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THE ELMER BELT LIBRARY OF VINCIANA
A gift to the Library of the University of California,
Los Angeles, from Elmer Belt, M.D., 1961
THE LIBRARY
OF
THE UNIVERSITY
OF CALIFORNIA
LOS ANGELES
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\ i
CHLEDOWSKI / DER HOF VON FERRARA
ISABELLA D'ESTE
BILDNIS VON TIZIAN. WIEN, GALERIE
AUTORISIERTE UBERTRAGUNG
VON ROSA SCHAPIRE
FttNFTES BIS SIEBENTES TAUSEND
COPYRIGHT 1921 BY GEORG MtTLLER VERLAG A.-G., MCNCHEN
ATI
Library
97f ■ ■
INHALTSVERZEICHNIS
I. Land und Leute i
II. Niccolo III 19
III. Lionello 38
IV. Borso 52
V. Ercole 1 70
VI. Matteo Maria Bojardo no
VII. Das junge Ferrara .. .. : 133
VIII. Lucrezia Borgia 158
IX. Ariosto 206
X. Renata di Francia 240
XI. Alfonso II 310
XII. Torquato Tasso 336
XIII. Finis Ferrariae 393
XIV. Hofisches Leben 407
XV. Die Kunst wird weltlich 475
Literaturnachweis 527
Register 535
Verzeichnis der Abbildungen 543
Stammtafel der Este am SchluB
- •<
Dieses Werk wurde im Auftrag des Verlages Georg Miiller
in Munchen bei Manicke und Jahn in Rudolstadt im
Jahre 1921 gedruckt. Titelrahmen von Eugen Staib. Den
Einband besorgte die Buchbinderei Hiibel und Denck
in Leipzig nach Entwiirfen von Professor Peter Halm
FRANCESCO COSSA: ALLEGORIE DES HERBSTES
BERLIN, KAISER-FRIEDRICH-MUSEUM
ERSTES KAPITEL
LAND UND LEUTE
i
Is bescheidener FluB kommt der Po nach Pavia, aber
nachdem er sich dort am Tessin gesattigt, durch die
zahlreichen Zufliisse aus Alpen und Apenninen ver-
groBert, Adda und Trebbia in der Gegend von Pia-
cenza und Cremona verschlungen, wird er zum Herrn
der ganzen lombardischen Ebene, er verleiht ihr ein be-
sonderes Geprage, gestaltet sie zum ungeheuren Facher, zu einem
Stuck fruchtbaren Landes, dem er neueKrafte aus den Bergen zutragt.
Mailand, Brescia, Verona, Padua und Venedig auf der einen,
Piacenza, Parma, Modena, Bologna und Ravenna auf der anderen
Seite sind die Edelsteine, die diesen Facher doppelt einfassen. In
der Mitte strahlen noch zwei Brillanten besonderer Art: Mantua
und Ferrara. Reist man im Friihling durch diese Ebene, so hat
man das eintonige Bild eines fast uberschwemmten Landes. Uberall
Wasser; aus den Siimpfen steigen kahle Erlen auf; auf den mit
Axt und Schere zurechtgestutzten, zwergartigen Stammen sitzen
seltsame Medusenhaupter, dazwischen stehen schlanke, bis auf die
Krone beschnittene Pappeln — Wandervogeln auf ihrer Reise gen
Norden eine beliebte Rast. Vertrocknete Weinranken, die sich
traurig an Baumen festgeklammert, oder starrende Stengel von
blassem Mais verstarken den Eindruck der Verwahrlosung und Ode
an diesen verschlammten Teichen. Aber iippige, gelbe Blumen
und lachelnde Pfirsichbaume im Bliitenschmuck verraten, daB das
Wasser des gesegneten Po nur voriibergehend die Gegend iiber-
schwemmt, daB eine reiche Reis- und Weizenernte bevorsteht,
2 ERSTES KAPITEL
daB uort, wo heute trages Wasser steht, im Herbst ein Quell
purpurnen Weines flieBen wird. In der Sonne liegt die Zukunft, im
strahlenden Himmel, der der Landschaft einen heiteren, hoffnungs-
freudigen Zug gibt, trotz aller Einsamkeit und Verwahrlosung.
Schon im nachsten Monat, im Mai, hat die Sonne iiber das
Wasser gesiegt; in der Luft feuchte, dufterfiillte Diinste, und das
Summen der Insekten klingt wie ein leises Spiel. Die Atmosphare
zittert unter den Strahlen eines wechselnden Lichtes, das die feuchte,
schwiile Luft durchdringt.
Vielleicht ist die Landschaft im Herbst am schonsten: das
Wasser ist in das FluBbett des Po und in die Kanale, die die ganze
Ebene durchschneiden, zuriickgetreten; warme, gelbe und blutig-
braunliche Farben decken das Gelande, zwischen Himmel und Erde
hangt ein ruhiges, rdtliches Licht. Nach der Arbeit ruht die Natur,
lebt der Kontemplation. Von Baum zu Baum ranken sich Wein-
reben, dazwischen stehen Menschen in bunten Kleidern und weiBen
Strohhiiten, und ein melancholischer Esel rupft trockene Krauterr
ohne seiner Umgebung zu achten. Hier und da liegen auf den
Ackern prachtvolle Melonen von seltsamen Formen, und schon
wirft der von vier oder sechs Ochsen gezogene Pflug die zur winter-
lichen Aussaat bestimmten fetten, schwarzen Schollen auf. Auf den
flachen Dachern der gemauerten, rot oder blau gestrichenen Hauser
hangen lange Maiskranze, um in der Sonne zu reifen. Auf den
Kanalen gleiten schwere Barken, mit Korben voll Weintrauben be-
laden, langsam treiben sie nach dem Po, den Lebensnerv des Landes.
Ackerland ohne Industrie; erst in der Gegend von Bologna,
Ravenna und Ferrara, dem Meere nahe, ragen Fabrikschlote.
Anders hat die Po-Ebene im XV. und XVI. Jahrhundert aus-
gesehen, sie war dicht bewaldet und reich an Wild. Im Dickicht
bargen sich Hirsche, Rehe und Hasen, im Gebusch Rebhuhner und
Fasane, Wildschweine verheerten die Gegend, und Fuchs und Bar
waren nicht selten. Ein wirklicher Schmuck der Felder waren
wilde Pfauen. Benvenuto Cellini erzahlt, daB er im Jahre 1540,
krank und angegriffen, iiber Felder in der Nahe der Estensischen
Palaste ging. Meilenweit kahle Strecken, dort nisteten wilde
Pfauen. Der Kiinstler lud seine Flinte mit Pulver, das nur wenig
LAND UND LEUTE 3
Larm machte, lauerte den jungen Vogeln auf und brachte taglich ein
Tier in die Kiiche. Er versichert, daB das Pfauenfleisch ausgezeichnet
geschmeckt und ihn von all seinen Schmerzen schnell befreit habe.
Damals, im Beginn des XVI. Jahrhunderts, konnte man
Italien noch nicht das Land nennen, wo „im dunkeln Laub die
Goldorangen gliihen", denn die siiBe Orange (Citrus aurantium
dulcis) wurde erst zu Anfang des XVI. Jahrhunderts aus Spanien
nach Italien eingefiihrt. Das Klima der Po-Ebene war ziemlich
rauh, haufig fror der FluB im Winter zu, und uber Schneestiirme
in den Stadten berichten die Chronisten nicht eben selten.
Es gibt eine Art von Fischadlern mit Raubtieraugen (Aquila
heliaca), die ihre Nahrung uber dem Wasser suchen und in alten
Baumen nisten. Rittergeschlechter, die diesen Adlern gleichen,
hatten sich damals in dem gesegneten Lande angesiedelt und un-
geheure Nester gebaut; Schldsser, mit Graben von faulendem
Wasser umstanden, wurzelten tief im Boden. Nahrungsmittel gab
es im UberfluB, denn damals, als man nur wenig Getreide aus
fernen Landern einfiihrte, als Amerika noch nicht Europas Ge-
treidemarktwar, war die Po-Ebene Italiens unerschopflicher Speicher,
und die kraftige und umsichtige Bevolkerung ein zuverlassiges
Arbeitskapital. Ein tiichtiges Volk, dem der geniale Zug nicht
fehlte; eine nicht geringe Anzahl bedeutender Manner stammt aus
der Po-Ebene. Das Menschenmaterial neigt dort nach Carduccis
Wort zum Uberschaumen.
Das groBte Nest der Adlerritter am unteren Po war im XV.
und XVI. Jahrhundert Ferrara, an jenem Punkte gelegen, wo der
FluB anfangt sich in zahlreiche Arme zu spalten und ein morastiges
Delta zu bilden. Die Gonzaga siedelten sich uber dem Minciosee
in Mantua an, die kleineren Geschlechter der Pio, Pico, Palla-
vicini, Correggio verschanzten sich hinter SchloBmauern in Carpi,
Mirandola, Corte Maggiore und Correggio, andere zogen bis auf
den Apennin, wie die Bojardo in Scandiano.
Wie iiberall in der Po-Ebene kampften auch in Ferrara lange
Zeit die freien Gemeinden mit den ubermiitigen Rittergeschlechtern,
bis die Stadte unterlagen. Die Ferraresen, friedfertig wie jede
ackerbautreibende Bevolkerung, wenig im Kampfe geiibt, waren
4 ERSTES KAPITEL
nicht schwer zu besiegen. Frdsche wurden sie in Italien genannt,
da sie sich zwischen Kanalen und Siimpfen angesiedelt hatten; der
dem Ohr gelaufigste Klang war das Quaken der Frdsche, und als
besonderer Leckerbissen gait ein Froschragout.
Quanto e felice dun que il ferrarcie
U' canton d' ogn' intorno in mille tempre
Botter rane e ranocchi alle sue spese.
Die Ferraresen pflegten zu antworten, daB nicht allein ihre
Frosche gut seien, auch ihr Wein sei beruhmt, und Wurste und
Salami schmackhaft. Ubrigens fing man in den Lagunen, in Co-
macchio, Aale in groBer Zahl, die mariniert und nach ganz Italien
verschickt wurden. Als Eleonora von Aragon zu den Herren von
Rimini in freundschaftlichen Beziehungen stand, schickte sie ihnen
jahrlich an hundert eingemachte Aale und bekam ausgezeichnete
getrocknete Feigen als Gegengabe. Die durch den Aalfang erzielte
Einnahme floB wahrscheinlich urspriinglich der Gemeinde zu, spater
eigneten die Markgrafen sie sich an; sie war so bedeutend, daB
es allgemein hieB, wer nur fur ein Jahr von der Regierung das
Recht erlange, diesen begehrten Fisch zu fangen, werde zum reichen
Mann. Gegen Ende des XV. Jahrhunderts erzahlte man von einem
Bartolommeo di Orlando, der dies Recht fur kurze Zeit gepachtet
und 30 000 Dukaten verdient hatte. Im Po wurden auch Store
gefangen, und ihr zu Kaviar verarbeiteter Rogen war ein bedeuten-
der Handelsartikel. Ferner gehorten die Salzsiedereien zwischen
Comacchio und dem Stadtchen Adria zu den Schatzen des Landes.
Unter Ercole I. berichtet der venezianische Gesandte seiner Regie-
rung, daB der Herzog eine jahrliche Einnahme von 200000 Dukaten
aus seinen Salzwerken beziehe. Venedig hatte es noch nicht ver-
schmerzt, daB diese Lagunen an Ferrara gefallen waren, da diese
Stadt im Salzhandel ein nicht zu unterschatzender Rivale im Orient
geworden war. Uberhaupt hat Comacchio, ein heute verfallenes
Stadtchen, seine Epoche des Glanzes gehabt und sich in byzan-
tinischer Zeit sogar mit Venedig messen konnen. Aus diesen
Tagen des Glanzes stammt ein verfallener Dom und ein Campanile,
der fast Ruine ist.
LAND UND LEUTE 5
Beides brachte der Po dem Lande: Reichtum und Ungliick.
Auf dem Architrav eines der Domportale ist die Inschrift ein-
gegraben, gleichsam als Schmerzensschrei der Bevolkerung:
,,Ab aquis multis libera nos Domine"
Vor den groBen Uberschwemmungen schiitze uns, Herr.
Im Ferraresischen wurde Vieh geziichtet, es gab viel Wiesen-
land, und Pflanzen zum Farben der Wolle wurden angebaut; wie
in den iibrigen Hauptstadten des nordlichen und mittleren Italiens
gehorte das Verarbeiten der Wolle ,,1'arte della lana" zu den altesten
und den bedeutendsten Gewerbezweigen. Weben war die Haupt-
beschaftigung der Frauen, und auch in Ferrara war es der Ruhm
der Frau, das Haus zu hiiten und Wolle zu spinnen ,,domum mansit,
lanam fecit". Selbst nach England und Holland wurde Tuch ex-
portiert, und die Bevolkerung von Ferrara gait seit jeher als gewerbe-
treibend und fleiBig: Stecknadeln, Nadeln und Waffen wurden her-
gestellt, und im Gerben von Fellen hatte man es zu einer gewissen
Beriihmtheit gebracht.
II
Wenn Ferrara amHorizontauftaucht, so sieht manschon aus der
Feme ein groBes Gebaude, von vier breit ausladenden Turmen
flankiert, das sich iiber der Stadt erhebt und fast die ganze Ebene
beherrscht. Es ist das Kastell der Este, drohend und finster, in
seiner Bauart verwandt den Schlossern der Visconti und Sforza
in Mailand und Pavia, der Burg der Gonzaga in Mantua,
aber geschlossen, da nach einem einheitlichen Plan errichtet. Das
Gebaude tragt das Geprage der hier herrschenden despotischen
Regierung. Das Rathaus in Florenz und Siena oder der Palast
der Dogen zu Venedig offenbaren trotz ihrer Strenge die stadtische
Republik, die nicht durch eine Mauer-vom Volk geschieden war,
das SchloB zu Ferrara, das wie eine befestigte Burg von der Stadt
abgegrenzt ist, verkundet schon von weitem die rucksichtslose
Herrschaft des Schwertes. Das SchloB ist aus Backsteinen errichtet,
6 ERSTES KAPITEL
da das Land wenig Sandstein hergibt, umgeben von Graben mit
griinlich schimmelndem Wasser, das aus dem nahen Po stammt,
der die Gegend mit Fieberdiinsten schwangert. Unmittelbar iiber
die Oberflache des Wassers sehen winzige vergitterte Gefangnis-
fenster aus den Mauern; Schlangen und Ratten waren die alleinigen
Gefahrten der hier Eingekerkerten. Hoch iiber diesen Tranen-
lochern ragen die schonen breiten Fenster der Fiirstenzimmer,
dort wurden Feste und Gastmahler gefeiert und iiber den Kopfen
der Gefangenen getanzt.
Zugbriicken fiihrten friiher iiber die Graben, heute verbinden ge-
wohnliche Briicken die Stadt mit dem Sitz des Prafekten und den
Gerichtsgebauden. Auch die Schutzmauer, die die Graben einfaBt,
existierte friiher noch nicht; jetzt sitzen dort friedlich angelnde
Ferraresen iiber dem stehenden Wasser. Noch im Jahre 1506
waren diese fehlenden Mauern der AnlaB eines groBen Ungliicks. Im
eisernen Kafig hing ein Gefangener an der AuBenmauer des Kastells;
als die Signora Turchi Sacrati mit vier Donzellen vorbsifuhr, fesselte
dieser seltsame Anblick den Kutscher so sehr, daB er mit Pferd
und Wagen in den SchloBgraben hineinfuhr — ein Teil der Ge-
sellschaft kam dabei urns Leben.
Die Kastellmauern sehen heute weniger finster aus als gegen
Ende des XV. Jahrhunderts, als sie nach den Planen eines bekannten
Architekten, Bartolino da Novara (1385), errichtet wurden. Die
vordringende Renaissance hat ihnen ihre Strenge genommen,
zweimal wurden groBere Veranderungen vorgenommen, einmal
nach der Feuersbrunst im Jahre 1554, dann nach dem Erdbeben
von 1570. Namentlich der letzte Architekt, Alberto Schiatti, hat
die alten Formen liebenswiirdiger gestaltet, die Basteien wurden
niedriger, und Fenster und Tiiren durch Renaissanceornamente ab-
gerundet. Damals verschwanden die prachtvollen Treppenstufen,
die ,,cordonata", auf denen die Este zu Pferde bis in den ersten
Stock des Schlosses gelangen konnten; selbst in die unterirdischen
Gelasse der Gefangenen drang seit 1592 ein Klang der AuBenwelt,
da man aus Flandern eine Uhr einfiihrte, die nach nordischer Art
jede Stunde mit Glockenmusik verkiindete; sie fand ihren Platz
auf dem SchloBturm ,,di Rigobollo". Trotz dieser Anderungen
LAND UND LEUTE 7
verlor das Schlofi nichts von seiner Wucht, es driickt in seltsamer
Weise das Wesen der Herzoge aus, denen es diente.
Dem alten SchloB der Este gegeniiber steht der Dom, eines
der eigenartigsten Gebaude Italiens. Namentlich die Fassade, an
der Jahrhunderte gearbeitet haben, hat etwas so Phantastisches und
gleichzeitig so Harmonisches mit ihren leichten lombardischen
Galerien, daB die mittelalterliche religiose Strenge angesichts dieser
Mauern zu schwinden scheint. Die Priester haben hier mehr von
christlicher Liebe und Mildtatigkeit gesprochen, als das Volk mit
den Qualen der Holle geschreckt. Kein Maler hatte gewagt, auf
diesem roten Marmor den Totentanz darzustellen, hier ware hoch-
stens fur eine Verkiindigung Platz gewesen. Heiterkeit spricht
aus dieser Fassade, namentlich wenn ihre rotlichen Tone in der
Sonne leuchten. Besonders reizvoll ist das Hauptportal. Die
Saulen ruhen nach romanischer Art auf zwei sitzenden Riesen,
denen als Sockel zwei groBe sanfte Lowen dienen, gleichsam
das Symbol des ruhigen, schweigenden und starken Volkes von
Ferrara.
Der Dom stammt aus dem Ende des XII. Jahrhunderts und
wurde schon 1135 dem heiligen Georg, dem Schutzpatron der Stadt,
geweiht. Ein Relief, das ihn im legendarischen Kampf mit dem
Drachen darstellt, zeigt, daB wir hier unter dem Zeichen jenes
Heiligen stehen, der gewissermaBen mit den Begriffen mittelalter-
lichen Rittertums verwachsen ist. II cavalier dei santi, il santo
dei cavalieri. tiber dem Portal in streng romanischem Stil er-
heben sich drei Arkaden, die schon spateres gotisches Geprage
tragen. In der Mittelnische verbirgt sich die Statue einer Ma-
donna, tiber den Arkaden ein breiter, skulpierter Fries mit
Szenen aus dem Jiingsten Gericht, dariiber ein dreieckiges Tympanon
mit dem segnenden Christus. Sehr interessant ist die Wand
rechts vom Hauptportal. Aus einem runden Medaillon taucht
die groBe Biiste einer schonen, weltlichen Frau auf, und dieses
ratselhafte Haupt hat keinen eigentlichen Zusammenhang mit
der Heiligkeit der Mauern. Die gedruckten Fiihrer nennen sie
die Madonna von Ferrara und halten sie fur die Personi-
fikation der Stadt. Dieser Einfall ist jedoch am griinen Tisch
g ERSTES KAPITEL
ersonnen, das Volk kennt die Bezeichnung Madonna von Ferrara
nicht, und wen der Kopf darstellt, ist unbekannt.
Der Dom hatte fiinf Portale von symbolischer Bedeutung.
Durch das Hauptportal trat Christus ein, urn seine Lammer zu
weiden, gemaB den Worten, daB er das Himmelstor fur seine Herde
sei. Die kleineren Seitentiiren waren fiir das Volk bestimmt, die eine
fur die Manner, die andere fiir die Frauen. Durch die vierte Tur
,,delle guide" kamen die Pilger, die ins Heilige Land oder nach
anderen wunderbaren Orten wallfahrten wollten; das letzte Tor, die
,, porta del Giudico", hatte den traurigsten Zweck: die Toten wurden
von hier aus auf den Friedhof getragen. Im Innern gleicht das
Heiligtum den Kathedralen von Modena und Piacenza. Wie in
vielen anderen romanischen Domen beruht das Prinzip des Baues
von Ferrara auf dem agyptischen Dreieck; den Hauptarm bildet
die untere Breite des Gebaudes, die beiden kleineren Arme ver-
einigen sich vor dem Gewolbe des Heiligtums. Die Basis der geo-
metrischen Figur verhalt sich zu den zwei auf ihr ruhenden Armen
wie 8:5. Der Zweck dieses dreieckigen Verhaltnisses ist unbekannt,
vielleicht haben die auf diese Weise auseinandergezogenen Mauern
die Kraft des Gebaudes verstarkt, jedenfalls stiitzt es sich auf die
architektonische Tradition der Komasken.
Ferrara war eine Palast- und Gartenstadt, das ist noch heute
erkenntlich, aber die langen schnurgeraden StraBen machen einen
auBerordentlich melancholischen Eindruck, namentlich im neueren
Teil, der nach der Regierung Ercoles I. im Ende des XV. Jahr-
hunderts angelegt wurde. Zwischen den Pflastersteinen stehen
Grashalme; selten huscht eine verlorene menschliche Gestalt iiber
die StraBe, oder eine Katze, aufgescheucht durch die Schritte des
Fremden, verschwindet hinter dem Pfeiler des nachsten Hauses.
In den wenigsten StraBen standen ansehnliche Gebaude. Hinter
dem Palast stehen kleine Hauser, dahinter ragt das Gitter des stolzen
Parkes mit seinen weitausgreifenden alten Baumkronen, dann
kommt wieder ein Palast und wieder elende Mietshauser. Ferrara
ist die Stadt stolzer, reicher Geschlechter und einer armen Be-
volkerung. In jenen Palasten und Garten spielte sich einst ein
buntbewegtes Leben ab, am Abend Musik und Gesang, durch die
SE1TENP0RTAL DES DOMES ZU FERRARA
LAND UND LEUTE 9
langen Strafien drangte sich frohliches Volk; die Este sorgten
dafiir, daB auch der gemeine Mann seine Freude habe.
Onde stagione fu di gloria, e corse
Con il tuo fiume, o fetontea Ferrara
Ampio, seren, perpetuo, sonante 1' italo canto.
(Carducci.)
Weder so groB noch so gewaltig wie in Rom und Florenz
sind Ferraras Palaste, aber durch das schimmernde Griin der Garten
sind sie jenen iiberlegen. Der vorziiglich erhaltene ,, Palazzo dei
Diamanti", in dem die Gemaldegalerie untergebracht ist, gehort
zu den allerschonsten. Nach einem seltsamen Einfall Ercoles I.
wurde die marmorbekleidete Fassade nach Art geschliffener
Diamanten bearbeitet. Zwdlftausendsechshundert Marmorbldcke
wurden in diese „Diamant"-Wande eingelassen; dieser Stein war
Ercoles Wahrzeichen. Die geschlossene Harmonie dieser stolzen
Fassade wurde durch an sich gute, aber einen ganz anderen,
leichteren Charakter tragende Eckpilaster zerstort. Dagegen ist
der Hof des Palastes von groBem Reiz, beim Anblick der schlanken
Saulen, die sich vom frischen Griin abheben, vergiBt man den
Widerspruch der Fassade.
Ein gemeinsames kiinstlerisches Geprage eignet alien Palasten
in Ferrara: sie sind nicht so hoch aufstrebend wie in Rom, Genua
oder Siena und bestehen nur aus einem Parterre und ersten GeschoB;
harmonische Verhaltnisse, groBe Fenster, schone, strenge und reiz-
volle Hofe bilden ihren Schmuck. In seinen architektonischen Ver-
haltnissen steht dem ,, Palazzo dei Diamanti" am nachsten der
Palazzo Sacrati Prosperi mit schonen Ornamenten. Das Portal ist von
zwei korinthischen Saulen eingefaBt, auf denen ein Balkon ruht.
Es ist ein kostbares Werk der Renaissance von wundervoller Har-
monie und Freiheit in der Komposition. Ich erinnere mich keines
zweiten Tores in Italien, das ein so kostliches Dokument jener Zeit
ist. Der Palazzo Roverella, mit Terrakottapilastern und Friesen, ist
ein typisches Beispiel fur die Hauser der reichen Geschlechter
Ferraras. Der Palazzo Naseli Crispi mit schdnem Hof zeichnet sich
gleichfalls durch Harmonie der Verhaltnisse aus; wahrend die
I0 ERSTES KAPITEL
sogenannte ,,Palazzina", ein niedriges Gebaude, das letzte, das die
Este in Ferrara errichteten, in trostlos verfallenem Zustand ist.
Der Palazzo Bentivoglio dagegen ist schon der Typus des Barock-
hauses; aus der Renaissance haben sich zwar die Hauptformen er-
halten, aber die schweren, iiberladenen Ornamente der Fassade
atmen anderen Geist.
Ill
Die Este waren ein strenges, kriegerisches, begabtes Geschlecht.
Manner, die sich im Krieg und Rat bewahrt und Italiens Ruhm
gemehrt haben, entstammen diesem Hause.
I capitani e i cavalier robusti
Quindi uscivan che col ferro e col senno
Ricuperar tutti gli onor vetusti
Dell' Arme invite alia sua Italia denno.
(Ariost.)
Ariosts Worte sind nicht iibertrieben. Markante Gestalten sind
aus diesem Geschlecht, das Ferrara drei Jahrhunderte beherrscht
hat, hervorgegangen, und wenn wir die sieben Fiirsten, in deren
Handen die Herrschaft im XV. und XVI. Jahrhundert gelegen hat,
an uns vorbeiziehen lassen, es sind in sich geschlossene Charak-
tere, Manner aus Stahl und Eisen. Die Este haben ihre ausge-
sprochene Eigenart, in der Politik geschickt und verschlagen, im
Kriege tapfer und kiihn; die Gabe zu herrschen eignet ihnen trotz
ihres unbeugsamen Despotismus in hohem MaBe, sie waren rach-
siichtig bis zur Grausamkeit, und ging es um Macht oder um ein
Weib, so kannte ihr Zorn keine Grenze. Nach damaliger Auf-
fassung religios, alien neuen Stromungen in Kunst und Literatur
zugangig, fanatische Verehrer von Musik und Gesang, liebten sie
Luxus, glanzende Feste, grandiose Empfange und waren leiden-
schaftliche Jager.
Nach den Schmeichlern entstammte das Geschlecht der Este
den Helden aus Karls des GroBen Kreis. Im XIV. Jahrhundert
LAND UND LEUTE H
erweiterten ihre Feinde die Uberlieferung dahin, daB ihr Stammvater
der Treubriichige aus Roncesvalles, Gano, der Verrater sei, der
Judas des Epos; nach dieser Tradition hatten sie urspriinglich im
Wappen nicht den Adler, sondern nur einen Falken gefiihrt. Das
Geschlecht entstammt dem Stadtchen Este.
Die Markgrafin Mathilde hatte Ferrara der romischen Kurie
verschrieben, aber da die Papste ihre unmittelbare Gewalt dort nicht
behaupten konnten, muBten sie das Land als Lehen vergeben.
Neben den Fiirsten von Savoyen gehorten die Este zu den altesten
Geschlechtern im Norden Italiens; ein Zweig der Familie hatte sich
in Ferrara niedergelassen, war zu groBer Macht gelangt und hatte
dort mit nur geringen Unterbrechungen schon seit dem Beginn des
XIII. Jahrhunderts geherrscht. Ihr Hof war seit undenklichen
Zeiten von den Sitten und Legenden der westlichen Ritterschaft
durchsetzt. Die Este gefielen sich in Turnieren und lebten in fran-
zosischen Traditionen. Da die Lombardei Frankreich so nahe
liegt und zahlreiche vornehme Geschlechter dort ihren Wohnsitz
haben, war franzosischer Sitte und dem Ritterroman seit jeher im
Norden eine Statte bereitet. Durch die Po-Ebene zogen die Kreuz-
ritter aus dem Westen ins Heilige Land, und ihre Erzahlungen
gingen von Mund zu Mund. Zu Beginn der Kreuzziige, als noch
heiBes Feuer in der Ritterschaft brannte, bildeten sie ihr Ideal
nach den Gestalten aus dem Kreise Karls des GroBen und dem
Rolandslied. Ihrer Stimmung entsprachen die heldenhaft-patrio-
tischen Kriege und Taten der Gefahrten des groBen Kaisers; aber
als das Feuer erlosch und ihre Sitten sanfter wurden, geschah ein
gleiches mit ihren Romanen, an Stelle der ehernen Paladine Karls
des GroBen traten Tristan und Lancelot, Konig Artus' Gefahrten,
und die Losung der Ritter ward Mut, verbunden mit hofischer Sitte,
der cortesia. Das Ziel ihrer Kampfe war nicht mehr Vernichtung
der Unglaubigen, eher Kampf zum Schutze einer geliebten oder
bedrangten Frau, nicht feindliche Heere beherrschten ihre Vor-
stellung, sondern Drachen, Riesen und Zauberer. Der neuen Sitte
und dem neuen Roman fehlte bereits der hohe Schwung der chanson
de geste. Der Helm wurde durch das Samtbarett verdrangt, und das
Turnier lockte mehr als der Krieg.
12 ERSTES KAPITEL
Dieser Umschwung der Ritterschaft vollzieht sich im XIII. Jahr-
hundert und wird in Norditalien so allgemein, daB er selbst in das
Volk dringt. Wahrend der Feste, die 1267 in Venedig anlaBlich der
Wahl des Dogen Lorenzo Tiepolo gefeiert wurden, huldigten alle
Handwerkerkorporationen dem neuen Machthaber. Die Barbiere,
die bekanntlich mit ihrer Zeit zu gehen wissen, hatten zwei Mit-
glieder ihrer Innung als irrende Ritter verkleidet, zu Pferde mit vier
Jungfrauen erschienen sie vor dem Dogen. Befragt erklarten sie,
daB sie diese Unschuldigen soeben aus den Handen der Unglaubigen
befreit hatten und bereit waren, ihre Ehre gegen jeden Verleumder
zu schiitzen.
Um jene Zeit erstarkte die Macht der Este, in der gesamten
Lombardei waren sie beruhmt. Als erste fiihrten sie die Trouba-
dours aus dem sudlichen Frankreich ein und interessierten sich fur
provenzalische Poesie, zur Zeit als in der Mark von Treviso —
Amorosa e gioiosa Marca Trevigiana — , dem Ziel der Troubadours,
diese Poesie noch ganz unbekannt war.
So war der kluge, schone und beredte Azzo VI. von Este (gest.
1212) ,,pulcher, formosus, sapiens, eloquens, animosus" im ersten
Jahrzehnt des XIII. Jahrhunderts bekannt als Verehrer proven-
zalischer Poesie. An seinen Hof kam der Troubadour Aimeric de
Peguilhan und besang die Reize seiner Tochter Beatrice, die er
die schonste Bliite ihrer Zeit nannte.
Na Beatrix d' Est, anc plus bella flor
De nostre tempo no trobei meillor;
Tan ez bona, cum plus lanzar vos voill,
Ades i trop plus de be qu' eu no soill.
Trotz all dieser weltlichen Vorziige ging Beatrice ins Kloster,
vielleicht aus ungliicklicher Liebe zu einem Troubadour. Sie griindete
das Kloster Johannes des Taufers in Padua und wurde nach ihrem
Tode heilig gesprochen. Die Herrschaft der Este steht von Anbeginn
an im Zeichen des Frauenkultus, der ritterlichen Tugenden von Konig
Artus und im Bilde des heiligen Georg, der die Jungfrau vom Dracheh
befreit hat. Der estensische Hof wird sehr bald zum Vorbild ritter-
licher Sitte, er ist der typische Renaissance-Hof im nordlichen Italien.
LAND UND LEUTE 13
Die dort herrschende Sprache war ein franzosbrter venezia-
nischer Dialekt, voll provenzalischer Ausdriicke und Wendungen,
die norditalienischen Ritter machten sich diese Ausdrucksweise zu
eigen. In der Bibliothek zu Mantua befindet sich ein auBerordent-
lich wichtiger Kodex; der provenzalische Canzoniere, eine Art
Anthologie der Troubadours aus dem Jahre 1254 ist in den Kreisen
der Romanisten bekannt. Nach der Tradition soil er von Ferrarino
da Ferrara angelegt sein, einem der letzten italienischen Trouba-
dours, der am Ende des XIII. Jahrhunderts lebte und der Verfasser
des beruhmten ,,Florilegio", einer Sammlung provenzalischer
lyrischer Gedichte ist. Ferrarino sang am Hofe Azzos VII. und
Obizzos II. ,,e fo giullar et intendez meill de trobar proensal che
fos en Lombardia".
Obizzo II. war der Enkel Azzos VII. und der gesetzmaBige
Begriinder der Dynastie der Este in Ferrara. Vor ihm herrschten
die Este zwar tatsachlich in Ferrara, aber erst Obizzo II. hat seine
Macht auf legalen Unterlagen begriindet. Am 17. Februar 1264
war der tote Azzo mit groBem Pomp in der Kirche von S. Francesco
best at "et worden; man beeilte sich mit der Wahl des neuen Marchese,
da nach altem Brauch die Ratsglocke das Volk und die ,,banditore"
berief und auf den StraBen verkiindete, daB man sich zur neuen
Wahl riiste, ehe der tote Herrscher begraben war.
Zum Vormund seines minder jahrigen Enkels, dessen Vater in
Siiditalien vergiftet worden war, hatte Azzo VII. Aldingheri de
Fontana ernannt, einen einfluBreichen Edlen und Freund der
Familie. Aldingheri tat auch sein moglichstes, damit Obizzo ge-
wahlt werde. Den Platz, auf dem abgestimmt werden sollte, lieB
er von Bewaffneten umstellen, Verdachtige und Manner mit Waffen
wurden nicht zugelassen. Der Vormund selbst sprach zu den Ver-
sammelten, pries die Vorziige der Este und beschwor die Ver-
sammelten, fur Obizzo zu stimmen, der, trotz seiner siebzehn Jahre,
schon ein Muster an Verstand und Umsicht sein sollte. Den An-
hangern des jungen Marchese wurden Vergiinstigungen versprochen,
seinen Gegnern mit Vernichtung gedroht. Das Volk fiigte sich der
Obermacht, wahlte den Jiingling zum Herrscher und iibertrug
ihm, nach Aussage der Chronisten, mehr Gewalt als sie selbst
14 ERSTES KAPITEL
Gott eignet, denn Gott kann keine Ungerechtigkeiten begehen,
der Marchese aber durfte alles tun, was ihm beliebte, Boses und
Gutes, ,, omnia possit, justa vel injusta pro suae arbitrio volun-
tatis".
Die Este standen in Ferrara an der Spitze der Guelfen und
galten als einer der Pfeiler der romischen Kurie, daher hatte der
Papst Urban II. nichts gegen die Wahl und bestatigte Obizzo als
seinen Statthalter in temporalibus. Obizzo nannte sich durch die
Gnade Gottes und der apostolischen Kurie ewiger Herr von Ferrara,
Gouverneur, Rektor und ,,generalis et perpetuus Dominus civitatis
Ferrariae", verpflichtete sich angesichts des Volkes, die stadtischen
Institutionen und Freiheiten zu schiitzen, und berief als Zeugen
dieses Vertrages die heilige Dreifaltigkeit, die Mutter Gottes und
den heiligen Georg, den Schutzheiligen der Stadt. Der Vertrag
wurde mit zwei Wachssiegeln versehen, mit dem Siegel der Stadt
in Gestalt des heiligen Georg und dem Siegel der Este mit dem
weiBen einkopfigen Adler. Das Ansehen von Obizzos Vormund
Aldingheri stieg jedoch im Laufe der Zeiten dermaBen, daB der
Marchese seine Macht und seinen Erfolg fiirchten muBte, ,,gloriam
et magnitudinem tolerare non potuit", so lieB er ihn auf die da-
mals iibliche Weise, durch Gift, beseitigen und verbannte einen
Teil seiner Familie aus dem Bereich des Landes. Einer der Al-
dingheri nahm seinen Wohnsitz in Florenz und war miitterlicher-
seits ein Vorfahre Dantes. Seinen Namen und Adel trug der groBe
Dichter. Die Herkunft des Dichters erklart auch, weshalb er die
Este leidenschaftlich haBte. Zu seinen personlichen kamen auch
noch politische Griinde; fur Dante gait der Kaiser als der Befreier
Italiens, wahrend die Este sich als Guelfen auf das Papsttum
stiitzten. Deshalb setzt Dante Obizzo in die Holle neben Ezzelino,
den Beherrscher der Mark Treviso und den groBten Tyrannen des
mittelalterlichen Italiens, und befiehlt dem Kentauren Nessus, auf
denjenigen von ihnen, der sich aus dem mit kochendem Blut ge-
fiillten Abgrund herauslehnen wurde, den Pfeil abzudriicken. Der
Dichter weiB keinen anderen Unterschied zwischen ihnen zu finden
als den, daB Ezzelino schwarze Locken habe, wahrend man Obizzo
an seinem blonden Haar erkennen konne.
LAND UND LEUTE 15
Obizzo hatte zwei Frauen, aber die Chronisten berichten
weniger von seinen Gattinnen als von seiner Geliebten, der schonen
von Dante besungenen Ghisolla. Dante verbannt Caccianimico
Venedico in die Holle, weil er die Frau durch List bewogen hat,
sich dem Marchese hinzugeben.
Die Art, wie die Papste die ferraresischen Herrscher mit ihrer
Wurde belehnt haben, wurde der AnlaB vieler blutiger Tragodien.
Rom hielt sich namlich nicht an den Erstgebornen unter den Sohnen
des verstorbenen Herrschers, betrachtete selbst die Nachfolge in
direkter Linie nicht als verbindlich, sondern bestatigte willkiirlich
je nach der momentanen Lage entweder den unehelichen Sohn
oder sogar die Briider des verstorbenen Herrschers. Deshalb
entbrannte nach dem Tode eines jeden Markgrafen in der Familie
der Kampf um die Herrschaft. Spater suchten die Este dem
zu entgehen, indem sie noch zu Lebzeiten ihrem geliebtesten
ehelichen oder unehelichen Sohn das papstliche Lehen sicherten.
Das erste Opfer dieses ungliicklichen Grundsatzes war Obizzo
selbst, da dem Vernehmen nach zwei seiner Sonne ihn im Bett
erwiirgt haben, weil er den jungsten dritten zum Nachfolger be-
stimmt hatte.
Diesen Kampfen um die Nachfolge verdanken wir es, dafl
Ferrara Ariost erzeugt hat. Als Obizzo III. (1294 — 1352) infolge
eines blutigen Streites mit seinen Briidern das Vaterland verlassen
mufite und in Bologna Schutz suchte, lernte er die schone Lippa
Ariosti, die Tochter einer dort ansassigen Patrizierfamilie, kennen.
Obizzo hatte ein Verhaltnis mit Lippa, das zwanzig Jahre dauerte;
elf Kinder, sieben Sonne und vier Tochter, entstammten diesem
Bund. Als er den Thron von Ferrara bestieg, heiratete er die Frau
und legitimierte seine Nachkommen. Die Po-Ebene war nicht
nur reich an Getreide und Wein, auch die dortigen Familien er-
freuten sich einer besonderen Fruchtbarkeit. Bei den Este erreichten
die ehelichen und unehelichen Nachkommen bisweilen die stattliche
Zahl von zweihundert, und einer der Wiirdentrager des Hofes
hatte es bis zu vierzig Sohnen gebracht. Noch mehr, der Arzt
Michele Savonarola versichert, daB Niccolo Pallavicini noch als
Hundertjahriger einen Sohn gezeugt hat.
16 ERSTES KAPITEL
An die schone Lippa aus Bologna erinnert Ariost stolz im
,, Roland", als er von den bertihmten und bedeutenden Frauen aus
dem Hause der Este spricht. Lippas Vetter, Niccolo Ariosti, lieB
sich in Ferfara nieder und ward zum Begriinder jener Linie der
Familie, aus der der Dichter stammt.
Schon diese ersten Este hatten einen Hang zu Luxus und Ver-
schwendung. Als Obizzo III. sich nach Venedig aufmachte, um mit
der Republik nach heifiem Kampf seinen Frieden zu schlieBen, lieB
er sich eine besondere mehrstockige Galeere erbauen, von der sein
Kammerherr Ser Dino eine Zeichnung gemacht hat. Die Galeere
war mit unerhorter Pracht ausgestattet, das kostbarste Material
wurde zu ihrer Ausschmuckung verwandt. Zu den beruhmten
Turnieren Ferraras kam die Ritterschaft aus dem gesamten ita-
lienischen Norden. An seinem Hofe unterhielt Obizzo den Narren
Gonella, den Franco Sacchetti in sieben Novellen verherrlicht hat.
Die Gutmiitigkeit des Marchese tritt in der einen zutage. Gonella
hatte sich etwaszu schulden kommen lassen, Obizzo befahl ihm,
Ferrara unverziiglich zu verlassen, sollte der Narr jedoch wagen,
noch einmal auf seinem Boden zu stehen, so wurde es ihn den
Kopf kosten. Gonella ging nach Bologna, kaufte einen Wagen,
lieB ihn mit bolognesischer Erde fiillen und kehrte so nach Ferrara
zuriick. Der Markgraf lachte und verzieh Gonella seine Schuld.
Der Luxus am Hofe gab AnlaB zu haufigen Unruhen, da die
Bevolkerung, durch Steuern und vielfache Abgaben bedrangt, den
finanziellen Druck nicht zu ertragen vermochte, um so weniger
als die Verwalter des Schatzes ,,Fattori generali" ihre Stelle miB-
brauchten, um sich zu bereichern. Unter Niccolo II., Obizzos III.
Sohn (1338 — 1388), den man ,,11 Zoppo" nannte, kam es zu starken
Unruhen. Am 3. Mai 1385 warf sich das Volk, das infolge der
Ubergriffe des Schatzmeisters Tommaso di Tortona zur Verzweiflung
gebracht war, auf das Haus, in dem die Steuerlisten aufgehoben
wurden, verbrannte sie und demolierte die Wohnung des verhaBten
Beamten. An der Spitze des Aufstandes stand der Notar Francesco
Montelino, der die Losung ausgegeben hatte: ,,Es lebe der Mark-
graf! Tod dem Verrater Tommaso." Aber Tommaso fliichtete
ins SchloB und versteckte sich dort. Niccolo II. versuchte die
PALAZZO DIAMANTI ZU FERRARA
TOR DES PALAZZO PROSPERI ZU FERRARA
LAND UND LEUTE
17
Menge, die gegen das Tor drangte, zu beruhigen; sein Bruder Alberto
ging sogar auf die StraBe, urn auf die Tumultuanten einzusprechen,
aber das Volk wollte nicht weichen und verlangte die Herausgabe
des Blutsaugers. Zufallig kam einer der Sohne des Marchese
herzu, der nicht wuBte, was hier vorging. Das Volk ergriff ihn
als Geifiel und bedrohte ihn mit dem Tode, falls der Marchese
Tommaso di Tortona nicht auslieferte. Niccolo II. hat den Giinst-
ling dem eignen Sohn geopfert, er lieferte seinen Schatzmeister
aus, den das Volk in Stiicke riB.
Dies war noch vor dem alten SchloB der Este geschehen,
vor dem heutigen Munizipalpalast, dem Dom gegeniiber. Dieses
SchloB war nicht genugend befestigt; nach der gemachten Er-
fahrung beschloB der Marchese ein Gebaude zu errichten, in dem er
der Menge trotzen konne. Auf diese Weise entstand das Kastell.
Am Tage des heiligen Michael 1385 legte der Bruder des Marchese,
Alberto d'Este, den Grundstein, und man baute so rasch, daB das
SchloB innerhalb 16 Monaten fertig war. Das Geld fur den Bau,
25000 Dukaten, hatte Niccolo bei seinem Nachbar, Francesco I.
Gonzaga, aus Mantua, entliehen, und da er seine Schuld nicht zu
bezahlen vermochte, wurden die Abgaben noch unertraglicher als
jene waren, die das Volk unter Tommaso di Tortona zu leisten hatte.
Einen Platz, unmittelbar vor den Mauern Ferraras, hatte der
Marchese fur das Kastell gewahlt, damit im Falle der Not die Be-
wohner der Festung aus der Stadt fliichten konnten. Dem SchloB
wurden spater groBartige Garten angebaut, die sich bis zum Po
hinzogen.
Niccolos Nachfolger war Alberto d'Este (1388 — 1393); er stand
hart an der Grenze zwischen Barbarei und Kultur und war aus
lauter Widerspruchen zusammengesetzt. Diesem Markgrafen hat
das Kastell noch bessere Dienste als seinem Vorganger geleistet.
Als der Tyrann, nachdem er einen Teil seiner Familie hatte
ermorden lassen, zur Herrschaft gelangt war, lieB er seinen
Neffen Obizzo Aldobrandino und dessen Mutter kopfen, unter dem
Vorwand, daB sie eine Verschworung gegen ihn angestiftet hatten.
Giovanni von Brescia, der im Einverstandnis war, lieB er von Pferden
durch die StraBen schleifen und dann aufkniipfen, dessen Gattin,
j$ ERSTES KAPITEL
Costanza di Quintavalli, sowie seinen eignen Bruder, den Bastard
Alberto, der Abwechslung halber auf dem Scheiterhaufen ver-
brennen. Die iibrigen Verschworenen wurden mit gliihenden Zangen
gezwickt und auBerhalb der Stadt, um des abschreckenden Beispiels
willen, aufgehangt.
Alberto d'Este heiratete im Jahre 1388 aus Liebe Giovanna
de Roberti, die Tochter Cabrianos, seines Kammerdieners, doch
war er ihr nicht lange treu, da er sich bald darauf in ihre Mutter,
Margherita dal Sale, verliebte; sie gait als die schonste Frau ihrer
Zeit und hatte sich aus HaB gegen ihre Tochter dem Schwieger-
sohn hingegeben.
Derselbe Alberto war, als er sich seiner Herrschaft sicher
fiihlte, einer der besten Fiirsten Ferraras. Gegen Ende seiner
Regierung wallfahrte er nach Rom, legte das BiiBergewand an
und kleidete dreihundert Berittene, die ihn begleiteten, in gleicher
Weise ein. In Rom kamen ihm funf Kardinale entgegen, der
Papst Bonifaz IX. verlieh ihm die goldne Rose, als Tugendpreis,
und gestattete die Grundung einer Universitat in Ferrara, nach
dem Muster der Universitaten zu Paris und Bologna. Aus Rom
kam Alberto krank zuriick; da er seine Schwache Margherita zu-
schrieb und glaubte, daB die Geliebte ihn verzaubert habe, lieB er sie
ins Gefangnis im Castelvecchio werfen und dort erwiirgen.
Das dankbare Ferrara hat seine Statue im Pilgergewand
an der Fassade der Kathedrale anbringen lassen,
wo man sie noch heutebewundern kann.
Solcher Art waren Ferraras
erste Markgrafen.
ZWEITES KAPITEL
NICCOLO III.
i
n der Stadtbibliothek zu Ferrara befindet sich eine
Miniatur, auf der man den Platz vor dem Palazzo della
Ragione mit einer auBerordentlich treu dargestellten
Hinrichtungsszene sieht. Die Miniatur stammt aus dem
XV. Jahrhundert. Die damalige Welt war Anblicke
dieser Art gewohnt, so nahm niemand daran AnstoB,
daB blutige Exekutionen vor den Fenstern des Schlosses stattfanden,
in dem die fiirstliche Familie lebte. Auf einem Geriist, hoch genug,
damit das Publikum das letzte Zittern der Korper beobachten konne,
steht ein kraftiger Mann, die Hande auf den Riicken gefesselt. Vor
ihm ein Mdnch mit erhobenem Kruzifix, hinter ihm holt der Henker
mit Wucht zum Schlage aus. Auf dem Geriist stehen die Richter, be-
waffnete Knechte und die Mitglieder einer frommen Briiderschaft
in Kapuzen mit schwelenden Kerzen in den Handen. Zwei ab-
gehauene bartige Kopfe liegen bereits am Boden, und die Arme der
Leichen hangen herunter. So ward mehr oder weniger jede neue
Regierung im beginnenden XV. Jahrhundert eingeleitet, nicht allein
in Ferrara, sondern auch an den meisten anderen Renaissancehofen.
Herzen und Sinne hatten sich verhartet.
Nach Albertos Tode kam sein Sohn Niccolo III. auf den Thron ;
da er noch nicht volljahrig war, wurde ihm ein Rat, ,,consiglio", an
die Seite gestellt, der die Regierungsgeschafte bis zum vollendeten
neunzehnten Jahre des Markgrafen leiten sollte. In diesem Rat
wollte auch das Volk seine Vertreter haben, jede Innung fur sich:
die Backer, Schmiede, Schneider, Goldarbeiter usw. schickten ihre
20 ZWEITES KAPITEL
Delegierten. Eine so geartete Versammlung konnte sich nicht be-
wahren, und das Resultat war, daB vier Vormiinder des Mark-
grafen die Macht an sich rissen und sie bis zu Niccolos Volljahrig-
keit etwa in der Weise ausiibten, wie die Miniatur es darstellt.
Der Marchese jedoch war voll Feuer und Energie, und es ver-
langte ihn nach Taten. Das heiBeste Sehnen des jungen Burschen
war, einen Krieg zu sehen. Da sich jedoch eine Gelegenheit dazu
langere Zeit nicht bot, bat er Azzo, den Anfiihrer seiner Heere,
ihm im SommerschloB Belfiore ein Kriegsschauspiel zu arrangieren.
Es nahm ein trauriges Ende, da Azzo, von einem WurfspieB seines
Gegners verwundet, es mit seinem Leben bezahlte.
Aus politischen Griinden verheirateten die Vormiinder den
kaum 13 jahrigen Niccolo 1397 mit der isjahrigen Gigliola da
Carrara, der Tochter des Fiirsten von Padua. Die Ehe war un-
glucklich, die krankliche Gigliola hatte keine Kinder, der junge
Marchese rachte sich an jenen, die ihn so friih in die Fesseln
der Ehe gezwungen und brachte es, nach Aussage des Chronisten,
im Laufe der Jahre auf achthundert Liebesverhaltnisse.
De le femene qui el dir se tase
Octocento donzele el signore habe in so vita.
(Caleffino Cronaca.)
Nur der Abt von Pomposa war ihm darin noch iiberlegen;
ihm wurden tausend Liebesverhaltnisse nachgesagt, die schlecht
genug zum ernsthaften Monchshabit passen.
Es hieB in Ferrara, daB sich auf beiden Seiten des Po nur
Niccolos Kinder herumtrieben, ,,Di qua e di la del Po, tutti figli
di Niccolo", aber die Geschichte hat uns nur die Namen von zwei-
undzwanzig unehelichen Kindern iiberliefert, abgesehen von jenen,
die Niccolo spater mit zwei legitimen Gattinnen gezeugt hat.
Gigliola starb im Jahre 1406; noch zu ihren Lebzeiten hatte
Niccolo ein Vcrhaltnis mit der schonen Stella dell' Assassino, aus
der bekannten sienesischen Familie Tolomei. Ein Teil der Tolo-
mei war infolge brudermorderischer Kampfe mit dem angesehenen
Geschlecht der Salimbeni nach Ferrara und spater nach Assisi
ubersiedelt. Nach dieser Stadt nannte man sie Assasini, woraus
NICCOLO HI, 21
sich spater der Name Assassini entwickelt hat. In einem alten
Vers heiBt es von ihnen:
Mutantes patriam, mutabunt nomina: riicent
Namque Assassinos Ptholomea stirpe creates.
Die Zeitgenossen finden nicht Worte des Lobes genug fur
Stella, sie schreiben ihr alle erdenklichen Vorziige zu, sie war
der Trost der Armen, gerecht, umsichtig, sittsam, groBmutig und
gait als Muster der Schamhaftigkeit, ,,pudicitiae flos". Der Dichter
Galeoto Marzio da Narni verfaBte ihr zu Ehren ein langes Gedicht,
in dem er auch ihren Vater, Giovanni Tolomei, preist; keinem
Geringeren als Niccolo III. widmet er seine Verse. Aus diesem
Gedicht erfahren wir, daB Giacomo, einer der Assassini, Rechts-
gelehrter und Podesta in Ferrara war und fur seine Gerechtigkeit
bekannt. Der beste Beweis dafur, daB Stella eine ungewohnliche
Frau war, ist der Umstand, daB der in seinen Liebesverhaltnissen
so unbestandige Niccolo sie etwa achtzehn Jahre fast als seine
Gemahlin betrachtet hat. Er hatte drei Sonne mit ihr: Ugo Aldo-
brandini (geb. 1405), Lionello (geb. 1407) und Borso (geb. 1413).
Dies Verhaltnis hinderte aber vorubergehende Liebeleien nicht;
Catarina degli Albersani, die Tochter eines Arztes in Ferrara, gebar
ihm einen Sohn Meliadus (geb. 1406) und die Ehefrau Camilla
della Tavola zwei Kinder, Alberto ufid Gurona Maria.
In Ferrara und auch an den befreundeten norditalienischen
Hofen hielt man nach Gigliolas Tod (1406) Stella Assassini fur die
kommende Gemahlin des Marchese; man glaubte, daB Niccolo sich
kirchlich mit ihr trauen wiirde. Stellas Sonne hat er wie seine recht-
maBigen Kinder behandelt; die Taufe des Erstgeborenen Ugo war in
Ferrara feierlich begangen worden, der Kardinallegat aus Bologna
war gekommen, die Herren aus Modena und Rimini hatten Abgesandte
geschickt. Trotzdem heiratete Niccolo Stella nicht; vielleicht haben
politische Griinde den FiinfunddreiBigjahrigen bewogen, 141 8 die
junge und schbne Parisina de Malatesta zu ehelichen, die Tochter
Andreo de Malatestas und Lucrezia degli Ordelaffis aus Ravenna.
Aus Kummer starb Stella ein Jahr darauf, und Caleffini pries sie:
,,Quanto fo bella e bona! de ogni virtu la.portd corona."
22 ZWEITES KAP1TEL
Niccolos Verhaltnis zu Stellas Sohnen anderte sich infolge
dieser Heirat kaum; den altesten, Ugo, seinen Lieblingssohn, be-
trachtete er sogar als seinen Nachfolger auf dem Throne und zeich-
nete ihn als solchen vor Lionello und Borso aus. Ugo war immer
um ihn, wahrend er die beiden jiingeren Sohne unter verschiedenen
Vorwanden aus dem Hause entfernte.
Parisina, erfiillt von Lebenslust und Giite, hat sich die Liebe
ihrer Umgebung rasch erworben. Sie war eine leidenschaftliche
Tierfreundin und liebte namentlich Pferde, sie brachte ihren eigenen
Rennstall mit, schickte ihre Pferde zum ,,Palio" von Verona,
Mantua, Modena, Bologna und Mailand, und ihr Jokei, Giovanni da
Rimini, war iiberall Sieger. Ihre Farben, WeiB und Rot, waren
auf alien Bahnen bekannt. Seltene Vogel lieB sie in Venedig kaufen,
wie es damals an den groBen Hofen Brauch war. Teure Stoffe,
Kleinodien, wohlriechende Ole und Essenzen bezog sie aus Mailand
und Venedig. Ihre Hoffraulein, die ,,damigelle", waren ihr zu-
getan, da sie ihnen reiche Geschenke machte und sich giitig gegen
sie erwies. Namentlich Pelegrina, die Tochter Giacomo Rubinos,
eines vertrauten Hoflings Niccolos, war ihr LiebUng; als die Don-
zella heiratete, uberschiittete sie sie mit Geschenken. Parisina las wie
alle Damen der damaligen groBen Welt Ritterromane, Tristans und
Isoldes Los war ihr wohlbekannt, sie las den Roman ,,Girone il
Cortese", und gab sich leidenschaftlich der Musik, namentlich
Lautenspiel hin. Auch ging sie fleiBig zur Kirche, ihr Hauskaplan,
Fra Maginardo, las ihr den Psalter, und sie beniitzte ein schones,
in schwarzen Samt gebundenes Gebetbuch.
Parisina hatte drei Kinder, doch starb ihr Sohn bald, und es
blieben nur zwei Tochter, Ginevra und Lucia, am Leben; sie gab
sich viel mit ihnen ab und lieB sie fruh in der Musik unterweisen.
Von Stella del Assassinos Sohnen bevorzugte sie Ugo, den Liebling
des Vaters. Der Markgraf lieB Ugo im Luxus aufwachsen, schenkte
ihm die kostbarsten Kleider, Pferde und Falken, wahrend er Lio-
nello, Borso und Meliadus an Sparsamkeit gewohnte. Als 1424
in Ferrara eine ansteckende Seuche ausbrach, schickte Niccolo
Meliadus nach Modena und Borso nach Argenta, indem er strenge
Vorschriften iiber die Anzahl der Diener, die sie halten durften,
NICCOLO III.
23
machte; ferner verbot er den jungen Herren, offene Tafel fur ihre
Freunde zu halten. Parisina iiberraschte Ugo mit einer schonen
Harfe, so hat wohl auch er eine Vorliebe fur Musik gehabt.
Nach den Chronisten war Ugo Parisina zuerst wenig sym-
pathisch; dies krankte Niccolo so, daB er ihr den Sohn, als sie nach
Loreto zu einer Wallfahrt aufbrach, zum Begleiter gab, damit er
Gelegenheit habe, ihre Gunst zu erwerben. Diese Annaherung
hatte mehr Erfolg als der Markgraf wiinschen konnte: Ugo kam
als Parisinas Geliebter von der Wallfahrt zuriick, und dies Verhaltnis
unterhielten sie auch in Ferrara. Ob der Liebesbund auf diese Weise
entstand, bleibe dahingestellt. Es fehlt jeder positive Hinweis fur
den HaB, der erst zwischen den beiden bestanden haben soil. Die
Frage, wie die Liebe zwischen ihnen entstanden ist, kann der Histo-
riker nicht beantworten. Alles, was bis jetzt iiber den Ursprung
dieser Liebe geschrieben wurde, entstammt der Phantasie der
Dichter und Romanschreiber. Genug, Ugo und Parisina standen
in einem Liebesverhaltnis zueinander; Ugos Vertrauter war Aldo-
brandino Rangoni, sein Hofling und Freund, die Vertraute der
Markgrafin war eine ihrer Hofdamen, die das Geheimnis an Gia-
corao Rubino, Niccolos treuesten Diener, verriet. Rubino ging
sofort zum Markgrafen und erzahlte ihm alles. Die Rache des
Tyrannen war unverziiglich und furchtbar. In der Nacht vom 20.
auf den 21. Mai 1425 lieB Niccolo beide ins Gefangnis werfen, Pari-
sina in den Turm, der noch heute ,, Torre Marchesana" heiBt, Ugo
in den ,,L6wenturm" des Kastells. Das Urteil des Marchese lieB
nicht lange auf sich warten, nach wenigen Stunden verurteilte er
den Lieblingssohn und seine Gattin, die Mutter zweier kleiner
Tochter, zum Tode. Einer seiner treuesten Ratgeber, Ugaccion
Contrario, von dem es hieB, daB er alles iiber den Markgrafen ver-
moge, und ein alter bewahrter Minister, Alberto dal Sale, be-
schworen Niccolo auf den Knien mit tranenden Augen, seinen
Urteilsspruch aufzuschieben. Niccolo lieB sich nicht erweichen, er
wollte weder den Sohn, noch die Gattin sehen, und schon in der
folgenden Nacht, vom 21. auf den 22. Mai, vollzog der Henker
sein blutiges Werk. Ugo starb zuerst, dann begab sich Rubino,
der Verrater, in Parisinas Gefangnis und forderte sie auf, ihm zu
24
ZWEITES KAPITEL
folgen. Parisina glaubte, daB er sie ins Trabocchetto, das unter-
irdische Gefangnis, fiihren wolle, und fragte, was mit Ugo ge-
schehen sei. Als man ihr sagte, er sei tot, antwortete sie, daB auch
sie nicht mehr leben wolle. Im Gefangnis wartete der Henker
ihrer bereits; als sie ihn sah, nahm sie selbst ihren Schmuck ab
und legte den Kopf auf den Block.
In der gleichen Nacht wurden beide Kdrper in San Francesco
bestattet. Als man dem Markgrafen sagte, daB sein Wille erfullt
sei, geriet er in Verzweiflung, zerbiB den Stock, den er in der Hand
hielt, weinte und schrie nach Ugo. Aber noch war der Rache
kein Ende gesetzt. Am nachsten Morgen erlieB er den Befehl,
Aldobrandino Rangoni zu verhaften; in Modena wurde er hin-
gerichtet. An die italienischen Hofe lieB er ein Dokument aus-
fertigen, worin er seine Tat meldete. Als der venezianische Doge,
Francesco Foscari, die Schrift erhielt, gab er Befehl, das Turnier
auf dem Markusplatz , an dem der Markgraf teilnehmen sollte, zu
vertagen. — Das fragliche Dokument war leider in keinem italie-
nischen Archiv auffindbar.
Niccolo raste in seinem Schmerz und Zorn, er beschloB, daB
alle Frauen Ferraras, die wie Parisina gesiindigt hatten, dem Henker
verf alien sollten, ,,damit die Gerechtigkeit sich nicht nur an seiner
Gattin vollziehe". Laudania Romei, die Gattin eines hohen Wiirden-
tragers am Hofe, war das erste Opfer dieser wilden Gerechtigkeit,
aber der Rausch verflog, und nach Laudanias Tod zog Niccolo seinen
Befehl zuriick. Ferraras Ehefrauen konnten wieder nach Herzens-
lust siindigen, und der Markgraf selbst unterstiitzte sie ehrlich darin.
Der alternde Niccolo hatte nach Parisinas Tod noch eine An-
zahl unehelicher Kinder, Knaben und Madchen. Beatrice, die er
mit Anna de' Roberti gezeugt hatte, war um ihrer Schonheit willen
beriihmt. Sie war die Konigin der Feste in Ferrara, und ein altes
Sprichwort sagt von ihr: ,,Wer das Paradies auf Erden sehen wolle,
moge Donna Beatrice betrachten." Nach dem Tode ihres Vaters
vermahlte sie sich mit dem Graf en Niccolo da Correggio; ihr zweiter
Gatte war Tristan Sforza. Ihr Sohn, Niccolo Correggio (geb. 1450),
hat in der Geschichte der italienischen Renaissance eine bedeutsame
Rolle gespielt.
PISANELLO: PILGER INS GELOBTE LAND
VERONA, S. ANASTASIA
NICCOLO III.
25
143 1 heiratete Niccolo zum drittenmal, Parisinas Geschick
schreckte die Tochter des Markgrafen Saluzzo Ricciardi nicht ab,
ihm ihre Hand zu reichen. Im Ehekontrakt sah Niccolo jedoch
vor, daB, wenn Riccarda einen Sohn gebaren wiirde, die Nachfolge
in Ferrara nicht ihm zufallen sollte, sondern Lionello, den der
Papst Martin V. bereits 1429 legitimiert hatte. Im Jahre 1431 gebar
Riccarda einen Sohn, jenen Ercole, der Lionello und Borso auf dem
ferraresischen Thron f olgte und einer der bedeutendsten italienischen
Fiirsten am Ende des XV. Jahrhunderts war. Riccarda schenkte
1433 einem zweiten Sohn, Sigismondo, und unmittelbar vor ihrem
Tode 1440 einer Tochter, Bianca Maria, das Leben; unter Borsos
Regierung heiratete die Tochter den Condottiere Galeotto Pico della
Mirandola.
II
1413, als Stella Assassini noch das Herz des Markgrafen be-
herrschte, beschloB er eine Wallfahrt ins Heilige Land. Die Feinde
der Dynastie waren unterworfen, im kleinen Reiche herrschte
Frieden, so ward es dem Despoten zu eng in der ferraresischen
Ebene, der Geist des fahrenden Ritters regte sich in der jungen
Brust, und wie einst die Kreuzfahrer wollte er auf Christus Grabe
BuBe tun. Von fiinfzig Freunden und Hoflingen begleitet, verlieB
Niccolo Ferrara am 6. Mai. Zur Expedition gehorten: der Ferra-
rese Alberto della Scala, mit zwei Gefahrten, Pietro Rosso, ein
Edelmann aus Parma, der auch zwei Leute von seinem Hof mit-
gebracht hatte, Feltrino Bojardo, der GroBvater des groBen Dichters
aus Scandiano mit einem Diener, und mehrere Mitglieder bekannter
Familien. Als Sekretar diente dem Markgrafen Lucchino del Campo,
der uns eine sehr anschauliche Beschreibung dieser Reise hinter-
lassen hat. Die Wallf ahrer trugen schwarze Mantel mit rotem Kreuz
auf der Brust, und die Republik Venedig stellte ihnen eine ihrer
Galeeren zur Verfiigung.
Der Marchese wollte alle Sehenswiirdigkeiten, die auf seinem
Wege lagen, besichtigen, und so machte man, unmittelbar nachdem
man den Hafen San Niccolo de Lido verlassen hatte, in Pola Station
26 ZWEITES KAPITEL
wegen der dort vorhandenen romischen Altertiimer. Die Arena
scheint den Markgrafen besonders interessiert zu haben, er hatte sich
in seiner Jugend oberflachlich mit humanistischen Studien befaBt,
sein Lehrer war der beriihrnte Donato degli Albanzani aus Prota-
vecchio. Niccolo gehorte jedoch keineswegs zu Donatos besten
Schiilern und hat es im Lateinischen trotz der Miihe des Huma-
nisten nicht weit gebracht. Die Galeere nahm ihren Weg an den
Ionischen Inseln, spater am Archipel entlang, machte Halt in Corfu,
wo der venezianische Gouverneur den Reisenden ein Gastmahl in
einem Orangenhain gab, griechische Monche sangen zu ihrem
groBen Entziicken wahrend der Tafel. Im weiteren Verlauf der
Reise besuchten die ferraresischen Pilger die Insel Rhodos, kamen
an Cypern vorbei, stiegen in Syrien am II. Mai ans Land und gingen
von dort aus nach Jerusalem. In Jerusalem blieb der Markgraf
vier Tage, vom 15. bis zum 19. Mai, und pilgerte zweimal zum
Heiligen Grab. Einmal lag er eine ganze Nacht mit ausgebreiteten
Armen wie am Kreuzesstamme da, ein anderes Mai verbrachte er
zwei Stunden dort in heiBem Gebet. Nach diesem Gebet gab er
Alberto della Scala, Feltrino Bojardo und Pietro Rossi den Ritter-
schlag, giirtete ihnen selbst das Schwert um und gab ihnen goldene
Sporen auf dem Kalvarienberge. Die Wallfahrer verdroB es sehr,
dafl sie imGelobten Lande fur jedenSchritt den ,,tiirkischen Hunden,"
wie sie sie nannten, zahlen muBten, den Wachtern auf dem Berge
Zion gaben sie vier Dukaten, fur das Betreten des Tales von Josaphat,
wo ,, Nostra Donna" begraben ist, muBten sie einen halben und
fur das Grab des Heilands anderthalb Dukaten entrichten.
Auf dem Riickweg hielt der Markgraf sich sechs Tage in Cypern
auf, um den dortigen Konig zu besuchen, und muBte als echter
Sohn der Renaissance auf der Insel Kythera die Stelle betrachten,
wo der Tradition nach die griechische Helena geraubt ward. Sechs-
unddreiBig Tage fuhren die Wallfahrer von Cypern nach Venedig,
am 6. Juli kamen sie in Ferrara an, so daB die ganze Reise drei
Monate gedauert hatte.
Die haufigen frommen Pilgerfahrten der Renaissance-Fiirsteri
waren zum groBen Teil nur ein Vorwand, um zu reisen und Aben-
teuer zu suchen, oder sie entsprangen dem Wunsch, fremde Ver-
NICCOLO III. 27
haltnisse kennen zu lernen. Es schickte sich fur den regierenden
Fursten nicht, ohne einen gewichtigen Grund sein Land zu ver-
lassen, viel Geld auszugeben und den Schatz des Reiches zu be-
lasten, so fand sich denn immer ein Vorwand fur teure Pilger-
fahrten. Das eine Mai gelobte der Fiirst ein goldenes Exvotum
an heiliger Stelle niederzulegen, damit eine Seuche erldsche; ein
nachstes Mai bot ein beendeter Krieg den Vorwand zu einer frommen
Reise.
Auch Niccolo hielt es nicht lange in seinem SchloB aus. Ein
Jahr nach der Reise nach Jerusalem pilgerte er nach Loreto und
legte dort das Modell des ferraresischen Doms, aus Silber gefertigt,
nieder. Die Berichte verschweigen, was fur Gewander sein Hofstaat
fur diesen Zweck anlegen muBte, dagegen wissen wir, daB inn, als
er noch im gleichen Jahre (am 19. Juni 1414) zur Reliquie des
heiligen Antonius in Vienne in der Dauphine pilgerte, vierundzwanzig
Hoflinge in lichtgrunen Gewandern begleiteten. In Frankreich
,,liebten die Frauen ihn mehr als ihre eigenen Manner", wie der
Chronist hinzufugt. Von Vienne aus begab er sich nach Mont- Saint-
Michel in der Normandie, aber auf der Riickreise passierte ihm doch
ein ungewohnliches Abenteuer. In den Piemonteser Bergen iiberfiel
ihn Manfredo de Carreto, der Marchese de Ceva, und nahm ihn und
seine Begleiter gefangen in Erwartung eines groBen Losegeldes.
Aber der Graf von Savoyen, von diesem Oberfall unterrichtet,
schickte eine Abteilung seines Heeres, das Niccolo befreite und
den Raubritter ins Gefangnis warf. Der Marchese de Ceva be-
zahlte seinen Anschlag auf den Herrn von Ferrara mit dem Leben,
und sein SchloB ward dem Erdboden gleich gemacht. Als nach
diesem Ereignis Niccolo III. nach Ferrara kam, war, nach Caleffinis
Bericht, die Freude so groB, daB alle Kranken genasen.
Dieser Pilgerfahrt sollten noch weitere folgen: in Vienne hatte
es ihm so gut gef alien, daB er im Jahre 1434 wieder zum heiligen
Antonius wallfahrte; ein Jahr darauf pilgerte er in die S. Annun-
ziata nach Florenz, um ein Wachs-Exvoto zu stiften. Es war ein
groBes Pferd, fur das er dem Kiinstler fiinfzig Gulden bezahlt hat.
Der Marchese gehort zu jenen Renaissancemenschen, bei
denen sich Verbrechen und Zerknirschung seltsam eng beriihren.
28 ZWEITES KAPITEL
Die Zerknirschung war nur von kurzer Dauer, die ungeziigelte
Grausamkeit und das leidenschaftliche Ungestiim seines Charakters
brachen bei der erstbesten Gelegenheit wieder durch. Ethische
und moralische Begriffe fehlten vollkommen, Religion war eine
schone Form, ein vererbter Brauch, sehr haufig der Deckmantel
fiir Verbrechen; in goldenen Rahmen wurde das Bild ziigelloser
menschlich-unmenschlicher Triebe eingefaBt. Eine Wallfahrt ins
Heilige Land, zum heiligen Jakobus von Compostella — und man
fiihlte sich all seiner Siinden quitt.
In Niccolo III. waren die Traditionen franzosischer Kultur
lebendig. Seine Kenntnis des Lateinischen war, wie schon er-
wahnt, nur mangelhaft, und Donato hat wohl endgiiltig die Hoff-
nung aufgegeben, seinem Schiiler klassische Sprachen beizubringen;
denn er iibersetzte fiir ihn zwei Werke ins Italienische: Petrarcas
Buch ,,Von beriihmten Mannern" und Boccaccios Abhandlung
„Von beriihmten Frauen". Die Lieblingslektiire Niccolos und des
gesamten estensischen Hofes bildeten franzosische Romane, ,,Istorie
francesi", und der beste Beweis dafiir, wie lebendig diese Ritter-
geschichten waren, ist der Umstand, daB man den Kindern mit
Vorliebe Namen aus dem Kreise Karls des GroBen und Konig
Artus' Tafelrunde gab, wie Meliadus, Ginevra, Rinaldo, Isotta usw.
Niccolo hatte eine Vorliebe fiir schone franzosische Biicher, die er
zum Teil von seinem Vater geerbt und zum anderen hatte ab-
schreiben und mit Miniaturen schmiicken lassen. In seiner Biicher-
sammlung befanden sich ,,die Geschichte des heiligen Gral", ,, Merlins
Prophezeiungen", ,, Meliadus", ,,Lancilotto", ,,Chronique de Saint
Denis" und viele andere. Der Katalog der estensischen Bibliothek
aus dem Jahre 1474 fiihrt den ,,Lancilotto" in vier Exemplaren auf,
den Roman ,,Gutifre de Boion" in zweien, und in ebenso vielen
,,die Geschichte Alexanders". Den Donzellen und der weniger ge-
bildeten mannlichen Jugend am Hofe waren diese franzosischen
Handschriften unzuganglich. Die Mehrzahl der Ritter lauschte neu-
gierig den Berichten der Sanger, die die franzosischen Romane in
italienischer Sprache und italienischer Art angemessen vortrugen.
Niccolos Bibliothek war schon so umfangreich, daB der Fiirst
einen eigenen Raum in der Torre di Rigobollo, wo sich auch das
NICCOLO III.
29
geheime Archiv der Este befand, dafiir bestimmt hatte. Er HeB
das erste Handschrifteninventar anlegen, das sich bis auf den heu-
tigen Tag erhalten hat. Giovanni Falconi und Jacopo d'Arezzo
versahen die Biicher mit Miniaturen.
Auch franzosische Mode war mafigebend am Hofe, und man
bezog nicht wenig Toiletten und Einrichtungsstiicke aus Paris oder
Flandern. In der franzdsischen Hauptstadt versah man sich mit
schoner Wasche, in Brugge bestellte Niccolo Arazzi mit seinen
Wappen und seiner Devise, und Silber zum Schmucke der Tafel
wurde zumeist in Paris gekauft. Da aber die flandrischen Arazzi
sehr teuer waren, grundete Niccolo in Ferrara eine Teppichfabrik
nach flamischem Muster, die sich iiber ein Jahrhundert erhalten
hat. Aus Flandern HeB er auch Kirchensanger kommen; sie wurden
die Begriinder des beriihmten Chores, auf den der ferraresische Hof
sehr stolz war. Unter Niccolo erwarben die Este zwei neue Palaste,
Belriguardo und Consandolo, auBerdem HeB der Markgraf den
Palast der Este in Venedig umbauen und restaurieren; der Senat
der Republik hatte ihn bereits 1382 Niccolo II. fur geleistete Dienste
geschenkt. Dieser Palast hat die verschiedensten Schicksale durch-
gemacht. Von den Este hat ihn im XVII. Jahrhundert der Kardinal
Aldobrandini erworben, dann diente er unter dem Namen ,,Fondaco
dei Turchi" den tiirkischen Kaufleuten, die nach Venedig kamen,
als Wohn- und Lagerraum; 1880 wurde er zur Aufnahme der
Sammlung Correr bestimmt, aus der das heutige Museo Civico
sich entwickelt hat. Jenes Gebaude, das in jungster Zeit in be-
scheidener Weise erneuert wurde und jedem Besucher Venedigs
bekannt ist, war im XIV. und XV. Jahrhundert der stolze Wohn-
sitz der Este. So oft ein Mitglied der Familie nach Venedig kam,
sei es, um mit der Republik zu unterhandeln oder um in der Stadt
der schonen Kurtisanen der Lust zu fronen, wohnte es in diesem
Palast. Niccolo III. war einigemal in Venedig gewesen; mit dem
groBten Luxus trat er 1415 auf, als er in Begleitung von zwei-
hundert Rittern kam und am groBartigen Turnier auf dem Markus-
platz teilnahm.
Zu den glorreichsten Augenblicken unter Niccolos Regierung
gehbrte der Empfang des Kaisers Siegmund im Dezember des
30
ZWEITES KAPITEL
Jahres 1433, als der Monarch von seiner Kronung zuruckkam. Er
gab Lionello, Borso und Ercole den Ritterschlag und hielt Sigis-
mondo zur Taufe. Aber ein wichtigeres Ereignis war das be-
ruhmte Konzil zu Ferrara 1437. Seine Aufgabe war die Wieder-
vereinigung der griechischen und romischen Kirche, die sich 858,
seit den Tagen des Photius, gespalten hatte; ferner gait es, Mittel
zur Bekampfung der Turken zu finden, die das Ostliche Kaiserreich
bedrohten. Zu den Griinden, die den Papst bewogen hatten, Ferrara
fiir das Konzil zu wahlen, soil auch der gehort haben, dafl das
Studium des Griechischen damals dort bliihte, und man sich daher
leichter als anderswo mit den ostlichen Gelehrten verstandigen
konnte.
Zum Konzil war selbst der Papst Eugen IV. gekommen, ferner
der Kaiser des Ostens Johannes Palaeologus, Demetrius, der Be-
herrscher Moreas, Joseph, der Patriarch von Konstantinopel, und
viele Gesandte und Pralaten. Aber weder der Papst noch Niccolo
waren imstande, langere Zeit die ungeheuren Kosten zu tragen, die
der Unterhalt der Gaste verursachte, so ubersiedelte das Konzil
im nachsten Jahre nach Florenz, das sich erboten hatte, die er-
forderlichen Mittel aufzubringen. Dazu wurde Ferrara von einer
Seuche heimgesucht, und der plotzliche Tod eines der ostlichen
Bischofe verursachte einen panischen Schrecken unter den Ver-
sammelten, die Ferrara urn jeden Preis zu verlassen wiinschten.
Auch Niccolo ging nach Florenz. Drei Jahre darauf starb er
plotzlich in Mailand am 26. Dezember 1441 wahrend seines Aufent-
haltes als Friedensvermittler zwischen Mailand und Venedig. Zu
seinem Nachfolger hatte er Lionello bestimmt, bei dessen etwaigem
Tode Borso; erst nach ihrem Ableben sollte der Thron seinen legi-
timen Sohnen, Ercole und Sigismondo, zufallen. In seinem Testa-
ment bezeichnete der Markgraf Lionello als den der Herrschaft
wiirdigsten, ,,in quern praeclarissimum suum natum semper totam
suam mentem et totas cogitationes locavit et fixit".
Die Leiche des Markgrafen wurde nach Ferrara gebracht, dem
Wunsch des Toten entsprechend ward sie nackt in den Sarg gelegt
und in S. Maria di Belfiore ohne jedes Geprange beigesetzt. In
tiefer Stille bewegte sich der Leichenzug nachts durch die StraBen
NICCOLO III. 3I
der Stadt, und nur Tausende von Menschen und Fackeln verrieten
die Bedeutung der Stunde. Am Hofe der Este trug man lange
tiefe Trauer nach dem Tode dieses ungewohnlichen Herrschers,
noch ein Jahr darauf waren die Wande und Mobel des Schlosses
tnit schwarzem Tuch ausgeschlagen, die Markgrafen und der ge-
samte Hofstaat trugen schwarze Samtanziige und Hiite und Hand-
schuhe in gleicher Farbe. — Zahllose Epitaphe entstanden an-
laBlich des Todes des Fiirsten, da jeder der ferraresischen Huma-
nisten sich fiir verpflichtet hielt mit Schmeicheleien hervorzutreten,
die den Sohnen des Verstorbenen angenehm sein konnten. Guarino
hatte nicht weniger als vier Inschriften fiir den Grabstein ent-
worfen.
Niccolo hatte groBe Vorziige, sie entsprangen einem richtigen
Begreifen dessen, was seinem Geschlecht von Nutzen sein konnte.
Eine starke Dynastie ist ohne strenges Regiment unmoglich, dessen
war er stets eingedenk, und in diesem Sinne hat er gehandelt. Ernst-
haft bemiihte er sich, Kunst und Wissenschaft zu fdrdern. Es
gait, Gelehrte und Kiinstler nach Ferrara zu ziehen, um den Glanz
des Hofes zu erhohen — , dies Streben beherrschte damals jeden
Fiirsten. Namentlich lag Niccolo die Erziehung seiner Sonne am
Herzen, deshalb berief er Guarini Guarino aus Verona, den be-
kanntesten Humanisten im damaligen Italien. Durch seine Wirk-
samkeit wurde der Hof von Ferrara zu einem der bedeutendsten
Mittelpunkte humanistischer Studien.
Ill
Guarino war der erste Italiener, der im Griechischen unter-
richtete. Langere Zeit war er in Konstantinopel gewesen, nach
seiner Riickkehr lehrte er in Florenz, Venedig, Verona und schlieB-
lich in Ferrara Lateinisch und Griechisch. In Venedig war er 1414
wie ein regierender Fiirst empfangen worden oder wie ein heim-
kehrender Triumphator. Einer seiner Lobredner schreibt, es scheine,
daB der Kaiser nach Venedig gekommen sei, soviel Menschen seien
dem beruhmten Gelehrten entgegengezogen ; und mag auch manches
32
ZWEITES KAPITEL
Ubertriebene in diesen Worten liegen, so beweisen sie doch den all-
gemeinen Eifer, der der neuen Wissenschaft gait. Nach der Tra-
dition soil Guarino zwei StoBe von Handschriften aus Griechenland
mitgebracht haben; als der eine beim Untergang des Schiffes im
Meer versank, soil der arme Gelehrte vor Kummer graue Haare
bekommen haben. Als Guarino infolge einer Seuche 1416 aus
Venedig nach Verona kam, versuchte die Heimatstadt alles, um
ihn an sich zu fesseln, und da kein Mittel verfing, beschloB man
ihn dort zu verheiraten. Mit Hilfe von Guarinos Mutter, die in
Verona lebte, gelang die Intrige, er wurde mit Taddea Cendrata
di Niccoli zusammengetan, und der ungliickliche Humanist klagt,
ihm sei so stark zugesetzt worden, daB er nicht anders konnte,
,,ita ut manus dederim". Guarino begriindete in Verona eine sehr
gut besuchte Privatschule, aber infolge einer wiederholt ausbrechen-
den Seuche muBte er dreimal nach Valpolicella fluchten, wo seine
Frau einen kleinen Besitz hatte. Niccolo d'Este beniitzte diesen
AnlaB, um ihn nach Ferrara zu Ziehen, mit veranlaBt von seinem
Ratgeber Giacomo Giglioli, der auch heranwachsende Sonne hatte
und ihnen eine bessere Erziehung zu geben wiinschte. Verona
wollte aber Guarino nicht so leicht hergeben, erst nach langeren
Unterhandlungen gestattete man dem Gelehrten, mit seiner Familie
den neuen Wohnort zu beziehen.
Im Mai des Jahres 1429 kam der damals schon sechzigjahrige
Guarino nach Ferrara; da auch dort eine Seuche herrschte, entfloh
er der Stadt so schnell als moglich und fiihrte acht Monate hin-
durch in umliegenden Dorfern ein trauriges Leben in Begleitung
von elf Kindern, seiner Frau, die wieder Mutterfreuden entgegen-
sah, und einigen Dienstboten. Daran nicht genug, anvertraute ihm
auch Giacomo Giglioli seine Sonne, da er fur deren Gesundheit in
Ferrara fiirchtete; so hatte der ungliickliche Padagoge ein voll-
standiges Pensionat und Spital, da stets ein Teil der Gesellschaft
krankelte. Als im Winter die Gefahr endlich voriiber war, er-
schien Guarino in Ferraras stillen StraBen (1429) und wie es bei
seinem Lobredner heiBt:
Mansurum placida statione recepit
Pacis et aligeri Ferraria mater amoris.
NICCOLO III. 33
Hier begriindete er ein Privatinstitut ; sehr bald iibertrug ihm
der Markgraf Lionellos Erziehung und lieB ihm dafiir 350 Du-
katen jahrlich iiberweisen, eine fur damalige Zeiten fiirstliche Be-
lohnung. Er war ein beruhmter Padagoge und Lehrer; seine
Schriften sind jedoch trocken und langweilig, und seine Briefe und
Reden gleichen in dieser Beziehung alien ubrigen literarischen Er-
zeugnissen der Humanisten. Aus seinem beruhmten an Lionello
nach dem Tode des Markgrafen gerichteten Brief spricht jene
kriecherische Gesinnung vor dem neuen Fiirsten, die alle hofischen
Schriftsteller der Renaissance kennzeichnet. Guarinos sympathische
Ziige sind dagegen das Sehnen nach griechischer Kultur, nach
jenem Ideal der Menschheit, um dessen Wiedereroberung es zu
kampfen gait, wie einst die Kreuzfahrer um Christi Grab gekampft
hatten. Fur Guarino und die ersten Humanisten war Griechen-
land das heilige, das gelobte Land.
