.  p.  72,  11.  Als  Scopelianus  nach  Athen  kam, 
bewunderte  ihn  der  Vater  des  jungen  Herodes  so  sehr,  dass  er  die  Hermen 
der  alten  Redner  in  seinem  Hause  mit  Steinen  zu  zertrümmern  befahl, 
»weil  sie  ihm  seinen  Sohn  verdürben«.  Philostr.  p.  34,  7  ff.  —  Ein  solches 
Selbstgefühl,  wie  es  die  lateinischen  Rhetoren  der  Kaiserzeit  beseelte,  und 


—     326    — 

zu  Classikern  sleinpelte  und  ihre  Weise  nachahmte,  die  doch 
auch  nur  ein  schwacher  und  unreiner  Nachhall  originaler  Rede- 
kunst gewesen  war^j. 

Wie  im  eigentlich  Rhetorischen,  so  konnte  auch  im  Gebiet 
des  Sprachlichen  das  eifrigste  Studium  nicht  vor  einem  unzei- 
tigen und  durchaus  verderblichen  Abweichen  von  der,  von  den 
Alten  vorgezeichneten  Bahn  völlig  bewahren.  Zwar  man  ver- 
suchte auf  das  Emstlichste  eine  Rückkehr  zur  ächten  Sprache 
der  alten  Autoren.  Etwa  seit  der  Zeit  des  Augustus  war,  ver- 
muthlich  durch  die  damalige  atticistische  Reaction  der  griechi- 
schen  Rhetorik  angeleitet  2) ,    die  Grammatik   in   den  Dienst 


sie  zu  jener  Verachtung  der  Alten  verleitete,  wie  sie  sich  z.  B.  in  Apers 
Rede  in  dem  Dialog  des  Tacitus  ausspricht,  war  gleichwohl  bei  den  grie- 
chischen Sophisten  unerhört. 

1)  Den  Hippodromus  verglich  man  mit  Polemo;  er  antwortete:  xl  |i' 
aftavatoioiv  iioxei;;  Philostr.  p.  116,  U.  —  Lucian  Lexiph.  21  warnt  aus- 
drücklich :  jiii?)  jinjiciaÖai  töjv  iXi^ov  7:00  i^,jii5»v  ft^o\U'40i'^  oo^ioxftv  xd  t^jXixvm 
{vgl.  Rhet.  praec.  4  7;.  Dagegen  empfiehlt  Die  Chrysost.  XVIll  p.  480  R. 
zu  stilistischen  Zwecken  das  Studium  auch  der  neueren  Rhetoren,  eioes 
Antipater,  Theodorus,  Plutio,  Conon.  Den  Rhetor  Nicostratus  rechnete  man 
zu  einer  zweiten  Decas  jüngerer  Musterredner:  Suidas  s.  Nixosrp.  Wie 
hoch  man  ihn  bewunderte,  mag  die  Notiz  des  Suidas  (s.  Mijtpo^p.)  andeuteo,  ,«.  ^, 

dass   der   Rhetor  Metrophanes  ein   Buch  schrieb  repl  t6b^  yapaxTf^poiv  Ukd -2- 

Tor^o;,  Hevo<fd)VTo; ,  NtxoarpdTO'j ,  (DtXosrpdTou.     Nie  Stratos  und  Philostratug  jt^^ms 
in  Einer  Reihe  mit  Plato  und  Xenophon !    In  der  That  charakterisirt  Hermo  ^ 

genes,  r.  iU&s  II  p.  420  (Spengel),  nach  einer  Anzahl  altclassischer  Slilmuster 
auch  (als  noch  so  Einen)  den  Nicostratus.    So  erwähnt  denn  auch  Mcnande 
TT.  iri^eixTixoiv  (Spengel  Rh.  III;    unter  den  vorbildlichen  Autoren  gelegen 
lieh  den  Nicostratus,  Callinicus,  Polemo,  Aristides,  Adrianus  (p.  S86  eitr.. 
p.   890,    \).     In   noch  spöterer  Zeit  wurden  dann  als  Stilmoster  nicht  nuifl 
Philostratus,  Lucian,  Libanius  für  canonisch  gehalten,  sondern  selbst  Achill 
Tatius  und  Heliodor  genossen  hohen  Ansehens.    Vgl.  die  sehr  merkwürdige^^  ^ 
Vorschrift  eines  byzantinischen  Rhetoren  bei  Bekker,  anecd.  4  082. 

2;  Wenigstens  kenne  ich   kein   älteres  Beispiel  einer  Wörtersammlon^aiK^ 
zum  Behuf  der  Ausbildung  rein  attischer  Schreibweise  als  jenes,  in  einer  ve 
dorbenen  Glosse  des  Suidas  fs.  KexOao;}  näher  bezeichnete  Werk  des  Rbeto 
Caecilius    von   Calacte,  welches  er  eine  £x).o'p^J  X^c^wv  xaxd  OTot)^ctov  oeon       ^ 
(der  Titel  war  wohl,  wie  ich  glaube,  Ka>.Xip(>T||jLoa6vr|  »Wohlredenheit«,  als^ 
wozu  eben  die  Sammlung  selbst  Anleitung  geben  sollte.    Solche  jenaehdenrv 
poetisch   oder  scurril  klingende  Titel  waren  gerade  für  Bücher,  welche  di^ 
trockensten  Materien   abhandelten,   beliebt;    einige  Beispiele  bei  Welcker» 
Kl.   Sehr.    II   549.    579  Anm.    4).     Diese  Schrift   des    eifrigen  rhetoriscbeti 
Atticisten   sollte  doch   ohne   Zweifel  den  Absichten  einer   rbetorischeo 


—     327     — 

der  Rhetorik  getrelen.  Hatte  sie  bisher,  über  der  wichtigeren 
Aufgabe  der  Ordnung,  kritischen  Wiederherstellung  und  Erläu- 
terung der  classischen  Schriftwerke,  die  Sprache  als  solche,  und 
über  ihre  Verwendung  in  eben  jenen  Schriftwerken  hinaus, 
einigermaassen  vernachlüssigen  dürfen,  so  sollte  sie  nunmehr 
die  Lehrmeisterin  w^erden,  welche  die,  in  den  weiten  halbbar- 
barischen hellenistischen  Reichen  auf  das  Uebelste  verschlissene, 
getrübte,  abgeschwächte  griechische  Schriftsprache  in  ihrer  ur- 
sprünglichen Reinheit  und  Kraft  wieder  an  das  Licht  zu  stellen 
und  den  Lernbegierigen  zu  überliefern  hatte.  Diese  Aufgabe 
einer  praktischen  Sprachlehrerin  hielt  die  griechische  Gramma- 
tik von  nun  an  bis  in  die  spätbyzantinische  Zeit  fest.  Da  sie, 
in  dem  normalen  Verlauf  des  Jugendunterrichtes,  ihre  Stelle 
unmittelbar  vor  den  Studien  der  Rhetorik  halte,  so  lag  ihr  eine 
vorbereitende  Zurüstung  ihrer  Schüler  für  die  besondern  Zwecke 
der  vornehmeren  Schwester  um  so  näher  ^) .  Die  Absicht  einer 
genauen  Relehrung  zum  eigenen  Gebrauche  (und  nicht  für  eine 
rein  wissenschaftliche  Erkenntniss)  verleugneten  selbst  die 
Werke  nicht,  in  welchen  solche  Meister  wie  Tryphon  und  He- 
rodian  das  weite  Gebiet  der  griechischen  Formenlehre  und 
Flexion  statistisch  darstellten;  wie  nun  zahlreiche  GehUlfen 
solche  grossarlige  Arbeiten  durch  Trivialisirung  der  praktischen 
Benutzung  poch  näher  zu  legen  beflissen  waren,  so  arbeiteten 
andere  Grammatiker  im  unmittelbaren  Dienste  der  Rhetorik, 
indem  sie  durch  genaue  Feststellung  eines  rein  attischen  Wör- 
terschatzes und   Sprachgebrauches   ihren  Absichten   auf 


Gmkehr  zu  reiner  attischer  Sprache  dienen.  Einer  der  frühesten  Nach- 
folger  des  Gaecilius  in  der  Anlegung  solcher  atticidtischen  Wörtersamm- 
langen  war  Irenaeas  (die  Bruchstücke  seiner  Schriften  bei  M.  Haupt  ind. 
schol.  aest.  Berol.  4871),  wenn  anders  das  so  lange  Zeit  zweifelhafte  Zeit^ 
alter  seines  Lehrers,  des  Metrikers  Heliodor,  jetzt  richtig  auf  die  Mitte  des 
ersten  Jahrhunderts  nach  Chr.  fixirt  ist  (s.  Hense,  Heliodor.  Unters., 
p.   164—467). 

1)  Seit  wann  mag  die  Reihenfolge  der  Studien  diesen  fest  geregelten. 
Gang  gehabt  haben:  vom  Grammatisten  zum  Grammatiker,  von  da  zum- 
Rhetor?  Ich  weiss  keine  Antwort  (für  das  Jünglingsalter  erwähnt  als  Lehrer 
die  xpiTt'xoi,  d.  i.  die  Grammatiker  im  gelehrten  Sinne  zuerst  der  Pscudoplaton^ 
Axiochus  p.  866  E.).  In  dieser  späten  Zeit  griffen  Grammatiker  und  Rhe- 
toren  im  Unterricht  so  in  einander,  dass  sogar  die  Grammatiker  schon  bis- 
weilen  rhetorische  Vorübungen   veranstalteten:   s.  Quintilian  inst.  II,  4,  2» 


—    32S     — 

«ine  Wiedergeburt  der  altclassischcn  Sprache  fördersam  ent- 
entgcgenkaroen  ^j .  Die  reine  attische  Sprache ,  welche  im  täg- 
liclien  Gebrauche  der  Gebildeten  längst  durch  die  »allgemeine« 
griechische  Conventionssprache  der  hellenistiischen  Periode  ver- 
drängt war,  und  auch  in  Attika  selbst  aus  der,  mit  zahlreichen 
Fremden  und  Barbaren  verniischlen  Bevölkerung  der  Stadt 
Athen  sich  auf  das  Land  gefltlchtet  hatte  ^),  konnte  zum  schrift- 
stellerischen Gebrauche  nicht  mehr  aus  dem  lebendigen  Volks- 
nmnde,  sondern  einzig  aus  den  Werken  der  altattischen  classi- 
schen  Autoren  erlernt  werden.  Der  hierzu  erforderlichen,  und 
nur  von  gelehrten  Philologen  auszuführenden  beschwerlichen 
Forschung  in  den  Alten  unterzogen  sich  die  Grammatiker  mit 
grossem  Eifer  und  einiger  Pedanterie;  die  Ergebnisse  ihrer 
Untersuchungen  stellten  sie  unmittelbar  in  den  Dienst  der  rhe- 
torischen Praxis,  theils  als  persönliche  Berather  der  Sophisten^], 
theils  durch  Anlegung  grosser  Sammlungen  der  Schätze  acht 
attischen  Sprachgebrauchs,  aus  denen  der  rhetorische  Schrift- 
steller seine  Belehrung  entnehmen  mochte.  Die  Nothwendigkeit 
einer  grammatischen  Zurtlstung  veranlasste  auch  manche  Rheto- 
ren  iwie  schon  den  Arislodem  von  Nysa,  Stral>os  Lehrer*),   oder 


1;  Es  gab  wohl  auch  schon  im  dritten  Jahrhundert  vor  Chr.  rigorose 
Att leisten:  man  sehe  aber,  wie  kecklich,  diesen  gegenüberi  der  Komiker 
Posidippus  das  eAXT)N((;eiN  vertheidigt:  fr.  com.  IV  p.  524,   fr.  ine.  U. 

2)  Dies  nach  der  bekannten  Behauptung  des  Philostratus,  V.  S.  p.  tft, 
4—7.  (Die  Stadt  Athen  hatte,  um  eine  reine  Sprache  zu  bewahren,  eine 
viel  zu  bunl  gemischte  Bevölkerung:  non  Athenienses  tot  cladibus  exstinctos, 
sed  colluviem  illam  nationum,  Tacitus  annal.  II  55.  Eindringen  fremde 
Bestandtheile  in  die  athenische  Sprache  schon  im  fünften  Jahrb.  vor  Chr.: 
Pseudoxenophou  de  rep.  Athen.  2,  8.  Vgl.  die  Ausführungen  Piersons  ad 
Moerid.  p.  849  f.  Man  unterschied  schon  damals  zwischen  der  attlMbei 
Sprache  xcbv  xatd  rfjV  d^oontiav  xal  täv  is  aar«  öwTpi34vT«v:  Sext.  Empir. 
adv.  grammat.  §  228,  mit  Berufung  auf  eine  Aussage  des)  Aristophanes. 
Vgl.  Lobeck  Agiaoph.  p.  876.; 

3;  So  war  Dorion  6  x{>itix«5;  der  5^vo;  des  Dionysius  von  Milet:  Phi- 
lostr.  V.  S.  p.  87,  25.  Verbindung  des  Herodes  mit  dem  xpiTtxoc  Munatius: 
ibid.  49,  8;  71,  27  ff.;  anderer  Rhetoren  mit  Grammatikern:  p.  96,  40; 
125,  19.  Das  merkwürdigste  Beispiel  ist  in  der  Aussage  des  Pbrynicbos, 
ecl.  p.  271  Lb.,  enthalten,  wonach  der  Grammatiker  Secundus  die  ouiYP^f*" 
fjiaTa  des  Polemo  in  sprachlicher  Beziehung  revidirtc. 

4,  S.  Strabo  XIV  p.  650 :  darnach  hielt  dieser  A.  in  Nysa  und  (später?) 
in  Rhodus  zwei  Vorträge  jeden  Tag    (gleich   den  meisten  Redelehrem:  vgl. 


—    329    — 

später  den  Julius  Pollux,  den  Lehrer  des  Commodus) ,  in  ihrer 
3igenen  Person  den  Rhetor  und  Grammatiker  zu  vereinigen. 

An  Fleiss  und  Gründlichkeit  fehlte  es  also  auch  hier  nicht. 
^ber  die  so  mühsam  vermittelte  Wiederherstellung  einer  rei- 
leren  Schriftsprache  trug,  obwohl  doch  immerhin  auf  dem 
jninde  einer  noch  lebendigen  Abartung  der  alten  Sprache  er- 
:)aut,  alle  Spuren  jenes  künstlichen  und  unsicheren  Lebens, 
M^elche  stets  selbst  den  geläufigsten  Gebrauch  einer  todten 
Sprache  begleiten.  Die  praktische  Anwendung  vermochte  selten, 
mit  der  wissenschaftlichen  Einsicht  gleichen  Schritt  zu  halten  ^) . 
kündigt  doch  Lucian  selbst  häufig  genug  gegen  eben  die  sprach- 
ichen  Regeln,  deren  Verletzung  er  an  seinem  »Soloecisten«, 
)  Pseudologisten «  und  »Lcxiphanes«  so  bitter  verhöhnt.  Selbst 
lie  feinsten  und  genauesten  Regeln  konnten  aber  nur  einen 
biegränzten  Theil  des  Sprachgebietes  umfassen ;  immöglich  konnte 
ihre  sorgf<(ltigste  Erlernung,  konnte  das  anhaltendste  eigene 
Studium  der  Alten  jemals  vollständig  befähigen,  den  Reichthum 
eugleich  und  die  knappe  Genauigkeit,  die  zarte  Biegsamkeit 
und  die  sichere  Bestimmtheit  der  alten  attischen  Sprache  im 
eigenen  Gebrauche  nachzubilden.  Lucian  ist  sicherlich  kein 
verächtlicher  Sprachktlnstler;  ja,  er  stellt  in  seinen  Schriften 
ein  wahrhaft  bew^undernswerthes  Beispiel  für  die  erstaunlichen 
Erfolge  dar,  welche  selbst  an  einem  Genossen  einer  ganz  frem- 
den Nation 2)    das   eifrige  Studium   der    attischen  Sprache,    von 


Cresollius  p.  392,  und  vorzüglich  Pollux  onom.  VIII  praef.) ,  itpoi  plsv.tt^v 
^Tjtopixfjv,  oeD.T);  hk  r^v  •jfP^p-p-'X'ci^'^iV  ayoXfjv.  —  So  heisst  der  doch  wesent- 
lich als  grammatischer  Atticist  thtttige  Phrynichus  bei  Suidas  oocptor/];. 

1)  So  bemerkt  Philostratus  V.  S.  p.  96,  4  ff.  vom  Pollux:  er  wisse 
Dicht ,  ob  dieser  Sophist  diratSeuTo;  oder  ::£T:atO£'j(x£No;  zu  nennen  sei ;  als 
das  letzte  lasse  ihn  sein  Onomastikon  erscheinen,  aber  in  seinen  eigenen 
rhetorischen  Versuchen  oOoev  ^IXtiov  etfpo'j  •^rrixiaev.  Und  Photius  cod.  458 
Bitr.  vom  Phrynichus :  xaXoij  xal  lupaiou  Xö^oo  SXtjV  £XXotc  ouvadpolltuv,  auTo; 
oO  X(av  ToiouTij)  (seil.  Xöfij)?)  irepl  vjiiäs  dTza-^fOXtu^  iyrj-fioaTO.  Und  in  der 
Tbat,  wie  struppig  ist  oft  seine  Schreibweise  in  der  irXofrit  wo  er  einmal 
längere  Sätze  bildet  (z.  B.  in  dem  längsten  der  zahlreichen  Ausfälle  gegen 
llenander:  p.  448). 

2)  Man  wird  ganz  wörtlich  zu  verstehen  haben,  was  Lucian  bis  accus. 
87  selbst  berichtet:  wie  ihn  7cop.ioij]  fxeipdxtov  Svra  ßdpßapov  2t i  t-^jV 
^(bvi^^'v  %a\  fxovovojyri  TtdvSuv  dvScS'jTtöxa  i;  t6v  Aoaupiov  xpönov  die  Rhetorik 
aufgelesen   und  ausgebildet  habe.     So  mochte  mancher  Sophist  von  Haus 


—     330    — 

einem  glückliehen  Naturell  unterstützt ,  immer  noch  hervorzu- 
bringen vermochte.  Dennoch  zeigt ,  bei  genauerem  Zusehen, 
die  gewandte  und  zwanglose,  weltmännische  Sprache  dieses 
besten  Stilisten  der  zweiten  Sophistik  zahllose  Flecken  eines, 
durch  Nachlässigkeit,  unrichtige  Beobachtung,  schlechte  Gewöh- 
nung entstellten  Ausdruckes.  Viel  gröbere  Verstösse  gegen  die 
Reinheit  der  Sprachä  weist  Phrynichus  den  bewunderten  Meistern 
der  Sophistik,  einem  LoUianus,  Favorinus,  Herodes  Atticus,  Po- 
lemo  nach ;  und  wie  wenig  es  den  übrigen  Autoren  der  sophis- 
tischen Zeit  gelungen  ist,  die  selbst  dem  Lucian  unerreichbare 
Farbe  des  reinen  Alticismus  in  ihren  Schriften  nachzubilden, 
bemerkt  jeder  aufmerksame  Leser. 

Der  Hauptmangel  liegt  immer  in  einer  unorganischen  Ver- 
mischung des  stilistisch  Verschiedenen.    Es  ist  eben  unmöglich, 
in  einer  künstlich   erlernten  Sprache  jene  Harmonie   der  Form 
und  des  Inhaltes,  und  der  einzelnen  Bestandtheile  des  formellen 
Ausdruckes   unter   einander  völlig  zu  erreichen,   welche   selbst 
im  Gebrauche  der  lebendigen  Muttersprache  stets  nur  dem  gani 
naiven  Volksmunde  oder  dem  unfehlbaren  künstlerischen  Gefühl 
grosser  Schriftsteller   gelingen   will.     Die  gelehrteste   Kenntniss 
hilft  hier  nicht  immer  aus;  ja  sie  dient  wohl  gar  nur  zur  Ver- 
schlimmerung  schwankender  Unsicherheit;    und   so  konnte,   in 
einem  gewissen  Sinne,  Lucian  ganz  mit  Recht  behaupten,  dass 
Hündler  und  Krämer  des  Griechischen   kundiger  seien   als  die 
{grammatisch  gebildeten  Rhetoren  ^j .     Da  man  mit  grosser  Mühe« 
sich  eine  Menge  uralter  Wörter  eingelernt  hatte,  so  wollte  maiM 
dieses  Schatzes  nun   auch   froh  werden  ^j.     Manche   versuchteic 
ganz  in  solche  veraltete  Gewänder  sich  zu  kleiden,  und  passtec^ 
sich  und  andern  auf,  um  sofort,  bei  jedem  Worte,  dessen 
sische  Herkunft  verdächtig   erschien,    mit   einem  »Wo  steh^sf 
hervorzuspringen^).     So   machten   sich  einige   eine  Sprache  i 


aus  nicht  einmal   Griechisch  als  Muttersprache  geredet  haben:  vgl.  Locii^H 
Pseudol.   t*   [i^tu  oe  xtX.). 

1 )   —  Tov   dio(oi|iov    oocpiOTtjV  Ta  xotvd  tcuv  'EXX'/jvwv  di^oo'jvia,  %a\  iff^& 
•Aolv  ol  iri  Tcüv  i^'('^arr^p[a}s  xai  tcüv  -xaTTTjXelwv  el^Eicv  Lucian  Pseudol.  9. 

2    Lucian,  seinen  Lexiphanes  anredend,  c.  24  :  —  f^s  rou  ^jjjia  Cxcpt^'Xc 
eG|iTj;  T^  aJTo;  7:Xaad|ieNo;  oItjOiJc  eivai  X'x>»6v,  toüt«»  JtjtcI;  ^tdvotav  i^ap|id^«n 

3;  Einige  Beispiele   für  diese  Pedanterie   bei  Lehrs  QuaesL  epic.  •  /. 
(Viel  dergleichen    bei  Athenaeus,   bei  >\elchem  auch  gleich,  I  p.  4  D.  B, 


—    331     — 

recht,  die  kein  Mensch  ausser  den  gelehrten  Confratres  ver- 
stand ^j;  ob  freilich  je  ein  Narr  diese  Alterthüroelei  bis  zu  dem 
Grade  des  Aberwitzes  getrieben  habe,  wie  Lucians  komische 
Figur,  der  Lexiphanes,  mag  dahin  gestellt  bleiben.  Verzichtete 
ein  reinerer  Geschmack  aber  auch  leicht  auf  ein  prunkendes 
Auslegen  solcher  verrosteten  Herrlichkeiten,  so  gelang  es  doch 
kaum  irgend  Einem,  den  reinen  attischen  Ausdruck  von  fremden 
Beimischungen  gänzlich  frei  zu  halten.  In  stärkerem  oder  ge- 
linderem Maasse  finden  sich  bei  allen  Autoren  dieser  Zeit,  neben 
der  besten  Prosa  attischen  Gepräges,  viele  sehr  disharmonische 
Ausdrücke  der  späteren  Vulgarsprache ,  dazu  eine  Anzahl  allzu 
frei  gebildeter,  selbsterfundener  Weiterbildungen  und  kühner 
Zusammensetzungen  2] ,  zu  denen  die  griechische  Sprache  sich 
so  willig  herleiht ;  manche  Wörter  aus  dem  Yorrath  der  unatti- 
schen Dialecte  (vorzüglich  des  ionischen) ;  einzelne  ganz  ar- 
chaische Glossen;  schliesslich,  und  nicht  am  Wenigsten,  viele  für 
die  Prosa  sehr  ungehörige  Ausdrücke  der  poetischen  Sprache. 
Jfan  fühlt  sich  bisweilen  erinnert  an  einzelne  Wände  gewisser 
römischer  Villen,  an  denen  der  Hintergrund  einer  rohen  Cement- 
masse  zahlreiche  eingemauerte  antike  Bruckstücke  der  verschie- 
densten Zeiten,  der  verschiedensten  Stilarten,  des  verschie- 
densten Werthes  zu  dem  seltsamsten  Quodlibet  vereinigt  3). 


Ulpian  der  Tyrier  mit  dem  Spitznamen  KeiTouxeiToc  angeführt  wird,  weil 
«r,  beim  Mahle ,  nichts  anzubcissen  wagte ,  ohne  sich  zu  fragen :  xeiTat  ^ 
^*i  xeiTai;) 

1)  Sextus  Empiricus  adv.  graminat.  §  228 — 235  spricht  von  der  Un- 
möglichkeit, zu  Gunsten  einer  reinen  Sprache  eine  allgemeine  normale 
vrrtfitii  des  Sprachausdruckes  überall  festzuhalten.  So  werden  wir  (§  234} 
TToyaWfUvot  toi»  xoXo;  I)^ovto;  xal  oacpo»;  xal  toü  fA^JY^^ä^^^i^'^^'f^^ 
^laxovoONTov  i^jAiv  izailapiois  xal  l^ioiTtuv  iravdptov  ipou(i.rv,  %al 
ci  ßdp^pöv  doTiv  dXX*  o6x  dpTO^opl^a,  xat  9Ta(i.v(ov  djX  O'jx  d^dha  (s.  dagegen 
Phrynichus  ecl.  p.  *00),  xal  Äutav  fjiäXXov  ^  tifSw  (hier  stimmt  Phrynichus 
zu:  p.  464;  s.  Lobecks  Note).  —  Galen,  k.  tou  7:p07ivc6axetv ,  XIV  624  K. : 
—  toD  xotTfuvlTOU  |i.£v,  a>;a7ravTe;olvüv  EXXt)v£;  dvo(i.dCou9(,  ocofjiaTOCpä- 
X«xo«  hi,  cbc  ot  rept^pY«;  dTrtxlCovre«. 

2)  Hierfür  einige  grässliche  Beispiele  bei  Lucian  Pseudolog.  24 :  ßpcujAo- 
X6701,  TpoKOfJidoOXY)Te;,  ^t)ai|ieTpciv ,  di07)vid>,  dvdoxpaxeTv,  ocpev^(x(Cetv ,  /eipo- 
p3lt]tx&o8at.     Aehnliches  Rhet.  praec.  4  7. 

3;  Lucian  vergleicht  eine  so  bunt  zusammengewürfelte  Redeweise  wohl 
mit  einem  groben  Kittel,  auf  welchem  einzelne  Purpurlappcn  glänzen:  Rhet 
praec.    46  extr. ,   mit  den  thönemen  Puppen  des  xopoitXd^o; ,  welche  nur 


—     332    — 

Ist  in  dieser  unorganischen  Mischung  der  Einfluss  theils  der 
täglich  vernommenen  Umgangssprache,  theils  einer  verwirrenden 
Mannichfaltigkeit  der  Studien  leicht  zu  erkennen,  so  scheint 
doch  der  Hauptgrund  fUr  dieses  allzu  bunte  Colorit  der  Sprache 
mit  einer  wesentlichen  Eigenthtlmlichkcit  der  Rhetorik  jener 
Zeit  noch  genauer  zusammenzuhängen.  Diese  Rhetorik  lässt  in 
der  That  zuweilen  errathen,  dass  sie  ihren  Ehrgeiz  so  weit 
trieb,  nach  einer  Alleinherrschaft  im  Gebiete  der  redenden 
Künste  zu  streben.  Sie  hatte  nicht  tlbel  Lust,  sich  selbst  als 
die  redende  Kunst  an  sich  auszurufen,  und  die  Poesie,  ihre 
ältere  Schwester,  gänzlich  zu  verdrängen.  Die  seit  Hadrian 
wieder  schtlchtcrn  aufgelebte  griechische  Dichtung  führte  daher     — 

ein   sehr  obscures  Leben  im  Schatten   der  grossmächtigen  Rhe 

torik,  die  ihr  alles  Licht  der  Ruhmessonne  vorweg  nahm.  Wi 
hören,  dass  die  Zeit  der  Dichtung  in  gebundener  Rede  über- 
haupt abhold  war  ^] ;  wo  die  Rhetoren  einmal  auf  Dichter  z 
reden  kommen,  geschieht  es  meist  mit  dem  Ausdrucke  offene 
Verachtung  oder  eines  höhnischen  Wohlwollens^).  Zwar  wäre 
manche  Sophisten  selber  auch  als  Dichter  thätig^J:  aber  diesi 
poetischen  Versuche  mögen  kaum  etwas  anderes  als  Vorstudie 


aussen  schön  roth  und  blau  angestrichen  sind:  Lcxiph.  22;  mit  geschmück- 
ten und  gezierten  Uetaeren  oder  Kinaeden:  bis  accus.  81  ;  Rhet.  praec.  44 
mit  der  Krähe  des  Aesop:  Pseudolog.  S. 

1;  Sehr  merkwürdig  ist  die  Aussage  des  Kaisers  Julian,    Misopogon  ii 
Anfang:    eicpaipsiTat    0£    toi    h    toT;    (jilXeci   [xouaixd    6  vjv   drixpatdcrv  iv  toi 
OvCo^cpioi;  Tf,;  ::aioe(a;  toötto;  *  ataypov  f«?  sivai  ooxeT  vüv  [xo*jotXT;v  ^ttitt^ 
^e6eiv  xt)v. 

2)  Tot  caixpa  xaOra  xal  yafxaiCV.« ,   von  der  Poesie :  Themistius  or.  2 
p.  847  B.     Scharf  ist  der  feindliche  Gegensatz  zwischen  Rhetorik  und  Poesi 
ausgesprochen  bei  Eunap.  V.  S.  p.  92,  wo  es  von  einem  schlechten  Rheta 
heisst:   td  -(t  xaid  fvT^topixfjV  ^japxei  ToaoÜTOv  elxcelv  8ti  f,v  AlfUTmo;.    to 
lÖvo;   iTZi  TTOiT^Tix^  |i£v  a^ö^^pa   jiaivovxai,    6  oe   orouoaio;  'Epptf^;    (d.    i.   di<? 
Redekunst)    auTuiv   dTroxeyobpT^xev.      Friedlicher   Rangstreit    der   Poesie   ua«^ 
Rhetorik  z.   B.   bei   [Lucian]   Demosth.   enc.   3   (T.     In  ein  ironisches  Loi> 
kleidet  seine  Eifersucht  auf  die  Poesie  Aristides  ein,  or.  VIII,  I  p.  84  fT.  Dind.         M  ^ 

3;  Man  erinnere  sich  der  poetischen  Stücke  unter  Luciaos  Schriften.  a  ^^ 
Ein  Epos  Fi^avTia  schrieb  der  Sophist  Scopelian:  Philostr,  V.  S.  p.  80.  6;  ■  *3« 
Xupixol  s6\xfii  des  Sophisten  Hippodromus:  ibid.  p.  420,  2.  Mit  den  ■  -^^ 
Tragödien  und  Komödien  einzelner  Sophisten  (s.  Welcker,  Gr.  Trag. 
4  322  f.)  mag  es  freilich  eine  eigene  Bewandtniss  haben:  wovon  unten  elo 
Wort. 


—    333    — 

oder  gelegentliche  Beiwerke  zur  Rhetorik  gewesen  sein.  So 
siudirte  man  ja  auch,  zum  Zwecke  der  Vorbereitung  auf  den 
Rhetorenberuf,  die  Meisterwerke  alter  Dichtung,  vornehmlich  die 
Tragödie,  der  man  die  Erhabenheit  und  den  grossen  Klang  der 
Rede  abzulernen  suchte  ^) .  Man  hatte  aber  um  so  mehr  Grund, 
die  antiken  Dichter  mit  genauerem  Fleisse,  als  zur  Entlehnung 
einiger  poetischer  Blumen  erforderlich  war,  zu  studiren,  da 
ganz  ernstlich  die  Absicht  bestand,  die  Poesie  in  das  Gebiet 
der  Rhetorik  hintlber  zu  ziehen.  In  dieser  Neigung  wurzelt^ 
so  denke  ich,  jene  Vermischung  des  prosaischen  und  poetischen 
Stils  der  Rede  und  des  Ausdruckes,  den  wir  am  Deutlichsten 
bei  den  manierirtesten  der  uns  bekannten  Sophisten,  einem 
Poiemo,  Philostratus ,  Aelian,  Himerius,  in  geringerer  Stärke 
aber  in  fast  allen  Erzeugnissen  der  damaligen  Rhetorik  wahr- 
nehmen können.  Mau  musste  ja,  um  der  Wirkung  der  Poesie 
gleichzukommen,  sich  zunächst  ihrer  Mittel  bemächtigen  2) ;  und 
so  machte  man  sich  eine  eigne  »poetische  Prosa«  zurecht;  jenes 
wunderliche  Wesen,  welches  wie  der  Vogel  Strauss  mit  dem 
herrlichsten  Gefieder  doch  nur  laufen  und  stolpern  und  flattern 
kann,  ohne  die  schwörfällige  Gestalt  je  in  freiem  Fluge  auf- 
schwingend zu  erheben.  Man  kennt  die  Missstände  des  Miss- 
brauchs poetischer  Mittel  in  der  Prosa:  die  Ueppigkeit  des,  in 
billigem,  unächtem  Flitter,  mit  geschminkten  Wangen  sich  sprei- 
zenden »schönen  Stils«,  und  Hand  in  Hand  damit  die  gänzliche 
Abdorrung  der  gewöhnlichen  Hausprosa;  die  aus  der  Gewohn- 
heit des  gesteigerten  Ausdrucks  nothwendig  erfolgende  Phrasen- 
haftigkeit  der  ganzen  Litteratur ;  die  erschrecklich  schnelle  Ab- 
nutzung des  massenhaft  verbrauchten  poetischen  Gutes,  welches, 
nicht  als  Würze  sondern  als  Speise  verwendet*^} ,    für  ein   zar- 

I]  Vgl.  Philostr.  V.  S.  p.  32,  4  ff.;  fxtjx-^jp  ao^piorÄv  heisst  die  zpa^t^Ui 
ibid.  p.  H9,  26.  Vgl.  Cresollius  p.  825.  (Das  Studium  der  Dichter  zu 
rhetorischen  Zwecken  empfahl  bereits  Theophrast:  Quintilian  inst.  XI,  27.) 

2]  exigitur  iam  ab  oratore  etiam  poeticus  decor.  Tacitus  dial.  20  Z.  18 
Halm.  —  (Ans  der  bekannten  Darlegung  des  ^jx^s^  welches  aus  der  An- 
wendung poetischer  Mittel  in  der  Prosa  des  Gorgias,  Aleidamas  u.  A. 
entstehe,  bei  Aristot.  Rhetor.  III  8,  wäre  das  Meiste  auch  auf  die  poetisi- 
renden  Prosaiker  dieser  späteren  Zeit  wohl  anzuwenden).  —  i:oi7)Ti%dl  Öv6- 
f&vta  schreibt  dem  Redeausdruck  seiner  Sophisten  Philostratus  öfter  zu: 
p.  Uy  82;   U,   16  f.;  47,  26;  49,  44  f.  u.  8.  w. 

3)  o'iy  if)oua|jLaTi  yp-JjTai,  d}X  oi;  ilhikazi  toi;  d^rift^TOi;  xtX.,  von  der 
poetisirenden  Prosa  des  Aleidamas,  Aristot.  Rhet.  III  8  p.  4  406  a,  49. 


—    334    — 

eres  Gefühl  sehr  bald,  nach  kurzem  Reize,  bis  zum  Ekel  ab- 
stossend  wirkt;  das  hierdurch  wiederum  veranlasste  WeUbemtt- 
hen  der  Schriftsteller  um  iiumer  andere  und  frische  Reizmittel, 
die  endlich  nur  noch  in  deni   ganz  Verdrehten    und  Sinnlosen 
gefunden  werden  können:    die    völlige  Abstumpfung   des   also 
überreizten  stilistischen  Gefühls,  welches  schliesslich    wohl   gar 
einem    so  unleidlich    gezierten   Phrasendreher    wie  Aelian    als 
besondere  Eigenthümlichkeit  die  Einfachheit  der  Schreibart 
nachrühmen  kann^].     Man   braucht    nun    freilich    gegenwärtig, 
um  diese  Zerrüttung  der  Prosa  durch  die  [Poesie   recht  wider- 
wärtig klar  zu  erkennen,   überhaupt  nicht  auf  irgend  weicht 
Alterthum,  geschweige  denn  bis  zu  den  griechischen  Sophisten 
zurückzugehen.     Aber  in   der  That  wird  man  bei  der  Lectfli 
der  rhetorischen  Manieristen  jener  Zeit  alle  hier  angedeutetei 
Uebelstiinde  stark  empfinden.     Immerhin  sind  dieses  bei  ihnei 
Auswüchse  einer  übel   geleiteten  allzu   künstlichen   Kunst:    es^  ss 

fehlt  ihnen  das  höchst  moderne  Ingrediens  der,  zu  aller  Abge -s- 

schmacktheit  noch  hinzutretenden  schönen  Nachlässigkeit,  welche  ^e 
den  ganz  und  gar  unverkünstolten,   urwüchsigen  Ergüssen  un- 
serer litterarischen  Naturburschen  und  feuilletonistischen  Schnell 
finger  so  herrlich  liisst. 

Man    wollte  aber  nicht  nur   im  Ausdrucke  der  Poesie 


gleichthun;  auch  die  Gegenstunde  der  Dichtung  meinte  ma  —  o 
zum  Theil    ganz    wohl    dem  Rhetor   zuweisen    zu    können. 
Festreden    auf  Götter    und    Ileroön ,    die    man    auch    gerade] 
»Hymnen«  nannte,    und  ausdrücklich  als  wetteifernde  Seitei 
stücke  zu   früheren   dichterischen   Werken  verwandten   Gegei 
Standes  hinstellte  ^J,  in  Lobreden  auf  bedeutende  und  mächti] 

1)  Dieses  fast  unglaubliche  Stück  leistet  Philostratus  V.  S.  p.  4 SS,  4S; 
fj  irlnav  Hin  toO  dvopo;  (des  Aelian)  d^p^Xeia! 

2)  "Tfjivot  hcissen  die  sophistischen  Lobreden  auf  Götter  bei  Menander 
r..  intoeixT.  im  Anfang;  dort  werden  sie  ganz  nach  Analogie  der  poeti- 
schen Hymnen  in  xXr^Ttxot,  diirorEfjiTrrixot ,  ^uatxot  a.  s.  w.  eingetbei/f. 
So  nennt  Aristides  seine  Lobrede  auf  den  Zeus  (I)  einen  Spivo;  At6;  to 
(jiiTpo'j.  Der  Wetteifer  dieser  sophistischen  Hyronologen  mit  ihren  dicble- 
rischen  Vorgängern  wird  nirgends  deutlicher  ausgesprochen  als  in  der  Ein* 
leitung  zu  der  achten  Rede  des  Aristides  (namentlich  I  p.  88  Dind.);  vgl. 
auch  Menander  de  encom.  p.  487,  16  fT.  fSpengel).  Ganz  ähnlich  auch  z. IL 
bei  Hochzeitreden :  Menander  p.  405,  19  ff.  Himcrius  in  einem  irttbXsljuo; 
XÖ70; ,  or.  I  §  4  erinnert  ausdrücklich  an  das  Vorbild  der  Sappho} ;  bei  » 


Menschen  der  Vergangenheit  und  Gegenwart  konnte  man  einen 
Ersatz  für  die  Lyrik  grossen  Stils  der  Vorzeit  erblicken.  Die 
Gelegenheitsdichtung,  vornehmlich  die  Epithalamien  und  Hyme- 
näen,  wurden  völlig  in  das  Gebiet  der  Rhetorik  aufgenommen 
und  durchaus  nach  Anleitung  der  entsprechenden  dichterischen 
Vorbilder  in  prosaischer  Nachbildung  angelegt.  Die  lyrische 
Tändelei  fand  ihr  rhetorisches  Gegenstück  in  jenen  zarten  Kunst- 
werken, in  welchen  man  den  Frühling,  die  Nachtigall,  die  Rose 
sophistisch  feierte^).  Man  zählte  solche  Schilderungen  zu  der 
rhetorischen  Gattung  der  »Reschreibungen«^].  Diese  umfasste 
sonst  namentlich  auch  die  Schilderung  mythologischer  oder  phan- 
tastischer Vorgänge ,  wie  sie  auf  wirklichen  oder  nur  in  der 
Einbildung  vorhandenen  Rildern  dargestellt  waren;  auch  hier 
knüpfte  man  an  die,  vorzüglich  in  hellenistischer  Zeit  beliebten 
poetischen  Prachtschilderungen  glänzender  Kunstw^erke  wett- 
eifernd an  3).     Mit 'dem   Epos  konnte  man   vielleicht   in    rheto- 


phistischen   jjiov<p&lait   Men.   p.  484,    11  ff. ;  bei  Lobreden  auf  den  Kaiser: 
Men.  p.  369,  8  ff. 

1)  Dergleichen  Themen  scheinen  namentlich  in  den  späteren  Zeiten  der 
Sophistik  beliebt  gewesen  zu  sein.  Als  Prachtstücke  der  Sophistik  erwähnt 
Themistius  or.  S6  p.  389  D  -^po;  ^Tialvo'jc  ^  ^eXiWvwv  ifj  drfi6^ms.  Ein  1-^x6' 
{uov  lapo; :  Libanius  IV  p.  4  054  f. ;  Nicolaus  Progymnasm.  8,  3  [Walz  Rhet. 
I  p.  884);  Procopius  Gaz.  repi  fapo^  citirt  in  Bekkers  Anecd.  148,  24:  vgl. 
desselben  epist.  8 ;  69 ;  Choricius  p.  1 73  ff.  Boiss.  Eingelegt  ist  ein  solches 
Lob  des  Frühling^  z.  B.  bei  Himerius  or.  III  §  8  ff.  p.  439  ff.  Wernsd. ; 
80  legte  man  auch  in  X^yoi  if^NedXiaxol  ein  Lob  der  Jahreszeiten  ein:  Me- 
nander  de  encom.  p.  412,  10.  —  Preis  der  Aose:  Procop.  Bekk.  anecd. 
446,  26;  Choricius  p.  129.  148.  202.  282;  vgl.  auch  Philostratus  epist.  1  —  4. 

2)  Zu  den  dx^pdsei;  zählen  ausdrücklich  die  Schilderungen  des  Früh- 
lings, Sommers  u.  dgl.  die  Progymnasmatiker :  Hermogenes  p.  16,  19; 
Aphthonius  p.  46,  22,  Theo  p.   118,  20;    Nicolaus  p.  492,  2  (ed.  Spengel). 

3)  Die  rhetorisch-sophistischen  dx^paoei;  von  Bildern  und  Statuen  zählt 
in  einer  sorgfältigen  Untersuchung  der  nun  auch  schon  heimgegangene 
Friedrich  Matz  auf,  de  Philostrator.  in  describ.  imaginib.us  fide  p.  7  ff. 
Als  ältestes  Beispiel  nennt  er  die  £lx<iNe;  des  Nicostratus,  eines  Zeitgenossen 
des  Dio  Chrysostomus.  Ueber  den  Ursprung  solcher  ix^pdoeic  von  Kunst- 
werken bemerkt  er  nur  dieses,  sehr  richtig,  dass  man  allegorische  Ge- 
mälde philosophischer  Autoren  nach  der  Art  des  UisaZ  des  Cebes  hier- 
bei ganz  bei  Seite  zu  lassen  habe.  Vielleicht  dürfte  man  aber,  wie  ich 
oben  angedeutet  habe,  eher  ein  Vorbild  dieser  rhetorischen  Beschreibungen 
in  jenen  dichterischen  Beschreibungen  bewegter,  auf  Kunstwerken  dar- 
gestellter Scenen  erkennen,    in  denen    epische   Dichter   der  Griechen  sich 


—     33G    — 

risch  gefärbten  Historien  zu  wetteifern  sich  einbilden  i).  Man 
versuchte  aber  auch,  theils  in  mythischen  Erzählungen,  theils  in 
selbst  erfundenen  Novellen  die  Kunst  des  Erzählers  trotz  dem 
besten  epischen  Dichter  zu  bewähren.  Hierher  gehören  theils 
einige  Stücke  in  Aelians  »vermischten  Geschichten«,  theils  solche 
Versuche  wie  Lucians  Toxaris. 

Dieses  Bestreben,  eine  eigene  rhetorische  Poesie  zu  er- 
schaffen, war  es  denn  endlich  auch,  welches  aus  dem  Boden 
der  zweiten  Sophistik  dessen  eigenthümlichste  Blume  hervor- 
trieb: den  griechischen  Liebesroman. 

4. 

Die  sophistische  Beredtsamkeit ,  von  der  kühlen  Wirklich- 
keit mit  einem  gewissen  Wider\villen  abgewandt,  zeigt  eine 
merkwürdige  Neigung,  ihre  Phantasie  an  Vorstellungen  von  hef- 
tig erregten,  blutigen,  leidenschaftlich  verwirrten,  nur  gewalt- 
sam  zu   entwirrenden   Vorgängen    zu    erhitzen.     Sie    bedurfte 


von  jeher  gefielen.  Aus  der  Zeit  des  alten  Epos  erinnere  ich  an  den  Schild 
des  Achill,  II.  2;  Hesiods  Schild  des  Herakles;  die  Vj^atoTÖTcuxToc  incvoiiXif 
des  llemnon  in  der  Aethiopis ;  den  Krater  welchen  Polyxenas  dem  Odyueti 
schenkte,  in  der  Telegouie.  Weiterhin  aber  gehörten  derartige  Beschrei- 
bungen offenbar  zu  den  Prachtstücken  der  hellenistischen  Kunstdichter: 
ich  verweise  auf  die  Schilderung  der  Darstellungen  auf:  dem  Mantel  dai 
Jason  (Apoll.  Rhod.  I  7t  1—768);  dem  Teppich,  welchen  Catail  64,  50  if. 
ohne  allen  Zweifel  nach  alezandrioischem  Vorbild  abschildert;  dem  Peploi 
der  Athene  in  der  Giris  24—35 ;  dem  TdXapo;  der  Europa,  Moschus  1, 17 — CS; 
dem  Becher  bei  Theokrit  4,  S7  ff.;  Vgl.  auch  Nonnus  Dionys.  ki,  194  if.i 
und  von  römischen  Dichtern:  Ovid  Metam.  II  5  ff.,  VI  64  ff.,  XIII  684  fti 
Virgil  A.  V  S50  ff.  VIII  625  ff.  Eine  rhetorisch-poetische  fx^paot;  ist  dtfB 
die  s.  g.  Trojae  halosis  des  Pctronius,  satir.  89 :  sie  zumal  mag  den  Ceber* 
gang  von  den  dichterischen  zu  den  rhetorischen  ixtppdacic  laach  der  Zeit 
nach)  reprftsentiren. 

1)  Rechneten  doch  Einige  die  Geschichtschreibung,   die  man  anderer- 
seits als  eine  rhetorische  Disciplin  betrachtete,   zur  Poesie:   MX|ii)0^ 

Tix^;,  Marcellinus  v.  Thucyd.  §  44,  (wogegen  denn  Marcellinus  sehr  geist- 
reich einwendet:  Sti  oOx  Ioti  Tronotix-^;,  &'9jXov  iz  ^  oO)^  &7ton(7rcci  (lixptpTtvl: 
was  übrigens  manche  gar  nicht  einmal  würden  gelten  gelassen  haben:  vgl. 
Aristid.  or.  VIII  I  p.  85  ff.  Dind.)  Agathias  Histor.  praef.  p.  4S5,  SO  (ed.  L« 
Dindorf.)  :  ou  7z6^pm  TCTdl/^ai  lotoplav  rotT}Tix'9J;,  d>.Xd  dffjifo)  taÜToi  clvat  iScXf« 


—     337     — 

)ben,  um  rein  durch  die  Phantasie  in  ein  so  wild  flackerndes 
'euer  zu  gerathen,  wie  es  andererseits  ihre  Absicht  auf  eine 
(iarke  Wirkung  unter  dem  mttssigen  Publicum  der  öffentlichen 
Theater  erforderlich  machte,  einer  überaus  heftigen  Aufregung 
ihres  gesammten  Gefühls.  Von  der  erregten  Manier  ihres  Vor- 
trags ist  bereits  oben  die  Rede  gewesen;  man  wird  dieselbe 
srklürlicher  finden,  wenn  man  die  Themen  betrachtet,  welche 
n  dieser  Weise  ausgeführt  und  dargestellt  wurden.  Wir  kennen 
'reilich  vorzugsweise  nur  die  Schulthemen,  welche,  offenbar 
'eststehend  und  daher  wetteifernd  von  allen  namhaften  Rheto- 
*en  behandelt,  Meister  und  Schüler  in  Griechenland  wie  in 
lom  beschäftigten;  aber  das  Wesen  dieser  ganzen  Sophistik 
>eruht,  im  Gegensatz  zu  einer  gesunden  Beredtsamkeit,  ja  gerade 
iarin,  dass  sie  die  Declamationen  der  Schule  und  deren  phan- 
astische  Gegenstände  auch  auf  den  Markt  oder  doch  wenigstens 
n  das  Theater  zerrten.  So  trieben  denn  auch  in  den  offen t- 
ichen  Schaustellungen,  in  welchen  die  Thätigkeit  der  Rhetoren 
gipfelte,  nicht  nur  die  pomphaft  aufgebauschten  Gestalten  des 
klassischen  Alterthums,  sondern  auch  jene  wilden  Phantasien 
1er  Rhetorenschule  ihr  Wesen ,  die  schon  Quintilian  ^)  der 
ichlichten  Wirklichkeit  des  täglichen  Lebens  kopfschüttelnd  ent- 
gegenstellt: »Zauberer  und  Seuchen,. Orakelsprüche,  und  Stief- 
mütter, grausiger  als  in  der  Tragödie,  und  noch  viel  fabelhaf- 
i^re  Dinge  c.  Ganz  richtig  nennt  Quintilian  diese  Erfindungen 
ier  Rhetoren  »poetische  Themen«;  in  ihnen  gab  sich  in  der 
rhat  die  poetische  Richtung  der  Sophistik  auf  das  Deut- 
lichste kund. 

Man  vergleiche  als  Beleg  nur  einige  der,  von  den  bedeu- 
tendsten griechischen  und  römischen  Rhetoren  behandelten 
Themen  in  Senecas  »Controversiena.  In  dem  gewaltsamen 
Widerstreit  der  rücksichtslosesten  Leidenschaften  wird  diesen 
Rhetoren  am  wohlsten.  »Einer  hat  von  seinen  zwei  Brüdern 
den  Einen,  den  Tyrannen  der  Stadt,  ermordet,  den  andern, 
den  er  im  Ehebruch  ertappt  hat,  trotz  der  Bitten  des  Vaters, 
get(kitet.     Von  Seeräubern  gefangen ,   schreibt  er  seinem  Vater 


1)  Instit.  II  10,  5.  —  Eine  abenteuerliche  Declamation,  in  der  ein 
Zauberer  eine  bedeutende  Stelle  einnimmt,  unter  den  Declamationen  des 
Pseudoquintilian,  n.  X.   (p.  187  cd.  Lugd.  Bat.  et  Roterod.  1665  c.  n.  var.}. 

Bobde,  Der  griecMsche  Roman.  22 


—    338    — 

um  Lösegeld.  Der  Vater  schreibt  den  Seeräubero  zurücl 
wenn  sie  dem  Sohne  die  Ilande  abhauen  wollten,  würde  ( 
das  Doppelte  zahlen.  Die  Seeräuber  entlassen  ihn  aber  ui 
beschädigt.  Er  weigert  sich  nun,  den  bedürftigen  Vater  i 
ernähren«*).  —  wNach  dem  Tode  seiner  Frau,  von  der  er  zw 
Söhne  hat,  heirathet  Einer  eine  andre.  Den  einen  Sohn  ensti 
Ehe,  der  ihm  des  versuchten  Vatermordes  verdächtig  erschein 
übergiebt  er  dem  Bruder,  um  ihn  zu  tödten.  Der  setzt  Jenei 
statt  dessen,  auf  ein  abgetakeltes  Schiff  und  überlässt  ihn  de 
Wellen.  Er  wird  zu  Seeräubern  getrieben,  wird  deren  Haup 
mann.  Auf  einer  Reise  fällt  der  Vater  in  seine  Hände;  < 
entlässt  ihn  nach  Hause.  Zurückgekehrt,  verstösst  der  \^U 
den  andern  Sohn«^).  —  »Im  Bürgerkriege  folgt  eine  Fn 
ihrem  Manne  in  das  Feld ,  während  auf  der  feindlichen  Seil 
ihr  Vater  und  Bruder  stehen,  ^'achdem  die  Partei  ihres  Mai 
nes  besiegt,  dieser  selbst  gefallen  ist,  kehrt  sie  zum  Vater  ti 
rück.  Von  diesem  in  sein  Haus  nicht  aufgenommen,  fragt  si 
ihn:  wie  willst  Du,  dass  ich  Dir  genug  thun  soll?  Da  er  ant 
wertet:  stirb!  erhängt  sie  sich  vor  seiner  Thüre.  Der  Sofa 
klagt  nun  den  Vater  des  Wahnsinns  ana^j. 

In  solchen  Conflicten  losgebundener  Leidenschaften  bewe 
sich  eine  grosse  Anzahl  der  » Schulerfindungen  a  ^)  dieser  Sopb 
sten;    man  begreift   nun    wohl    genauer,    mit    welchem  Rech 
man  die  Tragödie  »die  Mutter  der  Sophisten«  nennen  konnfl 

Zu  diesem  leidenschaftlichen  Charakter  der  sophistischi« 
Phantasien  schickt  es  sich  nun  sehr  wohl,  wenn  sie,  auch  hiea 
ja  der  späteren  Tragödie  sich  annähernd,  mit  einer  kennlliciB 
Vorliebe  sich  erotischen  Gegenständen  einer  hochpathetisch« 
oder  sentimentalen,  bisweilen  verderblich  gewaltsamen  Art  ai 
wandten.  Auch  hierfür  mögen  die  Uebungsreden  einige  K 
spiele  darbieten. 

1)  Sencca  contr.  I  7  (die  Uebersetzungen  sind  hier  und  da  etwas  frei« 
Paraphrasen  der  zuweilen  allzu  kurz  gefassten  Inhaltsangaben  der  Contf 
versien). 

2)  Sen.  contr.  WU  i. 

3;  Sen.  contr.  X  8.  Als  weitere  Probestücke  der  wild  phantastisclie 
Galtung  der  Declamationsaufgaben  vgl.  man  l)ei  Soneca,  Controv.  I  4.  5 
V  6.  VI  6.  VII  4.  IX  6;  bei  Quintilian  declam.  VIII  {p.  <08}  u.  s.  w. ;  l>e 
Libanius,  vol.  IV  p.  739  =  Quintilian  dccl.  II  etc. 

4'  Td  oyoXixÄ  itXdojjiaTa,  Dio  Chrysost.  or.  48  p.  488  R. 


—    339    — 

»Ein   JüDgling,   von   Seeräubern    gefangen,    schreibt    dem 
Tater  wegen  Loskaufs;  umsonst.     Die  Tochter  des  Räuberhaupt- 
manns,  welche  ihn  liebt,  nimmt  dem  Jüngling  den  Schwur  ab, 
dass  er  sie  heirathen  wolle,  wenn  er  (durch  ihre  Vermittelung) 
befreit  werde.     Darauf  entflieht  sie  mit  ihm   ihrem  Vater;    der 
Jtingling  kehrt  mit  ihr   nach   seiner  Heimath  zurück  und   hei- 
rathet  sie.     Der  Vater  verlangt,  er  solle  eine  reiche  Waise  hei- 
rathen und  die  Tochter  des   Raubers  Verstössen.     Da   er   sich 
dessen  weigert,  verstösst  ihn  der  Vater «^).     Ein    Beispiel   hel- 
denmüthigster  Gattenliebe:    »Mann    und  Frau    haben    einander 
geschworen,  dass,    wenn    dem  Einen    etwas    zustossen    werde, 
das  Andere  sich  ebenfalls  den  Tod  geben  solle.     Der  Mann,  auf 
Beisen   gegangen,    schickt    [um   die   Gattin   zu  prüfen?]    einen 
Boten ,    welcher    der    Gattin    seinen    angeblichen    Tod    meldet. 
Bern  Schwüre  getreu,  stürzt  sie  sich  von  einer  Höhe  herunter. 
Man  ruft  sie  ins  Leben  zurück;    ihr  Vater  verlangt  nun,    dass 
sie  den  Mann  aufgebe.     Sie  weigert  sich  dessen ,  und  soll  nun 
Verstössen    werden«  ^j.     Eine    blutige    Criminalnovelle ,    durch 
Liebe,  Eifersucht    und  Hass   geschürzt,    mag    man    in    Senecas 
Controversien  VII  5   behandelt  sehen.     Andere   dieser  kleinen 
Romane  bewegen  sich  mehr   in    den   Kreisen   des   bürgerlichen 
Lebens  und   seiner  mehr  peinlich  verwickelten  als    unbedingt 
leidenschaftlichen    Verhältnisse.     »Ein    fremder  Kaufmann   ver- 
sucht,   unter  Anerbietung  reicher  Geschenke,    zu  dreien  Malen 
eine,    in  seiner  Nachbarschaft   wohnende   schöne   Frau,   deren 
Mann  auf  Reisen  ist.     Sie  weist  ihn   standhaft   ab.     Der  Kauf- 
mann stirbt,  und  setzt  die  Frau  zur  Erbin   seines  ganzen  Ver- 
mögens ein,  mit  dem  Lobspruch:    »ich  habe  sie  keusch    erfun- 
den«.    Sie  tritt  die  Erbschaft   an.     Der  Mann,    zurückgekehrt, 
klagt  sie,  von  Misstrauen  bewegt,  des  Ehebruchs  an« 3).     Unter 
Quintilians   Declamationen    findet    man    folgendes    wunderliche 
Thema  :  »Die  beiden  Söhne  eines  Armen  und  eines  Reichen  lieben 
dieselbe  Hetäre;  der  Kuppler  will  sie  Dem  ausliefern,  der  zu- 
erst den  Kaufpreis  bringt.     Der  Sohn   des  Reichen  findet  den 
Sohn   des  Armen  in  der  Einsamkeit,   ein   blankes   Schwert   in 
der  Hand,  weinend  dasitzen.     Erfragt  ihn,  was  das  bedeute; 

1}  SeD.  contr.  I  6.  —  Vgl.  Libanius  IV  p.  639. 

2)  Sen.  coDtr.  II  S. 

3)  Sen.  contr.  II  7. 

22* 


—     340    — 

da  jener  sagt,  er  sei  entschlossen,  sich  aus  Liebe  xu  der  Hetdi 
den  Tod  zu  geben,  schenkt  jener  ihm  die  KauCsumme,  mit  we 
eher  der  Arme  die  Geliebte  freikauft«  ^j.  Damit  auch  eii 
andere  Situation  nicht  fehle,  die  nachher  in  den  Romanen  uj 
wiederholt  begegnet,  führte  man ,  wie  es  scheint  mit  besond 
rer  Beflissenheit,  eine  Fabel  aus,  nach  welcher  eine  unschu 
dige  Jungfrau,  von  Seeräubern  geraubt,  an  einen  Kuppler  ve 
kauft,  sich  alier  Angriffe  auf  ihre  Tugend  zu  erwehren  weifl 
und  schliesslich  einen  durch  Bitten  nicht  abzuwehrenden  Sc 
daten,  in  ihrer  Noth,  tödtet^).  Es  fehlte  auch  nicht  ganz  i 
weichlich  schmachtenden  Liebesfabeln.  Es  wird  uns  versichert* 
dass  manche  griechische  Rhetoren  eine  gewisse  Neigung  ii 
sinnlichen,  ja  lüsternen  Ausführung  einzelner  erotischer  Tb 
inen  zeigten;  dazu  reimt  sich  ganz  wohl,  dass  wir  so  süsslicl 
Gegenstände,  wie  das  Selbstgespräch  eines  in  das  (von  ih 
selbst  verfertigte)  Bild  eines  schönen  Mädchens  Verliebten  meh 
fach  behandelt  sehen  ^};  dass  man  sich  in  der  zierlichen  B 
Schreibung  eines  schönen  Mädchens  übte  ^) ;  dass  schon  d 
Schüler  Themen  auszuführen  angehalten  wurden,  wie  dies« 
warum  Aphrodite  in  Sparta  bewaffnet,  warum  Eros  als  Knab 
mit  Pfeil  und  Fackel  ausgerüstet  dargestellt  werde  ?^).  i 
suchte  man  denn  auch  die  alte,  oben  besprochene  Sage  v< 
Seleucus  und  Stratonice  wieder  hervor;  man  machte  ein  zi 
Conlroverse  geeignetes  Thema  daraus,  indem  man  der  Liel 
des  Jünglings  zu  der  schönen  Stiefmutter,  seiner  Krankhei 
dem  weisen  Blick  der  Aerzte,  dem  Edelmuth  des  Vaters,  d 
ihm  die  Geliebte  abtritt;  noch  eine  criminalistische  Schlusswei 
düng  hinzufügte^,     in  diesem  Falle,  und  in  einigen  andern* 

1^  Quintilian.  decl.  CCCXLIV  (p.  594).  —  Ein»  sehr  wunderliche  I 
trigaengescbichte  bei  Libanius  IV  p.  583  ff. 

2)  Sen.  contr.  I  S. 

3)  S.  Seneca  contr.  p.  98,  2  ff.  ed.  Kiessl. 

4)  Proben  aus  einer  Dcclamation  des  Rhetors  Onomarchus  über  « 
Thema  des  tou  eix6vo;  dpöiv  bei  Philostr.  V.  S.  p.  101.  102.  Eine  ai 
geführte  f^Ooiroita  über  dasselbe  Thema  bei  Libanius  IV  1097  f.  s=  Nicolfl 
in  Walzens  Rhet.  gr.  I  546  fl*.  (des  Pygmalion  Ovids  erinnert  sich  jec 
von  selbst). 

5)  Liban.  IV  1069. 

6)  S.  Quintil.  inst.  II  4,  26. 

7)  Sen.  controv.  VI  7  p.  289  Ksl. 

8>  So  ist  z.  B.  der  StofT  der  Declamation   »Amici   vades«  Qoint.  dec 


—     341     ^ 

sehen  wir  einmal  ganz  deutlich  die  Anlehnung  an  eine  ältere 
Fabel;  in  den  meisten  übrigen  Fällen  mag  die  frei  erfindende 
Kraft  der  Rhetorik  ihr  poetisches  Recht  geübt  haben.  Wir  dür- 
fen uns  aber  diese  erotischen  Uebungsreden  viel  weiter  und 
tiefer  verbreitet  denken,  als  unsere  Ueberlieferung  uns  unmit- 
telbar erkennen  lässt.  Bezeichnend  ist,  dass  Phrynichus  dem 
grossen  Sammelwerke  seines  »sophistischen  Rüstzeugs«  eine 
besondere  Zusammenstellung  »erotischer  Wendungen«  eingelegt 
liatte  ^) :  hieraus  mag  man  auf  das  Bedürfniss  seiner  rhetorischen 
Leser  zurückschliessen.  Bedeutsam,  obwohl  nicht  überraschend 
ist  es  denn  auch,  dass  selbst  zwei  Bruchstücke  des  ernsten 
Pavorinus  ein  Selbstgespräch  eines  von  heftiger  Liebe  Ergrif- 
fenen, und  eine  Betrachtung  über  die  Macht  der  gegenwärtig 
lieh  darstellenden  Schönheit  enthalten  ^j. 

Diese  erotischen  Triebe  schufen  sich  aber  auch  ausserhalb 
der  Declamationen  ihre  eigenen  und  eigenthümlichen  Gebiete, 
luf  denen  sie  freier  aufschiessen  konnten.  Man  Hess  die  Ero- 
tik hinüberfliessen  in  jene,  von  den  Rhetoren  so  eifrig  gepflegte 
Cunstform  der  Briefstellerei  unter  fremdem  Namen.  Frei- 
ich liess  sich  ja  kaum  eine  günstigere  Veranlassung  erdenken, 
im  das  erregte  Gefühl  eines  liebenden  Paares  in  unmittelba- 
rem, ungehemmtem  Ausbruche  sich  ergiessen  zu  lassen.  Als 
fitester  Verfasser  solcher  fingirtcr  Liebesbriefe  wird  vielleicht 
1er  Rhetor  Lesbonax  zu  betrachten  sein 3).     Wie  viele  Nach- 


16  (p.  345)  ofTeobar  nur  der  altpythagoreischen  Geschichte  von  Dämon  und 
Phintias  nachgebildet;  Calp.  Flacc.  decl.  30  (ibid.  p.  688)  ist  offenbar  ein 
[Lomödienstoff;  u.  s.  w. 

1}  IpcoTixouc  Tp(S:rou;,  nach  dem  Bericht  des  Photius,  cod.  158,  p.  101  b,  4. 

2)  Favorinus  bei  Stob.  flor.  LXIV  36;  LXV  8.  —  Bruchstücke  einer 
>id[Xe&c  des  Choricius  von  Gaza,  des  Inhalts:  »dass  Reden  über  erotische 
Gegenstände  der  Fähigkeit,  über  andere  Themen  zu  declaroiren ,  keinen 
Schaden  thun«  bei  Boissonade  p.  198  ff. 

3)  Die  Nachrichten  über  den  Rhetor  Lesbonax  sind  dadurch  in  arge 
Verwirrung  gerathen,  dass  man  schon  in  alter,  und  mehr  noch  in  neuerer 
Seit  (z.  B.  bei  Westermann ,  Gesch.  d.  griech.  Beredts.  §  86,  6;  noch 
ichlimmer  bei  Blass,  Die  gr.  Beredts.  von  Alex,  bis  Aug.  p.  164  ff,)  min- 
Jestens  zwei  ganz  verschiedene  Männer  dieses  Namens  irrthümlich  identi- 
Scirt  hat.  Von  dem  Rhetor  Lesbonax  ganz  verschieden  ist  der  Lesbonax 
Jen  Lucian  de  salt.  69  erwähnt.  Dem  ganzen  Zusammenhang  nach  muss 
dieser  ein  Philosoph  gewesen  sein,  etwa  ein  Zeitgenosse  des  Demonax 
ood  des  Sophisten  Polemo.    Denn  der,  als  Lehrer  des  Lesbonax  ebehdort 


—    342    — 

folger  er  gefunden  haben  mag,  können  wir  nicht  angeben 
Wir  ersehen  nur  aus  den  uns  erhaltenen  Proben  dieser  Scbrifl 
stellerei ,  wie  mannichfaltige  Formen  diese  Gattung  der  sophi 
stischen  Dichtung  annehmen  konnte.    Zeigen  uns  die  erotische 


genannte  Tirookrates  ist  kein  anderer,  als  der  Philosoph  Timokrates  to 
Heraklea  (Luc.  Alex.  57),  der  Lehrer  des  Demonai  (lebte  c.  90  bis  c.  49( 
nach  Lucian  Demon.  3,  des  Polemo  (c.  85  bis  c.  U4)  nach  Pbilostr.  ^ 
S.  ]  25,  5.  —  Mit  diesem  Philosophen  Lesbonax  verwechselt  nun  Saidi 
(resp.  Hesychius)  den  Rhetor  Lesbonax  von  Mitylene,  Vater  des  Rhetor 
Potamo  (vgl.  die  inschriftlichen  Zeugnisse  bei  Müller  fr.  bist.  UI  505),  ii 
dem  er  aus  beiden  zusammen  einen  Aeaßöüva^  MurcXr^vaTo; ,  ^tXöoo^oc 
Ye^ovo)«  ir^  Au^oüatou,  ^rarf^p  noToi(xtuvo;  toO  ^iXoo6«po'j  macht,  welch« 
geschrieben  habe  rXetora  <p  t  X  6  o  o  ^  a.  Der  Philosoph  Lesbonax  lebi 
aber  viel  später;  ein  Mitylenäer  war  auch  er,  dass  aber  auch  sein  Sob 
Potamo  geheissen  habe,  ist  wohl  wenig  glaublich.  Die  Lebenszeit  not« 
Augustus,  die  Vaterschaft  des  Potamo  passen  vielmehr  auf  den  Rheto 
Lesbonax.  Die  Verwirrung  bei  Suidas  geht  aber  noch  weiter:  denn  auc 
jener  Potamo,  Sohn  des  Rhetors  Lesbonax,  der  Mitylenäer,  war  ja  gar  nict 
(ptXÖ9o^o;,  sondern  magnus  declamator,  nach  Seneca.  Ihn  hat  Suidi 
wiederum  verwechselt  mit  dem  Philosophen  Potamo  aus  Alexandria 
dem  Begründer  einer  eklektischen  Schule,  der  wohl  wirklich  auch  untc 
Augustus  lebte  (das  Zeugniss  des  Suidas  s.  AeoßuovaS,  als  auf  Vermischur 
des  Rhotors  und  des  Philosophen  Potamo  beruhend,  föllt  nun  freilich  dehic 
aber  es  bleibt  immer  noch  das  Zeugniss  des  Suid.  s.  ÜOTö^fjucuv  'AXe£av^6 
und  die  viel  vexirte  Aussage  des  Laert.  Diog.  prooem.  24 :  rpö  öXt^ou  wkl^ 
spricht  der  Ansetzung  des  Potamo  unter  Augusts  Regierung  keineswegs  [^f 
noch  Zeller  Philos.  d.  Gr.  III  1,  743  meinte]:  s.  Nietzsche  Rhein.  Um 
XX\  226),  aber  mit  dem  Rhetor  Lesbonax  von  Mitylene  und  dessen  Solfe. 
dem  Rhetor  Potamo  natürlich  gar  nichts  zu  thun  hatte.  Es  gab  aL 
zwei  Potamones,  beide  unter  Augustus  (damals  wohl  eher  als  unter  Til» 
rius  der  Rhetor:  Blass  p.  4  65  A.  3)  blühend,  der  Eine  Rhetor  aus  Mik^ 
lene,  Sohn  des  Rhetors  Lesbonax,  der  Andere  Philosoph  aus  Alexandri 
Der  Rhetor  Lesbonax  wiederum  ist  ganz  verschieden  von  dem  viel  spifl 
lebenden  Philosophen  Lesbonax  aus  Mitylene.  Ob  nun  der,  unter  Augu 
lebende  Rhetor  Lesbonax  der  Verfasser  nicht  nur  der  uns  erhaltenen  da 
Declamationen  (Bekker.  Or.  Att.  V  651  ff.)  sowie  der  von  Photius  (bil 
p.  52  a,  22)  gelesenen  4 6  Xö^oi  ttoXitixoi,  sondern  auch  der  epcDTixotl  Its 
oToXat  war,  welche  Schol.  Luc.  salt.  69  einem  Rhetor  Lesbonax  (den  sie  im 
wiederum  irrig  mit  Lucians  Lesbonax  idcntificiren)  zuschreiben,  sch^ 
mir  dennoch  unsicher.  Erotische  Briefe  aus  der  Zeit  des  Augustus  würc^ 
sehr  isolirt  dastehen ;  es  konnte  ja  so  leicht  in  späterer  Zeit  einen  dri 
ten  Lesbonax,  ebenfalls  einen  Rhetor,  geben,  und  wohl  nicht  omaoi 
stellen  jene  Scholien  ihren  Lesbonax  den  Koryphäen  der  zweiten  Sophisl 
an  die  Seite.     Diese  Annahme  hat  um  so  weniger  etwas  BedenklicbeSi  «^ 


—  34a  — 

m 

unter  den  Briefen  des  Philost ratus  nur  ein  weichliches  und 
witzelndes  Spielen  und  Tändeln  mit  den  [Empfindungen  des 
Herzens,  so  nahern  sich  die  meisten  der  erotischen  Briefe  des 
Alciphron  und  des  Aristaenetus  eher  kleinen  Liebesnovel- 
len, indem  sie  die  hin  und  wieder  wogenden  Empfindungen  in 
eierlich  begrenzten  Bildern  und  Skizzen  anschaulich  gestaltet 
darbieten.  Alciphron,  wohl  ohne  Zweifel  von  dem  wenig  älte- 
ren Lucian  angeregt,  schöpft  seine  Stoffe  vornehmlich  aus  der 
aeueren  Komödie:  er  stellt  uns  das  geistig-sinnliche,  genies- 
sende  Stillleben  der  Athener  der  beginnenden  hellenistischen 
Zeit  in  fein  gezeichneten  Skizzen  vor  Augen.  Der  sogenannte 
aristaenetus  nimmt  die  Stoffe  zu  seinen,  theilweise  kaum  noch 
leicht  in  die  Briefform  eingehtlllten  erotischen  Erzählungen,  wo 
er  sie  findet,  aus  der  Cydippe  des  Kallimachus,  aus  historischen 
Anekdotenschreibern  (wie  in  dem  Briefe,  welche  das  Abenteuer 
des  Seleucus  und  der  Stratonice  unter  veränderten  Namen  er- 
zählt], zum  Theil  wohl  auch  aus  gewissen  Sammlungen  eroti- 
scher Novellen,  die  wir  bei  einer  anderen  Gelegenheit  einmal 
genauer  zu  betrachten  haben  werden.  So  mochten  andere  ero- 
tische Briefsteller,  von  denen  wir  kaum  noch  einige  bei  Namen  zu 
oennen  vermögen  *) ,  noch  mancherlei  Spielarten  des  Liebesbrie- 
fes ausgebildet  haben.  Die  reinere  Form  eines  liebenden  Brief- 
ergusses halten  die  Bomansch reiber  fest .  in  jenen  sorgfältig 
gedrechselten  erotischen  Billets,  die  sie  ihren  Erzählungen  ein- 
zulegen lieben. 


man  endlich  den  Grammatiker  Lesbonax  dessen  lehrreiche  Fragmente 
einer  Schrift  irepl  ^r^\i.dr^Ds  Valckenaer  herausgegeben  hat  (Ammon.  p.  177  fT. ; 
vgl.  Gramer,  anecd.  oxon.  IV  p.  270  ff.),  ja  doch  wohl  von  dem  Rhetor 
sogut  wie  von  dem  Philosophen  Lesbonax  zu  scheiden  haben  wird.  Der 
Name  scheint  eben  (zumal  auf  Lesbos)  nicht  selten  gewesen  zu  sein. 

1)  Vgl.  Suidas  unter  MeXi^oep^o;.  Derselbe  unter  Zo)va(o;'  i-^pa^zs 
tpcoTt^d;  iiiisToXa;  xtX.  Dieser  Zonaeus,  welcher  doch  wahrscheinlich  (nach 
Westermanns  Annahme,  de  cpistologr.  Gr.  part.  VIII  L.  1855,  p.  IS)  iden- 
lisch  ist  mit  dem  Sophisten  Zonaeus,  an  den  der  vierte  Brief  des  Sophisten 
Aeneas  von  Gaza  (p.  25  Hercher.)  gerichtet  ist  (vgl.  auch  Procop.  soph. 
Bpist.  4  07  p.  574  Hch.),  wfire  ungefähr  ein  Zeitgenosse  des  Verfassers  der, 
unter  dem  Namen  des  Aristaenetus  umgehenden  Sammlung  erotischer  Briefe. 
Wie  wenn  er  etwa  selbst  der  Verfasser  wöre?  (Kein  anderer  ist  wohl  auch 
ierjcnige  Zonaeus,  von  dem  uns  eine  kleine  Schrift  tz.  T/rnt.d'zo)**  t&v  xatd 
K6^(in  und  xaxa  Xi^is  erhalten  ist:  Spengel  Rhet.  III  161 — 170). 


_    344    — 

Das  Interesse  an  der  Betrachtung  erotischer  Leidenschaft 
sprach  sich  ferner  aus  in  der  Erneuerung  jener  philosophisch- 
dilettantischen Schriftstellerei  über  Natur  und  Wesen  der  Liebe, 
von  der  wir  oben  kurz  berichtet  haben.  Nach  langer  Unfrucht- 
barkeit trieb  diese  Schriftstellerei  jetzt  plötzlich  einen  letzten 
Schössling  in  Plutarchs  Gespräch  über  die  Liebe,  und  in  Lu- 
cians  frivoler  aber  graziöser  Schrift  über  die  Weiber-  und 
Knabenliebe. 

Man  übte  sich  endlich  auch  in  der  selbständigen  Ausbil- 
dung erotischer  Erzählungen.  Wir  besitzen  unter  den  rhetori- 
schen Progymnasmen  eine  Anzahl  Muster  und  Vorbilder  der 
zierlichen  Erzählung  alter  erotischer  Legenden.  Da  begegnen 
uns  die  alten  wohlbekannten  Abenteuer  des  Achill  und  de 
Penthesilea,  Pyramus  und  Thisbe,  Atalante  und  Hippomen 
u.  s.  w.  ^j.  Daneben  in  langer  Reihe  jene  schmachtenden  Aben 
teuer,  welche  durch  eine  endliche  Verwandlung  des  lieben 
Leidenden  ihre  Lösung  finden:  die  Sagen  vom  schönen  Nar- 
cissus,    von   Pan  und  Pitys,  von  der  Daphne  u.  s.  w.  ^.     Mac 


1)  Achill  und  Penthesilea:   Nicolaus  progymo.  3,  ii   (Walz  I  S7S)  5, 
(ib.  p.  289);  vgl.  Libanius  IV  p.  1026  f.  —  Pyramus  und  Thisbe:  Nicolai 
prog.  2,  9  (p.  271) :  vgl.  oben  p.  U4.  —  Atalante  und  Hippomenes:  Nico' 
2,  4  0  p.  272,  Libanius  IV  p.  M09. 

2)  Eine  ganze  Reihe  von  Metamorphosen   in  Pflanzen  sind  erzählt  ii 
ii.  Buche  der  reoDTuovixd.  Ich  habe  schon  oben  (p.  180  A.  2)  bemerkt,  dass  N 
das  ohne  allen    Grund  hierin  Auszüge    aus  den    epischen  Mrra(&op( 
des  Dichters  Nestor  von  Laranda  (unter  Alexander  Severus)  erkennen  wollt 
Es  sind  dies  vielmehr  Proben  sophistischer  Erzählungen  solcher  Sagei 
aus  Progymnasmen  von  den  Sammlern  der  Geoponica  entlehnt.    Damit  mi 
sich  hiervon  überzeuge,  vergleiche  man  nur,  nach  den  folgenden  Notize 
die  Erzählungen  der  Geoponica   mit    parallelen  Erzählungen   rhetorisch- 
Progymnasmen.     Geop.    XI  cap.   2  Daphne:   Liban.   IV  1102  f.  —  cap. 
Cyparissus  [vgl.   M.  Schmidt  Didymi  fragm.  p.  865] :   Nicolaus  prog.  2, 
p.  272   (Walz  I)  c.   6   Myrsine:   Elaia  bei  Nicol.  2,  3  p.   269.   —  cap. 
Pitys:   Nicol.  2,  8  p.  271;   Liban.  IV  p.  1108  (bis)  —  cap.   15  Dendrolil 
nus:  Nicol.  2,  4.  —  c.  17  Rhodon  :  Aphthonius  prog.  2  (Walz  I  p.  61). 
c.  22  Ion:  Severus  oiT^fTjfji.  1  (Walz  1  p.  837).  —  c.  24  Narcissus:  Sevei^i 
SiTjf.  8  p.  358;   vgl.  Nicolaus  6,  2  p.   294  ff.  Nicephorus  ßei  Walz  I  4%  O- 
—  c.  29  Kittos:   Nicol.   2,  5  p.  270.  —  Die   Progymnasmatiker  sogut 
die  Sammler  der  Geoponika  schöpften  diese  Mustererzählungen  vennuthli« 
aus  einer  berühmten  älteren  Sammlung  solcher  5it)ifif)fiaTa,   deren  Verfas»»*" 
errathen  zu  wollen  freilich   wohl   allzu  verwegen  wäre.     Menander  it.  iiri- 
SeixT.  p.    398,  3  ed.    Spengel  (Rliet.  Hl):    -fifpaKzan  xal   N^oropi  iroitjtj  «aJ 


—     ^45     — 

legte  auch  gefühlvolle  Erzählungen  alter  Liebessagen  in  weiter 
gesponnene  Berichte  ein:  so  erzählt  die  traurige  Sage  von 
der  Liebe  der  Polyxena  zum  Achill  Philostratus  in  seinem  He- 
roieus  ^) ;  in  Epithalamien  wird  man ,  der  Empfehlung  des 
Menander  entsprechend  ^) ,  erotische  Erzählungen  gefällig  ver- 
flochten haben ;  der  bunten  Sammlung  seiner  Varia  historia  hat 
Aelian  mancherlei  zart  erzählte  Liebessagen  eingelegt:  so  die 
Geschichte  der  Atalante,  die  Sage  von  der  schönen  und  klugen 
Aspasia  von  Phocäa^).  Es  scheint,  dass  (nan  auch  grössere 
Gyklen  von  kunstvoll  ausgearbeiteten  erotischen  Sagen  und  Mär- 
chen angelegt  habe.  Das  Märchen  von  Amor  und  Psyche,  völlig 
im  Tone  der  sophistischen  Liebesroniane  erzählt,  soll  Apulejus 
der  Sammlung  eines  griechischen  Erzählers  Aristophonles  von 
Athen  entlehnt  haben,  welche  vielleicht  einen  ganzen  Kranz 
ähnlicher  Liebessagen  darstellte^) 

Von  einer  solchen  freien  Ausbildung  der  Volkssage  war  der 
Sprung  nicht  mehr  weit  zur  eigenen  Erfindung  erotischer 
Fabeln. 

Es  sind  uns  eine  Anzahl  Namen  von  Verfassern  erotischer 
Romane  bekannt,  welche  hier  eine  Stelle  finden  mögen,  obwohl 


ivTü|X^^^*^  ^o^'^w  XuaiTcXeT. 

1)  Pbilostr.  Heroic.  tS4.  t36  Boisson.     Vgl.  oben  p.  103  A.  8. 
S)  S.  Menander  n.  ditiSeixT.  p.  899,  15  Sp. 

3)  Atalanta  (lasionis)  Var.  bist.  XIII  1,  vgl.  fragm.  208  Herch.  Aspasia 
(Hennotimi)  ib.  XII  1. 

4)  Planciad.  Fulgent.  myUiolog.  III  6,  p.  718  Stav.,  bei  Gelegenbeit  des 
Mttrcbens  von  Amor  und  Psycbe :  haec  satarantius  Apuleios  —  enarravit,  et 
Aristophontes  Athenaeos  in  libris  qui  Dysarestia  nuncupan- 
tur  banc  fabulam  enormi  verborum  circuiiu  discere  cupientibus  prodidit. 
»Die  auflallendö  Form  Aristophontes  und  Atbenaeus,  für  Atheniensis,  schei- 
Den  darauf  hinzudeuten ,  dass  Fulgentius  ein  griechisches  Citat  vor  sich 
gehabt  habe.  Der  Titel  Dysarestia  ist  auch  auffallend,  und  das  V^^ort  scheint 
erst  sehr  spät  in  Gebrauch  gekommen  zu  sein«  u,  s.  w.  0.  Jahn  Archäol. 
Beitr.  p.  128  Anm.  8.  Ein  Buchtitel  »Missvergnügen«  scheint  mir  nicht  nur 
auffallend,  sondern  ganz  unerhört.  Vielleicht  darf  man  vermuthen,  dass 
der  Titel  gelautet  habe:  Dyserotica,  AuoepcuTtxd,  das  wäre:  Beispiele  über- 
grosser Liebe ;  Sua£poi;,  der  heftig  und  ohne  Maass  Liebeode :  wie  ja  oft. 
Athenaeus  für  Athcnieosis  ist  allerdings  auffallend  (s.  indessen  Forcellini 
8.  y.) ;  Aristophontes  in  Aristophon  zu  verändern,  mit  Jahn,  sehe  ich  keine 
Veranlassung :  Aristophontes  liest  man  bei  Plautus  Capt.  827.  588  u.  s.  w. 


—     346    — 

sich    der    sophistische    Charakter    ihrer    Erzählungen    meis 
nicht  mit  Sicherheit  behaupten  iHsst. 

Ausser  dem  uns  wohl  bekannten  Xenophon  von  Ephesu 
schrieben  zwei  gleichnamige  Autoren,  nach  dem  Zeugniss  de 
Suidas,  erotische  Romane:  Babylonische,  und  Gyprische  Geschieh 
ten  benannt^),  von  denen  der  erste  vielleicht  einen  rein  erfun 
denen  Stoff,  der  zweite  die  alte  Sage  von  Kinyras  und  Myrrh; 
behandelte.  Die  Personen  jener  Schriftsteller,  welche  Suida 
zu  Bürgern  von  Antiochia  und  von  Cypem  macht,  sind  so  wenij 
grein>ar,  wie  die  unsers  ephesischen  Xenophon,  des  Verfasser, 
der  ephesischen  Geschichten 2) .  2u  den  »Historikern«  zählt  Suidas 
so  gut  wie  jene  drei  Xenophonten,  einen  Phil ippus  von  Am- 
phipolis.  Er  schrieb  »Rhodische  Geschichten  a  in  49  Buchen 
(welche  Suidas  zu  den  »ganz  schmutzigen«  rechnet),  koiscb< 
und  thasische  Geschichten  in  je  zwei  Büchern  »und  anderes«^) 
Ueber     den     erotischen     Charakter    seiner    Schriften     kam 


1)  Suidas:  Sevocpdiv  'AvTioye6;',  ioroptxo;.  BaßuXwviaxd *  lort  o'  iparrtxt 
—  Sevocpoiv  K6ir(>toc'  Kurpiaxa.  loxi  oe  xal  auxd  dpcuTixüv  uiro^oeoov  loropta 
Tiept  T£  Kiv6pav  xai  M6ppav  xai  "Aßuiviv.  —  unter  den  verschiedenen  Lcutei 
des  Namens  Xenophon,  welche  Laertius  Diogenes  II  59,  nach  Anleitung  de 
Dcmetrius  Magnes  (letzte  Hälfte  des  letzten  Jahrh.  vor  Chr.),  aufzählt,  finde 
sich  an  fünfter  Stelle  ein  Xenophon  piuddb^  Teparebv  7:£irpa7fi.aTeu{jivoc  ver 
zeichnet.  Scheurleer,  disp.  philol.  de  Demetrio  Magnete  (Lugd.  Bat.  485& 
p.  10S  iT.  sucht  zu  zeigen,  dass  hierunter  kein  Anderer  als  der,  zu  aber 
t«uerlichen  Berichten  geneigte  Geograph  Xenophon  von  Lampsacus  verslar 
den  sei.  Man  könnte  aber  mindestens  mit  demselt)en  Rechte  unter  d« 
fi.ud()(>OT]c  TepaTeta  eine,  wie  es  dem  Demelrius  scheinen  mochte,  schaaml« 
erlogene  (und  doch  als  wahr  erzählte)  abenteuerliche  Geschichte  verstehe 
einen  Roman,  nach  unserer  Ausdrucksweise. 

2)  Man  hat  längst  die  Vermuthung  ausgesprochen,  alle  drei  Erotik^ 
hätten  sich  des  Namens  Xenophon  nur  als  eines  Pseudonym  bedient,  la 
den  eigenen  Namen  (welchem  durch  offenes  Bekenntniss  der  Autorsch  u 
eines  Liebesromans  wohl  eben  nicht  besonderer  Ruhm  erwachsen  wäre) 
ver8tc(;ken,  und  die  Absicht  eines  gewissen  Wetteifers  mit  der  vielbewiB 
derten  Schreibart  des  Sokratikcrs  Xenophon  anzudeuten.  S.  Locella  X^ 
Ephes.  p.  VI  n.  k,  Fabricius  b.  gr.  VllI  161  Marl.,  neuerdings  Val.  R(^fl 
de  Aristot.  libroc-  ord.  et  auct.  p.  27.  —  Bei  dem  Antiochener  Xenopb» 
scheint  doch  der  von  dem  Schauplatzt  der  Handlung  seines  Romanes  vc9 
schiedene  Heimathsort  (welcher  bei  den  beiden  anderen  Namensvett^ 
vermuthlich  einfach  aus  dem  Titel  ihrer  Werke  erschlossen  ist)  auf  eii 
bestimmte,  nicht  rein  fictive  Person  hinzudeuten. 

3;  Suidas:   «PIXitit:©;,   A[xcpi7:oX(T7);,    iTuopixö;.     'Pooiaxdf,   ßißXia  i%'   {i^ 


—    347     — 

schon  darum  kein  Zweifel  sein,  weil  der  Arzt  Theodorus  Priscianus 
ihn  zugleich  mit  Jainblichus,  und  einem  sonst  nicht  bekannten 
Hcrodianus  als  Erzähler  »süsser  Liebesgeschichten«  auffuhrt^). 
Von  namhafteren  Sophisten  wissen  wir  allerdings  keinen 
zu  den  Verfassern  erotischer  Fabeln  zu  rechnen ;  denn  die  Lie- 
hosgeschichte  des  Araspas  und  der  Panthea,  welche  unter  dem 
Namen  des  Dionysius  von  Milet,  eines  unter  Hadrian  bertlhmten 
Sophisten,  umlief,  war  diesem   nur   untergeschoben  von   einem 


oe  TÄv  itavu  afoxp«^),  Koiaxd  ^tßXta  ß',  Baoiaxd  ßißXia  fl',  %ai  aXXot.  (Suidas 
s.  dTToaifjLcbOQLt  meint  wohl  den  Komiker  Philippus:  s.  Meineke  h.  er.  com. 
p.  342). 

1)  Theod.  Prise.  Rer.  medicar.  II  H  :  die  Stelle  ist  oben  p.  225  mit- 
gctheilt  und  besprochen  worden.  Unter  dem  »Amphipolitae  Philippi«  hat 
man  längst  den  von  Suidas  erwähnten  Erotiker  aus  Amphipolis  erkannt. 
Den  dann  folgenden  Herodianus  wollen  wir  uns  hüten,  vorschnell  mit 
Osann,  Beitr.  zur  gr.  u.  röm.  Litt.  I  p.  293  in  Heliodor  zu  verwandeln. 
Zwar  die  Vertauschung  von  Heliodorus  und  Herodianus  wäre  wohl  nicht 
ganz  unerhört  (vgl.  Lenlz  Herod.  techn.  rel.  I  p.  IX.  X) ;  aber  warum 
sollen  wir,  aus  unserer  mehr  als  dürftigen  Kenntniss  dieser  Dinge  heraus, 
lieber  die  Zahl  der  uns  bekannten  Erotiker  um  einen  Vertreter  willkürlich 
vermindern,  als  von  Theodorus  einfach  lernen,  da.«s  es  eben  auch  einen, 
sonst  uns  nicht  bekannten,  Romanschreiber  Herodianus  gab?  (Den  Hero- 
dianus zählt  daher  auch  ganz  unbefangen  unter  den  scriptores  erotici  deper- 
diti  auf  J.  A.  Fabricius  B.  Gr.  VHI  p.  159  Harl.)  —Auf  die  Reihenfolge 
der  Namen:  Philippus,  Herodianus,  Jamblichus  bei  Theod.  Pr.  ist  wohl, 
für  die  chronologische  Bestimmung  der  beiden  ersten,  nichts  zu  geben. 
Jedenfalls  nur  lebten  beide  vor  der  Mitte  des  vierten  Jahrhunderts,  da 
Theodorus  selbst  etwa  zu  dieser  Zeit  schrieb  (Ed.  Meyer,  Gesch.  d.  Botanik 
II  1K86  ff.}.  —  'Beiläufig  mag  hier  an  die  Notiz  des  Suidas  über  Kao(i.oc 
'ApyeXdtou  MiX-^sio;,  loropiTcö;  vecurepo;  (nämlich  als  K.  des  Pandion  Sohn, 
von  Milet)  erinnert  werden.  Dieser  schrieb :  Xuotv  IposTtxdiv  ira&aiv  [tt.  lassen 
einige  Hss.  fort]  äv  ßißXlou  5',  xal  'Arrixfli«  laroplo;  ic'.  Die  'Arrixal  loropbi, 
in  so  seltsamer  Gesellschaft  auftretend,  mögen  vielleicht  wirklich,  wie 
C.  Müller  Fr.  bist.  gr.  II  p.  K  vermuthet,  ebenfalls  erotischen  Inhalts 
gewesen  sein.  Was  Xuoi;  IptnTixms  Tradwv  bedeuten  könne,  ist  wohl  schwer 
zu  sagen :  vgl.  Müller  a.  a.  0.  p.  3.  Ich  will  eine  sehr  problematische 
Vermuthung  gleichwohl  mitzutheilen  wagen.  Vielleicht  lautete  der  Titel  dieser 
von  einem  (wirklichen  oder  Pseudonymen)  Kadmus  von  Milet  veranstalteten 
Sammlung  von  Liebesgeschichten:  £Xuoi^  dpoTixdjv  raO^v.  Wenn  man  einen 
»Kranz«  von  Epigrammen  herausgeben  konnte  (Meleager),  warum  nicht  auch 
eine  »Schmuckkette«  erotischer  Abenteuer?  (oEXuoi;  dann  hier,  oOx  iirlToO  ^eopioD, 
dKK  im  ToO  Yuvaixetou  x6o[xou :  PolluxX  167.)  aXuoi;  dposTixöäv  Tca&dsv  würde  dann 
genau  dasselbe  besagen,  wie  dfdpotot;  xoiv  ipoi'ixms  r.a%riikdxm^,  wovon  Parthe- 
nius  praef.  redet,  nämlich  Sammlung  von  Erzählungen  erotischer  Abenteuer. 


—    348     — 

boshaften  Gegner,  dem  Rhelor  und  kaiserlichen  Secretär  Celer*). 
Uebrigens  wird  sich  die  Absicht  einer  solchen  Unterschiebung 
schwerlich  anders  begreifen  lassen,  als  indem  man  annimmt, 
dass  Geier  jene,  bei  Xenophon  so  reine  und  edle  Geschichte 
der  Panthea,  um  den  Gegner  zu  compromittiren ,  ins  Ltisteme 
und  Schmutzige  verzerrt  habe,  wozu  ja  ein  stärkeres  Hervor- 
heben der  Verliebtheit  des  Araspas  die  beste  Handhabe  bot. 

Immerhin  lehren  diese  wenigen  Notizen  so  viel ,  dass  die 
uns  erhaltenen  Liebesromane  der  sophistischen  Zeit  nicht  ganz 
vereinzelt  standen.  Auch  wenn  die  zuletzt  genannten  Liebes- 
geschichten etwa  ausserhalb  des  sophistischen  Bodens  gewach- 
sen sein  sollten ,  so  konnten  aus  ihnen  doch ,  so  gut  wie  aus 
dem  Roman  des  Antonius  Diogenes,  die  Verfasser  sophistischer 
Romane  manche  Nahrung  an  sich  saugen,  welche  sie  dann  in 
ihrer  Weise  mit  rein  rhetorischen  Elementen  versetzen  moch- 
ten. Die  Neigung  zu  der  Ausbildung  erotischer  Stoffe  war  vor- 
handen, wie  jene  soel>en  bezeichneten  Vorliebe  der  Doclama- 
toren  fUr  erotische  Themen  beweist :  es  bedurfte  nur  eines 
Zusammenwachsens  der  verschiedenen  Bestandtheile  sophistischer 
KunstUbung  mit  einem  erotischen  Grundstoffe,  und  der  Roman, 
in  derjenigen  Form  welche  uns  bei  Heliodor  und  seinen  Ge- 
nossen vorliegt,  war  fertig. 

Wirklich  steht,  in  dem  »Dramaticum«  des  Jamblich us 
der  vollständige  sophistische  Liebesroman,  fertig  und,  in  seiner 
unbehtllflichen  Art,  ganz  ausgebildet  plötzlich  vor  uns  da.  Die 
Vorstufen  zu  dieser  Ausbildung  können  wir,  so  klar  wir  die 
einzelnen  Elemente  einer  erotischen  Prosadichtung  in  den  son- 
stigen Ueberresten  der  sophistischen  Studien  und  Bestrebungen 
erkennen  mögen,  nicht  nachweisen.  Die  litterargeschichtlichen 
Aufzeichnungen  der  Alten  lassen  uns  hier  völlig  im  Stich;  die 
gesammtc  Litteratur  der  sophistischen  Jahrhunderte  erwähnt 
dieser  eigenthUmlichsten  Blttthe  der  Sophistik  kaum  mit  einem 
gelegentlichen  Winke.  Es  nimmt  daher  nicht  Wunder,  dass 
man  erst  in  neuerer  Zeil  klar  erkannt   hat,   welcher  litterari- 


1)  S.  Philostr.  V.  S.  I  32,  8  p.  87,  8  ff,  Ueber  Celer  vgl.  Kayscr  Phil. 
V.  S.  (1888)  p.  S59.  Aehnliche  Unterschiebungen  selbst  gemachter  Seh rifteo: 
Lobeck  Aglaoph.  p.  859.  Vgl.  auch  Bergk,  Gr.  Litteraturg.  I  245  f.  (Nach 
meiner  Auffassung  wftre  ein  sehr  merkwürdiges  Beispiel  dieser  Art  Lucians 
Aoüxwc  tJ  'Ovo;). 


—    349    — 

sehen  Richtung ,  welchem  culiurhistorischen  Umkreise  diese 
abnormen  Producte  überhaupt  einzuordnen  seien*),  worüber 
freilich  schon  der  Titel  eines  »Rhetorsa,  welchen  Thomas 
Magister  dem  Achilles  Tatius^),  eines  »Sophisten«,  welchen 
ältere  Ausgaben  dem  Longus  geben,  einen.  Aufschluss  hätte 
geben  können.  Das  Unternehmen,  obwohl  durch  die  gesammte 
Richtung  der  Sophistik  unzweifelhaft  vorbereitet,  kam  unter  so 
ungünstigen  Auspicien ,  in  einer  Periode-,  die  Neues  wohl  noch 
wünschen  aber  nicht  mehr  mit  voller  Kraft  hervorbringen  und 
lebendig  hinstellen  konnte,  zur  Welt,  dass  es  von  vorne  herein 
einer  lähmenden  Nichtbeachtung  verfiel.  Ein  Arzt  des  vierten 
Jahrhunderts  3)  weiss  die  Romane  des  Jamblichus  u.  A.  nur 
ELranken  einer  etwas  wunderlichen  Art  zur  Erholung  zu  empfeh- 
len. Zu  der  Zeit  des  Kaisers  Julian  scheint  allerdings  auch 
unter  Gebildeteren  die  Lectttre  solcher  Bücher  wenigstens  so 
weit  verbreitet  gewesen  zu  sein,  dass  der  ernsthaft  philosophi- 
sche Kaiser  ausdrücklich  vor  solcher  Leetüre  warnen  zu  müs- 
sen glaubte^).  Die  vornehmere  Rhetorik  nahm  gleichwohl  so 
wenig  Notiz  von  diesen  Dichtungen,  die  doch  aus  ihrer  eigenen 
Mitte  hervorgegangen  waren,    dass   sie,   unter  dem  Ueberfluss 


1)  Wer  zuerst  diese  Romane  als  Producte  der  Sophistik  l^lar  erkannt 
und  bezeichnet  habe,  weiss  ich  nicht  zu  sagen.  Fabricius,  Scholl  in  seiner 
griech.  Litteraturgeschichte,  ja  noch  Chassang  in  seiner  histoire  du  Roman  etc. 
verrathen  von  dieser  Einsicht  keine  Spur.  Weslermann,  Gr.  Beredts.  §  106»  38 
zählt  die  Romane  zu  der  »sophistisch-rhetorischen  Schriftstellerei«;  etwas 
genauer  ist  ihr  sophistischer  Ursprung  nachgewiesen  bei  Nicolai,  (Jeb.  Ent- 
stehung u.  Wesen  des  gr.  Romans.     S.  Aufl.,  Berlin  4867  p.  54  ff. 

2)  Thom.  Mag.  s.  dvGißa(vo>.     Vgl.  Jacobs,  Ach.  Tat.  p.  VI. 

3)  Theodorus  Priscianus,  an 'der  mehrfach  bezeichneten  Stelle. 

4)  Die  Worte  des  Julian  sind  merkwürdig  genug,  und  als  Zeugniss  für  die 
weite  Verbreitung  erotischer  Romane  in  jenen  Zeiten  immerhin  beachtens- 
werth  (wiewohl  bisher  von  Niemanden  beachtet).  In  dem  Fragment  eines  an 
einen  Priester  (s.  p.  888  Uertl.)  gerichteten  Briefes,  vol.  I  p.  886,  7  ff.  (ed. 
Uertlein)  sagt  der  Kaiser,  in  einer  Uebersicht  über  die  für  einen  Priester 
geeignete  Leetüre:  npliroi  h'  av  -^p-lv  loropiaic  irojiyidsei'if  6ic6oat  cuve^pd^- 
o«v  inl  iteiroi7]ji.dvou  toi;  Ip^oi;  •  loa  hi  ioriv  is  loxoplac  elSei  irapd  toTc 
f|A>icpoo&ev  dmif(tKit.i^aL  iiXdop,aTa  TrapaiTTjTiov,  ipooTixdc  6icod£o€tc  xal 
ndivTa  irzXm^  xd  Toiaura.  Wenn  nicht  solche  erotische  Erzählungen  damals 
za  der  gewöhnlichen  Leetüre  auch  gebildeter  Leute  gehört  hotten,  so  würde 
sicherlich  der  Kaiser  dieselben  auch  nicht  einmal  um  vor  ihnen  zu  warnen 
genannt  haben. 


—     350     — 

ihrer  Nomenclaiuren,  nicht  einmal  einen  eigenen  Namen  für 
die  neue  Gattung  festzusetzen  fUr  nöthig  hielt.  Die  Autoren 
selbst  scheinen  einen  eigentlichen  Gattungsnamen  für  ihre 
Weise  der  Prosadichtung  nicht  gekannt  und  nicht  angewandt 
zu  haben.  Sp<iitere  Leser ^  zumal  Photius,  nennen  die  Romane 
»Dramen«,  »Dramatica«,  »Dramatische  Erzählun- 
gena^].  Diese  Namen  sind  keinesfalls,  wie  man  wohl  gemeint 
hat^j,  darum  gewühlt,  um  diese  Romane  als  Erzählungen  un- 
glücklicher, gefährlicher,  an  die  Tragödie  erinnernder  Aben- 
teuer zu  bezeichnen,  dergleichen  Abenteuer  spätere  Griechen 
allerdings  auch  wohl  » Dramen a  nennen^).  Vielmehr  denke  ich, 
dass  man,  hier  wo  es  sich  um  die  Benennung  einer  besonde- 
ren Gattung  rhetorischer  Erzählungen  handelt,  sich  einer,  in 
den  rhetorischen  Handbüchern  herkömmlichen  Eintheilung  der 
»Erzählung«  in  »geschichtliche«,  »gerichtliche«  und  »dramati- 
sche« zu  erinnern  habe;   in  welcher  Eintheilung  unter  »dra- 


1)  Photius  nennt  den  Roman  des  Antonius  Diogenes  Spa(i.aTtx^:  p.  tSS,  t 
Hercher,  ebenso  den  des  Jambiich  p.  881 ,  1  ;  ouvraYfAa  hpayunixA^  die 
Acthiopica  des  Heliodor,  cod.  73  inil. ,  5pa[jiaTix<iv  wieder  den  Roman  des 
Achillos  Tatius,  cod.  87 ;  ^{xutixwv  opapiaTosv  u:rod£aei;  die  Romane  des  Jam- 
biich, Heliodor,  Achilles:  cod.  9^  in.  Eustathius  nennt  seinen  Roman 
selber  to  xaJ^'  'Taffjivrjv  %a\  'Yojiivlav  ^pdfjia.  —  Suidas  zählt  die  Verfesser 
erotischer  Romane,  als  Erzähler,  zu  den  loTopixol  Eine  Combinatioo 
beider  Bezeichnungen  ist  vielleicht  zu  erkennen  in  seiner  Notiz  unter 
[hoXefi.atoc  6  toO  'Hcpaioriovoc.  Dieser  wunderliche  Scribent  soll  unter  An- 
dern geschrieben  haben:  £cp(Y^*  opafi.a  5'ioTiv  loTopixöv.  Hierunter  ein 
«historisches  Drama a  in  unserem  Sinne  zu  verstehen  (mit  Welcker,  Gr. 
Trag.  4838),  kann  ich  mich  nicht  entschliessen.  Nach  allen  Analogien  kann 
opafxa  l9Top(x6^,  im  Gegensatz  zu  einem  in  körperlicher  Action  vorzufüh- 
renden opdp.a,  lediglich  ein  erzähltes  opSpia  bezeichnen  sollen,  und  das 
wäre  eben  eine  selbsterfundene  Erzählung,  ein  Roman,  wenn  man  will. 
Dass  dieses  der  Sinn  jener  Worte  sein  müsse,  scheint  einzig  Chassang,  hist. 
du  roman  p.  377  A.  2  richtig  erkannt  zu  haben :  nur  hätte  er  dieselben 
nicht  durch  roman  historique  wiedergeben  sollen;  beide  Worte  zusaBi - 
men  bedeuten  erst  roman.  lieber  den  Inhalt  eines  Romanes  »Sphinx« 
könnte  nun  freilich  selbst  ein  Oedipus  redivivus  sich  vergeblich  den  Kopf 
zerbrechen. 

2)  Z.  B.  Nicolai  a.  0.  p.  83. 

3)  opSfia  als  Bezeichnung  eines  gofthrlichen ,  bedenklichen  Ereignisses 
sehr  häufig  namentlich  bei  Achilles  Tatius:  p.  44,  7  (ed.  Hercber) 
47,  SO.  50,  40.  79,  89.  95,  49.  408,  80.  434,  15.  488,  9.  457,  45.  468,  7.  47. 
474,  4.   494,  88.   498,  8.  804,  86.  803,  46.  208,  89. 


—    351     — 

matischcn  Erzählungen u  solche  verstanden  werden,  welche 
zwar  erfundene,  aber  der  Möglichkeit  thatsächlicher  Ereig- 
nisse nachgebildete  Stoffe  behandeln:  dramatische  nannte 
man  sie  darum,  weil  sie,  als  erfunden  und  doch  der  Möglich- 
keit nicht  widersprechend,  den  Gegenständen  der  (neuen)  Ko- 
mödie  ähnlich   waren  ^).     Wie  nun  z.  B.  der  berühmte  Sophist 


1)  Aphthonius  (Ende  des  3.  Jahrh.)  Progymn.  8  p.  22,  4  iT.  Sp. 
(Rhet.  II)  theilt  das  öi'/jYYjji.a  ein  in  ein  ioropixöv  —  iroXixixöv  —  ^pa^ia- 
Tix(ts'  xai  opafjiaTixov  [asn  xb  ircirXaop.^vov.  Ebenso  Anonymus  tt.  tojv 
ToO  !A?pdoNloü  7tpoY'J[Avaa[AdTcuN ,  Walz.  Rhet.  l  p.  128,  25  (Spafxaxixov  tJ  TtXa- 
opuaTtx(Sv),  Matthaeus  Camariotes,  Walz  l  p.  122,  15.  —  Nicolaus  (fünftes 
Jahrh.)  progymn.  2  p.  455  Sp.  (Rhet.  III)  verwendet  die  Bezeichnung 
IttlffllkOL  $pap,aTix6v  in  einer  ganz  anderen  und  eigentlich  unlogischen  Ein- 
theilung  [hviy^.  dcp7]Y"»3|Aa'cix(5v  —  6pap.aTixöv  —  fttxTÖv].  Er  fügt  aber  (p.  455,  29) 
eine  weitere  Eintheilung  des  oii^Y^f^a  hinzu:  twv  öiTj-pQpwiTwv  xd  [t-h  io-zi 
|A«jdixd,  xd  Ik  loToptxdf,  t6l  hk.  TTpa^lJ-aTixcC  {8.  xal  Bixavixd  xaXouvrat) 
xd  oe  TrXaofxaxixd.  Hier  stehen  also  die  irXaopiaxixd  statt  der  ^pa.aaxixd 
des  Aphthonius.  Es  heisst  dann  weiter  (p.  456,  6.  7)  TrXaofxaxixd  Ik  xd  h 
xaU  xaificiiotat;  xal  xoT«  dXXoi;  $pGifp.aotv.  —  (p.  456,  12)  xoivoiveT  xd  TrXa- 
OfAOTtxd  xoT<  fi.6doi;  xip  dp,cp6xepa  TieTrXdodai,  oia^^pet  x(j>  xd  (ji£v  [nüiulicb  die 
nXaofxaxixd]  ei  xai  p.i^  •^i^ost^j  Z[LmQ  lyetv  cpuoiv  ftsi^^ai.  Obwohl 
also  hier  die  Bezeichnung  ^papuixixd,  weil  bereits  anderweit  verwendet,  auf- 
gegeben ist,  tritt  doch  aus  dieser  Beschreibung  sehr  deutlich  hervor, 
warum  man  die  TrXaofAaxixd  auch  opa;xaxixd  nannte:  weil  sie,  den  Komoe- 
dien  gleich,  einen  erfundenen,  aber  der  Möglichkeit  nicht  widerstreitenden 
Gegenstand  behandelten.  Wenn  nun  Nicolaus  angiebt,  die  TrXaopiaxixd  fän- 
den ihre  Stelle  h  xaTc  x(u(Jiu)^(at;  xal  xoT;  dXXot;  ^pdfiaotv,  so  muss  er 
unter  diesen  opdfxaxa  bereits  Romane  verstanden  haben,  oder  doch  erfun- 
dene Erzöhlungen  überhaupt:  denn  von  Tragoedien  (oder  Satyr- 
spielen) lasst  sich  doch  nicht  sagen,  dass  sie  einen,  vom  Dichter  frei  er- 
fundenen, und  noch  weniger,  dass  sie  einen«, der  Möglichkeit  sich 
anschliessenden  Stoff  behandeln  (die  Tragoedien  würden,  nach  dieser  wun- 
derlichen Eintheilung,  vielmehr  zu  den  (jiudixd  zu  rechnen  sein).  Die 
Eintheilung  der  SiTj-yi^f^axa  in  p,udixd  —  TiXaofxaxixd  —  loxopixd  —  iroXixtxd 
findet  sich  übrigens  schon  bei  Hermogenes,  progymnasm.  2  p.  4,  27  ff. 
Sp.  (Rhet.  II).  Wenn  nun  Hermogenes  hinzusetzt:  x6  hk  irXaofjiaxixöv  6  xal 
Kpapiaxtxöv  xoXouotv,  ola  xd  xaiv  xpa^iKcüv ,  so  ersieht  man  hieraus,  dass 
iie  Bezeichnung  einer,  erfundenen  Stoff  behandelnden  Erzählung  als  hvrixri[ML 
&pa(j.axix6v  bereits  in  der  rhetorischen  Terminologie  der  Antoninenzeit 
üblich  war.  Sicherlich  meinte  man  aber  auch  schon  damals  mit  dieser 
Bezeichnung  nichts  anderes  als  später,  und  so  wird  man  wohl,  nach  An- 
leitung der  soeben  besprochenen  Stelle  des  Nicolaus,  statt  xpa^ixosv  corri- 
;iren  dürfen:  xmfjitxoiv  (nichts  ist  ja  gewöhnlicher  als  Vertauschung  von 
rpa^tx^c,    xpa^cp^la  und   xa>(Aix6<,    xa>(j.cpS(a,    in    unsern  Hss.    Beispiele   bei 


—    352    — 

Nicostratus  »dramatische  Mythen«  geringeren  Umfangs  geschrie- 
ben hatte  1) ,  so  mochte  ja  auch  einmal  ein  Rheior  auf  die  Aus- 
bildung weiter  ausgesponnener  9 dramatischer  Erzählungen«  in 
dieser  Bedeutung  verfallen:  und  das  waren  dann  eben  die 
Romane. 

Gar  nicht  uneben  bezeichnet  also  dieser  Name  eine,  wirk- 
lich fUr  die  ganze  Gattung  höchst  wesentliche  Eigenschaft  des 
Romans,  die  freie  Erfindung  der  Fabel.  Dass  diese  Er- 
findung nicht  völlig  aus  dem  Nichts  hervorschoss ,  hat  unsre 
ganze  bisherige  Betrachtung  wohl  hinreichend  gelehrt.  Zurück- 
blickend, sehen  wir. nunmehr  deutlich  genug,  wie  der  sophi- 
stische Roman  die  Seele  seiner  erotischen  Fabel  der  kunstreidi 


Meineke,  Com.  I  p.  5S4  u.  sonst.  Ein  besonders  merkwürdiges  Beispiel 
[Schol.  Germ.  Arat.  p.  414,  U  Breyss.]  I>ei  Mein.  404.  So  verwechseln  die 
Abschreiber  gern  und  httufig  Bezeichnungen  von  correlativeo  Begriffes: 
dyadöc  und  %ax6i,  06;  und  cu,  Se^iöc  und  dtpiorep^c  etc.  Vgl.  G.  HermaiiB, 
Opusc.  III  p.  404.)  —  Uebrigens  erkiftrt  sich  der  Gebrauch  des  Worte! 
x(»(i.(uS(a  von  prosaischen  Erztthlungen  verschiedenster  Art,  aber  von  frei 
erfundenem  Stoffe,  genau  aus  derselben  Auffassung,  welche  auch  za  dar 
BezeichnuDg  Spa|AaTtic6v  Sti^Y7)p,a  führte:  so  verstehe  ich  die  »Komoedieo« 
des  Antiphancs  von  Berga,  des  Cynikers  Menippus,  die  hpdiivza  xmjud 
des  Sillographen  Timon.  Ich  würde  gar  nicht  verwundert  sein,  wena 
icgendwo  die  sophistischen  Romane  ebenfalls  »Komoedien«  benannt  wür- 
den. (Da  auch  die  Bezeichnung  Tpa^M^^^^  i^  einem  sehr  weiten  Sinne 
üblich  wurde  [man  denke  an  die  »Tragoedien«  der  Cyniker  Diogenes, 
Krates,  Oenomaus] ,  so  gestehe  ich,  dass  auch  die  »Tragoedien«  und  »Ko- 
moediena  einzelner  sophistischer  Schriftsteller  [des  Philostratus ,  Synesins, 
Ueliodor  von  Athen :  Weicker,  Trag,  i  328]  mir  eher  als  irgend  eine,  schwer 
genau  zu  bezeichnende  Gattung  prosaischer  Erzählung,  denn  als  eigent- 
lich sccnische  Dramen  verständlich  sind.)  —  Schliesslich  mag  auf  die 
parallelen  Eintheilungen  der  narratio  bei  römischen  Rhetoren  hingewiesen 
werden.  Quintilian  instit.  II  4,  S:  narrationum,  excepta  qua  in  caussis 
utimur,  tres  accepimus  speciei,  fabulam,  quae  versatur  in  tragoediis  alqoe 
carminibus,  non  a  veritate  modo,  sed  etiam  a  forma  veritatis  remota;  — 
argumentum,  quod  falsum  est,  sed  vero  simile  comoediae  fingunt;  — 
historiam,  in  qua  est  gestae  rei  expositio.  Also  fabula  =  Ivf^'^.  \»»%v»ii, 
historia  &=  h.  loropixöv,  argumentum  ==  l.  (pafjiaTtx^v,  nach  der 
Komoedie  benannt.  Ganz  ähnlich  Martianus  Capella  V  p.  485,  44— Sl 
Eyssenh. ,  Priscianus ,  de  praeexercilat.  rhetor.  S  p.  55S ,  4  4  ff.  ed.  Haiin 
(Rhet.  lat.  min.). 

1)  Hermogenes  de  Ideis,  Spengel  Rhet.  II  p.  4S0,  45,  sagt  in  der  Cha- 
rakteristik des  Nicostratus:  xal  (a6&o>jc  auxöc  icoXXouc  fnXaocv,  o6x  Aieci- 
reiou;  (jl^ov,  dXX'  oTou;  clval  tcosc  xal  Spap.aTtxo6<. 


—    353    — 

lusgebildeten  erotischen  Dichtung  der  hellenistischen  Poeten 
»atlehnte,  von  welchen,  zu  eben  jener  Zeit,  auch  die  Dichter 
les  neu  erweckten  Epos  wieder  zu  lernen  begannen;  wie  er 
liese  Seele  mit  einem  Leibe  umkleidete,  dessen  Aufbau  er  von 
len  Dichtern  phantastischer  Wanderromane  erlernen  konnte; 
me  er  endlich  in  der  Erzählung  des  Antonius  Diogenes  ein 
inmittelbar  nachzuahmendes  Vorbild  antraf. 

Die  eigenthttmliche  Modificirung,  Yerschlingung ,  Verwand- 
ung, in  welcher  die  also  entlehnten  Elemente  in  dem  Roman  der 
sophistischen  Periode  uns  entgegentreten,  erklärt  sich  auf  das 
trollständigste  aus  dem  hinreichend  dargelegten  Wesen  und 
\^irken  der  gesammten  rhetorischen  Zunft,  in  deren  Mitte  man 
sich  die  Verfasser  unsrer  Romane  thätig  zu  denken  hat  ^] .  Den 
Sophisten  hören  wir  nicht  nur  in  den  zahlreichen  eingelegten 
Prunksttlcken ,  für  welche  die  Liebesgeschichte  selbst  oft  nur 
Binen  beliebigen  Hintergrund  zu  bilden  scheint,  den  Beschrei- 
bungen, Reden,  Monologen,  Briefen  im  sophistischen  Stil;  wir 
spüren  ihn  mehr  noch  in  der  Leere  und  Kälte  der  ganzen  Er- 
zählung. Wir  kennen  aus  den  eigentlichen  rednerischen  Ver- 
suchen der  Sophisten  hinreichend  die  hohle  Gewandtheit,  mit 
welcher  sie  alle  erdenklichen  Gegenstände  in  das  blendende 
Licht  eines,  nur  von  der  Phantasie,  nicht  von  innerlichem  Be- 
dttrfniss  genährten  künstlichen  Phrasenfeuerwerkes  zu  stellen 
verstanden.  Wir  haben  diese  rhetorische  Leere ,  der  jeder 
Gegenstand  lediglich  zum  Vorwand  und  Anlass  einer  rein  for- 
malen KunstUbung  dienen  muss,  aus  dem  ganzen  Wesen  der 
Sopbistik  zu  begreifen  versucht;  wir  werden  nicht  erwarten, 
dass  aus  den  erotischen  Excrcitien  dieser  WortkUnstler  eine 
tiefere  Seelenerfahrung  zu  uns  spreche.  Man  könnte,  was  rein 
sophistisch  ist  an  den  Seelenschilderungen  dieser  Romane,  sehr 
wohl  zu  den  EthopoeYen  rechnen,  in  welchen,  herkömmlicher 


1)  Waren  auch  ihre  Romane  zunächst  zum  mündlichen  Vortrage  be- 
stimmt? Die  Analogie  lässt  es  annehmen  (s.  oben  p.  305),  und  «von  einer 
Vorlesung  des  Romans  des  Heiiodor  in  den  icpo7r6Xata  eines  Aphrodite- 
tempels in  Rhegion,  im  Kreise  vieler  cptXöXoYOi  redet  der  (freilich  seiner 
Person  und  Zeit  nach  gänzlich  unbekannte)  Philippus,  von  dem  wir  das 
Bruchstück  einer  Einleitung  zu  einer  ^p|AT]Ne(a  jenes  Romans  besitzen  (bei 
Korais  Heliod.  I  p.  1:7'). 

Ruhde,  Der  griechische  Roman.  23 


—     354     — 

Weise,  die  Rhetoren  sieh  selbst  und  ihre  SrhUler  übten  ^).  So 
gut  man  auszuführen  sich  liemühete:  »was  wohl  Chiron  sagen 
möchte,  wenn  er  hörte,  dass  Achill  im  Frauengemach  des  Lyco- 
medes  versteckt  sei«,  »was  wohl  ein  feiger  Geldgieriger  sagen 
möchte,  wenn  er  ein  goldenes  Schwert  fände«,  so  konnte  man 
auch  einmal  sich  vorsetzen,  darzustellen,  was  wohl  eine  tugend- 
hafte Jungfrau,  von  dem  Geliebten  getrennt,  von  Fremden 
schmUhlich  bedrUngt,  sagen  könne;  was  wohl  ein  Liebender  in 
der  Qual  seines  Herzens  sagen  möchte  u.  s.  w.,  Alles  mit  dem 
gleichen  Wortfluss  und  der  gleichen  innern  Gleichgültigkeit. 
Irrthümlich  wHre  es  darum  wohl  sicherlich,  aus  den  hoch- 
gesteigerten  Gefühlen,    den    pathetischen   Gefühlscrgüssen   der 

• 

liebenden  Jünglinge  und  Jungfrauen  dieser  Ethopoeien  im  Gros- 
sen, auf  den  ihatsHchlichen  Stand  des  allgemeinen  Gefühlslebens 
der  Griechen  in  den  Jahrhunderten  der  Sophistik  zurückschlies- 
sen  zu  wollen.  Es  lässt  sich  allerdings  von  vorne  herein  an- 
nehmen, dass  in  diesen  Zeiten  eines  reissenden  Verfalls  nicht 
gerade  der  Sittlichkeit,  aber  der  moralischen  und  geistigen 
Knergie  der  alten  Gulturvölker  die  Herrschaftsverhältnisse, 
wie  es  unter  solchen  Umständen  zu  geschehen  pflegt,  sich  lu 
Gunsten  der  Weiber  einigermaassen  verschoben  haben;  man 
wird  auch  erwarten  dürfen,  dass  einerseits  der  fortwährende 
Verkehr  mit  den  Reichsgenossen  der  lateinischen  Hälfte,  andrer- 
seits der  immer  mächtiger  durchdringende  Einfluss  der  christ- 
lichen Gesellschaft  zu  einer  freieren  und  würdigeren  Stellung 
der  Frauen  auch  in  den  griechischen  Ländern  beigetragen  habe^. 
Wenn  man  sich  zudem  einer  überraschenden  Bemerkung  des 
fein  und  klar  beobachtenden  Dio  Chrysostomus  erinnert,  nach 
welcher  zu  jener  Zeit  die  männliche  Schönheit  in  starkem  Ver- 
fall,    die    weibliche    dagegen    eher    im    Zunehmen  '  war') :    so 

1)  Vgl.  Rhct.  Spengel.  H  p.  45.  (Ungenauer  Trpoocunonoua  genannt: 
ib.  II  p.   nn,  13  ff.).     Vgl.  0.  Jahn,  Bcr.  d.  Sachs.  Ges.  d.  W.  4850  p.  «10  f. 

2)  Nur  ein  gelegentliches  Beispiel :  dio  weitgehende  Freiheit  der  Weiber 
in  dem,  damals  schon  wesentlich  christlichen  Antioehia  tadelt  Jolian, 
Misopogoi)  p.  92  (Paris.  1566;:  eircTp^^atc  rat;  y'^^^^^I^  a'bTwv,  Iva  diow  hfkU 
Xbv  £Xc60epat  xal  dx6>^OTot.  (In  Antioehia  traten  auch,  an  den  Olympischen 
Spielen ,  Jungfrauen  auf,  dfcuvi^öficvai  xai  ?iaXa(ou9ai  (uxd  ßofjißoiyapiw  x«l 
Tpiyouaat  xal  TpaYtpooOsai  xal  Xi^o^aoLi  &{i.vouc  Tivd;  'EXXtjvixou;  :  Malalas,  uoter 
der  Reg.  des  Commodus,  p.  388,  9  ed.  Bonn.)  — 

:J)  Dio  Chr>'sost.  or.  «1  p.  601    R.:   die  Schönheit  verschwinde  immer 


—     355     — 

itfchte  man  sich  ein  bedeutendes  üebergewicht  des  weiblichen 
reschlechts  in  geistigen  und  sittlichen  Yerhültnissen  sogar  auch 
hysisch  begründet  denken.  Trotzdem  wird  sich,  ftlr  die  grie- 
hischen  und  graecisirten  Nationen  des  Reiches,  wenigstens  so 
mge  das  Christenthum  nicht  vollständig  durchgedrungen  war, 
ireder  eine  thatsächliche  Aenderung  der  gesellschaftlichen  Stellung 
ics  Weibes  noch  eine  wesentlich  veränderte  und  vertiefte  Auf- 
issung ihrer  Aufgabe  und  ihres  Verhältnisses  zum  männlichen 
teschlechte  nachweisen  lassen  ^) .     Die  ungemeine  Zähigkeit  der 


lehr  un(«r  den  Menschen,  gleichwie  die  Löwen,  einst  in  Macedonien  und  an- 
eren  Gegenden  Europas  heimisch,  allmählich  in  unserem  Welttheil  ganz  aus- 
estorben  seien:  oSto»;  oXyexai  h-^  xcHXXo;  ii  dv^pcdircuv.  —  A.  t6  -ye  dv^pcTov, 
»  ߣXTtote'  t6  [xivToi  '^\jsrxi%tios  looic  rzXtosd^ti.    Im  Anschluss  an 
lese  merkwürdige  Aussage  weist  Jacob  Burckhardt,   d.  Zeitalter  Constan- 
ios  des  Gr.  p.  389  die  physische  Entartung  der  Mensch  :n  des  damaligen 
Um.  Reiches  an  den  Porträts  der  Zeit,  namentlich  denen  der  Kaiser,  nach. 
1)  Einige,  wenig  bedeutende  Spuren  von  einer  grösseren  Freiheit  ver- 
leiratheter  Frauen  oder  Wittwen  in   Griechenland    sind   zusammengestellt 
»ei  Hertzberg  Gesch.  Griechenlands  unter  den  Römern  II  283  f.  496.     Was 
loh  hierhin  wirklich  rechnen  lässt,  wird  man  aber  mehr  als  das  Ergebniss 
ler  persönlichen  Energie  einzelner  Individuen  betrachten  müssen :  denn  von 
(iaer  wesentlichen  Aenderung  der   allgemeinen  gesellschaftlichen  Einrieb- 
ungen,   der  ganzen  Lebensweise  der  Frauen  und  gar  der  Jungfrauen  lässt 
•ich  auch    in  diesen   letzten  Jahrhunderten  der  griechischen  Cultur  keine 
$par  entdecken.    (P.  E.  Müller,  de  gcnio  aevi  Thcodosiani,  weist  sehr  richtig 
brauf  bin,  dass  im  graecisirten  Osten  des  Reiches  noch   im  vierten  Jahr- 
inndert  die  Mädchen  in  der  Gynaekonitis  eingeschlossen  lebten,  bei  Festen 
lad  im  Theater  nicht  zugelassen  wurden  [für  Christen  boten  freilich  bereits 
lamals  die  Kirchen  zu  mancherlei  Liebeleien   Gelegenheit:   Müller  i,  77], 
lass  auch  Frauen  von  der  OefTentlichkeit  des  Lebens  ausgeschlossen  blieben, 
lass  im  ganzen  Osten  keine  ehrbare  Frau,  kein  ehrbares  Mädchen  in  irgend 
»in  Schauspiel  ging,  dass  auch  zu  Gastmählern  ehrbare  Frauen  sehr  selten 
lugezogen  wurden:   was  Alles  in  den  lateinischen  Provinzen  anders  war. 
3.  Müller  I  76.  77.  408.  II  48.  61.  68.)     Persönliche  Kraft  und  Bedeutung 
tiob  dann  freilich  auch  einzelne  Frauen  hoch  aus  der  Masse  empor,  so  die 
Philosophin  Hypatia,  die  Kaiserin  Julia  Domna,  des  Philostratus  Freundin,  die 
%theoienserin  Eudocia,  die  Frau  Theodosius  des  Zweiten,  deren  romanhafter 
Lebenslauf  alsbald  von  der  Yolkssage  ergriiTen  und  weiter  ausgeschmückt  wurde 
[tcb  flenke  an  die  Geschichte  von  dem  Apfel,  den  sie  vom  Kaiser  bekommt, 
ihrem  Geliebten  Paulinus  schenkt,  und  der  endlich  zum  Kaiser  wieder  zu-* 
rtfcek  kehrt:  eine  im  Orient  vielfach  variirte  Erzählung:  s.  Finlay  Griechenl. 
tt.  d.  R.    464  f.;  Massmann,   Eraclius  p.  444—462.    455  ff.;    orientalische 
Versionen  bei  Oesterley  zu  Baitäl  Pachlsf  p.  4  76  ff . ;  vgl.  auch  Benfey  Pant- 
schat.  I  454,   Contin.   des  4  004    nuits  I  [Gab.   des  f^es  38]  p.  44  ff.).   —  In 

23* 


—     356     — 

bürgerlichen  und   häuslichen  Einrichtungen   des  altgriechiseheii 
Lebens  scheint  die  Frau  sehr  lange  in   der  dienenden  Stellung 
festgehalten  zu  haben,    weiche  für  ihren  ganzen  Zusammenhalt 
so  wesentlich  bedeutend  war.     Die  Romane  sind  fUr  die  Frage 
nach  dem  damaligen  VerhHltniss    der  Geschlechter  zu   einander 
nicht  ohne  Bedeutung,   insofern  schon  das   blosse  Dasein   einer 
so  weit  ausgesponnenen  erotischen  ErzUhlungslitteratur  zu  den- 
ken   giebt.      Auch   mag    immerhin    der    in    denselben    flberail 
bemerkbare  moralische  Vorrang  der  weiblichen  Charaktere   vor 
den,  meist  sehr  schwächlich  gehaltenen  mHnnlichen  wie  ein  ud- 
bewusstes  Eingeständniss  des  thatsächlich  eingetretenen  VerhSll- 
nisses  erscheinen.    Im  Uebrigen  sind  die  sentimentalen  AusbrUebe 
der  Liebenden  viel  zu  kalt  und  allgemein  gehalten,    die  Typen 
weiblicher  Tugend  und  verwegener  Thatkraft  viel   zu  abstract, 
als  dass  man  in  ihnen  etwas  Anderes  als  rhetorische  Kraftmittel, 
und  jene  schablonenmassigen  Gestalten   der  Rhetorenscbule  er- 
kennen   möchte,    welche    uns   ja    auch    in    den    Declamationen 
Überall  entgegentreten. 

So  sehen,  denn  auch  die  Übrigen  Verhältnisse  der  Welt 
und  des  Menschenlebens  in  diesen  Romanen  so  grau  und  farb- 
los unbestimmt  aus,  wie  sie  sich  in  den  Vorstellungen  eines, 
in  seiner  Schule  von  der  wirklichen  Welt  abgesperrten  Sophi- 
sten ausnehmen  mochten.  Sehr  vereinzelt  bemerkt  man  die 
Züge  eines  bestimmten  Locals ,  einer  bestimmten  Zeit;  niao 
spUrt  überall  an  dem  Mangel  realistischer  Schärfe  der  Zeich- 
nung sehr  deutlich  jenen  Widerwillen  der  Rhetoren  gegen  ein 
genaueres  Befassen  mit  der  eigenen  Zeit.  Selbst  das  wilde  und 
ungehinderte  Treiben   der  Räuber   zu  Land  und   See,   welches 


Beziehung  auf  die  theoretische  Auffassung  der  Ehe  und  der  Würde  des 
weiblichen  Geschlechts  überhaupt  verdienen  allerdings  die  AeussemogeB 
des  Musonius,  Plutarch,  Libanius  Beachtung,  welche  Lasauli,  Abb.  der  bayr. 
Akad.  Philos.  Gl.  VII  (1853)  p.  iU—itl  zusammenstellt.  In  diesen  Aos- 
sprüchen  wird  man  den  römischen  Einfluss  nicht  verkennen,  welchen, 
als  für  seine  eigene  hohe  Meinung  von  dem  Beruf  und  den  Ffihigkeiteo  des 
Weibes  bestimmend,  Plutarcb,  de  mul.  virt.  im  Anfang,  auch  geraden  be- 
zeichnet. Im  Uebrigen  ist  festzuhalten ,  dass  in  allen  den  Anzeichen  einer 
freieren  Stellung  einzelner  Frauen,  einer  höheren  Schätzung  xies  gaazee 
Geschlechts  von  Seiten  einzelner  philosophisch  gebildeter  Männer  nichts  m 
bemerken  ist,  was  nicht  auch  im  Zeitalter  der  Diadocben  hier  und  da  i< 
Tage  trat:  s.  oben  p.  60  ff. 


—     357    — 

in  diesen  Romanen  überall  die  bewegenden  Antriebe  der  Hand- 
lung herleihen  muss,  ist  nicht,  wie  es  doch  nur  allzu  möglich 
war,  den  wirklichen  Verhältnissen  der  damaligen  Reichszustände 
nachgezeichnet.  Höchstens  einmal,  wenn  Heliodor  das  aben- 
teuerliche Wesen  der  ägyptischen  Bukolen  schildert,  spürt  man 
etwas  von  eigener  Anschauung  und  Beobachtung;  im  Uebrigen 
erkennt  der  Leser  rhetorischer  Declamationen  und  Controver- 
sien  hier  überall  die  von  dorher  ihm  so  wohl  bekannten  stereo- 
typen Räuber  und  Piraten  der  Rhetorschule  wieder;  ja  auch' 
die  bisweilen  auftauchende  Gestalt  des  »edlen  Räubers«  ist 
ihm  als  ein  Liebling  der  Declamatoren  bereits  hinreichend  ver- 
traut*). 

Alle  bis  hierher  betrachteten  Züge  sind,  als  Gattungsmerk- 
male, allen  Vertretern  der  sophistischen  Romanliteratur  auf- 
geprägt. Es  wird  nun  endlich  an  der  Zeit  sein,  die  indivi- 
duelle Beschränkung  und  Ausbildung  dieser  Gattungszüge  an 
den  einzelnen  Mitgliedern  dieser  sophistischen  Romantik  genauer 
darzulegen.  Eine  einzige  allgemeine  Bemerkung  möge  vorher 
noch  verstattet  sein. 

Die  sophistische  Rhetorik,  in  dem  höheren  Jugendunterricht 
fest  eingewurzelt  und,  nach  periodischer  Vernachlässigung,  im- 
mer wieder  von  einzelnen  Kaisem  durdi   neue  Begünstigungen 


1]  Edle,  menschenfreundliche  Räuber  sind  uns  bereits  in  einigen  der 
oben  angeführten  Beispiele  von  Controversien  begegnet:  vgl.  namentlich 
Libanius  IV  p.  644.  645;  Seneca  contr.  p.  422,  19  Kiessl.  Bewunderung  für 
die  Külinheit,  Standhaftigkeit ,  Treue  der  Rtfuber  grösseren  Stils  (wie  man 
sie  sich  dachte)  spricht  sich  (nicht  sowohl  in  den  realistisch  gehaltenen 
Skizzen  aus  dem  thessalischen  Räuberleben  in  Locians  'Ovo;  als  vielmehr) 
in  den  von  Apulejus  seinem  Roman  eingelegten  Ränbergeschichten  (Metam. 
Buch  4)  sehr  deutlich  aus.  Eine  gewisse  staunende  Scheu  vor  unbezwunge- 
ner  Kraft  und  Natur  bezeugten  auch  die  Schilderungen  jener  wunderlichen 
Kraftmenschen,  des  Sostratus,  und  jenes  attischen  »Herakles«,  welche  Lucian 
(8.  Demon.  init.)  und  Herodes  Atticus  (Philostr.  V.  S.  II  1,  7)  entworfen 
hatten.  So  schrieb  auch  Aman  ein  Leben  des  Rtfubers  Tiliorobus:  Lucian 
Alex.  2.  Es  scheint,  als  ob  in  diesem  Zeitalter  der  Beginn  der  Räuber- 
romantik  zu  suchen  sei,  die  noch  immer  umherspukt.  —  Eine  Art  Ent- 
schuldigung des  Röuberthums  bei  Dio  Chrysost.  or.  32  p.  677  R. :  xdxetvo; 
|itv  (6  Xt)0Te6a>v)  di&ixTjdel;  toco;  Itzi  touto  r^Xdev ,  uirep  toü;  v6p.ouc  difA6vaoOai 
i:po^(Aevo; ,  xal  Td^a  ti  xaX  ipewaiov  ih(nvzo  irpo^ai  jii?j  toioitoy  Tu^^cbv  Sat|AO- 
vo;.  xtX. 


—    358    — 

in  dieser  Stellung  befestigl,  hielt  sich  lange  Zeit  mit  einer  un- 
gemeinen Zähigkeit  lebendig.  Ihre  BlUthczeit  ging  allerding/i 
mit  den  Anlonincn  und  deren  nächsten  Nachfolgern  zu  Ende. 
Aber  selbst  die  wüsten  Zeiten  der  zweiten  Hälfte  des  dritten 
Jahrhunderts  vermochten  ihren  Bestand  nicht  wesentlich  zu  er- 
schüttern. Die  wilden,  zerstörenden  Thronkiimpfe ,  die  Ein- 
fälle der  nördlichen  Barbaren,  das  Vordringen  der  Perser,  der 
Steuerdruck  und  die  Unsicherheit  aller  Verhältnisse  im  Innern, 
die,  in  nur  noch  conservirenden  Epochen  besonders  verhee- 
rend, ja  tödtlich  auf  das  Gesammtleben  einer  Nation  einwirken- 
den Seuchen,  wie  sie  damals  gerade  in  griechischen  Ländern 
so  furchtbar  wütheten:  —  alle  diese  unaufhörlich  anstürmen- 
den Bedrängnisse  zerrütteten  freilich  das  Reich  und  die  ganze 
Cultur  des  Reiches,  aber  die  Sophistik,  in  dem  wunderlichen 
Wolkenreich  ihrer  Phrasenkunst,  wurde  davon,  so  scheint  es, 
nicht  wesentlich  berührt.  Die  starren  Ordnungen  des  dann 
folgenden  bureaukratischen  Reiehsregiments  scheinen  ihr  eher 
eine  neue  Art  äusserer  Befestigung  gegeben  zu  haben.  Selbst 
das  officicll  anerkannte  Christenthum  that  ihr  wenig  Schaden; 
im  Gegentheil  drängten  die  Anhänger  der  neuen  Religion ,  eif- 
riger als  dieser  selbst  heilsam  gewesen  sein  mag,  sich  zu  den 
rhetorischen  SprudeUiuellen.  So  hielt  die  Sophistik  Stand  bis 
ins  sechste  Jahrhundert,  wo  sie  dann  erlegen  zu  sein  scheint, 
ohne  den  officiellen  Schluss  alles  Ileidenthums  durch  das  Be- 
eret des  Justinian  vom  Jahre  529  abzuwarten. 

Man  kann  nun  diese  lange  Wirksamkeit  in  drei  Perio- 
den zerlegen.  Die  erste  wäre  die,  durch  Philost ratus  keck 
gezeichnete  Periode  des  Glanzes  und  der  höchsten  Ueppigkeit 
der  Sophistik;  diese,  mit  Hadrian  beginnend,  schliesst  etwa 
mit  der  Regierung  des  Alexander  Severus  ab.  Eine  zweite 
Periode  erstreckt  sich  durch  die  zweite  Hälfte  des  dritten  Jahr- 
hunderts bis  zu  der  Regierung  Gonstantins  des  GroSsSen.  Es 
ist  gewiss  nicht  zufällig,  dnss  diese  Zeit  der  sophistischen 
Bestrebungen  für  uns  ganz  besonders  dunkel  erscheint.  Zu- 
fällig mag  es  sein  dass  hier,  wo  Philost  ratus  uns  verlassen  hat 
und  Eunapius  noch  nicht  beginnt,  uns  alle  einzelnen  Persön- 
lichkeiten der  sophistischen  Kreise  ganz  schattenhaft  entgegen 
treten:  denn  leicht  könnte  ein  uns  zufällig  verlorenes  Zwischen- 
glied sophistischer  Biographik ,  wie  es  llesychius   Illustrius  he- 


—     359     — 

nutzt  haben  muss^j,  auch  hier  helles  Licht  verbreitet  haben. 
klyer  ein  Sinken  der  Kraft  persönlicher  Begabung  beweist  der 
fast  völlige  Untergang  der  Werke  aller  sophistischen  Schrift- 
steller aus  dieser  Periode.  Hätten  sich  die  Berühmtheiten  dieser 
Zeit,  ein  Kallinikus,  Nikagoras,  Hinucianus  u.  s.  w.  auch 
nur  mit  einem  Aristides  oder  Libanius  messen  können,  so  würde 
ihre  so  gut  wie  dieser  M<inner  Schriften  die  Bewunderung 
der  lernbegierigen  Byzantiner  uns  erhalten  haben.  Ein  neuer 
Aufschwung  trat  in  der  dritten,  mit  Constantins  Regierung 
beginnenden  Periode  auch  für  die  sophistischen  Studien  ein. 
Wir  brauchen  hier  die  mannichfaltigen  Gründe  dieses  Auf- 
schwungs auch  nicht  einmal  anzudeuten.  Gewiss  ist,  dass  die 
sophistischen  Studien  in  Athen,  freilich  mit  neuplatonischer 
Mystik  bedenklich  verquickt,  eine  Art  von  letzter  Nachblüthe 
erlebten,  welche  durch  die,  dann  freilich  ins  Weite  gezogenen 
Schüler  der  athenischen  Rhetorik,  Libanius  und  den  Kaiser 
Julian  am  Kräftigsten  bezeugt  wird,  und  in  den  Sophistenbio- 
graphien  des  Eunapius  auch  ihrem  äussern,  schon  stark  barba- 
risirten  Wesen  nach  klar  erkenntlich  sich  darstellt.  Wiewohl 
nun  die  griechische  Sophistik  durch  alle  Provinzen  des  Ostens 
verbreitet,  auch  in  der  Reichshauptstadt  selbst  förmlich  ein- 
gesetzt war,  so  scheint  ihre  Blüthe  doch  an  das  Herz  des  alten 
Griechenlands  gebunden  gewesen  zo  sein^j.  Athen  scheint 
seit  dem  Ende  des  vierten  Jahrhunderts  völlig  verfallen  zu 
sein  5) ;    mit  ihm  versinkt  der  letzte   Schimmer  der  Sophistik. 


1)  Die  Notizen  des  Saidas  über  die,  in  diese  Periode  gehörigen  So- 
phisten stellt  zusammen  Westcrmann  Gr.  Beredts.  §  96.  Es  ist  hier  eine 
gute  Quelle  benutzt,  deren  Urheber  freilich  nicht  namhaft  zu  machen  sein 
wird  (etwa  Nicagoras  B(ot  ^^Xo^ifioiv  ?  Suid.  s.  NtxaY.)*  Auch  für  die  von 
Pbiiostratus  beschriebene  Penode  der  Sophistik  hatte  übrigens  Hesychius 
noch  andere  Quellen,  aus  denen  er  z.  B.  die  Verzeichnisse  der  Schriften 
der  Sophisten,  aber  auch  einzelne  bidgraphische  Notizen  entlehnt. 

2}  Im  vierten  Jahrhundert  hielten  zumal  Athen  und  Antiochia  »die 
Fackel  der  Rhetorik  empor,  indem  jene  Stadt  Europa,  diese  Asien  erleuch- 
tete«.    Lil)anius  im  'AvTto)^(x'S;,v.  I  p.  333. 

3)  Wie  dies  der  oft  citirte  Brief  des  Synesius  (136  p.  72S  Hercher.) 
bezeugt,  welcher  namentlich  auch  durch  die  Gegenüberstellung  von 
Athen  und  Alexandria  bemerkenswerlh  ist:  vOv  [jiev  oOv  -^  Atpirro;  Tpl^ptixa; 
Ti:axia;  oejapt^virj  ^ovoL?,  ii  oe  'AO^vgii,  ireCXai  p.ev  r^v  yj  itöXi«  iaxia  ao^pÄv,  t6 
hi  vlw  lyov  oep.^6vo'jow  auTÄ;  ol  [xeXirroupYoL  Dass  solcher  Spott  nicht  ganz 
wörtlich  zu   nehmen   ist,   versteht  sich   von  selbst:   was  aber  Finlay  Grie- 


—    360    — 

Die  Lachares,  Metrophanes,  Superianus  und  andere  athenische 
Sophisten,  welche  in  den  Resten  der  von  Damascius  verfassten 
Biographie  des  Isidorus,  und  in  daraus  excerpirien  Notizen  des 
Hesychius - Suidas  genannt  werden,  sind  nur  blasse  Schatten. 
Noch  eine  kurze  Weile  ging  die  Sophistik,  wie  ein  unruhiges 
Gespenst  in  der  Rhetorenschule ,  welche  Procopius  am  Ende 
des  fünften  Jahrhunderts  in  Gaza  begründete,  um.  Sie  sank 
dann  völlig  zusammen,  vornehmlich  wohl  aus  eigener  Entkräf- 
tung, zuletzt  auch  noch  preisgegeben  von  den  allerletzten  Kräf- 
ten heidnisch-griechischen  Geistes,  welche  die  Rhetorik  verlies- 
sen,  um,  in  Alexandria ^),  in  einer  brausenden  Dichtung  und 
jenem  trunkenen  Taumel  ncuplatonischer  Phantastik  ihre  lett- 
ten  Reichthümer  zu  verprassen. 

In  die  hier  nur  flüchtig  bezeichneten  drei  Perioden  der 
Sophistik  sind  nun  die  uns  bekannten  Romanschreiber  zu  ver- 
theilen.  Die  Zeitbestimmung  ist  freilich  für  die  meisten  der- 
selben schwierig  und  unsicher.  Der  weitere  Verlauf  unserer 
Betrachtungen  wird  es  indessen  rechtfertigen ,  wenn  wir  der 
ersten  Periode  Jamblichus  und  Xenophon  von  Ephesus,  der 
zweiten  Ileliodor,  der  dritten  Achilles  Tatius  zutheilen. 
Longus  und  Chariten  müssen  wir  wider  Willen,  bei  dieser  Ver- 
theilung  einstweilen  unberücksichtigt  lassen. 

Und  nun  wollen  wir  die  einzelnen  Romane  der  Reihe  nach 
mustern. 


chenl.  u.  d.  R.  p.  261  ff.  (d.  Uebers.)  beibringt,  um  die  ganze  Schilderung 
des  Synesius  »lediglich  als  eine  Floskel  rhetorischer  Uebertreibung«  tu  er- 
weisen, macht  wenig  Eindruck. 

1)  Ein  populär  naives  Lob  der  ägyptischen,  in  Alexandria  concentrirteiu 
den  Griechen,  angeblich  in  einem  Wettkampf  um  das  musium,  überlegeMO 
Weisheit,  in  der  expositio  totius  mundi  (c.  350)  §  H  (Geogr.  gr.  min.  ed. 
C.  Müller  II  519  f.).  —  Die  Rhetorik  hielt  sich  im  Allgemeinen  fem  voo 
Alexandria:  noch  im  dritten  Jahrhundert  waren  die  Alexandriner  berdbmt 
nur  ItzX  Ypa|AfjiaTix^  ^ eai|AeT(>l^  xn\  cpiXooo^l^  Menander  de  encom.  p.  360,  S3  Sp. 


IV. 

Die  einzelnen  sophistischen  Liebesromane. '] 

1. 

J  am  blich  US  ist  es,  welcher  die  Reihe  der  rhetorischen 
Ronianschreiber  anführt. 

Ueber  die  persönlichen  Verhältnisse  dieses  Schriftstellers 
geben  uns  die  Ueberreste  einer  kurzen  Lebensgeschichte,  welche 
er  selbst  höchst  unbefangen  mitten  in  seinen  Roman  hinein 
versetzt  hatte,  einige  Aufklärung  >] . 

Jamblichus  war  (wie  ja  auch  sein  Name  bezeugt)  ein  Syrer, 
von  syrischen,  und  nicht  etwa  von  eingewanderten  griechischen 
Eltern  in  Syrien  geboren.     In  syrischer  Sprache  und  syrischen 


1}  Die  auf  des  J.  Herkunft  und  Erziehung  bezüglichen  Angaben  finden 
sich  in  einer  Randnotiz  des  cod.  A.  (Bessarionis)  der  Bibliothek  des  Pho- 
tios:  p.  73  Bekker,  p.  937  Hoeschel.  Die  Nachrichten  über  seine  dx^L^i 
unter  Soämus  theilt  Photius  mit,  p.  75  b  s  Erotici  Script,  gr.  rec.  R.  Her- 
cher  I  p.  335;  2  ff.  (ich  citire  fortan  überall  nach  Horchers  Abdruck). 
Diese  Nachrichten  fand  Photius  mitten  in  dem  Roman  des  Jamblichus:  und 
wahrscheinlich  werden  doch  auch  die  in  jener  Randnotiz  benutzten  Aus- 
sagen des  J.  an  derselben  Stelle  gestanden  haben.  —  Suidas  übrigens  muss 
noch  eine  andere  Quelle ,  als  die  eigenen  Aussagen  des  J. ,  gehabt  haben : 
er  berichtet:  *Id(xßXiyo(*  outoc,  &€  ^aoiv,  dizh  ^o6Xa>v  ^v.  Dass  J.  von 
Sdaven  abstammte,  scheint,  da  S.  sich  auf  eine  Behauptung  Anderer  beruft, 
in  seinen  eigenen  Mittheilungen  verschwiegen  gewesen  zu  sein.  Es  ist 
wohl  möglich,  dass  Hesychius  auch  hier,  wie  sonst  In  den  Biographien 
gelehrter  Freigelassener  oder  Sclaven  (s.  Wachsmuth,  Symb.  Bonnens. 
p.  UO — 148)  das  Werk  des  Hermippus  von  Berytus  ir.  tSjv  ^lairpetl^vrov  £v 
icatoc(^  hoQ.ms  benutzt  hat.  Denn  da  der  Lehrer  des  Hermipp,  Philo  von 
Bybius,  noch  ein  Buch  n.  xf^i  'A^ptavoD  ßaoiXeCac  schreiben  konnte,  so  muss 
Hermipp  selbst  höchstens  gleichaltrig,  eher  wohl  jünger  als  Jamblich  ge- 
wesen  sein.      (Im  Ausdruck  sehr  ähnlich  Suid.   s.   ''Aßpov*  y^tovoic  h'  ir. 


—     362    — 


Sitten  erzogen,  erlernte  er  später  von  einem  babylonischen  Er- 
zieher babylonische  Sprache,  Sitten  und  Geschichten-^).  Dieser 
Babylonier,  welcher  in  der  Weisheit  seines  Stammes  wohl  be- 
wandert war  und  in  seiner  Heimath  zu  den  Schreibern  des 
Königs  gehört  hatte ,  wurde  kriegsgefangen,  als  Trajan  in  Babylon 


1)  Ich  habe  es  in  meiner  Paraphrase  undeutlich  gelassen,  wo  eigeot* 
lieh  jener  babylonische  Tp»o9e6;  dem  J.  babylonische  ^XAaafpi  xal  f^dr^  «« 
X^You^  beigebracht  habe.  Man  nimmt  gemeinhin  an,  jener  rpof  c^;  habe  ihn 
mit  nach  Babylon  genommen:  so  z.  B.  Fabricius  B.  Gr.  VIII  454  Harl., 
Lebeau  M6m.  de  V  acad.  des  inscr.  XXXIV  p.  57.  Des  steht  aber  keinei- 
wegs  im  griechischen  Texte:  das  »Xaßc^vcr  darf  man  nicht  ohne  Weiteres 
dahin  auslegen.  Ich  würde  es  vielmehr  sehr  sonderbar  finden,  wenn  ein 
Erzieher  seinen  Schüler  einfach,  von  seinen  Eltern  fort,  mit  sich  in  sein« 
Heimalh  entführt  hätte.  Wie  kam  auch  ein  königl.  Schreiber  in  Babyloi 
dazu,  sich,  so  lange  er  dieses  Amt  bekleidete,  mit  der  Erziehung  eines 
syrischen  Sclavensohnes  zu  befassen?  Liest  man  den  griech.  Text  unbe- 
fangen, so  wird  man  den  ganzen  Verlauf  der  Sache  wohl  vielmehr  so  ver- 
stehen, dass  der  Babylonier  zum  Tpocpeuc  des  J.  erst  dann  wurde,  all»  er, 
in  Babylon  zum  Kriegsgefangenen  gemacht,  von  den  Xa^uponiiXat  verkauft, 
und  auf  diese  Weise  nach  Syrien  verschleppt,  etwa  an  die  Eltern  des 
Jambllchus  verhandelt  worden  war.  Dann  wäre  aber  J.  selbst  gar  nicht 
in  Babylon  gewesen ,  also  auch  nicht ,  zugleich  mit  dem  Babylonier,  zum 
Gefangenen  gemacht  worden.  Zu  dieser  Auffassung  leiten  doch  auch 
wohl  die  chronologischen  Verhältnisse  hin.  Trajan  kam  auf  seinem  glliH 
zenden  aber  unfruchtbaren  Zuge  gegen  die  Parther,  den  er  im  J.  414 
begann  (s.  Clinton  F.  Rom.  z.  J.  114)  nach  Babylon  (Dio  Cass.  LXVin 
3f,  3.  <•,  1)  etwa  im  J.  4  45  oder  41«.  Falls  nun  JamUich  bereits  damali 
die  Erziehung  des  Babyloniers  absolvirt  hatte,  so  war  er  mindestens  in 
das  J.  490  geboren.  Er  schrieb  seinen  Roman  zwischen  465  und  480,  dai 
wäre,  nach  dieser  Berechnung,  etwa  in  seinem  70.  Lebensjahre.  Das  klingt 
wohl  wenig  glaublich.  Wenn  dagegen  nur  der  Babylonier  im  J.  445/440 
gefangen  und  verkauft  wurde,  und  später  erst,  in  Syrien,  die  Erziehmig 
des  Jamblich  zu  leiten  begann,  so  braucht  dieser  selbst  nicht  vor  de» 
Jahre  115  —  oder  wenn  man  will  noch  später  —  geboren  zu  sein,  wie 
leicht  einzusehen  ist.  Uebrigens  heisst  es  im  griech.  Texte  von  dem  Baby- 
lonier: Ttpad^vai  Supov  &ii6  t&v  Xatpupoirc&Xajv.  Die  allgemein  angenommeo« 
Aenderung  des  Hoeschelius:  26p9  ist  von  der  tfussersten  ünwahrscheii- 
lichkeit;  es  bieten  sich  aber  zu  viele  Möglichkeiten  der  Emendation  dar, 
als  dass  man  einer  bestimmten  vertrauen  möchte.  —  Endlich  sind  die 
Worte:  clvai  ht  toötov  oo^v  —  —  7C7«vija0ai,  obwohl  sie  graromatiscb 
gewiss  leichter  sich  (wie-  auch  Fabricius  a.  0.  gethan  hat)  auf  Jambliek 
beziehen  Hessen,  gleichwohl,  dem  inneren  Zusammenhang  nach,  onzweifel' 
haft  auf  den  Babylonier  zu  beziehen ,  wie  Chardon  de  la  Rochette  li6L  de 
crit.  et  de  philol.  I  (Paris  1842)  p.  )1  f.  richtig  erkannt  hat. 


—     363     — 

eiarttckte,  und  wurde  von  den  Beut«händlem  verkauft,  wie  es 
scheint  nach  Syrien.  Jamblieh  nun  lernte  von  ihm  die  baby- 
lonische Sprache;  zu  dieser  und  seiner  syrischen  Muttersprache 
lernte  er  schliesslich  auch  noch  die  griechische  Sprache  hinzu 
und  bildete  sich  in  dieser  bis  zur  kunstmSissigen  Fertigkeit 
eines  Rhetors  aus. 

Seine  eigene  schriftstellerische  Thätigkeit  setzte  Jamblieh 
in  die  Zeit  des  Soömus  »des  Achaemeniden ,  des  Arsaciden, 
welcher  König  war,  von  Königen  abstammend«,  zugleich  aber 
Hitglied  des  römischen  Senates,  und  Gonsul  *) .  Dieser  war  von 
den  Römern,  nach  Beendigung  des  vierjährigen  Parlherkrieges 
unter  Oberleitung  des  Lucius  Verus,  zum  König  in  Grossarme- 
nien eingesetzt  worden.  Unter  seiner  Regierung,  und  noch  zu 
Lebzeiten  des  Kaisers  Marcus  Aurelius  schrieb  Jamblich  seine 
Erzählung.  Er  erwähnte  darin  auch  des  jüngst  beendigten 
Krieges,  und  wie  er  selbst,  wohl  durch  babylonische  Magie 
ttber  die  Zukunft  belehrt,  den  Krieg  selbst  und  dessen  Verlauf, 
nämlich  die  Flucht  des  Partherkönigs  Yologesus  über  Euphrat 


1)  Xfjfet  iauTÖv  —  dxitÄZßis  iizi  Zoa((jLOU  toD 'A)^aifjievl5ou,  toO  Ap- 
aaxC^ou,  8;  ßaoiXei»;  f^v  ix  nardpcav  ßaoiX£a>v  xtX.  Phot.  p.  225,  4  ff.  Die 
hervorgehobenen  Worte  ist  Tillemont,  Hist.  des  emp.  II  2  (Brux.  17H) 
p.  S87  A.  2  geneigt,  so  zu  verstehen:  fils  d'  Aqaemenide,  de  la  race  des 
Arsaeides;  Achaemcnides  als  Eigenname.  Aber  dies  ist  ja  kein  Eigen- 
Bftme,  sondern  ein  Patronymicum ,  sogut  wie  'Apaa%loT](  auch.  Ich  denke 
vielmehr,  dass  diese  Verbindung  zweier  Palrenymica  andeuten  soll,  daas 
die  Arsaciden,  zu  deoeo  Soämus  gehörte,  sich  herleiteten  von  dem  alten 
persischen  Königsgeschlecht  der  Achaemeniden.  In  der  That  leiteten  die 
Begründer  der  Arsacidendynastie,  Arsaces  und  Tiridates,  ihr  Geschlecht  ab 
iiA  xoti  üepoosv  'ApragipSou  (Artax.  11^:  Syncellus  p.  284  B  (aus  Arrian: 
lUiUer,  Fr.  hist.  III  587).  Vgl.  Droysen ,  G.  d.  Hellenism.  II  828  A.  4  46. 
—  Von  Soämus,  welcher  in  Armenien  von  den  Römern  eingesetzt  wurde, 
berichtet  ausser  Jamblich  nur  noch  Dio  Gassius  LXX,  vol.  IV  p.  4  74  Dind. 
Vgl.  C.  F.  Hermann,  Luc.  de  conscr.  hist.  p.  XVI  f.  —  Er  war  früher 
&ic«TO<  gewesen,  d.  h.  wohl  nur  Titularconsul ,  wozu  in  der  Kaiserzeit 
gelegentlich  auch  Ausländer  gemacht  wurden:  Marquardt,  Rom.  Alt.  U 
8,  288.  —  Uebrigens  würde  man  kaum  begreifen ,  weshalb  Jamblich  seine 
eigene  ^xftt)  gerade  nach  diesem  obscuren  König  von  Armenien  datirte, 
wenn  er  nicht  unter  dessen  Scepter  wohnte.  Daher  denn  auch  die 
orientalisch  pomphafte  Titulatur  des  Königs.  —  (Eine  sehr  kühne  Aendo- 
mog  dieser  ganzen  Stelle,  bei  Lagarde,  Ges.  Abb.  p.  488  A.  3,  ist  völlig 
annöthig) . 


—    364    — 

und  Tigris  und  die  Unterwerfung  des  Partherlandes  unter  die 
römische  Herrschaft  prophetisch  vorausverkttndet  habe^). 

Demnach  schrieb  Jamblich  seinen  Roman  wenige  Jahre 
später  als  Lucian  jene  scharfe  Persiflage  der  rhetorischen  Afiter- 
historiker  welche  sich,  ehe  noch  die  Kaiser  ihren  Triumph 
gefeiert  hatten,  die  Geschichte  des  ruhmreichen  Partherkrieges 
in  allen  möglichen  Manieren  sophistisch  zugerichtet  hatten.  Er 
war  also  ein  Zeitgenosse  der  Sophistik  in  ihrer  üppigsten 
BlUthc. 

Seiner  Liebesgeschichte  gab  er  den  Titel  » Babyloniaca«, 
welcher  nicht  nur  den  Schauplatz  der  Ereignisse  sondern  auch 
die  Herkunft  der  ganzen  Erzählung  bezeichnen  sollte:  denn  er 
behauptete,  der  ganze  Roman  sei  eine  der  ihm  von  jenem  ge- 
lehrten Babylonier  mitgetheilten  altbabylonischen  Geschichten. 
Vielleicht  hatte  er  die  ganze  Figur  des  Babyloniers  nur  erfun- 
den, um  sie  zur  Stütze  dieser  Fiction  zu  benutzen. 

Der  Roman  hatte  einen  beträchtlichen  Umfang :  nach  Suidas 
hätte  er  39  oder  35  Bücher  umfasst;  der  Auszug  des  Photius 
schliesst  mit  dem  sechzehnten  Buche  ^j.  Das  Werk  wurde  lange 
Zeit  gelesen  und  abgeschrieben;  als  Suidas  in  der  Mitte  des 
zehnten  Jahrhunderts  sein  grosses  Sammelmerk  anlegte,  konnte 
er,  aus  eigner  Leetüre,  demselben  eine  beträchtliche  Anzahl 
einzelner  Sätze  und  Redeblumen  einordnen,  welche  er  aus  dem 


1)  p.  225,  9  fr.  Solche  Prophezeiungen  scheint  der  Partherkrieg  manche 
hervorgerufen  zu  haben;  nicht  alle  Propheten  waren  so  scharfblickend  wie 
Jamblich:  vgl.  Lucian.  Alex.  27.  Einen  phantastischen  Historiker,  welcher 
den  noch  unbcendigtcn  Krieg  gleich  vorausblickend  zu  Ende  erzfihlte,  ver- 
höhnt Lucian,  de  conscr.  bist.  31.  Mit  Unrecht  suchte  Solanus  hinter 
diesem  Historiker  unsern  Jamblich:  s.  C.  F.  Hermann  p.  498. 

2)  —  hi  ßißXtoic  X»'  Suidas :  Xe'  cod.  Vatic.  bei  Mai  auct.  vet.  H  348. 
Photius  sagt  am  Schluss  seines  Auszuges:  i^  ot;  i  ic'  X^y^*  (ntimlich  «u(&- 
TtXT]poi»Tai,  wie  er  sonst  sagt).  Damit  ist,  genau  genommen,  nicht  behauptet, 
das»  die  ganze  Geschichte  nicht  mehr  als  4  6  X^^^^i  gehabt  habe;  man  sieht 
nur  nicht  ein,  was  überhaupt  nach  der  glücklichen  Vereinigung  des  Paar» 
noch  hätte  folgen  können.  Wie  man  also  die  Discrepanz  zwischen  Suidas 
und  Photius  zu  reimen  habe,  wird  sich  mit  unseren  dürftigen  Mitteln 
schwerlich  feststellen  lassen.  (Keinesfalls  darf  man  an  einen  Unterschied 
von  HfOi  und  ßtßXtov  denken.  Beide  Ausdrücke  besagen  stets  dasselbe  io 
litterarischen  Notizen.  Man  vgl.  das  Nächstliegende:  Suidas  s.  *Ax(^^ 
St^tioc:  —  ipwTtxÄ  h  ßißXtoK  T^.  Photius  cod.  87  von  demselben  Werke: 
X^^oi  6xT(6). 


—    365    — 

Roman  des  Jamblichus  excerpirt  hatte.  Eine  kleine  Anzahl  von 
Probestücken  der  rhetorischen  Kunst  des  Jamblichus  findet  sieh 
noch  in  einigen  Handschriften  italienischer  Bibliotheken  vor  ^) ; 
wohl  nur  aus  Verwechslung  dieser  einzelnen  Stücke  mit  dem 
ganzen  Roman  des  Jamblichus  entstand  die  lange  fortgepflanzte 
Sage,  dass  das  vollständige  Werk  des  Jamblichus  sich  erhalten 
habe  und  in  irgend  einer  Bibliothek  sich  noch  verborgen  halte  ^) . 


1)  Die  Excerpte  bei  Suidas,  sowohl  solche,  die  er  geradezu  mit  dem 
Namen  des  J.  bezeichnet,  als  diejenigen,  welche  sich  mit  hinreichender 
Sicherheit  auf  den  J.  zurückführen  lassen,  hat  am  Besten  vereinigt  R.  Her- 
eher,  Erot.  scr.  gr.  I  p.  217—220;  vgl.  I  p.  XXXIII  f.,  II  p.  LXIV. 
Einen  Nachtrag  aus  den  anonymen  Fragmenten  bei  Suidas  (von  denen  in- 
dessen doch  einige  mit  geringer  Wahrscheinlichkeit  dem  J.  vindicirt  wer- 
den) liefert  derselbe,  in  den  Monatsber.  der  Akad.  d.  Wiss.  zu  Berlin  4875 
Januar;  p.  i — 7.  (Ich  werde  die  dort  mitgetheilten  15  Fragmente  weiterhin 
stets  von  den  übrigen  unterscheiden ,  indem  ich  den  einzelnen  Nummern 
ein  Sternchen  hinzufüge.)  —  An  umfangreicheren  Excerpten,  welche  z.  Th. 
erst  neuerdings,  auf  Grund  handschriftlicher  Autorität,  dem  Jamblichus 
irindicirt  worden  sind,  besitzen  wir  folgende:  4)  eine  Schilderung  des  Auf- 
mges  des  babylonischen  Königs;  2)  eine  kurze  Rede  einiger  Soldaten, 
welche  den  Lohn  für  eine  Flussableitung  fordern;  3)  eine  Anklage  eines 
Herrn  gegen  seinen  Sclaven,  mit  welchem  die  Frau  des  Klägers,  freilich 
nur  im  Traumgesicht,  Ehebruch  begangen  hat;  4)  sechs  auserwählte  Sen- 
tenzen. Diese  vier  Stücke,  zuerst  von  Leo  AUatius  1644  herausgegeben, 
sind  neuerdings  aus  cd.  Vatic.  1354  und  Laurent.  57,  12  wieder  abgedruckt 
(und  sämmtlich  dem  J.  zugewiesen)  worden  bei  Hercher,  Hermes  I  362  ß., 
Erot.  II  p.  LXVI,  LXVII;  und  bei  Hinck  Polemonis  declamationes  (L.  1873) 
p.  45 — 51.  Das  erste  dieser  Stücke  steht  auch  im  cd.  Ottobonian.  90  der 
Vaticana:  s.  Emperius,  Dio  Chrysost.  p.  793.  Es  kommt  hinzu:  5)  Eifer- 
Michtscene  zwischen  Sinonis  und  Rhodanes;  aus  einem  Vaticanischen 
Palimpsest  flüchtig  abgedruckt  bei  Mai,  Scr.  vet.  nov.  coli.  II  349  ff.,  und 
damach  wiederholt  bei  Hercher,  Erot.  II  p.  LXTV — LXVI;  die  Ergebnisse 
einer  genaueren  Collation  des  Palimpsestes  bei  Hercher,  Hermes  I  361.  362. 

2)  Die  unversehrten  Babyloniaca  sollten,  erzählte  man,  sich  in  der 
Kbliothek  des  Escurial  befunden  haben,  nach  Ausweis  eines  handschrift- 
lichen Katalogs,  welchen  Isaac  Vossius  besessen  habe;  leider  sei  dieser 
Schatz  bei  dem  Brande  der  Bibliothek,  1671,  mit  zerstört  worden.  Früher 
fchon  munkelte  man  davon,  dass  Jungermann  (•]-  1610)  den  Roman  des 
Jamblich  besitze  und  herausgeben  werde.  (Der  scriptor  amoenissimus, 
dessen  Herausgabe  Jungermann  selbst,  in  der  Vorrede  zum  Longus  [1605], 
verheisst,  ist  jedenfalls  nicht  Jamblich,  sondern  Eustathius,  de  amore  Hys- 
minae:  s.  Chardon  de  la  Rochette  a.  0.  p.  28;  vgl.  auch  einen  Brief  Jun- 
gerinäons  an  Piccart,  6.  Nov.  1604,  in  Theophili  Sinceri  Neuen  Nachrichten 
von  lauter  alten  Büchern  u.  s.  w.  I  [1747]  p.  96.)     Das  Exemplar  des  Es- 


—     366    — 

Den  Verlauf  der  ganzen  Erzählung  lehrt  uns  gegenwärtig  nur 
eine  kurze  Inhaltsangabe  kennen,  welche,  gleichwie  bei  dem 
Roman  des  Antonius  Diogenes,  der  Patriarch  Photius  mittheilt, 
im  94.  Abschnitt  seiner  »Bibliothek«.  Darnach  war  der  wesentr 
liehe  Inhalt  des  Romans  der  folgende. 

Die  schöne  Sinonis,  welche  bereits  mit  dem  geliebten  Rhodanes 
ehelich  verbunden  ist ,  verfolgt ,  nach  dem  Tode  seiner  Frau ,  der 
König  von  Bubylon,  Garmus,  mit  seinen  Anträgen.  Da  sie  sich  wei- 
gert lässt  er  sie,  mit  einer  goldenen  Kette,  fesseln,  den  Rhodanes 
ans  Kreuz  schlagen.  Durch  Sinonis  vom  Kreuz  errettet,  flielit  Rho- 
danes mit  ihr  davon.  Die  königlichen  Eunuchen,  Sakas  und  Damas, 
denen  die  Hinrichtung  des  Rh.  anvertraut  gewesen  war,  werden, 
um  Ohren  und  Nasen  gestraft ,  dem  Paare  nachgeschickt ;  In  zwei 
verschiedenen  Richtungen  ziehen  sie  aus,   das.selbe  zu  suchen. 

Ein  Fischer  verräth  dem  Damas,  dass  einige  Hirten  den  Auf- 
enthalt der  Beiden  kennen.  Gefoltert,  weisen  die  Hirten  endlich 
eine  Wiese,  auf  der  das  Paar  sich  aufliielt';.  Dort  hatte,  durch 
ein  geheimniss\  olles  Monument  geleitet  ^j,    Rhodanes  einen  vergrabe- 


curial  spukte  aber  noch  weiter;  nach  einigen  Nachrichten  war  es  nidit 
verhraimt,  sondern  im  Auftrag  der  Königin  Christine  von  Schweden  durch 
Is.  Vossius  angekauft  worden,  für  eine  unglaubliche  Summe  Geldes  (46l,009 
öcus)  » weil  es  so  ungemein  rar  war«.  Es  versank  dann  aber  wieder  in 
den  wOcean  der  Vergessenheit«,  bis  man  aus  einem  Briefe  des  gelehrteo 
Arztes  J.  E.  Bcmard  an  Reiske,  vom  44.  Nov.  175S,  erfahrt,  dass  »Jam- 
blichi  Babylon iaca ,  graccc,  nondum  vulgata«  auf  der  Auciion  des  littera- 
rist^hen  Nachlasses  Meiboms  im  Haag  von  dem  jüngeren  Burmann  angekauft 
W9rden  seien  (s.  J.  J.  Reiskes  von  ihm  selbst  aufges.  Lebensbeschr.  p.  467). 
Seitdem  ist  jede  Spar  verloren.  Ucbcr  alles  dieses  vgl.  namentlich  Fabri- 
cius  B.  Gr.  VHi  458  f.  Harl.  Dia  ganze  Fabel  leitet  sich  vielleicht  auf 
einige  Reuommage  des  Isaac  Vossius  zurück.  Dieser  hatte  aus  dem  Lav^ 
rent.  57,  12,  ausser  anderen  Stücken,  auch  den  Abschnitt  des  Jamblichas 
::epl  7:po65ou  toD  BaßuXouvioiv  ßaotXioK  abgeschrieben:  s.  J.  G.  Vossius,  de 
liistor.  gr.  p.  S75  West.»  Hiock  Polem.  p.  X;  aus  einigen  vielsagenden  Andeu- 
tungen des  Besitzers  über  diesen  Schatz  mag  die  Sage  von  der  Exittens 
der  vollständigen  Babyloniaca  entstanden  sein,  welche  Vossius  nun  filr 
eine  ungeheure  Summe  aus  dem  Escurial  entführt  hal>en  sollte.  Da  sie  sieb 
denn  doch  nirgends  vorfinden  wollten,  so  Hess  man  sie  getrost  im  J.  4174 
mitverbrennen ,  während  es  vermuthlich  nur  die  Vossische  Abschrift  jeoat 
kleinen  Abschnittes  der  Babyloniaca  war,  welche  Barmann  aus  lleibont 
Nachlass  erstand.  Ob  etwa  auch  Jungennann  eine  Abschrift  jenes  Excerptet 
aus  Jamblichos  besass? 

1)  Hierher  gehören  fragm.  4;  S;  4*. 

2)  )^pi>o&v  To^vT^;  eSptoxe,  t^;  .oti^Xt]^  toO  Xiovroc  uf:o&v)Xo6(ACvov  tip  itor 
Ypci(jL}AaTi.  p,  iSI,  34.     Wodurch  die  Inschrift  des  »Löwengrabes«  die  An- 


—     367    — 

Ben  Schatz  entdeckt.  Da  aber  »das  Gespenst  eines  Bockes«  sich 
in  die  Sinonis  verliebt  ^) ,  so  verlassen  Rhodanes  und  Sinonis  die 
unheimliche  Wiese.  Damas  findet  dort  nur  noch  den  Kranz  der  Si- 
nonis, welchen  er  dem  Garmus  schickt. 

Weiterfliehend  trifft  das  Paar  eine  Alte,  die  sie  in  einer  Höhle 
verbirgt.  Damas  mit  seinen  Leuten  gelangt  ebenfalls  an  die  Höhle; 
Bienenschwärme  hindern  sie  am  Eindringen;  da  die  Bienen  sich  an 
giftigen  Reptilen  genährt  haben,  tödtet  ihr  Stich  manche  der  Solda- 
ten. Aber  auch  Rhodanes  und  Sinonis,  welche  zu  einer  von  den 
Verfolgern  abgelegenen  Oefl'nung  der  Höhle  hinausdringen,  werden 
durcii  den  Genuss  des  Honigs  dieser  vergifteten  Bienen  krank  und 
fallen  wie  todt  um^).  Die  Verfolger,  vor  den  Bienen  fliehend,  fin- 
den das  scheinbar  todte  Paar  am  Wege  liegen,  werfen,  nach  Lan- 
desbrauch, Kleidungsstücke,  auch  Lebensmittel,  Brot  und  Fleisch, 
auf  die  Entseelten  ^j ,  und  ziehen  weiter.  In  der  Höhle  hatte  Damas  die 
Haare  ^)  der  Sinonis  gefunden,  welche  diese  sich  abgeschnitten  hatte, 
um  aus  ihnen  ein  Seil,  zum  Wasserschöpfen,  zu  flechten :  er  schickt 
diese  Haare  als  Anzeichen  für  die  Nähe  der  Verfolgten  dem  Garmus. 


Wesenheit  eines  Schatzes  andeutete,  lässt  Photius  nicht  erkennen.  Nicht 
anpassend  erinnert  0.  Keller,  N.  Jahrb.  f.  Philol.  Suppl.  IV  p.  871  an  eine 
Scene  des  griechischen  Volksbuches  vom  Aesop  (c.  20  p.  S75  f.  ed.  Eberh.), 
in  welcher  ein  Schatz  durch  eine  räthselhaftc  Inschrift  eines  Grabmales  als 
in  der  Nähe  verborgen  dem  weisen  Aesop  kund  gemacht  wird.  (Nur  darf 
DMin  nicht  mit  Keller  an  eine  Entlehnung  dieses  Zuges  aus  Jamblich 
denken:  denn  was  Keller  sonst  von  einem  thatsächlichen  Zusammenhang 
unseres  Romans  mit  dem  zweiten  Theil  der  Aesopsage  ausgespürt  bat,  ist 
loch  allzu  geringfügig.  Viel  klarer  ist  der  von  Keller  nachgewiesene  Zu- 
sammenhang dieses  zweiten  Theils  der  Aesopsage  mit  dem  Pseudocallisthenes. 
Der  Grundstoff  der  Erzählung  des  zweiten  Theils  [ausser  den  Erlebnissen  des 
Aesop  in  Delphi]  ist  gleichwohl  sicher  nicht  griechisch,  sondern  beruht  auf 
Binem  alten,  weitverzweigten  Märchen,  dessen  indische  Herkunft  wohl  nicht 
Ewaifelhaft  sein  kann  nach  Benfeys  Ausfuhrungen  in  einem  Aufsätze,  den 
JCeller  übersehen  zu  haben  scheint:  Ausland  4859  N.  iO — 25).  —  Geschichten 
fon  verborgenen  Schätzen  in  Volkserzählongen :  Benfey,  Pantschat.  I  97  f.  — 
Die  »9r/)X7)  to5  X£ovto(«  soll  wohl  eine  Grabstele  mit  dem  Bilde  eines 
Löwen  sein:  über  Löwenfiguren  auf  Grabmälern  vgl.  (Jsener,  De  Iliadis 
ctrm.  quod.  Phocaico  (Bonn  1S75)  p.  44.  45. 

1)  Auf  jenes  ^«lOfxa  xpa^ou  bezieht  sich  fr.  3;  i*.  Ich  erinnere  mich 
t)ei  diesem  abenteuerlichen  Bocksgespenst  zumal  des  neagriechischen  Xd- 
}m^,  eines  ebenfalls  in  ßocksgestalt  umgehenden  dämonischen  Wesens: 
B.  Schmidt,  Volksl.  d.  Neugr.  I  456.  (Vom  deutschen  Teufel  in  Bocks- 
gestalt  Gnmm,  Mythol.  947). 

2)  Fr.  5.  6.  7. 

3)  Fr.  9. 

4]  Beschreibung  der  Pracht  dieser  Haare:  fr.  8  und  Suidas  s.  dupauXctv: 
Hercher,  Erot.  I  p.  XXXHI  f. 


—    368     — 

Durch  Raben,  welche  sich  krächzend  um  das  hingeworfene 
Fleisch  streiten  ^]  ,  wird  das  betäubte  Paar  erweckt.  Auf  einem, 
dem  Zuge  der  Verfolger  entgegengesetzten  Wege  fliehen  sie  weiter, 
zwei  Esel,  welche  sie  fmdcn,  mit  den  von  dem  Heere  hingeworfe- 
nen Dingen  beladend.  Sie  kehren  in  einem  Wirthshaus  ein,  flieheo 
weiter,  kommen  um  Mittag  in  ein  anderes  Quartier,  wo  sie  der  Er- 
mordung eines  Menschen  angeklagt  werden  von  dessen  Bruder,  der 
vielmehr  selbst  der  Mörder  ist  und  bald  auch  durch  Selbstmord 
unser  Paar  von  dem  Verdachte  befreit.  Rhodanes  eignet  sich  aber 
heimlich  das  Gift  an,  mit  welchem  Jener  sich  getödtet  bat^). 

Sie  kommen  weiter  in  das  Haus  eines  Räubers,  welcher  die 
Vorüberziehenden  ausplünderte,  ermordete  und  auffrass'j.  Eine 
Anzahl  Soldaten,  von  Damas  abgeschickt,  ergreifen  den  Räuber,  zün- 
den Nachts  sein  Haus  an  und  lassen  das  Paar,  welches  sich  mit 
den  Leibern  der  geschlachteten  Esel  durch  das  umringende  Feuer 
einen  Pfad  bildet^),  entweichen,  da  sie  auf  Befragen  der  abergläo- 
bischen  Soldaten  erklären,  sie  seien  die  Gespenster  der  von  dem 
Räuber  Ermordeten. 

Weiterfliehend  trifft  das  Paar  auf  den  Grabzug  eines  Mädchens. 
Ein  Chaldäer  hält  den  Zug  an,  und  erklärt,  das  Mädchen  sei  noch 
lebendig;  und  so  erwies  es  sich^).  Derselbe  prophezeit  auch  dem 
Rhodanes  seine  zukünftige  Königswürde.  Von  den  am  Grabe  zu- 
rückgelassenen Tüchern  nehmen  Rhodanes  und  Sinonis  einige  an 
sich,  stärken  sich  auch  mit  den  dort  vorgefundenen  Speisen  mid 
Getränken ,  und  schlafen  ermüdet  in  dem  Grabgewölbe  ein.  Die 
Soldaten,  welche  sie  aus  dem  Räuberhause  hatten  entkommen  las- 
sen,   haben    sie   doch   verfolgt,    weil   ihnen    nachträglich   eingefalleo 


1)  Fr,  40. 

2)  Fr.  •♦. 

3)  p.  iS8,  7.8:  xatalpo'joiv  ci;  otxT|fi.a  X^oroO  tou(  irapo^txac  X{)OTs6ovTec 
xal  to6to'jc  iauT(ji  irotoupivou  tpaireCav.  Diese  letzten  Worte,  obwohl  miD 
sie  allenfalls  auch  anders  verstehen  könnte,  sollen  doch  wohl  wirklich  be- 
sagen, dass  dieser  Räuber  ein  Menschenfresser  war,  wie  sie  so  oft  in 
ächten  Märchen  vorkommen. 

4)  p.  2St,  14:  Twv  ^vcdv  o^a-f^vtoiv  xal  Tfji  unipl  cU  ((ooov  ifciTelMvtaiv* 
Das  sieht  beinahe  aus  wie  eine  Parodie  des  pathetischen  Vorganges  ans  der 
Pythagorassage  von  dem  Porphyrius  V.  Pythag.  §  57,  p.  87,  SS  tt.  ed. 
Nauck,  erzählt  (vgl.  Tzetzes,  Chil.  XI  80  ff.). 

5)  Fr.  k*  (wo  indessen  der  zweite  Abschnitt  [Suid.  s.  ^i^Qpct]  doch 
wohl  ohne  besondere  Wahrscheinlichkeit  dem  Jamblich  zuertheilt  ist).  — 
Die  Erweckung  des  sclieintodten  Mädchens  erinnert,  gewiss  nicht  zuntlltg,  aD 
das  Wunder  des  ApoUonius  von  Tyana,  bei  Philostr.  V.  Ap.  IV  45,  welches 
man  ganz  mit  Unrecht  für  eine  Nachbildung  der  in  den  Evangelien  er- 
zählten Erweckungen  des  Jtinglings  zu  Nain  oder  der  Tochter  des  Jairus 
zu  halten  pflegt  (so  Baur,  Apoll,  u.  Chr.  p.  U5]. 


—     369    — 

ist,  sie  seien  doch  wohl  Genossen  des  Räubers ;  den  Spuren  nach- 
gehend finden  sie  nun  die  Beiden  bewegungslos  in  dem  Grabe  lie- 
gen,  halten  sie  für  Gestorbene  und  ziehen  ab. 

Auf  ihrem  weiteren  Zuge  überschreiten  die  Liebenden  den 
Fluss,  welcher ,  wegen  seines  süssen  und  klaren  Wassers ,  dem 
Könige  von  Babylon  allein  zum  Getränk  dient').  Sinonis  wird,  da 
sie  die  aus  dem  Grabe  mitgenommenen  Gewänder  verkaufen  will, 
wegen  Grabberaubung  angehalten  und  vor  Soraechus,  den  Gerech- 
ten zubenannt,  geführt.  Wegen  ihrer  Schönheit  will  dieser  sie  dem 
Könige  Garmus  zusenden ;  um  diesem  Schicksal  zu  entgehen,  mischen 
Rhodanes  und  Sinonis  sich  den  Todestrank  aus  dem  mitgenommenen 
Gifte.  Soraechus,  von  einer  Dienerin  über  die  Selbstmordpläne  der 
Beiden  unterrichtet,  weiss  ihnen  einen  Schlaftrunk  statt  des  Gifites 
unterzuschieben.  Die  Schlafenden  führt  er  auf  einem  Wagen  dem 
Könige  zu 2).  Rhodanes  erwacht,  durch  ein  schreckliches  Traum- 
gesicht erschreckt ;  er  erweckt  die  Geliebte ,  welche  mit  einem 
Schwerte  sich  zu  ermorden  versucht,  und  sich  an  der  Brust  ver- 
wundet. Soraechus  lässt  sich  die  Geschichte  des  Paares  erzählen; 
er  lässt  sie  frei  und  zeigt  ihnen  ein  Heiiigthum  der  Aphodrite  auf 
einer  vom  Euphrat  und  Tigris  umflossenen  Insel,  wo  die  Wunde 
der  Sinonis  geheilt  werden  soll. 

Die  Priesterin  in  jenem  Heiiigthum  hatte  drei  Kinder  gehabt, 
Euphrates,  Tigris  und  die  Tochter  Mesopotamia.  Um  diese  welche, 
bässlich  geboren,    von  der   Aphrodite   schon   gemacht   worden   war. 


1)  Rochette  p.  78  denkt  an  den  Cboaspes,  dessen  Wasser  der  per- 
sische König  auf  seinen  Reisen  sich  nachfahren  Hess:  Herodot  I  488.  Aber 
weder  an  diesen,  bei  Susa  fliessenden,  noch  etwa  an  den  dicht  neben  dem 
Cboaspes  gelegenen  Fluss  Eulaeus,  von  dem  Gleiches  berichtet  wird  (siehe 
Brissonius,  De  reg.  Pers.  princ.  1.  I  §  82  p.  424  f.  ed.  Lederlin,  Argentor. 
iliO)  wird  wohl  hier  zu  denken  sein,- da  diese  Flüs^  von  dem  Scliauplatz 
der  Handlung  zu  weit  entfernt  sind,  auch  von  einem  in  Babylon  residirenden, 
doch  wohl  als  einheimisch  gedachten  König  die  Rede  ist.  Jene  Marotte, 
aar  Eines  Flusses  Wasser  des  Königs  für  würdig  zu  halten,  mag  weiter 
verbreitet  gewesen  sein:  Poiybius  bei  Athen.  H  45  B.  C.  erzählt  etwas 
Aehnliches  von  den  Ptolemäern.  Hatten  also  auch  babylonische  Könige 
einen  solchen  Lieblingsfluss?  (zwischen  Euphrat  und  Tigris  ^eX  xal  dfXXoc 
icoraptöc,  Bao(Xeto(  xaXou{Uvo; :  Strabo  XVI  p.  747.  Der  Name  ist  doch 
wohl  griechisch?  Hiess  also  dieser  Fluss  wegen  seiner  Benutzung  für 
den  König  »der  königliche«?). 

2)  Von  dem  Wagen  handelt  vielleicht  fr.  34  (p.  222,  42);  auf  die 
Todesverachtung  der  Liebenden  Hesse  sich  die  Sentenz  des  Jamblichus  in 
Hincks  Polemon.  decl.  p.  51,  6.  7  beziehen.  —  Die  nur  scheinbare  Ver- 
giftung durch  einen  untergeschobenen  Schlaftrunk  ist  in  dieser  Gattung  von 
Erztthlungen  beliebt.  Vgl.  Xenoph.  Ephes.  ill  5.  6  und  die  Novelle  des 
Apoleius,  Metam.  X  H.  42  (die  ganze  Geschichte  des  Ap.,  X  2— 12,  imitirt 
Ser  Giovanni,  Pccorone  XX 111  2j. 

Bobde,  Der  griechische  Ruman.  24 


—     370     — 

stritten  sich  drei  Liebhaber.  Der  Schiedsrichter,  Bochorus,  der 
trefflichste  aller  Richter  zu  jener  Zeit^),  entschied  dass  das  Wkd- 
chen  demjenigen  gebühre,  dem  sie ,  statt  eines  Kranzes  oder  einer 
Schaale ,  wie  den  zwei  andern ,  einen  Kuss  gegeben  habe ;  damit 
aber  nicht  zufrieden,  tödteten  sich   die  Nebenbuhler  im  Streite.  — 


1)  Fr.  41.  —  Dieser  »Bochoros«  ist,  wie  ich  denke,  keio  Anderer  ab 
der  bekannte  König  Bokchoris  von  Aegypteo  (reg.  ungefähr  750:  siebe 
Müller,  Fragm.  bist.  gr.  III  835),  welcher  hier  vielleicht  zu  einem  weite« 
Richter  unter  den  Babyloniorn  degradirt  ist.  Von  diesem  Bokchoris  von 
Aegypten  sagt  Diodor  I  94:  'ft^io%ai  autiv  Ticpl  to^;  xpCotic  oStcb  oumct^ 
AoTE  iroXXÄ  TÄv  6ir'  otkoü  hia-fsma^hrcms  hiA  nfjv  «epiTTÖnjxa  (Ji.vi2(tove6colai 
(A^pt  Tä>v  xa^'  i^fiäc  XP^^^^"*  (^i'^®  » Bokchore'is «  dichtete  Pancrates  [docb 
wohl  der  Zeitgenosse  des  Hadrian.  Athen.  XV  677  D.  E.] :  Meineke,  Anal 
crit.  ad  Athenaeum  p.  232);  vgl.  Zenobius  I  60;  Suidas  s.  Böx^opic;  Aeliao 
nat.  anini.  XI  14  ;  XII  S.  Namentlich  führte  man  auf  ihn  einen  borühmtea 
Urtheilsspnich  zurück,  in  welchem  eine  Hetäre  Thonis,  welche  ein  Lieb- 
haber im  Traume  genossen  hatte,  mit  ihrer  Klage  um  Entscbttdigung  auf 
den  Schatten  der  zu  zahlenden  Sunmie  verwiesen  wurde:  Plutarcb. 
Demetr.  i7  (oflenbar  das  Vorbild^  zu  dem  Process  um  des  Esels  Schattea: 
s.  Liebrecht  in  Eberts  Zeitschr.  für  roman.  Sprachen  lU  447,  zu  Beofe}'! 
Pantschet.  I  127,  wo  die  orientalischen  Versionen  der  Geschichte  verzeich- 
net sind.  Vgl.  auch  Gualt.  Mapes  bei  Liebrecht,  Pfeiffers  Germ.  V  53). 
Dem  Gegenstande  dieses  Processes  ist  nun  auffallend  ähnlich  der  Gegen- 
stand eines  Fragments  des  Jamblichus  (fr.  8  nach  der  oben  p.  865  gegebeoea 
Uebersicht),  Polem.  ed.  Hinck  p.  46:  ^otiött)^  do6Xou  xanj^opci  ivX  (Mh^c^ 
rfj«  oixelac  YafJtrr?];,  iStj^T/oapL^vt];  ai;  5vap  xo6Tip  ti  x^  rffi  'A^po&lTQc  Upf 
d^AlfQ-  Uercher.  welcher  (Hermes  1  362  ff.)  dieses  Bruchstück,  nach  An- 
leitung des  Laurent.  57,  12,  dem  Jamblichus  zuerst  vindicirt  bat,  sieht  ia 
demselben  mit  Recht  eine  Ausführung  des  von  Photius  (p.  224,  25  f.)  er- 
wähnten Gebrauches  3er  Weiber,  die  während  ihrer  Incubation  im  Apbra- 
ditetempel  gesehenen  Träume  öffentlich  zu  erzählen.  Dann  stand  diese 
Processredc  ganz  nahe  bei  der  Erzählung  von  der  Entscheidung  des  Bocbo- 
rus  zwischen  den  drei  Liebhabern ;  ich  glaube,  es  ist  nicht  zu  kühn,  aacb 
in  diesem  Process  Bochorus,  d.  i.  Bokchoris  als  Richter  zu  denken,  und 
das  Ganze  für  eine  Nachahmung  jener  berühmten  Entscheidung  des  Königs 
zu  halten.  (Die  Entscheidung  mochte  hier  ausfallen,  wie  in  der  analoges 
Geschichte  im  Bahar  Danusch  [s.  Benfey  a.  0.]:  Durcli peitschung  oder 
sonstige  Bestrafung  des  Schattens  des  Angeklagten).  Uebrigens  redet  der 
klagende  Ehemann  dort  den  Richter  wiederholt  als  »König«  an:  p.  46,29; 
48,  3.  11  (cd.  Hinck);  es  wäre  also  wohl  möglich,  dass  Jamblichus  seinen 
Bochorus  ruhig  in  der  ägyptischen  Königswürde  belassen  hätte,  und  mit 
kühner  Fiction  heikliche  Rechtsfälle  von  Mesopotamien  bis  nach  Aegyptefl 
hätte  bringen  lassen.  —  Der,  von  Bochorus  entschiedene  Streit  dreier  Lieb- 
haber um  Eine  Braut  erinnert  übrigens  stark  an  eine,  in  orientaliscbeD 
Märchen  viel  verwendete  Geschichte  vom  Streite  dreier  Jünglinge  um  eine 


—    371     — 

Jamblicb  erzählte  weiter,  wie  die  (zur  Heilung)  in  jenem  Tempel 
der  Aphrodite  schlafenden  Weiber  ihre  Träume  zu  erzählen  ver- 
pflichtet waren;  weiter  allerlei  von  Phamuchus,  Pharsiris,  TanaYs, 
und  den  Aphrodite-Mysterien  des  TanaYs  und  der  Pharsiris  an  dem 
nach  jenem  Manne  genannten  Flusse  Tanais  ^) .  Hier  hatte  nun  Jam- 
blich einen  Excurs  über  die  verschiedenen  Arten  der  Magie  ein- 
gelegt, die  er  selbst  in  Babylon  erlernt  haben  wollte;  er  hatte  dann 
jene  Mittheilungen  über  sein  eigenes  Leben  gemacht,  die  wir  oben 
bereits  benutzt  haben  ^).  Endlich  fuhr  er  in  der  ErzUhhlung  fort. 
Von  den  beiden,  einander  sehr  ähnlichen  Söhnen  jener  Priesterin 
war  Tigris  an  einem  Biss  in  eine  Rose,  in  welcher  eine 
giftige  Fliege  verborgen  war,  gestorben.  Rhodanes,  dem  Ge- 
storbenen sehr  ähnlich,  wird  bei  seiner  Ankunft  auf  der  Insel  von 
der  Mutter  als  ihr  wieder  auferstandener  Sohn  begrüsst,  welchem 
Köre  (dafür  hielt  sie  die  Sinonis)  aus  der  Unterwelt  gefolgt  sei. 
Rhodanes,  diese  Einfältigkeit  sich  zu  Nutze  machend,  spielt  die 
Rdle  des  Tigris  3). 

Mittlerweile  hat  Damas  den  Aufenthalt  des  Paares  erfahren  durch 
den .  Arzt ,  welchen  Soraechus ,  lun  der  Sinonis  Wunde  zu  heilen, 
heimlich  nach  der  Insel  geschickt  hatte*).  Soraechus  wird  .fest- 
genommen, der  Arzt  mit  einem  Briefe,  welcher  dem  Priester  der 
Aphrodite  befiehlt,  das  Paar  festzuhalten,  nach  der  Insel  geschickt. 
Er  sucht  den  Fluss,  wie  üblich,  auf  dem  heiligen  Kameel  zu   über^ 

gemeinsam  befreite,  vom  Scheintod  erweckte,  oder  wohl  gar  erst  könstlich 
zom  Leben  durch  Zauberei  gebrachte  Jungfrau,  wobei  denn  ein  Jeder  seine 
Ansprüche  vor  einem  scharfsinnigen  Richter  geltend  macht:  vgl.  Benfey, 
Pantschat.  I  489  ff.,  und  dazu  noch  Rosens  türkisches  Tutinameh  II  58; 
II  468;  Straparola  von  Val.  Schmidt  p.  266  (auch  den  Streit  um  den  künst- 
lichen Garuda,  im  Siddbikür  p.  59  Jülg.). 

1)  p.  S24,  26—80.  Was  Jamblich  eigentlich  von  Phamuchus,  Pharsiris 
ond  Tanais  erzählt  hatte,  wird  aus  dem  Bericht  des  Photius  nicht  recht 
klar.  Die  beiden  ersten  Namen  sind  persische;  Pharsiris  =  Parysatis: 
Strabo  XVI  p.  785;  vgl.  Lagarde,  Ges.  Abb.  483. 

2)  Jamblichus  redete  von  Magie  aus  Heuschrecken,  Löwen,  Mäusen  (von 
der  (xa^la  (au&v,  als  der  ältesten,  komme  der  Name  der  (jLu-OT/)pia  her  I  Da- 
gegen ist  selbst  der  Witz  des  Tyrannen  Dionysius-  (xuoTif)pia  »Mauselöcher« 
8n  Touc  fAuc  T7}pe7  [Athen.  III  98  D]  noch  geistreich  zu  nennen),  Hagel, 
Schlangen;  Nekyomantic  und  Baochredekunst.  Der  Bauchredner  heisse  grie- 
chisch Eurykles  (vgl.  Lobeck  Aglaopb.  800  e),  babylonisch  oax^oupa^:  vgl. 
Lobeck  a.  a.  0.,  Lagarde  Ges.  Abb.  p.  4  89,  Silveslre  de  Sacy  bei  Cbardou 
de  la  Rochette  a.  a.  0.  p.  80.  —  Bei  J.  A.  Fabricius  Bibi.  antiquaria  (ed.  3 
Hamb.  4760)  p.  593 — 643  Steht  ein  langes,  alphabetisch  geordnetes  Ver- 
seichniss  der  divinationum  genera :  darin  fehlen  aber  einige  der  von  Jambl. 
aufgezählten  Arten  der  Magie. 

3)  Vgl.  fragm.  5*. 

4)  Fr.  6*;  vgl.  fr.  34   (Herclier  Erol.  U  p.  LXIVj. 

24* 


—     372     — 

schreiten,  in  dessen  rechtes  Ohr  er  seinen  Brief  gesteckt  hat;  aber 
er  kommt  beim  Fiussübergang  um  das  Leben;  das  Kameel  allein 
kommt  auf  der  Insel  an ;  aus  dem  Briefe  erfahren  die  Liebenden 
Alles  was  ihnen  droht  ^j. 

Sie  fliehen  weiter,  begegnen  dem  zum  Garmus  zu  führenden 
Soraechus,  tödten  Nachts,  mit  Hülfe  einiger  durch  Gold  bestochenen 
Männer^],  die  Wächter  und  fliehen  mit  dem  also  befreiten  Sorae- 
chus  weiter. 

Damas  kommt  nun  selbst  auf  die  Insel.  Der  Priester  wird  zum 
Henkersknecht  gemacht*^);  sein  Sohn  Euphrates,  vom  Vater  selbst 
als  der ,  zum  Verwechseln  ähnliche  Rhodahcs  angeredet ,  wird  fest- 
genommen, vor  Sakas  geführt,  als  Rhodanes  inquirirt,  und  gezwun- 
gen, seine,  rechtzeitig  entflohene  Schwester  Mesopotamia  als  Sinonis 
zu  bezeichnen.  Sakas  meldet  dem  Könige,  Rhodanes  sei  bereits 
ergriffen,   Sinonis  werde  bald  ergriffen  werden. 

Rhodanes,   Sinonis  und  Soraechus  kehren   bei  einem  Landmami 
ein.     Dessen  schöne  Tochter,   welche,   zum  Zeichen  der  Trauer  um 
ihren  eben  verstorbenen  Gemahl,   sich  die  Haare  abgeschnitten  hatte, 
wird  zu  einem  Goldschmied  geschickt,  um  die  goldene  Kette,  welche 
Sinonis    von   ihrer   einstigen    Gefangenschaft    bei    Garmus    her   nodi 
mit  sich  führte,  zu  verkaufen  *) .      Der  Schmied  erkennt  die  von  ihm 
selbst  verfertigte  Kette  und  hält  die  junge  Frau    für  Sinonis,    zumal 
sie  gleich  dieser   ihrer   Haare   beraubt  ist.     Er  schickt   zum    Damas 
und  lässt  die  Wittwe ,   als  sie  fortgeht ,    durch  Wächter  beobachten. 
Sie    merkt   das   Unheil  und    verbirgt    sich    in   einem    leeren   Hause. 
Hier  wohnt  sie  einer  schrecklichen  Scene  bei :   ein  Sklave  tödtet  ein 
von    ihm    geliebtes    Mädchen,    Trophime,    und  ermordet   sieh    dann 
selbst*).     Von   dem  Blute   der  Ennordeten   bespritzt    flieht   sie  ent- 
setzt von  dannen.     Die   verfolgenden  Wächter   finden   nu(   noch  die 
beiden  Leichen.     Sie  eilt  zu  ihrem  Vater  zurück,   berichtet  das  Er- 
lebte ;   das  Paar  enteilt  aufs  Neue,   während  der  Goldschmied,  unter 
Beifügung   der   Goldkette ,    dem   Garmus   schreibt ,    Sinonis   sei  auf- 
gefunden. 


1)  Fr.  IS— 45,  und  Suid.  s.  7iapeߣßXv]To :  s.  Hercher  Hermes  I  861; 
endlich  fr.  7*. 

2)  So  muss  man  ja  wohl  die  unklaren  Worte  des  Photius  p.  SS5,  84  (T. 
verstehen  xal  r^  toO  ypuoiou  d7cit)u(x(^  vuxTcup  dvaTrelAci  'PoSrfvr,;  (es  fehlt  dw 
eigentlich  unentbehrliche  Ohject)  xai  dvaipoOvxat  ot  !^opa(you  ^uXocxc;. 

3)  Fr.  46. 

4)  Fr;  47. 

5)  Fr.  19.  —  In  welche  Beziehung  Hercher  (Erot.  I  p.  S49)  fr.  48  xo 
dieser  Scene  setzen  will ,  ist  mir  nicht  ganz  verständlich.  —  Gehörte  hier- 
her die  Betrachtung  des  Jamblichus  (Hinck  a.  0.  p.  5t,  SO — SS)  über  die 
Blutgier  verliebter  Eunuchen?  Auf  den  späterensvöhnten  Liebhaber  der 
Mesopotamia,  den  Zobaras,  Iflsst  sich  dies  nicht  wohl  beziehen,  weil  dieser 
Eunuch  ja  ganz  und  gar  nicht  blutgierig  ist. 


—     373     — 

Beim  Abschied  hatte  Rhodanes  die  Tochter  des  Landmannes 
geküsst.  Sinonis  y  welche  namentlich  aus  den  von  jener  auf  Rho- 
danes übertragenen  Blutspuren  eine  nähere  Berührung  abnimmt,  ge- 
räth  in  eifersüchtigen  Zorn,  und  kehrt  alsbald  auf  der  Flucht  um, 
um  die  Nebenbuhlerin  zu  ermorden.  Soraechus ,  der  sie  vergeb- 
lich aufzuhalten  sucht,  folgt  ihr^).  Sie  kehren 'im  Hause  eines  rei- 
chen Wüstlings,  Setapus,  ein ,  dessen  Anträgen  Sinonis  sich  schein- 
bar ergiebt,  um  ihn  in  der  Nacht  mit  einem  Schwerte  zu  erschla- 
gen. Ohne  Wissen  des  Soraechus  eilt  sie  alsbald  allein  von  dannen. 
Sobald  aber  Soraechus  ihre  Flucht  bemerkt,  eilt  er  ihr  mit  einigen 
Sclaven  des  Setapus  nach,  lädt  sie  auf  einen  Wagen  und  kehrt  mit 
ihr  um.  Es  begegnen  ihnen  die  anderen  Sclaven  des  Setapus,  er- 
greifen die  Sinonis  dis  die  Mörderin  ihres  Herrn  und  senden  sie 
zum  Garmus 2j.  Soraechus  eilt,  mit  allen  Zeichen  der  Trauer,  zum 
Rhodanes,  und  berichtet  alles  Geschehene  dem  Liebenden,  den  er 
kaum  am  Selbstmord  verhindern  kann. 

Garmus,  durch  die  Botschaften  des  Sakas  und  des  Goldschmiedes 
hoffnungsvoll  gemacht,  bereitet  schon  seine  Hochzeit  mit  der  Sinonis 
vor;  zum  Zeichen  der  Freude  befiehlt  er,  alle  Gefangenen  loszu- 
lassen^). Daraufhin  wird  auch  Sinonis  freigegeben.  Damas,  wel- 
cher keine  günstige  Botschaft  hatte  schicken  können,  wird  dem,  von 
ihm  selbst  zum  Henker  gemachten  einstigen  Priester  zur  Hinrich- 
tung übergeben;  sein  Bruder  Monasus  wird  in  sein  Amt    eingesetzt. 

Mesopotamia  wird  bei  der  Berenice,  Tochter  des  Königs  von 
Aegypten,  zu  der  sie  geflohen  war*},    von   dem    verfolgenden  Sakas 


1)  Das  in  dem  Vaticanischen  Palimpsest  erhaltene  Fragment  (Hercher, 
Erol.  n  p.  LXIV — LXVI)  enthält  Stücke  einer  heftigen  Anrede  der  eifer- 
süchtigen Sinonis  an  Rhodanes,  die  Erzählung  ihrer  Flucht,  Ermahnung  des 
Soraechus  an  Rhodanes,  selbst  zurückzubleiben,  die  Verfolgung  der  Sinonis 
dor^h  Soraechus,  Stücke  einer  Unterredung  zwischen  diesen  Beiden.  —  Die 
Scene  geht  in  der  Nacht  vor  sich:    Z.  24:  (pafAcbv  liä.  Tfjc  9eX'/)v7]c,   Z.   33: 

2)  Scenen  bei  Setapus:  fr.  8*.  Auf  Sinonis,  welche  nach  Ermordung 
des  Setapus  weitereilt,  beziehe  ich  fr.  24 ;  auf  die  Tödtung  des  Setapus  fr. 
82   (p.   220,   46—47.) 

3)  Ich  erinnere  mich  nicht,  ob  in  antiken  Uebcrliefeningen  von  der 
Sitte  orientalischer  Könige,  bei  freudigen  Ereignissen  alle  Gefangene  loszu- 
geben, die  Rede  ist.  Häufig  kommt  aber  dergleichen  in  orientalischen  Er- 
zählungen vor;  so  werden  die  Gefangenen  freigegeben,  als  dem  König  von 
Persien  ein  Sohn  geboren  wird:  4  001  Nacht  N.  266  (VI  89  d.  Breslauer 
Uebers.),  als  dem  Kbalifen  von  Bagdad  ein  Kind  geboren  ist:  ebendas.  N. 
548  (XIH  20) ;  auf  eine  Siegesnachricht  hin :  ebend.  N.  962  (XV  28) ;  um 
den  Himmel  günstig  zu  stimmen:  1001  Tag,  Tag  131  (Gab.  des  f^es  XV 
4S5  f.)  —  Vgl.  Firdusi  in  Grtrres*  Heldenb.  v.  Iran  II  p.  21. 

4)  Und  welche  sie  mit  einer  Art  lesbischer  Liebe  behelligt  zu  haben 
scheint:  p.  227,   31.   32. 


—    374     — 

ergriffen  und,    als  Sinonis,    mit  Eüphrates  zusammea  lum  Garmus 
geschickt. 

Der  Goldschmied  miiss  in  einem  Briefe  dem  Garmus  meldeni 
dass  Sinonis  entflohen  sei;  er  wird  hingerichtet ,  die  nach  der  an- 
geblichen Sinonis  ausgeschickten  Wächter,  sammt  ihren  Weibern 
und  Kindern,  lebendig  begraben.  Ein  hyrkanischer  Hund,  dem 
Rhodanes  gehörig,  frisst  in  jenem  einsamen  Hause  zuerst  die  Leiche 
des  Sclaven  völlig  auf,  dann  die  des  von  Jenem  ermordeten  Mäd- 
chens zum  Theil.  Der  Vater  der  Sinonis  kommt  darüber  zu,  erkennt 
den  Hund  des  Riiodanes,  hält  den  verstümmelten  weiblichen  Leich- 
nam für  den  der  Sinonis,  tödtet  den  Hund,  gräbt  die  Leiche  ein, 
schreibt  auf  das  Grab:  »Hier  ruht  die  schöne  Sinonis«,  und  er- 
henkt sich  selbst.  Rhodanes  und  Soraechus  kommen  in  jenes 
Haus  und  sehen  das  schreckliche  Schauspiel.  Als  Rhodanes  die 
Grabschrifl  liest,  bringt  er  sich  eine  Wunde  bei,  schreibt  mit  dem 
hervorströmenden  Blute  dazu  » und  Rhodanes  der  schöne « ,  und  ist 
eben  im  Begriffe,  sich  den  Todesstoss  zu  geben,  während  Sorae- 
chus sich  anschickt,  sich  aufzuhängen  —  als  plötzlich  die  Tochter 
des  Landmanns  hereinstürzt.  Sie  ruft :  » die  Todte  ist  ja  gar  nicbl 
Sinonis,  o  Rhodanes«,  zerhaut  den  Strick,  an  welchem  Soraedius 
sich  erhängt  hat,  entreisst  dem  Rhodanes  das  Schwert,  und  enäblt 
den  Vorgang  von  der  Ermordung  des  Mädchens,  dessen  Zeugin  sie 
gewesen  war.  Sie  sei  zurückgekehrt,  um  einen  vergrabenen  Scbati, 
von  dessen  Versteck  sie  damals  gehört  hatte,  zu  heben  ^); 

Sinonis,  freigelassen,  eilt  alsbald  wieder,  rachgierig,  nach  dem 
Hause  des  Landmannes.  Von  dem  gegenwärtigen  Aufenthalt  der 
Tochter  unterrichtet,  geht  sie  zu  dem  einsamen  Hause  und  tritt  eben 
ein,  als  jene,  von  Soraechus,  der  einen  Arzt  holt,  allein  mit  Rho- 
danes gelassen  ^j ,  dessen  Brustwundc  zu  heilen  sucht.  Wüthend 
stürmt  sie  auf  die  Nebenbuhlerin  ein.  Rhodanes  gewinnt  soviel 
Kraft,  um  ihr  das  Schwert,  das  sie  in  Händen  trägt,  zu  entwin- 
den^] ;  sie  eilt  wüthcnden  Laufes  davon  und  wirft  dem  Rhodanes 
nur  noch  die  Worte  zu :  » ich  lade  Dich  noch  heute  zu  meinei 
Hochzeit  mit  Garmus  ein!«  Soraechus  kehrt  bald  darauf  zurück,  ei  J 
tröstet  den  Rhodanes,  dessen  Wunde  besorgt  wird,  und  die  Tochtei 
des  Laudmanns  kehrt  mit  dem  erhobenen  Schatze  zu  ihrem  Vatei 
zurück. 

Vor  den  Garmus  werden  Euphrates,   als  Rhodanes,    und 
potamia  als  Sinonis  geschleppt,    ebenso   auch  der   richtige  Rhodane^^^ 
und   Soraechus.     Die  ralschlich  für  Sinonis  ausgegebene  Mesopotamia 


1)  Eine  Anzahl  Bruchstücke  aus  diesen  Scenon :  den  Selbstmordver  - 
suchen  des  Rhodanos  und  Soraechus,  der  Dazwiscbenkunft  der  Tochter  de  ^ 
Landmanns,  ihren  Erzählungen :  fr.  4  0"^.  In  die  Erzählung  der  Tochter  de^^ 
L.  gehört  wohl  fr.  i9. 

2)  Fr.  32:  hierher  mit  Recht  bezogen  von  Chnrdon  de  la  Rochette  p.  85. 19* 

3)  Fr.  20. 


—    375    — 

• 

wird  zur  Hinrichtung  am  Ufer  des  Euphrat  dem  Eunuchen  Zobaras  ^) 
übei^eben;  der  aber  verliebt  sich  in  sie  und  überbringt  sie  der 
Berenice*),  welche  mittlerweile  ihrem  verstorbenen  Vater  auf  dem 
ägyptischen  Throne  nachgefolgt  war.  Berenice  will  die  Freundin 
veriieirathen ;  Garmus  kündigt  ihr  den  Krieg  an.  —  Euphrates  wird 
seinem  eignen ,  zum  Henker  gemachten  Vater  übergeben ;  erkannt, 
übt  er  statt  des,  somit  von  Menschenblut  rein  erhaltenen  priester- 
lichen Vaters,  dessen  blutiges  Amt  aus.  Die  Tochter  des  Land- 
niannes,  von  der  mittlerweile  an  den  König  von  Syrien  verheirathe- 
len  Sinonis  aus  ihrem  Vaterlande  aufgehoben«  wird  verurtheilt,  dem 
Henker  beizuwohnen.  Sie  wird  dem  Euphrates  zuertheüt;  der  ver- 
lässt  aber,  in  ihre  weiblichen  Gewänder  verhüllt,  statt  ihrer  den 
Henkerhof,  während  sie  an  seiner  Stelle  zurückbleibt. 

Soraeclius  wird,  zur  Kreuzigung,  geführt  auf  jene  Wiese,  wo 
einst,  am  Anfang  ihrer  Abenteuer,  die  Liebenden  gerastet  hatten. 
Ein  Trupp  entlassener  und  darum  zorniger  alanischer  Söldner  3)  des 
Garmus  befreit  den  Soraechus.  Dieser  erhebt  den  auf  jener  Wiese 
verborgenen,  von  Rhodanes  einst  entdeckten  und  dem  Soraechus 
kurz  vor  seiner  Hinrichtung  kund  gemachten  Schatz  unter  Anwen- 
dung von  allerlei  Künsten.  Er  weiss  die  Alanen  zu  überreden, 
<]ass  er  dies  und  Andres  unmittelbar  von  den  Göttern  erlernt  habe : 
und  nach  und  nach  machte  er  sich  ihnen  so  wichtig,  dass  sie  ihn 
2EU  ihrem  Könige  erwählten:  worauf  er  mit  ihnen  ein  Heer  des 
Oarmus  bekämpft  und  besiegt.  »Aber  dieses  später«  setzt  Photius 
binzu. 

Zur  gleichen  Zeit  wie  Soraechus  wird  auch  Rhodanes  zum 
Tode  geführt ;  Garmus  selbst,  bekränzt,  trunken,  tanzt,  von  FlÖlen- 
fcläserinnen  begleitet,    um  das   an   derselben   Stelle   wo    einst   schon 


1)  Dass  Zobaras  ein  Eunuch  war,  sagt  Photius  nicht,  wohl  aber 
Fuldas  s.  ''Idfj.ßXtyo;  *  outoc  Xl^et  irepl  Zoßapä  toü  e'jvo6you,  toü  ipaorou  r^c 
Bleaororafilo^  rTjc  eueiSeord'nQC-  Es  scheint  darnach,  als  ob  von  diesem  Zo- 
iMiras  noch  etwas  besonders  merkwürdiges  erzählt  worden  wäre.  Vielleicht 
ist  der  Ausdruck  des  Photius  p.  229,  2:  Zoßdpa;,  dTrÖTTTjY'^c  ^pcoTtxTjc 
ictov  wörtlich  zu  nehmen  und  nicht  als  blosse  Redeblume  (mit  Ch.  de 
la  Rocbette  p.  85);  dergleichen  ja  auch  Photius  in  seinen  Auszügen  nicht 
anzubringen  pflegt. 

2)  ^  "Tfi  ^v  xal  dl<peX6(jLevoc  p.  229,  5  (dvcXopivT]  will  Ch.  de  la  Roch, 
p.  86  A.  87  mit  einem  starken  Schnitzer  schreiben).  Nicht  Zobaras,  son- 
dern Sakas  hat  die  Mes.  der  Berenice  abgenommen :  p.  227,  82.  Schreibe 
also:  ii  ffi  r^s  xal  Zebiac  d^cX. 

3)  Die  Alanen  wurden,  so  scheint  es,  zuerst  zu  der  Zeit  des  Jam- 
blichus  den  Bewohnern  des  Reiches  recht  bekannt  (Luc.  Toxar.  54  u.  s.  w. 
Genannt  werden  sie  zuerst  bei  Plin.  n.  h.  IV  §  80:  Zeuss,  Die  Deutschen 
Q.  i.  Nacbb.  704).  Antoninus  Pius  sowohl  als  Marc  Aurel  führten  Kriege 
gegen  dieselben. 


einmal  Rhodanes  gekreuzigt  werden  sollte,  aufgerichtete  Kreuz,  an 
welches  Rhodanes  geschlagen  wird. 

Da  kommt  plötzlich  ein  Brief  des  Sakas  an,  welcher  dem  Gir- 
mus  die  bevorstehende  Hochzeit  der  Sinonis  mit  dem  jungen 
König  von  Syrien  meldet.  Rhodanes  ist  erfreut ;  Garmus  will  sich 
umbringen,  besinnt  sich  aber,  lässt  den  Rhodanes,  wider  dessen 
Willen  ^)  ,  vom  Kreuze  abnehmen ,  und  schickt  ihn  als  Feldherm 
gegen  den  syrischen  Nebenbuhler,  indem  er  zugleich  dem  Unter- 
feldherm  den  heimlichen  Auftrag  giebt,  im  Falle  des  Sieges  und 
der  Ergreifung  der  Sinonis  den  Rhodanes  umzubringen. 

Rhodanes  aber  siegt,  und  erringt  sich  die  Sinonis  und  wird 
König  in  Babylon.  Und  so  hatte  es  auch  ein  Vogelwahrzeicben  vor- 
aus verkündigt. 


Nach  der  Mittheilung  des  wesentlichen  Inhaltes  dieser, 
gegen  das  Ende  hin  offenbar  immer  hastiger  springenden^ 
Inhaltsangabe  des  Photius^  darf  dem  Leser  das  Urtheil  über  den 
Roman  des  Jamblichus  selbst  überlassen  werden.  Es  wird 
ihn  j  nach  allem  Vorausgeschickten,  nicht  befremden,  hier  eine 
Verkettung  lauter  durchaus  äusserlicher  Erlebnisse  zu  erblickeni 
in  welchen  der  Dichter  förmlich  bemüht  scheint,  der  Nöthigung 
zu  einer  psychologischen  Entwickelung  innerlicher  Kämpfe  im 
eigentlichen  Sinne  zu  entlaufen.  Das  liebende  Paar  erlebt 
offenbar  innerlich  nichts,  nichts  von  den  heldenmüthigen 
Kämpfen  und  Siegen  eines,  aller  Welt  zum  Trotze  einigen  und 
entschlossenen  Paares,  nichts  von  jenen  verzehrenden  Qualen 
welche  in  einer  unglücklichen  Liebe  das  innerste  Herz  er- 
schüttern und  aufreiben.  Beide  scheinen  als  solche  Scha- 
bloncncharaktcre  gehalten  gewesen  zu  sein,  wie  sie  uns  bereits 
aus    Antonius   Diogenes   bekannt    sind,    welche    äusserlich  das 


1)  Hierher  ziehe  ich  (Phot.  p.  i30,  S  f.)  fragra.  H  •. 

2)  Aus  der  Hast  des  Photius  gegen  Endo  seines  Auszuges  hin  erklttren 
sich  wohl  einige  völlig  unvermittelte  Züge  in  den  letzten  Abschnitten  des- 
selben. Man  erfährt  z.  R.  nicht  den  näiieren  Hergang  bei  der  Ergreifung 
des  Rhodanes  und  Soraechus  Ip.  228,  «7),  bei  der  ganz  unerwartet  ein- 
tretenden Verlobung  der  Sinonis  mit  dem  jungen  König  von  Syrien  (p.  Si9, 14. 
19) ;  ebenso  werden  die  entscheidenden  Kämpfe  des  Garmus  mit  den  Alanen 
unter  Führung  des  Soraechus,  des  Rhodanes  mit  dem  König  von  Syrien 
und  darnach  mit  Garmus  selbst  doch  allzu  hastig  abgethan.  Alle  diese 
Sprünge  wird  man  sich  gewiss  mit  grösserem  Recht  aus  der  Ermüdang 
des  Photius  als  aus  einer  gegen  das  Ende  hin  eiliger  werdenden  Erztfhlungs- 
weise  des  Jamblichus  selbst  erklären. 


-     377     _ 

Woodeiiichste  erfahren,  innerlich  aber  eigentlich  nichts  erleben 
können.  Selbst  wo  einmal  Sinonis  in  blutdürstiger  Eifersucht 
aufflammt,  beruht  doch  Alles  nur  auf  Missverständnissen,  welche 
rein  äusserliche  Zufalle  immer  aufs  Neue  nähren  mtlssen. 

In  diesem  äusserlichen  Wesen,  der  innerlichen  Leere  aller 
dieser,  eben  darum  so  bunten  Abenteuer  ist  dieser  älteste  Ro- 
man der  Sophistik  den  Vorbildern  der  modernen  Romandich- 
lUDg  völlig  entgegengesetzt,  desto  näher  verwandt  aber  mit 
jenen  frühesten,  eigentlich  so  zu  nennenden  Liebesromanen  der 
modernen  Gesellschaft,  welche  im  siebzehnten  Jahrhundert  in 
Frankreich  entstanden,  und  sich  zum  Theil  sehr  unbefangen  an 
Jamblichus  selbst  anlehnten  ^).  —  Möchten  aber  diese  Abenteuer 
doch  rein  äusserlich  ergötzlich  sein ,  wenn  sie  nur  einen  ge- 
naueren, ursächlichen  Zusammenhang  unter  einander  hätten. 
Aber  in  dieser  langen  Reihe  verwirrend  bunter  Erlebnisse  folgt 
wohl  ein  Ereigniss  auf  das  andere,  aber  nirgends  nimmt  man 
wahr,  dass  eines  aus  dem  andern  nach  innerer  Nothwendig- 
l^eit  erfolge ;  es  fehlt  an  jedem  künstlerischen  Aufbau  des  Gan- 
len,  welcher  ohne  einen  innerlichen  Zusammenhang  der  einzel- 
nen Glieder  nicht  denkbar  ist,  es  fehlt  an  aller  Steigerung  des 
hileresses,  es  fehlt  daher  an  jeder  Uebersichtlichkeit  der  rein 
vom  Belieben  einer  unberechenbaren  Tyche,    jener  obersten 


1)  Der  Roman  des  Jamblichus,  soweit  er  aus  dem  Auszuge  des  Photius 
l>ekannt  war,  ist  stark  benutzt  und  nachgeahmt  worden  in  der,  aus  der 
*^fonisbe«  des  Fräulem  de  Scudery  übersezten  »Afrikanischen  Sofonisbe« 
^©8  Philipp  von  Zesen  (Amsterd.  1646).  In  diesem  Roman  >ä erden  Kleo- 
^^es  und  Sofonisbe  unschuldig  des  Mordes  angeklagt  —  sie  übernachten, 
^i^heod,  in  einem  Grabmale  (öhnlich  übrigens  auch  in  einem  arabischen 
^«bosromane:  100<  Nacht  N.  247,  V  204  d.  Brest,  üebers.)  —  sie  ver- 
8ift«n  sich,  aber  ihr  Todestrank  ist  mit  einem  Schlaftrunk  verwechselt 
*onden;  sie  erwachen  wieder,  —  sie  werden  bei  einer  allgemeinen  Entlassung 
*Uc»r  Gefangenen  ebenfalls  freigelassen.  —  Sofonisbe  wird  einmal  als  todt 
**®*rauert,  weil  man  ein  Grabmal  mit  ihrem  Namen  findet.  In  all  diesen 
2*igen  Hegt  eine  Nachahmung  des  Jamblichus  (p.  223,  3  ff.  —  p.  223,  24  f., 
H  «r.  — p.  218,  38  fr.  —  p.  227,  2<  flf.  —  p.  228,  6  ff.)  auf  der  Hand.  Vgl. 
^**olevius,  Die  bedeutendsten  deutschen  Romano  des  <7.  Jahrhunderts 
^^-  4866)  p.  31.  —  Der  höchst  bedeutende  Einfluss  des  griechischen  Liebcs- 
'^öaanes  auf  die  ganze  Enlwickelung  der  modernen  französischen  Roman- 
'l^chlnng  des  47.  und  auch  noch  des  18.  Jahrhunderts  wäre  einmal  mit 
^^t^nr  Einsicht  darzulegen. 


—     Z7»    - 

Göttin    der    spätgriechischen  Romane  hervorgerufenen   und  an 
einander  geschobenen  Ereignisse^]. 

Was  die  Erfindung  dieser  langen  Reihe  von  Abenteuern 
betrifTt,  so  bemerken  wir  in  ihr  nichts  als  eine  Weiterbildung 
des  bereits  von  Antonius  Diogenes  ausgeprägten  Typus  der  Ro- 
manerzählung.  Ein  Liebespaar,  von  einem  gefährlichen  Feinde 
verfolgt,  ruhelos  durch  die  Länder  irrend ;  Verfolger  und  Ver- 
folgte immer  hinter  einander  herjagend;  wechselnde  Unglücks- 
fälle, je  seltsamer  desto  besser;  Steigerung  der  Noth  bis  lum 
höchsten  Puncto,  und  immer  wieder  eine  unerwartete,  zuQülige 
Errettung  im  letzten  Augenblick;  zuletzt  der  Triumph  der 
Tugend  und  ein  Ende  in  voller  Glückseligkeit.  Ich  braudie 
hierbei ,  nach  dem  früher  Ausgeführten ,  nicht  länger  zu  ver- 
weilen. 

Im  Einzelnen  zeigt  sich  eine  gewisse  Dürftigkeit  der  Er- 
findung, welche  einzelne  Motive  (z.  B.  den  Scheintod  des  Pluh 
res,  die  Verwechslung  mit  ganz  Unbetheiligten)  sogar  mehrere 
Male  verwenden  muss.  Jamblichus  behauptete,  nichts  als  eine 
jener  d  babylonischen  Erzählungen  a  wiederzugeben,  welche  sein 
weiser  babylonischer  Lehrer  ihm  überliefert  habe  ^) ;  er  hielt 
an  der  Fiction  der  Urkundlichkeit  seiner  Berichte  fest,  welche 
die  Anfänge  frei  erfundener  Dichtungen  wohl  überhaupt  be- 
zeichnet, und  uns  auch  bei  Antonius  Diogenes  entgegen  trat. 
Ernstlich  beabsichtigte  er  wohl  schwerlich,  mit  diesem  Vo^ 
geben  irgend  Jemand  zu  täuschen;  man  darf  aber  vielleicht 
glauben,  dass  er  eine  acht  orientalische  Localfarbe  seinen  Er- 
zählungen gegeben  zu  haben  meinte.  Eben  darum  schob  er 
wohl  seine  Abschweifungen  über  babylonische  TempelsitteDf 
magische  Künste,  die  Gewohnheiten  des  babylonischen  Henkers* 
knechtes,  den  prachtvollen  Aufzug  des  babylonischen  Königs 
ein^).     Die  Gegenden  des  mittleren  Asiens,  in  welchen  er  seine 

1)  Erwähnt  wird  die  Tyche  in  den  uns  erhaltenen  Bruchstückeo  oar 
einmal,  in  dem  Bruchstück  einer  Eifersuchlsscene :  Hercher,  Erot.  U 
p.  LXV,  14:  Soraechus  zu  Sinonis:  d(ii^oTlpo'JC  b\käQ  ^(>xö»,  iicstntp  iiA 
{{jTzbf)  Tfj;  T'jy-qz  iWÖtjv  Ojaiv  nazi^p.  (so  die  Hs. :  Hercher,   Hermes  1  IM)« 

2)  Schol.  cod.  A.  Phol.  p.  72  Bk. :  —  Tpo?peit;-BaßuXAvio;-BaPüXa»vl«N 
Tc  y\Sia9a>i  xal  ^^  xal  Xöfou;  firraöiSaaxei  (autdv),  ms  Iva  täv  Xi^«^ 
eivaC  cp7]9t  xal  8v  vOv  dvaYpdi^et. 

3)  In  diesem  letzten  Stücke:  r.tpi  irpo6oou  toü  BaßiiXarvUnv  ßaoiXIsC 
[Hercher,    Erot.  H  p.  LXVl  f.,   Hinck,   Polemon.    decl.   p.  49— «f)  bleibt 


—    379    — 

Geschichte  hauptsächlich  spielen  lässt,  musste  er  wenigstens 
aus  eigener  Anschauung  kennen.  Vielleicht  xnag  wirklich  einige 
ächte  Yolksttberlieferung  einigen  Stücken  seines  Romans  zu 
Grunde  liegen;  freilich  blieb  der  ächte  Sophist  sich  in  allen 
Gegenden  der  Welt  gleich :  in  der  künstlichen  Welt  seiner  rhe- 
tori^hen  Abstractionen  verharrend,  nahm  er  von  dem  Leben 
und  den  Menschen  seiner  eigenen  Umgebung  und  Gegenwart 
kaum  eine  andere  Kunde  als  von  der  fernsten  Vergangenheit, 
nämlich  eine  gelehrte.  Immerhin  fehlen,  selbst  in  dem  dürren 
Auszuge  des  Photius,  nicht  alle  Spuren  einer  Anlehnung  des 
Jamblichus  an  volksthümliche,  im  Orient  weit  verbreitete  Sagen 
und  Märchen :  worauf  ich  in  den  Anmerkungen  gelegentlich 
hingewiesen  habe.  An  das  Märchen  erinnert,  mehr  als  an  mo- 
derne Romane,  auch  sonst  noch  gar  manches  in  dieser  Rette 
wunderlicher  Abenteuer;  nicht  am  Wenigsten  die  kindliche 
Unbefangenheit,  mit  der  z.  B.  ein  König  des  babylonischen 
Reiches  zum  Zeitgenossen  einer  Königin  von  Aegypten  mit  dem 


noch  manches  Einzelne  zu  corriglren.  So  ist  p.  50,  i\  (Hinck) :  Tp(-/e;  hi 
xin  TiCTtcov  oiiXai  oiaicX^ovxat  xaddfTrep  TcXtSxafxoi  fjsonx&s  xtX.,  statt  ouXat 
okine  allen  Zweifel  zu  schreiben:  o6paiat,  »die  Haare  des  Schwanzes«, 
im  Gegensatz  zu  den  erst  später  erwähnten  Haaren  der  Mähne,  p.  50,  t7. 
S8  Ist  vielleicht  zuschreiben:  BtoaoxeTai  oi  xal  ^u^ixt^etv  dauTÖ^^  xal  xaxd 
«^■^ifia  ßaBttciv  (xc)  xal  Tai;  ^lalv  ^jjioelv  u.  s.  w. :  jedenfalls  ist  zu  dem  : 

Tat;  ptolv  dfATT^slv Y^^P^^'^  ^^^^  nähere  Bestimmung,  des  Inhaltes : 

»mit  Anstand  und  Kunst«  (und  das  besagt  eben  xaxä.  «x^fioi)  erforderlich, 
denn  überhaupt  mit  der  Nase  zu  schnauben,  aus  den  Augen  zu  blicken 
u.  s.  w.  braucht  doch  das  Pferd  nicht  erst  zu  lernen  [aus  xal  [rjaxd]  ^fi\M 
[Pa]((C€tv  wurde  in  leicht  erkennbaren  Uebergängen  xal  9^7]|jLaT(Ceiv).  p.  49,  32 
schreibe:  —  IpYou.  ol  (x^vtoi  itcCot  xtX.  Die  Trejol  bilden  einen  Gegen- 
satz zn  den  vorher  ennrähnten,  voranreitenden,  vornehmen  {iticeic  (Z.  SO); 
unmöglich  können  sie,  wie  bei  der  gewöhnlichen  Lesart  geschieht,  als  eine 
Unterabtheilung  derselben  aufgeführt  werden.  —  p.  60,  7:  töiv  hk  eU 
TCOftir^v  '^axiQp.ivcDV  (Tttttcdv)  y  puooy  aXtvwv  ttc^vtcu'v  &9irep  e65ai(A(Svo>'v  "(Xh- 
vatx&v.  »goldgezäumt  wie  reiche  Frauen«:  das  ist  recht  wunderlich* 
Schreibe  y  puso^Xatvaiv  (vgl.  Äj^Xawo;,  fxeXdlYyXaivo;),  mit  goldenen  Gewän- 
dern (Decken,  was  ja  ^^XaTvai  auch  sind]  bedeckt,  wie  reiche  Frauen.  Zwar 
gehört  die  /Xatva  nicht  eigentlich  zur  Tracht  der  Weiber:  gleichwohl 
würde  sich  schwerlich  ein  anderes  Wort  auffinden  lassen,  welches  mit  der 
gleichen,  unserer  Stelle  dienlichen  Doppelbedeutung  ein  menschliches 
Kleidungsstück  und  eine  Decke  bezeichnet.  Mit  Purpurdecken  und  ge- 
streiften Gewändern  bedeckt  sind  auch  die  Prachtpferde  im  Aufzug  des 
persijicheu  Königs:  Xenophon  Cyrop.  VllI  8,  41.  46. 


—     380     — 

acht  griechisch-inacedonischen  Namen  Berenice  gemacht,  eine 
alanische  Söldnertruppc  in  die  Zeit  dieses  selben  Königs  ver- 
setzt wird  u.  s.  w. 

Die  Darstellungswcise  ist  selbst  aus  den  wesentlich  doch 
nur  den  Stichlichen  Inhalt  skizzirenden  Exceq)ten  des  Photius 
noch  einigermaassen,  ihrem  Wesen  nach,  erkennbar.  Die  eigent- 
liche ErzHhlung  scheint  3ich ,  in  einer  gewissen  trockenen 
Ktlrze,  auf  einen  Bericht  des  rein  ThatsHchlichen  beschränkt  zu 
haben.  Dies  darf  man,  glaube  ich,  daraus  schliessen,  dass  der 
tiberwiegenden  Mehrzahl  der  von  Suidas  ausgezogenen  Bruch- 
stücke ihre  Stellung  im  Verlauf  der  doch  nur  aus  einem  so 
knappen  Abriss  bekannten  ErzHhlung  sich  nachweisen  Idsst : 
dies  wäre  ein  unbegreiflicher  Zufall,  wenn  'die  Erzählung  selbst, 
sich  in  weiteren  Umschweifen  bewegend,  vieles  nicht  unmittel- 
bar zur  Sache  gehörige  berührt  hätte.  Während  also  in  der 
knapperen  und  gewisser  Maassen  eiligeren  W'cise  der  Erzäh- 
lung der  Boman  des  Jamblichus  mehr  demjenigen  des  Xeno- 
phon  von  Ephesus  als  etwa  dem  des  Heliodor  geglichen  haben 
wird,  gewann  derselbe  die  grosse  Fülle  seines  Umfangs  von  16 
(oder  gar  von  39)  Büchern  durch  eine  wahrscheinlich  sehr  be- 
trächtliche Anzahl  eingelegter  Stücke.  In  diesen  zumal 
scheint  sich  die  sophistische  Kunst  des  Jamblichus  gezeigt 
zu  haben :  in  ihnen  werden  die  Früchte  seiner  griechischen 
Studien,  durch  welche  er  selbst  ein  »guter  Bhetor«  geworden 
zu  sein  sich  dünkte,  sich  prangend  ausgelegt  haben.  Der  Rah- 
men der  Geschichte  musste  für  solche  lose  eingelegte,  beliebig 
auszudehnende  Beiwerke  tausend  Gelegenheiten  darbieten.  Da 
konnten  lange  gelehrte  Excurse  über  babylonische  Alterthümer 
eingeschoben  werden,  und  einige  dergleichen  bezeichnet  ja  auch 
Photius  ausdrücklich.  Zu  kunstreichen  Beden,  zu  zierlich  präch- 
tigen Beschreibungen  bot  sich  erwünschter  Baum:  wie  frei 
Jamblichus  hierin  schaltete ,  mag  daraus  abgenommen  werden 
dass,  während  die  kleinen  Bruchstücke  des  Suidas  sich  zum 
erheblichsten  Theil  an  ihre  gehörige  Stelle  rücken  lassen ,  wir 
für  die  drei  uns  erhaltenen  längeren  Einschiebsel  in  dem  Auszug 
des  Photius  nicht  mit  Bestimmtheit  auch  nur  die  Gegend  anzu- 
geben wissen,  in  welcher  sie  gestanden  haben  mögen.  Aus 
diesen  eingelegten  Stücken  nun  leuchtet  insbesondere  der  So- 
phist i  sehe  Charakter  der  Schriftstellerei  des  Jamblichus  her- 


—    381     — 

vor.  Antonius  Diogenes  war  auch  in  seinen  Abschweifungen 
wesentlich  Antiquar  geblieben,  dem  es  auf  eine  Zusammen- 
stellung wichtiger  und  interessanter  Thatsachen  ankam. 
Jamblichus  ergeht  sich  in  Abschweifungen  hauptsächlich  um 
der  anmuthigen,  kunstgerechten  Form  der  Darstellung  willen. 
Seine  Schilderung  des  Aufzuges  des  Königs  von  Babylon  gleicht 
in  der  gezierten  Form  des  Ausdruckes,  der  bunten  Mosaik  aus- 
erlesener Worte  am  Meisten  gewissen  verwandten  Abschnitten 
etwa  der  Aelianischen  Schriften ,  und  ist  wie  diese  vornehm- 
lich nur  ausgeftlhrt  um  der  Zierlichkeit  dieser  äusseren  Form 
willen.  Die  beiden  Reden  sind  vollends  ganz  und  gar  in  dem 
ächten  Tone  der  zahlreichen,  uns  erhaltenen  fingirlen  Gerichtsreden 
der  Sophistenschulen  gehalten.  Die  Erotik  selbst  mochte  zu 
mancherlei  Ethopöien  Anlass  bielen ,  in  welchen  diese  abstrac- 
ten  Liebenden  zu  reden  hatten,  wie  man  es  eben  an  den  Schul- 
modellen erlernt  hatte.  Der  Rest  einer  Eifersuchtscene  der 
Sinonis  imterscheidet  sich  in  nichts  von  dem  heftig  renommi- 
stischen Tone ,  den  wir  in  verwandten  Auftritten  der  übrigen 
sophistischen  Romane  vernehmen. 

2. 

Dem  Jamblichus  reihen  wir  zunächst  denXenophon  von 
Ephesus  an,  unter  dessen  Namen  uns  ein  Roman  »Ephesische 
Geschichten  von  Antheia  und  Habrokomes«  in  fünf  Büchern  er- 
halten ist.  Es  giebt  keine  äusserlichen  Gründe,  welche  uns 
berechtigten,  in  der  zeitlichen  Reihenfolge  diesen  Schriftsteller 
unmittelbar  hinter  Jamblichus  aufzuführen.  Seine  Person  ist 
uns  völlig  unbekannt:  ja  die  wiederholt  ausgesprochene  Ver- 
muthung  älterer  Gelehrten,  dass  mit  dem  Namen  eines  »ephe- 
sischen  Xenophon«  nur  irgend  ein  namenloser  Obscurant,  als 
mit  einem  willkürlichen  und  ziemlich  apspruchsvollen  Pseudo- 
nym, uns  äffe,  entbehrt  nicht  einer  gewissen  Wahrscheinlich- 
keit. Suidas  (oder  doch  wohl  noch  sein  Gewährsmann  Hesy- 
chius  lUustrius)  giebt  sich  den  Anschein,  diesen  Autor  als  Ver- 
lasser mehrerer  Werke  zu  kennen :  ausser  jenem  Roman  (der, 
nach  seiner  Angabe,  10  Bücher  umfasste)  schreibt  er  ihm  nocK 
ein  Werk  »lieber  die  Stadt  der  Epheser«  zu  »und  Anderes«. 
Wir  müssen  völlig   dahin   gestellt   sein   lassen ,    wieviel    Glaub- 


—    382     — 

Würdigkeit  diesen  Angaben  zukomme.  Für  uns  bleibt  die 
einzige  ächte  Quelle  der  Renntniss  dieses  wie  der  meisten 
übrigen  Romanschreiber  sein  Roman  selbst.  Man  möge  sich 
zunächst  eine  gedrängte  Uebersicht  seines  Inhalts  gefallen 
lassen. 

Buch  I.     Habrokomes,  der  Sohn  eines  vornehmen  Bürgers  von 
Ephesus  wurde,   um  seiner  unvergleichlichen  Schönheit  und  vollkom- 
menen geistigen  Ausbildung    wiUen,   von    den   Bürgern  seiner   Stadt, 
ja  von  allen  Bewohnern  der  Provinz  fast  wie  ein  Gott   verehrt.     Er 
selbst  wurde  dadurch  so  stolz,  dass  er  neben  sich   keine    Schönheit 
anerkannte  und  den  Eros,  als  ihm  gegenüber   machtlos,    verhöhnte. 
Eros,  erzürnt  über  den  spröden  Knaben ,  braucht  seine  Macht ,    um 
an  einem  Festzuge  der  Ephesier   zum  Artemistempel   in  Habrokomes 
eine  heftige  Liebe  zu  der  schönen  Antheia,  einer  ephesischen  Jung- 
frau,   zu    entzünden.     Antheia    wird    von    gleicher  Gluth    ergriflen; 
beide  leiden  eine  Zeitlang   in   schweigender   Sehnsucht.     Das   Orakel 
des  kolophonischen  Apoü  oflenbart  den  ängstlich   nach   dem   Grunde 
des   Leidens   ihrer   Kinder    fragenden   Elternpaaren   die   Ursache   der 
Krankheit,    giebt    die   sehr   einfache   Heilung   an,    fügt   aber   dunkle 
Weissagungen  langer  Irrfahrten  und  Leiden  des  Paares   hinzu,    wel- 
ches endlich  doch  »nach  Leiden  ein  froheres  Loos«  gewinnen  werde. 
Nun   wird    die   frohe   Hochzeit   des   schönen   Paares   gefeiert.      »Ihr 
ganzes  Leben  war  ein  Fest.u     Aber   nach   kurzer   Zeit   schicken   die 
Eltern,   um  dem  Orakel  des  Gottes  zu  genügen,    das  junge  Ehepaar 
auf  Reisen.     Das  Schiff  trUgt  sie  zunächst  nach  Rhodus,    wo  sie  im 
Tempel    des  Sonnengottes    eine    goldene   Rüstung    als   Weihgeschenk 
hinterlassen.       Auf   der    Weiterfahrt    werden    sie    von    phönicischea. 
Seeräubern  unter  Führung  des  Korymbus  überfallen ;  unter  den  zanm. 
Verkauf  auf  das  Räuberschiff  Hinübergeschleppten  sind   auch  Habro — 
komes  und  Antheia.     Alsbald    ergreift   den   Kor^'mbus   heftige   Lieb^ 
zum  Habrokomes,  seinen  Raubgesellen  Euxeinos  eine  gleiche  Neigung 
zur   Antheia.     In   Tyrus,    oder  genauer  auf  dem,    nahe    bei   Tyras 
gelegenen  Besitzthum    des  Apsyrtus,    in    dessen    Dienste    die    ganzo 
Bande  stand^  angekommen  ängstigen  Beide   die   Unglücklichen   durd» 
Werbung,   welche  ein  Jeder  für  den  Andern  vorbringt. 