Die griechischen Padagogen begriindeten damals in Italien
Privatschulen und hatten damit viel Erfolg, denn die Eltern waren
nicht langer gezwungen, ihre Sonne in dieKlosterschulen zu schicken,
die immer mehr verfielen. In Padua eroffnete im Jahre 1408 der
Grieche Barzizza eine Schule nebst einer Privaterziehungsanstalt;
er beschaftigte tiichtige Lehrer, und die venezianischen Patrizier-
sdhne stromten in dies Institut. Die Schiiler bezahlten jahrlich
fur Unterricht und Unterhalt vierzig Skudi. Nach dem Muster
dieser Anstalt begriindete Guarino seine Schule in Ferrara, an der
er selbst unterrichtete; aufierdem hatte er offentliche Vorlesungen
an der dortigen Universitat. Die Abende widmete er den jungen
Leuten, die bei ihm wohnten, und der Wissensdurst war so groB,
daB, wie einer seiner Schiiler berichtet, er und seine jungen
Freunde, die im gleichen Zimmer schliefen, zumeist bis um
Mitternacht lernten und um drei Uhr morgens schon wieder vor
den Buchern saBen. Selbst im Sommer am Lande war der Lern-
eifer nicht zu stillen. Wir besitzen einen Brief eines anderen
Schiilers von Guarino, in dem der Jiingling schildert, mit welcher
Freude ,,incredibili voluptate" er sich auf dem Lande humanistischen
Studien hingebe; selbst wahrend korperlicher Obungen konnen sich
die Schiiler nicht vom Buche trennen, bei jeder Gelegenheit sprechen
3
34 ZWEITES KAPITEL
sie mit den Lehrern von Griechen und Romern, so dafl jeder Spazier-
gang ihr Wissen bereichert. Grolien Eindruck machte den Pa-
dagogen das Buch von Pierpaolo Vergerio, das 1404 unter dem Titel
erschien ,,De ingenuis moribus ac liberalibus studiis ad Ubertinum
Carrariensem" und Vorschriften iiber Erziehung und Unterricht
enthielt. Dieser Traktat sollte als Grundlage fur die Erziehung
des jungen Ubertino dienen, des Sohnes Francesco Novellos II., des
Herrn von Carrara. Pierpaolo stiitzte sich auf Theorien, die er
griechischen und romischen Autoren, wie Plato, Aristoteles, Plu-
tarch, Cicero (De oficiis) und Quintilian entnommen hatte. Ver-
gerio legte das Hauptgewicht auf Literatur, Musik, Zeichnen und
Fechten. Guarino gliederte diesem System weitere korperliche
Ubungen an: Jagen, Schwimmen und Tanzen waren Vorschrift,
wahrend der Tanz gegen Vergerios Grundsatze war. Hauptsachlich
lag es Guarino daran, seinen Schulern gesunde moralische Grund-
satze einzuimpfen, — gerade darin war man damals sehr lax. Er
hielt an den Satzungen der Kirche fest und fiihrte im Gegensatz
zu vielen Humanisten seine Schuler taglich vor dem Unterricht
in die Kirche. DaB er ein guter Padagoge war, bewies er an seiner
eigenen Familie, denn elf von seinen dreizehn Kindern hat er zu
brauchbaren Menschen erzogen. Guarinos Schule besuchten Fran-
zosen, Deutsche, Englander, Polen und Ungarn; als Knaben schon
kamen sie nach Ferrara, so Giovanni di Cisinge, mit dem Bei-
namen Pannonius, der als dreizehnjahriger gekommen war und bis
zu seinem vierundzwanzigsten Jahr bei Guarino verblieb. Auch
altere Leute besuchten seine Vortrage, darunter Ferraras einfluB-
reichste Manner.
Die Schule zerfiel in drei Abteilungen; auf einen Elementar-
kursus baute sich das Studium von Grammatik und Rhetorik auf.
Das Ziel dieser Kurse war: griindliche Unterweisung im Latei-
nischen und Griechischen und Kenntnis der alten Schriftsteller;
ferner war es dem Lehrer um eine gewisse Gewandtheit zu tun,
so muBten die Schuler taglich iiber die verschiedensten Gegenstande
debattieren. Beredsamkeit wurde von der Jugend verlangt; sie
sollte in gewahlter Sprache jede These verteidigen konnen, ein-
fache, ja bizarre so gut wie streng philosophische. Eine beliebte
NICCOLO III. 35
Aufgabe war unter anderen der Streit iiber die Jungfraulichkeit
der Dido, iiber die es in Poesie und Geschichte der Alten wider-
sprechende Berichte gibt.
Den Padagogen war es im Beginn der Renaissance darum zu
tun, daB sich die Jugend in ihren Instituten wohl fiihle, heiter und
witzig sei; die Anfange humanistischer Erziehung standen noch
nicht im Zeichen der Pedanterie. Unter den Schiilern trieb die
Satire iippige Bliiten. Nicht wenig AnlaS dazu boten die Pro-
fessorenfrauen, die sich gern einen der Studenten als kiinftigen
Gatten fur ihre Tochter gekodert hatten; auch die ferraresischen
Madchen, jene Lelien und Lucien, gingen so wenig leer aus wie
die „Griechin". Guarino selbst wuBte seine Wiirde zu wahren.
Als die Schuler ihn zu einem Bankett einluden, weigerte er sich
zu kommen, da ein alter Mann wie er die Ausgelassenheit ihrer
Feste nicht storen solle.
Um 1425 hatte Vittorino da Feltre seine beruhmte Schule in
Mantua eroffnet, die ,,Casa gioiosa", das frohliche Haus, so genannt
wegen des heiteren Tones, der dort unter der Jugend herrschte.
Gianfrancesco II., der Markgraf von Mantua, hatte Vittorino be-
rufen; er unterrichtete nicht nur die Sohne und Tochter der furst-
lichen Familien, sondern auch die Kinder Unbemittelter, und selbst
aus der Fremde strdmten ihm Schuler zu.
Dies waren die gliicklichsten Zeiten des einsetzenden Huma-
nismus, und in den Schulen dieser beiden Manner zeitigte er seine
besten Friichte. Das humanistische Schulwesen trug aber den
Keim des Verderbens schon in sich, denn es wurde auf den Stamm
scholastischer Schulweisheit gepfropft; die neuen Safte klassischen
Wissens, die diesem morschen Stamm zugefiihrt wurden, belebten
ihn nur fur einen Augenblick. Kaum waren die beiden Padagogen
aus Ferrara und Mantua tot, so wurde ihr System von der furcht-
barsten Pedanterie durchsetzt, und der Beiname eines Pedanten,
eines Menschen, der an der schwersten Dummheit trug — hatte er
sie sich doch durch langjahriges Griibeln iiber Biicher angeeignet — ,
ward in den folgenden Jahrhunderten der Schrecken aller ver-
niinftigen Menschen. Von den Pedanten erzahlte man sich folgende
Anekdote: Eines Tages war ein groBer Streit unter ihnen auf dem
36 ZWEITES KAPITEL
ParnaB entstanden; die einen behaupteten, daB sich das Wort
consumptum mit p schreibe, die anderen wollten des p entraten.
Da wollte der erziirnte Apoll alle Pedanten aus seinem Reich ver-
bannen, und nur auf die Bitten Ciceros und Quintilians, die ihnen
nicht den geringsten Teil ihres Ruhmes verdankten, lieB er sich
erweichen.
Der beriihmteste Humanist in Ferrara neben Guarino war
Giovanni Aurispa, er war etwas friiher an den Hof der Este als
Meliadus ,,precettore" gekommen. Ein ganz anders gearteter
Mensch als Guarino, gehort er zu jenem unter den Humanisten
verbreiteten Typus, der Karriere machen wollte, fiir den die neue
Wissenschaft nur ein Mittel war, urn Beziehungen zu den Hofen
anzukniipfen und sich moglichst vorteilhafte geistliche Pfrunden
zu sichern. Aus diesem Grunde hatte Aurispa auch die geistlichen
Weihen genommen, doch hinderte ihn dies durchaus nicht, welt-
lichen Freuden nachzugehen. Sein Freund war Beccadelli Panor-
mita, der sich eine Zeitlang in Ferrara aufhielt. Sie stimmten in
ihren Anschauungen iiberein, nur war Panormita begabter und
ehrgeiziger. Als Beccadelli einst von Neapel aus Aurispa vor-
stellte, daB er dort Bischof werden konne, wenn er sein Sybariten-
leben in Ferrara aufgeben wolle, erklarte Aurispa, daB er sein be-
quemes Dasein in Ferrara den Miihen vorzoge, die mit hohen
Amtern verkniipft seien. Aurispa hat sehr wenig geschrieben,
sein ganzer literarischer NachlaB besteht aus sieben kurzen Ge-
dichten und einigen kleineren aus dem Griechischen iibersetzten
Schriften. Er war trage und be quern; sein Versprechen, eine
kurze Biographie Homers innerhalb vierzehn Tagen zu iibersetzen,
hat er selbst im Laufe eines Jahres nicht erfullt, obgleich er nach
Panormitas Aussage nichts anderes zu tun hatte, als ,, seine
Nagel zu putzen und seinen fetten Bauch zu kratzen".
Seiner griindlichen Kenntnis des Griechischen und seiner be-
deutenden griechischen Bibliothek hatte Aurispa seine Stellung unter
den Humanisten zu danken. Es war fiir ihn leichter als fiir
andere Gelehrte, kostbare Biicher zu sammeln, da er groBe Ein-
kiinfte hatte; auBerdem vermehrte er seine Sammlung durch ent-
liehene Handschriften, die er nicht wiedergab. Filelfo hat es ihm
NICCOLO III. 37
nie verziehen, daB er ein von ihm entliehenes Buch trotz nicht
ubermaBig hoflicher Mahnungen dreiundzwanzig Jahre behalten
hat. Wahrscheinlich hat er als echter Humanist auch Handel in
Handschriften getrieben, und er verstand es, gelegentlich fiir seine
Biicher wirkliche ,,Liebhaber"-Preise zu erzielen.
Ein anderer ernsthafterer Vertreter unter den damaligen Ge-
lehrten war Ugo Benzi, Arzt, Physiker, Philosoph und Literat;
Niccolo III. hat ihn nach Ferrara berufen, damit er an der dortigen
Universitat lese. Benzi konnte auf eine beruhmte Dozentenver-
gangenheit zuriickblicken. Er hatte in Padua, Bologna, Pavia,
Florenz, ja selbst in Paris an der Universitat gelesen ,,ubi im-
mortali cum laude docuit". Uberall war er der Fiirst unter den
Arzten und Philosophen genannt worden.
Wahrend des ferraresischen Konzils hatten diese Humanisten
eine glanzende Gelegenheit, sich durch ihr Wissen hervorzutun.
Damals gab Benzi den griechischen Gelehrten ein Fest, an dem selbst
Niccolo III. teilnahm. Nach dem Essen wurden dieTische auseinander
geriickt und Aristoteles' und Platos Anhanger begannen die Debatte.
Der Wirt bat seine Gaste, ihm Fragen iiber philosophische Probleme,
die damals im Mittelpunkt des Interesses standen, zu stellen; ohne
vorbereitet zu sein beantwortete er jede einzelne mit iiberraschender
Belesenheit, obgleich das Gesprach bis tief in die Nacht dauerte. Prak-
tischer als Ugo gewann Aurispa zwar nicht unsterblichen Ruhm bei
diesen gelehrten Versammlungen, wurde aber dafur vom Papst zum
Sekretar der romischen Kurie ernannt. Niccolo hat auch
MicheleSavonarolaausPaduanachFerraraberufen;
er war ein beriihmter Arzt und Schrift-
steller und der GroBvater des Flo-
rentiner Kanzelredners
und Reformators.
DRITTES KAPITEL
LIONELLO
i
wei Tage nach Niccolos Tod trat der Adel im Kastell
im Saal der ,,zwei Kamine" zusammen und ernannte
Lionello zumHerrn vonFerrara, Modena, Reggio und
samtlichen dazu gehdrigen Ortschaften und Schlossern.
Dann durchzog die Versammlung, Lionello an der
Spitze, die StraBen der Stadt zu Pferde, und das
versammelte Volk rief: ,,Viva lo illustrissimo messer Leonello
signore nostro!"
Ein Portrat von Giovanni Oriolo in der National Gallery zu
London, ein zweites von Pisanello in der Sammlung Morelli zu
Bergamo, sowie einige Medaillen sind von Lionello erhalten. Er
hat einen eigenartigen Kopf mit lockigem Haar, einer seltsam ab-
geschragten Stirn, kleinen aber scharfen Augen, einer schmalen,
langen Nase, sinnlichen Lippen — der Gesamteindruck ist nicht
unsympathisch. Besonders das Londoner Bildnis, das Lionello in
jugendlichem Alter darstellt, nimmt fiir diese Personlichkeit ein,
von der die Zeitgenossen so viel edle Ziige uberliefert haben. Auf
dem Revers zweier Medaillen Pisanellos befindet sich ein Mast
mit stark geschwelltem Segel. Es scheint dies ein Zeichen von
Bestandigkeit zu sein, die jedem Sturm trotzt: Lionellos Symbol.
Niccolo hat diesem Sohn eine besonders sorgfaltige Erziehung
angedeihen lassen. Guarino war fiinf Jahre hindurch sein Lehrer,
bis zur Heirat des jungen Markgrafen mit Margherita Gonzaga.
Vergil, Cicero, Valerius Maximus, Justinian, Ovid und Terenz hat
er mit seinem Schiiler gelesen und ihn in alien korperlichen
LIONELLO 39
Fertigkeiten unterwiesen. Lionello konnte reiten, schwimmen, laufen,
springen, tanzen und mit dem Schwert fechten. Damit der Thron-
folger auch in der Kriegskunst erfahren sei, schickte ihn der Vater
1422 nach Perugia, in das Lager des beriihmten Condottiere Braccio
dei conti di Montone. Zwei Jahre lernte Lionello das Kriegshand-
werk und blieb bis zum Tode des Fuhrers im Lager. Damals hatte
er ein Verhaltnis mit Braccios schoner Tochter, das seine um die
Tugend ihres Helden allzu angstlich besorgten Biographen nicht
zugeben wollen. Trotz dieses Romanes vergaB Lionello in der
Feme seines Lehrers nicht, vielmehr berichtete er ihm regelmaBig
iiber seine Reisen. Diese Briefe beweisen seine Anhanglichkeit an
Guarino. Er meldet ihm einmal, daB er keinen geringen Anteil
am Siege habe, den Braccio errungen, ein andermal schickte er ihm
Rehbocke und Fasanen, oder ein eben erworbenes Buch, oder
bittet ihn, ihm einen Passus in einem alten Autor auszulegen,
den er nicht verstanden. Er beschreibt seine Zeiteinteilung auf dem
Lande: auf Jagdfreuden folgen Lektiire, Musik und Gesang. Auch
Guarino kargt mit Beweisen seiner Sympathie fur den ehemaligen
Schiiler nicht. Er wollte, daB man ihn in Zukunft Guarino Lionelli
nenne, und auf eines seiner Biicher schrieb er stolz: ,,Hoc libello
me Guarinum Veronesem donavit Leonellus Estensis." Guarino
und anderen Gelehrten, so Pier Candido Decembrio, schrieb Lionello
lateinisch, seinen iibrigen Bekannten italienisch, im ferraresischen
Dialekt, und als echter Sohn seiner Zeit machte er naturlich auch
Gedichte. Er hinterlieB einen Band lateinischer und italienischer
Gedichte, aber nur zwei Liebessonette sind auf uns gekommen.
In dem einen beklagt sich der Dichter, daB Amor ihn, der Seh-
kraft beraubt, blind am Wege irren lasse und hohnisch zu ihm
spreche: ,,Gehe nur hin, Ubermiitiger, der seiner Kraft vertraut."
Und der Dichter sucht seinen Weg und harrt eines Mitleidigen,
der ihn an der Hand fassen und leiten wiirde. Aber vergebens
wartet er, er muB Amors Spott, der ihm auflauert, tragen und ihn
beschamt bitten, ihm wieder Fuhrer zu sein. In einem anderen
Sonett schildert Lionello eine wunderbare Quelle, die am Helikon
entspringt, wer Stirn und Hande in sie taucht, verhartet sich gegen
die Glut der Liebe. Auch der Dichter ist hingepilgert, aber Amor
4o DRITTES KAPITEL
wartet seiner dort mit gespanntem Bogen, und als er am Quell
schopfen will, vergiftet der Gott das Wasser mit seinem Pfeil. So
entziindet die Quelle die Wunde, die sie heilen sollte, zu neuem
Brand. Petrarcas EinfluB, der die damalige italienische Lyrik be-
herrschte, ist in diesen Sonetten unverkennbar.
Nach seiner Riickkehr aus Perugia war Lionello Zeuge der
furchtbaren Tragodie: des Todes von Parisina und Ugo, an dem
er sehr hing. Dieser Vorfall scheint eine leise Schwermut erzeugt
zu haben, die immer mehr in seinem Wesen durchbrach. Lionello
blieb aber dem Vater zugetan, auch Niccolo hatte den Sohn auf
Reisen immer um sich und erwies ihm viel Liebe.
Noch zu Lebzeiten des Vaters vermahlte sich Lionello 1435
mit Margherita Gonzaga aus Mantua. Sie stand ihm geistig nahe,
war Vittorino da Feltres gelehrte Schulerin und traumte gleich
ihrem Gatten von Griechen und Rdmern. Guarino freute sich
dieser Heirat so sehr, daB er zweiBiographien von Plutarch fur Lionello
als Hochzeitsgeschenk iibersetzte; brieflich sprach er ihm seine
Freude dariiber aus, daB er eine so gebildete Fiirstin eheliche.
Schon im Verlobungsvertrag, den Niccolo III. und Gonzaga
schlossen, ward, wie Niccolo dem venezianischen Senat berichtet,
Lionello die Nachfolge in Ferrara gesichert. Die freundschaftlichen
Beziehungen, die schon seit langerer Zeit zwischen den Este und
Gonzaga bestanden, befestigen sich vermoge dieser Heirat, und
zwei Jahre spater fand Carlo Gonzagas Trauung mit Lucilla, Lio-
nellos Schwester, statt.
Margherita war keine Schonheit, aber die Chronisten finden
nicht Worte genug, um ihre gute Erziehung, ihre Bescheidenheit
und Gute zu preisen. In Ferrara zog sie am 6. Februar 1435 ein,
alter Sitte gemaB, wie alle jungen Markgrafinnen, auf weiBem
Zelter, doch der Tag war kalt und die Felder mit Schnee bedeckt.
Sie trug einen scharlachroten, hermelinverbramten Samtmantel,
und wirkte wahrhaft koniglich unter dem Baldachin.
Die Feste dauerten drei Tage und verschlangen ein Vermdgen;
die Stadt, die hoheren Beamten, selbst Privatpersonen beteiligten
sich mit bedeutenden Betragen an den Kosten fur die Hochzeits-
feierlichkeiten, um sich die Gunst des Markgrafen zu sichern. So
LIONELLO D'ESTE
BILDNIS VON PISANELLO. BERGAMO, AKADEMIE (GALLERIA MORELU)
UONELLO
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schickten unter anderen die Stadt Modena Niccolo fiir diesen Zweck
2000 Lire, der Bischof von Modena 259, Ugo Bed, ein bekannter
Humanist und Gelehrter in Ferrara, 166, und der Hofarchitekt
Giovanni da Siena 100. Es war allgemein bekannt, daB Niccolo
kein Barvermogen hatte, bei Gianfrancesco von Mantua hatte er
44000 Dukaten geborgt, zum Teil waren sie schon zuriickgezahlt,
wahrend sie zum andern Teil in Margheritas Mitgift verrechnet
wurden.
Fiir das junge Paar wurde im SchloB eine Wohnung her-
gerichtet. Ein Schlafzimmer fiir den Winter nach Siiden, ein
2weites fiir den Sommer nach Norden gelegen. Im Winterschlaf-
zimmer, der Camera dei pavoni, stand ein grosses Himmelbeet,
ein neuer NuBbaumtisch, zwei Banke, eine Truhe mit Samtbehang
und Ornamenten aus vergoldetem Zinn und ein Wandleuchter; der
groBte Schmuck dieses Raumes waren zwei Bankchen mit schwarz -
griiner Atlasdecke, darauf Lionellos Wappen und sein Wahlspruch
in Diamanten. Schwarz und Griin iiberwogen in der Einrichtung,
die prachtig, aber nach heutigen Begriffen nicht iibermafiig be-
quem war. Doch war das Bett mit weichen, mit Wolle gestopften
Matratzen versehen, die Kissen aus Daunen, und das Deckbett
hatte einen gestreiften Oberzug. Tagsiiber lag eine schwarz-griine
Atlasdecke auf dem Bett, die mit Ornamenten und Figuren reich
bestickt war, darunter befand sich eine musizierende Frau. An
den Wanden hingen wahrscheinlich Bilder venezianischer, ferra-
resischer und mantuanischer Maler. Die Guardacamera und die
Guardaroba stieBen an das Schlafzimmer; in der ersten wurden
Kleider und Hausgerat aufbewahrt; so befand sich dort eine Uhr
mit Zifferblatt aus vergoldetem Zinn und einem schwebenden
Engel, auBerdem ein Schachbrett mit Lionellos Wappen; Schach
war des jungen Markgrafen Lieblingsspiel. In der Guardaroba
stand ein zweites Schachbrett in schwarz mit weiBem Elfenbein
und einem dazugehorigen Tischchen. AuBerdem standen dort
Truhen, Banke, ein Tisch aus NuBbaumholz, Kupferkriige und
Schiisseln. Der Humanismus hatte der Antike alles abgelernt —
bis auf die Sauberkeit der Rdmer. Wahrend das kleine Pompeji
groBartige Badeanstalten hat und Bleirohren das Wasser in die
42 DRITTES KAPITEL
Hauser leiten, sind Badevorrichtungen in der Renaissance eine
seltene Ausnahme, und die Ferraresen muBten den Sommer ab-
warten, um im Po baden zu konnen. Zu Ehren des Markgrafen
soil nicht verschwiegen werden, daB sich in der Guardaroba ein
groBes Becken mit seinem Wappen zum FuBwaschen befand.
Das Speisezimmer, ein langer Saal mit zwei Kaminen, wurde
auch bei groBen Empfangen beniitzt. Sechs Banke, zwei Biifetts
und zwei Tische, der eine aus Zypressenholz, bildeten die Ein-
richtung. Vier groBe Leuchter erhellten den Raum. Wahrschein-
lich waren die Wandbehange und Teppiche der Hauptschmuck des
Speisesaals und der Schlafzimmer. Uber die Wanddekoration in
Lionellos Raumen sind wir nicht unterrichtet, aber nach damaliger
Sitte hatte der Speisesaal wohl eine Holztafelung, dariiber Fresken
oder aus Flandern importierte Arazzi. Den SteinfuBboden deckten
orientalische Teppiche, die venezianische Kaufleute nach Europa
gebracht hatten. Lionellos Hofstaat speiste in einem kleineren
Raum, in der ,,Sala dei lincorni", so genannt, da der Markgraf das
Einhorn in seinem Wappen hatte. Am schonsten scheint jedoch
die ,, camera dei cimieri" eingerichtet gewesen zu sein, Lionellos
Studio. Dort war ein Biicherschrank aufgestellt, der friiher Paolo
Guinigi, dem Fiirsten von Lucca, gehdrt hatte. Niccolo hatte ihn
erworben, als das Eigentum des Tyrannen nach seinem Sturz ver-
kauft worden war. Es muB ein mit kiinstlerischem Schnitzwerk
versehener Schrank gewesen sein, sonst hatte der Transport von
Lucca nach Ferrara nicht gelohnt. Lionellos Kammerdiener und
vier andere Bediente hatten bescheidene Kammern, ebenso war die
weibliche Dienerschaft in zwei Raumen untergebracht: in der
,, stanza delle donne vecchie" und in der ,, stanza delle donne vedove".
Margherita krankelte haufig, sie scheint von ihrem Vater ein
schweres Magenleiden geerbt zu haben. Da sie wahrend der ersten
zwei Jahre ihrer Ehe kinderlos blieb, gelobte sie der Kirche von
S. Francesco in Assisi ein Exvotum, fur den Fall, daB sie Kinder
bekame. Nach der Geburt ihres Sohnes am 28. Juni 1438 schickte
sie, um ihr Geldbnis zu erfiillen, ein Wachsbild nach Assisi. Aber
ihre Gesundheit verschlimmerte sich. In den Brief en an ihren
Vater baklagte sie sich iiber ein ,,anhaltendes Kaltegefuhl im Kopf",
LIONELLO
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sie habe einen verdorbenen Magen, vertriige Fleisch iiberhaupt
nicht mehr und konne sich allein von weichen Eiern und Suppen
ernahren. Die Luft in Ferrara bekam ihr schlecht, so ging sie im
Sommer 1439 nach Governolo, der Sommerresidenz der Gonzaga,
aber dort verschlimmerte sich ihr Zustand; nach vierjahriger Ehe
starb sie am 7. Juli. Auch ihr Vater starb an einem Magenleiden
im neunundvierzigsten Lebensjahre.
Lionello hat Margherita sehr geliebt, ihr Tod ging ihm so nahe,
daB er sein Leben fur zerstdrt hielt. Seine neu aufgenommenen
Devisen bezeugen diesen Kummer: ein Schwert mit zerbrochenem
WurfspieB, ein AmboB mit geborstenem Hammer, ein Schild, in
dem einige Pfeile stecken, wahrend die iibrigen zerbrochen am
Boden liegen.
Fiinf Jahre blieb Lionello Witwer; politische Griinde, be-
sonders die Notwendigkeit sich einen Bundesgenossen gegen die
drohend angewachsene Macht Venedigs zu sichern, veranlaBten ihn
eine zweite Ehe einzugehen. Die kiinftige Markgrafin von Ferrara
war Maria von Aragon, die uneheliche Tochter Alfonsos und einer
spanischen Maurin. In Lionellos Namen leitete Agostino Villa
1443 die Verhandlungen. Alfonso versprach seiner Tochter eine
Mitgift von 30000 Dukaten, Lionello sicherte seiner Gattin die
Halfte dieser Summe als ihr Eigentum zu ,, propter ejus virgini-
tatem".
Fur die Kosten der Obersiedlung der Markgrafin und der Feste
anlaBlich der Hochzeit muBten wieder die ferraresischen Stadt-
gemeinden, die Bischofe und die iibrigen Wiirdentrager des Reiches
aufkommen. Es war ein driickender Brauch, der die Freude der
Bevblkerung iiber die Verbindung der Dynastie mit dem Konigs-
haus von Neapel nicht wenig schmalerte.
Die Vorbereitungen zum Empfang der Neapolitanerin ver-
schlangen ein Vermogen. Die verstorbene Markgrafin war Vitto-
rino da Feltres bescheidene Schiilerin, — fur die Konigstochter,
die den Luxus des vaterlichen Hofes gewohnt war, gait es, das
SchloB anders herzurichten. Obrigens sollte Maria von Aragon
nicht mehr die bescheidenen Raume der Thronnachfolgerin be-
ziehen, sondern jenes Appartamento, das Niccolo friiher mit seinem
44 DRITTES KAPITEL
Hofstaat bewohnt hatte. So wurden groBe Neuanschaffungen ge-
macht: silberne und emaillierte Tafelgerate, figiirliche Teppiche aus
Flandern, seidene Wandbehange, silberne Stickereien, vier Schilde
mit dem Wappen ,,di Madama", zierliche Ketten zur Befestigung
der Falken, Pferdegeschirr, eine kiinstlerische Kassette fur das
papstliche Agnus dei, silberne Spiegel- und Bilderrahmen, Wasche
und kostbare Mobel. Nicht allein der Palast sollte neu eingerichtet
werden, die junge Markgrafin sollte in Ferrara eine groBe Anzahl
von Toilettegegenstanden, ja fast eine ganze Ausstattung vorfinden.
Ein kostbarer Rubinring und andere Kleinodien wurden fur sie
bestellt, ganze StoBe von Seidenstoff und Brokat aufgestapelt, selbst
der Handschuhe wurde gedacht: Handschuhe aus Alpenziegen-
leder, mit Gold und Silber gestickt, Handschuhe zum Pallospiel,
sowie acht Kamme aus Elfenbein. Bei dieser Gelegenheit bekam
das Hofgesinde karmoisinrote Handschuhe, damit wurden auch die
Universitatsprofessoren begliickt, die den Baldachin iiber der ein-
ziehenden jungen Frau tragen sollten. Fiir sich selbst lieB Lionello
einen gelben Anzug anfertigen.
Der Markgraf lieB die Verlobte von seinem Bruder Borso und
mehreren Adeligen abholen. Zwei bewaffnete Schiffe wurden aus-
geriistet, das fiir die Braut bestimmte hatte Purpursegel und war
inwendig mit flandrischen Arazzi ausgeschlagen. Die venezia-
nische Signoria lieB einige ihrer Schiffe und Capitani dazustoBen,
und die gesamte Flotte verlieB Venedig am 24. Marz des Jahres
1444. Fast einen Monat spater, am 20. April, zog Maria von
Aragon in Venedig ein, der Doge, die Dogaressa und vornehme
Venezianerinnen in kostbar geschmiickten Barken empfingen die
Braut und geleiteten sie in den estensischen Palast. Am Ponte
Rialto war das Gedrange so groB, daB die Briicke zerbrach, zwei-
hundert Personen fielen ins Wasser, zwanzig davon ertranken, und
es gab iiber vierzig Verwundete.
Damit Ferraras kiinftige Markgrafin einen giinstigen Ein-
druck von Venedig bekomme, verehrte ihr die Signoria ein kost-
bares Kleinod im Werte von 300 Dukaten. Als die Neapolitanerin
einige Tage spater sich Ferrara von der Seeseite naherte, kam ihr
Meliadus, der Bruder ihres Verlobten, zu Schiff entgegen, mit ihm
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die ferraresische Ritterschaft und die schonsten Frauen der Stadt,
deren Barken Meliadus' Schiff wie ein Kranz umgaben. Allgemeine
Aufmerksamkeit erregte ein groBer Kahn, in dem festlich ge-
schmiickte, schone Landmadchen aus Polesina saBen. Bei Glocken-
gelaute, Gesang und Bollerschiissen zog die Aragonierin am 24. Mai
ins Castel nuovo ein, in den Palast der ehemaligen Geliebten Nic-
colos III., Philippa della Tavola. Dort ruhte sie drei Tage aus,
dann fand der feierliche Einzug in Ferrara am 27. Mai statt. Die
Braut saB auf einem weiBen Zelter unter dem Brokatbaldachin,
den die Universitatsprofessoren in ihren neuen karmoisinroten
Handschuhen trugen. Bei Musikklangen bewegte sich die Kaval-
kade durch die StraBen der Stadt, die Feste wahrten fiinfzehn Tage:
Balle, Lanzenstechen und Turniere folgten einander. Der Platz
vor dem SchloB war in Wald und Wiese verwandelt, Jagden auf
wilde Tiere, die man dort ausgesetzt hatte, fanden statt, und die
Neapolitanerin konnte sich dieses Spiels vom Fenster aus erfreuen.
Am nachsten Tage wurde der Platz vor der Kathedrale in einen
Eichenhain verwandelt, und S. Giorgio, Ferraras Schutzheiliger, er-
legte dort einen furchtbaren Drachen.
Das Festmahl nach der Trauung war eines der groBartigsten,
dessen man sich in Ferrara entsann. Es gab soviel Lichter,
daB der Saal zu brennen schien, und die Gerichte lieBen sich nicht
mehr zahlen. Die markgrafliche Kiiche exzellierte besonders durch
ihre groBe Anzahl von Fleischspeisen. Schiissel folgte auf Schiissel,
Fasanen, Rebhuhner, Pfauen wurden aufgetragen, ganz abgesehen
von Ochsen, Kalbern und Hiihnern.
Wahrend der Hochzeitsfeste wurden etwa tausend Ochsen und
Kalber, 40000 Hiihner, 15000 Pfund Zucker und zahlloses Ge-
fliigel verzehrt und allein 12 000 Pfund Wachs verbraucht.
Maria von Aragon erwarb sich die Herzen der Bevolkerung
schnell, auch ihren Mann verstand sie zu fesseln, sie glanzte jedoch
trotz ihres lebhaften Geistes mehr durch ihre Schonheit und Liebens-
wiirdigkeit als durch ihr Wissen. Sie lebte nicht lange. Ferraras
ungesunde Lage scheint ungiinstig auf sie gewirkt zu habsn; sie
starb nach fiinfjahriger Ehe, am 9. Dezember 1449. Fast ein Jahr
spater, am 1. November 1450, starb Lionello, er litt seit langerer
46 DRITTES KAPITEL
Zeit an starken Kopfschmerzen. Nach dem Chronisten Caleffini
waren diese Schmerzen die Ursache seines Todes. ,,E1 male de
la testa el condusse a morte." Er hinterlieB zwei Sonne, Fran-
cesco, einen illegitimen Sohn, der am burgundischen Hofe erzogen
wurde, und Niccolo, das noch unmiindige Kind der Margherita
Gonzaga.
Lionello war vielleicht der erste wirklich menschliche Herrscher
unter den Renaissancefursten. Eine Art Vorrede zu dem von ihm
fur Ferrara erlassenen Gesetz ist fur ihn bezeichnend. Er sagt,
alles Menschenwerk zerfalle in Staub, die Weisheit allein sei ewig
und sie allein beherrsche die Welt. Darum miisse der Fiirst sich
von ihr leiten lassen, auf das Wohl seiner Untertanen bedacht
sein, unter Hintansetzung seines eigenen Vorteils.
Der Dichter Janus Panonius feiert ihn:
. . . cultam studiis Leonellus cultior alma
Sic in pace regit patriam, sic iure quieto
Temperat, ut, reliquis late cum ferrea volvat
Urbibus, huic uni vehat aurea tempora Titan.
(I. Panonis Paneg. p. 25.)
II
Nach Niccolos III. Tode begann fur die Humanisten das goldene
Zeitalter in Ferrara. Lionello hatte zwar in seiner Jugend italie-
nische Gedichte gemacht, doch beschaftigten ihn spater haupt-
sachlich philosophische und theologische Studien; in der klassischen
Literatur brachte er es so weit, daB er als erster die Aufmerksam-
keit der Gelehrten darauf richtete, daB die Korrespondenz zwischen
Petrus und Seneca, mit der sich die Humanisten damals abgaben,
nicht authentisch sei. Die alten Autoren sammelte er mit Leiden-
schaft und war auf die VergroBerung der vaterlichen Bibliothek
sehr bedacht. In seinen Diensten stand ein Bibliothekar, der
unter anderen das Buch ,,De re uxoria" fur ihn abschrieb; das
Einbinden von Buchern wurde eifrig betrieben, das Leder dazu
lieferte der Introligator Nigrisolo dei Nigrisoli.
LIONELLO 47
Lionello bereicherte seine Bibliothek auch durch Abschriften
von Plautus' Komodien, die kurz vorher in Deutschland gefunden
worden waren; sie sollten spater in Ferraras hofischer Kultur eine
groBe Rolle spielen. Selbst in den offiziellen Verfiigungen des
Markgrafen brach seine Vorliebe fur das klassische Altertum durch,
so in jenem Dekret, in dem er dem Arzt Savonarola die Einkiinfte
einer Liegenschaft schenkte. Er sucht seine Freigebigkeit ge-
wissermaBen zu rechtfertigen, indem er sich auf das Beispiel der
beruhmtesten Manner des Altertums beruft; seit Alexander dem
GroBen hatten bei alien Herrschern Arzte und Gelehrte in hohem
Ansehen gestanden.
Die Humanisten drangten sich an den Markgrafen, so wurde
unter seiner Herrschaft die Universitat in Ferrara zu einer der
bedeutendsten Italiens. Lionello berief beriihmte Manner: Teodor
Gaza aus Saloniki als Lehrer des Griechischen, Basinio di Parma,
Francesco d'Arezzo, Lionello und Lodovico Lardi. Den Huma-
nisten Angelo Decembrio zeichnete er in einem solchen MaBe aus,
daB er ihm aus Dankbarkeit ein Denkmal in seinem Werke ,,Politia
litteraria" gesetzt hat. Auch Leon Battista Alberti, der zu jenen
gehorte, die das gesamte Wissen ihrer Zeit beherrschen, war ihm
befreundet. Alberti kam 1438 zum beriihmten Konzil nach Ferrara,
als tibersetzer aus dem Griechischen und Sekretar Eugens IV.; er
erkannte bei naherem Verkehr, daB es Lionello Ernst damit war,
seine Untergebenen zu begliicken. Er widmete ihm 1442 seine
„Teogenia", in der er sich dariiber verbreitet, was dem Lande
mehr schade, Niederlagen oder bestandiger Wohlstand, die Schlechtig-
keit der Menschen oder politische Revolutionen. Die ,,Teogenia"
war gewissermaBen das Versprechen Albertis, sich langere Zeit in
Ferrara aufzuhalten, da er sich in Lionellos Staat sehr wohl ge-
fiihlt hatte. ,,Dort begriff ich" — schreibt er nach jenem Be-
such — ,, welches Gliick es ist in einem Staate zu leben, in dem
nichts den Frieden des Geistes triibt, unter der Herrschaft des
besten Vaters, der Gesetz und Gewohnheiten respektiert." Zwei
Modelle ferraresischer Kiinstler fiir Niccolos III. Reiterdenkmal
wurden von Alberti begutachtet; der Gelehrte beniitzte diesen An-
laB, um seine Abhandlung zu schreiben ,,De equo animante", iibei
48 DRITTES KAPITEL
Pferdezucht und Rassenkreuzung, das Material dazu ergab der
reichbesetzte Marstall des Markgrafen. Aus den Gesprachen mit
Lionello entstand ein weiteres Werk Albertis, jener beriihmte
Traktat iiber Baukunst ,,L'arte d'edificare". Selbst einen Mann
von Albertis Bedeutung regte die Atmosphare an Lionellos Hof an.
Ferrara ward zum wichtigsten literarischen Sammelpunkt im
damaligen nordlichen Italien. Im SchloB versammelten sich die
Gelehrten und Literaten nach Tische oder ,, inter potandum", zu-
weilen lud der Markgraf sie in seine Schlosser Belfiore oder Bellos-
guardo ein, wo sie im Schatten von Eiche und Lorbeer iiber wissen-
schaftliche und literarische Fragen debattierten, oder er arrangierte
Jagdfeste, wohl weniger fiir Guarino und Gaza als fur ihre jugend-
lichen Begleiter. Diese Zusammenkunfte waren durch Platos
Dialoge angeregt. Die Humanisten glaubten die Gepflogenheiten
der alten Weisen in Ferraras schattige Garten verpflanzen zu
konnen. Eine der markantesten Personlichkeiten dieses Kreises
war Uguccione Contrari, ein Mensch von scharfem Verstand und
groBer Erfahrung, dem Markgrafen sehr zugetan und in politischen
Dingen so geschickt, daB zuweilen nicht nur das Schicksal Ferraras,
sondern das ganz Italiens von seinen Planen abhing. Der Mark-
graf unternahm keinen entscheidenden Schritt ohne seinen Rat
Feltrino Bojardo aus Scandiano, der aus einer den Este sehr zu-
getanen Familie stammte, Alberto Costabili, Giovanni Gualengo, die
meisten der Universitatsprofessoren gehorten zu den regelmaBigen
Besuchern dieses Kreises; unter den jiingeren zeichneten sich
namentlich aus die Briider Niccolo und Tito Strozzi und Alberto
Pio aus Carpi.
Die Strozzi, denen wir noch wiederholt am estensischen Hofe
begegnen werden, waren Florentiner Verbannte, ,,fuorusciti".
Carlo Strozzi und sein Sohn Giovanni waren als Fiihrer der guel-
fischen Partei gezwungen, die Vaterstadt zu verlassen, als die
Ghibellinen fiir kurze Zeit die Macht hatten; unter Niccolo III.
hatten die Strozzi sich in Ferrara niedergelassen. Die Legende
will wissen, daB einer ihrer Vorfahren seinen Gegner, einen Riesen,
erwiirgt habe (strozzare), daher bekam ihre Familie den Beinamen
,,Wiirger", ,,Strozza", woraus sich der Name Strozzi entwickelt hat.
LIONELLO 49
Giovanni war mit Costanza de Costabili verheiratet, einer Frau
aus angesehenem ferraresischem Geschlecht, ihre vier Sonne haben
den Este gute Dienste geleistet. Der jiingste Tito Vespasiano
(geb. 1425) war wie Lionello Guarinos Schiiler, ein leidenschaft-
licher Latinist, der friih begann lateinische Verse zu machen. Er
war der begabteste unter den Jungen, die sich urn Lionello sam-
melten. Alberto Pio stammte aus der Condottiere-Familie aus
Carpi in der Po-Ebene, den Nachbarn der Carpi aus Mirandola.
Er ist nicht identisch mit Alberto III. Pio, einem beriihmten Ge-
lehrten und Diplomaten, dem wir an Ercoles I. Hof begegnen
werden. Zu dieser kunstbeflissenen Jugend gehorte auch Francesco
Ariosto aus derselben Familie, aus der spater der groBe Dichter
hervorging.
Die Zusammenkiinfte bei Lionello waren zwanglos und heiter.
Starker als aller Klassizismus war die Jugend; neben Debatten
wissenschaftlicher Natur erzahlte man sich die im XV. und XVI.
Jahrhundert beliebten, oft reichlich gepfefferten ,,Facetien", zu-
weilen, selbst am Abend, spielten Flotenspieler, ,,tibicines", auf,
was Guarino in einem seiner Briefe damit rechtfertigt, daB es auch
im Altertum nicht anders war. Beschonigend fiigt der Padagoge
hinzu, daB die Musik nicht sinnlich sondern schlicht und ernst
gewesen sei, ,,non lascivientem sed sobriam convivis solebant ad-
hibere musicam". Der Tisch war nur einfach besetzt, das Essen
wurde durch Witz und Scherz gewiirzt, indem man es auch darin
Sokrates gleich tun wollte.
Die Geselligkeit stand im Zeichen der ,,urbanitas", einer in
sehr gesuchten Formen sich bewegenden Hoflichkeit, die spater, be-
sonders bei Spaniern und Franzosen, zu lacherlichen Ubertreibungen
fiihrte. Guarino lehrte, daB der Mensch nicht nur geschaffen sei,
um zu leben, ,,vivere", sondern um mit anderen leben zu konnen.
,,convivere". AuBerdem legte man groBes Gewicht auf die Fahig-
keit sich gut, ja elegant auszudriicken, da nach Guarino der Mensch
nicht nur die Pflicht habe, verstandig zu sein, sondern auch seine
Gedanken verstandig und klar zu auBern.
Die Antike hat diese Menschen ganzlich hypnotisiert, sie ver-
loren die Fahigkeit, unbefangen zu denken. Guarino schreibt aus
50 DRITTES KAPITEL
Valpolicella an einen Freund, wie sehr ihn die Natur begliicke,
sofort fiigt er quasi als Rechtfertigung hinzu, daB auch Fabritius
und Cato sich des Landlebens erfreut hatten. Beim Spazieren-
gehen, Reiten, Jagen, selbst beim Fischen hatte er seinen Vergil
in der Tasche, er hielt es fur seiner unwiirdig, iiber die Felder ohne
diesen Fiihrer zu gehen, der Ackerland und Vieh so poetisch ge-
schildert hat. Die Beschreibung seines Landhauses in Valpolicella
ist fast wortlich Plinius entlehnt, der uns die Schilderung seines
groBen Landsitzes in Toskana hinterlassen hat.
Selbstverstandlich haben die Humanisten die franzosischen
Ritterromane verachtet; ihnen galten jene, am Hof der Este so
viel gelesenen Biicher als unmoralisch, sie betrachteten es als
unter ihrer Wiirde, sich mit diesen Dingen abzugeben angesichts
der Werke von Ovid. Darin stimmten sie vollkommen mit der
Geistlichkeit iiberein, die auch in den Erzahlungen der StraBen-
sanger den Quell des Ubels fand. So kampfte man gemeinsam
gegen die Romane, und es ist schon seltsam genug, daB der hitzigste
Gegner der Ritterliteratur ein Arzt in Ferrara war, Michele Savona-
rola, den die Merlin und Rinaldo so erbosten, daB er in seiner
Abhandlung ,,Confessionale" den Priestern riet, jenen ihrer Beicht-
kinder keine Absolution zu erteilen, ,,die sich vergniigen mit dem
Horen und Lesen uberfliissiger Liebesgeschichten, zuviel Zeit fur
Musik und weltlichen Gesang verschwenden und an den Feiertagen,
anstatt zur Vesper zu gehen, den StraBensangern lauschten". Aber
weder die Vorstellungen der Humanisten noch die Ermahnungen
der Geistlichkeit schufen Wandel, das Volk wuBte mit den neu-
modischen Gelehrten, die seine Phantasie nicht befriedigten, nichts
anzufangen und zog die Geschichten heldenmiitiger Ritter Platos
Lehren vor.
Infolge des Einflusses der Humanisten war selbst Petrarcas Kult
in Ferrara geringer als anderswo, mit Florenz, z. B. das zum eigent-
lichen Sitz der Petrarkisten wurde, gar nicht zu vergleichen. Unter
Lionello herrschten die Latinisten in Ferrara unumschrankt, mit
geringen Ausnahmen machte man nur lateinische Verse, das Ideal
der Dichter war Ovid, den man in Form und Inhalt kopierte. Und
dieser Latinisten gab es so viele, daB in Italien der Spottvers zirku-
LIONELLO
51
lierte, in Ferrara gabe es so viel Reimschmiede wie Frosche in den
Siimpfen. Bartolommdo Prignano Paganelli (gest. 1493) schrieb:
.... tot Ferraria vates
Quot ranas tellus Ferrariensis habet.
Der bekannteste dieser Dichter war Giovanni Cesinge, Janus
Pannonius, und der klugste wohl jener Arzt, Girolamo
Castelli, auch er ein Schiiler Guarinos, der
selbst noch in seinem Testament
verbot, seine Verse je
zu drucken.
VIERTES KAPITEL
BORSO
i
h gloria d'Este! nennt Annunzio in seinem Roman
„I1 Piacere" den Palazzo Schifanoja in Ferrara. Von
auBen betrachtet zeichnet sich der Palast weder durch
seinen Umfang noch durch seine architektonischen
Verhaltnisse aus, nur das Hauptportal mit dem groBen
Wappen der Este macht einen durchaus eigenartigen
Eindruck. Das Gebaude, das schon von Alberto Este errichtet worden
war, hat durch Borsos Umbau sein heutiges Gesicht erhalten. Den
,,Ruhm der Este" muB man innerhalb der bescheidenen Wande,
im ersten Stock des groBen Saales suchen, wo die beriihmten Fresken
mit Szenen aus Borsos Leben sich befinden.
Die Fresken gehoren zu den kostbarsten Dokumenten hofischer
Kunst aus der zweiten Halfte des XV. Jahrhunderts, und es ist sehr
zu beklagen, daB nur ein Teil erhalten ist. Im XVIII. Jahrhundert,
in der Zeit von Tunche und Kalkbewurf , wurden sie uberstrichen, und
erst zwischen 1830 und 1839 teilweise aufgedeckt, als man Vor-
bilder zu einem Kostiimfest, einer Jagd zu Borsos Zeiten, brauchte.
Da erst iiberzeugte* man sich vom groBen Wert der Malereien,
und zwei Jahre spater reinigte der Bolognese Alessandro Compa-
gnoni das, was noch nicht ganz verdorben war.
1450, nach Lionellos Tod, iibernahm Borso die Regierung; er
hat bis 1 47 1 in Ferrara geherrscht. Seine Regierung war eine
Epoche des Friedens, da das Reich dank dem glucklichen Lauf der
Ereignisse und der Umsicht des Herrschers keine Kriege zu fiihren
hatte. Ferrara wurde damals die ,, Terra della pace" genannt. Borso
BORSO
53
bemuhte sich, in alien politischen Verwicklungen seine Neutralitat
zu wahren, und die italienischen Nachbarlander haben ihn mehr-
fach zum Richter ernannt in Fallen, die zu kriegerischen Ver-
wicklungen hatten fiihren konnen. Ohne Blutverlust vergroBerte
er sein Reich, obgleich infolge des Erloschens der Dynastie der
Visconti in Mailand und der Feindseligkeiten der Venezianer, die
Ferraras wachsende Macht nur ungern sahen, die Verhaltnisse
schwierig genug waren. Borso verstand es, die Feinde unter-
einander zu veruneinigen und Nutzen aus ihrem Streit zu ziehen.
Der Papst Paul IV. hat einmal gesagt, Borso fiihre ohne Schwert-
streich und Geld, wenn er mit seinen Falken auf die Jagd ginge,
Krieg mit wem er wolle und dazu vorteilhafter als irgendein
anderer mit fiinftausend Berittenen. Borso hatte, auf Herrschaft
und Ruhm bedacht, viele Vorziige, aber diese Vorziige resul-
tierten in der Hauptsache aus dem Egoismus des Herrschers. Darin
war er den Medici verwandt: war Gerechtigkeit nicht mit Nach-
teilen fur ihn verbunden, so iibte er sie gem, aber mehr als um
Recht ging es ihm um den Ruhm des Gerechten. Er stand sehr
friih auf; nachdem er mit seinem Hauskaplan gebetet hatte, ging
er in die Stadt, umgeben von Raten und Sekretaren, um die Streitig-
keiten unter der Bevolkerung zu schlichten und in patriarchalischer
Weise Gerechtigkeit in jenen Fallen zu iiben, die man nicht erst
dem Gericht vorlegen mufite. Fur gewdhnlich begleiteten ihn
Teofil Calcagnini, den er 1465 zum Ritter des goldenen Sporn mit
dem Stern ernannt hatte, und die geheimen Rate Lorenzo Strozzi,
Agostino de Bonfranceschi da Rimini und Prisciano de Prisciani.
Die Bevolkerung drangte sich an ihn, auf der StraBe konnte sich
jeder bei ihm beklagen und seine Bitte vortragen. So sehr geizte
er um den Ruhm des ,, Gerechten", daB er gelegentlich das Theatra-
lische nicht scheute. So wird folgendes Geschichtchen von ihm
erzahlt: Als der Hofmarschall eines Tages Handwerker fur von
ihnen ins SchloB gelieferte Dinge nicht bezahlt hatte, wandten sie
sich an Borso; er selbst iibergab die Sache dem Gericht, lieB sich
verurteilen, bezahlte den Handwerkern was ihnen zukam und
machte dem Hofmarschall Vorwiirfe, daB er ihn in eine solche
Lage gebracht habe. Ein andermal hatte sich ein begiiterter Ferrarese
54 VIERTES KAPITEL
in Venedig eine boshafte Bemerkung iiber Borso gestattet. Als
er zuriickkam, forderte ihn der Markgraf vor das Gericht der
„Zwdlf"; der Urteilsspruch lautete: Verbannung und Einziehung
seiner Giiter. Einer von Borsos Schmeichlern geriet wahrend der
Gerichtsverhandlung in solchen Zorn, daB er auf den Angeklagten
beinahe mit dem Dolch losging. Der Markgraf begnadigte den
Verurteilten zwar, doch muBte der arme Teufel mit dem Strick
um den Hals zu ihm gehen und um Gnade bitten. Es ware ein-
facher gewesen, von vornherein zu verzeihen, ohne die ganze Ge-
richtskomodie zu inszenieren, aber Borso hatte eine Schwache fur
fiirstliche Reklame. Die Ebene von Ferrara erschien ihm zu
flach, so lieB er, um seiner Phantasie Geniige zu tun, einen Hiigel
in Montesanto aufschiitten. Der kunstliche Hiigel verschlang un-
niitze Arbeit und Geld, und die Bevolkerung murrte.
Er unterstiitzte Dichter und Gelehrte, um von ihnen gepriesen
zu werden. Obgleich er nicht gelehrt war wie Lionello, gab er
doch nicht unbedeutende Summen fur die Universitat und seltene
Biicher aus, auBerdem interessierte er sich angelegentlichst fur die
Einfiihrung der Buchdruckerkunst. Tito Strozzi, der die Eitelkeit
des Markgrafen kannte, verfaBte eine lateinische Dichtung ,,Bor-
siada", die ihn verherrlichte, doch braucht die Menschheit nicht
dariiber zu klagen, daB nur Bruchstucke dieses Epos erhalten sind.
Borso verstand es glanzend, seinen Ruhm zu mehren. ,,Tiirken
und Inder" — versichert ein Chronist — ,,haben ihn fur den
alleinigen Beherrscher Italiens gehalten und ihm Geschenke ge-
macht." Uberall gait er als der Kliigste unter den Herrschenden
in der zweiten Halfte des XV. Jahrhunderts.
Luxus und Jagd waren seine Hauptpassionen, er teilt sie frei-
lich mit alien Angehorigen seines Geschlechts. Von den iibrigen
Este unterschied ihn eine seltsame Gleichgiiltigkeit den Frauen
gegeniiber, die in seinem Leben keine Rolle spielen. Einer seiner
Biographen, der von groBer Bewunderung fur ihn erfiillt ist, legt
ihm diese Eigenheit als Vorzug aus.
Am meisten wurde Borsos groBe Gastfreundschaft genihmt.
Sein Haus stand alien bekannten Personlichkeiten offen, das SchloB
war mit besonderem Prunk ausgestattet, er selbst trug stets
BORSO 55
Goldbrokat. Giraldi sagt, daB Borso in seinem Anzug ,,piu ambitioso,
che non conveniva" sei, selbst seine Beinkleider waren aus Brokat
oder Atlas, und den Kopf deckte eine hohe, spitze Miitze, die mit
Gold und Edelsteinen ausgenaht war. Der Markgraf hatte die
beriihmtesten Hofnarren, die schonsten Pferde, Hunde und Falken,
und in ganz Italien las man die Beschreibungen der von ihm ver-
anstalteten Feste. Uberdies war er sehr baulustig, er legte den
Grundstein der beruhmten Certosa von Ferrara, befestigte die
Mauern der Stadt und erneuerte den Palazzo Schifanoja. Frei-
gebig gegen seine Freunde, lieB er fur Teofilo Calcagnini einen
Palast bauen und schenkte ihm auBerdem einige Hauser. Von
seinen Hoflingen zeichnete er Casella aus, den er sein rechtes Auge
nannte, und Lodovico Carbone, von dem noch die Rede sein wird.
An Casellas Begrabnis nahm er in Trauerkleidern teil, was den
bisherigen Gepflogenheiten der Este widersprach.
In Borsos Leben haben zwei Tatsachen oder richtiger zwei
Feste die Historiker am meisten beschaftigt: der Empfang des
Kaisers Friedrich III. in Ferrara und Borsos Aufenthalt in Rom.
Beide Ereignisse beweisen, daB der Herrscher, der sich einen gut-
miitigen Anstrich gab, ein sehr geschickter Diplomat war. Fried-
rich III. kam Anfang des Jahres 1452 mit einem Gefolge von zwei-
tausend Mann, dem Erzherzog Albrecht und dem Konig Ladislas
zur Kronung nach Rom; in Siena sollte er seine Braut Eleonora
von Portugal treffen. Das Geld war knapp am kaiserlichen Hofe,
und so verteilte Friedrich gern Titel unterwegs, um als Gegengabe
seinen Schatz zu fiillen. Borso begehrte den Herzogstitel seit langer
Zeit, er wollte auch den Kaiser durch einen prachtigen Empfang
und reiche Geschenke fur sich einnehmen. So ritt er ihm entgegen,
umgeben von den Fiirsten der kleineren norditalienischen Hofe,
den Edelleuten und der Geistlichkeit; drei Standarten wurden ihm
voran getragen: eine griine mit schwarzem und weiBem Adler trug
Francesco Sforzatello di Rovigo, die zweite, die auch griin war,
trug Venceslao Rangoni da Modena, eine dritte, rote, Pietro Maro-
cello di Ferrara. Ein kostbarer Baldachin wurde uber dem Platz
errichtet, auf dem der Kaiser und der Markgraf sich trafen. Friedrich
war sehr gnadig; Borso bewirtete ihn und sein zahlreiches Gefolge
56 VIERTES KAPITEL
wahrend voller zehn Tage, suchte ihn durch Banketts und Lanzen-
stechen zu zerstreuen, und die Musikklange verstummten kaum
wahrend des Aufenthalts des Monarchen in Ferrara. In der Um-
gebung des Kaisers befanden sich auch die Gesandten der Stadt
StraBburg mit ihrem Gefolge. Ihnen verdanken wir eine Be-
schreibung des Empfanges in Ferrara, sie finden nicht Worte ge-
nug fur Borsos Gastlichkeit. In ihre Wohnung hatte ihnen der
Markgraf sechzehn verschiedene Weinsorten geschickt, so viel Brot
wie zwei Knechte schleppen konnten, zehn Konfektkisten, dreierlei
Wachskerzen, dreiBig Kapaune, zwei lebendige Kalber, und Hafer
fiir ihre Pferde im UbermaB. Ja noch mehr, der Fiihrer des Zuges
und sein Sohn bekamen goldene Ringe und jeder der Gefahrten
einen kostbaren Rosenkranz. Dem Kaiser schenkte Borso die
schonsten funfzig Pferde aus seinen Stallungen und fiinfzig der
besten Falken. Damit nahm Borso den Kaiser so sehr fiir sich
ein, daB er auf der Riickreise aus Rom in Ferrara wieder Halt
machte und dem Markgrafen den heiBbegehrten Titel eines Herzogs
von Modena und Reggio verlieh. Zum Herzog von Ferrara konnte
er ihn nicht ernennen, da dieser Titel vom Papst abhing, dessen
Lehnsvasall der Markgraf war. Die Papste beobachteten aber die
Machterweiterung der Este, die den Interessen der romischen
Kurie entgegen war, mit scheelem Auge.
Am Himmelfahrtstage fand die Feier zu Ehren der Verleihung
des Herzogstitels statt. Am Vorabend des Feiertages gab es ein
groBes Fest im SchloB, selbst der Kaiser tanzte, die ganze Stadt
war illuminiert und Pechfasser brannten auf den freien Platzen.
Vor dem Dome, an der Rigobolloturmseite, stand ein mit ver-
schiedenen ,,Historien" bemaltes Leinenzelt, darin ein Thron mit
Goldbrokatdecke. Uber die iibrigen Sitze waren agyptische Teppiche
gebreitet. Der Kaiser zog einen mit Gold und Kleinodien bestickten
Mantel an und setzte die mit kostbaren Edelsteinen geschmiickte
Krone auf, ihr Wert soil 150 000 Gulden betragen haben. Auf den
Tribiinen, an den Fenstern des bischoflichen Palastes und des
Palazzo della Ragione waren so viele Edelleute, so viel schone
Frauen in kostbaren Gewandern und solche Volksmassen, daB selbst
der Kaiser sich dieser Pracht gev/undert und gesagt haben soil, das
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BORSO 57
Reich wiirde auf eine Stadt wie Ferrara stolz sein. Uber den
Borgonuovo kam Borso auf den Platz vom Castello Vecchio her,
in einem Goldbrokatanzug, starrend von Kostbarkeiten, um den
Hals trug er eine Kette, die allein 20 000 Gulden wert war. Nament-
lich vier seiner Edelsteine erregten allgemeine Bewunderung,
zwei auf dem linken Armel und zwei auf dem Hute: es waren Steine
von nie gesehener Schonheit. Dem Markgrafen voran ritten vier-
hundert Edelleute auf wundervollen Pferden, mit dem Herzog-
schwert folgte einer der bekanntesten Burger Ferraras: Cristiano
Francesco Bevilacqua. Als Borso auf dem Platz erschien, erscholl
es von alien Seiten: Borso! Borso! Duca! Duca! Vor dem kaiser-
lichen Zelt machte Borso Halt und stieg die Stufen der Tribune
zum Monarchen heran, wahrend die Ritterschaft sich im Halb-
kreis aufstellte. Der Markgraf kniete vor Friedrich nieder, der
ihn zum Herzog von Modena und Reggio und Graf en von Rovigo
ernannte. Dann wurde dem neuen Herzog ein langer scharlach-
roter, hermelinbesetzter Mantel umgelegt, in die Hande gab man
ihm ein goldenes Zepter und ein bloBes Schwert, zu seinen FiiBen
legte man die Fahnen der drei Stadte, iiber die er herrschen sollte,
dann kuBte der Kaiser Borso und setzte ihn an seine Seite. Nach
besndeter Zeremonie gab der Kaiser noch einigen der Anwesenden
den Ritterschlag, darunter auch Niccolo da Correggio, Borsos Neffen,
einem einjahrigen Kinde, und dem vierzehnjahrigen Galeotto della
Mirandola.
Dann begab sich der ganze Zug in den Dom; vor dem Haupt-
altar gelobte der Herzog dem Kaiser Treue und verehrte dem
Monarchen als Zeichen seiner Ergebenheit ein Kleinod aus sieben
Steinen, das einen Wert von 40 000 Gulden hatte. Borso durfte
den kaiserlichen Adler in seinem Wappen fiihren und erhielt den
Titel ,, Principe del S. R. J." und ,,Duca con suprema giurisdizione ".
Dann sprach auf kaiserlichen Befehl Aeneas Sylvius Picco-
lomini, der Bischof von Siena, zum versammelten Volk, indem er
die Bedeutung der neuen, Borso verliehenen Wiirde erklarte und die
Tugenden und Verdienste der Este beleuchtete. Dies war der
BeschluB des fur die Geschichte von Ferrara denkwiirdigen Tages.
Am 19. Mai fuhr der Kaiser nach Venedig, wo er im Palast der
58 VIERTES KAPITEL
Este residierte. Borso, umgeben von der Ritterschaft und einer
bewaffneten, etwa tausend Mann zahlenden Eskorte, unternahm
eine Triumphreise im neuen Herzogtum. Unterwegs berauschte
er sich an den Zurufen: Duca! Duca!, am Glockengelaute, an Ge-
sang, Musik und festlichen Ansprachen. In Modena und Reggio
wurde er feierlichst empfangen, Tausende von Kindern kamen ihm
mit Blumen entgegen, die beriihmtesten Redner priesen seinen Ruhm,
und Triumphwagen durchzogen die Straflen. Der Verfasser und
Regisseur des allegorischen Festspiels in Reggio war Malatesta
Ariosto, ein Notar aus Ferrara, Mitglied des Rates und Gelegen-
heitsdichter.
Borso kopierte Alfonso von Neapel, der auch ahnliche Triumph-
zuge durch sein Reich liebte. Diese Ansprachen und Huldigungen,
die dem neuen Herzog wurden, fanden ihren Niederschlag in einem
Verse Bojardos, in dem ihn der groBe Dichter feiert: ,,Sei gegriiBt,
Zier der Este, Borso, Ruhm der Welt!"
Borsos Traum war, auch Herzog von Ferrara zu werden, und
als Pius II. nach Mantua reiste, um den Feldzug gegen die Tiirken
vorzubereiten, glaubte der Markgraf, daB der geeignete Augenblick
gekommen sei, um diesen Wunsch zu verwirklichen. Er ver-
sprach denn auch dem Papst, der am 17. Mai 1459 in Ferrara auf
der Durchreise weilte, 300 000 Gulden fur die tiirkische Expedition,
ohne im entferntesten daran zu denken, diese groBe Summe zu
zahlen. Den Papst empfing er mit dem groBten Aufwand, den er
aufzubringen vermochte. Begleitet von den Herren von Forli,
Cesena, Rimini, Mirandola, Correggio und Carpi, fuhr er ihm ent-
gegen; im Gefolge befanden sich unter anderen sieben estensische
Bastarde, drei Briider von Borso, Francesco, Lionellos unehelicher
Sohn, und drei Sohne von Meliadus. Vor der Porta di San Pietro saB
der Herzog vom Pferde ab, kniete vor dem Papst nieder, kiiBte ihm
den FuB und iibergab ihm die Schlussel der Stadt, Bei Glocken-
gelaute zog der Papst durch die StraBen, die mit Tausenden von
Fackeln erleuchtet waren. In Ferrara blieb Pius II. elf Tage und
beging dort die Fronleichnamsprozession. Zum Abschied schenkte
Borso dem Papst noch einen silbernen Tafelaufsatz im Werte von
8000 Dukaten.
BORSO
59
Dem heimkehrenden Papst bereitete der Markgraf wieder einen
groBartigen Empfang. Er war ihm auf dem Po entgegengefahren,
erwartete ihn in einem prachtvollen Bucentaur, mit Fahnen und
Musik, umgeben von tausend Barken, die die gesamte Breite des
Flusses einnahmen. Am Ufer erwarteten den Papst weiBgekleidete
Kinder, die ihm Blumen und Kranze zuwarfen. Die SlraBen der
Stadt, durch die der Papst fuhr, waren mit Blumen und Grun ge-
schmiickt, und bunte Stoffe waren zwischen den Hausern gespannt.
Mit einer kiinstlichen Briicke wurden SchloB und Dora verbunden,
damit der Papst die Kirche unbehelligt betreten konne. Aber die
vielen Vorbereitungen und Kosten waren vergebens, Pius blieb nur
einen Tag in Ferrara, schlug Borso den erbetenen Herzogstitel ab,
und erst sein Nachfolger, Paul II., der den Este wohlgesinnt war,
entschied die Frage im Sinne des Herrschers von Ferrara.
II
Im Besitz der neuen Wiirde brach Borso im Friihling 1471 nach
Rom auf mit einem wahrhaft koniglichen Gefolge. Ihn be-
gleiteten Alberto d'Este, die Herren von Carpi, Correggio, Mirandola,
Scandiano und Teofil Calcagnini, sein treuer Ratgeber, auBerdem
gehorten etwa funfhundert Ritter und Hoflinge in Samt- und
Brokatgewandern zum Zuge. Am 13. Marz verlieBen sie Ferrara
auf siebenhundert Pferden in kostbarem Geschirr, zweihundert-
fiinfzig Mauleseln mit purpurnen Samt- oder Tuchdecken mit dem
Wappen der Este. Die silbernen Glocken der Maulesel stimmten
lustig zur Musik der Trompeter und Pifferari. Neben den Maul-
eseln schritten achtzig Knechte in WeiB-rct-grun, mit dem ge-
stickten Zeichen ,,di Sua Eccellenza", jeder von ihnen fiihrte zwei
Koppeln Jagdhunde vornehmster Rasse.
Siebzehn Tage dauerte die Reise iiber Ravenna, Rimini, Pesaro,
Perugia, Todi und Narni, und als sich der Zug der Porta del Popolo
naherte, kam ihm ganz Rom entgegen. Den neuen Herzog be-
griiBten siebzehn Kardinale; die StraBen, durch die der Gast ein-
zog, waren mit frischen, eigens zu diesem Zweck verpflanzten
60 VIERTES KAPITEL
Baumen eingefaBt, Girlanden aus Laub und Blumen waren da-
zwischen gespannt. Aus den Fenstern der Hauser hingen Teppiche
und kostbare Stoffe, dazwischen Schilde mit Borsos und des Papstes
Wappen. Triumphbogen mit entsprechenden Inschriften fehlten
nicht, und zur Freude des Volkes schenkten die Springbrunnen an
jenem Tage nicht Wasser sondern Wein. Niemals war der Kaiser
in Rom so feierlich empfangen worden. Der dankbare Herzog von
Ferrara lieB Silbergeld unter das Volk werfen.
Als Wohnung hatte der Papst seinem Gast den schonen Palast
in der Nahe des Vatikans bestimmt, der fur den Kardinal Longueil
gebaut worden war. Die feierliche Verleihung der Herzogswiirde
fand am Ostertage in der Peterskirche statt. Seine Eindrucke be-
schreibt Borso am 15. April 1471 in einem an seinen treuen Sekretar
Giovanni di Compagno in Ferrara gerichteten Brief. Er ist hochst
bezeichnend fur den aufgeblasenen, um Ruhm und Namen geizen-
den Fiirsten; aus jeder Zeile spricht das Gliick uber den groBartigen
Empfang, die Freude daruber, daB Tausende seine Gewander, seine
Pracht, seine Schatze bewundern und Zeugen seiner Triumphe
sind. Besonders stolz ist er darauf, daB er die Wiirde eines Herzogs
von Ferrara von jenem empfangt, der der Nachfolger Christi auf
Erden ist, eine groBere Ehre kann ihm also nicht mehr zuteil
werden. Da ihm der Herzogstitel durch Gottes Gnaden geworden
ist, wird Gott seine Stellung bestatigen und ihm und seinen Unter-
gebenen seinen Segen schenken. Zur Feier, daB er zum Ritter
der Kirche geschlagen und mit dem Herzogstitel in der Peters-
basilika belehnt wurde, legte Borso ein purpurnes, golddurch-
webtes Ehrenkleid an, das bis an die FiiBe reichte. Sein ganzes
Gefolge begleitete ihn und bewunderte, wie er, um Ruhm und Ehre
zu mehren, ,,per nostra honorificentia et gloria", die Schleppe des
papstlichen Pluviale trug.
Kopf an Kopf drangten sich in der Basilika Romer und Fremde,
kein Apfel hatte zur Erde fallen konnen. Nach verschiedenen
einleitenden Zeremonien begann die groBe Messe mit dem Chor
der papstlichen Sanger. Der Papst trat nach dem ,,Kyrie eleison"
an den Altar, um Borso zum Ritter zu schlagen; nach den Evan-
gelien, die lateinisch und griechisch gelesen wurden, kniete der
BORSO 6l
Herzog vor dem Papst nieder und leistete den Treuschwur nach
vorgeschriebener Formel, dann sprach der Papst feierlich zu ihm
,,accipe gladium", gleichzeitig umgiirtete ihn Thomas, der Tyrann
von Morea und Bruder des letzten Kaisers von Byzanz, mit dem
Schwert, und die Generate der heiligen Kirche, Costantino Sforza
und Napoleone Orsini, legten ihm die goldenen Sporen an als Zeichen
wahren Rittertums, ,,in signum verae militiae". Zuletzt driickte
ihm der Papst den FriedenskuB auf die Stirn ,,osculum pads",
und Borso umarmte alle Kardinale der Reihe nach, ihrer Wiirde
entsprechend. Borso empfand die Weihe der Stunde so stark, dafi
er auch spater diese Feier als etwas Aufierordentliches betrachtete,
dessen Erinnerung bis zu seinem Tode nachwirken wiirde. Nach
der Zeremonie empfing Borso das Abendmahl aus den Handen des
Papstes und jetzt erst erfolgte der eigentliche Akt der Titeliiber-
tragung. Man legte ihm einen sehr weiten purpurnen Damast-
mantel um, der nur auf der rechten Seite geoffnet war, ,,mit be-
sonders langer Schleppe" — fiigt Borso hinzu — ,,der furstlichen
Wiirde entsprechend". Ober die Arme hing man ihm einen breiten
Hermelinkragen, auf den Kopf setzte ihm der Papst selbst eine
Mitra ,,oveta" von spitzer Form, mit auf die Ohren fallenden
Klappen, mit Perlen und einem auBergewohnlich schonen Rubin ge-
schmiickt. Als der Papst ihn mit diesem Attribut der Herzogswiirde
bekleidete, sprach er die in diesen Fallen vorgeschriebene Formel
,,accipe insigne ducalis proeminentiae", und bei der Obergabe des
kunstlerischen Zepters fiigte er die Worte hinzu: ,,directionis et
justitiae". SchlieBlich legte ihm Paul II. eine kostbare Kette um den
Hals, so daB der neue Fiirst ,,aussah wie ein Kardinal".
Nach dem Gottesdienst erteilte der Papst dem Volk den Segen,
schwang das SchweiBtuch der heiligen Veronika und verkiindete
einen allgemeinen AblaB. Der Chronist berichtet, daB sich zwei-
malhunderttausend Menschen auf dem Platz angesammelt hatten,
was jedenfalls ubertrieben ist. Es geniigt, daB die StraBen, Fenster
und Dacher der umliegenden Hauser bis zum Kastell S. Angelo
von Neugierigen belagert waren, und als Borso von samtlichen
Kardinalen geleitet in seinen Palast zuriickkehrte, konnte er sich
des Zurufs erfreuen, der ihm von alien Seiten entgegenschlug:
62 VIERTES KAPITEL
Duca! Duca! Borso! Borso! Trotz all seines Gliickes bekennt der
neue Herzog, daB die Feierlichkeit zu lange gedauert habe und
er tniide und hungrig nach Hause gekommen sei. Am meisten
freute ihn, daB man weder einem Konig noch einem Kaiser zu
Ehren je solche Feste in Rom gefeiert hatte.
Nachdem er geschlafen und ausgeruht, muBte Borso sich zu
einer neuen Feier riisten: die Ehrungen, die ihn in Rom erwarteten,
fanden kein Ende, Der Papst verlieh ihm am zweiten Ostertag
die goldene Tugendrose, ,,psr nostra gloria et exaltatione", wie
Borso sich ausdriickt. In seinem hermelinbesetzten Mantel, der
ihm anscheinend groBe Freude machte. mit der Mitra auf dem
Haupt, dem Zepter in der Hand und der kostbaren Kette um den
Hals, begab sich der Herzog nach S. Peter zu dieser neuen Ehrung.
In der Kirche erklarte der Papst nach vollzogenem Gottesdienst
die Bedeutung der goldenen Rose. ,,Eine solche Rose" — schreibt
Borso seinem Sekretar — ,,wird nur dem wiirdigsten Herrscher auf
Erden verliehen." Die Rose war mit Edelsteinen im Werte von
funfhundert Dukaten geschmiickt, und als Borso sich aus der
Kirche in den Palazzo di S. Marco begab, wo der Papst ein groB-
artiges Festmahl ihm zu Ehren gab, hielt er den neuen Beweis der
papstlichen Gunst in der Hand, und wieder begriiBte ihn das Volk
mit lauten Ovationen. Zu diesem Mahl waren fiinfzehn Kardinale
geladen, und die Kirchenfursten ergingen sich in lebhaften Ver-
mutungen dariiber, weshalb Paul II. Borso in dem MaBe feiere.
Die Neugier wuchs, als der Papst Borso in geheimer Audienz emp-
fing und der Inhalt der Unterredung nicht bekannt ward. Spater
erst kombinierte man, daB ein neues Konzil nach Ferrara berufen
werden sollte. Dort sollte man iiber Anderungen innerhalb der
kirchlichen Hierarchie und die Vernichtung der turkischen Macht
verhandeln. Der Papst sah voraus, daB die Kardinale sich der
Einberufung dieses Konzils energisch widersetzen wiirden, deshalb
wollte er sein Geheimnis wahren. In seinen Planen sollte Borso
ihn unterstiitzen.
Borso hatte nicht vorausgesehen, daB dieser vom Papst emp-
fangene Herzogstitel einst die rechtliche Grundlage werden wiirde,
um den Este Ferrara zu nehmen. Aufs neue war er Lehnsvasall
BORSO
63
der Kirche geworden, hatte seine Abhangigkeit vom Papste an-
erkannt, die Bande zwischen Ferrara und Rom enger gekniipft,
wahrend sie unter Obizzo II., der 1264 ,,durch den Willen des
Volkes" gewahlt worden war, sich sehr gelockert hatten. Als Rom
etwa ein Jahrhundert spater (1598) Don Cesare d'Este Ferrara
nahm, stiitzte es sich in der Hauptsache darauf, daB Paul II. Borso
zum Herzog von Ferrara ernannt habe.
Fast einen Monat blieb der Herzog in Rom; vor seiner Abreise
lieB er viertausend Dukaten unter die papstliche Dienerschaft ver-
teilen. Wahrend seines Aufenthalts in der Hauptstadt der Welt
war sein Palast der Mittelpunkt des diplomatischen und gesell-
schaftlichen Lebens. Hocherfreut dariiber schreibt der Herzog dem
treuen Giovanni, er wurde sich wundern, sahe er, wieviel Kardinale
und Pralaten ihn besuchen, wieviel Menschen beiderlei Geschlechts
ihn zu sprechen wiinschen, wie man ihn feiere, obgleich man in
Rom den Anblick von Kaisern und Konigen gewohnt sei. Auch
Francesco Ariosto schrieb, daB Borsos Triumph in Rom dem
Triumph der rdmischen Casaren gleiche.
Wie hatte der estensische Herzog ahnen kdnnen, daB er sich
in Rom den Todeskeim geholt hat? Er holte sich dort das Fieber,
dem er einige Monate spater erlag. Noch konnte er auf der Riick-
reise in Loreto haltmachen, aber krank schon kam er nach Ferrara,
der Krafteverfall war schnell, und am 19. August war der Fiirst
tot. Paul II. war noch vor ihm gestorben, er erlag einem apo-
plektischen Anfall am 26. Juli 1471.
Borso hatte alle moglichen Vorkehrungen getroffen, damit
Ercole, den er sehr liebte, ihm ohne Hindernisse auf dem Thron
folge.
Den Tod fast eines jeden Herrschers glaubte man damals auf
Gift zuriickfuhren zu konnen; so hieB es auch von Borso, er sei
an einem langsam wirkenden Gift, das man ihm in Rom verabreicht
habe, gestorben. Diese Geruchte entbehren jeder Grundlage, Fieber
war eine der haufigsten und furchtbarsten damals herrschenden
Krankheiten.
In der Certosa, wo sein Sarg heute noch steht, wurde Borso bei-
gesetzt. Noch zu seinen Lebzeiten hatte Ferrara ihm 1451 ein
64 VIERTES KAPITEL
Marmordenkmal vor dem Dom errichtet. Auf der Saule, auf der
der erste ferraresische Herzog stand, war in goldenen Lettern
Tito Strozzis Vierzeiler zu lesen:
Hanc tibi viventi Ferraria grata columnam
Ob merita in patriam, Princeps justissime Borsi
Dedidat, Estensi qui Dux a sanguine primus
Excipis imperium, et placida regis omnia pace.
Dieses Denkmal wurde spater vor den Haupteingang des esten-
sischen Palastes gesetzt und wahrend der Revolution im Jahre 1796
zertriimmert.
Ill
Unter Borsos Regierung ging der EinfluB der Humanisten zu-
riick. Mit der Herrschaft des Lateinischen war es zu Ende; poli-
tische Intrigen, Jagden und Feste beschaftigten den Fiirsten; er
kiimmerte sich weder urns Lateinische noch urns Griechische, die
Universitat jedoch unterstiitzte er, so daB sie in dem von Lionello
festgelegten Umfang weiterbestand. Guarino behielt sein Lehramt,
und da Aurispa seine Pfriinden bezog, hatte er keinen AnlaB, Ferrara
zu verlassen, aber allmahlich starben Lionellos Schiitzlinge aus oder
suchten ihr Gliick an anderen Hofen. Jene, die sich bei Borso in
Gunst setzen wollten, iibersetzten lateinische Werke ins Italienische.
Tonangebend wurde der ,, sermon moderno". Carlo di San Zorzo
iibersetzte fiir Borso die Biicher, die man damals gelesen haben
muBte, wie ,,Vita di Niccolo Piccinino", oder Decembrios ,,Le laudi
della citta di Milano". In der dem Fiirsten gewidmeten Vorrede
heiBt es, es bedeute keineswegs eine Zuriicksetzung, daB ,,Fortuna, die
jedem wahrhaft Tugendhaften entgegenwirke, dem Fiirsten zu seinen
vielen Vorziigen nicht auch das Interesse fiir Literatur gesch enkt habe. ' '
Eine groBe Anzahl italienisch schreibender Autoren schickte
Borso ihre Werke, in der Annahme, daB ihre Arbeit in Ferrara gut
aufgenommen werden wurde. So brachte ihm Lorenzi Spirito di
Perugia seine Dichtung ,,L' Altro Marte" dar, Candido de' Bontempi
widmete ihm sein poetisches Elaborat ,,11 Salvador". Ob Borso
BORSO 65
all diese umfangreichen und langweiligen Machwerke auch ge-
lesen hat, bleibe dahingestellt, aber die Literaten hatten die Absicht,
seine Kenntnis der klassischen Literatur zu fdrdern und iibersetzten
fur ihn Plutarchs ,,Biographien", Ciceros ,,Briefe" und verschiedene
andere antike Autoren, wie Appian, Prokopios, Herodot, Xenophon,
Plautus, Apulejus usw. Auch Borsos Giinstlingen, Teofilo Cal-
cagnini, Alberto und Ercole d' Este wurden Ubersetzungen aus
dem Griechischen und Lateinischen gewidmet; das scheint die
Humanisten strenger Observanz nicht wenig geargert zu haben,
und Messer Teofilo machte Carlo da San Zorzo Vorwiirfe, daB er
Unrecht an der Menschheit tue, indem er italienisch und nicht latei-
nisch schreibe. Die Sprache dieser Ubersetzer war nicht gerade
korrekt, sie wimmelte von ferraresischen Provinzialismen, aber die
Ferraresen waren arrogant genug zu behaupten, daB ihr Dialekt
dem Toskanischen nicht nachstande, ,,non ha mancho elegantia da
alzuno altro Italiano parlare". Stolz schreibt Polizmagna einmal
an den Fiirsten: ,,Ferrarra, Italiens Kleinod, hat uns beide geboren
und erzogen, darum sollen wir auch nicht anders denn ferraresisch
sprechen." Da es sehr bequem war, sich nicht mit dem Lateinischen
zu qualen, folgte das gesamte Ferrara dem Vorbild seines Fiirsten.
Als ein Podesta den Befehl erhielt, ,,accipitrem bene legatum
in sacculo", einen in einen Sack verschnurten Falken zu schicken,
lieB der gewissenhafte Beamte einen Geistlichen aufgreifen und
schickte ihn im Sack an die aufgegebene Adresse. Vielleicht ist
das Ganze nur eine boshafte Anekdote, jedenfalls ist sie bezeichnend
fur den Verfall der lateinischen Kultur in Ferrara.
Mit der Entwicklung des ,, sermon moderno" wuchs auch die
Vorliebe fur franzosische Romane. Aus den Buchern der herzog-
lichen Kammer, in die genau eingetragen wurde, wer Biicher aus
der hofischen Bibliothek entliehen hat, ergibt sich, daB Ritter-
romane am meisten gelesen wurden. Bianca d' Este las ,,Gothofred
de Boion", der Conte Lodovico da Canno entlieh ,,Galooth le Brun",
Jacopo Ariosti und Gian Francesco della Mirandola ,, Lancelot",
Meliadus ,,Tristan in lingua Gallica", Francesco d' Arezzo ,,Gral",
,, Merlin", „Meliadus" und ,,Lancilot". Eifrige Leser der Romane
aus dem bretonischen Zyklus waren Galeotto di Campo Fregoso,
5
66 VIERTES KAPITEL
Sigismondo d' Este und Alberto della Scala. Auch Borso scheint
viel franzosische Biicher gelesen und franzosische Handschriften
gern gesammelt zu haben. ,, Merlin" und ,,Lancilot", ins Volgare
iibersetzt, lieB er mit Miniaturen versehen, Giovanni di Niccolo
Biondo und Scipio Fortuna empfahl er, Abschriften der ,,Storia di
Francia" zu beschaffen, und erwarb ins Italienische iibersetzte
Biicher wie ,,Spagna", ,,L' Aspromonte", ,,Merchino".
Man konnte den Markgrafen keine groBere Freude bereiten,
als indem man sie den Paladinen aus Konig Artus' Tafelrunde
verglich. Die Panegyriker und Schmeichler des Hauses, wie Ugo
Caleffini, versaumten nie zu betonen, wenn sie von den jungen
Markgrafen sprachen, von Ercole, Sigismondo, Lionello, Rinaldo,
daB sie ,,vollendete Paladine" seien, ,,che sono paladini perfetti".
Der einzige beriihmte Humanist, der Borso nahe stand, war
sein Giinstling Lodovico Carbone (1435 — 1482), der iiber vier Ge-
dichtbande veroffentlicht hat; beide Strozzi feiern ihn als be-
riihmten Dichter und Gelehrten. Tatsachlich war Carbone der
Typus des humanistischen Scharlatans, ein eingebildeter, miB-
giinstiger Neidhammel, der keine literarische GroBe neben sich
gelten lieB. Seine ganze Kunst bestand, wie bei der Mehrzahl der
Humanisten, in der glatten Form des Verses; er gait als Autoritat
in der Metrik und hieB der ,,Magister syllabarum". Liebesge-
schichten erfullten sein Leben; als ihn die Ungarn zum Professor
beriefen, konnte er sich nicht entschlieBen, Ferrara zu verlassen,
da ihn Francesca Fontana fesselte, der seine Gedichte galten. Fran-
cescas Lippen schienen ihm begehrenswerter als kaiserliche und
furstliche Ehrenbezeugungen.
Fontanina vetat insita pectori
Quae fixa est animo et visceribus meis
Magnis principibus hanc ego praefero
Regum delitiis regnaque persica
Franciscae superant oscula dulcia
Ludentes oculi, risus aureus ....
Der Francesca folgte eine Lucia, die ihn so in Anspruch
nahm, daB er kaum zu seinen in der Universitat angekiindigten
BORSO 67
Vorlesungen kam. Die Schiiler kannten den Abhaltungsgrund und
verfaBten ein Epigramm ,,An die schonste Lucia, Lodovico Carbones
kiinftige Gattin, die ihm den Besuch der Universitat untersagt".
Die Studenten bitten die Geliebte des Professors, ihn nicht mit
ihren Zartlichkeiten im Hause zuriickzuhalten, sondern mit ihm
in die Vortrage zu kommen und sie durch ihre schonen Augen
fur seine Faulheit zu entschadigen.
Als Pius II. in Ferrara war, hielt Carbone in der Kirche der
Madonna degli Angeli eine so groBartige Ansprache, daB der Papst
ihm den Titel ,,conte palatino" beilegte. Der Dichter war so stolz
auf seine Werke und seine Bedeutung, daB er glaubte, ganz Ferrara
sei von seinem Ruhm erfullt.
lam mea Ferrariam celebratur fama per urbem
Cantatur tota nomen in urbe meum.