Buch  II.     Lebhafte  Klagen   des   bedrängten   Paares.     Zu   ihren 
Glück  fordert  Apsyrtus  gerade  sie,  durch  ihre  Schönheit  überrascht, 
für  sich;    in  Gesellschaft  zweier  ihrer  Sclaven,   Leukon    und  Rhode y 
lässt  er  sie  in  die  Stadt  T^tus  bringen.      In    seinem   Hause    verlieb^ 
sich  alsbald    seine  Tochter  Manto    in   Habrokomes ;  als  dieser  ihrem» 
durch  mündliche  Botschaft    der  Rhode    und    durch    einen  Brief   aa- — 
gebrachten  Liebeswerbungen  widersteht,  verklagt  sie  ihn  beim  Vater*» 
als  ob  er  ihrer  Ehre  nachgestellt  habe.     Apsyrtus  lässt  ihn  grausadCi 
züchtigen   und    in    ein   finsteres  Gemach   sperren:    die   Tochter  ab^^ 
vermählt  er  mit  einem  S)Ter,  Moeris.     Nach  Antiochia,   der  Heima€J> 


—     383    — 

ihres  neuen  Gatten ,  abreisend ,  nimmt  Manto  den  Xeukon  und  die 
Rhode,  aber  auch  die  unglückliche  Antheia  mit  sich.  Dort  ange- 
kommen lässt  sie  die  beiden  Sclaven  über  See  verkaufen^  die  Antheia 
aber  versucht  sie,  an  einen  tölpischen  Ziegenhirten,  Lampon,  zu 
verheirathen.  Gerührt  durch  ihre  Bitten  imd  die  ErzUhlung  ilirer 
Schicksale  schont  indessen  Lampon  ihrer  Ehre. 

Mittlerweile  hat  Apsyrtus,  durch  den  aufgefundenen  Brief  der 
Manto  aufgeklärt,  den  schuldlosen  Habrokomes  frei  gegeben,  ja  zum 
Verwalter  seines  Hauswesens  bestellt. 

Leukon  und  Rhode,  nach  Xanthus  in  Lycien  verkauft,  leben 
bei  ihrem  Herrn,  einem  kinderlosen  Greise,  wie  dessen  eigene 
Rinder. 

Manto,  von  dem  Hirten  auf  die,  diesem  mitgetheilte  Leiden- 
schaft des  Moeris  für  Antheia  aufmerksam  gemacht,  befiehlt  dem 
Hirten,  die  verhasste  Nebenbuhlerin  in  den  dichtesten  Wald  zu  füh- 
ren und  zu  tödten.  Abermals  durch  ihre  Klagen  gerührt,  tödtet 
indessen  Lampon  die  Antheia  nicht,  sondern  verkauft  sie  .an  Händ- 
ler, die  mit  ihr  nach  Cilicien.  fahren.  Das  Schiff  scheitert:  die  Ge- 
retteten, zu  denen  Antheia  gehört,  fallen  dem  Räuber  Hippothous 
in  die  Hände. 

Habrokomes  hat  den  Aufenthalt  der  Antheia  erfahren:  er  eilt 
zum  Lampon,  und,  von  diesem  über  die  wetteren  Schicksale  der 
Gattin  unterrichtet,  nach  Cilicien. 

Dort  ist  die  Räuberbande  eben  beschäftigt,  die  Antheia  an  einen 
Baum  zu  binden,  um  sie  durch  Pfeilschüsse,  dem  Ares  zum  Opfer, 
zu  tödten,  als  Perilaus,  ein  vornehmer  Cilicier,  mit  einer  grossen 
Schaar  von  Begleitenr,  sie  überrascht,  und  bis  auf  den  glücklich 
entfliehenden  Hippothous  die  meisten  niedermacht,  andere  gefangen 
nimmt  und  nach  Tarsus  führt,  darunter  auch  die  Antheia.  In  Tarsus 
trägt  er  der  schönen  Gefangenen,  die  er  lieb  gewonnen  hat,  seine 
Hand  an :  sie  schlägt  sie  nicht  aus ,  sondern  erbittet  sich  Hur  eine 
Frist  von  dreissig  Tagen.  — 

Habrokomes  trifiTt  dicht  bei  der  Räuberhöhle  in  Cilicien  auf  den 
Hippothous.  Dieser  trägt  ihm  sofort  Kameradschaft  an;  gezwungen 
willigt  Habrokomes  ein,  mit  ihm,  zu  weiteren  Raubthaten,  nach 
Kappadocien  und  Pontus  zu  ziehen. 

Buch  Ul.  Durch  Kappadocien  ziehend  kommen  sie  endlich 
nach  Mazakon.  Dicht  am  Thore  quartieren  sie  sich  ein,  um  einige 
Tage  zu  ruhen.  Beim  Mahle  erzählen  sie  sich  ihre  Geschichte. 
Zuerst  berichtet  Hippothous,  wie  er  in  seiner  Vaterstadt  Perinth 
einen  schönen  Knaben  Hyperanthos  leidenschaftlich  geliebt  habe. 
Ein  reicher  Byzantier  Aristomachus  kauft  den  Knaben ;  Hippothous 
aber  folgt  ihm  nach  Byzanz,  tödtet  den  Aristomachus  und  flieht  mit 
^m  Geliebten.  Bei  Lesbos  überfällt  ein  Sturm  das  Schiff;  Hyper- 
anthos kommt  im  Meere  um;  der  verzweifelte  Hippothous  setzt  ihm 
•in  Grabmal  und  wendet  sich  dann  dem  Räuberleben  zu.     Als  Hip- 


—    384     — 

• 

pothous  weiterhin  auch  jener  durch  Perilaus  ihm  entrissenen  Jung- 
frau gedenkt ,  erkennt  in  ihr  Habrokomes  seine  Antheia ;  von  ihm 
beschworen ,  beschlicsst  Hippothous ,  mit  dem  Freunde  gemeinsam 
sich  wieder  nacli  Cilicien  zu  wenden. 

Inzwischen  sind  die  dreissig  Tage,  welche  der  Autheia  zuge- 
standen waren ,  verflossen.  Die  Hochzeit  mit  dem  Perilaus  wird 
feierlich  begangen;  Antheia  aber  hat  sich  von  einem  in  Tarsus  an- 
wesenden ephesischen  Arzte  Eudoxus  ein  Giftpulver  ausgebeten;  als 
man  sie  nun  in  das  Brautgemach  geführt  hat,  trinkt  sie  in  einem 
Becher  Wasser  das  Pulver  und  sinkt,  mit  einem  letzten  Abschieds- 
seufzer an  den  fernen  Habrokomes^  um.  Perilaus  ist  untröstlich; 
da  man  die  Braut  für  todt  hält,  lässt  er  sie  mit  vielem  Pomp  in 
einem  Grabgewölbe  vor  der  Stadt  beisetzen.  In  der  Einsamkeit  er- 
wacht dort  Antheia :  der  Arzt  hatte  ihr  nur  ein  Schlafpulver  gegeben. 
Schon  beschhesst  sie,  nun  durch  Hunger  sich  den  ersehnten  Tod  zu 
geben:  da  erbrechen  Räuber,  nach  den  mitbeigesetzten  Kostbar- 
keiten lüstern,  das  Grab.  VV'ider  ihren  Willen  schleppen  sie  die 
Antheia  mit  sich  und  führen  sie  zu  Schiff  nach  Alexandria  in 
Aegyplen. 

Habrokomes  und  Hippothous,  nach  Tarsus  gelangt,  erfahren  von 
einer  Alten  die  Geschichte  des  Perilaus  und  seiner  Braut.  In  der 
Nacht  macht  sich  Habrokomes  allein  auf,  und  fährt  ebenfalls  nacb 
Alexandria. 

Dort  haben  die  Räuber  die  Antheia  an  Psammis,  einen  Indier, 
»einen  der  Könige  jenes  Landes«,  welcher  nach  Alexandria ^  gekom- 
men war  »um  die  Stadt  zu  besichtigen  und  um  des  Handels  willen«, 
verkauft.  Den  schändlichen  Absichten  des  »Barbaren«  weiss  Antheia 
auszuweichen,  indem  sie  ihm  erzählt,  sie  sei  noch  auf  ein  Jahr, 
nach  einem  Gelübde  ihres  Vaters,   der  Isis  heilig  und  geweiht. 

Das  Schiff  des  Habrokomes  war  in  der  Grenzgegend  von  Aegyp- 
ten  und  Phoenicien  gescheitert;  räuberische  Hirten  plündern  die 
Ladung,  binden  die  Mannschaft  und  verkaufen  sie  in  Pelusium. 

Habrokomes,  an  einen  ahen  abgedienten  Soldaten,  Araxus,  ver- 
kauft, wird  von  dessen  abscheulich  hässlicher  und  lüsterner  Frau, 
Kyno,  versucht.  Um  ihn  zu  besitzen,  ermordet  sie  den  Araxus;  da 
aber  Habrokomes  nun  erst  recht  voll  Abscheu  vor  ihr  flieht,  ver- 
klagt sie  denselben  als  Mörder  ihres  Mannes ;  als  solcher  wird  er 
gebunden  zu  dem  Pnifeclen  von  Aegypten  geschickt. 

Buch  IV.  Hippothous  mit  seiner  Bande  war  durch  Syrien  und 
Phönicien,  sengend  und  mordend,  nach  Aegypten  gezogen.  la  der 
Nähe  von  Koptus  machen  sie,  500  Mann  stark,  Halt,  um  die  nacb 
Aethiopien  ziehenden  Reisenden  auszuplündern. 

Habrokomes,  vom  Präfecten  in  Alexandria  ohne  weitere  Unter* 
suchung  zum  Tode  verurlheill,  wird  am  Ufer  des  Nils  an  ein  Krcai 
gebunden.  Der  Unschuldige  betet  zum  Sonnengott:  ein  Windstoss 
wirft  das  Kreuz  in  den  Strom.     An  den  Mündungen  des  Nils  fangen 


—    385    — 

die  Wächter  den  auf  seinem  Kreuz  stromabwärts  treibenden.  Habro- 
komes  wieder  auf.  Neu  zum  Feuertod  verurtheilt,  fleht  er,  bereits 
auf  dem,  am  Nil  errichteten  brennenden  Scheiterhaufen  stehend, 
abermals  zur  Gottheit :  Der  Nil  schäumt  über  und  erstickt  das 
Feuer.  Von  der  zweimaligen  wunderbaren  Rettung  unterrichtet,  be- 
fiehlt der  Präfect,  den  Gefangenen  einstweilen  in  den  Kerker  zurück 
zu  bringen. 

Psammis.  mit  seinem  Gefolge  nach  Aethiopien  ziehend,  wird 
von  der  Bande  des  Hipothous  überfallen ;  er  selbst  fällt ;  die  Antheia, 
welche  sich  auf  Befragen  für  eine  Aegypterin,  Namens  Memphitis, 
ausgiebt,  wird  von  Hipothous  nicht  wieder  erkannt,  sowenig  wie  sie 
selbst  ihn  wieder  erkennt. 

Habrokomes,  als  unschuldig  erkannt,  wird  von  dem  Präfecten 
(der  statt  seiner  die  Kyno  kreuzigen  lässtj  entlassen;  um  von  An- 
theia Kunde  zu  erlangen,   fährt  er  nach  Italien. 

Antheia,  von  einem  in  sie  verliebten  Räuber  von  der  Bande 
des  Hippothous,  Anchialus,  in  der  Nacht  überfallen,  erschlägt  den 
Frechen  mit  einem  Schwerte.  Am  andern  Tage  wird  sie,  als  Mör- 
derin des  Kameraden,  auf  Befehl  des  Hippothous,  lebend  in  eine 
mit  Balken  verdeckte  Grube  versenkt,  mit  ihr  zugleich  zwei  gewal- 
tige Hunde  ^) .  Der  sie  bewachende  Räuber ,  Amphinomus ,  fühlt 
Mitleid,  und  wirft  ihr  Brot  und  Wasser  in  die  Grube,  womit  sie 
sich  selbst  und  die  Hunde  am  Leben  erhält. 

Buch  V.  Habrokomes ,  vom  Winde,  statt  nach  Italien ,  nach 
Sicilien  getragen,  wohnt  in  Syrakus  bei  einem  alten  Fischer  Aegia- 
leus.  Diesem  erzählt  er  seine  Erlebnisse ;  der  Alte  erzählt  ihm  da- 
gegen, wie  er  in  seiner  Heimath  Lacedaemon  ein  Mädchen  Thel- 
xino<i  geliebt,  auch  bei  einer  Nachtfeier ^)  ihrer  Liebe  theilhaftig 
geworden,  endlich  aber,  da  die  Eltern  das  Mädchen  einem  Anderm,  dem 
Androkles,  verheirathen  wollten,  mit  ihr,  die  er,  in  der  Hochzeit- 
nacht selbst,  nach  altspartanischer  Sitte,  geraubt  und  in  Kleidung 
und  Haartracht  wie  einen  Jüngling  zugerichtet  habe,  nach  Korinth 
geflohen  und  von  dort   nach  SiciHen   gefahren   sei^).     Die   Lacedae- 


1)  Aehnlich  ist  es,  wenn  im  altrümischen  Recht  ein  Vatermörder  in 
einen  Sack  gesteckt  wurde  zugleich  mit  (anderem  Gethier  undj  einem 
Hunde :  vgl.  Grimm ,  D.  Rechtsalt.  p.  697  f.  (Ueber  lebendiges  Eingraben 
als  Strafe  für  Frauen  vgl.  ebendas.  p.  694). 

2)  Liebesbündnisse  bei  solchen  Tcawj^i^ec  waren  gewiss  häufig;  die 
neuere  Komoedie  Hebte  dieses  Motiv:  vgl.  Meineke  zu  Menander  Ploc. 
fr.  HI   (IV  p.   494.   4  91). 

3)  Die  Erzählung  ist  äusserst  unklar  V  4  ,  7 :  xa\  ^  ^OTe(Xa{jiev  iauToO; 

'VüxtC.  iccXdövxe;  ouv  xfjc  TtöXewc  ijeiptev  iiz  "Ap^o;  u.  s.  w.  Hercher,  ver- 
tnuthlich  an  dem  Abscheeren  der  Haare  »just  in  der  Hochzeitsnacht«  An- 
stoss  nehmend,  schreibt:  —  OeX;iv<T,c.  is  auT^  oüv  tiJ  täv  •(.  vjxtI  i^ßk- 
%4vcec    T^c    tt^Xeo»;   xtX.      Dadurch    wird    die    zweite    Hälfte'  des    Vorgangs 

Roh  de,  D«r  griechische  Roman.  25 


—     386     — 

monier  verurtheilten  die  Flüchtigen  zum  Tode ;  sie  aber  lebten  in 
dürftiger  Einsamkeit,  selig  in  ihrer  Vereinigung.  Vor  Kurzem  sei 
Thelxinoe  gestorben :  aber  er  bewahre  ihren  Körper,  auf  aegyptische 
Art  conservirt,  in  seiner  Hütte.  Wirklich  zeigte  er  dem  Uabrokooies 
die  Mumie:  ein  altes  Mütterchen ,  die  aber  dem  Alten,  nach  seiner 
Versicherung^  immer  noch  wie  ein  schönes  junges  Weib  erschieo, 
sein  Augentrost,   seine  Erquickung  nach  der  Last  des  Tages. 

Hippothous  zieht  mit  seiner  Bande  wieder  nach  Norden.  Der 
Wächter  der  Antheia,  in  sie  verliebt,  bleibt  heimlich  zurück,  zieht 
die  Unglückliche  aus  der  Grube  und  schwört  ihr,  sie  nicht  zu  be- 
rühren. Von  ihm  und  den  ganz  zahm  gewordenen  Hunden  begleitet, 
geht  sie  nach  Koptus. 

Die    Bande    des    Hipothous    wird    bei    Pelusium    von    Polyidus, 


deutlicher,    die    erste    aber   vollends    unverständlich.     Dann    müsste    man 
nämlich  annehmen,  dass  Aegialeus  der  Geliebten  die  Haare  schon  vor  der 
Hochzeitsnacht,    zu  irgend   einer  unbestimmten    Zeit,    abgeschoren    habe. 
Wenn  dies  der  Fall  war,   so  begreift  man   nur  gar  nicht,  wie  denn  eine 
solche   Entstellung  ohne  Aufsehen  habe  vor  sich  gehen   können,  wie  uns 
von   dem   Erstaunen  und   Unwillen  der  Eltern   und  des  Bräutigams  so  gar 
nichts  gesagt  werden  könne.     Man  wird  sich  vielmehr  (worauf  auch  Locella 
p.    260   hinweist)    zu   erinnern   haben,   dass  der  Vorgang  nicht  umsonst  in 
Sparta  spielt.    Ohne  Zweifel  liegt  in  den  Worten  des  Xen.  eine  Erinnerung 
an   die  bekannte  altsparlanische  Sitte  des  Brautraubes,  wobei  der  Jüng- 
ling die   Geraubte  von  der  Nympheutria  wie   einen  Mann  kleiden  und  ihr 
das  Haupthaar  abscbecren  Hess.     Vgl.  0.  Müller,  Dorier  H  278.     Vielleicbt 
wollte  er  nun   (wenn  die  La.  der  Hs.,   wie   ich   annehme,  richtig  ist)  den 
Greis  sagen    lassen:   an   dem  Abende,   an   welchem  Androkles,  nach  alter 
Sitte,   die   Braut   sich   hätte   rauben  sollen,   h  aOng  t^  xd>v  Yd{jioiv  snni:d, 
kam  ich  ihm  im  Raube  zuvor,   und  ich  war  es  daher  auch,  welcher 
die    (in    diesem    Falle    auch    für    die    Flucht   so   dienliche]    symbolische 
Scheerung  und   Verkleidung   vornahm.     Genau  so  macht   es,   in  dem  vob 
Herodot   VI   65   berichteten   Falle,  Demaretus:   er  gewinnt  sich  die  bereits 
dem   Leutychides   verlobte   Perkalos   cpOdoat  dprdoat  xai  oyoiv   -fjrmM. 
Anstatt  nun  aber  diesen  phantastischen  Vorgang  dadurch  in  das  rechte  Licht 
zu  setzen,  dass  er  deutlich  ausspräche,  wie  die  Scheerung  und  Verkleiduag 
der  Theixinoä  nur  ein  begleitender  Act  des  Raubes  derselben  wafi 
lässt  Xenophon  diese  Hauptsache,  ohne  sie  auszusprechen,    nur  errathen: 
und    daher    cutsteht    die    Unklarheit     seiner    Erzählung,     eine    Unklarheit 
übrigens ,  welche  vermuthlich  auch  in  seiner  eigenen  Vorstellung  von  dem 
ganzen   Acte  vorhanden   war,   und  wohl  daraufhinweisen  dürfte,  dass  er 
diese  anmuthige   Geschichte  von   dem  Aegialeus   und   der  Thelunoc;  einem 
älteren  Erzähler  nur  nacherzählte,  ohne  die  eigentliche  Bedeutung  jener 
so   wirkungsvoll   zur  Belebung  des   Abenteuers  dienenden   altspartanischen 
Sitte,   bei   flüchtiger  Benutzung   des   Vorgängers,    recht  begriffen  zuhaben 
und  in  rechtem  Sinne  selbst  hervorzuheben. 


—     387     — 

einem  Verwandten  des  Praefecten ,  angegriffen ;  Hippothous  allein 
entkommt  nach  Alexandria,  und  schitlK  sich  dort  nach  Sicilien  ein. 
Polyidus  zieht,  um  ganz  Aegypten  von  Räubern  zu  reinigen, 
stromaufwärts.  In  Koptus  wird  Ainphinomus  ergriffen  und  darauf 
auch  Antheia.  Diese  entgeht  den  Verfolgungen  des  Polyidus  nur 
dadurch,  dass  sie  in  Memphis  sich  in  den  Tempel  der  Isis,  die  sie 
bereits  vor  Psammis  gerettet  hat,  flüchtet.  In  dem  Heiligthum  des 
Apis  befragt  sie  das  dortige  berühmte  Orakel  nach  dem  Geschicke 
des  Habrokomes.  Die  vor  dem  Tempel  spielenden ,  und  des  Gottes 
Meinung  offenbarenden  Kinder  geben  ihr  den  tröstlichen  Bescheid 
einer  baldigen  Wiedervereinigung  mit  dem  Gatten.  Getröstet  zieht 
sie  weiter.  In  Alexandria  angekommen,  erregt  sie  die  Eifersucht 
der  Gemahlin  des  Polyidus :  durch  einen  ergebenen  Sclaven  lässt 
diese  sie  nach  Tarent  bringen  und  in  ein  Bordell  verkaufen. 

Mittlerweile  sass  Hippothous  in  Tauromenium ;  Habrokomes  war, 
um  Nachrichten  von  der  Gattin  zu  bekommen ,  nach  Italien  gekom- 
men ;  in  Ephesus  hatten  die  traurigen  Eltern  des  Paares  alle  vier 
sich  ums  Leben  gebracht;  Leukon  und  Rhode,  nach  dem  Tode  ihres 
Herrn  in  Xanthus  zu  dessen  Erben  eingesetzt ,  hatten  sich  auf  den 
Rückweg  nach  Ephesus  gemacht,  waren  aber,  da  sie  erfuhren,  dass 
in  Ephesus  weder  Habrokomes  und  Antheia  noch  deren  Eltern  an- 
zutreffen seien,   in  Rhodus  geblieben. 

Antheia,  vom  Kuppler  gezwungen ,  sich  Öffentlich  feilzubieten, 
heuchelt  einen  Anfall  der  sogenannten  »heiligen  Krankheit«,  welche 
sie  behauptet,  durch  einen  Schlag  auf  die  Brust  bekommen  zu  ha- 
ben, den  ihr  eines  Abends  das  Gespenst  eines  jüngst  begrabenen 
Mannes,  an  dessen  Grabmal  sie  vorüberging,   gegeben  habe^). 

Indessen   war  Habrokomes   nach   Nucerium   in  Unteritalien   ge- 


1)  Die  ganze  Erzählung  ist  sehr  merkwürdig  (V  7,  7.  8).  Bei  Gelegen- 
heit einer  festlichen  7:avvu)rU  von  den  Seinigen  abirrend  kommt  das  Kind  zu 
dem  Grabe  eines  jüngst  verstorbenen  Mannes:  da  springt  »Jemand«  aus 
dem  Grabe  hervor,  sucht  sie  zu  halten,  sie  schreit  und  flieht  (er  setzt  ihr 
Dach ,  darf  man  denken) ,  endlich  wird  es  Tag ,  da  schlägt  er  sie  auf  die 
Brust,  und  seitdem  ist  sie  krank.  —  Der  »Jemand«  ist  ohne  Zweifel  das 
Gespenst  des  Begrabenen:  er  wird  geschildert  als  ^(pd^vai  ^oßepöc,  cpcuv-^v 
^  7co}Xi^tiyz  yaXe7:u}T£pav  (vgl.  p.  372,  24);  wenn  er  dfvdpcuTcoc  genannt 
wird,  so  will  das  sicherlich  nur  sagen,  dass  er  einem  Menschen  ungefähr 
gleich  sah.  (So  beisst  z.  B.  der  Daemon,  welcher  in  einer  Erzöhlung  der 
Acta  Thomae  [c.  52  p.  230  Tischend.]  die  Seele  der  Scheintodten  durch  die 
Hölle  führt  dfv^pcuTio^  d1ztylJH^i  tiq  eio^^  fjiXa;  SXoc  u.  s.  w.)  Der  Schlag 
des  Gespenstes  auf  die  Brust  bewirkt  Krankheit,  wie  der  Elfenschlag  (vgl. 
Grimm,  D.  Myth.  429).  Vgl.  die  Gespenstergeschichte  bei  Petron.  p.  75, 
9.  40  ed.  Buecheler  (ed.  maj.).  Ueber  die,  von  den  [kd^oi,  xa^dprai,  dfOprai 
und  dXaCöve;  angegebenen  abergläubischen  Ursachen  der  Upd  vöao;  ein  sehr 
merkwürdiger  Bericht  bei  Hippocrates  I  p.  592  f.  ed.  Kühn:  darunter  auch 
-j^pdbnv  (Verstorbener]  ^fo5ot. 

25* 


—     388    _ 

kommea,   und  arbeitete ,    durch  Noth   gezwungen ,    bei   einem  Stein- 
metzen. 

Hippothous  hat  sich  in  Tauronieniutn  mit  einem  alten  Weibe 
verheirathet,  diese  dann,  da  sie  bald  starb,  beerbt  und  fahrt  nun 
auch  nach  Italien,  in  Begleitung  eines  schönen  Knaben,  Klisthenes. 
In  Tarent  kommt  er  gerade  darüber  zu ,  wie  der  Kuppler  die  für 
ihn  unbrauchbare  Antheia  auf  dem  Markte  verkauft.  Er  erkennt  sie 
(wiewohl  sie  ihn  nicht]  als  seine  ägyptische  Gefangene ,  kauft  sie 
und  erfährt  von  ihr  ihre  weiteren  Erlebnisse.  Auch  er  verliebt  sich 
nun  in  sie;  als  er  seine  Werbung  anbringt,  erzählt  sie  ihm  ihre 
wirkliche  Herkunft  und  ihre  Vermählung  mit  Uabrokomes.  Hoch 
erfreut,  die  Frau  des  nie  vergessenen  Freundes  diesem  bewahren 
zu  können,   forscht  nun  Hippothous  diesem  selber  nach. 

Habrokomes ,  der  harten  Arbeit  in  Nucerium  müde ,  hatte  sich 
nach  Ephesus  eingeschiflX.  Ueber  SiciUen  (wo  er  den  alten  Fischer 
gestorben  fand),  Kreta  und  Cypern  war  er  nach  Rhodus  gekommen, 
und  hielt  sich  dort,  der  früheren  Anwesenheit  eingedenk,  eine  Zeit 
lang  auf.  Eines  Tages  findet  er  im  Tempel  des  Sonnengottes,  neben 
jener  von  ihm  einst  dort  aufgestellten  Hüstung,  eine  Tafel  zu  seinem 
und  der  Antheia  Gedächtniss,  aufgestellt ,  wie  die  Inschrift  besagt, 
von  Leukon  und  Uhode.  Als  er  weinend  dasteht,  kommen  Leukon 
und  Rhode  hinzu ;  bald  wird  Habrokomes  erkannt ,  und  von  den 
treuen  Dienern  in  ihre  Wohnung  gebracht  und  dort  gepflegt. 

Auch  Hippothous  war  mit  Antheia  nach  Ephesus  aufgebrochen. 
Auch  sie  landen  auf  Rhodus ;  am  Tage  nach  ihrer  Ankunft  geht  An- 
theia in  den  Sonnentempel  und  hängt  zu  dem  alten  Weihgescbenk 
ihre  abgeschnittenen  Haare ,  mit  einer ,  die  Weihung  zu  Gunsten 
ihres  Gatten  bezeugenden  Inschrift.  Leukon  und  Rhode  finden  später 
diese  Inschrift  und  melden  dies  dem  Habrokomes.  Am  nächsten 
Tage  treffen  Leukon  und  Rhode  die  Antheia  selbst  im  Tempel  an. 
Sie  holen  den  Habrokomes  hinzu ,  und  die  Liebenden  haben  sicJi 
wieder.  Nach  einem  gemeinsamen  Freudenmahle  legen  sich  alle 
zur  Ruhe :  Habrokomes  und  Antheia  überzeugen  sich  gegenseitig, 
dass  sie  Beide  die  heilig  beschworene  Treue  einander  bewahrt 
haben. 

Am  andern  Tage  fahren  sie  Alle  nach  Ephesus,  ziehen  zuvör- 
derst in  den  Tempel  der  Artemis,  welcher  sie,  nach  Opfern  und  Ge- 
beten, Weihgeschenke  und  ein  Gemälde,  alle  ihre  Abenteuer  dar- 
stellend, darbringen.  Den  Eltern  errichtet  das  Paar  stattliche  Gtar 
her  »und  sie  selbst  lebten  fortan,  ihr  gemeinsames  Leben  wie  ein 
Fest  begehend«.  Leukon,  Rhode  und  Hippothous  blieben  bei  ihnen 
in  Ephesus. 


Es  ist  zunächst  klar^  dass  auch  aus  dem  hier  skizzirten 
Romane  des  Xenophon  selbst  eine  völlig  sichere  Bestimmung 
seines    Zeilalters   nicht    gewonnen  werden    könne:    es   ist   nicht 


—     389     — 

zu  verwundern ,  dass  die  Ansätze  der  Gelehrten  zwischen  dem 
zweiten  und  dem  fünften  Jahrhundert  hin  und  her  schwanken  ^) . 
Mir  scheinen  die  Gründe  für  eine  frühere  Ansetzung  zu  über- 
wiegen. Der  Roman  des  Xenophon  spielt  keineswegs  in  einer 
künstlich  restaurirten  fernen  Vergangenheit  (wie  die  Romane 
des  Jamblichus,  Heliodor,  Charilon) :  er  erwähnt  ganz  unbefan- 
gen des  Praefecten  von  Aegypten.  dergleichen  vor  Augustus 
gar  nicht  existirten,  sowie  eines  Eirenarchen  von  Cilicien^) ;  man 
sieht,  er  giebt  sich  durchaus  keine  Mühe,  seine  Erzählung  aus 
seiner  eigenen  Zeit  in  eine  phantastisch  angeschaute  Vergan- 
genheit zurückzuschieben.  Wenn  er  somit  seine  Personen 
schlechtweg  in  die  Zustände  seiner  eigenen  Zeit  hineinstellt, 
so  dürfen  wir  sicherlich  annehmen,  dass  die  besonderen  Einrich- 
tungen und  eigenthümlichen  Verhältnisse,  welche  in  seinem  Roman 
hieunddaausderfarblosenllnbestimmtheitderGesammtschilderung 
hervortreten,  nicht  aus  einer,  nur  auf  gelehrtem  Wege  erforschten 
Vergangenbeil,  sondern  aus  der  Gegenwart,  der  eigenen  Kennt- 
niss  und  Erfahrung  des  Xenophon  entnommen  seien.  Und  aus 
diesem  Gesichtspuncte ,  denke  ich,  gewinnen  allerdings  die 
Schilderungen  mancher  Oertlichkeiten  und  Sitten,  einige  durch- 
aus   ungezwungene   und    vom    Dichter    festgehaltene     specifisch 


1)  Nicht  vor  das  fünfte  Jahrhundert  setzt  den  X.  z.  B.  Chassang,  hist. 
du  roman  dans  Tantiq.  p.  423:  genügend  widerlegt  von  Nicolai  a.  0.  p.  82; 
ia's  4—5.  Jahrhundert  H.  Peter,  Schweiz.  Mus.  4866  p.  29  A.  41;  in  das 
Ende  des  zweiten,  oder  den  Anfang  des  dritten  Jahrhunderts  AI.  Em. 
Locella  in  der  Vorr.  s.  Ausg.  (Vindob.  4  796)  p.  VIFI  ff.;  in  das  zweite 
Jahrhundert  Jacob  Burckhardt.  Const.  d.  Gr.  p.  224,  mit  Berufung  auf  den 
Artikel  X6n.  TEph^sien  in  der  (mir  hier  nicht  zugänglichen)  Biographie 
universelle.  Beiläufig  will  ich  doch  auch  hervorheben,  dass  ich  die  Aus- 
gabe des  X.  E.  von  Hofmann  Peerlkamp  (Hartem  4  84  8)  nicht  benutzen 
konnte.  Ich  citire  durchweg  (nach  Capiteln  und  Paragraphen ,  oder  nach 
Seiten-  und  Zeilenzahl)  nach  Horchers  Au.sgabe. 

2)  h  rfjc  AJ^Otttou  TÖT6  dtp/oiv  IH  42,  6;  6  oip^wv  Tfjc  A{-(6ircoü  IV  2,  4 
u.  s.  w.  Das  ist  der  richtige  Ausdruck  für  den  praefectus  Aegypti: 
vgl.  Marquardt,  Rom.  Staatsverw.  (4873)  I  p.  286,  2.  Derselbe  residirt  in 
Alexandria  (IV  4,  4):  s.  Marquardt  p.  287,  4.  —  Eirenarch:  6  Tfj; 
clpf^vT)«  tFJ;  hi  KiXixfa  Ttpocorcfe;  p.  358,  9  (vgl.  Locella  p.  IX),  p.  870,  6: 
dtpyecv  ^yc  ipoxo  vVjI^tj  Tfj;  etp-^ivt)«  ttj;  dv  KiXixb:  so  wurde  auch  in  Smyrna 
der  Eirenarch  nach  Wahlen  der  Bürger  vom  Statthalter  ernannt:  Aristides 
I  p.  523  Dind.  (vgl.  Massen  in  Dindorfs  Aristides  vol.  III  p.  CXXVII  f. ; 
Marquardt  a.  0.  p.  524). 


—     390    — 

antike  Yorstellungsarlen  insofern  einiges  Gewicht,  als  sie  uns 
denselben  als  einen  Zeilgenossen  der  letzten,  von  christlichem 
Einflüsse  noch  völlig  unberührlen  Zeiten  des  rein-griechischen 
Heidenthums  erscheinen  lassen.  Locella,  der  um  die  Erklä- 
rung des  Xenophon  nicht  unverdiente  Herausgeber  dieses  Ro- 
mans weist  mit  Hecht  darauf  hin,  dass  die  Art,  in  welcher 
Xenophon  der  Stadt  Kphesus  und  ihres  berühmten  Artemis- 
Tempels  erwähne ,  sehr  walirscheinlich  mache ,  dass  derselbe 
seine  Erzilhlung  vor  der  Verwüstung  des  Tempels  (und  wohl 
auch  der  Stadt)  durch  Gothenschwiirme  im  Jahre  263  geschrie- 
ben habe.  Ebenso  weisen  auf  eine  nicht  allzu  weil  herabzu- 
drückende Zeit  des  Dichlcrs  seine  Erwähnung  des  (die  Ge- 
schicke seines  Paares  so  wesentlich  bestimmenden)  Orakels  des 
Apollo  in  (Klaros  bei)  Koiophon  hin:  in  der  That  finden  wir 
nach  der  Zeit  des  Alexander  Severus  (2^2  —  235)  dieses  einst 
so  blühende  Ueiliglhum  nie  wieder  erwähnt'^].  Man  mag  noch 
hinzufügen ,  dass  alle  in  der  Schilderung  des  Xenophon  ge- 
legentlich etwas  deutlicher  hervortretenden  Einrichtungen  des 
öfl'entlichen  und  hauslichen  Lebens  in  ganz  unverdächtiger 
Weise  das  ächte  Gepräge  jener  spätgriechischen  Zeit  tragen, 
welche,  vom  Christenthum  sogut  wie  von  zerstörender  Barba- 
rensitte im  Ganzen  noch  nicht  berührt ,  die  alte  Cultur  der 
göttlichen  Vorfahren  noch  so  nothdürftig,  und  wenigstens  in 
den  äussern  Formen,  fortschleppt e.  Offenbar  noch  aus  der  eige- 
nen Erfahrung  des  Dichters  heraus  ist  z.  B.  der  Festzug  der 
Ephesier  zum  Tempel  der  Artemis  im  ersten  Anfang  des  Ro- 
mans geschildert**);   die  alte  griechische  Sitte  wird    einfach  als 

1}  S.  Locella  praef.  p.  IX.  Zerstörung  des  ephcsischen  Artemistcmpels 
durch  die  Gothonzüge  unter  Golliouus:  Trcbell.  Pollio  Gallien.  6,  i\ 
Jordanes  de  rcb.  Goth.  iO.  —  Man  vergleiche,  zur  Besttttigung  der  Beob- 
achtung des  Locella,  mit  Xenophon  die  ganz  bildlose,  anschauungsleere 
Art,  ^ie  Achilles  Tatius  im  7.  und  8.  Buche  seines  Romans  des  epbe* 
sischen  Artcmistempels  gedenkt. 

2)  S.  I  6;  vgl.  Locella  p.  \.  Letzte  Krwbhnung  unter  Alexander 
Severus:  Marquardl ,  Hdb.  d.  röm.  Alt.  IV  p.  106  A.  654.  G.  Wolff,  De 
noviss.  orac.  aet.  p.  12.  Das,  bei  X.  V  4  erwähnte  und  geschilderte  Orakel 
des  Apis  weist  dagegen  nicht  so  bestimmt,  wie  Locella  p.  X  A.  2i  meint, 
auf  eine  frühe  Zeit  hin :  dasselbe  wurde  noch  spät  im  vierten  Jahrhundert 
verehrt:  Marquardt  a.  0.  p.  113.  —  Andere  unwesentliche  Argumente 
Locelias  lasse  ich  bei  Seite. 

3)  I  2.     Wenn   dabei   die  Antheia   als  diejenige,   welche  r^p^e  rljc  xin 


—     391     — 

gttliig  und  allgemein  bekannt  vorausgesetzt  in  dem,  was  ge- 
legentlich von  Einzelheiten  einer  llochzeitfeier  *) ,  einer  feier- 
lichen Bestattung^)  mehr  angedeutet  als,  mit  antiquarischer 
Absichtlichkeit,  ausgeftihrt  wird.  Wie  die  flaue  Gottergeben- 
heit, mit  welcher  die  Personen  der  Erzählung,  unparteiisch  ge- 
nug, bald  Helios,  bald  Isis  und  Apis,  bald  wieder  Artemis  ver- 
ehren, ganz  in  die  Zeit  des  gewohnheitmässig  weiter  betriebenen 
alternden  Heidenthums  verweist,  so  ist  in  der  Bedeutung,  welche 
ganz  unverkennbar  der  Dichter  einer  rechten  und  gehörigen 
Bestattung  der  Leichen  beimisst^  ein  acht  antiker  Zug,  auf 
einen  bekannten  festgewurzelten  Aberglauben  gegründet,  er- 
halten 3) . 

mp9£v«v  TolSeo»;  im  Kostüm  der  Gottheit  selbst  (§  6)  auftritt,  so  mag  auch 
dieses  der  Wirklichkeit  nachgebildet  sein;  gerade  von  Priesterinnen  der 
Artemis  wird  uns  anderweitig  Aehnlichcs  berichtet:  vgl.  Schümann ,  Gr. 
Alterth.  II 2  44  3. 

1)  Bei  der  Hochzeit.sfeier  der  Antheia  mit  Perilaus  wird  die  Braut  in 
den  ^aXafjLOc  geführt  und  dort  allein  gelassen :  hi  ^otp  lleptXao;  fjterd  t&v 
^(Xaiv  e^oyeiTo:  III  6,  4.  Locella  bemerkt  hierzu  p.  227:  notandum  est, 
nee  ipsam  sponsam,  veteri  Graecorum  more,  fuisse  ad  nuptiale  convivium 
adhibitam.  Dass  dies  allgemeiner  Gebrauch  der  Alten  gewesen  sei,  ist 
nun  freilich  eine  irrige  Annahme:  s.  Becker,  Charikl.  III  309  f.,  aber  vor- 
gekommen muss  es  sein,  wie  aus  den  (bei  Becker  p.  309  oben,  angezo- 
genen) Versen  des  Apollodor  bei  Alb.  VI  248  D.  (com.  IV  p.  447)  hervor- 
geht. Um  so  sicherer  ist  in  diesem  Zuge  bei  X.  eine  Spur  alterthümlicherer 
Sitte  zu  erkennen. 

2)  III  7 ,  4  :  Antheia  wird  am  Morgen  (t]fx£pa;  le^o^lsri^ :  die  ix^opd 
findet  nach  Gricchensitte  früh  morgens  statt:  Becker,  Char.  III  96)  in  ein 
Grabgewölbe  gebracht,  Opfer  geschlachtet,  viele  Kostbarkeiten  mit  ver- 
tehlossen ,  sie  selbst  dann  nicht  in  einem  Sarge ,  sondern  auf  einer  unbe- 
deckten 7c>iyr)  zurückgelassen.  Dies  Letzte  namentlich  ist  bezeichnend:  so 
liegen,  in  der  bekannten,  von  Goethe  benutzten,  Geschichte  von  der  aus 
dem  Grabe  wiedergekehrten  Philinnion  bei  Phlegon  mirab.  4  (p.  420,  4  8  ft. 
West. ,  welche  Geschichte  übrigens  Phlegon  einem  [pseudonymen]  Briefe 
des  Hipparchus,  Verwalters  der  vom  Kg.  Philipp  von  Macedonien  eroberten 
Stadt  Amphipolis  an  Arrhidaeus  entlehnt  hat)  die  Leichen,  in  der  xa^jidpa 
offen  auf  unbedeckten  xXlvat. 

3)  Verehrung  des  Helios:  p.  344,  23;  374,  30;  395,  20;  der  Ar- 
temis: namentlich  p.  399,  44;  der  Isis:  p.  376,  43;  384,  20;  namentlich 
397,  25;  des  Apis:  p.  305,  8.  —  Was  die  Sorgfalt  für  regelrechte  Be- 
stattung der  Leichen  betrifft,  so  bemerke  man,  wie  in  der  sonst  so  athemlos 
eiligen  Erzählung  sich  immer  noch  Platz  findet,  um  die,  nach  unserer 
Vorstellungsweisc  so  unwichtige  feierliche  Beisetzung  Verstorbener  verhält- 
nissmässig  breit  zu  erzählen:  III  2,  43;  V  40,  3;  V  45,  8. 


—    392    — 

Ich  meine,  dass ,  nach  der  ganzen  Physiognomie  dieses 
Romans  zu  urtheilen^  wir  ohne  grosse  Vermessenheit  seine  Ab- 
fassung, mit  Locciia  u.  A.,  in  die  Grenzzeit  des  zweiten  und 
dritten  Jahrhunderts  setzen  dürfen.  Es  bliebe  jedenfalls  abzu- 
warten, ob  Jemand  so  deutliche  Spuren  einer  viel  späteren 
Gulture|)oche  in  dem  Roman  des  Xenophon  würde  nachweisen 
können,  wie  sie  sich  dem  Aufmerksamen  überall  aufdrängen 
in  dem  Roman  des  Achilles  Tatius,  in  oder  unter  dessien  Zeit 
manche  Gelehrte  mit  unbegründeten  Machtsprüchen,  den  Xeno- 
phon herabgedrückt  haben  ^} . 

Für  unsere  gegenwärtige  Betrachtung  wäre  es  vorzüglich 
wichtig,  die  Stellung  der  Dichtung  des  Xenophon  in  der  Reihe 
der  uns  erhaltenen  Romane  richtig  bestimmen  zu  können.  Es 
finden  sich  gewisse  auffallende  Aehnlichkeiten  in  einzelnen  Mo- 
tiven der  Romane  des  Xenophon  und  des  Ueliodor.  Dort 
wie  hier  wird  eine  der  Hauptpersonen  der  Geschichte,  zum 
Menschenopfer  für  eine  blutgierige  Gottheit  auserkoren,  mit 
genauer  Noth  gerettet  ^j;  dort  wie  hier  wird  die  eine  der  bei- 
den Hauptpersonen,  ungerecht  wegen  eines,  von  einem  Andern 
vollführten  Giftmordes  zum  Tode  verurthcilt,  durch  ein  förm- 
liches von  der  Gottheit  geschicktes  Wunder,  vor  einem  elen- 
den Tode  auf  dem  bereits  brennenden  Scheiterhaufen  gerettet']; 
dort  wie  hier  spielt  nicht  nur  ein  wesentlicher  Theil  der  Ge- 
schichte in  Aegypten,  sondern  gleichmässig  fällt  in  beiden  Ro- 
manen gleich  beim  Eintritt  in  dieses  Land  der  Held   den   räu- 


1)  Unter  Achilles  herunter  rückt  den  Xenophon  z.  B.  Dorville  ad 
Charit,  p.  XIX;  nach  Achilles  und  Longus  nennt  ihn,  in  seinei*  Aufzäblnog 
der  Roma nsch reiber»  auch  Korais  Heliodor.  I  p.  le'.  Seine  Gründe  sind 
sehr  geringfügig:  7.um  Schluss  declamirt  er,  es  sei  diirtftavov  ort  f^xf^aoiv 
h  Srvo?pd»v  et;  töv  a{d)va  3tci;  ifivir^(3£  tov  nXourapyov,  xiv  roXT,vöv,  Hv 
Aouxiav^v,  xal  a>,Xo'j;  toio6to'j;  oo^oü;  xal  7reratoeu|i£vov»c  avSpac.  Waniin 
denn  nicht?  hat  denn  nicht  dieser  selbe  atcuv  auch  den  PtolemSus  He- 
phaestions  Sohn,  den  Phlegon  und  andere  dergleichen  Heroen  hervorgebracht? 

2}  Anlheia  bei  Xen.  H  18,  2;  Theagenes  bei  Hei.  X. 

3}  Habrokomes  bei  Xen.  IV  %,  8.  9 ;  Chariklea  bei  Hei.  VlII.  9  p.  ttl. 
(Aehnlich  mirakulOses  Erlöschen  eines  brennenden  Scheiterhaufens  Öfter  Id 
Christi.  Märtyrergeschichten,  z.  B.  Acta  Pauli  et  Theclae  c.  22  p.  49  f. 
Tischend.:  aber  auch  bei  Parthenius  6  p.  9,  23  if.  Hereber;  von  Krösof 
vor  Cyrus  erzählt  eine  ^ähnliche  Wundererrettung  Xanthus  bei  Müller  Fr 
bist.  I  p.  44   f.). 


—     393     — 

berischen  Hirten  Unterägyptcns  in  die  Hände  ^).  Diese  lieber- 
•  einstimmung  in  theilweise  gewiss  sehr  ungewöhnlichen  Erfin- 
dungen weist  entschieden  auf  Entlehnung  des  einen  Dichters 
bei  dem  andern  hin;  eine  Entlehnung  welche  sich  sogar  bis 
auf  die  äussere  Erscheinung  der  Heldin  erstreckt:  denn  es 
wird  doch  schwerlich  ein  blosser  Zufall  sein,  wenn  tiberein- 
stimmend Heliodor  wie  Xenophon  uns  gleich  im  Beginn  ihrer 
Erzählung  die  Heldin  im  vollständigen  Costüm  der  jungfräu- 
lichen Artemis,  mit  dem  Bogen  bewaffnet,  vor  Äugen  ftihren^]. 
Es  kann  sich  nur  fragen,  welcher  von  beiden  Autoren  dem 
andern  nachgeahmt  habe.  Ein  genügender  Beweis  für  die 
Priorität  des  Einen  oder  des  Andern  wird  sich  nicht  fuhren 
lassen^]  :  beachtet  man  aber,  wie  die  meisten  jener  eben  er- 
wähnten Motive  bei  Xenophon  kaum  angedeutet  und  wie  noch 
im  Keim  verschlossen,  bei  Heliodor  voll  und  umständlich  ent- 
wickelt sind :  so  wird  man  vielleicht  geneigter  sein,  dem  Xeno- 
phon die  erste  Erfindung  dieser  abenteuerlichen  Motive,  dem 
Heliodor  deren  kunstgerechte  Verwendung  und  Ausführung  zu- 
zutrauen ,  und  also  dem  Xenophon  eine  zeitliche  Priorität  zu 
belassen,  auf  welche  ohnehin  die  eben  entwickelten  andern 
Gründe  entschieden  hinführen. 

Bei  aller  Unfassbarkeit  der  Person  dieses  Xenophon  wird 
es  sich  also  wohl  hinlänglich  rechtfertigen  lassen,  wenn  wir 
ihn  zwischen  Jamblich  und  Heliodor  gestellt  haben.  Ihn  vor 
Jamblich  zu  setzen  wird  ohnehin  nicht  leicht  irgend  Jemand 
versucht  sein :  es  ist  aber  zudem  doch  sehr  wahrscheinlich, 
dass  den,  durch  ein  statt  des  geforderten  Giftes  getrunkenes 
Scblafpulver  herbeigeführten  Scheintod  der  Heldin^)  Xenophon 
den,  aus  unsrer  oben  gegebenen  Analyse  des  Romans  des  Jam- 
blichus  erinnerlichen  analogen  Erzählung  dieses  Dichters  ent-  * 
lehnt  habe. 


1)  Hei.  I;  Xen.  Hl  i%,  2.  (Aus  Heliodor  wiederum  Ach.  Tat.  IV  4  2.)  Die 
ßo6iioXoi  X^orai  in  Uoterägyplen  kennt  schon  Eratosthenes  bei  Strabo  XVII 
p.  802  (III  p.  Mi9,  7  Mein.) 

2)  Xen.  I  2,  6.     Heliodor  I  t  (vgl.  HI  4;  V  5;  VM1.) 

3]  Wenige  möchten  so  entschieden  sich  aussprechen  wie  Korais,  welcher 
(ad  Heliodor.  vol.  H  p.  6),  energisch  genug,  versichert:  dpyaiÖTcpov  'HXt- 
o^pou  Y*TOv£vai  xöv  toI  'E^eaiaxdl  Ypct'j'avTa,  6u^eU  fi  ja'  av  7re{oei£v,  ouo*  Tjv 

4)  Xen.  III  6.  6.    S.  oben  p.  369. 


—     394     — 

Auf  jeden  Fall  iebtc  und  schrieb  Xenophon  vor  Chari- 
toD;  der  seinem  Romane  die  Erbrechung  des  Grabes  der 
bereits  als  todt  beigesetzten  Fleldin  nachbildete  ^) ,  und  vor 
jenem  Sophisten,  der  gegen  Ende  des  fünften  Jahrhunderts  die 
unter  dem  Namen  des  Aristaenelus  bekannte  Sammlung 
erotischer  Briefe  verfasste:  denn  zu  dem  überallher  zusammen- 
gestückten  Bettlermantel  bunter  Phrasen,  mit  welchem  dieser 
Scribent  seine  eigene  Hiisslichkeit  und  Blosse  verdeckt,  sind 
auch  einige  Lappen  aus  dem  Romane  unseres  Xenophon  ver- 
wandt worden  2). 

Die  Heimath  des  Autors  wird  uns  im  Titel  seiner  Erzäh- 
lung genannt;  und  wir  finden  keinen  Grund  an  seinem  ephe- 
sischen  Trsprung  zu  zweifeln,  wenn  wir  sehen,  wie  er  im 
Ganzen  in  der  Umgegend  von  Ephesus  wohl  Bescheid  weiss':; 
während  er  freilich  von  der  Lage  der  ägyptischen  Städte  zu 
einander^),  ja  von  der  Lage  der  Insel  Cypern  nur  sehr  dunkle 


1)  Xen.  in  8,  8;  Chariten  I  6 — 10.  Dass  Cli.  dies  aus  Xen.  entlehnt 
habe,  picbt  auch  Dorville  ad  Char.  p.  246  zu.  —  Uebrigens  wird,  jemehr 
die  Scheu  vor  den  Gräbern  sicii  minderte,  desto  häufiger  ein  solches  raub- 
gieriges Erbrechen  der  Grabgewölbe  in  Wirklichkeit  vorgekommen  sein. 
Vgl.  z.  B.  Phle^on  niirab.  i  p.  H9,  18  AT.  West,  und  eine  ganze  Reihe 
von  Epigrammen  des  Gregor  von  Nazinnz  gegen  solche  Grabräuber  im  achten 
Buche  der  palatin.  Anthologie,  namentlich  von  ep.   176  an. 

2)  Plagiate  des  Aristaenetus  aus  Xenophon:  s.  ßoissonade  u.  A.  zu 
Aristaen.  p.  331.  649.  667;  Locclla  zu  Xen.  Eph.  p.  131  (zu  p.  3,  4.)  Hier 
eine  einzige  Probe:  Xen.  1  9,  4  :  vai  'AßpoxfJfXTj,  ooxw  ooi  xaXifj,  xal  jurd  Tf,i 
OT|V  e'jii.op;piav  dpizxoi  aoi;  Aristaen.  11  7  p.  150,  3  Boiss. :  apa  ooxd>  ooi  xa).i| 
xai  [jL£Ta  TTjv  ür^s  eOptop^iav  dpcoxoj  aoi ; 

3;  Man  beachte ,  dass  nur  in  der  Gegend  von  Ephesus  der  Verf.  die 
Entfernung  genauer  angiebt:  drzb  tt,;  r^Xccu;  irl  to  Up^v  ora^tot  claiv  hcd 
p.  380,  13.  (vgl.  Ilerodot  I  S6j :  von  Ephesus  nach  Kolophon  ein  otaTcXovc 
oraoicuv  ^Yooi^xovra  p.  315,  11    (70  St.  nach  Strabo  XIV  p.  648.) 

4)  IV  1  macht  Hippothous  mit  seiner  Bande  folgenden  Weg :  Pelusium, 
Hermupolis,  Schedia ,  dann  in  den  Sicbov);  des  Menelaus  (vgl.  Strabo  XVII 
p.  800  [p.  1116,  4  rr.  .Mein.l),  an  Ale\andria  vorüber,  nach  Memphis  »und 
von  da  nach  Mcndes«!  von  da  nach  Leontopolis  und  von  dort  »an  nicht 
wenigen  xcufxat  vorüber,  von  denen  die  meisten  unbedeutend«  nach  Koptus 
(welche  Stadt  offenbar,  nach  Vorstellung  des  X.,  unmittelbar  an  der  Grenze 
von  Aethiopien  liegt.)  Das  sind  ja  wahre  fjfjpp.V)xa)v  dixparot!  —  Anders 
übrigens  liegt  die  Sache  doch  wohl  III  12,  1:  das  Schiff  des  IlabrokoDies 
dxTrlTTTrci  im  t«;  ixßoXd?  tou  NelXou  t^v  te  FlapalTiov  xaXoufjLivT]v  xal  <Dot- 
vlxTj;  SoT)  TtapadaXaaaio;.  Räuberische  Hirten  ergreifen  die  Gestrandeten 
und  führen  sie  6oov  Iprjfjiov  roXXVjv  nach   Pelusium.     Diese  «sogenaoote 


—     395     — 

Vorstellungen  zu  haben  scheint.  Wer  wäre  wohl  je,  wie  es 
der  Habrokonies  des  Xenophon  thut,  um  von  Italien  nach  Ephe- 
sus  EU  kommen,  zuerst  nach  Kreta,  dann  nach  Cypern  und 
von  dort  nach  Rhodus  gefahren !  Diese  sonderbare  Verwor- 
renheit geographischer  Vorstellungen  füllt  aber  um  so  stärker 
auf,  als  Xenophon  offenbar  in  der  selbstgefälligen  Aus- 
legung geographischer  Kenntnisse  sich  und  den  Lesern  an 
vielen  Stellen  noch  ein  besonderes  Fest  zu  bereiten  beflis- 
sen ist. 

£s  muss  also  scheinen,  als  ob  dieser  Dichter,  selbst  ruhig 
daheim  sitzend,  nur  seine  Phantasie  auf  einen,  endlich  freilich 
wieder  nach  Ephesus  zurücklaufenden  seltsamen  Irrgang  durch 
so  viele  Provinzen  des  weiten  Reiches  ausgeschickt  habe. 
Vielleicht  hätte  er  auch  der  Phantasie  diese  unruhige  Jagd  am 
Liebsten  erspart.  Denn  ganz  unverkennbar  keucht  er  schwer 
unter  der,  nun  einmal  ftlr  einen  Romanschreiber  damaliger 
Zeil  unerlässlichen  Verpflichtung,  in  einem  rastlosen  Wechsel 
des  Ortes  und  der  buntesten  Ereignisse  den  Reiz  seiner  Dich- 
tung zu  suchen.  Man  kann  sich  nicht  leicht  eine  ungeschick- 
tere Manier^  die  Reiseabenteuer  seines  Liebespaares  einzuleiten, 
erdenken  als  diejenige  ist,  mit  welcher  Xenophon   dem   tyran- 


Paraitios«  ist  uns  leider  gänzlich  unbekannt.  Aber  dem  Xen.  nun  gleich, 
nach  einer  von  Locella  gebilligten  Conjectur  des  Hemsterhusius,  zuzutrauen, 
er  habe  Paractonium  (llapaiTÖviov  oder  FlapaiTOvtav  statt  flapatTtov)  dicht 
an  die  östlichste  Nilmündunf;,  an  die  Grenze  von  Phönicicn  und  in  die  Nachbar- 
schaft von  Pelusium  gesetzt,  ist  doch  etwas  unverantwortlich.  Vermuthlich 
will  Xen.  eine  ganze  Gegend  bezeichnen,  gewiss  kommt  dem,  was  er 
selbst  geschrieben  hatte,  eine  andere  Conjectur  des  Hemsterhusius  (p.  238 
Loc.)  näher:  t^jv  üapaTaiviov  xaXoupivTjv :  d.  i.  die  Gegend  der  Tawlat,  der 
an  Aegyptens  Nordküste,  zwischen  dem  Meer  und  den  Küstenseen  sich  hin- 
ziehenden schmalen  Landstreifen.  Will  man  indessen  schon  einmal  einen 
Namen  rein  aus  Conjectur  herstellen,  so  läge  wohl  viel  näher,  zu  schreiben : 
T^^s  iTapdlxTtov  xaXoufJi£v7]v.  Xen.  will  offenbar  die  öde  Küstengegend 
an  der  äussersten  Ostgränze  Aegyptens  (bei  Rhinocorura  und  dem  Berge 
Casius)  bezeichnen  -.  konnte  diese  nicht  ganz  wohl  V)  rapdxTioc  heissen  ? 
Vielleicht  hiess  sie  aber  auch  wirklich  V)  IlapatTto;,  und  dann  müsste  man 
eingestehen,  dass  hier  einmal  Xen.  mehr  von  ägyptischer  Geographie  wusstc 
als  uns  aus  unserer  sonstigen  Ueberlieferung  zu  wissen  vergönnt  ist.  So 
kennen  wir  auch  nicht  die,  bei  Xen.  p.  882,  24  f.  erwähnte  ägyptische 
Ortschaft  'Apela  (s.  p.  383,  5.  42),  ohne  dass  man  doch  an  eine  blosse  Er- 
findung des  Xenophon  denken  dürfte. 


—    396    — 

nisch  sich  auferlegenden  Typus  griechischer  Roniandichtung 
sich  fügt.  Das  junge  Paar  war  bereits  so  beqtiemlich  versorgt 
und  verheiralhet:  wie  in  aller  Welt  sollte  man  sie  nun  auf  das 
wilde  Meer  bringen,  auf  welches  ihre  Pflicht  als  ächte  Roman- 
heldcn  sie  doch  einmal  rief?  Sie  haben  rein  nichts  da  draus- 
sen  zu  suchen.  Hier  fiel  nun  dem  Dichter  ein  überaus  beque- 
mes, freilich  auch  ungewöhnlich  absurdes  Mittel  ein,  mit  dessen 
Hülfe  er  die  Handlung  in  die  durchaus  nothwendige  Bewegung 
setzen  konnte.  Das  Orakel  des  klarischen  Apoll  sagt,  gleich 
am  Beginn  der  Handlung,  voraus,  dass  die  Beiden  über  das 
Meer  fliehen  werden,  von  Räubern  ^)  verfolgt,  dass  sie  Fesseln, 
Grab  und  Scheiterhaufen  erdulden,  endlich  aber,  nicht  ohne 
Einwirkung  der  Isis,  ein  besseres  Loos  gewinnen  werden.  Der 
Gedanke,  eine  göttliche  Weissagung  zum  Hebel  der  Handlung 
zu  machen,  war  nicht  neu:  wir  fanden  einen  solchen  Hebel 
bereits  beim  Antonius  Diogenes  ihiitig.  Wahrend  aber,  im  nor- 
malen Verlauf  der  Dinge,  der  alleswissende  Gott  die  unab- 
wendlich  und  ohne  Willkür  der  Menschen  eintretenden  Ereig- 
nisse nur  vorausschaut  und,  dunkelredend,  voraus  andeutet: 
so  ist  beim  Xenophon  die  Sache  umgekehrt.  Ohne  das  Orakel 
wäre  das  junge  Ehepaar  einfach  daheim  geblieben:  »ein  Fest 
war  ihr  ganzes  Leben«  heisst  es^);  was  zwang  sie,  in  den 
harten  grauen  Wcrkeltag  hinüber  zu  gehen?  Nichts  als  eben 
das  Orakel  des  Gottes.  Nur  weil  der  Gott  gesagt  hatte,  sie 
würden  auf  leidvolle  Irrfahrten  ausziehen,  ziehen  sie,  wie  uns 
der  Dichter  ausdrücklich  angiebt  ^)  ,  wirklich  aus.  Da  war  es 
freilich  leicht  prophezeien,  wenn  die  Wahrsagung  wie  ein  Be- 
fehl angesehen  und  ausgeführt  wurde  I  Sehr  ungeschickt  ist  es 
aber  namentlich,  wie  durch  eben  diese  Vorausverkündigung 
der  Dichter  sich  selbst  alle  Spannung  unterbindet.  Wir  wissen 
ja,  alle  diese  Unfälle  sind  so  schlimm  nicht  gemeint ;  mag  die 
Antheia  in  ein  Grabgewölbe  geschlossen,  Habrokomes  auf  den 
brennenden  Scheiterhaufen  gestellt  werden:  beide  werden  sie 
unverletzt  davon  kommen;  der  Gott  hat  ja  das  glückliche  Ende 


1)  p.  835,  19:  dficp^tepot  ^e6|ovTat  uTietp  aXi  XiQOTO^tmxTot:  so,  und 
nicht  (wie  die  Hs.  bietet)  Xuaao^itoxToi,  ist  ohne  Zweifel,  nach  einer  Con- 
jectur  des  Hemsterhusius  (p.  t51   Loc),  zu  lesen. 

2)  p.  838,  2i. 

3)  1  4  0,  8.   (vgl.  p.  843, 


—    397     — 

voraus  verkündigt.  Daher  sind  denn  auch  die  Eltern,  bei  der 
Abfahrt  des  Paares,  zwar  betrtlbt,  aber  doch  nicht  muthlos, 
»da  sie  den  Schluss  der  Wahrsagung  vor  Augen  hatten«^); 
man  begreift  nur  diese  sonderbaren  Alten  nicht  recht,  welche 
sich  zuletzt  doch,  ohne  das  sicher  zu  erwartende  glückliche 
Ende  abzuwarten,  aus  Muthlosigkeit  um  das  Leben  bringen  2). 
Ilabrokomes  ist  vernünftiger:  im  tiefsten  Elend  fordert  er  zu- 
versichtlich vom  Gotte  den  glücklichen  Schluss  seiner  Weis- 
sagung ein 3).  Leider  bewirkt,  was  den  Leidenden  zum  Trost 
gereicht,  dieses  Mal  beim  Leser  nur  Langeweile.  Kann  man 
naiver  eingestehen  als  dieser  Dichter,  dass  man  den  Leser  nur 
mit  bunten  Bildern  zerstreuen,  ein  psychologisches  Interesse 
aber  gar  nicht  erregen,  spannen,  endlich  befriedigen  will? 
W^enn  ausser  der  Absicht  auf  eine  sehr  oberflächliche  Zer- 
streuung der  Dichter  noch  einen  andern  Zweck  hat,  so  ist  es 
sicher  kein  menschlich  psychologischer,  sondern  ein  theologisch 
erbaulicher.  Die  eheliche  Treue  des  Paares  soll,  unter  tau- 
send Gefahren,  geprüft  werden;  dies  ist  der  Zweck  ihrer  Aus- 
sendung unter  Rauber  und  Kannibalen.  Natürlich  bewahren 
sich  Beide  vollkommen,  aber  man  setzt  ihnen  hart  zu.  Die 
wichtigsten  Abenteuer  entspringen  aus  ihrer  übergrossen,  ver- 
hängnissvollen  Schönheit,  die  von  ihnen  selbst  vielfach,  als 
Grund  ihrer  Leiden,  verwünscht  wird^).  Es  ist*  aber  der  Gott 
der  Liebe  selbst,  der  ihnen  diese  schweren  Versuchungen  und 
Qualen  auferlegt.  Eros,  durch  den  spröden  Uebermuth  des 
Habrokomes  beleidigt,  rächt  sich  durch  .diese  Kette  von  Leiden. 
Diese  Rache  des  durch  Sprödigkeit  beleidigten  Eros  ist,  wie 
wir  uns  erinnern,  ein  viel  verwandtes  Motiv  der  hellenistischen 
Erotik^),  und  von  dorther  durch  Xenophon  entlehnt.  Er  combi- 
nirt  nur  dieses,  an  sich  nicht  unwirksame  Motiv  sehrunklar  und 
ungeschickt  mit  dem  ebenfalls  beliebten  Motiv  des  apollinischen 
Orakels*),  und  operirt  somit  eigentlich  mit  zwei  Hebeln  zugleich, 

1}  p.  339,  is  f. 
2)  p.  387,  n. 
2)   V  1,  13. 

4)  p.  346,  26 :  u)  r?];  dxaipou  i:p6;  ^xax^pou;  e^fjiop^lac !  p.  366,  i  :  liä 
Tf|V  ÄTtatpov  eufAopcpiav  'AßpoxöjiTj;  [xis  h  T6p^j  T^Övrjxev,  ^d>  5*  ^vraufta.  Vgl. 
Doch  386,  8;  388,   i. 

5)  S.  obüu  p.  U7. 

6)  S.  namentlich  p.    346,   24:  dpyeiai  tä  p.e{xavTeupi^va'  Tip.toptav  f- 


—     398     — 

von  denen  man  doch  keinem  recht  die  Kraft  zutraut,  die  nur 
ein,  diesem  Dichter  durchaus  mangelnder,  unbefangener  Glaube 
an  die  unmittelbar  in  das  Leben  eingreifende  Macht  der  Götter 
ihnen  geben  könnte. 

lieber  die  Erfindung  der  einzelnen  Abenteuer ,  welche 
unter  dieser  doppelten  Götterleitung  das  liebende  Paar  durch- 
zumachen hat,  mag  man  nach  Durchiesung  der  oben  gegebenen 
Inhaltsübersicht  selbst  urtheilen.  Für  uns  wenigstens  ist  Xeno- 
phon  der  erste  Romanschreiber,  welcher  den  Kreis  seiner  Hand- 
lung auf  Aegypten,  Kieinasien  und  einige  Gegenden  von  Unter- 
italien und  Sicilien  eingeschränkt  hat:  man  darf,  wenn  man 
sich  des  schrankenlosen  Umherschweifens  in  dem  Buche  des 
Antonius  Diogenes  erinnert,  in  dieser  Beschränkung  auf  einige 
der  am  gründlichsten  civilisirten  Provinzen  des  römischen  Rei- 
ches immerhin  eine  Wendung  zu  einer  mehr  bürgerlichen, 
etwas  weniger  phantastischen  Gattung  der  Romandichtung  er- 
kennen. Die  einzelnen  Abenteuer  sind  durchaus  nach  der 
Schablone  gearbeitet,  und  das  verwundert  uns  nicht  weiter. 
Ueber  Seestürme,  RHuber  zu  Land  und  See,  Bedrängnisse  durch 
rohe  oder  gar  verliebte  Herren  und  Herrinnen  ging  nun  ein- 
mal die  Phantasie  dieser  Poeten  nicht  hinaus.  Auch  das  ist 
nicht  weiter  verwunderlich,  dass  Xenophon  so  wenig  wie  Jam- 
blichus  eine  zufällige  Reihenfolge  wilder  Abenteuer  zu  einer 
durch  innere  Causalität  wohl  verknüpften  Reihe  von  Erlebnis- 
sen zu  gestalten  weiss,  von  denen  eines  aus  dem  andern  mit 
Nothwendigkeit  erfolgt.  Inunerhiu  ist  das  beispiellose  Ungeschick 
erstaunlich,  mit  welchem  die  einzelnen  Fäden  seiner  Handlung 
dem  Xenophon,  trotz  der  ersichtlichsten  Bemühung,  sie  wohl 
und  sinnreich  zu  verschlingen,  wirr  und  immer  wirrer  neben 
einander   her  laufen.     Sobald   die  Liebenden   erst    einmal    aus 


oTj  jx€  b  fteö;  (d.  i.  Eros)  rf^;  yrepri^avb;  eUirpirrci.  Die  directe  Ein- 
wirkung des  Eros  wird  zumal  am  Anfang  des  Romans  stark  betont: 
12,  2;  12,9;  13,1;  14,  4.  5;  fxeTavoia  des  Ilabrokomes,  dem  Eros 
gegenüber:  p.  833,  i  (vgl.  mit  p.  329,  23).  Aber  durch  die  heftige,  sehr 
bald  ihre  Befriedigung  erreichende  Liebe  zur  Antheia  ist  doch  eigentlich 
H  nicht  genügend  gestraft;  eine  weitere  Strafe  des  Gottes  sind  alle  Irr- 
fahrten, Leiden  und  Versuchungen  des  ganzen  Romans:  dies  wird  auch 
p.  846,  24  gesagt,  aber  im  weiteren  Verlauf  der  Erzählung  Ittsst,  zu 
Gunsten  des  Orakelmotivs,  der  Dichter  diese  Leitung  der  Dinge  durch  Eros 
einfach  fallen. 


—     399    — 

einander  gerissen  sind,  beginnt  das  zweckloseste  Hin-  und  Her- 
fahren im  Zickzack.  Habrokomes  gehl  nach  Cilicien  um  dort 
die  Gattin  zu  suchen :  kaum  angelangt  lässt  er  sich,  unerledig- 
ter Sache,  vom  Hippothous  nach  Kappadocien  schleppen.  Sehr 
bald  erfahrt  man  dass  diese  Abschweifung,  sinnlos  wie  sie  ist, 
auch  für  die  Oekonomie  des  Gedichtes  durchaus  keine  Bedeu- 
tung hat:  die  Beiden  kehren  nach  Cilicien  zurtick.  Von  Tarsus 
führt  der  Liebende  nach  Alexandria,  um  dort  etwas  von  der 
Antheia  zu  erkunden:  wie  er  gerade  auf  diesen  Ort  verfiel, 
erfährt  man  nicht  ^) .  In  der  That  ist  nun  Antheia  nach  Alexan- 
dria geschleppt  worden;  aber  ihr  Weg  kreuzt  sich  nicht  mit 
demjenigen  des  Habrokomes;  man  sieht  abermals  nicht  die 
Absicht  des  Dichters  bei  dieser  aegyptischen  Excursion.  All- 
mählich dämmert  es  dem  Leser  auf:  dem  wunderlichen  Poeten 
ist  es  unbequem,  seine  und  des  Lesers  Blicke,  wenn  er  sie 
von  der  einen  Person  zu  der  andern  abspringen  lässt,  einen 
gar  zu  grossen  Sprung  machen  zu  lassen.  Gewiss  nur  dämm 
müssen  Beide  ihre,  tibrigens  unter  einander  gar  nicht  zusam- 
menhängenden Erlebnisse  stets  in  Einem  Lande  durchmachen. 
Von  Aegypten  geht  Habrokomes  nach  Sicilien,  weiter  nach  Ita- 
lien 2) ;  richtig  kommt  auch  Antheia  nach  Italien ,  ohne  doch 
auf  den  Gatten  zu  treffen,  den  sie  freilich  erst  am  Schluss  des 
Ganzen  wiedersehen  darf.  Mit  Hippothous  dagegen  kreu- 
zen sich  ihre  Wege  wiederholt;  damit  aber  auch  hiedurch 
nicht  dem  Ganzen  ein  voreiliges  Ende  gemacht  werde ,  so 
müssen  wir  glauben  dass  bei  dem   ersten  Zusammentreffen  der 


1)  Denn  nichts  ^ird  doch  erklärt  durch  die  Angabe  p.  371  ,  U  (H. 
schiffte  sich  nach  Aegypten  ein)  ^XtiiCcov  h-^  tou;  X^jora;  tou;  ouX-^oaviac 
Tcdvra  (?  als  Object  zu  ouXVjo.  unverständlich,  rdvxa  hcisst  sonst  adverbial 
wohl:  zu  jeder  Zeit,  in  jeder  Hinsicht:  s.  Ach.  Tat.  p.  98,  24;  488,  22  ed. 
Herchcr,  Xen.  Eph.  p.  852,  47;  864,  29;  393,  32.  Sollte  es  hier  heissen 
können:  auf  jeden  Fall?)  iv  Ai^uT^M*  »aTaX-Zj^J^etv.  AW)y^*  ^'  aixiv  elc  raOra 
iXicU  8üOTuyf|C. 

2)  p.  377,  7  heisst  es  ganz  trocken  vom  Habrokomes:  ^Trtßok  oxd^ou; 
Mifi'zo  rfyi  in  'kaXtac,  A;  dxel  rcja^fjirvöc  ti  TtcprAvÄcla?.  Warum  er  diese, 
die  er  doch  bis  dahin  in  Aegypten  suchte,  nun  plötzlich  in  Ualien  ver- 
muthet,  ist  unbegreiflich.  Er  wird  nun  zunächst  nach  Sicilien  abgelenkt, 
aber  er  beharrt  bei  seiner  Vorstellung,  Antheia  müsse  in  Italien  sein  (wohin 
sie  denn  auch  mittlerweile ,  ohne  sein  Wissen ,  wirklich  gebracht  worden 
ist),  und  geht  richtig  dorthin  ab  p.  887,  2 — 7. 


—    400     — 

Beiden  in  Aegypten,  trotz  der  erst  kurz  vorher  in  Citicien  ge- 
schlossenen Bekanntschaft,  keins    das  Andere   wiedererkennt^). 

Man  ist  froh,  wenn  endlich  alle  Personen,  statt  so  blind- 
lings hinter  einander  herzulaufen,  durch  den  blinden  ZubU 
[gleichzeitig  nach  Rhodus  geführt  werden;  worauf  dann  die 
Marionetten  in  den  Kasten  gelegt  werden  können. 

Es  sind  in  der  That  blosse  Marionetten,  welche  dieser 
stümperhafte  Poet  vor  uns  tanzen  lässt.  Das  liebende  Paar 
selbst  hat  durchaus  keine  klar  erkennbare  Individualität: 
sie  lieben  einander,  das  ist  gewiss,  aber  ausser  der  Liebe  ist 
auch  nicht  der  geringste  Funke  eigentlichen  Lebens  in  ihnen 2] . 
Natürlich  bleiben  alle  ihre  Erlebnisse  rein  Uusserlich.  Einigen 
anderen  Personen  versucht  der  Dichter  ein  wenig  besonderes 
Colorit  zu  geben :  die  alte  Kyno  wie  die  junge  Manto  sollen 
die*  ungezügelte  Leidenschaftlichkeit  der  Barbaren  verkörpern: 
es  mag  bemerkt  werden,  wie  schlecht  der  Dichter  auf  die  Bar- 
baren überhaupt  zu  sprechen  ist^).  Der  alte  friedlich  träu- 
mende Fischer  Aegialeus  ist  mit  wenigen  Strichen  nicht  ganx 
übel  gezeichnet.  Ist  man  dagegen  schon  verwundert,  in  dem 
reichen  Apsyrtus,  welcher  seinen  Reichthum  der  erfolgreichen 
Thaiigkeit  der  von  ihm  in  Sold  genommenen  SeerHuber  ver- 
dankt, einen  durchaus  wohlgesinnten  Biedermann  kennen  lo 
lernen,  so  erregt  vollends  der  Charakter  des  llippothous  das 
höchste  Befremden.  Dieser  edle  Räuber  sieht  nichts  Schlimmes 
darin,  die  unschuldige  Antheia  seinen  Genossen  zum  Ziel  ihrer 
Pfeile  darzubieten,  er  durchzieht  weiterhin  die  Provinzen  rau- 
bend, sengend  und  mordend^),  und  gleichwohl  schliesst  Habro- 
komes  mit  ihm  die  genaueste  Freundschaft,    gleichwohl   gilt  er 

1)  p.  376»  38.  Dagegen  bei  der  dritteo  Begegnung,  in  Tarent,  erkennt 
Hippothous  die  Antheia  alsbald  wieder,  diese  aber  ihn  nicht:  p.  394,  6.  49. 

2j  So  heisst  es  denn  auch  p.  389,  10  vom  Habrokonnes  in  Beiiehuog 
auf  die  Antheia:  auTt)  ^dp  i^^  auTcJiToü  ßtov»  Ttavro;  xal  r^;  irXdvr,;  t)  uirilksi;. 

3)  Psammis  will  alsbald,  als  avdpcoico;  ßdp^apo;,  die  angekaufte  Antheia 
entehren,  p.  374,  31.  —  p.  372,  2:  oetoioaipiovE;  oe  (p6oei  ßdpßapoi.  Naiv  ist 
CS,  wie  p.  348,  28  die  »Barbarin«  Manto  ihre  bestialische  Natur  pflicht- 
niässig  selbst  anerkennen  muss:  sie  sagt  zur  Rhode:  loOi  (jiev  oUirric  ousa 
£p.i^,  todt  oe  öpYTjC  ncipaoopi^vY)  ßap^dpou  xal  rfiixr^^hrfi, 

4)  p.  373,  45:  ol  Tcepi  'Iirnödoov  -  ijeoav  rrjv  ItX  Zupla;,  iröv  5  xi  £|i7C0^ 
Xd^oiev  i7ri)^ctpiov  i:oio6(xcvoi '  ^v^npr^oav  oe  xal  xöbpia;  xal  dv^pac  dirio^poSov 
ttoXXoü;. 


—    401     — 

auch  dem  Dichter,  der  nirgends  ein  Wort  der  Missbilligung 
ttber  sein  Treiben  äussert,  für  einen  durchaus  tadellosen  Cha- 
rakter: denn  sonst  würde  die  »poetische  Gerechtigkeit«,  die 
hier  im  schönsten  Flor  steht,  ihn  zuletzt  nach  Gebtihr  abge- 
straft haben,  während  sie  ihm  jetzt  am  Ende,  wo  die  Tugend 
sich  vergntiglich  zu  Tisch  setzt,  seinen  Platz  neben  den  Uebri- 
gen  anweist.  In  dem  hier  sich  offenbarenden  moralischen 
Stumpfsinn  des  Autors  darf  man  wohl  eine  Aeusserung  jener 
Empfindungslosigkeit  ftir  Recht  und  Unrecht  erkennen,  wie  sie 
in  despotisch  regierten,  schlaff  verwalteten,  eigentlich  von  der 
rohen  Gewalt  des  Stärkeren  geleiteten  Staaten  aus  der  täglichen 
Gewöhnung  an  die  als  unabwendlich  betrachtete  Rohheit,  Tücke 
und  gewaltsame  Selbstsucht  der  Mächtigeren  bei  den  scheu 
sich  duckenden  Geringeren  sich  auszubilden  pflegt. 

Die  Erzählungsweise  des  Xenophon  unterscheidet  sich  von 
derjenigen  der  übrigen  uns  erhaltenen  Romanschreiber  durch 
eine  ungewöhnliche  Gedrängtheit  und  Knappheit.  Die  über- 
raschendsten Ereignisse  werden  durchaus  ohne  rhetorische 
Fanfaren  eingeführt,  vielmehr  ganz  trocken  und  schlicht  erzählt; 
ja  an  Stelle  des  rhetorischen  Ueberflusses  jener  andern  Autoren 
nimmt  man  vielfach  eine  wirkliche  Dürre  des  Ausdrucks  und 
der  Darstellung  wahr.  Stellenweise  liest  sich  diese  Erzählung 
fast  wie  eine  blosse  Inhaltsangabe  einer  Erzählung;  fast  könnte 
man  auf  den  Gedanken  kommen ,  gar  nicht  einen  voll  ent- 
wickelten Roman,  sondeiii  nur  das  Skelett  eines  Romans, 
einen  Auszug  aus  einem  ursprünglich  viel  umfangreicheren 
Ruche  vor  sich  zu  haben  ^) .     Wenn  irgend  Jemand  einmal  rich- 


1)  Ich  meine  dies  ganz  ernstlich.  Man  erinnere  sieb,  dass  nach  Suidas 
das,  in  der  uns  vorliegenden  Gestalt  nur  fü  nf  Bücher  umfassende  Werk  deren 
zehn  gehabt  haben  soll.  Auf  diese  isolirte  Aussage  wftre  freilich  wenig 
Gewicht  zu  legen,  wenn  nicht  in  dem  Werlte  selbst  sich  einzelne  Ab- 
schnitte fönden,  welche  di^  Vermuthung  sehr  nahe  legen,  dass  hier  eine 
ursprünglich  umständlichere  Erzählung  bis  beinahe  zur  Unverständlichkcit 
abgekürzt  sein  möge.  Z.  B.  p.  369,  24  ff.  finden  wir  den  Habrokomes 
plötzlich  in  Tarsus,  während  wir  vorher  noch  gar  nicht  einmal  erfahren 
haben,  dass  er  auch  nur  nach  Cilicien  zurückgelangt  sei  (s.  p.  863,  38  f.). 
Man  sehe  ferner,  wie  abrupt  plötzlich  p.  857,  2  der  Räuber  Hippothous 
zum  ersten  Mal  auf  die  Bühne  gestossen  wird.  Man  betrachte  eine  Anzahl 
Stellen,  an  welchen  die,  überall  knappe  Erzählung  in  wenigen  Sätzen  die 
bedeutendsten  Schicksale  einer  ganzen  Handvoll  der  wichtigsten  Personen 

Rohde,  Der  griechische  Roman.  26 


—     402     — 

tig  bemerkt  hat:  wer  ein  Epos  lesen  wolle,  dürfe  so  wenig 
Eile  haben,  wie  der  richtige  epische  Dichter  selbst,  so  muss 
man  gestehen  dass  unser  Xenophon  von  dem  epischen  Geblüt, 
von  welchem  doch  auch  dem  Romanschreiber,  als  einem  nahen 
Verwandten  des  epischen  Dichters,  ein  wenig  in  den  Adern 
kreisen  sollte,  allzu  wenig  in  sich  birgt.  Er  hat  überall  Eile, 
er  reisst  uns,  wie  ein  mürrischer  Galleriediener,  mit  geschäfls- 
mässiger  Hast  von  einem  Bilde  zu  dem  andern,  so  dass  uns 
kaum  irgendwo  die  so  üüchtig  vorüberhuschenden  Gestalten 
recht  deutlich  werden.  Nur  in  den  erotischen  Partien  am 
Anfang  der  Erzählung^)  verweilt  er  mit  grösserer  Liebe  etwas 
langer ,  und  hier  zeigt  seine  Erzählung  eine  gewisse  unschul- 
dig liebenswürdige  Grazie  und  Süssigkeit,  welche  erkennen 
lassen  dass  sein  eigentliches  Talent  auf  der  lyrisch-idyllischen 
Seite  liegt.  Eine  weitere  Probe  dieses  Talentes  giebt  er  in 
der  anmuthigen,  auch  nicht  ohne  Anmuth  erzählten  Liebes- 
geschichte des  Aegialeus  und  der  Thelxinoö^).  Wie  er  frei- 
völlig  im  Tone  einer  blossen  Inhaltsübersicht  zusammeudrängt :  z.  B.  V  6. 
Dergleichen  Beobachtungen,  combinirt  mit  jener  Angabe  des  Saidas  laffien 
den  Gedanken,  dass  uns  möglicher  Weise  nur  eine,  das  Ganze  auf  die 
Hälfte  des  Umfangs  zusammenziehende  Epitome  der  ursprünglichea  Er« 
zälilung  vorliege,  nicht  als  völlig  verwerflich  erscheinen.  Konnte  nicht  der 
Verfasser  selbst  eine  kürzere  Gestalt  seines  Werkes,  neben  der  umfangreiche- 
ren, an  das  Licht  zu  stellen  für  zweckmässig  halten?  Dergleichen,  von  den 
Verfassern  selbst  veranstaltete  Epitomae  der  eigenen  Werke  sind  im  Alter- 
thum  durchaus  nicht  ohne  Beispiel:  so  epitomirle  Dionysius  von  Halicaroass 
seine  Archäologie  selbst,  so  Pausanias  und  Actius  Dionysius  ihre  Xi^i;,  so 
Nicanor  sein  eigenes  Werk  über  Intcrpunction  (s.  Suidas),  Thilochorus  seine 
Atthis  (Suidas;.  Wie  in  unserem  Fall  reducirte  Phlegon  ein  eigenes  Werk 
in  einer  kleineren  Ausgabe  auf  die  Hälfte:  e^parl/ev  6Xu(Airtaoac  h  ßißXCoic 
t;',  xd  0  aürd  dv  ßifiXtot;  ri  (ß'  ohne  hinreichenden  Grund  Müller,  Fr.  bist, 
lll  603  b):  Suidas. 

1)  I  1—9. 

2)  \  i,  4 — i^.  —  Beiläufig  sei  auch  hier  eine  sonderbare  Gedanken- 
losigkeit des  Xenophon  hervorgehoben.  Der  Strandbewohner  heisst  AlytaXc^c 
ohne  Zweifel  mit  bedeutsamer  At>sicht:  aber  man  müsste  in  diesem  Namen 
geradezu  eine  Prophezeiung  seiner  Schicksale  suchen,  da  er  ja  ur- 
sprünglich und  als  er  seinen  Namen  bekam,  in  Sparta  lebte.  Dass  übrigenf 
solche  Anspielung  auf  Art  und  Charakter  der  einzelnen  Personen  des  Romans 
sich  vielfach  in  den,  vom  Dichter  ihnen  gegebenen  Namen  (Antheia,  Habro- 
komes,  Hyperanthus,  Thelxino^,  Kyno)  erkennen  lasse,  bemerkt  schon  Lo- 
cella  p.  S89  (zu  7t,  5)  ganz  richtig:  diese  Spielerei  ist  bei  den  erotischen 
Dichtern   nicht  unbeliebt:    sie  findet  sich  bei  Aristaenetus,    bei  Apulejot  in 


—     403     — 

lieh  diese,  in  den  eigentlichen  Roman  völlig  zusammenhanglos 
hiDeingeslellte  Geschichte  einem  alteren  Erzähler  entlehnen 
mochte,  so  verdankt  er  auch  den  zarten  und  leidenschaftlichen 
Klang  jener  erotischen  Einleitung  grösstentheils  jenen  helleni- 
stischen Vorbildern ,  von  denen  im  ersten  Buche  umständlich 
gehandelt  worden  ist.  In  der  Verbindung  dieser  erotischen 
Malereien  mit  dem  Hauptkörper  seiner  Erzählungen  bewährt  er 
wiederum  sein  eigenthümliches  Ungeschick.  Der  Vermählung 
des  liebenden  Paares  steht  von  Seiten  der  Ellern. nicht  das  ge- 
ringste Hinderniss  im  Wege;  wenn  uns  dennoch  der  ganze 
Apparat  einer  verzweifelt  unglücklichen,  aussichtlos  sich  sehnen- 
den Liebesleidenschaft  vorgeführt,  und  den  Eltern  erst  durch 
den  allwissenden  Gott  der  rettende  Gedanke  eingegeben  wird: 
so  erkennt  man  freilich  die  Absicht,  um  jeden  Preis  die 
erotische  Leyer  voll  ausklingen  zu  lassen,  deutlich  genug. 

Von  solchen  wenig  zahlreichen  Ausnahmen  abgesehen, 
trägt  Xenophon  seine  Erzählung  zumeist  mit  der  Trockenheit 
und  Knappheit  eines  Registers  vor.  Sein  Buch  bildet  hierin 
einen  sehr  merklichen  Gegensatz  zu  den  weiterhin  zu  betrach- 
tenden Romanen  des  Ueliodor,  Achilles  u.  A.  Dem  Xenophon 
kommt  es  viel  weniger  auf  die  kunstreiche  Form  der  Darstel- 
lung als  auf  den  Inhalt  an,  welchem  er  nach  Kräften  den 
grössten  Reichthum,  die  bunteste  Mannichfaltigkeit  zu  geben 
sucht.  Muss  ein  solches  Ueberwiegen  des  stofflichen  Interesses 
überhaupt  für  das  Kennzeichen  einer  sehr  niedrigen  Stufe  un- 
entwickelter Kunst  gelten,  so  mag  man  in  unserm  Falle  eben 
bierin  ein  weiteres  Anzeichen  einer  etwas  früheren  Zeit  des 
Xenophon  erkennen;  er  steht  noch  mehr  auf  der  Seite  des 
Antonius  Diogenes  als  auf  derjenigen  des  vollentwickeltcn  sophi- 
stischen   Romans.      Gleichwohl    wird    man    auch    ihn    sich    als 


den  Metamorphosen  (s.  meine  Sctirift  über  Lucians 'O'vo;  p.  16),  bei  Cha- 
riton,  auch  wohl  schon  bei  hellenistischen  erotischen  Dichtern  (Dilthey  de 
Call.  Cyd.  p.  ki.  p.  4  20  f.)  und  sonst  ja  häufig.  Allen  voran  ging  Vater 
Homer,  bei  welchem  viele  unter  den  frei  erfundenen  Personen  6vo|i.a^Tixd< 
benannt  werden,  wie  Aristarch  mehrfach  notirt  hatte  (s.  Lehrs,  Aristarch. 
ed.  I  p.  274).  —  (Ganz  naiv  sagt,  in  Nachahmung  solchen  antiken  Gebrauchs, 
Boccaccio  in  der  Einleitung  zum  Decamerone:  per  ciö,  acciö  che  quello 
che  ciascana  dicesse  senza  confusione  si  possa  coroprendere  appresso,  per 
nomi  alle  qualitä  di  ciascuna  convenienti  o  in  tutto  o  in  parte  intendo  di 
aominarle). 

26* 


_    404     — 

einen  Rhelor  zu  denken  haben:    kaum  wagte  wohl  in  jenen 
Jahrhunderlen  irgend  ein  Laie  sich  in  das  Gebiet  der  »schönen 
Litteratur« ,    welches  nun  einmal  der  Rhetorik  als  ihr  eigenstes 
Eigenthum  zugefallen  war.     Es  fehlt  auch  in  seiner  Erziihiung. 
welche  meistens  mit   dem   schlichten   Botengang ,   wie*  er   sonst 
wohl  populüren    »Volksbüchern«  eigen  ist,  geradeswegs  auf  ihr 
Ziel    zuschreitet,    nicht   völlig   an   allerlei    rhetorischen    Seiten- 
sprüngen und  Abschweifungen.     Hie  und  da   giebt   es   patheti- 
sche Schilderungen   (z.  B.  bei  dem  Ueberfall  des  SchiflFes  durch 
die  Seeräuber  ^)),  vielfach  gefühlvolle  Monologe  oder  Duette  der 
unglücklichen  Liebenden  ^/  ,  es  fehlen   auch  die   knappen ,    fein 
gedrechselten   Briefchen 3)    nicht    ganz,    in    denen    die    andcra 
Romanschreiber    ihre    rhetorische    Kunst    besonders    zu    zeigen 
lieben;    einmal  versucht    sich    der,    sonst    mit   Beschreibungen 
ungemein  karge  Dichter  auch,   und  nicht  ohne  Glück,    in   der 
zierlichen  Beschreibung  eines  kostbaren   babylonischen  Zelttep- 
pichs ^j.      Aber    alle    dergleichen    rhetorischen    Kunstleistungen 
treten  doch ,  dem  Raum  und  der  Bedeutung  nach ,    in   diesem 
Romane  sehr  zurück   vor   der  einfachen    unverblümten   Erzäh- 
lung des  rein  Thatsächlichen.     Dieser  schlichteren  Haltung  ent- 
spricht auch  die  Sprache  des  Autors.     Auch  hier  fällt,  zumal 
im  Gegensatz  zu  der  Manier  des  Achilles  Tatius ,  Longus  u.  A., 
die  Abneigung  gegen   die  rhetorische   Phrase   auf.     Xenophon 
bewegt  sich  durchaus  in  der  schmucklos   einfachen,    sorglosen, 
ja  bisweilen  nachlässigen,  Redeweise  des  gewöhnlichen  Lebens, 
welcher  sonst  die  Rhetoren  jener  Zeit  stolz  und   vornehm   aus- 
weichen.    Man  bemerkt  keine   sonderliche  Aufmerksamkeit  auf 
die  » attische  a  Reinheit  des  Ausdruckes,  vielmehr  fallt  eine  An- 
zahl wenig  correcter,  zum  Theil  aus  unserer   sonstigen  Kennt- 
niss    der    griechischen    Sprache    nicht    weiter    zu    erhärtemder 
Wörter  und  Wortformen,  sonderbarer  Gonstructionen,  seltsamer 


1)  I  U,  S  ff.  Vgl.  auch  den  sehr  umständlich  geschilderten  Abschied 
des  Paares  von  Ephesus:  1  40,  6  iT.  u.  s.  w. 

2)  Ausser  den  erotischen  Partien  im  Anfang  vgl.:  1  41,  S  fT.,  II  4. 
II  7.  8,  II  H,  4.  5,  III  5,  2  ff.,  III  6,  5,  111  8,  III  40,  «.  8,  IV  6,  6  f.. 
V  4,  4J,    V  6,  5,    V  8,  8  f.,  V  8,  7  ff.,  V  40,   4  f.,  V  44. 

3)  p.  350,  20;  354,  S;  357,  6. 

4)  I  8,  2.  8.  Vgl.  F.  Matz,  De  Philostrator.  in  describ.  imag.  fide 
p.  44. 


—    405    — 

Verwendung  wohlbekannter  Wörter  zu  sonst  ungebräuchlichen 
Bedeutungen  auf^).  Alle  diese  Abweichungen  vom  classischen 
Sprachgebrauch  treten  bei  Xenophon  mit  voller  Unbefangenheit 
auf:  man  merkt  wohl,  dass  der  Autor  sich  gar  nicht  bewusst 
ist,  wie  gröblich  er  versjösst  gegen  das  oberste  Gebot  der  Rhe- 
torik seiner  Zeit,  welches  durchaus  verlangte ,  dass  man  rede 
»wie  ein  Buch«,  nämlich  wie  die  nur  noch  in  Büchern  leben- 
dige Sprache  eines  längst  vergangenen  Alterthums.  Es  ist 
häufig  hervorgehoben  worden,  dass  in  diesen  späten  Zeiten  ein 
mehr  oder  weniger  classisch  reiner  Ausdruck  bei  griechischen 
Autoren  lediglich  grösseren  oder  geringeren  Fleiss,  mehr  oder 
minderes  Talent,  in  der  Aneignung   einer  thatsächlich  todten 


1)  Hierfür  einige  Beispiele  per  saturam.  ^SioTopcTv  t?jv  tt^Xiv  »betrach- 
ten« p.  344,  3S  (vgl.  Locella  p.  4  68  f.);  tö  7p^(A|i.a  (so  die  Hs.)  p.  350,  29 
»der  Brief«,  (vgl.  Steph.  Thes.  s,  v.) ;  ebenso  p.  350,  17  fpa\i\ui'zio^  (so  die 
Hs.) ;  ^uoooTreTv  TiNa :  Jemanden  erschrecken,  p.  877,  19  (s.  Lobeck  ad  Phryn. 
p.  490);  iauTov  dxSixetv  p.  350,  26  (s.  Steph.  Thes.  s.  ixh.)  ;  d^a^tv*  ei; 
S<^ii^  p.  854,  4  7  (so  die  Hs.  :  vgl.  Steph.  Thes.  s.  ^»^^i;) ;  iraf»'  Ixaoxa  p.  364, 
47  SS  kxd^xoTZ  (s.  Locella  p.  224)  iTziympia  p.  329,  3 :  so  die  Hs. ;  vgl» 
dva^a  p.  392,  9  (s.  Lobeck  Paralip.  468),  BaßuXcnvCa  p.  336,  24  (und  352, 
22?);  5iV)Y7)fAa  =  Erlebniss  p.  362,  24;  377,  3;  394,  23  (die  Herausgeber 
verweisen  auf  Hemsterhus.  ad  Thom.  Mag.  p.  236).  Für  alle  diese  und 
ähnliche  Dinge  lassen  sich  Beispiele  aus  anderen  spätgriechischen  Autoren 
beibringen  (auch,  wenngleich  erst  aus  Theophylactus  Simocattes,  für  den 
transitiven  Gebrauch  von  ouvouoidCeiv  [p.  353,  29] :  s.  Lobeck  zu  Soph.  Aj. 
p.  384  [ed.  II]  citirt  in  Steph.  Thes.  s.  v.);  anderes  scheint  ganz  ohne  wei- 
teres Beispiel  zu  sein.  So  iizXa'ppai  xivo;  p.  897,  3 ;  dTzt^feX(s%ai  p.  392,  2 
(so  die  Hs.  Von  den  vorgebrachten  Aenderungvorschlägen  würde  wohl 
Struves  dlvTe^Tj^.  [s.  Steph  Thes.  s.  d^t^f.]  bei  Weitem  den  Vorzug  ver- 
dienen ;  ich  sehe  aber  keinen  hinreichenden  Grund,  dieses  Wort  ganz  aus- 
zurotten :  andere  Composita  mit  dir-  e^-  weisen  die  Lexica  aus  späten  Scri- 
beuten  nach);  t^i^X-q  die  Nebenbuhlerin  p.  355,  49  (vor  willkürlichen  Aen- 
derungen  geschützt  durch  Aristacnetus  I  25  p.  4  55,  4  4  ed.  Hercher,  wo 
man  jetzt  zwar  C'')X'r)fJiova  liest,  CtjXtjv  aber,  mit  vielem  Anderen  von  Aristae- 
netus  aus  Xenophon  entlehnt,  in  der  Hs.  steht,  [vgl.  C'^jXa  *  cpOövo;  gloss. 
Graecobarb.  Ducange  Gloss.  med.  et  inf.  Graec.  s.  v.])  —  Der  scharfe 
Unterschied  welcher  p.  367,  27.  82.  zwischen  vuiicpt]  (sonst  meist  die 
junge  Frau,  hier  aber  nothwendiger  Weise:  die  Braut)  und  pvV)  gemacht 
wird,  ist  wohl  nicht  auf  classischem  Sprachgebrauch  begründet.  So  scheidet 
aber  auch  Hei iodor  genau  zwischen  v6|i.(pT]  (avtjSti^  fa[keTf\:  Aeth.  p.  204,  28* 
143,  5;  246,  6.  23.  32  (ed.  Bekker.)  —  pvaixa  (Rofiai  »ich  werde  dir  eine 
Frau  zuführen«  p.  354,  22  mit  sehr  selten  vorkommender  Anwendung  des 
Medium. 


—     406     — 

Buchersprache,  «allenfalls  auch  mehr  oder  weniger  günstige  Ge- 
legenheit zu  rhetorisch- grammatischen  Vorstudien,  endlich 
stärkeren  oder  schwächeren  Einfluss  gewisser  landschaft- 
lich-besonderer Verkrüppelungen  des  altgriechisehen  Idioms 
erkennen  lasse,  ftlr  die  Zeit  der  einzelnen  Scribenten  dagegen 
nur  ein  sehr  zweifelhaftes  und,  wenn  es  ohne  weitere  Unter- 
stützung auftritt ,  geradezu  gar  kein  Anzeichen  hergebe.  Es 
wäre  aber  endlich  Zeit,  nach  dieser  hinreichend  begründeten 
Einsicht  nun  auch  zu  handeln ,  und  sich  bei  der  Bestimmung 
des  Zeitalters  spcUgriechischer,  chronologisch  nicht  genau  zu 
fixirender  Schriftsteller  nicht  durch  die  Machtsprüche  einiger 
Gelehrten  verbluß'en  zu  lassen ,  welche  lediglich  nach  dem 
Maassstabe  eines  reineren  oder  gelrUbteren  Atticismus  die  Zeit 
solcher  Schriftsteller  festzustellen  unternehmen.  Man  erschwert 
sich  durch  ein  solches  sunmiarisches  Verfahren  *)  nur  die  Er- 
kenntniss  der  einzelnen  Stadien  in  der  allmählichen  Verwitte- 
rung der  Züge  des  einst  jugendlich  blühenden  Antlitzes  der 
griechischen  Sprache,  wiihrend  gerade  solche,  gelegentlich  hinter 
der  Zeihen  Schminke  classisch  antiken  Ausdrucks  hervortretende 
natürliche  Züge  einer  alt  gewordenen  Sprache  im  Einzelnen 
lehren  können,  was  ja  im  Allgemeinen  Niemand  bezweifelt,  wie 
früh  der,  durch  die  Litleratursprache  jener  Zeit  künstlich  ver- 
steckte Verfall  in  der  unbefangeneren  Sprache  des  täglichen 
Lebens  begann,  und  wie  emsig  er  im  Verborgenen  fortwühlle. 
So  genügen  denn  auch  bei  Xenophon  die  mannichfachen  Incor- 
rectheiten  des  sprachlichen  Ausdrucks  ganz  gewiss  nicht,  um 
ihn  unter  Heliodor  oder  gar  unter  Achilles  Tatius  herunter  zu 
drücken,  sondern  sie  lassen  nur  seine  mangelhaftere  rhetorisch- 
stilistische  Ausbildung  erkennen.  —  Sonderbar  stechen  übri- 
gens von  seinem  sonst  bis  zur  Dürre  schlichten  Ausdrucke 
einzelne  wenige  fast  poetische  Wortbildungen  ab ^j ;  man  könnte 

1)  Vor  einem  summnrischcn  Verfahren  in  solchen  Zcithestirumungeo 
nach  dem  Spnichgchrnuch  als  einem  mindestens  noch  verfrühoten  y^'^ni 
sehr  richtig  z.  B.  Lobeck  Agiaoph.  p.  36i ;  und  wer  hatte  dazu  ein  besseres 
Recht  als  der  Commcntator  des  Phrynichus? 

2)  Z.  B.  TJVava^^p-TjveTv    p.  362,  35,    wohl   auch   cuoatfi.o9uvT]  p.  345,  Si;  ' 
vüv  dD.Tjftfi);  }jL£[jia^,xa  2x1  Ipco;  diXr,ftivo;  Zpov  f,Xixia;  (t)Xix(av  cj. :   Hemsterb.) 
o'jTn  tfZK,  p.  884,  28  »dass  die  Liebe  nicht  in  der  Lebenszeit  ihre  Grense 
lindol«,   io   weichem  Sinne  TjXtxla   (anders  als   das   lateinische   aetas)   sonst 
wohl  nicht  gebraucht  wird. 


—    407    — 

vermuthen ,  dass  dergleichen  Verzierungen  ihm  aus  emsigerer 
Beschäfligung  mit  der  Dichtung  in  gebundener  Rede  geläußg 
waren :  wenigstens  bezeugen  einige  in  seine  prosaische  Erzäh- 
lung eingeschobene  Verse,  dass  er  sich  nicht  ungern  in  Hexa- 
metern reden  hörte  ^).  Im  Uebrigen  darf  man  nicht  befürch- 
ten, dass  er  sich  vom  dichterischen  Taumel  leicht  über  die 
Ebenen  der  gewöhnlichsten  Prosa  emporreissen  lasse.  Viel- 
mehr ist  er  froh,  mit  einigen  stets  wiederholten  durchaus  haus- 
backen prosaischen  Redewendungen  gerade  über  die  poetisch  ge- 
hobeneren Stellen  seiner  Erzählung  hinwegschlüpfen  zu  können ^j; 
und  so  zeigt  sich  die  Armuth  dieses  wirklich  bornirten  Kopfes 
überhaupt  in  dem  dürftigen  Vorrath  stereotyper  Formeln  und 
Ausdrücke,  mit  welchen  er  zumal  in  den  Uebergängen  von 
einem  Abschnitt  der  Erzählung  zum  andern  die  Verbindungs- 
brücke zu  schlagen  pflegt.  3). 

1]  I  6,  8;  III  2,  43;  p.  385,  4  6.  (Bemerkenswcrlh  sind  die  kühnen 
Neubildungen  I  6,  2 :  XiQTroSlancToc,  (Ai^o^dXaaao;.) 

2)  Z.  B.  werden  heftige  Erregungen  des  GcmUthes  stets  mit  Floskeln 
abgethan  wie  diese:  ttoXXA  ajjia  dwoöv  — ,  d[va{x(?aaa  Trdtvra  — ,  Iwoia  oe 
T^dvTCDV  duTov  el;T)p)^eTo  —  xoretye  o*  auTou;  iroXXd  ajxa  TtdOt]  —  u.  s.  w., 
worauf  dann  einfach  ein  Katalog  der  verschiedenen  Stimmungen  und  Leiden- 
Schäften  folgt,  und  die  Sache  abgemacht  ist.  Vgl.  p.  340,  9;  351,  7; 
864,  86;  374,  8;  372,  30;  397,  49;  380,  46.  —  Eine  Aufgabe  war  es,  die 
verschiedenen  Arten  der  Liebcsleidenschaft,  welche  Antheia  allen  ihr  begeg- 
nenden Männern  einflösst,  und  deren,  je  nach  dem  Charakter  der  Einzelnen 
verschiedenes  Entstehen  zu  nüanciren.  Bei  Xen.  geht  das  sehr  einfach  ab: 
man  verliebt  sich  jedesmal  ix  TcoXXiJc  t9)c  %i%^  i^pipav  ^'Leu;,  ix  Tffi  auvr,- 
&OUC  oiairrfi,  U.  s.  w.  :  p.  344,   48;  848,   43;  358,   48;   377,  25. 

3)  Der  Sprung  von  den  Schicksalen  der  einen  Person  zu  denen  einer 
anderen  wird  fest  stets  durch  ein:  £v  toutoi  eingeleitet:  p.  345,  9;  347,  48; 
884,  44;  357,  4;  377,  4;  352,  7;  366,  44;  364,  44;  393,  24;  394,  8;  896, 
S2.  Aehnliche  Armuth  bei  Einführung  einer  neuen  Person.  Da  heisst  es 
regelmässig  wie  p.  372,  20  :  (dliveiTai  tov  'Aßpox6[j.T]v  n^gfs^(nrfi  oxpaTidkrjc) 
"Apaco;  Touvopia.  oütoc  6  "Apajoc  xtX.  :  s.  Hercher  erot.  1  p.  LIV  (zu 
p.  358,  4  4.)  —  Wenn  ein  angesehener  Mann  auftritt,  wird  seine  Stellung 
bezeichnet,  wie  mit  einem  unabänderlichen  Titel,  mit  den  Worten:  x&v  xd 
npaära  dxel  ^uvapiivoiv:  so  p.  329,  4  ;  360,  44;  360,  29;  376,  6.  —  Im  höchsten 
A£fect  heisst  es  stets  von  der  aufgeregten  Person  (toiv  roS&v)  npoOxu- 
XCcTo;  so  p.  858,  4;  366,  3;  368,  29;  397,  28.  —  Soll  gesagt  werden,  dass 
Jemand  etwas  nicht  ohne  Mühe  tbut  oder  vollbringt,  so  heisst  es  stets: 
(i>v7}^cic  eioeX^eiv,  E'jv7]^eiaa  h  Ta^tj>  piot  '^£^i9%ai  u.  s.  w. :  p.  852,  26; 
860,  24;  362,  6;  380,  29;  383,  24.  —  Noch  sei  einer  gewissen  Armuth  des 
Xen.  im  Gebrauch  der  Partikeln  gedacht;  er  kennt  nicht  xal— ^  (Hercher 


—     408    — 


3. 


Neben  den  Ephesischen  Geschichten  des  Xenophon  findet 
ein  Roman  am  schicklichsten  seine  Stelle,  welcher,  wiewohl  nur 
in  lateinischer  Verkleidung  uns  tiberliefert ,  dennoch  in  einer 
Geschichte  des  griechischen  Liebesromans  eine  kurze  Er- 
wähnung beanspruchen  darf.  Ich  meine  die  »Geschichte 
des  Apollonius  von  Tyrus«,  jenes  so  wohlbekannte,  durch 
vielfältige  Uebersetzungen  den  meisten  Nationen  des  Mittelalters 
angeeignete  Volksbuch,  dessen  iilteste  uns  erreichbare  Gestali 
in  lateinischer  Sprache  man  allgemein,  nach  dem  Vorgange  des 
zweiten  Herausgebers  (M.  Velser  1595),  für  die  Uebersetzung 
und  Ueberarbeitung  eines  ursprünglich  griechisch  geschriebenen 
Romans  zu  halten  geneigt  ist'). 

Wir  werden  auch  hier  gut  thun,  zunächst  den  wesent- 
lichen Inhalt  jenes  merkwürdigen  Büchleins  der  Erinnerung 
wieder  vorzuführen. 

Der  König  Antiochus,  in  d<^r  nach  ihm  benannten  Stadt  Antiochia 
residircnd,  lebt  in  verbrecherischem  Liebcsbündniss  mit  seiner  eigenen 
Tochter.  Um  von  dieser  andere  Freier  fernzuhalten,  giebt  er  jedem 
Bewerber  ein  Käthsel  auf;  alle  welche  dieses  nicht  zu  lösen  ver- 
mochten, und  bisweilen  auch  solche,  denen  die  Lösung  gelungen 
war,  wurden  enthauptet  und  ihre  Kopfe,  zur  Warnung  des  Für- 
witzes, über  dem  Thor  des  Schlosses  aufgehängt.  Unter  zahlreichen 
anderen  Prinzen  und  iierren  kommt  auch  Apollonius  aus  Tyrus  »der 

Vorr.  zu  p.  329,  9),  nicht  -youv  (Herch.  Vorr.  za  p.  846,  4t),  wiewohl  -yi 
(Herch.  Vorr.  zu  386.  4  6).  Hat  Jemand  geredet  und  es  soll  angegeben 
werden  was  er  weiter  Ihat,  so  wird  hei  Xen.  dies  Weitere  regelmässig 
durch  ein  etTtdbv,  X^^ousa  u.  dgl.  aber  oline  hinzugesetzte  Partikel  einge- 
leitet.     (S.    Hercher  Vorr.  zu  p.  337,  89.) 

1)  Ich  verweise  für  alle  hier  nicht  zu  erörternden  litterarischen  und 
bibliographischen  Puncto  auf  die  Ausgabe  der  liisloria  Apollonii  regis  Tyri 
von  AI.  Riese  (L:  1871)  und  auf  Teuffels  Gesch.  d.  röm.  Lit.  §  48«.  — 
Mittelalleriichc  Bearbeitungen:  Grösse,  Allg.  Litcrürgesch.  II  3,  457—460.— 
Als  ein  Beweis  für  die  grosso  Beliebtheit  der  Geschichte  möge  noch  an- 
gemerkt werden,  dass  in  der  Vilkinasaga  dem  König  Artus  von  Bertangaland 
zwei  Söhne  gegeben  werden,  Iron  und  Apollonius.  von  denen  der  Zweite 
von  Altila  zum  Jarl  über  Tira  eingesetzt  wird.  (P.  E.  Müller,  Sagabibl. 
II  209,  übersetzt  von  Lange;.  In  diesem  Apollonius  \on  Tira  (dessen 
Schicksale  im  Uebrigen  keine  sonderliche  Achnlichkeit  mit  denen  des  Ro- 
manhelden zeigen)  hat  man  mit  Recht  eben  jenen  Apollonius  Tyrius  des 
Volksbuches  wiedererkannt. 


—     409     — 

erste  Mann  in  seiner  Vaterstadt«  nach  Antiochia;  er  löst  das  ihm  vorge- 
legte R'äthsel,  in  welches  der  König  sein  eigenes  ruchloses  Bündniss 
mit  der  Tochter  verhüllt  hatte,  wird  aber  dennoch  von  dem  schänd- 
lichen König  abgewiesen,  ja  mit  dein  Tode  bedroht.  Er  fahrt  eilends 
nach  Tyrus  zurück,  rüstet  dort  ein  Schiff  mit  Getreide  und  vielen 
Kostbarkeiten  aus  und  fährt  in  der  Nacht  ins  Meer  hinaus.  Ein  ihm 
von  Antiochus  nachgeschickter  Sklave  trifft  ihn  bereits  in  Tyrus  nicht 
mehr  an:  er  kehrt  unverrichteter  Sache  zum  König  zurück,  und 
dieser  verheisst  grosse  Belohnung  demjenigen  der  ihm  den  Apollonius 
lebendig  oder  todt  ausliefere.  Während  man  ihn  nun  überall  sucht, 
kommt  Apollonius  nach  Tarsus  in  Cilicien.  Ein  Landsmann,  Helle- 
hicus,  unterrichtet  ihn  dort  von  dem  Edict  des  Königs;  ein  Bürger 
der  Stadt,  Stranguillio ,  den  er  um  ein  Versteck  in  Tarsus  angeht, 
berichtet  ihm  von  einer  Hungersnoth,  die  in  der  Stadt  wüthe ;  Apol- 
lonius überlässt  grossmüthig  den  Bürgern  einen  Theil  des  Getreides 
welches  er  mitgebracht  hat,  zum  Einkaufspreise.  Zum  Dank  errichten 
die  Bürger  ihm  ein  ehernes  Standbild  auf  dem  Markte.  Nach  einiger 
Zeit  fährt  Apollonius  nach  der  Cyrenäischen  Pentapolis  ab.  Ein  See- 
sturm zertrümmert  das  Schiff;  Apollonius,  allein  von  der  gesammten 
Mannschaft,  wird  lebend  bei  Cyrene  ans  Land  geworfen.  Ein  alter 
Fischer  begegnet  ihm,  bewirthet  ihn  unter  seinem  ärmlichen  Dache 
und  bekleidet  ihn  mit  der  Hälfte  seines  eigenen  Gewandes.  Von 
dem  Fischer  zurechtgewiesen  geht  Apollonius  in  die  Stadt ;  im  Gym- 
nasium erfreut  er  den  mit  grossem  Gefolge  anwesenden  »König  jenes 
ganzen  Landes«,  Archistrates,  zuerst  durch  gewandtes  BallspieP], 
dann  durch  geschickte  Handreichung  beim  Bade.  Der  König  zieht 
ihn  zur  Tafel;  die  Königstochter,  welche  in  den  Saal  tritt,  um  die 
Gäste  zu  begrüssen,  veranla^sst  den  unbekannten  Mann,  seine  Schick- 
sale zu  erzählen.  Als  sie,  auf  Geheiss  des  Vaters,  die  Gesellschaft 
durch  Gesang  zur  Lyra  erheitert,  spricht  Apollonius  nur  ein  beding- 
tes Lob  aus,  dessen  Berechtigung  er  alsbald  durch  eigene  mimische 
und  musikalische  Vorträge  beweist^).     Auf  Bitten  der  Tochter  behält 


1)  p.  47,  k — 7.  Die  hier  angedeutete  Art  des  Ballspiels  ist,  wie  es 
scheint,  die  £ic(9xupoc  genannte,  weiche  Pollux  IX  404  schildert  (vgl. 
Eastath.  Od.  VllI  37  p.  4601,  35  Rom.  Schol.  Plat.  p.  358  Bekk.),  viel- 
leicht auch  das,  nur  keinesfalls  mit  dem  dTt^axupoc  zu  identificirende,  har- 
pasta  genannte  Ballspiel  (über  welches  vgl.  Marquardt,  Rom.  Alt.  V  2,  425). 

2)  c.  XVI  p.  20,  7  R.:  egressus  foras  Apollonius  induit  statum,  Co- 
rona Caput  decoravit  et  accipiens  lyram  inlroivit  triclinium  cet.  Vor  statum 
setzt  Riese  ein  Kreuz,  zum  Zeichen  der  Corruptel,  ein.  Es  scheint  einfach 
ein  Adjecliv  zu  fehlen:  wie  gleich  nachher  Apollonius  statum  comicum 
und  sodann  (statum)  trag ic um  anlegt,  so  hier  vermuthlich  statum  lyri- 
cum.  Status  muss  in  diesem  Zusammenhang  nicht  oy^fxa,  wie  sonst  wohl, 
sondern  oxeu-^  bedeuten  sollen.  Status  lyricus  wäre  also  jenes  bekannte 
Festcostüm  der  Kitharoeden :  ein  lang  fliessendes  Gewand  u.  s.  w.  Vgl. 
beispielsweise  Dionys.    Byz.    anapl.    Bosp.    p.    4  7,    4  0    (ed.   Wescher] ,   vom 


—     410     — 

Archistrates  dea  Fremdling  bei  sich ;  derselbe  unterrichtet  die  Priii- 
zessin  in  der  Musik.  Eines  Tages  trifft  der  König,  mit  Apollomus 
auf  dem  Markte  umherwandehid ,  drei  vornehme  Jünglinge,  welche 
um  seine  Tochter  anhalten.  Er  schickt  den  ApoUonius  mit  einem 
Briefe,  welcher  die  Namen  der  drei  Bewerber  und  die  Summe  des 
von  einem  Jeden  verheissenen  Brautkaufgeldes  enthält,  zu  der  Tochter: 
sie  solle  aufschreiben,  welchen  sie  wähle.  Sie  wählt  statt  aller  An* 
deren  den  langst  geliebten  ApoUonius,  und  der  König  verbindet  die 
Beiden  zur  glücklichsten  Ehe.  .  Nach  einiger  Zeit  erfährt  ApoUonius 
von  einem  tyrischen  Schiffer,  dass  Antiochus  mit  seiner  Tochter  vom 
Blitze  erschlagen  sei,  die  Herrschaft  aber  ihm,  dem  ApoUonius,  auf^ 
bewahrt  werde.  Um  sein  Reich  einzunehmen,  fährt  Apolionius  ab,' 
von  seiner  Gattin  begleitet.  Auf  dem  Meere  gebiert  diese  eine 
Tochter,  sinkt  aber  alsbald  selbst  wie  todt  um.  Da  an  Bord  eines 
Schiffes  keine  Leiche  geduldet  wird,  lässt  der  trostlose  ApoUonius 
den  Leichnam  seiner  Gemahlin  in  einen  wohlverschlossenen  Kasten 
legen  und  ins  Meer  werfen.  Am  dritten  Tage  wird  der  Kasten  bei 
Ephesus  ans  Land  getrieben;  ein  Arzt,  Chaeremon,  findet  ihn;  schon 
will  uian  den  Leichnam  im  Feuer  bestatten ,  da  kommt  ein  Schüler 
des  Chaeremon  darüber  zu,  bemerkt  noch  Leben  in  dem  staireB 
Körper  und  belebt  endlich  die  Scheintodte.  Auf  ihre  Bitten  wird  sie 
unter  die  keuschen  Priesterinnen  der  Artemis  aufgenommen.  —  Apol- 
ionius kommt  nach  Tarsus,  übergiebt  seine  kleine, Tochter  und  deren 
Auuue  Lycoris  dem  Stranguillio  und  dessen  Frau  Dionysias,  und  fährt 
wieder  ab,  nach  Aegypten.  Die  Tochter,  Tharsia  benannt,  wird  in 
Tarsus  erzogen.  Als  sie  da^^  vierzehnti^  Jahr  erreicht  hat,  erfährt 
sie  von  der  sterbenden  Lycoris  ihre  Herkunft  und  die  Namen  ihrer 
Aeltern.  Dionysias,  wegen  der  Hässlichkeit  ihrer  eigenen  Tochter 
auf  die  schöne  Tharsia  ergrimmt ,  beauftragt  einen  •  ihrer  Sklaven, 
einen  Gutsverwalter,  die  Tharsia  zu  ermorden.  Der  lauert  iiir  auf, 
wie  sie,  ihrer  Gewohnheit  nach,  aus  der  Schule  kommend,  zu  dem 
Grabmale ,  welches  sie  der  Lycoris  am  Meerosufer  errichtet  bat, 
geht;  er  packt  sie,  verstattet  ihr  aber  noch  eine  kurze  Frist,  um 
Gott  anzurufen.  Da  erscheinen  Piraten,  vertreiben  ihn  und  entführen 
die  Tharsia.  Der  Sklave  meldet  der  Dionysias,  Tharsia  sei  todi; 
diese  heuchelt  heftigen  Schmerz  und  errichtet,  dicht  neben  dem- 
jenigen der  Lycoris,  der  Tharsia  ein  Grabmal.  —  Die  Piraten  landen 
in  Mitylene  und  \ erkaufen  die  Tharsia  an  einen  Bordellwirth.  Sie 
weiss  aber  ihre  Ehre  zu  bewahren,  indem  sie  die  Besucher  durch 
nehentliche  Bitten  rührt,  so  dass  sie  ihrer  schonen  und  ihr  doch 
das  Geld  auszahlen  das  sie  ihrem  Herrn  übergeben  muss.  Athena- 
goras,  »der  Erste  in  jener  Stadt <s  nimmt  sich  ihrer  besonders  an.  — 
Mittlerweile  war  ApoUonius,  nach  Ablauf  von  vierzehn  Jahren,  wieder 
nach  Tarsus   gekommen;    dort   erfährt   er  durch  Dionysias    von   dem 

Kitharoeden  Chaicis:  67r6T€  tt^v  9xeuV)v   dit.i:ioyi^6^tsoi  t^v  5p%iov    dtioM 


—     411     — 

angeblicheD  plötzlichen  Tode  der  Tharsia;  er  besucht  ihr  Grabmal 
und  fährt  wieder  ab,  im  untersten  Schiffsraum  liegend  und  einsam 
trauernd.  Statt  nach  Tyrus,  wohin  die  Fahrt  gerichtet  war,  wird 
das  SchiflF  nach  Mitylene  verschlagen.  Man  feiert  dort  gerade  die 
Neptunalien.  Apollonius  verstattet  der  Mannschaft  mitzufeiern.  Athe- 
nagoras,  welcher,  am  Hafen  wandelnd,  das  schon  geschmückte  Schiff 
lobt,  wird  von  der  Mannschaft  zu  ihrem  Gastmahle  geladen.  Er 
nimmt  die  Einladung  an,  vermisst  den  Herrn  des  Schiffes,  und,  als 
er  hört,  dieser,  mit  Namen  Apollonius,  liege  trostlos  und  theilnahm- 
los  im  untersten  Räume ,  um  seine  Tochter  trauernd ,  steigt  er  hin- 
unter, um  ihn  zur  Theilnahme  am  Feste  aufzufordern.  Vergebens. 
Da  sendet  Athenagoras  (dem  die  Gleichheit  des  Namens  dieses  Schiffs- 
berrn  und  des  Vaters  der  Tharsia  bereits  aufgefallen  war)  zu  dem 
Kuppler,  um  die  Tharsia  holen  zu  lassen.  Auf  sein  Geheiss  steigt 
sie  zum  Apollonius  hinunter  und  versucht  ihn  durch  Gesang  (in  wel- 
chem sie  ihr  eigenes  Schicksal  andeutend  enthüllt)  zu  trösten.  Apol- 
lonius aber  schickt  sie ,  reich  belohnt ,  wieder  fort.  Vom  Athena- 
goras ermuthigt,  steigt  sie  abermals  hinunter,  giebt  dem  Apollonius 
sein  Geld  zurück  und  versucht  ihn  durch  eine  Reihe  von  R'athseln 
zu  unterhalten ;  Apollonius  findet  zu  allen  die  Auflösung.  Als  er  .sie 
nun  dennoch  gehen  heisst,  umfängt  sie  ihn  und  versucht  ihn  aus 
seinem  Versteck  hervorzuziehen.  Er  stösst  sie  zurück ,  so  dass  sie 
zu  Boden  fällt.  Weinend  beklagt  sie  ihr  unglückliches  Schicksal, 
und  nun  endlich  erkennt,  nach  der  Aufzählung  ihrer  einzelnen  Er- 
lebnisse, Apollonius  seine  Tochter:  der  Kuppler  wird  nun  von  der, 
an  dem  Geschicke  des  Apollonius  theilnehmenden  Bürgerschaft  ver- 
brannt; dem  Apollonius,  der  die  Stadtgemeinde  reich  beschenkt,  wird 
ein  Standbild  errichtet;  Tharsia  wird  dem  Athenagoras  zum  Weibe 
gegeben.  Durch  ein  Traumgesicht  aufgefordert,  fährt  Apollonius  mit 
Tochter  und  Schwiegersohn  nach  Ephcsus  und  trägt  im  Artemis- 
tempel, in  Anwesenheit  der  Priesterinnen,  vor  dem  Bilde  der  Artemis 
seine  Erlebnisse  vor.  Seine  Gattin  erkennt  ihn  wieder;  die  ganze 
Familie  fährt  nach  Antiochia.  Dort  nimmt  Apollonius  das  ihm  zuge- 
fallene Reich  ein :  dann  geht  er  nach  Tyrus  und  setzt  dort  Athena- 
goras zum  Könige  ein,  weiter  nach  Tarsus,  wo  Stranguillio  und 
Dionysias  ihrer  schändlichen  Absicht  überführt  und  vom  Volke  ge- 
steinigt werden  (während  der  Sklave,  auf  Bitten  der  Tharsia,  frei 
ausgeht) .  Zuletzt  fährt  die  Familie  nach  Cyrene ;  der  alt«  König 
Archistrates  stirbt  beglückt  in  den  Armen  der  Seinen :  der  arme 
Fischer  wird  reich  belohnt,  so  auch  Hellenicus.  So  herrscht  denn 
Apollonius  über  Antiochia ,  Tyrus  und  Cyrene ;  in  glücklicher  Ver- 
einigung mit  seiner  Gattin  erreicht  er  ein  Alter  von  74  Jahren. 
Seine  eigene  und  der  Seinen  Erlebnisse  aber  hat  er  selbst  beschrie- 
ben, und  je  ein  Exemplar  dieser  Erzählung  zu  Ephesus  im  Tempel 
der    Artemis   und    in   seiner  Bibliothek  aufstellen  lassen. 


—     412     — 

9 

Nach  dieser  Ueborsicht  des  Inhalts  wird  den  Lesern  un- 
serer zusammenhangenden  Betrachtung  der  griechischen  Roman- 
litteratur  ohne  Weiteres  kh^r  sein,  wie  richtig  Diejenigen  ur- 
theillen ,  welche  in  dieser  Erzählung  durchaus  die  Manieren 
des  sophistischen  Romans  wiedererkannten.  Der  ganze  Kreis 
der  Abenteuer  ist  derselbe  in  welchem,  mit  einziger  Ausnahme 
des  Longus,  alle  diese  Romanschreiber  mit  ermüdender  Beharr- 
lichkeit ihre  Helden  umherhetzen.  Es  ist  aber,  tlber  den  all- 
gemeinen Romanapparat  der  Piraten,  Seestürme,  Scheintodten, 
Traumgesichter  u.  s.  w.  hinaus,  noch  eine  ganz  besonders  nahe 
und  sicherlich  nicht  aus  reinem  Zufall  erklärbare  Verwandt- 
schaft dieser  Erzählung  mit  der  Dichtung  des  Xenophon  zu 
bemerken  und  gelegentlieh  auch  schon  bemerkt  worden*). 
Wichtige  Ilauptlinien  der  Erzählung  sind  beiden  Romanen  gc- 
meinsim) :  so  die  Verheirathung  des  Paares  gleich  beim  Beginn 
der  Abenteuer  statt,  wie  bei  den  meisten  übrigen  Romanschrei- 
bern, am  Ende  des  Ganzen ,  die  beabsichtigte  Ermordung  der 
Heldin  durch  einen,  von  der  eifersüchtigen  Herrin  beauftragten 
Sclaven;  das  Mitleid  des  Mörders,  die  Rettung  der  Unschuldi- 
gen, ihre  Verhandlung  an  einen  Kuppler,  die  Bewahrung  ihrer 
Reinheil  in  dem  schdndlichen  Hause;  die  endliche  Wieder- 
erkennung der  in  einem  Tempel  zusanmientreffenden  Lieben- 
den durch  das  abgeschmackteste  Mittel ,  eine  Aufzählung  der 
eigenen  Abenteuer  im  lauten  Selbstgespräch.  Auch  untergeord- 
nete Züge  zeigen  eine  mehr  als  zufällige  Aehniichkeit :  die  Auf- 
nahme des  ApoUonius  bei  einem  alten  Fischer  in  der  Nähe  von 
Cyrene  erinnert  an  den  Aufenthalt  des  Habrokomes  bei  jenem 
syracusanischen  Fischergreise;  vermuthlich  reizte  die  idyllische 
Heimlichkeit  eines  solchen  Bildes  genügsamer  Armuth  zur  Nach- 
ahmung. Die  Gattin  des  ApoUonius  wird  für  die  Artemis  selbst 
gehalten,  nicht  anders  des  Xenophon  Antheia^).  Sogar  in  der 
Kürze  und  Trockenheit  der  E rzä h hm gs weise  könnte  man,  der 
Breite  und  pathetischen  Fülle  in  der  Vortragsart  der  übrigen 
Romanschreiber  eingedenk,  vielleicht  eine  Gemeinsamkeit  der 
Manier  beider  Erzähler  erkennen.  Ja ,  bis  auf  einzelne  Lieb- 
lingswendungen  hinunter  könnte   man   die   beiden   Dichter  ge- 

1)  Die  Aehniichkeit  mit  Xenophons  Erzählung   wird    kurz  angedeutet 
von  W.  Meyer,  Sitzungsber.  der  Münchener  Akad.  phil.  Cl.  4  872  p.  8. 

2)  Ap.  Tyr.  p.  6«,  13.     Xen.  p.  331,  \%. 


—    413    — 

meinsame  Bahnen  gehen  zu  sehn  vermeinen.  ^)  So  vielfache 
und  genaue  Uebereinstimmung  erklärt  sich  nur,  wenn  man  den 
einen  dieser  zwei  Schriftsteller  geradezu  als  einen  Nachahmer  * 
des  Andern  anerkennt;  es  bleibt  freilich  einigermaassen  un- 
gewiss, welchen  man  für  den  jüngeren  und  somit  für  den 
Nachahmer  des  Andern  zu  halten  habe,  wiewohl  kaum  irgend 
Jemand  widersprechen  würde  wenn  man  dem  Xenophon  die 
Priorität  der  Zeit  und  der  Erfindung  zuspräche. 

Mit  all  diesem  ist  noch  nicht  gesagt,  dass  der  Verfasser  der 
Geschichte  des  Apollonius  ein  Grieche  war  und  griechisch  seinen 
Roman  zuerst  geschrieben  habe.  Es  bliebe  ganz  wohl  denk- 
bar dass  irgend  ein  lateinisch  redender  Zeitgenosse  der  spät- 
griechischen Sophistik  in  seiner  eigenen  Sprache  eine  Nach- 
ahmung griechischer  Vorbilder  der  erotischen  Romandichtung 
gewagt  habe.  Wenn  ich  dennoch,  gleich  anderen  Gelehrten, 
mich  der  hergebrachten  Ansicht  zuneige  und  die  uns  vorlie- 
gende lateinische  Fassung  der  Geschichte  des  Apollonius  nur 
für  eine  Uebersetzung  eines  griechisch  geschriebenen  Romans 
halten  möchte,  so  bewegen  mich,  unter  den  Gründen  welche 
der  jüngste  Herausgeber^)  für  eine  solche  Ansicht  vorgebracht 
hat,  weniger  die  nicht  sonderlich  deutlichen  und  tiefen  Spuren 
graecisirender  Redeweise,  welche  derselbe  in  dem  lateinischen 
Texte  erkennen  will,  als  der  ebendort  gelieferte  Nachweis  einer 
doppelten  Schicht  griechisch -heidnischer  und  christlich- 
lateinischer Vorstellungen,  Lebensgewohnheiten  und  Redewen- 
dungen, welche  in  diesem  Roman  so  völlig  gesondert  und  un- 
vermischt  über  einander  liegen  wie  etwa  in  einem  Palimpsest 
die  groben  Züge  einer  christlichen  Mönchsfaust  über  den  edlen 


1)  Uebergänge  mit  is  To6Tt|>  bei  Xen. :  s.  oben.  So  »inlerea«  bei  Ap.: 
p.  83,  44;  33,  44;  38,  49.  —  irpox'j>a6(iievo;  tcuv  ro^cuv  im  Affect,  oft  bei 
Xen. :  s.  oben.  So  in  pathetischen  Situationen  im  ApoUoniusroman  häufig : 
genibus  tuis  provolutus,  proslrata  pedibus  ejus  u.  s.  w. :  p.  46,  4  ;  39,  2S; 
40,  43;  44,  46;  43,  5;  58,  4  7.  —  Beweis  grossen  Wohlwollens:  iraiSa; 
ivöfAiCsN  eauToO  U.  U. :  Xen.  p.  355,  8;  380,  9;  372,  26.  Apoll,  p.  32,  4  0 
adoptavil  sibi  filiam ;  p.  44,  3:  custodiebal  ac  si  unicam  suam  filiam.  — 
Der  Uebergang  von  der  fröhlichen  Hochzeit  zu  weiteren  Abenteuern  (Ap. 
p.  26,  24 ;  Xen.  p.  338,  23  (T.)  mit  ähnlich  kurzen  Worten.  —  Bemerkens- 
werthe  Sorgfalt  für  das  Bcgräbniss,  wie  bei  Xen.  (s.  oben),  so  auch  bei 
Ap. :  p.  29,  8;   30,   44;  35,  43;  38,  44. 

2)  Riese  in  der  Vorrede  zu  seiner  Ausgabe  p.  XI— XIII. 


—     414     — 

halbv^rwischten  Buchstaben  der  ersten  Hand,  die  uns  ein  werth- 
volles  Stück  alter  Redekunst  überliefern  wollte.  Es  ist  nach 
jenem  Nachweis  deutlich  genug ,  dass  der  heidnisch -antike 
Untergrund  des  Ganzen  und  die  plump  aufgesetzten  christ- 
lichen Zuthatcn  nicht  von  Einer  Hand  herrühren  können;  und 
wenn  wir  somit  an  dem  ältesten  uns  erreichbaren  lateinischen 
Texte  zwei  verschiedene  Arbeiter  thatig  sehen,  so  ist  allerdings 
kaum  eine  einfachere  Erklärung  dieses  heidnisch  -  christlich 
schillernden  Doppeiwesens  denkbar  als  die  von  dem  Heraus- 
geber befolgte,  wonach  ein  ursprünglich  von  einem  griechi- 
schen Anhänger  des  alten  Glaubens  griechisch  geschriebener 
Homan  von  einem  Christen  der  lateinischen  ReichshUlfte  in 
seine  Sprache  frei  übertragen  wUre. 

Die  ursprüngliche  Physiognomie  des,  für  uns  hier  einzig 
interessanten  griechischen  Originals  unter  der  christlich-lateini- 
schen Entstellung  heraus  genau  wieder  erkennen  zu  wollen, 
würe  freilich  ein  ziemlich  aussichtsloses  Bemühen.  Denn  der 
l'eberselzer  hat  nicht  nur  einzelne  christliche  Wendungen  ein- 
gestreut, die  Rathsel  mit  welchen  Tharsia  ihren  Vater  im  un- 
teren Schiffsraum  unterhalt,  aus  der  Sammlung  der  Rathsel- 
gedichte  des  Symphosius  herüber  genommen,  und  wohl  diese 
ganze  doch  allzu  absurde  Tröstung  eines  tief  Leidenden  durch 
Rathsel  fragen  *)  aus  eigener  Bewegung  eingeschoben ;  es  scheint, 
als  ob  er  auch  die  Haltung,  den  Vortrag  der  ganzen  Erzählung 
wesentlich  umgestaltet  habe.  Der  Grundton  der  Geschichte  ist, 
in  dicvser  lateinischen  Fassung,  nahe  verwandt  dem  Tone  der 
Volksbücher  unserer  modernen  Litteraturen ;  es  ist  jener 
treuherzig  ungelenke  Ton  der  Erzählung,  der  sich  zumeist  so 
eng  wie  möglich  an  die  Darlegung  des  rein  T  hat  sachlichen 
halt,  dieses  ganz  schlicht  mittheilt  und,  da  Schreiber  und  Leser 
solcher  Bücher  die  V^'elt  aller  Enden  des  Wunderbaren  und 
Wunderwirkenden  voll  sehen ,  auch  das  Allerseltsamste  und 
Wunderbarste  mit  der  vollsten  Gelassenheit  und  ohne  Ausrufe 
der  Verwunderung  vortragt.     Das  Volk  liebt  es  bekanntlich  gar 


1)  Liegt  hierin  etwa  eine  Reminiscenz  an  eine  sehr  populäre  Märchen- 
Wendung,  nach  welcher  Trauernde  und  Kranke  durch  Gaukler,  Spielleate, 
Narren  zum  Lachen  gebracht  und  geheilt  werden ?  (wofür  einige  Beispiele 
bei  Benfey,  Panlschat.  I  518;  vgl.  auch  Oesterley  zu  Paulis  Schimpf  und 
Ernst  357  p.  513;  Grimm,  D.  Myth.  B07  u.  s.  w.). 


—    415     — 

nicht,  auch  bei  den  Erholungsfahrten  der  Phantasie,  in  denen 
es  von  schwerer  Arbeit  ausruhen  will,  in  den  engen  Kreis 
seines  mühseligen  armen  Lebens  sich  einschränken  zu  lassen: 
wo  die  acht  volksmässige  Erzählung  nicht  durch  Ironisi- 
rung  der  alltäglichen  Enge  eben  über  diese  Enge  sich  erhebt, 
da  zieht  sie  am  Liebsten  gleich  recht  weit  in$  Blaue  und  in 
ein  phantastisch  vornehmes  Dasein  hinaus.  Mit  Königen  und 
Prinzessinnen  ist  sie  ganz  vertraut,  aber  freilich  sind  es  Mär- 
chenkönige, die  sich  so  schlicht  und  gemüthlich  bewegen  und 
ausdrücken,  als  ob  sie  gar  nicht  eine  grossmächtige  goldene 
Krone  Tag  und  Nacht  auf  dem  Kopf  trügen.  Ganz  von  dieser 
Art  sind  die  Hauptßguren  des  ApoUoniusromans :  dieser  gute 
alte  König  Archistrates,  seine  naive  Tochter,  der  brave  Apollo- 
nius  selbst  1),  der  wie  ein  ächter  Märchenkönig  überall  mit 
Gold  um  sich  säet,  und  gelegentlich  auch  ganz  unbefangen  auf 
Handelsreisen  auszieht^) ;  selbst  der  bitterböse  König  Antiochus 
hat  etwas  naiv  Beschränktes. 


1}  Ich  bin  oinigermaassen  in  Zweifel,  ob  in  dem  griechischen  Original 
die  ganze  Gesellschaft  so  vornehm  gewesen  sei,  wie  in  unserer  lateinischen 
Version.  •  Ueber  den  Stand  des  Apollonius  wenigstens  ist  diese  selbst  ein 
wenig  im  unklaren.  Auf  dem  Titel  heisst  er  Rex  Tyri;  rex  Apolloni  redet 
ihn  Hellenicus  an  p.  9,  4  2.  Er  selbst  sagt  p.  62,  15  f.:  ego  ab  adulesceulia 
mea  rex,  nalus  Tyro  u.'s.  w.  (A  fehlt;  aber  wie  ß  ohne  Variante  auch 
ein  Bruchstück  der  Tegernseer  Hs.:  vgl.  Meyer,  Münchener  Akad.  Phil. 
Cl.  4872  p.  26).  Vgl.  p.  4  3,  3.  Oefter  nur  princeps  patriae,  wie  auch 
Athenagoras  princeps  patriae  oder  civitatis  heisst,  wie  in  Tarsus  principe» 
patriae  erwähnt  werden  (p.  38,  4).  Stellen  bei  Riese  p.  XII  (patria  übrigens 
=  gens,  natio,  civitas,  ist  viel  mehr  spätlateinisch  als  spätgriechisch.  Sehr 
häuGg  z.  B.  bei  dem  Anonymus  Ravennas).  Dieses  princeps  civitatis  soll 
Yermuthlich  nichts  anderes  bezeichnen,  als  etwa  bei  Xenophon  von  Ephesus 
dv^  tAv  Td  Tcpurra  ir&X  ouva[j.£vu>v,  eine  angesehene  Stellung,  aber  keine 
Herrschergewalt.  Violleicht  rückte  erst  der  Lateiner,  indem  er  (wie  ich 
annehme)  die  Gestalten  des  Künigs  Antiochus  und  seiner  Tochter  hinzu- 
fügte, auch  das  ganze  übrige  Personal  in  höhere  Sphären  hinauf.  Man 
beachte,  wie  unklar  im  letzten  Capitel  die  Art  der  Verwaltung  der  angeb- 
lich dem  Apollonius  zugefallenen  drei  Reiche  sich  darstellt  (vgl.  Riese  adn. 
crit.  zu  p.  66,  25). 

2)  Zwar  p.  4  3,  3  heisst  es:  ne  deposita  regia  dignitate  mercatoris  vi- 
deretur  adsumere  nomen  u.  s.  w.  Aber  nachher  c.  XXVIII  p.  32,  23  sagt 
Apollonius  zu  den  tarsischen  Freunden :  er  wolle  sein  Reich  nicht  ein- 
nehmen, auch  nicht  nach  Cyrenc  zurückkehren  sed  potius  opera  mcrcaturus 
(zu  schreiben  wird  wohl  einfach  sein  mit  Gesta  Rom.  453  p.  520,  35  Oest. : 
sed  agam  potius  opera  mercatoris). 


—     416     — 

Wie  weit  diese  voIksthUmliche  Art  der  Erzählung  bereits 
in  dem  griechischen  Original  vorgebildet  sein  mochte  ,  wird 
sich  schwer  ausmachen  lassen.  Man  wird  indessen  wohl  ge- 
neigter sein,  hierin  die  ganz  unbeabsichtigte  YerwandluBg  zu 
erkennen ,  welche  die  Erzählung  bei  ihrem  Durchgang  durch 
den  Kopf  des  lateinischen  Bearbeiters  erlitt,  wenn  man  mitten 
in  der  schlichten  Erzählung  des  Ganzen  hie  und  da  einzelne 
Spuren  einer  mehr  rhetorischen  Ausbreitung  des  Vortrags, 
einer  pathetischen  Beleuchtung  dieser  erstaunlichen  Aben- 
teuer bemerkt,  welche  zu  dem  Tone  des  Uebrigen  sehr 
wenig  passen  wollen.  Ich  rechne  dahin  die  (gar  in  Verse 
gesetzte)  lebhafte  Schilderung  des  Seesturmes  (cap.  14),  die 
pathetische  Anrede  des  gestrandeten  Apollonius  an  den  Neptun 
(cap.  42),  eine  Verwünschung  der  eigenen,  im  herbsten  Leide 
thränenlosen  Augen  durch  Apollonius  (cap.  38) ,  einige  feier- 
liche Beden  ^) ,  dergleichen  im  griechischen  Original,  wie  z.  B. 
auch  beim  Achilles  Tatius,  gegen  das  Ende  des  Ganzen,  als 
eine  prächtige  rhetorische  Coda  des  Bondo,  sich  am  stattlich- 
sten aufgebauscht  zu  haben  scheinen.  Solche  rhetorische  Zier- 
rathe,  dem  ächten  sophistischen  Boman  so  unentbehrlich-,  passen 
freilich  in  die  Erzählungsweise  eines  Volksbuches  wenig  hinein; 
man  ftlhlt  auch  wohl,  wie  der  lateinische.  Bearbeiter  dieselben 
möglichst  kurz  und  unlustig  abmacht.  Auch  hier  also  bemerkt 
man  die  Thätigkeit  zweier  verschiedener  liände;  ist  es  da 
nicht  wahrscheinlich,  dass  die  Discrepanz  erst  durch  die  lieber- 
arbeitung  überhaupt  entstand?  dass  wir  uns  in  dem  griechi- 
schen Original  auch  die  gesammte  Erzählung  weit  rhetorischer 
gehalten  denken  dürfen,  und  aus  jenen  wenigen,  durch  den 
Lateiner  fast  verwischten  Spuren  einstigen  rhetorischen  Glanzes 
uns  das  Bild  eines  ganz  regelrechten  sophistischen  Bomans,  der 
wohlbekannten  Art,  in  der  Vorstellung  reconstruiren  dürfen?  — 
Bestärkt  wird  man  in  einer  solchen  Annahme,  wenn  man  an 
einzelnen  Scenen  bei  rechter  Betrachtung  die  Vergröberung 
einer  ursprünglich  zarleren  Zeichnung  noch  ganz  wohl  be- 
merken kann.  Z.  B.  in  der  Scene  am  Beginn  des  Gastmahls 
beim  König  Archistrates ,  welche  vielleicht  von  dem  Griechen 
dem  Gastmahl  des  Menelaus  in  der  Odyssee  nachgebildet  war'); 

1)  p.  59,  7  ff.;  60,  4  ff.;  60,  24— 6<,  7;  auch  42,  42  ff. 

2)  Apoll,  p.  48,  5  ff.:  vgl.  Odyss.  5  74  ff.  (Athenaeus  V  c.  44). 


—    417     — 

in  der  ganzen  Erzühlung  von  der  Bewerbung  der  drei  Jüng- 
linge um  des  Königs  Tochter  *) ,  die  in  der  hölzernen  Darstel- 
lung des  Lateiners  die.  von  diesem  wohl  kaum  empfundene 
schalkhaft  gemUthliche  Haltung  y  welche  der  griechische  Autor 
hier  dem  guten  alten  König  gegeben  hatte  ^  nur  noch  leise 
ahnen  lässt.  Spuren  einer  lebhafteren  Charakteristik  zeigen 
sich  auch  noch  in  der  Scene  zwischen  dem  Arzte  Chaeremon 
und  seinem  überlegen  klugen  Schüler  ^] ,  weiterhin  in  der 
halb  scurrilen  halb  (nach  Art  der  Kuppler  in  der  Komödie)  mit 
Hohn  brutalen  Haltung  des  Kupplers^].  Wenn  übrigens  der 
Bearbeiter  manche  feinere  Züge  der  Zeichnung  verwischt  hat, 
so  mag  andererseits  eine  gewisse,  in  Wortspielen  sich  vergnü- 
gende bäurisch  witzige  Art,  die  er  hie  und  da  seinen  Figuren 
leiht,  wohl  seine  eigene  Zuthat  sein^). 

Man  findet  demnach  Anzeichen  genug  dafür,  dass  der  grie- 
chische Boman,  ursprünglich  eine  Arbeit  sophistischer  Bhetorik 
(wiewohl  vermuthlich  immer  noch  jener  einfacheren  Art,  wie 
sie  der,  unserm  Autor  so  nahe  verwandte  Xenophon  darstellt}, 
erst  unter  den  Händen  des  lateinischen  Bearbeiters,  ausser 
anderen  beträchtlichen  Veränderungen  ^) ,  jene  Umwandlung  in 
eine  Art  von  Volksbuch  erlitt,  welche  das  lateinische  Buch  dem 
ganzen  Mittelalter  so  sympathisch  vertraut  gemacht  hat. 

Wenn  übrigens  die  Willkür  des  lateinischen  Bearbeiters 
einmal  so  weit  um  sich  gegriffen  hatte,  so  wird  man  sich  viel- 
leicht auch  fragen  dürfen,  ob  derselbe  nicht  etwa  auch  den 
Gang  der  Erzählung  durch  einen  nicht  eben  geschickten  Zusatz 
eigenmächtig  erweitert  haben  möchte.  So  oft  ich  diesen  Boman 
lese,  drängt  sich  mir  stets  die  Wahrnehmung  auf,  wie  völlig 
zusammenhanglos  das  Ganze  in  zwei  ungleiche  Theile  zerfalle. 
ApoUonius  wirbt  im  ersten  Theil  um  die  Tochter  des  Königs 
Antiochus;  er  wird  abgewiesen  und  zieht  nun  ins  Weite.  Man 
sollte    denken,    die    vergebliche    Werbung    mache    ihm    irgend 


1)  c.  XIX— XXI. 

2)  c.  XXVI.  XXVII. 

3)  Z.   B.  p.   89,  47;   p.  40,  8.  8.      (Man   denke  z.   B.  an   den   frechen 
Ballio  im  Pseudulus.). 

4)  S.  Riese,  Vorr.  p.  XV. 

5)  Mit  Recht  wohl  iiimmt  Riese  p.  XVI  an,   dass  der  Uebersetzcr  das 
Original  vielfach,  zumal  gegen  Ende,  abgekürzt  habe. 

Bohde,  Der  griechischd  Roman.  27 


—     418    — 

welche  Beschwerden:  aber  davon  hört  man  kein  Wort;  viel- 
mehr, als  ob  er  nie  andere  Liebesgedanken  gehabt  hätte,  ver- 
bindet er  sich  mit  dem  ersten  Madchen  das  ihm  sich  geneigt 
zeigt.  Wir  könnten  den  König  Antiochus  mit  samrot  seiner 
Tochter  entbehren,  ohne  dass  die  übrige  Handlung  im  Gering- 
sten verHnderl  zu  werden  brauchte.  Es  ist  wahr,  der  König 
Antiochus  kommt  auch  im  ferneren  Verlauf  der  Erzählung  ge- 
legentlich wieder  vor.  Einmal  nennt  bei  seinem  Schiffbruch 
an  der  libyschen  Küste  Apollonius  den  grimmen  Neptun  »grau- 
samer als  König  Antiochus«^).  Nachher  hören  wir,  dass  An- 
tiochus mit  seiner  Tochter  vom  Blitz  erschlagen  sei.  Das  war 
in  der  Ordnung ;  aber  seltsam  ist  es  schon ,  dass  sein  Reich 
nun  »dem  Apollonius  aufbewahrt«  wird*^).  Welches  Anrecht 
hatte  der  auf  »das  Reich  von  Antiochiaa?  Er  selbst  nennt  es 
(nach  einer  der  lateinischen  Versionen),  wo  er  im  Artemis- 
lempel  seine  Erlebnisse  aufzählt  sein  »väterliches  Reicht^); 
aber  warum  erfährt  man  denn  das  erst  so  spät  und  so  ganz 
beiläufig?  —  Er  bricht  nun  von  Cyrene  mit  seiner  Gattin  auf, 
um  dieses  Reich  in  Besitz  zu  nehmen.  Als  diese  gestorben  ist, 
wendet  er  sich  nach  Tarsus,  lässt  dort  seine  Tochter,  und  geht 
selbst  nach  Aegypten  auf  volle  vierzehn  Jahre.  Warum  geht 
er  nicht  nach  Antiochia,  wohin  ja  doch  sein  Lauf  gerichtet  wart 
0  Nach  d^^  Verlust  meiner  theuern  Gattin  will  ich  das  mir  auf- 
bewahrte Reich  nicht  in  Besitz  nehmen  a  sagt  er  selbst  den 
Tarsischen  Gastfreunden  *) ;  denen  scheint  das  auch  ganz  natür- 
lich vorzukommen:  nicht  so  dem  Leser,  denke  ich.  Was  wäh- 
rend der  vierzehn  Jahre  mit  dem  »Reiche  von  Antiochia«  ge- 
schieht, erfahren  wir  nicht.  Als  die  ganze  Familie  endlich 
wieder  beisammen  ist,  wird  nur  ganz  kurz  gemeldet :  »Apollo- 
nius also  ging  nach  Antiochia  und  nahm   das   ihm  aufbewahrte 


1)  p.  15,  io. 

2)  p.  87,  6.  7. 

3)  Cum  desiderassem  properare  ad  patrium  (meum  i)  regnum  perctpteiH 
dum  (so  i;  om.  ß) :  p.  63,  4.  3.  Die,  von  Riese  durch  eine  wunderücbe 
eklektische  Vermischung  der  Texte  von  ß  und  7  versteckte  Verschiedenheit 
der  Vorstellung  in  diesen  beiden  Hss.  (  A  fehlt  hier)  drückt  sehr  t)eieicb- 
nend  aus,  wie  undeutlich  auch  den  verschiedenen  Redactoren  der  lateini* 
sehen  Uebersetzung  der  Grund  der  Erbansprüche  des  Apollonius  auf  das 
Reich  des  Antiochus  war. 

4)  p.  83,  34   f. 


—     419     — 

Reich  inBesitztt^);  und  damit  gut.  Es  scheint  mir  hinreichend 
deutlich  zu  sein,  dass  Antiochus,  seine  Tochter  und  sein  »dem 
Apollonius  aufbewahrtes  a  Reich  mit  der  eigentlichen  Fabel 
nichts  zu  thun  haben.  Wir  mtlssten  freilich  den  Dichter  des 
griechischen  Originals  genauer,  seiner  Art  und  Thätigkeit  nach, 
erkennen  können ,  um  bestimmt  behaupten  zu  dürfen ,  dass 
Ihm  dieses  sehr  ungeschickt  eingeflochtene,  völlig  mttssige 
Motiv  nicht  angehören  könne.  So  viel  dürfen  wir  sagen,  dass 
eine  genauere  Betrachtung  der  uns  vorliegenden  lateinischen 
Gestaltung  des  Romans  den  Eindruck  hinterlasse,  als  ob  die 
Geschichte  des  Antiochus  der  übrigen  Erzählung  erst  nach- 
träglich vorgesetzt,  und  dann  sehr  locker  und  ungeschickt 
mit  dem  weiteren  Verlauf  der  Abenteuer  verflochten  worden 
sei:  daher  ihr  fernerer  Einfluss  auf  den  Gang  der  Handlung 
überall  nur  Inconvenienzen  und  Seltsamkeiten  erzeugt  hat 
Was  den  lateinischen  Bearbeiter  zur  Vorsetzung  eines  solchen 
Prologs  bewegen  konnte,  Hesse  sich  wohl  allenfalls  errathen. 
Es  bedurfte  irgend  eines  Motivs,  um  den  Apollonius  von  Tyrus 
aufzuscheuchen  und  in  Bewegung  zu  setzen.  Wie,  wenn  der 
griechische  Dichter  dieses  Motiv  in  einem,  den  Apollonius  zu 
weiten  Irrfahrten  ermunternden  und  antreibenden  Orakel- 
spruch  gefunden  hätte?  Das  Motiv  wäre  absurd  gewesen; 
aber  hat  es  denn  Xenophon,  dieses  Dichters  nächstes  Vorbild, 
nicfit  ebenso  gemacht?  Consequenter  Weise  musste  dann  die 
Leitung  des  Orakels,  so  gut  wie  bei  Xenophon,  sich  durch  den 
ganzen  Verlauf  der  Romanhandlung  in  Geltung  erhalten.  Ein 
christlicher  Bearbeiter  nun  konnte  zwar  vereinzelte  Spuren 
des  Ileidenthums  in  seiner  Ueberarbeitung  dulden;  aber  die 
ganze  Begebenheit  durch  einen  Weisheitsspruch  eines  heidni- 
schen Dämons  leiten  und  bestimmen  zu  lassen,  das  musste  ihm 
gegen  das  Gewissen  gehn.  Er  musste  auf  ein  anderes  Motiv 
sinnen,  das  im  Anfang  und  sodann  weiterhin  durch  den  gan- 
zen Verlauf  der  Handlung  jenes  anstössige  heidnische  Be- 
wegungsmittel schicklich  ersetzen  konnte.  Und  hier  mochte 
ihm  denn  ein  Motiv,  das  sich  in  griechischen  Sagen  gleichwie 
in  zahlreichen  Märchen  und  Sagen  anderer  Völker  vielfach  aus- 
gebildet zeigt,   zunächst  in  den  Sinn  kommen:    ein  Vater,   der 

1)  p.  64,  8. 

27* 


—     420     — 

die  eigene  Tochter  lieht,  die  Freier  durch  schwierige  Aufgaben 
(hier  wie  bei  der  Tarnndot  durch  dunkle  Rathselj  abschreckt*). 
Man  begreift  sogar,  warum  er  ein  solches  Motiv  gerade  an  An- 


1}  Oenomaus,  seine  Tochter  Hippodamia  liebend,  schiebt  darum  durch 
die  Wagenfahrten  mit  den  Freiern  ihre  Vermählung  hinaus  (vgl.  Ritschi. 
Op.  I  8U).  Sithon,  seine  eigene  Tochter  Pallene  liebend,  ouCu^Ctjv  ^v^xottte 
indem  er  die  Freier  im  Kampf  erlegte.  So  Nonnus  Dion.  XLVin  91  ff. 
(der  Zug  von  der  Liebe  des  Vaters  zur  eigenen  Tochter  fehlt  in  den,  unter 
einander  sehr  verschiedenen  Versionen  der  Sage  von  Sithon  und  Pallene 
bei  Conon  narr.  \0  und  Parthenius  6).  —  Der  Vater  der  Side  liebt  seine 
eigene  Tochter;  sie  tödtet  sich  auf  ihrer  Mutter  Grab,  wird  in  den  Granat- 
apfelbaum (ji>oid)  verwandelt,  ihr  Vater  in  den  Hühnergeier  (ixTivoc) »  der 
daher  noch  jetzt  gern  auf  der  j>ota  sitzt:  Dionyslus  ISieunxd  II  c.  V  p.  475 
(in  Schneiders  Oppian).  Einige  andere  Sagenbeispiele  berührt  Hygin.  fab.  96t, 
—  Seine   eigene   Tochter  liebte  auch,    so  scheint  es,   Phokos,  iwelcher  die 

• 

Freier  mit  Gastereien  hinhielt,  bis  sie  ihn  erschlugen.  S.  Zenob.  VI  37  u.  A« 
(vgl.  Paroem.  Gott.  I  p.  174)  Otuxou  £pavo;.  —  Liebe  des  Vaters  zur  eigenen 
Tochter  ein  sehr  beliebtes  Märchen-  und  Sagenmotiv:  deutsche  Sage  vom 
Kaiser  Heinrich  Hl  bei  Grimm,  D.  Sagen  N.  483  (H  p.  182  f.) ;  vgl.  Kuhn  und 
Schwarz,  Nordd.  Sagen,  Märchen  u.  Gebr.  N.  208  p.  184  f.  S.  femer  »des 
Reussenkönigs  Tochter«  aus  Enenkels  Weltbuch  bei  v.  d.  Hagen,  Gesammtab. 
II  S95  fr.  (u.  dazu  v.  d.  Hagen  III  p.  CLIV  ff.) ;  deutsches  Märchen 
»Allerlcirauh«  (N.  65  Grimm),  im  Anfang  (vgl.  auch  Grimm,  Kindermärchen 
IIP  p.  58  ganz  oben);  gälische  Märchen  bei  Köhler  Or.  u.  Occ.  II  ISO  f., 
294  (n.  XIV);  walachisches  Märchen  bei  Schott  N.  3  p.  96;  Basile  Pentam. 
II  6  (I  206  ff.  Liebr.);  griechisches  Märchen:  von  Hahn  N.  27  (I  191). 
Mit  dem  Anfang  von  » Allerleirauh «  verwandt  Straparola  N.  6  p.  115  (f. 
(der  Auswahl  von  Val.  Schmidt),  weiches  Märchen,  merkwürdig  genug,  io 
seinen,  uns  hier  allein  inlercssirenden  einleitenden  Theilen  sich  vollständig 
wiederholt  in  Wuks  Serbischen  Märchen  N.  28  p.  170  ff.  —  p.  4,  5:  Die 
Köpfe  derjenigen,  welche  das  Räthsel  nicht  lösen  konnten,  'werden  über 
dem  Thore,  Nachkommenden  zur  V^Tarnung,  aufgehängL  Aehnliches  oft  ia 
Märchen ;  und  so  ja  auch  in  der  Sage  von  Oenomaus :  vgl.  Ritschi, 
Opusc.  I  809.  —  Die  Geschichte  von  der  Turandot,  aus  Gozzi-Schiller  so 
bekannt,  steht  in  der  persischen  Märchensammlung  1001  Tag  (Cabinet  des 
föes  XIV  359—458,  Tag  63—82).  Dergleichen  Räthsellösung  als  Bedingnng 
für  Freier  findet  sich  oft  in  Märchen:  vgl.  persisch-armenisches  Märchen 
(nach  Peter  Neu)  bei  Haxthausen,  Transkaukasia  I  326  ff.;  die  vierte  Er- 
zählung in  Nisamis  Heft  peiger  (v.  Hammer,  die  seh.  Redek.  Persiens  p.  116); 
die  deutschen  Märchen  »das  Räthsel«  (Grimm  N.  22)  und  »Vom  klugen 
Schneiderlein «  (Grimm  N.  114).  In's  bäurisch  Scurrile  ist  dieses  Märchen- 
motiv von  der  Gewinnung  der  Braut  durch  Räthsellösung  gezogen  in  dem 
Schwank  bei  v.  d.  Hagen,  Gesammtab.  N.  63  (wozu  einige  Parallelen  bei 
R.  Köhler  in  Pfeiffers  Germania  N.  R.  II  [1869]  p.  270  f.). 


—    421     — 

tiochus  »von  dem  die  Stadt  Antiochia   ihren  Namen   bekommen 
hat«  anknüpfte^). 

Wir  sind  bei  Gelegenheit  des  König  Anliochus  und  seiner 
Räthsel  selbst  ins  Rathen  verfallen.  Will  man  sieh  aber  über- 
zeugen, wie  gut  die  eigentliche  Erzählung  von  den  Abenteuern 
des  ApoUonius  der  Figuren  des  Anliochus  und  seiner  Tochter 
entbehren  könne ,  so  lese  man  die  Version  des  Apollonius- 
romans  in  einem  neugriechischen  Mürchen:  Nr.  50  der  von 
Hahn*schen  Sammlung  neugriechischer  und  albanesischer  Märchen. 
Dort  sind  zwar  einige  ächte  Märchenmotive  eingeflochlen ,  aber 
von  der  Blutschande  des  Antiochus  und  seiner  Tochter,  von 
den  Räthselfragen ,  von  seinem  dem  ApoUonius  aufbewahrten 
Reiche  ist  mit  keinem  Worte  die  Rede ,  ohne  dass  die  Erzäh- 
lung Schaden  nähme.  Die  Abenteuer  des  »Prinzen«  beginnen 
dort  gleich  mit  dem  Seesturm  und  der  Aufnahme  des  Gestran- 
delen bei   dem   alten  Fischer ^l.     Mag  dieser  Version  auch  viel- 

1)  rex  Antiochus,  a  quo  ipsa  civitas  nomen  accepit  Antiochia.  c.  i. 
Ein  solcher  Antiochus,  nach  welchem  Antiochia  benannt  war,  konnte  genau 
genommen  in  Antiochia  gar  nicht  regieren.  Denn  Scleucus  Nicator  benannte 
die  Stadt  ja  nach  seinem  verstorbenen  Vater  Antiochus:  Strabo  XVI 
p.  794  extr. ,  Libanius  I  801,  12  ff.  R. ,  Pausanias  bei  Malalas  p.  204,  2  ff. 
Bonn.  Aber  Malalas  setzt  dieser  Ucberlieferung  seine  eigene,  wohl  auf 
populärer  Annahme  beruhende  Meinung  entgegen,  wonach  Antiochia  viel- 
mehr nach  des  Seleucus  Sohne  und  Nachfolger  Antiochus  (Soter)  benannt 
worden  wäre.  Dieser  Meinung  folgt  wohl  auch  der  lateinische  Bearbeiter 
des  Ap.  Tyr.  Und  wenn  er  diesen  Antiochus  im  Sinne  hatte,  so  begreift 
es  sich  freilich  ganz  leicht  (und  so  weit  wenigstens  pflichte  ich  Riese  p.  VIII 
bei) ,  wie  er  ihn  in  ein  inccstuoses  Liebesverhältniss  verstrickt  sich  vor- 
stellen mochte:  er  hatte  eine  dunkle  Erinnerung  von  der  Liebe  dieses 
Antiochus  zu  seiner  Stiefmutter  Stratonicc  (von  welcher  oben  geredet 
i.st,  p.  52). 

2)  In  dem  Märchen  wird  der  »weiberscheue  Prinz«  von  seinem  Vater 
ausgesandt,  ob  er  etwa  irgendwo  eine  ihm  genehme  Frau  finde.  Sein 
SchifT  scheitert,  der  alte  Fischer  rettet  ihn.  Er  wird  Knecht  bei  dem  König 
und  verbirgt  seine  Schönheit,  indem  er  über  »sein  wunderschönes  seidenes 
Kopfhaar«  eine  Ochsenblase  bindet,  um  wie  ein  Grindkopf  zu  erscheinen. 
Durch  sein  schönes  Flötenspiel  angelockt,  findet  ihn  einmal  die  Königs- 
tochter am  Brunnen,  ohne  seine  Blase.  Sie  macht  ihn  zu  ihrem  Kammer- 
diener, nimmt  dann  Musikunterricht  bei  ihm.  Der  weitere  Verlauf  nur  in 
Kleinigkeiten  von  dem  des  Apollonius-Romans  abweichend.  Die  Abfahrt 
des  Prinzen  aus  dem  Reiche  seines  Schwiegervaters  wird  gerechtfertigt 
durch  einen  Brief  seines  Vaters  (der  vorher  das  junge  Paar  besucht  hatte), 
der  auf  den  Tod  erkrankt    ist.     Nachdem  die  Tochter  untergebracht  ist, 


—     422     — 

leicht  weniger  eine  besondere  Ueberlieferung  als  eine  richtige 
Empfindung  für  das  Angemessene  ihre  Besonderheiten  gegeben 
haben :  jedenfalls  trifl't  sie  darin  das  Richtige ,  dass  sie  nicht 
nur  den  König  Antiochus  sondern  auch  den  ersten  Aufenthalt 
des  Apollonius  in  Tarsus  fortlasst.  Denn  dass  dieser  Abstecher 
von  Tyrus  nach  Tarsus  vollkommen  überflüssig  sei  für  den 
Gang  der  Erzählung^  mag  schon  die  oben  mitgetheilte  kurze 
Inhaltsübersicht  lehren.  Apollonius  hat  sich,  durch  Hellenicus 
gewarnt,  von  den  Bürgern  der  Stadt  Verschwiegenheit  und 
Treue  durch  seine  grossmüthigen  Getreidespenden  erkauft  (diese 
seltsamen  Leute  beginnen  freilich  »die  Flucht  des  Apollonius 
zu  verbergen«  damit  dass  sie  ihm  auf  offenem  Markt  eine 
Statue  errichten!):  man  begreift  gar  nicht,  welches  »Geschick« 
nun  eigentlich,  wie  wir  lesen,  ihn  »drängt«,  alsbald  die  Stadt 
wieder  zu  verlassen  und  sich  nach  Cyrene  einzuschiffen  >). 
Wir  können  die  ganze  Episode  des  ersten  tarsischen  Aufent- 
halts ohne  jeglichen  Schaden  entbehren.  Wir  werden  freilich 
nachher  noch  einmal  an  die,  von  den  Bürgern  dem  Apollonius 
errichtete  Statue  erinnert:  die  sterbende  Lycoris  empfiehlt  der 
Tharsia ,    in    etwaiger    Bedrängniss    sich    zu    diesem    Standbild 


fährt  der  Prinz  zu  seinem  Vater,  der  bald  stirbt;  der  Prinz  übernimmt  die 
Regierung,  lebt  aber  in  düsterer  Traurigkeit.  Der  angebliche  Tod  seiner 
Tochter  wird  ihm  von  dem  treulosen  »Statthalter o,  bei  dem  er  sie  gelassen 
bat,  gemeldet.  Der  Rest  nicht  wesentlich  verschieden  von  dem  Roman.  — 
Die  Versteckung  des  verräthehsch  schönen  Haares  des  Prinzen  in  Knechts- 
gestalt: »um  sich  das  Ansehen  eines  Grindkopfes  zu  geben«  (p.  S74  Hahn), 
sowie  seine  Entdeckung  durch  die  Prinzessin  bei  Gelegenheit  seines  herr- 
lichen Mttsicirens  (dieses  Letzte  war  es  wohl  eben,  was  hier  zur  Ein- 
flechtung  dieses  Zuges  veranlasste)  ist  ein  beliebter  Märchenzug :  italienische, 
deutsche,  schwedische  Beispiele  bei  R.  Köhler  in  Eberts  Jahrb.  VIII  (4867) 
p.  S58  ff. ;  Episode  in  einem  lappländischen  Märchen  bei  Liobrecht  in  Pfeiffers 
Germania  N.  R.  III  (1870}  p.  179  f.  Vgl.  namentlich  eine  orientalische 
Version  dieses  Märchenmotivs  in  der  »histoire  du  roi  Hormoz«,  1001  Tag 
(Tag  ISO  (T.):  Cabinet  des  fc^es  XV  118.  133.  —  Der  Anfang,  und  oon- 
scquenter  Weise  auch  der  Ucbcrgang  von  der  Hochzeit  zu  ferneren  Irr- 
fahrten, ist  anders  gewendet  und  motivirt  auch  in  der  altfranz.  Version  des 
Apollonius,  dem  Epos  von  Jourdains  de  Blaivies:  s.  llofmann,  Sitzungsber. 
d.  Münchener  Akad.  phil.  Gl.  1871  p.  417  f.  436.  Vgl.  Dunlop-Lieb- 
recht  p.  187. 

1)  c.  XI:  Intcrposiiis  mcnsibus  sivc  dicbus  (vgl.  26,  23)  paucis,  hor- 
tante  Slranguilliono  et  Dionysiadc  et  prcmentc  fortuna  ad  Pentapolitanas 
€yrenaeorum  regioncs  adfirmabatur  navigarc  ut  ibi  iatero  posset  (nach  cod.  A.). 


—    423    — 

ihres ,  um  die  Stadt  so  hoch  verdienten  Vaters  zu  retten  ^) . 
Warum  thut  sie  das  aber  später  nicht?  Wir  sehen  auch  den 
braven,  etwas  vorlauten  Hellenicus  noch  einmal  wieder:  am 
Schluss,  als  jeder  der  Reihe  nach  seinen  Lohn  bekommt,  naht 
sich  auch  Hellenicus  und  erinnerl  den  Apollonius  an  seine  Ver- 
dienste 2).  Aber  man  merkt  wohl  die  Ungeschicklichkeil  des 
Bearbeiters:  dieser  gute  Hellenicus  fHllt  ihm  erst  gaüz  zuletzt 
ein ;  und  er  verräth  die  Nebensächlichkeit  dieser  ganz  überflüs- 
sigen Figur  dadurch,  dass  er  selbst  deren  Heimath  vergessen 
hat :  früher  war  er  ein  Tyrier ;  jetzt  begegnet  er  ohne  Weiteres 
dem  Apollonius  in  Cyrene. 

Alle  dergleichen  Fehler  und  Schwächen  der  Composilion 
würden  unter  andern  Umständen  nur  ebenso  viele  Zeugnisse 
für  die  mangelhafte  Kunst  des  Erfinders  der  Fabel  sein.  Da 
wir  aber  einmal  einen  wenig  gewissenhaften  Ueberarbeiter  an 
dem  Originalwerk  thätig  gesehen  haben,  so  wird  es  wohl  er- 
laubt sein,  solche  störende  und  müssige  Auswüchse  für  spätere 
Erweiterungen  einer  ursprünglich  einfacher  angelegten  und  ge- 
nauer in  sich  geschlossenen  Erzählung  zu  halten. 

1^  Zeit  und  Heimath  des  griechischen  Dichters  sind  unbestimm- 
bar. Die  lateinische  Ueberarbeitung  wird  bereits  in  einer 
grammatischen  Schrift  des  siebenten  Jahrhunderts  citirt^);  viel- 
leicht entstand  dieselbe  bereits  in  beträchtlich  früherer  Zeit^}. 


1)  p.  t5,  2  fr.  —  Die  Bereitwilligkeit  zur  Errichtung  von  Statuen  er- 
innert noch  an  die  Art  auch  des  späten  Alterthums:  vgl.  Friedlttnder, 
Darst.  a.  d.  Sitteng.  111  466  £f. 

2)  p.  66,  4  7  ff. 

3)  Im  Traetat  de  dubiis  uominibus  (Gramm.  lat.  ed.  Keil  V  p.  579) : 
IQ  ApoUooio  Mgymnasium  patet«  =  p.  4  6,  34  R.  Vgl.  Riese,  Rhein.  Mus. 
XXVI  638  f. 

4)  Nach  c.  34  sind  40  aurei  mehr  als  eine  halbe  libra  auri,  aber  noch 
keine  ganze.  Christ  bei  W.  Meyer  a.  0.  p.  4  bemerkt,  dies  passe  auf  die 
Zeit  nach  Caracalla,  unter  dem  zuerst  50  aurei  auf  ein  Pfund  geprägt  wur- 
den; die  Rechnung  nach  aurei  und  sestertia  weise  aber  auf  eine  Zeit  vo 
GoQStantin  hin,  da  man  seit  dessen  Regierung  nach  solidi  und  foUes  rech- 
nete. (S.  in  Kürze  Marquardt,  R.  Alt.  III  S,  4  8.  S4.)  Die  Schrift  sei  also 
vermuthlich  zwischen  Caracalla  und  Constantin  geschrieben.  Wenn  dieses 
Argument  (dessen  Gewicht  ich  nicht  zu  beurtheiien  wage]  von  maass- 
gebender  Bedeutung  ist,  so  gilt  es  jedenfalls  für  die  (älteste,  uns  verlorene) 
lateinische  Fassung,  gewiss  nicht  (wie  Meyer  annimmt)  für  die  Zeit 
des  griechischen  Originals.    Denn  ohne  Zweifel  bediente  der  griechische 


—     424    — 

Das  griechische  Original  wird  Niemand  vor  das  dritte  Jahrhun- 
dert setzen  wollen ;  eine  genauere  Zeitbestimmung  versuchen  zu 
wollen,  wäre  ebenso  eitel,  als  die  Heimath  des  Dichters,  der 
ohne  allen  Zweifel  den  Kreisen  der  Sophisten  angehörte  und 
mit  gleichem  Rechte  an  jeden  beliebigen  Ort  sophistischer  Stu- 
dien versetzt  werden  kann,  errat hen  zu  wollen^).  Seine  Per- 
son scheint  er  selbst  mit  Absicht  versteckt  zu  haben:  die 
Schlussworte  des  Romans  lassen  erkennen ,  dass  er  (mit  einer 
ähnlichen  Fiction  wie  Antonius  Diogenes)  die  Hauptperson  der 
Erzählung  auch  ftlr  den  Verfasser  derselben  ausgab  und  also 
sich  selbst  hinter  dieser  besten  Autorität  versteckte. 


4. 

Wir  sind  nunmehr  zu  dem  umfiinglichstcn  der  sophisti- 
schen Romane  gelangt,  den  zehn  Btlchern  Aethiopischer  Geschich- 
ten des  Heliodorus. 

Der  Gang  der  Erzählung  des  Heliodor  ist ,  in  kurzem  Al>- 
riss,  dieser. 

An  der  Herakleotischen  Mündung  des  Nil  fmdet  eine  Schaar  von 
Räubern,  unter  zahlreichen  Leichen  und  den  Spuren  eines  gewaltsam 
unterbrochenen  festlichen  Mahles,  einen  am  Boden  liegenden  schwer- 
verwundeten  Jüngling,  welchen  eine,  ^ie  die  Artemis  gekleidete, 
schöne  Jungfrau  ins  Leben  zurückzurufen  versucht.  Ein  gestrandetes 
Schiff  liegt   am  Ufer.     Eben   sind   die  Räuber   im  Begriffe,    mit  der 


Verfasser   sich    so  gut  wie  alle   anderen  Romanschreiber  griechischer 
Münzrechnung. 

1)  Die  Argumente,  welche  Teuffei,  Rhein.  Mus.  XXVII  iOk  vorbringt, 
um  dem  griechischen  Dichter  das  »griechische  Asien«  als  Heimath  zu  vin- 
diciren,  wollen  wenig  besagen,  wie  Riese  ebendas.  p.  625  ganz  richtig  be- 
merkt. —  Es  finden  sich  einige  auflUllige  Spuren  ungriechischer  SiUe  in 
der  Erzählung.  So  die  Anwesenheit  der  Königstochter  beim  M&nnermahle, 
welche  sogar  den  einzelnen  Gästen  einen  Kuss  giebt  und  dann  zu  ihrer 
Ergützung  spielt  und  singt:  c.  XV.  XVI.  Soll  etwa  Archistrates  als  eia 
»barbarischer«  König  geschildert  werden ?  In  dem  griechischen  Tarsos  gebt 
die  freigeborene ,  als  Freie  erzogene  Tharsia  in  eine  öffentliche  scola ,  ein 
auditorium:  p.  83,  15  ff.;  35,  15;  36,  15.  Das  ist  römische  Sitte  der 
Kaiserzeit  (vgl.  Friedländer,  Darst.  a.  d.  Sitteng.  l*  448) :  ob  dieselbe  wirk- 
lich auch  in  griechische  Länder  vorgedrungen  war?  Ich  erinnere  mich 
aurs  Neue  der  rälhselhaften  Steile  des  Philostralus  imag.  1  12,  die  ich  oben 
p.  146  A.  2  angeführt  habe. 


—     425     — 

übrigen  Beute  auch  des  jugendlichen  Paares  sich  zu  bemächtigen, 
da  werden  sie  von  einer  anderen  Räuberschaar  vertrieben.  Diese 
zweite  Schaar  führt  den  Jüngling  und  die  Jungfrau  mit  sich  fort  in 
die  Schlupfwinkel,  welche  sie  auf  den  Inseln  eines  der  Seen  an  der 
Nilmündung  bewohnen.  Die  Beiden,  Theagenes  und  Ghariklea 
genannt,  werden  einem  schon  früher  gefangenen  griechischen  Lands- 
manne,  dem  Knemon,  zur  besonderen  Obhut  übergeben.  In  der  Nacht 
erzählt  ihnen  Knemon  seine  Lebensgeschichte.  Er  stammt  aus  Athen. 
Seine  Stiefmutter,  deren  Liebesanträge  er  zurückgewiesen  hatte,  hat 
ihn,  im  Bunde  mit  einer  Dienerin,  Thisbe,  in  den  Verdacht  einer 
Mordabsicht  auf  den  Vater  zu  bringen  gewusst,  worauf  er  vom  Volke 
verbannt  worden  war.  Noch  in  Aegina  hatte  er  erfahren,  dass  bald 
darauf  die  Stiefmutter,  von  derselben  Thisbe  verrathen,  ihre  Schänd- 
lichkeit mit  dem  Tode  gebüsst  habe.  —  Am  andern  Morgen  verlangt 
der  Räuberhauptmann  Thyamis,  ein  durchaus  edler  Mann,  von  der 
gesammten  Beute  die  Ghariklea  allein  für  sich.  Diese,  welche  sich 
und  den  Theagenes,  angeblich  ihren  Bruder,  für  zufällig  an  die  ägyp- 
ti.sche  Küste  verschlagene  Ephesier  ausgiebt,  weiss  einen  Aufschub 
der  keineswegs  ganz  abgewiesenen  Heirath  mit  dem  Räuber  zu  er- 
wirken. Sehr  bald  darauf  aber  wird  die  Räuberinsel  von  jenen  an- 
deren Räubern,  welche  Thyamis  an  der  Nilmündung  verjagt  hatte, 
überfallen.  Thyamis  verschliesst  die  Ghariklea  in  einem  unterirdischen 
Gange,  und  eilt  in  die  Schlacht.  Als  er  seine  Sache  verloren  sieht, 
schleicht  er  allein  in  jenen  Gang  zurück  und  ersticht  eine  ihm  dort 
begegnende,  hellenisch  redende  Frau,  die  er  für  Ghariklea  hält.  Im 
weiteren  Kampfe  wird  er  lebendig  gefangen,  seine  Bande  getödtet 
oder  zerstreut,  die  Hütten  auf  der  Insel  niedergebrannt  von  den  Siegern, 
welche  dann  abziehen. 

Buch  II.  In  der  Nacht  wagen  sich  Knemon  und  Theagenes  aus 
dem  dichten,  den  See  umkränzenden  Rohre,  in  welchem  sie  sich 
verborgen  hatten,  hervor,  fahren  nach  der  Insel  zurück,  dringen  in 
die  Höhle  und  finden  den  weiblichen  Leichnam.  Verzweifelt  sinkt 
Theagenes  an  der  für  Ghariklea  gehaltenen  Leiche  nieder:  da  ertönt 
wiederholt  aus  den  inneren  Gängen  der  vielverzweigten  Höhle  die 
Stiinme  der  Ghariklea,  welche  den  Theagenes  ruft.  Sie  tritt  lebend 
hervor ;  die  Leiche  erkennt  man  bei  Fackellicht  als  die  der  Thisbe. 
Knemon  berichtet  nachträglich,  wie  er  noch  in  Aegina  erfahren  habe, 
dass  Thisbe ,  deren  zweifacher  Verrath  entdeckt  worden  war ,  aus 
Athen  habe  fliehen  müssen ;  um  sie  zu  fmden  und  zur  Rechenschaft 
zu  ziehen ,  sei  er  eben  nach  Aegypten  gefahren.  Man  Gndet  bei 
ihrer  Leiche  einen  Brief  an  den  Knemon,  in  welchem  sie  diesen, 
ihren  Mitgefangenen,  um  Rettung  vor  einem  der  Räuber  anfleht,  wel- 
cher sie,  in  eifersüchtiger  Liebe,  eingeschlossen  halte.  Gleich  darauf 
tritt  eben  jener  Räuber,  Thermuthis,  in  die  Höhle,  um  die  dort  ver- 
steckte Thisbe  zu  befreien,  die  er,  zu  seiner  Verzweiflung,  nun  todt 
ßndet.    Die   drei  Griechen  buchen  sich  seiner  zu  entledigen,    indem 


—     426     — 

sie  ihn  auf  Kundschaft  nach  Thyamis  ausschicken ;  auf  Verlangen  des 
Therniuthis  muss  ihn  indessen  Knemon  begleiten.  Es  wird  festge- 
setzt, dass  Knemon  sich  baldigst  von  dem  Räuber  losmachen  und 
das  liebende  Paar  in  einem  Dorfe  Ghemmis  erwarten  solle.  Wirklich 
gelingt  es  der  List  des  Knemon,  sich  von  Thermuthis  (welcher  als- 
bald an  einem  Schlangenbiss  stirbt]  zu  entfernen.  Nach  Chemmis 
weiterziehend,  trifll  Knemon  am  Ufer  des  Nil  einen  hellenisch  reden- 
den und  hellenisch  gekleideten  greisen  Aegypter,  mit  welchem  ge- 
meinsam er  über  den  Strom  setzt  und  in  Chemmis,  in  dem  Hause 
seines  Gastfreundes,  einkehrt.  Dieser  ist  abwesend ;  von  seiner  Tochter 
freundlich  aufgenommen,  lagern  sie  sich  zum  Mahle.  Beim  Trünke 
(der  für  den  Alten  freilich  nur  in  klarem  Wasser  besteht]  erzählt 
der  Greis  dem  Knemon  zuvörderst,  dass  der  Besitzer  des  Hauses» 
Nausikles,  mit  einer,  von  dem  persischen  Phrurarchen  Ifitranes  ge- 
führten Soldatenschaar  ausgezogen  sei,  um  die  ihm  geraubte  Sklaviii 
Thisbe,  welche  er  dem  Könige  der  Aethiopen  verkaufen  wollte,  den 
Räubern  wieder  abzujagen.  Darauf  erzählt  er  dem  neugierig  For- 
schenden seine  Geschichte.  Er  heisst  Kalasiris  und  war  früher  Pro- 
phet in  Memphis.  Um  den  Verlockungen  einer  schönen  thracischea 
Hetaere  Rhodopis  zu  entfliehen  und  einen  durch  seine  prophetische 
Gabe  ihm  kund  gewordenen  zukünftig  ))evorstehonden  Schwertkaoipf 
seiner  beiden  Söhne  nicht  ansehen  zu  müssen,  verlässt  er  sein  Vater^ 
land.  Auf  seiner  weiten  Reise  kommt  er,  als  nach  dem  Mittelpunct 
göttlicher  Weisheit,  nach  Delphi.  Von  dem  Gott  feierlich  durch  eine 
besondere  Anrede  begrüsst,  wird  er  vorzüglich  mit  dem  Priester  des  py- 
thischen  Apoll,  Charikles,  befreundet.  Dieser  erzählt  ihm  wie  er  einst» 
um  dem  Schmerz  um  seine  gleichzeitig  gestorbene  Frau  und  einzige 
Tochter  zu  entgehen,  nach  Aegypten  und  bis  zu  den  Katarrakten  des 
Nil  gereist  sei.  Dort  habe  ihm  ein  Gesandter  des  äthiopischen  Königs 
an  den  persischen  Satrapen  ein  siebenjähriges  Mädchen,  welches  seine 
Mutter,  zugleich  mit  einigen  Erkennungszeichen,  ausgesetzt  habe, 
übergeben.  Er  habe  das  Kind  mit  nach  Delphi  zurückgebracht  und 
erziehe  sie,  eine  mittlerweile  unvergleichlich  schön  gewordene  Jung- 
frau, Chariklen  genannt,  wie  seine  eigene  Tochter.  Sein  einziger 
Kummer  sei,  dass  Chariklea,  als  Prioslerin  der  Artemis,  jede  Heiratfa 
zurückweise,  und  ins  Besondere  die  mit  seinem,  ihr  zugedachten 
Schweslersohn.  —  Zu  derselben  Zeit  sollte  gerade  das  pythische 
Fest  begangen  werden;  es  mit  zu  feiern  war  an  der  Spitze  einer 
Reiterschaar  der  thessalischen  Aeniancn,  Theagenes,  ein  herrlicher, 
dem  Achill  an  jugendlicher  Slatllichkeit  zu  vergleichender  Jüngling, 
erschienen.  Er  meldet  sich  beim  Charikles;  man  begeht  ein  feier- 
liches Opfer;  da  lässl  die  Pythia  aus  dem  Adyton  eine  Weissagung 
erschallen,  welche  in  dunkeln  Versen  dem  Theagenes  und  der  Cha- 
riklea eine  lange  Irrfahrt  bis  in  das  »dunkelfarbige  Land  der  Sonne« 
vorherverkündet.  Keiner  der  Umstehenden  versteht  die  Meinung  des 
Gottes;  aber  bald  vcrgisst  man  den  räthselhaften  Spruch  über  den 
Vorbereitungen  zum  grossen  Festzug. 


—    427     — 

Buch  III.  lY.  Bei  dem  prächtigen  Zuge  erblicken  sich  Ghariklea 
und  Theagenes  zum  ersten  Male,  und  entbrennen  alsbald  in  gegep-^ 
seiliger  Liebe.  Die  Leidenschaft  wird  noch  gesteigert,  als  bei  einem 
WettKauf  Ghariklea  dem  siegreichen  Theagenes  den  Kranz  zu  reichen 
hat.  Im  Weiteren  wird  nun  die  Liebeskrankheit  des  Paares  sehr 
umständlich  geschildert.  Beide  vertrauen  sich  dem  Kalasiris  an, 
welcher  dem  gläubigen  Gharikles  gegenüber  sich  das  Ansehen  giebt, 
als  ob  er  durch  Zauberkunst  das  spröde  Herz  der  Jungfrau  zur  Liebe 
erweicht  habe;  ein  Gegenzauber  scheine  zu  verhindern,  dass  diese 
Liebe  sich  auf  den  Alalkomenes,  den  Schwestersohn  des  Gharikles, 
richte.  Vielleicht  enthalte  die  Binde,  welche  Gharikles  zugleich  mit  dem 
Kinde  von  jenem  Aethiopen  erhalten  habe,  feindliche  Zauberzeichen. 
Durch  diese  listige  Wendung  entlockt  Kalasiris  dem  Gharikles  die 
Binde.  Sie  ist  mit  äthiopischer  Schrift  in  »königlichen«  der  hiera- 
tischen Schrift  der  Aegypter  gleichen,  Buchstaben  bestickt.  Es  er- 
zählt darauf  Persina,  die  Königin  der  Aethiopen,  wie  sie  einst,  durch 
den  Anblick  der  weissen  Gestalt  einer  in  ihrem  Gemach  abgebil- 
deten Andromeda  beeinflusst,  ihrem  dunkelfarbigen  Gatten,  Hydaspes, 
ein  hellfturbiges  Mädchen,  die  einzige  Frucht  ihrer  Ehe,  geboren 
habe.  Wiewohl  gänzlich  schuldlos,  habe  sie  in  Angst  dieses  Kind, 
mit  einem  magischen  Ring,  kostbaren  Ketten  und  dieser  Binde  aus- 
gesetzt. Kalasiris,  welcher  zudem  früher  3elbst  einmal,  in  Aethiopien, 
von  der  Persina  in  ihr  Geheimniss  eingeweiht  worden  war,  berichtet 
der  Ghariklea  Alles ;  und  es  wird  nun  eine  Flucht  nach  Aegypten  ver- 
abredet, zu  welcher  schon  vorher  Apoll  und  Artemis,  dem  Kalasiris 
im  Traume  erscheinend,  diesen  aufgefordert  hatten.  In  einer  Nacht 
überfällt  Theagenes  an  der  Spitze  seiner  Aenianen  das  Haus  des 
Gharikles  und  raubt  die  Geliebte.  Die  Delpher  halten  noch  in  der 
Nacht  eine  Volksversammlung  und  eüen  den  Räubern  nach. 

Buch  V.  Kalasiris  aber  hatte  mit  Theagenes  und  Ghariklea  sich 
(die  übrigen  Aenianen  verlassend)  an  das  Meer  hinunter  gewendet 
und  war  auf  einem  phönicischen ,  nach  Karthago  bestimmten  SchifTe 
durch  den  kirrhäischen  Golf  hinaus  gefahren.  —  Ueber  dieser  Er- 
zählung war  es  tiefe  Nacht  geworden.  Nausikles  kehrt  endlich  zurück 
und  berichtet,  wie  er  eine  bessere  Tliisbe  sich  erworben  habe. 
Knemon,  der  die  Gefangene  in  einem  Nebengemache  in  jammernden 
Selbstgesprächen  sich  selbst  Thisbe  nennen  hört,  hat  schreckliche 
Nachtgesichter  von  einer  wieder  aufgelebten  Thisbe  zu  überstehen. 
Am  Morgen  klärt  es  sich  auf,  dass  die  angebliche  Thisbe  keine  An- 
dere ist  als  Ghariklea.  Theagenes  und  Ghariklea  waren  nämlich  von 
den  gegen  die  Räuber  ausgerückten  persischen  Truppen  auf  der  Insel 
überrascht,  worden.  Die  Ghariklea  hatte  Nausikles  als  seine  ver- 
inisste  Sklavin  Thisbe  für  sich  in  Anspruch  genommen :  den  Thea- 
genes hatte  Mitranes  an  den  Satrapen  von  Aegypten,  Oroondates, 
nach  Memphis  abgeschickt,  damit  dieser  den  schönen  Jüngling  dem 
Grosskönig   als  Diener    übersende.     Kalasiris,    von  Ghariklea    alsbald 


—     428    — 

wiedererkannt,  kauft  diese  vom  Nausikles  los  gegen  einen  kostbaren 
Amethystring ,  welchen  Chariklea  ihm,  aus  den  Erkennungszeichen 
ihrer  Mutler,  gegeben  hat,  den  er  aber  scheinbar  aus  einem  dem 
Hermes  dargebrachten  brennenden  Opfer,  wie  ein  Göttergeschenk, 
herausholt.  Beim  Opfermahl  vollendet  dann  Kalasiris  seine  Erzählung. 
Das  phönicische  Schiff  hatte  (da,  nach  Vollendung  der  pythischen 
Spiele,  der  Winter  nahe  war)  auf  Zakynthus  Winterstation  gemacht. 
Kalasiris  mit  seinen  Schutzbefohlenen  hatte  bei  einem  alten  Fischer 
Tyrrhenus  freundliche  Aufnahme  gefunden.  Von  diesem  benachrich- 
tigt, dass  ein  Piratenschiff  den  PhÖniciem  auflaure  und  dass  der 
Herr  dieses  Piratenschiffes,  Trachinus,  dem  Tyrrhenus  bereits  .seine 
Liebe  zur  Chariklea  mitgetheilt  habe,  weiss  er  den  Besitzer  des  phÖ- 
nicischen  Schiffes  (dem  er,  als  der  angebliche  Vater  der  Chariklea, 
deren  Hand  verspricht)  zu  schleunigem  Aufbruch  zu  bewegen.  Jen- 
seits Kreta  werden  sie  von  den  Piraten  überfallen,  und  nach  kurzem 
Kampfe  besiegt.  Ein  Sturm  wirft  die ,  auf  das  phönicische  Schiff 
hinüber  gezogenen  Piraten  mit  ihrer  Beute  an  die  herakleotische  Nil- 
mündung.  Ein  üppiges  Mahl  wird  am  Ufer  angerichtet:  Trachinus 
will  die  Chariklea  ehelichen.  Da  hetzt  der  listige  Kalasiris  einen 
anderen  Piraten,  Pelorus,  auf:  er  sei  es,  sagt  er  ihm  heimlich,  den 
Chariklea  liebe.  Pelorus  fordert  die  Schöne  für  sich,  als  Lohn  da- 
für, dass  Er  zuerst  das  gekenterte  Schiff  der  Phönicier  bestiegen 
habe.  Da  Trachinus  ihm  das  verweigert,  entbrennt  eine  wiide 
Schlacht  zwischen  den  Räubern;  Chariklea,  in  dem  Artemis-Costüm 
in  welchem  sie  von  Delphi  geflohen  war,  schiesst  vom  Bord  des  ge- 
strandeten Schiffes  unter  die  Feinde:  Theagenes  kämpft  wüthend  mit, 
und  erlegt  zuletzt  den  einzig  Ueberlebenden,  Pelorus.  Kalasiris  hatte 
ein  Versteck  gefunden :  als  er,  nach  beendigtem  Gemetzel,  sich  wieder 
heraus  wagt ,  sieht  er ,  wie  eben  die  •  Sumpfräuber  das  Paar  fort- 
schleppen. 

Buch  VI.  Am  andern  Morgen  ziehen  die  drei  Männer  aus,  um 
den  Theagenes  aufzusuchen.  Unterwegs  erzählt  Knemon  seine  Erleb- 
nisse zu  Ende :  wie  er,  um  die  Thisbo,  welche  aus  Athen  mit  einem 
Kaufmann  aus  Naukratis  (eben  dem  Nausikles)  entflohen  war,  aufzu- 
suchen, nach  Aegyplen  segelnd,  von  Piraten  gefangen,  dann,  diesen 
entlaufen,  an  der  ägyptischen  Küste  den  Sumpfräubern  in  die  HSnde 
gefallen  sei.  Weilerhin  begegnen  die  Drei  einem  Bekannten  des  Nau- 
sikles, von  dem  sie  erfahren,  dass  in  der  vergangenen  Nacht  Mitranes 
gegen  das  Dorf  Bessa  ausgezogen  sei,  um  den  dortigen  Räubern  einen 
hellenischen  Jüngling  (eben  den  Theagenes)  wieder  zu  entreissen, 
den  diese,  unter  Führung  ihres  neuen  Hauptmanns,  des  Thyamis, 
den  ihn  nach  Memphis  Geleitenden  abgejagt  hätten.  Die  Dreie  kehren 
zur  Chariklea,  unverrichteter  Sache,  zurück.  Knemon,  dem  Nausikles 
seine  Tochter  zur  Ehe  giebt,  bleibt  nun  zurück;  Kalasiris  und  Cha- 
riklea, als  Bettler  verkleidet,  ziehen  allein  weiter,  um  den  Theagenes 
aufzusuchen.     Bei  Bessa   finden   sie   viele  Leichen   und  Spuren  einer 


—     429     — 

Schlacht.  Eine  Alte  belehrt  sie,  dass  die  heranrückenden  Perser, 
von  den  bessäischen  Räubern  angegriffen^  besiegt  und  raitsammt  dem 
Mitranes  grösstentheils  getödtet  worden  seien.  In  der  Nähe  des 
Schlachtfeldes  übernachtend  wohnen  sie  einer  grausigen  Scene  bei: 
die  Alle  belebt  durch  Zaubers  Gewalt  auf  kurze  Zeil  ihren,  unter 
anderen  Kriegern  aus  Bessa  gefallenen  Sohn. 

Buch  YII.  Thyamis  war  indessen  kühnlich  mit  seinen  Bessäern 
und  dem  befreiten  Theagenes  nach  Memphis  gezogen.  Er  hatte  dort, 
als  ältester  Sohn  des  früheren  Propheten,  eben  des  Kalasiris,  die 
nächsten  Ansprüche  auf  die  erledigte  Prophetenwürde  gehabt,  war 
aber  von  seinem  jüngeren  Bruder  Petosiris,  der  ihn  bei  dem  Satrapen 
Oroondates  unlautrer  Beziehungen  zu  dessen  schöner  und  üppiger 
Frau  Arsace  fälschlich  zu  verdächtigen  gcwusst  hatte,  zur  Flucht  ge- 
nöthigt  und  seiner  Priesterwürde  beraubt  worden.  —  Die  Räuber 
ziehen  vor  die  Stadt  und  fordern  für  den  Thyamis  die  rechtmässige 
Propheten  würde  zurück.  Auf  Entscheidung  der,  in  Abwesenheit  des 
Oroondates  regierenden  Arsace  sollen  die  beiden  Brüder  im  Zwei- 
kämpf  um  ihr  Anrecht  streiten.  Vor  den  Augen  der,  von  den  Zinnen 
der  Stadtmauer  zusehenden  Arsace  und  der  Stadtbevölkerung  beginnen 
draussen  die  Brüder  den  Kampf.  Thyamis  treibt  den  feige  fliehenden 
Petosiris  vielmal  um  die  ganze  Stadt  herum ;  schon  ist  er  im  Be- 
griff, ihn  endlich  zu  durchbohren:  da  stürzt  »wie  aus  einer  Theater- 
maschine« der  eben  mit  der  Chariklea  zusammen  angelangte  Kalasiris 
zwischen  die  feindlichen  Söhne.  Bald  wird  er,  seiner  Verkleidung 
entledigt,  erkannt;  der  Kampf  wird  beendigt;  feierUch  ziehen  Vater 
und  Söhne  unter  dem  Jubel  der  Bevölkerung  in  die  Stadt  und  in  den 
Isistempel.  Chariklea,  endlich  wieder  mit  dem  Geliebten  vereinigt, 
folgt  ihnen.  —  Arsace  ist  von  einer  leidenschaftlichen  Begierde  nach 
dem  schönen  Theagenes  ergriffen  worden.  Da  sie  selbst  ihrem  Elend 
keinen  Rath  weiss,  verspricht  Cybele,  ihre  alte  Dienerin,  ihr  zu 
helfen.  Sie  geht  am  nächsten  Morgen  zum  Isistempel.  Dort  erfährt 
sie,  dass  der  greise  Kalasiris ,  nach  frölilich  begangenem  Festmahle, 
friedlich  entschlafen  sei.  Sie  benutzt  den  Anlass,  um  Theagenes  und 
Chariklea  zur  üebersiedelung  in  das  Schloss  der  Arsace  zu  bewegen. 
Arsace  nimmt  Beide  mit  grösster  Zuvorkommenheit  auf;  aber  keine  Güte 
der  Herrin,  kein  Zureden  der  Cybele,  vermögen  den  Theagenes  den 
Wünschen  der  Frau  des  Satrapen  geneigt  zu  machen.  Da  verräth 
Achaemenes,  der  Sohn  der  Cybele,  dass  Theagenes  eigentlich  ein 
kriegsgefangener  Sklave  sei ;  er  selbst,  der  den  Mitranes  auf  seinem 
Zuge  hegleitet  hatte,  habe  ihn  damals  gesehen.  Arsace,  die  nun 
eine  weit  grössere  Gewalt  über  den  Stolzen  zu  haben  meint,  verlobt 
zur  Belohnung  die  Chariklea  dem  Achaemenes.  Theagenes,  zum 
Mundschenk  der  Arsace  gemacht,  thut  als  wolle  er  ihren  Wünschen 
willfahren:  Chariklea  aber,  welche  nicht,  wie  er  bis  her  vorge- 
geben hatte ,  seine  Schwester,  sondern  seine  Braut  sei ,  dürfe  dem 
Achaemenes  nicht  überlassen  bleiben.  Arsace  willigt  in  seine  Be- 
dingung. 


—     430     — 

Buch  VIII.  Da  Theagenes  trotzdem  in  seioer  Sprödigkeit  Ter* 
harrt,  übergiebt  ihn  Arsace  (welcher  mittlerweile  Thyamis,  jeixt 
Prophet  geworden,  freimüthig  aber  fruchtlos  ihr  Verhalten  vorge- 
worfen hatte)  dem  Obereunuchen  Euphrates  zur  Züchtigung  und  Ein- 
kerkerung. Der  Chariklea  soll,  auf  Arsaces  Befehl,  Cybele  einen 
Gifltrunk  reichen ;  aber  die  Becher  werden  vertauscht  und  Cybeie 
trinkt  selbst  das  Gift  und  stirbt.  Chariklea ,  des  Mordes  angeklagt, 
soll  verbrannt  werden:  die  Flammen  des  Scheiterhaufens  weichen 
vor  ihr  zurück,  da  sie  den  magischen  Ring  Pantarbes,  welchen  die 
Mutter  ihr  mitgegeben  hatte ,  an  sich  trägt.  Sie  wird  zum  Thea- 
genes in  den  Kerker  geworfen.  —  Unterdessen  war  Achaemenes, 
der  Chariklea  beraubt,  zum  Oroondatcs  nach  Theben  geeilt,  und  hatte 
ihm  die  Ereignisse  in  seinem  Hause  mitgetheilt.  Oroondates  nUmlick 
war  auf  einem  Kriegszuge  gegen  den  König  Hydaspes  von  Aethiopies 
begriffen,  welcher  die  stets  zwischen  Aegypten  und  Aethiopien  strei- 
tigen Smaragdgruben  und  die  Stadt  Philae  für  sich  gefordert  ua4 
letztere  gleich  durch  Handstreich  besetzt  hatte.  .  Vom  Oroondates 
abgesandt  kommt  der  Eunuch  Bagoas  nach  Memphis  und  hott  Thet- 
genes  und  Chariklea  ab.  Auf  dem  Wege  nach  Theben  erfahren  am 
noch,  dass  Arsace  sich  selbst  umgebracht  habe.  Da  Oroondates  in- 
zwischen von  Theben  nach  dem,  durch  die  Aethiopen  gefährdeteft 
Syene  aufgebrochen  war,  zieht  auch  Bagoas  dorthin.  Aelhiopische 
Kundschafter  überfallen  den  Zug  und  bringen  sie  zum  Könige  der 
Aethiopen. 

Buch  IX.  Dieser  hatte  mittlerweile  den  Oroondates  in  Syene 
eingeschlossen.  Die  Stadt  wird  belagert ,  mit  einem  weitgezogenen 
Mauerkreis  umgeben ;  zwischen  die  Belagerungsmauem  und  die  Stadt 
leitet,  durch  einen  gegrabenen  Canal,  der  Aethiope  den  Nil.  Die 
Stadtmauern  kommen  ins  Wanken ;  die  Stadt  muss  übergeben  werden. 
Vorher  aber  rückt  Oroondates  mit  seinen  Truppen  Nachts  heimhch 
aus  und  eilt  nach  Elephantine.  Hydaspes,  der  König  der  Aethiopen, 
nimmt  Syene  ein,  muss  sich  dann  aber  dem  von  Elephantine  mit 
starker  Macht  heranziehenden  Oroondates  zur  Schlacht  gegenüber- 
stellen. Die  ganz  gepanzerten  persischen  Reiter  (Kataphrakten)  wer- 
den von  den  leichtbewafTneten  Blemmyern  untaugUch  gemacht,  das 
übrige  Heer  der  Perser  namentlich  durch  die  Elephanten  der  Aethiopen 
geworfen.  Es  fällt  auch  Achaemenes.  Oroondates  wird  gefangen, 
von  dem  gerechten  König  aber  freigelassen.  Das  äthiopische  Reich 
erstreckt  sich  nun  bis  zu  den  Katarrhakten,  und  schliesst  die  Sma- 
ragdgruben und  Philae  in  sich.  Hydaspes  kehrt  nach  Syene  zurück 
und  besichtigt  die  Merkwürdigkeiten  der  Stadt.  Am  andern  Tage 
wird  dem  feierlich  thronenden  König  die  Beute  vorgeführt,  darunter 
auch  Theagenes  und  Chariklea.  Trotz  der  Ermahnungen  des  Thea- 
genes findet  Chariklea  es  zweckmässig,  sich  ihrem  Vater  noch  nicht 
zu  entdecken.  Die  Beiden  werden  bestimmt,  nach  äthiopischem 
Brauche  als  Kriegsopfer  zu  fallen. 


—     431     — 

Buch  X.  Der  König  zieht  in  sein  Reich  zurück.  Auf  einer 
Wiese  bei  Meroi*  findet  eine  festliche  Versammlung  statt:  alles  Volk, 
die  Königin  Persina,  die  weisen  Gymnosophisten,  sind  dem  Heere  ent- 
gegengezogen. Auf  dem  reich  geschmückten  Plane  werden  dem 
Helios,  der  Selene,  dem  Dionysus  Thieropfer  dargebracht.  Zuletzt 
verlangt  das  Volk  die  herkömmlichen  Menschenopfer.  Nur  jungfräu- 
liche und  unberührte  Mädchen  und  Jünglinge  dürfen  geopfert  werden, 
diese  dem  Helios,  jene  der  Selene.  Ein  goldener  Altar  dient  zur 
Keuschheitsprobe:  den  Unreinen  verbrennt  er,  wenn  sie  darauf  ge- 
stellt werden,  die  Sohlen.  Theagenes  und  Chariklea  bestehen  die 
Probe.  Als  das  grausige  Opfer  beginnen  soll,  rüsten  die  Gymnoso- 
phisten,  diesem  Schauspiel  feind,  sich  zum  Abzug.  Da  stürtzt  Cha- 
riklea dem  Sisimithres,  dem  Haupte  der  Gymnosophisten,  zu  Füssen 
und  entdeckt  ihre  Herkunft.  Durch  das  Zeugniss  des  Sisimithres, 
welcher  einst  selbst  das  Kind  dem  Charikles  übergeben  hatte,  die 
Binde,  das  Eingeständniss  der  Persina,  zuletzt  ein  sonderbares  Mutter- 
mal der  Chariklea,  wird  endlich  auch  Hydaspes  überzeugt,  dass 
Chariklea  seine  rechtmässige  Tochter  sei:  das  Volk  spricht  diese 
nun  von  der  Opferung  frei.  Sie  muss  nun  eingestehen  dass 
Theagenes  nicht  ihr  Brüder  sei :  sein  wirkliches  Verhäitniss  zu  ihr 
wagt  sie  nur  in  dunkeln  Andeutungen  auszusprechen.  Während 
ein  zum  Opfer  geeigneter  Ersatz  für  die  Chariklea  gesucht  wird, 
ISsst  der  mächtige  König  sich  die,  zur  Siegesfeier  erschienenen  Ge- 
sandtschaften vorführen.  Es  kommt  zuerst  Meroebus,  der  Bruder- 
sohn des  Hydaspes.  Dieser  verlobt  ihm  alsbald  die  neugefundene 
Tochter.  Es  folgen  die  Gesandten  der  Serer,  Araber,  Troglodyten, 
Blemmyer,  Tribut  und  Geschenke  bringend ;  zuletzt  die  Gesandten  der 
Auxumiten,  welche  dem  Hydaspes  nicht  unterworfen,  sondern  be- 
freundet waren:  sie  bringen  eine  Giraffe  zum  Geschenk.  Als  die 
Opferthiere  an  den  Altären  des  Helios  und  der  Selene  das  seltsame 
Ungethüm  sehen,  reissen  sich  dort  die  Pferde,  hier  ein  Stier  los 
und*  toben  umher.  Theagenes  bändigt  kühn  und  geschickt  den  wilden 
Stier.  Entzückt,  verlangt  das  Volk,  nun  den  Jüngling  mit  einem 
ungeheuren  feisten  Aethiopen,  welchen  Meroebus  mitgebracht  hcat, 
kämpfen  zu  sehen.  Der  gewandte  Theagenes  überwindet  im  King- 
kampf den  ungeschlachten  Gesellen.  Vom  Könige  aufgefordert,  sich 
eine  Gnade  zu  erbitten,  verlangt  er,  von  der  Hand  der  Chariklea 
geopfert  zu  werden.  Dies  wird  ihm  abgeschlagen,  da  eine  Frau 
das  Opfer  vollziehen  müsse,  Chariklea  aber  Jungß^au  sei.  Zuletzt 
kommen  noch  Boten  des  Oroondates.  Sie  bringen  einen  Brief,  in 
weldiem  der  Satrap  bittet,  einem,  mit  den  Gesandten  angekommenen 
heUenischen  Greise  doch  zur  Wiedererlangung  seiner,  angeblich  unter 
den  Kriegsgefangenen  befindlichen  Tochter  behülflich  sein  zu  wollen. 
Der  Greis  wird  vorgelassen:  es  ist  Charikles.  Vergeblich  sucht  er 
unter  den  weiblichen  Gefangenen  seine  Pflegetochter.  Dagegen  er- 
kennt er  den  Theagenes  und  stürzt  wüthend  auf  den  Entführer  seiner 
Tochter  zu.    Sisimithres,  den  Charikles  erkennend,  klärt  endlich  Alles 


—    432    — 

auf;  auf  seinen  Antrag  werden  die  von  d^n  Göttern  so  sichtlich 
Geschützten  vor  dein ,  in  alle  Zukunft  aufzuhebenden  Menschenopfer 
bewahrt,  und,  feierlich  mit  der  priesterlichen  Binde  der  Heliospriester 
geschmückt,  nach  vollbrachtem  Opfer,  unter  Fackelglanz  und  Flöten- 
schall,  auf  Wagen,  zum  Hochzeitsfest  nach  Meroe  geleitet;  womit 
denn  die  Aussprüche  des  Orakels  erfüllt  und  ihre  Abenteuer  been- 
digt sind. 


lieber  die  Person  des  Heliodor  ist  uns  eine,  jedenfalls 
merkwürdige  Notiz  bei  Sokrales,  welcher  in  der  ersten  Hälfte 
des  fünften  Jahrhunderts  eine  Kirchengeschichte  schrieb,  erhal- 
ten. Dieser  berichtet :  in  Thessalien  werde  ein  Kleriker,  wenn 
er  nach  seiner  Weihe  sich  nicht  seiner  ehelichen  Gattin  ent- 
halte, excommunicirt.  Diese  Sitte  habe  dort  Heliodor,  Bischof 
von  Trikka  eingeführt,  »dessen  Werk  auch  die  Liebesgeschichte 
sein  soll,  welche  er  in  seiner  Jugend  schrieb  und  »Aethiopica« 
benannte«^).  Ein  viel  spHterer  Kirchenhistoriker  erweitert 
diesen  Bericht  des  Sokrates  dahin,  dass  Heliodor,  von  einer 
Provinzialsynode  aufgefordert,  entweder  seine  bedenklichen  ero- 
tischen Bücher  zu  verbrennen  oder  von  seiner  geistlichen  Würde 
zurückzutreten,  lieber  auf  diese  Würde  verzichtet  habe*). 

Diesen    Zusatz    hat    man    meistens    als    einen    sagenhaften    . 
Auswuchs  des   Berichtes  des  Sokrates  verworfen,  jenen  Bericht 
selbst  aber  um  so  fester   gehalten  ^j.     Mit   wenigen   Ausnahmen 

1)  Socrates  bist,  eccles.  V  22  §  51  (vol.  II  p.  684  ed.  Hussey.):  — düLXÄ 
ToO  jxev  ii  BeooaXt^i  ^do'j;  ^PX^T^^  'HXiöSwpoc  TplxxTj«  ttj;  Ixci  iVii^JSMi 
['HX.  xXT]pixöc  Tp.  T.  i.  ivi.  cod.  C. ;  Tp.  t.  i,  Ye^6|xrvo;  dTctoxo-iro;, 
wohl  richtig,  Clinton  Fast.  Heil.  vgl.  Soor.  ed.  Hussey  vol.  III  p.  426  f.], 
o'j  X^Y^Tai  i:ovV))xaTa  ipnrtxd  ßt^Xta,  B.  n£o;  wv  ouN^Ta^e  xal  Ai^toictxdi  i:poc- 
TjY^pcuoev. 

2)  Nicephorus  Callistus  bist,  eccles.  XII  34  (vol.  II  p.  296  D  297  A  ed. 
Ducaeus,  Paris  4  639  fol.):  —  dXXdl  toD  [Jiev  is  OeoaoXla  fdoo;  TcpoxoriipEcv 
'HXi^^oDpo;  IxeTvo;  TplxxTj;  iriöxoTioc.  ou  TiovVjfJiaTa  dpootind  elo^n  vw  1»- 
pi^^perai  B.  v£o;  oiv  ouvcTd^aTo  AidtoTTixdi,  nun  hi  xaXoOai  xaura  XapbcXciav 
(so  in  den  Gnonnologien  des  Max.  Conf.  etc.).  hi  S  xoii  rf^v  iirt9xoirf|V 
d?pTQp£d7j.  Iirei^  Y*P  ^oXXoic  twv  nIoon  xiN^uveuetv  ixei^v  littet ,  i^  ^<&pt^ 
7:poa£TaTT€  o6vo5oc,  tj  xdc  ß(ßXou;  dlcpaNtCetv  xal  irupi  BanaNOv,  &;r<zvaircou9ac  tiv 
Ipwra,  tJ  [iTj  /p^Nai   lepdo&ai  ToiaOra  ouNd£[Ji£voN.    t6n   hi   {jidXXoN   i)v£o0at  tfjv 

3)  So  Huet  De  Torigine  des  Romans  p.  52.  53,  und  viele  Andere. 
An  der  Identität  des  Bischofs  und  des  Erotikcrs  zweifeln  z.  B.  Valesius  lO 
Socr.  1.  1. ,  Sorellus ,   den   Bayle   Diction.   s.  H^liodore   n.  E  zu  widerlegen 


—     433     — 

halten  ältere  und  neuere  Gelehrten  für  den  Verfasser  der  Aethio- 
pischen  Geschichten  jenen ,  übrigens  nicht  weiter  bekannten 
Bischof  Heliodor  von  Trikka ,  den  man  an  das  Ende  des  vier- 
ten Jahrhunderts,  unter  die  Regierung  Theodosius  des  Grossen 
und  seiner  Söhne  zu  setzen  pflegt.  Für  diese  Zeitansetzung  bieten 
übrigens  nicht  einmal  die  Worte  des  Sokrates  irgend  einen  An- 
halt; vielmehr  lassen  diese  die  Zeit  des  Bischofs  Heliodor  ganz 
unbestimmt.  Einen  christlichen  Bischof  sich  als  den  Verfasser 
der  äthiopischen  Erzählungen  zu  denken  fand  man  aber  um  so 
weniger  bedenklich,  w^eil  man  nicht  nur  in  der  Reinheit  der 
Sitten,  welche  diesen  Roman  zumal  dem  des  Achilles  gegenüber 
auszeichnet,  Spuren  einer  christlichen  Sittlichkeit,  sondern 
auch  in  Worten  und  Wendungen  Einflüsse  christlicher  Littera- 
tur,  in  Sittenschilderungen  und  episodischen  Berichten  hie  und 
da  den  Widerschein  christlicher  Lebensweise  und  biblischer 
Sage  zu  erkennen  glaubte^].  Diese  Spuren  von  Christlichkeit 
des  Verfassers  beruhen  indessen  durchaus  auf  einem  trügeri- 
schen Schein:  man  mag  sich  eine  Vorstellung  von  der  Art 
dieser  eifrig  aufgespürten  Ghristianismen  machen  nach  Proben 
wie  diese :  Chariklea  ,  fälschlich  des  Giftmords  angeklagt  und 
hart  bedroht,  verlacht  im  Stolz  ihres  guten  Gewissens  die 
Drohungen:  das  soll  aus  den  Marlyrologien  entnommen  sein. 
Sie  wird  aus  dem  Feuer  wunderbar  errettet:  ohne  Zweifel  in 
Nachahmung  der  drei  Männer  im  feurigen  Ofen.  Kalasiris  ist 
ein  Avatära  des  Aaron,  Hydaspes   ein  Seitenstück  zum  Theodo- 


sacht, neuerdings  Jac.  Eurckbardt,  die  Zeit  Coostantins  d.  Gr.  p.  313;  dem 
Ghassang,  Hisl.  du  roman  p.  415  scheint  die  Identität  wenigstens  nullement 
prouväe.  Gründlich  untersucht  hat  bisheiv  Niemand  die  Frage ,  die  sich 
doch,  wie  ich  zu  zeigen  hoffe,  vollständig  in's  Klare  bringen  lässt. 

1)  Christliche  und  biblische  Einflüsse  in  Ausdrücken ,  Sittenschilderun- 
gen, Sagenwendungen  sucht  beim  Heliodor  nachzuweisen  Korais  in  seiner 
übrigens  vortrefflichen  Bearbeitung  des  Heliodor  mit  griechischem  Com- 
mentar:  is  llapioiot;  1804  (2  voll.):  s.  vol.  I  p.  xo'  xe',  vol.  U  p.  56  {zu 
ocX.  56  OT.  18),  63  (zu  64,  12),  95  (zu  91,  9),  98  (zu  93,  4),  103  (zu  98,  10), 
4S9  (zu  127,  25),  131  (zu  129,  11),  316  (zu  881,  23),  324  (zu  392.  20), 
147  (zu  147,  20),  153  (zu  151,  16),  234  (zu  273,  17),  262  (zu  319,  12), 
264  (zu  324,  17),  267  (zu  329,  2),  268  (zu  332,  10;,  270  (zu  335,  6)^ 
279  (zu  347,  2),  333  (zu  403,  15),  339  (zu  412,  12).  Ich  habe  die  sömmt- 
Jichen  Stellen  aus  Korais  Commentar  angeführt,  damit  Kundige  sich  selbst 
von  der  völligen  Nichtigkeit  seiner  Argumente  leichter  überzeugen  künnen. 

• 

Bohde,  Der  ipriechische  Roman.  28 


—     434     — 

sius^).  Von  ähnlicher  Art  sind  alle  diese  Entdeckungen;  wir 
dürfen  getrost  iillen  unbefangenen  Lesern  des  Werkes  über- 
lassen, zu  beurtlieilen  ob  ein  ungetrübter  Blick  auch  nur  den 
geringsten  thatsüchlichen  Anklang  an  Biblisches  und  Christ- 
liches in  der  Erzählung  des  Heliodor  entdecken  könne. 

Wir  dürfen  aber  viel  weiter  gehen.  Weit  entfernt,  dass 
Heliodor  sich  irgendwo  von  christlichem  Glauben  durchdrungen 
oder  auch  nur  leise  angerührt  zeigte,  bewährt  er  sich  vielmehr 
als  ein  keineswegs  inditle renter  sondern  ganz  speciiiseh  from- 
mer Anhänger  des  alten  Glaubens. 

Es  nmss  zunächst  schon  auffallen ,  wie  häufig  in  dieser 
Dichtung  der  Götter  überhaupt  gedacht  wird.  »Die  Gottheit«^, 
»die  Götter«^)  oder,  mit  einer,  besonders  bei  frommen  Neu- 
pythagoreern  und  Piatonikern  üblichen  scheueren  Bezeichnung 
»die  Mächtigeren«^],  werden  vielfach  genannt.  Daneben  aber 
gelegentlich  auch  »der  Gott«^)  :  das  möchte,  nach  antiker 
S[)rechweise ,  aus  der  ganzen  Sc*haar  der  Götter  jedesmal  der 
als  wirkend  gedachte  Einzelgott  sein.  Indessen  lassen  einige 
Wendungen  ganz  deutlich  erkennen  dass  für  den  Heliodor  »der 
Gott«  ein  Einziger,  für  sich  allein  allen  übrigen  Göttern  ent- 
gegengesetzter ist,  nämlich  Apollo,  welcher,  wie  uns  aus- 
drücklich versichert  wird,  kein  Andrer  ist  als  die  Sonne,  rich- 
tiger wohl  als  der  Sonnengott  ^j ;  er  allein  steht ,  die  sämmt- 
lichen  übrigen  Götter  aufwiegend ,  diesen  allen  in  überlegener 
Besonderheit  gegenüber ?).     —     Häufiger  noch  als  die  »Götter« 


1)  S.  Korais  im  Commcntar  p.  264;  267;  4  31;  816;  824. 

2)  TÖ  detov  p.  H,  4   (ed.  Bekker)  255,  42;  290,  U;  294,  28. 

3;  ol  ^eoi  p.  56,  4  ;  64,  6;  485,  28;  232,  46.  20.  84;  284,  4;  285,  49; 
236,  7.  23.  80,  245,  4;  254,  23;  270,  2;  273,  20;  284,  34;  289,  47; 
292,  4;  294,  40;  309,  82.  ^d»v  Tic  p.  28,  23;  44,  49;  47,  45;  53,  24; 
299,  29.  —  deoi  oa)Tf)f>€c  248,  27;  269,  48.  ^£ol  ivöpioi  273,  82.  lonoi 
deot  36,  5.     v6xioi  deoi  83,  45.     dNoiXioi  deot  444,  80. 

4)  ot  xpelTTOve;:  65,  28;  93,  44;  402,  44;  443,  9;  448,  7;  438,  46; 
438,  9;  244,  8;  254,  48;  257,  9;  266,  27;  282,  44.  xi  xpciTTOv:  44,1; 
232,   47;  309,  22. 

5)  6  deöc  68,  28;   457,  49  —  ^6;:   5,  80;  28,  29;  vgl.  488,  82;  484,45. 

6)  p.  308,  24  :  *Airö>^Na,  töv  aMv  ^vTa  xol  'HXiov.  Und  nun  yer- 
gleiche  man  Stellen  wie  p.  39,  40:  uiro  Tdyv  dxTivtuv  xoO  ^eoO  xaxauYoCofiivf), 
wo  6  %t6i  schlechtweg  die  Sonne  ist.    Aehnlich  p.  24,  9  ff. 

7)  Vgl.  p.  60,  29  oirfv^cofirv  —  sagt  Kalasiris  —  dcoic  i7X<i*P^<^^  (^*  '* 
Alpircloi<:)   tc  xal  'EXXr^vtoK;    xal   a^xu»  fc  'AicöXXovi    HuBicp.     p.   64,    42: 


—     435     — 

werden  die  »Dümonen«  genannt.  Bisweilen  ist,  nach  altgrie- 
chischer Redeweise,  DHnion  nichts  anders  als  ein  unter  Men- 
schen wirkender  Gott*).  An  andern  Stellen  treten  aber  »Götter 
und  Dämonen <^,  als  verschiedene  Machte,  neben  einander ^J. 
Da  sind  dann  » Dämonen u  jene,  aus  dem  frommen  Glauben  ein- 
zelner religiöser  Secten  allmählich  in  den  Volksglauben,  mehr 
noch  in  die  religiösen  Vorstellungen  mancher  philosophischen 
Schulen  eingedrungenen  Mittelwesen  zwischen  Göttern  und 
Menschen.  Deutlich  genug  scheint  bei  Heliodor  jene  duali- 
stische Vorstellung  durch,  welche  aus  dem  Wesen  der  Götter 
das  Böse ,  Schadenfrohe ,  Ruchlose  nach  KrUften  ausgesondert 
und  diese,  in  der  Leitung  des  Menschenlebens  so  verhüngn iss- 
voll thatigen  Aeusserungen  einer  göttlich  unbeschränkten  Macht 
den  Dämonen  überlassen  hat^).  Er  redetauch  wohl  von  dem 
Dämon  welcher  den  einzelnen  Menschen  und  dessen  Geschick 
als  sein  besonderes  Theil  erloost  habe:  auch  dieser  ist  im 
Wesentlichen  ein  schadenfroher,  wenig  bedenklicher  Quälgeist^). 


*AicoXXov,  £«pt)  dlvaßoVjOac,  xal  Äeo(.  p.  74,  J7:  irpo;  'AttöXXoivo;  auTou 
xal  Töv  ixjKJtopims  aoi  (^ecbv.  p.  21,  2,  29:  ir.6[».s'j\t.i  aoi  Äewv  tov  xdtXXiorov 
'HXiov  (welcher  Ja  =  Apoll  ist)  xai  deou;  tou;  dfXXoj;.    \^\   p.  284,  t  (in,  6). 

1)  So  p.  5,  30.  31;  vgl.  p.  269,  .27 ;  275,  26.  27.  p.  91,  23  heissi 
Hermes,  mit  einer  irdischen  Frau  verkehrend,  ^aifxooN. 

2)  0eoi  xal  ^atjjiove;  neben  einander:  90,  19  (vgl.  92,  9);  158,  22;  234,  8. 

3)  Den  Göttern  wird  meist  die  Wirkung  des  Guten  zugeschrieben: 
vgl.  die  oben  p.  434  A.  3.  angezogenen  Stellen.  Es  kommt  auch  einmal  ein 
ic^tov  ßo'jXr^fia  ^alfiovo;  vor  (196,  46),  in  der  Regel  aber  ist  vom  Mpioiv 
die  Rede,  wenn  ein,  von  der  oucfievela  xpelTrovo;  (234,  42)  verhängtes  Un- 
heil auf  seinen  Urheber  zurückgeführt  werden  soll.  Vgl.  p.  4,  4;  89,  25; 
42,  2;  58,  27;  69,  8;  407,  25;  447,  81;  448,  29;  428,  27;  429,  42; 
444,  26;  452,  49;  473,  28  (ßapeia  ßouX-rioei . oa((iovoc) ;  198,  5.  42;  206,  48 
(6  $a(|xa)v  Towura  i^fiiv  TTpo^evei  tgI  EuruyVjfJLaTa ,  dv  ot;  i:X£ov  ivzi  xtX  tö 
•MTMi  irpdkreiv  t^«  SoxoüaTj;  euTTpaifia;) ;  212,  4;  269,  27.;  286,.  7  (fjL-/)  ti; 
Sa((j,a>v  fj^iiv  iTZiTzaifin) .  89,  29:  ia  rq;  S^k^TTfOi  xotl  TfjC  »dlppf^TOU  töO  5at- 
fAOvoc  ßaaxovta;:  vgl.  78,  47;  4  49,  32:  oj  Tfjc  dfJLSiXlxTou  xad'  Vjfiwv  toO  hai- 
lAOvoc  ^tXoveixCac.  Dergleichen  wird  man  nirgends  von  den  ^o(  ausgesagt 
fioden:  wie  ganz  anders  klingt  selbst  294,  46:  cu  06o(,  die  xaxol  toTc  xaXoTc 
iobnaxt  \tkVp*jsai. 

4)  6  TÖre  elXTj^ebs  Öalficnv  des  Kalasiris  verwandelt  sich  in  die  ver- 
führerische Rhodopis:  64,  22  (dagegen  %e6^  Tt;  eU  KaXdiatpiv  (patv^pievoc 
234,  34).  Chariklea  sagt  424,  26:  6  [».rfikizm  xexopeafilvo;  i\iLk  d;  dpyfii  elXr^yobc 
(aCfAarv,  piixpiv  täv  i^oonwv  öirod^fuvo«,  eha  i^rdtTjacv.  Vgl.  467^  22;  472,  48; 
84,  29:  ^col  xal  6  ti?)v  ölpX"^^  Xa^ebv  5a((iio>v. 

28r 


—     436     — 

Die  Götler  dagegen  wirken  zumeist  wohlwollend  und  weise 
fürsorgend  auf  die  Menschenwell  ein.  Wenn  bisweilen  noch 
neben  den  Götlern  und  Diimonen  die  Moiren,  welche  in  »un- 
abwendbaren Bostiiimiungen«  jedem  sein  Theil  zumessen,  er- 
wähnt werden^),  so  ist  freilich  schwer  zu  sagen,  wie  sich  die 
Competenzen  dieser  verschiedenen  Herren  abgrenzen.  Zuletzt 
fehlt  auch  die  Tyche  nicht;  als  ein  halbpersdnliches  Wesen, 
welches  aber  wohl  zu  den  Dämonen ,  als  ein  besonders  wilder 
und  willkürlicher  Dämon,  gerechnet  werden  soll 2). 

lieber  die  Tyche,  die  Dämonen,  die  Götler  selbst  ragt  sehr 
merklich  der  Eine  und  oberste  Gott,  Helios -Apollo  empor. 
Während  Zeus  nur  einmal  in  einer  Phrase  erwähnt  wird,  nicht 
anders  Ares,  kaum  je  anders  [und  das  in  einer  Liebesgeschichte  \) 
Aphrodite;  während  Dionys,  Demeter,  Hermes,  Athene,  Poseidon, 
Isis  kaum  einmal  beiläufig  genannt  werden,  während  selbst 
Eros  nur  als  eine  herkömmliche  Verzierung  erotischer  Fabeln 
erscheint :  sehen  wir  Apollo ,  im  Bunde  mit  seiner  Schwester 
Artemis  durch  die  ganze  Reihe  der  Abenteuer  in  lebhaft  be- 
stimmender, leitender  Wirksamkeit.  Apoll  ist  es,  der  durch 
den  Mund  der  Pvthia  dem  Paare  seine  Geschicke  voraus  ver- 
kündigt;  stufenweise  trelTen  seine  Voraussagungen  ein,  und 
noch  am  letzten  Ende  der  Abenteuer  mahnt  uns  die  Erfüllung 
eines  besonders  dunkeln  Zuges  der  Wahrsagung  an  die  Weis- 
heit und  bestimmende  Thätigkeit  des  Gottes^).     Er  ist  es,  der  im 


1)  OeoT;  ToU  a>.Xotc  xai  Mo(patc  93,  SS.  Motpd>v  arpeTnoi  Spot  63,  17. 
Vgl.  64,  30;  57,  13;  89,  i9 ;  186,  45;  487,  S8;  293,  SO;  284,  4.  —  cl(i.ap- 
jjL^VT)  63,  23;  400,  48;  409,  32;  428,  25;  485,  23.  t6  Trerpoifif^ov  275,  34. 
TTpoc  toO  (atpLOvUu  etfiaptat:  293,  4.  (t6  oixaiov:  272,  29;  283,  8. 
6  TfjC  A(xT);  6cp»aXfJi<Sc  238,  25.    —  'Epivu;:   44,   49;   47,  34.) 

2)  T6yT,:  46,  28;  32,  4  ;  59,  4;  428,  25;  429,  9;  449,  9;  454,  34; 
494,  20;  207,  3;  224,  47;  225,  47;  234,  44;  236,  34;  248,  30;  257,  2; 
307,  47.  An  anderen  zahlreichen  Stellen  tritt  das  Persönliche  der 
Tyche  wenif^er  deutlich  hervor.  Es  ist  öfter  von  mehreren  xuyai  die 
Rede:  äl  Tuyai  184,  9;  32,  4.  tü/t);  tivoc  ßouXTfjfjLaTi :  449,  9;  xO^^tj  Tic 
59,  4.  —  236,  30:  Oco'j;  t£  xai  Tot;  rapouaa;  T6yac  iitofivuvTEc  Merk- 
würdig 4  85,  44;  tht  xi  ^aipioviov  gXxt  T6*/7]  ti;  xdlvOpc&Treia  ßpaßeuouoa.  — 
4  68,  3  oiT\r/r^  xai  oa(pLove;.  Identisch  scheinen  T6y7)  und  ^((acdv  gefiassk 
zu  sein  V  7  p.  429,  9.  42.  Und  unverkennbar  ist  mit  dem,  p.  426,  5  ff. 
geschilderten  oaififiviov  die  Tyche  gemeint. 

3)  Die  weissen  Binden  der  Helios-  und  Selenepriester,  welche  Hydaspes 
und  Persina  ihren  Kindern  abtreten:  X  44. 


—     437     — 

Traumgesicht  dem  Ralasiris  befiehlt^  mit  Ghariklea  und  Theagenes 
nach  Aegypten  zu  entfliehen  *) ;  er  besorgt  ihm  das  phönicische 
Schiff  zur  Abfahrt  2) ;  er  lenkt  und  leitet,  ordnet  und  veranstaltet 
Alles,  was  dem  auserwählten  Paare  begegnet 3).  Schritt  ftlr 
Schritt  enthtlllt  sich  »die  göttliche  Oekonomie«  des  Ganzen *); 
staunend  begreifen  am  Schluss  alle  Betheiligten,  wie  »die 
Wunderwirkung  der  Gölter«  durch  Noth,  Gefahr  und  schein- 
bare Zufalle  Alle  zu  dem  vorher  gewollten  Ziele  gelenkt  hat*). 
So  bekommt  die  ganze  Erzählung  beinahe  eine  erbauliche 
Tendenz;  Theagenes  selbst,  dem  Schutz  der  leitenden  Götter 
vertrauensvoll  ergeben,  spricht  offenbar  die  Meinung  des  Dich- 
ters selber  aus ,  wenn  er  die  Ghariklea  einmal  ermahnt ,  die 
Götterleitung  lieber  fromm  zu  verehren  als  dartlber  zu  kltl- 
geln^).  Der  Plan  des  Gottes  wird  uns  nun  freilich  nirgends 
klar  vorgelegt,  aber  ich  denke,  man  begreift  ihn  aus  dem 
Gange  der  ganzen  Handlung.  Ghariklea,  geboren  aus  dem  von 
Helios  abslammenden  Königsgeschlecht  der  Aethiopen^)  wird 
unter  der  unmittelbaren  Obhut  des  Helios-Apollo  in  Delphi  er- 
zogen ,  um  dann  ,  durch  Leiden  und  Versuchungen  erprobt, 
nach  langen  Irrfahrten,  zurUckgeleitet  zu  werden  in  das  Land 
der  Sonne,    welches   unter  dem  Schutze   des   Helios  und   der 

1)  p.  89,  24.  —  Um  die  Ghariklea  aufzußnden,  haben  die  Götter  den 
Kalasiris  aus  Aegypten  fliehen  lassen:  p.  93,  24 — 25. 

2)  p.   H4,  6  ff. 

3)  Als  Ghariklea  auf  dem  Scheiterhaufen  steht,  ruft  sie,  die  Hände 
nach  der  Gegend  des  Himmels  ausgestreckt,  in  welcher  die  Sonne  steht, 
den  Helios  um  Schutz  an:  231,  9  ff. 

4)  ii  i%  ^e&^  oixovo{ji('x  107,  32.  Ihre  Flucht  aus  Delphi  entschuldigt 
Ghariklea  p.  309,  32  damit,  dass  sie  geschehen  sei  nach  dem  ^o6XT]fxa  tuiv 
^tm'^,  der  oioixt)ai;  dxetvtuv. 

5)  Sisimithres  weist  p.  310,  26  —  311,  9  darauf  hin,  wie  sich  in  den 
Schicksalen  des  Paares  ganz  deutlich  ein  %tXo^  ^Tj|X'XTo6pYT]{Jia  offenbare. 
Aehnlich  schon  Hydaspes  p.   290,  2  ff.,  vgl.  296,   18  ff. 

<i)  ToO  eucseßelv  zXeov  Tj  toü  cppoveTv  dvT^yeoö^ai  p.  234,  16. 

7)  Helios  ist  der  -^t^dp/r^^  des  Königsgeschlechts  in  Aethiopien:  106, 
4  8.  22;  (Helios  Selene  Dionysus :  Tratpioi  deoi  der  Aethiopen :  274,  24). 
Hydaspes  sagt  p.  284,  1  :  ''HXie  -^esdpym  Ttpofövmv  ifioäv.  —  Verehrung  des 
Helios  und  der  Selene ,  als  der  obersten ,  allein  ewigen  Götter  in  Aethio- 
pien :  Diodor  III  8,  45  Wess.  (ungenauer,  wiewohl  sonst  aus  gleicher  Quelle 
wie  Diodor  [Artemidor?]  Strabo  XVII  p.  822).  Vgl.  aber  namentlich  Bion 
Aiftioir.  fr.  5  (fr.  bist.  IV  351).  Al^ioirc;  tou;  ßaaiXioov  irax^pa;  oux  £x<pamuaw 
dXy  cu;  Svra;  uloo;  'HXiou  irapaoiWaaiv. 


—     438    — 

Selene  steht  und,  weil  es  dem  höchsten  Gotte,  Helios,  so  nahe 
liegt,  die  Ileinicith  göttlicher  Weisheil  ist.  In  dem  Sonnenlande 
Aethiopien  leben,  nach  Heliodor,  die  Gymnosophisten,  die 
weisesten  der  Menschen;  in  sein  eigenstes  Reich,  in  das  Reich 
reinster  Gotteserkcnntniss,  führt  Helios  seine  Schützlinge  zurück : 
ihr  Ziel  ist  kein  zufällig  oder  beliebig  gewähltes. 

Man  wird  nun  wohl  bemerkt  haben,  wie  die  ganze  theolo- 
gische Vorstellungsweise  des  Heliodor  nichts  anderes  ist  als  eine 
etwas  abgeblasste  Wiederholung  der  neupylhagoreischen, 
aus  altpythagoreischein  Glauben  und  platonisirender  Speculation 
zusammengewobenen  Theologie,  wie  sie  uns  in  der  pseudopytha- 
goreischen Schriftstellerei ,  deren  Reste  Stobaeus  aufbewahrt 
hat,  entgegentritt  und  in  allerlei  Variationen  auch  bei  Maximus 
von  Tyrus,  Plutarch  und  andern  Halbphilosophen  der  beiden 
ersten  Jahrhundertc  unserer  Aera  lebendig  ist.  Eine  erste  und 
höchste,  völlig  überweltliche  Gottheit;  viele  sichtbare  Götter, 
die  Gestirne,  und  darunter  als  höchster  Helios;  eine  ganze 
W^elt  von  dämonischen  Mittelwesen  welche  heilsam  oder  viel- 
fach auch  verderblich  auf  die  Menschen  einwirken :  das  sind 
die  wesentlichen  Voraussetzungen  dieses  Glaubonskreises  ^) . 
Mehr  als  diese  allgemeinsten  Voraussetzungen  theilt  Heliodor 
mit  einem  der  praktisch  wirksamsten,  vorzugsweise  religiös 
gerichteten  Mitglieder  der  neupythagoreischen  Secte,  dem  Apol- 
lo n  i  u  s  von  T  y  a  n  a .  Die  Psychologie  beider  beruht  freilich 
wohl  noch  auf  dem  allgemeinen  platonisch-pythagoreischen  Spi- 
ritualismus: die  Seele,  aus  einer  göttlichen  Heimath  in  die 
menschliche  Leiblichkeit  herniedergesunken,  trägt  die  Fesseln 
des  Leibes,  aus  denen  sie  sich  gleichwohl  nicht  willkürHch  be- 
freien darf;  durch  den  Tod  stirbt  sie  nicht  im  eigentlichen 
Sinne,  sondern  wird,  wenigstens  nach  einem  gerechten  Leben, 
zu   einem   »bessern   Loosc«    hinübergeführt *).     Die   Götterlehre 


1)  Ich  verweise  in  Kürze  auf  Zeller,  Philos.  d.  Gr.  HI  S,  76  f.,  400  f., 
103.   \%%.   457   f.,   487  f. 

2}  Diese  Vorstollungsweise  über  Natur  und  Schicksale  der  4^x^  ^^^  hei 
Heliodor,  wiewohl  natürlich  nirgends  genau  ausgeführt,  gleichwohl  deuUicb 
erkennbar  ani^cdeutet  in  Ausdrücken  wie  diesen:  ^'jy^i  dizai  dvaNOpoir-^- 
aa5a  p.  71,  4i;  Heio'rf  r^  'Vj/Tj  84,  5.  Theagenes  nennt  285,  6  Xiiciv 
oeajjLÄv  'zi^u  isWi^ht  d7ro  toO  awuaTo;  dr.M^n^s.  Kalasiris  sagt  69,  4  0  :  i^j^ 
Tov  o'jx  i^d^to  ToO  ßio'j,  Toi;  l^£o)wOYOv>aiv  tu;  d^^p,iTov  t6  TCpÄYJJta  iretd^fAsvec 
(acht  pythagoreisch:    Bückh,  Philolaus  p.  4  79  ff,).     Mehrfach  zeigt  sich  der 


—     439     — 

des  ApoUoDius  ist  wesentlich  die  gleiche  welche  aus  den  An- 
deutungen des  Heliodor  zu  entnehmen  war:  ganz  vorzüglich 
treffen  aber  Beide  in  der  Verehrung  des  Helios  als  des  ober- 
sten und  reinsten  Göttlichen  zusammen.  Dies  ist  der  Cardinal- 
punct  der  Religion  des  Apollonius^j.  Mit  der  Unterscheidung 
einer  doppelten  Geisterwelt  hängt  wohl  die  Annahme  einer 
doppelten  magischen  Weisheit  zusammen^  einer  niedrigen  Zau- 
berkunst (deren  Realitcit  ApoUonius  sowenig  wie  Heliodor  in 
Zweifel  ziehen  will)  und  einer  höheren  göttlichen  Weisheit. 
Die  letztere  schreibt  Heliodor  seinem  Kalasiris  zu;  ApoUonius 
behauptete  sie  selbst  inne  zu  haben  und  legte  ein  starkes  Ge- 
wicht auf  ihren  Unterschied  von   der  vulgären   Zauberkunst ^j. 