Als er nach einem einjahrigen Aufenthalt in Bologna nach
Ferrara zunickkam, verglich er sich in einer offentlichen Rede mit
Achill, der sich auf sein Schiff zuriickgezogen hatte, und die ferrare-
sische Universitat mit dem griechischen Heer, sie sei fiihrerlos wie
jenes, wenn sie nicht wiedergewanne ,,il suo ardente Carbone".
1469 kam Friedrich III. nach Ferrara. Wieder hielt Carbone eine
feierliche Ansprache, diesmal dem Kaiser zu Ehren und nicht
weniger zu eigenem Lob. Er riihmte sich, er habe 10000 Gedichte
gemacht, und wahrend seines Lebens sei kein beriihmter Mann ge-
storben, keine Tochter aus vornehmem Hause habe geheiratet, ohne
daB er sie besungen hatte. Seiner Beredsamkeit vertrauend, bat
er den Kaiser, ihm den Grafentitel zu bestatigen und den Lorbeer
zu verleihen. Der Schmeichler erreichte alles. Lionello wiinschter
daB Carbone der Lehrer seiner beiden fur den geistlichen Stand
bestimmten Briider werde. Nach dem Tode des Markgrafen haben
die Minister aber einen Notar aus Ferrara dazu ernannt. Der
Professor rachte sich; bei der Wahl des neuen Universitatsrektors
hielt er eine groBe Rede im Beisein Borsos, des gesamten Hofes,
der Professoren und Studenten, in der er den anwesenden Ministern
die unglaublichsten Beleidigungen ins Gesicht warf, er nannte zwei
unter ihnen ,,monstra turpissima", Verrater, Vernichter der
e*
68 VIERTES KAPITEL
Republik, da sie Lionellos Willen, der Carbone zu schatzen ge-
wuBt, gefalscht hatten.
Sehr bezeichnend fiir ihn ist sein Dialog zwischen Ferrara und
Bologna, wohl um 1460 wahrend seines Aufenthaltes in Bologna
geschrieben. Ferrara klagt, daB Giacomo Grati, der bolognesische
Gesandte in Ferrara, den geliebten Rhetor entfuhrt habe, Bologna
antwortet, da Ferrara soviel beruhmte Redner besaBe, konne es
ihm doch den groBen Professor leihen, aber Ferrara verteidigt sich:
gewiB gabe es Literaten genug, aber das waren zum groBten Teil
eingebildete Streithahne oder Flegel und Esel von so schlechten
Manieren, daB die Stadt sich ihrer schamen musse. Carbone je-
doch, der hofliche, liebenswiirdige, zuvorkommende, giitige sei
Ferrara entrissen. Sicher habe die Natur ihn geschaffen, damit er
des groBen Borso gewaltige Tugenden besinge und feiere. Bologna
stimmt in den Ruhm des Fiirsten ein, ja es ware gliicklich, kame
es los vom Joch der ,,gesegneten Kirche", die auf weltliche
Macht nicht verzichten will. Ware nicht die Furcht vor Rom,
mit Freuden wiirfe sich Bologna in die Arme Borsos, dieses edlen,
gesetzten, frommen und gerechten Herrschers.
Carbone veroffentlichte auch scherzhafte Geschichtchen in Art
der Facezien des Poggio Bracciolini unter dem Titel ,,Le Cento
trento novelle o facetie de Lodovico Carbone". Es ist die erste
italienische Nachahmung lateinischer Schriften dieser Art; das Genre
war in der Renaissance sehr beliebt.
Eine der interessantesten Personlichkeiten aus Borsos Um-
gebung war der Hofmedikus und Universitatsprofessor Michele
Savonarola, den noch Niccolo III. nach Ferrara berufen hatte. Er
war ein sehr streng denkender Mensch und wurde in spateren Jahren
zum Asketen; da ihm die Verbreitung seiner medizinischen Theorien
am Herzen lag, schrieb er mehrere Abhandlungen. Die Este haben
ihn fiir seine Dienste glanzend entlohnt, Lionello gab ihm den
Zehnten der sanctae Helenae, Borso das feudum Madelane und
Papst Nikolaus V. ernannte ihn zum Ritter von Jerusalem. Savo-
narolas beruhmtestes Buch war die ,,Practica major", eine
Enzyklopadie des damaligen medizinischen Wissens: er gibt
hygienische Vorschrif ten, empfiehlt eine vernunf tgemaBe Ernahrung,
BORSO 69
lehrt die Zubereitung von Speisen, gibt einzelne Rezepte und
beschaftigt sich mit samtlichen moglichen Krankheiten vom Kopf
bis zu den FuBen ,,de omnibus aegritudinibus particularibus a capite
usque ad pedes et earum curis". Er schrieb auch iiber Balneologie
,,De balneis", fur die es in Italien stets viel Verstandnis gab, war
man doch selbst in Zeiten groBter Barbarei nach Abano, Poretta
und in viele andere Badeorte in Toskana gereist. Savonarola hatte
den bekannten Condottiere Gattamelata nach Abano begleitet,
Niccolos III. Gicht durch Bader geheilt, Bader galten ihm als wesent-
licher Faktor in der Medizin, und zwar nicht allein kalte und warme
Bader, sondern auch Bader in Wein, 01, Milch usw. Sein Buch
enthalt auch Rezepte zum Destillieren des Aquavit, der ihm als
wichtige Medizin gilt, ,,medicarum calidarum magistra ac parens",
maBig gebraucht ist er ,,sanitatis humanae conservatrix optima ac
deperditae mirabiliter restaurativa". Savonarola beherrschte die ge-
samte damalige griechische und lateinische medizinische Literatur,
am meisten aber huldigte er den Arabern, und Avicenna stellte er
hoher als Galenos.
Seltsam genug ist es, daB dieser Arzt und Gelehrte, der die
Natur zu erforschen suchte, unter seinen Schriften zwei Biicher
iiber die Beichte hinterlassen hat, ,,Confessionale" und ,, Delia
Confessione". Das erste enthalt Vorschriften, wie man sich
fiir die Beichte vorzubereiten und wie man zu beichten
habe, das zweite Lehren, auf welche Weise Gott um
Vergebung der Siinden zu bitten ist. Savona-
rola schrieb noch verschiedene Biicher
moralischen und politischen In-
halts, die aber fiir uns be-
deutungslos sind.
FONFTES kapitel
ERCOLE L
i
it Blut muBte auch Ercole wie viele seiner Vorganger
den ferraresischen Thron erkaufen. Lionellos Sohn
Niccolo hielt sich fur Borsos rechtmaBigen Nachfolger
und wollte sich mit Hilfe seiner Anhanger der Herr-
schaft und des Kastells bemachtigen. Zwei Parteien
standen einander gegeniiber: das Segel ,,Vela", Niccolos
Zeichen, und der ,,Diamant", Ercoles Wappen. Der Diamant er-
freute sich beim Volke groBerer Beliebtheit. Ercole, liebenswiirdig,
gewinnend, heiter, von stattlichem Aussehen, den noch dazu die
in Neapel verbrachte Jugend und seine Beziehungen zum Hofe von
Aragon mit einer gewissen Glorie fur die Volksphantasie umgaben,
trug den Sieg leicht davon. Siebzigtausend Menschen sollen sich
fur ihn ausgesprochen haben, und das Volk war dieses Sieges so
froh, daB es alter Sitte gemaB den Palazzo della Ragione gestiirmt,
die Sitze der Gerichtspersonen zertrummert und die vorhandenen
Papiere verbrannt hat. Die damaligen Gerichtshofe scheinen sich
nicht tibermaBiger Sympathie erfreut zu haben.
Niccolo zog sein ,, Segel" ein und suchte Schutz in Mantua bei
seinem Verwandten Lodovico II. Gonzaga. Ercole schickte ihm
zum Beweise, daB er das Vergangene vergessen habe, ein schones
Trauergewand, das Niccolo nach dem Tode des Oheims brauchte.
Dies Geschenk verbesserte jedoch die Beziehungen zwischen dem
Herzog und dem Kronpratendenten nicht; da Ercole einen plotz-
lichen Uberfall fvirchtete, schickte er den Grafen Niccolo di Rinaldo
Ariosti nach Mantua, damit er Niccolo zu vergiften versuche. Fur
ERCOLEI. yi
diesen ,,Dienst" versprach der Herzog Ariosti zwei Schlosser, einen
Palast in Ferrara und eine jahrliche Pension. Unter dem Vor-
wand, der Markgrafin Geschenke von Ercole zu bringen, kam
Ariost; es gelang ihm, Niccolos Hofmarschall Cesare Pirandoli
zu gewinnen, der seinem Herrn ein vergiftetes Gericht vorsetzen
sollte. Durch einen seltsamen Zufall erkrankte Pirandoli an jenem
Abend, an dem er seinen verbrecherischen Plan ausfuhren wollte;
in der Annahme, daB auch er vergiftet sei, gestand er Niccolo und
Federigo Gonzaga alles. Ariost gelang es, aus Mantua zu ent-
fliehen und Ferrara zu erreichen; Pirandoli wurde dffentlich hin-
gerichtet.
Natiirlich trug dies Ereignis nicht dazu bei, das Verhaltnis
zwischen Niccolo und Ercole zu verbessern. Der Pratendent lauerte
auf einen geeigneten Augenblick, um sich zu rachen und Ferraras
zu bemachtigen.
Nachdem Ercole seine Herrschaft befestigt hatte, dachte er
seiner in Neapel verbrachten Jugend und beschloB, Eleonora von
Aragon, Ferrantes Tochter, zur Gattin zu wahlen. Er war damals
einundvierzig Jahre alt. Eleonora war die Braut des Fiirsten Sforza
von Bari, aber Sixtus IV. hob diesen Vertrag durch eine besondere
Bulle im Jahre 1472 auf. So war Eleonoras Hand frei, und das
Biindnis mit dem Aragon bot,abgesehen von allem anderen, nament-
lich deshalb fur Ercole viele Vorteile, weil es Ferraras Macht gegen
Venedig, seine gefahrlichste Nachbarin, starkte. Eleonora wurde
eine Mitgift von 80000 Dukaten versprochen.
Der Hof von Neapel war wegen seiner spanischen Pracht und
seines groBen Luxus bekannt. Auch Ercole hatte Sinn fur Pracht-
entfaltung, und so wurden die glanzendsten Vorbereitungen zum
Empfang der Braut in Ferrara getroffen. Um Eleonora nach
Ferrara zu geleiten, gingen im Juni 1473 Sigismondo und Alberto,
Ercoles Briider, nach Neapel; in ihrer Gesellschaft befanden sich
Galeotto Pico della Mirandola, Niccolo da Correggio, Marco Pio
aus Carpi, der Dichter Maria Bojardo, Nino Contrari und Lodovico
Carbone, dem die feierlichen Ansprachen bei der BegriiBung zu-
fielen. Der Zug bestand, abgesehen von der Dienerschaft, aus
iunfhundert Berittenen. In Neapel wurden die Ferraresen aufs
72 fUnftes kapitel
glanzendste empfangen; zweihundert bekannte Personlichkeiten
Neapels, Fiirsten, Ritter und Hofdamen, gaben der scheidenden
Fiirstin das Geleite.
Eleonora zu Ehren wurden in Rom Feste gegeben, die zu den
glanzendsten der Renaissance gehoren. Der Arrangeur war der junge
Kardinal S. Sisto, Pietro Riario, der Nepote Sixtus IV., der aus einem
armen Monch ein groBer Kirchenfiirst gev/orden war und als einer
der groBten Verschwender der ganzen Epoche gait. Er war der Typus
des hochmiitigen Pralaten, erpicht auf Macht und Ruhm, und
riB mit Hilfe des Papstes die reichsten Pfriinden an sich. Seine
Einkiinfte betrugen nach heutigem Gelde etwa zwei und eine halbe
Million Franken. Sie flossen ihm zu aus dem Erzbistum von Florenz,
dem Patriarchat von Konstantinopel, der Abtei S. Ambrogio und
einer Reihe anderer Bistiimer, die ihm der Papst, sein Vetter, iiber-
wiesen hatte.
Die gesamte Palasteinrichtung des Kardinals, seine Wagen
und die Anziige der Dienerschaft waren aus Samt und Brokat, reich
mit Gold gestickt. Der ehemalige Franziskaner besaB die schonsten
Pferde in Rom, kleidete seine Dienerschaft in Scharlach und urn-
gab sich mit einer Schar von Verseschmieden, die ihn in den Himmel
hoben. Seine bevorzugte Kurtisane, Teresa, iiberschiittete er mit
Perlen und Edelsteinen; er gab Turniere und Bankette, wie sie das
Rom der Papste noch nicht geschaut hatte.
Sein Gast war Eleonora.
Ferraras Herzogin naherte sich am 5. Juni 1473 den Toren
der ewigen Stadt. Die Kardinale Caraffa und Anxias de Podio
kamen ihr mit einem groBen Gefolge von Pralaten entgegen und
geleiteten sie in den Later an, wo ein Friihstuck bereitet war. Dort
erwarteten sie die beiden papstlichen Nepoten: die Kardinale Riario
und Giuliano della Rovere, der nachmalige Julius II. In ihrer
Gesellschaft begab sich Eleonora zu S. Sisto. Da der Palast des
Kardinals zu eng war, um die ferraresischen und neapolitanischen
Gaste aufzunehmen, lieB Riario auf dem Platz vor der Kirche ein
groBartiges Holzgebaude errichten, versehen mit offenem Atrium.
Auf der einen Seite des Platzes hatte er eine Buhne, die fur offent-
liche Auffuhrungen bestimmt war, aufschlagen lassen. Vor dem
ERCOLE I. D'ESTE
KOPIE DOSSIS NACH TIZIAN. MODENA, GALER1E
ERCOLE I.
73
Palast stand ein Springbrunnen, der sein Wasser aus einer Zisterne
auf dem Dach der Basilika empfing. Der provisorische Palast
wirkte wie ein Gebaude aus Stein; Wande, Decken und FuBboden der
groBen Zimmer waren mit golddurchwirkten Tapeten und flan-
drischen Teppichen gedeckt. Ein groBartiger Teppich mit der Er-
schaffung der Welt, der von Nikolaus V. bestellt worden war, er-
regte allgemeine Bewunderung. Es wurde behauptet, daB in der
gesamten christlichen Welt kein schonerer Arazzo vorhanden
sei; leider ist dieser kostbare Schatz nicht auf uns gekommen.
Diese provisorischen Raume waren mit einem derartigen Luxus
ausgestattet, daB selbst die Zeitgenossen, die den Pomp der Kirchen-
fursten gewohnt waren, AnstoB an dieser Verschwendung nahmen.
Um Eleonoras Raume kuhl zu erhalten, waren drei groBe, ver-
steckt angebrachte Blasebalge in Tatigkeit.
Am Pfingstsonntag wurde die Geschichte der ,, Susanna" am
Nachmittag auf dem Platz vor dem Palast aufgefuhrt, und am Mon-
tag gab der Kardinal ein Festessen, das sich den raffiniertesten der
romischen Kaiserzeit vergleichen lieB. Von Trommeln und Pfeifen
begriiBt, betraten die Gaste den Saal. Die Dienerschaft in seidner
Livree gab eine Vorahnung des zu erwartenden Luxus. Am Haupt-
tisch saBen auBer der Fiirstin nur noch neun Personen, acht aus
ihrem Gefolge, und der Kardinal Riario, der Gastgeber, war der
Zehnte. Allgemeine Bewunderung erregte das Biiffett mit den
Meisterwerken der Kochkunst, mit zwolf auBerst wertvollen Tafel-
aufsatzen aufgeziert. Zuerst wurden SiiBigkeiten gereicht, kandierte
Orangen mit Malvasierwein und Rosenwasser zum Waschen.
Es gab vierundvierzig Gerichte, darunter in einem Stiick gebratene
Rehe, Hirsche, Hasen, Kalber, wahrend das Gefliigel: Kraniche,
Fasanen, Pfauen in seinem Federkleid gleichsam lebendig serviert
wurde. Das seltsamste Gericht war ein Bar in seinem Fell, mit
einem Stock im Maul, ,,damit er nicht beiBe". Die Schuppen der
Fische waren versilbert, das Brot vergoldet, und die Kuchen, Torten
und SiiBigkeiten, die in ungeheuren Mengen gebracht wurden,
hatten die seltsamsten kunstlichen Formen. Die Meisterwerke
der Zuckerbackerkunst waren ein Herkules, fast lebensgroB, im
Kampf mit Ungeheuern begriffen, und eine groBe Schlange, die
74 FUNFTES KAPITEL
sich auf einem Zuckerberg walzt und den Gasten ihren auf-
gesperrten Rachen zukehrt. Auch ein reichbeflaggtes Konfekt-
schloB wurde hineingebracht, dann schleppte man zwolf groBe,
mit Zucker-Eicheln beladene Schiffe herbei, als der Frucht der
Rovere, die eine Eiche im Wappen fiihren. Den Schiffen folgte
Venus in stolzem, von ausgestopften Schwanen gezogenem Ge-
fahrt, schlieBlich zeigte sich in der Tiir ein bewaldeter Berg, daraus
schritt ein lebendiger Zwerg heraus und driickte in Versen seine
Verwunderung dariiber aus, sich unvermutet in so erlesener Ge-
sellschaft zu befinden. Die Einformigkeit des sechs Stunden
wahrenden Mahles unterbrachen allegorische Gestalten, die durch
Rezitation von Gelegenheitsgedichten und Gesang das Bankett
verschonten. Unter anderen trat ein Jiingling auf und sang mit
schoner Stimme ein lateinisches Gedicht, in dem er den Gasten
vorhielt, daB sie von solchen Herrlichkeiten umgeben selbst den
Gdttern den Olymp nicht zu neiden brauchten, um so weniger
als Jupiter selbst unter ihnen weile.
Wer sollte dieser Jupiter sein? Der Gastgeber und Kardinal,
der Franziskaner ?
Ein Ballett beschloB das Fest. Auf der Biihne tanzten antike Helden
mit ihren Geliebten. Den wolliistigen Tanz unterbrachen Kentauien,
die die schonen Balletteusen rauben wollten, aber Herkules ergriff ihre
Partei und verjagte die wilden Kraftmenschen. Dem Ballett folgten
noch einige Auf f iihrungen, deren Inhalt aus dem My thus geschopf t war.
Die Feste der Renaissance kannten kein MaB, es gait den Becher
bis zur Neige zu leeren, bis die Teilnehmer der Feste vor Miidig-
keit fast umsanken.
Die Herzogin blieb fiinf Tage in Rom, und es ist mehr als zweifel-
haft, ob sie wahrend dieses Empfanges sich von den Reisestrapazen
zu erholen vermochte. Ein Trost in ihrer Abspannung mogen die
reichen Geschenke gewesen sein, mit denen Sixtus IV. und die Kar-
dinale sie iiberschiitteten.
In Ferrara traf man groBartige Vorbereitungen zum Empfang
der Herzogin. Fiinf der beriihmtesten Maler und Bildhauer arbeiteten
an einem fur sie bestimmten Caroccio, iiber den Po wurde eine
neue Briicke geschlagen, und eine Kunstlerschar schmiickte die Stadt.
ERCOLEI. 75
Zu Pferde zog Eleonora unter dem Baldachin ein, in einem
Kleid aus Goldbrokat mit kostbaren Edelsteinen und einer stolzen
Krone auf dem Haupt. In den StraBen Griin, Blumen, bunte
Stoffe — so daB die Herzogin durch unabsehbare Zelte einzuziehen
schien. Triumphbogen waren errichtet, und auf Estraden suchten
Tanzer bei Musikklangen die Aufmerksamkeit auf sich zu Ziehen.
Am nachsten Tage traute der Kardinal Bartolommeo Roverello
das herzogliche Paar im Dom, dann begannen die acht Tage
wahrenden Feste. Die stadtischen Korporationen machten Eleonora
reiche Geschenke, deren Wert auf 28444 Lire berechnet wurde,
auBerdem brachte ihr jede vornehme Familie und jeder groBere
Wurdentrager des Landes seine Huldigung in Form eines Ge-
schenkes dar.
Eleonora war eine ungewohnliche Frau von groBen Verdiensten
und groBer Energie. Sie war sehr musikalisch, spielte selbst Harfe,
las viel und sammelte die Werke der beriihmtesten damaligen
Maler. Sie besaB Bilder von Mantegna und Bellini; in ihrer Hand-
bibliothek befanden sich Casars Kommentare in italienischer Uber-
setzung, Plinius' Schriften, die ,,Fioretti" des heiligen Franziskus,
eine groBe Anzahl spanischer Geschichten und unter anderem der
damals viel gelesene Roman ,,11 Career d'Amore".
In schweren Tagen bewies Eleonora viel Mut und Geistes-
gegenwart, namentlich als Niccolo, um den an ihm versuchten
Mord zu rachen, in Ferrara einfiel. Ercole war in Belriguardo,
und Niccolo hielt den Augenblick fur geeignet, um durch einen
kiihnen Streich Ferrara zu erobern, wo Eleonora mit den kleinen
Kindern allein verblieben war. Im Einverstandnis mit dem Mark-
grafen von Mantua und Giovanni Maria, dem Fiirsten von Mai-
land, hatte der Pratendent siebenhundert Bewaffnete in Kahnen,
die mit Stroh bedeckt waren, verborgen und landete mit dieser Schar
in Ferrara. Ehe die Kunde des Uberfalls ins Kastell gedrungen war,
erklang schon Niccolos Kriegsruf: vela! vela! durch Ferraras
Gassen. Aber diese Losung fand auch diesmal bei der Bevolkerung
keinen Widerhall, Eleonora sammelte, unterstiitzt von ihren
Schwagern Ercole, Sigismondo, Alberto und Rinaldo, ein Heer;
Niccolo wurde aus der Stadt vertrieben, mit seinen Begleitern in
76 FUNFTES KAPITEL
die Siimpfe gedrangt und dort gefangen. Niccolos Haupt fiel unter
dem Beil; zweihundert seiner Anhanger lieB Ercole zur Warnung
unter den Fenstern des Palazzo della Ragione aufhangen, fiinf
an den Zinnen des Castell Vecchio, den iibrigen schenkte er das
Leben unter der Bedingung, daB sie ihm den Treueid leisteten.
Alle waren damit einverstanden, nur ein alter Koch, Lucca, wollte
seinen Herrn nicht verleugnen; als man ihm sagte, er miisse, um
seine Freiheit zu erlangen, ,, diamante" rufen, schrie er ,,vela!"
und biiBte seine Treue mit dem Leben.
In den beiden ersten Jahren ihrer Ehe hatte Eleonora zwei
Tdchter: Isabella (geb. am 18. Mai 1474) und Beatrice (geb. am
29. Juni 1475), spater kamen vier Sonne dazu, von denen der
alteste, Don Alfonso, als Alfonso I. dem Vater auf dem Throne folgte,
Ippolito wurde spater Kardinal.
Ercole und Eleonora lebten in einer Musterehe, nach den Be-
griffen der Renaissance. Der Herzog gait als treuer Ehemann,
und nur einmal, um den Traditionen seines Geschlechtes treu zu
bleiben, hat er seiner Frau die Treue gebrochen. Als Eleonora
im Mai des Jahres 1477 fur einige Monate zu ihren Eltern nach
Neapel reiste, kniipfte der Herzog ein Verhaltnis mit einer Hof-
dame an, Isabella Arduino, die ihm im Marz 1478 einen Sohn
Giulio geboren hat. Drei Monate spater wurde Isabella an einen
Giacomo Mainente in Ferrara verheiratet, und Ercoles einmalige
Eheirrung hat sein gutes Verhaltnis zu Eleonora nicht getriibt.
In dieser Beziehung waren die damaligen Frauen iibrigens sehr
nachsichtig. Wenn z. B. der Markgraf Gonzaga von Mantua,
der Gatte Isabellas und Schwiegersohn Ercoles, sich fur eine langere
kriegerische Expedition riistete, wahlte ihm die sorgende Gattin
selbst eine schone, gesunde Mantuanerin zur Reisegefahrtin.
Vor seiner Heirat mit Eleonora hatte Ercole mit Lodovica
Condolmieri eine Tochter Lucrezia d'Este. Sie heiratete 1487
den Grafen Annibale Bentivoglio, den Sohn des Tyrannen von
Bologna, und war eine ungewohnliche Frau.
Eleonora war eine gute Mutter und gab ihren Kindern eine sorg-
faltige Erziehung. Battista Guarino unterrichtete die Madchen
im Lateinischen, nach ihm Jacopo Gallino, der es so gut verstand,
ERCOLE I.
77
die jungen Herzoginnen fur die trockenen Studien zu interessieren,
daB Isabella auch spater als Markgrafin von Mantua sich gem der
Zeiten entsann, wo sie nach Chrysoloras Grammatik gelernt
und Vergils Eklogen, Ciceros Briefe oder die Aeneis aus dem Ge-
dachtnis rezitiert hatte. Ein sehr von ihr verebrter Lehrer war auch
Mario Equicola d'Alveto, der Verfasser der 1521 in Ferrara er-
schienenen ,,Geschichte von Mantua" und der Abhandlung ,, Delia
natura d'amore". Die jiingere, wenig begabte Beatrice konnte diesen
Stunden nicht viel Reiz abgewinnen, sie ritt lieber oder futterte
die Tiere im Park. Isabella dagegen gait als ungewohnliches Kind,
,,deliziosa creatura", und man gab sich stets viel mit ihr ab.
Ein wesentlicher Faktor in der Erziehung war der Musik-
unterricht. Aus Konstanz lieB der Fiirst einen deutschen Geist-
lichen und beriihrnten Musiker, Don Giovanni Martin, kommen,
damit er seine Kinder unterrichte und gleichzeitig die Sanger
der fiirstlichen Kapelle ausbilde. Isabella hatte eine gute Stimme und
sang gem zur Laute. Die jungen Damen spielten auch Klavier und
waren so musikalisch, daB Trissino, einer der Hofdichter, Isabellas
Stimme mit Sirenengesang verglich, ja, er ging noch weiter: sie
vermoge wie einst Orpheus wilde Tiere mit ihrer Stimme zu zahmen.
Auch Baldassare Castiglione pries ihre Talente. Vor fremden Gasten
riihmte sich der Fiirst gern des Gesanges seiner Tochter, und bei
einem Feste, das zu Ehren des Gesandten Ludwigs XII. gegeben
wurde, entziickte Isabella durch ihr Lautenspiel die ganze Gesellschaft.
Auch in kdrperlichen Ubungen wurden die jungen Madchen unter-
wiesen, sie muBten reiten und tanzen, daneben auch handarbeiten,
besonders kunstvolle Stickereien in Gold und Seide ausfiihren.
II
Nach Burckhardt war Ferrara der erste moderne Staat; diesen
Satz miiBte man dahin korrigieren, daB Ferrara am deutlichsten
zeigt, wie ein Staat in der Renaissance organisiert war. Die admi-
nistrativen Grundsatze der damaligen despotischen Staaten waren
in ganz Italien fast die gleichen, in Ferrara treten sie besonders
78 fOnftes kapitel
hervor, weil eine Dynastie sich drei Jahrhunderte hindurch be-
hauptet hat. Infolgedessen hatten alle politischen Einrichtungen dort
mehr Bestand und bekamen allmahlich eine festgeschlossene Form.
Uberall, in Ferrara, Mantua, Bologna oder Verona, bildeten die
friiheren Gemeindestatuten die Grundlagen der Regierung und des
richterlichen Verfahrens. Die Kommune bestand weiter, aber sie
bestand unter dem Schwerte des herrschenden Fiirsten oder Con-
dottiere, der ihr so viel von der friiheren Autonomie belieB, als es
mit Riicksicht auf seine Finanzen und Ziele notwendig war. Der
Furst veranderte im allgemeinen die Institutionen der Gemeinde
nicht, aber er kontrollierte sie und beschrankte ihre Tatigkeit durch
seine Macht. In Ferrara regierten noch im XIII. Jahrhundert
zwolf ,,weise Manner", ,,Savi", an ihrer Spitze stand der ,,aller-
weiseste", ,,Giudice de' Savi", er war der Prasident des Stadtischen
Rates und Vertreter des Volkes. Das Statut der Stadt nennt ihn
,, Pater moderator que patriae et praefectus universitatis". Der
Giudice de' Savi hatte dieselben Obliegenheiten zu erfiillen wie die
friiheren Konsuln, die noch unter Friedrich I. der Republik Ferrara
vorgestanden hatten. Zuerst bekleidete ein fremder Rechts-
gelehrter diese Stelle, seit dem XV. Jahrhundert ein Mitglied eines
der aristokratischen Geschlechter Ferraras. Die zwolf Savi wurden
aus den Biirgern der Stadt, ohne Unterschied des Standes, gewahlt,
ihnen halfen in ihrer Arbeit Beamte, Aggiunti. Den Vorsitzenden
der Savi ernannte der Herzog oder setzte ihn nach Gutdiinken ab;
obgleich der Giudice der hochste Beamte im Staate war, iibertrug
er dem neuen Thronfolger den Oberbefehl iiber das Heer und iiber-
gab ihm die Herrschaft iiber das Volk.
Dem Kollegium der Savi unterstand die zivile, wirtschaftliche
und finanzielle Verwaltung der Gemeinde sowie die Gerichtsbarkeit
in Zivil- und Strafsachen, soweit sie durch die Macht des Podesta
nicht beschrankt war. Die Savi erlieBen Gesetze, die ihre Rechts-
kraft erst erhielten, wenn der Herzog sie bestatigte, auferlegten
stadtische Abgaben, sorgten fur die offentliche Sicherheit, die Er-
haltung der StraBen, Kanale und Briicken; zum Bereich ihrer
Tatigkeit gehorte ferner hoheres und niederes Schulwesen, Ge-
sundheitspolizei, selbst das Pragen der Miinzen.
ERCOLE I.
79
Aus friiherer Zeit hatte sich die Wiirde eines Podesta erhalten.
Wahrend in freien Gemeinden der Podesta der hochste, fur eine
bestimmte Zeit gewahlte Beamte war, dem die Volksversammlung
eine fast diktatorische Gewalt iibertragen hatte, war der Podesta
in Ferrara zu Zeiten der Este ein festangestellter, vom Herzog
ernannter Beamter. Er war Gerichtsvorsitzender in einzelnen
wichtigen Strafsachen, die dem Rechtsspruch der Savi entzogen
waren, und fiihrte die Befehle des Herzogs aus. Uber jene Dinge,
auf die es dem Herzog wenig ankam, saBen die Savi zu Gericht
und fallten ihr Urteil. Der Giudice konnte sich daran freuen, in
Wachs sein groBes Siegel con San Giorgio pragen zu lassen, aber
wehe dem Richter, der sich dem Willen des Herrschenden wider-
setzt hatte. Dann trat der Podesta, der exekutive Gewalt besaB,
in Wirksamkeit, und der verdachtige oder hartnackige Giudice
wurde im besten Falle in das VerlieB unterhalb des Kastells ge-
worfen, wenn ihn seine Halsstarrigkeit nicht den Kopf kostete.
Und in diesen italienischen Tyrannenstaaten herrschte eine riihrende
Vielfaltigkeit in der Art, sich der der Regierung unbequemen
Menschen zu entledigen. Gewohnliche Verbrecher wurden gehangt
oder der Kopf wurde ihnen mit einer der franzosischen Guillotine
verwandten Vorrichtung abgeschlagen. Die Franzosen haben nam-
lich keinen AnlaB, sich ihres Doktors Guillotin, als des Erfinders
dieses Mordinstrumentes, zu riihmen, es war schon in Ferrara
unter dem Namen ,,mannaia" bekannt — fehlte die ,,mannaia",
so wurde der Kopf mit dem Schwert abgeschlagen oder der Delin-
quent im Gefangnis erwiirgt. Wollte man sich jemandes in aller
Stille entledigen, so bediente man sich des Dolches, fur Ver-
wandte und Freunde jedoch hatte man Gift im Vorrat. Ubrigens
gehdrte auch das Einmauern eines Menschen in eine enge
Zelle nicht zu den Seltenheiten; noch im Jahre 1507 ward
Madonna Laura disonesta auf diese Weise unschadlich ge-
macht. Sie wurde in der Bischofskirche, an der linken Seite
des Hauptaltars eingemauert; die Nische war so klein, daB sie
sich kaum in ihr umdrehen konnte, und nur durch einer!
schmalen Spalt in der Mauer wurde ihr die notwendigste Nah-
rung zugefuhrt.
8o FUNFTES KAPITEL
Ferrara war wegen seines ausgezeichnet verwalteten Staats-
schatzes beriihmt, und seine finanziellen Institutionen waren
vorbildlich fiir die tibrigen Staaten. Die ferraresischen Herzoge
galten als vermogend, ,,danarosi", und trieben neben Venedig und
Florenz, deren Finanzwirtschaft ebenfalls ausgezeichnet war,
die beste Finanzpolitik. Unter Borso und Ercole I. war das ferra-
resische Finanzsystem schon vollkommen ausgebildet. An der
Spitze der Verwaltung fiir die Einnahmen und Ausgaben des Reiches
standen zwei ,,Generalfaktoren", denen der gesamte Beamten-
stab unterstand. Die Faktoren ernannte der Herzog; dem einen
unterstand das Finanzwesen der Hauptstadt, dem andern das
der Provinz. Die Reichseinkiinfte flossen in die allgemeine herzog-
liche Kasse, in die ,,Bank", und bestanden in der Hauptsache aus
den Zinsen, die die zum groBten Teil verpachteten herzoglichen
Giiter abwarfen, aus Zollen, Monopolen, dem Verkauf der Amter,
den Einkiinften der herzoglichen Fabriken (Tuch, Teppiche,
Majolika), ja selbst aus dem Erlos fiir Getreide. Die Gemeinden
stellten jahrlich zur Bestreitung ihrer eigenen Ausgaben eine
sogenannte ,,Kollekte" auf, eine Abgabe, die nach MaBgabe der
vorhandenen Vermogen erhoben wurde. Wenn die Gemeinden
ungewohnlich groBe Ausgaben hatten infolge von Oberschwem-
mungen, Seuchen und Erdbeben, oder selbst infolge of fentlicher Feste,
so kam die herzogliche Kasse, ,, camera ducale", ihnen haufig zu
Hilfe, um sie zu entlasten. Aus dem herzoglichen Schatz wurde
das groBe Soldnerheer der Este entlohnt, die Anfuhrer jedoch,
die zumeist aus der begiitertsten Ritterschaft gewahlt wurden,
erhielten keine Bezahlung und dienten nur um der Ehre willen.
Die Erhaltung der Festungen, der Ankauf von Waffen, Schiffen
und samtlichen Kriegsausriistungen lastete gleichfalls auf dem
herzoglichen Schatze.
Die Rechenbucher wurden in den Generalfaktoreien mit er-
staunlicher Ubersicht und Ausfiihrlichkeit gefiihrt; es gab getrennte
Biicher fiir die offentlichen Ausgaben, ,,Spese publiche dello Stato",
und fiir die Ausgaben des herzoglichen Hofes, ,,della corte ducale".
Nicht nur die bedeutenden Summen, die die Bezahlung der Diener-
schaft, der Bau von Schldssern, Kirchen, die Instandhaltung der
ERCOLEI. 8l
Palaste, die Fiihrung der Kiiche, der Stalle, die herzoglichen Reisen
usw. verschlangen, wurden in diese Biicher eingetragen, sondern
selbst die geringfiigigsten Posten wurden aufgefiihrt, wie z. B.
Reparaturen der Beinkleider des Herzogs und des Hofgesindes:
, ,raperrature di abiti e di calzi per uso del signore et della corte".
Das Budget war sehr genau und scharf ausgearbeitet, und wurde
in ruhigen Jahren vielleicht weniger uberschritten als heutzutage.
Unter den Gemeindeausgaben figurieren bereits ganz betracht-
liche Posten fur wohltatige Zwecke; unter Ercole I. wurde in
Ferrara eine ,,Wohltatigkeits-Gesellschaft" begriindet, ,,Associa-
zione dei poveri di Christo", und sogar eine Vereinigung zur Unter-
stutzung verschamter Armer, ,,Scuola o regola dei poveri ver-
gognosi". Die Stadtverwaltung suchte der Bettelei auf der StraBe
zu steuern und ging so streng vor, dafi es in der zweiten Halfte
des XVI. Jahrhunderts gegen eine Geldstrafe von zwei Scudi ver-
boten war, den Bettlern Almosen auf der StraBe zu geben. Vielleicht
dankt man es diesem Verbot, daB man selbst heute in Ferraras
StraBen weniger Bettler als im ubrigen Italien sieht.
Auch fur ein anderes sehr zweifelhaftes Verdienst muB man Fer-
rara den Vorrang einraumen; es war eine der Brutstatten der heutigen
Bureaukratie. Zur Politik der Este gehorte es, sich mit einfluB-
reichen und ihnen ergebenen Familien zu umgeben. Durch Gunst-
beweise, freigebige Stiftungen fesselten sie bedeutende Menschen
an sich, deren Nachkommen mit dem Herrscherhause verwuchsen.
Selbstverstandlich iibertrugen die Herzoge am liebsten den Sohnen
jener Familien die zu vergebenden Amter, da sie ihnen mehr als
ganz Fremden vertrauten. Im Laufe der Zeit entstand eine Phalanx
von Wiirdentragern und Beamten, die den Este verbunden waren,
alle groBeren Amter an sich rissen, sich bereicherten und eine un-
durchdringliche Mauer um die Dynastie bildeten. So entwickelte
sich eine Beamtenhierarchie, die dem Staat teuer zu stehen kam.
Eine amiisante Illustration dieser Zustande geben uns Ausweise
iiber Fische, die unter die Beamten zu Weihnachten verteilt wurden.
Der Giudice dei Savi bekam vierundsechzig verschiedene Fische,
wahrend die Savi nur zweiunddreiBig erhielten, den stadtischen
Advokaten wurden zwolf Fische geschickt, den Syndici zehn, den
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82 FUNFTES KAPITEL
Notaren sechzehn, und die unteren Beamten, wie die Kanzlisten,
Unterkanzlisten, Buchhalter, Rechnungsbeamten bis hinunter zu
den Portiers, Kutschern und Trommlern, muBten sich mit einigen
Karpfen oder Hechten begniigen.
Der Schrecken der ganzen Stadt war der Capitano di giustizia,
eine Art Polizeidirektor, umgeben von einem Stabe von Geheim-
polizisten. ,,Un amicho sechreto" war eine Personlichkeit, durch
die der Herzog von alien Geschehnissen in der Stadt unterrichtet
wurde. Der Capitano di giustizia legte dem Herzog taglich die
Liste der Durchreisenden vor, und Ferrara gebiihrt das zweite
,,Verdienst", daB dort das PaBwesen vervollkommnet wurde. Jeder
Fremde muBte eine Taxe entrichten fur die Erlaubnis, sich in
Ferrara aufzuhalten, verlieB man den Umkreis der Mauern, so
war eine besondere Erlaubnis von der Stadtverwaltung erforder-
lich und auch dafiir muBte eine kleine Taxe bezahlt werden. Einem
anderen stadtischen Departement dem ,,Uffizio delle Bollete",
unterstanden sanitare Dinge, wie zu treffende Einrichtungen
wahrend einer Seuche; zu seinem Ressort gehorte auch ,,maresciallo
delle meretrici", ein Beamter, der die Aufsicht iiber die Kurti-
sanen fiihrte, deren es in Ferrara unzahlige gab.
Der bestgehaBte Polizeidirektor war unter Ercoles Herrschaft
Gregorio Zampante aus Lucca. Im allgemeinen hielten die Este
es fur richtig, dieses Amt Fremden zu iibertragen, die zur Be-
volkerung in keinerlei Beziehung standen. Unter Zampante ging,
nach Aussage der Chronisten, den groBen Spitzbuben alles unge-
straft durch, wahrend er bei den kleinen auch die geringfugigste
Ubertretung grausam bestrafte. Mit Torturen setzten seine Nach-
forschungen ein, und die Strafgelder flossen in seine Tasche. Er
hatte eine solche Machtstellung, daB selbst die Sonne des Herzogs
vor ihm zitterten. Zampante wagte sich nur von Bewaffneten
umgeben auf die StraBe; in seinem eignen Garten gezuchtete Tauben
waren das einzige Fleischgericht, das er aB, so groB war seineAngst vor
Gift. Die Emporung iiber ihn war allgemein, schlieBlich fanden sich
drei junge Leute, die sich am 18. Juni 1490 in seine Wohnung
einschlichen, den Tyrannen, der nach Tisch schlummerte, toteten,
auf bereitstehende Pferde sprangen und jubelnd durch die StraBen.
ERCOLE I.
83
zogen: ,,Freut euch, wir haben Zampante erschlagen!" Als der
Herzog von diesem Vorfall erfuhr, waren die Morder, die die offent-
liche Dankbarkeit schiitzte, schon auBerhalb der Reichsgrenzen.
Die Ubergriffe der Beamten waren bisweilen so unerhort, daB, als
Ercole einst aus eigener Initiative einen dieser Blutegel aufhangen
HeB, das Volk die Glocken lautete und am Abend Freudenfeuer zu
Ehren des Herzogs abbrannte. AuBer den Polizeidirektoren be-
driickten das Volk namentlich die ,,fattori generali", von denen
schon die Rede war. Als einer von ihnen, Bonvicino della Corte,
mit dem Beinamen Lupo Malvagia, ein Giinstling Borsos, 1475
seines Amtes entsetzt wurde, feierte die ganze Stadt den Tag durch
Glockengelaute und abendliche Illumination. Selbst der strenge
Strozzi verfaBte damals ein Festgedicht, worin er sich ruhmt, dazu
beigetragen zu haben, den ,,grausamen Wolf" zu entfernen.
Perniciosa tamen rabies latronis iniqui,
Laesa Malum quern turba Lupum cognomine dixit,
Sermonis nostri gladio iugulata repente
Corruit aeternum stygiis damnata tenebris.
Ubrigens gab Ercole das schlechte Beispiel selbst, er verkaufte
offentliche Amter an Manner, die unter mannigfachen Vorwanden
der Gesellschaft dreifach das dem Herzog bezahlte Geld abpreBten.
Der Verkauf der Amter war eine der wichtigsten Einnahme-
quellen des herzoglichen Schatzes.
Der offentliche Kredit litt ungeheuer infolge der Obergriffe
des Fiskus und der Habgier der Beamten. Das Geld verbarg sich,
um Leuteschinder wie Malvagia nicht zu reizen, da sie mit be-
sonderem Behagen den Reichen ihre Schrauben anlegten. Der
ZinsfuB stieg enorm, die Gemeinde berechtigte die Kapitalisten,
bis zu vierzig vom Hundert zu fordern, und dreiBig vom Hundert
gait als ein absolut fairer, legaler Satz. Da infolge derartiger Zu-
stande die Bevolkerung unter Geldknappheit litt, bemiihte man
sich in Ferrara wie in anderen Stadtgemeinden im XV. Jahr-
hundert, jiidische Bankiers zur Ansiedlung zu gewinnen, da sie
kiihner als die Christen im Geldverleihen waren. Im XV. und
XVI. Jahrhundert lebte fast in jedem italienischen Nest ein Jude,
84 fOnftes kapitel
der gegen Pfander Geld lieh, und in groBeren Stadten gab es ihrer
mehrere. Die Regierung iibertrug ihnen die Fiihrung der Bank-
geschafte, haufig in der Form eines absoluten Monopols, sicherte
ihnen religiose Toleranz zu und gestattete ihnen zu wohnen, wo
es ihnen gefiel, ohne sie auf bestimmte StraBen zu beschranken.
Diese jiidischen Bankiers in Ferrara waren nicht gezwungen, auf
ihrem Mantel das Zeichen ,,0" zu tragen, das alien iibrigen Juden
vorgeschrieben war. Der Bankier wurde in der Stadt zur privi-
legierten Personlichkeit, ,,tamquam civis habeatur", und dem-
zufolge zum Beschiitzer der iibrigen Juden, die allein in bestimmten
Stadtteilen wohnen durften. Unter Ercole gab es im gesamten
Herzogtum zwolf- und in Ferrara allein sechstausend Juden.
Die unredlichen Glaubiger wurden zusammen mit den ge-
meinen Verbrechern eingesperrt, erst Ercole I. lieB einen besonderen
Schuldturm fur sie bauen. Bankerott gait seit jeher als groBe
Schande. Auf einem der Platze Ferraras lag seit undenklichen
Zeiten ein groBer Marmorblock ,,pietra" genannt, ein formloses
Denkmal auf einem Unterbau, der aus einigen Stufen bestand.
Von diesem Stein aus verkiindete der Gerichtsdiener neue Ge-
setze, spater bekam der Block eine sonderbare Bestimmung,
da dem Volke die Bankerotteure darauf vorgefiihrt wurden. Diese
Sitte scheint etruskischen Ursprungs zu sein und hat sich unter
verschiedenen Formen in italienischen Stadten erhalten. Der
Bankerotteur wurde aus seinem Haus geholt, ein leerer Sack wurde
vorangetragen, eine neugierig gaffende Menge folgte, dann muBte
der arme Teufel auf jenen Stein steigen, und ein griiner Hut wurde
ihm als Zeichen der Schande aufgestiilpt. Von diesem erhohten
Standpunkt muBte er dem Volke verkiinden, daB er auf alles, was
sein Besitz gewesen war, verzichte, und so wurden ihm fur den
Preis der Schande all seine Schulden erlassen. Nahm man auf
demselben Platz dem ehemaligen Bankerotteur den griinen Hut
,,il cappel verde" ab und setzte ihm einen schwarzen auf, so be-
deutete es, daB er seine Schulden bezahlt und aufs neue Anleihen
machen konnte.
Unter Ercole erreichte Ferrara seine grdBte Entwicklung. Die
Stadt zahlte einmalhunderttausend Einwohner, und obgleich neue
ERCOLE I.
85
StraBen angelegt und Hauser und Palaste im Bau begriffen waren,
war der Wohnungsmangel grofi. Borso hat die alte Stadt bedeutend
nach Siiden erweitert, aber erst Ercole wurde Ferraras Baumeister.
Da Bauen seine Leidenschaft war, widmete er sich dieser Aufgabe
mit Liebe. Unter Ercole entstand ein ganzer Stadtteil, von der
HauptstraBe, der Strada della Giudecca, nach Norden, der groBer
war als das gesamte altere Ferrara. Lange, breite, einfache StraBen
entstanden, und damit gab Ercole das erste Beispiel einer modernen
Stadtanlage, in der es im Winter sehr kalt und im Sommer unertrag-
lich heiB ist.
Ercole hatte auch schwere Zeiten zu iiberstehen; die Haupt-
ursache seines Ungliicks war das Seesalz, das man seit langer
Zeit am ferraresischen Ufer gewann. Neidisch blickten die Vene-
zianer auf den Aufschwung der estensischen Salinen, sie wollten
Ferrara zwingen, Salz aus den Salzbergwerken der Republik zu
kaufen. Der Streit um das Salz und wegen des Fischfanges am
Ufer des Adriatischen Meeres bot den auBeren AnlaB zu einem
Kriege zwischen Ercole I. und Venedig. Die Franzosen und der
Papst haben zwar Ferraras Untergang verhindert, aber der Krieg
mit der gewaltigen Republik hat den Wohlstand des Herzogtums
fur lange Zeit vernichtet.
Auf Ercoles Seite stand Frankreich und die von Frankreich
beeinfluBte Lombardei, daher sah man in Ferrara erst mit sehr
viel Gelassenheit dem Ausgang des Kampfes entgegen. Die Dichter
schilderten bereits den Tod der Republik: der Papst komme, um
ihr die letzte Olung zu geben, der Konig von Frankreich und der
Kaiser Maximilian wollen Zeugen dieses Sterbens sein, der Konig
von Spanien halte die Exequien. Der Herzog von Ferrara bereite
der verhaBten Nachbarin das Grab, und der Markgraf von Mantua
ordne einen feierlichen Gottesdienst fur ihre Seele an. Jubelnd
verbreitete man ein Gedicht iiber Venedig, das mit dem Vierzeiler
begann:
O Venezia, o Venezia pingua e grassa
Ogli altru' regni or la tua fama abassa!
La tua superbia non ha fin ne' fondo:
San Marco tuo non e' maggior di Christo.
86 FUNFTES KAPITEL
Die Venezianer dagegen verspotteten das schwache Ferrara
und sangen: ,,0 guerra, o nonguerra, Ferrara andera' per terra . . ." —
ja mehr noch, sie warfen Ercole I. vor, Italien verraten zu haben,
da er zusammen mit Lodovico Moro Karl III. in die Lombardei
gerufen habe. Auch die durch Tradition tiberlieferte Herkunft vom
Geschlecht der Maganza wurde ihm vorgehalten, das, wie schon
friiher erwahnt, den Ursprung alles Bbsen in Ritterromanen
reprasentiert.
Marchese di Ferrara di la casa di Maganza,
tu perdera '1 stado al dispetto di re di Franza.
San Marco, auf seine Macht pochend, warf sich in die Brust
und tat, als wenn er neben Jupiter im Himmel die Erde beherrsche:
Jove e in ciel e Marco sol in guerra,
1' uno guberna il ciel, 1' altro la terra.
Ercole war ein Diplomat, kein Heerfiihrer; er folgte Borsos
Traditionen, veruneinigte seine Gegner und zog Nutzen aus ihren
Fehlern. Niemand traute ihm, aber der allgemeine HaB gegen
Venedig war die beste Hilfe. Dieser HaB wurde seine Rettung,
trotzdem er wiederholt zuviel auf eine Karte gesetzt hat.
Aus dem Krieg mit Venedig resultierten furchtbare wirtschaft-
liche Niederlagen. Die Heere der siegreichen Republik belagerten
Ferrara langere Zeit, die Po-Uberschwemmungen fugten unermeB-
lichen Schaden zu, zu Hunderten erlagen die Ferraresen der Seuche,
zuletzt erkrankte Ercole. Als es schien, daB die Macht der Este
fur immer vernichtet sei, ubernahm Eleonora mit starker Hand
die Ziigel der Regierung. Sie schickte ihre Kinder nach Modena,
brachte den kranken Gatten an einen sichern Ort, stachelte das Volk
zur Verteidigung des Vaterlandes an und rettete das Reich vor
dem Untergang durch ihre Energie und die spatere Intervention
des Papstes. Es waren Ferraras schwerste Zeiten, der estensische
Hof versetzte fast all seine Kostbarkeiten: goldene Ketten, Rubinen
und Diamanten, man war gezwungen, das groBte Kleinod des
Familienschatzes zu verkaufen, ,,gran Zolielo del diamante tri-
angolare". Als 148 1 die Ernte miBriet, fehlte es selbst dem Hof
an Brot, und das Volk starb Hungers.
ERCOLEI. 87
Die Fehler in der Verwaltung, die alle damaligen Tyrannen-
staaten begingen, zeigten sich in solchen Zeiten in ihrer ganzen
Furchtbarkeit. Die Einrichtungen zielten mehr darauf ab, die
Macht des herrschenden Geschlechtes zu verstarken als dem ganzen
Volke eine auch nur ertragliche Existenz zu schaffen.
Der Krieg mit Venedig hat insofern die wirtschaftlichen Ver-
haltnisse des ferraresischen Hofes umgestaltet, als Ercoles Nach-
folger einen kriegerischen Reservefonds anlegten. Er muBte jedoch,
wie wir sehen werden, zumeist als Anleihe fiir die Papste verausgabt
werden.
Ill
In den Jahren 1487, 1490 und 1491 verheiratete Ercole drei
Tochter und einen Sohn, es gait vier Ausstattungen anzuschaffen,
und so gab es Gelegenheit genug, um den Glanz des Hofes zu ent-
falten. Lucrezia wurde als erste verheiratet, als uneheliche Tochter
bekam sie die relativ bescheidenste Mitgift von nur 10 000 Dukaten.
Auch wurde ihre Hochzeit durch weniger glanzende Feste gefeiert.
Doch erzahlte man sich viel von den kostbaren silbernen und
goldenen Tafelaufsatzen beim Hochzeitsbankett. Der beruhmte
Francia, der sich damals mehr mit Goldschmiedekunst als mit
Malerei beschaftigte, hat sie geschaffen. Glanzender waren die
Vorbereitungen zu Isabellas Hochzeit, die, noch nicht sechzehn-
jahrig, Francesco Gonzaga, dem Sohn des herrschenden Mark-
grafen von Mantua, einem zweiundzwanzigjahrigen Jiingling,
vermahlt wurde. Diese Heirat schuf fiir viele Jahre eine groBe
Annaherung zwischen den Dynastien der benachbarten beiden
Landchen und wurde in Venedig nicht ubermaBig gern gesehen.
Schon 1480 hatte Federigo Gonzaga Beltramino Cusastro nach
Ferrara geschickt und um die Hand der damals sechsjahrigen
Isabella fiir seinen zwolfjahrigen Sohn angehalten. Cusastro
berichtete seinem Herrn begeistert von der ungewohnlichen
Intelligenz der kleinen Isabella. Gleichzeitig schickte er das von
Cosimo Tura gemalte Bild der jugendlichen Braut, das aber leider
untergegangen ist, nach Mantua. Einen nicht weniger giinstigen
88 FUNFTES KAPITEL
Eindruck als Cusastro empfing spater ein anderer mantuanischer
Gesandter, der Madonna Isabella mit ihrem Tanzlehrer, Messer
Ambrogio, tanzen sah, einem Juden, der in den Diensten des
Herzogs von Urbino war. Er konnte ihre graziosen Bewegungen
nicht genug riihmen.
Um Isabellas Hand hatte auch die Furstin Bona Sforza aus
Mailand fiir ihren Sohn Lodovico Sforza gebeten. Da Isabella
schon verlobt war, trug Ercole Lodovico seine jiingere Tochter
Beatrice an; sie wurde am Hofe des GroBvaters in Neapel erzogen,
zusammen mit den Kindern der Ippolita Sforza, der Furstin von
Kalabrien, einer der gebildetsten Frauen ihrer Zeit. Lodovico Sforza,
mit dem Beinamen II Moro, kam 1479 nach Neapel, und da auch
der Konig von Neapel fiir diese Verbindung war, iibertrug er ihm
das Fiirstentum Bari, das durch den Tod des alteren Sforza frei
geworden war. Am 22. Mai des Jahres 1483 wurde Isabellas und
Beatrices Verlobung in Ferrara auf dem Platz vor dem Kastell
verkiindet.
Im Friihling des Jahres 1484 kam der Markgraf von Mantua
mit seinem Sohn Francesco zum San Georgstag nach Ferrara.
Mit sechshundert Rittern und Hbflingen war er iiber den Po ge-
kommen, und der Herzog feierte ihn wahrend seines viertagigen
Aufenthaltes mit allem Prunk, den der ferraresische Hof auf-
bringen konnte. Die Verlobten lernten sich kennen, traten ein-
ander naher, und von diesem Zeitpunkt an stand Isabella mit
Francesco in regelmafiiger Korrespondenz, machte ihm sogar Ge-
schenke und schickte ihm Verse, die die Hofpoeten ihm zu Ehren
gemacht hatten.
Isabellas Hochzeit sollte im Friihling des Jahres 1490 statt-
finden. Ein ganzes Heer von Malern, Bildhauern, Gold-
schmieden, ferraresischen und spanischen Stickern wurde fiir
die Ausstattung aufgeboten. Eleonora schickte den bekannten
Maler Ercole Roberti nach Venedig, um Einkaufe zu machen.
In Venedig wurden auch die meisten Tapezierarbeiten bestellt,
und bei Fra Rocca, einem bekannten Goldschmied in Mailand,
wurden Gebetbucheinbande gekauft und ein tragbares, silbernes
Altarchen im Werte von sechshundert Dukaten. Isabella bekam
BEATRICE D'ESTE
DETAIL AUS ZENALES „LA VERGINE IN TRONO". M. Ml, AND, BRERA
ERCOLE I.
89
25 000 Dukaten in bar als Mitgift, ihre Aussteuer war 2000, ihre
Juwelen 3000 Dukaten wert. Es war dies keine auBergewdhnlich
groBe Mitgift, Eleonora hatte ihrem Gatten 80 000 Gulden mit-
gebracht.
Die Trauung fand in Ferrara am 11. Februar 1490 in der SchloS-
kapelle statt. Nach der Zeremonie ritt die junge Braut, mit der
Krone geschmuckt, von einem zahlreichen Gefolge umgeben, durch
die Stadt. Zu ihrer Rechten ritt der Herzog von Urbino, zu ihrer
Linken der neapolitanische Gesandte. Am Abend fand das Fest-
mahl statt im groBen Saale des Kastells, der mit flandrischen Tep-
pichen, die Eleonora aus Neapel mitgebracht hatte, ausgestattet
war. Die silbernen Tafelaufsatze waren von erlesener Pracht, ein
venezianischer Goldschmied, Giorgio da Ragusa, hatte sie nach
Cosimo Turas Zeichnungen ausgefuhrt. Zur Tischdekoration ge-
horten auch zweihundertfunfzig Fahnchen, die Giovanni Bian-
chini, Torello genannt, gemalt hatte. Was auf diesen Fahnen
dargestellt war, ist unbekannt.
Am nachsten Tage fuhr die Braut mit ihren Eltern und Briidern:
Alfonso, Ferrante und Ippolito iiber den Po in ihre kiinftige Haupt-
stadt. Trotz des Winters (am 15. Februar) waren alle StraBen mit
frischen Blumen geschmuckt und die Hauser mit Girlanden
friihlingsmaBig aufgeputzt. Die Markgrafin Elisabetta Gonzaga
empfing die Schwiegertochter, umgeben von Nachbarn und Ver-
wandten. Kostbare Geschenke wurden ihr iiberreicht, Gobelins
mit der Darstellung des trojanischen Krieges, die Gabe des Herzogs
von Urbino, erregten allgemeine Bewunderung. Bis zum SchluB
des Karnevals wahrten die Feste und Feierlichkeiten, und Isabella
war wohl, trotz ihrer Jugend, froh, als sie sich ruhig in ihrer neuen
Hauptstadt umschauen konnte.
Beatrices und Isabellas Trauungen sollten am gleichen Tage
stattfinden, aber Sforza schob die Zeremonie unter verschiedenen
Vorwanden hinaus. Er entschuldigte sein Zogern, weil er angeblich
auf den venezianischen Senat, der gegen diese fur die Republik ge-
fahrliche Vereinigung der Hauser Este und Sforza war, Rucksicht
nehmen musse. Der Hauptgrund war sein Verhaltnis zur schonen
Cecilia Gallerani; mit alien Mitteln suchte sie die Heirat ihres
9o fOnftes kapitel
Geliebten zu verhindern. Fast schienen die Beziehungen zu den Este
endgiiltig abgebrochen. SchlieBlich besann sich Moro, und im August
des Jahres 1490 schickte er Francesco da Casate nach Ferrara mit
groBartigen Geschenken fur seine Verlobte, er brachte ein Hals-
band mit aus groBen Perlen und stilisierten Blumen von meister-
hafter Arbeit, sowie Ohrringe aus Rubinen, Perlen und Smaragden.
Die Trauung wurde auf den 16. Januar 1491 im Kastell zu Pavia
festgesetzt. Unmittelbar vor Beatrices Abreise aus dem Eltern-
hause kam auf Moros Veranlassung ein junger Bildhauer, Christo-
foro Romano, nach Ferrara, um ihre Biiste in Marmor zu fertigen.
Romano war ein ebenso begabter Kiinstler als geschickter Hof-
mann, der Giinstling Moros, auch in Mantua und Urbino war er
wohl gelitten. Der Kardinal Ascanio Sf orza hatte ihn in Rom kennen
gelernt und nach Mailand empfohlen. Beatrices Biiste, die damals
entstand, befindet sich heute im Louvre, das Werk, das Qualitaten
hat, gait friiher als Arbeit Leonardo da Vincis.
Auch Beatrice war nicht schon so wenig wie Isabella, da
sie aber lebhaft und gut gewachsen war, gefiel sie iiberall. Sie war
eine passionierte Jagerin und Reiterin. Stolz und ehrgeizig, litt
sie keine Nebenbuhlerin neben sich; so entstand auch ihre Eifer-
sucht, zu der sie nur Grund genug hatte.
Die Jahreszeit war fur den Hochzeitszug nicht giinstig. Der
Winter des Jahres 1490/91 war ungewohnlich streng, Weih-
nachten lag der Schnee drei FuB hoch in Ferraras StraBen. Der
Po war fest gefroren, das Eis begann erst Ende Februar aufzutauen,
so daB der Hochzeitszug den Landweg nach Pavia einschlagen
muBte. Die Braut begleiteten die Mutter, Messer Sigismondo, der
Kardinal Ippolito und ihr Bruder Alfonso. Moro hatte Vorkehrungen
getroffen, damit die ferraresischen Gaste unterwegs gutes Quartier
und Essen und Trinken vorfanden. Am 29. Dezember kamen sie
nach Mailand, von dort aus ging es erst nach Pavia. Infolge der
schlechten Wege fuhren die Frauen im Wagen nach Brescello,
wahrend die Manner es zu Pferde erreichten; dort war der Po
schiffbar. Die Hochzeitsgesellschaft bestieg das Schiff; in Piacenza
machte man eine kurze Rast, und erst am nachsten Tage, um vier
Uhr nachmittags, erreichte man Pavia. Lodovico hatte einen anderen
ERCOLE I.
91
Weg am Ticino entlang gewahlt und traf seine Braut erst in Piacenza.
Die Strecke von Mailand nach Pavia, die heute in kaum einer Stunde
zuriickgelegt wird, erforderte damals fast drei Tage.
Die Training wurde mit groBem Pomp in Pavia am 17. Januar
1 49 1 begangen; am 22. begab sich die ganze Gesellschaft nach
Mailand zur Hochzeit von Alfonso d' Este und Anna Sforza. Alfonso,
der im Palazzo Schifanoja am 21. Juni 1471 geboren war, war
damals 14 Jahre alt, aber schon ein Jahr nach seiner Geburt war
seine Heirat mit der mailandischen Herzogstochter eine beschlossene
Sache. In Ferrara war der Ehekontrakt ratifiziert worden, im
Beisein des Kindes, das Manuele Bollaia wahrend dieser Zeremonie
auf den Armen trug.
Anna Sf orzas Ankunft in Ferrara war der AnlaB prachtiger Feste.
Schon der Einzug der Gattin des Thronerben gestaltete sich sehr
groBartig. Ercole erwartete sie mit zahlreichem Gefolge am Ufer
des Po. Die Herzogin kam im Bucentaur; in den gefrorenen FluB
hatte man einen Kanal gehauen, um der jungen Frau die Strapazen
zu ersparen, die Eleonora und Beatrice kurzlich zu iiberstehen
hatten. Am 12. Februar zog Anna zu Pferde unter dem Baldachin
in die Stadt ein, vier Triumphbdgen, nach Zeichnungen des Archi-
tekten Biagio Rosetti, waren zu ihrem Empfange errichtet worden.
Auf dem Triumphbogen in der Nahe des Palazzo Schifanoja stand
Apoll auf einem von stattlichen Pferden gezogenen Wagen. Eine
erlauchte Versammlung erwartete sie in Ferrara; Gesandte aus
Florenz, Lucca und Neapel waren erschienen, um das junge Paar
zu begluckwunschen. Die venezianischen Gesandten hatten ein
Gefolge von fiinfzig Berittenen; die gesamte Ritterschaft des ferrare-
sischen Landes war in die Hauptstadt gekommen, so daB die Hof-
kiiche wahrend der Hochzeitstage funfundvierzigtausend hundert
und elf Pfund Fleisch verbraucht hat.
Die Herzogin-Mutter empfing die Schwiegertochter vor dem
SchloBportal und geleitete sie in die fur sie bestimmten Gemacher.
Am nachsten Morgen hielt der ferraresische Bischof den Gottesdienst
in der SchloBkapelle ab, und am Abend gab Ercole zu Ehren Anna
Sf orzas einen groBen Ball, darauf folgte die Auffiihrung von Plautus'
,,Menaechmi" in italienischer Bearbeitung. Die Dekorationen zur
92 fOnftes kapitel
Komodie hatte Nicoletto del Cogo gemalt, als Sohn des Hof-
koches trug er diesen Spitznamen. An den beiden folgendenAbenden
wurden wieder zwei Komodien von Plautus aufgefiihrt, in den
Zwischenakten fiihrte man Moresken auf , die mit dem Inhalt der
Stucke in gar keinem Zusammenhang standen. In einer der Moresken
sturzten beim Klang idyllischer Musik etwa zehn junge Leute
tanzend mit Efeuzweigen in den Handen auf die Biihne, sie ver-
schlangen die Girlanden zu einer Art Altan. Dann erschien Apott
im Gefolge der Musen, er griff in die Saiten seiner Leier und sang
eine Ode zu Ehren des jungen Paares, des estensischen Hauses und
der versammelten Gaste. Als er Ercoles Tugenden und Verdienste
pries, entzog sich der Fiirst durch eine leichte Handbewegung
gewissermaBen den ihm gespendeten Schmeichelreden. Ein anderes
intermezzo" war eine landliche Szene mit Ballett: verkleidete
Bauern stellten tanzend dar das Bestellen der Felder, Aussaat
und Ernte. Mythologische Szenen mit Choren antiker Gotter
fehlten nicht. Juno, Venus, Apoll, Bacchus und sein Gefolge sangen
zum Klang der Musik. Damit war die Reihe der Moresken noch
lange nicht erschopft,doch ware ein weiteresAufzahlennurermudend.
Anna Sforza hatte eine groBe Zahl von Kleinodien und kost-
baren Geraten mitgebracht, vergoldete und bemalte Truhen,
Schatullen aus Elfenbein und Zypressenholz. Das Verhaltnis
schien ein gutes zu werden, aber Anna war leidend, und Don Alfonso
zu jung, zu sehr auf neue Liebesgeniisse bedacht und zu ziigellos,
um ein ruhiges Leben fuhren zu konnen. So blieb das Gliick aus,
besonders da Anna kinderlos war; 1497 starb sie nach sechs-
jahriger Ehe. An peinlichen Vorfallen war ihre Ehe reich genug;
einige Monate vor ihrem Tode verzeichnet der bekannte venezianische
Chronist M. Sanuto einen kecken Jugendstreich Don Alfonsos:
fast nackt habe er mit den Gefahrten seiner Ausschweifungen
Ferraras StraBen durchzogen. In seinem Ausgabebuch sind iiberdies
sorgsam die Posten gebucht ,,per Venere lasciva", und in seinem
,, Studio" hingen von Cosimo Tura gemalte liisterne Bilder nackter
Weiber. Er unterschied sich ubrigens in seinen Lebensgewohn-
heiten durchaus nicht von den iibrigen gekronten Hauptern, deren
Dasein an Ausschweifungen reich war.
ERCOLE I.
93
Zwei Jahre nach Alfonsos und Anna Sforzas Hochzeit starb
Eleonora von Aragon 1493. Infclge ihres plotzlichen Todes ent-
standen unwahrscheinliche Geriichte: ihr Gatte habe sie ver-
giften lassen, da sie sich seiner auf ahnliche Weise hatte entledigen
wollen. Vergiftungen waren bei Fiirstengeschlechtern damals
etwas so Alltagliches, daB das Volk fast bei jedem plotzlichen Todes-
fall ein Verbrechen gewittert hat. Die Geschichte des ferraresischen
Hofes bietet aber nicht den mindesten AnlaB, um an Eleonoras
gewaltsamen Tod zu glauben; im Gegenteil, die Fiirstin lebte in
einer nach damaligen Begriffen besonders gliicklichen Ehe und
war allgemein geachtet. Von alien Dichtern wurden ihre Tugenden
besungen, und unter den Elaboraten der Hofpoeten zu Ehren der
Verstorbenen gebiihrt Tito Strozzis Gedicht das groBte Interesse,
denn ehrliche Trauer um die Herzogin spricht daraus.
IV
Ercole war zwar nicht so gebildet wie Lionello, aber die litera-
rische Bewegung interessierte ihn bedeutend mehr als Borso, der
nur auf seine Titel, Pferde und Jagden bedacht war. Schon seine
leidenschaftliche Vorliebe fur Musik und Theater und sein Be-
streben, in Ferrara eine erstklassige Biihne zu schaffen, schlug
Briicken zur Literatur. Selbst als er alt und krank war, lieB er sich
von Vincenzo aus Modena, einem damals beruhmten Musiker, auf
dem Klavier vorspielen. Mehr noch als Ercole interessierte sich
Eleonora fur Literatur, auBerdem entsprach es den Traditionen
ihres Geschlechtes, Dichter und Kiinstler an den Fiirstenhof zu
ziehen. Unter Ercoles und Eleonoras Herrschaft war der ferrare-
sische Hof ein Mittelpunkt fur Italiens literarisches Leben und von
groBtem EinfluB auf die Entwicklung der Ideen der Hochrenaissance.
Eine ganze Reihe interessanter Personlichkeiten war in Ferrara
zu finden. So Tito Vespasiano Strozzi (1422 — 1505), dem wir
bereits als Jiingling in Lionellos Umgebung begegnet sind. Auch
Borso liebte und schatzte ihn sehr und suchte ihn bei jeder Ge-
legenheit auszuzeichnen. Er hat ihm Domicella zur Frau gegeben,
94 fOnftes kapitel
die vermogende Tochter des Grafen Guido Rangone, des General-
kapitans seiner Armee. 1470 verlieh er ihm einen goldenen Ritter-
degen und nahm ihn ein Jahr spater nach Rom mit, dort hat das
Kardinalkollegium Strozzi mit dem Dichterlorbeer gekront, um
die Gunst des neuen Herzogs zu gewinnen. Wie die iibrigen Ty-
rannen der Renaissance suchten auch die Este Emigranten an sich
zu fesseln, da sie ihnen, aus Dankbarkeit fur die gewahrte Zufluchts-
statte, treuer dienten als die angesessenen Geschlechter. Die Strozzi
waren besonders begabt, so waren im Jahre 1422 allein drei Mit-
glieder dieser Familie als Gesandte verschiedener Fiirsten bei der
Signoria in Venedig tatig: Palla Strozzi als Vertreter der Floren-
tiner Republik, Uberto hatte der Markgraf von Mantua und
Giovanni, Vespasians Vater, der Markgraf von Ferrara entsandt.
Gemeinsame Jugenderinnerungen bestanden zwischen Titus,
Borso und Ercole. Sie waren samtlich Guarinos Schiiler, Titus
war um neun Jahre alter als Ercole, und sie hatten tolle Jugend-
streiche begangen. In einem seiner Gedichte wendet sich Strozzi
an den Herzog:
Cujus ego tecum viridi nutritus in aevo.
Ercole hat wie Borso Strozzi sehr geschatzt und ihn auch
im Staatsdienst beschaftigt. So gehorte Titus dem Gefolge an,
das 1473 Eleonore aus Neapel abholte, spater wurde er Gouverneur
von Rovigo und der Provinz Polesine und stand im Krieg mit
Venedig auf bedeutendem Posten. Er war auch Gesandter bei In-
nocenz VIII. und gegen Ende seines Lebens, als Sechsundsiebzig-
jahriger, Vorsitzender der Savi. Abgesehen von Jugenderinnerungen
verbanden auch gemeinsame Passionen Titus mit Borso und Ercole.
Er war wie die beiden Herzoge ein leidenschaftlicher Jager. Die
Walder neben Racano, wo sich Titus haufig im Sommer aufhielt,
waren reich an Hirschen, Wildschweinen und Hasen. Seine Jagd-
hunde, die er aus Thrakien kommen lieB, waren um ihrer Ge-
schicklichkeit willen bekannt, und Falken und Habichte ver-
stand er selbst vortrefflich abzurichten. Bagarino, den einen Falken,
lieB er von Cosimo Tura malen und besang den Lieblingsvogel
in lateinischen Versen. Titus hatte eine Vorliebe fur das Landleben;
ERCOLEI. 95
auBer Racano besaB er noch dreiVillen auf demLande,Borsohatte ihm
zwei davon geschenkt. In der Villa Quartisano befand sich seine
Bibliothek. Titus Sohn, Ercole, der auch dichtete, schildert in einem
lateinischen Gedicht das Landleben des Vaters, wie er fur Pferde
und Ochsen sorge, in der Wirtschaft nach dem Rechten sehe und
dabei eifrigst dichte und studiere.
Sub lucemque toro exurgit dumque aspera mollit
Pectora, nunc libros versat, nunc carmina condit,
Nee sinit in cessum labi irrevocabile tempus.
Titus gehort zu den bekanntesten lateinischen Dichtern seiner
Zeit, hatte er italienisch geschrieben, so stiinde er an erster Stelle
unter den Renaissancedichtern. Seine Sprache ist weniger rein
als die Pontanos und Polizians, die das Lateinische wie eine lebende
Sprache beherrschten. Hofisches Wesen und das fremde Idiom
haben sein Talent erstickt. Es fehlt ihm weder an starkem Natur-
sinn, noch an Beobachtungsgabe, so schildert er die damaligen
Zustande anschaulich, hat Schwung und Leidenschaft, was selbst
in den Epigrammen, die er als Achtzigjahriger an Lucrezia Borgia
richtet, durchbricht.
Nach Guarinos Tod stand er an der Spitze der Humanisten
in Ferrara; leidenschaftlich nahm er Partei gegen das Italienische
als Schriftsprache, selbst seine Liebesgeschichten wurden nur in
lateinischen Versen besungen. Er hat in der Hauptsache Liebeslieder
verfaBt, aber sie sollten den Beifall ihm verwandter Humanisten
finden und waren nicht fur die Frauen bestimmt, die er geliebt hat.
Kein leidenschaftlicher ErguB heiBer Empfindungen, eher ein
Kokettieren mit der Liebe.
Auf einem Wettrennen in Ferrara, im Friihling des Jahres
1 44 1, lernte er, als Neunzehnjahriger, ein reizendes Madchen mit
goldblondem Haar kennen, das er Anthia nannte. An sie richtet
er einen Zyklus von Elegien, die unter dem Titel ,, Erotica" er-
schienen und zu seinen bekanntesten Werken gehoren. Aber
seine eigenen Empfindungen in Worte zu fassen, hielt der Schiiler
Guarinos nicht mit seiner Wiirde vereinbar, so entlieh er einem
griechischen Roman des Xenophontes aus Ephesos Bilder und
96 fOnftes kapitel
Wendungen und gab selbst seiner Ferraresin, die wahrscheinlich
Maria oder Bettina hieB, den Namen einer antiken Heldin. Ein
anderer, dem der Jiingling im Wege stand und der Macht und Ein-
fluB hatte, scheint gleichfalls Anthia-Bettina geliebt zu haben;
so wurde der verHebte Latinist aufgefordert, Ferrara zu verlassen.
Da Anthia nach Florenz iibersiedelt zu sein scheint, durfte Titus
nach geraumer Zeit wieder nach Ferrara zuriickkehren. Nur Elegien
waren die Frucht dieser Jiinglingsliebe. Anthia scheint sich fur
Strozzis Verse, die sie sicherlich nicht verstanden, nicht erkennt-
lich gezeigt zu haben. Uber sehr sinnliche, ja liisterne Abschnitte
hat das Lateinische seinen schutzenden Mantel gebreitet. Diese
Gedichte erschienen spater in einem Lucrezia Borgia gewidmeten
Bande. Strozzi durfte die Widmung riskieren, ohne die Herzogin
zu verletzen, da auch sie so wenig wie Anthia die Gedichte zu lesen
imstande war.
Strozzi gehort zu jenen Hoflingen, die stets bereit sind, Weih-
rauch abzubrennen. Mit Freuden ergriff er jede Gelegenheit, um
Lobeshymnen an den Herzog und die herzogliche Familie loszulassen.
Alfonsos Trauung mit Anna Sforza, Eleonoras Tod, Lucrezia
Borgias Einzug in Ferrara, ja selbst der seltene Anblick des ge-
frorenen Pos (im Jahre 1443) begeisterten ihn zu Gedichten. Zu
Borsos BegruBung schreibt er: Bei der Ankunft des Fiirsten er-
hellt sich der Himmel, das Gewitter verzieht sich, und frisches
Griin deckt die Erde. Brauchte man Gelegenheitsgedichte, so
wandte man sich an Strozzi, selbst wenn es sich darum handelte,
Aufschriften fur die von den Herzogen errichteten Gebaude zu ver-
fassen, war er zur Hand. Selbstverstandlich sind seine Schmeiche-
leien nicht frei von den seltsamsten Vergleichen und Bildern. Der
afrikanische Lowe in Borsos Tierpark folgt dem Beispiel seines
Herrn, er wirft sich nicht auf schwachere Geschopfe, wie Hunde
oder Hasen, sondern miBt seine Kraft mit Biiffel, Bar und Wild-
schwein. Leider hat der Lowe sehr bald die Behauptungen des
Dichters Liigen gestraft, indem er das Tochterchen des Park-
wachters, das ihm Futter brachte, zerriB. Um Ercole zu ehren, gab
Titus seinem altesten Sohne den gleichen Namen, doch werden wir
noch sehen, daB die herzogliche Familie ihm diese Schmeichelei
ERCOLE I.
97
ebenso vergalt, wie der Lowe dem Tochterchen des Parkwachters
das Futter.
Titus heiratete erst als Fiinfundvierzigjahriger, er hatte also
Zeit genug, urn eine zweite Blondine zu besingen, der er den klas-
sischen Namen Phylloroe beilegte. Strozzi hat diese Frau sehr
geliebt, sie hat in einer Villa am Po gewohnt, die er gleichfalls
besang. Nach seiner Schilderung war es ein altes, efeuumranktes
Hauschen, mit verblichenen, halb vom Regen verwaschenen
Heiligenfresken. Es verbarg sich hinter Baumen, daneben stand
eine verfallene Kapelle, und in der Nahe pfliigte der Kaplan seine
diirftigen Felder mit geliehenen Pferden. Phylloroes Tage waren
gezahlt, sie fiel einer Seuche zum Opfer, und der Dichter hat ihren
Tod bitter beklagt.
AuBer diesen Liebesliedern begann Titus ein Gedicht zu Ehren
Borsos, doch blieb es unvollendet, da er nach dem Tode dieses
Beschutzers schleunigst ein Gedicht auf seinen Nachfolger machte.
Erst im spateren Alter bekleidete Titus offentliche Amter. Als
Statthalter von Polesina holte er sich ein hartnackiges Fieber; da alle
Mittel vergebens waren, diktierte er seinem Diener ein demiitiges
Gedicht an den heiligen Bellino, den Schutzpatron der Diozese
Adria-Rovigo, und bat ihn flehentlich, ihn von dieser schweren
Krankheit zu befreien. Nach seiner Genesung stiftete er aus Dank-
barkeit eine Gedenktafel auf dem Grabe des heiligen Bischofs.
In den schwersten Zeiten, im Jahre 1497, war er Vorsitzender der
Savi, wahrend venezianische Soldner das ferraresische Land ver-
wiisteten, wiederholte Erdbeben die Bevolkerung in Schrecken
versetzten und eine Seuche furchtbare Verheerungen anrichtete.
Kaum war das Ungliick abgewandt, so verschwendete der Herzog
trotz des herrschenden Elendes ein Vermogen fur luxuriose Ge-
baude, glanzende Feste und Jagden. In sozialer Beziehung geschah
gar nichts, um die Wunden, die der Krieg dem Lande geschlagen,
zu heilen, da der alternde Herzog sich auf die Vorsehung verlieB
und nur Andachten fur das Wohlergehen des Volkes anordnete.
Im Jahre 1500, als man einen Oberfall der Tiirken befiirchtete, lieB
er taglich Prozessionen veranstalten und fur das Abwenden der
drohenden Gefahr beten, anstatt die Miindung des Po zu befestigen.
7
98 FUNFTES KAPITEL
Da die Bevolkerung infolge der schweren Abgaben und der
konstanten Durchmarsche des franzosischen Heeres zu erschopft
war, urn neue Lasten tragen zu konnen, wandte sich der HaB gegen
die Regierung. Strozzi, der als hochster Beamter mehr das Interesse
des Herzogs und des Hofes als des gesamten Landes im Auge hatte,
wurde zur bestgehaBten Personlichkeit. Man nannte ihn den
,,Menschenfresser", und es hieB, daB Messer Tito schlimmer sei
als selbst der Teufel, ,,e peggio voluto dal Popolo, che non e il
Diavolo". Vielleicht trug zu diesem HaB der Glaube bei, Titus
habe den Herzog zur Griindung eines neuen Stadtteils ,,Terra
nuova", ,,Addizione Ercolea", der unerhdrte Summen verschlang,
veranlaBt.
Titus hat den Herzog iiberredet, seinen noch jungen Sohn
Ercole 1498 zum richterlichen Beirat der dodici savi zu ernennen,
sehr bald sogar zum Vertreter des Vaters. Die Bevolkerung von
Ferrara nahm an diesem Protektionswesen AnstoB, auf diese Weise
wurde das wichtigste Amt im Reiche beinahe erblich.
Titus iiberlebte Ercole I. und starb ein halbes Jahr nach dem
Herzog, am 30. August 1505, an einer pestilenzartigen Seuche.
Noch am 20. Januar des gleichen Jahres war er von seiner Besitzung
Rocano nach Ferrara gekommen, um seine Amtspflichten zu er-
fullen; er fehlte bei Ercoles Sterbelager nicht, ernannte Alfonso
zum rechtmaBigen Nachfolger und belehnte ihn mit dem Herzogs-
stab und Schwert.
Wir besitzen kein Portrat von Titus; in der Br era zu Mailand
hat sich nur eine Medaille erhalten mit der Aufschrift ,, Titus
Strozzius". Sie zeigt die harten und gewohnlichen Ziige eines
kraftigen Mannes.
Am estensischen Hofe gehorte Strozzi zu den Literaten ,,in
floribus", wahrscheinlich aber gab es mehr Dichter ,,in herbis",
die sich mit einem viel kummerlicheren, haufig sogar traurigen
Schicksal bescheiden muBten. Darunter ware zu nennen Pandolfo
Collenuccio (1449 — 1504), der sich an den verschiedensten Hofen
herumtrieb: in Bologna, Pesaro, Florenz und am langsten in Ferrara.
Fur Ercole I. iibersetzte er ,, Amphitryon", der 1487 in Ferrara
aufgefuhrt wurde, ihm widmete er auch seine beriihmte Verteidigung
ERCOLE I.
99
des Plinius gegen die brutalen Angriffe Niccolo Leonicenos, des
Lektors fur Mathematik und Philosophic in Ferrara. Der Herzog
schickte ihn als Gesandten zu Maximilian und zum Papst Alexan-
der VI. Auch andere italienische Fiirsten vertrauten ihm als einem
gewandten Mann diplomatische Missionen an, aber der hagere
Poet fiihrte diese Unterhandlungen nicht immer zu einem giinstigen
Ende. 1488 lieB ihn Sforza wegen irgendeines politischen Ver-
gehens fur fiinfzehn Monate ins Gefangnis werfen und dann des
Landes verweisen. 1504 gestattete ihm der Tyrann zwar nach
Pesaro zuriickzukehren, aber nur urn ihn aufs neue gefangen zu
nehmen und wegen seiner Sympathie fur den Fiirsten Valentino
zu ermorden.
Collenuccio hat verschiedenes veroffentlicht, unter anderem
ein religioses Stuck ,,Commedia de Jacob et de Joseph", sowie ein
historisches Buch „Compendio della storia del regno di Napoli".
Aber sein bestes Werk ist die ,, Canzone alia morte". Der Schmerz
eines Menschen, der von Hof zu Hof wandert, nirgends Ruhe findet
und im Tod den alleinigen Ausweg des ihm drohenden Schicksals
sieht, ist ergreifend zum Ausdruck gebracht. Viel poetische Kraft,
viel echter Schmerz spricht aus diesem Gedicht; nicht in der Ver-
derbtheit derGesellschaft sieht der Dichter den Grund seines Kummers,
sondern in der Natur, die den Menschen geschaffen, um ihn zu qualen
von der Wiege bis zum Grabe.
Questa acerba matrigna
Natura, in tanti mal questo sol bene
Pose per pace, libertade e porto:
A' piu savi diporto,
Che '1 fine attendon delle mortal pene.
Eine sehr charakteristische Personlichkeit, die dem Hofe
Ercoles I. sein eigentliches Geprage verlieh, war der
Kardinal Ippolito d'Este, ein Renaissance- Kirchenfiirst in der
100 FUNFTES KAPITEL
vollen Bedeutung dieses Wortes, umgeben von einem zahl-
reichen Gefolge von Hoflingen und Gelehrten. Zu seinem lite-
rarischen ,,Hofgesinde" hat eine Zeit hindurch auch Ariost gehort.
Als dritter Sohn Ercoles und Eleonoras von Aragon war
Ippolito am 20. Februar 1479 geboren. Der Vater hatte ihn von
friih auf zum Kardinal, wenn nicht zum Papst bestimmt. Schon
der siebenjahrige Knabe erhielt die Tonsur und das geistliche Ge-
wand in Ferrara; kaum ein Jahr nach dieser Zeremonie ward das
Kind zum Erzbischof von Gran und Primas von Ungarn ernannt.