Glaube  an  die  gesonderte  Existenz  der  ^^'^x*^  (^  cpaapLa)  nach  ihrer  Tren- 
nung vom  Leibe:  z.  B.  5,  8;  eUooXa  der  Getödteten :  6,  18;  48,  7.  Die  ^u/-^ 
gewaltsam  Getddteter,  noch  Cnbegrabener  schweift  um  die  Erde  herum, 
Yon  den  ve(>T^pia  elSoiXa  nicht  aufgenommen  (allgemeiner  griechischer 
Volksglaube,  noch  heute  bei  den  Neugriechen  lebendig:  B.  Schmidt,  Volksl. 
d.  Neugr.  I  169).  Von  einem  eigentlichen  Tod  der  Seele  kann  keine  Rede 
sein:  t?jc  f^j^oLiUihi  elc  t9jv  «T^pav  X-^Ji^  divaXufte(ar^c  68,  JO.  Den  ge- 
storbenen Kalasiris  sollte  man  ya(povTac  xal  cjcpTjfxoDvTac  ixr£p.7cetv  (An- 
spielung auf  bekannte  schöne  Verse  des  Euripides) ,  o>;  Tfjc  ßeXT(ovo^ 
^txei\yiy6T'x  Xif^^ecuc  xal  irpö;  x&v  xpciTT(5vo)v  xexXTjpoDpievov :  198,  81  ;  -^p«»; 
heisst  der  Verstorbene  Kalasiris  196,  16  nach  gewöhnlichem  Sprachgebrauch; 
spttter  einmal  6  OetÖTaxoc  KaXöiotpt;.  Wenn  Kalasiris  60,  82  die  Chariklea 
und  den  Thcagenes  eU  deouc  dlva^pcKcpet,  so  thut  er  das  wohl,  weil  er  sie 
für  verstorben  halt.  Denn  auch  nach  ApoUonius  Tyan.  epist.  VII 
p.  860,  81  (Philostr.  ed.  Kayser  1871  vol.  I)  wird  ein  Todter  ^eö;  ü  dv- 
^p<67CO'j.  ApoUonius  leugnet  überhaupt  entschieden  das  TsOvdvat  im  eigent- 
lichen Sinne:  s.  ausser  epist.  VII,  Philostr.  V.  Ap.  p.  298,  4;  804,  4.  Im 
Uebrigen  über  die  wichtigsten  Puncte  seiner  Seelcnlehre  die  Zeugnisse  des 
Philostratus  bei  Zeller  a.  a.  0.  p.  138. 

1)  U^ber  den  Sonnencultus  des  Apoll,  vgl.  die  Stellen  des  Philostratus 
bei  Zeller  p.  187  A.  6.  Er  selbst  galt  ja  für  eine  Epiphanie  des  Helios- 
Apollo. 

2)  lieber  die  zwiefache  oo(p(a  der  Aegyptcr,  die  57)fA(&ST];,  welche  etSoaXa 
der  Todten  beschwöre  und  üeblem  diene  (u.  A.  auch  cpavxaaCac  täv  jii?) 
6vztas  (uc  ^vToov  bewirke  p.  93,  9:  wobei  man  wohl  an  Vorgaukelung  von 
Gttrten  u.  dgl.  zu  denken  hat,  wie  sie  aus  der  Faustsage  und  sonst  bekannt 
sind  [vgl.  Liebrecht  zu  Dunlop  p.  588  und  zu  Gerv.  Tilbur.  p.  64  f.]),  und 
die  dXrjOob«  oo?pla  der  Priester  und  Propheten,  welche  <p6ae(»;  xpcircövcnv 
|A£Toyo<;  sei,  den  Geist  erhebe,  Kenntniss  des  Göttlichen  und  Vorauswissen 
des  Zukünftigen  gewähre:  hierüber  handelt  Heliodor  III  16;  vgl.  VI  14 
p.  176,  29  ff.     Denselben  Unterschied  hielt  ApoUonius  fest:   er  will  nur  in 


—     440    — 

Die  höheren  Götter,  und  gar  den  Helios,  erweicht  man  auch 
nicht  durch  Thicropfer:  wie  Apollonius  auf  Abschaffung  der 
blutigen  Opfer  fortwahrend  dringt ,  so  verehren  die  gottbegei- 
sterten Gymnosophisten  des  Ileliodor  die  Gottheit  nur  durch 
Gebete  und  Raucherungen.  Vom  Fleisch  der  Thiere  zu  essen 
ist,  wie  dem  Apollonius,  so  dem  Propheten  Kalasiris  ein  Gräuel; 
ebenso  wenig  trinkt  er  Wein.  Das  Ideal  emer  gottj^efäUigen 
Lebensweise  hat  sich  dem  Ileliodor  in  die  Figuren  des  ägypti- 
schen Priesters  und  der  äthiopischen  Gymnosophisten  gewisser- 
maassen  gespalten.  Diese  letzteren  sind  nun  vor  allem  Andern 
als  eine  Erbschaft  des  Apollonius  zu  betrachten.    Ihn  Hess  die  Sage 


dem  zweiten  Sinne  ein  [kd-^o^  heisscn :  episl.  46,  17;  völlig  in  seinem  Siooe 
Philoslr.  V.  Apoll.  V  4i;  VII  39;  VIII  7  p.  306,  i  ff.  (mit  Hei.  p.  9S,  9 
vgl.  Pbil.  p.  306,  5;.  Ich  bediene  mich  hier  überhaupt  ohne  Umstände 
des  Philostratus  als  eines  Zeugen  für  die  Meinung,  wenn  nicht  überall  des 
Apollonius  selbst,  so  sicherlich  des  Damis.  Ich  bin  durchaus  überzeugt,  dass 
Philostratus,  lediglich  ein  rhetorischer  Redacteur  des  bei  Damis  gebotenen 
Sagenstoffes,  und  selber  gar  nicht  einmal  gläubig,  in  dem  Materielleo 
seiner  Erzählung  nichts  aus  freier  Willkür  zugesetzt,  auch  in  dem  Re- 
ligiösen das  Phantastisch-excentrische  eher  abgeschwächt,  als  gesteigert, 
lediglich  im  Rhetorischen  und  Formellen  sich  frei  gehen  gelassen  hat]. 
Ein  merkwürdiges  Zeugniss  über  die  von  Ap.  geübte  [xa^cb,  nicht  yo'»J«^ 
in  exe.  cod.  Barocc.  494  bei  Gramer,  Anecd.  Oxon.  IV  240.  —  Kalasiris, 
der  höheren  aocpta  theilhaftig,  übt  die  poetische  Kunst  nur  zum  Scherz  und 
Schein:  IV  7  (p.  «05,  24  ff.  merkwürdig  ^»jvölfici;,  dvrfOeoc  ti;,  die  uTnjpte 
des  Zauberers);  vgl.  p.  134,  18  ff.  Bei  der  Todtenbeschwöruog  der  bcs- 
säischen  Alten  darf  er  eigentlich  nicht  einmal  zugegen  sein:  p.  176,  29. 

1)  Die  Gymnosophisten  des  Ileliodor  möchten  t6  delov  nicht  durch 
Thieropfer,  sondern  nur  oi'  ci^^wv  xai  dpoifjiaTODV  verehrt  sehen :  p.  282,  8  ff. 
So  soll  nach  Apollonius  ::.  (fustö)^  bei  Euseb.  praep.  cvang.  IV  13  die 
höchste  Gottheit  nur  durch  Andacht  des  voO;  verehrt  werden;  er  verbietet 
Thieropfer  und  Fleischesscn  epist.  43  und  enthielt  sich  selbst  dieser  Dinge. 
Vgl.   Philostr.  V  25  p.   184;  p.  315,  22  ff.;   320,   15  ff. 

2)  Kalasiris  enthält  sich  der  Fleischnahrung  und  des  Weines:  62,  1; 
89,  6  ff.,  ebenso  wie  Pythagoras  und  Apollonius.  Dagegen  geht  Apollonius 
in  seiner  völligen  VIrginität  weiter  als  Kalasiris,  welcher  verheirathet  ist: 
denn  nur  rrjv  rdvor^jj-ov  'A^pooirrjv  t6  rpotpTjTixov  dTifxdCei  ^ivo;:  p.  26,  11. 
(Diese  rpocpf^xai  der  Aegypler  werden  zu  dem  xaT  dX-rjOeiav  ?pi>.ooo^5v  unter 
der  Schaar  ägyptischer  Priester  gerechnet,  z.  B.  auch  bei  Porphyr,  de  abst. 
IV  8  p.  167,  25  ff.  N.  Heliodor  hält  offenbar  den  Isispropheten  in  Mem- 
phis [dessen  Amt  sich  auf  seinen  Sohn  vererbt,  wie  nach  Herodot  II  37 
extr.  alle  ägyptischen  Priesterämter]  für  den  höchsten  Priester:  in  der 
Inschrift  von  Rosette  Z.  6  folgen  die  TTpo^f^xai  erst  nach  den  dp^icpel;). 


—     441     — 

die  höcfasten  Vorbilder  der  Weisheit  und  Frömmigkeit  freilich  bei 
den  i  D  d  i  s  c  h  e  n  Anachoreten  aufsuchen  und  Gnden:  sie  führte 
ihn  aber  auch  zu  den  Gymnosophisten  in  Aethiopien,  deren 
Weisheit,  wenn  auch  der  indischen  (von  welcher  sie  hergeleitet 
sein  sollte)  nicht  ebenbürtig,  doch  der  ägyptischen  überlegen 
war  ^) .  Bei  den  Aelhiopen  überhaupt  eine  absonderliche  Weis- 
heit zu  suchen  konnten  die  Griechen  wohl  nur  durch  die, 
ihnen  so  geläufige  Uebertragung  indischer  Sagen  auf  Aethio- 
pien  veranlasst  werden.  Während  nun  im  Uebrigen  kaum 
einige  kurze  unbestimmte  Notizen  uns  von  der  vorausgesetzten 
»Philosophie«  der  Aethiopen  reden 2),  so  scheint  Apollonius  der 
Einzige  gewesen  zu  sein ,  welcher  die ,  aus  den  Berichten  des 
Onesikritus  so  bekannten,  in  die  Alexandersagen  frühzeitig  ver- 
flochtenen und  somit  fast  populär  gewordenen  indischen  Gymno- 
sophisten geradezu  nach  Aethiopien  hinüber  pflanzte  und  von  diesen 
fingirten  äthiopischen  Weisen  wie  aus  eigner  Kunde  zureden  wagte. 
Ich  glaube  nicht  zu  irren  wenn  ich  annehme  dass  nach  seinem  Vor- 
bilde Heliodor  jenen  Chor  bedürfnissloser  Weiser  in  sein  Sonnen- 
land verpflanzte,  welche  als  Propheten  des  Zukünftigen,  als  stolze, 
nach  Brahmanenart  unabhängige  Berather  des  Königs,  in  rei- 
ner Gottesverehrung,  ein  der  unbedingten  Wahrheit,  dem  Edlen 
und  Guten  allein  geweihetes  Leben  führen  ^) .  Es  darf  uns  dabei 


1)  —  To6c  Fufxvouc  oo<p(a  'Ivo&v  XeCirea^ai  tüXIov  tj  7rpo5yeiv  Al^uirrtcov, 
Philosir.  V.  Ap.  p.  2^0,  48.  —  Diese  FufAvoi  werden  im  sechsten  Buche  des 
Philostratus  bald  Aegypler,  bald  Aethiopen  genannt.  Die  erste  dieser  Be- 
zeichnungen ist  nur  ein  nachlässiger  Ausdruck  des  Philostratus,  genau 
geredet  sind  seine  Gymnosophisten  unzweifelhaft  Aethiopen:  wie  denn 
VI  16  p.  i28,  17  ff.  der  Aegypter  Nilus  ausdrücklich  berichtet,  wie  er 
aus  Wissensdurst  zu  den  Aethiopen,  den  aTroixot  'M&v  als  der  weisesten 
Menschen  gezogen  sei. 

2j  So  erzählt  bei  Lucian,  Fugit.  8  die  Philosophia,  wie  sie  von  den 
Brahmanen  et;  AlftioTrlav,  clta  cl;  ATy^tttov  gezogen  sei.  So  kommt 
Dcmokrit  auf  seinen  wissenschaftlichen  Reisen  u.  A.  zu  den  Gymnosophisten 
in  Indien  %ol\  et;  AlftiorCav:  >'Tivl;n  bei  Laert.  Diog.  IX  35.  (Von  Aethiopiae 
Magi,  zu  welchen  Pythagoras  und  Demokrit  gekommen  seien,  redet  Plinius 
n.  h.  25  §  13.)  —  Gewiss  beruht  dieser  Glaube  an  aethiopische  Weisheit 
nur  auf  Verwechselung  oder  Idcntificirung  Aethiopiens  mit  Indien,  über  deren 
Häufigkeit  man  vgl.  Schwanbeck  Megasth.  Ind.  p.  2,  auch  Letronne,  Ma- 
t^riaux  pour  l'hist.  du  christianisme  cn  Egypte  etc.  [Paris  1882)  p.  31—33. 

3)  Die  Gymnosophisten  a6veopoi  xal  oup-ßouXoi  twv  Trpaxxiüav  xtp  ßaaiXet 
fevöfAevoi  p.    274,   10.     Ihre  Prophetengabe  p.  274,  15;  276,  3,     Sie  dürfen 


—     4«     — 

nicht  stören,  dass  wir  hier  Züge  der  Inder  und  der  äthi<q>i- 
sehen  Gymnosophisten  des  Apollonius  verschmolzen  finden: 
Heliodor  konnte  dies  um  so  leichter  sich  gestatten,  weil  bei  ihm, 
nach  gut  griechischer  Vorstellung,  Inder  und  Aethiopen  nicht 
wesentlich  verschieden  sind,  sondern  als  die  y> östlichen  und 
westlichen  Aethiopen«  von  dem  Einen  meroYtischen  König  be- 
herrscht werden^).  Wie  nun  also  Apollonius,  der  Sonnen- 
verehrer, nach  der  »Heimath  des  Helios  und  der  Inder«  zieht,  um 
von  der  höheren  Weisheit  derer,' jwelche  dem  Helios,  der  Quelle 
des  Lebens  und  der  Weisheit  näher  wohnen,  zu  lernen:  so 
lässt  Heliodor  sein  auserwHhlfes  Paar,  unter  der  Leitung  des 
Helios-Apollo  selbst ,  endlich  in  das  sonnenreiche  Land  der 
weisen  Aethiopen,  als  in  das  würdigste  Ziel  einer  beschwer- 
lichen Lebensreise,  gelangen  2),  Und  damit  wir  dieses  erbau- 
lichen Zuges  seiner  ErzHhIung  ja  nicht  vergessen,  schliesst  er 
bedeutungsvoll  sein  Werk  mit  den  Worten :  dieses  Buch  »schrieb 
ein  phönizischer  Mann  aus  Emesa ,  aus  dem  Geschlecht  der 
vom  Helios  Herstammenden,  des  Theodosius  Sohn,  Hello- 
dorusft^). 

Wir  sind  weit  genug  von  dem  christlichen  Bischof  in  Thes- 
salien abgetrieben   worden.     Von   Christlichkeit   des   Verfassers 

nicht  lügen:  p.  i86,  16;  leben  nur  dem  xaXöv  xd-^oM^:  p.  287,  «8.  —  Die 
Grundsätze  der  Gymnosophisten  des  Apollonius  kurz  zusammengefasst 
Philostr.  p.  «U,  4«— n. 

1)  p.  25  <,  8:  TWaTTTjc  6  twv  irpo;  dvoToXaT?  xal  (v>opt,atc  Al^i^icmv  p«m- 
Xi6;  (das  sind  die  alten  A(&(or£c  rot  hiyM  (e(d(aTat  xtX.  des  Homer  a  St  ff.). 
Daher  denn  auch  X  35  extr.  die  Serer  ihm  Tribut  geben,  wie  sie  scboB 
vorher  (IX  4  6.  47)  in  seinem  Heere  mitgekämpft  haben  —  p.  J97,  17 
bringen  die  aethiopischen  Troglodyten  yo'jaov  töv  fjiupfjiY)x(aN :  eine  üeber- 
tragung  der  famosen  goldgrabenden  Ameisen  aus  Indien  nach  Aethiopien. 
Ebenso  übrigens  bei  Philostr.  V.  Apoll,  p.  204,  27.  Vgl.  Schwaobeck 
a.  a.  0.  p.  71. 

2)  Apollonius  geht  zu  den  Indern  ivdu[AT)^eU  nepl  aurdv  «bcXcirrönpot 
(1^  tV)v  S6vcotv  ol  Toto(%e  dfv&pcoTroi,  xa^apoor^patc  6(i,tXoOvTec  dixTtotv,  iktf 
^orepot  hk  xci;  Trepl  ^üastoc  re  xal  ^tms  h6ifi^  arc  df/idtoi  xoX  tipoc  df/yiili 
T^«  C«poYÖvo'j  xal  Oeppt'^J;  oooto;  oixoOvrec:  Philostr.  p.  249,  47  ff.  —  tÄ 
'HXto'j  Te  xal  'Iv^äv  irdTpia  ib.  p.  228,  29. 

3)  —  O'jv^alev  dvi^p  <I>oTvi5  'Epittnjv^c,  x&v  d^  *HX(ou  fivo;,  BcoSoohiiMT; 
HXifS^poc.  Die  Worte  twv  d^p'  'HX(ou  y^o»  lassen  allerdings  in  Zweifel 
(wie  Korais  Heliodor.  I  p.  xß'  bemerkt)  ,  ob  Hei.  sich  als  einen  Abkömni' 
ling  des  Helios  oder  nur  als  dem  Geschlecht  der  Heliospriester  in  Emesa 
angehörig  bezeichnen  will.     Vielleicht  aber  Beides  zugleich? 


—     443     — 

dieser  Erzählung  wird  nun  hoflentlich  kein  Einsichtiger  mehr 
reden,  auch  durch  die  sanfle,  leise  asketisch  gefärbte  Moral 
dieses  Buches  nicht  mehr  zu  einer  Verwechslung  der  Stimmung 
des  späten,  angestrengt  frommen,  ein  wenig  verwaschenen  und 
charakterlosen  Heidenthums  mit  christlicher  Moral  verleitet 
werden,  mit  welcher  allerdings  diese  blässliche  spätheidnische 
Moral  bei  oberflächlichem  Hinsehen  einige  Aehnlichkeit  zu  haben 
scheinen  könnte.  Nicht  einmal  dass  in  späterer  Zeit  dieser 
so  nachdrücklich  seinen  heidnischen  Glauben  proclamirende 
Heliodor  zum  Christenthum  übergetreten  sein  möge,  braucht 
man  als  irgend  wahrscheinlich  zuzugeben.  Die  Identität  des 
Erotikers  mit  dem  Bischof  von  Trikka  wird  bei  Sokrates  nur 
mit  einem  »man  sagt«  eingeführt;  noch  Photius  stellt  sie  als 
ein  unsicheres  Gerücht  hin  ^)  :  und  wie  leicht  konnte  dieses 
Gerücht,  welches  zwei  Träger  des  sehr  gewöhnlichen  Namens 
Heliodor 2)  kurzweg  verschmolz,  sich  bilden  unter  christ- 
lichen Lesern,  welche  vor  allen  Romanen  gerade  diesen,  den 
Sitten  am  Wenigsten  gefährlichen,  am  Höchsten  geschätzt,  ge- 
lesen, gepriesen  3)  j  in  byzantinischer  und  sogar  noch  in  modernef 


1)  X^fcrai  Socr.  a.  a.  0.     Photius,  Bibl.  cod.  78  p.  51b,  40:  toütov  hk 

2)  Eine  beträchtliche  Anzahl  von  Schriftstellern  des  Namens  He- 
liodor verzeichnet  Kabricius  B.  Gr.  VIII  426.  427  Harl.  Noch  einige  andere 
nennt  Meineke  Anal.  Alex.  p.  884.  —  Nur  mit  Einem  Worte  sei  gesagt, 
dass  das,  in  269  holprigen  Jamben  sich  hinschleppende  Gedicht  eines 
Heliodor  Tcepl  Tfj5  tö»v  ?pi>.oa«59«v.  p-'joxixfj;  T^yvT]?,  an  Theodosius  den  Gr. 
gerichtet  (odirt  von  Fabricius  1.  1.  4  49  ff.  Man  findet  es  oft  in  Hss. :  ein 
Expl.  z.  B.  auf  der  Landesbibliothek  in  Cassel) ,  durchaus  gar  nichts  mit 
dem  Vf.  der  Aethiopica  zu  thun  hat,  dem  man  es  früher  allgemein  zu* 
schrieb  (s.  Fabr.  p.  4  48).  Dieser  Poet  ist  ein  gläubiger  Christ  und  lebte 
etwa  zu  der  Zeit,  in  welche  man  gewöhnlich  den  Erotiker  setzt:  aber  mit 
ihm  verglichen  ist  ja  freilich  unser  Heliodor  aus  Emesa  ein  wahrer  Glas- 
siker  an  Vernunft  und  Kunst  des  Ausdrucks. 

3)  Preis  des  Heliodor:  Photius  cd.  78.  Ein  Vergleich  des  Heliodor 
und  des  Achilles  Tatius  von  Mich.  Psellus:  Miscell.  crit.  Batav.  VII  8 
(4  786)  p.  366  ff.,  auch  bei  Korais,  Heliodor.  I  p.  oy]'  ff.  Widerlegung  von 
Tadlern  des  Heliodor  durch  Philippus  philosophus,  bei  Korais  ib.  p.  Tf{: 
die  Fortsetzung  jenes  Fragments  des  Philippus  theilt,  aus  cd.  Marcian.  440 
saec.  42,  Hercher  mit,  Hermes  III  382—388.  Endlich  eine  TtpoHtD^ii  tou 
^(jkO^öXaxo;  über  Heliodor  im  cod.  Laurentian.  LXXXVI  8  der  Medicea 
fol.  804  b.  (saec.  45/4  6)  ;  copirt  in  Bandinis  Katalog. 


—     444     — 

Zeit  nachgeahmt  ^!  haben ,  und  freilich  ein  Interesse  hatten, 
dieses  hochbewunderle  Werk  sich  selbst  und  ihrem  Glauben 
anzueignen.  Strenger  Urlheilende  mögen  denn  doch  gezweifelt 
haben  an  der  correclen  Gesinnung  dieses  angeblichen  Bischofis: 
und  so  bildete  sich  die  von  Nicephorus  überlieferte  Sage'). 
Wir  unsrerseits  wollen  den  christlichen  Bischof  Ileliodorus  von 
der  Schuld  an  einem  so  heidnisch  gemeinten  Liebesroman  völlig 
entbinden.  Wie  wenn  etwa  unser  Kroliker  mit  diesem  christ- 
lichen Heliodor  in  Wahrheit  nicht  einmal  den  Namen  gemein- 
sam gehabt  h^tte  sondern ,  gleich  Xenophon  und  Chariton  sei- 
nen wahren  Namen  versteckend,  den  bedeutungsvollen  Namen 
des  Heliodoros  nur  zu  Ehren  des  grossen  Helios  und  seines, 
in  Emesa  blühenden  Dienstes  angenommen  hatte  Z^)   — 

So  geflissentlich  nun  auch  der  Erzähler  seine  Frömmigkeit 
hervortreten  Idsst,  so  vermag  er  uns  freilich  dennoch  darüber 
nicht  zu  tauschen  dass  alle  fromme  Ehrfurcht,  der  ganze  er- 
bauliche Klang  und  Gang  seiner  Erzählung  zunächst  ihm  nur 
als  ein  absichtvoll  erwähltes  Reizmittel  seiner  rhetorischen 
Künste  dienen  müssen,  deren  Entfaltung,  als  dem  wichtigsten 
Zwecke,  die  ganze  Erzählung  eigentlich  zu   dienen  hat.     Wenn 


1)  Ueber  Nachahmung  des  Heliodor  in  des  Cervantes  »Persfles  y  Sigt»- 
munda«;  in  Tassos  Gerus.  liberata  (c.  XU  st.  tl  IT.:  Resse  giä  TEUopia, 
e  forse  regge  Senapo  ancor  con  fortunato  impero  u.  s.  w.),  und  bei  anderen 
Italienern  (nicht  auch,  wie  man  mit  Huei  annimmt,  in  Guarinis  Pastor  fido: 
s.  vielmehr  oben  p.  43  A.  8)  und  Franzosen  vgl.  Dunlop-Liebrecht,  Gesch.  d. 
Prosad.  p.  44.  p.  458.  p.  511.  Für  die  europäische  Litteratur  wirklich,  und 
nicht  zum  Heil,  bedeutend  wurde  sein  Roman  als  Vorbild  der  heroischen 
Romane  der  Scudery  u.  s.  w.  (vgl.  Dunlop  p.  370) ,  daher  denn  auch  för 
die  »Afrikanische  Sofonisbe«  des  Philipp  von  Zesen:  vgl.  Cholevius,  die 
bedeutendsten  deutschen  Romane  des  17.  Jahrh.  p.  31. 

2)  Honoris  causa  sei  hier  eines  Wortes  des  Montaigne  gedacht,  Es-sais 
livre  H  eh.  VIH :  »Heliodorus,  ce  bon  evesque  de  Tricca ,  ayma  mieai 
perdre  la  dignit<^,  le  profit ,  la  devotion  d'une  prelalure  si  vencrable,  que 
de  perdre  sa  fille :  fille  qui  dure  encore  bien  gentille :  mais  ä  Tadventnre 
pourtant  un  peu  trop  curieusement  et  mollement  goderonn^e  pour  fille 
Ecclesiastique  et  Sacerdotale,  et  de  trop  amoureuse  fagon«. 

3)  An  sich  freilich  löge  nichts  Unglaubliches  darin,  einen  Sophisten  von 
der  Art  unseres  Heliodor  unter  den  Priestern  zu  finden.  Aetian  war, 
nach  Suidas,  ap-^iepeO;.  Andere  Beispiele  von  schriftstellerisch  (und  zwar 
in  profanen  Gebieten)  thätigen  Priestern  hat  Lobeck  Aglaoph.  195  gesam- 
melt.    Priester  des  Helios  war  Dionysius  Rhodius  taxoptxö;:  Suid.  s.  v. 


—     445     — 

auch  des  Heliodor  Frömmigkeit  etwas  liefer  in  seiner  wirklichen 
Empfindung  begründet  sein  mag  als  etwa  die  des  Philostratus 
welcher  den  erbaulichen  Lebenslauf  des  Apollonius  von  Tyana 
lediglich  in  rhetorischer  Absicht  ftlr  elegante  Leser  zubereiten 
zuweilen  selbst  eingesteht:  ein  Sophist  sogut  wie  Philostra- 
tus ist  auch  er,  und  ein  Sophist  nicht  am  Wenigsten  in  der 
Unbedenklichkeit,  mit  welcher  er  hier  einmal  seiner  Redekunst 
ein  halb  religiöses  Ziel  vorstellt.  Man  kennt  diese  rhetorische 
Frömmigkeit  aus  manchen  Stücken  des  Aelian  und  aus  den 
»heiligen  Reden«  des  Aristides. 

Als  einen  Autor  der  sophistischen  Zunft  haben  wir 
ihn  vornehmlich  zu  betrachten  und  zu  beurtheilen.  Und 
hier  ist  ihm  nun  das  Eine  Lob  nicht  streitig  zu  machen, 
dass  er  unter  den  sophistischen  Romanschreibern  den  Anfor- 
derungen einer  kunstgerechten  Anordnung  seiner  Erzäh- 
lung ,  der  dispositio ,  xa^i;  nach  rhetorischem  Kunstaus- 
drucke ,  zu  genügen  fast  als  der  einzige  und  nicht  ohne 
Glück  bestrebt  gewesen  ist.  Man  wird  aus  dem  vorangeschick- 
ten Abriss.  seiner  Erzählung  die  künstliche  Verschlingung  der 
Darstellung  leicht  bemerken.  Wir  werden  am  Anfang  gleich 
in  die  Mitte  der  Abenteuer  gerissen  und  erfahren,  bei  bereits 
erregtem  Interesse ,  aus  den  Erzählungen  des  Knemon  und  des 
Kalasiris  erst  allmählich,  wie  sich  die  Geschicke  des  Helden  so 
seltsam  verwickelt  und  verschlungen  haben.  Freilich  wird  uns 
diese  künstliche  Anlage  etwas  aufdringlich  und  rhetorisch  ab- 
sichtsvoll erscheinen :  man  erinnert  sich  der  Vorschriften  der 
rhetorischen  Lehrer,  welche  die  »Umkehrung  der  Anordnung«, 
die  Verschiebung  der  Glieder  der  Erzählung  aus  der  zeitlichen 
Reihenfolge  zu  einer  künstlichen  Gruppirung  empfehlen,  und 
an  der  vielbewunderlen  Oekonomie  der  Odyssee  erläutern^). 
Man  merkt  bei  Heliodor  ein  wenig  zu  sehr  die  Arbeit  nach 
diesem  Recept.  Immerhin  erreicht  er  durch  diese  sorgfältig 
überlegte  Anordnung  eine  gewisse  Spannung  des  Lesers. 
Seine  Personen  wirken  am  Anfang  mit  einem  gewissen  geheim- 
nissvollen Reiz,  der  uns  unmerklich    in   die  weitere   Erzählung 


1)  Man  sehe  namentlich  Theo  progymn.  4:  rept  hiT(^iniaxoi ,  Spengel, 
Rhet.  Gr.  II  p.  86.  Dort  wird  dem  Rhetor  die  avacrpocpi^  r^;  ra^ecu; 
empfohlen,  wie  sie  in  der  Odyssee,  aber  auch  in  dem  Werke  des  Thucydidcs 
angewandt  sei. 


—     446     — 

hineinzieht :   diese,  wie  die  Artemis  gekleidete   und    bewaflFnete 
herrliche  hellenische  Jungfrau,    mit  einem  stattlichen   Jttngling 
allein  unter  barbarische  Fratzen  verschlagen ,  kühn  und  beson- 
nen in   aller  Noth;    dazu   der   feierlich   ernste    Hauptmann .  der 
Rauber;     deren    abenteuerliche    Schlupfwinkel    in    Sumpf   und 
Röhricht;  Kampf,  Brand  und  Mord:    dies  Alles  wirkt,    am  An- 
fang, gar  nicht  übel  zur  Erregung   der  Erwartung :    wir  sehen 
diese  seltsamen  und  wilden  Vorgänge,    aber  wir  begreifen   sie 
nicht  völlig.     Die  NothlUge  der  Chariklea    in  Betreff  ihrer  Her- 
kunft hült  unsre  Neugier   nur   hin;   ein  plötzlicher  Seufzer  »oh 
Pytho    und   Delphi«^)    Idsst   uns   eigne   Zusammenhänge    ahnen. 
Die  Erzählung  des  Kalasiris  klärt  Alles  auf;    dass   gerade   ihm 
die  Darlegung  der  vorhergegangenen  Abenteuer  tibergeben   ist, 
hat  einen   ganz   guten  Grund :    er  allein ,    als   der   priesterliche 
Weise  und  der  auserwählte  Helfer  des   leitenden  Gottes  konnte 
uns  die  verborgenen  Fäden  dieser  höheren  Leitung  sehen  oder 
ahnen  lassen,    die  wir   doch   nicht  übersehen    sollen.     Ist  nun 
also   bis    zum  Ende    der    Erzählung    des    Kalasiris    die    epische 
Kunst  des  »Retardirens«  gar  nicht  ungeschickt  von  dem  Dichter 
geübt  worden,  so  geht  freilich   von   da   an,   wo  die   Erzählung 
ihren   geradlinigen   und   durch  die  Mittheilungen   des   Kalasiris 
sowie  die  Vorhersagungen  des  Apoll  fest  vorgezeichneten  Gang 
verfolgt,  das  Retardiren   ins  Schleppen  über.     Nachdem  wir 
uns  durch  die  breite  Erzählung  von   den  Ereignissen   in   Mem- 
phis hindurchgewunden,    auch   die  allzu  ausgedehnte   Episode 
der  Belagerung  von  Syene   und   der  folgenden  Schlacht   glück- 
lich hinter  uns  gelassen  haben,  und  nun  endlich   die  Chariklea 
ihrem  rechten  Vater  gegenüber  gestellt  sehen ,  müssen  wir  die 
Wiedererkennung  der  Verlorenen   mit  den    seltsamsten   Grün- 
den, durch  welche  Chariklea  selbst  den   ungeduldigen  Theage- 
nes  abweist^)  ,  verschoben  und   endlich   gar  noch   die   Rettung 
des  Theagenes,  die  Entdeckung  seines  nahen  Verhältnisses  zur 
Chariklea    durch    einen,    alle  Andeutungen    der  Tochter   miss- 
verstehenden ,  fast   übermenschlichen  Stumpfsinn   des   wackem 
Königs  Hydaspes  immer  wieder  und  wieder  verzögert   sehen  ^. 
Bei  diesem   feierlich   wankenden   Processionsschritt  der  Erzäh- 


1)  p.  48,  S4. 

2)  IX  n, 

3)  X  SO  u.  s.  "w.     Ein  letzter  Aufschub  noch  wieder  p.  806,  it. 


—     447     — 

lung  vergeht  uns  zuletzt  die  Geduld  vollständig;  und  was  hilft 
es  uns,  dass  der  Dichter  durch  den  Mund  der  Chariklea  uns 
versichern  lässt:  Abenteuer,  welche  der  Gott  so  vielverschlun- 
gen angelegt  habe,  müsse  er  auch  in  weiten  Umschweifen  zu 
Ende  ftlhren  ^)  ?  Nicht  wenig  trägt  freilich  zu  dieser  Weitschwei- 
figkeit die  umstündliche  Breite  bei ,  mit  welcher  der  Dicliter 
diese  allzu  weit  gedehnten  Abenteuer  überall  erzählt  und  er- 
zählen lässt:  hier  haben  wir  den  rechten  Sophisten,  dessen 
Mund  wie  die  Enneakrunos  strömt  und  sprudelt.  Und  gar  die 
Wortfülle  seiner  Reden!  Selbst  der  Todte  welchen  die  greise 
Mutter  nach  wiederholtem  Anlauf  endlich  zum  Leben  und  Reden 
wieder  erweckt  hat:  —  wie  ergiesst  er  sich  nun  aber  auch 
in  wortreichen  wohlgerundeten  Sätzen  !  2) . 

Eine  sonderliche  Kunst  psychologischer  Entwickelung 
wird  man  nunmehr  wohl  schon  gewohnt  sein^  bei  den  Autoren 
sophistischer  Romand  nicht  zu  suchen.  Dienen  diesen  Rhetoren 
überhaupt  ihre  seelenlosen  Gestalten  Vorzugsweise  nur  als  Glieder- 
puppen, an  denen  die  herkömmlichen  Stellungen  und  Drappi- 
rungen  experimentartig  vorzunehmen  sind,  so  tritt  bei  ileliodor 
noch  die  Göttervorsehung  hinzu ,  welche ,  von  oben  herab  die 
Helden  der  Erzählung  leitend,  deren  Bewegung  aus  eigenen 
tiefer  liegenden  Seelenmotiven  geradezu  ersetzt.  Prophetische 
Vorausblicke,  Orakelsprüche  des  Gottes,  bedeutungsvolle  Träume  ^) 
sind  die  Mittel,  mit  welchen  Heliodor  seine  Handlung  weiter- 
schiebt. Er  rouss  wohl  auf  Leser  rechnen,  welchen  solche  Hebel 
noch  glaublich  und  wirksam  erscheinen  konnten.  Ist  doch  der 
eigentliche  Keim  aller  Abenteuer,  die  Geburt  eines  hellfarbigen 
Mädchens  von  dunklen  Eltern  nur  durch  ein  Wunder  motivirt, 
welchem  freilich  wohl,  als  einem  nicht  beispiellosen  Spiele  der 
Natur,  in  damaliger  Zeit  die  Meisten  den  Glauben  nicht  unbe- 
dingt  versagt   haben   würden*).  —  In   der  Charakterzeichnung 


1)  p.  S69,  S6-r-S8. 

2)  VI  45. 

3)  Träume:  p.  U,  5;  %h,  18;  85,  93;  52,  iO  (dieser  wird  p.  53  ge- 
deutet nach  Anleitung  des  Artemidor  Onirocr.  I  28,  wie  Korais  II  p.  72  U 
hervorhebt);  89,  4;   412,  24;  445,  7;   444,  6;  234,   48;  274,  8;  274,  27. 

4)  Persina  gebiert  dem  Hydaspes  ein  weissfarbiges  Mädchen,  weil  sie 
bei  der  Empfängniss  die  weisse  Gestalt  der  vom  Perseus  befreieten  Andro- 
meda,  welche  auf  einer  Malerei  ihres  Gemachs  dargestellt  war,  vor  Augen 


—     448     — 

überwiegt  eine  gewisse  leere  und  leblose  Idealität,  weiche  durch 
VernieiduDg  bestimmt  individualisirender  Züge  sehr  einfach  er- 
reicht wird.  Dadurch  bekommen  die  Gestalten  des  Theagenes 
und  der  Chariklea  einen  Ausdruck  kalter  Musterhaftigkeit,  der 
ihnen  unsere  Sympathie  sehr  entfremdet.  Die  Jungfrau  tibrigens 
ist  dem  Jüngling  wie  an  Schönheit  ^j ,  so  an  Muth,  kalter  lieber- 
legung  und  Besonnenheit  so  merklich  überlegen,  dass  nicht  un- 
eben von  den  Byzantinern  der  ganze  Roman  nach  ihr  als  der 
Hauptgestalt  » Chariklea a  benannt  wurde.  Ein  unverständliches 
Compositum  bleibt  der  Charakter  des  Thyamis,  welcher,  den 
hochheiligen  Beruf  des  Isispropheten  zu  erfüllen  berufen  und 
würdig,  doch  nach  seiner  Verdrängung  von  Memphis  nichts 
Besseres  zu  thun  weiss  als  unter  die  Sumpfräuber  zu  gehen, 
wo  er  dann  freilich  das  Muster  eines  »edlen  Räubers u  dar- 
stellt^). Wir  bemerkten  eine  ähnliche  Stumpfheit  des  Urtheiis 
in  diesen  Dingen  bei  Xenophon.  —  Am  höchsten  sollte  sich 
eigentlich  jene  feierliche  Würde,  mit  welcher  Heiiodor  seine 
Idealgestalten  zu  umgeben  sucht,  bei  dem  Propheten  Kalasiris, 
dem  auserwählten  Gefäss  der  Gottheit,  steigern ;  aber  hier  schlägt 


gehabt  hat:  IV  8.  Daher  denn  in  der  That  X  14.  15  Chariklea  eine  auf- 
fUllige  Aehnlichkeit  mit  einem  Standbilde  der  Andromeda  zeigt.  Der  Glaube 
an  die  Möglichkeit  eines  solchen  »Versehens«  der  Empfangenden  oder  der 
Schwangeren  mag  (wie  z.  Th.  noch  heute)  weil  genug  verbreitet  gewesen 
sein.  Schon  Empedocles  erklärte  Unähnlichkeit  des  Kindes  mit  den  Eltern 
aus  TQ  xaxä  t^jn  ouXXr^^'i'v  ^avraot^t  xf^;  •f*j^fiix6i,  wenn  diese  etwa  ein  Bild 
oder  eine  Statue  liebe:  Plutarch.  Plac.  phil.  V  IS;  Galen,  tt.  91X09.  tsrop.  SS 
(XIX  327  f.  Kühn).  Von  einer  Wirkung  der  haustae  sub  ipso  conceptu 
imagines  auf  den  Foclus  redet  Plinius  N.  H.  VII  §  5S.  Eine  derartige 
Geschichte  von  einem  Landmanne  und  seiner  Frau  erzählt  Dionys.  Halle. 
vet.  scr.  cens.  1  Wo\.  V  SS2  Tauchn.) ;  von  einer  Frau,  welche  A(&(oica 
frcxe  p.fjT6  Aldiori  O'j^^t'^oii.i'^'ri  pLtjxe  Al^(oi|;  ouaa,  dDvX'  h*  xij»  xaiptp  rfjc  ouvouotoc 
AiOtoTTa  ^avtaodetoa  David  comm.  in  Aristot.  Categ.  p.  72  a,  SS  Br. :  also 
das  Gegenstück  zu  dem  Erlebniss  der  Persina.  Aber  selbst  bei  einem  Arzt 
wie  Soranus  liest  man,  de  muliebr.  afTcction.  c.  10  p.  51,  IS  ff.  ed.  Er- 
merins :  xi  5et  Xc^eiv  2ti  xal  t6  ttoiov  tt^;  ^l'u-^tjc  xaTdorrifiia  cpipei  Tivdc  tKpi 
TO'j;  T'jTioü^  Tu)v  auXXafxßavofxdvwv  [xeTaßoXd; ;  outcu;  dv  Ttj)  ouvouotätCciv  ::i8^o'j; 
(oo^aai  Tive;  rtdr^xofxt^p^ou;  ixür^aftv '  6  ^e  KuTrploDV  xupawo;,  «axöpt^p^oc  <&v, 
cU  dYoiXfjiaxa  irepixaXXf,  xaxd  xo6;  TtXrjaiaafxo'j;  xi?jv  -^M'^air.'x  ßX£:rciN  dvaptoC«»^* 
rax^jp  e6[A6p(p(uv  i-^isfco  ral^cuv  u.  s.  w.     Vgl.  auch  Galen,  vol.  XIV  p.  254  K. 

1)  Vgl.  die  merkwürdige  Stelle  p.  81,  15  (T. 

2)  Thyamis    ist    cpuoei  xe  xal  ix  Trat^cuv  eO   Tre^xwc    rp^   00^006^0^ 
p.  180,  S.     Vgl.  namentlich  noch  p.  SS,  8;  54,  10. 


—     449    — 

unsern  Sophisten  denn  doch  gelegentlich  der  Schalk  in  den 
Nacken:  die  Zeichnung  des  Kalasiris  mischt  ganz  wunderlich 
Zttge  des  weisen  Gottesmannes  und  des  verschmitzten  Aegypters 
durch  einander.  Einige  Ansätze  zu  schärferer  Charakterisirung 
werden  bei  manchen  Nebenpersonen  gemacht,  welche  den  leuch- 
tenden Idealgestalten  zur  Folie  dienen  sollen;  aber  dabei  ver- 
fiült  der  Dichter  zumeist  in  das  Karrikaturenhafte :  wie  z.  B. 
bei  der  Ausmalung  der  Verzagtheit  und  abergläubischen  Angst 
des  Knemon.  Aehnlich  geht  es  ihm  fast  überall  Wd  er  einmal 
recht  anschaulich  malen  will :  zumeist  wird  eine  solche  Aus- 
führung geschmacklos,  übertrieben  und  allzu  grellfarbig i).  — 
Das  Gefühlvolle,  lyrisch  Empßndungsreiche  will  dem  Dichter 
nicht  gelingen;  er  findet  sich  daher  bei  Gelegenheit  der  ersten 
Liebesnoth  seines  Paares  mit  den,  durch  hellenistische  Erotiker 
hinreichend  zubereiteten  herkömmlichen  Mitteln  ab.  Eher  ver- 
mag er  einmal  eine  wild  tobende  Flamme  unreiner  Leidenschaft 
darzustellen ,  wie  diejenige  der  Demaenete  zum  Knemon ,  der 
Arsace  zum  Theagenes^).  Sein  Talent,  sehr  merklich  von  dejn 
desXenophon  verschieden,  weist  ihn  überhaupt,  statt  zum  lyrisch 
Schmelzenden,  eher  (wenn  man  so  hohe  Worte  hier  brauchen 
darf)  zu  dem  feierlich  Pompösen  der  tragischen  Kunst  hin.  Wir 
erinnern  uns,  mit  wie  ernstem  Bemühen  die  sophistischen  Rhe- 
toren  von  dem  erhabenen  Klange  der  tragischen  Dichter  zu  lernen 
suchten.  Unser  Sophist  aus  Emesa  hat  nun  freilich  vom  ächten 
tragischen  Geiste  wenig  oder  nichts :  aber  wenn  nicht  an  den 
ernsten  Lebenshauch  der  tragischen  Dichtung,  so  wenigstens  an 
dje  glanzvollen,  in  grossartigem  Pomp  vorüberrauschenden  Auf- 
züge der  tragischen  Bühne  (wir  könnten  sagen:  der  »grossen 
Oper«)  erinnern  manche  seiner  glücklichsten  Stellen.  Es  ist 
gar  nicht  zu  verkennen,  dass  in  solchen  Scenen  wie  dem  grossen 
Festzug  in  Delphi,  dem  Wettlauf  vor  versammelter  Festmenge 
ebendaselbst,  dem  Einzug  des  Kalasiris  mit  seinen  wiederver- 
söhnten Söhnen  in  Memphis,  in  dem  ganzen  glanzreichen  Sieges- 


1)  Man  vgl.  einige  Stellen ,  an  denen  Heliodor  in  eine  crasse  Ueber- 
treibnng  verfällt,  die  von  seiner  sonst  künstlich  festgehaltenen  oefAvdrv];  um 
so  widerlicher  absticht:  p.  U,  4;  183,  %h  ff.;  198,  15;  288,  24.  Oder 
die  mühsame  W4tzelei  an  solchen  Stellen,  wo  seine  sonst  so  starren  Haupte 
figuren  einmal  in  das  Scherzhafte  herabsteigen  sollen :  p.  55,  26  ff. ;  88,  1  ff. 

2)  I  14;  VII. 

Rohdo,  Der  grieehisehe  Roman.  29 


—     450     — 

feste  der  Aethiopen,  dessen  Beschreibung  das  zehnte  Buch 
füllt,  eine  nicht  unbeträchtliche  Begabung  für  die  Entwickelung 
reicher,  stattlich  gruppirter  Bilder  voll  festlichen  Glanzes  und 
grandiosen  Schimmers  sich  darstellt.  Nicht  minder  bekundet 
sich  ein  malerisch  empfmdender  Sinn  in  den  sehr  wirkungs- 
reich angelegten  Bildern  am  Eingange  des  Romans:  der  wild 
verwüsteten  Ueppigkeit,  den  zuckenden  Leichen,  unter  denen 
das  adlige  Paar  allein  aufragt,  dem  gestrandeten  Schiff  am 
Meeresufer;  dies  Alles  beim  ersten  Frühlicht  von  seltsamen 
Räubergestalten  scheu  betrachtet.  Nicht  minder  effectvoll  ist 
z.B.  der  nächtliche  Ueberfall  der  Aenianen  >)  dargestellt.  Hatte 
der  Dichter  etwa  wirklich  dieses  Talent  an  den  malerisch  gross- 
artigen Schaustellungen  der  Bühne  genährt?  Das  Theater  liegt 
ihm  jedenfalls  stets  in  Gedanken:  bis  zum  Ueberdruss  (und 
mehr  noch  sogar  als  bei  Lucian,  bei  welchem  man  eine  ähn- 
liche Beobachtung  machen  könnte)  drängen  sich  bei  ihm  die 
von  der  Bühne  genommenen  Vergleiche  und  Metaphern']. 

Seinem  besonderen  Talente  entsprechend  hat  Heliodor,  wie' 
man  anerkennen  muss,  Stoff  und  Schauplatz  seiner  Erzählung 
nicht  ungeschickt  gewählt.  Von  dem  acht  hellenischen  Fest- 
glänze  der  pythischen  Spiele  führt  er  uns  über  das  Meer  nach 
Aegypten,  dem  Land  der  Geheimnisse:  »denn  jede  ägyptische 
Kunde  und  Erzählung  zieht  ein  hellenisches  Ohr  ganz  beson- 
ders an«,  sagt  er  uns  selbst •**) •    Xenophon  war  ihm  in  der  Ver- 


1)  IV  47. 

2)  Spafjia,  in  dem  oben  gelegentlich  berührten  Sinne,  als  »pathetisches 
Ereignisse:  69,  7;  168,  5;  47S,  24;  18S,  2.  Ausgeführter  der  Vergleich 
mit  den  Vorgängen  der  Scene:  p.  6S,  7;  429,  2 — 6;  485,  4  8  ff.;  84  0,  Z9. 
Merkwürdig  namentlich  p.  244,  40:  der  Zug  der  Gefangenen  zum  Könip» 
von  Merod  f^v  warep  is  opdip.aTi  zpoava^cdvTjotc  xai  RpottoöoteN. 
Diesen  scenischen  Brauch  kennt  man  sonst  nicht:  ich  finde  aber  eine  Spur 
der  auch  hier  angedeuteten  Sitte,  einen  (oder  mehrere)  festlich  geschmück- 
ten Schauspieler  vor  Beginn  der  Handlung  auf  die  Bühne  zu  schicken,  nicht 
um  den  eigentlichen  Prolog  zu  sprechen,  sondern  um  den  Namen  des 
Stückes  zu  nennen,  auch  bei  Lucian,  Pseudolog.  49.  Das  eben  ist  die 
rpoavaopdtivTjat;,  das  rpoctoöitov  noch  vor  dem  Prologe.  (Diese  Stellen  häUe 
Dziatzko  in  seiner  Untersuchung  über  Verkündigung  des  DramenUtels  auf 
der  römischen  Bühne  benutzen  können :  De  prologis  Plaut,  et  Terent. 
Bonn  4863.;  .      - 

p.  67,  44. 


—    451     — 

« 

legung  des  Schauplatzes  nach  Aegypten  vorangegangen,  hatte 
auch  die  wilden  Sumpfräuber  im  Hintergrund  seiner  Erzählung 
auftauchen  lassen :  aber  wie  gewinnt  nun  erst  bei  Heliodor,  in 
der  höchst  anschaulichen  Schilderung  des  abenteuerlichen  Lebens 
und  Treibens  dieser*  »Bukolena  in  den  Sümpfen  der  Nilnittn- 
dung^),  die  ganze  Scene  ein  düster  phantastisches  Colorit!  wie 
Irefflich  eignet  das  alte  Land  der  Weisheit  sich  zum  Boden  der 
«rbaulichen  Geschichte  ^j.  Wir  steigen  langsam  hinauf  in  das 
ferne  Land  der  Äethiopen  »an  der  Erde  letztem  Rand«^),  wel- 
ches, der  wirklichen  Kenntniss  der  Griechen  nie  rechjt  erschlossen, 
um  so  eher  der  Phantasie  des  Romanschreibers  zufallen  konnte. 
Ueliodor  übrigens,  der  wirklichen  Natur  des  äthiopischen  Landes 
and  Volkes  offenbar  völlig  unkundig,  hat  sich  aus  älteren  Nach- 
richten ein  seltsam  anachronistisches  Gemälde  von  einem  glän- 
zenden Aethiopenreiche  in  MeroO  zusammengesetzt.  Die  Stämme 
JVubiens,  seit  dem  missglückten  Kriegszuge  des  Kambyses  nie 
einer  fremden  Macht  unterworfen  ^j ,  scheinen,  von  fremder  Gul- 
tur  abgesperrt,  allmählich  in  einen  roh  barbarischen  Zustand 
versunken  zu  sein ;  als  rohe  und  klägliche  Barbaren  fanden  sie 
wenigstens  die  Römer,  welche  zur  Abwehr  räuberischer  Ueber- 
griffe  unter  der  Regierung  des  Augustus  tief  in  das  Land  ein- 
drangen *) .  Anders  war  es  wohl  noch  zur  Zeit  der  ersten  Pto- 
lemäer.     Damals   scheint,    unter  den  Nachwirkungen    der  alt- 


1)  1  5.  6.  28.  29;  vgl.  VI  43.  lieber  Xenpphon  oben  p.  893  A.  1.  Dort 
-wurde  auch  schon  betont,  dass  bereits  Eratosthenes  die  röuberischen  Bukolen 
i'nteraegyptcns  kannte.  Folgte  Heliodor  in  seiner  Schilderung  solchen 
älteiyn  Berichten?  er  konnte  deren  freilich  auch  aus  seiner  eigenen  Zeit 
haben,  in  welcher  die  Bukolen  durchaus  ihr  altes  Wesen  trieben :  s.  nament- 
lich Dio  Cassius  LXXI  4,  und  vgl.  Jac.  Burckhardt,  die  Zeit  Constantins 
d.  Gr.  p.  438  f. 

2)  Man  könnte  vom  Roman  des  Heliodor  sagen :  drA^ti^  el;  Atpirrov 
-röv  |jit>Bov  t)  roi7]0(c,  tva  ti?jv  fiTjxapa  Töav  oo^oin  h6fon  alvtSr^rai  (Himerius  ecl. 
47  §  2  p.  256  W.ernsd.). 

3)  'f^(  iiz  ^oyatot;  Spoic  (4  78,  4):  das  Schlussstück  eines  iambischen 
Trimeters. 

4)  —  p,T)oi7:oTS  oeoiroTcta;  iinfjXuoo;  Trctpov  XaßövTa;,  von  den  Äethiopen, 
Oiodor  in  2,  Z.  48  ed.  W'esseling. 

5)  S.  Strabos  Bericht  von  dem  Zuge  des  Petronius  nach  Napata:  XVII 
p.  820  f.  Vgl.  Plinius  n.  h.  VI  §  4  84.  482.  Nicht  einmal  die  meroitischen 
Aethioper  waren  %aTe9xeua9fi.^voi  %«).(»(,  oOtc  rp6;  rölcfiov,  ours  rpö;  t6v 
^.Xov  ßiov:  Strabo  p.   849. 

29» 


—    452    — 

• 

ägyptischen,  auf  Aethiopien  Übertragenen  Gultur,  eine  leidliche 
Civilisation  sich  in  dem  Reiche  von  Mero^  erhalten  zu  haben» 
Die  Ptolemäer  griffen  wiederholt  mit  Gewalt  in  diese  Gebiete^ 
hinüber^);  auch  wissenschaftliche  Expeditionen  drangen  damals 
tief  in  das  geheimnissvolle  Land  ein^).  Der  Niederschlag  der  Ent- 
deckungen jener  Zeiten  nun  erhielt  sich  in  der  ethnographischen 
Litteratur  der  Griechen,  und  es  pflanzte  sich,  wie  freilich  oft  in 
dieser  Disciplin,  jene  alte  Kunde  wie  eine  Nachrieht  über  noch 
bestehende  Zustände  bis  hinunter  auf  Diodor  und  Strabo,  ja 
Plinius  fort').  Bei  diesen  Gelehrten  bereit«  stehen  nun  freilich 
jene  Berichte  von  altem  Glänze  und  von  jener  männlich  ernsten 
Weisheit,  wie  sie  Hei*odots  bekannter  Bericht  den  alten  Aethiopen 
nachrtlhmt,  in  seltsamer  Verbindung  mit  den  Nachrichten  der 
römischen  Krieger  und  Forscher,  welche  Mero6  zerstört,  das 
ganze  Volk  in  elende  Barbarei  zurückgesunken  fanden^).  Viel- 
leicht erst  im  zweiten  oder  gar  dritten  Jahrhundert  bildete  sich 
in  Abessinien  ein  starkes  äthiopisches  Reich,   welches  von  der 


1)  Von  einem  Kriege  eines  nToXefjiaioc  gegen  die  Aethiopen  spricht 
Agatbarchides  de  mari  rubro  §  SO  p.  449,  6  ff.  Müller.  Müller  ist  in  Do- 
gewissheil,  welcher  Ptolemäus  gemeint  sei;  ich  möchte  am  Liebstea  an 
Pt.  Philadelphus  denken,  dessen  als  rpc^rou  {Acd' *EXXt]vix^;  hwd^Ufo^  tU 
AlOtortav  oTpaTE6aavToc  Diodor  erwöhnt  I  37.  (Da  dort  von  den  Nil  quellen 
die  Rede  ist,  so  ist  entschieden  an  einen  Zug  des  Königs  nach  N übten  zu 
denken,  nicht  an  seine  Eroberungen  an  der  Troglodytenküste  [Plin.  VI 
§  4  67,  vgl.  Tbeocrit  4  7,  87],  wie  Letronne  Mat^r.  pour  l'hist.  du  obris- 
tianisme  en  Egypte  etc.  p.  54  n.  4  zu  thun  geneigt  ist.)  An  Euergetes 
kann  man  nach  richtiger  Zertheilung  der  Adulitanischen  Inschrift  des  Kosmns 
Indicopl.  freilich  nicht  mehr  denken.  ^ 

2)  Dalion,  Aristokreon,  Bion,  Basilis  u.  s.  w. :  Plin.  VI  §  48S.  Auch 
für  solche  wissenschaftliche  Erforschung  des  Landes  sorgte  vornehmlich 
Ptol.  Philadelphus:  Strabo  XVII  p.  789. 

3)  Plin.  VI  29.  80.  Strabo  XVII;  Diodor  III  init. :  diese  beiden  Letzten 
unverkennbar  aus  gleicher  Quelle:  vgl.  namentlich  Diod.  III  8.  9  mit  Strabo 
p.  822  f.:  vermuthlich  Artemidor  (vgl.  Diodor  III  44,  20). 

.4)  Meroö  hatte,  als  die  exploratores,  >\ eiche  Nero,  als  er  einen  aethio- 
pischen  Krieg  im  Sinne  hatte  (Plin.  §  4  84)  dorthin  geschickt  hatte,  Aethiopien 
bereisten,  nur  noch  pauca  aedificia:  Plin.  VI  §  485.  Die  Hauptstadt  war 
Napata,  dort  regierte  eine  Königin,  deren  Titel  (nicht  Name)  Gandace  war: 
§4  86.  So  schon  zur  Zeit  des  P.  Petronius:  Strabo  p.  820.  Eine  Frau 
regierte  in  Meroe  bereits  zur  Zeit  des  Eratosthenes  (über  die  Blemmyer  und 
Sembriten  herrschend,  nicht  auch,  über  die  Nuber):  Strabo  XVII  p.  786; 
XVI  p.   770,  774. 


—    453    — 

Hauptstadt  Auxomis  aus  nach  Arabien  hinüber  griff  und  in 
Afrika  ganz  Nubien  bis  zur  iigyptischen  Grenze  sich  unterwarft), 
auch  den  Römern  so  unbequem  ward,  dass  Diocletian  sich  ge- 
nöthigt  sah,  die  Grenze  nach  Norden  hinaufzurtlcken  und  den 
Barbaren  einen  schimpflichen  Tribut  2u  zahlen?).  Wie  dann, 
bereits  in  der  Mitte  des  vierten  Jahrhunderts,  diese  auxomitischen 
Aethiopen  zum  Christenthum  bekehrt  und  damit  denn  für  lange 
Zeit  auf  einer  gewissen  Höhe  der  Bildung  erhalten  wurden,  ist 
bekannt. 


1)  Auxomis  existirte  ofTenbar  noch  nicht  zur  Zeit  des  König  Juba  II 
von  Mauretanien,  da  es  in  dessen,  von  Plinius  VI  34.  35.  wiederholter 
Aufzählung  der  Städte  der  Troglodytice  und  des  inneren  Aethiopiens,  gar 
nicht  genannt  wird  (s.  Niebuhr  in  Wolf  und  Buttmanns  Mus.  d.  Alter- 
thumswiss.  II  608].  Die  früheste  Erwähnung  des  auxomilischen  Reiches 
unter  einem  König  Zoskales  glaubte  man  bisher  im  Periplus  maris  erythraei 
•§  S  p.  264,  9  fr.  zu  finden.  Wenn  indessen  dieser  Zoskales  nicht,  wie 
man  früher  annahm,  mit  dem  Za-hakale  der  abyssinischen  Königslisten, 
wrelcher  77—89  n.  Chr.  regierte  (s.  C.  Müller,  Geogr.  gr.  mA.  I  p.  XCVII) 
identisch  ist,  sondern,  wie  Reinaud  annimmt  (Mäm.  de  Tacad.  des  inscr. 
«t  b.  1.  XXIV,  Si^me  parlie.  [mir  nicht  zugänglich:  s.  aber  A.  Weber, 
Ind.  Streifen  II  266  f.])  mit  dem,  um  246  n.  Chr.  regierenden  König  (Za«-}  Sagal 
•derselben  Listen:  so  hätten  wir  eine  ältere  Erwähnung  des  auxomitischen 
Reiches  als  die  in  dem,  darnach  also  um  die  Mitte  des  dritten  Jahrhunderts 
geschriebenen  Periplus,  bei  Plolemäus.  Bei  diesem  (Geogr.  IV  8  p.  413  ed. 
Mercator  et  Montanus  Amst.  4  60S^)  werden  unter  den  arodcN  toO  roTafioü 
(de»  Nils)  ixecöfEioi  nöXci;  in  Acthiopien- aufgezählt  Auxume,  KoXöt]  ttöXu, 
IVidoTT]  r6Xi;  u.  s.  w. ;  und  darunter  wird  Auxume  besonders  ausgezeichnet 
<jlurch  den  Zusatz:  iv  {  ßaalXstov,  das  soll  doch  wohl  heissen:  wo  eine 
Königsgewalt  (über  die  übrigen  Städte)  ihren  Sitz  hat  (^aaiXeiov  =  ßaaiXe(a). 
Mindestens  also  seit  der  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts,  müssen  wir  an- 
nehmen, arbeitete  sich  in  Auxomis  eine  königliche  Macht  empor.  Sie  steht 
noch  in  bescheidener  Kraft  zur  Zeit  des  Periplus  m.  er.  Viel  weiter  hat 
•sie  bereits  um  sich  gegriffen  zur  Zeit  des  ungenannten  Königs  der  aduli- 
tanischen  Inschrift  des  Kosmas  (Böckh,  C.  I.  Gr.  III  n.  54  27  B) ,  welcher 
aber  jedenfalls  vor  dem,  später  durch  S.  Frumentius  zum  Christenthum 
bekehrten  axomitischen  Könige  Aeizanas  (s.  Buttmann  a.  0.  p.  584  f.)  lebte, 
•dessen  Thaten  die  axomilische  Inschrift  (Böckh  N.  5428)  verkündet:  was 
•der  König  der  adulitanischen  Inschrift  erobert,  besitzt  der  König  Aeizanas 
bereits.  —  Die  weitere  Entwickelung  des  merkwürdigen  Reiches  zu  ver- 
folgen, liegt  uns  hier  fern. 

2]  Procop.  bell.  Pers.  I  49  (v.  I  p.  402  f.  Dind.).  Es  wird  wohl  nicht 
zu  kühn  sein,  diese  Uebergriffe  der  Nubier  und  Blemmyer  mit  der  Er- 
starkung eines  aethiopischen  Reiches  in  Axomis  in  Verbindung  zu  bringen. 
Schon  der  König  der  adulitanischen   Inschrift  herrscht  fi^xp^  "^^"^  Aip^roo 


-^    454    — 

Heliodor  nun  mischt  in  merkwürdiger  WillkUr  die  Nach- 
richten der  verschiedensten  Zeiten  durch  einander.  Die  Nach- 
richten von  einem  glänzenden ,  goldreichen  Aethiopenstaate  io 
Mero^  entnahm  er  theils  dem  Herodot,  theils  den  Berichten 
griechischer  Gelehrter  der  Ptolemüerieit.  Der  grieehenfreund- 
liche  König  Uydaspes,  von  einer  mächtigen  Kaste  priesterlicher 
Weisen  umgeben,  mag  zusammengewoben  sein  aus  einer  unbe- 
stimmten Reminiscenz  an  den  König  £rgamenes,  welcher,  »grie- 
chischer Bildung  theilhaftig  geworden«,  die  frühere  Prieslermacht 
in  Merol»  stürzte ,  und  jenen  oben  berührten  Fabeln  von  äthio- 
pischen Gymnosophisten ,  endlich  aus  einer  dunkeln  Kunde  von 
der  Herrschaft  griechischer  Sprache  in  dem  Reiche  der  Auxo- 
miten^).  Die  so  ausführlich  geschilderten  Kampfe  um  Syene 
und  Philae  möchten  leicht  irgend  einem  Berichte  über  die 
Grenzkriege  entweder  der  Ptolemäer  oder  auch  der  Römer  um 
eben  diese  Gegenden  nacherzählt  sein  2).     Wenn   nun  aber  der 

1)  Ergamenes  [auch  aus  Inss  bekannt:  s.  Lepsius  Briefe  p.  112.  205]^ 
zur  Zeit  Plolcmäus  des  Z>^eiten,  stürzte  die  bis  dahin  herrschende  Priester- 
machl:  Diodor  III  6,  wo  er  fi6TCT/T|XU);  'EXXtjvix-^;  d-^toiffi  xaX  ^OsOW^wz- 
;^iXoao'fia;?j  heissl.  Weitere  Spuren  griechischen  Einflusses  in  Nubieiv 
finden  sich  nicht;  auch  die  griechische  Sprache  drang  dortbin  wohl  erst 
mit  dem  Christenthum  (Letronne  I.  1.  p.  52  ff.).  Anders  in  dem  aoxomi- 
tischen  Reiche.  Den  verbreiteten  Gebrauch  der  griechischen  Sprache  [iD 
einer,  gegen  Silkos  Inschrift  gehalten,  immer  noch  erträglichen  Gestalt)  be- 
weisen die  adulitanische  und  axomitische  Inschrift;  und  Zoskales  heisst 
Ypa|ijxaT(Dv  ' E)v)>r^vixtt)v  l{ArEtpo;  Peripl.  m.  erythr.  §  5. 

2}  VIII  1 :  das  stets  streitige  Philae  hat  der  Aethiopenkönig  i%  irpoXif;' 
6ecu;  eingenommen;  in  Syene  belagert  er  dann  den  persischen  Satrapen. 
Philae,  Syene,  Elcphantine  wurden  zur  Zeit  des  P.  Petronius  von  Aethiopen 
durch  Handstreich  genommen :  Strabo  XVII  p.  820  (ganz  irrig  also  Letronne 
p.  80 :  rhistoire  ne  fait  mention  d'  aucune  incursion  des  peuples  du  midi 
ä  Syeue  ou  ä  Philes  avant  le  r(!gne  de  Diocletien).  Gewiss  waren  es  auch 
zur  Ptolemaerzeit  diese  Grenzpunkte,  um  welche  man  kämpfte.  Die  detail- 
lirte  Beschreibung  der  Kämpfe  um  Syene  bei  Hei.  IX  könnte  leicht  einer 
Schilderung  solcher  Grenzkämpfe  nachgebildet  sein.  Speciell  erinnert  die 
Schilderung  der  persischen  xaxa'^paxtoi ,  und  ihrer  Rüstung,  welche  Ross 
und  Mann  ganz  bedeckt  (vgl.  Lagarde,  Ges.  Abb.  202}  an  die  in  Filzpanzer» 
bis  an  die  Augen  verhüllten  Reiter  auf  ebenso  gepanzerten  I^ferden,  welche* 
der  bei  Agatharch.  m.  rubr.  §  20  p.  119  erwähnte  Ptolemäus  den  Aethiope» 
entgegenstellte.  Die  Art,  wie  diese  schwerfälligen  Reiter  bekämpft  werden 
von  den  leichtfüssigen  Blemmyern  (IX  18)  erinnert  stark  an  die  Be- 
Schreibung  des  Kampfes  der  Galater  des  Crassus  gegen  die  partbischen  Ka- 
Uphraklen:  Plutarch.  Grass.  25.     (Der  Vergleich  p.  260,  14   eines  solchen 


—     455     — 

König  von  Mero^  als  Herrscher  nicht  nur  über  die  nubischen 
Aethiopen  und  Blemmyer,  sondern  auch  über  die  Troglodyten, 
Araber  und  Serer  dargestellt  wird^),  so  verrüth  sich  hier  be- 
reits die  Verwirrung  des  alten  meroUischen  Reiches  mit  dem 
neuen  auxomitischen;  und  wenn  wir  nun  gar  hören,  dass  die 
»Axiomiteutt  dem  Könige  von  Meroö  nicht  zinspflichtig  son- 
dern befreundet  und  verbrüdert  waren  2),  so  liegt  es  am  Tage, 
dass  Heliodor  eine  unbestimmte  Kunde  von  dem  auxomitischen 
Reiche  seiner  Tage  kritiklos  in  jene  alte  Perserzeit  zurückgetragen 
hat,  in  welcher  von  Auxomis  noch  gar  keine  Rede  war.  Die 
Reiche  von  Meroö  und  Auxomis  haben  überhaupt  nie  gleichzeitig 
neben  einander  existirt,  wie  sich  unser  Dichter   es  vorstellt. 

Diese,  wie  ich  denke  nicht  ganz  uninteressante  Einflcchtung 
einer  Nachricht  aus  der  unmittelbaren  Gegenwart  steht  ganz 
isolirt  da  in  der  Erzählung  des  Heliodor.  Im  Uebrigen  hat  er 
nicht  ohne  eine  gewisse  Sorgfalt  die  einzelnen  Züge  seiner  Dar- 
stellung aus  Büchern  gezogen  ^i .    Eigene  Anschauung  des  Landes 

Fanzerreiters  mit  einem  dvSpia;  xtvoujxevoc  kehrt  ['^'oran  Korais  U  p.  804 
erinnert]  wieder  bei  Claudian  adv.  Ruf.  II  859.  360 :  wohl  aus  gemeinsamer 
Quelle).  — Was  Heliodor  VIII  1  von  den  ^j-^dhtiAifJTüzioi,  welche  die  Insel 
Pbilae  einsl  besetzt  hätten,  erzählt,  muss  er  selbst  verantworten.  Ohne 
Zweifel  meint  er  die  einst,  unter  Psammelich,  ausgewanderten  Krieger:  die 
wohnten  aber  auf  einer  Insel  noch  oberhalb  Meroä  (Eratosth.  Strab.  XVJI 
p.  786),  nach  Herodot  II  30,  112  Tagereisen  oberhalb  Elephantine. 

1)  X  25.  26. 

2)  p.  298,  i  1  :    TTapf^aav   ol    ASicofiiTÄN  irpeaßeytaf,    «pöpou   [xiv   oux  5vtc; 
uTioTeXei;,  cpiXiot  Se  aXXoo;  %a\  'jr^öroNOoi. 

3)  Die  meisten  seiner  aegyptisch-aethiopischen  Nachrichten  lassen  sich 
auch  sonst  aus  Büchern  belegen.  Z.  B.  die  goldenen  Ketten  in  Aethiopien 
p.  245,  16;  Herodot  III  23;  Verehrung  des  Helios  und  der  Selene  in  Aethio- 
pien :  oben  p.  437  A.  7 ;  des  Dlonys  p.  274,  24  etc. :  Herodot  II  29 ;  die  Gymno- 
sophisten  wohnen  im  flaviov  p.  275,  17:  den  Pan  verehren  die  Aethiopen 
nach  Slrabo  XVII  p.  822,  Diodor  III  8;  Pferde  dem  Helios  geopfert,  xtii 
Ta^pT(£T«)  TdjN  ÖEWN  To  Tot/ioTov ,  p.  278,  21:  s.  Herodot  I  216  exlr.,  von 
den  Massageten  (ähnlich  Andere:  s.  Stein  zu  Herod.  a.  0.,  Ovid  F.  I  385  f., 
Himerius  eclog.  13,  36  ib.  Werosdorflf  p.  237).  Dem  Helios  und  der  Se- 
lene werden  aber  auch  nach  altem  Brauch  Menschen  geopfert.  Vgl. 
Procop.  Pers.  1  19  (vol.  I  p.  104,  3  Dind.) :  ol  BX^fA{AU£c  xai  dvÖpdEiTrou;  Toi 
tjXt^)  ftietv  eltudaotv  (vgl.  Letronne  p.  36  f.)-  —  Streit  der  Perser  und 
Aethiopen  um  die  a|jLapaYoeta  fiitaXXa  p.  218,  6  u.  ö.  Bei  Talmis  waren  in 
der  That  Smaragdgruben:  s.  Olympiodor.  historiar.  fr.  §  37  (fr.  bist.  gr. 
.IV  66).  —  Beschreibung  der  Giraffe  (xa(AY]Xo7rapoaXt;)  X  27 :  ob  aus  alten 
Beschreibungen   (z.  B.   des  Artemidor  bei   Strabo  XVI  p.  775),   oder  nach 


—     456     — 

und  des  Volkslebens  scheint  ihm  nicht  einmal  in  Unterägypten, 
geschweige  denn  in  den  fernen  Ländern  an  der  äthiopischen 
Grenze,  in  welche  er  uns  hinauffuhrt,  zur  Seite  gestanden  zu 
habend).  Er  ist  ein  ßUchergelehrler  und  theilt  von  seiner  Ge- 
lehrsamkeit reichlich  mit.  Ueberall  schafHt .  er  sich  Gelegenheit 
zu  Excursen  und  gelehrten  Ausführungen  tlber  Gegenstände  der 
Naturkutide,  der  wirklichen  oder  der  fabelhaften,  der  Aller- 
thtlmer,  ägyptischer,  persischer  oder  griechischer:  wobei  ihm 
denn,  in  Ermangelung  lebendiger  Anschauung,  bisweilen  curiose 
Irrthümer  begegnen  2),  Der  rechte  Schulmeister  tritt  vollends 
bei  einigen  ins  völlig  Abgeschmackte  fallenden  etymologischen 
Spitzßndeleien  hervor,  durch  welche  er  gelegentlich  seine  Er- 
Autopsie? Giraffen  brachte  man  nicht  selten  nach  griechisch-römischen  Gegen- 
den: vgl.  Friedländer,  Darst.  a.  d.  Sitteng.  Roms  11' 530  f.  —  Brunnen  in 
Syene  zur  Messung  des  Nilstandc<i  und  Gnomon  am  Mittag  ohne  Schalten  IX  t7. 
Schwerlich  nach  Autopsie  geschildert:  vgl.  Strabo  XVII  p.  817;  Plinias 
n.  h  II  §  483  u.  s.  w.  (Letronne,  M^m.  de  THcad.  des  inscr.  VI  [4  822]  S91  ff.J. 
—  Pfeilkranz  der  Blemmyer  p.  263,  34  ff.-  vgl.  Lucian  de  salt.  48. 

1)  Auf  die  geographischen  Unklarheiten  und  Irrthümer  des  Heliodor  in 
aegyptischen  Dingen  weist  Naber  hin,  Mnemosyne  N.  S.  I  (4878)  p.  446  f. 
Dahin  zu  rechnen  sind  jedenfalls  auch  seine  Angaben  in  Betreff  der  %A/\vii 
X^(A{jLi;,  welche  er  etwa  4  00  Stadien  südlich  von  der  herakleotischen  Mün- 
dung des  Nil  sucht:  II  4  8  extr.  Er  meint  wohl  nicht  das  Chemmis,  wel- 
ches tief  unten,  im  thebäischen  v<Sfxo;  liegt,  sondern  die  »schwimmende« 
Insel  Chemmis  bei  Buto ,  dicht  an  der  sebennytischen  Mündung  des  Nil 
(Hecatacus  fr.  284  u.  s.  w.) :  aber  auch  auf  die  passt  ja  seine  Angabe  nicht. 

2)  Von  solchen  naturwissenschaftlichen,  paradoxographischen,  antiqua- 
rischen Excursen  seien  folgende  hervorgehoben.  IV  8:  demotische  und 
»königliche«  Schrift  der  Aethiopen,  letztere  der  hieratischen  Schrift  der 
Aegypter  gleich  (dagegen  nach  Diodor  III  3,  84  alle  Aethiopen  sich  der 
hieratischen  Schrift  bedienen).  —  Der  aethiopische  Stein  irsvreCpßTi 
schützt  den  Träger  vor  Feuersgefahr:  VIII  4  4  (die  ravtdpßri  aus  des  Ktesias 
'Iv6tx(£:  Photius  bibl.  p.  A5a,  28  ff.  Vgl.  Lagarde ,  Ges.  Abb.  p.  224).  — 
Mehrfach  aetiologische  Abschweifungen:  über  den  Grund  der  starken 
Meerbewegung  am  Ausgang  des  krissäischen  Golfs,  p.  4  38,  4  ff.  (die 
Anwesenden  nahmen  mit  Lob  und  xpÖTo;  die  Auslegung  der  «Ma  auf: 
p.  4  38,  4  7  ff.);  über  die  Gründe  der  Anschwellung  des  Nils  im  Sommer, 
II  27  (Ileliodors  Erklärung  stimmt  im  Wesentlichen  überein  mit  der  des 
Demokrit  bei  Diodor  I  89  [oder  des  Thrasyalces  von  Thasos:  Rose, 
Aristot.  pseudepigr.  p.  240] :  er  lässt  freilich  den  Kalasiris  ganz  pomphaft 
behaupten,  seine  Theorie  aus  den  ßtßXot  Upa(,  welche  nur  den  Propheten 
zugänglich  seien,  geschöpft  zu  haben;  aber  die  Theorie  der  »Philosophen« 
in  Memphis  war  eine  ganz  andere :  s.  Diodor  I  40  [ihnen  schliosst  sich 
Nicagoras  Cyprius  bei  Ps.  Aristot.  de  inundatione  Nili  p.  637,  96  Rose  an}. 


—    457     — 

Zählungen  verziert;  natürlich  muss  hierzu  auch  der  alte  Homer^ 
den  die  Priesterweisheit  des  Kalasiris  uns  als  einen  Aegypter 
bekannt  macht,  sich  missbrauchen  lassen^).  Uebrigens  kann 
die   Verwandlung   des  grössten   hellenischen  Dichters   in   einen 


Nur  mit  Heliodor  p.  68,  3  ff.  vgl.  Diodor  1  kO,  28  ff.) ;  über  die  Gründe 
der  Verzauberung  durch  den  »bösen  Blick«  III  8  (im  Wesentlichen  überein- 
stimmecfd  mit  Plutarch,  Sympos.  V  7,  welcher  vielleicht  seinerseits  aus  den 
2u(Aicooiaxa  des  Didymus  geschöpft  haben  mag.  Am  Schluss  bei  Heliodor 
etwds  über  den  yapaSpuS;  [aus  Tbeophrast?  s.  Rose,  Arist.  ps.  p.  858]  und 
den  Basilisk  [vgl!  Rhein.  Mus.  XXVIIl  279],  natürlich  aus  den  ß(ßXoi< 
Upaic  iTQiU  ^£p't  C<i^a>v  geschöpft :' p.  87,  2).  —  Von  persischen  Dingen 
merkwürdig  nur  die  Behauptung  p.  226,  20  <f. :  die  stellvertretende  Frau 
des  Satrapen  dürfe  kein  Todesurtheil  ohne  die  Zustimmung  x&v  iu  xiXct 
ücpsoiv  fällen  (vgl.  Brissonius  de  reg.*  Persar.  1.  2  §  2H  p.  569  f.  ed. 
Lederlin) ;  vgl.  p.  229,  6.  28  ff.  —  Athenische  Einrichtungen:  Schiff  an 
den  Panathenäen  p.  43,  k  (vgl.  Schömann,  Chr.  Alt.  IP  A47  A.  8);  das 
ßdLpadpov  47,  43;  x-fjro;  und  (ivfifia  Td)v  '£ir(xo'jpe(a)v  p.  22,  43  (zur  Zeit  der 
Perserherrschaft  in  Aeg^pten!);  Grube  in  der  Akademie  Iv^a  tot;  i^pooaiv 
ol  7coX£p.ap/ot  TÖ  rdtptov  ^va^iCo^oiv  p.  23,  45  (vgl.  Schömann  II  5A4  A.  3j. 
Curios  ist  die  Gerichtsverhandlung  wegen  versuchten  Vatermordes  in  der 
Volksversammlung:  I  4  3.  4  4.  —  Die  pythischen  Spiele  in  Delphi,  so  aus- 
führlich er  einzelne  Theile  derselben  schildert  in  Buch  III,  IV,  scheint  He- 
liodor nicht  aus  eigener  Erfahrung  zu  kennen :  einzelne  Unglaublichkeiten 
aus  seinem  Berichte  hebt  hervor  Schömann  II  66  A.  4 ;  vgl.  Limburg- 
Brouwer  bist,  de  la  civilisation  mor.  et  rel.  des  Grecs  IV  p.  4  34,  auch 
(über  das  Local)  Dissen  zu  Pindar  Pyth.  VIII  20  p.  286  (ed.  I;.  Die 
Zeit  der  Spiele  musste  er  aber  doch  wenigstens  genau  kennen.  Als  die 
Flucht  des  Kalasiris  und  seiner  Schutzbefohlenen,  unmittelbar  nach  dem 
Feste,  stattfindet,  ist  es  Anfang  des  Winters:  p.  4  39,  9;  und  in  der  That 
steht  jetzt  fest,  dass  der  Bukatios,  in  welchem  die  pythischen  Spiele  gefeiert 
wurden,  mit  dem  athenischen  Metageitnioo  (Aug.  Sept.)  zusammenfiel:  Kirch- 
hoff,  Monatsber.  d.  Berl.  Akad.  d.  W.  4  864  p.  4  29  ff.  —  Die  Aenianen 
schicken  zur  Sühne  für  ihren,  in  Delphi  ermordeten  Heros  Neoptolemus  zu 
jedem  pythischen  Festspiel  eine  Theorie :  p.  75,  4 1  ff . :  das  mag  wahr  sein. 
—  X  28  ff.  Kampf  des  berittenen  Thessalers  Theagenes  mit  dem  wilden  Stier. 
Mit  Recht  findet  hier  Korais  II  p.  358  f.  eine  gar  nicht  üble  Darstellung 
thessalischer  raupoxada^ta :  Heliodor  konnte  solche  wohl  auch  aus  eigener 
Anschauung  im  Circus  (vgl.  FriedlJinder,  Darst.  a.  d.  Sitteng.  11^  383)  kennen. 
1)  Homer,  ein  Aegypter  aus  Theben,  angeblich  Sohn  eines  dortigen 
Propheten,  in  Wahrheit  des  Hermes,  '^O-fiTjpo;  genannt,  weil  auf  seinem 
Einen  Schenkel  gleich  von  der  Geburt  an  stark  behaart!!  III  4  4.  Der  Un- 
sinn geht  etwas  weit.  Aus  der  aegyptischen  Thebais  lässt  übrigens  auch 
noch  Olympiodor  aus  Theben  den  Homer  herstammen:  historiar.  fr.  §  38  (fr. 
bist.  gr.  IV  65).  —  Etymologische  Albernheit  noch:  dtoröc:  dizo  twv  ioxöis  der 
Schlangen,  aus  welchen   die  Araber  ihre  Pfeilschäfte  machen:   p.  264,  40. 


—     458    — 

Barbaren  befremden,  da  sonst  Heliodor,  als  ein  ächter  Sophist 
und  zudem  noch  in  besonderer  Anlehnung  an  Apollonius  von 
Tyana,  nicht  wenig  von  den  Vorzügen  des  acht  Hellenischen 
vor  allem  Barbarenthum  zu  reden  weiss  ^j. 

Sparsamer  als  mit  solchen  Proben  seiner  Gelehrsamkeit  ist 
Heliodor  mit  speciell  rhetorischen  Einlagen.  £s  fehlt  zwar  nicht 
an  Reden ,  an  zierlich  gesetzten  Briefen ,  auch  ein  Prachtstück 
einer  »Ekphrasis«,  die  Beschreibung  eines  fein  geschnittenen 
Steines,  findet  sich^j.  im  Ganzen  aber  will  offenbar  der  Dichter 
seine  Stärke  weniger  in  einer  Mosaikarbeit  aus  vielen  wohl  ge- 
glältetcn  Zierrat hen  sophistischer  Kunst  als  in  der  Ausführung 
eines  in  grossen  Linien  angelegten  Planes  der  Gesammthandlung 
zeigen.  Er  schreitet  freilich  uicht  aus  dem  Kreise  der  gewöhn- 
lichen Abenteuer  zu  Land  und  See  heraus;  er  entlehnt  auch 
manche  Züge  seiner  Erfindung  dem  Xenophon^j,  Einiges  viel- 
leicht auch  dem  Jamblich  ^],  er  verschmäht  sogar  parodirenda 
Benutzung  altbekannter  Sagen    nicht  ^) :    gleichwohl   wird  man 

NclXo(  weil  er  alljährlich  viav  (X6v  herbeiführt:  p.  267,  18.  (Gleich  dareaf: 
NeiXoc  sei  gleich  mit  dem  Jahre  selbst,  daher  denn  auch  die  Buchstaben 
seines  Namens,  als  griechische  Zahlzeichen  genommen,  s  t  i  X'  o'  a'  and 
zusammenadirt  365  ergeben!}. 

1)  Besonders  stark  in  dem  Briefe  der  Thisbe  p.  47,  i8:  ߣXTto>f  uro 
yetpoiv  dvTjp-fja^at  twn  awv  (Kv/]fA(uvo;)  xal  XTj^sta;  p-CTaXaßcTv  'EX)»7jvix"»ic ,  ^ 
t^avolTOii  ßap'JT^pav  C<»V  ^^^  cpiXtpov  ßapßaptxov  iy%pa^  dvtapÖTcpov 
T-9JC  'AtTtx:^;  Myt^^oLi.  Sonst  noch  oft  in  meist  kurzen  Andeutungen 
höchste  Werlhschötzung  des  Hellenischen,  besonders  des  Attischen,  Gering- 
schätzung des  Barbarischen  ausgedrückt:  p.  14,  18  f.;  81,  1;  32,  8;  86,7; 
47,  16.  24  f.;  49,  26;  72,  13;  75,  6;  77,  32;  115,  20;  129,  32;  188,  24; 
202,  25;  217,  9;  280,  25. 

2)  Reden:  I  13;  I  19.  20;  21.  22;  29;  IV  19.  20;  X  16.  Pathetisches 
Selbstgespräch  des  Theagenes:  II  4.  —  Briefe:  p.  47,  6;  p.  106,  11 ;  131,  22; 
220,  3.  9;  274,  12;  20;  306,  23.  —  ''Cx^patJt;  der  Sculplur  auf  einem 
Amethyslringe :  V  14  (die,  p.  106,  26;  107,  3  (T.  erwähnten,  auf  einer 
.Malerei  dargestellten  fptuTc;  'Av^popifoa;  Te  xal  llepa^ai;  [vgl.  Heibig,  Campan. 
Wandmal.  p.  140  fT.]  kann  man  doch  kaum,  mit  Matz,  De  Philostr.  in  descr. 
imag.  (ide  p.  14,  zu  den  äxcpodaei;  rechnen). 

3)  Darüber  oben  p.  892  f.  —  An  Xen.  erinnert  noch  die  Aufnahme 
der  Flüchligen  bei  dem  alten  Fischer  auf  Zakynthus:  V  18. 

4)  Dem  Jamblich  (oben  p.  374)  dürfte  nachgebildet  sein  die  Scene,  in 
welcher  der  Held  an  der  Leiche  einer  Sclavin,  welche  er  für  die  Leiche  der 
Geliebten  halten  muss,  sich  zu  erdolchen  beabsichtigt:  II  3  ff. 

5)  Erkennung  der  Liebeskrankheit:  s.  oben  p.  55.  —  Die  Bublerin 
Rhodopi^ll  25  ist  der  bekannten  Hetäre  gleichen  Namens  (Herodot  U  182  etc.] 


—    459     — 

amuerkennen  haben,  dass  sein  wesentlichstes  Verdienst  in  dem 
Entwurf  und  der  Ausführung  des  Planes  seiner  Erzählung  liegt^ 
welcher  man  einen  grossartigeren  Zug,  einen  sinnreicher  ge- 
dachten, fester  gefugten  Aufbau  nicht  absprechen  darf  im  Hin- 
blick  auf  die  übrigen  sophistischen  Romane,  mit  welchen  man 
den  des  Heliodor,  wie  billig,  zunächst  doch  nur  vergleichen 
wird. 

Was  endlich  die  sprachliche  Ausdrucksweise  des  Heliodor 
betrifil,  so  ist  diese,  im  Einklang  mit  der  Feierlichkeit  seiner 
ganzen  Handlung,  vornehmlich  durch  das  Bestreben,  einen  immer 
auf  gleicher  Höhe  getragenen  Ton  der  Rede  festzuhalten,  aus- 
gezeichnet. Leider  entspricht  dem  Willen  die  Kraft  nur  wenig; 
die  Feierlichkeit  artet  vielfach  in  eine  schwülstig  grossspreche- 
rische  Redeweise  aus;  ein  leeres  und  hohles  Pathos,  immer 
festgehalten,  verdriesst  uns,  weil  die  Gedanken  einer  so  um- 
ständlichen weitgebauschten  Einkleidung  allzu  wenig  würdig 
erscheinen ;  dazu  merkt  man  noch  überall  den  Fleiss,  aber  auch 
die  Mühe  mit  welcher  der  Sophist  seine  Perioden  drechselt,  die 
oft  genug  ganz  unleidlich  geziert  und  frostig  herauskommen^]. 
In  die  breit  wallenden  Falten  seiner  Rede,  welcher  er  so  gerne 
den  schwerwuchtigen  Fall  ernster  Erhabenheit  geben  möchte, 
hat  er  dann  zahlreiche  kurze,  knapp  gefasste  allgemeine  Sen- 
tenzen, wie  Edelsteine  sauberster  Bearbeitung,  einfügen  wollen. 
Er  mochte  empfinden  wie  schwer  es  sei,  ein  Allgemeines  auf- 
zufassen und  kurz  auszusprechen :  aber  man  kann  freilich  nicht 


nachgebildet.  —  Das  Abenteuer  des  Knemon  und  seiner  Stiefmutter  ist  eine 
der  freilich  häufigen  (vgl.  Limburg  -  Brouwer  bist,  de  la  civilis,  des  Grecs 
1 437.  474;  und  s.  oben  p.  34  A.  4J  Nachbildungen  der  Sage  von  Phaedra  und 
Hippel ytus.  Demaenete  erinnert  auch  selbst  daran  p.  48,  44:  %al  rept- 
^7).0'jaa  (tön  KvTjfxtuva),  6  vio;  'litiröXiiTo;,  6  9t]0cu;  6  ^fiö;,  IXeycv.  Dass  es 
Unsinn  sei,  den  geliebten  Stiefsohn  zugleich  als  Hippolytus  und  als  Theseus 
zu  begrüssen,  bemerkte  bereits  Korais  (11  p.  4  9):  er  vermutbet:  6  Br^alw^ 
i>t6;.  Die  Aenderung  ist  nicht  leicht,  auch  der  Zusatz  wenigstens  entbehr- 
lich.    Vielleicht  ist  die   Stelle  durch   eine   Lücke    entstellt;    etwa:   6  v£o; 

1)  Man  höre  beispielsweise  den  Kalasiris  p.  61,  5  ff.:  natoec  dpi-fitope^ 
ifjiol  ^e^ov^Te;'  tu-^tq  y^P"  P-^'-'  ^*^^  to6toü;  div£Sei5av ,  xaX  dizixtxos  ai  ^^yfi^ 
^Ive;,  xai  <p6oi;  t]  (tot&coic  in  auToi;  dvo[jLbfttj,  xal  ratipa  fi-e  dTzh  TaytTjc 
ii^Tvoi  xal  iv6{jLiaav  xal  (iivtSfiaaav.  Oder  man  lese  so  mühsam  gedrechseile 
Wortverschränkungen  wie  p.  4  84,  28 — J9;  oder  die  witzelnden  Antithesen 
p.  84,  9,  wo  Thyamis,  die  Chariklea  in  der  Höhle  einsperrend,  betrübt  ist 


—    460    — 

sagen,  dass  an  seinen  nüchtern  altklugen  Gnomen  etwas  anderes 
als  die  Mühe  der  Fassung  zu  loben  ware^].  Sein  sprachlicher 
Ausdruck  ist  ein  achtes  Sophistenwerk.  Ein  durchaus  künst- 
liches Froduct,  aus  den  verschiedenartigsten  Saften  zusammenge- 
braut. Im  Uebermaass  hat  er  die  Dichter  geplündert:  dem  Homer 
zumal  und  dem  Euripides  entlehnt  er  vielfach  ganze  Rede- 
üoskeln  2j ,  häufig  auch  einzelne  poetische  Worte ,  welche  er, 
seltsam  genug,  in  seiner  eigenen  Prosa  verbraucht  3; .  Heliodor 
hat  otTcnbar  sehr  lebhafte  Absichten  auf  die  Ausbildung  einer 
poetischen  Prosa:  kein  Wunder,  dass  ihm  das  ganze  poetische 
Lexicon  dienen  muss,  dass  er  dem  angemessenen,  einfach  zu- 
treffenden Ausdruck  förmlich  ausweicht,  um  einen  ganz  haus- 
backenen Begrif!'  mit  einem  hochstrebenden,  für  ganz  andere 
Zwecke  geprägten  Worte   unzutrefTend    zu    umschreiben^^.     Er 

XaplxXetav,  vuxtI  xat  Co?«»  ripa^e^mxot);.     Aehnliches  häufig. 

1]  Hier  ein  Verzeichniss  der  Fundorte  solcher  Sentenzen,  welche  der 
Dichter  bald  in  eigenem  Namen  vorträgt,  bald  auch  (und  oft  im  heftigsten 
ACTect!)  seinen  Heiden  in  den  Mund  legt:  p.  6,  40;  8,  40;  20,  4;  84,  21; 
32;  43;  48,  27;  63,  30;  82,  27;  88,  24;  400,  2;  404,  82;  447,28;  457,4; 
462,  29;  463,  7;  466,  4;  473,  24;  486,  34;  494,  25;  223,  25;  224,  29; 
227,  22;    229,  28;   233,   24;  235,  3;   247,   24;  249,   46;  250,  6. 

2)  Die  aus  Homer  entlehnten  Wendungen  und  Worte  bezeichnet  sorg- 
fältig, an  der  gehörigen  Stelle,  Korais  im  Commentar.  Vgl.  auch  Naber  in 
seinen  Observationes  criticae  in  Heliodorum,  Mnemosyne  N.  S.  I  (4878; 
p.  447  f.  Ebendort  p.  4  48  einige  Nachahmungen  anderer  Dichter.  Aus 
Euripides  übrigens  nicht  nur,  wie  N.  angiebt,  p.  4  4,  24  f.  (Eur.  Med.  4847;, 
sondern  auch  p.  4  5,  9:  dX//  Snw;  dvf,p  larj  fCycl.  505)  p.  4  98,  31  )^a((>ovTa; 
eu^TjjjLoOvxa;  ix7:£{xTteiv  ;W|itüv)  :  Plularch.  de  aud.  poet.  4  4  extr.  Vgl. 
noch  Korais  II  p.  82.  p.  208.  —  Verse  oder  Reste  von  Versen,  deren  Silx 
ich  nicht  nachweisen  kann,  finde  ich  noch:  p.  454,  48:  tdriycipa  t«v 
r^vwv;  p.  4  78,  4:  '^f^^  It:  hydxoii  2f>oi;;  (vielleicht  p.  62,  4:  6  Atövuso; 
»yaipei  ts  {lüftoi;  xai  cpiXet  xojfxwoia;«?).  —  Das,  für  prosaische  Erzählung 
viel  zu  genau  ausgeführte  Gleichniss  p.  60,  42  fi.  ist,  wie  Korais  bemerkt, 
entlehnt  aus  Moschus  idyll.  iV  21— 2S. 

3)  Poetische  Worte:  TtXoToreOciv  p.  36,  4;  xuXotoiäv  4  04,  24;  ßeßTjXoOv 
64,  25;  308,23;  Tzlffio^  Partie.  4  42,  26;  ,3u30o(o(xe6civ  493,28;  ^u^^opprfclv 
265,  24;  3|i6/ea0ai  xatd  tivo;  225,  4  (vgl.  294,  8;;  öfi^f^  4  09,  4;  oip(«yo; 
260,  47;  didoOaXo;  52,  23;  'EXXa;  für  'EUf^v  73,  28;  240,  80;  drpirftv 
486,  5;  TEXNOXTÖvo;  294,  4;  dip^io;  (hier:  furchtbar  gross]  297,  8;  fiXav 
St.  fiKoxTOL.  (Pierson.  Moer.  4  08.)  Ich  weiss  wohl,  dass  manches  von  diesen 
Wörtern  auch  bei  anderen  Prosaikern  der  sophistischen  Periode  erscheint: 
sie  bleiben  darum  nicht  weniger  von  Rechtswegen  poetisches  Gut. 

4;  Als  Beispiele  des  Gebrauchs  starker,  oder  speciell  gewendeter  Worte 


—     461     — 

empfindet  nicht,  wie  schaal  gerade  durch  übermässige  Verwen- 
dung allzu  hoher  und  volltönender  Worte  ein  prosaischer  Stil 
wird.  Ueberaus  reich  ist  er  an  selbster fundenea,  nicht  immer 
nach  richtiger  Analogie  gebildeten  Zusammensetzungen.  Der- 
gleichen liebten  die  Sophisten :  man  konnte  sich,  in  dem  willi- 
gen Material  der  griechischen  Sprache,  so  leicht  als  ein  schöpfe- 
rischer Sprachbildner  erscheinen  I  Ein  Bestreben  nach  altattischen 

in  einem  allgemeinen  und  abgeschwächten  Sinne  mögen  folgende  dienen: 
'fvtoptCetv  Ttv(  Tt,  Jemanden  etwas  zuertheilen  oder  ähnlich:  60,  17  u.  ö.; 
^pu^pcla(h[( ,  ganz  abgeschwächt  5d,  28;  64/8;  t59,  4;  dtroaxopoxtCetv 
'fifMv  74,  13;  irepiOTOcxi&tv  ganz  allgemein:  umgeben  8S,  S4;  418,  17; 
18S,  4;  239,  6;  244,  17;  278,  8;  fAväsdat  itöXtv  raTpi^a  92,  4;  icupfopelv 
Xay^ndha  97,    11;   dva^Vjoaa&at  d^^va;   97,   ;!3;   ^^tdiCeiv  (einfach:  steigern) 

119,  21 ;  ein  merkwürdiger  Vielgebrauch  tön  ^noÄv,  irape|pav,  ^trppäaOai, 
xorrfYudv;  ftuetv  (nur:  miltheilen)  6f,  MI;  72,  18;  91,  9.  itcptYpdi^iv 
(»entfernen«)  passim,  z.  B.  65, 'S;  icaTijvai  (vor  Schreck)  106,  14;  111,  27;  . 
9Vfq^Ut^  129,  15;  174,  1;  182,  22;  frfjpaTpa  d^ppoSCora  64,  19;  Xwx6v 
(»deutlich«)  204,  19;  olorörepON  63,  81.  —  AffecUrt:  t6  ScuTepeDov  278,  6; 
t6  jji€Otüov    112,    27;    278,    10;    299,    19.      fairrtCeiv  187,    5;    oufiißairrCCwÄai 

120,  15;  iXx6e(N  ^Xmaoav  78,  23;  fbMveiv  xt  308,  80;  d<paua(vct^  braten  86,  14. 
—  Sehr  deutlich  zeigt  sich  diese  Sucht,  starke  Ausdrücke  zu  gebrauchen, 
den  eigentlich  zutreffenden,  einfacheren  Bezeichnungen  auszuweichen,  in 
solchen  Fällen,  wo  Heliodor  em  gewöhnlicheres  Wort  durch  ein  ferner 
liegendes,  bildliches  ersetzt,  und  dieses  nun  construirt  wie  das  eigentlich 
zu  setzende  Wort. '  Von  dieser  abscheulichen  Unart  ist  sein  Buch  ganz  voll. 
Zar  Verdeutlichung  einige  Beispiele,  p.  112,  27:  toO  p.cae6ovTOc  dirslpou 
itaar^fiaTOC  ouvexSpafieTv  tiq  ttt^oci  ti^n  %i*3N  £ve$pe69avT0c:  statt 
x<»X69avroc.  —  p.  181,  8:  xö  Tipäf fxa  oöx»;  fyeiv  diiaxT]deU  (=  o6x  dp&w^ 
•jitoXaßc6v) ;  vgl.  p.  208,  8.  9;  —  p.  154,  27:  ol  oe  fiV)  xaxaXieödai  xiv 
v(5fiov  ddop'jßouv  (etwa  für:  auv  TtoXXtp  dop6ß({)  -^Slouv).  —  Aus  derselben 
Sucht,  gewählt,  sinnlich  reich  und  voll,  dichtergleich  sich  auszudrücken, 
ist  an  vielen  Stellen  ein  sehr  abgeschmackter  Missbrauch  bildlicher  Aus- 
drücke in  einem  falschen  Bilde  entstanden:  ein  bedenklichstes  Merkmal 
des  ^u^p<iv  und  %ax(SC7]Xov  poetisirender  Prosa.  Z.  B.  p.  51,  18:  cpövov  Ixi 
^P;a6v  x6v  o(5T}pov  dcorxuovxa.  p.  15,  29:  cpeioat  roXtwv  al  oc  dvfdpc^^av I 
p.  58,   15:  oxoXV)  %a\  i(S%i^z  :Tpö;  xö  eXXrjNixdixepov  ßXirouoa  u.  s.  w. 

1)  Selbstg\ßmachte  Wörter:  irpo'JiiexX'jetv  261,  17;  icpoeiSoiXoTuoietv  271,  20; 
^arsü^ta^ai  217,  13;  Xa^apöxT);  260,  8;  ÄTjpoxifio;  299,  1;  otot]pÖ7:Xo%0( 
260,  7;  öveipo^cv/)«  271,  31;  dnpöfiayo«  117,  26;  octpifjviov  122,  27;  drpoo- 
cpuXoc  130,  1;  i^Xdoxcio;  192,  2;  Trpocfißax^piov  ifipi^)  154,  14;  dvdf paTTTO^ 
87,  3;  piioöXexxpo;  87,  21;  %axaTjoxd$7]v  260,  80;  xop{xt]S6v  262,  7.  —  Eigen* 
mächtiger  Gebrauch  von  sonst  anders  gebrauchten  Worten:  ■^t\un\>.isoi  x6 
ÖyL\iLa  88,  15;  da^piaiveiv  xi  98,  14;  dpLTjyaveiv  c.  Infin.  51,  15;  XTjpoi 
»Wachsfackeln«  256,  18;  iroXu^po«  transitiv  140,  26;  dospl  (das  Wort  liebt 
er  überhaupt)  Apac  174,  80. 


—    462    — 

Feinheiten  des  Ausdrucks  ist  nicht  zu  bemerken;  es  überwiegt 
das  Vergnügen  an  einem  dichterisch  blühenden  vollen  und 
prunkenden  Reichthum  der  Sprache.  Gleichwohl  sind  die  zahl- 
reichen Spuren  spatgriechischen  Sprachgebrauchs^),  arger  Nach- 
lässigkeit in  Beugung  und  Fügung  der  Worte,  ja  mancher  un- 
erhörter Soioecismen  und  Barbarismen  2) ,  welche  von  dem  Prunk- 


1)  Schlechter  Gebrauch  von  splitgriecbischen  Formen  der  Conjagation 
und  Declination,  falscher  Constniclion  der  Rede,  auch  unallischer,  aber  bei 
vielen  Späteren  üblicher  Worte:  s.  Naber  a.  0.  p.  45S— 160.  (Beilfiafig  sei 
bemerkt,  dass  in  seiner  gelehrten  Abhandlung  Naber  sich  viele  Mühe  und 
eine  grosse  Anzahl  seiner  Conjecturen  sparen  konnte^  wenn  er  nur  nebeo 
Hirsch igs  Ausgabe  des  Heliodor  auch  die  Ausgaben  von  Korais  und  Bekker 
in  die  Hand  hütte  nehmen  wollen,  in  welchen  sehr  viele  der  von  ihm 
behandelten  Schäden  längst  gehoben  sind.  Ein  einziges  Beispiel.  Naber 
sagt  p.  333:  »turpe  est  in  paucis  Vitium  quod  nescio  quomodo  per  omnes 
deinceps  editiones  propagatum,  viros  doctos  latuisse  videtur«  näm- 
lich in  dem  Orakel  des  Apollo  U  35 :  fi^ovr  i^cX(ou  rp^;  ydöva  •*Mv*ir^y,  Das 
soll  in  allen  Ausgaben  stehen?  es  steht  zwar  in  der  überaus  nachlässig 
gemachten  Hirschigschen ;  aber  T^orc'  liest  man  bereits  bei  Kora'is  p.  406,  44« 
und  ebenso  bei  Bekker  p.  77,  4  0.  —  Und  so  in  vielen  Fällen.)  —  Von 
spälgriechischen  Worten  hebe  ich  noch  hervor:  ivi^pefjiciv  34,  5;  'ft^nhvKtw 
de  re  Venerea  45,  27;  f>utaxc98at  56,  26;  oru-pKllto}  496,  26;  i^&pbfCccv 
488,  24;  ypcooTreiodai  (passiv.)  453,  44;  466j  42;  489,  47;  495,  24;  i:po- 
xaTT|y6tv  255,  4;  8eorXa9TCtv  254,  48;  d7:a\}^ahuifi<niL7.i;  Bia^OTY^Cctv  245,  9; 
ortXoOv  288,  47;  f^oetv  transit.  805,  4  0  (wie  Achill.  Tat.  p.  40,  7);  (A07aXU 
284,  46;  d^a^tb^axo^  (Lobeck  Phryn.  p.  92  f.);  stets  9eX7]va(a  (nach  Lo(>eck 
Paralip.  844  f.  vulgär)  statt  ocXtjvt]:  23,  3;  484,  5;  445,  23;  475,  43;  80; 
287,  42;  276.  45;  46;  49;  278,  23;  279,  26;  294,  4.  (In  Nachahmung  des 
Hei.  wohl  Achill.  Tat.   p.  4  03,  3.) 

2)  Von  Heliodors  Barbarismen  der  ärgste  ist:  ol  ^(i^rzt^  st  ol  cp^sovic; 
»die  Eltern«;  hervorgehoben  bereits  von  Kora'is  II  p.  72  u.  ö. ,  dann  auch 
von  Cobet  Mnemos.  VI  letzte  Seite,  und  von  Naber  a.  0.  p.  454.  Sonst: 
IpafjLfia,  der  Brief  48,  4  ;  276,  4.  6;  6  (xstpa^  u.  A. :  s.  Naber;  dva^rvetv  Ttv« 
54,  47;  239,  44;  xd  oifiiXT^fiiia  72,  44;  das  Perfeckum  Tjvtaxe  207.  23; 
f|{jiepüv  Tpiwv  von  Zeitdauer  248,  45  [so  freilich  auch  Philostratus  V.  Apoll, 
p.  424,  6  (ed.  Kayser  4  870) :  p.7;Nä)v  -errölpcDV  ix£t  ^iaTp('j»avT(;  ebd.  p.  229,  24; 
JCenoph.  Eph.  p.  360,  3;  374,  49  (ed.  Hercher) ;  Achilles  Tatius  öfter 
(s.  meine  Schrift  über  Lucians  Ao6xio;  -i^  'Ovos  p.  35  A.  3)  u.  s.  w.  Bei 
Porphyrius  V.  Pyth.  35  p.  27,  49:  brMt  jiiXXoi  ^vroüÖa  yp^Nou  tivo;  (soder 
Archetypus  der  Hss. ,  cod.  Bodlejan.  Gr.  misc.  254j  äviiaTpl^'civ  corrigirt 
Nauck:  ypövov  Ttvd,  ohne  Grund;  vgl.  Achilles  Tat.  VII  4  4,  2:  yp^vou  t:oXXo3 
iioTpi'f/a;  Ixuyev  iv  T6p9.  Bei  Procop.  Gaz.  epist.  4  64  p.  596,  27:  iza^ihw 
dhtk^irt  TooouTou  ypdvo'j  Tcp  Xtpi<|>  7:uCÖ(itcvov.  Hercher  corrigirt  ohne  Noth: 
ToaouTov  /pÖNOv].   Soloek  sind  jedenfalls  die  Constructionen :  ^^Ofjval  oc  ispoe- 


—     463     — 

gewande  der  Übrigen  Rede  des  Heliodor  garstig  abstechen, 
sicherlich  weniger  seiner  absichtlichen  Gleichgültigkeit  als  einem 
mangelhaften  Studium  der  bereits  todt  gewordenen  Schriftsprache 
zuzuschreiben.  Sie  übrigens  vollenden  den  Eindruck  der  er- 
künstelten Unnatur  dieser  aus  so  bunten  Elementen  mühsam 
zusammengesetzten  Sophistensprache. 

Alles  zusammengefasst  lUsst  den  Heliodor  immerhin  als  den 
bedeutendsten  Vertreter  des  sophistischen  Liebesromanes  er- 
scheinen; wofür  ihn  seine  byzantinischen  Verehrer  auch  stets 
genommen  haben.  Es  wlire  nun  für  unsere  ganze  Betrachtung 
^hr  wichtig,  die  Zeit  dieses  »phOnicischen«^)  Rhetors  genauer 
bestimmen  zu  können.  Diese  wird  nach  unten  hin  begrenzt 
durch  die  Erwähnung  seines  Romans  bei  Sokrates.  Das  Gerücht 
von  der  Ghristlichkeit  des  Heliodor  ist  uns,  als  ein  reines  Miss- 
verständniss  eifriger  Bewunderer,  völlig  zerflattert;  schwerlich 
aber  konnte  sich  eine  solche  Sage  eher*  bilden  als  geraume 
Zeit  nach  der  Herausgabe  des  Buches.  War  also  die  Person 
unseres  Sophisten  bereits  um  die  Mitte  des  fünften  Jahrhun- 
derts zu  sagenhafter  Unkenntlichkeit  verflüchtigt,  so  wird  man 
dessen  wirkliche  Lebenszeit  allerspatestens  in  die  zweite  Hälfte 
des  vierten  Jahrhunderts  setzen  dürfen.  Zu  einem  Zeitgenossen 
etwa  des  Libanius^)  macht  den  Heliodor  auch  die  gewöhnliche, 
an  die  bei  Sokrates  berichtete  Sage  als  an  ein  Faktum  sich  an- 
lehnende Annahme.  Indessen  erscheint  eine  so  späte  Ansetzung 
jetzt  nicht  mehr  statthaft,   wo  die  specifisch   heidnische  Fröm- 


TTcaYfieda  202,  4:  wir  sind  beauftragt,  dich  zur  Herrin  zu  bringen,  zu 
bewirken,  dass  du  von  der  Herrin  gesehen  werdest;  t6v  veavlav  a^^tv 
dxo6aaaa  2t 8,  10:  nachdem  sie  den  Auftrag  bekommen  hatte,  den  Jüngling 
hinzubringen.  —  reptouo(a  »Vermögen«  sehr  oft:  z.  B.  4  2,  2. 

1)  Beilfiufig  gesagt:  die  Bezeichnung  des  Heliodor  als  dvi^p  <I)otNiS  'Efii- 
oi]v<Sc  am  Schluss  seines  Werkes  darf  nicht  etwa  zu  einer  Herabdrückung 
desselben  bis  in  die  Zeit,  wo  Theodosius  d.  Gr.  Emesa  zur  Metropolis  von 
Phoenice  Libanensis  machte  (Malalas  p.  845,  3  ft.)  gebraucht  werden. 
Schon  vorher  zur  Syria  Phoenice  gehörig,  wird  Emesa  öfter  geradezu 
zu  Phoenicien  gerechnet:  z.  B.  Ammian.  Marceil.  XIV  8,  9  und  schon  viel 
früher  (Marquardt,  Rom.  Alterth.  Ill  1,  198  A.  1887). 

3)  Ohne  irgend  welchen  besonderen  Anhalt  machte  Hieron.  Wolf  den 
gelegentlich  in  den  Briefen  des  Libanius  vorkommenden,  in  Constantinopel 
und  in  Italien  der  Redekunst  beflissenen  Heliodor,  einen  jüngeren  Freund 
des  Libanius,  zum  Verfasser  der  Aethiopica.  S.  Fabricius  B.  Gr.  VIll  127 
Harl. 


—     464     -^ 

migkeit  des  Heliodor,  die  Verwandtschaft  seiner  religiösen  Vor- 
stellungen mit  denen  des  ApoUonius  von  Tyana  kenntlich  ge- 
macht ist.  Sein  Ueidenthum  tragt  viel  zu  sehr  den  Charakter 
der  Unbefangenheit,  als  dass  man  ihn  für  einen  Zeitgenossen 
des  Kaisers  Julian,  des  » göttlichen a  Jamblichus  und  seiner  Schule 
halten  durfte.  Zwar  solche  Leute  welche,  gleich  Libanius  oder 
Himerius,  in  religiöser  Beziehung  wesentlich  indifferent  waren, 
wurden  auch  damals  noch  durch  ihre  classische  Bildung  bei 
einpr  leidlichen  Einfachheit  und  altgriechischen  Klarheit  der 
mythologisch  -  religiösen  Vorstellungen  festgehalten.  In  from- 
men, altgläubigen  Griechen  rang  in  jener  Zeit  eine  angestrengtie^ 
fast  verzweifelte  Inbrunst  der  Liebe  zu  den  alten  Göttern  mit 
den  gewaltsam  herandrängenden  religiösen  Forderungen  einer 
neuen  Welt ;  im  Kampfe  mit,  und  doch  unter  dem  tiefwirkenden 
Einflüsse  des  Christenglaubens  gebar  die  letzte  Krall  des  Helle- 
nenthums  jene  seltsame  Welt  von  Dämonen,  Geistern,  Engeln, 
zu  Göttern  hypostasirten  Begriffen,  deren  Rangfolge,  Macht  und 
Wirkungskreise  die  philosophische  Phantasterei  des  Neoplato- 
nismus,  auf  ein  genaues,  hierarchisch  gegliedertes  Schema 
brachte.  Wer  damals  fromm  war,  und  mehr  wohl  noch  wer, 
gleich  unserem  Heliodor,  aus  halb  künstlerischem  Interesse  aus 
der  Frömmigkeit  Profession  machte,  der  wurde  unweigerlich  in 
jenes  Gewimmel  neuplatonischer  Dämonen  gezogen  und  zu  jener 
schwärmerischen  Verzückung  mystischer,  philosophisch-theolo- 
gischer Gottbegeislerung  gezwungen,  welche  ganz  vornehmlich 
die  Schule  des  Jamblich  auszeichnet.  Man  braucht  gar  nicht 
die  Schulphilosophen  allein  ins  Äuge  zu  fassen :  man  nehme  nur 
die  populär  sein  sollende  Darstellung  des  Götterwesens  in  dem 
Büchlein  des  Sallustius  zur  Hand  ^] ;  man  betrachte  nur  die  ex- 

1)  Ich  nehme  mit  Fabricius  (s.  Orelli  ad  Sallust.  p.  4  94.  t)  and  Zeller 
(Philos.  d.  Gr.  III  %,  664  f.)  an,  dass  dieser  Sallustius,  der  Vf.  der  Schrift 
zcf>l  ^c&N  xal  xÖ9{iiou,  weder  der  bei  Damascius  vorkommende  Gyniker  noch 
ein  Neuplatoniker  aus  der  Schule  des  Proclus  sei,  sondern  ein  Freund  des 
Kaisers  Julian.  Es  gab  aber  drei  Leute  des  Namens  zu  jener  Zeit: 
s.  Wernsdorff  zu  Himerius  p.  U.  4  2.  Der  Philpsoph  ist,  wie  ich  ret* 
muthe,  nicht  der  praef.  praet  orientis,  sondern  der  praef.  praet.  Galliae, 
cos.  mit  Julian  368  (Amm.  Marc.  XXIH  4,  4).  Denn  von  diesem  «gl 
Julian  or.  Vlil  p.  827,  4  Hertl.,  er  sei  j^r^Topctov  ^xpoc  xal  ^tXoao^tcc 
o'jx  (Eircipoc  (Ihn  meint  er  auch  wohl  epist.  46  §  8;  ihm  ist  vennnthlich 
Julians   vierte   Rede   gewidmet;    ihn   meint   auch   Eunapius   Histor.    §  17 


—    465    — 

centrische  Phantastik,  mit  welcher  der  Kaiser  Julian  von  den 
Göttern,  und  nun  gar  von  dem  grossen  »König  Helios«  redet 
und  schwärmt:  und  man  wird  erkennen,  dass  ein  gebildeter, 
und  zumal  (wie  Julian]  rhetorisch  gebildeter  Mann,  wenn  er 
zugleich  dem  alten  Glauben  sich  ernstlich  anschliessen  wollte, 
in  jener  Zeit  schlimmer  Bedrängniss  durch  die  Christen ,  gar 
keine  andere  Zuflucht  überhaupt  finden  konnte  als  die  Lehre 
der  Neuplatoniker ,  deren  hoch  gespannte  Frömmigkeit  damals 
geradezu  die  griechische  Frömmigkeit  an  sich  geworden  war. 

Es  ist  nicht  zu  verkennen,  wie  ganz  anders  dieses  Alles  bei 
Heliodor  ist.  Von  dem  Göttergettlmmel ,  der  wilden  Theurgie, 
der  schwülstig  überspannten  Frömmigkeit  der  Neuplatoniker  noch 
keine  Spur;  gar  keine  Spur  vollends  von  ihrer  erstaunlichen 
Begriffsspalterei  und  schwindelerregenden  Äbstractionsfähigkeit. 
Ueberhaupt  gar  kein  Einfluss  des  Neoplatonismus ;  wohl  aber 
sehr  deutliche  Spuren  einer  Einwirkung  der  noch  viel  ein- 
facheren ,  dem  Volksglauben  noch  nicht  völlig  entfremdeten 
Glaubensweise  jener,  zwischen  Pythagoreismus,  Piatonismus  und 
Stoicismus  eklektisch  sich  bewegenden  frommen  Philosophen  der 
ersten  Jahrhunderte  der  christlichen  Aera,  welche  die  später  so 
hoch  gespannte,  fast  wie  eine,  freilich  ganz  fruchtlose,  anti- 
christliche Gegenreformation  zu  betrachtende,  religiöse  Phan- 
tastik  des  Neoplatonismus  erst  leise  intonirend  vorbereiteten. 
Heliodor  sieht  in  dem  Banne  der  Anschauungsweise  des  Apol- 
lonius  von  Tyana,  genauer  gesagt,  jenes  durch  Damis  und  Phi- 
lostratus  gemeinsam  erzeugten  neupythagöreischen  Idealbildes 
des  Apollonius  von  Tyana.  Noch  halte  ofTenbar,  zur  Zeit  des 
Heliodor,  die  viel  straffer  gespannte  Betrachtungsweise  der  neu- 
platonischen Philosophen  diese  mehr  populäre  Weise  philosophi- 
scher Frömmigkeit  nicht  abgelöst:  die  Frömmigkeit  seiner  Zeit 
ist,  um  es  kurz  zu  sagen,  nicht  die  neuplatonische,  sondern 
die  neupythagoreische. 

Ich  kann  mir  demnach  den  Heliodor  nicht  als  einen  Zeit- 
genossen des  Jamblichus  und  Julianus  vorstellen.  Ich  sehe  an- 
dererseits nichts  was  uns  veranlassen  könnte,   seine  Lebenszeit 


€.  Müll.)  —  Die  Schrift  darf  also  als  ein  populäres  (s.  c.  4  3  p.  4S  Or.) 
Blanifest  des  neuplalonischen  Glaubens  aus  der  Schule  des  Jamblich  gelten : 
und  nun  vergleiche  man  etwa  mit  Heliodor  die  Götterlehre  dieses  Büch- 
leins (c.  6)  oder  dessen  Bestimmung  der  Bedeutung  der  T6-/7]  c.  9  p.  84. 

Roh  de.  Der  griechische  Roman.  30 


—     466    — 

über  die  zweite  Hälfte  des  dritten  Jahrhunderts  herunter  zu 
drücken.  Jedenfalls  lebte  er  nach  dem  zweiten  Philostratus, 
dessen  Biographie  des  Apollonius  von  Tyana  er  gekannt  haben 
muss;  aber  warum  soll  er  nicht  ein  Zeitgenosse  des  dritten 
Philostratus,  ein  Mitglied  der  zweiten  unter  den  oben  bezeicb- 
neten  drei  Hauptperioden  der  Sophistik  gewesen  sein?  Wenn 
es  sehr  begreiflich  ist,  warum  mit  den  meisten  anderen  Mitglie- 
dern dieser  zweiten  Periode  auch  unser,  doch  keineswegs  ganz 
verächtlicher  Rhetor  in  der  litterarhistorischen  Ueberlieferung 
völlig  verschollen  ist,  so  könnte  man  sein  Bild  recht  wohl  sich 
erneuern,  wenn  man  ihn  etwa  in  die  Zeit  des  Kaisers  Aurelian 
versetzte.  Gleich  dem  Kaiser  ein  Verehrer  des  Apollonius  von 
Tyana  ^),  dessen  GuIt  übrigens  von  Emesa,  des  Ueliodor  Vater- 
stadt aus,  durch  die  Emisenerin  Julia  Domna  angeregt  war; 
gleich  dem  Kaiser  ein  gläubiger  Verehrer  des  Helios  als  des 
obersten  Gottes  ^j,  mochte  er  in  Emesa  ein  Zeuge  der  gewaltigen 
Kämpfe  mit  jenen  Persem  und  ähnlichen  »Barbaren«  gewesen 
sein,  denen  er  es  in  seinem  Romane  so  tlbei  gehen  lässt;  in 
den  Leiden  seiner  treu   zu  Rom  stehenden  Vaterstadt^)  mochte 


1)  Mao  lese  die  merkwürdige  Geschichte  von  der  TrautnerscheiDiuig 
des  Apollonius  bei  Vopiscus  vita  Aureliani  S4.  Natürlich  wfire  er  dem 
Aurelian  nicht  erschienen,  wenn  dieser  ihn  nicht  in  verehrenden  Gedanken 
schon  vorher  gehegt  hütte. 

2)  Ueber  den  Cult,  welchen  Aurelian  dem  Sonnengott«  von  Bmen, 
dessen  Dienst  er  ja  auch  nach  Rom  verpflanzte  (vgl.  Marquardt,  Hdb.  d. 
röm.  Alt.  IV  92)  widmete,  s.  namentlich  Vopiscus  V.  Aurel.  S5,  4;  Zi,  7; 
S5,  3 ;  39,  S.  6.  —  (Das  Ausschweifendste  im  Sonnendienste  leistet  übrigens 
wohl  Macrobius,  welcher,  Saturn.  I  17— i8,  der  Reihe  nach  alle  anderen 
Götter  mit  dem  Helios  identificirt.) 

3)  Wie  unter  Valerien  die  Emisener  Shapor  von  Persien  abgewiesm 
haben,  erzählt  (nicht  ohne  fabelhafte  Ausschmückung)  Malalas  Chron.  p.  t%$ 
Bonn.  Später  waren  sie  der  Zenobia  feindlich,  den  Römern  freundlich  ge- 
sinnt, und  empfinj>;en  daher  jubelnd  den  siegreichen  Aurelian:  Zosimus  154. 
—  Die  Stadt  wurde  bereits  (um  260)  von  Balista  so  mitgenommen  »ut  ci- 
vitas  paene  tota  delerelur«:  Trebell.  Poll.  Gallien.  3,  4:  daher  denn  Gallien 
in  Emesa  ein  Upov  (jl^y«  (doch  wohl  des  Sonnengottes)  zu  gründen,  richtiger 
wohl  neu  zu  gründen  hatte:  Malalas  p.  298,  10.  Später  muss  die  Sladl 
aufs  Neue  sehr  gelitten  haben:  t)  o'jxi-ct  ::6Xt;  heisst  sie  bei  Lihanius  11 
p.  132.  Der  Tempel  bestand  gleichwohl  noch:  wie  von  einem -besteheodeo 
redet  Julian  or.  IV  p.  195,  12  ff.  (vgl.  p.  200,  2)  ed.  Hertlein  (*E(i£oav  mit 
Spanheim).  Die  Einwohner  waren,  wie  leicht  zu  begreifen,  noch  damtli 
eifrige  Heiden :  auf  einen  Wink  Julians  verbrannten  sie  die  td^ot  tAv  FoXi* 


—    467    — 

er  seinen  Hass  gegen  die  »Barbaren«  genührt  haben;  im  frohen 
Gefühl  des  endlichen  Sieges  mochte  er,  stolz  auf  seine  Zuge- 
hörigkeit zu  der  treu  bewährten,  im  erneuten  Glänze  des  Sonnen- 
dienstes schimmernden  Stadt,  seinem  Romane  die  Schlussworte 
hinzusetzen :  dieses  schrieb  ein  phönicischer  Mann  aus  Emesa, 
aus  dem  Geschlecht  der  vom  Helios  Herstammenden,  des  Theo- 
dosius  Sohn,  Heliodorus. 

5. 

Es  folge  der  Roman  des  Achilles  Tatius  »Die  Geschichte 
der  Leucippe  und  des  Klitophon«  in  acht  BUchem. 

Vor  einem  Bildniss  in  Sidon,  welches  den  Raub  der  Europa 
darstellt,  trifll  der  Verfasser  mit  einem  Jüngling  zusammen,  welcher 
ihm  seine  Abenteuer,  als  ein  Beispiel  der  Macht  und  des  Ueber- 
muthes  des  Eros,  erzählt.  Er  heisst  Klitophon  und  stammt  aus 
Tyrus.  Sein  Vater  Hippias  hatte  ihm  eine  Tochter  aus  zweiter  Ehe, 
Kalligone,  zur  Ehe  bestimmt.  Klitophon  aber,  vorher  mit  diesem 
Plane    ganz   einverstanden,    wird    anderen   Sinnes,    als   die  Tochter 


Xaion  (Jolian.  Misopog.  p.  96.  p.  107  ed.  Paris.  4566).  Ein  glänzendes 
Bild  von  Emesa,  Stadt  und  Tempel,  vom  Ende  des  vierten  Jahrhunderts 
würde  uns  die  begeisterte  Schilderung  des  Festus  Avienus  descr.  erb.  1084 
bis  1091  bieten,  wenn  anders  diese,  bei.  Dionys.  Perieg.  fehlende  Lob- 
preisung von  Emesa  wirklich,  wie  man  annimmt  (s.  Müller,  Geogr.  gr. 
cnin.  H  p.  XXIX  f.),  erst  von  Avien  zugesetzt  ist:  was  aber  doch  nach 
Steph.  Byz.  s.  'EjAis^a  sehr  zweifelhaft  ist.  Eine  gewisse  Blüthe  der  Stadt 
am  Ende  des  vierten  Jahrhunderts  scheint  auch  die  Thatsache  zu  bezeugen, 
•dass  Tbeodosius  d.  Gr.  Emesa  zur  Metropolis  von  <I>otN(%T]  At^vfjoto;  machte : 
Malal.  p.  345,  3  ff.  —  Uebrigens  rühmt  Avien  1087  f.  die  Studien  der 
Emesener:  incola  claris  cor  studiis  acuit.  Von  Sophisten  stammten,  ausser 
unserem  Heliodor,  aus  Emesa  Fronto  (zur  Zeit  des  Alex.  Severus)  und  ül- 
pianus:  s.  Suidas:  der  letzte  wohl  nicht  verschieden  von  dem  Sophisten 
Ulpianus,  der  bei  Suidas  'Avtio^^eu;  rfj;  Supla;  heisst,  aber  wohl  nur  nach 
<lem  Orte  seiner  Wirksamkeit  (wirklich  kommt  bei  Libanius  epist.  758 
[8.  Sievers,  Liban  p.  42  A.  228]  ein  Rhetor  Ulpian  in  Antiochia  vor);  denn 
«s  heisst  gleich  weiter:  Trat^eOoa;  TtpÖTepov  (unter  Constantin  d.  Gr.)  eU 
*Efjieoav:  hoffentlich  ja  doch  nicht  vor  nciner  Geburt  in  Antiochien.  Diese 
kann  also  mit  der  Bezeichnung  'AvTioyeu;  nicht  gemeint  sein.  —  (Die  Stadt 
•existirt  bekanntlich  noch  jetzt  als  Hems  oder  Hims.  Aber  wer  kennt  nicht, 
aus  den  Rückertschen  Makamen  des  Hariri,  den  Schulmeister  von  Hims, 
«das  berühmt  ist  durch  die  Zucht  —  von  Thorheitsgewächs  und  Narrheiüt- 
frucht«?  es  scheint  ein  syrisches  Schiida  geworden  zu  sein.  Sic  transit 
gloria  mundi). 

30* 


—     468    — 

seines   Vaterbruders    Sostratus,    Leucippe,    mit   ihrer  Mutter   aas 
Byzanz  nach  Tyrus  kommt,  um  während  der  Kriegswirren,  in  welche 
Byzanz  verstrickt  ist,   in  Tyrus  beim  Hippias  eine  Zuflucht  zu  finden. 
Er  verliebt  sich  alsbald  in  die  schöne  Fremde,  und  von  einem  etwas 
älteren  Freunde,   Klinias,  und  einem  schlauen  Sclaven,   Satyrus,  an- 
geleitet, weiss  er  die  häußgen  Gelegenheiten,   welche  ihn  beim  Mahl 
und  im  Garten  mit  der  Geliebten  zusammenführen,  wohl  zu  benutzen, 
um  mit  Erfolg  um  ihre  Gegenliebe  zu  werben.   Hippias  bereitet  indessen 
des   Sohnes   Hochzeit   mit  der   Kaüigone  vor:   da  wird   die   Kalligone 
von  einem  Jüngling  aus  Byzanz,  Kallisthenes,  welcher  mit  einer  Fest- 
gesandtschaft nach  Tyrus  gekommen  ^ar,  bei  einem  Feste  am  Meeres- 
strande  geraubt,    und   in    dem    Wahne,    dass   dies   die  Tochter   des 
Sostratus  sei,  um  welche  Kall,  sich  einst  vergeblich  beworben  hatte, 
zu  Schiffe    entführt.    —   Klitophon  giebt   sich    mit   der  Leucippe  ein 
nächtliches   Stelldichein   in   deren   Schlafgemach:    die   Mutter    kommt 
indessen  darüber  zu;   und,  wiewohl  der  schnell  enteilende  Klitophon 
nicht  erkannt  worden  ist,  findet  das  Paar  es  doch  nöthig,   in  Gesell- 
schaft des  Klinias  und  Satyrus  zu  entfliehen.     Sie  eilen  nach  Berytus 
und  schiffen  sich  dort  nach  Alexandria  ein.     Ein  Sturm  zertrümmert 
das  Schiff;    das  Liebespaar   rettet   sich  an  die  aegyptische  Küste  bei 
Pelusium.     Von   dort   nach  Alexandria  fahrend,   werden  sie  von  den 
Bukolen,  den  aegyptischen  Sumpfräubem,    gefangen.     Leucippe  wird 
fortgeschleppt,  um  als  Sühnopfer  für  die  Bande  geschlachtet  zu  werden; 
Klitophon,  zurückbleibend,    fällt  mit  den  übrigen  Gefangenen  in  die 
Hände   einer   Schaar  Soldaten,  welche   die  sie  bewachenden  Bäuber 
ergreift  und  vernichtet.     WeUerziehend ,  sehen  sie,  wie  die  übrigen 
Bäuber,   jenseits   eines   breiten  Grabens,    die  Leucippe   tödten,  ihre 
Eingeweide    opfern,    die    Leiche    eingraben,    und   sich   dann    davon 
machen.     Nachdem  der  Graben  ausgefüllt  ist,   eilt  Klitophon  hinüber; 
schon   ist   er,    in   einsamer   Nacht,    im   Begriff,    auf  dem  Grabe  der 
Geliebten  sich  zu  tödtcn:    da    kommen  Satyrus  und  ein  aegyptischer 
Jüngling   Menelaus,    den   sie   auf  dem  Schiffe  kennen  gelernt  hatten, 
herbei.     Sie   ziehen   alsbald    die  Leucippe   lebendig  aus  dem  Grabe, 
und  erzählen  dem  Klitophon,   wie  sie,   ebenfalls  an  den  Strand  getrie- 
ben,  von  den  Räubern  gefangen,   mit  der  Leucippe  zusammengetroffen 
seien ,    die  Opferung  sich   hätten    übertragen  lassen ,    und   mit  Hülfe 
eines   Theaterdolches    mit    zurückweichender   Klinge    und    eines    der 
Leucippe  vorgebundenen  blutgcfüllten  Darmes   scheinbar  die  TÖdtung 
vollzogen  hätten.  —  In  die  nunmehr  mit  Klitophon  wieder  vereinigte 
Leucippe  verliebt  sich  der  Anführer  der  Soldaten,   Charmides;  durch 
Menelaus  lässt  er  ihr  seine  Anträge  machen :  sie  bittet  nur  um  einige 
Tage   Aufschub,    bis   man    nach   Alexandria   komme.      Plötzlich   aber 
wird  sie  wahnsinnig,  durch  einen  allzustark  gemischten  Liebestrank, 
den   ein   ebenfalls   in   sie   verliebter  Soldat   ihr   einzuflössen  gewusst 
hat.     Die  Bukolen   besiegen,    durch   eine  List,   die  Soldaten;  andere 
Soldaten   vernichten   das   ganze   Räubemest;    von    Räubern    und  Sol- 


—     469    — 

daten  befreit,  zieht  Klitophon  mit  der  wieder  gebeilten  Leucippe  und 
den  Freunden  nach  Alexandria.  Einer  der  Soldaten,  Chaereas,  welcher 
mit  ihnen  gegangen  ist,  entführt  auf  einem  Schiffe  die  Leucippe: 
Klitophon,  auf  einem  KriegsschifTe  nachsetzend,  sieht,  wie  die  arg 
bedrängten  Räuber  ein  Mädchen,  der  Leucippe  gleich,  am  Bord  des 
Schiffes  enthaupten  und  den  Rumpf  ins  Meer  stürzen.  Er  fischt 
diesen  Rumpf  auf  und  bestattet  ihn  bei  Alexandria.  In  tiefer  Trauer 
dort  weiterlebend ,  lässt  er  sich  zuletzt  doch  von  einer  reichen  und 
schönen  Wittwe  aus  Ephesus,  Melite,  überreden,  ihr  die  Ehe  zuzu- 
sagen und  kehrt  mit  ihr  nach  Ephesus  zurück.  Gleich  am  ersten 
Tage  sieht  er  auf  der  Villa  der  Melite  eine  arg  misshandelte  Sciavin, 
welche  ihn  lebhaft  an  Leucippe  erinnert.  Ein  Brief  derselben,  welchen 
ihm  Satyrus  heimlich  übergiebt,  bestätigt  seine  Yermuthung.  Aufs 
Nene  an  die  einzig  Geliebte  erinnert,  muss  er  gleichwohl,  den  Bitten 
der  Melite  nachgebend ,  endlich  in  die  bisher  immer  aufgeschobene 
Hochzeit  mit  dieser  Frau  willigen.  Da  kommt  ganz  unerwartet  der 
erste  Mann  der  Melite,  der  sich  aus  einem  Schiffbruch,  in  dem  man 
ihn  umgekommen  geglaubt  hatte,  gerettet  hat,  wieder  nach  Ephesus. 
Er  lässt  den  Klitophon  fesseln  und  einsperren.  Melite,  welche  aus 
dem  Briefe  der  Leucippe,  welcher  dem  Klitophon  entfallen  ist,  den 
wahren  Namen  der  Sciavin  und  deren  Verhältniss  zum  Klitophon 
erfahren  hat,  besucht  denselben  im  Gefängniss.  Nachdem  sie  hier 
ihm  endlich  die  bis  dahin  verweigerte  Liebesumarmung  abgeschmeichelt 
hat,  wechselt  sie  mit  ihm  die  Kleider  und  lässt  ihn  entwischen. 
Auf  der  Strasse  stösst  er  auf  Thersander,  der  ihn  nun  in  das  Öffent- 
liche Gefängniss  werfen  lässt.  Durch  seinen,  von  der  Leucippe 
abgewiesenen  Sclaven  Sosthenes  angelockt,  macht  Thersander  der 
Leucippe,  welche  noch  auf  der  Villa  lebt,  einen  Besuch ;  heftig  ver- 
liebt macht  er  ihr  seine  Anträge,  aber  völlig  vergebens.  Nun  stiftet 
er  einen  Mann  an,  sich  mit  in  das  Gefängniss  werfen  zu  lassen  und 
dort  dem  Klitophon  von  der,  durch  Melite  angeordneten  Ermordung 
der  Leucippe  zu  erzählen,  deren  er  selbst,  mit  dem  wirklichen 
Mörder  zusammen  reisend,  fälschlich  angeklagt  sei.  Aufs  Tiefste 
erschüttert,  klagt  nun  Kl.  in  dem  Ehebruchsprocess  des  Thersander 
gegen  ihn  und  Melite  sich  selbst  des  Ehebruchs  und  der  Ermordung 
der  Leucippe  an.  Trotz  des  Widerspruches  des  Klinias  wird  er  zum 
Tode  verurtheilt,  und  soll,  um  über  die  Mitschuld  der  Melite  an 
Leucippens  Tode  auszusagen,  soeben  gefoltert  werden:  als  der 
Priester  der  Artemis  den  Verlauf  des  Gerichtes  hemmt,  weil  eine 
Festgesandtschaft  der  im  Kriege  siegreichen  Byzantier  an  die  Artemis 
angekommen  ist ;  an  ihrer  Spitze  Sostratus,  der  seine  Tochter  wüthend 
vom  Klitophon  fordert.  Leucippe  war  inzwischen,  da  Sosthenes  auf 
Oeheiss  des  Thersander  geflohen  war  und  die  Thüre  ihres  Gemachs 
unverschlossen  gelassen  hatte,  hülfeflehend  in  den  Tempel  der  Ar- 
temis geeilt.  Dort  finden  sie  Sostratus  und  der  Priester;  auf  des 
Letzteren   Bürgschaft   wird   Klitophon   aus   dem   Gefängniss  entlassen. 


—     470    — 

Am  andern  Tage  grosse  Gerichtsverhandlung:  Thersander  und  ein 
für  ihn  antretender  Redner  beschuldigen  die  Melite  des  Ehebruches; 
der  Priester  giebt  in  einer  sarkastischen  Rede  dem  Thersander  die 
Anklagen  zurück.  Gottesurtheile  sollen  entscheiden.  Melite  schwört^ 
nach  Thersanders  Vorschrift,  mit  dem  Klitophon  keine  eheliche  Ge- 
meinschaft gehabt  zu  haben,  »so  lange  Thersander  abwesend  war«: 
sie  steigt  in  einen  Teich  »das  Wasser  des  Styx«  genannt,  welches- 
Meineidigen  bis  zum  Halse  steigt,  bei  wahrem  Eide  ruhig  bleibt. 
Ebenso  bewährt  Leucippe  ihre  Jungfräulichkeit  in  der  »Hohle  des 
Pan«,  aus  welcher,  da  sie  darin  eingeschlossen  ist,  ein  liebliches 
Spiel  auf  der  Syrinx  gehört  wird,  während,  wenn  ein  Weib,  welches 
sich  fälschlich  ihrer  Jungfräulichkeit  rühmt,  darin  verschlossen  wird, 
ein  schrecklicher  Schrei  ertönt  und  die  Meineidige  nicht  wieder  zum 
Vorschein  kommt.  Leucippe  tritt  wohlbehalten  heraus.  Thersander 
entflieht ;  Sosthenes ,  eingeholt ,  gesteht  Alles  auf  der  Folter.  Beim 
Mahle,  welches  im  Hause  des  Priesters  die  Liebenden  und  den 
Sostratus  vereinigt,  erzählt  zuerst  Leucippe,  wie  jene,  am  Bord  des 
Schififes  getödtete  Frau  ein  anderes,  ebenfalls  aus  Alexandria  mit- 
geschlepptes Weib  gewesen  sei,  wie  Chaereas  bei  einem  Streit  mit 
den  übrigen  Räubern  um  den  Besitz  der  Leucippe  getödtet  worden^ 
wie  sie  selbst  dann  verkauft  worden  sei.  Sodann  berichtet  Sostratus, 
dass  Kallisthenes,  mit  der  geraubten  Kalligone  nach  Byzanz  zurück- 
gekehrt, sein  vorheriges  wüstes  Leben  geändert,  auch  im  Kriege 
gegen  die  Thracier  sich  ausgezeichnet  habe  und  jetzt,  um  die  Hand 
der  Geraubten  ehrlich  zu  erhalten,  zu  deren  Vater  nach  Tyrus  gereist 
sei.  —  Man  reist  dann  nach  Byzanz,  und  feiert  dort  die  Hochzeit 
des  Klitophon  und  der  Leucippe ;  darauf  nach  Tyrus ,  wo  gerade 
Hippias  im  Begriffe  stand,  dem  Kallisthenes  seine  Tochter  feieriich 
zu  verbinden. 

Die  Lebenszeit  des  Achilles  Tatius  lässt  sich  mit  weit 
grösserer  Zuversicht  bestimmen  als  diejenige  seines  Vorbildes^ 
des  Heliodor.  Zwar  was  uns  Suidas  und  Eudoeia  über  ihn 
mittheilen,  ist  verkehrt  und  unbrauchbar*).  Damach  wäre  er 
der  Verfasser  nicht  nur  der  Liebesgeschichte  des  Klitophon, 
sondern  auch  eines  Buches  ȟber  Etymologie <(  und  eines  histo- 
rischen Sanimeierwerkes,  zumal  aber  eines  Buches  über  die 
Sphäre.     Aus   dem    letztgenannten  Buche    besitzen   wir    einige 

1)  Suidas  (Eudoeia  p.  69]  :  'AxiXXeu;  Stcktio;  (sicj  'AXe^v^pcuc,  6  i^di^ 
xa  *aTd  AEüxlmjv  xal  KXeixo^Ävxa  -aolI  d[XXa  (vgl.  Jacobs  ad  Ach.  Tat  , 
p.  V  A.  2)  ipcuxrad  iv  ßißX(oic  t)'.  '^i'^osis  loyaxov  Xpioxtavo;  xal  drtoxoro;. 
ifpa^e,  oe  Trcpl  cfotpa;  xai  ixvpioXoYlac  xal  löxop(av  ou(jl(jlixxov  roXX&v  xai  fU^ 
YdXcov  xal  8a'jjj.ao(a>v  divopd>v  |jivY]pLOve6ouoav.  6  oe  Xö^o;  tjxoO  xoxa  TTfitvxa  S{&oto& 
xoTc  ipfuxixoi;. 


—     471     — 

Auszüge,  i^elcbe  zu  einer  Einleitung  in  das  astronomische  Ge- 
dicht des  Arat  zugeschnitten  sind  ^) .  Es  sind  Zusammenstellungen 
aus  älteren  Autoren ,  zumal  stoischen ,  aus  den  Schriften  des 
Eratosthenes  und  mancher  späteren  Astronomen.  Der  Verfasser 
muss  vor  der  Mitte  des  vierten  und  nach  dem  Anfang  des  dritten 
Jahrhunderts  gelebt  haben^j.  Ihn  mit  dem  Verfasser  unseres 
Romans  zu  identificiren  kann  Suidas  (oder  vielmehr  Hesychius 
Ulustriusj  nicht  durch  eine  historische  Ueberlieferung  bewogen 
worden  sein ;  er  würde  dann  nicht  den  Zusatz  gemacht  haben : 
»sein  Stil  aber  ist  in  allen  Stücken  dem  der  Liebeserzählung 
gleich«.  Dieser  Zusatz  verräth,  dass  die  Identität  der  beiden 
Schriftsteller  nur  erschlossen  ist,  und  erschlossen  aus  einem 
ganz  unkräftigen  Argument :  denn  in  Wahrheit  zeigt  die  schlichte 
Gelehrtensprache  der  Excerpte  aus  dem  Buch  tlber  die  Sphäre 
mit  der  barocken  Zierlichkeit  der  Schreibweise  des  rhetorischen 
Erotikers  nicht  die  entfernteste  Aehnlichkeit.  Nun  wird  auch 
der  Verfasser  jenes  Buches  über  die  Sphäre  gar  nicht  Achilles 
Tatius  sondern   nur  Achilles  genannt  ^} ;    ein   Grund   mehr ,   an 


1)  ix  T&v  !AyiXXI(D;  rpoc  eioa^for^s  ti^ /c^i  'Apaxo'j  cpaiv6p.eva  (so  in  cod. 
Laurent.  S8,  44:  Bandini  graec.  II  67):  d.  h.  Excerpte  aus  einem  Buche 
des  Achilles,  eben  dem  über  die  Spbaere,  aus  dem  Laur.  und  einer  römi- 
schen Hs.  edirt  von  P.  Victorius,  dann  im  Uranologium  des  Petavius 
p.  1S1  ff. 

2)  Unter  den  Autoren,  i^elche  über  die  sphaera  geschrieben  hätten, 
wird  in  den  um  354  vollendeten  Matheseos  libri  des  Firmicus  Maternus, 
IV  10  auch  genannt:  prudentissimus  Achilles.  S.  Jacobs  p.  IX  f.  Wie 
lange  vor  Firmicus  Achill  schrieb,  ist  nicht  genau  zu  bestimmen :  in  den 
Excerpten  bei  Petavius  finde  ich  keinen  anderen  Anhalt  hierfür  als  den, 
aus  welchem  ich  die  oben  angegebene  Begrenzung  (Anfang  des  dritten  Jahr- 
hunderts) entnommen  habe,  nömlich  die  Nennung  des  Astronomen  Hypsicles 
c.  16  p.  136  A.  Hypsicles  war  Schüler  des  unter  Marc  Aurel  und  Verus 
blühenden  Isidorus:  s.  Fabricius  B.  Gr.  IV  20  Harl.  Genau  wäre  die  Zeit 
des  Astronomen  Achilles  zu  bestimmen,  wenn  man  sicher  wüsste,  wann  der 
mir  unbekannte  'Iot5(uptav6;  gelebt  hohe,  der  im  zweiten  Excerpt  p.  166  Pet. 
als  6  ^i$aaxaX6;  |jiou  vom  Achill  eingeführt  wird.  Ist  damit  etwa  kein  An- 
derer als  Hypsicles,  der  Schüler  des  Isidorus  gemeint?  —  Der  Verfasser 
des  Buches  Ueber  die  Sphaere  könnte  übrigens  recht  wohl  mit  dem,  bei 
Suidas  genannten  Etymologen  Achilles  identisch  sein:  etymologische 
Versuche  und  sonstige  Spuren  grammatischer  Gelehrsamkeit  zeigen  die  Ex- 
cerpte seines  Buches  mehrfach. 

3)  So  sei  Firmicus;  in  den  Excerpten  des  cd.  Laur.,  in  einer  Wiener 
Hs.  bei  Lambecius  Bibl.  Caes.  VII  cod.  CXXVIII  p.  493  ff. 


—     472    — 

seiner  Identitäl  mit  unserm  Sophisten  zu  zweifeln.  Diese  wird 
aber  völlig  abgewiesen  durch  eine  andere  Betrachtung.  Unser 
Erotiker  ahmt  unverkennbar  einige  Stellen  des  Gedichtes  des 
Musaeus  von  liero  und  Leander  nach^).  Musaeus  nun  gehört 
ohne  allen  Zweifel  zu  der,  durch  peinliche  Strenge  gewisser 
metrisch -rhythmischer  Gesetze  sehr  kenntlich  ausgezeichneten 
Dichterschule  des  Nonnus.  Den  Nonnus  setzt  man  mit  gutem 
Grunde  in  den  Anfang  des  fünften  Jahrhunderts :  ein  Nachahmer 
seines  Schülers  konnte  nicht  wohl  vor  der  Mitte  desselben  Jahr- 
hunderts schreiben  2).  Kann  somit  von  einer  Identificirung  des 
Erotikers  Achilles  mit  dem  viel  älteren  Verfasser  des  Buches 
über  die  Sphäre  nicht  ferner  die  Rede  sein,  so  brauchen  wir 
doch  unter  den  angegebenen  Zeitpunct,  die  Mitte  des  fünften 
Jahrhunderts,  unsern  Sophisten  nicht  herunter  zu  drücken.  Der 
Verfasser  der  erotischen  Briefe  des  sog.  Aristaenetus  hat  zu 
dem    bunten    Mischmasch     seines    überall     zusammengeboi^ten 


1]  Ach.  Tat.  42,  43 — 18  (ed.  Horcher.)  sind  offenbar  nachgeahmt  den 
Versen  des  Musaeus  92 — 98.  Wogegen  Ach.  Tat.  I  4,  3  nicht  noth wendig 
(wie  Passow  zu  Mus.  p.  96  meint)  aus  Mus.  56  ff.  entlehnt  sein  muss, 
sondern  von  Beiden  nach  gemeinsamem  Vorbilde  gearbeitet  sein  kann :  vgl. 
Ach.  Tat.  1  49  und  Dilthey  Callim.  Cyd.  p.  67.  68.  Aus  Musaeus  448  ff. 
ist  aber  wieder  die  artige  Wendung  bei  Ach.  Tat.  p.  63,  4  4  ff.  entlehnt. 
Sonst  vgl.  noch  mit  Mus.  4  44  Ach.  Tat.  64,  7;  mit  Mus.  248  (dazu  Hein- 
rich) Ach.  Tat.  4  42,  25. 

2)  Die  Zeit  des  Musaeus  ist  nach  unten  hin  nicht  so  unbestimmbar, 
wie  man  nach  der  unsicheren  Ausdrucksweise  unserer  Litteraturgeschichten 
glauben  sollte.  Verlockend  klingt  Passows  Meinung  (Mus.  p.  97  f.),  wonach 
der  Dichter  Musaeus  identisch  wäre  mit  dem  gleichnamigen  Freunde  des 
Rhetors  Procopius  von  Gaza,  an  den  dessen  48.  und  60.  Brief  gerichtet 
sind ,  und  der  zumal  nacb  dem  zweiten  dieser  Briefe  als  ein  {AOu9or6Xo; 
erscheint.  Es  scheint  aber  docb,  als  ob  der  Grammatiker  und  Dichter 
Musaeus  nicht  unbedeutend  älter  sein  müsse  als  Procop.  Dieser  war  wohl 
etwa  ein  Zeitgenosse  des  s.  g.  Aristaenetus,  welcher  wiederum  etwa  in  der 
zweiten  Generation  nach  Musaeus  gelebt  haben  muss:  denn  er  ahmt  dem 
Ach.  Tatius ,  und  dieser  dem  Musaeus  nach.  Jedenfalls  aber  lebte  und 
schrieb  Musaeus  vor  Aristaenetus,  als  welcher  ihm  einige  Floskeln  entlehnt 
hat:  8.  Boisson.  ad  Arist.  p.  455;  Dilthey  De  Callim.  Cyd.  p.  34.  —  Gleich- 
wohl bliebe  zu  überlegen,  ob  mit  diesen  Betrachtungen  sich  nicht  dennoch 
Passows  Identification  des  Grammatikers  M.  und  des  M.  des  Procopius  ver- 
einigen Hesse.  Procop  erreichte  ein  hohes  Alter  (xTJpa;);  wenn  auch  nicht 
das  der  o^öopa  Trpesß'jtai:  s.  die  Leichenrede  des  Choricius  auf  Procop. 
p.  8,   4  4  ff.;  p.  24,  4  5—4  7  Boisson. 


—    473    — 

sprachlichen  Ausdrucks  auch  einige  erlesene  Wendungen  dem 
Achilles  Tatius  entnommen  ^) .  Diese  erotischen  Briefe  sind  aber 
etwa  auf  der  Wende  des  fünften  und  sechsten  Jahrhunderts 
verfasst.  • 

Somit  wäre  Achilles  Tatius  als  ein  Zeitgenosse  jener  in 
Aegypten  blühenden  Schule  epischer  Dichtung,  als  deren  Haupt 
Nonnus  betrachtet  wird,  anzusehen.  Er  lebte  wohl  sogar  in 
dem  unmittelbaren  Wirkungskreise  jener  Schule,  in  Alexandria : 
denn  einen  Alexandriner  nennt  ihn  Suidas,  und  ebenso  die 
Handschriften  seines  Romanos.  Alexandria,  durch  rhetorische 
Studien  weniger  ausgezeichnet,  erhielt  seinen  alten  Ruhm  einer 
Verbindung  der  grammatischen  Studien  und  gelehrter  Dichtung 
bis  in  das  sechste  Jahrhundert  aufrecht  ^j.     Kein  Wunder,  dass 


1)  Von  weniger  auffallenden  Uebereinslimmungen  des  Ach.  Tat.  und 
des  Aristaenelus  (vgl.  die  Ausleger  des  Arist.  bei  Boissonade  ad  Ar.  p.  646. 
648.  673.  7i7)  absehend ,  hebe  ich  nur  zwei  merkwürdige  Coincidenzen 
hervor.  Ach.  p.  42,  7:  d^pu;  {ji^Xaiva,  t6  piXav  dfxpaTOv :  Arist.  I  1  p.  4  33,  H 
(Herch.) :  6^p6;  oe  p.£Xatva,  t6  (A^Xav  axpaTov.  Ach.  Tat.  V  25,  8  p.  153,  1  : 
e6vo0^s  xal  dv^pöfuve  xai  xaXXou;  xaXoO  ßaoxave.  Hercher,  xaXou  strei- 
chend, bemerkt  in  der  Von*,  p.  XXVII:  xoXoD  dittographiam  esse  intellexit 
Jacobs;  cf.  Lobeck.  Paralipp.  p.  536  (wo  ähnliche  Verbindungen,  wie:  o(xt] 
(ixaia,  alay6vrj  al<r/pd  etc.  angehäuft  sind,  unser  Beispiel  für  sehr  bedenk- 
lich erklärt  wird.  Vgl.  übrigens  auch  Seiler  zu  Longus  p.  177).  Diese 
seltsame  Verbindung  wird  indessen  geschützt  durch  Aristaenetus,  dem  die- 
selbe offenbar  besonders  gefiel.  Man  liest  bei  ihm,  epist.  1  11  p  148,  13: 
xd^XXo;  Y^  xaXov,  vtj  tä;  c^tXa;  'Öpa;  (und  Hercher,  indem  er,  Epistologr.* 
p.  XXIII,  auf  die  Stelle  des  Ach.  Tal.  verweist,  scheint  damit  seine  Ver- 
werfung des  xaXou  wieder  zurücknehmen  zu  wollen;.  —  Ob  in  solchen 
Fällen  irgend  Jemand  den,  ganz  auf  fremde  Kosten  lebenden  Aristaenetus 
für  das  Vorbild,  Achilles  Tatius  für  den  Nachahmer  halten  wolle,  müsste 
man  jedenfalls  erst  abwarten.  —  Der  s.  g.  Aristaenetus  muss  ungefähr  ein 
Zeitgenosse  des  Apollinaris  Sidonius  (c.  430 — 488}  gewesen  sein:  s.  Mercier 
bei  Boissonade  ad  Arist.  p.  581. 

2)  Die  Aegypter  leidenschaftliche  Poeten,  aber  schlechte  Rhetoren*. 
Eunap.  V.  Soph.  p.  92:  s.  oben  p.  332  A.  2.  Eunap.  denkt  wohl  sicher 
an  Nonnus  und  seine  Schule.  Aber  noch  Prokop  von  Gaza  schreibt 
(epist.  8)  dem  Stephanus :  ihn  halte  wohl  Alexandria  fest  yapiTwv  Svexa  xai 
Toy  ooxclv  aiJTov  ^/eiv  ffiri  xöv  'EXixÄva:  d.  h.  weil  dort  der  Sitz  der 
Dichtung  sei.  Wie  aber  der  Dichter  Musaeus  »fpont.[i.oL'zix6iti  heisst,  so 
war  auch  jener,  der  Dichtkunst  ergebene  Stephanus  ein  Grammatiker,  wie 
der  weitere  Verlauf  des  Briefes  beweist:  das  wird  eben  auch  damals  noch 
in  Alexandria  die  gewöhnliche  Verbindung  gewesen  sein.  (Es  heisst  bei 
Procop. :  ou  hi  pioi  ^oxei;  t6v  BT^a^tu;  dTieivov  [d.  i.   den  DemophoonJ  iCjXoi- 


—     474     — 

unser  Achilles,  dessen  eigentliche  Slellung  wohl  ohne  Zweifel 
richtig  mit  der  Benennung  »Rhetor«  angegeben  wird^),  mehr  als 
andere  Rhetoren  von  den  Manieren  der  damals  blühenden  Dich- 
tungsweise angenommen  hat,  welcher  er  nicht  nur  in  dem  blu- 
migen Colorit  seiner  Schilderungen  und  Beschreibungen  sondern 
deutlich  genug  auch  in  manchen  einzelnen  Motiven  und  deren 
Behandlung  nacheifert^). 

Was  uns  Suidas  noch  weiter  berichtet:  Achilles  Tatius  sei 
»zuletzt«,  d.  h.  wohl  nach  Veröfl'cntlichung  seines  Romans, 
))  Christ  und  Bischof«  geworden,  hat  man  längst  als  eine  Parodie 
der  gleichen  Sage  von  Heliodor  erkannt  und  verworfen^).  Ich 
möchte  aber  vermuthen,  dass  unser  Sophist  ein  Christ  gar  nicht 
erst  zu  werden  brauchte,  sondern  es  bereits  war,  als  er  seinen 
Roman  schrieb.     Zwar   fehlt  es  bis  in  das  sechste  Jahrhundert 


xivat,  xai  tauTa  toi;  raiol  xaÖTjo6fuvo;  »NU(jLCp(e  At^iao^ocdv,  ähiXE  ^iv««-  Da* 
ist  ein  Bruchslüclc  des  Gedichtes  des  Kallimachus  von  Demophoon  und 
Phyllis:  fr.  505  p.  660  Sehn.,  ^o  indess  die  Herausgeber  sich  der  Stelle 
des  Prokop  nicht  erinnert  haben.  Diese  ist  in  mehrfachem  Betracht  sekr 
interessant.  Zuerst  lehrt  sie,  wie  allgemein  bekannt  noch  damals  —  wohl 
nicht  ohne  den  Einfluss  der  kallimachisirenden  Dichter  der  Zeit  —  solche 
Gedichte  des  Kallimachus  waren.  Weiterhin  aber  macht  sie  sehr  wahr- 
scheinlich, was  oben  p.  38  und  1S9  angedeutet  worden  ist:  dass  für  die 
romantische  Geschichte  von  Demophoon  und  Phyllis  die  Erzählung  des 
Kallimachus  [in  den  Aetien :  das  alrtov  war  entweder  die  Natur  des  fifandel- 
baumes,  phyllis,  oder  wahrscheinlicher  »novem  cur  una  viae  dicantar« 
Ovid.  Art.  IM  87;  iwia  6oo(  Hygin.  f.  59  p.  61,  1.  2.  M.  Schm.]  die  be- 
kannteste Quelle  und  daher  auch  wohl  für  die  uns  erhaltenen  Erzöhler  der 
Sage  das  Vorbild  gewesen  sei.  Jedenfalls  dürfte  wohl  was  Procop,  der  jt 
ausdrücklich  an  Kallimachus  erinnert,  von  besonderen  Zügen  der  Sage 
mittheilt,  in  epist.  8  und  86,  aus  Kallimachus  entnommen  sein:  so  das 
Zählen  der  vorüberfahrenden  6Xxbioe;  von  Seiten  der  Phyllis  [vgl.  avch 
epist.  103  init  ].  Vgl.  Ovid  epist.  Phyllidis  [heroid.  11]  Ii5  ff.  Vgl.  auch 
Ovid  ebd.  105:  utquc  tibi  excidimus,  nullam,  puto,  Phyllida  oosti 
mit  Procop.  epist.  86  p.  566,  3  (Hercher.):  6  jAev  cuOi;  fACTcßXfjÄtj  xal  Tf,v 
<l>üAX15a  TToXiv  ou*  elocv  [tj^ci?]). 
r  Bei  Thomas  .Mag.  s.  dva^aivo). 

2)  Ist  es,  z.  B. ,  ein  Zufall,  dass  Achilles,  gleich  dem  Nonuus,  seine 
Dichtung  mit  einer  Schilderung  des  Raubes  der  Europa  beginnt,  welcher 
doch  mit  seiner  Dichtung  höchstens  einen  ganz  entfernten  allegorischeo 
Zusammenhang  hat?  Die  Auffindung  der  Purpurschnecke  bringen  Beide 
gleich  intempestiv  an:  Nonnus  Dion.  40,  306  ff.,  Ach  Tat.  II  H,  4  £r.  Es 
giebt  wohl  noch  manche  Berührungspuncte  der  beiden  Dichter. 

3)  S.  Jacobs  p.  Ml. 


—     475     — 

nicht  an  gebildeten  Männern,  selbst  hohen  Staatsbeamten,  welche 
Heiden  blieben  *) .  Aber  die  nächste  Voraussetzung  für  die  Grie- 
chen jener  Zeit  ist  doch  stets  die,  dass  sie  dem  Christenglauben 
angehört  haben.  Nun  findet  sich  freilich  in  dem  Romane  des 
Achilles  keine  leiseste  Spur  christlichen  Glaubens  und  Sinnes; 
aber  aus  dem  Gebiete  der  rhetorischen  Kunst  hielt  strengerer 
Stil  überhaupt  alles  Christliche  fern;  nirgends  vielleicht  zeigt 
sich  überraschender  das  künstlich  unwirkliche  Traumleben  dieser 
Sophistik,  als  in  dem  rein  phantastischen  Heidenthum,  in  wel- 
chem diese,  wenn  nicht  die  Gedanken  und  das  Leben,  so  doch 
die  Phraseologie  ihrer  christlichen  Angehörigen  erhielt.  Wer  die 
Geduld  hat,  die  Briefe  des  Procopius  von  Gaza,  die  Reden  und 
Declamationen  des  Choricius  durchzulesen,  wird  in  diesen,  selbst 
bei  rein  christlichen  Themen,  selbst  die  christliche  Terminologie 
fast  in  der  Art  antik  umhüllt  finden,  wie  sie  den  italienischen 
Humanisten  der  Renaissance  geläufig  ist;  in  Grabreden  sogar 
wird  er  selbst  der  Unsterblichkeit  der  Seele  nur  mit  philoso- 
phischer Reserve  gedacht  ßnden;  in  den  Briefen  des  Procop 
wird  er  kaum  einmal  eine  leiseste  Andeutung  eines  eigentlich 
christlichen  Glaubens,  dagegen  häufig  Anrufungen  der  Götter^ 
des  »Zeus  und  der  anderen  Götter«,  bittere  Betrachtungen  über 
das  wüste  Treiben  der  weltregierenden  Tyche^)  u.  dgl.  antreffen. 


1)  Vgl.  Finlay,  Gricchenl.  u.  d.  R.  p.  869.  —  Nach  Suidas  s.  'Hauyioc 
wäre  auch  Hesychius  lllustrius  von  Milet  ein  Anbänger  des  alten  Glaubens- 
gewesen.  Geradezu  widerlegen  lässt  sich  diese  Vermuthung  (mehr  ist  es 
ja  nicht)  wohl  nicht  (denn  Gründe,  die  aus  dem  angeblichen  'OvofjtoroXÖYOc 
des  Hesycb.  geschöpft  sind  [gleich  den  von  C.  Müller,  Fr.  bist.  IV  148 
vorgebrachten]  gelten  nicht).  Uebrigens  würde  vielleicht  auch  der  Artikel 
über  Ach.  Tat.  gegen  dieselbe  sprechen,  wenn  dieser,  wie  doch  wohl  alle 
bei  Suidas  und  Kudocia  vorkommenden  litterarhistorischen  Glossen  deren 
gemeinsamer  Quelle,  dem  (ächten)  'CKofjiaToXofo;  des  Hesychius  entnom- 
men ist. 

2)  Von  der  T6y7),  ihrer  Willkür,  ihren  TralY^ia,  wie  sie,  dvxpu^dioa  toTc 
dv^pcoTTtvot; ,  alles  mit  leichtfertiger  poTr/]  ins  Schwanken  bringe,  der  '^sdut.r^ 
unerreichbar  sei  u.  s.  w  ,  redet  Procop  völlig  wie  ein  Heide:  epist.  34» 
36.  38.  45.  52.  75.  92.  10^  Besonders  aufliKllig  sind  Redensarten  wie:  Th^^ 
T6)^T)v  TTpoae'jy o|jiai  24;  t]uy6fjL7)v  ttq  T6yT]  98.  Nur  eine  Art  Condes- 
cendenz,  zur  thatsächlichen  Praxis  des  Procop  in  den  übrigen  Briefen  wenig 
stimmend,  ist  es,  wenn  er  einem  frommen  Freunde  schreibt  (ep.  1):  »Als 
die  Ursache  (eines  Misserfolges)  möchte  ich  nicht  die  Tyche  nennen, 
namentlich  dir  gegenüber,   sondern  die  Vorsehung  Gottes,  welche,  wie  sie 


—    476    — 

£s  ist  merkwürdig  genug,  dass  noch  damals  dieser  antiquarisdie 
Mummenschanz  (denn  weiter  ist  es  nichts) ,  im  Interesse  des 
Stils,  geduldet  wurde.  Wo  nun  gar  altheidnische  Gegenstände 
rhetorisch  behandelt  wurden,  da  musste  der  Sophist  sich  recht 
ausbUndig  heidnisch  zu  gebärden  suchen,  und  jeden  christlichen 
Anklang  so  fern  halten  wie  etwa  Nonnus,  der  doch  auch  das 
Evangelium  des  Johannes  paraphrasirt  hat,  in  seinem  dionysi- 
schen Gedichte.  Der  Roman  aber  gehörte  nun  einmal  lu  diesen 
heidnischen  Gebieten:  einmal,  in  der  Mitte  des  zweiten  Jahr- 
hunderts war,  in  der  Rahmenerzählung  der  s.  g.  Clementini* 
sehen  Homilien,  ein  Versuch  gemacht  worden,  dem  Schema  des 
heidnischen  Abenteuerromans  einen  christlichen  Inhalt  lu 
geben;  es  scheint,  dass  dieser  Versuch  vereinzelt  blieb ^). 
Aeusserlich  wenigstens  waren  die  Romanschreiber,  bis  zu  den 
Byzantinern  herunter,  verpflichtet,  die  Zustände  und  Glaubens- 
weise der  heidnischen  Zeit  in  ihren  Romanen  festzuhalten: 
dies  war  nun  einmal  die  eigentliche  Welt  der  Kunst.  Das  heid-  . 
nische  Gewand  beweist  also  nichts  gegen  die  Christlichkeit  des 
Achilles  Tatius.  Aber  die  Göttergestalten  sind  in  seinem  Roman 
so  völlig  schaal  und  nichtig  geworden,  so  durchaus,  nicht  ein- 
mal  zu  allegorischen  Schemen   sondern   zu  blossen  Namen  und 


will,  uusere  Angelegenheit  lenlct«.  Dies  ist  der  Gipfel  der  christlichen  An- 
wandlungen des  Sophisten.  Vgl.  auch  epist.  91.  (Jod  doch  war  er  in 
christlicher  Lilteratur  sehr  wohl  bewandert:  Choric.  p.  ii. 

Ij  So  fern  unserer  ganzen  Betrachtung  christliche  Dichtung  und  Legende 
sonst  auch  liegt,  so  sei  doch  dieses  Ciementinischen  Roroanes  mit  Einem 
Worte  gedacht,  weil  die  ganze  Anlage  desselben  (Reise  der  Matthidia  durch 
ein  Traum}!esicht  motivirt  —  Seesturm ,  Trennung  der  Hauptpersonen  •— 
Gefangennahme  der  Söhne  durch  Seeräuber,  Verhandlung  an  die  Wittve 
Ju»ta  ~  zuletzt  Wiedervereinigung  und  dlvaYvo>ptOfji6;  aller  Personen  dei 
Romans)  gar  zu  deutlich  an  das  Schema  der  heidnisch-griechischen  Romane 
erinnert,  als  dass  man  den  Gedanken  einer  Beeinflussung  des  Christen 
durch  gleichzeitige  heidnische  Poesien  fernhalten  könnte.  Die  Grundlage 
des,  in  den  Homilien  und  Recognitiooen  benutzten  Familienromans,  die 
'A^aYvcupiSfxol  KXf|ixcvTo;,  scheint  in  der  Zeit  der  höchsten  Blüthe  der 
Sophistik,  zur  Zeit  der  Antonine,  verfasst  zu  sein  (Upsius,  die  Qu,  d.  rdni. 
Petruss.  p.  17).  Natürlich  konnten  von  dem  erotischen  Roman  der  Sophistik 
in  dieser  christlichen,  zum  Rahmen  theologischer  Disputationen  dienenden» 
die  rpovo(a  deoO  als  ein  Beispiel  zu  illustriren  bestimmten  (s.  Gl.  homil. 
XV  4  p.  147,  2  fl".  ed.  Lagarde)  Geschichte  nur  einige  Hauptzüge  entlehnt 
werden. 


—     477     — 

begrifflosen  Worten  geworden,  der  Glaube  an  die  Götter  ist  in 
seinen  Personen  so  ganz  unmerkbar,  der  Dienst  der  Götter  so 
blass  und  ohne  eigene  Anschauung  nicht  geschildert,  sondern 
nur  hier  und  da  genannt,  —  dass  man  wohl  fühlt,  der  Dichter 
habe  an  die  Wirklichkeit  dieser  Götter  selbst  nicht  mehr  ge- 
glaubt, ja  selbst  mit  der  Phantasie  sich  in  einen  solchen  Glauben 
nicht  mehr  zu  versetzen  vermocht,  weil  er  um  sich  herum  nicht 
einmal  Andere  sich  zu  ihm  bekennen  sah.  Vor  Allem  aber 
bemerkt  man  in  dem  ganzen  Verlauf  der  Abenteuer  nichts  von 
einer  Leitung  und  Veranstaltung  der  Götter;  Orakel  greifen 
zwar  ein  in  die  Absichten  'der  Menschen  ^j,  aber  in  einer  so 
plumpen  und  kahlen  Art,  dass  man  gerade  hier  am  Meisten 
spürt,  dass  diese  Maschinerie  nur  angewandt  wird,  weil  sie 
einmal  zum  herkömmlichen  Getriebe  eines  regelrechten  Romans 
gehörte.  Natürlich  ist,  wiewohl  der  Glaube  geschwunden  ist, 
ein  wenig  Aberglaube,  an  Traumgesichte  und  böse  Zeichen, 
geblieben  2).  Wer  aber  herrscht  und  frei  schaltet  in  dieser 
götterlosen  Welt,  das  ist  wiederum  nur  die  leidige  Tyche. 
Bei  keinem  der  übrigen  Romanschreiber  wird  sie  und  ihr  grund- 
loses oder  neidisch  boshaftes  Treiben  so  oft  zu  Aülfe  gerufen 
vom  Autor,  verwünscht  und  gescholten  von  seinen  Figuranten 
wie  beim  Achilles  3).     Vielleicht  glaubte  er  unter  all  seinen  heid- 


1)  Xpr^ojxiv  toyouoi  p.  68,  H;  105,  3:  man  hört  nicht,  bei  welcher 
Gelegenheit,  in  welchem  Heiligthume,  man  begreift  nicht  (wie  doch  bei 
Heliodor)  welchen  Sinn,  welche  Absicht  die  Gottheit  mit  ihren  Befehlen 
verbinde. 

2)  Bedeutungsvolle  Traumgesichte:  p.  41,  7;  77,  8  ff.  (diese  beiden 
besonders  scheusslich] ;  65,  20;  iU,  8;  185,  18;  186,  21;  187,  3.-  Eine 
besondere  Theorie  über  Traumzeichen :  1  8,  3 :  «piXei  t6  oatpiöviov  zoXXaxu 
Tou  dvÄ(i<6itoi;  t6  (jlIXXov  n6xtcdp  XaXeiv,  ou)^  Iva  ^uXeCSwvrai  (xV)  radeiv  (ou  fäp 
elfjiappivY]c  56vavTai  xpaTeiv)  dXX'  Iva  Ttou^ÖTCpov  iraa^ovre;  ^^pcuot.  Imitation 
des  Heliodor  p.  63,  27  ff.,  wie  Jacobs  p.  412  hervorhebt:  aber  sehr  ähn- 
liche Vorstellungen  trifft  man  z.  B.  bei  dem  christlichen  Indifferentisten 
Procop  von  Caesarea :  s.  Teuffei,  Stud.  u.  Char.  227  f.  —  Böse  Wahrzeichen: 
V  3,  3;  4,  1.  —  Aberglaube:  im  Wasser  Umgekommene  gelangen  nicht  in 
in  den  Hades:  p.   142,  15  ff.     Andres  143,  15;   149,  2  ff. 

3)  T6xt):  8.  p.  52,  25;  53,  3;  79^  18;  107,  2«;  116,  2;  118,  14;  28; 
125,  11;  130,  28;  135,  29;  138,  13;  20;  143,  3;  144,  6;  147,  6;  154,  14; 
157,  14;  158,  11;  167,  23;  174,  14;  177,  11;  185,  27.  Bisweilen  wird  die 
TuyjQ  ausdrücklich  ein  6a((j.cuv  genannt:  438,  13.  14;  vgl.  107,  26  und  29; 
118,  19  und  23.     Sie  ist  aber  wohl  kein  guter  Daemon  (SatfjiQiv  xt;  d^aOöc: 


—     478    — 

oischen  Gi^tterwesen  allein  an  diesen  tückischen  Dämon.  Jeden* 
lalLs  ist  dieser  es,  der  nach  seinem  Belieben  die  ganze  Hand- 
lung des  Romans  in  Bewegung  setzt.  Am  deutlichsten  tritt 
dieses  Spiel  eines  blinden  Zufalls  bei  der  Flucht  des  Liebes- 
[Miares  aus  Tyrus  hervor.  Stets  waren  die  Roroanschreiber  ver- 
legen um  einen  Grund  für  die  Irrfahrten  ihres  Paares.  Achilles 
nun,  statt  des  etwas  abgenutzten  Mittels  eines  Götterbefehls  sich 
xu  bedienen,  entlehnt  vom  Heliodor  den  Gedanken,  die  Ver- 
bindung der  Liebenden  durch  die  Verlobung  des  einen  Theils 
von  Seiten  der  Eltern  zu  verhindern.  Die  also  ganz  wohl 
motivirte  Flucht  des  Liebespaares  wird  nun  aber  bei  Achilles 
wieder  ganz  unnöthig,  nachdem  die  dem  Klitophon  bestimmte 
Braut  von  einem  Anderen  geraubt  ist.  Wenn  sie  dennoch  sich 
auf  die  Flucht  begeben ,  so  ist  (da  ja  nicht  einmal  Klitophon 
bei  seinem  nächtlichen  Stelldichein  erkannt  worden  ist}  kein 
anderer  Grund  dafür  ersichtlich  als  die  Noth  des  Dichters,  der 
durchaus  einer  solchen  Flucht  bedarf,  damit  die  Geschichte 
nicht  vor  der  Zeit  zu  Ende  gehe.  Hinterher  erfahren  wir  gar 
noch ,  dass  einen  Tag  nach  der  Flucht  Botschaft  voni  Sostratus 
gekommen  sei,  wonach  dieser  die  Leucippe  dem  Klitophon  frei- 
willig verlobte.  So  sehr  hänge  Alles  vom  Zufall  ab !  meint  der 
Dichter*).  Es  lohnt  nicht,  weiter  zu  verfolgen,  wie  alle  ferne- 
ren Ereignisse  des  Romans  lediglich  vom  Zufall  gelenkt  und 
an  einander  gehängt  werden.  Von  einer  psychologischen  Be- 
gründung kann  so  wenig  die  Rede  sein,  dass  man  sogar  zwei- 
feln könnte,  ob  dieser  Klitophon,  der  Held  des  Ganzen,  den 
jeder  Windstoss  des  Zufalls  anders  wendet,  überhaupt,  diesen 
äusseren  Gewalten  gegenüber,  irgend  einen  Gegenhalt  in  seiner 
Seele  habe.  Die  ganze  Zweideutigkeit  seiner  Handlungen  er- 
klärt sich  auf  das  Einfachste  aus  seiner  völligen  Seelenlosigkeit. 

If3,  13),  sondern  nach  den  Vonwürfen,  die  man  ihr  überall  macht,  xu 
schliessen,  ein  böser  Daemon  (408,  24:  ir^%6sT^9i  |jioi  oa({Ai»v  Tt;  if^; 
it«)^apa;  rfiosf^i;.  Neben  einander  T6yT)  *ai  oatjjLojv:  4  66,  4.  Ueber  die  un- 
bcKlingte,  den  Menschen  fast  der  moralischen  Zurechnung  entlastende  Macht 
»des  Daemon«  eine  merk\v'ürdige  Aussage  p.  491,  SO.  Sostratus  sagt  zum 
Klitophon,  der  ihm  doch  die  Tochter  geraubt  und  so  viele  Schmerzen  be- 
reitet hat:  et  t1  [jloi  oufAß^^r^^e  Xunr^ptSv,  o'j  oov  ioTiN,  dXXd  xoO  oa(|«,ovo;- 
Dtts  klingt  ja  fast  wie  die  Entschuldigung  des  homerischen  Agamemnoo: 
ir(i^  V  oux  alTtö^  elfjLi,  di)Xä  Zeu;  vai  MoTpa  xai  i^^epo^otTi;  'Eptvuc  xxk. 
V  V  tO,  4. 


—    479    — 

Wenn  ihn  freilich  der  Dichter  nicht  einmal  rein  und  der  Ge- 
liebten treu  gebildet  hat,  so  mag  man  diese  Abweichung  von 
dem  herkömmlichen  Romanschema  aus  einer  eigenthümlichen 
Absicht  des  Achilles  sich  erklären.  Er  will  offenbar  von  dem 
farblosen  Idealismus  älterer  Romane  zu  einer  mehr  realisti- 
schen Bestimmtheit  der  Zeichnung  und  Färbung  hinUberlenken, 
und  dieses  nicht  nur  in  der  Darstellung  der  Sitten  und  der 
äusseren  Vorgänge  des  Lebens,  (in  welcher  man  gleichwohl, 
aus  der  Mischung  gelehrter  Reminiscenzen  und  eigener  An- 
schauung des  Dichters,  nirgends  die  Züge  einer  bestimmten 
Zeit  und  Bildungssphäre  heraus  erkennt^]),  sondern  auch  in  der 
Zeichnung  der  Charaktere.  Höchstens  der  Leucippe  ist  ein  Rest 
der  abstracten  Musterhaftigkeit  der  Romanheldinnen,  wiewoM 
auch  dieser  nicht  ungetrübt,  verblieben ;  den  übrigen  Personen 
hat  der  Dichter  eine  schärfere  Eigenthümlichkeit  zu  geben  ge- 
sucht; freilich  will  ihm  dieses  nicht  anders  gelingen,  als  indem 
er  sie  alle  ins  Niedrige  zieht.  Ein  eigener  Mangel  an  Würde 
bezeichnet  alle  seine  Figuren:  diese  lüsterne  Melite,  den  trotz 
seines  vornehmen  Standes    mit   völlig    besinnungsloser  Rohheit 


1)  Wenn  z.  B.  Hippias  seinen  Sohn  Klitophon  mit  seiner  eigenen  Toch- 
ter aus  zweiter  Ehe  verheirathen  will  (p.  40,  27;  50,  19),  so  geht  das  ja 
freilich  nicht  geradezu  gegen  altgriechische ,  wenigstens  attische  Sitte  (s. 
Becker,  Cbarikl.  III  288],  aber  dass  ein  solches  sicherlich  zu  allen  Zeilen 
seltenes  Verlöbniss  so  nahe  verwandter  öfAordlTptoi  ohne  ein  einziges  er- 
Ittuterndes  Wort,  wie  die  gewöhnlichste  Sache,  erwähnt  wird,  bleibt  auf- 
fallend. Will  sich  etwa  hiermit  Achilles  ein  recht  archaisches  Ansehen 
geben?  oder  halte  sich  die  in  Aegypten  heimische  (s.  Pausan.  I  7,  1) 
Sitte  der  Geschwisterehe  dort,  in  dem  Heimathlande  des  Achilles,  länger 
erbalten?  —  1  5  ist  die  Jungfrau  mit  ihrer  Mutter  beim  ou(jLic<Satov  der 
Männer  anwesend.  Dies  nun  freilich  ganz  gegen  altgriechischen  Gebrauch : 
aber  vielleicht  hatten  in  einzelnen  griechisch  gebildeten  Provinzen  des  rü- 
BDischen  Reiches  sich  hierin  in  später  Zeil  wirklich  die  Sitten  gelockert. 
Man  erinnere  sich  des  ähnlichen  oben  angemerkten  Falles  im  Apollonius 
Tyrius;  und  vgl.  ein  Epigramm  des  Agathias,  Anth.  Pal.  V  267,  in  welchem 
Einer  dem  Andern  erzählt,  wie  er  sich  in  eine  Jungfrau  (keine  Hetäre)  ver- 
liebt habe,  welche  er  beim  oeirvoN  »5'jviq  7iex)ap.lvrjV  eopaxev  h  orißdSi«.  — 
Der  realistischen  Tendenz  des  Achilles  werden  einige  etwas  genauere  Angaben 
ans  dem  Gebiete  der  MAiterthümem  verdankt :  Art  des  Thorverschi usses  I1 1 9, 5 ; 
wandernder  Homerist  mit  einer  ganzen  Kiste  voll  Kostümstücken:  lU  20,  4.  6 ; 
darunter  ein  Tbeaterdolch  mit  einer  in  den  bohlen  Griff  zurückweichenden 
Klinge:  lU  20,  6;  24,  4  f.     (Vgl.  Lobeck  ad  Sopb.  Aj.2  p.  360  f.). 


—     480    — 

um  sich  herum  wUthenden  Thersander^),  den  Priester  der  Ar- 
temis, welcher  zum  Schutz  des  Klitophon  eine  Rede  hftit'] 
gleich  der  eines  zotigen  Hanswursten,  nicht  am  wenigsten  den 
Klitophon  selbst,  der  mit  seinen  Begierden  fortwährend  zwischen 
Melite  und  Leucippe  herumschwankt,  und  in  der  Gefahr  stets 
sich  feige  misshandeln  iHsst,  um  hinterher  desto  kräftiger  zu 
schreien  und  zu  gesticuliren  ^j .  Man  ist,  diesen  Figuren  gegen- 
über, häußg  in  Zweifel,  ob  ihre  grotteske  Abgeschmacktheit  ihnen 
vom  Dichter  mit  bewusster  Absieht  gegeben  sei,  oder  einbch 
dessen  eigene  Gemüthsart  und  die  der  ihn  umgebenden  Graeculi 
dieser  späten,  bereits  stark  zum  Byzantinerthum  hintibemei* 
genden  Zeit  abspiegle.  Mögen  aber  ihre  Absonderlichkeiten 
mit  mehr  oder  weniger  Absicht  vom  Dichter  angelegt  sein,  leere 
Schemen  ohne  eigentliches  Leben  bleiben  sie  doch. 

Freilich  wendet  nun  auch  Achilles  seinen  besten  Fleiss  auf 
ganz  andere  Dinge  als  die  Charakterzeichnung  seiner  Helden. 
Wenn  bei  Jamblich  und  Heliodor  die  Beiwerke  rhetorischer  und 
gelehrter  Art,  als :  Reden,  Briefe,  Beschreibungen  u.  dgl.  immer 
noch  einen  bescheidenen  Raum  im  Ganzen  des  Romans  einge- 
nommen hatten,  so  haben  bei  Achill  solche  Beiwerke  die  eigent- 
liche Erzählung  in  so  üppiger  Fülle  überwuchert,  dass  sie  ge- 
radezu zur  Hauptsache  geworden  sind.  Sein  Roman  ist  ein 
förmliches  Mosaik  von  sophistischen  Betrachtungen  und  Discus- 
sionen  über  die  Liebe ,  ihr  Wesen ,  ihre  Aeiisserungen ,  ihre 
verschiedenen  Arten  *) ;  von  weitläuftigen  Reden  und  Monologen, 

1)  Man  sehe  nur,  wie  er  tobt:  V  23,  5;  VIU  i ;  vgl.  auch  p.  469,  SO  ff. 

2)  Vlll  9. 

3]  Man  lese  namentlich  VIII  1.  2.  Thersander  schlägt  ihn  so  lange 
ins  Gesicht,  bis  er  sich  an  seinen  Zöhnen  die  Hand  verwundet.  Nun  erst 
wird  Klitophon  lebendig  und  nun?  ja  nun  erfüllt  er  laut  brüllend  in  einer 
langen,  witzig  sophistirenden  Klageredc  das  Heiligthum  mit  Getöse:  iif  otc 
^Tupawi^Or^N  TpaftooÄv  ^v^rXTjaa  ßofj;  t6  Upöv.  Auch  der  Priester  schilt  den 
Frevler  aus,  eine  grosse  Menschenmenge  stürmt  herbei,  Klitophon  bekonunt 
immer  mehr  Muth  [i^oi  hk  TeOappr^xiÄ;  p.  4  90,  20)  und  declamirt  weiter. 
—  Dergleichen  ist  sicherlich  nicht  parodisch  von  Achilles  gemeint. 

4)  Diese  eigentlich  erotischen  Excurse  vornehmlich  in  den  zwei  ersten 
Büchern;  ausser  den  einzelnen  Scenen  der  Werbung  des  Klitophon  selbst, 
z.  B.  auch  eine  lange  Auseinandersetzung  über  die  Liebe  der  Pfouen,  der 
Pflanzen,  des  Magnets,  des  Alpheus  und  der  Arethusa,  der  l-^u  und  der 
afjLupatva  (vgl.  Nonnus  I  284  f.),  I  16 — 18  (lauter  beliebte  Sophistenstücke). 
Eine  Diatribe  ül)er  die    Vorzüge   der  Weiberliebe   oder   der  Knabenliebe' 


—     481     — 

von  wohlgedrechselten  Briefen ;  von  sonstigen  rhetorischen  Pracht- 
stücken, die  mit  'der  Erzählung  selbst  noch  weniger  zu  thun 
haben :  Beschreibungen  von  Bildern ,  Schilderungen  aus  der 
Naturgeschichte  und  dem  Menschenleben,  Erzählungen  alter 
Mythen  und  äsopischer  Fabeln  u.  s.  w.  Alles  löst  sich  in  eine 
Reihe  selbständiger  Einzelheiten  auf;  um  zu  immer  neuen  Ab- 
schweifungen sich  eine  Veranlassung  zu  schaffen,  um  die  ein- 
zelnen Stückwerke  an  einander  und  alle  in  die  Erzählung  ein- 
zufügen, sind  dem  Sophisten  die  leichtfertigsten  Redewendungen 


II  35 — 38,  in  welcher,  so  viel  ich  sehe,  Lucians  'Epore;  nicht  benutzt 
sind,  wohl  aber  Xenophons  »Gastmahl«  [mit  p.  85,  18  vgl.  Xen.  conv. 
VIll  39;  mit  p.  87,  20  ff.  Xen.  II  8.  4],  und  vielleicht  einige  Epigramme 
des  Straten  [mit  p.  87,  S4  ff.  vgl.  auch  Strato,  Anlh.  Pal.  XU  7.  492]  und 
wohl  gewiss  mancherlei  andere  Epigrammenpoesie  [mit  p.  85,  4  9  vgl.  Anth. 
Pal.  V  277].  So  ist  auch  in  der  Declamation  gegen  die  Weiber,  I  8, 
Manches  aus  älteren  Epigrammen  entlehnt  und  prosaisch  umgebildet:  man 
vgl.  z.  B.  Anth.  Pal.  IX  4  65,  466,  467,  drei  Epigramme  des  Palladas,  eines 
etwas  filteren  Zeitgenossen  und  Landsmannes  des  Achilles.  Anderes 
Erotische  ist  dem  Musaeus  nachgemacht  und  Vieles  würde  man  als  ent- 
lehnt aus  hellenistischer  Poesie  erkennen,  wenn  unsere  Kenntniss  dieser 
Poesie  nicht  so  lückenhaft  wäre.  Vgl.  die  Parallelen  oben  im  ersten  Ab- 
schnitt §  42.  Manches  klingt  ganz  unverkennbar  an  Epigramme  der  An- 
thologie an:  z.  B.  p.  64,  43  ff.,  p.  44,  48  ff.  [vgl.  Macedonius,  Anth.  V  243]; 
62,  4  ff.  [vgl.  Archias,  Anth.  V  59,  und  namentlich  Nonnus,  Dion.  34,  66  ff. 
8.  auch  Ach.  Tat.  p.  440,  4  ff.];  63,  47  ff.  [vgl.  Marc.  Argent.  anth.  V  32]  ; 
402,  4  ff.  [vgl.  Anth.  V  229].  Auf  gemeinsame  hellenistische  Quellen  mögen 
übereinstimmende  Stellen  des  Achilles  und  des  Ovid  zurückgehen,  wie 
z.  B.  p.  48,  46  ff.,  Ovid.  art.  II  345  f.,  48,  24  ff.,  Ovid.  art.  I  643  f.,  50,  4  ff., 
Ovid.  art.  I  673  ff.  —  An  die  Benutzung  hellenistischer  und  spötgriechischer 
Dichter  erinnern  auch  einige  Spuren  von  Versen  mitten  im  Texte  des 
Achilles:  p.  460,  30  f.  (öcpDaXfjLo;  oxav  xoi;)  »Sdxp'jaiv  u^pav^«  £otxe  »irrjYij; 
ept^H^ovifiaCui«  (bereits  von  Hercher  hervorgehoben);  p.  4  44,  4  f.;  i}.ir^f:6s 
{ji€  —  "^'jY^^  f\}sfxX%0L  »cXsudlpav  [lev  cu;  l^uv,  So6Xt)v  oe  vuv«,  ein  iambischer 
Trimeter;  p.  66,  40:  [jiixp6;  5'  aur^jv  i%dK'jTVze  »xöyXo;  ^y^6xX({j  f^^XH^"* 

1)  Reden:  namentlich  in  den  Gerichtsverhandlungen  am  Schluss  des 
Ganzen:  VII  7.  9.  44;  VIII  8.  9.  4  0.  44.  Die  langen  Reden  des  achten 
Buches  sind,  der  Lage  der  Dinge  nach,  vollständig  überflüssig:  wo6  oei 
XÖYwv«  sagt  endlich  Thersander  selbst:  VIII  4  4,  4;  und  so  ist  es  auch: 
aber  —  »verbiete  du  dem  Seidenwurm  zu  spinnen«!  Merkwürdig  ist 
übrigens  die  Rede  des  Artemispriesters  (VIII  9)  in  ihrer  ersten  Hälfte. 
Dieser  Mann,  welcher  »vorzüglich  der  Komiidie  des  Aristophanes  nach- 
eifert« (p.  499,  20  f.),  redet  in  lauter  Zoten  unter  der  Hülle  unverfäng- 
lichen Ausdruckes.  Diese  zweideutige  Redeweise  gehörte  zu  den  beson- 
deren Kunststücken  der  Rhetorik :  es  sind  dies  i9^T)(xaTi9fjLivai  unod^oei;  xar' 

Robdc,  Der  griechische  Roman.  31 


—     4S2     — 

gut  genügt).  Man  sieht  wohl,  die  Abrundung  einer  grossen 
Fülle  solcher  einzelnen  Stücke  ist  ihm  die  wesentlichste  Auf- 
gabe; der  Roman  selbst  muss  für  ein  so  buntes  Mosaik  kaum 
mehr  als  den  einheitlichen  Untergrund  hergeben.  Daher  haC 
Achilles  sich  die  Erfindung  seiner  Fabel  recht  bequem  ge^ 
macht.  Er  setzt  sie  zum  grOssten  Theil  aus  schlecht  verwen- 
deten Reminiscenzen  an  ältere  Romane  zusammen.  Jamblich 
und  Xenophon  mögen  Einzelnes  beigesteuert  habendi ;   vor  Allem 


ffi'faatv:  s.  Hermogenes  de  invent.  (Spengel.  Rh.  j;r.  II]  p.  S59.  260  f. 
Philosiratas  rühmt  die  Gewandtheit  ii  solchen  doyr^fAaTtepLiv^i  bfizoHotti  am 
Polemo  (V.  S.  p.  5S,  t  ff.),  am  Rufus  (ebd.  p.  4  00,  26  (T.)  am  Antipater 
(p.  440,  6).  üebrigens  konnte  von  der  aristophaniacben  Komödie  der  Red- 
ner wohl  die  offene  aictypoXo^t«,  aber  nicht  die  zotige  (»n^voca  (welcbe  nach 
einer  trefflichen  Bemerlkong  des  Aristoteles  [Etb.  Nie.  4lS8a,  St  ff.]  viel- 
mehr der  neueren  Komödie  eigen  war)  erlernen.  —  Lange  Klagereden 
(fiOvtjiSlai) :  I  4».  44.  —  Briefe:  p.  44,  «0;  445,  45;  147.  45.  —  4»- 
<fpd9tti  von  Bildern:  s.  Matz,  De  Philostr.  fide  p.  42.  48.  Beschreibung 
eines  Bechers:   II  S;  eines  Hochieitsgewandes :  II  44,  2.  2;   eines  Gartens: 

I  45.   —   Parerga  aus  der  Naturgeschichte:    Aufflndung  des    Porpnrs 

II  42;  paradoxe  Gewttsser  11  44,  6  ff.,  Aegyptisolie  Ochaen  II  15,  t;  Vogel 
Phoenix  III  25 ;  Nilpferd  IV  2 ;  Geburt  des  Elephauten  IV  4 ;  dessen  Wohl- 
geruch  IV  5;  Nil  IV  42;  IV  4  8,  S  f.;  Krokodil  IV  4  9.  —  Aus  mensohlichem 
Leben:  Serapisfest  V  2;  sehr  unklare  Beschreibung  von  Alexandria  V  4; 
von  Pherus  V  6,  3.  —  Mythenerzähtun;;:  Tereus  Procne  und  Philomele  V  5; 
Syrinx  und  Pan  VIII  6;  (beilftufig:  Keuschheitsprobe  in  der  SyrtnxbOhle, 
wohl  nach  A.  T.  in  byzantinischen  Jamben  geschildert  von  einem  Anonymus 
bei  Boissonade  zu  Nie.  Eug.  IX  274  p.  398;:  —  Zwei  aesopische  Fabeln 
II  24.  22:  von  der  Mücke,  dem  Elephanten  und  dem  Löwen;  der  Mücke^ 
dem  Löwen  und  der  Spinne.  Die  zweite  Fabel  auch  fab.  Aesop.  284  Halm 
(die  erste,  aus  A.  T.  aufgenommen,  ebd.  264);  beide  vielleicht  orsprüngtidi 
indisch:  vgl.  Benfey,  Pantschat.  1  24  5  f. 

1;  Am  Lächerlichsten  vielleicht  p.  69,  9  ff.  Man  bertttb,  in  Byzaaz, 
über  den  Sinn  eines  dunkeln  Orakelspruches:  Chaerephon,  der  oberste 
Feldherr,  tritt  auf:  »ich  werde«,  sagt  er,  »den  ganzen  Spruch  euch  er- 
kiSren«;  übrigens  hnt  man  nicht  nur  die  Natur  des  Feuers ,  ^  sondern 
auch  die  des  Wassers  zu  bewundern.  Denn  — :  und  nun  folgt  eine  lange 
(aus  Panidoxcnsammluiigrn,  etwa  der  des  Isigonus,  zusammengekratzte) 
Reihe  von  seltsamen  Erscheinungen  an  Quellen  und  Flüssen,  die  mit  dem 
Orakel  nicht  das  Geringste  zu  thun  haben:  und  damit  schliesst  denn  die 
Rede  des  Keldherrn!  —  Mit  ähnlicher  Leichtfertigkeit  ist  ein  langer  Excurs 
über  den  Elephanten  eingefügt  IV  4.  5.  Vgl.  auch  p.  58,  24  ff.;  72,  28  ff.; 
4  82,  24   ff.   u.  s.  w. 

2)  Aus  Jamblich  ist  vielleicht  der  Gedanke  entlehnt,  Feinde  durch  die 
Durchbohrung  eines  Deiches  in  L'eberschwemmungsgefahr  zu  bringen  (Jam- 


—    483    — 

aber  wird  sich  jddem  Li^er  der  beiden  Romane  des  Heliodor 
und  des  Achilles  die  Wahrnehmung  aufdrängen ,  wie  dieser 
Jenem  nicht  nur  eine  grosse  Menge  einzelner  Wendungen  und 
Phrasen  entlehnt  ^j  sondern  in  dem  Gange  der  Erzählung  selbst, 
Von  der  Flucht  des  Liebespaares  an,  durch  den  ganzen  Verlauf 
ihrelr  Abenteuer  bei  deü  ägyptischen  Bukolen  biä  zur  endlichen 
glorreichen  Keuschheitsprobe  der  Heldin  hindurch  zahlreiche 
und  wesentliche  Züge  der  Handlung  nachgebildet  hat'^).  Frei- 
lich fehlt  auch  hier  dem  Achill  der  grössere  und  freiere  Zug 
der  Zeichnung,  welcher  den  Roman  des  Heliodor,  als  ein  Ganzes 
betrachtet,  auszeichnet.  Auch  seine  Handlung  selbst  ist  zusam- 
mengesetztes, übel  verbundenes  Stückwerk.  Wir  brauchen  dies 
hier  nicht  zu  verfolgen;  nur  auf  die  Einfügung  einiger  selt- 
samer, in  weitverbreiteten  Sagen  und  Märchen  wiederkehrender 


blich  bei  Hinck,  Polemonis  decl.  p.  45.  46:  Ach.  Tat.  IV  4  4):  s.  Hercher, 
Hermes  1  863.  Man  Icönnte  freilich  auch  Heliodor  IX  3  ff.  vergleichen.  — 
An  Xenophon  Eph.  erinnert  t.  B.  die  (beabsichtigte)  Opferung  der  Heldin 
für  die  Räuberbande  (Xen.  II  48;  Ach.  HI  42,  2;  45). 

1}  Von  Phrasen,  welche  Achilles  dem  Heliodor  entlehnt  hat,  bemerke 
man  z.  B  p.  97,  30:  -JJot]  tö^  dpf^vON  öp^-^dofiai.  Hei.  p.  467,  28:  qfawfxrv 
a'jT^)  dfW)NO'j$  %a\  Y^ou;  bizopr^ri^Afu^a  (bei  Hei.  hat  das  Bild,  im  Zusammen* 
hange  einen  Sinn;  nicht  so  bei  Ach.);  Ach.  90,  42:  öXoXti^fiö;  xjsaixBn, 
dXaXaYfAo;  dvSpcbv.  Hei.  83,  26:  cbXöXu^av  \ik>t  al  YUvaixE;,  •^XdXaSav  5s  ot 
avope;.  Vgl.  Ach.  43,  27  mil  Hei.  203,  45;  Ach.  58,  4  3  f.  mit  Hei.  80,  9; 
Ach.  50,  49  ff.  mit  Hei.  80,  28;  Ach.  88,  25  mit  Hei.  23,  82.  Vielfach 
entlehnt  er  ihm  Gemeinplätze  und  Sentenzen.  Vgl.  Ach.  44,  4-5  mit  Hei. 
68,  30  ff.;  Ach.  44,  2—42  mit  Hei.  40,  46  ff.;  Ach.  80,  22  ff.  mit  Hei. 
404,  30  ff.;  Ach.  446,  80  f.  mit  Hei.  24,  5^;  u.  s.  w. 

2)  Bereits  Photius,  Bibl.  87  p.  66a,  24  ff.  bemerkt  die  Aehnlichkeit 
der  dtaa^eu-?)  %ai  rXdoi;  Töbv  ^tr^^^!^^'^"'''  ^^^  Achilles  mit  dem  Roman  dofi 
Heliodor.  Vgl.  auch  Psellus  bei  Korais,  Heliod.  1  p.  r,a.  Unverkennbar 
ist  die  Nachahmung  des  Heliodor  durch  Achilles  in  der  Auswerfung  der 
Liebenden  an  der  ägyptischen  Küste  (III  5  ff.);  ihrer  Gefangennehmung 
durch  die,  in  den  Niisümpfen  lebenden  (IV  4  2,  4  ff.)  Bukolen  (III  9);  der 
Liebe  des  Sklaven  (bei  Achilles:  Sosthenes;  bei  Heliodor:  Achaemenes)  zu 
der  Heldin,  welche  er,  selbst  abgewiesen,  dem  Herrn  nnbietet  (Ach.  VI  3; 
Hei.  VII  28.  29;  Vlll  2) ;  wohl  auch  der  Bedrängniss  der  Heldin  durch  den 
Feldherrn  und  ihrer  scheinbaren  Nachgiebigkeit  (Ach.  IV  6  ff.;  Hei.  I  49  ff. 
6.  Korais,  Hei.  II  p.  43  f.  Wiewohl  die  beiden  zuletzt  erwähnten  Züge 
auch  bei  Xenophon  sich  linden).  Weiterhiu  jedenfalls  in  der  Keuschheil.s- 
probe  am  Schluss;  und  vielleicht  auch  in  der  ambitiösen  Kriegsbeschreibung 
^IV  43  ff.;  Hei.  IX),  in  der  scherzhaften  Verwendung  des  Zauberglaubens 
^lU  4  8,  2.  8)  u.  s.  w. 

31» 


—     484     ^ 


Züge   in  die  Handlung  des  Romans   des  Achilles  sei  mit  Einem 
Worte  hingewiesen  ^) . 


1)  Entführung  der  Kalligone  vom  Opfer  durch   Jünglinge  in   Weiber- 
tracht: II  48.     Jacobs  p.  547  verweist  auf  Ähnliche  Geschichten  bei   Hero- 
dok  V  SO  u.  8.  w.  —  II  84:  Menelaus  erzählt,   wie  er  auf  der  Jagd,   auf 
einen  wilden  Eber  zielend,  statt  dessen  seinen  Geliebten  durchbohrt.     Pas- 
send   vergleicht   man    die    Geschichte    von    Adrestos   und  dem  Sohne   des 
Kroesus:  Herodot  I  86—48.  —  VM  :  Meiita  besucht  den  Klitophon  im  Ge- 
(ttngniss,  wechselt  mit  ihm  die  Kleider;  er  entkommt  in  Weibergewttndem. 
Vgl.   die  Sage  von  den  Minyern  und  ihren  Weibern,  Herodot  IV  4  46  u.  ö. 
Müller,  Orchom.  p.  807  ff.  —  lii  «4  :  der  Leucippe,  welche  geopfert  wer- 
den soll,  binden  die  Freunde  einen  blutgefüllten  Darm  vor,  den  dann   Me- 
nelaus, als  Opferer,  mit  dem  Theaterdolch  aufschlitzt,  u.  s.  w.   Dergleichen 
gehörte  vielleicht  zu  den  Künsten  der  <hiufiaToiroio(  (vgl.  was  von  vorgebundenen 
x6oTeu  erzählt  wird  bei  Athen.  I  20  A,  und  die  scheinbare  Erdolchung  des 
Gauklers  Satyrion  bei  Theod.  Prodr.  Rhod.  et  Dos.  IV  226  ff.).    Vielleicht  ent- 
lehnte aber  Achilles  diesen  Einfall  einem  filteren  Märchen :  wenigstens  kommt 
im   Märchen   höufig  ganz  ähnliches  vor:  vgl.   v.   Hahn,   Griech.    Mch.   42 
(I  250),  engl.  Mch.  Jack  the  giant-killcr  (The  fairy  book,  vom  Author  of  John 
Halifax,  Lond.  4874  p.  72);  Müllenhoff,  Sagen  aus  Schleswig-Holstein  p.  444 ; 
Straparola,    Piac.  notti  p.  144  Schm.  —  VIII  44.  42.  44:   Thersander,   um 
die  Buhlschaft  der  Melite  mit  Klitophon  während  seiner  Abwesenheit  fest- 
zustellen,  zwingt  diese   in   das  »Styxwasser«,  welches  meineidigen  Frauen 
bis  an  den  Hals  steigt,  vor  Reinen  zurückweicht,  hinabzusteigen,  ein  Täfel- 
chen  um   den    Hals,   auf  welchem  der  Schwur  geschrieben  steht:  sie  habe 
mit  Klitophon  keinen  geschlechtlichen  Verkehr  gehabt,   »so  lange  Ther- 
ander  abwesend  war«.     Der  Eid  wird,  in  dem  Styxwasser,  richtig  und 
ohne  Gefahr  geleistet  —  denn  Melites  Liebesvereinigung  mit  Klitophon  hatte 
erst  stattgefunden,  als  Thersander  bereits  zurückgekehrt  war.  —   In  dieser 
raffinirten  Eidesleistung  mit  Reservation  erkenne  ich  das  erste  Beispiel  einer 
späterhin   in   Orient  und   Occident  weit  verbreiteten  Geschichte.     Arabisch 
bei  Cardonne,  M6I.  de  litt.  Orient.  I  48—46.     (Eine  Frau,  des  Ehebruches 
[mit  Recht]   angeklagt,   lässt  sich,   auf  dem  Wege  zum  »bassin  d'^preuve« 
von  ihrem,  als  Narr  verkleideten  Liebhaber  umarmen;  sie  schwört,  ausser 
von  ihrem   Galten   nur  von   diesem  Narren  berührt  worden  zu  sein,   und 
steigt,   ohne    unterzusinken,    in   das    Eidwasser).     Indisch   in  der  mongo- 
lischen  Uebersetzung  der  Sinh^sana-dvatringaCi,    Ardschi   Bordschi   Chan: 
s.  Schiefner,   bull.   bist.   phil.    de  l'acad.    de  St.   Pötersb.  4  857    p.  74   (dort 
gehtnuch  noch  eine  Rettung  aus  dem  Gefängniss  durch  Kleiderwecbsel  voraus, 
wie  bei  Ach.  Tat.  VI  4).     Ferner  bei  Straparola,   Piac.  notti  IV  2  (im  Aus- 
zug bei  V.  d.  Hagen,   Ges.  ab.  II  p.  XXXIX  ff.),   in   Gottfrieds  von  Strass- 
bürg  Tristan  (V.  45522  ff.:  aus  einer  Tristansage  auch   in  der  nordischen 
Gretters-saga   [43/44  Jh.]:    P.  E.    Müller,   Sagabibl.  I  [übersetzt  von   Lach- 
mann] p.  494)   und   wohl   noch   sonst.  —  IV  48,  2  ff.     Die  Bukolen  flcheo 
scheinbar  um  Gnade.     Greise  ziehen   voran,   grüne   Zweige  tragend; 


—    485    — 

Alles  Dun  endlich,  die  Romanfabel  selbst  und  die  bunte 
Fülle  der  Einlagen  wird  vom  Achill  lediglich  vorgetragen,  um 
seiner  rhetorischen  Kunst  die  mannichfaltigste  Veranlassung  zur 
Entwickelung  ihrer  wohlgettbten  Kraft  zu  geben.  Viel  ent- 
schiedener als  bei  Xenophon  und  Heliodor,  wohl  auch  bei  Jam- 
blichus,  tritt  bei  diesem  Sophisten  die  rhetorische  Absicht 
hervor  und  der  rein  dichterischen  in  den  Weg.  Der  ganze 
Roman  wird  dem  Achilles  zur  StilUbung.  Der  Charakter  seines 
Stils  Hesse  sich  aber  wohl  am  Treffendsten ,  mit  einem  der 
Baukunst  entlehnten  Ausdruck,  als  das  Barocke  bezeichnen. 
Er  hat  eine  starke  Abneigung  gegen  die  gerade  Linie  des  ein- 
fach sachgemässen  Ausdrucks.  Daher  bewegt  sich  seine  Schreib- 
weise überall  in  den  Schnörkeln,  Verzierungen,  koketten  Aus- 
biegungen des  poetischen  und  tropischen  Ausdrucks,  in  rheto- 
rischen Wortspielen ,  Antithesen ,  reimenden  Satzenden  u.  dgl. 
Und  so  mag  ei^'^denn,  in  der  oft  bis  zur  Abgeschmacktheit  ge- 
steigerten zierlichen  Pracht  seines  bunten  Pfauengefieders,  in 
der  Unbefangenheit,  mit  welcher  er  jeden  beliebigen  Gegen- 
stand, und  zumal  die  erotische  Fabel,  nur  als  eine  Aufgabe  für 
rhetorische  Exercitien  verwendet,  als  ein  immerhin  merkwür- 
diger Vertreter  der  ausgeprägtesten  Sophistik  betrachtet  werden. 


6. 

Die  Reihe  der  hier  betrachteten  Romane  schliesse,  als  letztes 
Beispiel  dieses  besonderen  Schemas  des  sophistischen  Romans, 
die  Erzählung  des  Chariten   aus  Aphrodisias  von   den  Aben- 


zur  rechten  Zeit  springen  die  vorher  durch  die  Zweige  verborgenen  Be- 
waffneten hervor.  Erinnert  diese,  durchaus  märchenhaft  unmögliche  Ge- 
schichte nur  zuföUig  an  Malcolmes  List  und  den  wandelnden  Wald  von 
Birnam  im  »Macbeth«?  Ich  vermuthe,  Achilles  habe  dieses  alte  Märchen  ge- 
kannt und  in  seiner  Art  sich  zu  Nutze  gemacht.  Dasselbe  findet  sich  bereits 
{worauf  Andreas  mich  hinweist)  bei  dem  persischen  Historiker  Tabari 
(f  922],  Chronique  trad.  par  Zotemberg  II  p.  30.  Ferner  bei  dem  fränki- 
schen Chronisten  Aimoin  (Anfang  des  eilften  Jahrhunderts:  Wattenbach, 
Deutschi.  Geschichtsqu.  I  p.  88):  s.  Grimm,  D.  Sagen  429  (II  92).  Vgl. 
auch  Grimm  ebd.  91  ([  149);  MüllenhofT,  Schleswig-Holsteinische  Sagen 
N.  IX  p.  43;  p.  59f ;  Wuk,  Volksmärchen  der  Serben  42  p.  235;  endlich 
eine  altarabische  Sage ,  auf  welche  Hariri  anspielt :  Rückert ,  Makamen  des 
Hariri  (2.  Aufl.)  II  p.  4  4. 


—     486    — 

teuern  des  Chaereas  und  der  Kallirrhoä.     Folgendes  ist  der  In- 
halt der  acht  Bücher  dieses  Romans. 

In  Syrakus  erblicken,  bei  einem  zu  Ehren  der  Aphrodite  ge- 
feierten Feste,  Chaereas,  der  Sohn  des  Ariston  und  Kallirrho^,  die 
Tochter  des  Hermokrates,  jenes  berühmten  Feldherm  und  Besiegers 
der  Athener,  einander  zum  ersten  Male.  Sie  entbrennen  in  heftigster 
Liebe;  bald  vereinigt  sie  die  Ehe.  Nebenbuhler  des  Chaereas 
wissen,  nach  einem  ersten  vergeblichen  Versuch,  die  Eifersucht  des 
jungen  Gatten  zu  erregen:  er  überrascht  die  Kallirrhoi^  bei  einem 
scheinbaren  Versuch  der  Untreue,  und  wirft  sie  durch  einen  brutalen 
Fusstritt  zu  Boden.  Für  todt  wird  sie  in  einem  Grabgewölbe  vor 
der  Stadt  beigesetzt.  In  einer  Nacht  wird  das  Gewölbe  von  Räu- 
bern, unter  Führung  des  Theron,  erbrochen,  die  mit  beigesetzte^ 
Kostbarkeiten  geraubt,  Kallirrhoe,  welche  soeben  aus  ihrem  Schein- 
tode erwacht  war,  fortgeschleppt;  zu  Schiffe  entfliehen  die  R&uber 
mit  ihrer  Beute  nach  Milet.  Sie  landen  80  Stadien  von  der  Stadt^ 
auf  dem  Landsitze  des  Dionysius,  des  ersten  Bürgers  von  Milet. 
Zufällig  ist  es  gerade  Leonas,  der  Verwalter  des  Dionysius,  an 
welchen  Theron  die  K.  verkauft.  Der  Räuber  empfängt,  als  erste 
Anzahlung  des  Kaufpreises  für  eine  so  übermenschliche  Schönheit, 
ein  Talent  und  beeilt  sich,  heimlich  abzufahren,  damit  sein  Handel 
mit  einer  Freigeborenen  nicht  entdeckt  werde.  Der  Ven^^alter  meldet 
dem  Dionysius  den  Ankauf  der  schönen  Sclavio ;  als  dieser  gelegent- 
lich sein  Landgut  besucht,  entbrennt  er,  wiewohl  noch  eben  um 
den  Tod  seiner  ersten  Gattin  trauernd,  in  leidenschaftlichster  Liebe 
zu  der  schönen,  nur  mit  der  Aphrodite  selbst  zu  vergleichenden, 
und  von  der  Landbevölkerung  für  eine  der,  in  den  dortigen  Gegen- 
den häuliger  gesehenen  Erscheinungen  der  Liebesgöttin  gehaltenen 
Griechin.  Er  behandelt  sie  mit  der  äussersten  Schonung  und  Ehr- 
erbietung; aber  seinen,  durch  Plangoo,  die  Frau  des  Gutsverwalters 
Phokas,  vermittelten  Liebesanträgen  giebt  Kallirrhoe  nicht  nach. 
Zuletzt  stellt  es  sich  heraus,  dass  sie  vom  Chaereas  schwanger  ist; 
das  unglückliche  Kind  zu  tödten  wagt  sie  nicht;  um  es  vor  dem 
Loose  eines  Sciavenkindes  zu  bewahren,  willigt  sie  in  die  Vermäh- 
lung mit  Dionysius.  Plangon  vermittelt  Alles;  natürUch  wird  dem 
Dionysius  der  Zustand  seiner  Braut  verhohlen.  Glückselig  feiert 
Dionysius,  der  sich  in  fruchtlosem  Verlangen  völlig  verzehrt  hatte, 
das  glänzendste  Hochzeitsfest. 

Mittlerweile  war  in  Syrakus  die  Beraubung  des  Grabes  entdeckt 
worden.  Nach  allen  Seiten  hatte  man  Trieren  ausgeschickt,  um 
Kallirrhoe  aufzusuchen.  Das  vom  Chaereas  befehhgte  Schiff  war  auf 
das  Piratenschiir  gestossen :  darin  waren,  nach  langer  Seefahrt,  alle 
üebrigen  vor  Durst  gestorben;  einzig  Theron  lebte  noch.  Er  wird 
nach  Syrakus  zurückgebracht ;  auf  der  Folter  gesteht  er  endHch  seine 
Schandthat.  Alsbald  schickt  man  ein  Schiff  nach  MUet,  um  die 
Kallirrhoe  zu  befreien ;  Chaereas  befehligt  es ;   ihm  folgt  sein  getreuer 


—     487     — 

Freund  Polycharmus.  Sie  landen  bei  dem  Landgute  des  Dionysius; 
dort  erfahren  sie  von  der  bereits  vollzogenen  Eheverbindung  des 
Dionysius  und  der  Kallirrboe.  Pbokas,  der  Sclave  des  Dionysius, 
merkt  die  Gefahr,  die  seinem  Herrn  droht;  auf  seine  Anzeige  von 
der  Landung  eines  feindlichen  Kriegsscbiflfes  werden  Cbaereas  und 
seine  Genossen  Nachts  von  persischen  Truppen  überfallen,  das  Schiff 
verbrannt,  die  Mannschaft  fortgeschleppt  und  verkauft.  — 

Kallirrho^  gebiert  im  siebenten  Monate  ihrer  neuen  Ehe  einen 
Sohn,  den  Dionysius  für  seinen  eigenen  halten  muss.  Sic  selbst 
gedenkt  stets  des  Chaercas:  auf  Veranstaltung  des  eifersüchtigen 
Dionysius  wird  ihr  berichtet ,  bei  jenem  Ueberfall  des  hellenischen 
Kriegsschiffes  seien  alle  Griechen  umgekommen :  sie  veranstaltet  daher 
dem  für  todt  gehaltenen  Chaereas  ein  feierliches  Begräbniss  und 
errichtet  ihm  bei  Milet  ein  prächtiges,  völlig  ihrem  eigenen  ehemaligen 
Grabe  gleiches  Kenotaph.  Bei  dem  prächtigen  Leichenzuge  sieht  sie 
der,  gerade  in  Milet  anwesende  Satrap  von  Karien,  Mithridates,  und 
verliebt  sich  heftig  in  sie. 

Nach  Karien  waren  Chaereas  und  Polycharm  verkauft.  Bei 
Gelegenheit  eines  Sclavenaufstandcs  erfährt  Mithridates  zurällig  den 
Zusammenhang  des  Chaereas  mit  der  Kallirrhoe.  Er  schickt  einen 
Böten  an  Kallirrhoe  mit  einem  Briefe  des  Chaereas,  einem  eigenen 
Briefe,  und  reichen  Geschenken.  Briefe  und  Geschenke  gerathen  in 
die  Hände  des  Dionysius.  Der  sieht  in  dem  Ganzen  nur  eine  Yer- 
führerlist  des  Mithridates,  welcher  auch  den  Brief  des  (von  Dionys 
ernstlich  für  todt  gehaltenen;  Chaereas  nur  erdichtet  habe.  Er 
beschwert  sich  bei  dem  Satrapen  von  Lydien  und  lonien,  Phamaces; 
der  meldet  die  Angelegenheit  dem  Grosskönige  Artaxerxes;  der 
König  beruft  Mithridates,  und  zugleich  Dionysius  mitsammt  seiner 
Frau*)  zur  Verantwortung  nach  seiner  Residenz  Babylon.  Dem  Be- 
fehle wird  gehorcht.  In  Babyion  vertreten,  in  langen  Reden,  Dionys 
und  Mithridates  vor  dem  Könige  ihre  Angelegenheit;  zuletzt  lässt 
Mithridates,  zum  höchsten  Schrecken  des  Dionys,  den  heimlich  mit- 
gebrachten Chaereas  lebendig  hervortreten.  Mithridates  zieht  nun, 
von  der  Anklage  befreit,  nach  Hause ;  zwischen  Dionys  und  Chaereas 
verspricht  der  König  in  einer  neuen  Gerichtssitzung  zu  entscheiden. 
Er  hat  sich  aber  selbst  in  die,  bei  dem  Gerichte  anwesende  Kai- 
lirrhoü  verliebt;  in  seinem  Harem,  wohin  er  sie  einstweilen  hat 
bringen  lassen,  hat  er  täglich  Gelegenheit,  sie  zu  sehen ;  kein  Wunder, 
dass  er,  unter  erdichtetem  Vorwand,  die  entscheidende  Gerichts- 
sitzung hinausschiebt.  Mittlerweile  sucht  er,  durch  Vermittlung  seines 
Eunuchen  Artaxates,  die  Schöne  sich  zu  gewinnen;    aber  vergebens. 

Plötzlich  wird  gemeldet:   Aegypten   sei  abgefallen,   der  persische 
Satrap    ermordet,    ein    einheimischer   König    erwählt,    schon   rücken 

1}  Unzweifelhaft  richtig  ergänzr  Cobel,  Mnemosyne  VIll  (4  859)  p.  242 
den  Brief  des  Königs  p.  8t,  2t  also :  Atovjoiov,  ifxov  ooOXov,  MtXf,oiov  Trifx^ov 
[xal  TTjv  'f'j*talt,a  os  auToO  a*j ji.7:efi.<loN j. 


—    488     — 

diese  gegen  Syrien  und  Phoenicien  heran.  Artaxerxes  zieht  mit 
grossem  Heere  den  Feinden  entgegen;  seine  Gemahlin  Statira  und 
seine  übrigen  Weiber  folgen  ihm  in  den  Krieg;  mit  ihnen  Kallirrhoe. 
Gbaereas,  in  Babylon  zurückgelassen,  lässt  sich  erzählen,  Dionysius 
sei  in  die  Dienste  des  Königs  getreten  und  habe  zur  Belohnung  die 
Kallirrhot^  erhalten.  Verzweifelt,  und  nur  durch  Polycharm  Tom 
Selbstmord  abgehalten,  verlüsst  auch  er  Babylon  und  geht  zu  dem 
Könige  von  Aegypten.  An  die  Spitze  der  griechischen  Söldner  gestellt, 
nimmt  er  das  bisher  vergeblich  belagerte  Tyrus  durch  einen  kecken 
Handstreich  ein.  Artaxerxes,  um  schneller  vorwärts  zu  kommen, 
schickt  die  Weiber  nach  der  Insel  Aradus  an  der  syrischen  Küste. 
Er  selber  zieht  dem  aegyptischen  Landheerc  entgegen,  besiegt  das- 
selbe und  wirft  die  Rebellen  bis  nach  Pelusium  zurück.  Bei  der 
Verfolgung  thut  sich  Dionysius  hervor;  er  bringt  den  abgeschnittenen 
Kopf  des  AegypterkÖnigs,  welcher  in  der  äusserst en  Noth  sich  selbst 
getödtet  hatte.  Gbaereas  hatte  die  aegyptische  Flotte  zu  leiten;  er 
seinerseits  besiegt  die  Flotte  der  Perser,  und  nimmt  darauf  Aradus 
ein.  Die  dort  vorgefundene  reiche  Beute  wird  eingeschifft,  ebenso 
Statira  und  die  anderen  Weiber;  einzig  Kallirrho^  weigert  sich,  trotz 
aller  verlockenden  Vorspiegelungen  des  mit  der  Einschiffung  beauf- 
tragten aegyptischen  Soldaten,  (Tiesem  zu  folgen i).  Gbaereas,  von 
der  Weigerung  der  schönen  Gefangenen  unterrichtet ,  tritt .  endlich 
selbst  in  das  Rathhaus,  in  welchem  dieselbe  stumm  und  verfaüllteo 
Hauptes  am  Boden  liegt.  Er  erkennt  in  der  Gefangenen  die  ver- 
loren geglaubte  Gattin.  Die  Wonne  der  ersten  Wiedervereinigung 
wird  gestört  durch  die  Nachricht  von  der  Niederlage  des  aegyptischen 
Landheeres.  Man  beschliesst,  in  See  zu  stechen.  Statira  wird  dem 
Könige  zurückgeschickt,  die  eingeborenen  Acgypter  grössten  Theils 
nach  Hause  entlassen ;  mit  dem  Reste  derselben  und  den  Griechen 
fährt  Ghaereas  nach  Syrakus.  Jubelnd  nimmt  die  Bürgerschaft  die 
Zurückkehrenden  auf;  vor  versammelter  Volksgemeinde  erzählt  Chaefeas 
ihre  wunderbaren  Erlebnisse.  Während  ein  letzter  Brief  der  Kal- 
lirrhoe dem  wackem  Dionysius  die  Fürsorge  für  ihr  Kind  empfohlen 
hat,  bleibt  sie  selbst  zu  endlich  dauernder  Vereinigung  bei  dem 
Geliebten  in  der  Heimath. 


Person,  Heimath,  Zeit  des  Chariton  sind  für  uns  voUständig 
in  Nebel   gehüllt.      Er   leitet   zwar  selbst   seine    Erzählung   mit 

])  Dass  p.  134,  2S.  29:  ou  (x6vov  ^ap  dvopctoc  dA>.d  xal  pvatxa  trotV^omi 
sinnlos,  auch  in  der  ganzen  Erzählung  von  dem  Gespräch  des  aegyptischen 
Soldaten  mit  der  Kallirrhoe  vieles  unverständlich  sei,  hatte  Gebet,  Mnemos. 
VIII  898  ganz  richtig  gefühlt.  In  der  That  ist  zwischen  xal  und  fuvatxa 
eine  grosse  Lücke,  i^elcho  nicht  durch  einige  einzuschiebende  Worte,  son- 
dern nur  durch  eine  ganze  lange,  auf  einem  ausgefallenen  Blatte  einst  ent- 
haltene Erzählung  ausgefüllt  werden  kann ,  deren  Inhalt  Isidor  Hilberg, 
Philologus  XXXIII  (1874)  p.  696  mit  glücklichem  Scharfsinn  errathen  bat. 


—    489    — 

den  Worten  ein:  »Ich,  Chariton  aus  Aphrodisias,  der  Schreiber 
des  Redners  Athenagoras,  will  ein  in  Syrakus  vorgefallenes 
Liebesabenteuer  erzählen«.  Aber  bereits  der  erste  Herausgeber 
seines  Romans  hat  mit  Recht  bemerkt,  dass  man  gut  thue,  diese 
Angabe  lediglich  in  einem  allegorischen  Sinne  zu  verstehen. 
Der  Dichter  eines  erotischen  Romans,  nach  den  Chariten,  den 
Göttinnen  der  Huld  und  Anmuth  benannt,  aus  der  Stadt  der 
Aphrodite,  der  lenkenden  Gottheit  seiner  Dichtung,  stammend, 
Schreiber  eines  Athenagoras,  bei  dessen  Namen  man  sich  leicht 
des  Syracusaners  dieses  Namens,  des  Gegners  des  Hermokrates 
und  Zeitgenossen  der  Ereignisse  des  vorliegenden  Romans  ^)  er- 
innert: —  es  wäre  in  der  That  verwunderlich,  wenn  so  viele 
Indicien  nicht  darauf  hinleiteten  in  diesen  Personalnotizen  nur 
eine  leichte  sinnbildliche  Verhüllung  der  wirklichen  Person  und 
Lebensverhältnisse  des  Dichters  zu  erkennen,  dergleichen  wir 
ja  bereits  mehrfach  bei  anderen  Erotikern  bemerkt  haben  ^j. 
Die  Zeit  des  (wirklichen  oder  nur  Pseudonymen)  Chariton  ist 
mit  irgend  welcher  Zuversicht  nicht  zu  bestimmen.  Nur  so  viel 
scheint  eine  genauere  Retrachtung  seines  Romans  zu  lehren, 
dass  er  die  Romane  des  Jamblichus,  Heliodorus  und  nicht  am 
Wenigsten  den  des  Xenophon  vor  Augen  hatte  und  nachbildete  3;. 
W^enn  sich  ein  gleiches  Verhältniss  unseres  Dichters  zum  Achilles 
Tatius  nachweisen  Hesse,  so  würde  man  denselben  schwerlich 
vor  den  Anfang  des  sechsten ,  höchstens  in  die  letzten  Zeiten 
des  fünften  Jahrhunderts  setzen  dürfen.  Es  scheint  mir  aber 
nicht  bestimmt  erweislich,  welcher  von  diesen  beiden  Sophisten, 
bei  dem  Zusammentreffen  in  ähnlichen  Phrasen  und  Wendungen, 
dem  Anderen  nachgeahmt  habe*). 

1)  'Adt)vaYÖpa;,  6;  or^fiov»  rpooraTY];  f^v  xtX.     Thucyd.  VI  35. 

2)  S.  Dorville,  Animadv.  in  Char.  p.  6—8. 

3)  An  Jamblichus  erinnert  die  ganze  Scenerie  der  in  Persien,  Syrien, 
Aegypten  spielenden  Theile  des  Romans;  an  seine  Schilderung  der  Tupöooo; 
Toü  BaßuXoDvloDv  ßaaiX£(u;  (hinter  Hincks  Polemo  p.  49  f.)  eine  ähnliche 
Schilderung  bei  Chariton  VI  4.  —  Dem  Heliodor  wird  nachgebildet  sein  die 
ganze  Situation  der  Kallirrhoä  im  Schutze  und  am  Hofe  des  Perserkönigs, 
welcher  ihr  mit  seiner  Liebe  (durch  Botschaften  eines  Sclaven)  zusetzt,  bis 
ein  plötzliches  Hemmniss  Alles  abbricht  (Buch  VI).  Durchaus  parallel  ist 
das  Verhältniss  des  Theagenes  zur  Arsace  bei  Heliodor.  Auch  die  Kunst 
des  Retardirens  (z.  B.  V  7,  7 ;  VI  2,  2  u.  s.  w.)  scheint  Chariton  dem  He- 
liodor abgelernt  zu  haben. 

4)  Es  finden  sich  allerdings  manche  Aehnlichkeiten  zwischen  Chariton 


—    490    — 

Dass  der  Dichler  von  Beruf  Rhelor  und  Sophist  war,  wUr^e 
auch  ohne  seine  eigene  Andeutung  unbezweifelbar  seio-  Seip 
Roman  würde  es,  durch  sein  ganzes  Schema  wie  durch  die 
Ausführung  der  £rzahlung,  beweisen.  Derselbe  ist  ein  voli- 
gU)tiges  Probestück  des  sophistischen  Romans,  und  keioesweg3 
das  unangenehmste. 

Zwar  die  Erfindung  der  Fabel  ist  armselig  und  leicht  ger 
zimmert.  Zum  letzten  Male  die  alten  Possen:  Scheintod  und 
Wiederbelebung,  Rauber,  Seefahrt  und  Sturm,  Sciaverei,  ver- 
liebte Herren,  die  gewöhnlichen  Bedrängnisse  der  Tugend,  die 
gewöhnliche  glückliche  Lösung.  Die  Liebesfabel  ist  auf  einen 
historischen  Hintergrund  gestellt ;  man  sieht  wohl,  wie  Holiodor 
und  namentlich  die  babylonischen  Erzählungen  des  Jambiichuß 
dem  Dichter  als  Vorbilder  vorschwebten.  Aber  er  macht  ein^ 
etwas  höhere  PrUtensioni  Nicht  blosse  Marchenkönige ,  gleich 
denen  des  Jamblich  und  Heliodor,  will  er  uns  vorführen;  seine 
Geschichte  ist  in  die  Erlebnisse  so  unzweifelhaft  historisch^ 
Personen,  wie  des  edlen  Hermokrates  von  Syracus  und  des 
Königs  Artaxerxes  Mnemon  verflochten.  Schade  freilich,  dass 
Hermokrates  bereits  gestorben  war,  als  Artaxerxes  Mnemon  zur 


und  Achilles  Tatius.  Von  Phrasen  vgl.  man  Ach.  p.  138,  28  (Hercher) : 
Sosthenes  der  Leucippe  den  Liebesantrag  des  Thersander  vermittelnd:  f^%m 
001  ^pipiuv  0(up6v  d^a^^div,  dXX'  ^mo;  euTuyjQsaoa  (a-^j  iniXV)9^  fjiov.  Cbar. 
p.  418,  15  (Hercher):  Artaxates,  der  KaÜirrho^  den  Antrag  des  Königs 
überbringend :  fACYdXoDv,  eirev,  dfa%m'^  6i  f6vai  %T^ovJp6^  ooi  xex6{Mxa  *  tj  li 
fjLvTjfjiöve'jf  [jLO'j  r^;  euep^eoia;.  —  Ach.  98,  8 :  [lölTirjv  cot,  cw  ^dXaaaa,  r^s  jd- 
piv  (üfjLoXoYi^aajxev  [ji^[ji^o[Jiai  oou  tiq  ?ptXav0ptu'::(a.  Char.  60,  21:  cb  %d- 
Xaooa  'fiXdvOpcDire  t(  [u  ^iE9a>9a;;  —  ferner  vgl.  die  Beschreibung  der 
Lage  von  Tyrus  bei  Ach.  68,  i6  ff.  (vgl.  auch  Nonnus  Dion.  XL  311  ff.) 
und  bei  Char.  125,  31  ff.  (XeTTT^j  ctoooo;  aM^s  ouvdTrro'jM  ttq  yIQ  xwX'jci  to 
^Jl1^J  vfjoov  eivai.  Char.  Vgl.  Ach.  Tat.  121,  28:  ei;  auTr,v  [ty;v  x«Ta7«7i?jv] 
oieip^e  OTevcuTTÖ;  to  fii^  Trdaav  vijaov  -^e-^Mau  Beider  gemeinsames  Vorbild 
ist,  wie  Jacobs  hervorhebt,  Thucyd.  VI  1  :  SixeXia  —  iv  cixoai  sra^^CcDv  pid- 
Xiora  jx^Tp(p  TT,;  OaXdooTj;  oietp^exai  to  [t.i^  f^reipo;  eivai).  —  Von  dich teriscbeo 
Motiven  des  Chariton  hat  z.  B.  das  Verhältniss  des  Dionysius  zu  der,  auf 
seinem  Landgutc  aufbewahrten  Sclavin ,  Aehnlichkeit  mit  dem  Verhältniss 
des  Thersander  zur  Leucippe  bei  Achilles  (VI  4  (T.);  auch  die  Selbst^ 
verurtheilung  des  an  der  Rettung  der  Geliebten  verzweifelnden  Helden: 
Char.  I  5,  4,  Ach.  VII  7.  'Aehnlich  freilich  auch  Heliodor  p.  228,  21  ff.; 
230,  7  (T.  Bk.) ;  wie  bei  Achilles  Klitophon  der  für  todt  gehaltenen  Leucippe 
in  Alexandria  ein  Grab  errichtet  (V  7.  8],  so  bei  Chariton  Kallirrhod  dem 
todt  geglaubten  Cbaereas  (IV  1j. 


—    491     — 

Regierung  kam^).  Aber  das  stört  den  »Schreiber  des  Redners 
Athenagoras«  so  wenig  wie  andere  geschichtliche  Inconvenienzen, 
aus  denen  er  seinen  »historischen  Roman«  aufbaut ^j.  Er  schreibt 
eben  einen  achten  »historischen«  Roman,  dergleichen  zumeist 
auf  sehr  naive  Leser  berechnet  zu  sein  pflegen.  Hat  also  diese 
Erzählung  als  eines  der  ältesten  Beispiele  solcher  historisch- 
romanhaften  Tragelaphen  ein  gewisses  Interesse,  so  verlaugnet 
sie  ihre  Verwandtschaft  mit  dieser  Gattung  des  Romans  auch 
darin  nicht,  dass  man  im  Grunde  nicht  recht  begreift,  welchen 
Zweck  eigentlich  diese  historische  Maskerade  haben  kOnne; 
unter  den  Masken  stecken  ja  doch  nur  die  wohlbekannten 
Gliederpuppen.  Höchstens  mag  das  Hineinziehen  des  helleni- 
schen Liebespaares  in  den  Pomp  einer  persischen  Hofhaltung, 
ja  in  die  Kämpfe  um  den  Besitz  Aegyptens  und  Syriens,  dem 
Dichter  dienen,  den  Gegensatz  zwischen  Barbaren  und  Hel- 
lenen leuchtend  hervortreten  zu  lassen,  von  dem  er  (wohl 
vorzüglich  durch  Heliodor  angeregt)  so  viel  zu  reden  weiss  und 
den  er  endlich  in  den  kriegerischen  Grossthaten  nicht  nur  des 
Ghaereas  sondern  auch  des  Dionysius  auf  die  Spitze  treibt  ^j. 
In  diesen   historischen  Decorationen   seines  »Dramas«   lässt 


1)  Er  starb  ol.  93,  4  =  408  bei  einem  Versuche,  seine  Rückicebr  nach 
Syrakus  zu  erzwingen:  Diodor  XUI  75. 

2)  Der  Abfall  (und  gar  die,  erst  unter  Ochus  geglückte  Wiederunter- 
werfung) Aegyptens  passt  nicht  in  die  Regierungszeit  des  Arlaxerxcs  Mnemon. 
Das  Jahr  der  Erhebung  Aegyptens  ist  ungewiss  (vgl.  Clinton.  F.  Hell, 
p.  3t8  ed.  Kr.) :  aber  jedenfalls  fand  sie  bereits  unter  der  Regierung  des 
Darius  Nothus  statt  (Euseb.  chron.  ed.  Schocne  II  p.  108).  Dem  Chariton 
schwebte  wohl  eine  ungenaue  Erinnerung  an  die  Kämpfe  vor,  welche  Ar- 
taxerxes  in  den  letzten  Jahren  seiner  Regierung  gegen  die,  bereits  unter 
seinem  Vorgänger  abgefallenen  Aegypter  und  ihren  König  Tachos  führte. 
Damals  waren,  wie  auch  bei  Chariton,  im  aegyptischen  Heere  zahlreiche 
griechische  Söldner;  wie  bei  Chariton  der  Grieche  Chaereas,  so  befehligte 
damals  Agesilaus  im  aegyptischen  Heere.  (Diodor  XV  90.  92).  Damals 
hiess  freilich  der  Satrap  von  Lydien  nicht  Pharnaces,  wie  bei  Chariton 
(p.  70,  19],  sondern  Aulophradates;  in  Karlen  herrschte  Mausolus,  während 
bei  Chariton  dort  Mithridates  als  Satrap  sitzt. 

3)  Das  hellenische  Wesen  ist  dem  Dichter  identisch  mit  dem  cpiXdv- 
dped^rov,  Tceicai^eufA^ov,  dem  (ppöv7][ia  £\)^tsii]  die  Barbaren  freilich  schmähen 
vielfach  dieses  ihnen  entgegengesetzte  Wesen;  aber  in  dem  Wettstreit  des 
Barbarischen  und  Hellenischen ,  der  sich  durch  das  ganze  Werk  zieht^ 
$iegen  entschieden  die  Hellenen.  Vgl.  p.  86,  7.  85,  3i.  88,  8.  89,  6.  90,  2. 
S7,  9.   44«,   44.    446,   k.  447,   22.    427,  24.   29.   484,   46. 


—    492    — 

nun  Charilon  seine  Helden  umgetrieben  und  bewegt  werden 
durch  eine  Maschinerie,  die  er  dem  Romane  des  Xenophon  von 
Ephesus  nachgebildet  hat.  Wie  bei  diesem  Eros,  treibt  hier 
Aphrodite  selbst  das  unglückliche  Paar,  das  sie  (wie  Eros  bei 
Xenophon)  doch  bereits  selbst  verbunden  hat,  durch  die  Länder; 
sie  ist,  wie  wir  wiederholt  hören,  die  Ursache  aller  ihrer  Lei- 
den^;. Freilich  ist  diese  Götterieitung  bei  Chariton  noch  mehr 
zur  blossen  herkömmlichen  Formel  erstarrt,  als  bei  Xenophon; 
wir  erfahren  nicht  einmal  irgend  einen  Grund  (wie  doch  bei 
Xenophon]  aus  welchem  die  Gottheit  eine  so  harte  Strafe  über 
die  Unglücklichen  verhängt:  für  KallirrhoO  scheint  die  ihr  mit- 
gegebene, hier  wie  bei  Xenophon  vielfach  verwünschte  »gefähr- 
liche, hinterlistige  Schönheit  u  einen  hinreichenden  Grund  zum 
Leiden  abzugeben^).  Von  einer  persönlichen  Wirksamkeit  der 
Göttin,  nach  antiker  Weise,  ist  vollends  gar  nichts  zu  verspüren; 
ihre  Leistung  bleibt  verhüllt  und  unsichtbar;  höchstens  könnte 
man  in  den  häufigen  warnenden  Traumgesichten  der  Helden^ 
eine  unmittelbare  Einwirkung  der  Gottheit  vermuthen.  Von  an- 
tiker Frömmigkeit,  von  wirklichem  Glauben  an  die  Persönlich- 
keit der  Götter  ist  überhaupt  nichts  in  dem  ganzen  Romane  zu 
verspüren ;  auch  ohne  bestimmte  Spuren  des  neuen  Glaubens  in 
dem  Romane  nachweisen  zu  können ,  darf  man  zuversichtlich 
behaupten,  dass  der  Dichter  ein  Christ  und  in  christlichen  Vor- 
stellungen aufgewachsen  sei  *j .  W' enn  wiederholt  von  einem  ein- 
zelnen Orte  bei  Milet  die  Rede  ist,  an  welchem  die  Aphrodite  um- 
zugehen pflege*),  so  wird  diese,  bei  der  antiken  Vorstellungsweise 


1)  S.  p.  29,  22.  29,  30.  «9,  19.  59,  31.  68,  15.  102,  34.  431,  4  (T. 
^36,   13.    146,   44.   457,   4. 

2)  Vgl.  p.  25,  31.  93;  32:  xdXXo;  iTrißouXov,  ei;  toüto  {a^vov  uro  tf^; 
<puac(u;  oodiv.  Iva  T:\T^lH^<il^  xfiiv  otaßoXcuv.  145,  28:  ob  xa>.>.o;  irißouXov. 
«6  [xoi  TrdvToav  xaxwv  attiov  xtX. 

3)  Solche  Träume  \^ erden  erwähnt:  p.  26,  24.  30,  30.  42,  8.  69,  S. 
94,  8. 

4)  Als  Kallirrho(^  zuerst  dem  Leonas  zu  Gesicht  kommt,  meint  er: 
^täs  impaxhai.  %ai  ^ap  V  "*»  Xö^o;,  Iv  toi;  dlYpoT;  'A^pootrrjv  iTTt^aCveolai: 
p.  24,  21.  Plangon  zur  Kallirrho^,  p.  29,  42:  OM  rpö«  rf^v  'A^poUrr^  w 
cü^^i  repi  aauTfj;.  irnpavT,;  o^  laxiv  ivBd&e  7)  deo;  xtX.     Vgl.  p.  84,  k, 

b]  Einigermaassen  christlich  klingt,  was  gelegentlich  von  den  FUgongeD 
der  (freilich  ja  auch  den  Heiden  bekannten)  rp<Svoia  gesagt  wird :  p.  82,  48. 
34.  55,  24    {vgl.  56,  5:  ^aifxojv   ti;  Tifxwpi;).      Merkwürdig   p.  96,  46:  T^  Ic 


—    493     — 

von  der  ErscheinuDg  der  Götter  wo  und  wann  es  ihnen  beliebt 
fast  sinnlose  Beschränkung  eher  an  gewisse  Ueberreste  eines,  in 
christlicher  Bevölkerung  noch  weiter  spukenden,  unheimlich  ge- 
wordenen Heidenthums  erinnern.  In  dieselbe  Sphäre  des  Volks- 
glaubens versetzen  uns  die  mehrfachen  Erwähnungen  der  »Nerei- 
den« als  wunderbar  schöner,  gelegentlich  aus  dem  Wasser  herauf 
steigender  und  unter  den  Menschen  verkehrender  Dämonen  ^)  : 
Jedem  fallen  alsbald  die  »NeraYden«  des  heutigen  griechischen 
Volksglaubens  ein,  welche  ganz  gleich  unseren  Nixen  einen  letz- 
ten Rest  altheidnischer  Belebung  der  geheimnissvoll  wirkenden 
Naturkraft,  zumal  des  so  sichtbar  lebendigen  Wassers  darstellen. 
Selbst  zu  dem  Glauben  an  das  wirre  Treiben  der  neidischen 
T  y  c  h  e ,  von  welchem  Chariten  so  viel  redet,  und  an  welches  er 
um  so  gewisser  glaubt,  weil  er  ja  mit  dieser  unumschränkten 
Macht  der  Zufallsgöttin  sehr  ungeschickt  die  künstlich  festge- 
haltene Leitung  der  Dinge  durch  die  Aphrodite  durchkreuzt  ^j : 
—  auch  zu  diesem  Glauben  konnte  wohl  eine  populäre  An- 
schauungsweise christlicher  Zeit  sich  im  Herzen  ernstlich  be- 
kennen. 