Seine Tante, Beatrice von Aragon, war die Gemahlin des ungarischen
Konigs Matthias Corvinus, daher diese Protektion. Innozenz VIII.
machte zwar erst seine Einwande gegen diese in der Kirchen-
geschichte unerhorte Ernennung, aber trotz alledem bestatigte er
sie ein Jahr darauf unter der Bedingung, daB die Weihen erst spater
vollzogen werden sollten. So ging der achtjahrige Ippolito nach
Ungarn, begleitet von einem Gefolge von hundertfiinfzig Hoflingen
und Rittern; in seinem Reisesack befand sich Vergils Aneis, und
es fehlten ihm, als einem echten Este, auch Plautus' Komodien
nicht.
Sieben Jahre blieb der junge Kirchenfiirst in Ungarn, und
wahrend die alteren Geistlichen die kirchlichen Pflichten fur ihn
erfiillten, jagte er Wildschwein und Hirsch und las in seinen freien
Stunden Vergil und Ritterromane. Das hinderte ihn jedoch nicht,
die Stufenleiter der romischen Hierarchie schnell zu erklimmen,
schon 1493 ernannte der Papst Alexander VI. den Vierzehnjahrigen
zum Kardinal.
Das Erzbistum in Gran warf freilich dreiBigtausend Dukaten
jahrlich ab, aber der Unterhalt der bischoflichen Miliz verschlang
die Halfte dieser Summe, auBerdem muBte Ippolito als Primas
von Ungarn im adoptierten Vaterlande residieren. Dazu schien
er keine Lust zu haben, er sehnte sich nach dem heimatlichen
Italien. Freudig tauschte er daher das ungarische Erzbistum
gegen die gleiche Wurde in Mailand ein, die nur fiinftausend
Dukaten abwarf. Lodovico Moro hat ihn damit belehnt. 1496 kam
er nach Italien zuriick und blieb nur noch Titularbischof von
Gran. Sein ganzes Leben war er Sforza dankbar, daB er ihm
ERCOLEI. IOi
die Ruckkehr in die Heimat ermoglicht hatte, wie das Ariost in
seinem Roland bezeugt:
. . . Ora in pace a consiglio con lui siede,
Or armato con lui spiega i colubri,
E sempre par d' una medesima fede,
O ne' felici tempi o nei lugubri:
Nella fuga lo seque, lo conforta
Nell' afflizion gli e nel periglio scorta.
(XLVI. 94.)
Nach Corvinus Tode muBte Beatrice von Aragon Ungarn ver-
lassen, sie kam nach Ferrara, und Ippolito begleitete seine Tante
und Protektorin nach Neapel. Diese friihzeitige Gewohnung an
hohe Wiirden und die Sorge um offentliche Angelegenheiten war
auf Ippolito von groBem EinfluB, ihm eignete sehr bald die Wiirde
seines Standes; an Ercoles Regierungsangelegenheiten nahm er
beratend teil, und der Herzog bediente sich seiner wiederholt bei
diplomatischen Missionen. Er stand an der Spitze der Gesandt-
schaft, die nach Rom ging, um Lucrezia Borgia abzuholen, und
iibergab ihr kostbare Geschenke im Namen seines Bruders. Alex-
ander VI. zeigte sich ihm fur diese Liebenswiirdigkeit und Miihe
erkenntlich, schenkte ihm einen Palast in Rom und iibertrug
ihm auch das Erzbistum von Capua. Unter Julius II., dem
eingefleischten Gegner der Este, war seine Stellung als Kardinal
sehr schwierig, deshalb ging er zeitweilig nach Ungarn zuriick.
Er wollte Ariost mitnehmen, doch der Dichter konnte sich,
wie wir noch sehen werden, nicht entschlieBen, ihn zu be-
gleiten. Im Jahre 1518 kam der Kardinal aus Ungarn zu
Bonas Trauung nach Krakau, an der Spitze eines groBartigen
Gefolges von Klerikern und Hoflingen mit insgesamt dreihundert-
siebenundsechzig Pferden. Er kam als papstlicher Gesandter
nach Polen und uberbrachte dem Konig Sigismund Leos X. Wiinsche
in Form eines Breve. Infolge von MiBverstandnissen wegen des
Zeremoniells, die sich zwischen ihm und Prosper Colonna, Bonas
Vormund und Hofmeister, auf der Reise ergeben hatten, nahm er
an den Kronungsfeierlichkeiten nicht teil und kehrte ziemlich ver-
102 FONFTES KAPITEL
stimmt nach zweiwochentlichem Aufenthalt in Krakau nach
Ungarn zuriick.
Nach Castigliones Berichten hat der Kardinal zu den an-
ziehendsten Personlichkeiten seiner Zeit gehort. Benehmen, Sprache,
Gebarden waren edel; trotz seiner Jugend machte er einen so ernsten
Eindruck, daB er selbst unter den altesten Kirchenfiirsten auffiel.
Im Verkehr mit Mannern und Frauen jedes Standes hatte er so viel
Einnehmendes, daB jeder, der mit ihm in Beruhrung kam, seinem
Zauber erlag. Es gebrach ihm weder an Umsicht, noch an Mut,
und in alien geschaftlichen Dingen bekundete er eine ungewohnliche
Geschicklichkeit. Wie alle Este war auch Ippolito ein groBer Musik-
freund; er spielte Violine, und an seinem Hofe hielten sich immer
die bekanntesten Kiinstler auf. Auch Literaten scharten sich um
ihn, vielleicht berief er sie mehr, um den Glanz seines Hauses zu
steigern, als aus personlichem Interesse an Literatur, wenigstens
drangt sich dieser SchluB auf auf Grund seiner Beziehungen zu
Ariost, von denen noch die Rede sein wird. Er gait als sehr gebildet,
und daB er gerne las, beweisen die vielen Biicher, die er auf Reisen
mit sich zu fiihren pflegte.
Dies waren die Vorziige des geschickten Kardinals, aber er
hatte auch Fehler genug. Er war gewalttatig, hochmiitig, rach-
siichtig — so lieB er den papstlichen Gesandten in Ferrara wegen
irgendeiner ihm zugefiigten Beleidigung durchpriigeln, dann floh
er aus Angst vor seinem Vater nach Mantua zu seinem Schwager
Francesco Gonzaga. Trotzdem die ihm iibertragenen Bistumer
und Abteien eine jahrliche Einnahme von iiber 47 000 Talern ab-
warfen, kiimmerte er sich um kirchliche Dinge gar nicht. Da er
nicht aus eigenem Willen Geistlicher geworden, fiihrte er ein voll-
kommen weltliches Leben, und seine Liebeshandel waren be-
riihmt. So sein Roman mit Sanzia, Joffro Borgias Frau; man
erzahlte sich von seiner Schwache fiir Veronika, eine einfache
Frau aus Brescia; in Ferrara war Dalila Putti eine seiner zahlreichen
Geliebten. Seine natiirliche Tochter, Elisabetta, verheiratete er
mit Giberto Pio und gab ihr eine Mitgift von 10 000 Gulden.
Der Kardinal starb in Ferrara im Jahre 1520 und wurde im
dortigen Dome beigesetzt.
ERCOLE I. IOg
VI
Je alter Ercole I. wurde, desto mehr trat sein Hang zur From-
migkeit zutage, haufig unternahm er Wallfahrten und schickte
Exvota an heilige Statten: nach Loreto, an San Niccolo in Bari, an
Santa Maria dell' isola di Eremiti, ja er wollte sogar zu San Gia-
como di Galizia pilgern, doch der Papst war gegen diese Reise.
In dem neuen Stadtteil lieB er mehrere Kirchen errichten, sehr
zum Schaden der Kunst, denn die Fonds wurden fiir Gebaude zer-
splittert, die in den meisten Fallen weder kiinstlerisch ausge-
schmuckt, noch selbst zu Ende gefiihrt werden konnten. Dem
Vorbild des Herzogs folgten die privaten Stifter, sie bauten kleine,
unansehnliche, schlecht fundierte Kirchen, die spater der armen
Bevolkerung nur zur Last fielen. Die Zahl der Kloster stieg fort-
wahrend, und auch daraus erwuchsen der Bevolkerung neue Lasten.
Das relativ kleine Ferrara hatte uber hundert Kirchen, zu ver-
schiedenen gehorten Kloster. Soviel Monche zu ernahren war die
Bevolkerung nicht imstande; Neid und MiBgunst zwischen den ver-
schiedenen Orden einerseits, zwischen den Monchen und den welt-
lichen Klerikern andererseits, sowie der Kampf um das tagliche
Brot schadigte das Ansehen der Geistlichkeit und tat der Reli-
giositat Abbruch.
Bis zu welchem Grade Ercoles Wiinsche in dieser Beziehung
sich verstiegen hatten, beweisen seine amiisanten Bemiihungen
um die Dominikanerin, die Schwester Lucia da Narni, die, da sie
in ihrer Ehe ungliicklich war, Nonne geworden und um ihrer From-
migkeit willen beriihmt war. Wie Katharina von Siena sollte auch
sie seit ihrem zwanzigsten Jahre Stigmata auf ihren Handen haben,
die jeden Donnerstag bluteten. Die Nonne lebte in einem Kloster
zu Viterbo, und Ercole neidete dem Stadtchen den Besitz dieser
heiligen Frau. AuBerdem nahm er in seinem Aberglauben an,
Lucias Anwesenheit in Ferrara wiirde dem Lande und seiner
Familie Segen bringen, Lucias Mutter, Gentilina, und ihr Onkel
Antonio Mei, die in Narni lebten, wurden vom Herzog gewonnen,
und der Nonne versprach er ein eigenes Kloster in Ferrara zu er-
richten, wenn sie hinzukommen sich entschlosse. Lucia hatte groBe
104 fOnftes kapitel
Lust, nach Ferrara zu kommen, aber Viterbos gesamte Bevolkerung
war dagegen aus Furcht, die Abreise der Nonne konne der Stadt
Ungluck bringen. Antonio Mei, der die Intrige leitete, iiberzeugte
sich bald, dafi er Lucia gutwillig nicht aus Viterbo frei bekame, daher
beschloB er, sie heimlich zu entfuhren. Die Nonne war im Komplott,
er kam als Abgesandter aus Narni zu ihr, mit einem Brief,
Gentilina liege im Sterben und wiinsche ihre Tochter noch einmal
vor dem Tode zu sehen. Um Mitternacht war er im Kloster, um
die Flucht mit Lucia zu besprechen; ungliicklicherweise belauschte
eine zweite Nonne die Unterredung und alarmierte sofort die stadtische
Obrigkeit. Die Signori fuhrten Antonio als Gefangenen aufs Rat-
haus, und der arme Teufel hatte Miihe genug, um wieder frei-
zukommen. Der geschickte Onkel hatte unterdessen Lucias
Beichtvater gewonnen, er vertraute ihm seine Plane an, und der
Nonne wurde empfohlen, wie bisher zum Gottesdienst nach S. Maria
della Quercia zu gehen, einem Kirchlein auBerhalb der Mauern der
Stadt. An Ercole schrieb er, ihm nach Narni vierundzwanzig
berittene Bogenschiitzen und ein ruhiges Pferd fur die Nonne zu
schicken. Diesen Brief brachte Giannino, der Diener des Herzogs,
der von Anfang an im Geheimnis war, nach Ferrara. Ercole erfiillte
Antonios Wiinsche und am Stephanstage des Jahres 1498 brach
unter Alexander da Fioranos Leitung eine kleine Schar von Arm-
brustschiitzen aus Modena auf ; sie erreichten Orte, sollten von dort
aus nachts bis in die Nahe Viterbos gehen und im Walde versteckt
bis um zwei Uhr nach Mitternacht warten. Fiorano hielt sich an
seine Vorschriften ; von Orte aus schickte er in die Nahe von
S. Maria della Quercia vier tapfere Manner und zwei Frauen zur Ge-
sellschaft fur die Nonne, wahrend er selbst an der Spitze der Arm-
brustschiitzen in einer gewissen Entfernung wartete. Aber der
Anschlag miBlang; die Boten fanden in der Nahe des Kirchleins
nur Lucias Beichtiger, der ihnen sagte, daB man im Magistrat Wind
von den Absichten der Nonne bekommen haben musse, da sie
nicht aus den Mauern der Stadt gelassen werde. Aber es sollte noch
schlimmer kommen: als ein Hirte die fremden Bewaffneten neben
S. Maria della Quercia sah, lief er in die Stadt, schlug Larm und er-
schreckte die Bevolkerung in dem MaBe, daB Sturm gelautet wurde.
ERCOLE I.
105
Die Einwohner, die urn den beabsichtigten Anschlag der Ferra-
resen wuBten und gerustet waren, waren sofort zur Stelle, machteii
einen Ausfall und zweihundert Berittene umgaben Fiorano und
seine Handvoll Leute. Nicht leicht war es dem Ferraresen, seinen
Angreifern klar zu machen, daB ihm jede bose Absicht fern sei,
er kehre aus Rom heim und einige seiner Soldaten und zwei Frauen,
die zum Gefolge gehorten, hatten in S. Maria della Quercia beten
wollen. Zwar glaubten die Manner aus Viterbo kein Wort von alle-
dem, aber sie liefien Fiorano weiterziehen und dem Herzog melden,
daB, was ihm anscheinend gefalle, auch ihnen lieb ware, deshalb
empfehlen sie ihm, seine phantastischen Plane aufzugeben, da sie
ihn anderenfalls als Feind der Stadt behandeln wiirden.
Da es auf diese Weise nicht gegliickt war, ging Fiorano nach
Rom, um mit Hilfe des Kardinals von Este das Ziel zu erreichen,
das dem Herzog so sehr am Herzen lag. Der Kardinal wandte sich
an Monsignore Felino, den Sekretar Alexanders VI., der sich der
Sache warm annahm. Er veranlaBte den Papst zu einem Breve an
die Prioren der Stadt Viterbo, das ihnen die hochste Ungnade an-
drohte, wenn sie die Schwester Lucia nicht nach Ferrara Ziehen
liefien. Auch dem Prokurator der Dominikaner wurde von Alex-
ander VI. empfohlen, alle Kindernisse aus dem Wege zu raumen.
Doch diese papstlichen Befehle niitzten nichts; die Bewohner er-
klarten kurz, daB sie die Nonne nicht herausgeben wiirden. Diese
Widersetzlichkeit argerte die Herren in Rom, und der Kardinal
d'Este veranlaBte den Papst, den Prioren von Viterbo mit dem
Bann zu drohen,wenn sie es wagen sollten, Lucia zuriickzubehalten.
Aber mit der Bevolkerung einer aberglaubischen Stadt laBt es sich
nicht so leicht verhandeln; einige der Prioren kamen nach Rom
und erklarten dem Kardinal, daB das Volk von Viterbo unter gar
keinen Umstanden die Nonne herausgeben und mit Gewalt gegen
alle MaBnahmen vorgehen wurde, um so mehr, da Lucia selbst
in Viterbo bleiben wolle. So spitzte sich diese Angelegenheit immer
mehr zu, besonders da Ercole I. Brief auf Brief schrieb, daB sich der
Kardinal und der papstliche Sekretar Felino Sandei der Sache an-
nehmen sollten, ,,sino alia desiderata expeditione". Ercole ward
immer verbissener; um den Papst zu seinen Gunsten zu stimmen,
I06 fOnftes kapitel
schickte er ihm den jahrlichen Tribut aus Ferrara und befahl, das
Geld in Rom nicht zu sparen, da Fiorano sich beklagte, daB man
dort fur alles zahlen miisse, ,,perch6 ogni cosa val danari qua".
Fiorano brachte dem Papst den Tribut, Alexander empfing ihn sehr
liebenswiirdig, freute sich des Geldes und sagte: ,,Quantunque
tardi, sempre bene".
Unterdessen beschloB Frate Timoteo aus Modena, den Herzog
zu uberraschen und auf eigene Faust Lucia aus Viterbo zu stehlen,
in der Annahme, daB ihr Beichtvater bei diesem Plane helfen
wiirde. Aber der Monch verdarb in seinem Eifer alles, der Beicht-
vater wollte nichts mehr von diesem gefahrlichen Unternehmen
wissen, und der neue Anschlag des Herzogs von Ferrara sprach
sich herum. Darum lieB auch Ercole mit Hilfe des ferraresischen
Inquisitors den Bruder Timoteus bei seiner Riickkehr ins Gefangnis
werfen, da er Schritte in seinem Namen unternommen habe, zu
denen er nicht ermachtigt war.
Lucia aber wurde ungeduldig, es verlangte sie nach einer Ab-
wechslung, und so verlieB sie zusammen mit vier befreundeten
Nonnen das Kloster und zog in die Stadt zu ihren Verwandten.
Sie erklarte, daB sie unter gar keinen Umstanden in Viterbo bleiben
wiirde und lieber sterben wolle, als ins bisherige Kloster zuriick-
kehren; der Mutter und dem Onkel empfahl sie, dem Herzog zu
versichern, daB sie in ihrem EntschluB, nach Ferrara zu kommen,
beharre, ja in einem sehr unorthographischen Brief e erklarte sie
Ercole, bis jetzt sei sie zwar gezwungen in Viterbo, aber ihr heiBestes
Sehnen sei, dieses dumme Volk zu verlassen, ,,separarsi da questo
populo ignorante". Dagegen wurde im Rat beschlossen, die eigen-
sinnige Nonne eher zu toten als fortzulassen. Fiorano gab jedoch
in Rom die Hoffnung nicht auf, den Wunsch des Herzogs zu er-
fiillen; es reizte die Pralaten, daB sie in Sachen der Kirche nicht
Festigkeit und EinfluB genug hatten, um sich ein elendes Weib zu
sichern, ,,ad avere una femminuccia". Doch wurde es dadurch nicht
besser; der Papst, des Kampfes um die Nonne mude, erklarte, das Volk
in Viterbo nicht mit Gewalt zwingen zu wollen, sie herauszugeben.
Unverhofft gewann der Herzog in Viterbo selbst einen sehr
nutzlichen und einfluBreichen Bundesgenossen. Antonio, der dortige
ERCOLE I. 107
Podesta HeB insgeheim Ercole erklaren, er sei bereit, dahin zu
wirken, daB Lucia in absehbarer Zeit aus Viterbo freikame, voraus-
gesetzt, daB er Podesta von Ferrara wiirde. Der vorsichtige Wurden-
trager bat jedoch, daB Ercole ihm das Dekret seiner Ernennung
mit der entsprechenden Klausel im voraus schicke. Der Herzog
war bereit und HeB ihm das gewiinschte Papier ubermitteln. Nun
ging die Intrige rasch ihren Lauf. In einem Weinberg hatten
Lucia und ihr Onkel aus Narni eine geheime Zusammenkunft, es
wurde beschlossen, daB sie sich am 13. April bereit halten solle, um
aus der Stadt entfiihrt zu werden. Die Verschworung leitete derpapst-
liche Sekretar, Felino Sandei, der nach Viterbo gekommen war,
um im Einverstandnis mit dem Podesta dieVorkehrungen fur Lucias
Flucht zu treffen. Es ging auch alles glatt vonstatten. Die Nonne
wurde unter Wasche und Gemuse in einem Korb versteckt. Der
kostbare Schatz wurde einer Mauleselin umgebunden und einem
erkauften Fiihrer anvertraut, der ihn in Narni im Hause von Lucias
Mutter ablieferte. Als der Herzog erfuhr, daB Lucia in Narni sei,
schickte er eine bewaffnete Eskorte, und so kam sie endlich nach
Ferrara. Vielleicht war Frate Timoteo am gliicklichsten iiber den
Ausgang, der Herzog setzte ihn in Freiheit und als Entschadigung
fur die erlittene Unbill bekam er ein Zeugnis, daB er sich im Ge-
fangnis so gefiihrt, wie es sich fur einen guten Kleriker schicke.
Lucia wurde, wie ihr von Ercole versprochen, die Oberin des
neuen Klosters, sie HeB ihren Beichtvater, Christopho da Viterbo,
nach Ferrara kommen, aber gliicklich war sie in ihrer neuen Wiirde
nicht, sie sehnte sich sogar, wie wir noch sehen werden, ins alte
Kloster zuruck.
Ercole geniigte der mystische Glanz, der von Schwester Lucia
iiber Ferrara ausging, nicht, ihn verlangte auch nach der beruhmten
Schwester Colomba, die von der ,,Eucharistie lebte, die ihr ein Engel
vom Himmel bringt", auch diese ,,wunderbare" Frau gewann er
fur Ferrara. Ercole beschaftigte sich namentlich damit, die geist-
lichen Orden zu vergroBern, und die erhaltenen Rechnungen zeigen,
welch stattliche Summen fur diesen Zweck verausgabt wurden.
Beinahe taglich wurden aus der herzoglichen Speisekammer
groBe Posten von Lebensmitteln in die Kloster geschickt: Fisch,
108 FUNFTES KAPITEL
Gemiise, gerauchertes Fleisch, Kase, Konfekt und marinierte Sachen.
Wahrend der Hochzeitsfeierlichkeiten von Alfonso und Anna Sforza
wandten sich die Frati di Santo Spirito an die herzogliche Ver-
waltung, damit auch sie ihren Karneval feiern konnten, ,,ad cio
possiamo etiam nui fare lo nostro carnevale".
In schreiendem MiBverhaltnis zu dieser Freigebigkeit den
Klostern gegenuber stand die Riicksichtslosigkeit, mit der man
der wirklichen Not im Volk begegnete. Konnten die Abgaben nicht
entrichtet werden, so pfandete die herzogliche Kammer selbst
Bettstelle und Kissen. Am Tage von Isabellas Trauung liefi man um
der allgemeinen Freude willen einen armen Teufel frei, der wegen
riickstandiger Abgaben eingesperrt war; auch das mit Beschlag
belegte Bett wurde ihm wiedergegeben, aber nach den Festen
muBte das Bett wieder ins fiskalische Magazin zuriickwandern.
Die Geistlichkeit stand bei Ercole in einem gewissen aber-
glaubischen Ansehen, namentlich jene Menschen, von denen er
der t)berzeugung war, daB sie iibernatiirliche Gaben hatten und
mit prophetischem Geist begabt seien. Auch die zwischen ihm und
Savonarola herrschenden freundschaftlichen Beziehungen sind
auf diese Ehrfurcht zuruckzufuhren, obgleich der Jiingling seiner
Zeit das ferraresische SchloB mit Fliichen und den Worten ver-
lassen: ,,Heu fuge crudeles terras, fuge litus avarum." Damals,
1472, schrieb er seine beriihmte Kanzone ,,De ruina mundi", aus
der am deutlichsten seine Empdrung iiber die Verderbnis der dortigen
Hofkreise spricht. ,,Gliicklich, wer vom Raub lebt und sich von
fremdem Blute nahrt" — dies seinUrteil iiber die Welt, die ihn umgab:
Felice ormai chi vive di rapina!
E chi dell' altrui sangue piu si pasce.
Angesichts dieser Erinnerungen, die der junge Savonarola aus
Ferrara mitbrachte, sind die herzlichen Beziehungen zwischen dem
allvermogenden Monch in Florenz und Ercole um so uberraschender.
Aber der Herzog von Ferrara brauchte Savonarolas politische
Unterstiitzung wiederholt, iiberdies wollte er sich das Wohlwollen
des im Himmel in besonderer Gunst stehenden Monches sichern.
Eifrig las Ercole jede neue Schrift Savonarolas, und als er erfuhr,
ERCOLE I.
109
daB der finstere Dominikaner sein ,, Compendium Revelationum"
geschrieben, bemiihte er sich, die Abhandlung handschriftlich zu
bekommen, ehe sie im Druck erschienen war. Der Herzog stand
zuletzt in dem MaBe unter dem EinfluB des Dominikaners, daB er
1496 Ferrara in einen religidsen Staat nach Savonarolas Ideal
umwandeln wollte. Mit groBer Strenge ordnete er allwochentlich
ein zweitagiges Fasten fiir die Bevolkerung an, lieB zur Entscheidung
politischer Fragen Prozessionen veranstalten und betrachtete es
als seine Pflicht, religiose Brauche einzufiihren. Um auf die Sitt-
lichkeit der Bevolkerung zu wirken, erlieB er vom Balkon des
Palazzo della Ragione ein Edikt, daB Gotteslasterungen, Sodomie,
auBereheliches Zusammenleben und andere Ubertretungen der
guten Sitte hart bestraft werden sollten. Den Juden gegeniiber ver-
scharfte er die friiheren Vorschriften, er erinnerte sie der Pflicht,
ein gelbes Zeichen auf dem Mantel zu tragen, zwang sie, Predigten
imDom beizuwohnen, und war sehr begliickt, als der eine nach solch
einer stiirmischen Kirchenlehre bat, zum Katholizismus iibertreten
zu diirfen.
Savonarola war mit Ercole sehr zufrieden; als er ihm sein
Buch ,,De simplicitate Christianae Vitae" schickte, auBerte er die
Hoffnung, daB ,,die darin enthaltenen Lehren dem Herzog infolge
seiner groBen Tugenden unschatzbare geistige Vorteile bringen
wiirden". Dem ferraresischen Gesandten erklarte Savonarola, daB
er Gott bitte, er moge dem Herzog stets seine Gnade zuteil werden
lassen. Ercole blieb seiner Verehrung fiir den Monch treu, auch
als sein Stern schon im Sinken war und Rom ihn mit dem Bann
belegte. Er ergriff leidenschaftlich die Partei des Angeklagten und
veranlaBte seinen Verwandten, Gian Francesco della Miran-
dola, die Verteidigung zu schreiben, die gedruckt
unter dem Titel erschien ,,Joannis Francisci
Pici Mirandolae Opusculum de sen-
tentia excommunicationis injusta
pro Hieronymi Savone-
rolae viri prophetae
innocentia".
SECHSTES KAPITEL
MATTEO MARIA BOJARDO
i
ie Bojardo lebten im XIV. Jahrhundert in Rubbiera,
einem zwischen Modena und Reggio gelegenen Gut; erst
Niccolo III. d' Este verlieh ihnen das Bergstadtchen
Scandiano nebst den dazu gehorigen Landereien an
Stelle von Rubbiera. Schlecht fuhren sie bei diesem
Tausche nicht, Scandiano war eine der groBten Be-
sitzungen im Ferraresischen. Der Chronist Salimbene, ein Franzis-
kaner aus dem XIII. Jahrhundert, erzahlt, daB Bonifazio Bojardo
bewaffnet das Zisterzienserkloster S. Prospero di Reggio iiber-
fallen habe. Dem Kloster stand damals ein auBerordentlich geiziger
Abt vor, der seine Monche hungern lieB. Daher emporten sich einige
unter ihnen, wollten den Geizkragen los werden und an seiner
Stelle einen anderen Abt wahlen. Die Unzufriedenen setzten sich mit
Bojardo, ihrem Nachbar, ins Einverstandnis, er iiberfiel im Jahre
1286 das Kloster, verjagte den Abt, nahm die Gelegenheit wahr
und raubte, was sich nur rauben lieB. Kaum war Bojardo fort,
als auch der Abt wieder auf der Bildflache erschien, vor die Kloster-
pforte postierte er vierzig ihm zugetane Burger aus Reggio, die das
Kloster Tag und Nacht bewachen sollten. Aber der Geizhals gab der
Wache nichts zu essen, und als sie hungrig in die Stadt zogen,
um einen warmen Bissen zu kriegen, erschien Bojardo abermals
und half den rebellischen Monchen bei der Wahl eines neuen Abtes.
Den Este war das Geschlecht der Bojardo ergeben, es hat
dem Herzogtum eine stattliche Anzahl verdienstvoller Kondottiere,
Podesta und Bischofe gestellt, und Feltrino Bojardo gehorte zu
MATTEO MARIA BOJARDO III
Lionellos literarischem Kreise. Fast bei alien groBeren Gesandt-
schaften der Este waren die Grafen von Scandiano vertreten und
galten als Zierde des Hofes. Titus Vespasianus Strozzis Schwester
ward die Gattin Giovanni Bojardos; dieser Ehe entstammte im
Jahre 1434 Matteo Maria Bojardo, Italiens groBter Dichter im
XV. Jahrhundert. Sein Ritterroman ,, Orlando Innamorato" spiegelt
den Geist hdfischer Kultur in der Po-Ebene am deutlichsten. Matteo
Maria bildete sich in Ferrara unter dem EinfluB seines Oheims
Strozzi, so ward er ein tiichtiger Latinist und verbrachte seine Jugend
im Kreise ferraresischer Humanisten. Seine Kenntnisse im Grie-
chischen waren unbedeutend.
Scandiano hatte damals zwei Besitzer: Matteo Marias Vater,
Giovanni, und den Oheim Giulio Ascanio, der mit Cornelia Taddea
Pio aus Carpi vermahlt war. 1452 starb Giovanni, da auch seine
Gattin tot war und Matteo Maria erst achtzehn Jahre zahlte, uber-
nahm Giulio Ascanio die Verwaltung des gesamten Vermogens.
Als auch Giulio Ascanio zwei Jahre darauf starb, muBte Matteo
Maria Bojardo Ferrara verlassen und sich mit der Landwirtschaft
beschaftigen. Er blieb elf Jahre in Scandiano, es war wohl die
gliicklichste Zeit seines Lebens. Ercole d'Este, der aus Neapel,
wo er aufgewachsen war, nach Ferrara zuriickkam, wurde 1462 zum
Statthalter des Herzogtums von Modena eingesetzt. In Modena
hatte er einen auBerordentlich glanzenden Hof, auch sein Bruder
Sigismondo d' Este, der in Reggio residierte, versammelte einen groBen
Kreis um sich. An beiden Hofen war Bojardo ein haufig gesehener
Gast, besonders schloB er sich an Ercole an, der ihm sehr zugetan war.
Wahrscheinlich hat Bojardo schon in Ferrara Verse gemacht,
aber erst in Scandiano wurde er als Dichter beruhmt. Noch stand
er unter Strozzis EinfluB, daher begann er mit lateinischen Nach-
ahmungen Vergils und mit ,,Pastoralien", in denen er Borso und
Ercole pries. Glucklicherweise ging er weder im Lateinischen noch
in hofischen Schmeicheleien unter: der Neffe ward dem Oheim
untreu, verliebte sich, und die Liebe war seine Rettung.
Am 4. April des Jahres 1469 gab es in Reggio Wettrennen und
Turniere. Dabei lernte Bojardo die achtzehn jahrige Antonia Caprara
kennen in jenem Augenblick, ,,wo die Liebe gleich einem
112 SECHSTES KAPITEL
Gewitterregen vom Himmel fiel, um die Herzen der Edlen zu erfreuen
und siiBe Flammen zu schiiren ... als Frauen in festlichen Ge-
wandern sich durch Spiel, Tanz und Gesang verjiingten, als man
iiberall nur heiter Liebende sah und frohlichesVolk im FestesgenuB" x) .
Bojardo entbrannte in einem Augenblick des Rausches in
leidenschaftlicher Liebe. Fur die Italiener der Renaissance bot eine
solche Liebe den AnlaB zu einem ganzen ,,Canzoniere" oder we-
nigstens zu einigen Sonetten. Bojardo geniigte das Sonett nicht.
Sein Gefiihl fur Caprara hielt einige Jahre an, er sang der Geliebten
einen umfangreichen ,,Canzoniere", der die ganze Skala einer
heiBen Leidenschaft begreift. HeiBe Wunsche wurden laut, es kom-
men Augenblicke des Gliickes und vollstandiger Gemeinsamkeit,
dann das Weh der Enttauschung, da Caprara einen anderen liebt, den
sie wohl geheiratet hat. Auch auBere Umstande scheinen das Ende
dieses schonen Traumes herbeigefuhrt zu haben. Mit Borso ging
Bojardo nach Rom, wahrend dieser Trennung scheint Antonia
ihr Herz einem andern geschenkt zu haben, vielleicht einem
jiingeren, da Bojardo damals schon siebenunddreiBig Jahre alt war.
Die italienischen Kritiker sind sich dariiber uneinig, ob der
,,Canzoniere" Caprara allein gewidmet ist oder ob auch andere
jugendliche Liebesabenteuer Bojardos darin besungen wurden.
Ich neige zu der ersten Annahme, da Bojardo wiederholt bekennt, daB
Caprara seine groBte Liebe war, ja er sagt sogar, daB nur zwei starke
Gefiihle ihn beherrscht haben: seine Anhanglichkeit an Ercole
und seine Liebe fur Caprara.
Doe cose for mia spene e sono ancora:
Ercule l'una, il mio Signor zentile
L'altra il bel volto ove ancor il cor se posa.
l) Piovea da tutti e cieli Amore in terra
E ralegrava i' anime gentili
Spirando in ogni parte dolcie foco
Le donne in festa, in allegrezza, in gioco,
In danze peregrine, in dolci canti;
Per tutto leti amanti
Zente lezadre, e festigiar giocondo.
MATTEO MARIA BOJARDO H3
Ein seltsames Zusammenstellen von Empfindungen, bezeichnend
genug fiir den Hofling.
Der Canzoniere besteht aus Sonetten, Kanzonen, Madrigalen
und Gedichten in anderer Form, die sich durch Einfachheit der
Sprache und Aufrichtigkeit der Empfindung auszeichnen. An-
lehnungen an Petrarca kommen selten vor, die Selbstandigkeit des
Verfassers und eine mannliche Kraft, frei von jeder Sentimen-
talitat, geben dem Canzoniere sein charakteristisches Geprage.
Klar, deutlich und plastisch spiegelt sich jeder Eindruck wider, nichts
nebelhaft Verschwommenes, Unsicheres in diesen Versen. Uberall
went gesunde, kraftige Landluft. Der Dichter freut sich seiner Liebe.
Qualunque piu de amar fu schiffo in pria,
E del camin de Amor piu dilungato,
Cognosca 1* alegrezza del mio stato,
E tornarese ala amorosa via.
Qualunque in terra ha piu quelch' ei disia.
Di forza, senno, e di bellezza ornato;
Qualunque sia nel mondo piu beato,
Non se pareggia a la fortuna mia.
Bojardo bedarf als offene, aufrichtige Natur des Vertrauten
und Freundes. Von seiner Liebe und seiner Caprara muB er er-
zahlen, und da er wie jeder Verliebte den Frauen das groBte Ver-
trauen entgegenbringt, gesteht er seinen Kusinen, Marietta und
Ginevra Strozzi, all seine Freuden und Leiden.
Aber nicht Liebe allein, alles, was schon und groB ist, erhebt
seine Seele, trifft seines Wesens innersten Kern. Als er zum ersten-
mal in Borsos Gefolge nach Rom kommt, erfullt ihn die ewige
Stadt mit Entziicken. Der gewaltige Eindruck findet seinen Nieder-
schlag im Gedicht ,,In prospectu Romae", den er gleichfalls in den
Canzoniere aufgenommen hat.
Ecco 1' alma citta che fu regina
Da 1' unde Caspe a la terra Sabea;
La triomfal citta che impero avea
Dove il Sol se alza insin la dove inchina.
H4 SECHSTES KAPITEL
1 471 bestieg Ercole Ferraras Thron, ein Jahr darauf heiratete
Bojardo seinem Stande und seiner gesellschaftlichen Stellung
gemaB. Die Erwahlte war Taddea di Giorgio aus dem Hause der
Grafen von Gonzaga in Novellara, einer Seitenlinie der in Mantua
herrschenden Gonzaga. Taddea hat nicht durch Schonheit geglanzt,
sie hatte zwar hiibsche, aber sehr kleine Augen, einen sanften Ge-
sichtsausdruck und im iibrigen war sie ,,moribus et forma felix".
Bojardo hat gliicklich mit ihr gelebt, und ihr Haus war seiner Gast-
lichkeit und Wohltatigkeit wegen beruhmt. ,,M6ge dir Gott die
Bojardo ins Haus schicken, mit ihnen wird das Gliick einkehren."
„Iddio ti mandi a casa i Boiardi" hieB es in Scandiano und Reggio.
Trotz alledem gab es im Schlosse zu Scandiano Sorgen genug.
Nur zur Halfte gehorten die Giiter Matteo Maria, der Besitzer der
anderen Halfte war sein Vetter Giovanni Bojardo, Giulio Ascanios
unmiindiger Sohn. Im Namen des Knaben herrschte seine Mutter
Cornelia Taddea, die den Dichter und seine junge Frau offenbar
gehaBt hat. Verwickelungen aller Art haben den HaB geschiirt.
Cornelia Taddea stammte, wie erwahnt, von den Pio aus Carpi;
diese Familie war seit undenklichen Zeiten mit der Gemeinde von
Reggio im Streite wegen des Wassers aus dem Kanal des Flusses
Secchia. Im Sommer stand das Wasser sehr niedrig, Reggio wollte
den AbfluB des Wassers in einen Nebenkanal, der nach Carpi ging,
nicht gestatten, fur Carpi war aber das Wasser der Secchia beinahe
eine Lebensfrage. 1473 iiberfielen plotzlich etwa zweihundert
Manner aus Carpi das Gebiet von Reggio, schnitten den nach Reggio
flieBenden Kanal ab, und lieBen das Wasser in ihren Kanal ein-
stromen. Matteo Maria, der sich den Traditionen seines Geschlechts
gemaB fiihlte als ,, defensor et propugnator Reipublicae Reginae",
riickte an der Spitze seiner Leute aus und gab Reggio sein Wasser
wieder. Daher der Zorn der Tante, die das Interesse ihrer Familie,
der Pio aus Carpi, gewahrt wissen wollte. Die rachsiichtige Frau
beschloB im Einverstandnis mit ihrem Bruder, Marco Pio, Bojardo
zu vergiften. Der Notar Simone Boione aus Reggio war mit im
Komplott, auch Bojardos vertrauter Diener wurde gewonnen,
der unter einem Vorwand nach Carpi ging und von dort aus Gift
mitbrachte. Diesen Diener verlieB aber im entscheidenden Augen-
MATTEO MARIA BOJARDO H^
blick der Mut, das Verbrechen auszufiihren, er gestand seinem Herrn
alles und zerstorte den Anschlag. Bojardo bemachtigte sich Boiones
sofort und fiihrte ihn samt dem Zeugen nach Ferrara zum Herzog.
Ercole lieB das Gift untersuchen und gleichzeitig Marco Pio aus
Carpi gefangen nehmen. Da es sich jedoch um die machtige
Familie der Pio handelte und gar um Bojardos Tante, wurde die
ganze Sache vertuscht, nur Simone Boione aus dem Ferraresischen
ausgewiesen, und auch das fur nicht gar zu lange Zeit. Simones
Bruder gehorte zu den Altesten Reggios, so erwirkte er ein Jahr
darauf dem Giftmdrder die Riickkehr ins Vaterland.
Der Dichter hatte seinen Glauben an Richter, Notare und an
Gerechtigkeit eingebiiBt :
Attendi ala giustizia,
E ben ti guarda da procuratori,
E giudizi e notai: che han gran tristizia,
E pongono la gente in molti errori.
Stimato assai e quel ch'ha piu malizia,
E gli avvocati sono anche peggiori,
Che voltano le leggi a lor parere:
Da lor ti guarda, e ferai tuo dovere.
(Orl. In. II. XXVIII, 51.)
Nach diesem Anschlag auf sein Leben war ein weiteres Zu-
sammenwirtschaften mit der Tante in Scandiano fast unmoglich.
Fur seine Halfte Scandianos bot ihm Ercole entsprechende Giiter
auf dem Territorium von Ferrara an, aber Matteo Maria wollte sich
des Familienbesitzes nicht entauBern und bat den Herzog, die
Giiter zwischen ihm und dem jungen Giovanni Bojardo zu teilen.
Der Herzog willigte ein, und 1475 wurde das Dominium den beiden
Linien zugesprochen, wobei Scandiano im Besitze des Dichters
blieb. Trotzdem war der Aufenthalt im elterlichen Schlosse Matteo
verleidet, er iibersiedelte noch im gleichen Jahre mit seiner Familie
nach Ferrara, bewohnte einen Palazzo auf der via Ripa Grande bis
zum Jahre 1478 und konnte in Ruhe seiner Arbeit nachgehen.
Wieder lebte er im Krefse der Humanisten, und ihrem Einflusse ist
es wohl zuzuschreiben, daB er Herodot und auch Xenophons
8*
H6 SECHSTES KAPITEL
,,Cyropedie" iibersetzte, wahrscheinlich aus dem Lateinischen, da
seine Kenntnisse fur den griechischen Originaltext nicht reichten.
Auch gab er in gekiirzter Form Apulejus ,,Asino d' oro" heraus.
Gleichzeitig begann er sein bedeutendstes Werk, den ,, Orlando
Innamorato"; Abschnitte daraus las er an Ercoles Hof vor.
1478 entschloB sich Bojardo nach Scandiano zuriickzukehren.
Doch war sein Aufenthalt von nur kurzer Dauer, denn Ercole er-
nannte ihn 1481 zum ,,Kapitan", nach unserer Terminologie zum
Gouverneur von Modena; dort residierte er iiber zwei Jahre.
Die Verhaltnisse waren schwierig, Bojardo scheint nicht energisch
genug gewesen zu sein, urn die Parteien in Schach zu halten, deshalb
hieB es spater, daB Modena schlecht regiert werde, ,,che era male
conducta". Auch der Herzog scheint mit dem Dichter nicht zu-
frieden gewesen zu sein, so nahm Bojardo gegen Ende des Jahres
1482 mit Ercoles Zustimmung seinen Abschied. Roberto Strozzi
wurde an seiner Stelle ernannt. Bojardo lebte in Scandiano wieder
seiner Poesie.
Aber nach funf Jahren trat er wieder in den Dienst der Regie-
rung. Im Januar des Jahres 1487 ernannte ihn Ercole zum Kapitan
von Reggio, dort waren die Bojardo beliebt, und die Verhaltnisse
lagen einfacher als in Modena. Bis zu seinem Tode blieb der Dichter
dort. Doch waren es fur ihn traurige Tage. Von Anbeginn klagte er
dariiber, daB er in einer alten Zitadelle wohnen miisse, in einem
diistern Hause, ,,una trista casa". In Reggio muBte der neue Ka-
pitan im Beisein eines herzoglichen Delegierten schwdren, indem
er die Hand aufs Evangelium legte, daB er seines Amtes walten
wurde ohne Furcht, ohne den Wunsch sich zu bereichern, ohne
Vendetta- Geliiste, und daB er bereit sei, fur die Macht und die
Ehre des Herzogs sein Leben einzusetzen. Nach dem Schwur
wurde er in die Sala del Consiglio geleitet, hier begruBten ihn die
Anziani mit dem Prior Bartolommeo de' Cartari an der Spitze,
angesichts des versammelten Volkes. Bojardo hielt bei diesem
AnlaB eine kurze Ansprache, die einen sehr guten Eindruck machte
Er selbst fiihlte sich in dieser neuen Stellung gar nicht wohl. Sein
Gehalt war viel zu klein, er hatte ein Einkommen von nur fiinf-
undsiebzig Lire monatlich, war gezwungen, funf Pferde und ebenso-
MATTEO MARIA BOJARDO 117
viel Diener zu halten, von denen drei imstande sein muBten, Kriegs-
dienst zu tun, auBerdem mufite er auch fur den Unterhalt seines
Sekretars, des Cancelliere del Reggimento sorgen. Bei ihm wurden
die Schliissel der Stadttore deponiert, ihm unterstanden die Tor-
wachter und das Heer, das die Mauern Tag und Nacht bewacht,
auBerdem standen die Besatzungen der Schlosser des gesamten Urn-
kreises unter seinem Kommando. Er war der Vertreter des Kerzogs,
wachte iiber die offentliche Ordnung in der Stadt und in dem zur
Stadt gehorigen Territorium, mit ihm muBten sich der Podesta
und die stadtische Verwaltung, die Anziani, ins Einvernehmen
setzen. Aber gemaB der herrschenden Sitte schickte der Herzog
von Zeit zu Zeit auBerordentliche Kommissare aus Ferrara, die fur
den Augenblick die hdchste Gewalt inne hatten und sich in poli-
tische, militarische und richterliche Angelegenheiten einzumischen
berechtigt waren. Es war dies gewissermaBen eine Kontrolle der
stadtischen Obrigkeit, und die Kommission war sehr wohl in der
Lage, ihr Mandat zu miBbrauchen und die Kapitane zu qualen.
Zwei Mitglieder der Kommission, Beltramino und Lodovico Orsini,
machten Bojardo genug zu schaffen. Wenn Beltramino, ein ferrare-
sischer Notar, erwartet wurde, so war die ganze Stadt in Aufruhr,
die allerbeste Wohnung wurde fur ihn vorbereitet, ausgestattet
mit Mobeln, die bei den wohlhabenden Biirgern zusammengeliehen
wurden, denn man fiirchtete ihn mehr als den Herzog.
Bojardo, ein gerechter, ritterlicher, sanfter, vornehmer Mensch,
,,mehr zum Dichten, als zum Strafen geeignet", muBte sich fort-
wahrend in langen Briefen vor dem Herzog wegen der gegen ihn
erhobenen Vorwurfe rechtfertigen. Einmal wurde er verdachtigt,
daB er Rauber beschiitze, die sich in seinen Giitern in Scandiano
verborgen hatten, ein andermal beklagte sich Venedig, daB in Reggio
eine Falscherbande venezianisches Geld nachmache. So schreibt
Bojardo Brief auf Brief an seinen Herzog, befordert sie bald mit der
Post, bald mit einem Boten, ,,sehr wichtig", ,,per posta, cito, cito",
und nennt ihn seinen ,,einzigen", seinen ,,besten Herrn", ,,meo
unico", ,,meo singularissimo Domino". Der Herzog bleibt ihm
auch gnadig und bewahrt ihm sein Vertrauen, da er ihm wahrend
des Krieges mit Venedig auftragt, einige Festungen zu besichtigen,
H8 SECHSTES KAPITEL
um den Bestand der Waffen und den Zustand der Mauern zu priifen.
Nach dem Kriege erteilt er ihm sogar das von Bojardo sehr er-
wiinschte Privileg, in Scandiano wahrend der Ostertage zehntagige
Jahrmarkte abzuhalten.
Aber die Tage des Gliickes waren fiir immer vorbei. Seit 1494
begann Bojardo zu krankeln, dazu erlitt Italien eine Niederlage
nach der anderen, die er vielleicht starker als jeder andere empfand.
In jenem denkwiirdigen Jahre hat Lodovico Sforza Karl VIII. nach
Italien gerufen. Ercole I., Sforzas Schwager, gestattete den Durch -
gang des franzosischen Heeres durch Reggio und versprach, fiir
einen sehr maBigen Preis Sorge fiir den Unterhalt zu tragen. Die
ganze Last des Durchmarsches der Franzosen fiel auf Bojardo.
Er klagt iiber diesen Durchmarsch, schildert dem Herzog das fran-
zosische Heer eingehend : die Leute seien zwar gut bewaf fnet und be-
ritten, doch rmiBten sie mit dem Teufel im Bunde sein, so haufig
wie Ercoles Heer „ diamante" rief, schrien sie ,,diable". Das
franzosische Heer habe friiher sogar eine Fahne mit einem ge-
hdrnten Damon ,,Demonio cornuto" gehabt, erst jetzt, wohl um in
Italien kein Argernis zu erwecken, sei der heilige Martin darauf
gemalt worden. All das schmerzte den Dichter. Italiens Ungliick be-
nahm ihm die Lust zum Dichten und drangte ihn doch wieder dazu.
Mit zerrissener Seele gibt er seinem Orlando den beriihmten SchluB:
Mentre che io canto, o Dio Redentore,
Vedo 1' Italia tutta a fiamma e foco
Per questi Galli, che con gran valore
Vengon, per disertar non so che loco,
Pero vi lascio in questo vano errore
Di Flordespina ardente a poco a poco:
Un' altra fiata, se mi fia concesso,
Raccontervovi il tutto per espresso.
(Ill, IX, 26.)
Indes ich dieses sing — o Gott der Giite!
Seh ich Italien rings in Flamm und Brand
Durch diese Gallier, deren Kriegsgewiite
Verheeren will, ich weiB nicht welches Land.
MATTEO MARIA BOJARDO H9
Drum laB ich Flordespinen, die ergliihte
Von eitler Liebe, nach und nach entbrannt.
Ein andermal — begiinstigt Gott mein Streben —
Hoff ich von allem Euch Bericht zu geben.
Das Schicksal seiner Heldin konnte er nicht weiter besingen.
Er war den ganzen Herbst schwer krank, ,,graviter aegrotans",
und starb am 19. Dezember 1494.
II
Zwischen 1475 und 1478, wahrend seines Aufenthaltes in Ferrara,
schrieb Bojardo die beiden ersten Biicher seines Ritterromanes
,, Orlando Innamorato". Die hofische Atmosphare hat ihn sicher-
lich mit beeinfluBt. Damals wie heute war der Roman eine der
beliebtesten literarischen Formen, deren man sich bediente, um
zu einem groBen Leserkreis zu sprechen, zu Hoflingen, schonen
Frauen, tapfern Rittern: ,,signori e dame e bella baronia". Noch
iiber das XVI. Jahrhundert hinaus beherrschen Italien Erzahlungen
aus dem Sagenkreis Karls des GroBen, aus Kdnig Artus' Tafelrunde
und dem bretonischen Zyklus. Diese Themen, in verschiedenster
Weise bearbeitet und mit den seltsamsten Zutaten ausgeschmiickt,
lebten im Munde der StraBensanger, die sie dem Geschmack, den
Anspriichen und der Phantasie ihrer Horer anpaBten. Um die
Wende des XV. Jahrhunderts hatte Italien seinen beruhmten
maestro di canto, Andrea dei Magnabotti, aus Barberino im Val
d'Elsa, eine Art Alexander Dumas. Von ihm stammen die beruhm-
testen Ritterromane ,,Reali di Francia" und ,,Guerino il Meschino",
die Jahrhunderte iiberdauert und bis auf den heutigen Tag ihre Leser
haben, ahnlich wie ,,Der Graf von Monte Christo" und ,,Die drei
Musketiere". In den ,,Reali di Francia" leitet dieser siidliche Barde
in phantastischer Weise die Abstammung der frankischen Konige
von den Romern ab, berichtet von ihren ritterlichen Taten bis zu
Karl dem GroBen, indem er die franzosische Literatur aufs grau-
samste pliindert. Seine Geschichte von Guerino, dem angeblichen
120 SECHSTES KAPITEL
Sohn Milons von Tarent, zeichnet sich durch eine besonders kiihne
Phantasie aus. Als Milon seinen Thron verloren und von Feinden
ins Gefangnis geworfen wurde, rettete die Amme seinen kleinen
Sohn und nahm sich des Kindes an. Aber die Korsaren raubten
und verkauften ihn als Sklaven nach Konstantinopel. Hier erwarb
er sich die Gunst des byzantinischen Kaisers und ward zu einem
im ganzen Osten beriihmten Ritter. Schrankenlos war sein Mut,
er befreite Griechenland vom Joche der Tiirken, und auf der Suche
nach seinem gefangenen Vater kam er in die verschiedensten
Lander und gab iiberall Proben seiner Tapferkeit. Er bekampfte
die Araber und riistete sogar zu einer Reise nach Sonne und Mond,
um Apoll und Diana zu befragen. Nachdem er dies Abenteuer
bestanden, ging er nach Irland, um einen beruhmten, wunder-
tatigen Ort, das Purgatorium des heiligen Patricius aufzusuchen.
Nach einer dreiBig Jahre wahrenden Wanderschaft, nach Nach-
forschungen mannigfachster Art, bei denen er sogar bis in die Holle
gedrungen, fand er seinen Vater und gab ihm die so lange entbehrte
Freiheit wieder.
Dieser Art waren die Geschichten der Cantastorie, Abenteuer,
die in nur sehr losem Zusammenhange standen, ohne jede kiinst-
lerische Form. In den Romanen des XV. Jahrhunderts spielen
namentlich zwei Geschlechter eine groBe Rolle: die Chiaramonti
und die Maganzesi; der ersten Familie entstammen die tapferen,
groBmiitigen Helden, wahrend jeder Maganzese ein Feigling,
Betriiger und Lump ist und das komische Element im Roman
reprasentiert. Diese Romane wurden im XIV. und XV. Jahr-
hundert zumeist in Stanzen geschrieben, doch war der nicht durch-
gefeilte Vers fast barbarisch in seiner Form. Erst Luigi Pulci, der
Florentiner (geb. 1432), gab diesen Romanen gewissermaBen die
literarische Weihe. In seiner Dichtung ,,11 Morgante", die 1481
erschien, beniitzte er zum groBten Teil den Roman ,, Orlando"
eines unbekannten Verfassers, den die StraBensanger dem Volke
sangen. In diesem Roman iiberwogen Episoden aus Karls des
GroBen Sagenkreis, die am meisten zur Phantasie des Volkes
sprachen. Die Helden sind grausam und wild, der Begriff ritter-
licher Ehre fehlt noch. Kriege, Heldentaten, Kampfe mit den
MATTEO MARIA BOJARDO I2i
Unglaubigen — bilden den Hauptinhalt. Pulci schrieb fiir die Floren-
tiner Burger, nicht fiir Hofe und Ritter, deshalb lag ihm dieses
Thema naher als die Gestalten aus Konig Artus' Kreis, die damals
in den franzosischen und norditalienischen Romanen dem Ideal
fahrender Ritter immer ahnlicher wurden. Ja, Pulci entging das
Lacherliche dieses Rittertums nicht, er trieb seinen Spott mit Lanci-
lottos edlen Nachkommen, und sein Morgante ward so gewisser-
maBen zum Vorlaufer Don Quichottes und Sancho Pansas. Wenn
der Riese Morgante und sein Gefahrte, der Riese Margutto, die
gefesselte Prinzessin befreien, so glaubt man schon den spanischen
irrenden Ritter mit seinem Knappen zu sehen:
Disse Morgante: amedue siam giganti,
Da te a me vantaggio veggo poco:
Koi andiam pel mondo cavalieri erranti
Per amor combattendo in ogni loco.
(XIX, 37.)
Jener Margutto ist eine die Volksphantasie fesselnde Gestalt:
ein verschlagener Halunke, der sich zu den sieben Todsiinden
bekennt und sich freut, wenn es ihm gelungen, jemand geschickt
zu bestehlen oder zu betriigen, dabei ist er gelegentlich ganz gut-
miitig. Beide sind gefrafiig wie Rabelais' Gargantua. Auf einen
Satz verschlingt Morgante einen Biiffel, ein Einhorn, einen Basi-
lisken, ein Kamel und einen Elefanten, eine zersplitterte Fichte be-
niitzt er als Zahnstocher; er ist so stark, daB er Mauern mit seiner
Faust zertrummert, ein eisernes Tor als Schild beniitzt, und wenn er
auf dem Schiffe stramm auf dem Verdeck steht, kann er im Not-
fall als Mast dienen. Margutto stirbt den Tod eines VielfraBes:
nachdem er sich vollgefressen, sieht er einen Affen, der in seine
gelben Stiefel fahrt — er lacht aus Leibeskraften und platzt.
Fiir die Markgrafen und Damen des estensischen Hofes war
ein solcher Roman zu wild und urwiichsig, zu wenig knupfte er an
die glorreiche Vergangenheit der groBen Geschlechter, zu niedrig
stellte er die Frau und die Liebe, zu wenig wurden schone Konigs-
tochter und ritterliche Heldentaten gefeiert. Solchen Wiinschen
entsprach Matteo Bojardo schon besser, er, der Dichter, der am
I22 SECHSTES KAPITEL
Hofe in ritterlichen Traditionen groB geworden, von den Gesangen
der Troubadours gewiegt. Er begann seinen Roman etwas spater
als Pulci seinen Morgante, aber ganz unabhangig vom Florentiner.
Bojardos Phantasie standen, wie dem estensischen Hofe, die
Gestalten des bretonischen Sagenkreises, die Helden von Konig
Artus' Tafelrunde naher als die wilden Recken aus Karls des
GroBen Umkreis. Der Hof des groBen Kaisers verschloB der
Liebe seine Pforten, seine Ideale waren nur Glauben und
Vaterland :
Perche tenne ad Amor chiuse le porte
E sol si dette alle battaglie sante.
(Orl. In. II. XVIII, 2.)
Je verfeinerter Sitten und Brauche wurden, desto mehr erwarb
die Liebe sich Heimatrecht in der Literatur. Der bretonische Zyklus
siegte. Das Eindringen des Liebeselementes und des Abenteuers
in den Kreis Karls des GroBen begann in Frankreich eher als in
Italien, was sich an franzosischen Romanen aus dem Ende des
XII. Jahrhunderts wie ,,Huon de Bordeaux" oder ,, Jehan de Lanson"
beobachten laBt.
Zwei Elemente, zwei Zyklen, die Jahrhunderte hindurch die
Phantasie der nordlichen und sudlichen Volker beschaftigt haben,
begannen sich gegenseitig zu durchdringen, eine organische Ein-
heit zu bilden. Seltsam genug, die Liebe als allgewaltige Herr-
scherin im Ritterroman hat ihren Ursprung im Norden, in Konig
Artus' Kreis, nicht im Siiden. Das Ideal der spateren Ritterschaft
ist Tristan, sein Leitstern die Liebe, seine Waffen Mut, Kiihnheit
und Frauenverehrung. Die Welt, in der Matteo lebte, hat die
Tugend der Keuschheit, die den friiheren Roland zierte, nicht
begriffen; Bojardo wahlt ihn zwar zu seinem Helden, doch der
treue Kampe Karls des GroBen, der Streiter des bedrohten Christen-
tums, schmachtet in Liebesfesseln.
Bojardo nennt sein Gedicht den ,,Verliebten Roland", ,, Orlando
Innamorato", und fiihlt sich gewissermaBen verpflichtet, sich vor sei-
nen Lesern zu rechtfertigen, weil er sich dem bretonischen Kreise zu-
gewandt und Roland zum Liebeshelden gemacht hat. Aus der Bretagne
MATTEO MARIA BOJARDO 123
holt er den Inhalt seines Gedichtes, denn dort ist der Ursprung
des Liebeskultus, dort leben Ritter, die die Ehre der Frauen schiitzen :
Fu gloriosa Bretagna la grande
Una stagion per 1' arme e per 1' amore,
Onde ancor oggi il nome suo ai spande
Si che al re Artuse fa portare onore,
Quando i buon cavalieri a quelle bande
Mostrarno in piu battaglie il suo valore,
Andando con lor dama in avventura
Ed or sua fama al nostro tempo dura.
(Orl. In. II. XVIII, 1.)
DaB er vom „Verliebten" Roland erzahlt, ist nur selbstverstand-
lich. Turpin, jener Chronist und Bischof, der von Karls des GroBen
Heldentaten berichtet, verschweigt Rolands Liebesgeschichten, „um
seiner Ehre nicht Abbruch zu tun". Aber selbst diese Ritter ver-
mogen sich der Liebe nicht zu erwehren, jeden zieht sie in ihren
Taumel, jung und alt, vornehm und gering, gegen den Tod und
gegen die Liebe ist kein Kraut gewachsen.
Gioveni e vecchi vanno alia sua danza,
La bassa plebe col signore altiero:
Non ha rimedio amor e non la morte;
Ciascun prende ogni gente, e d'ogni sorte.
(Orl. In. I. XXVIII, 2.)
Im ,,Verliebten Roland" wiirde man vergebens naoh einer ein-
heitlichen Handlung, die einem bestimmten Ziele zustrebt, suchen.
Es ist ein Bukett seltsamer Kriegs- und Liebesgeschichten. Liebe
ist die Triebfeder, die die phantastischen Gestalten dieser erdachten
Welt bewegt, und wenn der Dichter auch seine Helden aus alten,
verstaubten Rittergeschichten holt, das Gefiihl, das sie eint und
bindet, quillt aus seinem eigenen Herzen, aus der Erinnerung an
seine erste starke Leidenschaft. Nicht wendet er sich nach Hem
Vorbild antiker Schriftsteller an die olympischen Gotter um Bei-
stand, aber die Heldin seiner Jugendtraume, Caprara, beschwort
er, seine Begeisterung anzufachen. ,,Licht meiner Augen'%
I24 SECHSTES KAPITEL
ruft er, ,,Leben meines Herzens, dem ich einst anmutige Reime
gesungen und schone Liebeslieder gedichtet, begeistere mich, daB
ich die Geschichte kiinde":
Luce degli occhi miei, spirito del core,
Per cui cantar solea si dolcemente
Rime leggiadre e bei versi d' amore
Spirami aiuto alia storia presente.
(Orl.In. II. IV, i.)
Die Heldin, der dieses UbermaB von Empfinden gilt, ist in Bo-
jardos Dichtung Angelika, die Tochter Galafrones, des Konigs
der Tataren; am Hofe Karls des GroBen, und wo immer sie auf-
taucht, erobert sie alle Herzen im Sturm. So wird hier zum ersten-
mal die Frau zur wichtigsten Gestalt des Ritterromanes.
Im Mai ,,a la Pas qua rosata" hat Karl der GroBe die gesamte
Ritterschaft zu einem groBen Turnier nach Paris berufen. Christen
und Unglaubige kamen in Scharen. Der machtige Monarch saB
auf seinem goldenen Throne, um ihn tafeln zweiundzwanzig-
tausenddreiBig Gaste: die Christen an den Tischen, die Sarazenen,
die Heiden, wie Hunde am Boden auf Teppichen. Wahrend des
Mahles betritt den Saal eine Jungfrau von wunderbarer Schonheit,
,,wie der Morgenstern, wie die Lilie im Garten, wie die Rose im Hain":
La qual sembrava mattutina stella
E giglio d' orto e rosa de verzieri.
(Orl.In. I, 21.)
Vier gewaltige Recken und ein junger Ritter in kostbarer
Riistung begleiten sie. Angelika stellt den Ritter dem Kaiser als
ihren Bruder, Uberto del Lione, vor und bittet, daB er am Turnier
teilnehmen diirfe. Der Sieger wiirde zum Lohn ihre Hand erhalten.
Die ganze Ritterschaft entbrennt vor Verlangen, die schone
Frau zu besitzen. Ferragu, ein wilder Sarazene, springt als erster
auf, ihm folgen die Paladine, der feurige Rinaldo und Roland,
sein Verwandter, der Neffe Karls des GroBen, der erste Ritter der
Christenheit, und viele andere. Das Los entscheidet, in welcher
Folge sie in die Schranken treten diirfen. Ferragu ist der gliick-
MATTEO MARIA BOJARDO 125
lichste, als erster soil er mit dem fremden Ritter kampfen; Roland
ist leider erst der dreiBigste. Aber Ferragu wird bezwungen, denn er
hat einen uniiberwindlichen Gegner vor sich. Der Zauberer Malagise
entdeckt das Geheimnis des fremden Paares. Angelika ist Galafrones
Tochter, des Konigs der Tataren auf Catajo, und ihr Bruder heiBt
Argalia. Im Auftrag ihres Vaters sind sie nach Frankreich ge-
kommen, um Karls des GroBen kiihnste Ritter in den Osten zu ent-
fuhren und dem Kaisertum seine starkste Stiitze zu nehmen. Argalia
kampft mit verzauberten Waff en, Angelika besitzt einen Ring,
der sie im Notfall unsichtbar macht. Der schwarzhaarige Ferragu
miBfallt Angelika, denn die launische Konigstochter liebt die
Blonden. Ohne den Ausgang des Kampfes abzuwarten, entzieht
sie sich vermoge ihres Ringes den Blicken der Ritter, besteigt ihr
RoB und zieht heimwarts in den Osten. Ihren Spuren folgen Ferragu,
Roland und Rinaldo; der Weg fiihrt durch den Ardenner Wald.
Dort stillt die mude Angelika ihren Durst an einer Quelle, die die
Liebe anfacht, wahrend sich Rinaldo an einer andern Quelle starkt,
die die Liebe loscht. Angelika verliebt sich in Rinaldo, doch sein
Feuer fur sie erkaltet. Roland dagegen brennt wie ein Vulkan fur
Angelika, er jagt ihr nach, besteht die seltsamsten Abenteuer,
erreicht sie endlich, findet sie schlafend am Flusse, und wahrend er
die Schlafende bewundert, sieht er den heransturmenden Ferragu.
Ein furchtbarer Zweikampf beginnt, doch wahrend des Kampfes
erfahrt der Sarazene, seine Herrschaft in Spanien sei bedroht, der
indische Konig Gradasso am Ufer der Halbinsel gelandet, das
Reich Karls des GroBen in Gefahr, Valencia eingeaschert, Aragon
zerstort, Barcelona belagert. Als treuer Vasall kehrt Ferragu auf
schnellstem Wege in die Heimat zuriick, der verliebte Roland
jedoch laBt nicht ab in seiner Verfolgung der tatarischen Konigs-
tochter. Auch Rinaldo kehrt nach verschiedenen Abenteuern
nach Frankreich zuriick, um sich an die Spitze von Karls Heer
zu stellen.
Seltsame Verwicklungen, eigenartige Zufalle spielen sich nun
im fernen Osten ab; irrende Ritter, verlassene, hilfesuchende Frauen
Ziehen am Leser vorbei. Eine der interessantesten Gestalten ist
der tatarische Konig Agricano, der naturlich gleichfalls in heiBer
126 SECHSTES KAPITEL
Liebe fur Angelika entbrannt ist; er will sie mit Gewalt gewinnen
und belagert die Festung Albracca, in die sich die verfolgte Jungfrau
vor ihm gefliichtet hat. Zu ihrem Verteidiger erwahlt Angelika
Roland, der rettungslos in ihren Schlingen zappelt. Der nachtliche
Zweikampf zwischen Agricano und Roland ist vielleicht die schonste
Episode des Romans. Angelika liebt Rinaldo, sehnt sich nach ihm
und beschlieBt, nach Frankreich zu gehen, um ihn wiederzusehen.
Der naive Roland begleitet, schiitzt, verteidigt sie in alien Gefahren,
kampft fur ihre Ehre. Wieder fiihrt uns der Dichter in den Ardenner
Wald und laBt Angelika und Rinaldo abermals aus den Zauber-
quellen trinken, aber diesmal starkt Angelika sich am Quell des
Vergessens, Rinaldo am Liebesquell. So wird Rinaldo Rolands
leidenschaftlicher Rivale; die Paladine, die dem Geschlecht, dessen
Stammvater der trojanische Hektor ist, angehoren, werden er-
bitterte Feinde. Da Karl der GroBe seiner beiden tapfersten Ritter
nicht entraten will, ersinnt er einen Ausweg : dem Sieger im Kampf
mit den Sarazenen verspricht er Angelikas Hand. Mit diesem
Schicksalsspruch des groBen Kaisers bricht Bojardo seine Erzahlung
ab; hier hat Ariost spater mit seinem Rasenden Roland eingesetzt.
Am meisten weichen in Bojardos Dichtung von den fruheren fran-
zosischen Romanen ab Roland selbst und die vielen neuen Frauen-
gestalten, die die Erzahlung beherrschen. Dieser veranderte Roland ist
das Symbol des veranderten Rittertums um die Wende zwischen dem
XIV. und XV. Jahrhundert. Es ist nicht langer jener starke Held,
der bereit ist, sein Vaterland Frankreich und den Kaiser zu schutzen,
der im EngpaB von Roncesvalles mit seiner letzten Kraft Karls
Durchgang von Spanien nach Frankreich verteidigt. Nicht jener
Roland, der die Liebe nur als weibische Schwache und Krankheit
estimiert und keusch lebt, sondern ein liebestoller Ritter, der Gott
anfleht, die heiligen heimatlichen Standarten, Frankreichs goldene
Lilien zu zerstoren, Karl den GroBen und sein Heer zu vernichten,
denn nur auf Frankreichs Trummern und den Leichen seines er-
lauchten Geschlechtes kann Angelika sein werden. Der groBe
Roland ist klein geworden — aus dem Helden der irrende Ritter.
Aber er ist auch nicht der hofische liebenswiirdige, galante
Frauenverehrer und Ritter des estensischen Hofes, sondern ein
MATTEO MARIA BOJARDO 127
ziigelloser Held des Lagers, aus dessen Herz Flammen schlagen,
ein unverdorbenes, seltsam naives Kind, das nichts von Frauenlisten
ahnt. Im Zorn zittern seine Lippen, und sein Mund spriiht Feuer;
nach dem Zweikampf mit Rinaldo erregen seine haBverzerrten
Ziige, selbst da er schlaft, noch Grausen.
Frauen gegeniiber, und namentlich, wenn es eine so raffinierte
Kokette ist wie Angelika, ist er schiichtern, ungeschickt und begeht
eine Albernheit nach der andern. Nach seiner Riickkehr aus dem
Gefangnis in Dragontino lost ihm Angelika selbst den Panzer,
richtet ihm das Bad, salbt seinen Korper, kiiBt ihn voller Zartlich-
keit, Roland ist beschamt, schiichtern, beherrscht seine Leiden-
schaft — und geht zu Bett. In Angelikas Handen ist er nichts als
ein gutwilliges Werkzeug ihrer Eitelkeit und ihrer egoistischen
Plane.
Und doch ist dieser Roland, der sich selbst seiner Liebe wundert,
trotz seiner Naivitat und brutalen Kraft schon ein Renaissance-
Mensch, der absolut ,,fortschrittliche" Begriffe von ritterlichen
Tugenden hat. Sehr bezeichnend dafiir ist seine Unterhaltung
mit Agricano, der behauptet, es sei eines Ritters unwiirdig, sich
mit Wissenschaften abzugeben. Der tatarische Konig berichtet,
er habe in seiner Jugend seinem Lehrer den Kopf zerspalten und sich
auf diese Weise der Zudringlichen entledigt, die ihm die Kunst des
Schreibens und Lesens beibringen wollten. Ein Ritter miisse reiten,
jagen, fechten, aber es stehe ihm schlecht, iiber Buchern zu bruten:
Ne mi par che convenga a gentilezza
Star tutto il giorno ne' libri a pensare.
(Orl. In. I. XVIII, 43.)
Roland dagegen erklart zu unserer groBen Uberraschung,
Wissen schmiicke den Ritter wie die Blume die Wiese, Wissen
allein erhebe Herz und Sinn zum Schopfer aller Dinge, und wer es
verachte, gleiche einem Stein, einem Stuck Holz, einem Ochsen.
Ed e simile a un bove, a un sasso, a un legno,
Chi non pensa a 1' eterno creatore ;
Ne ben si pud pensar, senza dottrina.
(Ibid. 44-)
128 SECHSTES KAPITEL
Trotz dieses neuzeitlichen Anstriches ist Roland von italienischer
Kultur ganzlich unberiihrt. Er sieht furchtbar aus; schielt auf
einem Auge, seine dichten, gestraubten Brauen starren wie bei
einem Luchs; im Schlafe schnarcht er, daB die Mauern zittern,
benagt seine Nagel mit den Zahnen, und sein Geruch verrat ihn
schon von weitem. Was Wunder, dafi die schone, leichte, launische
Angelika sich nicht in ihn verlieben kann?
In Angelika personifiziert Bojardo eine jener koketten, verdor-
benen Salonldwinnen, wie er sie an italienischen Hofen haufig
genug gesehen haben wird. In der Schilderung ihres Charakters
racht er sich fur Capraras Untreue, die ihm ihr ganzes Geschlecht
verleidet hat. Von der Treue der Frau hat er einen sehr schlechten
Begriff, er glaubt, daB ihre Liebe kaum einen Tag wahre.
Io non credo apena,
Che un giorno intiero amore in donna dura
heiBt es in einer seiner Kanzonen.
Das Bild, das er von Angelika entwirft, entspricht ihrem Cha-
rakter vollkommen:
Candido ha il viso e la bocca vermiglia,
Suave guardatura et affalata,
Tal che ciascun mirando il cor gl' impiglia
La chioma bionda al capo rivoltata,
Un parlar tanto dolce e mansueto
Ch' ogni triste pensier tornava lieto.
(Orl. In. I. XXVII, 60.)
Trotz ihrer siiBen, einnehmenden Blicke schickt Angelika
Roland im Augenblicke, wo sie ihn nicht mehr braucht, zur Zauberin
Morgana, in der Hoffnung, daB er dort seinen Tod finden wird.
Angelikas Gegenstiick im Gedicht ist die Konigin Marfisa, eine
heldische, schone, kiihne, mutige, stolze Frau, kraftig wie ein Mann,
ein Typus, wie man ihn bisweilen im Mittelalter und in der Renais-
sance findet. Sie kampft mit wirklichen Waffen, nicht mit List und
Koketterie, und als sie Roland mit der Faust insGesicht schlagt, spritzt
ihm das Blut ausNase undOhren. Sie hat einen Eid geschworen, ihren
MATTEO MARIA BOJARDO 129
eisernen Panzer nicht eher abzulegen, als bis der groBe Kaiser ihr
Gefangener geworden. Deutlich, plastisch schildert sie Bojardo:
Vom Helm entblofit zeigt sie ihr Antlitz hier,
Nichts Schdn'res sah man auf dem Erdenrunde.
Das Haupt umflicht der blonden Locken Zier,
Ihr Auge gibt von Sternenklarheit Kunde.
Und diesem Reiz ist alles gleich an ihr;
Gewandt in jeder Regung, kiihn von Munde,
GroB von Person, ein wenig braun von Haut,
So stellt Turpin sie dar, der sie geschaut.
(Orl. In. XXVII, 59.)
Bojardos ritterliches Ideal ist nicht Roland, sondern der Sarazene
Brandimarte. Mit besonderer Liebe hat der Dichter diese Gestalt
gezeichnet, ein kiihner, gewandter Ritter, voller Gentilezza, den
Roland im Gefangnis zum Christentum bekehrt. Es ist fur die
damaligen Anschauungen von Ritterlichkeit sehr bezeichnend,
daB der Sarazene eine der sympathischsten Gestalten des Gedichtes
ist. ,,La Cavalleria", die Ritterlichkeit, stand fast hoher als die
Religion, dank ihr wurden Christ und Mohammedaner gleich, und
der wahre Ritter hatte ein Anrecht auf religiose Toleranz. Ge-
wissermaBen zwischen Roland und Brandimarte stehen: der Paladin
Rinaldo, ein Riese von unerhorter Kraft, der im Zweikampf mit
Roland solche Streiche fiihrt, daB er ihm ohne den Stahlhelm
unfehlbar ,,das Gehirn ins Maul geschlagen hatte", sowie Rogier,
ein Jiingling edelster Abstammung, in dem vaterlicherseits das Blut
Alexanders des GroBen und mutterlicherseits das des trojanischen
Hektor flieBt. Rogier liebt Rinaldos Schwester, heiratet sie und wird
zum Ahnherrn des estensischen Geschlechtes. Es war Brauch am
ferraresischen Hof, Rogier als Stammvater der Este zu feiern, schon
Tito Strozzi und Priscianus in seinen ,,Annales ferrarienses" kennen
diese Genealogie. Schon sie haben gegen jene fur die Este
beschamende Tradition Einspruch erhoben, als wenn der Stamm-
vater des Geschlechtes Gano ware, der Verrater von Roncesvalles.
In Bojardos Gedicht darf man so wenig nach psychologisch
durchgefiihrten Charakteren suchen, wie den inneren Triebfedern
130 SECHSTES KAPITEL
des Handelns der Menschen nachgehen. Die auftretenden Persdn-
lichkeiten sind so dargestellt, wie ihre Handlungen sie nach auBen
spiegeln, ihre Portrats sind nur mit einigen kiihnen Pinselstrichen
hingesetzt; aber in kulturhistorischer Beziehung ist das Gedicht
sehr fesselnd, wir finden viele Ziige der Gesellschaft wieder, in der
Bojardo gelebt hat. Viel Kraft und Phantasie, und der grdBte Vor-
zug der Dichtung ist ihre Jugend, die in jeder Zeile lebendig ist,
Jugend der Epoche, Jugend der Phantasie, Jugend im Ausdruck.
Im Friihling spielen sich die Hauptereignisse ab, und dieser Friih-
ling prangt im Bliitenduft, strahlt in siidlicher Sonne. Mit dieser
Jugendlichkeit einen sich Heiterkeit, Humor und eine leichte Ironie,
die wie eine leise Melodie iiber dem Ganzen schweben. Trotz ihrer
unmoglichen Unternehmungen wirken Bojardos Helden nicht lacher-
lich, denn die Phantasie des Verfassers ist so stark, daB sie iiber Natur-
gesetzen zu stehen scheint. Im Zauber der Dichtung glauben wir gut-
willig, daB ein Walfisch zwei Meilen lang ist, oder daB neunzig Ritter
gegen das zwei Millionen starke Heer Agricanos gekampft haben.
Bojardos Dichtung gleicht jenen Bildern der Friihrenaissance,
die trotz mancher Seltsamkeit in der Zeichnung und in den Details
durch ihre Kraft und Urspriinglichkeit stark auf uns wirken. Die
Phantasie des Dichters erfindet die merkwurdigsten Geschichten
und Gestalten, mit vulkanischer Kraft wird eine farbige, schdne,
seltsam schillernde Welt herausgestoBen. Das Gedicht hat keinen
Zweck irgendwelcher Art, es lehrt nichts und will nichts beweisen,
es ist Spiel und Scherz. Bojardo schreibt fur eine Gesellschaft, die
im OberfluB und Luxus lebt, sich weder um religiose noch soziale
Fragen kiimmert, er schreibt nur, um seinem Schaffensdrang Geniige
zu tun und das Verlangen nach Schdnheit bei den Menschen, unter
denen er lebt, zu stillen. ,, Nichts mehr verlange ich," sagt er,
,,als daB Ihr mich anhdrt in Heiterkeit und Freude." Erst am
SchluB des Romanes umwdlkt sich seine Stirn angesichts der Stiirme,
die Italien bevorstehen, er ahnt andere Zeiten, andere Mdglich-
keiten, und das Gedicht klingt elegisch aus. Bojardos Wunsch
ging in Erfiillung, er wurde gelesen ,,in Heiterkeit und Freude".
Seine Gesange wurden, unmittelbar nachdem sie entstanden, fur
Ercole und andere Persdnlichkeiten des estensischen Hofes
MATTEO MARIA BOJARDO 131
abgeschrieben. 1491, wahrend Isabella d'Estes Aufenthalt in Mai-
land, entspann sich ein lebhafter Streit zwischen ihr und Galeazzo
Visconti, welcher der Paladine, Roland oder Rinaldo, in ritter-
lichen Tugenden, in Mut und Ehre hoher stiinde. Isabella trat fur
Rinaldo ein, wahrend Galeazzo Rolands Partei ergriff. Der Streit
begann im Augenblick, da die Markgrafin, Visconti und der gesamte
Hof Pavia mit dem Schiff verlieBen; Isabella geriet in solche Hitze,daB
sie laut schrie ,, Rinaldo! Rinaldo!", wie der StraBenpobel, der wah-
rend der Revolution ,, Diamante! Diamante!" oder ,,Vela! Vela"
gerufen hatte. Selbstverstandlich iiberzeugten die literarischen
Gegner einander nicht, und als Isabella Mailand verlieB, wurde brief-
lich weiter gekampft. Einige Briefe von Galeazzo an Isabella sind auf
uns gekommen, sie sind ein interessanter Beweis, welches Interesse
Bojardos Roman bei den Zeitgenossen erweckt hat. AuBerordentlich
energisch und mit viel Humor tritt Galeazzo fur Roland ein, er glaubt,
daB auch Isabella das Zwecklose einsehen wiirde, einen Verrater
und Verbrecher wie Rinaldo zu verteidigen. Roland ist der wahre
Christ, ,,christianissimo", bestandig, tapfer, klug, gemaBigt, mit-
leidig, gerecht, giitig, der Verteidiger der Kirche, der Schutz der
Witwen und Waisen, dessen Platz im Himmel sicherlich neben den
Heiligen sein wird. Rinaldos Leben dagegen ist eine Kette von
Verbrechen, er ist ein hochmutiger Abenteurer,der nur StraBenhandel
sucht, ein Liigner und Rauber, und ware er nicht mit Karl demGroBen
und Roland verwandt — er faulte langst im Gefangnis. Zwar Hebe
Roland Rinaldos Gesellschaft, aber nur um Rinaldos Heiterkeitwillen.
Halb im Scherz kampft die Markgrafin hartnackig fur Rinaldo.
Sie droht ihrem Gegner, er wiirde, wenn er ihren Helden so
beschimpft, jetzt um Ostern, wo man dem Nachsten seine Siinden
verzeihe, Schaden nehmen an seiner Seele. Um Galeazzos Argu-
mente um so eindringlicher zu bekampfen, bittet Isabella im August
1 49 1 Bojardo um die Fortsetzung seines Gedichtes, und als sie
von ihm erfahrt, daB er nichts Neues geschaffen, verlangt sie zum
mindesten die beiden ersten Biicher des ,,Verliebten Roland".
Als Vollblut-Italienerin muBte Isabella Rinaldo hoher schatzen
als Roland. Der Streit um die beiden Romanhelden zwischen der
Markgrafin und Galeazzo scheint die Hofe in Mantua und Mailand
132
SECHSTES KAPITEL
lebhaft beschaftigt zu haben; in Galeazzos und Lodovico Sforzas Urn-
gebung muB es sogar zwei Parteien gegeben haben, und Bellincioni,
MorosHofdichter, verherrlicht diesenliterarischen Kampf in Sonetten.
Der Dichter steht erst auf Rinaldos Seite, dann ergreift er Rolands
Partei und versucht Isabella zu veranlassen, ihre Ansicht zu andern
und ihren Irrtum einzugestehen, denn irren ware menschlich.
Umana cosa 6, dice la scrittura,
L' errare, e cosa angelica ancor pone,
L' emendarsi, e non far qual Faraone,
Con 1' ostinata mente cieca e dura.
Daher „Markezana", schlieBt Bellincioni, ,,laB Rinaldo, diesen
Auswurf der Natur, fahren, che fu proprio uno scandal di natura,
und bekehre Dich zu Roland."
Isabella hatte fur Bojardo, den sie als Dichter und Kavalier
schatzte, eine besondere Vorliebe. Nach den Absichten des Ver-
fassers sollte ,,1' Innamorato" Isabella gewidmet sein. Die kaum
zweiundzwanzigjahrige Herzogin und der greise Dichter schrieben
sich gegenseitig bewundernde Briefe.
Bojardos Roman strotzt von Provinzialismen. Die Sprache ent-
spricht den Anforderungen der jungen Generation nicht mehr,
die die toskanische, durch klassische Vorbilder gereinigte Mundart ein-
zufiihren begann. Nach Aretins Urteil ist der ,,Verliebte Roland" von
heroischerSchonheit,aber dieSpracheist trivial und einzelneAusdriicke
direkt plebejisch und veraltet. Es fehlte nicht an Literaten, die Bojar-
dos Werk verbessern und umarbeiten wollten, wie Berni und Lodovico
Domenichi, aber das italienische Publikum verwarf den verbesserten
Bojardo und schdpfte am wahren Quell der Kraft und Poesie. Ziem-
lich viel Erfolg hatte Francesco Bello,Cieco benannt, ein armer elender
Dichter, der zumeist bei den Gonzaga lebte, mit seinem Roman
,,Mambriano" (1490 — 96), der den ,,Verliebten Ro-
land" weiter ausbaut, aber erst Ariost verstand
es, den goldenen Faden der phantasti-
schen Begebenheiten von Bo-
jardos Helden weiter
zu spinnen.
SIEBENTES KAPITEL
DAS JUNGE FERRARA
i
rasmus Rotterdamus kam 1508 nach Venedig, um bei
Aldo Manuzio eines seiner Werke herauszugeben; es
wunderte ihn nicht wenig, daBverschiedenederdortigen
Gelehrten nicht lateinisch mit ihm sprechen wollten,
trotzdem sie die Sprache vollkommen beherrschten.
Auch der Florentiner Historiker, Bernardo Rucellai,
war damals in Venedig, und als Erasmus ihn in Gesellschaft traf,
sprach er ihn lateinisch an. Der Florentiner gab ihm eine liebens-
wurdige italienische Antwort, als aber Erasmus sagte, daB ihm das
Italienische so fremd sei wie das Indische, und er zu ihm wie zu
einem Tauben spreche, erwiderte Rucellai kein Wort mehr und
gab vor, Erasmus nicht zu verstehen, obgleich er lateinisch nicht
weniger rein als Sallust schrieb.
Die Italiener waren zur Uberzeugung gekommen, daB der Ge-
brauch der alten Sprachen der Entwicklung des ,,Volgare" Abbruch
tue, deshalb fiihrten sie im Alltag wie in der Literatur einen heiBen
Kampf mit dem Lateinischen. In den letzten Jahrzehnten des
XV. Jahrhunderts begann dieser Sprachenkampf und wurde in
Ferrara vorbereitet. Tito Strozzis schriftstellerische Begabung,
seine heftige Opposition gegen die Einfiihrung des Italienischen
in die Literatur war, wie wir gesehen haben, die Hauptstutze der
Humanisten in Ferrara, selbst Ercole hat auf ihn Riicksicht ge-
nommen. Strozzi hatte an der im humanistischen Sinne ge-
leiteten Universitat eine Stiitze, namentlich da dort der sehr
tiichtige Lehrer alter Sprachen, Battista Guarino, der Sohn des alten
134
SIEBENTES KAPITEL
Veronesen, tatig war. Aber der in den Rahmen der Universitats-
wissenschaften eingespannte Humanismus war nicht mehr jener
ziindende Funke, den Filelfo, Valla oder der alte Guarino entfacht
hatten. Die Korporationen der Gelehrten, die Akademien und haufig
auch die Universitaten waren nur die Begrabnisstatten grofier
Gedanken. Sobald eine Idee in akademischen Kreisen Eingang
gefunden hatte, gehorte sie der Geschichte an und wurde steril. Die
Professoren sangen ihr noch das de profundis.