Die  Anlage   des  Romans    ist  überaus  einfach.     In   gerader 


o-?j  t6)^7],  ßaoi).eü,  ajw  '^^^a  »aT^oTtjoe  [diese  Worte  verstehe  ich  nicht ;  Dor- 
villes  Cebersetzung  und  Erklärung  machen  sie  nur  dunkler.  Vielleicht: 
T^  hi  9€  T6yT],  ßaaiXEU,  d^iov  ^vra  xvzi^Trifst  »die  Tyche  hat  dich,  o  König, 
als  einen  Würdigen  eingesetzt«  —  nömlich  zum  Könige;  ßaaiXia  zu  %a- 
TeoT/jae  aus  ßaaiXeü  zu  entnehmen]  xal  tj  iipövoia  tcüv  aXXmv  ftetbv 
(pavepd;  iro^oe  Td;  dTrißouXd;.  Das  klingt  freilich  durchaus  nicht  christlich. 
—  6  %t6i  p.  53,  20.  4  43,  9.  — '-  Christlich -heidnischer  Volksglaube  könnte 
CS  sein,  wenn  das  Grab  von  einem  &alfjia>v,  welcher  die  Todten  zu  holen 
kommt,  bewacht  wird:  p.  46,  4  5  ff.,  25.  ol  r^;  dlOX(a;  (der  verstorbenen 
ersten  Frau  des  Dionys)  oa((xove;  p.  32,  32.  oatpicuv  d-^a^i  redet  Kallirrhoe 
den  todt  geglaubten  Chaereas  an,  p.  86  8.     Vgl.  99,  3. 

1}  Dionysius,  von  der  Schönheil  der  Kallirrhoö  betroffen,  p.  33,  24: 
fjLia  Nüjx^pöiv  tj  NTjpTfjtöoaN  ix  doXdaoT);  dveXi^^XuOe.  xaTaXa[Aßdvouoi  0£  xal  Sal- 
(Aovac  xaipol  Tive;  elfiapfi^voi  [so  Cobet,  Mnemos.  VIII  258;  £[(jLapfjL£vY];  die 
Hs.]  d^dfuri^  «pdpONTe;  6fi.iXtac  fiet'  dvBpcdirov  xxX.  Das  öT^fioaS^orepov  irXijdo; 
dveTreidexo  Std  t6  xdXXo;  xal  tö  äfsrnTZO^  ttj;  yovaixi;  Zti  NTfjpr/i;  ^x  öaXdaoTjc 
dvaßißTjxcv:  p.  50,  3.  Vgl.  p.  3,  8.  —  Leber  die  Neraiden  des  neu- 
griechischen Volksglaubens  vgl  B.  Schmidt,  D.  Volks),  d.  Neugr.  1  4  02  ff.; 
auch  C.  Wachsmuth,  D.  alte  Griechen!,  im  neuen  p.  30  f.,  50  ff. 

2)  Tüx^.  Vgl.  p.  47,  23.  23,  5.  23,  4.  26,  3.  40,  4.  46,  25.  47,  25. 
52,  8.  74,   46.  77,   7.   79,   44.   83,  48.  85,   24.  93,25.  449,   9.   436,  8.  443,  4. 


—    494    — 

Linie,  schlicht  und  ohne  üppige  Auswüchse  geht  die  Ertählung 
auf  ihr  Ziel  zu.  Es  fehlen  alle  Excurse  und  Abschweifungen; 
und  wenn  hierin  der  Roman  des  Chariton  zu  allen  bisher  be- 
trachteten Werken  der  gleichen  Gattung  einen  merklichen  Gegen- 
satz bildet,  so  könnte  man,  die  ganze  Reihe  der  Romatie,  von 
dem  abenteuerlichen  Werke  des  Antonius  Diogenes  äü,  über- 
blickend, wohl  sagen,  dass  hier  die  Romandichtung  den,  ihrem 
Ausgangsrpuncte  geradezu  entgegengesetzten  Pol  erreicht  habe. 
Dort  ein  Üppiges  Geflecht  und  Gewirre  buntfarbigef ,  seltsam 
schillernder  Abenteuer  und  Fabelberichte,  durch  die  erotische 
Erzählung  mit  lockerem  Faden  zu  einem  dichten  Kraute  nisam- 
tnengehelten :  hier  die  Erlebnisse  eines  liebenden  Paares,  durch 
sehr  geringen  Aufwand  localer  und  geschichtlicher  Fttirbung  spsip- 
sam  colorirt;  ein  gänzlicher  Mangel  antiquarischen  Priittkes: 
selbst  von  rhetorischen  Ergiessungen  nur  die  pathetischem  Klagen 
und  Selbstgespräche  der  Leidenden,  sowie  die  Gerichtsreden ^) 
breiter  gehalten,  sonst  sehr  wenig  der  eigentlichen  Geschichle 
Fremdes:  einige  zierlich  gefeilte  Briefe*),  wenige  und  kurz 
gefasstc  Sentenzen.  Chariton  hat  es  gewagt,  seine  erotische 
Erzählung  rein  durch  sich  selber  wirken  zu  lassen.  Der  Vor- 
satz ist  ohne  Zweifel  zu  loben;  aber  freilich  iässt  sich  nicht 
leugnen,  dass  der  schlichte  Aufbau  seiner  Dichtung  einen  ziem- 
lich kahlen  Eindruck  macht.  An  Feuer  und  Kraft  fehlt  es  nicht 
nur  dem  Dichter  sondern  auch  seinen  Figuren.  Immerhin  ist 
die  Gesammtstimmung  eine  wohlthätigere  als  die  der  anderen 
sophistischen  Romane.  Eine  gewisse  Milde ,  Billigkeit  und 
Menschlichkeit  zeichnet  alle  Figuren  aus,  vornehmlich  die  Be- 
dränger des  Liebespaares,  den  guten  Dionysius  und  den  Ktmig 
Arlaxerxes.  Durch  diesen  Charakter  der  Hauptpersonen  wird 
eine  gewisse  leise  und  eingeschränkte  Bewegung  der  Handlung 
bedingt,  welche  ganz  gewiss  schwerer  durchzuführen  war,  als 
die  heftig  zuckende  Erregung  einer  durch  maasslose  und  ge- 
wissenlose Wütheriche  bestimmten  Handlung  nach  der  gewöhn- 
lichen Romanschablone.     Allerdings   fliesst   von   dem  Dichter  in 

1)  Monologe:  p.  t5,  19.  il  9.  p.  54,  9.  60,  21.  68,  6.  85,  24.  88.  13. 
98,  22.  102,  28.  106,  «7.  H5,  22..  128,  81.  130,  31.  Gericbt^reden  dts 
Dionysius  und  des  Mitliridates  V  6.  7.  Sonstige  Reden:  p.  6.  40.  7,  1. 
J  10.  p.   19,   10.   VII  3.  2—5    VII  3,   8—11.   VIII  2,  40.  44.   VUI  8. 

2)  Briefe:  IV  4,  7  ff.  IV  5,  8.  IV  8,  4-8.  VUI  4,  2.  8.  5.  6. 


—     495     — 

seitte  Personen  eine  eigenthümlieh  lähmende  Kraftlosigkeit  hin- 
tlber :  alle  werden  sie  von  den  Ereignissen ,  in  rein  passivem 
Verbluten,  gezogen  und  geschoben;  man  verwundert  sich,  am 
Schluss  des  Ganzen  den  bis  dahin  so  wenig  energischen  Ghae- 
reas  urplötzlich  zum  siegreich  handelnden  und  herrschenden 
Kriegshelden  sich  umwandeln  zu  sehen.  Solche  Thatkraft 
stimmt  wenig  zu  seiner  sonstigen  Weichlichkeit,  zu  der  Weich- 
lichkeit der  ganzen  Erzilhlung  und  fast  aller  Personen  derselben. 
Starre  Seelenhärte  und  renommistische  Leidlosigkeit  nach  Art 
einer  amerikanischen  Rothhaul  war  ja  nie  die  Sache  eines  ächten 
Griechen;  aber  diese  weichliehe  Nervosität  der  Figuren  des 
Chariton ,  welche  bei  jeder  Aufregung  in  Ohnmacht  fallen ,  im 
ThrMnenerguss  förmlich  schwelgen  ^)y  im  Unglück  gleich  ver- 
aweifelnd  auf  Selbstmord  sinnen,  erinnert  doch  beinahe  an  die 
Oberzarte  Ven^iindbarkeit  der  Gestalten  asiatischer  Dichtung^ 
zmnal  der  indischen.  Es  verdient  bemerkt  zu  werden,  dass 
die  Heidin  ^  Kallirrhoä  sich  bei  w  eitern  stärker  und  zumal  be- 
sonnener zeigt  als  ihr  Gatte  Chaereas,  welcher  nur  von  äem 
braven,  einzig  zu  diesem  löblichen  Zwecke  vom  Dichter  erfun- 
denen Polycharm  drei,  vier  Male  vom  beabsichtigten  Selbstmord 
abgehalten  wird^'.  Ja  die  Volksversammlungen,  welche  übrigens 
nichts  Wichtigeres  als  die  Theilnahme  an  den  Geschicken  dieses 
einzelnen  Paares  zu  kennen  scheinen ,  brechen  sogar  bei  der 
blossen  Erzählung  der  Leiden  ihrer  Lieblinge  im  Chor  und 
unisono    in    Thränenströme    aiis-^j.      In   solchen   und  ähnlichen 


1)  Ueberdie  zahlreichen  Obnmachtsaofölle  bei  Chariton  s.  oben  p.  464  A.  S. 
Thräo^n  bei  jeder  Gelegenheit :  z.  B.  p.  35,  45.  55,  2.  64,  2.  409,  29.  Als 
dem  Dionys  der  Entschluss  der  Kallirrhoe ,  ihn  zu  heirathen,  angekündigt 
wird,  fällt  er  in  Ohnmacht;  das  ganze  Haus  bejammert  ihn  als  todt,  selbst 
Kallirrhoe  touto  oj%  fjxouosv  dioa%p*JTl:  111  4,  3.  Als  Milliridates  die  Kall, 
zoai  ersten  Male  sieht,  dr/a^fi  xatiTreocv  Aorsp  Tt;  k^  öirpoaooxf-T^'j  acpevoövTj 
ßXY]9eU,  %aX  fxöXi;  auTOv  ol  dcpaTreuTfjps?  uroßaaraCovTe;  l^pcpov.     IV  8,  9. 

2)  Gleich  nachdem  Chaereas  scheinbar  die  Kall,  getödtet  hat,  iroxTeivai 
jjiev  eauTÖv  ^TrsÄupici,  lloX'jyapfxo;  o  iy-cuXue  p  4i,  24.  Und  so  denn  wieder 
p.    404,   25;   408,  24;   109,  42.     \j:l.   p.   423,   47;   455,  24. 

3)  Die  N<5fjLipLo;  ix/Atjarx  der  Syracusaner  macht  den  Fürsprecher  des  Chae- 
reas bei  Hermokr  tes  I  4,  44.  Als  Theron  aufgefunden  worden  ist,  versammelt 
sich  die  ixxKrizia:  iTtcivr^v  tt,v  ir^Xr^alav  f^YlfO'^  xiX  yüvalxs;!  lll  4,  4.  Und  so  sehr 
nimmt  das  Volk  an  den  Geschicken  dieses  einzelnen  Paares  Theil,  dass,  als  es 
sich   darum  handelt,   die  Kallirrhoe  aufzusuphen,  6  of^fxo;  dveßör^se  »irdivTS^ 


—    496    — 

Seltsamkeiten  spürt   man  freilich   recht  stark   die   Haltlosigkeit 
des  spaten  Graeculus.  .  • 

Der  schlichten  Anlage  der  Erzählung  entspricht  im  Allge- 
meinen der  Stil  der  Darstellung.  Man  wird,  nach  dem  Bom- 
bast und  der  leeren  Feierlichkeit  des  Heliodor,  dem  unleidlichen 
Gewitzel  und  schillernden  Phrasenfunkeln  des  Achilles  Tatius 
nicht  unangenehm  berührt  durch  die  einfache  und  klare  Sprache 
des  Chariten.  Das  Lob  ist  freilich  ein  sehr  relatives,  und  wird 
dadurch  stark  eingeschränkt,  dass  man  auch  hier  gestehen 
muss,  dass  die  grössere  Einfachheit  des  Ausdruckes  durch  eine 
gewisse  blutarme  Mattigkeit  desselben  erkauft  wird.  Vollends 
eine  Hervorhebung  der  dargestellten  Vorgänge  zu  plastischer 
Deutlichkeit,  wie  sie  bisweilen  dem  Heliodor  recht  wohl  gelun- 
gen ist,  will  dieser  völlig  anschauungslosen  Darstellungsweise 
des  Chariten  nie  glücken.  Er  ist  noch  am  glücklichsten  in 
den  lyrisch-gefühlvollen,  bisweilen  nicht  ohne  Herzlichkeit  ge- 
schriebenen Monologen  und  Gesprächen  seiner  Helden;  sein 
episches  Talent  ist  sehr  gering;  gerade  wo  es  sich  zu  bewäh- 
ren hätte,  reisst  er  uns,  mit  einer  stereotypen  Wendung,  über 
die  deutliche  Vorstellung  der  einzelnen  Vorgänge  zu  dem  letzten 
Ergebniss  fort;  dies  und  jenes,  heisst  es  dann,  »geschah 
schneller  als  man  sagen  könnte  u^)^  und  damit  gut. 

Der  sprachliche  Ausdruck  ist  mit  Fleiss  ausgebildet;  er  ist 
entschieden  reiner  als  derjenige  des  Achilles  und  auch  des 
Heliodor.  Classischen  Mustern,  vornehmlich  Xenophon  und 
Thucydides,  ahmt  der  Sophist,  so  gut  es  gehen  will,  nach;  aus 
der  Leetüre  des  Herodot  entlehnt  er  einige,  seiner  übrigens  so 
leidlich,  und  ohne  Praetension,  nach  attischer  Regel  gebildeten 


TcXeuompiev«  p.  57,  4S.  So  versammelt  sich  denn  auch  zuletzt,  um  die  Er^ 
lebnisse  der  Zurückgekehrten  anzuhören,  das  ganze  Volk,  Männer  und 
Weiber,  im  Theater:  VIII  7,  4.  Recht  gemüthlich  wird  es  aber  erst 
VIII  8,  4  4  Chaereas  schlägt  vor,  die  mit  ihm  nach  Syrakus  gekommenen 
griechischen  Soldtruppen  zu  Bürgern  von  Syrakus  zu  machen.  »Natürlicht 
sagt  das  Volk  von  Syrakus,  x^ip^o'^^^«^«»  toOto.  Vifjcpiojxa  i^pitpr],  xal  fu<>^ 
ixeivoi  xaOloavrc«  jx^poc  ^oov  t^«  ixxXv]9(a;.  —  Thränenerguss  des  ganzen 
Volkes  bei  Erzählung  der  Leiden  des  Chaereas,  p.  4  54,  26:  ^pfjvov  i^k^^rrfitt 
iizX  TO'jToi«  t6  TrXfjfto;.     Vgl.  p.  48,  44:  TaOta  X^^ovroc  ^pfjvo;  ^^eppdTt]. 

1}  Xö^ou  däiTov.     Die  Stellen  bei  Cobet,  Mnemos.  VIII  284.     Aehnlicb 
übrigens  bisweilen  Heliodor. 


—    497     — 

Sprache  eingestreute  lonismen^'.  Dichter  hat  er  eifrig  ge- 
lesen ^ ;  wunderlich  genug  flicht  er  nicht  nur ,  w  ie  fast  alle 
spätgriechischen  Scribenten,  einzelne  Anspielungen  auf  home- 
rische Krafistellen ,  sondern  ganze  Verse  der  Uias  und  Odyssee 
den  Reden  seiner  Figuren,  ja  auch  dem  Laufe  seiner  eignen 
Erzählung  ein  ^) .  Sonst  hält  er  seine  Rede  von  stark  abstechen- 
den   poetischen    Worten^)     im   Allgemeinen    so    rein    wie    von 


1)  l}el>er  Cbarttons  Nachahmung  der  Alten,  namentlich  des  Thucydides 
and  Xenophoo  s.  Gebet  in  seinen  Annotationes  oriticae  ad  Charitonem, 
Mnemosyne  VIII  SS9  ff.  passim ;  auch  Nov.  Lect.  p.  37S  f. ;  über  seine  aus 
Herodot  entlehnten  lonismen  dens.  Mnem.  VIII  236. 

2)  Berufung  auf  Erzählungen  der  Dichter  und  itaXatä  Ivr^ikora  häufig : 
z,  B.*p.  «,  8;  88,  27;  vgl.  4^,  27;  84,  8  u.  s.  w. 

3)  Solche  Homerverse  (bisweilen  gleich  drei  hintereinander)  finden 
sich  eingelegt :  p.  5,  25.  40,  5.  34,  45.  42,  4.  54,  29.  60,  3.  69,  46.  70,  4. 
77,  29.  80,  43.  83,  28.  87,  26.  92,  6.  95,  4.  404,  20.  406,  43.  407,  30. 
442,  48.  425,  10.  427,  8.  428,  34.  429,  47.  439,  44.  Bisweilen  legt  er  auch 
Verse  aus  Komikern  ein:  z.  B.  84,  42:  i^hs  xade6Setv  ti^v  t'  ^poofxIvTjV 
f^eiv  (s.  Meineke  fr.  com.  IV  625 ;  V  p.  CCCXXXV) ;  einiges  Andere  bei 
Cobet,  Mnem.  VIII  266  (Schluss  eines  Trimeters  vielleicht  auch  p.  46,  20: 
nXotrro«  Ä^^pTjcro;  vrxpui). 

4)  Poetisch  z.  B.  xaUodat  tivo;  84,  42;  cpTjfACCeiv  89,  9;  ot  ßaoiXetc  König 
und  Königin  4  06,  14  ;  vielleicht  auch  ^Xdaoeiv  4  44,  27  (und  72,  47  nach 
Cobet,  Mnem.  VIII  238);  aus  missverstandenem  poetischen  Gebrauch 
vielleicht  zu  erklären  %mi:ai  iTTzgpa\Usai  46,  4  0  (vgl.  Dorv.  p.  4  04.  Cobet 
p.  253).  Ist  so  etwa  auch  das  wunderliche  dr.txdhj^e  oxöto;  Tf);  ^'^x*^^ 
AiONuoiov  (67,  4)  =  dirsox^fiaoe  (s.  Dorv.  p.  346)  zu  erklären?  Entschieden 
durch  Missverständniss  entstanden,  und  nicht  durch  Conjectur  zu  beseitigen, 
ist  dtßpmToc  =  dfaiTo;  p.  4  4  4,  4  0.  —  Bisweilen  zeigt  sich  einige  Vorliebe  zum 
kühnen  übertragenen  Gebrauch  gewöhnlicher  Worte.  Z.  B.  ^pLaYoiYeiN: 
ixefcvTj  [X'Sv'rj  dTTdtvToov  ihrnifx'^difriozs  ötp^aXpiou;  74,  7.  Vgl.  86,  4  9  (auch 
452,  49).  —  Neu  gebildet  scheinen  dpfOOTÖXo;  74,  30;  doiöoeuto;  426,  24.  — 
Nach  spätgriecbischem  Sprachgebrauch  schmeckt  namentlich :  dOeTetv  =  dxi- 
^dCeiv  83,  8  (s.  Dorv.  p.  424);  XofOTiouai  50,  4.  54,  42;  OTrcjoeiN  tivC  alicui 
favere  4  05,  7.  42;  xd^iov  statt  däaoov  4  06,  3;  eU  -^v  xaTaXircuv  statt  i^  ^5 
4  47,  80  (vgl.  intpp.  ad  Longum  p.  268  ss.  cd.  Seiler);  ouvroc^aadat  tiv(,  Ab- 
schied von  Jemanden  nehmen,  446,  20.  Ganz  seltsam  sind  Ausdrücke  wie: 
öft>a>.pLO'j;  dxTSiveiN  90,  42  (vielleicht  in  Nachahmung  später  Dichter:  vgl.  Hor- 
cher, Erot.  II  p.  XV  zu  4  54,  5.  Vgl.  auch  Virg.  Aen.  V  508:  oculos  tetendit.), 
£oT(&c  statt  irapeoT(6c?  (s.  Hercher  p.  VII  zu  54,  4  4);  ganz  unverständlicL 
endlich  p.  435,  45:  t^jv  •yu'^atxa,  t^jV  eupov  i^  TiXaTolai;  TeTa^jx^vr^v  (irXa- 
Tc(au  Dorville  p.  642,  welches  sein  soll  =  d^opaic.  Abgesehen  von  dem 
unverständlichen  Plural,  würde  ja  dies  gar  nicht  der  Situation  entsprechen : 
Kallirrhoä  liegt  ja  in  einem  oXxrnia  am  Markte:    4  34,  5  ipptjAfxivv]  %a\  tf^ 

Roh  de,  Der  griechisch«  Roman.  32 


—     498     — 

eigentlichen,  über  die  Grenzen  der  Missbrancbe  des  spHtgriechi- 
sehen  Pseudoatticismus  hinausgehenden  Soloecismen.  Auch  hier 
erkennt  man  seine  ganze  Art  wieder ,  eine  gewisse  farMose, 
lobenswUrdige  aber  wenig  ergötzliche  Mittelmässigkei4.  IHe 
Arbeit,  welche  ihm  die  Ausfeilung  einer  im  Ganzen  so  rein- 
lichen Sprechweise  gekostet  haben  mag,  drängt  sieh  nicht  auf; 
aber  man  spürt  wohl  die  Erstarrung  der  lebendtgei^  Spraciie, 
die  Enge  und  Armuth  eines  mühselig  hergestellten  pfa^acspeDh^- 
gisehen  llausrathes  an  der  vielfachen  Wiederholung  fertiger 
Redewendungen  und  der  ängstlichen  Gleichförmigkeit  der  Phra- 
sen ^) ,  welche  der  Kritik  des  stark  verderbten,  uns  in  einer 
einzigen  Handschrift  überlieferten  Textes  eine  nicht  geringe 
Stütze  bietet,  die  Leetüre  des  Romans  aber  noch  ganz  besonders 
eintönig  macht. 

7. 

Zuletzt  wenden  wir  uns  der  Betrachtung  eines  Liebesromans 
zu,  welcher,  nach  ganz  besonderem  Schema  angelegt,  wenigstens 
für  uns  der  einzige  Vertreter  einer  eigenthümlichen  Gattong 
ist.  Ich  rede  von  des  Longus  Erzählung  von  Daphnis  und 
Chloö  in  vier  Büchern.  Den  Verlauf  dieser  Erzählung  zu  ver- 
gegenwärtigen  möge   der  folgende  Abriss   des  Inhalts  genügen. 


7isxaXu|A{Afvt)  137,  IS.  Nun  redet  freilich  hier  ein  2igyptischer  Soldat :  es  ist 
ungewiss,  wie  weit  Chariton  in  der  Charakterisirung  des  barbarischen 
Griechisch  gehen  wollte  [zu  dem  ich  das  sonderbare  h  otrXtp  {Aä>.Xov  4  35,  89 
rechne].  Der  erforderliche  Sinn  ist  wohl:  die  ich  auf  dem  Erdboden  ihis- 
gestreckt  fand.  Vielleicht:  £v  TiXateioic  dxTeTaji.i"vtjv  [TCTafiivTf;v  conj. 
Dorville  p.  642]  »auf  den  Dielen  des  Fussbodens  hingestreckt «c.  rXTretov, 
eine  flache  Tafel,  bei  Polybius  VI  34,  8.  4  0). 

1)  Von  dergleichen  stereotypen  Redewendungen  hebe  ich  beispielsweise 
hervor:  jxöXi;  xai  t.nz  iXt^ov  (xai  ßpa^^tu;  u.  ö.)  :  15,  9.  87,  31.  34,  88. 
35,  32.  38,  29.  31.  46,  9.  10.  55,  5.  58,  29.  65,  5.  66,  26  etc.  -z^  &ctva 
xaTeXafxßave  rd^/ra  6{ao0:  und  dann  ein  Katalog  verschiedener  Empßndungefl 
(ähnlich  oR  bei  Xen.  Ephes.):  16,  14.  54,  16.  58,  8.  80,  28.  99,  15.  In 
X^ovTo;  auToO  — :  18,  3.  27,  3.  7.  10.  54,  29.  57,  11.  75,  8.  99,  6.  184,  18. 
128,  18.  131,  12.  137,  18.  ^6(J6i  cpiX^CijxSv  ianv  avÖpairo;,  ^uasi  eicXrtj 
doTiv  6  £piö;  u.  dgl.  S.  Cobet,  Mnem.  VIII  254.  ttäc  av  ti;  fittj^i^aarto  %vc 
diias  —  71,  7.  99,  10.  138,  21.  144,  26  u.  s.  w.  Manches  Andere  derart 
bat  Horcher  in  der  Vorrede  zu  seiner  Ausgabe  hervorgehoben  (und  für  die 
Heilung  analoger  Stellen  benutzt). 


—     499    — 

Der  Dichtei^,  iA  eihefti  Hain  der  Nymphen  auf  Lesbos  jagend, 
sieht  dort  ein  vielbewundertes  GemUlde,  voll  erotischer  Scenen. 
Den  Inhalt  dieses  GemHides  breitet  nun  seine  Romanerzählung  aus.  — 

Auf  dem  Landgute  eines  reichen  Mytilen'äers  auf  Lesbos  findet 
eines  Tages  dessen  Ziegenhirt  Lamon,  eine  verlorene  Ziege  suchend, 
diese  in  einem  Dickicht,  wie  sie  einem  kleinen  Knäblein,  welches 
am  Boden  liegt,  das  Euter  reicht.  Er  hebt  den  Knaben,  sammt  den 
bei  ihm  liegenden  kostbaren  Erkennungszeichen,  auf,  und  erzieht 
ihn  wie  sein  eignes  Kind. 

Zwei  Jahre  später  findet  der  Schafhirt  Dryas,  in  benaöhbarter 
Gegend,  in  einer  Nymphengrolte ,  ein  von  einem  Schafe  genährtes 
kleines  BlUdchen ;  auch  er  nimmt  den  Findling ,  sammt  den  daneben 
liegenden   Erkennungszeichen,    auf  und   erzieht   ihn  in  seiner  Hütte. 

Als  der  Knabe  15,  das  Mädchen  13  Jahre  alt  geworden  ist, 
schicken,  von  den  Nymphen  durch  Traumgesichter  dazu  ermahnt, 
die  Pflegeältem  Beide,  als  Hirten  der  Ziegen  und  Schafe,  zusammen 
auf  eine  gemeinsame  Flur.  Gemeinsame  Pflicht,  gemeinsame  Spiele 
verbinden  das  Paar  zur  herzlichsten  Freundschaft.  Einst  fällt  Daphnis 
in  eine  Wolfsgrube;  Chloe,  von  einem  Rinderhirten  Dorko  unter- 
stützt, hilft  ihm  heraus.  Als  sie  den  Geretteten  an  der  Quelle  in 
der  Nymphengrotte  abwäscht,  regt  sich  zum  ersten  Male  in  ihr  eine 
Sehnsucht,  der  sie  keinen  Namen  zu  geben  weiss.  —  Dorko  hat 
sich  in  Chloe  verliebt ;  bei  einem  Wettstreit  um  einen  Kuss  des 
Mädchens  trägt  indessen  Daphnis  über  ihn  den  Sieg  davon.  Nun 
ergreift  auch,  durch  den  Kuss  der  Chloe  erregt,  den  Daphnis  ein 
Verlangen,  dessen  Ziel  und  Namen  er  nicht  kennt.  Dorko  seiner- 
seits, mit  einer  Bewerbung  um  Chlot^  vom  Dryas  abgewiesen ,  ver- 
sucht sie  eines  Abends  an  der  Tränke ,  in  eine  Wolfshaut  verhüllt, 
zu  überfallen ;  da  die  Hirtenhunde  die  Verkleidung  nicht  respectiren, 
kann  er  noch  froh  sein ,  vor  ihren  Bissen  durch  Chloe  und  Daphnis 
errettet  zu  werden.  —  Der  Sommer  kommt  heran;  in  Scherzen  und 
Tändeleien  nährt  sich  in  dem  jungen  Paare  die  wachsende  Gluth. 
—  Da  landen  tyrische  Seeräuber  an  dem  Gestade,  an  welches  die 
Hirtenflur  grenzt :  mit  andrer  Beute  schleppen  sie  den  schönen 
Daphnis  auf  ihr  Schilf;  vom  Dorko,  welcher  an  den  Schlägen  der 
Räuber  stirbt,  erhält  ChloÖ,  welche  um  Hülfe  zu  ihm  geeilt  war, 
eine  Syrinx ,  auf  welcher  sie  eine  Weise  bläst,  bei  deren  Klang  die 
auf  dem  Räuberschiffe  befindliche  Heerde  des  Dorko  mit  Gewalt  ins 
Wasser  springt,  um  ans  Land  zu  schwimmen.  Das  Schiff  schlägt 
um ;  die  gepanzerten  Räuber  ertrinken,  Daphnis  rettet  sich  ans  Land. 
Gemeinsam  begraben  die  Beiden  den  guten  Dorko. 

[Buch  n.]  Der  Herbst  kommt  heran.  Bei  der  ausgelassen  fröhlichen 
Traubenemte  helfen  Daphnis  und  Chloi^ ;  bald  aber  kehren  sie  von  dem 
wilden  Jauchzen  der  Weinlese  zu  ihrer  heimlichen  Hirlenflur  zurück. 
Ihrer  unverstandenen  Liebessehnsucht  hilft  ein  alter  Hirte,  Philetas,  ein 
wenig  nach,    indem    er  ihnen  erzählt,   wie  eines  Morgens  in  seinem 

32* 


—     500     — 

Garten  Eros  selbst,  ein  kleiner  leicht  beschwingter  Götterknabe,  ihm 
begegnet  sei  und  von  Daphnis  und  Chloe  als  seinen  auserwäblten 
Lieblingen  geredet  habe.  Von  Philetas  angeleitet,  ergötzen  sich  die 
Beiden  in  Küssen  und  langen  Umarmungen.  Diese  erotischen  Exer- 
citien  unterbricht  ein  fremdartiges  Ereigniss.  Reiche  Jünglinge  aus 
Methymna  waren,  mit  einem  Schiffe  am  Ufer  entlang  fahrend,  in  die 
Gegend  der  Flur  gekommen.  Während  sie  selbst  am  Lande  der 
Jagd  nachgehen,  hatte  eine  der  Ziegen  des  Daphnis  ein  aus  Weiden 
geflochtenes  Seil,  an  welchem  das  Schiff  befestigt  gewesen  war,  zer- 
fressen; das  Schiff  war  von  den  Wellen  fortgetrieben  worden. 
Wüthend  fallen  die  Methymn'aer  über  den  Daphnis  her;  da  aber 
mit  Lamon  und  Dryas  noch  andre  Landleute,  dem  Daphnis  zu  Hülfe, 
herbeikommen,  wird  in  einem,  von  Philetas  geleiteten  Schiedsgericht 
die  Sache  \ erhandelt.  Da  die  Fremden  dem,  ihnen  ungünstigen 
Spruche  des  Philetas  nicht  Statt  geben  wollen,  werden  sie  von  den 
Landleuten  mit  Gewalt  verjagt.  Zu  Hause  wissen  sie  aber  das 
Ganze  als  eine  Gewaltlhat  der  Mytilenäer,  in  deren  Gebiete  die  Flur 
liegt,  darzustellen;  der  Feldherr  der  Methymnäer  fährt  mit  zehn 
Schiffen  aus  und  brandschatzt  die  mytilenUische  Küste.  Auch  Chio? 
wird  von  den  Feinden  geraubt.  Den  verzweifelnden  Daphnis  tröstet 
im  Traume  der  Zuspruch  der  Nymphen.  Von  ihnen  angegangen, 
erschreckt  Pan  durch  furchtbare  Erscheinungen  die  Feinde,  bis  sie 
die  Heerden  und  Chlol*  selbst  zurückgeben.  Die  frohe  Gemeinschaft 
der  Hirten  feiert  die  Wiedervereinigung  durch  ein  lUndliches  Fest 
mit  Schmaus,  Flötenspiel  und  Tanz.  Nach  neuen  Liebeständeleien 
schwören  Daphnis  und  ChloÜ  einander  feierlich  ewige  Treue. 

'Buch  111.1  Die  Fehde  zwischen  Methymna  und  Mytilene  wird 
bald  beigelegt.  —  Der  Winter  kommt,  und  verschliesst  Alles  in  die 
engen  Hütten.  Daphnis,  um  ein  Mittel,  die  Geliebte  wiederzusehen^ 
verlegen,  geht  zu  dem  Gehöft  des  Dryas  und  fangt  dort  von  den, 
in  dichten,  epheuumrankten  Myrtenbäumen  nistenden  Vögeln  viele 
auf  seinen  Leimnithen.  Verzweifelt,  da  sich  ihm  kein  Vorwand  zum 
Eintritt  in  das  Haus  darbieten  will,  ist  er  im  Begriff  wieder  abzu- 
ziehen: da  tritt  Dryas,  einen  räuberischen  Hund  verfolgend,  aus  der 
Thüre,  und  lädt  freudig  den  Jüngling  zum  Eintritt  ein.  Ein  länd- 
liches Mahl  vereinigt  die  Familie;  Daphnis,  auch  die  Nacht  über  bei 
den  Freunden  zu  verweilen  genöthigt,  findet  am  andern  Morgen 
Gelegenheit,  im  Vorhause  die  Chloe  aufs  Neue  seiner  Liebe  zu  ver- 
sichern. —  Endlich  kehrt  der  ersehnte  Frühling  zurück  und  ver- 
einigt in  verjüngter  Liehe  das  Paar  zu  den  alten  sehnsüchtigen 
Spielen  auf  der  Wiese.  Den  Daphnis  lehrt  eine  kecke  Nachbarsfrau, 
Lykainion,  im  Walde  die  kühneren  Spiele  des  Eros  kennen.  Der 
Chloe  gegenüber  hält  er  sich  gleichwohl  in  den  Grenzen  harmloserer 
Tändelei.  —  Allmählich  stellen  sich  zahlreiche  Freier  um  die  schöne 
Chloe  ein;  die  Pflegeältem  denken  ernstlich  daran,  sie  zu  Ter- 
heirathen:    Daphnis,    wegen    seiner    Armuth    verzweifelt,    wird    im 


—     501     — 

Traume  von  den  Nymphen  angewiesen,  am  Meeresstrande  einen 
Beutel  mit  3000  Drachmen  aufzusuchen,  welcher  dort,  aus  dem 
fortgetriebenen,  dann  gestrandeten  Schiffe  der  Methymnäer  ausge- 
worfen ,  in  der  Nähe  eines  verwesenden  Delphines  liege.  Er  findet 
das  Geld  und  bringt  nun  als  reicher  Mann  seine  Bewerbung  beim 
Dryas  an.  Der  verspricht  ihm  die  Hand  des  Mädchens,  einigt  sich 
mit  dem  Lamon  (welcher  von  den  3000  Drachmen  nichts  erfährt) ; 
man  will  nur  die  Zustimmung  des  gemeinsamen  Herrn  erwarten. 
Glückselig  eilt  Daphnis  zu  Chloi^;  ein  süssduftender  Apfel,  den  er 
ihr  vom  höchsten  Wipfel  des  Baumes  heruiiterholt ,  ist  ihr  Braut- 
geschenk. 

[Buch  IV.]  Gegen  Ende  des  Sommers  wird  den  Gutsleuten  die 
bevorstehende  Ankunft  ihres  Herren,  des  reichen  Mytilenäers  Diony- 
sophanes  gemeldet.  Lamon  rüstet  für  seine  Ankunft  namentlich  einen 
herrlichen,  hoch  gelegenen  Garten  zu;  zum  Possen  für  ihn  und 
Daphnis  vernichtet  aber  heimlich,  in  einer  Nacht,  ein  abgewiesener 
Freier  der  GhloS,  Lampis,  die  schon  gepflegten  Blumenpflanzungen.  Des 
Dionysopbanes  vorangeeilter  Sohn,  Astylus,  erlässt  den  Geängstigten 
die  Strafe  für  diese  unverschuldete  Verwüstung.  Bald  kommt  auch, 
mit  grossem  Gefolge  und  seiner  Gattin  Klearista,  Dionysopbanes 
selbst.  Gnathon,  der  Parasit  des  Astylus,  bittet  sich  von  diesem 
den  Daphnis,  der  seine  schaamlosen  Anträge  kräftig  zurückgestossen 
hatte,  zum  Geschenk  aus;  ihm  zu  Gefallen  erbittet  sich  Astylus  den 
schönen  Hirten  zu  seiner  eignen  Bedienung.  Da  imn  die  Gefahr 
droht,  dass  Daphnis  als  Sclave  in  die  Stadt  geführt  werde,  erzählt 
endlich  Lamon,  dass  er  gar  nicht  dessen  ächter  Vater  sei;  wie  er 
ihn  gefunden;  welche  Erkennungszeichen  er  bei  ihm  angetroffen 
habe.  An  den  vorgewiesenen  Erkennungszeichen  entdecken  Dionyso- 
pbanes und  Klearista,  dass  Daphnis  ihr  eignes  Kind,  das  vierte  ihrer 
Kinder  sei,  welches  sie  aus  Besorgniss  um  Zersplitterung  des  Ver- 
mögens ausgesetzt  hatten.  Astylus  erkennt  mit  Freuden  seinen 
Bruder  an,  den  nun,  da  die  andern  zwei  Kinder  gestorben  sind,  die 
Eltern  freudig  aufnehmen.  ChloS,  welche,  in  der  Einsamkeit 
trauernd,  sich  von  Daphnis  vergessen  glaubt,  wird  von  Lampis 
gewaltsam  entführt:  aber  Gnathon,  um  sich  beim  Daphnis  wieder 
in  Gunst  zu  setzen,  jagt,  von  andern  Dienern  des  Astylus  unter- 
stützt ,  dem  Lampis  und  seinen  Genossen  die  schöne  Beute  alsbald 
wieder  ab.  Nun  erzählt  auch  Dryas  dem  Herrn,  wie  er  die  Chloe 
einst  aufgefunden  habe.  Dionysopbanes  willigt  in  die  Heirath  des 
Daphnis  und  der  Chloe;  sie  fahren  sämmtlich  in  die  Stadt;  und  bei 
einem  Gastmahle,  welches  Dionysopbanes,  von  den  Nymphen  im 
Traume  ermahnt,  den  vornehmsten  Mytilenäern  giebt,  erkennt  die 
herumgezeigten  Erkennungszeichen  der  Chloi^  der  reiche  Megakles 
als  die  einst  von  ihm,  in  Zeiten  grosser  Arrauth,  mit  einem  Töch- 
terchen ausgesetzten  Dinge  wieder.  Da  nun  auch  Chloe  ihren  rech- 
ten Vater    wiedergefunden    hat,    wird    die    frohe   Hochzeit   gefeiert, 


—     502     — 

aber  eine  ländliche  Hochzeit,  vor  der  geliebten  Nymphengrotie ;  denit 
so  hatten  es  Daphnis  und  Chloe  gewünscht.  Glücklich  verbunden, 
verbringt  nun  das  Paar  sein  ganzes  Leben  »in  Hirtenweise«,  auf 
dem  Lande,  in  idyllischer  Genügsamkeit. 


Ueber  Zeit  und  Heimath  des  völlig  unbekannten  Longus 
wUre  jede  Vermuthung  zu  viel.  Diesem  Erotiker  seine  ricblige 
Stelle  anzuweisen  ist  uns  nicht  einmal,  wie  doch  bei  den 
übrigen  bis  hierher  betrachteten  Romanschreibem,  seine  Ab- 
hängigkeit von  früheren  Gliedern  dieser,  durch  stete  Nach- 
ahmung untereinander  verbundenen  Kette  von  So|)his(en  behttlf- 
lieh.  Der  besondere  Charakter  seiner  Erzählung  erlaubte  ihm 
nicht,  bei  den  so  wesentlich  verschiedenartigen  Abenteuer- 
romanen seiner  Zunftgenossen  erhebliche  Anleihen  zu  macben; 
wo  er  seine  Motive  nicht  selbst  erfindet,  bildet  er  sie  viel 
alteren  Rukolikern,  dem  Theokrit  u.  A.  nach^).  loh  glaube^ 
dass  er  auch  aus  den  Briefen  des  Alciphron  Einzelnes  entlehnt 
habc^];  aber  mit  dieser  Beobachtung  ist  nichts  weiter  bestätigt 
als  was  ohnehin  kein  Vernünftiger  bezweifein  würde,  nämlich 
dass  unser  Sophist  nach  dem  Ausgang  des  zweiten  Jahrhunderts 
[in  welches  man  den  Alciphron,  als  einen  Zeitgenossen  des  Lu- 
cian^),  ungefähr  zu  versetzen  berechtigt  ist)  gelebt  habe.  An- 
dererseils gewinnen  wir  nichts  durch  die  Thatsache,  dass  ein 
Scribent  des  zwölften  Jahrhunderts,  Nicetas  Eugenianus,  auf 
den  llirtenroman  des  Longus  ausdrücklich  anspielt  4)  :  denn  es 
bedarf  keines  besondem   Beweises  dafür,   dass  derselbe  nicht 


1)  Vgl.  Loogus  p.  246,  IS  (ed.  Hercher)  mit  Tbeocrit  I  52  f.;  Longus 
265,  27  mit  Theocrit  XV  422;  Longus  266,  27  mit  Tbeocrit  XI  4  ff. ;  Lon- 
gus III  4  3,  4  IT.  mit  Theocrit  I  87;  auch  Longus  255,  23  mit  Theocrit  I  4 
;s.  dort  Fritzsche.  Vgl.  auch  die  Phnise  bei  Demetrius  de  eloc.  Sp.  Rbet. 
III  303,  4  4);  mit  Longus  II  4 — 6  Manches  in  des  Mosebus 'Epo;  opaTrhr^;; 
mit  Longus  252,  20  Mosch.  2,  27. 

2)  Es  Hndet  sich  bei  Alciphron  wiederholt  z.  B.  die  Scene  vom  Vogel- 
fang im  Winter:  Longus  HI  5  IT.,  Alciphr.  III  30;  die  auf  das  Syrinxspiel 
des  Hirten  lauschenden  Ziegen:  Longus  IV  15  u.  ö.,  Alciphr.  HI  42;  der 
scurrile  Einfall  des  Schmarotzers,  sich  vor  dem  Selbstmord  erst  noch  ge- 
hörig den  Bauch  füllen  zu  wollen:  Longus  p.  34  3,  26,  Alciphr.  111  49  §  3. 

3]  Für  einen  solchen  darf  man  ihn  halten  wegen   der  Vereinigung  der 
beiden  Namen  bei  Aristaenelus  I  22:  Aouxtavö;  'AXx(^povi. 
4}  NiceUs  Eug.  VI  439—450. 


—    503     — 

nach  dem  letzten  Ausgange  der  classisch  sich  gebärdenden  So- 
phistik,  also  nicht  nach  der  ersten  Hälfte  des  sechsten  Jahr- 
hunderts geschrieben  haben  könne.  Stehen  uns  somit,  um  die 
Lebenszeit  des  Longus  uns  irgendwann  genauer  fixirt  zu  den- 
ken, das  dritte,  vierte  und  fünfte  Jahrhundert  zu  unentschie- 
dener Wahl  ofien,  so  mag  es  wohl  nur  ein  wenig  beweisendes 
persönliches  Gefühl  sein,  welches  mir,  bei  einer  Vergleichung 
des  Longus  mit  dem  Achilles  Tatius,  Jenen  als  des  Andern 
Vorbild  in  stilistischer  Manier  erscheinen  lüsst,  und  es  mir  sehr 
glaubhaft  macht,  dass  Achilles  dem  LoDgus  auch  in  manchen 
einzelnen  Motiven,  z.  B.  der  sonderbaren  Einleitung  der  ganzen 
Erzählung  durch  des  Autors  Bewunderung  einer  bildlichen,  auf 
die  Abenteuer  des  Romans  hier  unmittelbar,  dort  symbolisch 
hinweisenden  Darstellung,  der  ambitiösen  Beschreibung  eines 
Ziergartens  u.  s.  w.  nachgeeifert  habe^).  An  sich  wenigstens 
enthalt  der  Hirtenroman  des  Longus  nichts,  was  ihn  unter  die 
Zeit  des  Achilles  herunterzudrücken  geeignet  wäre. 

J)ie  Heimath  dieses  Schriftstellers  ist  ziemlich  gleichgültig; 
es  scheint  übrigens,  als  ob  er  auf  der  Insel  Lesbos  einige  Orts- 
kenntnisse besitze  2). 

Auf  keinen  Fall  geben  uns  die  Yerschreibungen  des  Namens 
dieses  Sophisten  in  einigen  Handschriften  genügende  Veran- 
lassung, an  der  Richtigkeit  der  in  andern  Handschriften  deut- 
lich   überlieferten    Benennung    desselben    zu    zweifeln  3).      Der 

1)  Mnn  vgl.  auch  die  Einflechtung  der  Sage  von  Pan  und  Syrinx  bei 
Acb.  Tat.  VIII  6,  7  IT.  wie  bei  Longus  II  34.  Auch  der  nicht  unwirksame 
Eingang  von  einer  prächtigen  Stadt  aus  (Ach.  Tat.  1  4)  wiederholt  sich 
wohl  nicht  zufällig  bei  Longus  I  i. 

2)  Anschauliche  Beschreibung  der  Stadt  Mytilene  (wie  eines  lesbischen 
Venedig)  l  1.  Niedriger  Wuchs  der  Trauben  auf  Lesbos  IM,  4  (vgl.  Plehn, 
Lesbiaca  p.  7). 

3)  Im  Vaticanus  steht  der  richtige  Name  A^^fou  (roijAevixcuv  töjn  xaxÄ 
Ad^Ntv  %at  XXÖTjN) ;  in  der  einzigen  vollständigen  Hs.,  dem  cd.  der  Abbadia 
di  Firenze,  n.  2728  (in  der  Laurentiana)  soll,  nach  Courier,  am  Anfang  und 
Schluss  des  Ganzen  zu  lesen  sein:  A670U  iroijjicvixwv  — .  Cobets  Collation 
der  Hs.,  welche  Hirschig  miltheilt,  schweigt  hierüber;  wie  viel  Couriers 
Collationen  taugen,  lehrt  aber  Cobets  Nach  vergleichung  desselben  Florentinus 
an  vielen  Stellen  (s.  Cobets  Var.  Lect.  4  72  ff.,  wo  auch  die  schaamlosen 
Verläumdungen  des  Courier  gegen  del  Furia  zuerst  gründlich  aufgedeckt 
sind).  Aber  auch  wenn  dieses  Aöfou  wirklich  in  der  Hs.  steht,  bleibt  die 
vielfach  mit  Beifall  aufgenommene  (von  Jacobs  p.  6  seiner  Uebersetzung  des 


—    504     — 

lateinische  Name  dieses  griechisch  schreibenden  Rhetors  befrem- 
det doch  um  nichts  mehr  als  die  völlig  analogen  Namen  andrer 
griechischer   Sophisten,   des  Celer,   Niger  u.  s.  w.     Am  Aller- 
wenigsten  kann   ein  Kenner  dieser  ganzen  Litteraturgattung  an 
der  Zugehörigkeit  des  Longus  zu  dem  Kreise   sophistisch-rheto- 
rischer Fabulisten   zweifeln.     Mag  auch,    wie   man   versichert, 
der  Beiname  des  )> Sophisten « ,  welchen  Jungermann,  einer  der 
ältesten   Herausgeber   des  Romans  (i  605) ,   dem  Verfasser  des- 
selben beigelegt  hat,  in  keiner  Handschrift  sich  wiederfinden  ^) : 
das  ganze   Wesen   dieser  Hirtengeschichte  gab,  auch  ohne  alle 
äussere  Bestätigung,    zu  dieser  Benennung  das  ausreichendste 
Recht.     Das  ganze  Unternehmen  des  Longus,   das  Hirtenleben, 
dessen   einfache   Freuden   und   Leiden,   zum   Hintergrund  eines 
erotischen  Romanes  zu  machen,  begreift  sich  überhaupt  nur  aus 
der  eigensten  Art,   aus   gewissen   eigenthtlmlichen  Studien  der 
zweiten   Sophistik.     Es   mag  wohl  der  Mtlhe  lohnen,  in  kurzer 
Betrachtung  verstandlicher  zu    machen,   wie   ein,    in   den  uns 
erhaltenen  Ueberresten    antiker  Litteratur   so   völlig   singuläres 
Unternehmen  durch  verw^andte  Bestrebungen  älterer  Zeiten  all- 
mählich vorbereitet  wurde. 

Die  Liebe  zum  Landleben  ist  alt  unter  den  Griechen,  auch 
in  mannichfaltigen  Seufzern  der  in  ihre  engen  Mauern  einge- 
zwängten Städter  schon  in  frtlher  Zeit  (z.  B.  beim  Aristophanes] 
laut  geworden.  Einen  sehnstlchtigen  und,  wüewohl  nur  ganz 
leise  anklingenden,  sentimentalen  Ton  Qimmt  diese  Liebe  zur 
ländlichen  Natur  und  Lebensweise  erst  in  der  hellenistischen 
Zeit  an,  in  welcher  das  anspruchsvolle  Treiben  der  Stadt  deren 
Angehörige  um  so  fester  halten  mochte,  je  weniger  es  doch, 
bei  dem  Verfall  des  altgriechischen  Begriffes  der  ttoXi;,  das 
innere  Leben  derselben  ganz  auszufüllen  und  wie  aus  einem 
lebengebenden  Mittelpuncte  zu  bestimmen  vermochte.  Nun 
hören  wir,  in  den  Lustspielen  der  »neuen  Komoedie«  immer 
wiederholt  den  Preis  des  »Landes«,  seiner  Ruhe  und  friedlichen 


Longus  kurz  abgewiesene)  Vorstellung  Schölls  (G.  d.  gr.  Litt.  III  460  der 
Uebers.},  wonach  dieses  A670U  7:oi[X6^(xd)v  irrthümlich  aus  Ilotficvtxttiv  Xofoc 
ÖL  ß  u.  s.  w.  entstanden  sein  soll,  ein  nach  jeder  Richtung  monströser 
Einfall. 

1)  So  Villoison  vor  seiner  Ausgabe  des  Longus  (Paris  4  778)  p.  III. 


—     505     — 

EiDsamkeit  ^] ;  nun  suchten  die  Philosophen  die  Stille  des  »natur- 
gemässen«  Lebens  in  einsamen  Gerten,  dergleichen  die  Peri- 
patetiker,  die  Platoniker,  die  Epikureer  besassen;  nun  redet 
aus  den  absichtsvolleren  Naturbeschreibungen,  wie  sie,  in 
Wechselwirkung  wohl  mit  der  allmählich  sieh  selbständiger  ent- 
faltenden Genre-  und  Landschaftsmalerei,  die  Poeten  der  helle- 
nistischen Jahrhunderte  ausfuhren,  eine  inniger  hingegebene 
Vertiefung  in  das  Leben  und  Weben  der  »Natur«,  als  sie  den 
älteren  Griechen,  welchen  alles  Gute  vom  Menschen  kam  und 
zum  Menschen  ging,  natürlich  gewesen  war.  Hierüber  ist  nach 
der  berühmten  Darstellung  Humboldts  und  einigen  an  die  seinige 
angeschlossenen  neueren  Untersuchungen  nichts  weiter  zu  sagen 
nOthig. 

Ganz  der  besondern  Richtung  entsprechend,  welche  das 
Naturgefühl  der  Alten  stets  innehielt,  befriedigte  sich  nun  die 
Liebe  zur  ländlichen  Natur  weit  mehr  als  in  einer  sentimental 
empfundenen  Verherrlichung  der  freien,  völlig  sich  selbst  über- 
lassenen  Natur,  in  einer  Darstellung  des  Menschen  in  der 
reinen  Stille  eines  froh  beschränkten  Lebens  in  und  mit  der 
ländlichen  Natur.  So  in  die  Empfindung  des  Menschen  selbst 
hineingezogen,  drängt  sich  das  innigere  Gefühl  des  Naturlebens 
zwar  nicht,  wie  etwas  Selbständiges,  auf  in  den  Idyllien  des 
Theokrit,  aber  es  lebt  in  seinen  Gestalten,  denen  die  wonnige 
Ruhe,  die  einfachen  Willensregungen  ihres  Innern  zufliessen 
aus  der  umgebenden  Natur,  in  deren  Leben  und  Sein  ihr  eignes 
Leben  unlöslich  verflochten  ist.  Diese  eigenthümliche  Weise 
des  Naturgefühls  musste  nothwendig,  statt  in  einer  rein  lyrischen 
Ergiessung,  in   einer  bald  mehr  dramatischen,  bald  epischen 


1)  Vgl.  z.  B.  Menandcr  'YSp(a  fr.  I  (IV  207):  a>;  rfii)  tcJi  jxiooyvrt  tov/; 
cpa6Xou;  Tp67:o*j;  IpTjfjiia  %ol\  tw  {jLeXrc&vri  iirfik  Iv  rovr^pov,  Ixaviv  xrfjjx  d-ypo; 
t^i^ois  xaXöj;  xtX.  Vgl.  ferner  Menander,  fr.  com.  IV  194  (VII);  273 
(CLXXIV);  289  (CCLIV) ;  Philemon  ibid  IV  44  (XXVIII) :  auch  Amphis  ibid. 
III  808;  Alexis  III  518  iXXXlI)  etc.  —  Aehnliche  Lobpreisungen  ländlicher 
Genügsamkeit  aus  alexandrinischen  Kunstgedichten  mögen  uns  durch  ver- 
wandte Ergiessungen  des  Properz  Tibull  u.  a.  römischer  Dichter  (Einiges 
bei  Friedländer,  Darst.  a.  d.  Sitteng.  Roms  IP  189  f.)  vertreten  werden.  — 
tj  fcoopYix*^  oixaiot:  Aristoteles  oeconom.  1343a,  28.  Bemerkenswerth  ist 
auch,  wie  Agatharebides  (de  mari  rubro  §  49  p.  140  Müll.),  im  vollen 
Ueberdruss  an  künstlicher  Cultur,  sogar  die  glücklichen  Naturzustände  der 
armseligen  Ichthyophagen  preist. 


—     506     — 

Gestaltufig  sich  zu  verkörpern  streben.  Von  der  ersten  Art 
mögen,  ausser  manchen  Idyllien  des  Theokrit,  auch  einige  Dithy- 
ramben der  sputern  Zeit^)  gewesen  sein.  Wie  sich  in  die 
Epyllien  der  hellenistischen  Zeit  ein  starker  Zug  zur  Darstellung 
des  idyllischen  Stilllebens  einer  märchenhaften  Vorwelt  ein- 
drängte, ist  oben  mehrfach  hervorgehoben  worden.  Wir  haben 
einen  verwandten  Trieb  in  jenen  »sentimentalen  Idyllen«  ein- 
zelner philosophischer  Dichter  wahrgenommen,  in  denen  ein 
enger  Verkehr  der  Menschen  mit  einer  milden  Natur  einen 
wesentlichen  Bestandtheil  ausmachte.  Entschiedener  als  bei 
diesen  Philosophen  löste  ein  epischer  Zug  die  Schilderuag  des 
Zustündlichen  in  eine  Reihe  idyllischer  Vorgänge  auf  in  solchen 
Dichtungen  wie  der  vielbewunderten  und,  in  verwandten  Dar- 
stellungen, vielfach  nachgeahmten  »Hekale«   des  Kalliraachus^) ; 


1]  Z.  B.  solche  gew.  Mss  bukolische  Dithyramben  wie  der  Polyphem 
des  Philoxeiius,  jene  oben  p.  H2  A.  2  erwähnte  erotische  Hirtengeschichte  in 
einem  Dithyramb  des  Lycophronides. 

2)  Nachahmungen  der  idyllischen  Scenen  in  der  Hütte  der,  den  Theseus 
bewirthenden  Hekale  sind  jene  nahe  verwandten  Erzählungen  von  der  Eiii<r 
kehr  wandernder  Götter  in  die  Hütte  eines  Sterblichen,  wie  sie  oamenllicb 
Nonnus  auszuführen  liebt.  S.  die  Beispiele  bei  Naeke,  Opusc.  II  H8.  421  f. 
Vgl.  noch:  Bacchus  in  Tyrus:  Achill.  Tat.  II  2.  Auf  ein  wenig  bekanntes 
Beispiel  solcher  Götterbewirthung  spielt  Nonnus  an,  Dion.  XVIII  85  IT.: 
Zfjva  xotl  'Ai:«iXXa>va  jxitq  (st^tooc  x^ani^ri  ♦  ♦  »  *  xal  <I>XcYua«  ^rt  ndvto« 
dvepp(^cuoe  ilaXdaoiQ  vfjoov  CXt^v  Tptö^ovrt  6ia(}pif)^a;  'Evoot^dipv ,  dfA^T^pat 
[so,  nicht  d|ji^oTipo'j;,  die  Hss.]  i^dikait  xal  o'j  TipVjvi^e  xpiaiv^.  Es  fehlt  die 
Hauptsache f  die  Namen  der  beiden  Weiber  (djAcpoTipac  38)  welche  Zeus 
und  Apollo  bewirthcl  zu  haben  scheinen.  Den  Namen  der  Einen  bewahren 
indessen  die  Hss.  Denn  statt  Tpotr^CY)  (welches  nur  eine  Erfindung  Faicken- 
burgs  ist)  bieten  sie*  [xax^XXcu.  Als  Appellativ  gefasst  ist  dies  freilieb, 
wie  Köchly,  Nonii.  I  p.  LXXV  sagt,  eine  »monströse  vox«,  aber  es  ist  ein 
Eigenname:  MaxeXXdd.  Makcllo  ist  eine  freilich  sehr  obscure  Gestalt  ge- 
lehrter hellenistischer  Dichtung.  Bei  Schol.  Ovid.  Ibis  473  liest  man:  Ni- 
cander  dicit,  Macelon  (iliam  Damonis  cum  [hier  fehlt,  denke  ich,  die 
Zahl  der  Schwestern  der  Macelo:  etwa  II  oder  III,  welche  ZifTern  hinter 
dem  m  von  cum  leicht  ausfallen  konnten]  sororibus  fuisse.  barum  hospitio 
Juppiter  susceplus,  cum  Thelonios,  quorum  hie  Damo  princeps  erat,  cor- 
rumpentes  venenis  successus  omnium  fructuum  fulmine  interficeret,  servavit 
eas.  sed  Macelo  cum  viro  propter  viri  nequitiam  periit  u.  s.  w.  Hier 
haben  wir  eine  Macelo,  welche  den  Zeus  gastlich  aufnimmt  und  deren 
Stamm  vernichtet  wird:  können  wir  zweifeln,  dass  diese  identisch  ist  mit 
der  MaxeXX(6  des  Nonnus?  Wie  es  scheint,  folgte  Nicander  einer,  an  das  Ge- 
schlecht der  Euxantiaden  in  Milet  angeknüpften,  nach  Milet  wetsendeo  Ort- 


—     507     — 

in  mancherlei  kleinen  Uirtenromanen,  wie  sie  Hermesianax  und 
andere  poetisclie  £rzahier  der  hellenistischen  Zeit  ausbildeten: 
statt  aller  mag  die  älteste,  am  Frühesten  künstlerisch  gestaltete, 
am   Weitesten  berühmte  Sage    vom    schönen   Hirten    Daphnis 

sage:  vgl.  0.  Schneiders  Nach  Weisungen  über  diese  Euxantiaden,  Nicandrea 
p.  4  33  f.;  Callimachea  II  p.  659  f.  Ob  bereits  Jemand  jene  nicandrische 
Erzählung  zur  Aufhellung  der  Verse  des  Nonnus  benutzt  habe,  weiss  ich 
gegenwärtig,  da  zur  Zeit  mir,  ausser  Köchlys  Ausgabe,  keinerlei  kritische 
Hülfsmittel  für  Nonnus  zu  Gebote  stehen,  nicht  zu  sagen.  Folgt  nun 
übrigens  Nonnus  dem  Nicander?  Bei  diesem  kommt  gerade  2^akelo  um, 
bei  Nonnus  könnte  gerade  sie,  mit  noch  einem  Weibe,  dem  allgemeinen 
Untergang  entkommen  zu  sein  scheinen.  Bei  Nicander  ist  Macelo  die 
Tochter  des  Dämon,  Königs  der  tückischen  »Thelonii«.  Wer  mögen  diese 
»Thelonii«  sein?  0.  Schneider  weiss  keinen  Rath;  ich  denke  aber,  es  sind 
keine  Anderen,  als  die  wohlbekannten  Teichinen,  etwa  in  der  abgeleite- 
ten Form  TcX^tvioi  (vgl.  Steph.  Byz.  s.  TeX^U  und  s.  2ixu(6v.).  [Oder  Bth- 
ftvtoi,  von  BeX^Ne;?].  Denn  von  den  Telcbinen  wird  ja  ganz  ähnlich  wie 
hier  von  den  »Thelonii«  berichtet,  dass  sie  die  Feldfrüchte  (durch  darauf 
gesprengtes  Styxwasser)  verdorben  hätten,*  Nonnus  D.  XIV  46  ff.  u.  A. ; 
s.  Lobeck,  Aglaoph.  i^9^  f.;  119S.  Gleich  den  »Thelonii«  werden  die  Tel- 
cbinen vernichtet,  entweder  von  Zeus  (Ovid.  Met.  Vil  365  ff.)  oder  von 
Apollo  (Servius  ad  Aen.  IV  377).  Nicander  nun  hatte  gedichtet,  wie  dem 
Untergang  der  übrigen  Teichinen  einige  wenige  Töchter  des  Königs  Dämon 
(Dam-nameneus  als  Herrscher  der  Teichinen :  Nonnus  XIV  38)  entrannen, 
welche  vorher  den  Zeus  gastlich  bewirthet  hatten,  in  einer  Scene,  die  man 
sich  nach  Art  der  so  nahe  verwandten  Erzählung  von  Philemon  und  Baucis 
bei  Ovid  (met.  VIll  617  ff.)  ausgeführt  denken  mag.  So  Nicander.  Der 
Autor,  welchem  Nonnus  folgte,  verlegt,  wie  es  scheinen  könnte,  die  Scene, 
und  auch  die  Person  der  MaxeXXcu,  zu  den  Phlegyern,  welche  ja,  nach 
bekannten  Sagen,  durch  Zeus  oder  Apollo  eine  ganz  ähnliche  Vernichtung 
erfuhren,  wie  die  Telcbinen.  Verwunderlicher  Weise  sitzen  aber  des  Non- 
nus Phlegyer  auf  einer  Insel  (vfjoo;  87)  und  werden  von  Poseidon  ver- 
tilgt. Hierin  folgt  Nonnus  ohne  Zweifel  dem  Euphorien,  welcher,  soweit 
mir  bekannt,  ganz  allein  eiii  Gleiches  von  den  Phlegyern  berichtet:  siehe 
Servius  ad  Aen.  VI  618  (Euph.  fr.  CLV  p.  154  Mein.).  Ob  Nonnus  auch  in 
der  vorausgehenden  Sage  von  der  Bewirthung  des  Zeus  und  Apollo  bei  der 
.Makello  dem  Euphorien  folgte?  Alles  genau  betrachtet,  glaube  ich  das 
nicht:  vor  Allem,  wenn  Zeus  und  Apoll  kurz  vor  der  Katastrophe  die 
Phlegyer  besucht  hätten,  warum  bestraften  dann  nicht  sie  selbst,  sondern 
Poseidon  die  Frevler?  Kurz,  ich  denke,  Nonnus  spielte  zuerst  auf  die  von 
Nicander  erzählte  Sage  von  der  Makello  und  den  Telcbinen  an,  und  dann 
erst  auf  die,  von  Euphorien  berichtete  Sage  von  der  Vernichtung  der 
Phlegyer,  welcher  übrigens,  dem  Zusammenhang  nach,  jedenfalls  auch  eine 
Bewirthung  eines  Gottes  (etwa  des  Poseidon  selbst?)  bei  zwei  guten  Weibern 
vorangegangen  sein  muss ;  welche  Weiber   (dfMpotipac  38)   eben  darum  am 


—    508    — 

geDannt  werden.  Mit  ausgesprochener  Absichtlichkeit ^]  benennt 
Longus  seinen  verliebten  Hirten  nach  diesem  Urbild  der  Gattung. 
Die  sophistische  Rhetorik  nun  nahm,  in  ihrer  Weise, 
diese  Art  der  Naturpoesie  in  den  Kreis  ihrer  eignen  prosaischen 
Dichtung  auf.  Ein  sehnsüchtiger  Zug  zur  Ruhe  der  Natur  war 
der  immer  mtlder  werdenden  Zeit  wohl  wirklich  natürlich :  er 
äussert  sich  z.  B.  in  Lobpreisungen  ländlicher  Einfachheit  bei 
einigen  Popularphilosophen^).  Die  sophistische  Kunst  liebte 
sowohl  landschaftliche  Schilderungen,  bald  selbständig,  wie  in 
Aelians  (wohl  alteren  Mustern  nachgebildeter]  Schilderung  des 
Thaies  Tempe  ^j ,  bald  als  aufdringliche  Decoration  eines  patheti- 
schen Vorganges^),  als  auch  die  Darstellung  menschlichen  Lebens 
in  einfach  ländlicher  Natur.  Diese  letztere  Art  idyllischer  Dar- 
stellung findet  man,  wunderlicher  Weise  in  die  Form  brieflicher 
Mittheilung  verkleidet,  in  Aelians  Bauernbriefen  und  in  einigen 
Briefen   des  Alciphron    ausgeführt^).     Man   erinnere   sich   auch 


Leben  erhalten  wurden.  Die  Lücke  zwischen  Vs.  35  und  86  hat  den 
ßchluss  der  Erzählung  des  Nicander  und  den  Anfang  derjenigen  des  Eu- 
phorion  verschlungen.  —  Als  Probe  solcher  idyllischen  Erzählungen  von 
Bewirthung  wandernder  Götter  muss  uns  die  Ovidische  von  Philemon  und 
Baucis  dienen.  Diese  mag  wohl  in  neueren  Volkssagen  mehrfach  einfach 
nachgeahmt  sein  (so,  denke  ich,  in  der  schweizer  Sage  bei  Grimm,  D. 
Sagen  N.  45,  I  p.  57  f.) ;  aber  die  grosse  Fülle  aller,  vor  aller  Bekannt- 
schaft mit  Ovid  entstandener  und  ausgebildeter  Sagen  von  Bewirthung  wan- 
dernder Götter  lässt  nicht  bezweifeln,  dass  diese,  in  alexandriniscber  Zeit 
so  gerne  hervorgezogenen  behaglichen  Sagen  zu  dem  ältesten  Schatz  ge- 
meinsamer indogermanischer  Mythenbildung  gehören.  S.  namentlich 
J.  Grimms  Sammlungen,  D.  Myth.  8.  Ausg.  p.  XXXIV— XXXVUI.  Vgl. 
noch  Benfey,  Pantschat.  I  497. 

1)  Vgl.  Longus  p.   243,  9.   40. 

2)  Man  vgl.  beispielsweise  den  Preis  des  Landlebens  bei  Musonius, 
Stob.  flor.  LVI  18;  die  Schilderung  der  idyllischen  Lebensweise  in  der 
cyrenäischen  Abgeschiedenheit  bei  Synesius  epist.  4  48  (p.  784  ff.  Hercher;. 

3)  Aelian  Var.  bist.  III  4.  Vorbild  vielleicht  eine  berühmte  Beschrei- 
bung von  Tempe  im  neunten  Buche  der  Philippica  des  Theopomp:  fr.  83. 
84  Ml.  Auch  von  Dio  Chrysostomus  gab  es  eine,  in  sophistisch  ge- 
schmückter Rede  ausgeführte  Beschreibung  von  Tempe:  t)  t&v  TejAitöv 
^pdoi;  (=  Ixcppaot;) :  Synesius,  Dio  p.  824,  7  Dind. 

4}  Vgl.  den  Spott  des  Plutarch  über  diese  obligat  gewordene  Ausmalung 
des  landschaftlichen  Hintergrundes  bei  erotischen  Erzählungen:  Amator.  4: 

5)  Auch    der   Sophist  Melesermus  schrieb   u.    A.    ein   Buch   iTcivroXövv 


—    509    — 

der  oben  bereits  berührten  Liebhaberei  für  rhetorische  Schil- 
derungen der  Jahreszeiten  und  des  Lebens  der  Pflanzen  ^) ;  man 
führe  sich  eine,  aus  der  splitesten  Zeit  der  Sophistik  erhaltene 
Studie  des  Ghoricius  von  Gaza  vor,  in  welcher  die  Empfindungen 
eines  Hirten  beim  endlichen  Eintritt  des  Frühlings  nach  langer 
Wintersnoth  ausgesprochen  werden^) :  und  man  wird  sich  bereits 
sehr  nahe  an  den  Standpunct  unsres  Longus  herangeführt  sehen. 
Vielleicht  doch  einige  Einflüsse  solcher  sophistischer  Modeschrift- 
stellerei  wirkten  mit  jedenfalls  viel  machtigeren  und  tieferen 
Antrieben  einer,  an  philosophischen  Studien  genährten  schmerz- 
lichen Sehnsucht  nach  der  reinen  Natur  zusammen , .  um  den 
Die  Chrysostomus  zur  Ausbildung  einer  ächten  idyllischen 
Novelle  zu  bewegen,  wie  sie  in  der,  bereits  im  Alterthum  mit 
Recht  vielbewunderten  »euböischen  Rede  oder  dem  Jäger«  dieses 
philosophischen  Rhetors  vorliegt 3).  Dio  erzählt  darin,  wie  er 
einst,  an  der  Küste  von  Euböa  gestrandet,  mit  einem  Jäger  zu- 
sammen getroffen,  und  von  diesem  nach  seiner  Hütte  geleitet 
worden  sei.  Unterwegs  erzählt  der  Jäger  seine  Geschichte. 
Er  lebt,  mit  seinem  Bruder  zusammen,. in  den  Bergen  in  ein- 
fachsten Verhältnissen.  Ein  einziges  Mal  ist  er  in  die  Stadt 
gezogen,  um  Pacht  für  das  von  ihm  bewirthschaftete  Staatsland 
zu  zahlen.  Man  will  ihn  festhalten ;  das  Volk,  im  Theater  ver- 
sammelt,  beräth  über  sein  Schicksal;  zuletzt  wird  er  auf  das 
Zeugniss  eines,  von  ihm  einst  gastlich  aufgenommenen  Bürgers 
entlassen.  Man  kommt  zur  Hütte  des  Jägers.  Ein  einfaches 
Mahl  vereinigt  die  Familien  der  beiden  Brüder;  harmlose  Scherze 


dYpoixtxwv   (Suid.).     Verwandten   Charakters  wohl  auch   des  Sophisten  Ni- 
costratus  daXarro'jpYol  (Suid.). 

1)  S.  p.  335  A.  4. 

2)  'HÖOTToita  roifji^voc.  xbo«  av  cizoi  X6f  ou;  iroijxYjv ,  ix  ocpoSporipou  yei- 
fjifovo;  £apo;  diriXotfArovro;.  Diese  Ethopoeie  wird  (mit  einem  noch  bei 
mehreren  Rhetorensiücken  dieser  Gazaeischen  Schule  vorkommenden 
Zweifel)  in  einer  Vaticanischen  Hs.  dem  Ghoricius,  in  einer  Pariser  dem 
Procopius  von  Gaza  zugeschrieben.  S.  Ghoricius  ed.  Boissonade  p.  484 — 
4  89.  Vieles  erinnert  hier  lebhaft  an  Longus,  nur  ist  Alles  viel  steifer  und 
starrer  ausgefallen.  Aus  einer  ähnlichen  Frühlingsbetrachtung  des^  Ghoricius 
auch  p.  284  ß'. 

3)  Eußoixö;  ^  Kuv7]Y<5;:  orat.  VII  (6  E6ßo£6;:  Philostr.  V.  S.  p.  7,  4  6). 
Schönes  Lob  dieser  Rede  bei  Synesius,  Dio  p.  822,  25  ff,  Dind.  (p.  38.  39 
Pelav.). 


—     510     — 

enthüllen  dem  Gast  die  LieT)e  des  Sohnes  seines  Wirthes  zn  der 
Tochter  des  Bruders.  Zuletzt  verbindet  ein  ländliches  Hoch- 
zeitfest das  junge  Paar.  »Und  ich  musste  diese  Menschen  glück- 
lich preisen«  (so  fasst  Dio  seine  Erzählung  zusammen)  »und  ihr 
Leben  für  das  seligste  halten  von  allen  Menschen,  die  ich 
kannte  «*).  —  Dieses  Alles  ist  in  schlichtester  hertslichster  Weise 
dargestellt,  ohne  alle  kokette  Phrase,  mit  der  Anschaulichkeit 
des  innerlich  Erlebten.  Man  spürt  wohl,  das$  wenigstens  in 
diesem  einen  ernsten  Menschen  es  ein  wahrhaftiges  Bedürfniss 
war,  welches  ihn  in  der  Wüste  einer  abgestorbenen  Cfvilisalion 
eine  reine  Quelle  aufzusuchen  trieb,  an  welcher  er,  dem  hohlen 
Gelehrtenwesen  seiner  Zeit  und  der,  an  der  zerfallenen  Pracht 
jener  euböischen  Stadt  so  lebendig  vefsinnlichten  freudlos  ge- 
schäftigen Nichtigkeit  des  Stadtlebens  entflohen,  einen  tiefen  Zug 
des  Trostes  und  der  Hoffnung  thun  könne  ^j.  — 

Nach  so  mannichfaltigen  älteren  Ansätzen  zu  einer  prosaischen 
Poesie  idyllischer  Schilderung  und  Erzählung  war  es,  von  Seiten 
eines  Sophisten,  kein  allzu  grosses  Wagniss,  solche  einzelne 
Bilder,  wie  man  sie  bis  dahin  ausgeführt  hatte,  durch  eine 
erotische  Fabel  zu  einem  Ganzen,  einem  idyllischen  Romane  zu 
verbinden.  Ob  auch  nur  die  Verflechtung  idyllischer  Einzel- 
scenen  zum  einheitlichen  »Drama«  eine  absolute  Neuerung  des 
Longus  war,  mag  zweifelhaft  werden,  wenn  man  bemerkt,  wie 
in  der  Einleitung  der  Dichter  mit  keinem  Worte  sein  Unter- 
nehmen als  ein  neues,  zum  ersten  Male  gewagtes,  preist  oder 
entschuldigt.  Für  uns  ist  dieser  Hirtenroman  auf  jeden  Fall 
der  erste  und  einzige  Vertreter  einer,  auf  dem  Boden  altgrie- 
chischer Cultur  erwachsenen  prosaischen  Erzählungskünst,  welche 


1}  p.  244   R.  init. 

2)  Im  Gegensätze  zu  dem  rüstigen  Jäger  wird  die,  einer  Krankheit 
öhnliche  lo/vörr^;  der  stödtisclien  Gelehrten  hervorgehoben:  p.  HO,  26  Diod. 
—  Wie  ernstlich  diese  Sehnsucht  nach  gesunder  Natur,  der  Widerwille 
gegen  die  überlebte  Civilisation  seiner  Zeit  dem  Dio  eingeprägt  ist,  wird 
keinem  Kenner  seiner  Schriften  unbekannt  sein.  Ich  nur  will  t>eilöufig  noch 
daran  erinnern,  dass  er  in  ähnlicher  Stimmung  auch  die  weltflüchtigen, 
am  todten  Meer  »eine  ganze  Stadt  der  Glückseligkeit«  bewohnenden  Essener 
gepriesen  hatte:  Synesius  Dio  p.  323,  26  fT.  Dd.  Als  er  den  Peloponaes 
durchstreifte,  hielt  er  sich  von  den  Städten  fern,  verkehrte  vielmehr  auf 
dem  Lande  mit  Hirten  und  Jägern,  ^^'^vaioi;  te  xai  dTrXoTc  fj^eaiv:  or.  I 
p.  60  R. 


—     511     — 

die  Erlebnisse  eines  jugendlichen  Mensehenpaares  fast  nur  wie 
eine  letzte  Steigerung  des  Lebens  einer  sympathischen  Natur 
bebandelt,  aus  welcher  diese  Menschen  so  nothwendig  bedingt 
emporwachsen,  dass  ohne  diesen  Untergrund  der  Natur  sie  so 
wenig  Leben  und  selbständigen  Inhalt  haben  könnten ,  wie  die 
Blüthe  ohne  Wurzel  und  ohne  nHhrenden  Boden.  Dieses  junge 
Hirtenpaar  trägt  nicht  nur  die  Farbe  der  wechselnden  Zeiten 
und  Zustände  der  umgebenden  Natur;  ohne  diese  landscbaft- 
liehen  Umgebungen  wäre  es  gar  nicht  vorstellbar.  Kein  Gedicht 
des  sinkenden  Alterthums  mag  uns  also  gleich  lehrreich  die  be- 
sondere Art  der  Naturempfindung  der  nachclassischen  Periode 
grrechischer  Bildung  in  seiner  Begrenzung  vor  Augen  führei^. 
Stets  blieb  die  Hingebung  des  Griechen  an  die  stumme  Natur 
eine  sehr  viel  gelassenere  als  die  des  modernen  Naturschwäi^- 
mers.  Dieser  sucht  in  der  Natur  ein  Etwas,  welches  nicht  der 
Mensch  sei,  und  dessen  Anblick  ebendarum  ihn  ganz  von  sich 
selber  befreit ;  ihn  begeistert  die  unmittelbare  Empfindung  eines 
schrankenlos  mächtigen  Lebens,  dessen  Offenbarungen  aus  der 
stumm  beredten  Natur  zu  ihm  reden  und  raunen  wie  das 
a^nungsreieh  vieldeutige  Brausen  und  Klingen  der  Aeolsharfe. 
Sein  NaturgefUhl  hat  einen  pantheistischen  Grundzug,  eine 
wesentlich  musikalische  Wirkung.  Das  antike  NaturgefUhl  blieb 
stets,  was  es  ursprtlnglich  war,  polytheistisch  und  plastisch. 
Auch  der  späte  Grieche  sucht  in  der  Natur  wohl,  statt  der  Ver- 
wirrung der  Menschenwelt  eine  ewig  in  gleichem  Maasse  bewegte 
Harmonie,  statt  des  hastigen  Getümmels  der  Stadt  die  beschau- 
liche Andacht  auf  stiller  Fljur;  aber  er  weiss  nichts  von  der 
gänzlichen  Entrückung  aus  der  Menschenweit  durch  die  Ueber- 
macht  eines  gewaltigeren  Lebens  in  der  nach  eignen  grossen 
Gesetzen  wirkenden  Natur.  Die  erhabenen  Schauer  des  finster 
brandenden  Meeres,  des  Urwaldes,  des  schweigenden  Felsen- 
gebirges, der  »seligen  Oede  auf  sonniger  Höh'«  würde  er  nie 
empfunden  haben.  Die  düstre  Poesie  eines  Ruysdaelschen 
Bildes  hätte  ihm  nichts  gesagt.  Er  sucht  gar  nicht  die  stolze 
W^ildheil  der  gänzlich  freien  Natur,  sondern  eine  gewisser 
Maassen  rationale  Natur,  vom  Mensehen  gebändigt,  gesänftigl, 
gebildet,  ist  es,  in  der  er  Ruhe  und  sanfte  Erquickung  auf- 
sucht. Wenn  er  einmal  der  eivilisirten  MeUvSchenwelt  und  ihrer 
Qual  zu  entfliehen  wünscht,  so  versetzt  er  sich  und  eine  ideale 


—     512    — 

Menschheit  doch  höchstens  in  eine  freiwillig  milde  Natur,  welche 
des  Menschen  nicht  bedürfte,  um  von  selbst  zum  Kunstwerk 
sich  zu  gestalten.  Wir  wollen  uns  nur,  aus  unsem  Betrach- 
tungen im  zweiten  Abschnitte  dieses  Buches,  des  Hintergrundes 
erinnern,  auf  welchen  Jambulus  und  verwandte  Fabulisten  ihre 
Utopien  stellten.  Das  Ideal  dieser  Art  der  Naturempfindung  ist 
die  Natur  als  Garten.  Bezeichnend  ist  es,  dass  die  liebevolle 
Betrachtung  der  Natur  bei  spütgriechischen  Autoren,  wenn  sie 
sich  einmal  recht  ergehen  will,  zumeist  in  die  farbenreiche 
Schilderung  eines  Lustgartens  ausläuft,  dergleichen  wir  aus 
sophistischer  Zeit  eine  ziemliche  Anzahl  besitzen*).  Bezeich- 
nend ist  aber  auch  die  Art  der  hier  beschriebenen  Gärten. 
Stets  wiederholt  sich  Ein  Typus,  welcher  auch  auf  den  Resten 
antiker  Landschaftsmalerei  wiederkehrt  ^j  und,  wohl  einlach  der 
Wirklichkeit  nachgebildet  3) ,  uns  hinreichend  deutlich  macht,  in 
welchem  Sinne  diese  Zeit  die  freie  Natur  zum  Kunstwerke  um- 
zudichten  liebte.  Dieser  Gartentypus  nähert  sich  viel  eher  dem- 
jenigen der  altfranzösischen  Gärten  als  der,  am  Ende  des  vorigen 
Jahrhunderts  eingeführten  sog.  englischen  Gartenkunst.  Sym- 
metrische Anlage    nach   architektonischen   Linien   und   Figuren, 


1)  Es  gehört  zu  den  Künsten  des  Rhetors  ^x^pdCciv  xdlXXoc  x<>>P^^^  ^ 
9'jTe(ac  hti^6po'Ji  XII  j^eup^xmv  notxiXta;  xal  5oa  Totauta:  HenDOgeoes  de 
Ideis  p.  858,  4  4  Sp.  Beschi-eibungen  von  Garteoanlagen :  Lucian,  Amores  4t} 
Libanius  IV  4  077  f. :  Ixcppaot;  xV]i:ou;  Aristaenetus  I  8;  vgl.  Alciphron  fragm.  € 
(§  4.  4.  8.  9);  auch  die  Beschreibungen  der  Gartenanlagen  in  Daphne  bei 
Antiochia:  Libanius  'Avtio)^(xöc  I  850  ft,,  in  Batnae  io  Syrien:  Juliao. 
epist.  26  (p.  352  Hch.).  —  Interessant  ist  es,  mit  der  Beschreibung  des 
fp/aTo;  am  Falaste  des  AIcinous,  in  der  Odysse  t}  4  4S  fT.,  etwa  die,  in  er> 
sichtlicher  Nachbildung  dieser  ältesten  Garlenbeschreibung  ausgeführte 
Schilderung  des  ^pyaxo;  der  Elektre  bei  Nonnus,  Dion.  III  440  ff.  zu  Ter- 
gleichen  (und  mit  beiden  wieder  die  nach  antiken  Vorbildern  angelegte 
Beschreibung  des  Gartens  der  Armida  bei  Tasso,  Gcrus.  lib.  c.  XVI  st.  9  ff.]- 
—  Zuletzt:  zwei  Gartenbeschreibungen  bei  Achilles  Tatius  I  4  5;  Longas 
IV  2,  vor  allen  übrigen  bemerkenswerth. 

2)  Z.  B.  auf  der  Malerei  in  der  Villa  der  Livia  in  Primaporta  (einige 
Stunden  nördlich  von  Rom) :  beschrieben  bei  K.  Woermann,  Die  Landschaft 
i.  d.  Kunst  d.  alten  Völker  (München  4876)  p.  880  ff. 

3;  Man  lese  die,  leider  nur  kurze  Anweisung  zur  Anlegung  eines  ra- 
pdoeioo;  bei  Florentinus.  in  den  reeoTTovixa  X  4.  Bemerkenswerth  ist  daran 
namentlich  auch,  wie  wenig  man  darauf  ausging,  Lustgarten  und  Noti- 
garten  al)solut  von  einander  zu  scheiden. 


—     513    — 

bisweilen  auch  enge  Verbindung  mit  der  Architektur  selbst^), 
lassen ;  weit  entfernt,  den  Eindruck  einer  freien  und  zufälligen 
Gruppirung  hervorbringen  zu  wollen,  vielmehr  die  Natur  als 
eine  vom  Menschen  in  Dienst  genommene  und,  in  künstlerischer 
Absicht,  gestaltete  ganz  bestimmt  erkennen.  — 

Für  diese  eingeschränkte  Weise  des  NaturgefUhls  ist  Longus 
ein  keineswegs  verächtlicher  Vertreter.  Was  man  fem  von  der 
Stadt  suchte,  das  »Milde«  des  Landlebens^]  darzustellen  ist  ihm 
wohl  gellingen.  Gleichmässig  wechseln  die  Zeiten  des  Jahres^); 
die  Menschen  folgen  mit  ihrer  Lebensweise  und  ihren  Arbeiten 
willig  dem  Leben  der  Natur,  die  sie  umfangen  hält.  Dieser 
rein  idyllische  Hintergrund  ist  weitaus  das  Beste  des  ganzen 
Romans;  die  einzelnen  Höhepunkte  dieses  harmlos  stillen  Land- 
lebens sind  mit  sinnlicher  Frische  hervorgehoben :  so  die  Trauben- 
emte,  der  ländlich  lebhafte  Tanz  nach  der  Befreiung  der  ChloS, 
vor  Allem  die  überaus  lieblich  ausgeführte  Scene  des  winter- 
lichen Liebesganges  des  Daphnis  zum  Hofe  des  Dryas^].  Ab- 
sichtlich hält  von  diesen  Bildern  ländlichen  Genügens  der  Dichter 
eine  genauere  Schilderung  der  beschwerlich  niederziehenden 
harten  Arbeitslast  des  Bauern  fem:  er  malt  uns  keine  parfümir- 
ten  Salonschäfer  hin,  wie  so  viele  seiner  Nachahmer,  aber  den 
Stall-  und  Mistgeruch  erspart  er  uns  ebenfalls.  Mit  Bewusstsein 
hält  er  sich  und  uns  in  einer  rein  poetischen  Welt,  in  welcher 
auch  wohlwollende  göttliche  Mächte  schützend  und  leitend  noch 
in  das  Leben  kindlicher  Menschen  eingreifen.  Wie  Daphnis 
der  Geliebten  treuherzig  die  alten  Hirtenmärchen  von  der  Echo, 
Syrinx  u.  s.  w.  erzählt^),  so  wird  das  eigne  Leben  des  Paares 
fast  selbst  zum  Märchen   durch  das  wunderbare  Eingreifen  des 


1)  Z.  B.  in  dem,  von  Achilles  Tatius  1  15  geschilderten  Garten:  dieser 
ist  an  allen  vier  Seiten  von  Mauern  mit  vorgestellten  Säulen  umfasst. 

2)  Tb  ^p.epov,  ii  %aXi\  irpaÖTTjc  des  ländlichen  Lebens:  Aelian  epist. 
rust.  13  (vgl.  30). 

3)  Beschreibung  des  Frühlings  I  9,  111  12;  des  Sommei-s  I  33,  III  24; 
des  Herbstes  11  1 ;  des  Winters  III  8. 

4)  I!  1.  2;  11  81   fr.;  III  5—11. 

5]  Syrinx:  II  84;  Echo  HI  23  ;  Verwandlung  einer  nicht  genannten  Jung- 
frau in  die  Ringeltaube,  (pdaaa:  I  27,  2  ff.  Man  erinnere  sich  der. oben 
p.  344  zusammengestellten  Beispiele  sophistischer  (iT2Yif)p.aTa  vorzüglich  aus 
dem  Krei.se  der  ipwTix-?)  pLu^oXof(a  (Longus  p.  814,  7). 

Rohde,  Der  griechische  Bomui.  33 


—    514    — 

Pan ,  der  Nymphen ,  des  Eros  >) .  Diese  GöUerDähe  dient  dazu, 
uns  vollends  in  das  träumerische  Behagen  eines  kindliehen,  von 
der  wirklichen  Welt  so  fem  abgelegenen  Märchenreiches  surück 
zu  versetzen. 

Nun  vermag  es  freilich  der  Dichter  nicht,  in  diesem  rein 
idyllischen  Elemente  sich  ausschliesslich  zu  erhalten.  Es  ist 
immer  ein  missliches  Unternehmen,  die  Idylle  aus  einer  eng- 
begrenzten Einzelscene  zu  der  Würde  eines  Epos  oder  Romans 
erheben  zu  wollen.  Ist  in  Wahrheit,  nach  einer  treffenden 
Bezeichnung  Jean  Pauls  ^j,  die  Aufgabe  der  Idylle  die  Dar- 
stellung »des  Vollglückes  in  der  Beschränkung«,  so  begreift 
sich  leicht,  warum  eine  epische  Idylle  eigentlich  ein  eisernes 
Holz  sein  muss.  Das  Glück,  sofern  es,  aus  langen  Sehnsucbts- 
qualen  geboren,  nur  einem  aus  dunklen  Wetterwolken  flüchtig  her- 
vorbrechenden Sonnenstrahle  gleicht,  entzieht  sich  als  solches  dem 
Kreise  der  Idylle  durchaus.  Jene  sonnige  Herbstruhe  des  Ge- 
müthes  aber,  welche  die  Idylle  eigentlich  zu  schildern  unter- 
nimmt, hat  keine  Geschichte;  solches*  Glück  steigert  sieb  wohl 
gelegentlich  an  einzelnen  Ereignissen,  selber  ist  es  aber  kein 
Ereigniss,  auch  keine  Kette  von  Ereignissen,  sondern  ein  Zu- 
stand, und  zwar,  wie  bereits  manche  der  Alten  wussten,  jm 
Wesentlichen  ein  nur  negativer,  leidenfreier  Zustand ^j.  »Das 
Glück  iHsst  sich  nicht   beschreiben«^).     Das  Epos,   der  Roman 


1)  Leitung  des  Ganzen  durch  Gros:  p.  246,  ii;  265,  46;  275,  41: 
277,  42;  durch  Pan,  die  Nymphen  und  Eros:  324,  20.  Die  Nymphen 
leiten  die  Entschlüsse  der  Hauptpersonen  durch  TraumersoheinongeD : 
p.  244,  26;  274,  49;  277,  5;  299,  20;  828,  46;  324,  20.  Sonst  scheot 
sich  Longus  durchaus  nicht,  ganz  handfeste  Wunder  einwirken  zu  lassen: 
wie  denn  Eros  selbst  dem  alten  Philetas  in  leibhafter  Gestalt  erscheint: 
II  4  fr. ;  wie  Pan  durch  schreckliche  Gesichte  die  räuberischen  Methymniier 
in  Entsetzen  setzt:  \l  25  fT. ;  wunderbar  auch  die  Befre^uqg  (|er  Heenj|e  des 
Daphnis  aus  dem  tyrischen  Schiffe,  I  80  (einer  älteren  Sage  nachgebildet: 
Villoison  verweist  auf  Aelian  Y.  H.  Vlll  49,  Plin.  n.  h.  Vlll  §  2Q8).  Ein- 
mal greift  doch  auch  Tyche  in  die  Geschichte  ein:  toL  (e  t^c  T6)^i};  (vgl. 
804,  41}  d[XXa  ßouXeufAaxa:  p.  848,  9. 

2)  Vorsch.  d.  Aesthetik  §  78. 

3)  Ich  erinnere  an  Epikurs  Einsicht  in  die  Negativitli^  der  Lust:  die 
•ffiosii  ist  ihm  navröc  tou  dX^oüvroc  (»iregatpca« :  Sext.  Empir.  adv.  math.  I 
p.  661,  43  Bk.,  '^^£oda(  tI  {a-^  dX-fCiv:  Plut.  adv.  Colot.  27  eitr. 

4)  »Le  vrai  bonheur  ne  se  d^crit  pas;  il  se  sent,  et  se  sent  d'autant 
mieux  quil  peut  le  nioins  se  d<^crire,  pan*^  qu'il  ne  rteulte  pas  d'un  recueil 


—     515     — 

stellen  uns  die  Ereignisse,  und  das  ist  die  Leiden  einer  gan^ 
und  gar  nicht  idyllischen  Welt  dar;  wo  die  Leiden  aufhören, 
hören  auch  Epos  und  Roman  auf.  —  Es  ist  darnach  nicht  eben 
verwunderlich,  dass  auch  Longus,  um  seine  Idylle  zum  Roman 
zu  gestalten,  aus  der  eingeschränkten  Hirtenwelt  in  das  ge- 
schäftige Leben  der  Städte  hinübergreifen  muss.  Er  thut  dies 
freilich  mit  wenig  GlUck;  und  so  wohl  gelungen  die  Darstelluag 
der  ländlichen  Zustände  sind,  so  frostig  sind  die  schlecht  er- 
sonnenen  Abenteuer,  mit  welchen,  in  den  Gewalllhaten  der 
Tyrier  und  Methymnäer,  die  äussere  »Welt«  in  diesen  stillen 
Frieden  hereinbricht.  Zum  Schluss  zieht  gar,  im  Gefolge  des 
reichen  Gutsherrn,  diese  Welt  mit  Schall  und  Gepränge  pomp- 
haft breit  aufs  Land.  Immerhin  dient  dieses  leere  Getümmel 
in  dem  Romane  des  Longus  doch  nur  zum  Contrast  gegen  die 
stiU^  Innigkeit  des  Landlebens;  und  zuletzt  führt  er  uns,  nach 
der,  aus  Komoedien  übel  entlehnten  »Wiedererkennung«  der 
Helden  durch  ihre  reichen  Eltern,  dennoch  wieder  auf  die  ver- 
borgene Flur  zurück,  auf  der  uns  jedenfalls  viel  wohler  wird, 
als  in   dem   athemlosen  Umherschweifen  der  übrigen  Romane. 

Trotz  der  beflissenen  Verwendung  solcher  romanhafter 
Bindemittel  will  es  übrigens  dem  Sophisten  doch  nicht  recht 
gelingen ,  ein  innerlich  zur  Einheit  verbundenes  Ganze  herzu- 
stellen. Unter  der  Hand  runden  die  einzelnen  Bilder  ländlichen 
Lebens  sich  ihm  zu  selbständig  neben  einander  stehenden 
IdylUen  ab*].  Er  versucht  es,  aus  dem  Inneren  des  jungen 
Paares  eine  zusammenhängende  Entwicklung  in  die  Reihe  der 
einzelnen  Erlebnisse  hinüber  zu  leiten.  Die  Liebe  soll  auch 
hier  die  Seele  des  Ganzen  sein.  Gleich  in  den  einleitenden 
Worten  sagt  uns  der  Dichter,  seine  Erzählung  solle  sein  »ein 
erfreuliches  Besitzthum  für  alle  Menschen;  den  Kranken  werde 
es  heilen,  dem  Trauernden  tröstlich  zusprechen,  den,  der  geliebt 
hat,  süss  erinnern,  den,  der  noch  nicht  geliebt,  berathen.  Denn 
durchaus  Niemand   entfloh  je   dem   Eros,    noch   wird   ihm  wer 


de  faits,   inais  qu*il   est  un  6tat  permanent«.    J.  J.    Rousseau  (Confessions 

I.  vi). 

1)  Man  sehe  z.  B.  wie  locker  solche  einzelne  idyllische  Situationen  an- 
einandergehöngt  und  leichl  verknüpft  sind:  l  25—26—27;  oder  II  2—3; 
u.  s.  w. 

3;j* 


—    516    — 

entfliehen,  so  lange  es  Schönheit  giebt  und  Augen  sehen «^]. 
So  wird  denn  die  ganze  Erzählung  in  der  That  zu  einer  Kette 
erotischer  Tändeleien  des  Daphnis  und  der  Chlo6;  Eros  ist  es, 
der  in  eigener  Person  die  glückliche  Entwicklung  dieser  Liebes- 
leidenschaft leitet.  Man  wird  keine  tiefere  psychologische  Ent- 
faltung dieser  bald  völlig  entschiedenen  Leidenschaft  erwarten; 
der  ganze  Roman  dient  lediglich ,  der  Befriedigung  des  sehn- 
süchtigen Verlangens  äusserlich  retardirende  Hindemisse  zu  be- 
reiten. Man  mag  es  auch  gelten  lassen,  wenn  die  Liebe  dieses 
jugendlichen  Hirtenpaares  sich  wenig  von  dem  Boden  eines 
süssen  sinnlichen  Begehrens  entfernt.  Aber  die  Art,  in  welcher 
der  Dichter  dieses  Begehren  anstachelt  und  durch  lüsterne  Ver- 
suche stets  nur  bis  an  die  Grenze  der  Befriedigung  führt,  zeigt 
ein  abscheuliches  muckerhaftes  Rafßnement  ^) ,  welches  uns  auf 
das  Unangenehmste  spüren  lässt,  dass  alle  Naivetät  dieses  Idyl- 
likers  nur  eine  künstlich  präparirte,  dass  er  selbst  eben  doch 
nichts  andres  ist  als  ein  Sophist. 

Es  ist  schwer  begreiflich,  wie  man  sich  über  diesen 
sophistischen  Charakter  des  Hirtenromans  des  Longus  jemals  hat 
täuschen  lassen,  und  eine  ächte  ursprünglfche  Naivetät  in  diesem 
künstlichsten  aller  Rhetorenproducte  hat  finden  können.  Bei 
genauerer  Aufmerksamkeit  und  einiger  Bekanntschaft  mit  den 
Manieren  sophistischer  Scribenten  wird  man  den  wahren  Cha- 
rakter dieser  Erzählung  leicht  durchschauen.  Immerhin  beweist 
die  Täuschung  einiger  wahrlich  nicht  verächtlicher  Beurtheiler 
des   Romans  'j  ,   dass  die   künstlich   angenommene    Naivetät    im 

1)  Er  schliesst  dann:  if||jiTv  S*  i  §c6;  izapdayiot  aco^povoirai  xä  rwr*  jXXaiv 
YpöE^civ:  mit  ttcht  griechischer  Scheu  vor  der  Aufwühlung  schlafender 
Leidenschaft  im  eigenen  Herzen.  Aus  derselben  Empfindung  ein  verwandtes 
Gebet  am  Schluss  des  (ohne  Zweifel  doch  einem  griechischen  Original  nach- 
gebildeten) Attis  des  Catull,  mit  welchem  Varro  Eumen.  XLIV  Rs.  passend 
verglichen  wird  (BUcheler,  Rh.  Mus.  30,  428). 

2)  Ich  meine  solche  Scenen,  wie  sie  I  82,  4;  II  8.  44;  III  44.  S4,  S; 
IV  6,  8  geschildert  werden.  Nach  meinem  Gefühl  sind  solche,  in  Wahr- 
heit muckerhafte  erotische  Experimente  sehr  viel  anst^^ssiger,  als  der  be- 
rüchtigte Vorgang  zwischen  Daphnis  und  Lykainion  III  48. 

3)  Zu  denen  ja  selbst,  und  vor  Allen,  Goethe  gehört:  Gespräche  mit 
Eckermann  II  805.  848—824.  882.  Goethen  Übrigens  war  der  Roman  des 
Longus  nur  in  der  französischen  Uebersetzung  des  P.  L.  Courier  bekannt 
Diese  Uebersetzung  (Oeuvres  complötes  de  Paul-Louis  Courier,  Paris  4880, 
t.   II   p.  77   ff.),    selbst    nur   eine    Ueberarbeitung   der   Uebersetzung    des 


—     517     — 

AIlgemeineD  nicht  ohne  Geschick  der  ächten  nachgebildet  ist. 
Und  das  bin  ich  auch  zu  leugnen  gar  nicht  gesonnen.  Studirt 
aber  bleibt  diese  Einfachheit  der  Empfindung  und  Darstellung; 
und  wie  der  Sophist  in  jenen  widerlich  lüsternen  Liebesscenen 
plötzlich  unter  dem  Gewände  der  Unschuld  den  Bocksfuss  heraus- 
fahren lässt,  so  verfällt  er  andrerseits  häußg  genug,  vor  lauter 
Bestreben,  recht  kindlich  und  sinnig  zu  sein,  in  eine  kalt  zier- 
liche Spielerei  oder  in  völlig  läppische  Affeetation  ^) .  Immerhin 
hütet  er  sich  vor  den  ungeheuerlichen  Absurditäten  mancher 
moderner  Schäfergeschichten ;  und  wie  viele  der  Dichter,  welche 
das  bedenkliche  Gebiet  der  Idylle  beschritten  haben ,  mögen 
sich  wohl  vor, den  hier  gleichmässig  drohenden  Gefahren  eines 
Abirrens  ins  Platte  oder  ins  Affectirte  gänzlich  gehütet  haben? 
Ganz  und  gar  sophistisch  ist  die  Sprache  und  der  Stil  des 
Longus.  Wie  es  dem  angenommenen  Standpunkte  einer  sinnigen 
Freude  an  einfacher  Natürlichkeit  entspricht,  bemüht  der  Sophist 
sich,  seiner  Darstellung  durchaus  den  Charakter  einer  lieblichen 
Simplicität  zu  geben.  Der  späte  Rhelor  Choricius  von  Gaza, 
wo  er  sich  zu  einer  Elhopoeie  eines  Hirten  anschickt,  sagt 
geradezu:  »der  Art  dieser  Ethopoeie  angemessen,  werden  wir 
dem  Hirten  eine  hirtenmässige  und  einfache  Haltung  geben «2). 
Solche  »Einfachheit«,    wie  er  sie  versteht,  versucht  denn  auch 


Amyot,  ist  allerdings  in  ihrer  Art  ein  Meisterwerk,  hat  aber  dem  Longus, 
statt  des  von  ihm  selbst  gewählten  überzierlich  aufgeputzten  Sophisten- 
gewandes das  Kleid  einer  alterthümlichen  französischen  Sprache  angelegt, 
welche,  vor  der  akademischen  Einschnürung  des  französischen  Idioms  in 
der  Periode  Ludwig  XIV  blühend,  einen  treuherzig  bürgerlichen  und  zu- 
gleich sinnlich  derben  und  frischen  Klang  hat,  von  dem  in  der  geleckten 
und  unleidlich  gezierten  Ausdrucksweise  des  Longus  durchaus  gar  nichts  zu 
spüren  ist.  Diese  Travestirung  muss  allerdings  beitragen,  über  den  wahren 
Charakter  der  Erzählung  des  Longus  denjenigen  zu  täuschen,  der  dieselbe 
nur  so  umgewandelt  kennen  lernt. 

1)  Einige  Proben  werden  genügen:  p.  341,  8:  —  r^;  hk  ^xiiXa^etotjc 
tinathia  xtxTouocv  al^ec.  1  34,  4:  -^xoOoOt^  (als  Dorkon  begraben  wurde)  xaX 
t6»v  ßooäv  ^Xeetvd  |jiuxif)|jiaTa  xal  ^pöfxoc  xivec  &^8t]aav  d(Aa  toi;  |jiuxif)pA9tv  ^xa- 
xxor  xal  <bc  iv  7iot|Ji£9iv  eixaCs'^o  xal  ainöXoc;,  xauxa  ^pfjvoc  fjv  xmv  ßodv  inX 
ßo'JX(SX(p  xexeXeuTTpcöxi.  Aehnlich  läppisch:  H  29,  1.  Chloö,  18  Jahre  alt 
geworden,  hört,  mit  kindlicher  Verwunderung,  zum  ersten  Male  das  Echo: 
III  23,  2  u.  dgl.  m. 

2}  Choricius  p.  4  84  :'nÖ(A(|>  Be  xfjc  "^^0110110;  iic6|jicvoi,  icot)UV(x6v  tc  xal 
d^cXcc  auxcj>x6  i^^oc  icepiB^oojuv. 


—     518     — 

Longus,  mit  stiidirter  Absicht;  seiner  Erzählung  zu  Terleihen. 
Wir  wollen  uns  erinnern,  dass  diese  selbe  Eigenschaft  der 
»Einfachheit«  Philoslratus  dem  Stile  des  Aelian  nachrühmt^); 
in  der  That  ist  mit  der  Schreibweise  mancher  kurzen  Erzäh- 
lungen des  Aelian  diejenige  des  Longus  sehr  nahe  verwandt. 
Eine  solche  sophistische  Einfachheit  prägt  sieb  vorzüglich  in 
grosser  Schlichtheit  des  Satzbaues  aus,  welcher  sich  zumeist  in 
kurzen  eingliedrigen  Perioden  bewegt,  die  einzelnen  Phrasen 
nicht  hypotaktisch  gruppirt,  sondern  pafataktisch  an  einander 
lehnt,  feste  Verbindung  durch  Gonjunctionen  vermeidet,  för 
asyndetische  Reihenfolge  der  Sätze  eine  bedenkliche  Vorliebe 
zeigt.  Wir  hören,  dass  diese  Manier,  in  kurzen,  locker  an- 
einander gehängten  Sätzen  mit  studirter  Nachlässigkeit  und  Be- 
haglichkeit dahinzuschlendern,  auch  in  den  Schriften  des  Hege- 
sias,  eines  der  Muster  des  »asianischeuff  Stils  der  hellenistischen 
Zeit  sich  bemerklich  machte^],  ebenso  bei  den  asianischen 
Rhetoren  der  Kaiserzeit  ^j.  Longus  bietet  ein  fast  bis  zur 
Garrikatur  getriebenes  Beispiel  dieser  Schreibweise*).  Diese 
»hirtenmässige  Einfachheit«  ziert  er  nun  aber  durch  alle  erreich- 
baren Mittelchen  auf,  wie  eine  kokette  Schäferin  sich  mit  Bän- 
derchen  und  Schleifchen  putzen  mag.  Er  giesst  über  seine 
Sprache  diejenige  Anmuth  und  Zierlichkeit,  welche  nach  antiker 
Rhetorenterminologie  den  ^^apaxTiqp  ^Xacpupo^  bezeichnet,  also  die 
anmuthige   Schreibweise^).     Als   Vorbild   dieses  Charakters  galt 


1)  S.  oben  p.  834.  —  Ein  bewandertes  und  vermuthlich  doch  auch 
vierfach  nachgeahmtes  Muster  dieser  d^iXt la  des  Stils  war  auch,  unter 
den  Sophisten  der  Kaiserzeit,  Nicostratus :  s.  Hermogenes  de  Ideis  p.  4i0  Sp. 

2)  Vgl.  Cicero  Orator  67,  226.  —  Auf  den  Stil  des  Longus  könnte  man 
vollstfi'ndig  anwenden,  was  Cicero,  Brutus  §  287  von  Hegeslas  sagt:  quid 
est  tarn  fractum,  tam  minutum,  tarn  in  ipsa,  quam  tarnen  consequitur, 
concinnitate  puerile? 

3)  S.  die  oben  p.  318  A.  3  angeführte  Stelle  des  Longin  tiber  die,  voo 
Arlstides  verworfene  fxXuau  der  asiatischen  Rhetoren.  Datunter  ist  ebeo 
Jene  in  viele  selbständige  kleine  Abschnitte  zerhackte  SiaXeXuiJiivT]  X^^tc  zn 
verstehen,  über  welche  einige  feine  Bemerkungen  bei  Demetrius  de  eloc. 
$  493.   494. 

4)  Es  bedarf  hierfür  keiner  einzelnen  Beweise,  da  jede  Seite  des  Ro- 
matis voll  davon  ist.  Zur  Probe  halle  man  sich  ^ber  etwa  die  Braot- 
bewerbungsrede  des  Daphnis  111  29,  2 — 4  vor. 

5)  Die  Merkmale  des  ^apaxn^jp  ^Xacpupöci  wie  sie  namentlich  bei  De- 
metrius IC.  ^p|jiT)ve(ac  §  128 — 455  (Spengel.  Rh.  gr.  III  290  ff^  attseinaoder- 


—    519    — 

den  Alten  die  Sappho :  es  ist  nicht  zufällige  dass  Longus  einmal  ein 
liebliches  Gleichniss  der  Sappho  in  fast  wörtlicher  t'rosaumschrei- 
bung  seiner  Erzählung  eingelegt  hat*];  er  mag  ihre  Gedichte 
[gleich  dem  Himerius)  noch  an  vielen  andern  Stelleti  vor  Angeh 
gehdbt  haben.  Er  verirrt  sich'  abör,  bei  dem  Bestreben,  seine 
Rede  lieblich  ins  Ohr  fallen  zu  lassen,  häufig  in  eine  unleidlich 
gezierte  Tändelei.  Er  schwelgt  fortwährend  in  jenen,  massig 
aügewendet  bisweilen  ja  so  wirksamen  Mitteln  eines  spielenden 
Gleichklanges  und  Gleichmaasses  der  Rede,  den  Parisosen,  Par- 
homoiösen,  liomoioteleuta ,  welche  alle  hinauslaufen  auf  eine 
kokette  Wirkung  durch  Verdoppelung  gleichwichtiger,  ähnlich 
lautender,  ähnlich  auslautender  Satzglieder.  Wenige  selbst  der 
späten  Manieristen  griechischer  Rhetorik  haben  dieses  Spiel  mit 
einem  weichlichen  Parallelismus  der  Satzglieder,  mit  Reimklängen 
u.  s.  w.  so  weit  ins  Läppische  ausgedehnt,  wie  Longus^);  allen- 


gesetzt  werden,  wird  man  fast  sämmtlich  in  der  Schreibweise  des   Longus 
ausgeprägt  finden. 

1)  Longus  III  83,   4;    nach    Sappho    fr.    93:    s.    dazu   Bergk.   p.   Iyr.3 
p.  907  f. 

2)  Für  alle  diese  Spielereien  bietet  wiederum  jede  Seite  des  Romans 
überreichliche  Beispiele.  Einige  Proben  mögen  hierher  gesetzt  werden, 
p.  i42,  7 :  5ptj  ^poTp^^a,  i:eo(a  Tiupocpöpa "  -y^iXo^oi  x}.T)[i.dit<üv,  vofJ.al  ttoiJAvtoav  * 
xal  t]  ddXarra  irpoc^xXuCev  ij^vt  £xTeTa[i.^vig,  4^ölfjL(Acp  [i.aXtfaxiQ.  —  p.  145,  ii: 
ßö{jißo;  T^v  -fjoT]  (jieXctT&v,  T^yo;  öpvCdeov  (jiouoixdiv,  oxipr/jfjiaTa  iroifxvlojv  dpri^ev- 
vi^Tcov  *  apve;  ioxtpiojv  4v  toi;  Äpeciv,  ißöptßouv  is  xotc  Xeipiojai  (xdXtrrai,  is 
•zaii  X6yfi.ai5  xax^oov  ^pvi^;.  (Herchör,  welcher  zu  dieser  Stelle  einsichtig 
über  den  pedantischen  Parallelismus  des  Longus  handelt  [Erot.  I  p.  XXXVI], 
hat  denselben  z.  Th.  eben  in  diesen  Sätzen  erst  hergestellt.  Man  wird 
aber  auch  noch,  um  den  Parallelismus  ganz  vollständig  zu  machen,  statt 
xax^oov,  dem  r^y^o^  öpv(dojv  fjiouotxcüv  entsprechend,  zu  schreiben  haben: 
xaTt)youv).  Aehnliches  sehr  oft  bei  Ach.  Tat.:  z.  B.  p.  38,  26:  dl^p6; 
direiiobjTo  xal  izh^ai  xa\  x6fi.aTa'  ai  ir^xpai  t^;  y*^^  üTtepßeßXtjjxivöt,  6  dcppöc 
:reptXeuxa(v(uv  xä^  ir^Tpa;,  xö  xup.a  xopu(po6{Aevov  xal  icepl  xd;  Tilxpa;  Xu<SfUvov 
iU  xou?  d9po6;.  —  Long.  p.  464,  43:  y'^H^^'O«  -^v,  jjkSvoc  t)v.  280,  2:  iruppiv 
TiaiStov  xol  yXouxöv,  Xeuxöv  raiSlov  xal  dY^pcoyov.  Vgl.  Ach.  Tat.  p.  94,  18: 
iroWjpTj;  6  yix«6v,  Xeuxoc  6  yixdbv,  206,  28 :  Tio^pt);  6  -/txdbv,  öd^vY);  6  yvzdjN.  — 
Long.  p.  279,  24 :  —  ldt]xav  h  xu)  Xetjxövi,  iv  xoTc  cpuXXou.  286,  7 :  itpo 
x^C  aOX-^C  xoO  Ap6avro«,  67:*  auxig  rj  ouXig.  299,  28 :  el;  xfjv  if^s,  eic  xd;  r?j; 
dixpac  Tidxpa;.  —  Reime  auf  Schritt  und  Tritt,  z.  El.  p.  296,  29 :  x^c  ptouoixfj; 
<ptovfDV,  I  xoü  xdXXou;  \t.ii  vjyrjSis.  304,  2:  ISeiaev  6  -zp'j'^&s  dveXOeiv,  [  ■^[i.iXrjoe 
TiateJlclv.  Und  gar  das  wollüstige  Geplatscher  in  Gteichlauten  p.  304,  i^ : 
—  Iva  ii£oiQ  yaptal  xal  r^  zoi\isio^  auxö  TraT^air)  ve[i.6[jievov  ^  epirexöv  ^papfid^i) 
oupöpievov,  T)  ypövoc  Saitav/jOiQ  xe(p.evov.    BXeröpievbv  ^Tcatvou  pievov. 


—     520     — 

falls  könnte  man  ihm  noch  Achilles  Taiius  an  die  Seite  stellen, 
der  ihm  vielleicht  gerade  in  solchen  Manieren  nacheifert.  Zuletzt 
tragt  des  Longus  Wortschatz  gar  sehr  zu  dem  überzierlichen 
Colorit  seiner  geputzten  Einfachheit  bei.  An  Fleiss  und  Mtlhe 
hat  er  es  offenbar  nicht  fehlen  lassen:  aber  der  übergrosse 
Aufwand  altattischer,  antiquarisch  glossenhafter ,  dichterischer 
Worte,  durch  welche  er  seiner  Rede  ein  poetisches  Ansehen 
zu   geben    versucht  >) ,    vollendet    freilich    den    Eindruck    eines 


Sehr  Aehnliches  oft  bei  Ach.  Tat. :  z.  B.  p.  58,  18:  'Epooro«  nvci  |  'A^po- 
hirrf*  npoEcvei,  |  eu<6&c9(  ^6XXo((  x o |ji ^ •  |  e6xiv^T0tc  TCCTdlXoic  x p u 9 a ,  |  rd 
ic^oXa  T(j>  Zc96p<p  feXä. 

1)  Gesuchte,  attische,  antiquarisch  aufgegrabene  Worte  sind  z.  B. 
(la^av  p.  308,  3  (vgl.  Ruhnk.  Tim.  184).x(TTäN  (so  Cd.  Florent :  s.  Cotiet 
V.  L.  483)  818,  10;  <ppi|jiölTTeo^at  347,  7  u.  ö. ;  oxixaXlCctv  prurire, 
391,  8  (von  oxlräXoc  Priap,  Arist.  Eq.  685,  oxtTt^v  Taugenichts,  Phot.  lex. 
Vgl.  Lobeck,  Prol.  Path.  98);  xXav  ^fXTceXov  801,  1  (in  der  xotW):  xXa^jetv 
s.  Pierson  ad  Moer.  339,  Lobeck,  Phryn.  173.  Ob  so  zu  verstehen  p.  385,  7 
in  der  Beschreibung  des  Winters:  xd  (iv^pa  itpxei  xaxaxXcDfj.£votc:  »die 
Bäume  sahen  aus  wie  abgelesen«?  Jedenfalls  haben  die  bisher  vorgebrach- 
ten Emendationen  die  Stelle  nicht  geheilt.  Ob:  xaxauatvofiivotc?  Lucian 
Amor.  1 3  von  Btf  umen :  ou&^  aOxd  fipovzo^  ^ht]  ^p^vou  noXtd  xaxa6acvev. 
Choricius  in  einer  Beschreibung  des  Winters :  elorVjxcc  xal  xd  IM^  nuaMntp 
is  trlv^ei  Tf)v  x(S(i.Y]v  dTroxecpöfxeva:  p.  185.  Ob  also  unter  RATAKAQ- 
MEN012  sich  etwa  verbirgt:  KATAKEKAPMEN012?) ;  <Jüp(xx£l^»  überall, 
nicht  oup(Cetv:  s.  Hercher  p.  XXXVl  (vgl.  Lobeck,  Phryn.  193);  xaxa- 
vaix(Ce9^ai  353,  38  (verspottet  bei  Luc.  Lexiph.  5)  ir^pa  ^Xd^ou  »aas 
Hirsch  feil«  393,  11  (so  X£a>v,  dX(&ic7}S  u.  s.  w.  Fell  vom  Löwen,  Fuchse. 
Ruhnk.  Tim.  357;  vgl.  Fritzsche  zu  Lucian.  bist.  cscr.  10,  I  1  p.  143); 
0(p6c  Wolfsgrube  346,  35  (s.  die  Erklärer  p.  177  f.  der  Seilerschen  Aus- 
gabe); dppt)^oc:  383,  7  (Pierson  ad  Moer.  55  f.);  dva^evSpdc  363,  19; 
oio6pa  368,  33;  xapßaxivai  368,  34;  i'^%6\L^mit.a  ein  Hirtengewand, 
380,  31  (Jungermann  zu  Pollux  IV  119);  Cu(ji(xt]c  373,  16;  ot]x(xt]; 
(Ipi^oc)  398,  38  (aus  Theocrit  1  10);  auxep^xac  (oxpaxidixai)  378,  4;  na- 
Idbri  395,  10  (s.  intpp.  p.  381);  Tp(ßoXa  801,  19  (s.  intpp.  p.  394  f. 
xpiß(otc  allerdings  cd.  Flor.:  Cobet  V.  L.  181);  dxuXoc  385,  15  (aus 
Odyssee  x  348).  Ob  Xaßif)t  =  Tipö^aoiv  393,  4?  (s.  Seiler  p.  376  f.  Her- 
cher, Erot.  I  p.  XLV.  Ich  glaube,  es  ist  zu  schreiben :  a>c  ^apd  x9|v  p- 
vatxa  ^TjXaS-?!  xf^v  x(xxouoav  diriouoa).  &a  348,  19?  (die  Stelle  scheint  mir 
heillos  corrupt,  &a  xou  dvxpov  ist.  ganz  unverständlich.  Aber  auch  die 
nähere  Umgegend  ist  bedenklich:  C«pia  nepl  xt]v  ig6v,  (lei^tafia  iccpl  x^ 
67p6v  stehen  gar  zu  absurd  nebeneinander;  stand  etwa  in  dieser  Gegend 
ursprünglich  das  seltsame  d»a?  C^i^a  Tiepl  x9)v  iguv,  <&a  ncpl  xi^v  öotpO'v  wäre 
jedenfalls  eine  leidlichere  Zusammenstellung.  —  x9jv  Äav  Tcepc^todat  nepl 
TiPjv  6off{is  Hermipp.  com.   II  405,  VI).   —  Dem  poetischen  Wortschatze 


—     521     — 


sophistischen  Stils,  welcher  durchaus  in  denjenigen  Fehler  ver- 
fällt, den  die  antike  Theorie  sehr  richtig  als  die  Uebertreibung 
der  »anmuthigen  Schreibart«  bezeichnet,  das  xaxoCY]Xov ^] ,  die 
verkehrte,  vor  allzu  grossem  Eifer  ins  Abgeschmackte  abirrende 
Beflissenheit  studirter  Anmuth. 


8. 