Andere Stromungen waren in Italiens j lingerer Generation
wirksam. Man strebte nach einer klaren Vorstellung der Antike,
begann die Autoren in reineren Texten zu lesen, suchte in ihren
Geist einzudringen, die alte Kultur mit den Errungenschaften der
christlichen Welt zu vergleichen und begann den eroberten Schatz
von alien Seiten eingehend zu betrachten. Man verstand jetzt
unter philologischer Arbeit etwas anderes als zu Beginn der Re-
naissance, wo die Geister von der GrdBe der neuentdeckten, antiken
Schriftsteller so geblendet waren, daB sie, ohne Riicksicht auf das
Bestehende, die alte Kultur sklavisch nachahmen wollten. Jetzt
begann man dariiber nachzudenken, wie sich das errungene Wissen
am besten verwerten lieBe. Die Epoche der riickhaltlosen Nach-
ahmung war zu Ende. Die ferraresische Jugend begann zu forschen,
und von nicht geringem Nutzen war ihr dabei die Bibliothek der
Este, die neben den Werken klassischer Autoren provenzalische
und andere Handschriften bewahrte. Neben der kritischen Arbeit
regte sich bei erlesenen Geistern die schopferische. Fast die gesamte
jiingere Generation der Dichter und Literaten hatte unter dem
EinfluB der Antike lateinisch zu schreiben begonnen, und ging
spater zum Italienischen iiber.
Der alten Schule am nachsten stand Ercole Strozzi, Titus Vespa-
sianus Sohn, den der Vater im Kult des Lateinischen erzogen hatte.
Einige Historiker der Renaissance stellen ihn als lateinischen Dichter
hoher als den Vater. Jedenfalls hatte Ercole mehr Phantasie und
Gestaltungskraft als Titus, der Vater dagegen erreichte die alten
lateinischen Schriftsteller fast im leichtfliissigen Vers und in der
gewahlten Sprache. Obgleich Ercole auf einem FuB hinkte, war
er der beriihmte Held unzahliger Liebesgeschichten, sie ver-
DAS JUNGE FERRARA 135
mehrten zwar die Zahl seiner erotischen Gedichte,wurdenaber auch,
wie wir spater sehen werden, die Ursache seines tragischen Todes.
Es hieB von ihm, daB ihn leichte Romane und leichte Elegien be-
schaftigten, ,,i facili amori e intorno a questi, le facili e piu culte
elegie". Sein beriihmtestes, in Hexametern verfaBtes Gedicht war
,,Genethliacon", das von Schmeicheleien fur die Este, Borgia und das
Haus von Aragon iiberfloB. Jenes hdfische Wesen und das Kriechen
vor den machtigsten Geschlechtern fraB wie ein Krebsschaden an
den bedeutendsten Geistern der Renaissance. Auch Ercole war
nicht unter jenen, die die Zukunft bezwungen haben. Anders
Giovanni Pico della Mirandola (1463 — 1494), er gehorte jenem
humanistischen Kreise an, den Titus Vespasianus mit seinem
klassischen Obergewicht erdriickte. Pico war als Polyhistor und
Philosoph beriihmt, es hieB von ihm, daB der Geist eines ganzen
Jahrhunderts nur einen Mann von solchem Wissen und Wert er-
zeugen konne. Die Zeitgenossen nannten ihn den Phonix unter
den Genies, ,,fenice degl' ingegni", und Polizian pries ihn als das
Licht aller Wissenschaften, ,,Picus omnium doctrinarum lux".
Pico hatte sein Wissen in Ferrara erworben.
Die Familie der Pico aus Mirandola gehorte zu jenen Geschlech-
tern, die den Hof der Este umkreisten, haufig nach Ferrara kamen
und sich fast als ihre Vasallen betrachteten; sie hatten eine Be-
sitzung Corbula auf ferraresischem Gebiet, und ihre Beziehungen
zu Ercole waren besonders eng, da Bianca Maria, des Herzogs
natiirliche Schwester, mit Galeotto Pico della Mirandola ver-
heiratet war. Galeottos junger Neffe, Giovanni, Gianfrancesco
Picos und Giulia Bojardos Sohn, kam studienhalber nach Ferrara,
war Guarinos eifriger Horer und Tito Vespasiano Strozzis Freund.
Giovanni studierte nicht nur griechisch, sondern auch chaldaisch
und hebraisch, lieB in Ferrara die Werke der Alten fur sich ab-
schreiben und gait sehr bald als Autoritat in klassischen Sprachen.
Nach Tito Strozzis Aussage war er alien Zeitgenossen in der Kenntnis
des Griechischen und Lateinischen iiberlegen. Niemand hat die
Gesetze der Natur tiefer erforscht und niemand kannte den Lauf der
Gestirne besser. Pico war Meister in Marthematik und sprach trotz
seiner Gelehrsamkeit so flieBend, daB ihm auch darin niemand
136 SIEBENTES KAPITEL
gleichkam. ,,Wer gehdrt hat, wie Du iiber theologische Fragen
sprichst," schreibt ihm Strozzi, ,,konnte Dich fiir einen ausgezehrten
Greis halten, und doch deckt kaum leichter Flaum Deine rosigen
Wangen." Diese rosigen Wangen und das lange Blondhaar trugen
dazu bei, daB Giovanni als der Anmutigste unter der damaligen
ferraresischen Jugend gait. Ebenso schnell wie sein Wissen urn die
Sterne erwarb er sich die Herzen der Frauen.
Das Resultat dieser Abenteuer waren Liebesgedichte ; prak-
tischer als Strozzi besang er seine Geliebten italienisch, so daB
sie die Gedichte auch lesen konnten. Er scheint sich dieses
Oberschreitens der Vorschriften der alteren Humanisten jedoch
geschamt zu haben, vielleicht auch des gar zu leichtfertigen
Tones seiner Gedichte, jedenfalls hat er diese Seitenspriinge
seiner jugendlichen Phantasie spater verbrannt, ,,religionis causa",
wie es hieB.
Studienhalber ging Pico von Ferrara aus nach Bologna, spater
nach Paris und Florenz, wo er Lorenzo Medici kennen lernte. Er
verschlang jegliches Wissen und lieB sich sogar insgeheim aus dem
Osten einen in der Kabbalistik erfahrenen Mann kommen, der ihn
bei verschlossenen Tiiren in die von der Kirche verworfene Lehre
einfiihrte. Seine Anschauungen iiber die ostliche Kabbala legte er
spater im Werke nieder ,,Conclusiones Cabalisticae". Aus Florenz
schickte Giovanni alien hervorragenden Gelehrten neunhundert
Thesen, die er in Rom im Jahre i486 der ganzen Welt gegeniiber
zu verteidigen sich verpflichtete, indem er die Gelehrten auf-
forderte, auf seine Kosten hinzukommen.
Das Ergebnis dieses Auftretens war ein ungeheures Aufsehen,
viel Feindschaft unter den Gelehrten, Innozenz' VIII. Zorn, der ihn
der Heresie bezichtigte — da packte ihn der Ekel vor der Welt,
er widmete sich theologischen Studien und lebte von jetzt an wie
ein Klosterbruder auf seinen landlichen Besitzungen in Corbula
im Ferraresischen oder in seiner Villa Quarceto bei Fiesole. Er
begann sich zu kasteien, durch Fasten zu qualen, sein Vermogen
unter die Armen zu verteilen, hatte die Absicht in ein Dominikaner-
kloster einzutreten und barfuB im harenen Gewande Gottes Wort
zu verkunden.
DASJUNGE FERRARA 137
Sein Korper vermochte dem kiihnen Flug seines Geistes nicht
standzuhalten, und Giovanni starb als EinunddreiBigjahriger am
14. November 1494.
Auf seinen Tod schrieb Giovanni Battista Mantovano ein
Distichon, das den Bruch in der Seele dieses ungewohnlichen Men-
schen mit wenigen Worten charakterisiert. Der Gelehrte hatte sich
in einen Heiligen gewandelt:
Picus Joannes, coelos elementa Deumque
Doctus, adhuc iuvenis, sanctificatus obit.
Giovanni della Mirandola steht als erster in der Reihe jener
kranken Renaissancemenschen, die, unzufrieden mit sich und
den religidsen und sozialen Zustanden, sich der Mystik ergeben.
Aus den Werken, die er hinterlassen, spricht ein Mensch von un-
erhdrtem Gedachtnis, der das gesamte damalige Buchwissen ver-
schlungen, dabei aber seinen gesunden Verstand eingebiiBt und
in ein Chaos von Theologie, Philosophic, Kabbalistik, Magie und
Naturwissenschaft versunken ist, ohne einen Ausweg zu finden.
Er wollte, wie viele seiner Zeitgenossen, Platos Philosophic mit dem
Christentum vereinigen, das Wissen mit dem Glauben. Ein un-
mogliches Unterfangen, das weniger robuste Geister zur Zerruttung
gefiihrt hat.
Die meisten Familien der norditalienischen Hofe waren unter-
einander verwandt. So war Giovannis Schwester Catherina mit einem
Nachbarn, Lionello Pio aus Carpi, verheiratet, aus jener stillen,
heute verfallenen Stadt, wo nur das stolze SchloB der Pio und
einige Kirchen als Zeugen einer jetzt versunkenen Kultur iibrig-
geblieben sind. Die Hofe zu Mirandola und Carpi wetteiferten in
der Pflege von Wissenschaft und Kunst. Die Pio gehoren zu den
alten ghibellinischen Geschlechtern und hatten dem Kaiser Heeres-
folge geleistet. Catherina Pio war eine ungewohnlich gebildete Frau;
friih verwitwet, lebte sie der Erziehung ihrer Sonne Alberto und
Lionello. Fur den kaum vierjahrigen Alberto hatte sie aus Rom den
jungen Humanisten Aldo Manuzio als Lehrer kommen lassen, der
damals schon wegen seiner grundlichen Kenntnis des Griechischen
bekannt war. Einige Jahre unterrichtete Aldo Alberto in Carpi,
138 SIEBENTES KAPi'TEL
urn 1 48 1 ging er mit seinem Zogling nach Ferrara, wo auch
ein Onkel des Kr.aben, Giovanni Pico, lebte. Durch Aldo Manuzio
und seinen Schiiler ward der Kreis der Humanisten in Ferrara ver-
grbfiert, und Ercole Strozzi nahm sofort beim beriihmten Florentiner
Unterricht im Griechischen. Aldos Aufenthalt in Ferrara war dies-
mal nur von kurzer Dauer, er muBte vor den venezianischen Sold-
nern, die 1482 die Stadt belagerten, fliichten. Die Beziehungen Aldos
zu den Este waren von Bestand, auch Alberto war ein haufiger
Gast in Ferrara, muBte er doch die Interessen seines kleinen Land-
chens wahren, da der Herzog ein Auge auf Carpi geworfen und die
Absicht hatte, es zu annektieren und Ferrara einzuverleiben.
Aldo blieb furs erste in Carpi. Lehrer und Schiiler wurden all-
mahlich Freunde; dies Verhaltnis hat ihr ganzes Leben angehalten
und wurde ein wichtiger Faktor in der Entwicklung des Studiums
alter Sprachen in Italien. Beide waren gleich eifrig, und so war
Carpi kurze Zeit ein wichtiger Mittelpunkt fur wissenschaftliche
Arbeit. Alberto geniigte das Studium der Antike nicht, er wollte
sich auch in Naturwissenschaften, in Astronomie und Astrologie
vertiefen. Die vatikanische Bibliothek bewahrt einen lateinischen
Kodex, die Ubersetzung eines hebraischen Werkes iiber Astrologie,
die ein franzosischer Jude Izaak gemacht und die Alberto Pio
abschreiben lieB. Er beniitzte jede Gelegenheit, um sein Wissen
zu vermehren. In Carpi lebte Jacopo Berengario, der Sohn eines
dortigen Chirurgen, der um fiinfzehn Jahre alter als Alberto war;
als Entgelt fur Aldos griechischen Unterricht unterwies er Alberto
in Anatomie, das Demonstrationsobjekt war ein geschlachtetes
Schwein. Berengario war spater als Arzt geschatzt und gait als
einer der beruhmtesten damaligen Anatomen.
Auch Giovanni Pico war 1485 einige Zeit in Carpi. Damals
scheinen die drei jungen Leute den Plan gefaBt zu haben, eine
Druckerei zu griinden, um textlich einwandfreie Ausgaben griechi-
scher und lateinischer Klassiker herzustellen. Damit sollte einem
empfindlichen Mangel abgeholfen werden. Lateinische Biicher
waren zwar schon in groBer Anzahl erschienen, aber die Ausgaben
wimmelten von Fehlern, griechische Biicher existierten jedoch
kaum.
DAS JUNGE FERRARA 139
Mit welchem Eifer sich Aldo an die Arbeit machte, geht aus
einem Passus seiner Dedikation einer griechischen Ausgabe hervor.
,,Gott ist mein Zeuge," schreibt er, ,,daB ich nichts sehnlicher
wiinsche, als zu niitzen. Ich schmeichle mir, daB mein bisheriges
Leben dies bewiesen hat, und ich werde suchen, es zu beweisen,
solange Gott mich in diesem Jammertal erhalt. Zwar kdnnte ich
ein ruhiges, sorgenfreies Leben fiihren, aber ich ziehe Miihe und
Arbeit vor, denn die Aufgabe des Menschen besteht nicht in Freuden
und Lustbarkeiten, die des Gelehrten unwiirdig sind, sondern
miihselige Arbeit ist seine Bestimmung. ..."
Die neue Druckerei griindeten die Freunde nicht in Carpi, sondern
in Novi, einem kleinen, gleichfalls den Pio gehorenden Stadtchen.
Carpi sollte der Sitz einer Akademie, als Sammelpunkt humanisti-
scher Studien werden. Es waren kuhne Plane; Alberto Pio versprach
Aldo die Einkiinfte seiner groBen Landereien fur den Bestand der
Druckerei zu opfern und die Zukunft des Humanisten sicher-
zustellen.
Die Druckerei in Novi konnte sich nicht lange halten; Albert os
Vetter, Gibert Pio, bemachtigte sich Carpis und vertrieb Alberto,
der 1496 nach Ferrara fliichten muBte. Aldo hatte in Novi Aristo-
teles ,,Organon" herausgegeben, das Buch war Alberto gewidmet,
und die Vorrede klang nicht weniger zartlich als jene, die Horaz
an Macenas gerichtet: ,,Oh, mein Schutz, oh, meine Zierde."
Aldo blieb langere Zeit in Ferrara, dann beschloB er seine
Druckerei nach Venedig zu verlegen, da man dort am ruhigsten
und sichersten seiner Arbeit leben konnte. Das triibte jedoch sein
freundschaftliches Verhaltnis zu seinem einstigen Schiiler in keiner
Weise, Alberto Pio blieb zeitlebens Protektor von Aldos Ver-
lag und war immer bereit, ihn mit Geldmitteln zu unterstiitzen.
Im Januar des Jahres 1513, kurz vor Julius II. Tode, setzte Alberto
beim Papst ein wichtiges Privileg fur Aldo durch: der Nachdruck
seiner Biicher war bei Androhung des Bannes verboten. Dank
Albertos Bemuhungen bestatigte auch Leo X. diesen Gnadenakt.
Alberto schatzte und liebte Aldo so sehr, daB er ihm im Jahre 1504
sogar sein Wappen zuerteilte und ihm die Fiihrung des Namens
Pio gestattete. Seitdem zeichnete der venezianische Drucker Aldus
140
SIEBENTES KAPITEL
Pius Manutius Romanus und beniitzte den silbernen Adler im
roten Feld als Wappen. Auch nach Aldos Tod unterstiitzte Alberto
den beriihmten Verlag, der in die Hande von Albertos Schwieger-
vater, Andreo Asolano, iibergegangen war.
Das geniigte Alberto nicht; er war in dem MaBe von der Wichtig-
keit des Unternehmens, klassische Autoren herauszugeben, durch-
drungen, daB, als 1505 Carpi wieder in seine Hande kam und er
einige Gelehrte urn sich versammeln konnte, er auch auf seinen
friiheren Plan, die Druckerei zu erhalten, zuruckkam. Zu diesem
Zwecke lieB er Benedetto Dolcibolo kommen, den ehemaligen
Schiiler Aldos, der spater eine selbstandige Druckerei in Corte
Maggiore, am Hofe von Roland II. Pallavicini eingerichtet hatte.
Wie im XV. Jahrhundert jeder der italienischen Tyrannen seinen
Ehrgeiz darein gesetzt hatte, Handschriften abschreiben zu lassen
und aufzuhaufen, so wollte im beginnenden XVI. Jahrhundert jeder
seine eigene Druckerei habenc Alberto Pio kommentierte damals
Duns Scotus und gab seine Arbeit in einer kostbaren Ausgabe, mit
eigenen Typen gedruckt, heraus. Carpis Schicksale waren aber zu
unbestandig, das kleine Landchen ging von einer Hand in die andere,
schlieBlich rissen die Este es ganz an sich. Als es nun 1508 Dolcibolo
an einem machtigen Protektor fehlte, iibersiedelte der unternehmende
Drucker nach Ferrara und gab dort klassische Werke heraus.
II
Zusammen mit Alberto Pio war 1498 auch der Venezianer
Pietro Bembo in Ferrara. Er war ein leidenschaftlicher Verehrer
antiker Literatur und Ercole Strozzis Freund, bei dem er haufig
zu Gaste war. Seit vielen Jahren hatte Venedig seinen Gesandten
in Ferrara mit dem Titel eines Vizedomino, er war wenig beliebt,
da er sich in alles hineinmischen wollte; die venezianischen, in Ferrara
lebenden Untertanen unterstanden seiner richterlichen Gewalt,
und als Beobachter der ferraresischen Regierung war er dem Herzog
unbe quern. Mit Riicksicht auf die Macht der benachbarten Re-
publik muBte man ihn dulden. Gegen Ende des XV. Jahrhunderts
DASJUNGE FERRARA I41
nahm der alte Bernardo Bembo, der fruhere venezianische Ge-
sandte in Florenz, diese Stelle ein; seine Familie gehorte zu den
angesehensten der Republik, und er war um seiner Gelehrsamkeit
willen bekannt. Sein Sohn Pietro, ein hiibscher, ansehnlicher,
sehr begabter Jiingling, lebte von 1498 bis 1500 bei ihm.
Pietro war im Griechischen bewandert und hatte sich in Pe-
trarca, Boccaccio und in provenzalische Literatur vertieft. Er
sammelte die Werke provenzalischer Dichter, und ein von ihm zu-
sammengestellter Kodex befindet sich in der Bibliotheque nationale
zu Paris (Nr. 12473). Trotz aller Gelehrsamkeit und Philologie war
Bembo zu tollen Streichen aufgelegt, bei den Frauen sehr beliebt,
,,gentiluomo galante e bello", und gait als Stern unter der ferrare-
sischen Jugend.
Sein Wunsch war, die Volkssprache, das ,,Volgare", zu reinigen
und es zur Schriftsprache zu erheben. Ihn, der die glatten Satze
der alten Autoren gewohnt war, reizten Bojardos Provinzialismen
und sprachlichen Verballhornungen. Mit seinen Planen stieB er
bei den Gelehrten auf nicht geringen Widerspruch. Ercole Strozzi
war einer seiner scharfsten Gegner, er sagte, Bembo kame ihm
vor wie jemand, der, an Wildbret gewohnt, sich plotzlich von Sau-
bohnen nahren wolle. Bembo verwies auf Dante und erwiderte,
wer das Lateinische pflege, gleiche einem Menschen, der seine
eigene Mutter verhungern lasse, um eine fremde Frau zu ernahren.
Italienisch sei die Sprache ihrer Vater, Mutter, Schwestern, und es
sei eine viel groBere Schande, diese ihre Muttersprache nicht zu
beherrschen, als im Lateinischen oder Griechischen zu versagen.
Bembo hatte die Frauen fur sich.
Mit noch einem gefahrlichen Feind hatte die junge Generation
zu kampfen, mit der Pedanterie. Die Pedanterie, eine wahre Krank-
heit, wucherte auf den Feldern der Humanisten und wuchs sich zum
seltsamen Unkraut aus. Ein reines Lateinisch schreiben, war die
Losung der alteren literarischen Zirkel — was man schrieb, war
gleichgiiltig. Der eine HeB ein lateinisches Gedicht iiber die Zucht
der Seidenraupen drucken, der andere iiber das Schachspiel, und die
Partner waren Apoll und Merkur. Es gab sogar einen lateinischen
Dichter, der ein didaktisches Gedicht ,,De morbo gallico" verfaflt
142 SIEBENTES KAPITEL
hatte, in dem er Arzneien gegen die neue Krankheit empfahl. Auch
in der Prosa versuchten diese Latinisten sich so sklavisch an die
antiken Ausdriicke zu halten, daB sie es zu rechtfertigen suchten,
wenn sie Worte anwandten, die die Antike nicht kannte, wie
dux, comes oder marchio. Cicero war natiirlich das Ideal dieser
Phrasendrescher.
Bembo war kein Dichter, das hinderte ihn nicht, italienische und
lateinische Gedichte zu machen, die sich durch ihren fehlenden
Inhalt auszeichnen. Beriihmt war sein Dialog ,,Gli Asolani", den
der Verfasser in Ferrara begann. Es sind Gesprache uber Liebes-
theorien. Die venezianische Republik hatte Cyperns entthronter
Konigin, Catherina Cornaro, eine sehr schone Besitzung, das Castel
Asolo im Trevisanischen, zum Wohnort angewiesen. Die Cornaro
empfing dort ihre Gaste und entfaltete einen koniglichen Luxus.
Auch Bembo war eine Zeitlang in Asolo, er wahlt ihren Hof zum
Schauplatz fur sein Gedicht. Dort finden drei Jiinglinge drei Vene-
zianerinnen, die dem Hofstaat der Konigin angehoren. Nach Tisch
versammelt diese kleine Gesellschaft sich im Garten und setzt sich
in den Schatten von Lorbeerbaumen neben eine rieselnde Quelle.
Der eine der Jiinglinge stellt die Frage, ob die Liebe gut oder vom
Ubel sei. Der melancholische Perrottino ist ein Feind der Liebe
und glaubt, daB sie die Wurzel alles Bosen auf der Welt sei. Am
nachsten Tage verteidigt Gismondo die Liebe, und am dritten Tage
nimmt selbst die Konigin teil am Gesprach. Lavinellos Beweis-
fiihrung ist die schlagendste: die Liebe ist weder gut noch bdse,
doch kann sie das eine oder das andere sein, je nach dem Gegen-
stande, dem sie gilt. Gut ist eine Liebe, deren Ideal eine schone Seele
in einem schonen Korper ist, schlecht und tierisch die bloB sinnliche
Liebe, die nicht auf die Erhaltung des menschlichen Geschlechtes aus-
geht. Lavinello erzahlt auch von einem Gesprach, das er mit einem
Einsiedler uber diesen Gegenstand gefiihrt: nach dessen Ansicht
gibt es nur eine wahre Liebe, die Liebe zu Gott.
So haben wir wieder Petrarcas Theorien, verbramt mit plato-
nischen Ideen. Bembo lehnt sich iiberhaupt in seinen italienischen
Gedichten eng an Petrarca an; die Dialogform der ,, Asolani"
entlehnt er Boccaccio, indem er sie erweitert und ausspinnt. Immer
DAS JUNGE FERRARA 143
folgt er jemandes Vorbild: in seiner Prosa Cicero und Boccaccio,
in seinen Gedichten Petrarca. Seine Verse entstehen nicht aus
innerem Zwange; an Veronica Gambara richtet er leidenschaftliche
Sonette, obgleich er sie nie gesehen.
Mit Bembo beginnt jene literarische Krankheit, die wie ein
jeden Organismus zerfressender Pilz in Italien, namentlich im
XVI. Jahrhundert, um sich gegriffen und jede literarische Selb-
standigkeit zerstort hat. Diese Krankheit nannte man Petrarkis-
mus. Petrarca wurde zum literarischen Gott erhoben, dagegen ver-
blaBte Dantes Ruhm, auch an Fiirstenhofen wurden die Werke
des grofien Florentiners kaum noch gelesen. Wahrend dreier
Jahrhunderte, von der Erfindung der Buchdruckerkunst bis ins
XVIII. Jahrhundert, sind in Italien kaum zwanzig Dante-Ausgaben
erschienen, wahrend Petrarcas ,,Canzoniere" vom Ende des
XV. bis zum Beginn des XVII. Jahrhunderts hundertsiebenund-
fiinfzig Neudrucke erlebt hat.
Es ist nur zu begreiflich, daB der Petrarkismus seinen Ursprung
an italienischen Fiirstenhofen hat. Raffinierte Kunst und gesuchte
Formen wurden am Hof gewiinscht. Nach den Ansichten einer
solchen Gesellschaft war Petrarca allein wiirdig, den Platz neben
Ovid und Horaz zu behaupten. Dante war fur Fiirsten und Hof-
linge zu dunkel, zu philosophisch und brutal. Monsignore Delia
Casa erklarte in seinem ,,Gabot", daB man aus der Gottlichen Ko-
mbdie hofische Art ,,1'arte di essere grazioso" nicht lernen konne.
Dieser Begriff ,, grazioso" war aber das Wesentlichste, und Petrarcas
Canzoniere stimmte gut dazu. Der Petrarkismus wurde der ver-
zauberte Kreis, aus dem die Geister langere Zeit nicht herauszutreten
vermochten. Es ging so weit, daB Petrarca nicht nur nachgeahmt,
sondern umgearbeitet und verbessert wurde. Ein Dichterling aus
Mailand verfaBte in der ersten Halfte des XVI. Jahrhunderts eine
Dichtung ,,11 bel Laureto" zu Ehren von Donna Laura, im Glauben,
daB Petrarca ihre Schonheit und Tugend zu wenig gepriesen. Petrarca
gleichen, ja iiber ihn hinausgehen, wird zum Losungswort. Pietro
Aretino wuBte sich vor Freude nicht zu lassen, als ihm der Mark-
graf von Mantua schrieb, daB er in einer Kanzone selbst den Meister
ubertroffen habe.
144
SIEBENTES KAPITEL
Was Wunder, daB Bembo, durchdrungen von hofischer Art,
und vom Wunsch beseelt, die italienische Sprache zu reinigen,
zum riickhaltlosen Verehrer Petrarcas wurde. Unter Scharteken
und verstaubten Handschriften forschte er nach seinen Schriften,
denn Petrarca sollte zum Ideal des Jahrhunderts werden. Aldo
Manuzio behauptet, daB Bembo Petrarca popular gemacht habe , vor ihm
kannte man in Venedig und der Lombardei den „Canzoniere" kaum.
Bembo schrieb ein Sonett nach dem anderen; wahrend Petrarcas
reine Liebe und Begeisterung Laura gait, war Bembos Muse eine
gewohnliche Rdmerin, die bekannte Morosina, mit der er drei
Kinder hatte.
Bembos Ziel, die Gesellschaft zu petrarkisieren, gelang voll-
standig. Als er alt geworden, konnte er zu seinem Ergotzen sehen,
daB alle romischen und venezianischen Kurtisanen den ,,Petrar-
chino", eine kleine Ausgabe des ,,Canzoniere", auf der StraBe
gewissermaBen als Gebetbuch in der Hand hielten, ebenso war der
,,Petrarchino" der unzertrennliche Gefahrte jedes Elegants. In
Venedig konnte man die Creme der mannlichen Jugend sehen,
eine Blume hinter dem Ohr, in parfumierten Handschuhen, den
Petrarca halb aus der Tasche heraussehend, wie sie auf dem
S. Marco-Platz spazieren ging, die FuBe mit zierlicher Bedacht-
samkeit setzte und den vorubergehenden Frauen verliebte Blicke
zuwarf . Wie es heute gewissermaBen zum guten Ton gehort, Klavier
zu spielen, so war damals das Reimeschmieden ein Zeichen hoherer
Kultur. Auf dem Tische jedes ,,Dichters" lagen kleine Worterbiicher
und Reimpaare, die aus dem ,,Canzoniere" herausgeschrieben waren.
Nach Bembos Tode verkiindete einer seiner Schiiler, der vene-
zianische Dichter Domenico Venier, die Tranenflut ware so groB,
daB eine neue Sintflut der Welt drohe.
Per la morte di Bembo un si gran pianto
Piovea da gli occhi de 1' umana gente,
Ch' era per affogar verecemente,
Come diluvio, il mondo in ogni canto.
Bembos wirkliche und groBe Verdienste beruhen natiirlich nicht
in seinen Dichtungen, sie liegen in seinem Streben, das Italienische
DAS JUNGE FERRARA I4^
aus seiner miBachteten Stellung zu befreien und ihm seinen Klang
und seine Reinheit wiederzugeben.
So feiert Ariost Bembo in seinem Orlando:
Piero
Bembo, che '1 puro e dolce idioma nostro
Levato fuor del volgare uso tetro
Quale esser dee, ci ha co'l suo esempio mostro.
(Orl. fur. XLVI, 15.)
Aus Bembos Studien in Ferrara erwuchs sein spateres Werk
,, Prose della volgar lingua", als Grundlage fur den weiteren Aus-
bau des Italienischen aus den verschiedensten Dialekten. Seine Arbeit
setzte Bembo in Rom als Sekretar Leos X. fort (1513), in Rom
verkehrte er mit Castiglione, Fregoso und Angelo Colocci, einem
der beruhmtesten Gelehrten der Renaissance. Colocci, der die
klassischen Sprachen grundlich kannte, war gleichfalls ein leiden-
schaftlicher Verehrer der lingua volgare. Wie Bembo hatte er
sich in das Studium provenzalischer Poesie vertieft und be-
herrschte das Spanische und Portugiesische; er sammelte griechische,
lateinische, hebraische und provenzalische Handschriften und
antike Miinzen; leider wurden seine groBartigen Sammlungen
wahrend des Sacco di Roma zerstort. In Coloccis beruhmten Garten
,,Orti Colocciani" versammelten sich die Sprachreformer und be-
griindeten die ,,Accademia Romana", die der Mittelpunkt des lite-
rarischen Lebens in Rom wurde. Wir finden dort fast alle jene
Literaten, die gegen Ende des XV. Jahrhunderts in Ferrara, Mantua
und Urbino tatig waren.
Dieser ferraresischen Jugend hatte sich auch Jacopo Sadoleto
(1477 — 1547) angeschlossen, der Sohn eines beruhmten Juristen
aus Modena. Er wurde spater Sekretar bei Leo X. und Kardinal,
interessierte sich lebhaft fur Cicero und war fur seinen eleganten
lateinischen Stil bekannt. Sadoleto besuchte zusammen mit Alberto
Pio die Vortrage des beruhmten Humanisten und Arztes, Niccolo
Leoniceno, der Aristoteles kommentiert hat.
Celio Calcagninis (1479 — 1541) Elegien waren weit verbreitet,
er laBt sich fast mit Ariost vergleichen und iiberragt dank seiner ziin-
denden Phantasie all seine Zeitgenossen.
146 SIEBENTES KAPITEL
Calcagnini gehort zu den Universalgenies der Renaissance,
als Jurist und Astronom war er in ganz Europa beriihmt. Als
Heinrich VIII. von England seine Scheidung durchsetzen wollte,
fragte man ihn und noch einige andere beriihmte Gelehrte der da-
maligen Welt um ihre Ansicht. Etwa die Halfte der groBen Manner
der Renaissance waren uneheliche Sdhne. So auch Calcagnini.
Sein Vater, Calcagnino di Francesco Calcagnini, gehorte zu
Ferraras angesehensten Familien, von der Mutter, Lucrezia Con-
stantini, weiB man kaum mehr als den Namen. Der Vater soil, als
ihm die Geburt des Sohnes gemeldet wurde, Ciceros Brief an den
Adilen M. Celio gelesen und hocherfreut gerufen haben, daB der
Knabe Celio heiBen musse. Ein echt humanistisches Historchen!
Auch bei der Taufe sollte Celio einen Beweis seiner kiinftigen
kraftigen Organisation geben: als das einige Tage alte Kind zur
Taufe in die Kirche getragen wurde und der Priester ihm Wasser
iiber den Kopf goB, wehrte es sich heftig mit seinen kleinen Hand-
chen gegen das Kalte und ergriff das Gebetbuch des Kaplans. Celio
wuchs in Ferrara auf; zu seinen beruhmtesten Lehrern gehoren
Pietro Pomponazzo, der Philosoph, und Niccolo Leoniceno, der be-
kannte Arzt. Friihzeitig ubertrugen die ferraresischen Herzoge ihm
Wiirden und beniitzten ihn als Gesandten bei den verschiedensten
Hofen. Celio begleitete den Kardinal Ippolito nach Ungarn und
Polen, war Gesandter in Venedig und Rom bei Julius II. und Leo X.,
dann muBte er wieder nach Ungarn, um Zwistigkeiten, die unter
den Magnaten nach dem Tode des Konigs Ladislaus ausgebrochen
waren, zu schlichten; in Ferrara trug er an der Universitat Mathe-
matik und Astronomie vor. Von seinen Verdiensten auf diesem Ge-
biet wird noch die Rede sein. Celio wurde spater Domherr in Ferrara;
da er jedoch fur die Dominikaner eine besondere Vorliebe hatte, ver-
machte er ihnen seine Bibliothek, seine mathematischen und
astronomischen Instrumente, sowie fiinfzig Skudi jahrlich fur die
Erhaltung der Sammlungen. Ferner verfiigte er testamentarisch,
daB das Maultier, das ihn lange Jahre getragen hatte, bis zu seinem
Tode im gewohnten Stall bleiben und Gnadenbrot genieBen sollte.
Naturlich hatte das Hoflingswesen, der iibertriebene Frauen-
kult der hoheren Kreise einen schadlichen EinfluB auf die Literatur,
DAS JUNGE FERRARA j^y
besonders auf die Poesie. Nichts durfte einfach gesagt werden,
man ersann Schmeicheleien, sonderbare Vergleiche, die mit dem
gesunden Menschenverstand im seltsamsten Widerspruch standen.
Gegen Ende des XV. Jahrhunderts nahm diese Krankheit immer
mehr iiberhand, im XVI. und XVII. wurde sie zur verheerenden
Epidemie, zum sogenannten Seicentismo.
Einer der Hauptvertreter dieser Richtung am Hofe von Ferrara,
ja gewissermaBen ihr Schdpfer war Antonio Tebaldi; da ihm dieser
Name nicht poetisch genug erschien, nannte er sich Tebaldeo. In
Ferrara 1463 geboren, wuchs er dort auf, schrieb dort seine ersten
Gedichte, und war sehr bald so beruhmt, daB er zum Poesielehrer
der kleinen Isabella d' Este ernannt wurde. Die Schulerin befriedigte
den Lehrer in hohem MaBe, er auBerte sich einst iiber sie, sie beganne
Wunder in der Poesie zu tun, ,,ad fare miraculi in poesia", was
wohl nicht ganz wortlich zu nehmen ist. Tebaldeos Liebeshandel
erfreuten sich bald einer gewissen Beriihmtheit, um so mehr, als
sie in seinen Sonetten verherrlicht wurden, seine Verse gefielen
so gut, daB einer der estensischen Hofpoeten an ihn schrieb:
Remembrati di noi tu che trascendi
Con l'ali isnelle d'un stil raro e bello,
Dal mondo al cielo; tal che questo e quello,
Stupiscon dil gran che fra noi prendi.
Nach Isabellas Vermahlung ging Tebaldeo zu den Bentivoglio
nach Bologna, dort studierte er Medizin und schickte seiner friiheren
Schulerin nur von Zeit zu Zeit Sonette. Doch die Markgrafin
sehnte sich nach ihm, wenn sie sich als Dichterin fiihlte,
wiinschte sie, daB Tebaldeo ihr die Pforte zum ParnaB offne. AuBer-
dem war ihr seine Gesellschaft sympathisch, da er nach ihren
Worten ein Mann war, ,,di tanto honore et piacere". Der liebens-
wiirdige Hofling kam nach Mantua, hier unterwies er die Mark-
grafin nicht nur darin, wie man in Wahrheit zur Dichterin wiirde,
sondern schrieb in aller Stille Sonette, die der Markgraf als sein
eigenes Elaborat veroffentlichte !
Sonette machen gehdrte zum guten Ton; da der arme Markgraf
diese Forderung absolut nicht erfiillen konnte, half er sich, so gut
148 SIEBENTES KAPITEL
es eben ging, selbst spater, als Tebaldeo nicht mehr in Mantua lebte,
lieB er sich noch Sonette fur seinen eigenen Bedarf von ihm
schicken.
Der Dichter erfiillte seine Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit des
Markgrafen, aber Gonzaga entlohnte Tebaldeo nicht seinen beschei-
denen Anspriichen gemaB. Antonio litt Mangel, er wurde am Hof
ungeniigend und schlecht ernahrt, bekam den ,,traurigsten" Wein
und verdorbenes Fleisch. So bat er den Markgrafen, ihm wenigstens
zehn Dukaten monatlich auszusetzen, da er sonst in Mantua
nicht leben ikonne und einen anderen Dienst suchen miisse.
Dem Markgrafen erschien diese Summe zu hoch, Tebaldeo ging
deshalb nach Ferrara zuriick, trat in Ippolitos Dienste und huldigte
spater dem neuen Stern am ferraresischen Hofe, Lucrezia Borgia,
deren Sekretar er wurde.
Seine Beziehungen zum Hofe von Mantua wurden nicht abge-
brochen, er schickte nach wie vor seine Gedichte, fur die ihm be-
scheidener Lohn ward. Einmal bat er die Markgrafin, ihm wenigstens
vier Hemden zu schenken, wenn auch aus elendem Leinen, er wurde
sie in Gedichten bezahlen, da er nichts anderes besitze.
Endlich im Jahre 1513, als Leo X. Papst wurde und samtliche
Dichter und Kunstler ihr Heil in Rom suchten, iibersiedelte auch
Tebaldeo in die papstliche Residenz. Er wurde Geistlicher, lebte in
Castigliones, Bembos und Raffaels Gesellschaft, und seine Traume
sollten wenigstens zum Teil in Erfiillung gehen, er kam auf den
ParnaB — wenn auch nur auf den gemalten. Raffael brachte nam-
lich sein Bildnis auf dem ParnaB-Fresko in den vatikanischen
Stanzen an. Es gab einen Glanzpunkt in seinem Leben: Leo X.
schenkte ihm einst 500 Dukaten fur ein Epigramm. Wahrend des
Sacco di Roma verlor der Dichter sein gesamtes Hab und Gut, er
blieb in der Stadt, und fluchte bis zu seinem Tode — am 4. No-
vember 1537 — Karl V. und seinen Soldnern.
Seine gesammelten Gedichte gab Jacopo Tebaldi 1498 in Modena
heraus, offenbar ohne Wissen des Verfassers; sie waren Isabella
von Mantua gewidmet. Der Dichter selbst wollte seine an eine
Flavia gerichteten Liebeslieder der Offentlichkeit nicht preisgeben.
Die Gedichte strotzen von Ubertreibungen. Die Vergleiche wirken
DAS JUNGE FERRARA 149
lacherlich, soweit sie dem heutigen Geschmack nicht geradezu
unertraglich sind. Des Dichters Tranen flieBen in Stromen, so daB
der aufgeweichte Erdboden abrutscht; wenn er liebt, so verzehrt
dieser Brand seine Kleider, und Rauchsaulen steigen gen Himmel;
ungewiB, ob dies Feuer ihn ganz verzehren wird, bittet er seinen
Freund vorsichtshalber, Briefe an ihn zu adressieren; an den
lebenden oder schon toten Tebaldeo. Fast noch schlimmer wird es,
wenn er Francesco Gonzagas Gefuhle schildert: der Markgraf weint
aus Liebe, seine Tranen bilden die Seen, die Mantua umgeben, ja
der Po steigt infolge dieses Ergusses, und der ungluckliche Gonzaga
seufzt so sehr, daB der aus seinen Klagen entstandene Wind den Mast
der Barke bricht, die ihn zu seiner Geliebten fuhrt. Tebaldeo selbst
magerte einmal aus Liebeskummer so ab, daB er wahrend des
Karnevals keine Maske vorzubinden brauchte, da niemand sein
skelettartiges Gesicht erkannte.
Seine politischen Sonette, nach Italiens Niederlage geschrieben,
verraten echten Patriotismus, doch wiirde man auch hier vergebens
nach einem einfachen Gefiihl suchen.
Ill
Neben dieser glanzenden Jugend, die eine mehr oder weniger
behaglichesoziale Stellung undverfeinerteKultur hatte, trieb sich
unter den Dienern der Este in Kiichen und Vorzimmern, in ab-
genutzten Kleidern, ein sehr origineller Dichter herum, Antonio
Cammelli (1440 — 1502), Pistoja benannt. Aus ihm sprach der Witz
der Armen und die Satire des Volkes.
Fast jeder Hof hatte damals einen derartigen Dichter, er rangierte
bei Tische hoher als der Hofnarr und niedriger als der fur sein
Kloster sammelnde Franziskaner; alle spotteten seiner, am wenigsten
vielleicht der Fiirst, der wegen seiner Schmeicheleien fur ihn ein-
genommen war. Eine ahnliche Rolle spielte in Mailand, an Lodo-
vico Moros Hof, Bernardo Bellincioni, er steckte voller Witz und
Sarkasmus und war seinem Herrn ehrlich zugetan. Pistoja hatte
eine groBe Familie; da er in Ferrara keine feste Beschaftigung hatte,
150 SIEBENTES KAPITEL
lebte er von den Brocken der herzoglichen Tafel. Unausgesetzt
bettelte er urn Getreide und andere Lebensmittel, einmal schrieb
er demiitig, daB er vom Herzog Nahrung erwarte wie ein Kind von
seiner Mutter. Wahrscheinlich hat er eine kleine monatliche Unter-
stiitzung bekommen, beklagt er sich doch in einem seiner Sonette,
daB er ,,gegen Monatsende" zerrissene Striimpfe trage, Hab und
Gut sei beim Juden, er lebe auf Borg, Regen und Sonne kbnnten
ungehindert in seine elende Wohnung dringen, Schwamm decke
den FuBboden und Schimmel die Wande. Den Mauleseltreibern
wurde vom Herzog mehr Gnade als den Dichtern erwiesen. Wird
ihm im SchloB Essen gereicht, so muB er mit den Hofnarren und
Fuhrleuten vor einem widerwartigen Tischtuch niedersitzen in einem
kalten, schmutzigen Raum, wo ihm die Decke fast auf den Kopf
fallt. Salat mit verdorbenem 01, trockenes verschimmeltes Brot,
saurer Wein und das nicht gar gewordene Fleisch einer alten Kuh
bilden das Mahl.
SchlieBlich erbarmte der Herzog sich seiner und gab ihm eine
Anstellung. Im Jahre 1487 ernannte er ihn zum Capitano des
Tores di Santa Croce in Reggio und setzte ihm eine kleine Pension
aus. Aber der arme Dichter muBte in einem Turm wohnen, der ihm
beinahe iiber dem Kopf zusammenbrach und den Ercole nicht
restaurieren lieB, auch die allernotdurftigsten Lebensmittel wurden
ihm versagt. Der Capitano bettelte sich bei den Biirgern etwas
Wein und Brot zusammen. Man nannte ihn auch ,,Fiirstendiener
auf fremde Kosten", ,, servo del duca all' altrui spese". Zwar ver-
sprach ihm der Herzog Geld, doch wurde der Sold nie ausgezahlt.
Nach zehn Jahren verlor Pistoja auch diese Anstellung, bekam sie
aber 1499 wieder, da die Markgrafin Isabella, die seine Verse sehr
schatzte, sich fur ihn verwandte. Ein Jahr spater hieB es wieder
den einstiirzenden Turm verlassen, und der arme Dichter trieb sich
abwechselnd an den Hofen von Correggio, Mantua, Novellara und
Ferrara umher, hungernd und klagend, bis er elend im Jahre 1502
gestorben ist. Auf Veranlassung der Markgrafin Isabella sammelte
Niccolo da Correggio seine Gedichte.
Diese Gedichte verraten viel Kraft, Sarkasmus und ehrlichen
Schmerz iiber das Ungliick des Landes. Das emporte Gewissen meldet
DAS JUNGE FERRARA 151
sich sehr selten bei den Dichtern jener Periode, die alle in Phrase
und Schmeichelei ersticken — dieser arme Hungerleider allein hat
den Mut zur Wahrheit. An Alexander VI. wendet er sich in einem
geharnischten Sonett:
Ruina de' Christian, tu, falso prete
Per simonia comprasti il divin culto,
Da cui e fatto il templo santo stulto
Con omici, stupri e con monete.
Du, Ruin der Christen, falscher Priester,
Gottes Stuhl hast du durch Simonie erkauft,
Die heilige Kirche geschandet
Durch Mord, Raub und Wucher.
II femelico verme iniquo e tristo,
Che divora la croce e Jesu Christo.
Gieriger, boser, finsterer Wurm,
Du schandest das Kreuz und Christus.
Als Ferrara-Anhanger haBte Pistoja Venedig und warf der Re-
publik ihre Habsucht und Treulosigkeit vor. San Marco kennt keine
Freundschaft, wiederholte er immer wieder.
Jedes wichtigere politische Ereignis, jede markante Personlichkeit
unter den Zeitgenossen spiegelt sich in Pistojas Sonetten. In Augen-
blicken derLeidenschaft benutzte er die wirksameFormkurzerFragen
und Antworten. Ausgezeichnet in dieser Hinsicht ist das Gedicht,
wie der beriichtigte Lucca Gregorio Zampante, den die Ferraresen
hassen, in den Himmel eindringen will, aber S. Peter weist ihn in
die Holle, und der Teufel Fanfarello ubernimmt die Fuhrung:
Toe chi batte? — Amici, aprimi un poco.
— Come ti chiami? — Da Lucca Gregorio.
— Ah, ah! io el so, il tuo nome S notorio;
Su su, a la forca, a la manara, al foco,
Par te non fu fondato questo loco. •
Piu giu te aspetta un altro concistorio.
— Lasciami venir qui col tuo aiutorio.
152 SIEBENTES KAPITEL
— No, no, altro ti vuol cociere il coco.
Bu, bu. — Chi abaia? — Pier fammi ragione.
— Chi sei tu che mi chiami? — Fanfarello.
— Che cosa vuoi da me? — Questo latrone,
Che al ciel per crudelta si fe rebello;
Io ti dico da parte di Plutone,
Che gli e per carta suo: ecco il libello.
— Io non voglio esser quello,
Che a nissun patto l'altrui preda toglia:
Piglialo, menal via fa la tua voglia.
— Cavati for la spoglia,
Cammina, traditor, che ogni martire,
Sara poca vivanda al tuo fallire.1)
Wohl Ercole zu Gefallen schrieb Pistoja eine fiinfaktige Tra-
godie: ,,Filostrato e Panfila", den Inhalt schdpft er aus Boccaccios
Novelle von Ghismonda und Guiscard. Aber hier verlaBt ihn sein
Witz, er kann nicht auf Stelzen gehen. Das Ganze strotzt von Uber-
treibungen und ist erschreckend trivial. Doch wurde diese Tragodie
in Mantua in der Fastenzeit im Jahre 1499 aufgefuhrt.
*) Wer klopft? — Freund, mach auf.
— Wer bist du? — Lucca Gregorio.
— Nun weiB ich's, bekannt ist dein Name;
Hinunter zur Holle, in Pech und Schwefel,
Nicht fur dich ist dieser Ort,
Deiner harrt ein andrer Spruch.
— Hilf mir und laB mich ein.
— Nein, nein, deiner wartet schon der Koch.
— Bu, bu. — Wer bellt da? — Petre, Gerechtigkeit.
— Wer ruft mich? — Fanfarello.
— Und dein Begehr? Diesen Rauber,
Der sich gegen Gott emport.
Pluto laBt dir sagen,
Er sei ihm zu eigen — hier die Schrift.
— Nicht der will ich sein,
Der andern Rechte raubt,
Nimm ihn und tu nach deinem Begehr.
— Mach hurtig, Verrater.
Fur deine Missetaten langt keine Strafe.
DAS JUNGE FERRARA I53
IV
Wahrend an der italienischen Sprache gearbeitet wurde,
taucht auch das Verlangen nach der italienischen Biihne
auf. Die alten Mysterienspiele geniigten nicht mehr, sie zogen
sich in die Klostermauern zuriick, und die Volksauffiihrungen, die
in Siena stattfanden, entsprachen dem Geschmack der klassisch
geschulten gebildeten Gesellschaft nicht. Die neue Generation
verlangte eine Komodie nach dem Muster der alten, Szenen, die
menschliches Leben und menschliche Schwachen spiegeln. Natiir-
lich gait es erst Anleihen bei Plautus und Terenz zu machen, ehe
man die Biihne und ihre Anforderungen begriff. Die antiken
Komodien aufzufiihren, war nicht leicht und namentlich mit nicht
unerheblichen Kosten verbunden; die italienischen Hofe begriff en,
daB die Initiative von ihnen ausgehen miisse, die vermogenden
Fiirsten waren die einzigen, die diesen Versuch unternehmen
konnten.
Es wird erzahlt, daB Ercole, der als Knabe wahrend einer Krank-
heit die alten Autoren griindlich gelesen, schon damals die Wieder-
geburt des Theaters geplant hat. Er steht an der Spitze der Be-
wegung, und ihm gebiihrt das grofite Verdienst in der Belebung der
modernen Biihne. Theaterauffuhrungen liebte er leidenschaftlich,
und mit Eifer machte er sich an ihre Ausstattung, weder Miihe ncch
Kosten sparend. Sein Wunsch war, in Ferrara die erste Biihne
Italiens zu schaffen, und er hat dieses Ziel zum Nutzen der Literatur
erreicht:
Quae fuerat Latiis olim celebrata theatris
Herculea . . . scena revixit ope.
Ercole hat eine ganze Schar ferraresischer Literaten angefeuert,
antike Komodien zu iibersetzen, umzuarbeiten, Eklogen zu ver-
fassen, Pastoralen und Ballettspiele zu ersinnen. Im Einverstandnis
mit ihm arbeiteten an der Wiedergeburt der Biihne: Bojardo, Bat-
tista Guarino, Niccolo da Correggio, Collenuccio, Tebaldeo und viele
andere, und Architekten und Maler wie Fino de' Marsigli, Trullo,
Segna, Giovanni da Imola, Pellegrino da Udine und spater die Briider
154 SIEBENTES KAPITEL
Dossi und ihre Schiiler ersannen Biihnenapparate, zeichneten
Kostume und malten Dekorationen.
Als erstes Theaterstiick wurden i486 Plautus' Menaechmen
aufgefiihrt. Die Biihne war im SchloBhof aufgeschlagen. Ein Jahr
darauf, zu Ehren von Lucrezia d'Este und Annibale Bentivoglios
Hochzeit wurde ein Original-Lustspiel, Correggios ,,Cefalo", mit
sehr viel Pomp gespielt. Die Biihne war in ein SchloBchen verwandelt,
dort agierten die Schauspieler. Das erwies sich als unpraktisch,
da man infolge des Regens eine Auffiihrung abbrechen mufite.
Spater fanden Auffuhrungen abwechselnd im Garten oder in Schi-
fanoja statt, schlieBlich wurde 1499 mit nicht unbedeutenden
Kosten eine Biihne im grofien Palastsaal errichtet. Ballette, Farcen
und Burlesken schob man zwischen die Akte der klassischen ,,Ko-
mddien" ein, die alles andere eher denn amiisant waren. Ferrara
errang eine Stellung, wie sie heute etwa Bayreuth hat. Aus weiter
Feme kam man zu diesen Auffuhrungen, iiberall wurde davon
gesprochen, ja die Auffuhrungen in Ferrara gehorten zu den be-
deutendsten kunstlerischen Ereignissen der damaligen Zeit. Den
Glanzpunkt bildete die Auffiihrung des gesamten Zyklus von
Plautus' Komodien anlaBlich der Feste bei Don Alfonsos Trauung
mit Lucrezia Borgia. Doch wird davon noch die Rede sein.
Ferraras Biihne war gewissermaBen das Vorbild fur alle iibrigen
Hofe. Namentlich die Gonzaga in Mantua und Lodovico Moro
waren leidenschaftliche Theaterenthusiasten; die Auffuhrungen
brachten in die Monotonie des hofischen Lebens viel Abwechslung.
In Ferrara und Mantua wurden allmahlich Schauspieler aus-
gebildet, die man sich gegenseitig lieh. Der schon siebzigjahrige
Ercole unternahm 1493 eine muhselige Reise nach Mantua, um dort
eine Auffiihrung zu leiten. Er nahm zwanzig junge Leute mit,
die gewohnt waren, auf der Biihne aufzutreten, darunter befand
sich auch Ariost.
Im Anfang des XVI. Jahrhunderts entstand unter den Juden
in Mantua eine Gesellschaft von Gelegenheits-Schauspielern, sie
spielten am Hofe des Markgrafen, und ihre Gesellschaft blieb lange
bestehen. Fiir ihre Auffuhrungen hatten die Juden ihr eigenes
Orchester.
DAS JUNGE FERRARA 155
V
Eine von Ercoles Hauptstiitzen im Arrangieren von Theater-
auffuhrungen war Niccolo da Correggio, eine sehr ausgepragte
Personlichkeit, die etwa Castigliones Idealbild eines Hofmannes
entsprach. Ansehnlich, tapfer, der Held der Turniere und Ver-
ehrer des schonen Geschlechts, tanzte er so gut wie wenige seiner
Zeitgenossen; dank seiner eleganten Kleidung gait er der Jugend
als Modevorbild, war die Seele der Feste, verfaBte Lustspiele mit
unglaublicher Geschicklichkeit und machte im Fluge Madrigale,
Sonette und Inschriften fur Impresen. Saba da Castiglione nennt ihn
einen der beruhmtesten Ritter Italiens, ,,uno delli piu famosi,
honorati et virtuosi cavalieri, che in tutta Italia si trovarsero", und
Carretto feiert ihn in seiner Dichtung ,,Tempio d'Amore":
... II cavalier de tanto preggio
Che con stil elegante et amoroso
E col valor de Marte orna Correggio.
Er war mit den Este verwandt; seine Mutter Beatrice war
Niccolos III. natiirliche Tochter und hatte 1448 Niccolo di Gherardo
da Correggio geheiratet. Man nannte sie ,,regina delle feste", und
ein vielzitiertes Wort hieB: ,,um leicht aus dieser Welt in jene
uberzugehen, miisse man Pierobonos Musik lauschen, um den Him-
mel offen zu finden, Herzog Borsos Gnade erfahren, und um das
Paradies zu sehen, Donna Beatrice auf einem Ball beobachten."
Einige Monate nach der Hochzeit starb Niccolo da Correggio. Der
Sohn Niccolo, den Beatrice nach dem Tode des Gatten in den ersten
Monaten des Jahres 1450 geboren, bekam den Beinamen Postumus,
um ihn vom Verstorbenen zu unterscheiden. Kaiser Friedrich III.,
der 1452 in Ferrara war, hat das Kind, wie bereits erwahnt, zum
Ritter geschlagen. Um das Kriegshandwerk zu lernen, diente Cor-
reggio als Kondottiere im Heer der venezianischen Republik unter
Bartolommeo Colleoni. 1472 heiratete er dessen Tochter Cassandra,
eine beruhmte Schonheit, trat aus dem venezianischen Heer aus
und lebte abwechselnd in Ferrara, Mantua und Mailand. Bei
Moro und Beatrice d'Este stand er in besonderer Gunst. FiirFrauen-
I56 SIEBENTES KAPITEL
toilette hatte er ein scharfes Auge, und Beatrice lieB sich gem von
ihm beraten. Uberall war er ein begehrter Gast, er belebte die Gesell-
schaft durch seinen Witz, machte Sonette und Lieder, die Isabella
d' Este zur Laute sang. Fiir sie schrieb er audi eine psychologische
Dichtung ,, Psyche" — allerdings von nur geringem Wert.
Als es im Jahre 1482 zum Kriege zwischen Ferrara und Venedig
kam, kampfte Niccolo auf Seite der Este. In der Schlacht bei
Argenta geriet er in venezianische Gefangenschaft ; die Republik
vergafi es ihm nicht, daB er vor zehn Jahren ihr Kondottiere gewesen
war und eine Venezianerin zur Frau hatte, und behandelte ihn als
gemeinen Gefangenen. Er wurde in die Toricella eingesperrt und
schrieb sehr ungluckliche Briefe von dort aus, er beklagte sich iiber
den unerhorten Schmutz, iiber Flohe und anderes Ungeziefer, das
ihn nicht schlafen lieB, iiber das ekelhafte Essen und auch dariiber,
daB er nicht einmal einen Tisch habe.
Als sichMoro und Isabella d'Este fiir ihn verwandten,lieBen ihn die
Venezianer nach einigen Monaten frei; Correggio war des Kriegessatt
und ging nach Frankreich alsMoros Gesandter. Am haufigsten hielt er
sich in Ferrara auf und half Ercolel. bei seinen Theaterauffuhrungen.
Im venezianischen Gefangnis beklagte er in seinem besten
und tiefst empfundenen Sonett Ferraras Niederlage. Da er Venedigs
Macht kannte, bat er die geliebte Stadt, sich dem Lowen zu beugen.
Io t'amo. Tu sai ben, ch' io n' ho cagione
Deh! perche non deponi omai l'orgoglio?
Che sai: sol umilta vince il Leone.
Piu che di mia prigion di te mi doglio;
Che poi che vedi in l'arme la ragione
Vogli schivare il porto e dar nel scoglio.
Sein literarisch bedeutendstes Werk war ein mythologisch-
pastorales Drama ,,Favola di Cefalo". Es wurde 1487 in Ferrara
zum erstenmal aufgefiihrt und war eines der ersten fiir die Biihne
bestimmten italienischen Originalwerke. Es ist jedoch ein sehr
verungliicktes Drama; der Inhalt ist aus Ovids Metamorphosen
geschopft. Niccolo war auch der Verfasser der dramatischen Ekloge
,,Favola di Callisto", die 1501 in Mantua aufgefiihrt wurde.
DAS JUNGE FERRARA I57
Correggio reiste fast immer in Gesellschaft seines Sekretars,
des Messer Niccolo, der auch dichtete, oder eines anderen ,,Fa-
miliaris", des sogenannten Prete da Correggio. Der letztere, ein
sonderbarer Mensch, war am Hofe zu Ferrara und Mantua wegen
seines Witzes und seines groBen Diensteifers sehr beliebt. An ihn
wandte man sich in alien schwierigen Familienangelegenheiten,
er verstand es, Geschafte zu ordnen, Gaste zu unterhalten und ge-
legentlich bei einem Bankett trat Prete als fahrender Sanger auf
und trug seine eignen Gedichte vor. Isabella hat ihn sich einmal
schriftlich bei Correggio ,,per nostra recreatione" ausgeliehen.
Trotz seiner gesellschaftlichen Erfolge scheint Correggio nicht
glucklich gewesen zu sein; in seinen Sonetten klagt er iiber sein
Geschick und die Frauen. Das eine beginnt mit den Worten: ,,Sotto
la croce che mi da la sorte". Auch scheint er schwer darunter ge-
litten zu haben, daB seine Liebe unerwidert blieb. Natiirlich hat auch
er einen ,,Canzoniere" hinterlassen, er hat ihn Isabella d' Este
zwar angeboten, aber nicht geschickt. Nach dem Tode des Dichters
scheint die Markgrafin erfahren zu haben, daB Correggios Sohn,
Gian Galeazzo, diese Gedichtsammlung Lucrezia Borgia widmen
wolle. Das emporte Isabella, infolgedessen reklamierte sie den Nach-
laB energisch; ob sie den ,,Canzoniere" bekommen hat, wissen wir
nicht, aber ihr Arger ist begreiflich, denn einmal war ihr Lucrezia wenig
sympathisch, auBerdem empfandsie GianGaleazzosVorgehen als Un-
dankbarkeit, da sie sich der Correggio stets angenommen hatte.
Selbst als Galeazzo sich mit Ginevra Rangoni vermahlte,
schenkte sie ihm ein schones Klavier, ,,un magni-
fico Clavicordio". Niccolo Correggio starb
in Ferrara in der Nacht vom i. auf den
2. Februar 1508; es waren nicht
weniger als sieben Arzte
an sein Krankenbett
gerufen worden.
ACHTES KAPITEL
LUCREZIA BORGIA
i
orenzo Pucci, der Florentiner Gesandte am romischen
Hofe, schrieb am 24. Dezember 1493 an seinen Bruder,
er wolle Madonna Giulia Farnese besuchen und sich
ihre weitere Protektion beim Papste sichern, als Ent-
gelt fiir die Dienste, die er ihrer Familie geleistet habe.
Pfrunden, die ihm ansehnliche Einkiinfte eintrugen,
verdankte Pucci Giulias Verwendung bei Alexander VI. Giulia lebte
bei Lucrezia Borgia, Alexanders Tochter, der der Vater in
S. Maria in Porticu ein Haus in der Nahe des Vatikans abge-
treten hatte.
Lucrezia war damals dreizehn Jahre alt, Giulia, die etwas altere,
war Orsinis Gattin und Mutter der kleinen Laura. Giulias Schwieger-
mutter, Adriana Ursina oder Orsini, stand Lucrezias Haus vor;
Alexander hatte es nicht als zweckmaBig erachtet, seine Tochter bei
ihrer Mutter, Vanozza Catanei, erziehen zu lassen. Als Kardinal
hatte er Vanozza verheiratet, zuerst an den Mailander Giorgio da
Croce, dann nach dessen Tode an den unbedeutenden Mantuaner
Dichter Carolus Canale, dem er eine kleine Anstellung als Solli-
zitator der papstlichen Bullen verschafft hatte.
Aus dem Hause des Sollizitators konnte die Tochter des Kar-
dinals Borgia nicht ihren Eintritt in die Welt feiern. Es lieB sich
auch anders einrichten. Alexander hatte Beziehungen zu Adriana,
Lodovico Orsinis Witwe, die im Jahre 1489 ihren Sohn mit der
schonen Giulia Farnese verheiratet hatte. Der Kardinal verliebte
sich in die junge Giulia und stand bereits zwei Jahre nach ihrer
LUCREZIA BORGIA i$q
Trauung in intimen Beziehungen zu ihr, Adriana, Orsinis Mutter,
unterstiitzte dieses Verhaltnis, damit der Kardinal die finanziell
zerriittete Lage ihres Geschlechtes hebe. Sie entfernte ihren Sohn
auY eines der Schlosser der Orsini und leistete dem Kardinal und
spateren Papst Borgia Dienste, die schlecht mit den Traditionen ihres
vornehmen Geschlechtes im Einklang standen.
Pucci kam in Lucrezias Haus, um Giulia Farnese zu sehen.
Die drei Frauen saBen vor dem Kamin, da Madonna Giulia gerade
ihre Haare trocknete. Sie begriiBten Lorenzo freudig, und Giulia
bat ihn, neben ihr Platz zu nehmen.
Pucci hatte Giulia langere Zeit nicht gesehen, er berichtet, sie
sei etwas voller geworden und das schonste Geschopf der Welt.
Ein Battisttiichlein hatte sie iiber den Kopf gebunden, und ihr
Haar war durch ein spinnwebdiinnes Netz, das mit goldenen
Faden durchwirkt war, zusammengehalten. Im Beisein des Gastes
lieB sie sich kammen und loste ihr Haar. ,, Etwas Ahnliches",
schreibt Lorenzo, ,,habe ich nie gesehen. Ihr goldblondes Haar
reicht bis zu ihren FiiBen, Giulia leuchtete wie die Sonne." Sie
lieB ihr einjahriges Tochterchen bringen, das Kind war dem papst-
lichen Vater auffallend ahnlich, ,,adeo ut vere ex ejus semine orta
dici possit".
Wahrend Pucci mit Giulia und Adriana sprach, entfernte sich
Lucrezia, um sich umzukleiden, sie kam in einem Morgenkleid
aus veilchenfarbenem Samt wieder, das nach neapolitanischer
Mode gearbeitet war. Auch sie hatte goldblondes Haar; die Farbe
war sicherlich kunstlich erzeugt, denn die Tochter Vanozza Cataneis
aus dem Trastevere-Viertel und Rodrigo Borgias, des Mauren
aus der Gegend von Valenzia, war kaum von Natur blond. Lucrezia
war lange nicht so schon wie ihre Gefahrtin, ihre Ziige waren
nicht regelmaBig, aber sie hatte einen besonders reizvollen Aus-
druck, war lebhaft, nicht frei von Koketterie und im Gesprach
anmutig und gewandt. Die Heiterkeit und das Gewinnende
ihres Wesens waren vater liches Erbteil, auch der Papst bezwang
die Menschen durch seine Liebenswiirdigkeit. Diese Vorzuge eigneten
auch ihrem Bruder, Cesare Borgia, der trotz seiner Grausamkeiten
und Verbrechen die Menschen an sich zu fesseln wuBte.
l6o ACHTES KAPITEL
Die Umgebung der 13 jahrigen Lucrezia war alles andere eher
als moralisch. Der alte Vater, der Papst, in ein Liebesabenteuer
mit Giulia, der Frau eines anderen, verstrickt, und dieses Verhaltnis
von der Haushofmeisterin und Schwiegermutter der jungen Frau
begiinstigt. In einem anderen Stadtviertel Lucrezias Mutter, ihr
ferngeriickt, von einer neuen Familie und neuen Kindern urn-
geben, und in Lucrezias Haus das kleine Schwesterchen, Giulias
und des Papstes Tochter. Die Verhaltnisse waren selbst fur die
Renaissance kompliziert genug.
Lucrezia war trotz ihrer dreizehn Jahre schon zweimal verlobt
gewesen, beidemal mit Spaniern, da Borgia in Italien einen dem
Range seiner Familie entsprechenden Verlobten fur seine Tochter
nicht finden konnte. Noch gait es in Rom als Makel, die Tochter
eines Kardinals zu sein, in Spanien war Lucrezias groBe Mitgift
ausschlaggebend. Ihren ersten Verlobten, Cherubin de Centelles,
hat Lucrezia nie gesehen, dem elf jahrigen Kinde war mitgeteilt
worden, daB iiber sein Schicksal bestimmt sei. Bald traten Urn-
stande ein, die die Vollziehung dieser Ehe hinderten, deshalb suchte
der Kardinal fur seine Tochter einen anderen Spanier zum Manne,
den Grafen Aversa. Ehe Lucrezia erwachsen war, wurde ihr Vater
Papst (am 11. August 1492), und Alexander VI. geniigte Graf
Aversa als Schwiegersohn nicht mehr, er wiinschte die Borgia
durch seine Tochter mit einer groBen italienischen Familie zu
verbinden, um ihren politischen EinfluB auf der Halbinsel zu ver-
starken.
Zum Brautwerber wurde diesmal der Kardinal Ascanio Sforza
ausersehen, dem Rodrigo Borgia seine Papstwiirde in der Haupt-
sache zu danken hatte. Ascanio gehorte zu den intimsten Vertrauten
des Papstes und war allvermogend im Vatikan. Er kam auf den
Gedanken, Lucrezia mit Giovanni Sforza, dem Grafen von Cotignola
und kirchlichen Vikar zu Pesaro, das die Sforza als papstliches
Lehen verwalteten, zu verheiraten. Giovanni war sechsundzwanzig
Jahre alt, Witwer, seine erste Frau Maddalena, die Schwester von Eli-
sabetta Gonzaga aus Urbino, war im Wochenbett gestorben,
tapfer, gebildet, — die Vorbedingungen f iir das Gliick der papstlichen
Tochter schienen gegeben. Die Verbindung mit der machtigen
PINTURICCHIO: DIE HEILIGE KATHARINA VON ALEXANDRIEN
ANGEBLICHES PORTRAT VON LUCREZIA BORGIA
DETAIL AUS DEM APPARTAMENTO BORGIA 1M VAT1KAN
LUCREZIA BORGIA I6I
Familie Sforza war ein wichtiger Schritt in der Geschichte von
Alexanders VI. Familienpolitik; Lodovico Sforza, der Mailander,
wurde so zum Anhanger des Papstes.
Kaum hatte Graf Aversa erfahren, daB sein zukunftiger
Schwiegervater den papstlichen Thron bestiegen habe, als er nach
Rom kam, um an seine Rechte zu mahnen. Gleichzeitig erschien
Sforza, und die Anwesenheit dieser beiden Bewerber gab AnlaB zu
verletzendem Gerede liber den Papst und die Braut. Lucrezia hat
an diesen Intrigen keine Schuld, der Papst hat despotisch iiber
ihre Hand verfiigt. Als der Spanier sah, daB Sforza mehr Chancen
hatte, trat er ihm gegen eine Abfindungssumme von dreitausend
Dukaten seine Rechte auf Lucrezias Hand ab und verlieB Rom.
Die Stadt Pesaro freute sich des Sieges ihres Herrn, da sie ver-
schiedene Begiinstigungen vom Papst erhoffte. Sforza veranstaltete
einen groBen Ball im SchloB, die tanzenden Paare schritten zum
SchloBhof hinaus, durchzogen im Reigen die StraBen und mischten
sich tanzend unter das Volk. Der Bevollmachtigte des Papstes,
Monsignore Scaltes, fuhrte den lustigen Reigen.
Dieses Hinuntersteigen der Tanzenden aus dem fiirstlichen
SchloB zum Volke ist ein charakteristischer Beweis fur das be-
stehende Verhaltnis zwischen italienischen Despoten und ihren
Untergebenen. Niemals war der Klassenunterschied in Italien
so groB wie in anderen Landern. Das Volk hatte seine alte Kultur,
einen auBeren Schliff und eine gewisse angeborene Liebenswiirdig-
keit, die es im gesellschaftlichen Verkehr den hoheren Klassen
fast gleichstellte. Deshalb hatten Maskenfeste nirgends eine solche
Bedeutung wie in italienischen Stadten. Wenn sich die SchloB-
herrin in ihrer Maske unter das Volk mischte, so wuBte sie, daB sie
sich in ihrer Sphare bewegte, in einer Masse, die gesellschaftlicher
Manieren nicht entbehrte.
Am 12. Juni 1494 fand im Vatikan Lucrezias Trauung mit Sforza
statt. Die Neuvermahlte zahlte vierzehn Jahre. Der Papst und die
Sforza waren befriedigt: Lodovico Moro war im Begriffe, Karl VIII.
nach Italien zu rufen, damit er die Macht Ferdinands von Neapel
breche, der Papst und Venedig strebten nach dem gleichen Ziel, so war
es ein leichtes, ein Biindnis gegen den Neapolitaner zu schlieBen.
l(,2 ACHTES KAPITEL
Lucrezia begab sich fur kurze Zeit nach Pesaro. Bei stromendem
Regen zog sie am 8. Juli 1494 ein und nahm ihren Wohnsitz in
Gradara, dem Lieblingsaufenthalt ihres Gatten. Auf Alexander VI.
lastete die Trennung von seiner Tochter, er verlangte unablassig
nach Nachrichten, und aus jener Zeit hat sich ein eigenhandiger
Brief des Papstes an sie erhalten, uberstromend von Ausdriicken
vaterlicher Zuneigung. Der Papst empfiehlt Lucrezia, auf ihre Ge-
sundheit zu achten und fleiBig zur Madonna zu beten.
Sehr bald anderte Alexander VI. seine Politik; Spanien ver-
mittelte zwischen dem Papst und Konig Ferdinand von Neapel, und
das Biindnis mit Lodovico Moro und den Venezianern ward dem
Papst zum Hemmschuh. Die Stellung der Sforza am papstlichen
Hofe war erschiittert, Alexander VI. vereinigte sich mit der arago-
nischen Dynastie und wurde zum Gegner von Karls VIII. geplantem
Zug nach Italien, an dem Moro arbeitete. Selbst Ascanio Sforza,
der Gunstling des Papstes, fiihlte sich infolgedessen in Rom nicht
sicher und floh nach Ganezzano zu den Colonna, die in franzosischem
Sold standen.
Giovanni Sforza blieb als Kondottiere der Kirche noch eine
Zeitlang im Lager der neapolitanischen Armee, aber auch seine
Stellung wurde unmoglich. Er mufite entweder gegen die Franzosen
kampfen und gegen den Vorteil der eignen Familie, deren Haupt
Moro war, arbeiten, oder mit dem Papst brechen. Alexander VI.
erleichterte ihm diesen Konflikt; als Giovanni nach Rom kam,
wo auch Lucrezia sich damals befand, verlangte der Papst von ihm,
in eine Trennung von seiner Frau einzuwilligen, mit dem Eingestand-
nis, daB die Ehe infolge seiner Schuld nie vollzogen worden sei.
Giovanni wollte von all dem nichts horen, aber hinter dem
Papst stand Cesare Borgia, der derartige Angelegenheiten mit Gift
oder Dolch zu erledigen pflegte. Er soil seiner Schwester gesagt
haben, daB sich Mittel genug finden wiirden, um sie von dem un-
be quern gewordenen Gatten zu befreien. Schnell benachrichtigte
Lucrezia Giovanni von der ihm drohenden Gefahr, er warf sich
auf sein turkisches Pferd und erreichte Pesaro im Verlauf von
vierundzwanzig Stunden. Das Pferd brach erschbpft zusammen,
aber Sforzas Leben war gerettet.
LUCREZIA BORGIA 163
Es wird erzahlt, daB Giacomino, Sforzas Diener, sich bei Lucrezia
befand, als Cesare zu ihr kam, um ihr mitzuteilen, der Befehl,
ihren Gatten zu ermorden, sei schon erlassen. Lucrezia verbarg
den Diener hinter dem Bettvorhang, damit er Zeuge ihres Gespraches
mit Cesare sei, und schickte Giacomino, als ihr Bruder das Zimmer
verlassen, zu Sforza, um ihn von den Anschlagen der Borgia
zu unterrichten. Ehrlich war Lucrezia gegen ihren Mann vor-
gegangen, den sie vielleicht nie geliebt hat, aber dessen Frau sie
schlieBlich war. Nach Sforzas Flucht zog sie sich in das Kloster
San Sisto zu Rom zuriick, das sie am 4. Juni 1497 be^og. Ob sie
sich aus eignem Willen hinbegeben hat oder auf Befehl des Vaters
und Bruders, die erfahren haben muBten, daB sie Giovannis Flucht
bewirkt hatte, muB dahingestellt bleiben.
Im September 1497 berief der Papst eine Scheidungskommission,
die erkannte, daB die Ehe ungultig sei, da sie nicht vollzogen worden
war. Lucrezia muBte bezeugen, daB sie diese Tatsache beschworen
konne.
Als Sforza dies erfuhr, fuhlte er sich selbst in Pesaro nicht mehr
sicher und floh verkleidet nach Mailand. Er legte Protest ein gegen
die Aussagen erkaufter Zeugen, doch gegen die Borgia lieB sich
nicht kampfen. Lodovico Moro und Ascanio Sforza drangten in
ihn, nachzugeben. Giovanni fiigte sich ihren Wunschen und gab
eine schriftliche Erklarung, daB Lucrezias Aussagen auf Wahrheit
beruhen.
Am 22. Dezember 1497 wurde die Scheidung ausgesprochen,
und Sforza gab Lucrezia ihre Mitgift, 31000 Dukaten, heraus. Von
diesem Augenblick an wurde er der groBte Widersacher seiner
friiheren Gattin und verbreitete die schamlosesten Geriichte iiber
ihr Verhaltnis zum Papst. Damals, wo die Verkehrsverhaltnisse
schwerfallig waren und Zeitungen fehlten, wurde jedes Gerede,
auch das unwahrscheinlichste, leicht geglaubt. Die von ihm
ausgesprengten Nachrichten gelangten in Briefe und Chroniken
und haben sich bis auf den heutigen Tag erhalten.
Der iiberzeugendste Beweis dafiir, daB blutschanderische Be-
ziehungen zwischen Alexander VI. und Lucrezia nie bestanden
haben, ergibt sich daraus, daB der Papst ein sehr guter Vater war;
164 ACHTES KAPITEL
seine groBen Fehler entstanden gerade aus dieser Liebe und Ver-
blendung fur seine Kinder. Obrigens war Alexander eine durchaus
normale, gesunde Natur, nur fehlten ihm alle Qualitaten, die ihn
zum Papst befahigt hatten. Feinde oder ,,Unbequeme" zu ver-
giften oder zu ermorden, gait unter den damaligen Herrschern
nicht als unmoralisch oder unerlaubt.
Die politischen Plane des Papstes und namentlich Cesare Borgias
drangten zu einer engen Vereinigung mit dem Hof von Neapel.
Wieder sollte Lucrezia zum gefiigigen Werkzeug werden. Der
Papst forderte Carlotta, Federigos Tochter, zur Frau fiir Cesare.
Zu einem solchen Opfer konnte sich der Konig von Neapel nicht
entschlieBen, besonders da auf Cesare ein neues blutiges Ver-
brechen lastete: man bezichtigte ihn der Ermordung seines Bruders
Gandia. Nach langeren Unterhandlungen gab Federigo seine Ein-
willigung zur Heirat von Don Alfonso, des natiirlichen Sohnes Al-
fonsos II., mit Lucrezia. Don Alfonsos Schwester, Donna Sancia,
war bereits mit Cesares jiingerem Bruder, Don Jofr6, vermahlt.
Alfonso, der als der schonste Jungling in Rom gait, war sieb-
zehn Jahre alt. Lucrezia war um ein Jahr alter. Am 20. Juni 1498
wurde die Vermahlung dieses jungen Paares in aller Stille, ohne
laute Festlichkeiten, vollzogen. Lucrezia wurde zu oft verheiratet,
als daB man ihre Trauung durch rauschende Feste dem Gedachtnis
des Volkes einpragen wollte. Die Tochter des Papstes bekam
40 000 Dukaten als Mitgift, und der Konig von Neapel gab seinem
Neffen das Herzogtum Bisceglia als Morgengabe.
Die Ehe war glucklich; aufrichtig liebte Lucrezia den Neapoli-
taner, der sich viel Zuneigung in Rom erworben hatte. Soviel wir
wissen, war Alfonso Lucrezias erste Liebe; iiber ihr Herz hatte man
immer verfiigt wie iiber einen Geldbeutel, der in der vatikanischen
Schatzkammer niedergelegt war. Das kostbare Kleinod wurde je
nach Bedarf verkauft oder versetzt.
Auch diesmal ergab sich eine Moglichkeit, das Pfand besser zu
Geld zu machen. Ein Jahr nach Alfonsos Vermahlung wurde der
Papst der Feind der neapolitanischen Dynastie. Alexander VI.
trat der Liga bei, die Ludwig XII. und Venedig geschlossen hatten;
ihr Ziel war, Lodovico Sforza aus Mailand zu vertreiben. Als Gegen-
LUCREZIA BORGIA
165
leistung verpflichtete Frankreich sich, Cesare Borgia in der Er-
oberung der Romagna beizustehen.
Abermals fliichtete Ascanio Sforza aus Rom, aus Furcht, daB
man ihn als nunmehr iiberfliissigen Kardinal aus dem Wege raumen
wiirde. Dem jungen Alfonso drohte Cesares Dolch, da Borgia von
der Unterwerfung des Konigreichs Neapel mit Frankreichs Hilfe
traumte.
Wieder muBte Lucrezia ihrem Mann zur Flucht helfen. Dies-
mal mit blutendem Herzen, sie liebte den schonen Neapolitaner, sah
zudem ihrer Niederkunft entgegen. Alfonso floh am 2. August 1499,
Lucrezia weinte ihm fassungslos nach.
Aber Alexander VI. war ein ,,guter" Vater; um seine Tochter
zu trosten, ubergab er ihr Nepi und ernannte sie zur Regentin von
Spoleto und Umkreis, wo bis dahin papstliche Legaten geherrscht
hatten.
Mit einem groBen Hofgesinde begab sich Lucrezia in ihr neues
Lehngut, sie blieb aber nur kurze Zeit dort, da sie gezwungen war,
ihrer Niederkunft wegen sich nach Rom zu begeben. Am 1. No-
vember 1499 schenkte sie einem Sohn das Leben, er wurde zu
Ehren des Papstes Rodrigo genannt.
Unterdessen kehrte Alfonso Bisceglia nach Rom zuriick, um
sich seines ehelichen Gliickes zu freuen; er glaubte, daB die Gefahr
fur ihn voriiber sei. Es mag sein, daB auch Lucrezia Cesare nicht
langer gefiirchtet hat, im Glauben, ihr Mann stehe den politischen
Planen des Bruders nicht mehr im Wege.
Aber darin bestand ihr Irrtum. Cesare haBte die ganze arago-
nische Dynastie und schloB seinen jungen Schwager nicht aus,
auBerdem hatte er bereits andere Absichten fur seine Schwester.
Bisceglia war iiberfliissig, in den dunklen Gemachern der Borgia
war sein Todesurteil gesprochen.
Als der Fiirst am 15. Juli 1500 gegen elf Uhr abends den Vatikan
verlieB, iiberfielen ihn fiinf Sbirren auf dem Petersplatz und ver-
wundeten ihn schwer. In der Annahme, daB der Oberfall Cesares
Werk sei, wollte Alfonso, aus Furcht vor Vergiftung, sich nicht
einmal von rdmischen Arzten verbinden lassen und lieB sich einen
Arzt aus Neapel kommen.
166 ACHTES KAPITEL
Ludwig Pastor nimmt an, indem er sich auf Creightons ,,Ge-
schichte des Papsttums" stiitzt, die Urheber des Uberfalles seien
die Orsini gewesen, da sie glaubten, daB Alfonso sich mit ihren
Feinden, den Colonna, verbinden wolle. Alfonso jedoch war der
Oberzeugung, Borgias Dolche hatten ihn verwundet, und uns will
scheinen, daB Alfonso und Lucrezia diese Dinge richtiger gesehen
haben mussen als spatere Historiker.
Alfonsos Durst nach Rache war so groB, daB er eines Tages
auf den voriibergehenden Cesare zielte und einen Pfeil abdruckte.
Da schickte Cesare seine Henkersknechte und lieB Alfonso nieder-
machen. Sein Korper wurde in Stiicke zerrissen.
Lucrezia war Witwe. Nach den furchtbaren Vorkommnissen
erkrankte sie am Fieber, und damals scheint es zu einem Zerwurfnis
zwischen ihr und dem Vater gekommen zu sein.
Gebrochen reiste sie am 20. August 1500, von 600 Pferden be-
gleitet, nach Nepi. Aber ob nun Alexander sich nach seiner Tochter
gesehnt oder sie Langeweile in der Provinzstadt empfunden hat —
im September oder Oktober war sie wieder in Rom.
II
Schon im November 1500 sprach man davon, daB Lucrezia
Alfonso, den 23jahrigen Witwer und Thronfolger von Ferrara,
heiraten wiirde. Die Borgia hatten diesen Plan ausgebriitet, und
der Kardinal Ferrari aus Modena schrieb sofort dariiber an Ercole.
Natiirlich machte diese Absicht den Este den peinlichsten Ein-
druck. Eine Absage konnte sie Ferrara kosten, da das Land papst-
liches Lehnsgut war und sie Rom einen Tribut zu entrichten hatten.
AuBerdem war Cesares Macht so gestiegen, daB es der groBten An-
strengungen bedurfte, um sich seiner zu erwehren. Andererseits
erschien Ercole und Alfonso die Demiitigung unertraglich , in
ihr Haus die Tochter des Papstes aufzunehmen, eine Frau, von der
die schlimmsten Dinge erzahlt wurden. Auch hatte man in Ferrara die
Absicht, sich dem franzosischen Hof zu verschwagern, Alfonso sollte
sich mit Louise, der Witwe des Fursten von Angouleme, vermahlen.
LUCREZIA BORGIA ^
Mehr noch als den Vater empdrte Alfonso der bloBe Gedanke
an diese Verbindung; er war ein starker, unbeugsamer Charakter
und wollte sich dieser Forderung nicht fiigen.
Abschlagig beschied Ercole den Brief des Kardinals Ferrari.
Aber so leicht gab der Papst nicht nach, er sicherte sich die nach-
driickliche Unterstiitzung des franzosischen Hofes, eine ganze
Schar einfluBreicher Agenten machte dem Fiirsten von Ferrara
die Vorteile dieser Verbindung klar und verwies auf die Gefahren,
denen sich die Dynastie der Este im Falle einer Absage aussetzte.
Ercole sah bald ein, daB er sich der Macht der Borgia nicht wiirde
widersetzen konnen, doch Alfonso wollte nichts von der Ver-
bindung horen; erst als der Vater ihn darauf hinwies, daB, wenn
nicht der Sohn, er, Ercole, Lucrezia wiirde heiraten miissen, wurde
er in seinem Widerstand schwankend.
Am meisten zum Gelingen der Plane von Alexander VI. sollte bei-
tragen der Statthalter der Romagna und Vertraute Cesares, Don
Ramiro de Lorgna, ,,uomo crudele et espedito", wie ihn Machiavell
charakterisiert hat.
Schon am 8. Juli 1501 lieB Ercole Ludwig XII., der als Mittels-
person vorging, mitteilen, daB er mit dem Papst in Unterhandlungen
einzutreten bereit sei.