Chariten  darf  als  der  letzte  derjenigen  Romanschreiber  be- 
trachtet werden,  welche  noch  auf  den  äussersten  Grenzgebieten 
der  altgriechischen  Culturperiode  stehen.  Wir  könnten  nunmehr 
unsre  Betrachtung  beschliessen,  wenn  nicht  über  das  Nachleben 
der  griechischen  Romandichtung  in  byzantinischer  Zeit  noch 
einige  Worte  zu  sagen  nöthig  wäre.  Eine  genauer  eingehende 
Behandlung  der  nun  noch  zu  nennenden  Dichter  möge  dem- 
jenigen überlassen  bleiben,  der  etwa  in  einer  Darstellung  des 
unerfreulichen  Schattenlebens  der  Gespenster  altgriechischer 
Bildung  in  den  langen  byzantinischen  Zeiträumen  auch  diesen 
Nachahmern  des  Ueliodor.  und  Achilles  Tatius  ihre  richtige  Be- 
deutung bestimmen  könnte.  Für  uns  haben  sie,  vom  antiken 
Ufer  aus  betrachtet,  nur  als  vereinzelte  Nachklänge  allerspätester 
griechischer  Poesie  ein  schwaches  Interesse;  ein  kurzer  Blick 
auf  sie   und   ihre  Werke   darf  uns   genügen;   und  was  könnte 


sind  enUehnt:  ISiodac  =  (&eiv  248,  23;  ouvoXoav  320,  26  (vgl.  Valck.  anim. 
ad  Ammon.  22)  ;  dvYjßöv  269,  6  (nach  Valckenaers  Cj.) ;  cbpuea^ai  276,  21 
(i7ioirr6eiv  vom  Meere  300,  1  (s.  intpp.  p.  291);  aTreuSetv  y^I^ov  298,  18 
302,  18;  808,  5  (homerisch);  ToSonotel^  (rd^  ö^pu«)  816,  16  (s.  intpp.  828 
von  Longus  wohl  unmittelbar  dem  Alciphron  III  19  §  2  nachgemacht). 
6^(70voc  807,  19  (nach  Theocrit  XXIV  31);  xanupov  (^eXav)  265,  1» 
icXaxu  ßouxöXiov  265,  12  (Hom.) ;  f)otCo;  268,  9  (Hom.);  X(ii£pv/)TT]c 
274,  12;  Ttxepöv  =  Vogel:  286,  16;  (leXlTeopia?  288,  22;  818,  21;  819,  10. 
TipcDTÖppuTov  -^äXa  298,  29;  (i.ip.ir)T-/)c  adjectivisch :  [jliijitjt^v  cpwv^v  295,  29 
(s.  namentlich  Lobeck,  Paralip.  gr.  gr.  271);  {AcoainöXioc  311,  21  (s.  intpp. 
p.  313).  —  Einige  anai  Xc^^tuva  des  Longus  verzeichnet  Passow  hinter 
seiner  Uebersetzung  des  Longus  (L.  1811)  p.  355  ff.  —  Nicht  zahlreich 
sind  Ausdrücke  späterer  und  unclassischer  Graecität,  wie :  l(i.7i6peu(jLa  259, 10  ; 
^XtfOT^pa  801,  25;  ico((aviov,  ein  einzelnes  Stück  der  Heerde:  241,  10  u.  ö. 
(s.  intpp.  p.  159);  dicoooßetv,  fortgehen  287,  25  u.  ö.  (s.  intpp.  p.  266); 
IfApcoc  278,  23,  etwa  im  Sinne  von  Ifjurvou;. 

1)  Das  xaxöCYjXov  bezeichnet  als  die  Verirrung  des  -(Xa^upic  yiapaxxiip 
s.ehr  richtig  Demetrius  de  eloc.  §  186  ff. 


_     522    — 

auch   zu  längerem   Verweilen   locken  i^    Non   ragioniam   di   lor\ 
ma  guarda  e  passa.  — 

Wir  dürfen  glauben,  dass  die  Dichtungen  des  Heliodor, 
Achilles  und  ihrer  Genossen  von  Zeitgenossen  und  noch  von  den 
weltlich  Gebildelen  der  nächstfolgenden  Jahrhundertc  mit  An- 
Iheil,  zum  Theil  mit  Bewunderung  gelesen  wurden.  In  Blumcn- 
lesen  nahm  man  vielfach  allgemeine  Aussprüche  und  Betrach- 
tungen des  Achilles,  des  lleliodor  auf^);  man  studirte  dieser 
beiden  angesehensten  Romanschreiber  Werke  auch  als  stilistische 
Muster^);  es  scheint,  dass  man  sogar  Commentarien  zum  Heliodor 
verfasst  habe  ^] ;  man  stritt  lebhaft  über  den  Vorrang  des  Heliodor 
oder  des  Achilles^).  Der  ehrwürdige  und  in  Wahrheit  gelehrte 
Patriarch  Photius  weist  sich  durch  die  seiner  »Bibliothek«  ein- 
gefügton Auszüge  und  Besprechungen  der  Romane  des  Diogenes, 
Jamblichus,  Heliodor,  Achilles  als  genauen  Kenner  dieser  ganzen 
Gattung  der  Litteratur  aus. 

Zur  Nachahmung  dieser  so  viel  gelesenen  Dichtungen 
reizte  es  gleichwohl,  so  weit  wir  sehen  können,  Niemanden  vor 
dem,  vom  Ende  des  eilften  Jahrhunderts  beginnenden,  überhaupt 
durch  einen  gewissen  Aufschwung  litterarischer  Bestrebungen 
bezeichneten  Jahrhundert  der  Komnenen.  Wir  wissen  von 
vier,  den  Romanen  der  Sophistenzeit  nachgebildeten  byzantini- 
schen Liebesromanen;  drei  derselben  fallen  unzweifelhaft  in  die 
Regierungszeit  der  Komnenen;  von  dem  vierten  darf  man  ein 
gleiches  vermuthen. 

Dieser  vierte  Roman  mag  voranstehen.  Es  ist  des  i>£usta- 
thius  des  Philosophen  Erzählung  von  Hysmine  und  Hysminiaso^); 
eine  prosaische  Erzählung   in   eilf  Büchern.     Seitdem  man  von 


1)  Noch  nicht  in  die  des  Stobttus,  aber  in  grosser  Zahl   in  die  Samm 
lung  des  Maximus  Gonfessofi  und  in  die  »Melissa«  des  Antonios. 

2)  Vgl.  z.  B.  Bekker.  Anecd.  III  1089. 

3)  Ich  denke  an  die  XapixXe(ac  ipfjit^vela  rfjc  otA^povo;  ix  for^t  ^i- 
XiTinou  ToD  cpiXooö^ou:  Korais  Heliod.  1  p.  t:^\    S.  ob^n  p.  448  A.  8. 

4)  Psellus:  vgl.  oben  p.  448  A.  3. 

5)  Th  xa(K  'T9|jitv(av  %a\  'T9p.(vT]v  Ipäym,  t:o(t2(&a  Euora^ou  ^iXoo^^'j  (ich 
benutze  die. Ausgabe  von  R.  Hercher,  Erot.  scr.  gr.  11  161—286).  —  D^r 
rechte  Name  dieses  »Philosophen«  scheint  Eostathios  za  sein:  Earaithias 
nennt  .ihn  eine  Minderzahl  der  Hss.  Vgl.  Osann,  Prolegomcna  ad  BustalhH 
Macrembolitae  De  amoribos  Hysm.  et  H.  drama  ab  se  edemhini.  Gtssae  1853 
p.  H.  18. 


—     523     — 

der,  bereits  in  einer  Randbemerkung  einer  der  zahlreichen 
Handschriften  dieses  Romans  vorgetragenen  *)  jfOr  den  treff- 
lichen Metropoliten  Eustathius  von  Thessalonike  wenig  schmeichel- 
haften Vermuthung  der  Identität  jenes  nicht  ungelehrten  Er- 
klärers  des  Homer  und  des  Periegeten  Dionysius  nlit  unserm 
Romandichter  Eustathius  zurückgekommen  ist ,  ist  man  über 
Zeitalter  und  Person  dieses  Mannes  völlig  im  Dunkeln.  Zwar 
nicht  so  ganz  über  die  persönlichen  Verhältnisse:  denn  die 
Ueberschrift  des  Romans  in  einigen  Hss.  nennt  diesen  ein  Werk 
des  y»  Eustathius  des  Protonobelisimos,  und  megas  chartophylax, 
des  Paremboliten  —  oder,  wie  es  in  andern  Hss.  heisst,  Makrem- 
boliten«^.  Die  byzantinische  Titulatur  bezeichnet  den  Eustathius 
als  einen  der  höchsten  geistlichen  Beamten  byzantinischer 
Hierarchie  3) ;  »Makrembolitcs«  oder  »Parembolites«  mag  er  nach 


1)  Am  Rande  einer  Münchener  Hs.  liest  marv:  xou  xal  uoxepov  ypruia- 
xiaavTo;  (XTjxpoTioXiTou  deoooXovixT);.  S.  Grässe  in  einem  (recht  setir  un- 
fruchtbaren) Aufsatz:  Ueber  den  griechischen  Erotiker  Eustathius  u.  s.  w., 
Jahns  Archiv  f.  Philol.  u.  Paed.  IV  (1836)  p.  267.  —  Im  Uebrigen  sei 
wegen  des  Litterarischen  noch  immer  auf  Fabricius  B.  Gr.  VIII  186  Harl. 
verwiesen. 

2)  no(T)p.a  Euoradfeu  TrpmxovcußeXioifiou  xal  [Aefo^ou  yapxo^uXaxoc  toO  Tiap- 
efjtßoXlxou  (so  cd.  taurin.  bei  Boissonade,  Anecd.  V  330,  ein  Neapolitanus, 
der  Honac.  405;  die  andern  Hss.  |Jiaxpe[ApoX(xoti)  xxX.  S.  Osann  p.  41.  Du- 
cange,  GIoss.  ad  scr.  Yned.  et  inf.  Graec.  p.  iOlO  s.  viDßeXtacpioc. 

3}  Ich  habe  das  »[ni^n^  )^apTO(p6Xa6a  absichtlich  nicht  übersetzt;  dem 
o Staatsarchivar«  neuerer  Zeiten  entspricht  dieses  Amt  ganz  und  gar  nicht, 
wie  Grässe  p.  269  meint  (welcher  dann,  wunderlich  genug,  aas  einer  ein- 
zigen, scheinbar  an. Verse  des  189.  Psalms  anklingenden  Stelle  des  Romans 
erst  beweisen  zu  müssen  glaubt,  »dass  unser  Eustathius  ein  Christ  gewesen 
sei«.  Uebrigens  ahmt  an  jener  Stelle  [p.  178,  41  ff.]  Eustathius  keineswegs 
dem  Psalmendichter,  sondern  seinem  gewöhnlichen  Vorbilde,  dem  Achilles 
Tatius  [p.  63,  1  ff.  Hch.]  nach).  Sondern  der  ^apxo(p6Xa^  ist  der  dritte  in 
der  ersten  Pentade  der  obersten  Würdenträger  der  byzantinischen  Geistlich- 
keit :  xpax&v  xÄ  ^xxXiQOiaoxtxot  yapxqpa  Sixatdbp^xa,  xpixi?jc  xÄv  ßXoov  ^Trod^aemv 
xöbv  ^xxXtjoiaoxixÄv,  iy^tos  xdlc  ^aptixA;  unodioet;,  dXXol  xol  is  xoic  XoiTraTc  x&v 
xXY]pixdbv  (»no^iaeoiv  Ixotxoc,  (bc  Be^idl  xou  dpyupim^  )^e(p.  Codinus  Curopal. 
de  officialihus  palatii  Cpol.  p.  4,  4  ff.  Bekk.  —  Uebrigens  wäre  nach  einer, 
von  den  Erklärern  des  Codinus  zu  jener  Stelle  (p.  129  Bk.)  angeführten 
Aussage  des  Joannes  Cantacuzenus  n  1  (vol.  I  p.  818  Schop.)  der  Zusatz  »p,^- 
Yoc«  dem yapxo96XaS  erst  1328  vom  Ks.  Andronicus  II  verliehen  worden;  dürfte 
man  das  als  ganz  sicher  betrachten,  so  müsste  freilich  unser  lUr^a^  )(apTo- 
^OXai  Eustathius  viel  später  gelebt  haben,  al8  man  gewöhnlich  annimmt, 


—     524     — 

seiner  Heimath  heissen^).  lieber  seine  Lebenszeit  w^sste  ich 
nichts  Begründetes  vorzubringen ;  ich  bemerke  wohl  eine  starke 
Verwandtschaft  zwischen  seinem  Romane  und  demjenigen  des 
Theodonis  Prodromus;  welcher  von  beiden  des  andern  Vorbild 
war,  weiss  ich  nicht  zu  sagen;  aber  selbst  wenn  Eustathius 
der  Aeltere  war,  ist  es  mir  wahrscheinlicher,  dass  wir  ihn, 
etwa  als  den  frühesten  Erneuerer  erotischer  Erzählungskunst, 
in  die  Anfänge  der  Komnenenherrschaft ,  welche  die  übrigen 
Versuche  auf  gleichem  Gebiete  sich  entfalten  sah,  zu  setzen 
haben,  als  dass  wir  ihn  uns  ganz  isolirt  in  irgend  einem  früheren 
Jahrhundert  des  Byzantinismus  lebend  zu  denken  hätten^). 

In  den  elf  Büchern  seines  »Drama«  erzählt  nun  Eustathius, 
wie  Uysminias  aus  Eurykomis,  als  Festherold  zu  den  Diasien 
nach  Aulikomis  gesandt,  dort  ein  Liebesbündniss  mit  Hysmine, 
der  Tochter  seines  Gastfreundes  schliesst,  dann  bei  Gelegenheit 
eines  Gegenbesuches  desselben  und  seiner  ganzen  Familie  in 
Eurykomis  mit  der,  einem  Andern  verlobten  Geliebten  zu  Schiff 
entflieht.  Bei  einem  ausbrechenden  Sturme  wird  Hvsmine,  als 
Sühnopfer,  ins  Wasser  gestürzt,  der  lästig  jammernde  Hysminias 
ans  Land  gesetzt.    Aethiopischc  Räuber  bemächtigen  sich  seiner; 


1)  Was  eigentlich  Maxpep.ßoXl'n);  oder  nape(i.ßoX(TT];  bedeute,  ist  gtnz 
unsicher.  Casaubonus  dachte  an  eine  Stadt  Parembole  in  Aegypten;  Lebas 
mit  Wilken  an  eine,  nach  den  IfjißoXoc  (byzantinisch  es  Säulenhallen)  be- 
nannte Oertlichkeit.  S.  Osann  p.  44',  welcher  nichts  zur  Entscheidung 
beiträgt.  MaxpcfAßoXktooa  heisst  die  Kaiserin  Eudocia  (mit  spätgriechischer 
Femininbildung:  vgl.  Lobeck,  Paralip.  294);  einen  Räthseldichter  »6  Ma- 
xpe(jißoX(T7);«  genannt,  führt  Osann  an.  Bei  Beginn  des  zweiten  Kreuzzuges, 
M47,  schickte  Manuel  Komnenus  den  Kreuzfahrern '  nach  Ungarn  zwei 
Gesandte  entgegen,  von  denen  Einer  war  AT)|ji-/)Tpi6c  rt;  MoxpcfAßoXCTT};: 
Cinnamus  H  43  p.  67,  48  Mein.  (Vgl.  Wilken,  Gesch.  d.  Krenzz.  UI  4 
p.  «0«). 

2)  Osann  p.  4  6  setzt  den  Eustathius  zwar  nach  Photius,  aber  sehr 
kurz  nach  Photius.  Wenn  es  für  das  Erstere  keine  besseren  Gründe  gäbe 
als  den,  dass  Photius  cd.  94  extr.  den  Eustathius  nicht  neben  anderen 
Erotikern  erwähnt,  so  stünde  es  schlimm  um  Longus,  Xenophon  von 
Ephesus  und  Chariton,  welche  dort  ebenfalls  nicht  erwähnt  werden,  und 
doch  hofljpntlich  nicht  nach  Photius  gelebt  haben  sollen.  Dass  aber  aus 
den  Verwechslungen  von  c  und  o,  a  und  ^,  e  und  o  u.  dgl.  in  den  Hss. 
des  Romans  abzunehmen  sei,  Eustathius  habe  seine  Worte  noch  in  Majuskel 
geschrieben  und  also  nicht  nach  Saec.  4  0  gelebt,  wird  ebenfalls  nur  gelten 
lassen ,   wer  die  ältere  Minuskelschrift-  griechischer  Hss.  nicht  recht  kennt. 


—     525     — 

Soldaten  jagen  ihn,  mit  andrer  Beute,  den  Räubern  wieder  ab 
und  verkaufen  ihn  nach  Daphnepolis.     Mit  seinem  Herren  einst 
nach  Artykomis   gekommen,   ßndet  er  im   Hause   des  Sostratus 
die,  durch   ein  Wunder  gerettete  Hysmine  als  Sclavin  wieder; 
sie  geben  sich  als  Geschwister  aus.    Die  ganze  Gesellschaft  zieht 
nach   Daphnepolis   zurück.     Hysminias  widersteht  allen  Liebes- 
lockungen der  eignen.  Herrin  und  der  Herrin  der  Hysmine.    Die 
Eltern  des  Paares,  nach  Daphnepolis  gekommen,  um  das  dortige 
Orakel  des  Apollo  nach  dem  Schicksal  ihrer  Kinder  zu  fragen, 
treffen  die  Vermissten  dort  an ;  auf  Fürbitten  des  Priesters  von 
ihren  Herren  freigelassen,  feiern,  nach  einer  glücklich  bestan- 
denen Keuschheitsprobe  der  Hysmine,  die  Beiden  ihre  Hochzeit« 
Der  ganze  Roman  ist  nichts  als  eine  Carrikatur  der  Erzäh- 
lung   des    Achilles    Tatius.      Aus    dieser    entlehnt    Eustathius 
(welcher,   gleich   dem  Achilles,   die  ganze  Geschichte  von  dem 
Helden    selbst   erzählend   vortragen    lässtj    die   Situationen   der 
ersten  sieben   Bücher  seiner  Dichtung:    die  Geliebte    mit  dem 
Liebhaber   in  Einem   gastlichen  Hause  beisammen,   und  daraus 
entspringend  die  besondere  Art  der  Werbung :   beim  Mahle,  in 
verstohlenen  Zusammenkünften    im    Garten,    im    Schlafzimmer. 
Auch  der  weitere  Verlauf  der  Erzählung  ist  dem  Achilles  nach- 
gebildet:  die  Flucht  mit  Hülfe   eines  Freundes,   die  Trennung 
der  Liebenden,  das  Wiederfinden  der  Geliebten  als  Sclavin,  die 
Liebesanträge  der  Herrin,  zuletzt  die  Befreiung  durch  die  nach- 
gereisten Eltern,  die  hülfreiche  Vermittelung  des  Priesters,  die 
Keuschheitsprobe.    Ich  mag  nicht  so  lange  bei  diesem  Machwerk 
verweilen,  um  die  Entlehnungen  aus  Achilles,  wie  leicht  thun- 
lich   wäre,    in   feinere   Einzelheilen   zu  verfolgen.      Freilich   ist 
es  dem  Byzantiner  gelungen,   selbst  den  Achilles  noch  an  Ab- 
geschmacktheit weit  zu  überbieten.     Um    die   Liebeleien,    die 
sich  fortwährend  in  demselben  Kreise  abgenutztester  Galanterie 
herumdrehen,   gehörig  ausdehnen  zu  können,   muss  genau  die- 
selbe Situation  erst  in  Eurykomis  dann  in  Aulikomis  wiederholt 
werden.     So  genijBssen   wir    (im  vierten  Buch)    zweimal  hinter 
einander  die   gleiche,    durch   Störungen   unterbrochene  Zusam- 
menkunft im  Gakrten;  dreimal  dieselben  widerwärtig  süsslichen 
Scenen  beim  Gastmahl  u.  s,  w.    Bis  endlich  das  Paar  zum  Ab- 
segeln  kommt,   hat  der  muthige  Leser  bereits  mehr  als  sechs 
Bücher  voll  langweiliger  Gespreiztheit  überwinden  müssen.     Es 


—    526    — 

verstaht  sich,  dass  die  üblichen  Beiwerke  nicht  gespart  werdep : 
eine  Beschreibung  eines  Gartens^),  eines  künstlich  verzierten 
Brunnens^],  vor  Allem  einiger  erschrecklich  barbarischen  alle- 
gorischen Schildereien  ^)  werden  uns  weitläufig  ausgebreitet. 
Von  irgend  welcher  Charakterzeichnung  kann  natürlich  gar  nicht 
die  Bede  sein;  selbst  die  so  umständlich  ausgesponnenen  erg- 
tischen Vorgänge  der  ersten  Bücher  haben  keinerlei  inneres 
Leben:  die  Heldin,  anfilnglich  dimenmässig  frei  und  frech <], 
wird  plötzlich  ganz  zurückhaltend  und  spröde^),  der  JUngling 
schlagt  eben  so  plötzlich  aus  fast  grober  Zurückhaltung  in  kecke 
Zudringlichkeit  uni.  Wenn  etwas  charakterisch  an  diesen 
charakterlosen  Schemen  ist,  so  ist  es  die  ^cht  byzantinische 
Verquickung  von  sUsslicher  Ziererei  mit  wahrhaft  ungeschlachter 
Hohheit  des  Wesens,  welche  sie  überall  merken  lassen.  Der 
Held  ist  jedenfalls  gesund  angelegt:  wenn  die  Liebesnoth  am 
höchsten  ist,  legt  er  sich  regelmässig  zu  Tisch  um  zu  essen 
und  gehörig  zu  trinken,  »denn«,  belehrt  er  uns^),  »eine  reich- 
lichere Speise  verlangt  auch  entsprechendes  Getränk  « ;  und  dann 
ist  es  ihm  stets  vergönnt,  ganz  ordentlich  auszuschkifen^}. 
Schlafen  und  imnier  wieder  schlafen  ist  stets  die  ultima  ratio 
dieses  verliebten  Muripelthiers;  kein  Wunder  denn,  dass  er  uns 
von  ganzen  Massen  bedeutsamer  Träume  zu  berichten  weiss  ^). 
—  Die  Darstellung  ist  die  eines  wahnsinnig  gewordenen  Achilles 
Tatius,  nämlich  die  auf  den  äussersten  Gipfel  getriebene  Affec- 
lation   eines  barbarischen   Pedanten.     Ein    ungeheuerlich   breit 


1)  I  k. 

2)  I  5. 

3;  S.  ]|  i— 6;  II  7  -U  ;  IV  5—48. 

4)  8.  z.  B.  1  9. 

5)  IV  S. 

Ü)   p.    177,   4  5. 

7)  S.  p.  468,  40;  469,  22;  478,  20;  497,  25,  226,  4;  987,  S;  282,23. 
Und  w  i  e  schlafen  diese  Liebeshelden !  wie  die  Handwerksburschen ;  man 
lese  z.  B.  4  84,  22:  6  fofh  Kpauadevi^c  cu^;  6tr^(6TTo>v  dvipc^px*^  »Kra- 
tisthenes  fiel  alsbald  in  Schlaf  und  schnarchte  laut  auf«I  fn  dteseo 
Falle  kann  übrigens  selbst  Hysminias  einmal  nicht  gleich  einschlafen;  er 
fängt  an  zu  difteln :  d[v  dXi<]/{}  —  sagt  er,  von  der  Geliebten  redend  —  liv 
WxTuXov,  dvnÄXiflifjaeTai  fevvaiÖTepov.  AXX'  £dXi<]/e  y^^U-  Nal  ^Xtßfco>  xal  TtÄw. 
^Av  0X(4^,  9X(ßT)oeTat'  e(  V  ou  ^X(<]/ei,  dXiß-r]aeTai  u.  8.  w.  Dies  mag  bei* 
Ibuflg  eine  Stilprobe  sein. 

H)   II   4;  411  5—7;    V  4   ff.;   VI  48;   VII  48;  X  4,  2. 


—    527    — 

ergossener  Redeschwall  3pll  durch  die  raubseligste  Witzelei,  die 
sinnlosesten,  alljfterirenden  Worthäufungen,  alberne  Antithesen^), 
eingesprengte  Glapzstellen  zahlreicher  älterer  Autoren  (nament- 
lich des  Homer  und  des  Euripides]  u.  dgl.  mehr  2)  anziehender 
gemacht  werden;  und  das  Ergebniss  ist  doch  nur  ein,  selbst 
den  Achilles  überbietendes  Wortgekräusel  und  peinliches  Difteln 
in  armselig  anspruchsvollen  Phrasen  3] ,  denen  die  ganz  corrupte, 
nach  byzantinischer  Art  in  bauschigen  Wortzusammensetzungen^) 
sich  behagende  Redeweise  des,  nach  seiner  eignen  Meinung 
offenbar  rein  attisch  schreibenden^)  Dichters  noch  einen  besonders 
barbarischen  Zusatz  giebt. 

Vermuthlich  etwas  später  als  Eustathius  verfasste  Theo- 
dorus  Prodromus  (oder  wie  er  sich  in  seinen  Rettelgedich- 
ten, ein  byzantinischer  Hipponax,  um  seiner  grossen  Armuth 
willen,  selber  nennt,   Ptochoprodromus^))  seine  Geschichte  von 

1)  Hier  eine  beliebige  Probe;  p.  188,  \\  ff.:  xipvä  (xev  ouv  -^  xöpT]  S^v- 
7)^01;  •  i'i^  rj  dZ'jYffiiu^  irivw,  %a\  7:(v(ov  oi  irtvoi,  xal  jx-?)  irtvoiv  irlvcu  töv 
£po>Ta.  irlvei  (xev  ouv  Z(»o^7]c  xal  Tpkoc  if(6,  &n  (xou  xal  i^  lldv^ta  irpo6iiie 
xal  irtvoiv  xh^  i:6^a  dX(ß«i  Tf}(  %öpT);,  iziha  xaTSici^lc  tön  ^(aöv*  f)  (e  oiywo« 
Tj  -[XfüTXD  T(ji  oj^-^jAOTt  XaXet  xol  XaXouaa  oi^qi  u.  s.  w.  u.  s.  w.  —  Gi^pz 
zwecklose,  nur  des  Klanges  wegen  angebrachte  AlliU^rationen,  wie  p.  164,  29 : 
xa  irept  xpo^ol;  xal  TpucpeCc  sehr  häatig:  z.  B.  p.  188,  S3 ;  189,  22;  221,  5; 
225,   16  f.;  251,  10.  13;   260,  25;  266,  6;    269,  25;    271,   16.  23;    284,  28. 

2)  Besonders  sei  doch  noch  hervorgehoben  die  dumme  Dreistigkeit, 
mit  der  fustathius  gelegentlich  ganz  uralte  Dicla  sich  wie  eigene  Erfin- 
dungen zuschreibt:  —  dtXXo;  auTÖc  '  o&roi  ^dp  ^fcb  töv  «plXov  öplCopiat  164,  25; 
vgl.  165,  18.  . 

3)  Ein  ergötzliches  Beispiel  für  dieses  Herumwühlen  in  flitterhaftem 
Phrasenwerk  mag  z.  B.  das  erotische  Gefasel  p.  199,  16 — 26  darbieten; 
wüsste  man  nicht,  wovon  er  eigentlich  raden  will,  man  könnte  meinen,  es 
sei  etwa  vom  Austernessen  die  Rede:   SXtjv  dveppö^pouv  toIc  x^^^^^  —  ^^K^ 

unter  Anderem  der  die  Freundin  umschlingende  Liebhaber xal  'iJ^eXov 

tk-fj^  xaTa^a^eiv  xal  8Xt]v  aM^^  xaTepe6feadai.  Dabei  soll  Einem  nicht  übel 
werden ! 

4)  Z.  B.  solchen  Perlen  wie:  xaxaa-njXoYpa^elv,  xaxa^uxoup^elv  285,  26 — 
97;  xaxaxXooxxaX^etv  240,  21 ;  249,  29;  diravatie^eodat  240,  29;  xaxaxcpa*jvo- 
ßoXeto^at  249,  3  u.  s.  w. 

5)  TU  oöv  oStipc  —  T'Jjv  fX&xxaN  dxxixeuopi^vtiv  iiwi  —  cbc  xoxa- 
Coif  passiv  x<ji  Xöif9  xoO;  '^d[t.o'j^  x-zk.  284,  1. 

6)  Dass  Theodorus  Prodromus  und  Theodorus  Ptochoprodromus  Eine 
Person  seien,  nimmt  mit  Recht  an  Henrichsen,  Ueb.  die  polit.  Verse  (Uebers. 
L.  1889)  p.  106.  Dort  p.  107  ff.,  ein  Verzeichniss  anderer  Reimereien  des 
Theodoras;  vgl.  auch  Fabricius  B.  Gr.  VIU  137—144  Hart. 


—    528    — 

Rhodanthe  und  Dosikles.  Theodorus  lebte  als  Mönch  in 
einem  Kloster  zu  Gonstantinopel ,  unter  den  Regierungen  des 
Johannes  und  Manuel  Komnenos  (reg.  \\\S — 4180),  welche 
beiden  Kaiser  er  mehrfach  angesungen  hat,  bald  in  den  ftlnf- 
zehnsylbigen  s.  g.  politischen  Versen,  bald  in  den,  nach  etwas 
strengerer  Norm  gebauten  byzantinisch-altgriechischen  iarobischen 
Trimetem,  welche  ihm,  wie  den  meisten  seiner  Zeitgenossen, 
abfliessen,  wie  das  Wasser  aus  dem  Stadtbrunnen,  und  in 
welche  er  denn  auch,  ausser  zahlreichen  andern  Reimereien, 
diesen  Roman  eingekleidet  hat.  In  neun  Btlchem  erzählt 
derselbe,  wie  Dosikles  aus  Abydus  die,  bei  ihrem  Gange  zum 
Bade  erblickte  und  geliebte,  aber  bereits  einem  Andern  ver- 
sprochene Rhodanthe,  mit  Hülfe  einiger  Freunde,  entfuhrt,  auf 
Rhodus  aber  von  Seeräubern  überfallen  und  nach  deren  Heimath 
geschleppt  wird.  Ein  Mitgefangener,  Kratandros  aus  Gypem, 
tröstet,  durch  die  Erzählung  seiner  eignen  Leidensgeschichte, 
das  unglückliche  Liebespaar.  Liebeswerbungen  eines  der  Räuber, 
Gobryas,  um  die  Rhodanthe  werden  glücklich  abgewendet  durch 
eine  grosse  Seeschlacht,  welche  die  Räuber  mit  einem  mäch- 
tigen Gegner,  Bryaxes,  zu  bestehen  haben.  Bryaxes  siegt;  bei 
der  Heimfahrt  scheitert  das  Schiff,  auf  welchem  die  Weiber 
sich  befinden;  Rhodanthe  wird  aber  von  einem  KaufmannsschifT 
aufgenommen,  und  nach  Cypern  verkauft,  an  Kraton,  des  Kra- 
tandros Vater.  Der  reist  nach  Pissa ,  des  Brj^axes  Residenz, 
befreit,  die,  zum  Opfer  für  die  Götter  bestimmten  Freunde. 
Kratander  und  Dosikles  und  kehrt  mit  ihnen  nach  Gypem  zu- 
rück. In  Gypern  treffen  die  Liebenden  wieder  zusammen;  die 
Liebe  der  Myrilla,  Tochter  des  Kraton,  zum  Dosikles,  ihre 
Vergiftungsversuche  gegen  Rhodanthe,  machen  ihnen  noch 
einige  Noth;  bald  aber  kommen  die,  vom  delphischen  Orakel 
nach  Cypern  gewiesenen  Väter  aus  Abydus  an;  Väter  und 
Kinder  fahren  nach  Hause  zurück,  und,  von  den  Müttern 
freudig  empfangen,  feiern  Dosikles  und  Rhodanthe  ihre  Hochzeit. 
Eiferte  Eustathius  dem  Achilles  nach,  so  ist  des  Theodorus 
Vorbild  der  Roman  des  Heliodor.  Ihm  hat  er  die  künstliche 
Disposition  der  ersten  drei  Bücher  seines  Gedichtes  entlehnt, 
in  welchen  wir,  gleich  zuerst  in  den  Ueberfall  von  Rhodus 
durch  die  Räuber  hineingerissen,  erst  nachträglich  durch  eine 
Erzählung  des  Dosikles  und  eine  Wiedererzählung  des  einst  von 


—     529    — 

ihm  den  rhodischen  Gastfreunden  Erzählten  die  früheren  Schick- 
sale des  Liebespaares  erfahren.  Aus  Heliodor  ist  dann  weiter 
entnommen  die  Entführung  der  Geliebten  mit  Hülfe  einer 
Freundessehaar,  die  Liebe  des  Räubers  zur  Heldin,  die  diplo- 
matische Art,  mit  welcher  das  Paar^  angeblich  Geschwister,  auf 
die  Anträge  des  Räubers  eingeht^];  die  beabsichtigte  Opferung 
der  Kriegsgefangenen;  die  versuchte  Vergiftung  der  Heldin 
durch  eine,  in  den  Helden  verliebte  Herrin  u.  s.  w.  Vor 
Allem  berührt  sich  Theodorus  mit  Heliodor  in  der  grossen  Vor- 
liebe, mit  welcher  er  die  kriegerischen  Ereignisse,  welche  den 
Wendepunkt  des  Ganzen  bilden,  ausmalt.  Wo  er  von  Heliodor 
abweicht,  scheint  er  von  Eustathius  einige  der  albernsten 
Erfindungen  entlehnt  zu  haben.  Dort  wie  hier  wird  die  Heldin, 
aus  den  Wellen  von  Kaufleuten  errettet,  in  die  Sclaverei  ver- 
kauft; der  Held  trifft  sie  als  Magd  bei  ihrer  neuen  Herrschaft; 
die  Väter,  von  einem  absurden  Orakelspruch  geleitet,  holen 
zuletzt  die  lange  Vermissten  ab.  Endlich  hat  Theodorus  noch 
einige  absonderliche  Motive  und  Episoden  aus  eigner,  vielleicht 
durch  die  Erinnerung  an  gewisse  populäre  Ueberlieferungen 
geleiteter  Erfindung   eingelegt  ^j.      Der  Charakter   seiner   Dar- 


1)  III  819—404. 

2)  Da,  wie  es  II  179  so  geschmackvoll  heisst,  ^UTtavd^  r?];  xöp7]c  tö 
aapx(oN  d^pjfiß  XouTpoO  xal  ^o-^c  xadapobu  so  wird  die,  sonst  (gleich  der  Hero) 
vom  Vater  in  ein  »kleines  Thürmcben«  verschlossene  (II  175  ff.)  Rhodanthe 
eines  Tages  in  das  öffentliche  Bad  geschickt,  bei  welcher  Gelegenheit  sie 
Dosikles  zuerst  sieht.  Das  ist  ein  orientalisches  Romanmotiv:  so  er- 
blickt Aladdin  seine  Schöne  bei  ihrem  Gang  zum  Bade,  1001  Nacht  VII 
p.  910  (Bresl.  Uebers.) ;  vgl.  ebendas.  XIII  155;  auch  Ardschi  Bordschi 
Khan  bei  Schiefner  bull,  de  l'acad.  de  St.  Petersb.  1857  p.  71  u.  s.  w.  — 
VIII  428 — 530 :  als  einst  Dosikles  und  Kratandcr  (in  Cypern)  auf  der  Jagd 
sind,  giebt  Myrilla  der  Nebenbuhlerin  Rhodanthe  einen  Trunk,  der  sie  in 
einen  todtähnlichen  Starrkrampf  versetzt.  Dosikles  sieht  auf  der  Jagd  eine 
Bärin  ein  erstarrtes  Glied  durch  Auflegen  eines  Krautes  heilen,  nimmt  das 
Kraut  an  sich  und  heilt  damit  die  Rhodanthe.  Offenbar  eine  Nachbildung 
des  oben  p.  126  erwähnten  Märchens  von  den  heilkräftigen  Schlangen- 
blättern. —  Eigene  Erfindung  des  Theodorus  sind  wohl  die  barbarisch 
scurrilen  Scenen  des  vierten  Buches,  V  114  ff.,  in  welchen  dem,  vom 
Mistylus  bewirlheten  Abgesandten  des  Bryaxes  die  Schauspiele  eines  ge- 
bratenen Lammes,  aus  welchem  Spatzen  auffliegen  (vgl.  Petron.  Satir.  c.  40) 
und  einer  scheinbaren  Wiederbelebung  eines  scheinbar  getödleten  Gauklers 
(vgl.  oben  p.  484  A.  1}  vorgeführt  werden. 

Rotade,  Der  griechifiche  Roman.  34 


—    530     — 

Stellung  unterscheidet  sich  von  denijenigen  der  Erzählung  des 
Eustathius  ungefähr  so  wie  die  Art  des  Heliodor  von  derjenigen 
des  Achilles  Tatius.  Im  Gegensatz  zu  der  süsslich  galanten 
Weise  des  Eustathius  sucht  Theodorus  einen  heroischen  Ton 
anzuschlagen,  der  ihm  aber  freilich  durchaus  in  das  Rohe  und 
Metzgermässige  umschlägt.  Wie  bei  Eustathius  die  erotischen 
Plänkeleien,  so  nehmen  bei  Theodorus  die  gräulichsten  Kampf- 
scenen  ganze  Bücher  ein.  Natürlich  wird  auch  das  Erotische 
nach  dem  bekannten  Recept  abgethan^);  sonstiges  BeiweriL  wird 
ziemlich  gespart  ^j ;  nur  in  trotzigen  Briefen  der  beiden  krieg- 
führenden Herren,  und  in  wahrhaft  entsetzlichen,  endlosen, 
gedankenlosen,  in  diesen  widerlichen  byzantinischen  Versen 
abgehaspelten,  je  nachdem  süsslichen  oder  bramarbasirenden 
Reden  und  Selbstgesprächen  thut  sich  dieser  Versmacher  eine 
Güte^).  Bryaxes  z.  B. ,  auf  einem  Schild  stehend,  renommirt 
seinen  Kriegern  etwas  vor  in  nicht  weniger  als  dreihundert 
und  neunzehn  Versen^).  Dem  Leser  aber,  das  darf  man  glau- 
ben, wird  es  bei  dieser  Art  der  Poesie  graulich,  »er  reitet 
geschwind«,  um  aus  dieser  Barbarei  zu  entkommen.  Wer  nicht 
selbst,  zur  Strafe  seiner  Sünden,  in  dieses  (Purgatorium  zu 
steigen  genöthigt  und  geneigt  ist,  dem  möge  von  der  Yor- 
stellungsweise  dieser  byzantinischen  Barbaren  etwa  das  ausge- 
führte Gleichniss  eine  Ahnung  geben,  in  welchem  Theodorus 
die  Trennung  der  gefangenen  Liebenden  auf  zwei  verschiedene 
Schiffe  mit  der  Zerschneidung  eines  lebendigen  Ochsen  in  zwei 
Theile  vergleicht*). 

Und  nun  stand  gar  noch  ein  wunderlicher  Poet  auf,  welcher 
den  Roman   des  Theodorus  Prodronius  wie   ein  classisches  Yor- 


1)  Vgl.   z.  B.   U  S99.  899  ff.     Genaue  Schönheitsbeschreibang  I  S9  ff. 

2)  lx<ppaai;  eines  Bechers:  IV  834 — 414. 

3)  Briefe  IV  80--78;  IV  428—504.  —  Klagen  und  Monologe:  II  206— 
815;  VI  264—418;  VH  17—160!  —  Reden  des  Bryaxes  und  des  Kratander 
für  und  gegen  die  Vortrefflichkeit  von  Menschenopfern:  VII  858 — 520. 

4)  V  115—483. 

5)  VI  195—206.  —  V  101—106  wird  das,  von  den  Rudern  des  Schiffes 
gepeitschte  Meer  mit  einem  alten  Weibe  verglichen,  deren  thränennaase 
Wangen  geobrfeigt  werden,  während  sie  selbst  beult,  schreit  und  spuckt! 
Merkwürdig  für  byzantinische  Seidenstickerei  ist  das  hiervon  hergenommene 
Bild  IX  820  ff.  —  Charakteristisch  sind  übrigens  auch  einige  Bilder  des 
Eustathius:  z.  B.  p.   194,  24;  255,   11. 


—    631     — 

bild  nachzuahmen  sich  vorsetzte.  Nicetas  Eugenianus  sagt 
-es  selbst  in  der  Ueberschrift  seines  Romans  von  der  Liebe  der 
Drosilla  und  des  Charikles,  dass  er  seine  Geschichte  anlege  »in 
Nachahmung  des  verstorbenen  Philosophen  Prodromüs  « ^) .  Dieser, 
offenbar  kurz  nach  dem  Tode  des  Prodromus  ^) ,  und  also  etwa 
am  Ausgang  des  zwölften  Jahrhunderts  geschriebene  Roman 
wird,  gleich  dem  des  Prodromus  selbst,  in  byzantinischen  Tri- 
metem  vorgetragen ,  und  ist  in  neun  Bücher  eingetheilt.  Es 
wird  darin  erzühlt,  wie  Charikles  die  bei  einem  Dionysusfeste 
2uerst  erblickte  Drosilla  entfuhrt,  von  Seeräubern  überfallen 
wird,  diesen  entkommt,  am  Lande  aber,  vor  der  Stadt  Barzos, 
von  Parthem  gefangen  wird.  Die  Gefangenschaft  des  Liebes- 
paares theilt  Kleander  aus  Lesbos,  welcher  mit  der  Ralligone 
•entflohen,  bei  Barzos  vom  Sturme  ans  Land  geworfen,  und, 
während  Jene  sich  zu  verbergen  gewusst  hatte,  allein  von  den 
Parthem  gefangen  worden  ist.  Frau  und  Sohn  des  Parther- 
königs bedrängen  Charikles  und  Drosilla  mit  Liebesanträgen. 
Ein  Krieg  zwischen  den  Parthern  und  dem  Fürsten  der  Araber, 
€hag0S|  fällt  zu  Gunsten  der  Araber  aus;  die  drei  Griechen 
werden  mit  der  übrigen  Beute  fortgeführt ;  beim  Transporte  an 
der  Meeresküste  wirft  ein  überhängender  Baumast  die  Drosilla 
vom  Wagen  ins  Meer.  Sie  rettet  sich  ans  Land.  Die  beiden 
Jünglinge,  von  Ghggos  frei  gelassen,  treffen  in  einem  Dorfe 
die  zufällig  ebendorthin  gelangte-  Drosilla  an.  Kleander^  von 
dem  Tode  der  Kalligone  unterrichtet,  stirbt  vor  Gram.  Gnatho, 
welcher  ihm  jene  Nachricht  gebracht  hat,  erkennt  Charikles 
und  Drosilla  als  die  Kinder  seiner  Freunde,  welche,  durch 
Träume  gemahnt,  nach  Barzos  gezogen  waren,  und  den  Gnatho, 
sich  weiter  nach  den  Vermissten  umzusehen ,  ermahnt  hatten. 
Diese  gehen  nun  nach  Barzos,  reisen  mit  den  Vätern  nach  Hause 
zurück,  und  werden,  froh  von  den  Müttern  empfangen,  durch 
den  Priester  des  Dionysus  ehelich  verbunden. 

Die   Nachahmung  des  Theodorus  in   der  Anlage  und  Aus- 


i)  no(7]oic  xupiou  Nix-^TOü  ToO  Euf€veiavoü  xatA  [xifAtjaiv  xoO  [xa^apltou  cpi- 
XosöcpoD  ToO  lIpo^pöfjLO'j.  So  in  der  Pariser  Hs.  des  Romans.  S.  Boissonade, 
Nie.  Eug.  II  p.  4  ff. 

2^  Mit  Recht  schliesst  Boissonade  II  p.  14  aus  dem  Zusatz  toO  [xaxapCxou 
bei  dem  Namen  des  Theodorus  Prodromus,  dass  dieser  damals  noch 
nicht  lange  todt  war. 

34» 


—    532    — 

bildung  des  Ganzen  liegt  allerdings  auf  der  Hand;  Ton  und 
Charakter  des  Romans  sind  gleichwohl  Ton  dem  des  Theo- 
dorus  sehr  verschiedeii ,  weniger  martialisch  als  weichlich 
erotisch.  FUr  Nicolas  sind  offenbar  die  erotischen  Excurse,  mit 
welchen  er  den  Rahmen  der  Ereignisse  ausfüllt,  die  Haupt- 
sache :  Liebesbriefe,  'Liebesgesänge,  lange  abgeschmackte  Klage- 
reden ,  dazu  Schilderungen  von  Landschaften  und  Festen  theilt 
er  mit  vollen  Händen  aus  ^] .  Ein  origineller  Zug  begegnet  auch 
hier  nirgends;  vielmehr  stiehlt  Nicetas  seine  Redeblumen  und 
galanten  Wendungen  sich  sehr  unbefangen  überallher  zusammen  ^ 
aus  den  Anakreonteen ,  den  bukolischen  Poeten,  dem  Musaeus, 
den  Epigrammen  der  Anthologie,  auch  aus  Heliodor  und  Lon- 
gus^),  zumal  aber  aus  Achilles  Tatius^).  Wo  ihm  einmal  ein 
eigner  Einfall  kommt,  trägt  er  stets  den  Charakter  des  Ekel- 
haften, welcher  überhaupt ^alle  Originalerfindungen  dieser  spät- 
byzantinischen Poetaster  bezeichnet*).  Und  um  diese  Arm- 
seligkeiten völlig  unerträglich  zu  machen,  werden  sie  gar  noch 
in  einem  tragisch  hochtrabenden,  in  ungeheuren  Perioden, 
feierlichen  Umschreibungen ,  ellenlangen  selbslerfundenen  Com- 
posita^j  einherstelzenden  Stile  vorgetragen. 


1)  Briefe:  I  169  ff.,  202  ff.,  240  ff.,  284  ff.,  V  19»  ff.  LiebesgesäDge : 
II  826-886,  III  268  ff.,  297  ff.,  IV  156  ff.  Eine  erotische  Betrachtung  beim 
Anblick  der  schlafenden  Geliebten:  IV  880  ff.  (nach  Longus  I  25,  2.  Vgl. 
Propert.  I  8  u.  s.  w.).  —  Klagereden  :  I  226  ff.,  289  ff. ;  11  8  ff.,  IV  109  ff. ; 
V  181  ff.,  188  ff.;  VI  84  ff.,  204  ff.,  806  ff.;  VIII  84  ff.,  197  ff.;  IX  87— 
107.  —  Beschreibung  einer  schönen  Wiese:  1  77  ff.,  eines  Festes  am  Flus.se 
Melirrhoas:  III  65  ff. 

2)  Auf  den  Roman  des  Longus  spielt  Nie.  ausdrücklich  an  VI  489  ff., 
auf  den  des  Heliodor  VI  888  ff.  (dort  heissl  'Apx'^\t.dsrii  der  bei  Heliodor 
'Ayianktrri^  Genannte),  898  f.  Dem  Heliodor  macht  er  Vieles  nach,  auch  ab- 
gesehen von  dem,  was  ihm  durch  Vermittelung  des  Theodorus  aus  dem 
Heliodor  zufliesst.  So  ist  wohl  dem  Heliodor  die,  durch  den  ganzen  Roman 
sich  erstreckende  Leitung  der  Schicksale  des  Liebespaares  durch  einen 
Gott  nachgebildet:  beim  Nie.  ist  es  der  (hier  allerdings  sehr  ungeschickt 
eingreifende)  Dionysus :  s.  I  247 ;  III  408 ;  IV  98 ;  VI  668 ;  VII  226. 

3)  in  268  ff.,  297  ff.;  HI  125  ff.,   185  ff. 

4)  Z.  B.  VII  278  ff.,  wo  ein  Solotanz  eines  alten  betrunkenen  Weibs- 
bildes geschildert  wird.  Oder  IV  188  ff.,  wo  Klinias  der  Drosilla  folgendes 
Compliment  macht:  oi  ^m'^pa^il  —  «bpalov  "Xpco;,  ofjc  y*^*^?^  p-Tjrpöc  ^f*- 
ßaXdiv  Touc  ^axT'jXouC)  ßoXcbv  t^  Sl^pouv  XP^f^^^  T^^  ^^^  ^6ha. 

5)  Z.  B.   Xeuxcpudpd^pouc   I  188,   nriQvoToSQiröp^upoc   II  148,  Xeuxspul^O' 


—    533    — 

Von  dem  Romane  des  Konstanlinus  Manasses,  eines 
Zeitgenossen  des  Theodorus  Prodromus,  welcher  in  neun  Büchern 
in  politischem  Versmaasse  die  Liebe  und  Abenteuer  des  Aristan- 
der  und  der  Kallithea  abhandelte,  sind  uns  nur  eine  Reihe 
sentenziöser  Betrachtungen  auszugsweise  erhalten^).  Beiläufige 
Andeutungen  in  diesen  Excerpten  genügen,  uns  erkennen  zu 
lassen ,  dass  auch  in  diesem  Romane ,  wie  bei  Theodorus  und 
Nicetas,  von  einem  Ueberfall  durch  Barbarenhorden,  einem 
Kampf,  der  Gefangennahme  des  Paares,  einem  Mitgefangenen, 
der  die  Liebenden  zur  Erzählung  ihrer  Geschichte  auffordert, 
begonnen  wurde;  weiterhin  war  von  einem  bösen  Eunuchen, 
einer  verliebten  barbarischen  Herrin  die  Rede  2).  Also  immer 
wieder  derselbe  enge  Kreis  kindischer  Erfindungen! 

Es  war  hohe  Zeit,  dass  ein  kräftiger  Windstoss  einmal  diese 
dürren  Blätter  bei  Seite  fegte.  Solch  ein  freierer  Hauch  streifte 
wenigstens  auch  die  byzantinische  Poesie,  seit  die  Kreuzzüge 
nähere  Berührungen  mit  christlichen  Nationen  des  Ostens  brach- 
ten, zumal  seil  (1204)  in  dem  eroberten  Gonstantinopel  ein 
lateinisches  Kaiserthum  und,  dauernder  begründet,  in  Morea 
französische  Fürstenthümer  Wurzel  schlugen.  Zwar  zu  einem 
neuen  Trieb  von  originaler  Kraft  fehlten  dem  byzantinischen 
Greisenthum  alle  Bedingungen;  aber  man  wagte  nun  doch,  ohne 
Zweifel  durch  das  Beispiel  der  » fränkischen «  Nationaldichtungen 
ermuthigt,  das  Nachstümpern  antiker  Form  aufzugeben  und  in 
der  »rhomaeischena  Volkssprache  Dichtungen  vorzutragen,  welche 
wenigstens  nicht  einer  gänzlich  abigelebten  antiken  Bildungswelt 
elend  nachgeäfft  waren.  Zumeist  verhielt  sich  die  erzählende 
Dichtung  dieser  spätbyzantinischen  Zeit  einfach  empfangend. 
Orient  und  Occident  strömte  hier  zusammen.  Wie  bereits  in 
früherer  Zeit  die  orientalischen  Novellenkreise  des  Pantschatantra 


cpa)!j<p*5po;   II   248,    r.(n%i\o^ap'z(i[i.7.-:a   III   121,    7rnr,voopofJLÄv  V  46,    dpyirepao- 
cvT^dr^Tfi  V  341,  o'jfxa%0T^a'f^[i0L'zi  VII  48  u.  s.  w. 

1)  In  der  ToSovid  des  Makarios  Chrysokephalos :  aus  einer  Hs.  der 
Marciana  in  Venedig  edirt  bei  Boissonade  hinter  dem  Nie.  Eug.,  bei 
Hercher,  Erot.  scr.  II  555  ff.  Ergebnisse  einer  neuen  Vergleichung  der 
Hs.  bei  Hercher,  Hermes.  VII  488  f. 

2)  Buch  I  fr.  i.  8.  9.  arpatidiTai.  6  ßdipßapoi.  1.  «.  Furcht  4  >.6rT). 
5.  10.  xaXXoc  IpcDc.  ;vgl.  15.  16).  12  Erzählung  fremder  Leiden.  14  ge- 
meinsame Klagen  der  cjvar/jiaXtoTiaftlvTsc.  Ein  böser  Eunuch  VI  v.  23  ; 
IX  V.  10.     Liebe  einer  barbarischen  Herrin:  IX  28—29. 


—      534      -r 

und  des  Sindabad  durch  Uebersetzungen  der  byzantiuischeu 
Volkslitteratur  angeeignet  waren,  so  übertrug  man  jetzt  einzelne 
französische  Dichtungen  aus  dem  Kreise  der  Tafelrunde;  von 
der  schonen  Magelone;  von  Flores  und  Blancheflor;  vom  troja- 
nischen Kriege;  von  ApoUonius  von  Tyrus^).  Manche  der-r 
gleichen  Dichtungen  wurden  durch  diese  Uebertraguogen  in 
volksthttmliches  Griechisch  so  populär,  dass  sie  sich  noch  heut- 
zutage im  Munde  des  Volkes  als  Märchen  erhalten  haben.  Vo» 
dem  neugriechischen  Märchen  von  Apollonins  ist  oben  gelegent* 
lieh  die  Rede  gewesen.  Ein  anderes  Märchen,^  die  wohlbekannte 
Sage  von  der  guten  Florentia  in  modemgriechischer  Verkleidung, 
erzählend'),  stellt  uns  freilich  in  die  schwankende  Mitte  zwischen 


1)  Ich  meine  die  grieebischea  Gedichte :  6  irp^aßvc  Inn^rr^;  loropia  to^ 
'H}&iicp(ou ;  ^PXcibpto;  xal  IIXaT^ta^Xibpa ;  6  iröXcfioc  riic  Tp<)Ml^c ;  loropta  ^AicoX- 
XcDvtou  Tou  Tuplou.  Litterfiriscbe  Uebersicht  über  diese  Dichtongen  bei  El- 
lissen,  Aoalekten  der  mittel-  und  neugriech.  Lit.  5  p.  8  AT.,  W.  Wagner, 
Medieval  greek  texts  I  (London  4870}  p.  XVI  ff. 

2)  Es  ist  die  bekannte  Geschichte  von  der  treuen  Frau,  welche  in  Ab» 
Wesenheit  ihres  Gatten  von  dessen  Bruder  vergebens  versucht  wird,  «nd 
dann,  ins  Weite  getrieben,  die  Liebesanträge  vieler  ihr  begegnender  Mttnner 
(eines  Ritters,  eines  durch  sie  von  der  Todesstrafe  losgekauften  Verbrechers, 
eines  Schiffers)  abzuwehren  hat,  endlich,  durch  Heilcuren  weithin  berühmt 
geworden,  in  dem  Kloster,  in  welchem  sie  Unterkunft  gefunden  hat,  alte 
Personen  der  Geschichte,  von  verschiedenen  Krankheiten  geschlagen,  an-- 
kommen  sieht,  nach  Bekenntniss  ihrer  Schuld  alle  heilt  und  mit  ihrem 
Gatten  wieder  vereinigt  wird.  Ueber  die  verschiedenen  Versionen  und  Be- 
arbeitungen dieser  Dichtung  von  der  guten  Florentia  von  Rom  s.  Grftsse, 
Literfirgesch.  lll  1,  S86.  S87.  Dieselbe  wurde,  mit  unwesentlichen  Ab- 
weichungen, in  Janina  als  Märchen  erzählt:  v.  Hahn,  Griech.  Märchen 
N.  46  (1  p.  440  ff.);  der  Herausgeber  hat  freilich  von  der  Idealität  de» 
Märchens  mit  der  berühmten  Sage  nichts  bemerkt.  Man  darf  wohl  ver- 
muthen,  dass,  ähnlich  dem  Roman  vom  ApoUonius  von  Tyrus,  auch  diese 
Geschichte  von  der  guten  Florentia  durch  ein,  wahrscheinlich  nach  einer 
der  französischen  dichterischen  Gestaltungen  der  Sage  gearbeitetes  griechi* 
sches  Gedicht  in  der  Volkssprache  in  Griechenland  so  populär  geworden 
ist,  dass  sie  sich,  als  Märchen,  im  Volksmunde  bis  heute  erhalten  konnte. 
—  Uebrigens  stammt  diese  (in  manchen  verwandten  Sagen  [wie  der  vo9 
Genovefa,  namentlich  aber  den  Sagen  von  Cresoentia :  s.  v.  d.  Hagen,  Ges. 
ab.  n.  VII  und  dazu  Hagen  I  p.  Gl  ff.,  auch  Oesterley  zu  Kirchhofs  Wend». 
unmuth  9,  28;  zu  G.  Rom.  S4»  p.  747,  von  Hildegard:  Grimm,  D.  Sagen 
N.  487]  variirte)  Erzählung  ohne  Zweifel  aus  dem  Orient,  vermuthlich 
aus  Indien.  Sie  gehört  ursprünglich  in  den  Novellenkreis  des  »Papageien?- 
buches«,  zu  dessen  ältestem  Bestand  sie  gehört:  sie  findet  sich  schon  in 


—    535    — 

Orient  und  Occident,  deren  genaue  Abgrenzung  in  der  Periode 
ungeheurer  Bewegung  in  den  Kreuzzttgen  am  allerwenigsten 
durchzuführen  ist. 

Gänzlich  beschränkt  auf  Uebersetzung  blieb  übrigens  die 
byzantinische  Dichtung  auch  in  dieser  Periode  nicht.  Wie  einst 
byzantinische  Mdnchsdichtung  sich  die  erbauliche  Legende  vom 
Leben  des  Buddha  zu  einem  christlich-asketischen  Roman  in 
der  Geschichte  von  Barlaam  und  Josaphat  weitergedichtet  hatte ; 
wie  die  griechische  Liebesromantik  der  Sophistenzeit  zu  eignen 
Nachahmungsversuchen  angereizt  hatte,  so  scheint  byzantinische 
Betriebsamkeit  auch  von  der  Uebersetzung  romantischer  Poesien 
des  Westens  zu  wetteifernder  eigner  Erfindung  erotisch-ritter- 
licher Erzählungen  nach  fränkischem  Muster  mehrfach  fortge- 
schritten zu  sein^). 

der  ältesten  uns  erreichbaren  Gestalt  jener  Sammlung,  in  Nachschabrs  Pa- 
pageienbuch, Nacht  83  (s.  Pertsch,  Ztsch.  d.  d.  morgenl.  Ges.  XXIX  [4  807] 
p.  586 — 588),  dann  auch  im  tüiiiischen  Tutinameh:  Rosen  I  89— 4  08.  Diese 
Sammlung  von  Erztthlungen  ist  in  ihrem  ttltesten  Kerne  indisch:  Benfey, 
Pantsch.  I  25  u.  ö.  Wohl  durch  Einfluss  des  viel  gelesenen  und  über- 
setzten Papageienbuches  wurde  diese  wohl  ersonnene  Geschichte  dann  im 
Orient  ausserordentlich  populär  ;und  ist  sehr  häufig  nacherzählt  und  in 
spielenden  Variationen  weitergebildet  worden.  Von  orientalischen,  aus 
dieser  Geschichte  entsprungenen  Erzählungen  sind  mir  bekannt:  »Der  Kadi 
und  seine  Frau«  4  »04  Nacht  N.  497  (XI  287-^-399  Brest.  Uebers.) ;  N.  490 
(XI  234—286);  4  004  Tag,  987—4004  »histoire  de  Repsima«  (Gab.  des  föes 
XV  477—54  4);  eine  weltlich  heitere  Umdichtung  in  der  »Aventure  de  la 
fille  d'un  Visir«  bei  Cardonne,  M61.  de  litt.  Orient.  II  86—57.  Endlich 
darf  man  die,  nach  chinesischem  Geschmack  mit  einer  Verherrlichung  der 
frommen  Sorge  für  die  Manes  der  Eltern  verquickte  und  auch  sonst  ent- 
stellte chinesische  Geschichte:  »Wie  weit  geht  Kindesliebe«  (in:  Chines. 
Erzählungen,  von  Abel  Remu^at,  deutsch  von  *r.  L.  4827.  I  8 — 406)  als 
einen  letzten  Ausfluss  dieser  indischen,  wohl  durch  buddhistische  Missionäre 
nach  China  getragenen  Erzählung  betrachten.  Nach  dem  Occident  wird  sie 
im  Bütlelalter  durch  arabische  Vermittelung  gedrungen  sein. 

1)  Wenigstens  hat  man  für  die,  nach  dem  Muster  fränkischer  Ritter- 
gedichte angelegten  griechischen  Romangediohte  A6ßtOTpoc  xal  ToSdliAVY),  B^- 
dovSpoc  xal  XpuodvrCa  bisher  keine  ausländischen  Quellen  entdecken  können. 
S.  W.  Wagner  a.  a.  0.  p.  XVI.  XVII.  —  Zu  diesen  original  compositions 
rechnet  Wagner,  der  acht  griechischen  Namen  wegen,  auch  das  griechische 
Gedicht  von  der  Liebe  des  Kallimachos  und  der  Chrysorrho^,  welches  nach 
Meursius  mehrfach  angeführt  wird  in  Ducanges  Gloss.  m.  et  inf.  Gr. 
Herausgegeben  scheint  dies  Gedicht  noch  nicht  zu  sein;  Wagner  meint  so- 
gar, da  es  sich  nicht,  wie  Gidel  behauptet,  in  dem  Katalog  der  Hss.  der 


—    536     — 

Es  bliebe  nun  zu  fragen,  ob  die  also  eifrig  Empfangenden 
in   dem  Verkehr   mit  den   fränkischen  Fremdlingen  nicht   auch 
ihrerseits  gar  Manches  zur  Vergeltung  mitgetheilt  haben  mögen. 
Durch    die    unermessliche    Bewegung   der    Kreuzzüge ,    welche 
überall,    in    weiten    Erdstrecken,    alles  Lebendige    heftig  auf- 
rüttelte und  zusammenführte ,  wurde  ja  eben  jene  erstaunliche 
Mischung    fremdartigster   Elemente  bewirkt ,   welche,   zuletzt 
doch  von   einem  einheitlichen  Sinne  und  Gemttthsinhalt  belebt, 
das  schimmernde  Wunderwesen  der  » romantischen a  Poesie  ent- 
stehen Hess.    Wenn  nun  zu  dieser  Mischung  der  Christenglaube, 
das  Ritterthum,  einheimische  Sage  und  Märchen  der  romanisch- 
germanischen  und  celtischen  Stämme,  die  Dichtung  des  Orients, 
durch  Juden  und  Araber  vermittelt,  zusammenströmte,  so  darf 
man  sicherlich  auch  den  Zusatz  eines  spätantiken  Elementes 
nicht   vergessen.      Vielfach    floss    wohl    dieses   Spätantike    aus 
solchen  Dichtungen   spätgriechischer  Zeit,  in  denen  der  Volks- 
sinn   des    sinkenden   Hellenismus    die   Gestalten    seiner    eignen 
Vorzeit  in  einer  bereits  stark  verschobenen,  verschwommenen, 
nebelhaft  schwankenden  Widerspiegelung  dargestellt  hatte:  wie 
den  Volksbüchern  von  Alexander  dem  Grossen,  von  dem  Kriege 
um  Troja.     Aber  man  darf  vermuthen ,  dass  auch  die  schaalen 
Erdichtungen   der   Romanschreiber   aus    der   sophistischen    und . 
der  eigentlich  byzantinischen  Zeit  nicht  ohne  bedeutenden  Eio- 
fluss  auf  die  romantische  Dichtung   zunächst  der  Franzosen  der 
Kreuzzugsjahrhunderte   gewesen   seien;    und  die  Hinüberleitung 


kais.  Bibl.  zu  Wien  durch  Lambcctus  verzeichnet  finde,  könnten  wir  nicht  ein- 
mal bestimmt  sagen,  ob  das  Werk  überhaupt  noch  existire.  Ich  denke,  es  liegt 
in  Leiden:  wenigstens  finde  ich  in  dem  Catalogus  librorum  tarn  impressor. 
quam  mss.  bibliothecae  publ.  univers.  Lugduno-Batavae,  cura  et  opera  W. 
Senguerdii  et  Jac.  Gronovii  et  Joh.  Heymann  (Lugd.  Bat.  1716  fol.)  unter 
den  »Mss.  latini  ac  graeci  quos  illustr.  Jos.  Scaliger  bibliothecae  legavit« 
verzeichnet,  p.  342  N.  55,  ein  »volumen  graecum  quod  inscribitur  -zh  xa-rd 
xa>.Xi(iayov  xal  yp'jaop^T)  (so)  ipcotix^v  hiii^pi^a,  postrema  Graeciae  aetate 
compositum,  incipiens: 

ToO  rpoTjfxio'j  npöpTjai;  cuc  lyti  tä  toj  x6op.ou 
<ipy6}jL£da  SiVjYT^oiv  tivo;  reipaCofxivo'j 
xcipoiaxou  xal  TTpaxTixoO  %a\  roXuaYaT:tp.o'j  u.  s.  w. 
Wie  man  aus  dem   weiterhin   folgenden,   sehr   unklaren  Bericht«  errathen 
kann,  enthält  der  Band   die  Gedichte   von   Kallimachos   und   von   Lybistros 
hintereinander. 


—    537    — 

dieses  spätgrieehischen  Elementes  in  die  ritterliche  Dichtung 
des  Abendlandes  mögen,  als  eine  Art  Vergeltung  für  die  so  viel 
reicheren  empfangenen  Gaben,  die  Byzantiner  vermittelt  haben, 
mehr  vielleicht  im  persönlichen  und  mündlichen  Austausch  als 
durch  Mittheilung  vollständiger  geschriebener  Romanerzählungen. 
Zumeist  werden  solche ,  bewusst  oder  unbewusst  der  spätgrie- 
chischen Romandichtung  entlehnte  Inspirationen  der  Erfindung 
oder  der  Darstellung  occidentalischer  romantischer  Dichtungen 
so  fest  eingewoben  sein,  dass  sie  aus  dem  Gewebe  des  Uebrigen 
einzeln  und  für  sich  schwer  herausgetrennt  werden  können: 
wie  denn  in  der  eben  genannten  lieblichen  Dichtung  von  Flor 
und  Blancheflor  christlich-ritterliche  mit  orientalischen  und,  wie 
ich  denke,  manchen,  spälgriechischer  Romandichtung  nachgebil- 
deten Zügen  zu  unlöslicher  Vereinigung  verschmolzen  sind. 
Gewiss  würde  ein  mit  allen  Elementen  dieser  romantischen 
Mischungen  gleich  vertrauter  Kenner  mittelalterlicher  Dichtungen 
über  dieses  heimliche  Weiterwirken  griechischer  Romanfabulistik 
in  romanischer  Ritterdichtung  viel  Aufklärendes  mittheilen  kön- 
nen^). Uns  würde,  auf  dem  hier  festgehaltenen  Standpunkte, 
vorzüglich  interessiren ,  wenn  ein  solcher  Kenner  uns  darüber 
belehren  wollte,  ob  nicht  etwa  auch  einzelne  vollständige 
Romane  spätgriechischer  oder  antikisirender  byzantinischer  Fa- 
brik in  das  Abendland  übertragen  und  in  abendländischer  Verklei- 
dung in  einzelnen  Producten  romanischer  Litteraturen  uns  er- 
halten seiend).  Die  Geschichte  des  Apollonius  von  Tyrus,  durch 
Uebersetzungen  und  Bearbeitungen  allen  Nationen  des  Mittel- 
alters angeeignet,  bietet  für  eine  solche  Uebertragung  ein  merk- 
würdiges Beispiel.  Freilich  ermöglichte  hier  die  frühzeitig 
verbreitete  lateinische  Ueberarbeitung  des  griechischen  Ori- 
ginals den  Abendländern  die  Aneignung:  aber  hieran  zeigt 
sich  doch  nur,  dass  die  lebhafte  Bereitwilligkeit  zur  innigsten 
Aneignung  solcher  Dichtungen  nur  einer  äusserlichen  Begünsti- 
gung  bedurfte,   um  zur  That   zu  schreiten;   und  warum  sollte 


1)  Weniges,  und  dieses  Wenige  sehr  unbestimmt  trägt  hierüber  vor 
Cholevius,  Gesch.  d.  deutschen  Poesie  nach  ihren  antiken  Elementen  I  154  f. 

2)  Klingen  nicht  so  flaue  Liebesgeschichten  wie  z.  B.  das  französische 
Gedicht  von  Gautier  d'  Aupas  (analysirt  bei  Le  Grand  d'  Aussy,  Fabliaux  III 
393— S05  [3.  Ausg.]}  fast  v/'ie  Bruchstücke  eines  byzantinischen  Bomans  in 
der  Art  des  Eustathius  Macrembolita? 


—    538    — 

der  Zufall  gleiche   oder  ähnliche  Begünstigungen  nicht  auch  in 
andern  Fällen  gefügt  haben?  ' 

Ich  für  meine  Person  weiss  nun  für  diese  Aufgabe  einer 
Entdeckung  griechisch-byzantinischer  Romane  in  modernem  Ge^ 
wände  nichts  beizutragen.  Ich  muss  mich  begnügen,  die  Auf- 
merksamkeit auf  einen  einzigen  Fall  aus  einer  freilich  betrachte 
lieh  diesseits  der  Zeit  der  Kreuzzüge,  und  bereits  im  ersten 
Früblicht  herrlicher  Renaissance  gelegenen  Periode  zu  lenken, 
in  welchem  der  Gedanke  an  die  Nachbildung  eines  spätgrie- 
chischen Romanstofif^es  sich  mir  lebhaft  aufdrängt. 

Es  soll  von  keinem  Geringeren  als  dem  Giovanni  Boccaccio 
die  Rede  sein.  Dieser  erzählt  in  der  ersten  Novelle  des  fünften 
Tages  seines  Decamerone  Folgendes.     Aristippo,  ein  vornehmer 
Mann  auf  Cypern,  hat  einen  halbthierisch  stumpfsinnigen  Sohn, 
Galeso,   den  man  Cimone  nennt,  »was  in  der  dortigen  Sprache 
so  viel  sagen  will   wie  in  der  unsrigen  Dummkopf«.     Dieser, 
auf  dem   Landgute  des  Vaters  wohnend,  erblickt  eines  Tages, 
in    einem  Walddickicht   an    einer  Quelle,    eine  wunderschöne 
Jungfrau,   Efigenia,   in  Begleitung  einiger  Diener  eingeschlafen 
liegend ;  er  fasst  zu  ihr  eine  heftige  Liebe,  begleitet  sie,  da  sie 
erwacht  ist,  nach  Hause,  und  bleibt  nun  selbst  bei  seinem  Vater  in 
der   Stadt.     Mit  seinem  Herzen   ist  sein  Verstand  erwacht:   in 
kurzer  Zeit  bildet  er  sich   in  allen   Künsten   zu  einem  wohl- 
erzogenen Menschen  aus.     Er  hält  bei  Cipseo,  dem  Vater  der 
Efigenia,  mehrere  Male  um  deren  Hand  an;   der  aber  hat  die 
Tochter  bereits  dem  Pasimunda,  einem  vornehmen  Jüngling  aus 
Rhodus ,   versprochen.     Als  endlich  die  Efigenia  zu  Schiff  nach 
Rhodus  zu  ihrem  Verlobten  geleitet  wird,  fahrt  Cimone  nadi, 
entert  das  Schiff  der  Rhodier,  springt  allein  hinüber  und  raubt 
die  Geliebte,   und   lässt  die  Rhodier  unverletzt  weiter  fahren. 
Ein   Sturm  treibt  sein   eignes  Schiff,   statt  nach  Kreta,    wohin 
er  steuert,   in  eine  Bucht  der  Insel  Rhodus.     Dort  werden  sie 
von  der  Mannschaft  des  kurz  zuvor  angekommenen,  von  ihnen 
Überfallenen    rhodischen    Schiffes   erkannt,    von  herbeigeholten 
rhodischen   Herren  ergriffen   und  vor  den  Lisimaco,   in  jenem 
Jahre  den   obersten  Magistrat  in   Rhodus,  geführt,  der  sie  ins 
Gcfängniss  werfen  lässt.    Nach  einiger  Zeit  will  Pasimunda  seine 
Hochzeit  mit  Efigenia,  zugleich  sein  Bruder  Ormisda  die  seine  mit 
der  Cassandra  feiern.     Diese  Gassandra  hat^  Lisimaco  seit  langer 


-^    539    ^ 

Zeit  geliebt.  Er  thut  sieh  daher  mit  Gimone  zusammen ;  gemein^ 
sam  überfallen  sie  die  beiden  Bräute,  welche  mit  den  übrigen 
Frauen  beim  Hochzeitschmause  sitzen.  Ein  jeder  ergreift  seine 
Geliebte,  erschlägt  den  sich  widersetzenden  Bräutigam;  Beide 
eilen  mit  ihrer  Beute  auf  ein  bereitgehaltenes  Schiff,  und  fahren 
nach  Kreta,  wo  sie  sich  mit  den  Geliebten  verbinden.  Durch 
Vermittlung  der  Freunde  kann  endlich  Lisimaco  mit  Cassandra 
nach  Rhodus,  Gimone  mit  Efigenia  nach  Gypem  zurückkehren. 
Die  Quelle,  aus  welcher  Boccaccio  den  Stoff  zu  dieser  Er-^ 
Zählung  geschöpft  haben  könne,  hat  bisher  Niemand  anzugeben 
vermocht  ^] .  Eine  freie  Erfindung  seiner  eigenen  Phantasie  darf 
man  hier  sicherlich  nicht  erblicken  wollen:  eine  solche  würde 
auch  im  ganzen  Decamerone  durchaus  vereinzelt  dastehen.  Das 
Ganze  für  den  Bericht  eines  historischen  Ereignisses  zu  halten  ^) , 
verbietet  schon,  von  allem  Uebrigen  abgesehen,  das  absichtsvoll 
festgehaltene  antik-heidnische  Kostüm  des  Vorganges.  Wenn 
Boccaccio  selbst,  im  Eingang  seiner  Erzählung,  sagt,  die  fol- 
gende Geschichte  habe  er  »in  den  alten  Geschichtsbüchern  der 
Cyprianer«  gelesen  3),  so  wird  man  solche  Quellenangabe  unbe- 
denklich dahin  deuten  dürfen,  daas  er  (oder  doch  sein  Gewährs- 
mann) diese  Novelle  wirklich  erzählt  gefunden  habe  in  einem 
Buche,  welches  sie  wie  eine  wahre  Thatsache  mittheilte,  ohne  dass 
eiii  solches  Buch  darum  ein  eigentlich  historisches  Werk  gewesen 
zu  sein  brauchte.  Ich  will  es  nun  wagen,  die  Vermuthung  aus- 
zusprechen, dass  diese  »cyprischen  Geschichten«  derselben  Art 
gewesen  sein  mögen,  wie  etwa  die  »ephesischen  Geschichten u 
des  Xenophon,  die  »babylonischen  Geschichten«  des  Jamblichus, 
die  »aelhiopischen  Geschichten«  des  Heliodor,  nämlich  ein  spät- 
griechisher  Roman.  Die  ganze  Erzählung  scheint  mir  die 
deutlichen  Kennzeichen  solcher  Romandichtimg  spätgriechischer 


1}  Den  unsinnigen,  noch  von  Manni  getheilten  Einfall,  dass  Bocc.  in 
dieser  Novelle  dem  Pseudiotheokriteisehen  BouhoXIoqloc  (Idyll.  30)  nachahme, 
hat  man  jetzt  wenigstens  aufgegeben.  S.  Dunlop* Liebrecht,  G.  d.  Prosad. 
p.  234;  Landau,  Qu.  d.  Decamerone  p.  408. 

2)  Was  z.  B.  Val.  Schmidt,  Beitr.  zur  Gesch.  d.  romant.  Posie  p.  48, 
nicht  ganz  abweist. 

3)  »S\  come  noi  nelle  antiche  istorie  de'  Cipriani  abbiam  giä  letto<r. 
-TT  Ganz  ähnlich  ist  es,  wenn  Bandello,  Nov.  I  25,  behauptet,  die  Gesch. 
vom  Schatz  des  Rhampsinit»  die  er  einfach  dem  Herodot  nacherzählt,  gefun- 
den zu  haben  »nelle  antiche  istorie  dei  regi  d'  Bgitto«. 


—    540     — 

oder  vielleicht  auch  byzantinischer  Zeit  zu  tragen.  Die  Hand- 
lung geht  in  heidnischer  Vorzeit  vor  sich;  mehrfach  sehen  wir 
»die  Götter«  an  der  Maschinerie  dieser  Vorgänge  thätig^),  die 
»neidische  Fortuna«  wirkt  hier  so  unumschränkt  wie  die  Tyche 
in  den  Sophistenromanen  ^j .  Die  Namen  der  Personen  sind  grie- 
chische ,  und  zwar  nicht  vom  Boccaccio  selbst  erfundene :  denn 
wie  könnte  er  sie  uns  sonst  in  so  missverstandenen  Entstellun- 
gen überliefern  ^j  ?  Der  Schauplatz  der  Handlung  liegt  auf  Rhodus 
und  Cypern  (wie  bei  Theodorus  Prodromus) ,  auf  Kreta  und  dem 
sturmbewegten  Meere,  welches  diese  Inseln  verbindet:  wir  sind 
durchaus  in  der  Heimath  der  meisten  griechischen  Romane. 
Die  Handlung  zeigt  mit  derjenigen  der  Sophistenromane  eine 
eben  so  nahe  Verwandtschaft  als  sie  von  der  ganzen  Art  der 
sonst  von  Boccaccio  am  häufigsten  benutzten  Novellenstoffe 
orientalischen  oder  französischen  Ursprungs  grundverschieden 
ist.  Das  Unrealistische  dieser  Vorgänge,  die  schwächliche,  flau 
erfundene  Intrigue,  das  süsslich  Uebertriebene  der  Gefühle; 
dazu  die  besondere  Art  der  hier  vorgeführten  Abenteuer :  See- 
fahrt, Entführung  der,  vom  Vater  einem  Andern  verlobten  Ge- 
liebten, Sturm,  verliebter  Magistrat,  ja  einzelne  absonderliche 
Auftritte,  wie  die  sehnsüchtige  Betrachtung  der  schlafenden 
Geliebten   durch  den  Liebenden^),   auch  die  lange  gedrechselte 


1)  —  egii  pareva  che  gl'  Iddii  gli  avessero  conceduto  il  suo  disio  ac- 
ciöche  —  u.  s.  w.  gl'  Iddii  non  volevano,  che  colui,  il  quäle  lei  contra  li  lor 
piaceri  voleva  aver  per  isposa,  potesse  del  suo  presuntuoso  disiderio  godere 
u.  s.  w.  gli  Iddii  sono  ottimi  e  liberali  donatori  delle  cose  aglt  uomini 
u.  s.  w.     Daneben  freilich  auch   einmal  ganz  treuherzig:  rimanti  con  Dto. 

2)  la  invidiosa  fortuna;  la  fortuna  non  stabile.  La  fortuna,  quasi  pen- 
tuta  della  subita  ingiuria  fatta  a  Cimone,  nuovo  accidente  produsse  per  la 
sua  Salute  u.  s.  w. 

3)  Aristippo,  Efigenia,  Lisimaco,  Cassandra  sind  verständlich;  Ormisda 
ist  wohl  das  perso-hellenische  'Op[x(o^;  (ein  den  spätesten  griech.  Histo- 
rikern und  ihren  Zeitgenossen  geläufiger  Name) ;  Galeso  s=  FoXaiao; ;  Cipseo 
entstellt  aus  Ku'kXo;?  Pasimunda  weiss  ich  nicht  zu  deuten;  es  ist  wohl 
ein  stark  entstellter  Name  auf  rovoa;.  Welche  Weisheit  endlich  hinter  der 
Angabe  steckt:  »Cimone,  il  che  nella  lor  (nämlich  de'  CipriantJ  lingua  suonava 
quanto  nella  nostra  Bestione«  überlasse  ich  Andern  auszumachen. 

4]  Man  erinnere  sich  der  verwandten  Scenen  bei  Longus  und  Nie.  Eag. 
S.  oben  p.  533  A.  1.  Als  Cimone  so  die  Efigenia  zum  ersten  Mal  erblickt  »da* 
bitava  non  fosse  alcuna  Dea«;  ganz  nach  der  Ausdrucks^eise  des  griechi- 
schen Romans.     Man  denke  an  Xen.  Eph.,  an  Chariton  etc. 


—    541     — 

Rede,  in  welcher  Lisimaco  dem  Cimone  seinen  Entführungsplan 
ankündigt:  Alles  dieses  zeigt  die  unverkennbaren  Züge  des 
Liebesromans  der  griechischen  Sophistik ;  die  ganze  Novelle  liest 
sich  wie  ein  Auszug  aus  einer  Romandichtung  jener  Zeit  und 
Gattung.  Wie  freilich  Roccaccio  zu  dieser  Erzählung  gekommen 
sei;  muss  freier  Vermuthung  überlassen  bleiben.  Uebertrug  er 
sie  kurzweg  so  wie  er  sie  fand  aus  irgend  einer  fremden  Sprache, 
in  derselben  Weise  wie  er  einzelne  Novellen  aus  den  Metamor- 
phosen des  Apulejus  fast  wörtlich  übersetzt  hat?  Oder  lag  ihm 
eine  ausführlichere  griechische  Romanerzählung  vor,  deren  In- 
halt er  selbst  erst  in  den  vorliegenden  Auszug  zusammengezogen 
hat?  Es  ist  ja  bekannt,  dass  Roccaccio  einigermaassen  Griechisch 
verstand,  griechische  Handschriften  sammelte  und  zum  Theil 
abschrieb  1).  Es  scheint  auch,  als  ob  er  noch  einige  andere 
Dichtungsstoffe  spätgriechischen  Poesien  entlehnt  habe  2).  Frei- 
lich mochten,  bei  solchen  Entlehnungen,  lebendige  Rathgeber 
ihn  in  der  Entzifferung  griechischer  Rücher  unterstützen,  z.  R. 
jener  seltsame  Grieche  Leonzio  Pilato,  den  Roccaccio  selbst  nach 
Florenz  zog^j.  Hatte  ihm  also  ein  solcher  Reistand  auch  die 
Renntniss  dieser,  aus  irgendwelchen  romanhaften  »Kypriakaa 
geschöpften  Erzählung  vermittelt?  Hatte  er  sie  ihm  nur  in 
mündlicher  Wiedergabe,  nach  der  Erinnerung  an  eigne  einstige 


1)  Vgl.  Tiraboschi,  Storia  della  letterat.  ital.  I  4,  9  (IX  172  ed.  Milan. 
4838  in  420),  i  4,   46  (IX  486). 

2)  Es  'Wäre  z.  B.  zu  überlegen,  ob  der  Stoff  der  Teseide,  'welchen  Bocc. 
gefunden  zu  haben  behauptet  in  »una  antichissima  storia  e  al  piü  delle 
genti  non  manifesta,  in  latino  volgare«  von  ihm  nicht  entlehnt  sei 
einem  byzantinischen  Gedichte  in  »rhomaeischer«  Sprache.  Tyrwhitt 
(aus  dessen  Auszuge  ich  das  Gedicht  allein  kenne)  neigt  in  der  That  zu 
einer  solchen  Annahme  (Chaucers  Canterb.  Tales  ed.  2.  Oxf.  4  798. 1  p.  86  A.  43}. 
—  Ob  nicht  für  seine  Darstellung  der  Sage  von  Athis  und  Prophilias,  Decam. 
X  8,  Boccaccio  ein  mittelgriechisches  Gedicht  benutzt  haben  mag,  welches 
zu  dem  uns  erhaltenen  altfranzösischen  Gedicht  über  diesen  Gegenstand 
eine  Parallele  bildete?  Für  ein,  gleich  der  Darstellung  des  Bocc.,  aus 
paralleler  Quell«  mit  jenem  altfranzös.  Gedichte  geflossenes  mittelhoch- 
deutsches Gedicht  vermuthet  wenigstens  W.  Grimm  (Haupts  Ztschr.  XII  485) 
eine  Herkunft  aus  einem  miltelgriechischen  Original. 

3)  Uebßr  diesen  gelehrten ,  aber  überaus  plumpen  calabresischen  Grie- 
chen (in  ogni  riguardo  una  gran  bestia,  nennt  ihn  Petrarca) ,  bei  welchem 
Boc.  Homer  studirte,  und  dessen  Aussagen  er  gelegentlich  in  der  Genealogia 
Deorum  benutzt  hat,  s.  Tiraboschl  HI  4,  8  (XI  4  88  ff.). 


—    542    — 

Lectttre,    mitgetheilt?     Auf  solche   Fragen    mag   vielleicht    ein 
Kundiger  genügende  Antwort  finden.  — 

Wir  brechen  hier  unsre  Betrachtungen  ab.  Nirgends 
weniger  als  auf  dem  Gebiete,  dem  wir  in  diesem  Buche  unsre 
Aufmerksamkeit  zugewandt  haben,  lässt  sich  dem  Hintiber- 
wirken der  alten  Gultur  in  die  neuere  Zeit  ein  genaues  Maass 
bestimmen,  nirgends  weniger  als  hier  ein  starrer  Zaun  sich 
ziehen,  welcher  »classische«  und  »romantische«  Dichtung  und 
Empfindungsweise  streng  von  einander  schiede.  Das  mag 
wohl  auch  dieses  ganze  Buch  zu  beweisen  dienen.  So  eröffnet 
der  Betrachtung  sich  ein  grenzenloser  Ausblick.  Aber  freilich 
muss  jeder  einzelnen  Forschung  ein  bestimmtes  Ziel  gesetzt  sein ; 
und  unser  Ziel  haben  wir  nunmehr  erreicht. 


Nachträge. 

• 

p.  46  ff.  Zu  der  Sage  von  Zariadres  und  Odatis  sei,  nach 
Mittheilungen  von  Andreas,  noch  Folgendes  bemerkt.  Der 
Vater  der  Odatis  heisst  (Athen.  XIIl  575  B)  täv  dirixeiva  (d.  i. 
am  rechten  Ufer)  toü  TavatSo?  ßaadeu?  Mapa&wv.  Diese 
»Marathera  gehören  offenbar' zu  den  scythischen  Stämmen: 
daher  erscheint  Zariadres  in  der  Versammlung  der  einheimischen 
Dynasten  selbst  ebenfalls  in  scythischer  Tracht  (575  £).  Man 
verwandelt  das  unverstandene  Mapa&u)V  der  Hs.  gewöhnlich, 
nach  einer  Gj.  des  Holstenius,  in  Ilapfiaraüv.  »Aliud  nomen  la- 
tere  videtura,  meint  Meineke.  Andreas  ist  geneigt,  den  Namen, 
unverändert;  als  einen  rein  sagenhaften  aus  den  eranischen 
Sprachen  zu  erklären ;  er  schreibt :  » Mapa&wv  vergleiclie  ich  mit 
mareta,  martiya,  welches  etymologisch  dem  griech.  ßpoTo;  ent- 
spricht; ßaaiXsu;  Mapa&u)v  ist  also  nichts  anderes  als  ßaadsu; 
ßpoToiv.  Hierzu  stimmt  auch  recht  gut  die  Bedeutung  des 
Namens  dieses  Maratherkönigs  '0[iapTT](;^  d.  i.  humarta  oder  hu- 
martiya,  Gutmann,  EuavSpo;.  Odatis  (Udcliti,  hudcliti)  lässt  sich 
durch  das  griech.  EuScopa  wiedergeben;  vgl.  das  einfache  Da- 
tis  =  Aa)pocc(.  (Uebrigens  sei  der  Name  des  Königs  der  Saker, 
d.  i.  der  Scythen,  bei  Polyaen  VII  12  aus  'OfiapYr^;  ebenfalls  in 
t)}JiapTT]c  zu  verändern).  '  Sprechen  also  diese  gut  eranischen 
Namenbildungen  deutlich  für  die,  ohnehin  vernünftiger  Weise 
nicht  zu  bezweifelnde  volksthümliche  Ursprünglichkeit  der  Sage 
von  Zariadres  und  Odatis,  so  verbirgt  sich,  meint  Andreas, 
unter  dem  »Zariadres«  vollends  eine  altberühmte  Gestalt  per- 
sischer Sage:  den  »Zarlr«  des  Firdusi  und  des  Mirkhond^  den 
Bruder  des  Guschtasp,  welcher  diesem  Zariadres  entspricht, 
habe  Spiegel  wiedererkannt  in  dem  Zairivairi  (»dieser  Name 
bedeutet  höchst  wahrscheinlich  j^puaoftcopaE «  Andreas)  des  Avesta 
(Uebers.  des  Avesta,  III  p.  LXV;  p.  128  A.  3). 


—    544    — 

p.  48  A.  2.  Eine  leise  Erinnerung  an  eine  einst  auch  in 
Persien  heimische  Sitte  der  freien  Wahl  des  Gatten  von  Seiten 
der  Jungfrau  ßndet  Andreas  in  einem  noch  lebendigen  Fest- 
gebrauche erhalten,  dessen  Th.  Hyde,  Veterum  Persanim  et 
Medor.  et  Parthor.  religionis  hist.  (Oxon.  1760)  c.  XIX  p.  258 
gedenkt.  An  einem  altpersischen  Feste,  Mardghirän  genannt, 
»i.  e.  Viricipes  seu  Viri  Captuare  (dies)«  herrschen  die  Weiber; 
die  Männer  thun,  was  jene  ihnen  vorschreiben,  »hoc  die  fe- 
minae  capiunt  juvenes,  scilicet  seligunt  sibi  vires«.  —  Uebrigens 
wird  auch  nach  altpersischer  Sitte  bei  der  Vermählung  die  Ein- 
willigung des  Mädchens  eingeholt:  Spiegel,  Avesta  II  p.  XXIX. 

p.  i08  A.  1.  Bei  R.  Förster,  Der  Raub  und  die  Rückkehr 
der  Persephone  (Stuttgart  1874)  p.  85  A.  2  lese  ich  die  Ver- 
muthung,  der  von  Lactanz  gemeinte  Dichter  eines  Triumphus 
Cupidinis.  sei  kein  Anderer  als  Phanokles.  Es  wäre  wohl 
nicht  tlberfltlssig  gewesen,  die  Grtlnde  für  diese  Behauptung 
anzugeben.  Die  Bruchsttlcke  der  ^EpcDte«;  r^  KaXoi  des  Phanokles 
(s.  oben  p.  83  f.)  zeigen,  dass  er  ausschliesslich  von  Knaben- 
liebe handelte;  warum  verschwiege  Lactantius  diese  besonders 
anstOssige  Eigenthtlmlichkeit?  Der  Dichter  des  Triumphus  Cu- 
pidinis sprach  ausschliesslich  von  Liebesverhältnissen  der  Götter; 
Phanokles  redet  auch,  und  vorzugsweise,  von  Heroen  und  ihren 
Liebesbtlndnissen  mit  schönen  Knaben.  Und  wo  feinde  sich  in 
den  Fragmenten  des  Phanokles  die  leiseste  Spur  davon ,  dass 
er  die  von  Eros  bezwungenen  Götter  gefesselt  den  Wagen  des 
triumphirenden  Liebesgottes  ziehend  dargestellt  habe?  Lohnte 
es  tlberhaupt,  so  ins  Blaue  hinein  zu  rathen,  so  könnte  man 
immer  noch  eher  den  Dichter  des  Triumphus  Cupidinis  in  jenem 
Artemidorus  vermuthen,  dessen  elegische  Erzählungen  irepi 
''EpwTo;  oben  p.  91  A.  4  erwähnt  worden  sind. 

p.  180  Anm.  a).  Sollte  nicht  aus  einem  Missverständ- 
nisse solcher,  bereits  damals  unter  den  Anwohnern  des  per- 
sischen Golfes  volksthtlmlich  verbreiteten  Sagen  von  riesigen, 
wie  Inseln  aus  dem  Meere  ragenden,  dann  aber  mit  den  lan- 
denden Menschen  plötzlich  untertauchenden  Fischen  zu  er- 
klären sein,  was  Nearch  (fr.  25  Müller  [Scr.  rer.  AI.  m. 
p.  66  ff.])  sich  von  einer  Insel  im  persischen  Meerbusen  er- 
zählen Hess,  T^  acpaviCoi  too?  irpocop(iio&^VTac  ? 


—     545     — 

p.  i88  Z.  17.  18  V.  0.  Ueber  Bahrain  Gur  von  Persien  vgl. 
auch  Hamza  Ispahani  (Annales  ed.  J.  M.  E.  Gottwaldt.  t.  II 
[transl.  latina])  p.  40  :  ab  eo  multae  in  Turania  Graecia  et  In- 
dia  editae  sunt  res  memorabiles ;  Indiam  quideni  niutatis 
vestibus  petiit. 

p.  203.  lieber  diese  idealisirenden  Vorstellungen  der 
Griechen  von  fernen  Völkern  kann  man  jetzt  auch  vgl.  A.  Riese, 
»Die  Idealisirung  der  Natur\'ölker  des  Nordens  in  der  griechi- 
schen und  römischen  Literatur«  (Progr.  des  Gymn.  in  Frank- 
furt a.  M.   1875),  namentlich  p.   1—32. 

p.  230  Anm.  lieber  die  alte  Sitte,  im  gebrechlichen  Alter 
sieh  selbst  das  Leben  zu  nehmen,  vgl.  auch  V.  Ilehn,  Gultur- 
pflanzen  und  Hausthiere  u.  s.  w.  (2.  Aufl.  Berlin  1874)  p.  463. 
Ebendas.  p.  474  wird  auch  von  der ,  oben  p.  266  A.  3  be- 
rührten Etymologie  des  thracischen  »Zalmoxis«  geredet.  Ob 
freilich  eine  Angabe  des  Antonius  Diogenes  überhaupt  so  ge- 
naue Untersuchung  verträgt,  mag  dahin  gestellt  bleiben. 

p.  247.  Wegen  romanhafter  Verarbeitung  des  Mythus 
konnte  auch  auf  die  KuTipiaxa  des  Xenophon  von  Cypern 
verwiesen  werden,  welche  die  Sage  von  Kinyras  Myrrha  und 
Adonis  zum  Romane  umgedichtet  halten.     S.  p.  346. 

p.  350  A.  3.  Spocfia  in  dem  hier  berührten  Sinne  auch 
bei  den  byzantinischen  Romanschreibern  häufig:  z.  B.  EusUith. 
p.  244,  19;  246,  11;  285,  17;  Theod.  Prodr.  amator.  I  393; 
VI  180;  280;  VIII  389;   493;  IX  36.  413. 

p.  366  A.  2.  Die  a-n^XT)  to5  Xsovtoc  wird  doch  wohl  ein- 
facher verstanden,  nicht  als  »Grabslele  mit  dem  Bilde  eines 
Löwen«,  sondern  als  Standbild  eines  Löwen.  So  in  einer  spüt- 
byzantinischen  (ursprünglich  in  elenden  byzantinischen  zwölf- 
sylbigen  Versen  abgefasslen)  Fabel  (Fab.  Aesop.  63  Halm.) : 
supov  8s  dv  T^  o8({)  TTStpivr^v  ott^Xyjv  ojxoiav  av8pij  iripav  ott^Xyjv 
XeovTOc  aufATTvfYouaav. 


Rohde,  Der  griechische  Roman.  35 


Druckfehler. 


Xan  8cUe  Seite    12  Z.  9  von  unten  utatt:  begonnen:  be^Anneii. 

21  n  3  T.  n.  0t«tt :  in  den  nächtlichen  Seelenleiden :  in  der  ScklldervBf 
der  nächtlichen  Seelenileiden. 

n        22  n  6  V.  u.  statt:  achte:  dachte. 

^        28  „  1  V.  o.       „  miüflte:  mVAMte. 

36  „  7  V.  u.       y,  lieta:  lieaten. 

,        4B  g  9  V.  o.       „  des:  dAs. 

^        61  ^  5  V.  o.       ^  Komedie:  Komödie. 

„       Td  n  14  V.  tt.      g  lädt:  läatt. 

„        85  n  1  V.  II.       «  erklär:  erklärt. 

„        87  ^  5  V.  u.       ,  Homeri«  bei:  Homere.  t«i. 

n        88  n  6  V.  u.       „  die:  der. 

„       141  „  21  V.  o.      .„  recitiren:  recitirten. 

«       144  „  10  V.  u.        ^  vindücirt«;n :  vindlcirtt'n. 


» 


li^  ^  6  V.  u.  n  X:{^(ovo;:  Xtifittivo;. 

„      156  ^  25  V.  u.  n  '"^^^  •  '^•ur. 

„      108  „  8  V.  u.  „  — :  =. 

^      186  „  20  V.  o.  f,  nunmehr:  vielmehr. 

,      187  „  16  V.  u.  «  der:  das. 


188  „      7  V.  o.       ,       T:«jpj{«?:  nopt'!«;. 
18Ü  .      6  V.  u.       .      39:  M. 


190  ,     18  V.  o,  «  welche  :  welchen. 

^  221  n    18  V.  u.  «  umgebende:  umgebenden. 

,  232  n     1^  v*  *^'  >  welchen:  welchem. 

,  234  ,      9  V.  u.  ,  dal  tyxic«>.ov:  de«  ifxicaAo;. 

,  235  „      l  V.  o.  ,  pv«:  det. 

,  238  ,    11  V.  <K  .  bin:  bei. 

m  241  „    25  V.  o.  ,  Tol; :  To  0  ;. 

,  243  .      2  ▼■  u.  n  nun:  nur. 

,  247  „     16  V.  o.  ,  Heroica:   Hon>ir«ii. 

248  .    29  y.  u.  ,  Antheu.i:  Anthe»  . 

„  24S  .    15  V.  u.  ,  A.topodor:  Aatheft». 

•  250  .    20  V.  o.  ,  In  iitt  SU  .streichen. 

„  254  ,    26  V.  u.  ,  Pythttgore«:  Pythngtiras. 

,  266  „      5  V.  o.  ,  wuiidenl>ar!(ten :  wuntlfrl>ar.<«ten. 

.  266  «    21  V.  o.  ,  würde :  würden. 

,  270  ,     13  V.  o.  „  von :  vom. 

,  274  ,    23  V.  ü.  ,  abertcuorlichc:  abenteufrlii-he, 

,  280  ,     17  V.  o.  f,  vewirrtMule :  verwirrvnde. 

M  288  ,     12  V.  u.  .,  blüheilten :  blühenden. 

»  320  ,18|19v.  o.  ,  entbrannten:  enthninsiie. 

y,  '346  ,      5  V.  u.  «  8chauplat7.t:  8chauplats. 

„  ii7l  „      9  V.  o.  .  Erxähhlun«;:    Krziihlung. 

,  SHT)  ,!)n.  llv.o.  ,  Hipothous:  Ilipp<>thou>i. 

,  423  V,       8  V.  u.  ,  vo :  vor. 

,  429  •       l  V.  u.  ,  bij»  her:   bisher. 

,  43^1  «      7  V.  u.  ,  Vorgaukeliing :  Vor^aukeluni^en 

„  44(1  y,    2')  V.  u.  «  poetische:  gnetisi-hc. 

n  -^'^  »    21   V.  o.  „  iiu»umnien:idirt :  /iLsnmmenaddirt 

,  46**  „    2(i  V.  n.  ,  ergreift:  an;:reift. 

„  470  „      2  V.  t».  „  aniretender:  eintretender. 

«  515  „      H  V.  n.  .,  Zur^tände  dind :  Zu.stande  lat- 

,  5Ö2  Ceberschrift:  ütatt:  kritische:  kritUch. 
VicIlHch  »ind  Interpnnrtinndxeichen.  7.umal  Kommata,  fälHchlich  7.u<;e.fetzt  (z.  B.  Seite  92 
Z.  2  V.  o. :  Naturleben5,  be^eeltenl  oder  fortgola.tflen   fz.  K.  S.  360  Z.  21  v.  o. :    niuj«>en  wir 

wider  Willen,  bei   dieser    Vertheilung   einstweilen   unberücksichtigt   la.«ifien,   .^tatt:  mussea 
wir,  wider  Willen,  bei  u.  s.  w.i. 


Register. 


Achilles,  erotische  Abenteuer  42. 
4  02  f.    Typus  155,  k. 

Achilles,  Astronom  hli. 

Achilles  Tatius  470  IT.  489  f.  503. 

Acontius  und  Cydippe  87  fT. 

Aehnlichkeit  der  Barbaren  unter  ein- 
ander 228,   3. 

Aelian  345.  508,  3. 

Aeschylus,  Prometheus  475. 

Aesopi  Vita  167. 

Aethiopen :  verehren  den  Helios, 
487,  7.  —  Gymnosophisten  441. 
—  Geschichte  45 1  fr.  —  Sitten  4  55, 4 . 

Aetiologischer  Charakter  der  hellenist. 
Dichtung  84. 

Agatharchides  177,  1.  505,  1. 

Alciphron  343.  502. 

Alemao  175,  l. 

Alcyone  und  Ceyx  125. 

Alexandersage  181.  184  ff. 

Alexander  Aetolus  S3. 

Alexandria  und  Athen  359  f.* 

Alexandrinische  Dichtung  im  .5  6. 
Jahrh.  n.  Chr.  473,  2. 

Alexis  Mepoicic  207,  3. 

aXt[AOv  256  f. 

Amometus  218. 

Antheas  Lindius  247,  1. 

Balakros  271,  1. 
Ballspiel  409,   1. 
Bardesanes  203,  5. 
Bttume;   Liebe  derselben  unter  ein- 
ander 458,   1. 


Antimachus,  Lyde  72  f. 
Antiochusu.Stratonice  52fr.  340.421,1. 
Anliphanes  von  Bergs  222,  'i.  275,  1. 
Antonius  Diogenes  250  fT. 
dcp£>.eia  des  Stils  518. 
Apollonius    von    Bhodus   21.    97,    8. 

105.  128,  1. 
Apollonius   von   Tyana    298.    368,  5. 

438  ff.  466. 
Apollonius  von  Tyrus  408  fr. 
Aratus  65,  9.   100. 
Arceophon  u.  Arsinoe  79. 
Ariadne  105,  2.  130. 
Aristaenetus  343.  395.  473,   1. 
Aristeas  174  T. 
Aristides  317,  4. 
Aristophontes  34  5,  4. 
Aristoteles   mirab.    ausc.    84  :  215    f. 

—  T.  Tiov  lIudaYop£(tt)v:   255. 
Artemidorus,  Eiegiker  91,  4. 
Asianische  Rhetorik  289  f. 
Asopodorus  v.  Phlius  247,  1. 
Astraeus  264,  8. 
Attische  Sprache  328. 
Atheisten  330  f. 
Ausgrabung      gefälschter      Schriften 

272,  2. 
Auxomis  45,  3. 

Beschreibung  der  körpercrscheinung 

151. 
Bion  Borysthcnitcs  249  f. 
Boccaccio  (Decam.  IV  8)  81,  2    (De- 

cam.  V  1)  538  ff. 

35» 


548     — 


Bokchoris  870,  4. 
Briseis  4  03,  1. 

Buchstaben,  ursprüngliche  Anzahl  der 
griechischen,  237  f. 

Caccilius  von  Calacte  326,  2. 
Celer  348. 

Ceylon  223,  i.  289,   2. 
XapaxTfjpec  248,   4. 
Chariton  485  fT. 
XapTocp6Xac  523,  8. 
Choricius  509. 

Damis  495.  440. 

Daphnis  29.  36.  39.   78.   4. 

Demetrius  Phal.   rspl  T^^/t^;  278,  3. 

oidXe;i;  322,   4. 

Dikaearch,  Bio;  'KXXotoo;  204,  2. 

^xcppaaet;  835  f. 

Elegie,  musikalisch  vorgetragen  4  39, 4. 

Eroesa  463,  4.  466  f. 

Entwicklung  des  Menschengeschlechts 
nach    griech.  Vorstellung  201 ,   2. 

Ephcsus,  Zeit  der  Umsiedlung  durch 
Lysimachus  75,  4. 

Epilomao,  von  den  Verfassern  selbst 
besorgt  402. 

Epos  hellenistischer  Zeit  49  IT. ;  spät- 
griechisches 480  fr. 

Festland  jenseits  des  Ocean  205 ,  4 . 
Fische,      ungeheure,      vorschlucken 

ganze  Schiffe  4  96.  544. 
Florontia,  die  gute  von  Rom,  584,  2. 

Galatea  und  Polypbem  77  ff. 
Gartenbeschreibungen  542,  4. 
Gatlenwahl  48  ff. 

Genitiv  bczeichnetdieZcildauer462, 2. 
Gerechtigkeit  der  Barbaren  201  ff. 
Gespenster,     erzeugen     Krankheiten 
387.   4. 

Har|>al>kü  36. 

Iledylc  67,  2.  94. 

Hegesias  54  8. 

Hekataeus  v.  Abdera  208  ff. 


Bukolen  in  Unt«rägypten  454,  4. 
Butas  96. 
Byblis  95,  4. 


Ciris  98. 

Clementinische  Homilien  und  Recog- 

nitt.  444.  208,  5.  264.  476,   4. 
Constantinus  Manasses  588. 
Cyniker,    politische    Theorien    242; 

humoristische  Schriftstellerei  249. 


Dio  Chrysostorous  280,  8.  298.  508,  8. 

509  f. 
Diodor  V  49  f.:  245  f. 
Dionysius  Corinthius,  AiTta  90. 
opafxa  354,   4.  450,  2.  545. 

Erdumsegelungen  259,  4. 

Eros,  Rache  an  Spröden  4  47  f. ;  Pfeil- 

schuss  449,   4. 
^T/TjfiaTiOfi.iNai  UTTO&iaet;  484,  4. 
Euclides,  ipmzi%6i  56,  8.  70,  2. 
Eudoxus  Rbodius  268,  8. 
Euhemerus  220  ff. 
Euphorien  28,  4.  26,  8.  86,  5.  90. 

98,  2.   428.   484,  8.  506,  2. 
Euripides,  Liebestragoedien  34  ff. 
Eustathius  Macrembolita  522  ff. 

Frauen,  griechische,  ihre  Stellang  in 
hellenistischer  Zeit  60  ff.';  io  der 
Kaiserzeit  854  ff.;  vgl.  146,  2. 
424,   4.  479,   4. 

Glaucus  u.  Scylla  42,  5. 

Gorgo  84. 

Götter,    ihre  Liel>esabenteuer  4  07  f. 

(Grammatik,  im  Dienste  der  Rhetorik 

326  f. 
Guarini,    Paslor   fldo  48,  8.    444,  4. 
Guschtasp  und  Katayün  46. 

Heliodor   424    ff.    443,    2.    488.   489. 

825,  2. 
Heliodoms  ir.  (iuortx-^c  ^^X^^  448,  2. 
Herakles,  erotische  Abenteuer  105,  8. 


—     549     — 


Hermesianax  74—82.  88,  4. 
Hero  und  Leander  438  fT. 
Uerodes  Atticos  t98,  5.  815. 
Uerodianus,  Romandichter  847,  4. 
Herzog  Ernst,    Reiseabenteuer   482. 
Hesiod.  4  42,  2.  yLvzdkofo^  '^\J'^nl%o»^^^^. 
Hesychios  Illustrius  475,  4. 
Hippe  89,  2. 

Jägerjangfrauen,  mythische  4  48. 
Jamblichus,     Romandichter    864    ff. 

458,  4.  482.  489. 
Jaroblicb.  ViU  Pyth.  253,  2. 
Jambalus  224  ff. 

Kadmus  von  Milet,  Erotikcr  847,  4. 

Kallimachoa  22  f.  65,  9.  66,  3.  67,  4. 
4  36.  —  AtTta  84  ff.  —  Helcaie  88. 
506,  2.  —  Aufenthalt  in  Athen  99,  3. 

Kallimachos  and  Chrysorrhoe,  mittcl- 
grlech.  Gedicht  535,  4. 

Kamrup,  Abenteuer  des  50. 

Kanake  und  Makareus  4  04,  2. 

Kapiton,   Epiker;   'Epairtxa  431,   4. 

Kaufmannsberichtc  über  fremde  Län- 
der 9i9,  4. 

Kepbalus  und  Prokris  44,  8.  404,  3. 

Kimmerier  260,  3. 

Kinyras  und  Myrrba  4  04,  4. 

Kissos  und  Kalamos  4  58,  2. 

Laertius    Diogenes,    Biographie    des 

Bion  Borysth.  250. 
Laodaroia  38,  5.  4  05,  4. 
Legende  24  f. 
Lesbonax  344,  8. 
Longos  498  ff. 

Hftrchen.  Beitrage  zur  vergleichen- 
den Märchen-  und  Sagenkunde: 
32,  4.  46  ff.  58.  82,  3.  425  f. 
434,  4.  439.  459.  473,  2.  480  ff. 
*204,  3.  264.  264,  4.  266,  4.  270,  4. 
355,  4.  367.  370.  4.  378,  3.  444,  4. 
420,  4.  424,  2.  484,  4.  529,  4. 
534,  2. 

Makelio  506,  2. 

MaxpefxßoXiiTjC  524,   4. 


Hippodamia  und  Pelops  4  04,  4. 
Hir  und  Ranjhan  4  37..  2. 
Historiker,    sammeln   erotische    Le- 
genden 38  ff.  4  4  3. 
Höllenfahrten,  poetische  260,  4. 
Hyacinthus  94,  4. 
Hylas  4  05.  8. 
Otco^^ocu  rhetorische  295,  2. 

Improvisationen  808  f. 
Indische  Reiseromane  4  78  ff. 
Iphis  und  Anaxarete  80. 
Irenaeus,  Atticist  327. 
Jungbrunnen  207,  4. 

Klearch,  r..  Ipwio;  57  ff. 

Komaetbo  94,  4. 

xa}{jLipo(a,  in  weitcrem  Sinne  251,  2« 
352. 

Komoedie,  parodirt  erotische  Tra- 
goedien  59,  4  ,  parodirt  erot.  Be- 
trachtungen der  Philosophen  56,  3. 
Sentimentalität  der  neuen  Kom.  64. 
Preis  des  Landlebens  in  der  Kom. 
505,  4. 

Konchlakonchlas  249. 

Kosmopolitismus  der  hellenistischen 
Griechen  46. 

Krokos  und  Smilax  4  25. 

Ktesias  39.  493. 

Lucian  345,  2.  —  Vera  Uistoria 
490  ff.  227.  258.  269.  Nccyom.  264. 
Nigrinus297.  irpoXaXiaC 309.2.  Philo- 
soph. Standpunkt  494,  4.  Vorlesun- 
gen seiner  Schriften  305. 

Lyriker,  erot.  Sagen  bei  ihnen  4  42,  2. 

mandragora  230,  4. 
Marcellus,  AiOioTitxd  24  7,  4. 
MedeaundAchill  4  03,3,  unii  Jason  4  04f. 
[UfoKo'^'jyii  34  8,  4. 
Megasthenes  478,  4.  4  93. 
Melesermus  343.  508,  4. 
Menalkas  und  Euippe  78,  4. 
Menippus  Cynicus  249. 
Metamorphosen   94  ff. ;    in  den  Fea»- 
irovtxd  844,  2. 


—     550 


Milaoion  448. 
Mimnermus  72. 
Moero  'Apa(  90,  I. 

Narcissus  M2,  2.  124,  2. 

Naiionalstolz  der  spaten  Griechen 
297  f.,   400.   458.   491. 

Natur  trauert  mit  den  Menschen  I8d. 

Natursinn,  moderner  und  spätgrie- 
chischer 504  (T. 

Nereiden  498. 

Nestor  von  Laranda  180.  844,  2. 

Nicaenetus  88. 

Odyssee,  Märchen  in  derselben  178,  2. 

Odysseus,  erotische  Abenteuer  104. 

Oenone  109  ff. 

Ocpiox^Noi  220. 

Ovid.  124  ff.  —  Fast.  86,  2.  —  Me- 

Uaf/aXoi  des  Euhemerus  223,  1. 
Pantiiea  180,  1.  848. 
Paniomimus,  erot.  Inhalts  87  f. 
Paradoxographen  177.  482,  1. 
Parlhenius,  Metamorphosen  93  ff. 
Parthenius    t:.    iporzi%ms    iza^Tiy^dxm'^ 

118  ff. 
Pausanias;  erol.  Legenden  bei  P.  48. 
Penthcsilea  108,  2. 
Pcrdiccas  54,  1. 

Phaedra81.  34.  35.  36,  6.  101,  5.  459. 
Phanokles  83  f.,  128. 
Phila  271,  1. 
Philetas  78  f.,  97,  2. 
Philippus  von  Amphipolis  846,  3. 
Philippus  philosophus  448,  8. 
Philtis  268,  2. 
Phlegon  (mlrab.  1)  891,  2. 
Phlegyer  507. 
Philosophen,  rept  IpcüTo«  56  ;  am  Pto- 

lemäerhofe  208,  4.    Rhelorisirendo 

Philos.  321   f. 

Quintus  Smyrnncus  110,  5.  129. 

Rauber  »edle«  357,  1. 
Rücilationen  in  Gricchcniand  304,  1. 

353,   1. 
Reposianus  [anlhul.  Iat.253  Rs.)  108, 1. 


Mond,  Einflussauf  Wachsihum22B,  4. 

Reisen  auf  den  Mond  268,  2. 
Musaeus  488  ff.     Lebenszeit  472. 

Nicander    92.    93,    1.    105,    3.    125. 

127,  1.  (06,  2. 
Nicetas  Eugenianus  531  ff. 
Nicoslratus  326,  1.  352,  1.  508,   5. 
Nilüberschwemmung,  antike  Theorien 

darüber  456,  2. 
Nonnus  36,  5.  94,   1.  181  ff.,   474,  2. 
Novelle  6. 
Nyctimene  101,  6. 
Nymphensagen,  erotische  109,  1. 

tamorph.    91,    1.  124    ff.    127,    1 

(Quellen)  129.  —  Heroid.    110,  4. 

129  f.    (Quellen).  —   Heroid.    4  7. 
18:   135  f. 

Phyllis  und  Demophoon  (oder  Aka- 
mas  37,  3)   37,  3.   429.   474. 

Plato,  Atlantis  197  ff. 

Ps.  Plutarch  paral.  min.  44,  8. 

Plutarcb  (de  fac.  in  o.  I.  26  ff.)  214  f. 

Polemo,  Sophist  315. 

Polyxeua  103,  3. 

Porphyrius.  Quellen  seiner  Vita  Py- 
thagorae  254  ff. 

Potamo  342. 

Procopius  von  Gaza  472,  2.  473,  2. 
475. 

Ptolemaeus  Hepbaestioot»  &\.  ^^ir^z 
350,  1. 

Puls  als  Verräther  der  Liebeskrank- 
heit 53,  2. 

Pyramus  und  Thisbe  143,  2. 

Pythagoreer  in  Alexandria  67,  1. 
257,  1.  üeber  Tyche:  282,  2. 
Neopythagorcer  257  ff. 

Pylheas  176. 


Riesen  der  Vorzeil  205,  2. 
Ritterromanc,  mittelgriechiscbe  534  f. 
Römische   Dichter,.  Nachahmer   der 
hellenistischen  Poeten  122  ff. 


—     551     — 


Sallustius  TTepl  Oecüv  %ai  xöofxov)  464. 

Schlangeaesder  249  f. 

SchlarafTenlaml  496. 

Schweben  der  Heiligen  4  80. 

Selbstmord  der  Wittwe  44  4,  4,   der 
Alten  und  Kranken  230,  1.  545. 

Sibylle  Hn  Mond  269,  4. 

Silen  und  Midas  204  f. 

Siodbads  Reisen  479  ff. 

Simmias  von  Rbodus,  FopftCi  84,  4. 
Mf^vc;  90,   4.     'AiröXXiov  75,  3. 

Simylus  96  f. 

Skeptiker,  ältere  208  f.,  24  8  f. 

Soaerous  363,  4. 

Sophistik.  Name  oocpiaT/^;  293,  2. 
Kaiserliche  Gunst  294.  Ruhm- 
begierde 293.  Lehramt  der  So- 
phisten 295.  Uebung  des  Gedöcht- 
nisses  296.  OefTentliche  Lehrstühle 
304  ff.'  Gerichtsreden  303.  Oeffent- 
liches  Auftreten   305  ff.     Kleidung 

Tanais-mündungen  259,  3. 

Tarpeja  82,  8.  97,  4. 

Teichinen  507. 

Thebe  4  44. 

Theocrit  22.  80.  83,  3. 

Theodoms  Prodromus  527  ff. 

Theophrast,    Uebcr  die  Ehe   69,   2. 

KaXXiaOlvtj«  279. 
Tlieopomp  MepoTrU  493  f.,  204  ff. 

Ulpian  von  Emesa  467. 

Versehen  der  Schwangeren  447,  4. 

WaldmUnner,  gefangene,  zum  Weis- 
sagen gezwungen  204,  3. 
Wanderungen  der  Göller  506  ff. 

Xenophon  von  Antiochia  346. 
—  von  Cypern  346. 

Zaimoxis  266,  8. 
Zariadres  45  ff.,  543. 


307.  Improvisationen  808  ff.  Bei- 
faürufeD84  4.  Vortragsweise  342  ff. 
Publicum  344.  Eitelkeit  346.  Eifer- 
süchteleien 84  7.  Pasquille  347,  2. 
Streit  mit  den  Philosophen  320,  2. 
Stoffe  ihrer  Reden  328.  Nachahmung 
der  Alten  324  ff.  Sprachliche  Stu- 
dien 826  ff.  Verbindung  mit  Gram- 
matikern 328.  Poetische  Bestre- 
bungen 332  ff.  Schulthemen  837  ff. 
Erotische  Themen  338  ff.  Erotische 
Briefe  344  ff.  Erotische  Erzählun- 
gen 344  f.  —  Perioden  der  Sophi- 
stik 358  ff. 

Sosicrates  Phanagorita  83. 

Soterichus  4  30. 

Stesichorus  28  f. 

Stoiker,  politische  Theorien  240  ff. 

OToi)^crov  und  7pd)jLfiLa  287. 

Suidas  859,  4.  364,  4.  375,  4.   401,  4. 
470  f. 

d^oei;,  rhetorische  295,  2. 

Timokles  249. 

Tragödien,  erotische  30  ff. 

Traumgeliebte  49  f. 

Triumphus  Cupidinis,  Gedicht  4  08,  4. 

544. 
Tryphiodor  4  30. 
Tyche  276— 282.  378,4.436,2.  475,2. 

477,  8.  493,  2. 

Uttara-kuru  247  f. 


Weiberherrschaft  in   Iberien  265,  2. 
Wunschkraft,  zauberhafte  270,  4. 

Xenophon  von  Ephesus  884  ff.,  442  f., 
458.   482. 
—  von  Lampsacus  24  4,  3.  346,  4. 

Zonaeus  343,  4. 


—     552     — 


EinifT®  kritische  uid  exegretisch  behandelte  Stelleu. 


Achill.  Tal.  V  25,  8:   473,   4. 

—  — -    p.    66,  10;    444,  4    (ed. 
Hercher} :  484. 

Anton.  Diogen.  p.  237,  88  'Hercher) : 

272,  4. 

Callimach.  fragm.  4  09:  99,  8. 

—  fragm.  834 :  87,  2. 

—  fragro.  505:  474. 

Chariton  p.  46,  20   Hercher):  497,  3. 

Diodor.'Sicul.  U  57:  230,  4. 

Fulgentius  mythol.  HI  6:  345,  4. 

Jamblich.  Babylon,   p.  229,  5  (Her- 
cher) :  875,  2. 
Jamblich,  zepl  rpoöoou  toO  ßaßuX.  ^a- 

Klearch  bei  AthenaeusXV  c.  9. 4  0 :  59. 

Laeri.  Diog.  IX  61:  210,  1. 
Longos  I  13,  G:   157,  2. 

—  p.  243,  19;   2S5,   7.   202,  4   (e<l. 
Hercher):  520,  1. 

Nicander  bei   Schol.   Ovid.  Ib.   473: 
506,  2. 

Ovid  heroid.  XVIII:   135,  2. 

Parlhenius  fragm.  32  (.Mein.):  95,  1. 
Pholius  bibl.  cod.  213:   177,   1. 
Plinius  n.  h.  VU  §  27:  219,   1. 
Plularch.  amator.  20:  81,  2. 

—  non  posse  suav.   vi  vi  sec.   Ep. 
10:   143,  2. 

Pollux  onom.  IX  127:   162,  3. 
Porphyrius  Vita  Pythag.  §  10:  262,  4. 

8chol.  Lucian.  ver.  bist.  II  13:  195. 
Suidas  s.  KöI%(ao;:  347,  1. 

Theodor.  Prise.  Her.  medicar.  II  1 1: 

Xenoph.  Ephes.  III  12,  i:  394,  4. 
■—  —        V  1,   7:   385,   3. 


Hist.  Apollon.  Tyrii  p.  20,  7  (Riese) 

409,  2. 
Hist.  Apollon.  Tyrii  p.  32,  23:  A4  5,  1 
Argument.  Theocrit.  id.  IX:  78,  4. 
[Aristot.]  mirab.  ausc.  84:^4  6. 

Chariton  p.  96,   46:   492,   n. 

—  p.   434,  28.  29:   488,   4. 

—  p.  435,   45:   497,    4. 


Diodor.  Sicul.  V  20:  24  6. 

Hvo;  *ApdTOu  p.  58  Westerm. :    4  00. 

oiX.  p.   49,  22;    50,  7.   44.  27   (ed. 
Hinck;:  379. 
Jamblich.  Vita  Pythag.  §  267 :  263,  2. 


Longus  p.   245,   23:   519,  2. 
Lucian  hist.  cscr.  35:  54,   1. 

—  ver.    hisl.    I    3:   192,    2;    II    5: 

105;   II   12:    193  f. 

Nonnus  Dionys.  XVIII  35  IT.:  500,  2. 


Porphyrius  Vita. Pythag.  §  35:  462.  2. 
Probus  zu  Virg.  ed.   VI  31 :  249. 
Procop.  Gaz.  epist.  86 :  474. 

—  —        —     161:  462.   2. 

Properl.  II  9,  9—18:   103,   1. 

—     V  4,  71.  72:   158. 
Pseudocallisth.  II  33:   157,  2. 

Suidas  s.  KcxlXtoc:  326,   2. 


225,   1.  347,   1. 

Xenoph.  Ephes.  p.  355,  i»  (Hercher) 
465,  1. 


II 


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