Die Unterhandlungen waren schwierig, Ercole verlangte viel,
der Papst argerte sich zwar, war aber bereit nachzugeben, da ihm
darum zu tun war, seine Kinder mit der vornehmsten Familie Italiens
zu verbinden. Obrigens drangten Cesare und Lucrezia den Vater,
fur den Preis dieser Ehe selbst schwere Opfer zu bringen.
Als Mitgift sollte Lucrezia 200 000 Dukaten erhalten, zu-
gestanden wurde ferner eine ErmaBigung des Tributes, den Ferrara
der Kirche zu entrichten hatte, und eine Reihe anderer der Familie
Este vorteilbringender Vereinbarungen.
Um Lucrezia fur die wichtige Rolle, die ihr zu spielen bevor-
stand, vorzubereiten, setzte sie der Papst, als er im Juli nach Ser-
moneta ging, zu seiner Stellvertreterin im Vatikan ein. In seiner
Abwesenheit hatte sie eine Art Regentschaft iiber den Kirchenstaat,
sie durfte Briefe eroffnen und sollte in wichtigen Fallen den Rat
des Kardinals Lisbona einfordern.
168 ACHTES KAPITEL
Im Schlofl der Este in Belfiore wurde am i. September 1501
der Ehekontrakt unterschrieben, und als diese Nachricht am 4. Sep-
tember nach Rom kam, ordnete Alexander eine Illumination des
Vatikans an. Am nachsten Morgen begab sich Lucrezia in bischof-
licher Begleitung, mit einer Eskorte von dreihundert Berittenen,
nach S. Maria del Popolo, um der Madonna, zu der fleiBig zu beten
der Vater ihr anbefohlen hatte, ihren Dank zu entrichten. Das
kostbare Kleid, das sie an jenem Tage trug, schenkte sie einem der
Hofnarren, als er iibermutig auf die StraBe lief und schrie: Es lebe
die Herzogin von Ferrara!
Als die ferraresischen Gesandten nach Rom kamen, befriedigte
sie der ihnen vom Papst gewordene Empfang im hochsten Grade,
nur Cesare Borgia zeichnete sich nicht durch iibermaBige Hoflich-
keit aus. Das erstemal, am 23. September, nahm er sie zwar an,
empfing sie jedoch im Bette. Die Ferraresen glaubten, er sei krank,
da er die ganze vorhergehende Nacht getanzt hatte, spater erfuhren
sie, daB ihm nichts gefehlt habe, und er Kraft und Laune genug
gehabt hatte, um die folgende Nacht wieder zu durchtanzen. Zwar
versuchte er spater den schlechten Eindruck zu verwischen und
bewilligte den Gesandten eine abermalige Audienz — es gait dies
als besondere Gunst, da er nicht gern Gehor erteilte und sich im
allgemeinen hofischem Zeremoniell entzog — , aber er empfing sie
nicht. Die Gesandten beklagten sich beim Papst, Alexander gab
vor, dem Sohne zu ziirnen und antwortete, daB Cesare unberechen-
bar sei, auf seine Art lebe und die Nacht zum Tage wandle; die Ge-
sandten von Rimini hatten unlangst zwei Monate in Rom warten
mussen, ehe sie ihn zu Gesicht bekommen hatten.
Als es sich darum handelte, die Liste der Fiirsten und Wurden-
trager festzusetzen, die Lucrezia nach Ferrara abholen sollten,
nannten die Gesandten auch Annibale Bentivoglio, Giovannis Sohn,
den der Papst nicht liebte. Alexander besann sich, aber schlieBlich
sagte er: wenn Ercole d'Este ihm selbst Tiirken als Gesandte schicken
wurde, so hatten sie einen guten Empfang zu gewartigen. Nur
einmal wurde er ungeduldig, als der Herzog von Ferrara immer neue
Bedingungen stellte, und nannte ihn einen ,, Kramer", ,,un merca-
tante".
LUCREZIA BORGIA ^9
Schon nach Alfonso Bisceglias Tode hatte man, namentlich
in Neapel, nicht wenig boshafte Gedichte auf die Borgia und Lucrezia
gemacht, in den Epigrammen von Sannazaro und Pontano wurde
sie zur schamlosen Hetare gestempelt; kaum war die Heirat zwischen
Alfonso d' Este und Lucrezia bestimmt, so erschienen wieder zahl-
lose Schmahschriften auf die Borgia. Besonderes Aufsehen machte
ein kleines Buch, in Brief form an Silvio Savelli gerichtet, der sich
damals vor dem Papst bei Kaiser Maximilian in Deutschland ver-
barg. Der Papst hatte Savellis Giiter konfisziert, und der Ver-
fasser der Broschiire begliickwiinschte ihn, daB er wenigstens sein
Leben vor den Borgia gerettet habe. Er rat Savelli, dem Kaiser
und alien deutschen Fiirsten von den Verbrechen der Borgia zu
berichten und von dem gottlosen Leben, das der Papst fiihre. Zu
diesem Zwecke berichtet er ihm iiber alle Mitglieder der verhaBten
Familie: iiber Alexander, Cesare, Lucrezia und die iibrigen. Alle
Beleidigungen und Klatschgeschichten, die die Feinde der Borgia
in Mailand, Venedig und Neapel verbreitet hatten, wurden wieder
aufgetischt. Die Schrift war ein Werk des Zornes und der Rache.
Unter anderem berichtete der Verfasser iiber jenes Bankett am
letzten Oktobertag, wo im Beisein des Papstes, Cesares und Lucrezias
fiinfzig Kurtisanen getanzt hatten, erst in Kleidern, dann splitter-
nackt.
Der Papst las die Broschiire; da er jedoch aus seiner Kardinals-
zeit an romische Satiren und Schmahschriften gewohnt war, lachte
er und seine Umgebung iiber diese Beleidigungen. Aber Cesare ver-
stand keinen SpaB, er spiirte dem Verfasser der Broschiire nach, der
dem Vernehmen nach ein Neapolitaner Jeronimo Mancione war, lieB
ihm die Hand abhacken und die Zunge herausreiBen. Gleichzeitig
lieB er auch den Verfasser einer anderen Schmahschrift, den papst-
lichen Bibliothekar Fra Gian Lorenzo, bestrafen und einen Vene-
zianer einsperren, weil er eine gegen den Papst gerichtete Schrift
aus dem Griechischen ins Lateinische iibersetzt hatte.
An der Spitze der Gesandtschaft, die nach Rom gekommen war,
um Lucrezia abzuholen, stand der Kardinal Ippolito d'Este, Alfonsos
Bruder, der als Salonheld, Diplomat, Frauenverehrer und Jager
gleich beriihmt war. AuBer ihm gehorten noch fiinf Mitglieder der
170
ACHTES KAPITEL
Familie Este zum Gefolge: Don Ferrante, Don Sigismondo, Niccolo
Maria, der Bischof von Adria, Meliadus d' Este, der Bischof von
Comacchio und Don Ercole, der Neffe des Fiirsten. Die bekanntesten
Mitglieder der Aristokratie von Ferrara, die Herren von Correggio,
Mirandola, Strozzi, Bevilacqua und viele andere nahmen an der
Gesandtschaft teil, die auf fiinfhundert Pferden in Rom einzog.
Als die Este in den Vatikan kamen, ging Lucrezia ihren zukiinftigen
Schwagern bis auf die Treppe entgegen, und franzosischer Sitte
gemaB kiiBte sie sie nicht auf die Wange, sondern markierte nur
einen briiderlichen KuB, indem sie ihr Antlitz gegen das ihre neigte.
Sie trug ein weiBes, goldgesticktes, wollenes Kleid mit offenen
Armeln aus weiBem Goldbrokat, die nach spanischer Mode ge-
schlitzt waren. Dariiber einen Umhang aus dunkelbronzefarbnem
Samt, mit Zobel verbramt, den Kopf schmiickte ein grimes Schleier-
arrangement, mit Goldfaden und Perlenschnuren. Perlen hatte sie
um den Hals. Sie sah bezaubernd aus, und einer der Ferraresen
schrieb, daB dem Kardinal Ippolito die Augen zu glanzen begannen.
,,A1 nostro cardinale Ippolito scintillavano gli occhi: ella e donna
seducente et veramente graziosa."
Ercole schickte seiner Schwiegertochter unerhort kostbare Ge-
schenke. Es hieB damals in Italien , daB das Haus Savoyen die
schonsten Kleinodien auf der Halbinsel besaBe, deshalb schrieb
Ercole nach Rom, ,,er sei freilich nicht so reich wie der Herzog von
Savoyen, aber dennoch wiirde er Lucrezia Kleinodien verehren,
die sich mit jenen messen kdnnten". Auch der Papst stand nicht
zuriick, als er mit dem Gesandten von Ferrara sprach, tauchte er
seine Hand in eine mit Perlen gefiillte Schale und sagte: ,,A11
dies fur Lucrezia, ich wiinsche, daB sie die schonsten Perlen in ganz
Italien besitze."
Mit Er coles Geschenken war der Papst durchaus zufrieden, und
El Prete, Isabella Gonzagas Berichterstatter, teilt seiner Herrin
mit, daB Alexander VI., als er aus den Handen des ferraresischen
Gesandten die fur Lucrezia bestimmten Geschenke in Empfang
genommen, sich sehr dariiber gefreut, sie den Kardinalen und Frauen
gezeigt und sie auf dunkeln Samt gelegt habe, damit sie um so
schoner wirkten. Unter den Kostbarkeiten gab es prachtvolle Ringe,
LUCREZIA BORGIA 171
Ohrgehange, Steine in kiinstlerischer Fassung und ein Perlen-
halsband von seltener Schonheit.
Um sich dem Papst gefallig zu erweisen, strahlte Rom im
Festesglanz. Im Vatikan wurde getanzt und musiziert. Abend fur
Abend wurde gefeiert, und Alexanders vaterliche Eitelkeit konnte
sich nicht genug darin tun, den Ferraresen zu riihmen, wie schon
seine Tochter tanze, wie anmutig und klug sie sei, wie gut sie in
Spoleto herrsche, wie geschickt sie ware, wenn sie ihm einen Vor-
teil ablisten wollte. ,,Unser Spiel ist ungleich," fugte er hinzu,
,,Lucrezia gewinnt immer." Laut riihmte er ihre Bescheidenheit
und ihre reinen Sitten; die Gesandten von Ferrara bestatigten all
dies und schrieben dem Fiirsten: je langer sie Lucrezia betrachteten,
desto mehr schatzten sie ihre Giite, Tugend und Frommigkeit.
Vor der Abreise nach Ferrara beschaftigten Lucrezia die Reise-
vorbereitungen in hohem MaBe. Am Stephanstag besuchte sie
El Prete. Sie saB in ihrem geraumigen Schlafzimmer neben dem
Bette, an der Tiir standen etwa zwanzig Romerinnen, a la romanesca
gekleidet, mit gewohnlichen Tuchern auf dem Kopf. AuBerdem
warteten etwa zehn Hofdamen im Zimmer ihrer Befehle. Die
hofischen Donzellen machten den ferraresischen Gesandten keinen
groBen Eindruck, ihrer Ansicht nach waren Ferraras Frauen
den Romerinnen an Schonheit ebenbiirtig. Nur eine, Angela Borgia,
erregte das Entziicken der Fremden, und El Prete legte sich schon
Liebesplane mit Bezug auf sie zurecht. Zu Beginn des Karnevals
wurde jeden Abend bei Lucrezia getanzt. Die Ferraresen wunderten
sich, daB es in den StraBen Roms vom Morgen bis zum Abend von
maskierten Hoflingen wimmelte.
In den letzten Tagen drangten sich Karnevalfeste, Wettrennen,
Stierkampfe, Theaterauffuhrungen, Ballett und Moresken.
Am 6. Januar riistete man zum Aufbruch, der Papst schenkte
seiner Tochter eine schone Sanfte fur zwei Personen und stattete
den ganzen Zug mit groBter Pracht aus. Cesare gab der Schwester
eine Ehreneskorte, die aus zweihundert Reitern, Musikanten und
Hofnarren bestand, damit sie Lucrezia auf der Reise durch ihre
Scherze erheiterten. Einer zahlreichen bewaffneten Eskorte fiel
die Aufgabe zu, den Hochzeitszug vor einem eventuellen tjberfall
172
ACHTES KAPITEL
von Giovanni Sforzas Soldnern zu schiitzen, da man dessen An-
schlage fiirchtete.
Unter Lucrezias Frauen befand sich auch Adriana Orsini, ihre
friihere Haushofmeisterin, und die schone Angela Borgia, deren
Reize die Dichter besangen. Hundertfiinfzig Maultiere und viele
eigens zu dem Zweck hergerichtete zweiradrige Karren waren mit
Lucrezias Ausstattung bepackt, ihre personliche Umgebung be-
stand aus hundertachtzig Menschen.
Rom verlieB die Tochter des Papstes an einem Nachmittag auf
einem Schimmel mit goldenem Geschirr; sie trug ein scharlach-
rotes Samtkleid mit Hermelin und einen federgeschmiickten Hut.
Samtliche Kardinale und die Gesandten fremder Fiirstlichkeiten
gaben ihr bis zur Porta del Popolo das Geleit, iiber tausend Menschen
nahmen am Zug teil.
Aus dem Vatikan sah Alexander VI. den Fortziehenden nach,,
bis sie seinen Augen entschwunden waren.
In den letzten Wochen ihres Aufenthaltes in Rom setzte sich
Lucrezia fur die Verwirklichung eines heiBen Wunsches ihres
zukiinftigen Schwiegervaters ein.
Es wurde schon erwahnt, daB Ercole mit groBen Schwierigkeiten
die Nonne Lucia aus Viterbo nach Ferrara hatte kommen und fur
ihren Orden ein prachtiges Kloster errichten lassen. Er hatte zwar
eine Oberin, doch die Zahl der Nonnen geniigte ihm nicht; einige
Sch western aus Piacenza und Brescia kamen dazu, und in Ferrara
traten einige junge Madchen ins Kloster, die spater Geliibde ab-
legten, aber jene alteren Nonnen wollten sich der Macht einer
so jungen Oberin wie Lucia nicht beugen, im Kloster entstanden
Uneinigkeiten, die sie sehr schmerzten. Ercole beschloB daher, aus
Narni und Viterbo einige Nonnen, die Schwester Lucia befreundet
waren, kommen zu lassen, um ihr eine Stiitze gegen die Rebellinnen
zu schaffen. Sein Gesandter Bartolommeo Bresciani sollte sich mit
dem Prior der Dominikaner ins Einvernehmen setzen und sieben
Nonnen nach Ferrara bringen. Der Prior machte energisch Front:
nicht genug, daB Ercole ihnen die Schwester Lucia ,,geraubt"
habe, wolle er dem Kloster zu Viterbo jetzt noch seine besten
Schwestern nehmen. Bresciani ging nach Rom, um die Angelegen-
LUCREZIA BORGIA
173
heit beim Papst zu fordern, und kam am 11. Oktober 1501 anT
als Lucrezia zur Reise nach Ferrara riistete. Der Gesandte begab
sich sofort zur zukiinftigen Schwiegertochter seines Herzogs, die
sich der Sache sehr warm annahm. Gleich nach der ersten Audienz
erhielt Bresciani den besten Eindruck von Lucrezia, er schrieb dem
Fiirsten, sie sei ,,una madonna molto gentile et da bene et a resonare
excelente".
Lucrezia bat den Papst sofort, Ercoles Wunsch zu erfiillen,
doch war die Sache nicht so einfach, da Messer Adriano, Alexanders
VI. Sekretar, seine Zweifel hatte, ob man ohne groBen Schaden dem
Kloster in Viterbo sechs Nonnen entziehen diirfe. So beschloB
Adriano, die Angelegenheit in der Weise zu erledigen, daB Viterbo
vier und das Kloster zu Narni zwei Nonnen abtrete. Lucrezia jedoch
lieB nicht locker, sondern wollte Ercoles Wunsch in vollem MaBe
erfullt sehen. Sie drangte den Papst, so daB Alexander VI. befahl,
sechs Nonnen aus Viterbo nach Ferrara zu schicken und auBerdem
noch zwei aus Narni. Aus der papstlichen Kanzlei wurde ein Breve
an den Statthalter der beiden Stadte erlassen, der jene Nonnen mit
dem Fluche bedrohte, die nicht innerhalb sechs Tagen nach Rom
aufbrachen, um von dort aus ihren Weg nach Ferrara zu nehmen.
Ercoles Gesandter konnte nicht genug die Energie riihmen, die
Lucrezia aufgewandt hatte, um den Herzog zufriedenzustellen. Aber
die Opposition in Viterbo gegen den Befehl des Papstes war groB;
die Priorin des Klosters, Suor Diambra, eine zweite Nonne, Suor
Lionarda, kamen von einem Dominikaner, dem Bruder Martin,
geleitet, sofort nach Rom, um zu erklaren, daB sie nicht nach Ferrara
gehen wurden,um so weniger, als einige junge und schone Schwestern
fur Ferrara gewahlt worden waren, und ihre machtigen Familien
fiirchteten, daB ihnen Boses widerfahren konne. Die Nonnen er-
wirkten sich Gehor beim Papst, doch Alexander VI. empfing sie sehr
streng und sagte nur drei Worte: ,,Siete mandate a Ferrara", Ihr
seid nach Ferrara bestimmt. Der Papst hatte aber nicht bedacht,
daB er es diesmal mit Frauen zu tun habe; die Nonnen gebardeten
sich eigensinniger als der Teufel, ,,ustinate piu che il diavolo",
fiihrten Klage bei Lucrezia, vergossen Tranen vor dem Obersten
der Dominikaner, drangten Bresciani, aber Lucrezia gab nicht nach.
174
ACHTES KAPITEL
Am 21. Dezember bereits berichtete Bresciani aus Viterbo an
Ercole, daB alle von ihm gewiinschten Nonnen in Rom seien, unci
,,daB auch nicht eine fehle". Da der Prior der Dominikaner nicht
wiinschte, daB die Schwestern die Reise in Gesellschaft einer milita-
rischen Eskorte zuriicklegten, versicherte ihn Bresciani, Lucrezia
wiirde Sorge tragen, daB ihnen unterwegs jeder angemessene
Schutz zuteil wiirde. Der Gesandte selbst traf alle Vorbereitungen fiir
diese Expedition und begleitete die Nonnen. Leinenmantel, mit einer
Wachsschicht iiberzogen, damit sie unterwegs nicht naB wiirden,
wurden fiir sie angeschafft, Maultiere und Lebensmittel hergerichtet.
Zuerst sollten sie sich dem Zuge anschlieBen, der Lucrezia nach
Ferrara geleitete, aber Ercole war dagegen; zwar bestimmte er ihnen
den gleichen Weg, den der Hochzeitszug zuriickzulegen hatte,
aber er empfahl ihnen, Lucrezia stets um einen Tag voraus zu sein.
Die Schwestern waren launisch und eigensinnig, ,,noiose", der
Maggiordomo der Fiirstin beklagte sich lebhaft iiber sie, sie er-
reichten Ferrara jedoch gliicklich, als die Stadt ihre Vorbereitungen
zum Empfang der Tochter Alexanders VI. traf. Ercole war begliickt
iiber die Ankunft der so sehnsiichtig erwarteten Nonnen; aber seine
Freude war nicht von langer Dauer, da die Unzutraglichkeiten im
Kloster in dem MaBe stiegen, daB man nach wenigen Tagen fiinf
der neu hinzugekommenen Schwestern zuriickschickte, sicherlich im
Einverstandnis mit dem Herzog.
Ill
Haufig erstatteten die ferraresischen Gesandten dem Herzog
Bericht iiber den Verlauf der Reise; es war kalt, die Frauen des
Reisens zu Pferde ungewohnt, so kam die Kavalkade nur langsam
von der Stelle. In Spoleto, in Terni, in Foligno, uberall wurde die
Tochter des Papstes feierlichst empfangen. Zwei Meilen vor Gubbio
schloB sich die Fiirstin Elisabetta von Urbino dem Zuge an; fiir sie
war der zweite Platz in der Sanfte vorgesehen, die Alexander VI.
Lucrezia geschenkt hatte. Die stolze Montefeltro erniedrigte sich,
um ihr kleines Herzogtum vor Cesare Borgias Habgier zu retten,
LUCREZIA BORGIA 175
aber ihre Demiitigung war umsonst, der furchtbare Sohn des Papstes
vertrieb sie einige Monate spater aus diesem Urbino, an dem sie
so sehr hing. Elisabetta und Guidobaldo, ihr Gemahl, muBten als
Fliichtlinge Schutz beim gastlichen Hofe von Mantua suchen. Die
Fiirstin leistete Lucrezia bis nach Ferrara Gesellschaft, unterwegs
berichtete sie nur kurz an Isabella d' Este, daB sie es fur uberfliissig
erachte, ihr die Reise zu beschreiben, da sie ja wisse, daB El Prete
ihr ausfuhrlich iiber alles Bericht erstatte.
In Pesaro begriiBten hundert Kinder mit Olzweigen in den
Handen Lucrezia, sie trugen Rot und Gold, die Farben der Borgia.
Dort muBte sich Lucrezia einen ganzen Tag aufhalten, um ihr Haar
zu waschen und vermutlich aufs neue zu farben; wenn sie diese
Prozedur nicht haufig vornahm, bekam sie Kopfweh.
Auch in Cesena gab es einen prachtigen Empfang. Cesares
Generalstatthalter, die Altesten der Stadt und ein Zug, der nach
Tausenden zahlte, begriiBten und geleiteten sie in den prachtigen
Palast der Malatesta; alle Glocken klangen, und aus Bollern wurde
geschossen. Francesco Uberti, ein lokaler Dichter und Verehrer
Cesares, besang in seinen Versen jenen feierlichen Augenblick und
freute sich, daB die ,,bescheidene Venus", wie er Lucrezia nannte,
das boshafte und beleidigende Gerede besiege.
Je naher sie Ferrara kamen, desto trauriger wurde die Braut;
sie wuBte von allem Feilschen um ihre Person, wuBte, daB der Papst
sie Ferrara aufgedrangt hatte, und muBte die Demiitigung tief emp-
finden. Die Gesandten berichten, daB sie die Einsamkeit aufsuche;
in Pesaro hatte sie ihre Frauen am Abend tanzen lassen, wahrend
sie selbst in ihrem Gemach verblieben war. In Rom hatte sie ihr
Sohnchen Rodrigo gelassen; dort hatte sie ihre stiirmische Jugend
verlebt, jetzt fiirchtete sie den kiihlen Empfang in Ferrara. Auch
Sforza beunruhigte sie, der im nahegelegenen Mantua weilte und
Rache briitete. Zwar hatte Alexander VI. Ercole empfohlen, Gio-
vanni zu beobachten, aber der rachsiichtige Sforza konnte doch
Lucrezia auf die eine oder andere Weise zu nahe treten.
Physisch erschopft durch die beschwerliche Reise, moralisch
gebrochen durch die UngewiBheit der Zukunft, so naherte sich
Lucrezia dem Ziel ihrer Fahrt. Aber schon im Kastell Bentivoglio
176 ACHTES KAPITEL
trat ein unerwartetes Ereignis ein, das ihr Mut gab. Verkleidet
war Alfonso gekommen, um sie zu begriiBen und vor dem feier-
lichen Einzug in Ferrara kennen zu lernen. Er war ihr ganz fremd,
es lafit sich nicht einmal nachweisen, dafl er ihr geschrieben hat,
wahrend die Eheverhandlungen gepflogen wurden. Im Kastell
Bentivoglio empfingen die kiinftigen Galten in einer zwei Stunden
wahrenden Unterhaltung einen giinstigen Eindruck voneinander.
Das Eis war gebrochen, Lucrezia kam Alfonso nach den Versiche-
rungen eines Anwesenden ,,mit groBer Fiigsamkeit und Grazie"
entgegen, er reiste befriedigt fort, sicherlich hat ihm die reizvolle
Frau, die alle durch ihre Anmut besiegt hat, Eindruck gemacht.
Eine zweite weniger angenehme Begegnung wartete Lucrezias
in Malalbergo. Isabella Gonzaga, die Markgrafin von Mantua,
Alfonsos Schwester, war ihr dort entgegengereist. Sie war gegen diese
Heirat gewesen, die ihr als Demiitigung der estensischen Familie
erschien. ,,In frohlicher Wut", wie sie ihrem Manne schrieb,
empfing sie die Schwagerin, aber wahrend der Hochzeitsfeierlich-
keiten langweilte sie sich, war mit allem unzufrieden und verlangte
schnellmoglichst nach Mantua zuriickzukehren.
Die Feste in Ferrara gehoren zu den allerprachtigsten der
Renaissance. Ercole sparte nicht, um den Fremden durch den
Glanz seines Hofes die Wunde zu verbergen, die ihn brannte:
die Aufnahme dieser Schwiegertochter in das alte Geschlecht der
Este. Aber Lucrezia erleichterte ihm seine Aufgabe; durch ihre
strahlende Anmut und Liebenswiirdigkeit, die alle Herzen gefangen-
nahm, schien sie die boshaften Geriichte, die man iiber sie ver-
breitet hatte, Liigen zu strafen.
Alexanders Tochter zog auf einem Schimmel ein, iiber den eine
Decke aus Scharlach gebreitet war; sie trug ein schwarzes gold-
gesticktes Samtgewand, dessen breite Armel in malerischen Falten
hinunterfielen. Ihre Schultern deckte ein Mantel aus Goldbrokat
und Hermelin, das geloste Haar umschloB ein zartes, diamanten-
geschmucktes Netz, ein Geschenk Ercoles I., und ihren Hals
schmiickte eine Kette von Perlen und Rubinen, die ferraresisches
Erbgut war. Die Professoren der Universitat zu Ferrara hielten
einen purpurnen Baldachin iiber die Herzogin.
LUCREZIA BORGIA
177
Vor dem Tore des Castell Tebaldo scheute das durch die Schiisse
erschreckte Pferd, Lucrezia glitt auf den Boden, erhob sich jedoch
im namlichen Augenblicke. In jenen aberglaubischen Zeiten hat
der Zwischenfall sicherlich AnlaB zu traurigen Vorhersagungen
gegeben.
Der Hoclizeitszug war auBerordentlich lang und farbig. An der
Spitze waren berittene Bogenschutzen in WeiB und Rot, den Farben
der Este, daneben Trommler und Pfeifer. Ihnen folgte Don Alfonso,
umgeben von acht Pagen und einem stattlichen Gefolge ferrare-
sischer Edier. Er trug ein Kleid aus rotem Samt, auf dem Kopfe
saB ein schwarzes Samtbarett mit goldener Agraffe. Sein kastanien-
farbenes Pferd war mit einer karmoisinroten goldgestickten Decke
bedeckt. Die Mitte des Zuges bildete Lucrezia, ihr folgte in ge-
messenem Ernst Fiirst Ercole I. in schwarzem Samtgewand, auch
sein Pferd hatte schwarzsamtnes Geschirr. Hinter Ercole Lucrezias
Hofstaat, ihre Hofdamen und Donna Adriana, die ehemalige Haus-
hofmeisterin und Vertraute Alexanders VI. Als der Zug sich dem
Platz vor dem Schlosse naherte, HeBen sich zwei Seiltanzer mit
unerhorter Geschicklichkeit an langen Stricken von den SchloB-
turmen herab und begriiBten die Braut. Ohne Hofnarren ging es
eben in der Renaissance nicht ab.
Isabella erwartete Lucrezia auf der Palasttreppe und geleitete
sie beim Klange der Musik in den Thronsaal, wo die junge Herzogin
neben ihrem Gemahl unter einem goldenen Baldachin (capo cielo)
Platz nahm und eine lange Ansprache anhoren muBte. Der Saal
war mit fiinf groBen, aus Seide, Gold und Silber gewebten Teppichen
geschmiickt.
Der erste Festtag war voriiber. Auf die Bevolkerung hatte die
junge Herzogin den besten Eindruck gemacht; man erzahlte, sie sei
schlank, habe wunderschones, blondes Haar, weiBe Zahne, eine
zierliche Nase, lebhafte frohliche Augen von schwer zu bestimmender
Farbe, und pries ihre Liebenswiirdigkeit und Anmut. Cagnola,
der aus Parma zu den Hochzeitsfeierlichkeiten gekommene Ge-
sandte, der sehr ausfiihrliche Aufzeichnungen iiber alles hinter-
lassen hat, notiert, Lucrezia habe helle Augen, einen etwas groBen
Mund, einen gutgeformten, weiBen Hals, und Heiterkeit und Froh-
I78 ACHTES KAPITEL
sinn gehen von ihr aus. Ihre schone Gesichtsfarbe, dolce ciera,
riihmt in ihren Brief en auch die Marquise von Cotrone, Isabellas
Hofdame, obgleich sie sich ziemlich unfreundlich iiber Lucrezia
ausgesprochen hat und der Ansicht war, daB ihre Herrin Isabella
wahrend dieser Feste das Schonheits-,,Pallio" erringen wiirde.
All diese Beschreibungen stimmen mehr oder weniger uberein
mit Lucrezias Bildnis auf einer Medaille, die ,,a l'amour captif"
genannt wird, weil auf der Riickseite ein an einen Lorbeerzweig
gefesselter Amor dargestellt ist, neben dem verschiedene Musik-
instrumente liegen. Diese Medaille ist wohl ziemlich unmittelbar
nach Lucrezias Ankunft in Ferrara geschlagen worden und zeigt
uns ihr authentischstes Portrat.
Angesichts des Zaubers, der von Lucrezia ausging, verstummte
selbst die damals sehr scharfe Satire, und anstatt die Tochter des
Papstes, die geschiedene Frau und Witwe zu kritisieren, begann
man dem alten Herzog vorzuwerfen, daB er allzu viel Geld fur die
Festlichkeiten verschwende. Ober den Theatersaal des Palazzo
della Ragione, wo Plautus' Komodien aufgefiihrt wurden, ergoB
sich eine Flut von Sonetten, die auf den alten Herzog wegen seiner
Verschwendungssucht stichelten, an diesen Lasten hatten dann
die Untertanen zu tragen. Um seine Einnahmen zu vergroBern,
pflegte der Herzog die Amter zu verkaufen, vor Lucrezias Hoch-
zeit waren die Preise fur die offentlichen Anstellungen hoher denn
je gewesen. Fur eine sehr hohe Summe bestatigte Ercole damals
Titus Strozzis Wahl zum giudice de savi, obgleich das Volk ihn haBte.
Den Glanzpunkt des Hochzeitsfestes bildeten Balle, Theaterauf-
fiihrungen, Moresken und Turniere. Auf dem groBen Ball im
SchloB tanzte Lucrezia romische und spanische Tanze beim Klang des
Tamburins. Sie liebte es, durch Solotanze, die damals sehr beliebt
waren, zu glanzen. Ohne schweren Zwischenfall waren die Turniere
abgelaufen, nur Guido Vaino da Imola hatte dem Pferd seines
Gegners Aldovrandino Piatese drei schwere Wunden beigebracht;
da das Tier gemietet war, muBte Piatese fiinfzig Dukaten dafur
bezahlen.
Ercoles schwache Seite war, wie schon erwahnt, das Theater,
er gab dafiir Unsummen aus. Im Saale des Palazzo della Ragione,
LUCREZIA BORGIA 179
In dem sonst der Podesta amtierte, war eine Biihne errichtet worden,
Von vierzig Ellen Lange und fiinfzig Ellen Breite. Die Dekorationen
bestanden aus gemalten Hausern, Felsen, Baumen und verschiedenen
anderen Dingen. Von den Zuschauern trennte die Biihne eine niedrige
Holzwand. In dem fur das Publikum reservierten Teil des Saales
safien vorn die Herzoge und der Hof, dahinter die ubrigen Zu-
schauer in dreizehn amphitheatralisch aufgestellten Bankreihen.
Dreitausend Menschen fanden Platz; in der Mitte die Frauen, zu
beiden Seiten die Manner. Mit griinem Stoff waren der Saal und die
Banke ausgeschlagen. Fiinf Wappenschilde strahlten an der
Decke: in der Mitte das Wappen des Papstes, rechts das des Konigs
von Frankreich und der Este, links das der Borgia und ein altes
estensisches. Vor dem Beginn der Vorstellung hatte der Herzog
die Kostiime, die bei den Auffuhrungen beniitzt wurden, aus-
gestellt, damit die Gaste sahen, daB jedes Stuck seine besondere
Kostiimausstattung habe. Es gab insgesamt hundert Anziige fiir
Manner und Frauen, zumeist aus leichtem Wollstoff gefertigt. Lite-
raten und Kiinstler hatten fiir die Theaterauffiihrung gearbeitet,
Maschinen und Zuriistungen erdacht, Dekorationen gemalt. Be-
sonders hatten sich um den Glanz der Auffuhrungen verdient ge-
macht Fino de Marsigli, Trulo, Giovanni da Imola, Pelegrino da
Udine und Dosso und seine Schuler. Die Musik hatte Maestro Alfonso
della Vinola komponiert, und zu den Hauptsangern und Sangerinnen
gehorten Madonna Dalida, Maestro Alfonso Lanto und Giovanni
Michele.
Die szenischen Auffuhrungen dieses Hochzeitsfestes waren von
epochemachender Bedeutung in der Entwicklung des modernen
Theaters. Aus alien Gegenden Italiens hatte Ercole Kiinstler kommen
lassen, er lieB den ganzen Zyklus auffiihren, fiinf Stiicke von Plautus,
denen ein fiir diesen AnlaB gedichteter Prolog voranging. Bis auf
einen Abend wurde vom 3. bis zum 8. Februar taglich Komodie
gespielt, die Auffuhrungen wurden durch Konzert, Moresken oder
Seiltanzer unterbrochen, um sie mannigfaltiger zu gestalten. Plautus
,,Bacchides" dauerten fiinf Stunden; Isabella Gonzaga vermochte
es vor Langerweile nicht auszuhalten und schrieb ihrem Manne,
diese ganze Hochzeit sei so langweilig und kalt, daB sie schon
180 ACHTES KAPITEL
tausend Jahre zu wahren scheine. Die Auffiihrungen dauerten
von sechs oder sieben Uhr abends bis um Mitternacht. Die Moresken,
eine Art von Pantomime mit Musik und Tanz, waren fur das Pu-
blikum eine Erholung, aber an Plautus' Komodien begeisterten
sich hochstens Ercole und die Universitatsprofessoren.
In einer der Moresken kam ein grofier Wagen auf die Buhne, dem
ein Einhorn, das Symbol der Este, vorgespannt war. Eine schone
Jungfrau hielt die Ziigel, und auf der Plattform des Wagens spielte
sich die ganze ,,Historie" ab. Die Nymphe befreite einige an Baume
gefesselte Gefangene, und sie, froh der errungenen Freiheit, be-
gannen beim Klang der wahrscheinlich eintonigen und langweiligen
Musik zu tanzen. Auch zehn Neger tanzten mit brennenden Fackeln
zwischen den Zahnen und zehn Gladiatoren zeichneten sich durch
einen Kriegstanz aus.
Unter den Zuschauern nahmen die alteren Leute AnstoB am Tanz
von Mannern und Frauen in fleischfarbenen Trikots, in denen die
Tanzenden wirkten, als wenn sie ganz nackt waren. Die Tanzerinnen
streuten ein wohlriechendes Pulver auf den Boden, so daB der ganze
Saal von wunderbarem Duft erfiillt war. Mit Raffinement wollte man
auf Sinne und Phantasie wirken. Ercole liebte schliipfrige Ko-
modien, selbst Isabella fand des Unmoralischen zuviel auf der
Buhne und schrieb nach der Auffuhrung der ,,Casina" ihrem Mann
einen Brief voll boshafter Anmerkungen.
Im kleineren Kreise lieB die Markgrafin ihre Stimme horen,
namentlich um den franzosischen Gesandten zu erfreuen, gegen den
sie sich sehr huldreich erwies. Nachdem sie sich langere Zeit mit
ihm unterhalten hatte, zog sie ihren Handschuh ab und verehrte ihn
ihm als Erinnerungszeichen.
Ihre Stimme pries Trissino in seiner Kanzone ,,Gentil signora":
,,Ma quando le sue labbra al canto muove,
Tanto dolcezza piove
Dal ciel, che 1' aere si rallegra, e il vento
A si dolce armonia s' afferma intento."
Der letzte Tag der Festlichkeiten war zur Ubergabe der Geschenke
an die Neuvermahlten bestimmt. Die Gaben waren seltsam genug.
LUCREZIA BORGIA x8i
Der franzosische Konig schickte Lucrezia einen Rosenkranz aus
goldenen Kugeln, die mit Bisam gefiillt waren, es war dies damalseine
groBe Kostbarkeit; fiir Don Alfonso fiigte er einen Schild hinzu,
auf dem in Email Maria Magdalena dargestellt war — dazu schenkte
er ihm eine Vorschrift fiir das GieBen der Geschutze. Die Gesandten
der iibrigen Lander legten zu Lucrezias FiiBen Brokatstoffe nieder
und silberne GefaBe von kostbarer Arbeit. Mit einem eigenartigen
Geschenk bedachten sie die Venezianer. Sie lieBen fur ihre Gesandten
Dolfin und Foscolo besonders kostbare Mantel aus Karmoisinsamt
mit Hermelin verbramt arbeiten, ehe die Gesandten nach Ferrara
reisten, muBten sie in den groBen Ratssaal gehen und sich in diesen
Manteln dem versammelten Senat und viertausend Zuschauern
prasentieren. Fiir den einen dieser Mantel waren zweiunddreiBig,
fiir den anderen achtundzwanzig Ellen Samt erforderlich. Eben
diese Mantel boten die Gesandten Lucrezia zum Geschenk dar. Zuerst
prasentierten sie sich der Herzogin darin, hielten lange italienische
und lateinische Ansprachen, dann verschwanden sie im Vor-
zimmer, legten die kostbaren Mantel ab und lieBen sie Lucrezia
iibergeben. Ganz Ferrara hat die Venezianer ausgelacht.
Wahrend der Feste schrieb Isabella ihrem Manne taglich; ihre
Briefe verraten ihre schlechte Laune und ihre Unzufriedenheit
dariiber, daB Lucrezia einen gunstigern Eindruck macht, als sie
erwartet hatte. Dagegen behaupten Isabellas Anhanger, daB
sie schoner als Lucrezia sei und ihr auch iiberlegen in der Fahig-
keit, sich in dieser glanzenden Gesellschaft leicht und sicher zu
benehmen. Die Marchesa de Cotrone berichtet ihrem Verlobten
Francesco Gonzaga, Isabella iiberstrahle alle Frauen an Schonheit
und Grazie, mit ihr verglichen waren alle nichts, ,,una niente".
B. Capilupo schreibt dem Marchese von Mantua, Isabella gebuhre
die Palme. Wahrend der Feste zu Ferrara wurden fiinf Frauen
am meisten genannt: Lucrezia, Isabella, Elisabetta von Urbino,
Emilia Pia und die Marchesa de Cotrone. Capilupo, ein befangener
Zeuge, weist Lucrezia unter ihnen den letzten Platz an. Als Isabella
sich mit dem franzosischen Gesandten unterhielt, erregte sie die
Bewunderung aller durch ihre iiberlegene Art und die Eleganz
ihrer Beredsamkeit. Boshaft fiigt Capilupo hinzu, obgleich Lucrezia
^2 ACHTES KAPITEL
mehr mitMannern zu tungehabt habe als dieMarchesaundElisabetta,
konne sie sich ihnen im verstandigen Gesprach nicht vergleichen.
Die Trauung zu Ferrara war ein groBes Ereignis in der eleganten
Welt. Die geringfiigigste Kleinigkeit in der Kleidung von Mann
oder Frau, die man bei einer festlichen Versammlung beobachtete,
wurde beschrieben und analysiert, die Striimpfe a la Sforzesca
wurden ebenso angestaunt wie die Baretts a l'antiqua und eine
Fiille anderer Details. Die Frauen interessierten sich besonders fur
die Spanier, die in Lucrezias Gefolge nach Ferrara gekommen
waren. Um jene Zeit fingen die Spanier an, eine tonangebende
Rolle in der rdmischen Gesellschaft zu spielen — italienische Hoflich-
keit und italienische Sitte hat nicht wenig Schaden daran genommen.
In dem MaBe als die Macht der Borgia stieg, wuchs die Zahl der
Spanier, die sich in Rom niederlieBen und dort nach Stellung und
Verdienst suchten. Selbst spanische Hoflinge begannen in Mode zu
kommen; auf den StraBen und in Gesellschaft horte man fort-
wahrend spanisch sprechen, man las spanische Romane, kutschierte
a la spagnola, kleidete sich auf spanische Art und eignete sich eine
Menge spanischer Ausdriicke und Wendungen an. Jeder Kramer und
Diener wurde ,,Don" angesprochen, und die Zahl der Duelle stieg.
Dieses spanische Element war ein Verhangnis fur Italien.
Soweit wirkliche Kultur und Charaktereigenheit in Frage kamen,
standen die Spanier viel tiefer als die Italiener. In den Jahrhunderte
wahrenden Kampfen mit den Mauren hatten sie auBerlich die aus-
gesuchte Hoflichkeit und Ritterlichkeit der Mauren angenommen,
aber die wirklichen Tugenden und die hohe Kultur des unter-
jochten Volkes hatten sie sich nicht zu eigen gemacht. Die lang-
wahrenden religiosen Rassenkampfe hatten blutgierige Raubtier-
instinkte in ihnen entwickelt, die sich hinter auBerem Firnis
verbargen. Ihre Religion war Aberglauben, ihr Ehrgefiihl Durst
nach Rache und Vendetta, jeder Moralbegriff fehlte ihnen. Sie
waren beriichtigt wegen ihrer Unehrlichkeit und ihrer widerlichen
Angewohnheiten .
Dem Reiz der fremdlandischen Galanterie erlagen die jungen
Italienerinnen jedoch am haufigsten und zeichneten lange Zeit
die Spanier aus. Wahrend der Hochzeitsfeste in Ferrara beob-
LUCREZIA BORGIA ^3
achtete man, daB Lucrezias Donzellen im Gansemarsch, eine hinter
der anderen, einherritten, um ihr Kostum in all seinen Besonder-
heiten von den Spaniern bewundern zu lassen, die die Gewohn-
heit hatten, sich dort aufzustellen, wo die Frauen vorbeikamen,
und ihnen zudringlich nachzusehen.
Als die Feste voriiber waren, fuhren die Gaste auseinander,
nur Donna Adriana mit ihren rdmischen Damen und ihrem gesamten
Gefolge riistete nicht zum Aufbruch. Ercole I. war verzweifelt, es
gait infolge ihres verlangerten Besuches fiir den Unterhalt von
vierhundertfiinfzig Menschen und dreihundertfiinfzig Pferden zu
sorgen. Die Vorrate an Lebensmitteln und Futter waren bereits
wahrend der Hochzeitsfeste aufgebraucht, und die Last, diesen
fremden Hofstaat langere Zeit zu erhalten, war unertraglich. Ercole
schrieb sogar an seinen Gesandten nach Rom, damit der Papst
Adriana zur Riickkehr auffordere, aber Lucrezias ehemaliger
Hofmeisterin schien es in Ferrara sehr gut zu gefallen, da sie sich
erst im Mai zur Abreise verstand. Die Bevolkerung von Ferrara
fiihrte bittere Klage, da die Hochzeitstage allein 25 000 Dukaten
verschlungen hatten.
Das junge Paar bezog das Castel Vecchio. Eine unfreundliche
Residenz: in den Kellern Gefangene, und iiber dem stehenden Wasser,
das das SchloB umgab, zahllose Miickenschwarme. Der Papst er-
kundigte sich, ob Lucrezia gliicklich sei; als ihm berichtet wurde,
daB Don Alfonso nur am Tage Vergniigungen auBerhalb des Hauses
nachgehe und die Nachte bei seiner Gattin verbringe, war er zu-
frieden. Der beruhmte Ritter Bayard, Lucrezias heiBer Verehrer,
bezeugt in einem seiner Briefe die Zufriedenheit des Papstes, indem
er hinzufiigt, daB Alexander Don Alfonso gelobt habe. „I1 signor
Don Alfonso va a piacere in diverse loci come giovane, il quale,
dice Sua Santita, fa molto bene."
IV
Ob Lucrezia mit diesem Vorgehen ihres Mannes ganz ein-
verstandcn war, ist fraglich, aber die Tochter des Papstes fiihlte
die starke Hand eines Gatten, mit dem nicht zu scherzen war.
^4 ACHTES KAPITEL
Bonaventura Pistofilo, der langjahrige Sekretar, Biograph und
Vertraute von Alfonso, schildert den Herzog als einen groBen, starken
Mann, der physische Anstrengungen liebte. Sehr scharfsinnig und
von sanfter Gemutsart, hatte er viel gelernt, in seiner Jugend
Frankreich und England bereist; er war musikalisch und hat es
auf der Geige zu groBer Virtuositat gebracht; besonders liebte er
ritterliche Spiele, Jagd und Pferde und schwamm wie ein Stor in
seinem Po. GroBe Gesellschaften vermied er, aber mit Leuten
niedrigeren Standes gab er sich gem ab, mit Ingenieuren und Ar-
beitern, die ihm in seinen Beschaftigungen beistanden. Er baute
unablassig, arbeitete an der Verbesserung der Geschiitze und an
der Hebung der Fayenceerzeugnisse. Er war ein auBerordentlich
gewissenhafter, gerechter Herrscher und verlangte auch von seinen
Untertanen Gerechtigkeit.
Alfonsos, von Pistofilo uberlieferte Charakteristik deckt sich
mit dem Eindruck, den das Portrat des Herzogs in der estensischen
Galerie zu Modena macht, es ist die Kopie eines Originalbildes von
Tizian. Der Herzog, ein kraftiger, breitschulteriger Mann mit
langlichem Gesicht, starkem Bart, stiitzt sich mit der Rechten
auf eine Kanone, vielleicht eines jener drei Geschiitze, die seinen
Ruhm bildeten: ,,Grandiavolo", ,,Terremoto" und ,,Giulia". Das
letzte war aus der ungeheuren Statue Julius' II. gegossen, dem Werke
Michelangelos, welche das Volk von Bologna, das den Papst haBte,
wahrend der Revolution am 30. Dezember 151 1 zertriimmert hat.
Ferrara bedurfte um jene Zeit eines ernsten, starken Herrschers.
Nacheinander haben drei Papste nach der estensischen Herrschaft
gestrebt: Julius II. mit Gewalt und List, Leo X. und Klemens VII.
durch Treubruch und Verrat. Die Zeiten waren sehr schwer, es gait
nicht nur sich der Papste zu erwehren, sondern fortwahrend Schutz
zu suchen bei einem der beiden europaischen Potentaten, dem Konig
von Frankreich oder dem Konig von Spanien, die sich unablassig
befehdeten. Ein Lavieren in Gefahren.
All das iiberstand Alfonso; es kamen Zeiten, wo er Modena,
Reggio, Polesina verloren, wo Julius' II. Bann auf ihm gelastet,
wo die Pest die Bevolkerung von Ferrara dezimierte, und Erdbeben
Land und Leute zerstorten, und schlieBlich kam jener Augenblick,
ALFONSO I. D'ESTE
KOPIE DOSSIS NACH TIZIAX. MODENA, GALERIE
LUCREZIA BORGIA
185
wo der Herzog nach der Schlacht bei Bastia, an der Schlafe von
einem Stein, der aus dem eigenen GeschoB stammte, getroffen,
wie tot am Boden lag. Es waren schwere Zeiten: bei Giacomo d'Am-
brogio, dem Bankier zu Verona, mufite er fiir 450 Lire 2883 Medaillen
versetzen, die seine Vorfahren gesammelt hatten, spater selbst
Lucrezias Kleinodien verpfanden; Alfonso hat all dem die Stirn
geboten, sich der Papste erwehrt, den denkwiirdigen Sieg bei Ra-
venna (am 11. April 1512) erfochten, die Medaillen und Kleinodien
eingelost, den verlorenen Besitz zuriickerworben, und nach langer
und glanzvoller Herrschaft hinterlieB er sein Reich dem altesten
Sohne, Ercole II., im Jahre 1534.
Einem so tatigen Fiirsten blieb nicht viel Zeit und MuBe zur
Pflege der Literatur, besonders da seine Interessen eher bildender
Kunst: Architektur und Malerei, gehorten. Dafiir bemiihte sich
Lucrezia in Friedenszeiten ein Zentrum fiir das geistige Leben
zu schaffen, und in der Tat gehorte der Hof von Ferrara wahrend
ihrer Herrschaft in dieser Beziehung zu den beruhmtesten und
glanzendsten der Renaissance.
Lucrezia iibte einen besonderen Reiz aus: sie wurde von ihrer
ganzen Umgebung geliebt, und die Literaten, deren es in Ferrara
soviel gab, priesen in lateinischen und italienischen Versen ihre
Tugenden und ihren Verstand, teils aus Verehrung, teils um ihr
zu schmeicheln. Durch ihre Giite und Zuvorkommenheit besiegte
sie alle, nur Isabella war uneinnehmbar, und Lucrezia vermochte
trotz ihres ernsthaften Strebens sich hier keine Zuneigung zu
erringen.
Um sich gegen die Markgrafin von Mantua liebenswiirdig zu
erweisen, schrieb sie ihr kurz nach der Trauung (am 14. Mai 1502),
daB sie sehr wiinsche, ihre Biiste in Marmor zu besitzen, und da
Gian Giacomo, ein romischer Goldschmied und Bildhauer, in Ferrara
aufgetaucht sei, bat sie sie, ihm sitzen zu wollen. Ob diese Biiste
jemals in Angriff genommen wurde, wissen wir nicht, aber die Be-
kanntschaft mit diesem romi6chen, wahrscheinlich untergeordneten,
Kiinstler nahm ein peinliches Ende, da der Bildhauer-Goldschmied,
nachdem er sich ein Jahr in Ferrara aufgehalten, Lucrezia zwei
kostbare Steine, einen Rubin und einen Diamanten, gestohlen und sich
lS6 ACHTES KAPITEL
insgeheim nach Mantua begeben hat, wo man ihn jedoch nicht er-
wischen konnte.
In Ferrara huldigte alles Lucrezia, selbst der alte Titus Strozzi
war ihr Verehrer. Er sandte ihr ein iiberschwengliches Epi-
gramm, obgleich er die Grenze des Alters, das Menschen bestimmt
ist, erreicht und langst der Liebe vergessen habe, sei er bei ihrem
Anblick in Liebe entbrannt und lage gefesselt zu ihren FuBen.
Ihr Bild habe zwar ein beriihmter Meister gemalt, aber menschliche
Kunst vermoge diese gottliche Schonheit nicht wiederzugeben.
Lucrezias Linke schmiicke ein Armband in Gestalt einer Schlange;
wenn, wie man sagt, der SchlangenbiB eine namenlose Sehnsucht
erwecke, so sei dieser Reif ein bezeichnendes Symbol. Im BewuBt-
sein ihrer Tugend und Reinheit brauche die Fiirstin den BiB des
Neides nicht zu gewartigen, da alle Herrlichkeiten des Himmels
und der Erde sich in ihr vereinigt hatten. Wer sie nicht gesehen
habe, sei zu bedauern, wer sie jedoch gesehen habe, wiirde in Ewig-
keit von Liebessehnsucht verzehrt werden.
Nicht nur der Vater, auch Ercole Strozzi, der Sohn, huldigte der
bezaubernden Fiirstin. Obgleich Ercole hinkte, hatte er viel Gliick
bei Frauen, und sein Gebahren Lucrezia gegeniiber begann bereits
Alfonsos MiBtrauen zu erwecken. Lucrezia scheint dem jungen
Strozzi eine Rose geschenkt zu haben, die sie vorher an ihre Lippen
gefiihrt hat; dies bot den AnlaB zu einem leidenschaftlichen Epi-
gramm Strozzis:
Laeto nata solo, dextra, rosa, police carpta;
Unde tibi solito pulcrior, unde color?
Num te iterum tinxit Venus? an potius tibi tan turn
Borgia purpureo praebuit ore decus?
,,Rose, dem Boden der Freude entsproBne, vom Finger gepfliickte,
Warum scheinet als sonst schoner dein farbiger Glanz?
Farbt dich Venus aufs neu? hat eher Lucreziens Lippe
Dir im Kusse so hold schimmernden Purpur verliehn?"
Ercole Strozzi sang auch vom marmornen Cupido, der in
Lucrezias Schlafgemach stand und sich zum Stein gewandelt,
als er seine Herrin geschaut. Ihr Anblick wirkt wie der der Meduse;
LUCREZIA BORGIA 1S7
zum Stein wird jeder, der sie sieht, aber die Liebesglut brennt weiter
in ihm und entlockt dem Stein noch Tranen.
Schon um 1505 und 1506 scheint Alfonso auf Ercole eifersiichtig
gewesen zu sein, er haBte und verdachtigte ihn, und damals scheinen
Eifersucht und Zorn in ihm entstanden zu sein, die zwei Jahre spater
eine furchtbare Tragodie zur Folge hatte.
Jener KuB auf die Rose, die Ercole geschenkt ward, war nichts
als Tandelei, und Alfonso brauchte sich daruber nicht zu beun-
ruhigen; zum Hofstaat der Herzogin gehorte aber damals schon
ein anderer gelehrter Dichter, der den hauslichen Frieden im Schlosse
zu Ferrara hatte triiben konnen: es war kein anderer als PietroBembo.
In der Ambrosiana zu Mailand befinden sich Briefe, die dort
nach vielen Irrfahrten gelandet sind. Es sind im ganzen neun,
sieben italienische, zwei spanische, und ihre Oberschrift: ,,A1 mio
carissimo M. Pietro Bembo" gibt so manches zu denken. Sie tragen
die Unterschrift: ,,Lucretia Estense da Borgia", ihre Herkunft
steht also auBer Zweifel. Diese Briefe sind vorsichtig abgefaBt,
in Worten und Wendungen, aus denen sich nicht unbedingt folgern
laBt, daB ein intimeres Verhaltnis zwischen der Furstin und dem
jungen Venezianer bestanden habe. Aber Don Alfonso hatte die
beigelegte blonde Locke so wenig begliickt wie die Liebesgedichte
in spanischer Sprache.
Lucrezia hat sich am Hofe zu Ferrara einsam gef iihlt ; ihren Mann
hat sie nie geliebt, ihrer Umgebung konnte sie, vielleicht abgesehen
von einigen Frauen, die mit ihr aus Rom gekommen waren, nicht
unbedingt vertrauen. So konnte sie dazu kommen, Pietro Bembos
Liebe zu erwidern. DaB diese Liebe bestanden hat, beweisen die
erwahnten Briefe, wenn man sie mit Bembos Briefen an A*** ver-
gleicht, die in seine gesammelten Schriften aufgenommen wurden.
Diese Briefe waren an Lucrezia gerichtet; die Vermittlerin der
Korrespondenz zwischen Bembo und der Herzogin war die schone
Angela Borgia, die Bembo einmal ,,angelo intercessore", den ver-
mittelnden Engel, nennt.
Bembo hatte ein sehr einnehmendes AuBere, eine sympathische
Stimme, er war weich und liebenswiirdig im Umgang und hatte
Frauen gegeniiber ein unerschopfliches Gesprachsthema, da er gerade
188 ACHTES KAPITEL
damals in Ferrara ,,Gli Asolani" schrieb, die Lucrezia gewidmet
waren. In Liebessachen scheint er erfahren gewesen zu sein, da
ihn an Venedig noch ein altes Verhaltnis aus dem Jahre 1501
band, das sich infolge seiner Entfernung allmahlich ldste.
Als Bembo sich im Friihling des Jahres 1505 mit seinem Vater
und der venezianischen Gesandtschaft zu Julius II. begab, machte
er zum erstenmal Station in Urbino und erregte dort die besondere
Aufmerksamkeit der klugen Emilia Pia. Sie schrieb, er sei ein
Mann, mit dem man rechnen miisse, ,,che veramente e uomo da
fame conto." Wahrend seines Aufenthaltes in Mantua, im gleichen
Jahr, machte er Isabella den besten Eindruck; er berichtet, daB
er dort sehr geehrt worden sei, ,,accarezzato et honorato".
Er war ein Mensch besonderer Art, was ja auch die Zukunft
bestatigt hat.
Schon zwei Jahre nach Lucrezias Hochzeit, im Juni 1503, klingt
in Bembos Briefen ein heiBes Gefuhl an. Er war damals in Ostalleto
bei den Strozzi, sie hatten dort ein Landhaus mit groBen Garten
und einer kostbaren Bibliothek, die jedoch in verwahrlostem Zustand
war, da Bembo sich beklagt, daB die Mause die Umschlage von
Aristoteles' Schriften zernagt hatten. Er bittet seine venezianischen
Freunde, agyptische Katzen zu besorgen, die bekannt dafiir waren,
im Mausefang zu exzellieren. Heute fehlt jede Spur der Villa und der
schonen Garten der Strozzi.
Am 3. Juni schickt Bembo der Herzogin aus Ostalleto zwei
Sonette und berichtet bei diesem AnlaB: ,,Nichts Neues kann ich
melden, ich konnte hochstens dieses ruhige Leben beschreiben,
die Einsamkeit, den Schatten der Baume, die Stille, die mir friiher
siiB und lieb waren — jetzt erscheinen sie mir langweilig und weniger
schon. Was bedeutet das? 1st es der Beginn eines t)bels? Ich wollte,
Ew. Herrlichkeit suchte in ihrem Biichlein nach, ob Ihre Gefiihle
den meinen entsprechen. Ew. Herrlichkeit Gnade empfehle ich
mich so viele mal, als es Blatter gibt in diesem Garten, in den ich
hinaussehe, gelehnt an jenes Hebe Fensterchen."
Das erwahnte Buch bezieht sich wahrscheinlich auf ein spanisches
Buch mit Sentenzen und Prophezeiungen, das Lucrezia haufig
befragte.
LUCREZIA BORGIA 189
Aus Bembos Gedichten aus jener Zeit spricht seine Zuneigung
fur die Herzogin. Die Gedichte stromen ihm zu; auch wenn er auf die
Jagd geht, denkt er mehr an ein zierliches Sonett als an das zu
belauschende Wild. In einem dieser Gedichte preist er Lucrezia:
nimmt die Fiirstin die Feder zur Hand und schreibt Verse, so gleicht
sie den Musen, beriihrt sie die Harfe mit ihren schonen Fingern,
so rauscht das Instrument sanft und milde wie der Po, tanzt sie, so
schreitet sie so leicht, daB man furchten muB, eine Gottheit wiirde
sie entfuhren und in einen Stern verwandeln.
Das Schlangenarmband, das Lucrezia trug, inspirierte Bembo wie
Strozzi zu Hexametern: als man einst eine Natter in das gold-
bringende Wasser des Tajo geworfen, wandelte sie sich zur goldenen
Schlange. Der spanische FluB wuBte nicht, was er mit diesem
Kleinod tun sollte, da fand er eine wurdige Frau, die sich damit
schmucken wollte, und diese Frau war Lucrezia.
Das ihr gesandte Sonett beantwortete die Herzogin mit einer
leidenschaftlichen spanischen Kanzone, fur die der Dichter mit
spanischen Versen dankte. Er entschuldigte sich, daB er die Sprache
nicht ganz beherrsche, und bat sie, diese Verse niemandem zu
zeigen.
Fortwahrend wurden Briefe zwischen Ferrara und Ostalleto ge-
wechselt; am 8. Juli bat Lucrezia den Dichter um eine Imprese.
Mit zwei Worten erfiillte Bembo diesen Wunsch: ,,Est animum" (sic !) ,
sie sind fur uns nicht ganz verstandlich. Der Inhalt der Briefe
wurde heiBer, Lucrezia wagte spater nicht mehr mit ihrem eigenen
Namen zu unterschreiben, sie zeichnete mit den Buchstaben F. F.
Bembo versichert sie in einem seiner Briefe, das grdBte Gliick des
Menschen bestiinde darin, als Eigenwesen zu sterben, um in einem
andern, in der Geliebten, weiterzuleben; an anderer Stelle nennt
er sie das ,,Licht seines Seins" oder ,,kiiBt ihre Hand, die schonste,
die er in seinem Leben an die Lippen gefiihrt".
Auf dem Lande war es Bembo zu einsam, er zog nach Ferrara,
aber dort erkrankte er in den ersten Augusttagen und muBte das
Bett hiiten. Lucrezia besuchte ihn und weilte lange beim Kranken.
Am nachsten Tage schrieb er ihr: ,,Euer Besuch hat die Schwache
von mir genommen, die meistens dem Fieber folgt, plotzlich ward
190
ACHTES KAPITEL
ich gesund wie nach einer gottlichen Medizin. Durch einen Blick
und die Beriihrung der Hand ward mir die Gesundheit wieder-
gegeben; da Eure mir so teuren Worte Liebe, Heiterkeit und Trost
spendeten, erweckten sie mich zum Leben."
Einige Tage nach diesem Besuch, am 18. August 1503, starb
Alexander VI., drei Tage nach seinem Tode kam die Trauerbotschaft
nach Ferrara. Es war ein schwerer Schlag fur Lucrezia, um so
schwerer, als nicht vorauszusehen war, welche Wendung ihr Schick-
sal jetzt nehmen wiirde. Bembo teilte ihren Schmerz, er begriff ihre
Angst und Sorge und ging sofort ins SchloB, um sie zu sehen und
zu trosten. Doch befriedigten ihn seine Worte nicht; da sie auf-
richtig waren, versagten sie in der Form, und am nachsten Tage
schrieb er ihr aus Ostalleto, um sich zu rechtfertigen: als er sie
in Tranen, in ihrem schwarzen Kleid gesehen habe, habe er keine
Worte gefunden, sondern empfunden, daB er selbst des Trostes
bediirfe, so sehr habe ihr Anblick seinen Sinn verwirrt. Ein zweiter
leidenschaftlicher Brief folgte, er riet Lucrezia, den Frieden ihrer
Seele in diesem wichtigen Augenblick zu wahren, trostete sie so gut er
vermochte, in sehr herzlicher Weise. ,, State sana", mit diesen
Worten beschloB er seinen schmerzerfullten Brief. Ein Satz am
SchluB dieses Briefes wirft ein trauriges Licht auf Lucrezias
Stellung am ferraresischen Hof: „Da die heutigen Umstande dies
verlangen," schreibt er, ,,musset Ihr niemand erkennen lassen,
daB Ew. Gnaden nicht nur iiber den jetzt erlittenen Verlust weint,
sondern auch aus Furcht, ob Euer Gliick am Hofe von Dauer sein
wird." Dieser Ausdruck ,,ancora la stante vostra fortuna" be-
weist, daB Lucrezia fiirchtete, ihre Stellung in Ferrara wiirde sich
nach dem Tode des Papstes andern, da sie weder der Liebe des
Gatten, den fortwahrend neue Liebesabenteuer beschaftigten, noch
der Zuneigung des alten Ercole sich sicher fiihlte. Und ihre Furcht
konnte berechtigt sein, da sie keine Nachkommenschaft hatte; ein
unglucklicher Zwischenfall hatte sie zweimal der Kinder beraubt,
und erst fiinf Jahre spater, am 4. April 1508, hat sie Alfonso den
ersten Sohn geboren. In diesen schweren Augenblicken war Bembo
vielleicht ihr einziger Vertrauter. Die UngewiBheit, wie die Este
sie nach dem Tode ihres Vaters behandeln wiirden, war durchaus
LUCREZIA BORGIA
191
begreiflich, denn Lucrezia wuBte, daB der alte Ercole sich iiber
den Tod des Papstes freue. Wahrend Bembo Lucrezia Worte des
Trostes sagte, schrieb der Herzog aus Belriguardo an Giangiorgio
Seregni, seinen Gesandten beim franzosischen Statthalter in Mailand,
und dankte Gott, daB er ihn von diesem Papst befreit habe, von dem
er trotz der neuen Familienbande nichts Gutes zu erwarten habe.
Den Widerwillen des Papstes gegen Ferrara schrieb Ercole nament-
lich Cesare zu, der die Este stets als Fremde betrachtet und ihnen
nie seine Plane anvertraut habe.
Drastischer driickt seine Freude iiber den Tod des Papstes der
Marchese von Mantua aus, der seiner Gattin Isabella d' Este am
22. September 1503 schreibt aus Isola Farnese, in der Nahe Roms,
dem Hauptquartier der franzosischen Armee. Er berichtet, der
Papst habe nach dem Tod seines Vorgangers Innocenz VIII. einen
Pakt mit Satan geschlossen und den papstlichen Stuhl mit seiner
Seele erkauft. Zwolf Jahre der Herrschaft waren Alexander VI.
vom Teufel garantiert, er hat sein Versprechen gehalten, ja dem
Papst sogar vier Tage iiber die bestimmte Zeit zugestanden. In
Alexanders Todesstunde warteten sieben Teufelchen seiner, und
sein Mund schaumte wie kochendes Wasser im Kessel. Aus diesem
Grunde wollte niemand den Toten anriihren, so daB der Toten-
graber ihm einen Strick um die Beine band und ihn daran aus dem
papstlichen Schlafgemach ins Grab schleppte.
Es wurde allgemein geglaubt, daB der Teufel sich persdnlich
eingestellt habe, um Alexanders VI. Seele in Empfang zu nehmen.
Diese Nachricht drang jedenfalls auch nach Ferrara und erleichterte
Lucrezias Stellung nicht; man darf sich auch nicht wundern, daB
sie sich in ihrer absoluten Verlassenheit und Furcht vor dem Kom-
menden immer mehr an Bembo anschloB, und daB ihre Freund-
schaft noch inniger wurde. Am 4. Oktober anvertraute Bembo
sich ihr: ,,Nach keinem Schatz verlangt mich so wie nach jenen
Worten, die ich gestern von Euch horte . . . die Flamme, die mich
erfaBte, kann nicht starker und leuchtender brennen." Lucrezia
schien ihm nicht ganz zu trauen, und aberglaubisch wie alle Frauen
jener Zeit holte sie sich Rat bei Karten, auf denen Sentenzen standen.
die ihr die Zukunft kiinden sollten. Aus dem ersten Karten-
192
ACHTES KAPITEL
spiel, das sie zur Hand nahm, wollte sie sich GewiBheit iiber das
Schicksal ihrer Liebe holen. Bembo fiihlte sich ihrer Neigung schon
sicher, er antwortete ihr, er hoffe, daB ein spanisches Wort sich erfiil-
len wiirde, ,,quien quiere amatar perro, spesso ravia le levante",
indem Lucrezia seine wahnsinnige Liebe zu ihr damp fen wolle,
wiirde sie selbst dieser Liebe erliegen. Und es scheint, daB die Karten
richtig prophezeit hatten, Lucrezia wehrte sich zwar, aber die
Liebe siegte.
Am 10. November muBte Bembo infolge wichtiger hauslicher
Angelegenheiten Ferrara verlassen, zum Abschied schickte er
Lucrezia einige Zeilen, in denen er sie ,,sein teuerstes Leben"
nannte; gleich alien Verliebten lieB er ihr sein Herz zum Pfande,
bat, daB sie lieb und gut damit umgehe, und empfahl sich ihrem
Gebet. Bis Ende des Monats hielt die Krankheit seines Vaters ihn
fern, und als er nach Ferrara fur kurze Zeit zuriickkam, muBte er
infolge des Todes seines Bruders Carlo, den er sehr liebte, Lucrezia
abermals verlassen.
1504 war Bembo noch in Ferrara, aber seine Brief e werden
vorsichtiger, auch Lucrezia sc.heint der hofischen Umgebung nicht
zu trauen. In der zweiten Halfte des gleichen Jahres reiste Don
Alfonso mit seinem Sekretar Pistofilo und einem groBen Gefolge
von Hoflingen nach Frankreich, um die guten Beziehungen
zu jener Dynastie zu unterhalten, die Ferrara hauptsachlich
in Italien unterstiitzte und um neue Errungenschaften im
Geschiitzwesen, die ihn iiber alles interessierten, kennen zu
lernen. Lucrezia blieb allein im SchloB, denn der alte krank-
liche Ercole hielt sich namentlich in Belriguardo auf. Wie
weit damals ihr Verhaltnis zum Dichterfreund gediehen ist, wissen
wir nicht.
Das Jahr 1505 ist entscheidend in Lucrezias Leben, die Bande,
die sie an Bembo fesselten, muBten sich lockern. Man begann sich
zu sehr mit diesem Roman zu beschaftigen, der in Hofkreisen kein
Geheimnis war, auBer Angela Borgia wuBten noch drei Hoffraulein
darum, Bembo nennt sie in seinen Briefen Polixena, Climena und
Cintia. Lodovico Aristo und Tebaldeo wuBten um diesen Roman,
und Titus Strozzi schrieb sogar ein recht ungeschicktes Epigramm,
LUCREZIA BORGIA 193
in dem er des Netzes spottete, mit dem Lucrezia den in sie ver-
liebten Freund gefangen hat. Es folgt hier:
Ad Bembum de Lucretia
Si mutatum in x. c. tertia nominis huius
Littera 1 u x fiet quod modo 1 u x fuerat
Retia subsequitur, cui t u h a e c subiunge parat que
Sic scribens: lux haec retia, Bembe parat.
Dazu kam, dafl nach Er coles Tod am 25. Januar 1505
Alfonso Herzog von Ferrara wurde; Lucrezias Stellung wurde
dadurch exponierter und erforderte viel Vorsicht. Am S. Paulstag
iibergab der alte Titus, als guidice de' dodici savi, Alfonso nach alter
Sitte Szepter und Schwert als Abzeichen der Herrschaft. Als der
neue Herzog im Purpurmantel auf dem Schimmel durch Ferraras
StraBen ritt, gab es einen solchen Schneesturm, daB man es allgemein
als Prophezeiung einer sehr stiirmischen Regierung auffaBte. Pest,
Krieg und Erdbeben sollten diese Prophezeiung nur zu sehr erfiillen.
Unverziiglich nach Alfonsos Thronbesteigung spielte sich ein
furchtbares Drama im herzoglichen Palast ab. Angela Borgia
bezwang durch ihre Schonheit ihre ganze Umgebung. Fast noch
als Kind hatte man sie in Rom mit Francesco Maria Rovere ver-
lobt, aber die Verbindung wurde gelost, und der Erbe des Herzog-
tums von Urbino vermahlte sich mit Eleonora Gonzaga. Zu Angelas
heiBesten Verehrern in Ferrara gehorten der Kardinal Ippolito
d'Este und Giulio, Ercoles natiirlicher Sohn. Giulio gefiel Angela
besser als der Kardinal, und das lebhafte Madchen riihmte einst in
Ippolitos Gegenwart seine schonen Augen. Der Kardinal geriet vor
Eifersucht auBer sich, mietete zwei ,,bravi" und lieB seinem Stief-
bruder die Augen ausstechen. Am 3. November 1505 lauerten die
Henker dem von der Jagd Heimkehrenden auf, und warfen sich in
Ippolitos Beisein auf ihr Opfer. Der Anschlag geriet nur halb,
der arme Giulio verlor ein Auge, das andere vermochten die Arzte zu
retten.
Der gesamte estensische Hof schaumte vor Wut gegen Ippolito,
am gleichgiiltigsten nahm jedoch der Herzog das Verbrechen auf,
er verbannte den Kardinal zwar vorubergehend, bestrafte ihn aber
13
194 ACHTES KAPITEL
nicht so, wie es dieser verschlagene Wiiterich verdient hatte.
Giulio sann auf Rache und wartete nur auf einen geeigneten Augen-
blick, um sie an Alfonso zu nehmen.
Donna Angela heiratete ein Jahr nach diesem Zwischenfall
den Grafen Alexander Pio von Sassuolo, und ihr Sohn vermahlte sich
spater mitElisabetta, einer natiirlichenTochterdesKardinals Ippolita
Giulio ruhte nicht, er setzte sich mit Don Ferrante, Alfonsos
leiblichem Bruder, ins Einvernehmen, der den Herzog leidenschaft-
lich haBte und ihm Ferraras Thron entreiBen wollte. Der Ver-
schworung traten mehrere Unzufriedene bei, unter anderen der
Graf Albertino Boschetti und dessen Schwiegersohn, der Kapitan
der SchloBgarde. Es wurde beschlossen, Alfonso auf einem Masken-
ball zu ermorden und Ippolito durch Gift aus dem Wege zu raumen.
Der Kardinal, der infolge seiner Verschwendungssucht viel Freunde
in Ferrara hatte, wurde rechtzeitig von diesem Anschlag benach-
richtigt und hat jedenfalls auch Alfonso gewarnt. Im Juli 1506
lieB der Fiirst Don Ferrante und den Grafen Boschetti gefangen
nehmen, Giulio gelang es, sich durch Flucht nach Mantua zu
retten. Als Ferrante ins SchloB gebracht wurde, geriet Alfonso
in solchen Zorn, daB er dem Bruder mit dem Stock ein Auge aus-
schlug und ihn ins BurgverlieB verbannte. Giulio wurde vom Mark-
grafen von Mantua an Alfonso ausgeliefert, gegen beide Este
wurde ein HochverratsprozeB angestrengt, und die Schuldigen zum
Tode verurteilt.
In Ferrara war alles ein AnlaB zu glanzenden Festen, selbst
die Hinrichtung zweier Mitglieder der herrschenden Familie sollte
zum offentlichen Schauspiel werden. Im Hofe des Kastells wurde
eine Estrade errichtet, auf der die beiden Prinzen hingerichtet
werden sollten, ringsum wurden Tribiinen fur das Publikum auf-
gestellt. Als man die Gefangenen herbeifiihrte, gab Alfonso, der
nicht aus der Art geschlagene Sohn Ercoles, des groBen Theater-
regisseurs, den Henkern ein Zeichen, sie traten zur Seite, und er
begnadigte die Bruder zu lebenslanglicher Gefangenschaft in den
Kellern jenes Schlosses, in denen der eine zu herrschen sich ver-
messen hatte. Noch unter Alfonsos Nachfolger, Ercole II., hat Fer-
rante dort geschmachtet, er starb erst im Jahre 1540. 1559 wurde
LUCREZIA BORGIA 195
Don Giulio seine Freiheitwiedergegeben, da er, ein fast achtzigjahriger
Greis, dem Thron von Ferrara nicht mehr gefahrlich werden konnte.
Unterdessen erlitt Lucrezia einen Schicksalsschlag nach dem
andern; es ging mit der GroBe der Borgia schnell zu Ende. In
Spanien, in der Nahe von Pampelona, war Cesare am 12. Marz 1507
zugrunde gegangen als Abenteurer und Kondottiere, in fremdem
Solde, der fiir die Sache eines andern kampfte. Als die hofischen
Schmeichler sahen, daB Cesares Ruhm Alfonso nicht mehr Abbruch
tat, begannen sie Lobeshymnen zu Ehren des Verstorbenen zu
dichten. Ein Heldengedicht wurde 1508 von Ercole Strozzi verfaBt,
in dem er Cesares groBe Taten pries, er ruhmte ihn als den von der
Vorsehung Auserwahlten, um das Kaisertum und den Glanz Roms
zu erneuen, als den Mann, der bestimmt war, das zerrissene Italien
unter einem Szepter zu vereinigen, als den von Machiavell vorher-
gesagten Fiirsten. Selbst von Alexander VI. heiBt es bei Strozzi,
er verdiene, einst der GroBe genannt zu werden. Iamque novos
titulos, nobis, nova regna parabat Sextus Alexander, merito qui
nomine quondam maximus apellandus erat . . .
Zu friih hatte Jupiter Alexander in den Olymp berufen! Als
die Gotter iiber Cesares Schicksal berieten, war Pallas vor Jupiter
in die Knie gesunken und hatte gefleht, daB er ihm Macht und ein
langes Leben schenke. Doch Venus war dagegen, daB die Herrschaft
iiber Rom einem fremden, spanischen Geschlecht zufalle, sie
schaumte vor Eifersucht, da eine Spanierin, Lucrezia Borgia, ihr
an Schonheit iiberlegen war. Venus war starker als Pallas; wie
Achilles muBte Cesare sterben, aber sein Mut und sein gewaltiger
Geist sind unsterblich, aus der Vereinigung beider Geschlechter,
deren Ursprung in Hellas zu suchen ist, aus den Este und Borgia
wird der Held entstehen, der Italien befreien wird. Strozzi geht viel
weiter als Machiavell; wahrend der Sekretar von Florenz sich
kiihl iiber die Unterwerfung Umbriens, der Marken und der Ro-
magna ausspricht, ist Strozzi voller Begeisterung fiir Cesare und
preist ihn:
Qui rem romanam ingenio et praestantibus armis restituit . . .
Caesenam et multa in tumulis castella propinguis
Debellavit agens properanti milite castra.
13*
196 ACHTES KAPITEL
Seine Dichtung hat Ercole Strozzi der Herzogin gewidmet,
,,alla diva Lucrezia l'epicedio".
Als Strozzi dieses Gedicht verfaBte, liebte er Lucrezia nicht
mehr, er hatte damals ein Verhaltnis mit Barbara Torelli, Ercole
Bentivoglios Witwe, einer schonen Frau, die zuweilen Sonette schrieb,
wie damals fast alle Damen von Stand. Barbara hatte ein Tochter-
chen geboren, das Strozzi zum Vater hatte. Der jungen Witwe
gefiel es in Ferrara sehr gut, selbst Alfonso I. hatte sich urn ihre
Gunst bermiht. Sie aber hatte jenen erwahlt, den sie heiraten
konnte: Ercole Strozzi. Ihre Trauung fand am 24. Mai statt; drei-
zehn Tage spater, am 6. Juni 1508, fand man Ercole, der am Mittag
ermordet worden war, in der Nahe von San Francesco. Er lag in
seinen Mantel eingehullt, mit durchschnittener Kehle und zwei-
undzwanzig Wunden am Korper, ganze Haarbiischel, die die Morder
ihm ausgerissen hatten, deckten den Boden.
Einer seiner Dichterf reunde sah den f urchtbar miBhandelten Korper.
Vidi ego divulsos crines a vertice, humique
Undique dispersos . . .
Cernite quam turpes nunc sunt in pectore plagae.
Am Tage des Mordes schrieb Bernardino Prosperi an Isabella
von Mantua, neben dem Leichnam habe Strozzis Hut gelegen und
der Stock, auf den er sich zu stiitzen pflegte. Es schien, daB Ercole
an anderer Stelle ermordet worden war, und daB man den Korper
auf einen offentlichen Piatz niedergelegt hatte, um die Spuren des
Verbrechens zu verwischen. Aus Bernardinos Brief kann man
schlieBen, daB Strozzi Barbara unmittelbar nach der Geburt des
Kindes geheiratet hat. Die Gonzaga in Mantua waren iiber diesen
Mord emport, der Marchese erbot sich, die Waise zur Taufe zu halten,
und lieB sich vom Dichter Tebaldeo bei der Zeremonie vertreten.
In ganz Italien sprach man von diesem Verbrechen, gehorte Strozzi
doch zu den beriihmtesten Mannern von Ferrara; er war zwei Jahre
vor seinem Tod giudice de' savi gewesen, also einer der ersten
Wurdentrager des Staates. In Ferrara ahnte man, wer die Schuldigen
waren, und erwartete eine unverziigliche Untersuchung. Aber
Alfonso, der bei solchen Anlassen mit aller Strenge vorzugehen
LUCREZIA BORGIA
197
pflegte, gebot der Gerechtigkeit Schweigen. Es hat nicht an Stimmen
gefehlt, die Lucrezia Borgia verdachtigten, sie habe Ercole er-
morden lassen, damit er Alfonso ihr Verhaltnis zu Bembo, von
dem er mehr wuBte als andere, nicht verrate. Aber dieser Ver-
dacht entbehrte jeder Grundlage; sehr bald wies die ganze Stadt
auf den Morder auf dem Throne hin.
Barbara Torelii selbst schien Alfonso fur den Urheber des Ver-
brechens zu halten, dies beweist ein Sonett, das sie auf den Tod
ihres Mannes geschrieben, und in dem sie trotz ihres Schmerzes
nicht wagt, den Morder zu nennen. Dieses Sonett gilt als eines der
schonsten, das in der Renaissance von einer Frau gedichtet wurde.
Auch die Literaten von Ferrara schienen genau zu wissen, wo der
eigentliche Morder zu suchen war, fast alle verfaBten Trauergesange,
aber keiner wagte auf den Urheber des Verbrechens hinzuweisen,
Ariost so wenig wie Celio Calcagnini, Aldo Manuzio oder Bembo.
Strozzis Tod war fur Bembo eine blutige Warnung, er ward sich
bewuBt, daB Alfonsos Eifersucht ihm jeden Augenblick ein gleiches
Los bereiten konne. Bald nach diesem Vorfall verlieB er Ferrara
und weilte abwechselnd am Hof zu Urbino, in Bologna, Rom und
Padua.
Lucrezias Liebe zu Bembo war die letzte Leidenschaft dieses
Herzens, das viel geliebt und viel durch seine Schwachen gesiindigt
hat. Ein wichtiger Abschnitt begann im Leben der Tochter Alex-
anders: am 4. April 1508 hat sie einen Sohn geboren, den man
zur Erinnerung an den GroBvater Ercole nannte. Jetzt erst schien
sie unloslich mit der Dynastie der Este verbunden. Im nachsten Jahre
wurde ihr zweiter Sohn Ippolito geboren, und einige Jahre spater,
151 5 und 16, schenkte sie ihrem Gatten noch eine Tochter Eleonora
und einen Sohn Francesco.
Lucrezia begann stark zu werden und tat es darin ihrer Rivalin
Isabella von Mantua gleich, die auch zu friih iibermaBig runde
Formen bekommen hat. Lucrezias Bildnisse aus jener Zeit, be-
sonders das Portrat im Museum von Nimes, das nach Yriarte die
Herzogin darstellt, sowie ein Bild, in der Sammlung Gugenheim in
Venedig, stellen, wenn sie uberhaupt Anspruch auf Authentizitat
haben, Lucrezia ganz anders dar, als sie damals aussah, da, der
I98 ACHTES KAPITEL
Tradition gemafJ, Pinturicchio sie als h. Katherina von Agypten
im Appartamento Borgia im Vatikan gemalt hat, oder als man die
Medaille ,,a l'amour captif" nach ihr machte.
Auf jenen Portrats, schlechten Kopien verlorener Originate,
sieht Lucrezia unsympathisch und schwerfallig aus. Ihr kastanien-
braunes Haar mit goldigem Glanz ist a la lombarde frisiert, mit
den charakteristischen Locken zu beiden Seiten des Gesichts, die
Augen blaC und hell. DafJ sie helle Augen von undefinierbarer
Farbe hatte, wird in alien Schilderungen ihrer Person erwahnt;
aber ihre Augen hatten einen strahlenden Reiz, von dem
in diesen elenden Bildnissen auch keine Spur zu entdecken ist.
Pinturicchios Bildnis scheint mir authentischer, schon deshalb,
weil zwischen seinem Bild und der Medaille zweifellos eine ge-
wisse Verwandtschaft vorhanden ist. Wenn man beriicksichtigt,
dafJ Pinturicchio die noch sehr junge romische Lucrezia gemalt
hat und die Medaille aus ihren ferraresischen Jahren stammt,
so lassen sich gewisse Unterschiede, die diese beiden Bildnisse
aufweisen, leicht begreifen.
Die Fiirstin war giitig und hat allmahlich an Takt und Umsicht
gewonnen. Ein Franzose, der Biograph Bayards, kann sie nicht
genug riihmen, um der Aufnahme willen, die sie dem franzosischen
Heer bereitet hat. Sie verstand die Franzosen durch ihre Liebens-
wiirdigkeit, durch Feste und Bankette so einzunehmen, dafi sie
sagten, Lucrezia sei die schonste, reizendste und liebenswiirdigste
Frau ihrer Zeit und habe durch ihre Vorziige ihrem Manne und
Ferrara unschatzbare Dienste geleistet.
Dank Strozzi und Bembo lebte Lucrezia in einem Kreise lite-
rarisch tatiger Menschen; auBer jenen intimeren Freunden
und Ariost scharten sich Manner um sie, die in der damaligen
Geisteswelt etwas galten. Lucrezias Neigungen war en lite-
rarischer Art, wahrend Alfonso sich mehr fur bildende Kunst
interessierte.
LUCREZIA BORGIA IQq
Unter ihrem Zauber stand Antonio Tebaldeo, Bembos ungefahr-
licher Nebenbuhler, er war damals etwa vierzig Jahre alt und kam
Bembo an gesellschaftlichen Vorziigen nicht gleich. Zu ihren
Verehrern gehorte auch Celio Calcagnini, ein Polyhistoriker, von
umfangreichem Wissen. Celio machte Gedichte, studierte die Antike,
war Latinist, Historiker, Philosoph, verstand sich auf Numismatik
und beschaftigte sich sogar mit Naturwissenschaften, gegebenen
Falles iibersetzte er auch antike Lustspiele fur das Theater von
Ferrara. Er war in Liebesdingen sehr erfahren, da er zu den stan-
digen Begleitern des Kardinals Ippolito gehorte und mit ihm nach
Ungarn gegangen war. Ein geschickter Hbfling, der sich bei Lucrezia
in Gunst setzen wollte; noch ehe sie Ferrara erreicht hatte, hatte er
ihr Kommen in einem Gedicht gefeiert.
Eine noch einnehmendere Personlichkeit, die langere Zeit der
Umgebung der Furstin angehort hat, war Giangiorgio Trissino,
der Abkdmmling einer bekannten Patrizierfamilie aus Vicenza,
ein vielgereister Mann, der spatere Gesandte Leos X. und Kle-
mens VII. Im April des Jahres 1512 kam Trissino zum erstenmal
nach Ferrara, Familienbeziehungen kniipfen ihn an die Stadt.
1478 geboren, war er damals etwas iiber dreiBig Jahre alt, er hatte
kurze Zeit vorher seine Gattin ,,dilettissima consorte" verloren
und gehorte dank Abstammung, Benehmen und Bildung zu den
glanzendsten Gestalten jener Welt, ,,prestantissimo per nobilta
di natali e moltiplicita di dottrina". Trissino kannte Deutschland,
war langere Zeit in Mailand gewesen und hatte dort viel Inter-
essantes erlebt. Er hatte in seiner Jugend haufig als Gast im Hause
der Cecilia Gallerani geweilt, der beruhmten Geliebten Lodovico
Moros; ihr schbnes, wahrscheinlich von Leonardo da Vinci gemaltes
Bildnis befindet sich im Museum der Fiirsten Czartoryski zu
Krakau.1)
Bei Cecilia versammelten sich allabendlich fast alle bedeutenden
Persbnlichkeiten Mailands, es wurde musiziert, die Dichter trugen
ihre neuesten Werke vor, die Gelehrten disputierten iiber Philo-
sophic und Naturwissenschaften, Architekten, Bildhauer und Maler
1) Nach Annahme von Professor Jan Botoz Antoniewicz in seiner Ab-
handlung iiber dies Bildnis (III. KongreB polnischer Historiker in Krakau).
200 ACHTES KAPITEL
wiesen ihre Skizzen vor. Der Dominikaner und Novellist Bandello
gehorte zu den regelmaBigsten Gasten der schonen Frau. Haufig
korrigierteTrissinodie Sonetteder Gallerani, dieauch Gedichtemachte.
Fur Lucrezia war Trissino die geeignete Personlichkeit, schon
deshalb, weil er von Cecilia erzahlen konnte, die damals alle inter-
essierte, da die etwas altlich gewordene Schone auch nach ihrer
Heirat mit dem Grafen Bergamino ein fur Gelehrte und Dichter
offenes Haus in San Giovanni in Croce bei Cremona fuhrte. Tris-
sino gefiel der Herzogin, sie lernte seinen Verstand und seine Er-
fahrung schatzen und lieB sich, wenn Alfonso im Lager war, in alien
wichtigen Familienangelegenheiten von ihm beraten. Ihre Briefe
an ihn tragen die Uberschrift ,,al amico nostro carissimo". Trissino
wohnte in Ferrara bei den Obizzi, einer der vornehmsten Fa-
milien, die zu Lucrezias Umgebung gehorten. Trissinos Schwester,
Maddalena, war mit Antonio Obizzi verheiratet, der den Este
sehr ergeben war. Sehr befreundet war den Obizzi die Familie
Castelmo, Fiirsten von Sora aus dem Neapolitanischen, die des
Vaterlandes ver wiesen, sich in Ferrara niedergelassen hatten.
Bei den Obizzi und Castelmo versammelte sich eine vornehme
und anregende Gesellschaft. Beruhmt wegen ihres Witzes und
ihrer Beredsamkeit, glanzte dort Margherita Moroscelli, die Mutter
jenes Ercole Castelmo, dessen tragischer Tod ganz Italien be-
wegt hat.
Wahrend des Krieges zwischen Ferrara und Venedig kampfte
der junge Castelmo unter Ippolito d'Este auf Alfonsos Seite, er fiel
in die Hande slawischer Soldaten, die in Venedigs Sold standen.
Da die wilde Horde sich nicht dariiber einigen konnte, welcher
ihrer Abteilungen der reiche Gefangene zugeteilt werden sollte,
schlug man ihm den Kopf ab. Diese Grausamkeit veranlaflte Ariost
zu einigen schonen Versen, die sich gegen die slawischen Barbaren
wandten. Der Dichter setzt mit der wuchtigen Frage ein:
Schiavon crudele, onde hai tu il modo appreso
Delia milizia?
Zu den entthronten Herrschern, die sich in Ferrara nieder-
gelassen hatten, gehorte auch Aeneas Pio, der, aus Carpi vertrieben,
LUCREZIA BORGIA 201
in den Dienst der Este getreten war. Er wohnte im Palazzo del
Paradiso, der heutigen Volksbibliothek, den der Fiirst ihm an-
gewiesen hatte, um ihn sich zu verpflichten. Auch der Palast der
Pio war ein Zentrum fur Ferraras gesellschaftliches Leben. Gra-
ziosa Maggi, eine Verwandte Pios, bildete den glanzenden Mittel-
punkt der dortigen Versammlungen; sie war eine jener beruhmten
Frauen, die Ariost im letzten Buch seines Rasenden Roland er-
wahnt. Wie in Mailand bei der Gallerani, oder bei den Atellani
in den Breragarten, versammelte sich auch hier im Garten des
Paradiso eine Gesellschaft schoner Frauen und beriihmter Manner,
darunter waren Ariost und Claucio Tolomei, wahrend seines Aufent-
haltes in Ferrara. Diana d'Este schien Graziosa Maggi die Sieges-
palme streitig zu machen, und Celio Calcagnini stand unter ihrem
Zauber :
II dotto Celio Calcagnin lontana
Fara la gloria e'l bei nome di quella.
Gern gesehen waren die gelehrten Professoren der Universitat
zu Ferrara in dieser Gesellschaft, und besonders schatzte man
dort Nicolo Leoniceno, der neben Pomponazzi in Bologna zu den
ersten Vertretern der neuen skeptisch-philosophischen Richtung
gehorte, die die geistige Bewegung der letzten Epoche der Renaissance
charakterisiert. Diese rationalistische Schule verwarf die mittel-
alterliche Mystik und begann sich langsam dem Erforschen der
Natur zuzuwenden. Niccolo stammte wie Trissino aus Vicenza, war
eine Zeit hindurch in England gewesen und hatte sich schlieBlich
in Ferrara niedergelassen, wo er offentliche Vortrage iiber Mathe-
matik, Philosophic und Medizin hielt. Bezeichnend fur die damalige
Wissenschaft war die Verbindung von Philosophic und Medizin,
was sich aus der auf Erfahrungstatsachen begriindeten Richtung
ergibt. Leonicenos Verdienst bestand darin, daB er an der Unfehlbar-
keit von Galenos' und Plinius' Theorien, die bisher unumschrankt
die Naturwissenschaften beherrscht hatten, geriittelt hat. Der
ferraresische Gelehrte hatte den Mut weiterzugehen, sich auf die
eigene Erfahrung zu stiitzen. Diese naturwissenschaftliche, auf
Erfahrung aufbauende Bewegung beschaftigte die damalige Welt in
202 ACHTES KAPITEL
hohem Grade, in den Salons wurde dariiber gesprochen, und wahrend
unter Lionello, Borso und selbst noch unter Ercole Philologie
geherrscht hat, wurden jetzt die Naturwissenschaften zum Lieb-
lingsstudium erhoben — la natura delle cose occulte. Einer der
damaligen Gelehrten erwahnt ein interessantes Gesprach zwischen
Trissino und Leoniceno iiber heilkraftige Pflanzen, besonders iiber die
Eigenschaften des Rhabarbers. Ein heutiger Arzt und Gelehrter
wurde wahrscheinlich iiber ein solches Thema nicht mit einem Men-
schen verhandeln wollen, der nicht zum mindesten seine medizi-
nischen Priifungen bestanden hat.
Leoniceno verstand seine Theorien auch in die Praxis um-
zusetzen, er lebte auBerst enthaltsam und erreichte ein Alter von
neunzig Jahren.
Zu Lucrezias Verehrern, die jedoch Alfonso keinerlei Grund
zur Eifersucht boten, gehorte Jacopo Caviceo, der Vikar des Bis-
tums, ein Pralat von stiirmischer Vergangenheit. Er war in der
Gegend von Parma 1443 geboren und hatte in Bologna studiert.
Von auffahrendem Wesen, kraftig und bereit sich mit der Faust
sein Recht zu verschaffen, wurde er zum Helden eines nachtlichen
StraBenkampfes, muBte aus Bologna fluchten und nach Parma
zuriickkehren. Als er nach einiger Zeit Geistlicher wurde, erregte
er allgemeinen AnstoB wegen seines ztigellosen Lebens. Nachdem
er eine Nonne verfiihrt, einen Menschen todlich verwundet und eine
Reihe anderer Ubertretungen begangen hatte, wurde ihm der Boden
in der Heimat zu heiB, er muBte nach Venedig fluchten, schiffte
sich ein und trieb sich einige Zeit hindurch im Osten, in Konstanti-
nopel und auf den Inseln des Archipels umher. 1469 begegnen wir
ihm wieder in der Heimat; im Kampfe mit dem Erzbischof steht
er an der Spitze des emporten Bistums. Der Bischof laBt ihn ein-
sperren, die Freunde des Herzogs befreien ihn jedoch gewaltsam
aus dem bischoflichen Turm. Caviceo geht nach Rom, setzt den
Kampf gegen seinen Feind fort, der augenscheinlich aus Angst vor
dem Papst einen Hascher nach Rom schickt, damit er den auf-
riihrerischen Geistlichen in aller Stille beiseite schaffe. Der ,, Bravo"
verwundet Caviceo, aber der viel geschicktere Geistliche macht
den Morder auf der Stelle mit seinem Messer nieder. Dann geht er
LUCREZIA BORGIA 203
zum Papst, wirft sich ihm zu FiiBen, erklart, daB er den Feind in
Notwehr erschlagen habe, und erlangt Verzeihung. Triumphierend
kehrt er als Sieger nach Parma zuriick; mit der Macht des Erz-
bischofs, auf dessen Seite der Herzog von Mailand Galeazzo Sforza
stand, hatte er aber nicht gerechnet. Sehr bald sitzt er wieder hinter
eisernem Gitter, aber er weiB sich frei zu machen und fliichtet.
Nach verschiedenen dramatischen Episoden wird ihm 1477 das Kirch-
spiel von San Michele in Padua iibertragen, und damit beginnt ein
ruhigeres Leben. Er erhalt immer bessere Pfriinden, steigt in geist-
lichen Ehren, im Jahre 1489 begriiBt er im Namen seiner Heimat-
stadt Friedrich III. in Italien und wird in offentlichen Urkunden
bereits Doktor der Rechte genannt. 1494 wird er in Ferrara bischof-
licher Vikar, weiB sich Ercole I. gefallig zu erweisen und ist bei
Hofe sehr gut angeschrieben.
In Ferrara schrieb Caviceo seinen Roman ,,Peregrino" ; er widmet
ihn ,,alla savia ad accostumata Lucrezia Borgia". ,,Peregrino"
gehort zu den beriihmtesten Romanen des beginnenden 16. Jahr-
hunderts, er beruht nicht auf bloBer Erfindung, der Verfasser
hat einen groBen Teil der Ereignisse, durch die er gegangen und
seine selbstandigen Beobachtungen der Natur hinein verarbeitet.
Es war ein Buch, das das Leben der Zeit spiegelt.
Caviceo war in einem ruhigen Hafen gelandet; als ehrwiirdiger
Pralat schrieb er nicht langer Romane, sondern Belehrungen fiir
seine Beichtkinder, ,,11 Confessionale".
Als Leo X. Papst wurde, schrumpfte Lucrezias literarischer
Kreis zusammen; Italiens Dichter und Gelehrten pilgerten damals
nach Rom wie ins Gelobte Land und erwarteten Ehren und goldenen
UberfluB vom Mediceer. An den papstlichen Hof iibersiedelten
damals Tebaldeo und Bembo, der in Urbino weilte. Bembo wurde
papstlicher Sekretar, und seine Korrespondenz mit Lucrezia bricht
im Jahre 1513 ab. Er verliebte sich in Morosina, eine Romerin
niederer Herkunft, und hatte drei Kinder mit ihr. Bis zu seinem
Tode lebte er mit ihr zusammen, und die schbne Morosina hat durch
ihre bose Laune und ihr ordinares Betragen Rache fiir alle die
Untreue geiibt, durch die der gelehrte Dichter in jungen Jahren
an anderen Frauen gesiindigt hat.
204 ACHTES KAPITEL
Ferraras Krieg mit Venedig, Ungliicksfalle, die das Land be-
trafen, hausliche Sorgen, die Erziehung der Kinder — all das be-
wirkte, dafi die in ihrer Jugend leichtsinnige Lucrezia immer ernster
wurde; sie begann wie alle Frauen, die viel gelebt und viel Ent-
tauschungen erfahren haben, Trost in der Religion zu suchen.
In ihren letzten Lebensjahren wandelte sich ihre Frommigkeit
in Bigotterie. Alexanders VI. Tochter beichtete taglich und ging
drei- oder viermal monatlich zum Abendmahl. Es verletzte sie,
daB die Frauen in Ferrara, alter Sitte gemaB, mit bloBen Armen
gingen und den Hals bis zur Brust entbloBt trugen. Sie fiihrte
daher eine Art Tuch ,,gorgiere" ein, das bei den Frauen aus dem
Volke die BloBe deckte, an der sie AnstoB nahm. Die Zeiten hatten
sich geandert. Als Lucrezia als Braut nach Ferrara kam, trug sie
ein Hemd mit durchbrochenen Einsatzen, das die Briiste durch-
schimmern lieB; Isabella schrieb in heller Emporung einen ent-
rusteten Brief an ihren Mann iiber diese Schamlosigkeit.
So lange Rodrigo, Lucrezias Sohn aus erster Ehe, lebte, bestand
ein Band, das sie an die Vergangenheit kniipfte. Rodrigo, der
Fiirst von Bisceglia, wuchs erst unter der Obhut des Kardinals
Lodovico Borgia auf, dann nahm sich seine Tante Isabella von
Aragon, die Witwe Giangaleazzo Sforzas aus Mailand, seiner an.
Als Dreizehnjahriger starb Rodrigo, und damit war das letzte
Band zerschnitten, das Lucrezia an ihre sturmische Jugend ge-
fesselt hat. Zu Vanozza scheint Lucrezia in gar keinen Beziehungen
gestanden zu haben, und vielleicht hat erst die Nachricht ihres Todes
die Herzogin von Ferrara daran erinnert, daB sie bis vor kurzem
noch eine Mutter hatte. Vanozza starb am 26. November 151 8 in
Rom, und da sie ihr bedeutendes Vermogen frommen Stiftungen
verschrieben und der Briiderschaft del Gonf alone angehort hatte,
wurde sie mit dem Pomp, der eines Kardinals wiirdig ware, beige-
setzt; das gesamte geistliche Rom nahm an der Trauerzeremonie teil.
Durch eine seltsame Laune des Schicksals wurde Lucrezia
Julius II. verschwagert, der die Borgia haBte und der groBte Feind
der Este war. Giulia Farnese, die zu Beginn des XVI. Jahrhunderts
eine noch junge und reizvolle Frau war, gefiel dem Papst so sehr,
daB er seine Zustimmung gab zur Heirat seines Neffen Niccolo
LUCREZIA BORGIA 205
Rovere mit ihrer Tochter Laura, jenem schonen Kinde, das wir in
Rom in Lucrezias Haus gesehen haben. Aber diese Verbindung
trug durchaus nicht dazu bei, das Verhaltnis zwischen dem Hof
von Ferrara und dem Papst zu verbessern.
Lucrezia starb neununddreiBig Jahre alt, am 24. Juni 1519,
bei der Geburt eines toten Kindes. Sie hat ihren Tod geahnt und
zwei Tage, bevor sie starb, an Leo X. geschrieben; dieser Brief be-
schlieBt in einer fiir jene Zeit charakteristischen Art ihren Lebens-
lauf. Jenem Papst, der Ferrara fiir die Medici annektieren wollte,
empfiehlt sie sich, als dem Schutzherrn der Kirche, in christlicher
Demut. Nach zweimonatlichen Leiden, wie es in diesem letzten
Briefe heiBt, habe sie am 14. Juni bei Morgengrauen eine Tochter
geboren, sie habe gehofft, daB dies sie von weiteren Schmerzen
befreien wiirde. Sie erkenne jedoch, daB ihre Krankheit sich ver-
schlimmert habe und sie sterben miisse. In wenigen Stunden
wird sie vor dem hochsten Richter stehen, und darum
bittet sie wie eine Siinderin in Demut um den
heiligen Ssgen und empfiehlt dem Heiligen
Vater ihren Mann und ihre Kinder.
Sie verschied in der Nacht vom
24. Juni ; ihr Mann war in
ihrer Todesstunde
bei ihr.
NEUNTES KAPITEL
ARIOST
i
Ipiia^ H asch beriihmt ward unter der Jugend, die unter Ercole I.
in Ferraras StraBen groB wurde, Lodovico Ariosto.
Er war nicht der erste Dichter seines Geschlechts;
schon unter Lionellos Regierung haben wir den Ge-
legenheitsdichter Francesco kennen gelernt, und
unter Borso hat Malatesta Ariosto gelegentlich als
Poet gesiindigt. Nur Lodovicos Vater Niccolo fuhlte sich auf den
Niederungen der Erde heimischer als auf dem ParnaB. Er war
iibrigens ein haBlicher, gewalttatiger, sehr unbeliebter Mann,
der hinter Titeln herjagte und Geld zusammenraffte, wo es nur zu
kriegen war. Als Kaiser Friedrich III. 1460 in Ferrara war, be-
warb sich Niccolo um den Titel eines Conte del sacro lateranense
palazzo e del santo romano imperio. Der Kaiser gestattete dem
neugebackenen Graf en, seinem Familienwappen, drei silbernen
Bandern auf blauem Felde, einen schwarzen, gekronten Adler auf
Goldgrund hinzuzufiigen. Seitdem fiihrten die Ariosto ein sehr
aristokratisches Siegel mit kaiserlichem Zeichen. Niccolo verstand
es, sich den Herzogen unentbehrlich zu machen, und war zu jedem
Dienst bereit. Ercole I. ernannte ihn zu seinem Hofmeister, mag-
giordomo, verwandte ihn bei Gesandtschaften an den Papst, den
Kaiser und Kdnig von Frankreich und betraute ihn sogar im Jahre
1471 mit der verbrecherischen Mission, Niccolo di Lionello d'Este,
seinen rankespinnenden Rivalen, in Mantua zu vergiften.
Wahrscheinlich als Entgelt fur dieses gefahrliche Unternehmen
ernannte ihn Ercole I. im folgenden Jahre zum Kapitan der Zitadelle
ARIOST
207
und zum Schatzmeister in Reggio. Niccolo bezog dort ein Ein-
kommen von 137 Lire monatlich, und sollte dreiBig Soldaten davon
erhalten, indem pro Kopf vier Lire gerechnet wurden. Er wollte
an den armen Teufeln verdienen und lieB sie hungern; als der Herzog
davon erfuhr, wurde Niccolo zur Rechenschaft gezogen. Niccolo
bekam eine bessere Frau, als er verdient hat. Im September 1473
heiratete er Daria, die Tochter von Gabriele Malaguzzi, einem
Edelmann aus Reggio; sie braehte ihm tausend Dukaten mit,
eine nach damaligen Begriffen nicht unbedeutende Mitgift. Fur
diesen Betrag kaufte er Land in Gavassetto, in der Gegend von
Reggio.
Daria war eine ungewohnliche Frau; Lodovico glaubt, daB er
seine Gaben von ihr geerbt habe. Sie suchte die Riicksichtslosigkeiten
ihres Gatten gutzumachen, wo sie konnte; alle Herzen flogen ihr
zu, aber seinen Charakter vermochte sie nicht zu andern.
Lodovico war das alteste Kind, er wurde in Reggio am 8. Sep-
tember 1474 geboren und verlebte dort seine Kindheit. 1481 iiber-
trug Ercole Niccolo zwar das Kapitanat von Polesina di Rivigo,
aber kaum ein Jahr spater muBte er seine friihere Stelle in Reggio
wieder einnehmen. Bis zum Jahre i486 hat Ariost dort den Ober-
befehl behalten, dann iibersiedelte er nach Ferrara, da Ercole ihm
das wichtigste Amt im ganzen Reich anvertraut hatte: er ernannte
ihn zum Prasidenten der zwolf Savi. Diese Ernennung machte viel
boses Blut, es hieB allgemein, sie sei der Lohn fur einen von Ariost
dem Herzog erwiesenen pekuniaren Dienst, er soil ihm zweihundert
Goldskudi zu einer Wallfahrt zum heiligen Jakob di Compostella
geliehen haben.
Ganz Ferrara haBte den neuen Giudice de' savi, selbst die Amts-
kollegen konnten ihn nicht leiden. Boshafte Gedichte zirkulierten in
der Stadt, und Pistoja schrieb allein dreiundzwanzig Sonette, die die
allgemeine Emporung iiber Ariosts Ubergriffe und Plackereien zum
Ausdruck bringen. In diesen Sonetten nennt ihn der Dichter den
dummen Vorsitzenden von zwolf Klugen, den Wiirger von Ferrara,
einen unersattlichen Rauber, eine allgemeine Landplage, und legt
ihm noch eine Menge anderer beleidigender Namen bei, die aus
dem ferraresischen Dialekt zu iibertragen seine Schwierigkeiten hat.
208 NEUNTES KAPITEL
Pistoja nimmt an, daB Ariosts Magen alles verdauen konne: Holz,
Marmor, Sand, selbst Eisen.
Tu mangi il legno, il marmore, il r,abbione,
II ferro, e s' egli e cosa ancor piu dura.
Wenn der neue Giudice de' savi iiber die StraBe geht, schreien
ihm alle wiitend nach: ,,Mdrder, Lump, Verraterl"
Che ti gridano dietro a gran furore:
Al ladre, al manigoldo, al traditore.
In einer anderen Satire, die die Runde in der Bevolkerung machte,
beklagt sich die gute Daria bei ihrem Gatten, sie schame sich, den
FuB iiber die Schwelle zu setzen, denn jeder, der sie sieht, ruft:
,,Hier kommt die Frau des bosen Raubers."
Magnifico marito mio dolcissimo,
Io non ardisco piu di casa uscire,
Perch' io mi sento dietro a ciascun dire:
Ecco la moglie del ladro atrocissimo.
Doch solche Lappalien machen Niccolo keinen Eindruck; scham-
los erklart er der Gattin, er stehle und wiirde stehlen, nur den
heiBe man dumm, der kein Geld habe.
Io rubo e rubero, che in fra le genti
Chi e senza roba matto dir si suole.
SchlieBlich begann sich auch der Herzog seines Giinstlings zu
schamen und muBte sich dem Druck der offentlichen Meinung
fiigen. 1489 entsetzte er ihn seines Amtes in Ferrara, iibertrug ihm
aber gleichzeitig die Stelle eines Kapitans in Modena. Diese Ernen-
nung rief in Modena keine geringe Bestiirzung hervor, und die
Satire regte sich auch dort gegen ihn. In einem boshaften Gedichl
beklagt sich Modena, daB das Raubtier schon zum Sprung aus-
hole und sich auf die Stadt zu stiirzen bereit sei.
Vedi la mala bestia che si move
Ver' me tanto rabiosa divenuto
Che par che mai la non mangiasse altrove.
ARIOST
BILDNIS VON TJZIAN. LONDON, NATIONAL-GALLERY
ARIOST 209
Fiinf Jahre hat das ungliickliche Modena unter AriostsUbergriffen
gelitten, schlieBlich befreite der Herzog 1496 die Stadt vom verhaBten
Kapitan und ernannte ihn zum Statthalter von Romagna di Lugo.
Nun war es um Lugos Frieden getan, aber diesmal sollte eine
Liebesgeschichte Ariost sein Amt kosten. Eines Tages fliisterte
man sich emport zu, daB eine der Burgersfrauen ihren Geliebten,
einen Jiingling, bei sich empfange und daB ihn der Ehemann auf
frischer Tat ertappt habe. Der betrogene Gatte wollte seine Ehre
mit erhobenem Kniittel schiitzen, aber der Jiingling suchte das
Weite und lieB nur seinen Mantel zuriick. Als Ariost von diesem
Vorfall erfuhr, lieB er in Zorn entbrannt den verratenen Gatten
rufen und verlangte den Mantel als corpus delicti zu sehen. Der
Mann wollte, verstandiger als der Statthalter, seine Hausehre wahren,
er bestritt alles und erklarte, von einem verlorenen Mantel nichts
zu wissen. Der allzu tugendhafte Gouverneur lieB ihn auf die Folter
legen, doch das Mittel verfing nicht, der arme Kerl wahrte sein
Geheimnis. Aus dem Gefangnis entlassen, ging er nach Ferrara
und erzahlte dort die ganze Geschichte. Ercole, emport iiber Ariosts
Vorgehen, entsetzte ihn seines Amtes und verurteilte ihn zu einei
Geldstrafe von funfhundert Skudi; dieser Betrag war aber nicht etwa
als Entschadigung fur den zu Unrecht gefolterten Ehemann be-
stimmt, sondern floB dem Staatssackel zu.
So iibte man in der Renaissance Gerechtigkeit.
Aber dieses Ereignis hatte sein Gutes: Ercole rief Ariost aus
Lugo zuriick und vertraute ihm kein Amt mehr an.
Solcher Art war Lodovico Ariostos Vater, aber vielleicht hat
gerade dieses Beispiel es bewirkt, daB der Sohn ein ganz anderer war.
Lodovico nannte Reggio sein ,,nido natio", das fur ihn voller Kind-
heitserinnerungen war. Der Knabe war zwolf Jahre alt, als die
Eltern i486 nach Ferrara zogen. Er besuchte die Lateinschule von Lucca
Ripo; Ercole Strozzi und Gaspare Sardi waren seine Schulkollegen.
Das Haus, das der kleine Ariost mit seinen Eltern bewohnt hat,
existierte noch bis vor kurzem in der StraBe ,,Giuoco del Pallone"
und gehdrte 1474 den Erben der Familie Ughi. Noch erinnert man
sich eines Zimmers mit Freskeniiberresten aus dem XV.Jahrhundert
mit gefliigelten Hippogryphen und Gruppen kleiner Amoretten,
14
210 NEUNTES KAPITEL
Der Tradition nach gait dieses Zimmer als Lucca Ripos Schule. Der
alte Ariost scheint demnach einen Raum seines Hauses zu Schul-
zwecken hergegeben zu haben, dafiir sprechen auch die vielen
lateinischen Inschriften, die die Moral der jungen Gemiiter festigen
sollten, wie z. B.: Loqui cum hominibus tamquam dii audiant.
Der HaB und Spott seiner Mitburger zwang den alten Ariost
1489 Ferrara zu verlassen. Lodovico war damals funfzehn Jahre
alt, der Vater lieB ihn in der Hauptstadt, damit er sich dem Studium
der Rechtswissenschaften unter Giovanni Sadoletos Leitung an
der Universitat widme und spater ein offentliches Amt bekleiden
konne. Lodovico hatte an diesem Studium wenig Freude, doch gab
es keine Widerrede, da der Vater in solchen Dingen nicht mit
sich scherzen lieB. Nach funf Jahren war er Doktor der Rechte.
Seine freie Zeit widmete Lodovico humanistischen Studien, die ihn
sehr anzogen. Gliicklicherweise hatte damals Rinaldo d'Este,
Ercoles Bruder, einen beriihmten Humanisten, Gregor da Spoleto,
als Lehrer fur seine Sonne nach Ferrara berufen. Gregor war in
seiner Jugend Augustinermonch gewesen, seit 1459 war er Lektor
an der Universitat in Siena, da ihm das Klosterleben miB-
fiel, hatte er die Kutte abgelegt und war weltlicher Lehrer ge-
worden. Rinaldo d'Este bewohnte damals den Palazzo del Paradiso,
und der junge Ariost nahm teil am Unterricht des beriihmten
Humanisten. Gregor hat ihm die Pforte zur antiken Welt ge-
bffnet und dem begabten Schuler einen starken Eindruck gemacht.
,,Fortuna war mir giinstig", schreibt Ariost, ,,und schenkte mir
Gregor di Spoleto, den ich immer segnen werde."
Fortuna molto mi fu allora arnica
Che mi offerse Gregorio di Spoleto
Che ragion vuol ch' io sempre benedica.
Lodovico las „seine Dichter": Ovid, Vergil, Horaz, Plautus,
Terenz und schrieb lateinische Gedichte wie seine Freunde Ercole
Strozzi und Alberto Pio. Virginio, der Sohn des Dichters, berichtet,
sein Vater sei nicht sehr fleiBig gewesen und habe wenig gelesen,
,,non era bibliomane", aber zu seinen Lieblingsdichtern hatte er
immer gegriffen.
ARIOST 211
Auch Alberto Pio war Gregors Schiiler und etwa bis urn 1500
mit Ariost innig befreundet, dann verlieB er Ferrara voller Groll
gegen Ercole I., der ihm Carpi, sein vaterliches Erbe, entreiBen
wollte. Gibert Pio, der Mitbesitzer Carpis, hatte seine Rechte an
Ercole abgetreten, Alberto war Ferraras Herzog gegeniiber fast
wehrlos, er suchte beim Papst, beim Kaiser, beim Konig von Frank-
reich Schutz gegen ihn, bis er schlieBlich erschopft und zermiirbt
in den Franziskanerorden eintrat; er starb fast in Verbannung in
Paris im Jahre 1531. Einige lateinische Verse Ariosts an Alberto
aus den gliicklichen ferraresischen Tagen haben sich in seinem
literarischen NachlaB erhalten.
1500 verlor Ariost den geliebten Lehrer, da Isabella von Aragon
Gregor als Erzieher ihres Sohnes berief. Ariost betrauerte die Ab-
reise des Humanisten und klagte, daB die Herzogin ihn ihm ent-
rissen.
Mi fu Gregorio dalla sfortunata
Duchessa tolto, e dato a quel figliuolo
A chi avea il zio la signoria levata.
Ariost trat zuerst mit lateinischen Gedichten vor die Offentlich-
keit, er stand unter dem EinfluB seines beriihmten Lehrers und ver-
nachlassigte das Volgare. Bis zum Jahre 1503 hat er nur lateinisch
gedichtet, doch ist seine Sprache nicht ubermaBig rein. Schon zu
Beginn zeigt sich ein gewisser Hang zu Sarkasmus und Satire
und er rebelliert gegen das herzogliche Joch, das andere willig
trugen. Diese Stimmung spiegelt am deutlichsten eine an Ercole
Strozzi gerichtete Elegie, anlaBlich des Todes von Michele Marullo,
eines latinisierten griechischen Dichters. Marullos Tod ware fur
sie als Dichter fast ebenso schrecklich wie der Anblick Italiens,
das vor ihren Augen zerfallt. Die Fiirsten erlegen ihnen kein
weniger schweres Joch auf als die fremden Barbaren. Es ist ebenso
schwer, der Diener des franzosischen Konigs als der eines italie-
nischen Fiirsten zu sein.
Quid nostra an gallo regi an servire latino,
Si sit idem hinc atque hinc non leve servitium?
Barbarico ne esse est pejus sub nomine quam sub moribus?
14*
212 NEUNTES KAPITEL
Ariost liebte damals eine Spanierin, Pasifilia, die mit ihm koket-
tierte und ihn gleichzeitig mit einem andern betrog. Pasifilias
boser Geist war ihre Mutter, und Ariosts Freunde, namentlich
Bembo, bemuhten sich, seine Gefiihle fur das unwiirdige Geschdpf
abzukiihlen. Es war nicht ganz leicht, und erst nach geraumer
Zeit lieB sich Lodovico iiberzeugen, daB ,,die Alte" die Reize ihrer
Tochter verkaufe. In einer leidenschaftlichen Satire ergieBt er seinen
Zorn liber sie. ,,Geh, Alte, mit deinem Liebesgefliister, geh zum
Teufel, gefraBige Bestie. Mich ekeln Eure Versicherungen, die ich
so spat erst erkannt."
Va, rea vecchia, con questi carezzevoli
Sussuri tuoi, va ingorda vecchia, al diavolo.
Assai la vostra fede, oh assai, m'k cognita
Se ben tardi. . . . x)
In diesem Ton apostrophiert Ariost in einem ziemlich langen
Gedicht die alte Spanierin; zum SchluB faBt er seine Emporung noch
einmal in dieWorte zusammen: ,,Vada la scellerata a tutti i diavoli!"
II
Im Februar des Jahres 1500 starb Niccolo Ariosto; auf dem
jungen Lodovico lastete die Sorge um neun Geschwister und die
Mutter. Es gait, vier Briider zu erziehen und funf Schwestern
zu verheiraten. Gliicklicherweise war die Mutter erst sechsund-
vierzig Jahre alt und beherrschte die Familie durch ihre Giite
und ihren Verstand. Niccolo, der sie im Leben genug gequalt hat,
konnte die Klausel im Testament nicht unterdriicken, ,,ob fidem
et prudentiam", um doch im letzten Augenblick ihre Vorziige
anzuerkennen. Das vaterliche Vermogen war nicht groB, und Lo-
dovico muBte sich auf Grund seiner juristischen Studien um ein
Amt bewerben, das ihm und seinen Angehorigen den Unterhalt
einigermaBen sicherte. Anstatt Sonette und Kanzonen zu schreiben,
bewirtschaftete er das Gut, das fur die Mitgift der Mutter in der
*) Nach Carduccis Ubersetzung aus dem italienischen Original.
ARIOST 213
Nahe von Reggio erworben worden war, und trug emsig in die Wirt-
schaftsregister ein, daB er zwei Bullen an Guido di Guastello ver-
kauft und Bernardo di Vanzo einen Sack Hanfsamen gegeben habe.
Zwei Jahre nach dem Tode des Vaters iibertrug ihm Ercole das
Amt eines Kastellans oder Capitano della Rocca di Canossa, des
historischen Schlosses der Grafin Mathilde. Der arme Lodovico
muBte wie die anderen Dichter seine poetischen Huldigungen
an den Hof entrichten, und das Gedicht, das er im Januar 1502 zu
Alfonsos Verlobung mit Lucrezia Borgia verfaBt hatte, wird wohl
zu jener Ernennung beigetragen haben. Das Amt in Canossa lieB ihm
viel freie Zeit, denn er war haufig in Ferrara oder Reggio.
In Reggio hat ihn eine Livia gefesselt, die der Empfindungen
des jungen Dichters wiirdiger war als die kokette Spanierin, auch
Ginevra, der er eine schone Kanzone gewidmet hat, hat er gehuldigt,
ebenso Glicera und Veronica. Fuhr er nach Ferrara, so konnte er
den Reizen der Maria, des Dienstmadchens seiner Mutter, nicht
widerstehen; sie hat ihm 1503 einen Sohn, Giovanni Battista, ge-
boren. Fiinf Jahre spater hatte er einen zweiten unehelichen Sohn
Virginio; seine Mutter war Arsina Vitali da Magliarino, ein Madchen
aus dem Volke, das dann Antonio Manfredini, einen Landmann,
der sich in der Nahe der Besitzung der Ariosto angesiedelt hatte,
heiratete. Der junge Vater hat beide Sohne legitimiert; Virginio
war sein Liebling, und ihm verdanken wir eine gute Biographie
des Vaters.
Das Leben in Canossa, fern von Ferrara, muBte auf jemand, der
den geistigen Verkehr mit den Humanisten gewohnt war, schwer
genug lasten, so beniitzte auch Ariost die erste Gelegenheit, um nach
Ferrara zuriickzukehren. Sie bot sich bald. Alfonsos I. Bruder,
der Kardinal Ippolito, wurde zum Bischof von Ferrara ernannt,
und umgab sich als prachtliebender Herr dort mit einem groBen
Hofstaat. Die Ernennung des Kardinals feierte Ariost durch
ein Epigramm, das gewiB dazu beitrug, daB Ippolito den Dichter
an seinen Hof begehrte. Gegen Ende des Jahres 1503 finden wir ihn
im Dienst des Kardinals, in der Eigenschaft eines ,,familiaris",
also mit hoherem hofischen Rang, da die niedrigeren nur ,,Commen-
sale" genannt wurden. Die letzteren durften nur auf die Ehre rechnen,
ai4 NEUNTES KAPITEL
ron Zeit zu Zeit am Tisch des Herrn mitzuspeisen; die ersteren
sollten den Hausherrn und seine Gaste unterhalten, also teil an
der Gesellschaft haben. Der Kardinal bestimmte dem Dichter
kirchliche Pfriinden, die jahrlich 240 markgrafliche Lire abwarfen
(etwa 2000 Lire nach heutigem Gelde) , dafiir muBte Ariost das geist-
liche Gewand anlegen. Das Gehalt wurde ihm in drei viermonat-
lichen Raten ausgezahlt, unter Abzug der Kosten fiir den Anzug,
der aus der Kardinalsgarderobe geliefert wurde. Der Kardinal suchte
Ariost zu bestimmen, geistlich zu werden; in diesem Falle hatte er ihm
mit der Zeit groBere kirchliche Pfriinden zuwenden konnen. Aber
der Dichter, der sich nicht berufen fiihlte, straubte sich, die Weihen
zu nehmen. Ippolito nahm ihm ,,diese Laune" iibel, auch Ariosts
Briider verargten ihm dieses Verlangen nach Freiheit. In einer,
an seinen Bruder Galeazzo gerichteten Satire rechtfertigt sich
Ariost, vielleicht ist sein Vorgehen unverniinftig, die Tonsur wurde
ihm den Weg zu hohen Einnahmen und Ehren bahnen, aber jeder
moge seiner Uberzeugung gemaB handeln, auch die vorteilhafteste
Anstellung in Rom kdnne ihm die verlorene Freiheit nicht ersetzen.
Ognun tenga la sua (opinion); questa e la mia:
Se a perder s' ha la liberta, non stimo
II piu ricco cappel che in Roma sia.
Als familiaris des Kardinals hatte Ariost wohl nicht iibermaBig
schwere Pflichten, aber auch die erschienen ihm unertraglich,
und er fiihlte sich in seiner Freiheit gehemmt. Wie jeder andere
Hofling muBte er der Suite seines Herrn angehoren, ihn auf Reisen
begleiten, so z. B. nach Mailand zur BegriiBung Ludwigs XII.,
Gelegenheitsgedichte verfassen und iiberhaupt zur Zierde des Hofes
beitragen. Wiederholt muBte Ariost als Gesandter des Kardinals
reisen, so 1507 nach Mantua zur Markgrafin Isabella, der der Dichter
besonders gut gefiel. Er scheint sich bei solchen Anlassen als sehr
brauchbar erwiesen zu haben, denn auch der regierende Herzog
Alfons begann sich allmahlich seiner bei wichtigen diplomatischen
Missionen zu bedienen. Als es sich darum handelte, in guten Be-
ziehungen zum kriegerischen und launischen Julius II. zu bleiben,
ging Ariost zweimal nach Rom, um den Papst umzustimmen und
ARIOST 215
zu besanftigen, ,,la grande ira del Secondo". Das eine Mai gelang
es, aber als Ferrara sich von Frankreich trennen und der heiligen
Liga beitreten sollte, war die Sache schon schwieriger.
Der Papst begann den Kampf mit dem Herzog mit Qualereien
gegen den Kardinal Ippolito, fur den er wenig iibrig hatte. Der Kar-
dinal lieB sich zum Abt von Nonantoli wahlen, der Papst annullierte
die Wahl, warf dem Kardinal Simonie vor und befahl ihm bei Ver-
lust der Kardinalswiirde, sofort nach Rom zu kommen. Ippolito
beeilte sich nicht, diesen Wunsch zu erfiillen, aus Furcht, daB der
Papst ihn im Kastell S. Angelo als Gefangenen zuriickbehalten
wiirde, er befahl Ariost, der damals in Rom war, vermittelnd bei
Julius II. vorzugehen. Aber der alte Mann haBte die Este und
drohte dem armen, ganz unschuldigen Gesandten, ihn im Tiber
zu ersaufen, wenn die Este der Liga nicht beitreten wiirden. Da
sich Alfonso nicht von Frankreich trennen wollte, bedrohte der
Papst ihn mit dem Bann; Ariost gelang es gliicklich, aus Rom
zu entkommen, und aus dem Gesandten ward ein Soldat. Der
Dichter nahm an den Kampfen gegen Ferraras Feinde teil, er
diente in der Abteilung, der Aeneas Pio da Carpi vorstand, und
zeichnete sich in der Schlacht bei Pontecchio (am 24. September
1 510) bei der Eroberung einer venezianischen Galeere aus.
Nach der Schlacht bei Ravenna, als Alfonso mit jenem Geleitbrief
desPapstes,der ihm wenig niitzte, nach Rom ging, nahm er Ariost mit.
Damals muBte Alfonso vor Julius Zorn zu den Colonna fluchten,
die ihn drei Monate im Castello di Marino verbargen. Von dort
aus stahl er sich in der Verkleidung eines Jagers, Dieners und Monchs
uber Florenz nach Ferrara. Ariost begleitete ihn auf dieser aben-
teuerreichen Flucht und schrieb am 1. Oktober an einen der Gon-
zaga aus Florenz: ,,Endlich habe ich die Schlupflocher und Hohlen
wilder Tiere verlassen und kann wieder mit Menschen sprechen.
Von unseren Gefahren noch kein Wort: animus meminisse horret
luctuque refugit. Noch habe ich meine Angst nicht iiberwunden,
noch glaube ich, die papstlichen Hunde, vor denen mich Gott
bewahrt hat, hinter mir zu spiiren. Die Nacht habe ich in einer
einsamen Hutte, unweit von Florenz, verlebt, verkleidet, mit Herz-
klopfen lauschend, ob sie nicht hinter uns her jagen."
2i6 NEUNTES KAPITEL
Bei Julius II. Tod atmete Italien auf, und alle Dichter, Literaten
und Kiinstler freuten sich iiber die Wahl Leos X. Zu jenen, die nicht
wenig Hoffnungen auf den neuen Papst setzten, gehorte auch
Ariost. Er kannte den neuen Papst noch aus seiner Kardinalszeit,
und damals hatte ihm Giovanni dei Medici Versprechungen gemacht
fur den Fall, daB er gewahlt werden wiirde. Lodovico hatte als echter
Dichter diese schonen Worte fur bare Miinze genommen, er ging mit
dem Herzog nach Rom zur Kronung des Papstes, und malte sich in
seiner lebhaften Phantasie aus, daB Leo X. ihn zuriickbehalten und
ihm eine seinen Fahigkeiten entsprechende Stelle geben wiirde,
damit er endlich zur Ruhe komme und seiner Dichtkunst leben konne.
Vergebliche Hoffnungen. Schon am 17. April 1514 schreibt
Ariost an Benedetto Fantino, den Kanzler des Kardinals Ippolito,
einen sehr enttauschten Brief. Er habe dem Papst zwar den FuB
gekiiBt, aber Leo X. habe ihn nicht einmal bemerkt, denn hier trage
er seine Brille nicht mehr, non porta piu V occhiale. Weder der
Papst noch die alten Freunde, die jetzt hohe Wiirdentrager ge-
worden, wie Bembo oder Bibbiena, hatten auch nur ein Wortchen
von einem Amt gesagt. Ubrigens besuche er wenig Bekannte,
denn sein Kleid sei nicht mehr schon, und in Rom beurteile man
mehr denn anderswo die Leute nach ihrem AuBern. ,,Dazu glaube
ich," fiigt der Dichter boshaft hinzu, ,,daB hier alle den Papst ko-
pieren und kurzsichtig geworden sind."
Ariost muBte darunter leiden, daB der neue Papst fur die Este
und fur Ferrara so wenig iibrig hatte.
Auf der Ruckreise hielt Ariost sich ziemlich lange in Florenz
auf, besonders da die Festlichkeiten, die am S. Giovannitage statt-
fanden, heranriickten. In Florenz lernte er Alessandra Benucci
kennen, die Witwe von Tito Strozzi, einem ferraresischen Hofmann.
Sie machte ihm einen starken Eindruck. Sie gehorte nicht zu den
gelehrten Frauen der Renaissance, sie konnte weder lateinisch
sprechen noch lesen, aber sie hatte wunderschones blondes Haar,
das sich vom schwarzen Samt ihres Kleides prachtvoll abhob, und
bezauberte ihn durch ihre Reize.
Ariost besuchte sie zum erstenmal, als sie ,,una sopraveste"
fur einen ihrer Sonne stickte, in der er beim bevorstehenden Feste
ARIOST
217
paradieren sollte. Sie war Meisterin in der Kunst des Stickens,
und Ariost preist in einem seiner Sonette Seide und Gold gliicklich,
die ihre geschickte Hand beriihrt:
Avventurosa man, beato ingegno
Beata seta, beatissimo oro.
Im Pantheon schdner und beriihmter Frauen in Rinaldos SchloB,
die er in seinem „Furioso" beschreibt, stehen die Statuen von
Lucrezia Borgia, Isabella, Elisabetta, Eleonora d'Este, Lucrezia
Bentivoglio und daneben die Statue einer ernsten, giitigen, be-
scheidenen Frau, in schwarzem Gewand mit verschleiertem Haupt.
Weder Gold noch Kleinodien schmiicken sie, und doch strahlt sie
so hell zwischen den reichgekleideten Frauen wie der Stern Venus
unter den anderen Sternen. Bei ihrem Anblick weiB man nicht,
was sie am meisten schmiickt, der Ernst ihrer Ziige, ihre Bescheiden-
heit oder die Scharfe ihres Geistes (Furioso, Canto 42, 93, 94).
Dieser Statue fehlt der Name. Es war die vom Dichter vergotterte
Alessandra.
Die schone Florentinerin folgte Ariost nach Ferrara, einige Jahre
spater liefien sie sich heimlich trauen. Die Ehe durfte nicht offent-
lich vollzogen werden, da der Dichter als Presbyter einige geist-
liche Pfriinden bezog, die er eingebuBt hatte, wenn seine Ehe be-
kannt worden ware. Alessandra wohnte der Kirche di S. Girolamo
gegeniiber, in einem andern Hause als Ariost. Der Dichter war
mit ihr wahrhaft gliicklich.
Der Dienst beim Kardinal schien das eheliche Gliick zu gefahrden.
1517 riistete sich der Kardinal fur einen langeren Aufenthalt in
Ungarn und wollte, daB ihn der Dichter als Sekretar begleite.
Ariost lehnte ab und nannte seine Griinde in einer Satire oder
richtiger in einem Brief, den er an seinen Bruder Alessandro und
an seinen Freund Lodovico da Bagno richtete, die als Hoflinge
des Kardinals mit ihm nach Budapest gingen. Der Dichter klagt,
wie sehr ihn der Dienst bei Ippolito und iiberhaupt das ganze
hofische Leben qualten, er habe genug der Reverenzen und der
Sklaverei. Er konne es nicht ertragen, dem ,,Herrn auch dann
zustimmen zu mussen, wenn er behauptet, daB er um Mitternacht
2l8 NEUNTES KAPITEL
die Sonne am Himmel und am Tage die Sterne gesehen habe".
Ubrigens sei er schon vierundvierzig Jahre alt und habe seine Ge-
sundheit im Dienste des Kardinals zugesetzt. Darum wolle er
sich dem nordischen Frost nicht aussetzen und noch weniger dem
geheizten Zimmer, denn der schwarze Tod sei ihm lieber als Ofen-
hitze und die stickige Luft, in der Kopfweh und Katarrh entstiinden.
Und wie erst, wenn er an den schweren Wein denke, den die Ungarn
dem Gast vorsetzen, an die mit Pfeffer und Paprika zubereiteten
Gerichte, die das Blut schwer machen. Einen eigenen Koch aber
konne er sich in Ungarn nicht leisten, denn Reichtiimer habe er
im Dienste des Kardinals nicht gesammelt. Und wozu solle er auch
mitgehen? Der allein habe Gliick bei Ippolito, der es verstiinde,
das Rebhuhn auf der Gabel zu zerschneiden, Hunde und Falken zu
dressieren, geschickt die Sporen zu befestigen, dem Herrn die Stiefel
auszuziehen und Wein in die Glaser zu schenken. Dazu fehle es
ihm an Lust, denn zum Mundschenk sei er nicht geboren. Wer dem
Herrn gefallen wolle, miisse ihm Schritt fur Schritt auf der Strafie
folgen, den Wein zu kiihlen verstehen und nachts nicht schlafen.
Lieber wiirde er wie die ersten Menschen von Eicheln leben, als am
Herrentische niedersitzen. Leicht wiirde er die Armut ertragen,
weil er die Freiheit so hoch schatze! . . . Gedachte er der Qualen,
die er in den letzten funfzehn Jahren im hofischen Dienst erlitten,
der Miihen, deren er sich unterzogen, als er nach Rom geritten,
um den Papst zu beruhigen, gedachte er dessen, wie er nach der
Laune seines Herrn frieren muBte oder schwitzen, dann wolle er
lieber sterben, als ein so schweres Joch noch einmal auf sich nehmen.
Und wenn der ,,heilige" Kardinal glaube, daB er ihn fur die Ewig-
keit mit seinen Geschenken erkauft habe, so wolle er ihm gem
alles wiedergeben, um nur seine Freiheit zuruckzugewinnen. Ariost
nahrte tiefen Groll und nahm sogar das Wappen an, das auf dem
Revers einer Bronzemedaille zu sehen ist: einen Bienenstock, unter
den Feuer angelegt wird. Die Bienen fliegen davon, und Ariost
kann weder Wachs noch Honig ernten. Auf dem Wappen die
Inschrift: Pro bono malum.
Per esser ape, muoie
Ho mal per bene.
ARIOST 219
In seinem ,,Furioso" gibt Ariost Rinaldo das gleiche Wappen.
Delia schiera di mezzo fu maestro
Rinaldo, chi quel dl molt'era adorno
D'un ricco drapo di color cilestro
Sparso di pecchie d'or dentro e d'attorno,
Che cacciate parean dal natio loco
Dall' ingrato villan con fumo e foco.
Der Kardinal lieB den Diener seine Halsstarrigkeit entgelten.
Als Ariost sich ihm vor seiner Reise nach Ungarn empfehlen wollte,
wurde er nicht angenommen, zwei Benefizien, die Ippolito ihm
erteilt hatte, wurden ihm wieder genommen, und Ariost aus dem
Dienst entlassen. Der Dichter muBte sich bald iiberzeugen, daB er
sich aus eigener Kraft nicht erhalten konne; er bemuhte sich um ein
Amt beim Herzog Alfonso, obgleich er auch gegen ihn viel Groll
nahrte. Ein Verwandter Lodovicos, Rinaldo Ariosto, war kurz
vorher gestorben, ohne ein Testament und direkte Erben zu hinter-
lassen. Trotzdem Lodovico und seine Briider sich berechtigte Hoff-
nungen auf den NachlaB machten, der aus drei schonen Grund-
stiicken in Bagnolo bestand, belegte die Camera ducale die Giiter
mit Beschlag, da die Familie angeblich ausgestorben war. Am
15. April 1519 schreibt Ariost emport an Maria Equicoli in Mantua,
il Duca und il Cardinale hatten ihm einen Besitz im Werte von
10 000 Dukaten geraubt, der schon seit drei Jahrhunderten seiner
Familie gehore; ihm geben sie den Rat, sich mit Marchen und
Geschichten die Zeit zu vertreiben. Die Not zwang Ariost, dieses
Unrecht zu vergessen, und sich um eine Anstellung zu bewerben.
Lucrezia Borgia scheint dem Dichter geholfen zu haben, da sie sich
gem mit beruhmten Leuten umgab. Alfonso ernannte Ariost am
23. April 1 51 8 zu seinem Cameriere und Familiaris mit einem Ein-
kommen von 25 Lire monatlich und freiem Unterhalt fiir drei
Diener und zwei Pferde.
So hatte es der Dichter mit dem Wechsel seines ,,Dienstes"
ganz gut getroffen, aber bald fielen ihm mit der neuen Stelle schwere
Pflichten zu. Die monatliche Bezahlung scheint nicht gereicht
zu haben, er bat daher den Herzog um ein vorteilhafteres Amt,
220 NEUNTES KAPITEL
und da die Provinz Garfagnana den Este wieder zufiel, schickte
ihn der Herzog im Februar des Jahres 1522 als Statthalter an der
Spitze einer kleinen Schar von Bogenschiitzen nach Castelnuovo,
damit er in der dortigen ,,Hauptstadt" die Regierung iibernehme. Die
Garfagnana, ein Stuck Gebirgsland, in den Apenninen, war friiher
estensischer Besitz gewesen, unter Julius II. und Leo X. stand sie
unter romischer Herrschaft, nach Leos Tod ergab sie sich wieder
den Este. Aber nicht die gesamte Bevdlkerung verlangte nach
ferraresischem Schutz, ein Teil pladierte dafur, daB man sich der
Florentiner Republik anschlieBe, ein anderer war fiir Unterwerfung
an den Papst. Den Raubertruppen war im Gebirgsland schwer
beizukommen, die ruhigsten Leute wurden aus Angst ihre Ver-
biindeten. Die alte Sitte, daB Kirchen und Kloster ein sicherer
Schlupfwinkel fiir Verbrecher waren, erschwerte das Aufgreifen
der Rauber in unerhorter Weise, weil sie einmal iiber der Schwelle
der Kirche jeder Macht spotteten.
Pekuniar ging es Ariost nicht schlecht, sein Einkommen war
dreimal so groB wie am Hofe, aber er trug schwer an Regierungs-
sorgen und an der Einsamkeit in dieser unwirtlichen Gegend.
Die Langeweile in Castelnuovo war furchtbar, dem Dichter war zu
Mute, als ware er schon tot.
Da si noiosa lontananza domo
Gia sarei morto . . .
Durch Ferraras Gassen mochte er gehen, am Domplatz vor
den Denkmalern ,, seiner Markgrafen" stehen bleiben, und er neidet
es den Freunden, daB sie im Gasthaus ,,al Moro"1) fette Tauben
und Kapaunen essen konnen.
In einer Satire, die er Sigismondo Malaguzzi, Annibales Bruder,
schickte, schildert er seine Not.
Namentlich lastet ihm die Trennung von der geliebten Alessandra
Benucci, die ihm nicht nach Castelnuovo folgen konnte. ,,Schnee
und Berge, Walder und Abgriinde trennen mich von der, die mein
Herz besitzt," klagt der Dichter; ,,mein Wohnhaus und die Um-
a) Bis auf den heutigen Tag besteht ein Cafe im erzbischdflichen Palast
in den Arkaden unter diesem Namen.
ARIOST 221
gebung machen mich nicht froh. Mein SchloB steht in einem tiefen
Graben, und bei jedem Schritt aus dem Gefangnis gilt es im un-
wirtlichen Apennin zu klettern. Wo immer ich bin, im Haus oder
unter freiem Himmel nichts als Klagen, Zank und Fluch, iiberall
dringen Stimmen zu mir, die Kunde bringen von Mord und Tot-
schlag, HaB, Zorn und Vendetta."
Quest' e una fossa ove abito, profonda,
D'onde non muovo pie senza salire
Del selvoso Appenin la fiera sponda;
O siami in Rocca, o voglia all' aria uscire
Accuse e liti sempre e gride ascolto,
Furti, omicidi, odi, vendette ed ire.
Das Land sollte beruhigt werden, und Ariost ist diese Aufgabe
in der Hauptsache gelungen. Seine Verfiigungen gegen die Unter-
stiitzung des Rauberwesens sind so gut,daB sieheute nochin einzelnen
Gegenden Siziliens angewendet werden konnten. Wer einem Ban-
diten Obdach gegeben, muBte eine Geldstrafe von fiinfzig Dukaten
entrichten oder eine korperliche Zuchtigung erleiden. Einer ahn-
lichen Strafe setzte sich aus, wer verborgene Waffen fuhrte. Wer
verdachtige Leute sah, sollte in der nachsten Kirche dreimal Alarm
schlagen. Zwei Drittel der Geldstrafen flossen der herzoglichen
Kasse zu, das letzte Drittel bekam der Anklager. Ein volliges Aus-
rotten des Rauberwesens wuBte die Geistlichkeit zu verhindern,
die die Vereinigung von Garfagnana mit dem Kirchenstaat anstrebte
und der daher die vollige Beruhigung der Provinz unter estensischer
Herrschaft nicht willkommen war.
Auch die Regierung unterstiitzte den Statthalter nicht geniigend,
man glaubte in Ferrara mit der bloBen Entsendung Ariosts nach
Castelnuovo ein iibriges getan zu haben. Ariost klagt in seinen Be-
richten, daB, wenn der Herzog ihm nicht helfe, die Ehre der Regie-
rung zu wahren, er es aus eigenem Vermogen nicht konne, und
wenn in Ferrara jene freigesprochen werden, die er bestrafen
wolle, so untergrabe dies nur sein Ansehen. Ein Rauber, Moro del
Silico, war aus Ariosts Gefangnis in das herzogliche Lager gefluchtet
und wurde dort mit offenen Armen als Soldat empfangen. Der arme
222 NEUNTES KAPITEL
Statthalter klagte ferner dariiber, daB die Grenzen zwischen der
administrativen und der richterlichen Gewalt nicht fest umschrieben
seien, so daB man haufig nicht wisse, was dem Gouverneur oder was
dem Gericht unterstande, am meisten aber leide er darunter, daB
die weltliche Gewalt nichts iiber die Geistlichkeit vermoge, die
infolgedessen selbst bei schweren Verbrechen straffrei ausgehe.
Ein Geistlicher, Job, hatte der Mutter seiner Geliebten den Kopf zer-
spalten und verbreitet, sie ware eines friedlichen Todes gestorben.
Der Capitano machte ihm einen ProzeB und verurteilte ihn zu
zehn Lire Geldstrafe, aber der Bischof von Lucca annullierte das
Urteil, und der verbrecherische Geistliche verblieb nach wie vor
in seinem Kirchsprengel. Sehr viel zu schaffen machte Ariost das
SchloB S. Donnino, das der Familie de Madalena und den Grafen
S. Donnino gehorte. Die Vendetta schwebte wie ein schwarzes Ge-
spenst iiber jenen Mauern. Ehe Ariost in die Garfagnana gekommen
war, hatte Genasio de Madalena den Grafen Giovanni di S. Don-
nino ermordet und war nach Lucca gefliichtet. Die wirtschaft-
lichen Zustande zwangen zu irgendeinem Einvernehmen, daher
schlossen beide Familien Frieden; wer als erster die Vertrage brechen
wiirde, hatte eine hohe Geldstrafe zu bezahlen. Bald nach Ariosts
Ankunft totete Genasio Madalena, der Sohn des Familienober-
hauptes Piero, die Witwe des Grafen Giovanni di S. Donnino und
ihren Sohn Carlo. Nachdem er ihr Hab und Gut an sich gerissen,
fliichtete er ins Lucchesische, um nach einiger Zeit, als wenn nichts
geschehen ware, ruhig nach S. Donnino zuriickzukehren.
Damaligem Gebrauch gemaB hatte Ariost das Haus des Ver-
brechers Genasio Madalena vernichten miissen, das tat er nicht
und erlieB nur einen Haftbefehl gegen den alten Piero, als den
moralischen Urheber des Mordes. Piero ergab sich nicht, sondern
verteidigte sich in seinen wehrhaften Mauern. Die Grafen von
S. Donnino bemachtigten sich Genasios und behielten ihn als
Geisel, bis ihnen Gerechtigkeit widerfahren ware. Ariost verlangte
die Herausgabe Genasios, aber die Donnino, die auf die Gunst des
Herzogs pochten, erwiderten, daB ihnen das Urteil des Gouverneurs
wenig vertrauenerweckend erscheine, und behielten ihren Ge-
fangenen. Ariost bat den Herzog, ihn nicht im Stich zu lassen
ARIOST
223
und auf Genasios Freilassung zu bestehen; wolle er aber seine Bitte
nicht erfullen, so mdge er einen anderen Gouverneur schicken,
der einen gesiinderen Magen habe, und die Beleidigungen verdauen
konne, die die Regierung ihren Dienern zufiige. So lange er diesen
Posten behaupte, ware er niemandes Freund als nur der der Ge-
rechtigkeit. ,, Finch' io staro in questo ufficio non sono per avervi
amico alcuno, se non la Giustizia".
Ariosts festes Auftreten blieb nicht ohne Erfolg, der Herzog
zwang die Donnino, Genasio herauszugeben ; er wurde hingerichtet,
die Madalena verlieBen das SchloB und fliichteten ins Florenti-
nische.
Angesichts dieser Verhaltnisse fuhlte Ariost sich immer ungliick-
licher. In einer seiner Satiren vergleicht er sich mit jenem Matrosen,
dem der Konig von Portugal ein feuriges maurisches RoB ge-
schenkt hat. Dankbar nahm der Matrose das Pferd an, aber ge-
wohnt, das Segel und nicht die Ziigel zu handhaben, verstand er es
nicht, sich im Sattel zu halten, und lag bald mit zerbrochenen Glie-
dern am Boden.
Der Herzog lernte zwar Ariost schatzen, muBte aber zur Uber-
zeugung kommen, dafi der Dichter nicht zum Gouverneur eines
wilden Landes geschaffen sei. Als am 18. November 1523 KlemensVII.
zum Papst gewahlt wurde, lieB der Herzog den Dichter durch
seinen Sekretar, Bonaventura Pistofilo, fragen, ob er ferraresischer
Gesandter beim neuen Papst werden wolle. Alfonso fiirchtete,
daB er wie Julius II. und Leo X. einen Ferrara feindlichen Stand-
punkt einnehmen wiirde. In der sechsten Satire antwortet Ariost
Pistofilo, er dankt dem Freunde, daB er fur sein Fortkommen be-
dacht sei, aber er konne in Rom nur wenig niitzen, da er es dank
Leo X. verlernt habe, Hoffnungen auf die Medici zu setzen. Auch
fehle es ihm an Mut, seinen Wohnsitz so fern von Ferrara zu neh-
men. Wenn ihm der Herzog eine Gnade erweisen wolle, so moge er
ihn wieder in die Hauptstadt berufen oder zum mindesten nicht
weiter als nach Bondeno schicken, das nur zwolf Meilen von Ferrara
entfernt ist. Zu langen Reisen fehle es ihm an Lust und Kraft.
Der Herzog drangte nicht langer, lieB Ariost aber in Castelnuovo
nur bis Mitte Juni 1525. Alfonso scheint Ariost nicht fur energisch
224
NEUNTES KAPITEL
genug gehalten zu haben, um die Provinz ganz zur Ruhe zu bringen,
denn an seiner Stelle schickte er als Gouverneur eine sogenannte
,,eiserne Hand". Die Rauber scheinen Ariosts Gedichte bewundert,
aber den Dichter wenig gefiirchtet zu haben; es wird erzahlt, daB
einige Strauchdiebe ihm einst begegnet sind, den groBen Dichter
voller Hochachtung begriiBt haben und ihn ruhig seines Weges
ziehen lieBen.
Ariost wurde endlich die so heiB ersehnte Ruhe; sein Wohnort
wurde wieder Ferrara, wo die geliebte Alessandra lebte. Ein Jahr,
nachdem er sich dort niedergelassen, lieB er sich ein kleines Haus-
chen bauen, kaufte Gartenland dazu und schrieb in der dort er-
richteten Grotte seine Gedichte. Uber seiner Tur lieB er die Inschrift
anbringen.
Parva sed apta mihi, sed nulli obnoxia, sed non
Sordida, parta meo sed tamen aere domus.
Und da ihm das Dichten leicht fiel, wurde gleich noch ein zweiter
Vers angebracht:
Piccola, adatta, e d' ogni signoria
Scevra, e redenta sol col mio denaro
Non sei sordida e vile, o casa mia!
Ariosts Sohn, Virginio, hat schlieBlich dem vaterlichen Hause
eine dritte Inschrift hinzugefugt:
Sic domus haec Areosta
Propitios habeat Deos
Olim ut Pindarica.
Virginio berichtet in den Aufzeichnungen iiber seinen Vater, daB
Ariost jeden iiberschussigen Soldo seines Einkommens dem Bau
geopfert habe und immer andern und erweitern wollte. Er sagte,
die am eigenen Herd mit 01 und Essig bereitete Rube sei ihm lieber
als das Rebhuhn oder Wildschwein am fremden Tisch, und ebenso
gut schlafe er unter einer Wolldecke als unter einer seidenen, gold-
gestickten.
Ariosts Haus steht heute noch und gehort seit 1815 der ferrare-
sischen Gemeinde. Es entspricht dem Charakter des Dichters:
ARIOST
225
bescheiden, aber bequem, hell mit kleinem Hofchen und Garten,
nicht viel groBer als die Behausung eines Kamaldulensermonchs.
Platz genug gab es, um Rosen und Jasmin zu pflanzen und die Beete
immer umzugestalten. Virginio neckte den Vater: wie er an seinen
Versen feile, sie umarbeite, so gehe er auch im Garten vor. Keiner
Pflanze gestatte er langer als drei Monate am gleichen Platz zu
bleiben; einmal setze er Pfirsichkerne, ein andermal Samen, be-
obachte die jungen Keime, gieBe, jate, grabe um, lockere den
Erdboden, bis die armen Pflanzen inf olge ubergroBer Sorgf alt welken.
Da er den Samen zu wenig kenne, erwarte er anderes als das, was
aufgegangen. Einmal habe er Kapern gesetzt, sie taglich beobachtet
und sich gefreut, daB sie so uppig wuchsen, bis sich herausstellte,
daB die vermeintlichen Kapern wilder Flieder gewesen waren.
Wahrend der Dichter seine Beete begoB, hatten sich in Ferrara
giinstige politische Veranderungen vollzogen. Der Herzog, der
gewundene Pfade in der Politik ging, wurde Karls V. Alliierter, der
ihm Modena und Carpi zusicherte. Klemens VII. suchte vergebens
dies zu hintertreiben, der Marchese del Vasto unterstutzte den
Herzog gegen den Papst, so daB die den Este feindlichen Plane der
romischen Kurie zerstort wurden.
Zu diesem Marchese, der in Correggio als Veronica Gambaras
Gast weilte, schickte Alfonso Ariost 1531 als Gesandten, zwecks
AbschluB der Vertrage mit Karl V. Der Dichter wurde aufs liebens-
wiirdigste empfangen, und da der Markgraf ihn fur den Kaiser
einnehmen wollte, schenkte er ihm einen kostbaren Lapis Lazuli
in Gold gefaBt, mit Kette und Kreuz, ja er setzte ihm sogar eine
lebenslangliche Pension von zweihundert Dukaten aus. Als Karl V.
im Herbst 1532 einige Tage in Mantua weilte, wurde Ariost von
Alfonso dem Kaiser vorgestellt. Der Dichter iibergab dem Kaiser
eine neue, umgearbeitete Auflage des ,,Furioso'a), und Karl V.
kronte ihn eigenhandig, im Beisein des ganzen Hofes, mit dem
Lorbeer.
Diese Ehrungen verrieten, wie es zumeist zu gehen pflegt, daB das
Ende des groBen Dichters nahe sei. Ariost krankelte schon lange, und
sein Tod ward durch die Arzte beschleunigt, die ihm so viel Medi-
x) Erschienen in der Druckerei von Francesco Rossi zu Valenza 1532.
15
226 NEUNTES KAPITEL
kamente verschrieben, dafi audi eine kraftigere, jiingere Kon-
stitution diese langsam wirkenden Gifte auf die Dauer hatte nicht
aushalten kdnnen.
Ein trauriges Ereignis machte ihm in seinen letzten Tagen
starken Eindruck. In der Silvesternacht des Jahres 1532 entstand
im ferraresischen Kastell ein starkes Feuer; die Loggia, die dem
bischoflichen Palast gegeniiber lag, und der Saal mit der pracht-
vollen Biihne, die Alfonso I. fur Theaterauffuhrungen hatte errichten
lassen, brannten vollkommen ab. Auf der Biihne waren Ariosts
Lustspiele aufgefuhrt worden, und ihr Untergang erschien ihm als
Todesbotschaft.
Ariost hatte in seinem Testament um ein bescheidenes Begrabnis
gebeten. Dieser Wunsch wurde erfiillt, weder die Herzoge, zu deren
Ruhm er nicht wenig beigetragen, noch die Stadt, die er besungen,
erwiesen ihm die letzte Ehre. Nachts, beim Licht von nur zwei
Fackeln, ward der Korper des Dichters von vier Mannern aus dem
Hause in die alte Kirche San Benedetto getragen, wo er im Beisein
der engsten Familie beigesetzt wurde. Weder der Hof, noch das
Volk von Ferrara waren bei der traurigen Feier zugegen. Lange
dachte man nicht einmal daran, dem grdBten Dichter der Renaissance
ein Denkmal zu setzen, und erst Ariosts Urenkel errichtete 161 1
jenes banale Grabdenkmal, das heute im langen Saal der Stadt-
bibliothek in Ferrara steht. Urspriinglich befand das Denkmal sich
in San Benedetto, aber als 1801 unter franzosischem Regime die
Kirchen in Pferdestalle verwandelt wurden, respektierte der General
Miolis wenigstens das Grabmal und lieB es in die Bibliothek
iiberf iihren x) .
Ariost war in rangierten Verhaltnissen gestorben. Er hinterlieB
zwei Hauser und ziemlich viel Kostbarkeiten und Silber. Zum
Universalerben ernannte er seinen Sohn Virginio; seiner Frau ver-
x) Dem Magistrat von Ferrara erschien es im XIX. Jahrhundert Ariosts
nicht ganz wiirciig, daB dies Denkmal gegen die kahle Bibliothekswand
lehne. Infolgedessen wurde um das Denkmal eine phantastische, architek-
tonische, griinrote Dekoration gemalt, — eine der Verirrungen im Kunst-
geschmack des vergangenen Jahrhunderts. Zum Schmuck des alten Denk-
mals wurde eine Dekoration geschaffen, die hochstens in einer Jahrmarkts-
bude angebracht ware.
ARIOST
227
machte er die Einkunfte aus einem Laden, der unter dem Portikus
des Palazzo della Ragione lag und an einen Handschuhmacher
vermietet war, ferner alles bewegliche Hab und Gut, unter der
Bedingung, daB sie Virginio zweihundert Goldskudi auszahle.
Dem zweiten Sohn Gian Battista sicherte er Kost in Virginios
Hause zu und zwei Golddukaten monatlich. Fur die Armen hinter-
lieB er zehn markgrafliche Lire in Silber.
Nur soweit der Mensch der allgemeinen Kultur gedient hat,
hat er ein Nachleben. Ein gleiches gilt fur Lander und Stadte.
Zu Hunderten sind sie untergegangen, und jegliche Spur ihres Seins
ist verwischt; nur jene bleiben lebendig, die GroBes geschaffen.
Frsgen wir, wodurch sich Ferrara seinen Platz fur Jahrhunderte
sicherte, so kann die Antwort kurz lauten: es ist Ariosts Werk. Die
hohe Marmorsaule, die heute auf einem der grasbestandenen Platze
steht als Postament fur einen lorbeergekronten Mann, ist das
Symbol der geistigen Arbeit der Stadt, das sichtbare Zeichen ihrer
Verdienste urn die Zivilisation.
Diese Saule hat eine interessante Geschichte. Um Ercoles I.
Gedachtnis durch ein kostbares Denkmal zu ehren, hat die Ge-
meinde von Ferrara noch zu seinen Lebzeiten zwei groBe Monolith-
saulen kommen lassen. Die eine wurde durch Unvorsichtigkeit
zertriimmert, die andere lag lange unbeniitzt da, da es nicht zur
Aufstellung des Monumentes kam. Erst in der Mitte des XVII. Jahr-
hunderts lieB der papstliche Legat sie aufrichten und darauf das
Standbild des Papstes Alexander VII. anbringen, der iibrigens
keinerlei Verdienste um Ferrara hat. Ein Jahrhundert spater,
1796, in der Revolutionsepoche, haben die Republikaner das Denk-
mal des Papstes gestiirzt und eine Statue der Freiheit — aus Gips —
auf die Saule gesetzt. Der General Bonaparte war bei dieser Feier-
lichkeit zugegen. Als Ferrara 1799 in osterreichische Hande kam,
wurde das zerbrechliche Freiheitsgebilde zertriimmert, und die
Saule blieb leer. 1810, als die Republikaner wieder an der Spitze
der Regierung standen, wurde Napoleons Marmorbild dort an-
gebracht, wo einst die Statue der Freiheit gestanden hatte. Auch
Napoleon war nicht lange Zeuge der wechselnden Schicksale der
Stadt, da die Reaktion 1814 die verhaBte Statue entfernen lieB und
15*
228 NEUNTES KAPITEL
wohl nicht sehr glimpflich mit ihr verfuhr. SchlieBlich besann sich
Ferrara 1833 auf seinen groBen Dichter und setzte auf die hohe Saule
den, dem dieser Platz zukam — Ariost.
Ill
Das schone Portrat von Ariost, das die National Gallery in London
1904 aus einer Privatsammlung erworben hat, hat die gesamte
kunstlerische und literarische Welt, die sich fur Italiens Vergangen-
heit interessiert, auBerordentlich beschaftigt. Die Frage nach dem
Urheber dieses auBerordentlichen Werkes wurde laut: Tizian oder
Giorgione? sowie die zweite, ist ' die dargestellte Personlichkeit
wirklich Ariost?
Auf die kritischen Erorterungen, welchem der beiden Maler
dieses Portrat zuzuschreiben ist, kann ich hier nicht eingehen-; nach
meinem Dafiirhalten ist es ein Werk von Tizian. Anders liegt die
Frage, ob der Dargestellte, der etwa in den DreiBigen sein diirfte,
Ariost ist oder nicht. Meiner Uberzeugung nach: Ja. Es wurde
freilich darauf hingewiesen, daB Tizians Bildnis sich unterscheidet
von dem allgemein als authentisch anerkannten Portrat des Dichters,
das uns im Holzschnitt in der Ausgabe des ,,Rasenden Roland" von
1532 erhalten ist,aber es ist immer eine miBliche Sache, beiBildnissen,
die um Jahre auseinander liegen, die Frage nach der schlagenden
Ahnlichkeit zu stellen. Es kann sich nur darum handeln, ob die
Form des Kopfes, die Nase und die allgemeinen Ziige beider Mo-
delle solche Verschiedenheiten aufweisen, daB sie nicht nach der
gleichen Personlichkeit gemacht sein konnen. Diese Verschieden-
heiten fehlen hier, ja man kann sogar im verwitterten Kopf des
fast Sechsundsechzigjahrigen leicht die Ziige des Tizianschen
Jiinglings erkennen. Gliicklicherweise besitzen wir ein drittes
Portrat von Ariost: Domenico Pogginis Medaille, der Dichter ist
als Vierzigjahriger dargestellt, als er aus dem Dienst des Kardinals
Ippolito ausschied. In diesem Bronze-Ariost ist der Tiziansche Kopf
vollig wiederzuerkennen, und vom Holzschnitt laBt sich nur sagen,
daB der Dichter friih gealtert ist und iiber seine Jahre verfallen
ARIOST
229
wirkt. Pogginis Medaille zeigt auf dem Revers eine ziingelnde
Schlange, der eine von oben hineinreichende Hand mit der Schere
den Kopf abschneiden will, und die Aufschrift: ,,Pro bono malum."
Diese Devise bezog sich auf die Ungerechtigkeiten, die Ariost von
Ippolito erfahren hat.
Auf dem Londoner Portrat sieht Ariost den Beschauer friedlich,
wenn auch etwas melancholisch an, und eine unsagbare Giite liegt
iiber seinem Antlitz. Es ist eins der schonsten mannlichen Portrats
aus der Renaissance. Dieser melancholische Ausdruck, diese groBen
vertraumten Augen, ,, grand occhi di sogni", wie sie Ercole Strozzi
genannt hat, vergiBt man nicht wieder. Das Portrat mag fur uns
um so wertvoller sein, als es Ariost darstellt urn die Zeit, da er den
,,Rasenden Roland" geschrieben hat und im Dienste des Kardinals
stand. Es bestatigt unsere Vorstellung vom Dichter vollstandig.
Sanft und bescheiden, ohne groBe Forderungen an Welt und Gesell-
schaft, nur nach Ruhe verlangend. ,,LaBt mich schreiben und
arbeiten, stort mich nicht" — das war sein Wunsch in jener Zeit der
Feste und des Glanzes. Nur ein Gefiihl, eine leidenschaftliche Liebe,
vermochte sein Gleichgewicht zu storen; unter ihrem EinfluB
regte sich das heiBe Blut des Siidlanders, er war eifersiichtig und
empfand sogar die Freude der Vendetta.
Ercole Strozzi beschreibt in einem seiner besten Gedichte
,,Venatio" eine Jagd, die 1496 von Karl VIII. veranstaltet wurde,
als er sich zu seiner zweiten Expedition nach Italien riistete. Gegen
jede Chronologie und Geschichte beteiligen sich an dieser Jagd:
Ippolito d'Este, Cesare Borgia und die beruhmtesten damaligen
Dichter: Bembo, Tebaldeo, Pontano, Tito Strozzi und wahrschein-
lich auch Ariost. Jeder der Dichter hat schon ein Stuck Wild er-
legt, nur der letzte, Ariost, ist nicht bei der Sache; anstatt der Fahrte
des Wildes nachzugehen, treibt er die Hunde leidenschaftlich an:
Divisusque alio mentem committere tristeis
Intempestivis elegis meditaris amores . . .
Dieser Ariost mit der hohen Stirn und dem vertraumten Blick
tritt uns im Londoner Portrat entgegen. Wahrend der Jagd fesseln
ihn seine Elegien.
230 NEUNTES KAPITEL
All seine Bekannten spotten seiner Zerstreutheit. Bei Pio in
Carpi stent er friih auf und geht hinaus in die Felder in Pantoffeln
und leichtem Morgenkleid. In Gedanken geht er immer weiter,
bis er miide und hungrig in Ferrara ankommt. Ein andermal kommt
ein Freund zu ihm im Augenblick, wo der Dichter sein Mittagbrot
verzehrt hat. Der Wirt laBt zwar eine neue Schiissel auftragen,
vergiBt aber ganz, daB das Gericht fur den Freund bestimmt war,
und macht sich noch einmal iiber das Essen her, ohne dem Gast
etwas anzubieten.
Oder er erzahlt seinen Freunden so viel phantastische Ge-
schichten, daB der eine, der das Gesprach auf den nuchternen Boden
der Wirklichkeit bringen will, boshaft unterbricht: ,,Was braucht
man notwendig zu gekochten Eiern?" Ariost verstand die Frage
nicht und sprach ruhig weiter, aber als er nach einem Jahre dem
Fragenden begegnete, begriiBte er ihn mit der Antwort: Salz brauche
man an erster Stelle zu gekochten Eiern.
Melancholie und Schmerz gehen zumeist mit einem vertraumten
Wesen zusammen. Beim jungen Ariost fehlt diese Note nicht.
Zwischen 1501 — 1503 schreibt er viel Epitaphe und dichtet auch
sich selbst die Grabschrift, die mit den Worten beginnt:
Lodovici Ariosti humantur ossa
Sub hoc marmore . . .
Fur gewohnlich schreibt man mit dreiBig Jahren noch nicht an
seiner Grabschrift. Ariost empfand jedes Ereignis, jeden Schmerz
tiefer als andere, und der Dichter sagt selbst von sich, daB er einen
unsteten Geist habe, ,,mens impar". Diese Reizbarkeit fiihrte
spater zu einer diistern Auffassung von V/elt und Menschen, zu
der iibrigens die damaligen sozialen Zustande AnlaB genug boten.
Ariost faBte schon 1503, ehe er in den Dienst des Kardinals trat,
den Plan zu einem Gedicht, das ,,con tromba eterna" das Rittertum
und seine Kampfe verherrlichen sollte. Seine Freunde kannten
diesen Plan, und Bembo riet ihm, seine Dichtung lateinisch zu
schreiben, da er, der in seiner Jugend sich nur des Lateinischen in
gebundener Sprache bedient hatte, im Volgare keine Ubung habe.
Doch Ariost kummerte sich um diesen Rat nicht. Da das Italienische
ARIOST
231
noch ein ungeschliffener Edelstein war, glaubte er, daB jener Dichter
dem Volke dienen wiirde, der als erster wieder anfinge, im Volgare
zu dichten. Lateinisch schreiben, hieBe Eulen nach Athen tragen.
Lodovico war schon iiber dreiBig Jahre alt, als er 1506 die ersten
Biicher seines ,,Rasenden Roland" vollendete. Er las sie seinem
Kardinal vor, der ihn gefragt haben soil: ,,Dove avete trovato,
messer Lodovico, tante corbellerie?". Aus dieser Frage folgerte
man, daB Ippolito Ariosts Dichtung wenig geschatzt habe. Zwar
kommt es der Folgezeit wenig auf die Kritik eines Kardinals an,
den Frauen, Pferde und Politik mehr als Literatur interessiert haben,
aber da Ariosts Biographen Ippolitos Worten ein gewisses
Gewicht beimessen, lohnt es, sie auf das MaB zuruckzufiihren,
das ein Urteil dieser Art verdient. Man kann etwas Derartiges sagen,
ohne die Dichtung im geringsten zu miBachten. DaB der Roland
Marchen aller Art enthalt, ist nicht zu leugnen, doch der Kardinal
hat das Ungewohnliche dieser Marchen begriffen, da er gleich den
Anfang des Gedichtes fur seine Schwester, die Markgrafin von
Mantua, hat abschreiben lassen. Isabella dankt brieflich fur die
Zusendung, Ariosts Gedicht habe ihr groBe Freude bereitet, und
sie habe zwei schone Tage bei der Lektiire verbracht.
Ariost hatte Bojardos Plan aufgegriffen und weiter gesponnen.
Der Roman des Dichters aus Scandiano hatte groBen Erfolg gehabt,
er entsprach dem literarischen Sehnen der Zeit, und da Bojardo
seine Geschichte nicht zu Ende gefiihrt hatte, da seine Sprache
veraltet klang, muBte jeder Dichter von groBerer Begabung da-
nach streben, das Ideal des Ritterromanes zu vollenden. Schon
Agostini hatte sein Bestes versucht, aber seine Gestaltungskraft
langte nicht; die verfeinerte Gesellschaft der Renaissance verlangte
nach etwas Besserem. Die Ritterromantik eignete sich besonders
fur die damalige Epoche; diese Welt stand vor dem Auge des Dichters
schon als geschlossenes Ganzes, sie begann allmahlich neue
For men anzunehmen, andererseits bestanden die Bedingungen
noch, die es moglich machten, sie sich in ihrem verflossenen Glanz
vorzustellen. Zwar verkiindeten Alfonsos Waffen bei Ravenna
schon eine ganz andere politische und kriegerische Ara, aber noch
kampfte dort ein junger Fiihrer, der sich, als er einer schonen Frau
232 NEUNTES KAPITEL
denLiebesschwur geleistet, mit entbloBtem Arm ins Kampfgetiimmel
geworfen, und niemand wagte dariiber zu lacheln.
Noch strahlte das Rittertum, die cavalleria, in einem gewissen
Glanz. Als Karl V. wahrend seiner Kronung in Bologna den Ritter-
schlag erteilte, indem er die Haupter mit dem Schwert beriihrte
und die alte Formel sprach: ,,Esto miles" — umdrangte die Jugend,
die dieser Ehre teilhaftig werden wollte, den Kaiser in solchem
MaBe, daB der ermiidete Monarch sich an seine Umgebung mit
den Worten wandte, seine Krafte waren erschopft, ,,non puedo
mas", und da er sich nicht anders zu helfen wuBte, schwang er das
Schwert in der Luft iiber die sich drangende Menge und rief:
,,Estote milites, todos, todos!" ,,Seiet Ritter, alle, alle." Eine
unbewuBte Vorhersagung Don Quichottes! Aretin, der damals in
Bologna weilte, sammelte schon Material, um die Ritter zu ver-
spotten, obgleich er sich wie ein Pfau blahte, als ihm Karl V. eine
kostbare Kette um den Hals legte.
Ob Ariost mit seiner Dichtung irgendeinen politischen oder
moralischen Z'weck verfolgt und ob die gesamte Komposition eine
innere Einheit habe — um diese beiden Fragen streiten sich seit
jeher seine Kritiker: Voltaire, Guinguen6, Settembrini, de Sanctis,
Rajna, Carducci, Monnier. Jeder sucht das Ratsel auf seine Weise
zu losen. Die Tatsache allein, daB geistvolle Manner, die tief iiber
Ariosts Gedicht nachgedacht, diese Frage nicht ohne weiteres zu
losen vermogen, ist der beste Beweis, daB der ,,Rasende Roland"
kaum eine Einheit hat, und daB die Ziele der Dichtung nicht klar
sind. Uber Dinge, die klar liegen, entsteht kein Streit.
Wenn man an Ariosts Epos nicht mit dem Gedanken heran-
tritt, einen bestimmten politischen oder moralischen Zweck finden zu
miissen, so findet man das, was der Dichter in seiner schonen
Anfangsstrophe verspricht: ,,Die Schilderung von Frauen, Rittern
und Waffentaten, von Liebe, Cortesia und wichtigen Begebenheiten."
Le Donne, i Cavalier, l'arme, gli amori,
Le cortesie, l'audaci imprese io canto . . .
Er will ein treues Abbild des Rittertums geben, den Leser erfreuen.
Der Dichter folgt nur seinem kunstlerischen Zwang, er will schildern,
ARIOST 233
was seine Phantasie beschaftigt, was seinen Geist genahrt hat
Noch deutlicher als in jenen Versen driickt Ariost seine Absicht
in einem Briefe an den Dogen von Venedig aus, den er um die Er-
laubnis bittet, den ,,Rasenden Roland" drucken zu lassen. Er
versichert den Dogen, daB er ,,in langer Arbeit und schlaflosen
Nachten seinen Roman geschrieben, um Herren und Damen von
edlem Geist zu erfreuen und zu erheitern", ,,per spasso e ri-
creazione de' Signori e persone di animo gentile e madonne",
und daB er ,,darin mannigfache Liebesgeschichten und krie-
gerische Begebenheiten schildere, damit jeder sie mit Vergniigen
lesen konne".
Die ritterliche Welt in ihrer Fiille und Schonheit darzustellen,
die Gefuhle zu schildern, die diese farbige Welt beherrschen, Ehre
und Liebe besonders, und die Natur in ihrer GroBartigkeit zu feiern —
das war Ariosts eigentlicher Zweck. Weder politische noch mora-
lische Ziele haben ihn angefeuert, er gehorcht nur dem innern
Zwang, unter dessen BotmaBigkeit er steht. Und da Ariost durch-
drungen war vom Kult des Schonen, stromte in sein Gedicht seine
ganze Seele, sein innerstes Sein, und seine Auffassung der damaligen
Verhaltnisse von Politik, Familie und Frauen fand ihren Niederschlag
in kostbaren Versen, obgleich dies nicht in der ursprunglichen Ab-
sicht des Dichters lag. Trotz der groBen Objektivitat im Stil und in
der Darstellung hat sich in der Dichtung das Ziel von selbst durch-
gesetzt; die Einheit des Empfindens und der Phantasie geben dem
Werk seine Geschlossenheit. Ariosts Gedanken schweifen zwar
in feme Welten, aber er war trotzdem eine positive Natur, mit
gesundem Menschenverstand und klarem Blick fur seine Um-
gebung. Dafiir sind seine Satiren der deutlichste Beweis. Auch
der ,,Furioso" enthalt eine Fiille gesunder Grundsatze und An-
schauungen, und trotz seines phantastischen Anstriches gibt er
ein vorziigliches Bild der Renaissance- Gesellschaft.
Rajna hat auf die Anleihen hingewiesen, die Ariost bei klassi-
schen, mittelalterlichen und selbst zeitgenossischen Verfassern ge-
macht hat. Er hat aus Ovid, Horaz, Catull, Tibull, Properz und Statius
geschopft; Sallust, Livius, Cicero, Valerius Maximus, Apulejus haben
ihm Inhaltliches geliefert. Der bretonische Sagenzyklus und nament-
234
NEUNTES KAPITEL
lich der Roman ,,Giron le courtois" waren ihm reiche Fundgruben,
und unter seinen unmittelbaren Zeitgenossen haben ihn Bojardo,
Cieco da Ferrara und besonders der damals vielverbreitete Roman
,,Tirante el bianco" angeregt.
Diese Anleihen nehmen der Dichtung weder ihren Wert noch
ihren Reiz, so wenig wie man Shakespeare Plagiate vorwirft, weil
er Stoffe, die von anderen behandelt wurden, dramatisiert hat.
Der ,, Orlando furioso" laBt sich mit dem Dom von Pisa vergleichen,
auch dort wurden Saulen verschiedenster Herkunft zusammen-
getragen, und doch ist ein einheitliches Werk daraus entstanden.
Wie das Feuer im Hochofen, so schmilzt auch das Genie die ver-
schiedenartigsten Metalle zur einheitlichen Masse zusammen.
Jede Geschichte, jedes entliehene Faktum nimmt in Ariosts Phan-
tasie ,,ariostisches" Geprage an.
Im allgemeinen ist das Kapital der Einfalle, der Imagination,
der Vorrat an Inhalt in der Literatur der Volker erstaunlich klein,
kleiner, als man im ersten Augenblick glaubt. Von der Bibel, dem
Buch der Biicher, von Homer bis zu Goethe und Dumas gibt es
gewisse Motive, die immer wiederkehren, nur die Aufmachung
ist jedesmal eine andere.
Ariost schrieb zu einer Zeit, da der Islam das Christentum be-
drangte und Karl V. die Volker des westlichen und mittleren Europa
zusammenschloB, in der Absicht, ein Reich zu begriinden, das
sich der im Osten drohenden Gefahr zu widersetzen vermochte.
In dieser Beziehung glichen die Zeiten jener Epoche, da Karl der
GroBe unter seinem Szepter halb Europa zusammenhielt und mit
den Sarazenen kampfte. Die Themen aus Karls Zyklus waren
bis zu einem gewissen Grade der Gegenwart angenahert, und der
Dichter konnte sie mit neuem Leben fullen. Daher geht der Kampf
gegen die Unglaubigen als politischer Grundgedanke durch die
Dichtung. Daneben steht ein engerer, patriotisch-italienischer.
Schon Bojardos Gedicht schloB mit dem Klage iiber Italiens Un-
gliick; der Einfall der Franzosen hat Bojardo empfindlich ge-
troffen. Italiens politische Lage hatte sich seitdem durchaus
nicht gebessert, der fremde EinfluB wurde dem Volke immer ge-
fahrlicher. Das Geschlecht der Este erscheint dem Dichter als der
ARIOST
235
Felsen, an den Italien sich halten muB; Ariost verherrlicht das
Haus von Ferrara, vielleicht auch deshalb, weil er in seinem Dienst
steht, namentlich aber, weil Alfonso der Vertreter der starksten
und altesten italienischen Dynastie ist, unter deren Standarte das
Volk sich sammeln kann. Wie Vergil das £5>eschlecht der Julier
gefeiert hat, so preist er die Este als das von der Vorsehung
erkorene Herrscherhaus, das im Kampf mit den Feinden der Chri-
stenheit die erste Rolle zu spielen berufen ist. Merlins Grabes-
stimme verkiindet Bradamanta, daB sie die Stammutter dieses
ritterlichen Geschlechts werden wird.
Rogier totet am Tage seiner Hochzeit mit Bradamanta Rodo-
monte, den letzten Feind der Christenheit, und die Christenheit
und die Familie der Este triumphieren.
Voltaires Behauptung, der „Orlando furioso" sei die „Ilias"
und die ,,Odyssee" zugleich — , ein heroisch-religioses Gedicht
wie die ,,Ilias" und daneben in der Schilderung von Rogiers und
Bradamantas Zusammenleben ein Bild aus dem Familienleben
wie die ,,Odyssee" — besteht zu Recht. Die Elemente des offent-
lichen und des privaten Lebens der Renaissance schlieBen sich hier
zu einem poetischen Bild zusammen. Carducci wundert sich, daB
Ariost, der in Ferrara und seiner Umgebung gelebt und nur
einen ganz kleinen Ausschnitt der Welt gekannt hat, trotz dieses
begrenzten Horizontes kostliche Schilderungen einer Natur, die
der Dichter so nie gesehen, geben konnte. Carducci pragt,
um diese Tatsache zu erklaren, das schone Wort, daB ahn-
lich wie in Karls V. Reich die Sonne nicht untergegangen ist,
auch Ariosts Seele einen unendlichen lichtumflossenen Horizont
hatte.
Ariost hatte ein scharfes Auge fur menschliche Schwachen.
Fur ihn ist nicht wie fiir Bojardo die Liebe der Ursprung alles
GroBen, sie ist nicht das sieghafte, allbezwingende Gefiihl. Sie be-
deutet ihm mehr, sie ist die Grundlage der Familie, auf ihr baut
sich menschliche Gemeinschaft auf. Dantes gottliche, Petrarcas
platonische Liebe beginnen menschlichere Formen anzunehmen.
Der vielhundertjahrige Gesang der Troubadours verstummt, das
individuelle Empfinden muB sich den Pflichten gegen Familie
236 NEUNTES KAPITEL
und Vaterland unterordnen, damit es nicht wie die Liane, die
Schlingpflanze des Sudens, wuchere und den starksten Baumen
ihr Mark entziehe. Ein italienischer Schriftsteller vermutet, die
Renaissance-Menschen hatten daran gekrankt, daB sie der Liebe
zuviel Gewicht beigelegt haben; wichtigere politische Ziele traten
in den Hintergrund, und die Not des Volkes fand weibische
Manner.
Befreiend wirkt nach den Theorien eines verlogenen Platonis-
mus, nach Petrarcas Klagen und Bembos Sonetten Ariosts Satire
auf seinen Vetter Annibale Maleguccio, als er von dessen Absicht
zu heiraten erfuhr. Zum erstenmal finden wir in der Renaissance-
Poesie verstandige Worte iiber Weib und Ehe.
Nuchterne Erwagungen iiber die Frauen, wie in dieser Satire,
fehlen im Roland, aber man fiihlt den Wechsel in der Auffassung
der Liebe. Sie ist nicht mehr der Quell alles Guten, sie kann groBe
Taten hindern, den Mann verweichlichen und zur Raserei. bringen.
Che non pud far d'un cor ch'abbia suggetto
Questo crudele e traditore amore,
Poi ch'ad Orlando pud levar del petto
La tanta fe che debbe al suo Signore?
Gia savio e pieno fu d'ogni rispetto,
E della santa Chiesa difensore:
Or per un vano amor, poco del zio,
E di se poco, e men cura di Dio.
(Orl. fur. IX, I.)
Rolandos und Rinaldos Liebe zur Heidin Angelica hat die ge-
samte Christenheit in groBe Gefahren gestiirzt, Rinaldos Familien-
gliick, der Frau und Kinder hatte, zerstort, Schande iiber seinen
guten Namen gebracht und seinen klaren Sinn getriibt.
La gran belta che al gran signor d'Aglante
Macchio la chiara fama e Palto ingegno.
(Orl. fur. VIII, 63.)
Ariosts Dichtung steht an der Grenze zweier Jahrhunderte
und Auffassungen; der groBe Ferrarese beschlieBt die Periode der
ARIOST
237
Ritterpoesie, den Umkreis der Ideale der Signori und Capitani di
Ventura, und man ahnt den Beginn einer neuen Zeit mit neuen
sittlichen Idealen. Ariost ist nicht mehr Ghibelline wie Dante,
er strebt nicht mehr danach, die Macht des Kaisers zu erweitern,
die italienische Dynastie der Este mochte er an der Spitze des
Vblkes wissen. Als Dichter und Asthet liebt er die Ritterwelt,
die dem Untergang geweiht ist, er verehrt ihre Grofie, ihre Tugenden
and Vorziige. In einer wunderschonen Stanze schildert er, wie der
Sarazene Ferragu und Rinaldo nach einem furchtbaren Zwei-
kampf, der unentschieden geblieben ist, beschlieBen, Angelica zu
folgen, um ihre Spur nicht zu verlieren. Beide steigen voller Ver-
trauen, als Ritter sonder Furcht und Tadel, auf ein RoB — damit
yerleiht er seiner Verehrung ritterlicher Tugenden lebendigsten
Ausdruck.
O gran bonta de' Cavalieri antiqui!
Eran rivali, eran di fe diversi,
E si sentian degli aspri colpi iniqui
Per tutta la persona anco dolersi;
E pur per selve oscure e calli obliqui,
Insieme van senza sospetto aversi.
(Orl. Fur. I. 22.)
Mit wundervoller Anschaulichkeit schildert Ariost jede Szene,
jede Landschaft. In hochstem MaBe ist sein Gefuhl fiir die Natur
entwickelt, deshalb sagt auch Galilei, indem er ihn mit Tasso
vrergleicht, daB Tasso Worte und Ariost Dinge sage.
Rogiers Fahrt auf dem Hippogryphen, seine Jagd durch die
Liifte auf dem gefliigelten Renner ist so phantastisch, so groB-
artig und zugleich so anschaulich, daB wir glauben, an diesem
vvilden Ritt teilzunehmen. Und wie farbig sind diese paradiesischen
Gegenden, die sich vor uns entrollen, wie iippig und von siidlicher
Sonne durchgluht! Die Beschreibung von Rogiers Aufenthalt auf
der Insel Aretusa ist ein Meisterwerk.
Als der Roland fertig war, im Jahre 1515, war Ariost ein-
undvierzig Jahre alt, aber er hat sein ganzes Leben weiter daran
gearbeitet. Er las ihn seinen Freunden vor, bat, daB man ihn auf
238 NEUNTES KAPITEL
Provinzialismen oder Holprigkeiten im Vers aufmerksam mache.
Zu diesen vertrauten Korrektoren gehorten Bembo, Molza, Na-
vagero, Sadoleto und Marc Antonino Magno. Das in Florenz ge-
sprochene Italienisch erschien Ariost als das reinste, er hat seine
Sprache dem Toskanischen immer mehr angegliedert, norditalie-
nische Ausdriicke durch Florentiner ersetzt, gefeilt und jeden
Vers harmonisch und sangbar gestaltet.
Die schone Sprache, die farbigen, so plastischen Bilder, die
scharfe Beobachtung der Natur bilden den Hauptreiz von Ariosts
Dichtung. Er war der groBte Dichter der Renaissance. Italien hat,
von Dante abgesehen, keinen volkstiimlicheren Dichter als Ariost,
und auf der gesamten Halbinsel gibt es kaum einen Landmann,
kaum einen Schuler, der nicht wenigstens einige Stanzen des ge-
liebten ,,Furioso" auswendig wiiBte. In Sizilien sind die kleinen
zierlichen zweiradrigen Wagen zumeist mit Szenen aus Ariost
oder Tasso bemalt, in Ariosts Oktaven, die im Gedachtnis des italie-
nischen Volkes haften, ist das Bild der ritterlichen Vergangenheit
des Volkes lebendig.
Es ist seltsam genug, daB in dem kleinen Ferrara, diesem heute
vergessenen Landchen, fiinfzig Jahre nach Bojardo das groBte
Rittergedicht entstanden ist, und daB wieder fiinfzig Jahre spater
Tasso dort sein ,,Befreites Jerusalem" geschrieben hat. Im Jahre
i486 war ,, Orlando Innamorato" vollendet, 1532 ,, Orlando Furioso",
1581 ,,Gerusalemme Liberata". Es wurde darauf hingewiesen, daB
es im Laufe von drei Jahrtausenden nur fiinf groBe Epiker gegeben
hat, und davon stammen zwei aus Ferrara. Griechenland hat
Homer, Rom Vergil, England Milton und Ferrara Ariost und
Tasso erzeugt.
Ariosts Epos war von ungeheurem EinfluB auf die europaische
Literatur und hat befruchtend auf groBe Talente gewirkt. Im
XVI. Jahrhundert hat Edmund Spenser seine ,, Faerie Queene" ge-
schrieben, im XVIII. Voltaire seine ,,Pucelle" und Wieland seinen
„Oberon", im XIX. Byron seinen „Don Juan". Im XVI. Jahr-
hundert gab es noch eine Reihe spanischer Nachahmungen Ariosts.
Nur der polnische Dichter Mickiewicz ist in seinem „Pan Tadeusz"
andere Wege gegangen.
ARIOST
239
1515 erschien die erste Ausgabe des ,,Furioso". Leo X., von
dem Ariost so viel erhofft und der ihm so wenig gehalten hat,
erlieB wenigstens eine Bulle, um das literarische Eigentum des
Dichters zu schiitzen. Jedem, der das Buch nachdrucken oder ohne
Erlaubnis des Verfassers verkaufen wurde, war der papstliche Bann
angedroht. Sadoleto kontrasignierte das papstliche Doku-
ment, und in Bibbienas Bureau wurde es auf Kosten
des Dichters ausgefertigt und verschickt. Dies
veranlaSte ihn zur satirischen Bemerkung:
Mi fu, della quale ora il mio Bibbiena
Espedito m' ha il resto alle mie spese.
ZEHNTES KAPITEL
RENATA DI FRANCIA
errara, Ferrara, corpo di Dio, ti avro!"
„Beim Leichnam Christi, du wirst mein, Ferrara!" —
rief Julius II. in seiner soldatischen Ausdrucksweise,
aber die Wiinsche des kriegerischen Papstes sollten
nicht in Erfullung gehen. Alfonso I. verteidigte
Ferrara mit den Waffen so gut wie mit seiner
diplomatischen Geschicklichkeit. Leo X. hatte keinen anderen
Wunsch wie sein Vorganger, Julius II., wenn er ihn auch zahmer
ausgedriickt hat. Aber auch dieser Papst starb, ohne seine Plane
verwirklichen zu konnen. Da lieB Alfonso in seiner Freude eine
Medaille schlagen mit einem Schafer, der ein Lamm den Klauen
des Lowen, Leone, entriB, darunter stand die Aufschrift aus dem
Buch der Konige: De manu Leonis.
Aus diesen Kampfen mit zwei Papsten ging Ferrara machtiger
hervor, als es je gewesen war. Das Land erstreckte sich vom Ufer
des Adriatischen Meeres fast bis zur Bucht von Genua, und der
Kaiser sowie der Konig von Frankreich bewarben sich um Alfonsos
Freundschaft. Die in Cognac geschlossene heilige Liga, Franz I.,
die Florentiner und der Kaiser — sie alle wollten ihn zu ihrem
'Heerfuhrer wahlen. Nach Leos X. Tod schickte Alfonso seinen
funfzehnjahrigen Sohn Ercole nach Rom, damit er dem neuen
Papst Hadrian huldige und seine Gunst gewinne. Dem Jiingling
gefiel es in Rom auBerordentlich gut, der Papst umarmte ihn,
sagte, daB er von den besten Absichten fur Ferrara erfiillt sei, und
der begluckte Vater rief: ,,Mein Gott, ich danke dir, daB du
RENATA DI FRANCIA
241
mir solch einen Sohn gegeben!" Alfonso hat es bei der Erziehung
dieses Sohnes nicht an Sorgfalt fehlen lassen; da er selbst keine
literarische Bildung hatte und haufig diesen Mangel beklagt hat,
wollte er seinem Sohne ein grundliches Wissen geben und hielt
ihm die besten Lehrer. Der Knabe machte lateinische Gedichte,
war von groBer Beredsamkeit und in alien Wissenszweigen erfahren.
Auch Musik wurde griindlich geiibt, da Alfonso einmal gelesen
hatte, Themistokles hatte als Mann von schlechter Erziehung
gegolten, da er nicht Zither spielen konnte. So wurde Ercole nach dem
Bericht eines gleichzeitigen Chronisten in alien drei Arten der
Musik unterwiesen: in der ,,enharmonischen, diatonischen und
chromatischen" — nach unseren Begriffen hatte der junge Este
wenn nicht Komponist, so doch zum mindesten Dirigent eines
Orchesters werden konnen. Bei der Erziehung des Jiinglings wurde
nicht allein auf die Bildung des Geistes geachtet. Keiner seiner
Gefahrten tat es ihm in gymnastischen Ubungen gleich, er sprang
iiber die breitesten Graben, ritt die wildesten Pferde, handhabte
Lanze und Speer glanzend, und war Sieger in jedem Turnier. Dazu
war Ercole ein gutgewachsener, schoner, kraftiger Mensch von sehr
einnehmendem Wesen. Der Vater hatte ihn fruh zur Beratung allge-
meiner Angelegenheiten herangezogen, so daB es ihm auch in dieser
Beziehung schon als Jiingling an der notigen Erfahrung nicht fehlte.
Fur einen solchen Sohn war es nicht schwer, eine Gattin zu
finden, und als Ercole kaum siebzehn Jahre alt war, begann man
sich nach einer passenden Partie fur ihn umzusehen. Zwischen
drei Fiirstinnen schwankte die Wahl: Margarethe von Osterreich,
Karls V. natiirliche Tochter, Katharina von Medici, die spatere
Kdnigin von Frankreich, und Renata, die Tochter Ludwigs XII. und
der Kdnigin Anna, standen auf der engeren Liste. Alfons fiihlte
sich stark genug, um fur seinen Sohn um die Hand der franzdsischen
Konigstochter anzuhalten. Das Geschlecht der Este war alter als
das Konigsgeschlecht von Frankreich, denn wahrend sich dieses
kaum bis zum Jahre 862 zuruckverfolgen lieB, war Bonifazio Este,
der Graf von Lucca und Fiirst von Toskana, schon im Anfang des
IX. Jahrhunderts eine bekannte Personlichkeit gewesen. Franz I.,
der in Frankreich regierte, als sich Alfonso um Renatas Hand fur
16
242
ZEKNTES KAPITEL
seinen Sohn bewarb, nahm diesen Plan sehr gnadig auf, hoffte
er doch in den Este einen machtigen Bundesgenossen in seinem
Kampfe um Mailand zu finden. Dieses Herzogtum zu erobern,
gehdrte zu seinen heiBesten Wiinschen.
Die Verhandlungen fuhrten schnell zum gewunschten Resultat,
und Ercole brach am 3. April 1528 nach Frankreich auf, um seine
Gemahlin abzuholen. In seinem Gefolge waren hundertfiinfund-
fiinfzig Menschen, hundertneun Pferde und siebenunddreiBig Maul-
tiere. Unterwegs vergroBerte sich der Zug, da der ferraresische
Adel sich drangte, den jungen Herzog nach Paris zu begleiten.
Ercole ging uber Spezzia, Genua und Savona, um Mailand zu ver-
meiden und dem Kaiser nicht in die Hande zu fallen, der, unzufrieden
uber die Vereinigung der Este mit dem Hof von Frankreich, Ercole
unter irgendeinem Vorwand hatte aufhalten und gefangen nehmen
kdnnen.
Am 22. Mai empfing Franz I. den jungen ferraresischen Erb-
prinzen in Saint Germain, Ercole hatte zu diesem Feste ein kost-
bares Gev/and angelegt und stand an der Spitze von hundert-
fiinfzig vornehmen Rittern. Von Renata, die er noch nicht kannte,
empfing er keinen iibermaBig angenehmen Eindruck. Der ferrare-
sische Gesandte berichtet Alfonso: ,,Es scheint, daB der junge
Herzog eine schonere Braut lieber gesehen hatte." Renata war
klein und zart, sie hatte ein rundes Gesicht, kleine blaue Augen
und einen sehr kleinen Mund, ihre FiiBe waren von Kindheit an
infolge rhachitischer Leiden krumm. Ihre groBten Reize waren
langes Haar, ein guter Teint und ein Busen von schneeiger WeiBe;
selbst die Hofpoeten wuBten, abgesehen von diesen Vorziigen, auBere
Reize an ihr nicht zu entdecken. Francesco Maria della Rovere, der
Herzog von Urbino, nannte sie ,,un mostro", aber der Herzog war fur
seine bose Zunge bekannt und iibertrieb gern. ,,Eine MiBgeburt" war
sie nicht, aber ihre Portrats im Musee Conde zu Chantilly, und
in den Sammlungen der Fiirsten Czartoryski beweisen zur Ge-
niige, daB Ercole, der die schonen Italienerinnen gewohnt war,
eine nicht geringe Enttauschung beim Anblick seiner kiinftigen
Gemahlin erleben muBte. Sie war aber sehr lebhaft, ,,un esprit tout de
feu", sehr gut erzogen und fiihrte ein Gesprach nicht ohne Anmut.
RENATA DI FRANCIA 243
Der ,,ritterliche" Franz I., der seinen kunftigen ,, Cousin" mit
sehr viel Pracht empfing und Renata eine groBe Mitgift versprochen
hatte, begann unmittelbar nach der Trauung Geldanleihen bei
Ercole zu machen. Zu seiner Expedition gegen die Lombardei wollte
er von den Este ftinfzigtausend Taler haben. Der arme Ercole
erschrak, als er an Stelle der erhofften Mitgift fur das franzo-
sische „Monstrum" auch noch bezahlen muBte. An denVater wagte
er sich nicht zu wenden, denn ailein die Reise nach Paris hatte
dreiBigtausend Taler verschlungen und fur hunderttausend hatte
er seiner Verlobten Geschenke gemacht. Da er sich nicht anders
helfen konnte, verkaufte er einen Teil der Pferde, mehrere kost-
bare Gerate und Kleinodien, anderes wurde versetzt, bis er die
dem Konig notige Summe zusammen hatte. Aber nachdem Franz I.
die Nichte verheiratet und das Gold der Este in der Tasche hatte,
begann er wegen der Mitgift zu handeln, und die versprochene
Summe wurde immer kleiner. Er benahm sich wie ein Wucherer;
zuerst hatte er Renata zweimalhunderttausend Taler versprochen
und einen ebenso groBen Betrag ausgesetzt, um sie fur den Verzicht
auf die Bretagne zu entschadigen, auf die sie durch ihre Mutter Rechte
hatte. Nach der Hochzeit bewilligte er nur vierzigtausend Taler
Mitgift und ein jahrliches Fixum von zwolftausend, obgleich die
Bretagne ailein jahrlich iiber zweimalhunderttausend Taler abwarf.
Trotz dieses Handelns und des groBen Geldmangels am franzo-
sischen Hof waren die Hochzeitsfeierlichkeiten groBartig und
nahmen kein Ende. Der Konig gab ein so prachtiges Bankett,
daB selbst die Hoflinge, die groBartige Feste gewohnt waren, nicht
aus dem Staunen kamen. Die anhaltenden Feste iiberstiegen selbst
die Kraft des jungen Paares, Ercole bekam Fieber und Renata
qualende Kopfschmerzen. Der Hofpoet, Clement Marot, trostete
sie in einem langen Hochzeitskarmen iiber den Verlust des jung-
fraulichen Kranzes, der Apfelbaum gelte mehr, wenn er Fruchte,
als wenn er nur Blumen trage.
Fille de roy, adieu ton pucelage,
Et toutesfoys tu n'en dois faire pleurs;
Car le pommier qui porte bon fructage
Vault mieulx que s'il ne porte que fleurs.
16*
244
ZEHNTES KAPITEL
Marot schrieb dieses Gedicht in einer gliicklichen Stunde, Re-
natas groBtes Verdienst waren fiinf gesunde Kinder, zwei Sonne
und drei Tdchter, was wohl niemand dieser kleinen rhachitischen
Prinzessin zugetraut hatte.
Einen Monat nach der Trauung brach das junge Paar nach
Ferrara auf. Renatas franzosische Umgebung bestand aus
hundertfiinfzig Personen, Ercoles Gefolge aus dreihundert. Eine
Abteilung von Fourieren zog voraus, um Lebensmittel zu be-
schaffen und die friedlichen Einwohner unterwegs aus ihren Hausern
zu werfen, damit es Platz fur den Hof gebe. Es war eine beschwer-
liche Reise, es ging iiber den Mont Cenis und durchs Piemonte-
sische, und erst an der Grenze des estensischen Reiches erwartete
Alfonso die Schwiegertochter, deren Wunsch, den Herzog kennen
zu lernen, so lebhaft war, daB sie ohne diese Hoffnung die Strapazen
nicht iiberstanden hatte. Wenigstens behauptet dies einer der esten-
sischen Hoflinge in einem an den Herzog geschriebenen Brief. Wir
wissen nicht, welchen Eindruck Renata auf Alfonso gemacht hat,
spater war er ihr der beste Vater und Beschiitzer.
In Modena erwarteten die junge Frau die groBten Anstrengungen.
Dort wurde ihr zu Ehren ein feierlicher Empfang veranstaltet. Der
Statthalter Giacomo Alvarotti hatte ungewohnliche Vorbereitungen
getroffen: den Schmutz und die Steine, die seit Jahrhunderten in den
StraBen lagen, hatte er fortschaffen lassen und die Figuren zweier
Engel verbessern, die an der Stadtuhr am Turm die Stunde zu
schlagen hatten, aber diese Pflicht seit zwanzig Jahren nicht mehr
erfiillten; Betten fur zweitausend Menschen wurden aufgeschlagen
und Stalle fur fiinfzehnhundert Pferde hergerichtet, ungeheure
Quantitaten von Lebensmitteln zusammengeschleppt, darunter
so viel Zucker und Wachs, daB zwolf Maultiere zum Herbeischaffen
dieser Ladung kaum langten. Diese Vorbereitungen waren not-
wendig, da man in Modena auBer dem jungen Paar, dem Herzog
Alfonso und dem ungeheuren Gefolge noch den Herzog von
Mailand, den Markgrafen von Mantua und den Herzog von Urbino
mit Gemahlin erwartete.
Alfonso wollte seine Schwiegertochter aufs festlichste emp-
fangen und all ihre Wiinsche erfiillen. Er lieB es jedoch auch darin
RENATA DI FRANCIA 245
nicht an der notigen Vorsicht fehlen. In Modena hatte er einen sehr
gefahrlichen Gefangenen, Girolamo Pio di Sassuolo, der auf Ver-
anlassung des Bischofs von Casale, des papstlichen Kommissars
in Piacenza, eine Verschworung gegen sein Leben angezettelt hatte.
Rom war in seinen Mitteln nicht wahlerisch, urn Alfonso aus dem
Wege zu raumen, Ferrara zu annektieren und dem Kirchenstaat
einzuverleiben. Der Herzog fiirchtete, man konne Renata iiber-
reden, ihn um das Leben des Verbrechers zu bitten; um dem vor-
zubeugen, machte er kurzen ProzeB und lieB den Gefangenen ent-
haupten, ehe Renata in Modena eintraf. So war die heikle Frage
aufs einfachste geldst, und Alfonso kam nicht in die fatale Situation,
seiner Schwiegertochter eventuell einen Wunsch abschlagen zu
mussen.
Nach alter, nicht gerade schoner Sitte raubte die italienische
Bevolkerung nach der Abreise beriihmter Gaste die ganze Ein-
richtung, samtliche Gegenstande, die zu ihrem Empfang gedient
hatten. Um die franzosischen Gaste nicht durch diesen Brauch
zu argern, erlieB der Statthalter ein Verbot, das Maultier, auf dem
Madame Renata in die Stadt kame, anzuriihren, ihre Sanfte fortzu-
nehmen, den Baldachin zu zerreiBen oder sich Waffen anzueignen,
die ihren Hoflingen angehorten, da der Herzog selbst die Absicht
habe, diese Dinge unter das Volk zu verteilen, um sich nicht iibler
Nachrede auszusetzen.
DieFestlichkeiten,Balle,Turniere und Pferderennen dauerten zehn
Tage, waren aber ohne rechte Freudigkeit, denn das Land hatte
sich kaum von einem groBen Ungliick einer pestilenzartigen Seuche
erholt, und das Elend in der Stadt war so furchtbar, daB die Armen
wahrend der Feste durch die StraBen liefen und um Erbarmen flehten,
da sie Hungers stiirben; es gab keinen Tag, an dem man nicht vor
irgend einem Portikus die Leichen Verhungerter gefunden hatte.
AuBerdem triibte ein erneuter Anschlag auf Alfonsos Leben die
Feste. Rom ruhte nicht: der papstliche Gesandte in Bologna hatte
schon wahrend der Feste in Modena mit einem gewissen Paolo
Luzzesco verabredet, den nach Ferrara heimkehrenden Fiirsten zu
iiberfallen und zu toten. Alfonso blieb jedoch am vorherbestimmten
Tage in der Stadt, und der Anschlag wurde entdeckt.
246 ZEHNTES KAPITEL
Die beiden Este, Vater und Sohn, waren unablassig bemiiht,
Renata einen giinstigen Eindruck von Italien zu verschaffen.
Ferrara gehdrte damals zu den groBten Stadten von Europa, es hatte
sechzigtausend Einwohner, soviel wie Rom unter Leo X., doch
war es freilich mit Paris, das anfing sich zur glanzendsten Residenz
zu entwickeln, nicht zu vergleichen. Die Este furchteten deshalb,
daB ihre Stadt auf Renata und ihre Umgebung einen traurigen Ein-
druck machen wiirde, und suchtcn ihr die ersten Tage im fremden
Lande durch Feste zu verschdnern. Alfonso war Witwer, und da
dem ferraresischen Hof die Hausfrau fehlte, kam die Markgrafin
Isabella aus Mantua zum Empfang der Franzosin. Da infolge der
Seuche viele Familien in Trauer waren und die Stadt einen traurigen
Eindruck machte, befahl Alfonso, alien ohne Ausnahme wahrend
des Karnevals bunte Kleider anzuziehen und in festlichen Ge-
wandern zu Renatas BegriiBung an den FluB zu kommen. Wer es
beim Anblick der kiinftigen Thronfolgerin an Freudenrufen fehlen
lieB, verfiel einer Geldstrafe von fiinf Skudi. Ohne Zweifel wird
Renata beim Einzug in Ferrara einen besonders starken Eindruck
von der Lungenkraft der Bevblkerung erhalten haben.
Wahrend der ersten Wochen, die Renata in Ferrara verlebte,
arrangierte Alfonso Kavalkaden, Balle und verschiedene andere
Zerstreuungen. Am groBartigsten fiel jedoch ein Fest aus, das
Ercole gab, urn dem Vater fur seine Miihe und die liebenswiirdige
Aufnahme Renatas zu danken. Die Feier begann mit einer Auf-
fiihrung von Ariosts ,,Cassaria"; da die junge Herzogin kein Italie-
nisch verstand, muB die Frage of fen bleiben, wie weit sie sich dabei
unterhalten hat. Das der Vorstellung folgende Bankett iibertraf
alles, was man in Ferrara je gesehen. Allein der Haupttisch war
eine Sehenswiirdigkeit. Fiinfundzwanzig groBe Zuckerfiguren,
Herkules' Taten, zogen schon von weitem alle Aufmerksamkeit
auf sich, und was soil man von den silbernen Tafelaufsatzen, den
ungeheuren Kandelabern mit weiBen Wachskerzen, der Fiille
der Schiisseln mit kalten Gangen sagen? Als ersten Gang trug
man bei Trompetenklangen zehn Gerichte auf je 25 Schiisseln auf,
wahrend sie serviert wurden, sang Madonna Dalida, von einem
vortrefflichen Quartett begleitet. Dann servierte man noch sechs-
RENATA DI FRANCIA
247
trial je zehn verschiedene Gerichte auf 25 Schiisseln. Es wurden
also im ganzen siebzig verschiedene Gerichte serviert, und zu jeder
Schiisselserie gab es einen andern musikalischen GenuB. Dazu war
ein beriihrnter spanischer Narr auf einem Dromedar gekommen,
um die Gaste durch seine Scherze zu erheitern.
Nach dem Dessert, das in diese Kiichenstatistik nicht aufge-
nommen wurde, wurde eine ungeheure Pastete aufgetragen, in der
sich Geschenke fiir die Festteilnehmer befanden: Kalsketten, Arm-
bander, Ohrringe, Barettagraffen, im Wert von zweihundert-
fiinfzig Skudi.
Auf die erschbpfte, schwachliche Renata muBten diese an-
haltenden Feste einen niederdriickenden Eindruck machen. Von
den Tischen, die sich unter der Last der Speisen bogen, unter-
schied sich der Palast, der ihr als Wohnung angewiesen war,
in seltsamster Weise. Das ganze Gebaude war so verwahrlost,
daB die Herzogin eines Nachts ihr Schlafzimmer in Eile raumen
muBte, da die Decke einzustiirzen drohte. Die Franzosinnen, die
mit Renata nach Ferrara gekommen waren, schildern die Stadt
in den schwarzesten Farben. Die eine berichtet, Ferrara sei ein
groBer Misthaufen, ein Nest von Flohen und Wanzen, mit einer
Unzahl von Miicken als Beigabe, und das Quaken der Frosche
und Krachzen der Raben hore man die ganze Nacht. Trotz der
vierzehn Ehrendamen und der vielen franzoeischen Dienstboten
fiihlte Renata sich sehr einsam und so fremd in ihrer neuen Urn-
gebung, daB sie nicht einmal Lust hatte, Italienisch zu lernen.
Die ganze Pariser Kolonie, die Herzogin an der Spitze, hielt sich in
echt franzosisch-eingebildeter Art fiir etwas Hoheres als die Italiener
und fiir ein Opfer der Politik. Ja noch mehr, Renata selbst betrachtete
sich nicht als italienische Herzogin, sondern als diplomatische Ab-
gesandte des franzosischen Konigs, die auf ihrem neuen Posten
die Interessen Frankreichs zu vertreten hatte.
Schrieben ihr diese Interessen vor, gegen den Papst zu sein,
so war Renata Roms Feindin, war der Kbnig von Frankreich mit
dem Herzog von Ferrara unzufrieden, so wurde Renata fast zur
Feindin des eignen Gatten, konspirierte mit seinen Gegnern
und unterstiitzte sie, wo immer sie konnte. Trotz ihrer Gegner-
248 ZEHNTES KAPITEL
schaft gegen den Papst hielt sie sich sehr eng an alle kirchlichen
Vorschriften, sie war aberglaubisch, trug unter ihren Kleidern eine
Schnur, mit der sich der heilige Francesco a Paolo gegiirtet haben
soil, und lieB sich aus Chartres zwei Hemden schicken, genaht
nach der Form des Hemdes der Mutter Gottes, das sich im dortigen
Domschatz befand. Diese Anhanglichkeit an die romisch-katho-
liche Kirche hinderte sie nicht, unmittelbar nach ihrer Ankunft
in Ferrara die franzosischen Emigranten, die Hugenotten, za
unterstutzen und zu protegieren. So wurde ihr Hof zur Zufluchts-
statte der Emigranten, ihre Zahl wuchs mit jedem Tage. 1529
unterhielt sie beinahe zweihundert Personen; in ihrer Umgebung
befanden sich vier Sekretare, sieben Ehrendamen, drei Kaplane,
drei Kleriker, zwei Kirchensanger, sechs Zimmermadchen, sechs
Kammerdiener, drei Tapezierer, ein Arzt, ein Apotheker und ein
ganzer Stab von Stall- und Kuchendienerschaft. Der Unterhalt
dieses Stabes hat jahrlich 50 909 Lire verschlungen. Die wichtigste
Personlichkeit in der franzosischen Kolonie war Madame de Soubise,
Renatas Freundin. Renata hatte, kaum drei Jahre alt, ihre Mutter
verloren, auf dem Totenbette hatte Anna de Bretagne ihr Kind Frau
von Soubise anvertraut, die gleichfalls aus der Bretagne stammte.
Die Soubise war seitdem die unzertrennliche Gefahrtin der Prin-
zessin, in Ferrara aber war sie ihr boser Geist, sie gestattete ihr
nicht, ihre Interessen mit denen des Herzogtums von Ferrara
zu identifizieren, und wachte streng dariibsr, dafl Renata bei jedem
Schritt eingedenk bleibe, daB sie Pionierin des franzosischen Ein-
flusses in Italien sei. Sie gestattete ihr nicht einmal, sich auf portu-
giesische Art anzuziehen, der damals in Italien herrschenden Mode,
sondern iiberredete sie, bei franzosischen Kleidern zu bleiben,
die ,,anstandiger und fester anschlieBend waren".
Die jedes MaB iibersteigenden Ausgaben fur den Unterhalt des
Hofes und der ,,armen Franzosen", die sich von alien Seiten um
Renata scharten, boten den ersten AnlaB zu MiBverstandnissen
zwischen den Gatten, besonders da Frau von Soubise die Herzogin
gegen ihren Mann aufhetzte. Als Ercole diesen schadlichen EinfluB
erkannte, wollte er die franzosische Hofmeisterin nach Frank-
reich zuriickschicken, aber das war nicht so einfach, da der Hof
RENATA DI FRANCIA
B1LDNIS VON IK. CLOUET(?). SAMMLUNG FURST CZARTORYSK1 IN GOLUCHOW
RENATADI FRANCIA
249
von Paris sie als seine geheime politische Agentin betrachtete
und der alte Alfonso eine Vorliebe fur die amiisante Franzosin
hatte, die ihn durch ihren Witz und ihre Lebhaftigkeit zerstreute.
Ercole muBte sich furs erste mit Madame de Soubise abfinden,
namentlich da der KongreB von Bologna, der auch fur Ferraras
Zukunft wichtig war, seine Gedanken und seine Tatigkeit vollauf
in Anspruch nahm. Ferrara hatte in Klemens VII. einen nicht
weniger hartnackigen Gegner als in Julius II. oder Leo X. Der
Papst machte seinen ganzen EinfluB auf dem KongreB geltend,
um nicht nur Ferrara an sich zu reiBen, sondern auch Modena dem
Kirchenstaat einzuverleiben. Karl V. bedurfte jedoch des esten-
sischen Staates, um das Gleichgewicht in Italien zu erhalten; er
veranlafite daher den Papst, Alfonso nach wie vor Ferrara
als Lehen zu iiberlassen, unter der Bedingung, daB der Herzog
dem Papst auf der Stelle hunderttausend Dukaten auszahle und
ihm fur die Zukunft einen Tribut von siebentausend verbiirge.
Modena, Reggio und Rubiera sollten den Este auch in Zukunft als
kaiserliches Lehen gehoren. SchlieBlich sollte der Papst Alfonso
AblaB fur alle Siinden erteilen, die er gegeniiber der romischen
Kurie begehen wiirde, vorausgesetzt, daB der Herzog um diese
Entsiindigung einreiche. Alfonso fiigte sich den kaiserlichenBeschlus-
sen, der Papst nahm das Geld zwar als ,, Depot", schloB aber keinen
KompromiB, um sich die Hande nicht fur die Zukunft zu binden.
Tatsachlich behielt Alfonso seinen Besitz; die Freude in Ferrara
war dariiber sehr groB, und der Hof ward wieder lebendig. Bankette,
Maskeraden, Komodien, Moresken, Turniere, Konzerte drangten
einander, und Literaten und Gelehrte versammelten sich im Winter
fast jeden Abend bei Ercole, so daB Ferrara Italiens Salon genannt
wurde.
Das Verhaltnis zu Frau von Soubise spitzte sich immer mehr
zu. Sie hatte einen Sohn und zwei Tochter; Anna de Parthenay, die
altere, war mit Antonio de Pons, dem Grafen de Marennes, einem
Edelmann, der am franzosischen Hofe lebte, verlobt. Anna war bei
ihrer Mutter in Ferrara, de Pons in Frankreich, die Hochzeit wurde
immer wieder hinausgeschoben, weil Ercole, wie Frau von Soubise
behauptete, de Pons nicht in Ferrara haben wollte. Die Sache
250
ZEHNTES KAPITEL
ging bis zu Kbnig und Papst. Klemens war damals in Marseille
und bekundete in ziemlich ungewbhnlicher Weise seine Sympathie
fur ,, seine geliebte Tochter, Anna de Parthenay, voller Tugenden
und Wissen". In einem besonderen Breve vom 10. November 1533
erteilte der Papst ihr, dem Grafen de Pons und vier anderen Personen,
die sie nach Gutdiinken zu bestimmen hatte, das Recht, sich einen
Beichtiger zu wahlen, der die Befugnis hatte, zu entsiihnen ,,Mord,
Ehebruch, Kirchenschandung, geistlichen Personlichkeiten zu-
gefiigte Gewalt (mit Ausnahme von Bischdfen), iiberhaupt Ver-
brechen jeder Art, die sie begehen konnten". Der Papst setzte also
viel voraus und verzieh noch mehr, und das Ehepaar de Pons durfte
viel siindigen im BewuBtsein, Verzeihung zu erlangen. Der Papst
wuBte damals nicht und hatte diesem Umstand vielleicht auch nicht
Gewicht genug beigelegt, daB Frau von Soubise und ihre Tochter
Anna Calvins Freundinnen waren.
Dieser Gnadenbeweis des Papstes raumte alle Hindernisse aus dem
Wege, und der Graf Pons begab sich unverzuglich nach Ferrara.
Dort war alles freudig bewegt, da Renata am 22. November 1533
einen Sohn, Alfonso II., geboren hatte, der Ferraras letzter Herzog
sein sollte. Zur Taufe hielt ihn der Erzbischof Ippolito d'Este,
als Vertreter des Konigs von Frankreich.
Die Trauung von de Pons und von Anna de Parthenay fand in den
ersten Tagen des Jahres 1534 statt. Ercole wollte dieser Festlich-
keit nicht beiwohnen und ging fur kurze Zeit nach Venedig. Das
junge Paar blieb in Ferrara, und Frau von Soubise erlebte einen
vollkommenen Triumph, besonders da ihr Schwiegersohn der fast
offizielle Agent des Konigs von Frankreich war.
Alfonso hatte den Wunsch, ein Biindnis mit Venedig zu schlieBen.
Ercoles Reise in die Lagunenstadt hatte also einen bestimmten
Zweck, und selbst die Herzogin Renata wurde spater in Gesellschaft
des Erzbischofs Ippolito und Francesco d'Estes hingeschickt, um der
machtigen Nachbarstadt zu schmeicheln. Die Republik empfing
die franzosische Konigstochter aufs groBartigste, der Doge, Andrea
Gritti, entbloBte sein Haupt vor ihr, was eine ungewohnliche Aus-
zeichnung war; der Rat der Zehn lieB einen Teil der Rialto-Briicke
auseinandernehmen, damit der Bucentaur, der Renata trug, vor
RENATA DI FRANCIA 251
dem estensischen Palast anlegen konne; es wurde getanzt, der Canale
grande mit Fackeln beleuchtet, Freudenschiisse abgebrannt — aber
die venezianische Regierung wollte nicht verstehen, dafi es den
Este urn ein Biindnis zu tun war.
II
Etwa gleichzeitig starben Klemens VII. und Alfons I., der Papst
am 25. September, Alfonso am 28. Oktober 1534. Ferrara verlor
einen seiner tuchtigsten und tapfersten Herrscher, aber auch einen
seiner erbittertsten Gegner. Der sterbende Alfonso hatte noch die
Freude, daB sein Freund, der Kardinal Farnese, als Paul III. auf
den papstlichen Stuhl kam.
Renata vermachte Alfonso ,,als Beweis seiner herzlichen Zu-
neigung" ein kostbares Kleinod, das ihrer wiirdig war. Die Testa-
mentsvollstrecker sollten es unter seinen hinterlassenen Schatzen
nach Gutdiinken auswahlen.
Unmittelbar nach Alfonsos Tod versammelte Graf Sacrato,
der Giudice de1 savi, den groBen Rat, und bei Trompetenschall
wurde Ercole zum Nachfolger ausgerufen. Der neu erwahlte Herzog
trat auf die Plattform der SchloBtreppe, ganz in weiB gekleidet,
den Mantel uber die Schulter geworfen, mit kostbaren Juwelen
am Barett, dann bestieg er sein Pferd und ritt durch die ganze Stadt;
zu seiner Rechten hielt sich sein Oheim, der Erzbischof, zu seiner
Linken der mailandische Gesandte.
Das herzogliche Pferd trug eine weiBe Schabracke, und ein
weiBer Federbusch nickte auf seinem Kopf. Vor der Kathedrale
machte der Herzog Halt, stieg vom Pferd, trat ins Heiligtum und
empfing dort den Treuschwur vom Richter der Savi, als Vertreter
des ferraresischen Volkes. Ins SchloB kam er zu FuB zuriick,
da das Volk alter Sitte gemaB das herzogliche Pferd fortgefiihrt
und den Baldachin in Stiicke gerissen hatte, alles zum Andenken.
Diesmal vergaB Renata Frankreichs, sie erwartete ihren Gatten
in einer kostbaren, golddurchwebten Robe mit langen, geschlitzten,
zobelgefvitterten Armeln. Die Herzogin war von ihren schonsten
252 ZEHNTES KAPITEL
Damigellen und hundert der vornehmsten Frauen Ferraras urn-
geben. Als Ercole in den Saal trat, warf sie sich ihm urn den Hals,
sie umarmten sich und waren so geruhrt, daB sie Tranen in den
Augen hatten. Doch waren dies nur voriibergehende Empfindungen,
nach dem Begrabnis des Vaters, bei dem eine ungeheure Pracht
entfaltet worden war, begann Ercole, den jetzt keinerlei auBerer
Zwang hinderte, einen scharfen Krieg gegen die Franzosen, die
ihm das Leben vergifteten. Diesmal ohne Riicksichtnahme auf
Franz I., der ihn immer getauscht, keine seiner Zusagen gehalten
und ihn mit einer Schar franzosischer Spione umgeben hatte.
Namentlich war es ihm darum zu tun, die Soubise los zu werden.
Ercole machte ihr zum Vorwurf, daB sie seinen Ruf durch ihre
Klatschereien schadige, und nach Frankreich berichte, daB er seine
Frau schlecht behandle und keine franzdsische Dienerschaft um
sie dulden wolle. Frau von Soubise wieder konnte sich bei Franz I.
liber Ercoles schlechte Behandlung beklagen, sie miisse sogar
Zoll fur die Kleider bezahlen, die sie aus Frankreich kommen lasse.
Tatsachlich erhob Ercole Zoll von Frau von Soubise, da die schlaue
Franzosin den Schmuggel in groBem MaBe betrieb, und eine Un-
masse von Dingen aus Frankreich zum Verkauf einfuhrte, unter der
Vorspiegelung, sie fur ihren eigenen Bedarf zu verwenden. Frau
von Soubise fiihlte sich durch diese Beschuldigung verletzt, sie be-
schloB, Ferrara zu verlassen, aber als der Tag ihrer Abreise ge-
kommen war, blieb sie ruhig in Ferrara, namentlich da Ercole nach
Rom gehen muBte, um sich beim neuen Papst um die Investitur
von Ferrara zu bemuhen, die Klemens VII. trotz des empfangenen
Geldes nicht bewilligt hatte. Paul III. blieb der Politik seines Vor-
gangers treu, er wollte Geld haben, aber dachte nicht daran, die
Investitur zu verleihen. Des Handelns mit dem Papst mude, verlieB
Ercole plotzlich Rom und ging nach Neapel, wo Karl V. sich auf-
hielt. Der Kaiser, der gleichfalls in Geldnoten war, empfing den
Herzog sehr liebenswiirdig, da auch er Geld brauchte, und nach
kurzen Verhandlungen erteilte er ihm die Investitur fur alle Lander,
die der Herzog besaB. Ercole wurde ungeheure Summen los, und
ein Teil des vaterlichen Erbes floB diesmal nicht in den papstlichen,
sondern in den kaiserlichen Sackel. Rabelais, der am Hofe des
RENATA DI FRANCIA
253
Kardinals du Bellay in Rom war, schrieb damals nach Paris, ,,der
Herzog miisse die Taler hergeben, die er von seinem seligen Vater
geerbt, da ihn der Papst und der Kaiser nach Gutdiinken rupfen",
,,le Pape et l'Empereur le plumeront a leur vouloir". Ercole schloB
sich ganz dem Kaiser an, beschloB dessen Politik zu fordern und
mit den Franzosen zu brechen.
Wahrend der Herzog ins kaiserliche Lager iibergegangen war,
trieb Frau von Soubise auf eigne Faust Politik in Ferrara. Um
in Frankreich den Eindruck von Ercoles Reise nach Neapel ab-
zuschwachen, kam sie auf den Einfall, daB Renata nach Lyon,
wo sich Franz I. aufhielt, reisen sollte. Als Ercole in Rom von dieser
Intrigue erfuhr, ging er sofort nach Ferrara zuriick, widersetzte
sich diesem Plan energisch, und selbst Franz I. uberredende Briefe
niitzten nichts. Ercole erwiderte schroff: ,,in Italien sei es Sitte,
daB die Mutter ihre Kinder hiite und sich nicht auf Reisen be-
gebe, auBerdem konne die beschwerliche Reise nach Frankreich
iiber Berge und durch unruhige Lander Renatas schwacher Gesund-
heit schaden". Ercole zwang Frau von Soubise trotz Renatas
Widerspruch, sofort abzureisen; die intrigante Franzosin muBte
am 20. Marz 1536 die Stadt der Frosche und Miicken verlassen. Die
Herzogin beschenkte sie reichlich zum Abschied, lieB ihr eine be-
queme Sanfte bauen und schenkte ihr 3500 Lire in Bargeld.
Die erzwungene Trennung von der Soubise traf Renata tief,
sie ziirnte ihrem Manne, verlieB nach der Abreise der Gefahrtin
langere Zeit ihre Gemacher nicht, wollte niemand sehen, und lebte
nur in der Gesellschaft der franzosischen Damen.
Die Abreise der Soubise befreite Ercole von den gefahrlichen
Franzosen nicht, es war nicht so leicht, sie los zu werden, wie er
geglaubt hatte. Wahrend der letzten Monate ihres Aufenthaltes
in Ferrara hatte Frau von Soubise mit Renatas Einwilligung den
Dichter C16ment Marot eingefiihrt, der wegen der sogenannten
,, affaire des Placards" aus Frankreich hatte fliichten miissen. Im Ok-
tober des Jahres 1534 hatte man in Paris an den Mauern des Louvre
Plakate angebracht, in denen die Religion und die Messe verhohnt
wurden; die Heretiker hatten sogar gewagt, diese Plakate in die
koniglichen Zimmer in Blois zu werfen. Marot, der die Wiirde
254
ZEHNTES KAPITEL
eines ,, valet de chambre du roi" inne hatte, wurde verdachtigt, zu
den Urhebern dieser Religionslasterung zu gehoren, und da der
Dichter dem Tod auf dem HolzstoB entrinnen wollte, verlieB er
Paris in eiliger Flucht und verbarg sich bei der Konigin von Navarra.
Aber Margaretha fiirchtete, ihren Bruder Franz I. zu beleidigen und
gab dem Ketzer nur ungern Obdach. Gern folgte Marot der Ein-
ladung der Soubise und kam nach Ferrara mit seinem funfzehn-
jahrigen Sonne, seinem Freund Lg'on Jamet und einigen anderen
Literaten und Theologen, die als Ketzer aus der Heimat verbannt
war en.
Der erzkatholische estensische Hof wurde der Sammelpunkt
franzosischer Emigranten, die mit Luther im Einvernehmen standen,
gegen den Papst kampften und den Unglauben verbreiteten. Ercole
wuBte nicht, wer Marot sei; er hielt ihn fur einen Franzosen wie die
vielen anderen auch, die ihn argerten, und erst der ferraresische
Gesandte in Venedig warnte ihn im August 1535 vor Marot, der
zu den Anhangern Luthers gehore, aus Frankreich verbannt sei,
und ,,leicht nach Ferrara jene Seuche einschleppen konne, die
unser Herrgott nicht wiinsche". Aber der Herzog fiirchtete jene
transalpine Krankheit nicht, noch hatte er keine Vorstellung von
der Bedeutung der reformatorischen Bewegung, und so beschrankte
er sich darauf, Marot und seinen Gefahrten das Versprechen ab-
zufordern, daB sie in Ferrara als gute Christen leben wiirden. Der
Dichter versuchte gleich, sich bei der Herzogin und bei Ercole durch
Gedichte einzuschmeicheln. Renata war seine gereimte Lobes-
epistel auf Ferrara gewidmet:
En traversant ton pays plantureux,
Fertile en biens, en dames bien heureux,
Et bien seme de peuple obeyssant,
Le tien Marot (fille de Roy puissant)
S'est enhardy, voir et a proteste,
De saluer ta noble Majeste.
Marot war in Frankreich als Dichter ziemlich bekannt. In seinen
Gedichten sparte er den Weihrauch fur die hofischen Schonen nicht;
er war klein und haBlich, aber fest da von iiberzeugt, daB alle Frauen
RENATA DI FRANCIA 255
ihn lieben, iibrigens verstand er durch sein joviales und amiisantes
Wesen die Menschen fur sich einzunehmen. In seiner Jugend hatte
er in Paris die Reize von Diane de Poitiers besungen, spater hatte
er Margaretha, der Schwester Franz L, gehuldigt, die ihn am Hofe
untergebracht hatte; er nahm teil am italienischen Feldzug von
1525, geriet bei Pavia in Gefangenschaft und teilte das Los seines
Konigs. In Frankreich wurde er nach seiner Riickkehr der Ketzerei
verdachtigt und gefangen genommen; Diane de Poitiers, die seine
Feindin geworden war, soil ihn angegeben haben; seinem Freunde,
Lyon Jamet, gelang es, ihn frei zu bekommen; bald schienen beide
dem Hofe gefahrlich und muBten wegen der ,,Plakate" aus dem
Lande fliichten. Renata ernannte Marot zu ihrem Sekretar mit
einem Einkommen von 200 Lire jahrlich. Aus Freude dariiber,
schrieb er ein Epigramm. Er hatte audi alle Ursache zur Freude,
denn dieses Amt legte ihm keinerlei Pflichten auf, und er wird
wohl wahrend seiner ganzen Dienstzeit bei Renata keinen einzigen
Brief fur sie geschrieben haben. Das erschien ihm wie den meisten
anderen Hofdichtern als etwas Selbstverstandliches, denn fur die
herzogliche ,,nourriture" zeigten sie sich durch ihre ,,ecriture"
erkenntlich. Marot verliebte sich in Ferrara in Frau de Pons,
und da er wenig Gegenliebe fand, wandte er seine Gefiihle der ko-
ketten Renata zu, Frau von Soubises jiingerer Tochter. Die Frauen
hatten viel Sympathie fur ihn, und er beniitzte diese Gelegenheit,
um ihnen seine religiosen Ideen einzuimpfen, deren Verbreitung
ihm sehr am Herzen lag. Namentlich bemiihte er sich, die Herzogin
zu seinem Glauben zu bekehren, was ihm nicht schwer fiel, denn
sie glaubte an alles, was aus Frankreich kam, und die Entfremdung,
die zwischen ihr und Ercole eingetreten war, fesselte sie noch enger
an die Heimat. Renata war freier erzogen als Ercole und seine ganze
Umgebung; mit ihrem Mann konnte sie nicht iiber religiose Dinge
sprechen, wahrend sie Marot und den anderen Franzosen von ihren
Zweifeln sprach und den Papst und kirchliche Brauche scharf
kritisierte. Sie war eine ernste Frau, hat sich von friih auf mit
Wissenschaften, namentlich mit Mathematik und Astrologie,
beschaftigt und ihr lebhafter Geist ergrif f alle neuen Ideen mit groBem
Eifer. Brantome erzahlt in seiner ,,Vie des dames illustres", daB
256 ZEHNTES KAPITEL
Renata grundlich iiber alle Wissenszweige, selbst iiber Astrologie,
sprechen konnte. In Paris hatte sie den Ferraresen Antonio Bra-
savola kennen gelernt, der dort estensischer Gesandter war, und in
einer groBen Versammlung von Gelehrten und anderem Publikum
hundert Thesen aus den ve'rschiedensten Wissenszweigen ver-
teidigte. Allmahlich wurde Renatas Hof ein Mittelpunkt fiir die
Gegner des Katholizismus, und Marot fachte immer wieder die
Flamme an. Der Dichter war nicht Theologe wie Calvin oder
Luther, und es war ihm weniger um philosophisch-theologische
Grundsatze als um Gewissensfreiheit zu tun. Sein Freiheits-
drang emporte sich gegen den Druck der Kirche, gegen die Ge-
lehrten der Pariser Sorbonne, die das Studium des Griechischen
und Hebraischen verboten, aus Angst, die Kritik der Bibel und der
Kirchenvater konne zur Heresie fuhren.
Est deffendu qu'on ne voyse allegant
Hebrieu ny Grec, ny Latin elegant
Disant que c'est langage d'heretiques.
Unmittelbar vor der Geburt von Renatas drittem Kind (1535)
widmet ihr Marot ein kiihnes Gedicht, indem er dem kommenden
Kinde ein schweres Leben prophezeit, denn es wiirde den Kampf
aufnehmen miissen, ,,contre ignorance et sa troupe insensee".
Der Dichter widersetzte sich zwar dem Biindnis mit den deutschen
Protestanten und fiihlte sich als Gegner Luthers, aber dafiir war
er von Calvins Ideen erfiillt, die alle auBeren Formen der katho-
lischen Kirche bedrohten und die Messe als heidnische Institution
verwarfen.
Die franzosischen Ketzer in Ferrara: Marot, Jamet, la Planche,
Cornilau, Bouchefort, Pons, Boutiers konnten unmoglich der Auf-
merksamkeit der Geistlichkeit entgehen, die sowohl aus Ferrara
wie aus Bologna nach Rom von den beunruhigenden Versamm-
lungen an Renatas Hof berichtete. Einige Kardinale schrieben
an Ercole, er miisse diesem Argernis ein Ende machen, da der
Papst wohl wisse, was in Ferrara vorgehe und nicht dulden konne,
daB gerade in dem Lande, das der romischen Kurie unterstiinde,
der Kirche feindliche Ideen propagiert wiirden.
RENATA DI FRANCIA 257
III
Ferrara war seit jeher, soweit sein geistiges Leben in Frage
kam, in Rom schlecht angeschrieben. Auf der dortigen Universitat
und unter den dortigen Gelehrten herrschte schon unter Ercole
und Alfonso I. ein sehr liberaler Geist, und namentlich mathema-
tische und astrologische Studien standen dort in hohem Ansehen.
Auch aus dem Norden kamen viel Schiiler; so war der Gedanken-
austauscb zwischen Deutschland, Frankreich und der ferraresischen
Universitat ein sehr reger.
Der Kardinal Ippolito hatte 151 8 den beriihmten deutschen
Astronom Jakob Ziegler aus Ungarn mitgebracht, und im Beginn
des Jahrhunderts hatte Kopernikus seinen Doktorgrad in Ferrara
erworben, damals als die Gedankenfreiheit der Renaissance all-
mahlich zu Ende ging. Schon im Jahre 1521 befahl Alfonso in-
folge der Vorstellungen des Inquisitors von Bologna samtliche
Druckereien und Buchhandlungen Ferraras daraufhin zu revidieren,
ob sie ketzerische Biicher vertrieben, und etwa zwanzig Jahre spater
muBte Cecco d'Ascoli sein Forschen nach Naturgesetzen auf dem
Scheiterhaufen biiBen. Wer weiB, ob nicht auch Kopernikus das
gleiche Schicksal ereilt hatte, wenn er sein Buch nicht Paul III.,
dessen Namen Schutz genug war, gewidmet hatte. Aber in diesen
letzten Augenblicken der Gedankenfreiheit garte es gewaltig unter
den Geistern; Pietro Pomponazzi, ein beruhmter Philosoph, der erst
in Bologna, dann bis 1510 an der Universitat in Ferrara gelesen
hat, leugnete die Unsterblichkeit der Seele. Der ferraresische
Professor und bekannte Gelehrte Celio Calcagnini verteidigte seine
beruhmten Thesen von der Bewegung der Erde, zu denen ihm, wie
es scheint, die Kunde von Kopernikus' Feststellung verholfen hat1).
*) Nach der Annahme von L. A. Birkenmajer in seinem grundlegenden
Werk „Nikolaj Kopemik" hat Calcagnini entweder 151 8, wahrend seines
Aufenthaltes in Ungarn und Krakau, oder 151 9 auf seiner Riickreise nach
Italien von Kopernikus' Entdeckungen durch den gelehrten Arzt Solfa er-
fahren und spater seine Kenntnisse in seinen Vortragen in Ferrara ver-
wertet, sowie in der Abhandlung, die er Pistofilo unter dem Titel gewidmet
hat: „Quod coelum stet, terra autem moveatur, vel de perenni motu
terrae commutatio".
17
258 ZEHNTES KAPITEL
Der Ruhm der ferraresischen Universitat, als Mittelpunkt fiir
mathematische und astronomische Studien, war so groB, da8 Paul III.,
als er die Kalenderreform begann, die erst unter Gregor XIII.
ihren AbschluB fand, zu den Gelehrten, die sich mit der Losung dieser
Frage beschaftigten, auch einen Ferraresen, Insoni, berief.
Auch Renata beschaftigten diese Studien; da sie ihre astrolo-
gischen Kenntnisse als ungeniigend empfand, bat sie Lukas Gaurico,
einen neapolitanischen Gelehrten, der an der Universitat in Ferrara
dozierte, sie in die geheimsten Geheimnisse seiner Wis^senschaft
einzufiihren. Gauricos astrologische Prophezeiungen vvaren be-
riihmt, doch muBte er gelegentlich fur seine Kenntnisse biiBen;
so hatte Bentivoglio ihm fur sein ungiinstig lautendes Horoskop
Rutenstreiche verabreichen lassen. Auch ein anderer, sehr revo-
lution^ gesinnter Universitatsprofessor, Palingenio Stellato (Man-
zolli) , stand in Renatas Gunst; in Rom erregte es groBes Argernis,
als dieser Gelehrte Renata sein Buch ,,Zodiacus vitae" widmete,
denn er sprach uber das Monchstum in unflatigsten Ausdriicken,
nannte den Papst einen Heiden und Luther den Racher des Glaubens.
DaB Renata Bucher dieser Art mit einer gewissen Vorliebe durch-
gesehen hat, beweist ihre ,,Livre d'heures", die sich heute in der
Bibliothek von Modena befindet. Eine der Miniaturen zeigt einen
Kardinal, der mit dem Papst Karten spielt, wahrend die Monche
sich beim Wurfelspiel ergotzen. Im Hintergrund ziingeln Flammen
aus dem Boden und ergreifen eine reich geschmuckte Kirche; auf
dem Boden liegt eine Uhr, die die letzte Stunde zeigt: das Ende der
Zeiten.
Renatas Beziehungen zu den Feinden der Kirche muBten-
auffallen und bereiteten Ercole sicher Sorge genug.
IV
Frau Soubise, Frau Pons und Marot glaubten, daB Renata bereits
geniigend vom Geist der Reformation erfiillt und daher der Zeit-
punkt gekommen sei, um Calvin nach Ferrara zu rufen. Sie standen
in geheimer Verbindung mit ihm und glaubten seine Wirksamkeit
RENATA DI FRANCIA
259
in Italien jetzt in groBerem Umfang einleiten zu konnen. Calvin
hatte seine beriihmte Abhandlung ,,Christianae religionis insti-
tutio" soeben veroffentlicht und sich in der Einleitung an den Konig
von Frankreich gewandt, den er davon uberzeugen wollte, daB er
in der Verfolgung der kirchlichen Reformatoren Irrwege gehe.
Sein EinfluB in der Schweiz, in Savoyen und Frankreich wuchs
mit jedem Tage, immer mehr Jiinger scharten sich um den neuen
Apostel. Nach Ferrara kam er mit einem seiner treuesten An-
hanger, dem Kanonikus Tillet, und lebte dort unter fremdem
Namen, um in der Stille wirken zu konnen. Renata empfing ihn
insgeheim, nachts, versah ihn mit Geld und faBte in langeren
Unterredungen ein solches Vertrauen zu ihm, daB sie seitdem fur
immer unter seinem EinfluB blieb.
Calvins Anhanger befolgten die Taktik, in den Ortschaften, wo
sie mehrere Freunde zahlten, wahrend der groBen Kirchenfeste,
namentlich in der Charwoche und an den Ostertagen in die Kirchen
zu dringen. In der allgemeinen Verwirrung zertrummerten sie die
Kirchengerate, und wenn die Bevolkerung, die in der Hauptsache
schon vorher gewonnen war, keinen Widerstand leistete, wurde
der neue Kult sofort eingefiihrt.
Gelang der Uberfall nicht, so fluchteten die Sektierer, haufig
nicht ohne empfindliche Verluste.
Calvins ferraresische Freunde scheinen den Augenblick schon
fur geeignet gehalten zu haben, um einen Uberfall in der Kirche
zu wagen und die allgemeine Verwirrung zu beniitzen. Am Charfrei-
tag, wahrend die ,,Passionen" in einer der Hauptkirchen gesungen
wurden und der Priester den versammelten Glaubigen das Kreuz
zum Kusse reichte, begann ein junger Franzose, Gianetto, den
Marot mitgebracht hatte, laut gegen ,,ein solches Heidentum"
zu lastern. Dann verlieB er demonstrativ die Kirche. Ob es infolge-
dessen zu einem weiteren VorstoB gekommen ist, wissen wir nicht.
Gianetto war Hofsanger und fiihrte ein sehr unsittliches Leben, so
daB man ihn schon wiederholt aus Ferrara hatte entfernen wollen,
aber auf Renatas Fiirsprache war er im Dienst geblieben.
Nach dem Argernis in der Kirche lieB der Herzog Gianetto
sofort gefangen nehmen, und da sich der Inquisitor in die An-
17*
260 ZEHNTES KAPITEL
gelegenheit mischte, wurde er am zweiten Ostertag auf die Folter
gelegt, da man wissen wollte, ob er Mitschuldige habe. Gianetto
nannte einige von Renatas Hoflingen; als man sie gefangen nehmen
wollte, verschanzten sie sich dahinter, daB sie Untertanen des fran-
zdsischen Konigs seien, aber sie erkannten selbst, daB diese Aus-
rede wenig fruchten wiirde und fliichteten aus Ferrara, vermut-
lich auf den Rat von Personlichkeiten, die der Herzogin nahe
standen. Damit war der Vorfall nicht erledigt, Gianetto bot den
AnlaB zu einer sehr lebhaften diplomatischen Aktion. Renata
nahm sich seiner sehr warm an, schickte Boten an Franz I. nach
Lyon, an die Konigin von Navarra, an den franzdsischen Gesandten
nach Venedig und verlangte, daB man sich des Gefangenen an-
nehme; Ercole dagegen schickte einen Bericht nach Rom. Infolge
von Renatas Einmischung verlangte der franzosische Gesandte
in Venedig die Herausgabe des Gefangenen als eines franzdsischen
Untertanen, aber der Herzog lehnte sehr kiihl ab und iibergab die
ganze Angelegenheit dem Inquisitor. Dem Inquisitor geniigte
Gianettos Gefangennahme nicht; er verlangte, daB auch Jean
Bouchefort, ein Geistlicher aus Tournay, einer von Renatas treue-
sten Hoflingen und spaterer Sekretar, und Jean Cornilau, ihr Lieb-
lingsdiener, den sie nach Ferrara mitgebracht hatte, eingezogen
wiirden.
Infolge dieser Einsperrungen kam es zum offenen Krieg zwischen
dem Herzog und Renata. Er verlangte die Bestrafung der Schul-
digen, sie setzte mit der ganzen Hartnackigkeit und Leidenschaft-
lichkeit der Bretonin Frankreich und Rom in Bewegung, um ihre
Getreuen, als franzosische Untertanen, frei zu bekommen. Ercole
hatte die Gelegenheit gern benutzt, um Frau Pons in die ganze
Sache zu verwickeln und sie aus Ferrara fortzubekommen. Er
schrieb dem Konig, ,,die Tochter ware arger als die Mutter, die
Soubise, sie habe diesen ganzen Auftritt in der Kirche veranlaBt";
aber alle Klagen waren vergebens, der Konig wiinschte, daB sie
bei Renata bleibe. Die Intriguen und Schreibereien zwischen Frank-
reich und Ferrara wahrten lange genug und hatten das Verhaltnis
des Herzogs zu Renata noch mehr verscharft, wenn nicht gliick-
licherweise der Haupturheber, auf dem wahrend des Prozesses
RENATA DI FRANCIA 261
die ganze Verantwortung ruhte, unterwegs entflohen ware, als er
unter militarischer Eskorte aus Ferrara vor das Inquisitionstribunal
nach Bologna gebracht wurde. Aller Wahrscheinlichkeit nach
haben ihm die Soldaten selbst zur Flucht verholfen, und hinter
den Soldaten stand Renatas Geld. Der Name dieses Radelsfiihrers
der Ketzer wurde in den Akten der Inquisition so durchgestrichen,
daB man ihn nicht lesen kann; man weiB nur, daB es eine be-
deutende und gefahrliche Personlichkeit war. Die Historiker, die
diese ProzeBakten durchforscht haben, nehmen an, der Gefangene
sei entweder Calvin selbst oder Marot oder der Kanonikus Tillet
gewesen; wahrscheinlich aber Calvin.
Nach der Flucht des Hauptschuldigen verlor der ProzeB viel
von seiner Bedeutung, und da Rom mit Riicksicht auf den Konig
von Frankreich milde gegen die Gefangenen verfahren wollte,
wurden sie dem franzosischen Gesandten in Venedig unter der
Bedingung ausgeliefert, daB sie nicht mehr nach Ferrara kommen
diirften. Infolgedessen blieb an Renatas Hof von einfluBreichen
Franzosen nur das Ehepaar de Pons zuriick — doch gemigte dies
fur weitere Intriguen.
Von besonderem Interesse in diesem ProzeB ist das Gestandnis
eines Franziskaners, der an einer nachtlichen Zusammenkunft
in Renatas Gemachern teilgenommen hat. Ein kleiner, unschoner
Franzose, ,,un Gallo di bassa statura", sei leidenschaftlich gegen
die papstliche Ubermacht aufgetreten und habe an verschiedenen
Glaubenssatzen Kritik geiibt. Der Franziskaner kannte den
Namen jenes Franzosen nicht, wahrscheinlich war es Calvin selbst,
der nach der Schilderung der Zeitgenossen klein und mager war,
eine olivenfarbene Gesichtsfarbe und schwarzes Haar hatte.
Er soil ungewohnlich lebhaft, schlagfertig und logisch in seinen
Folgerungen gewesen sein; hinter einer angenommenen Ruhe ver-
suchte er die leidenschaftlichen Stiirme, die in ihm tobten, zu
verbergen.
Unter Renatas Schutz fanden also in Ferrara, am herzog-
lichen Hofe, Versammlungen der Reformierten statt ; wahrschein-
lich versuchte man sogar die Kloster zu gewinnen, wenn selbst
ein Franziskaner dazu eingeladen wurde.
262 ZEHNTES KAPITEL
Um jene Zeit kam Vittoria Colonna nach Ferrara. Ihr Gatte,
der Marchese de Pescara, einer der besten Heerfiihrer Karls V.,
der Sieger in der Schlacht bei Pavia, war 1525 an einer in dieser
Schlacht erhaltenen Wunde gestorben, und die ungewohnliche
Frail gab sich seitdem religiosen Batrachtungen hin. Franz von
Assisi war ihr Ideal, ihre poetische Seele wurde von dieser schonsten
Gestalt der religiosen Renaissance angezogen. Die Markgrafin hatte
sich am liebsten in ein Kloster zuriickgezogen, aber ihre Familien-
verhaltnisse, ihre Stellung innerhalb der Gesellschaft zwangen
sie an der groBen religiosen Bewegung teilzunehmen, die nach dem
Sacco di Roma ganz Italien ergriffen hatte. Sie lebte wie eine
Asketin und kasteite sich in einem solchen Grade, daB ihre Freunde
um ihre Gesundheit besorgt waren. Sie hatte sich zuerst in das
Kloster S. Silvestro in Capite zu Rom zuriickgezogen, aber ihre
Sehnsucht nach Ischia, wo sie die schonste Zeit ihrer Jugend ver-
bracht hatte, war zu stark. Der Gedanke einer Kirchenreform be-
schaftigte sie unablassig. Die katholische Kirche war damals noch
nicht in jenen eisernen, unbeweglichen Rahmen gespannt, den ihr
bald darauf das Tridentiner Konzil angelegt hat, und Erorterungen
iiber Glaubensartikel und kirchliche Institutionen waren nichts
Ungewohnliches; die Kirche war schmiegsam und hatte mehr
als eine Reform durchgemacht. Die Notwendigkeit gewisser Re-
formen in der Kirche laut zu betonen, gait noch nicht als hochste
Ketzerei. In der italienischen Gesellschaft kam niemand auf den
Gedanken, das Papsttum zu sturzen und den Katholizismus zu
reformieren, man strebte nur nach einer Umgestaltung der Ver-
haltnisse. Das gemeinsame Interesse fur diese Fragen brachte die
Markgrafin Menschen naher, die aus ganzer Seele nach diesem
Ziel strebten; es war jener kleine Kreis von Reformatoren, der sich
um Juan de Valdes scharte. Vittoria Colonna hat wohl kaum
angenommen, daB Valdes zu Luthers heiBesten Anhangern gehorte,
und seine Lehren nur der italienischen Gesellschaft wegen in milderer
Form bringen muBte. Valdes war Spanier, ein sehr geschickter
und hochgebildeter Mann, der Bruder jenes Alfonso de Valdes,
RENATA DI FRANCIA
263
der 1530 als Sekretar Karls V. beim Reichstag in Augsburg Me-
lanchthon kennen gelernt hatte. Nach dem Tode des Bruders wurde
Juan zu Karls V. Sekretar ernannt, er begleitete den kaiserlichen
Hof nach Bologna, war spater der politische Korrespondent des
Kardinals Gonzaga und in der gleichen Mission in Neapel tatig.
AuBer Vittoria Colonna gehdrten zu Valdes' Anhangerinnen
noch ihre Schwagerin Costanza d'Avalos, die Herzogin von Amalfi,
und die schone Giulia Gonzaga, die der beriichtigte Korsare Chai-
reddin Barbarossa im SchloB zu Fondi iiberfallen hatte, um sie zu
entfiihren. Giulia wurde noch rechtzeitig von ihrer Dienerschaft
gewarnt, und es gelang ihr, sich durch die Flucht zu retten. Mit
zweiundzwanzig Jahren war sie Schulerin von Valdes und ent-
ziickte alle durch ihre Anmut so sehr, daB der Reformator, der gegen
Frauenschdnheit nicht unempfindlich war, bedauerte, daB nicht
die schone Giulia an Stelle von Kaisern und Kdnigen die Welt
beherrsche. Fur sie schrieb er 1536 das ,,Alfabeto christiano"; diese
Abhandlung gibt eine Vorstellung vom reformatorischen Geist,
der in dieser neapolitanischen Kolonie herrschte. Damals predigte
in S. Giovanni Maggiore der Kapuziner Bernardo Ochino aus Siena,
der die ganze Stadt so sehr durch seine Beredsamkeit entflammte,
daB selbst Karl V. seinen Lehren lauschte. Ochinos Predigt hat
Giulia in ihrem Innersten aufgewiihlt, religiose Zweifel und Fragen
in ihr geweckt, sie bat daher Valdes, ihr einen Weg zu zeigen,
um ihr moralisches Gleichgewicht wiederzufinden. Der Spanier
paBte sich seiner schdnen Schulerin an; er schrieb ihr zehn Regeln
liber Gottes- und Nachstenliebe auf , die nicht von den Hauptpunkten
der katholischen Religion abwichen, empfahl ihr fleiBig zur Messe
zu gehen, die heilige Schrift zu lesen und sich nicht mit jenen Lehren
zu beschaftigen, die Unwesentliches philosophisch zergliedern.
Zu Valdes' Freunden gehdrte ferner Isabella Manriquez und
einige Monche wie der Augustiner Pietro Vermigli, der Minorit
Giovanni Mollio und der apostolische Protonotar Pietro Carne-
secchi; ihre Versammlungen fanden entweder statt in Valdes'
Wohnung in Neapel oder in Caserta oder in Vittoria Colonnas Villa
auf Ischia. Die Gruppe dieser neapolitanischen Pietisten stand
den rdmischen Gefahrten del Divino amore nahe, die sich auch nur
264
ZEHNTES KAPITEL
nach einer Reform der Kirche sehnten, nach wahrer Religiositat
strebten und nicht an der Grundlage der romisch-katholischen
Religion riitteln wollten.
Valdes und Ochino hatten das religiose Leben in Neapel bis
zu dem Grade erweckt, dafi Falengo, ein Benediktiner aus Monte
Cassino, der sich damals dort aufhielt, seinen Briidern berichtete,
er sei Zeuge einer wahrhaft wunderbarenBewegung: Frauen,die mehr
zu Nichtigkeiten als zu tiefem Griibeln neigen, Manner aus dem
Volke, ja selbst Soldaten, stiinden in dem MaBe unter dem Einflufl
des Erforschens gottlicher Geheimnisse, daB sie von nichts anderem
sprachen als nur von der Reform des christlichen Lebens. Dermitig
gestand der Benediktiner, in ganz Kampanien gabe es keinen
Prediger, der nicht von neapolitanischen Frauen belehrt werden
konne.
Diese Kreise waren auf einen sehr hohen Ton gestimmt, die
Frauen gaben ihm einen gewissen mystisch-poetischen Charakter;
nicht Kampf mit dem Papsttum war ihr Ziel, sondern eine Reform
des christlichen Geistes und eine Verbesserung der Gesellschaft
durch die wahre Gottes- und Menschenliebe. Catherina Cibo,
Innozenz' VIII. Enkelin, lernte Hebraisch, um die heiligen Biicher im
Original lesen und tiefer in den Geist christlicher Liebe eindringen
zu konnen. Diese Stimmung fand ihren Niederschlag in Vittoria
Colonnas moralischen Gedichten.
Ahnliche Ideen haben die kleine Franziskaner-Gruppe in Ca-
merino beherrscht; an ihrer Spitze standen zwei Monche Matteo
di Bascio und Lodovico da Fossombrone. Wahrend einer Seuche,
die in furchtbarster Weise in dieser kleinen Stadt um sich griff,
gewissermaBen angesichts des Todes, griindeten sie einen Kapu-
zinerorden, einen Orden reiner Sitten, der sie zu den Vorschriften
von San Francesco zuriickfuhren sollte, von denen sich die Kon-
ventualen so gut wie die Observanten sehr entfernt hatten. Die
alten Franziskaner- Orden begannen einen gehassigen Kampf
gegen die neue Verbruderung, verf olgten sie wo immer sie konnten
und intriguierten gegen sie in Rom. Aber den Kapuzinern kamen
die Frauen zu Hilfe, namentlich Catherina Cibo und Vittoria Co-
lonna, die ihre mystischen Neigungen hier bestatigt fiihlten. Ohne
RENATA DI FRANCIA 265
ihre Hilfe hatte sich der Orden der Kapuziner nicht entwickelt,
denn die ihm feindlichen Kongregationen hatten ihn schon in Rom
als schadliche Sekte angeschwarzt, und der Papst hatte befohlen,
ihn aus der Hauptstadt zu verjagen. Die Cibo und die Colonna ver-
teidigten die Kapuziner so energisch, daB der Papst ihnen die Riick-
kehr gestattete; der Kampf war hart, denn sie hatten einen machtigen
Gegner im Kardinal Santa Croce, dem energischen Protektor der
Observanten. Auch Bernardo Ochino, der zuerst zu den Obser-
vanten gehort hatte, trat 1534 dem neuen Orden bei und wurde
zum Generalvikar ernannt.
Als Vittoria Colonna das Schicksal der Kapuziner, von denen
sie sich eine segensreiche Wirkung auf die italienische Gesellschaft
versprach, gesichert sah, beschloB sie einen alten Wunsch aus-
zufuhren und eine Wallfahrt ins Gelobte Land oder zum mindesten
zum heiligen Jakob von Compostella anzutreten. Zu diesem Zwecke
erhielt sie von Rom die Erlaubnis mit vierzehn Gefahrtinnen und
dem Kapuziner Girolamo da Montepulciano unterwegs in Klostern
einzukehren, dort zu wohnen und mit Nonnen zu verkehren. Eine
solche Erlaubnis wurde von Rom im Anfang des XVI. Jahrhunderts
nur sehr bekannten Personlichkeiten gegeben. Sie nahm nur sechs
Gefahrtinnen mit und machte auf ihrer Reise nach Venedig, von
Ercole dringend aufgefordert, auch in Ferrara Station; in Venedig
wollte sie sich nach Jerusalem einschiffen. Anstatt Girolamo
da Montepulcianos schien sie Ochino mitnehmen zu wollen, da
Bernardo bald nach ihr in Ferrara eintraf. Vittorias Gesundheit
war erschiittert, und die weite Wallfahrt wurde zur Unmoglich-
keit. Sie blieb deshalb langere Zeit in Ferrara und schloB sich
an Renata an, die damals ein Kind erwartete. Haufig besuchte
sie ohne jegliche Etikette im Morgenkleid, ,,in habitomolto volgare",
die Herzogin und fiihrte lange Gesprache mit ihr. Der Alters-
unterschied der beiden Frauen war nicht sehr groB. Vittoria Colonna
war vierzig Jahre alt, Renata siebenundzwanzig, ein gegenseitiges
sich Verstehen war also nicht ausgeschlossen. Ercole befand sich
damals in Venedig; er war schon im Januar zum Karneval mit sehr
groBem Gefolge aufgebrochen, und hatte nicht weniger als acht-
hundert ferraresische Adlige mitgenommen. Er verlebte eine so
266 ZEHNTES KAPITEL
genuEreiche Zeit, daB er erst am 4. Marz wieder in Ferrara war.
Am 17. Juni schenkte Renata einer Tochter das Leben. Vittoria
Colonna hielt sie zur Taufe. Die Gesellschaft philosophierender
Frauen, wie Renata und Vittoria, hatte wenig Reiz fur Ercole.
Er verlieB Ferrara sehr bald wieder und ging in die Romagna, wo
er seinen Freund Pier Luigi Farnese traf.
Zwei Frauen, ihrer Veranlagung und ihren religiosen Vor-
stellungen nach so verschieden wie Renata und Vittoria, zwei
verschiedene reformat orische Stromungen vertretend, standen ein-
ander jetzt in Ferrara gegeniiber. Renata, Calvins Schiilerin, die
unter dem frischen Eindruck seiner Lehre stand, war die scharf
denkende, wissenschaftlich begabte Nordlanderin, die an die Kirche
eher kritisch als glaubig herantrat — fur die phantasiebegabte
heiB empfindende Vittoria entsprang Religiositat einem Herzens-
bedurfnis. Diese Frauen konnten eine gewisse Zeit zueinander
in einem naheren Verhaltnis stehen, sie konnten sich sogar Freund-
schaftsbeweise geben, aber nur solange sie sich nicht davon iiber-
zeugt hatten, daB eine Vereinigung ihrer Ideale unmdglich war.
Vittoria Colonna scheint sich namentlich deshalb langere Zeit
in Ferrara aufgehalten zu haben, um eine Zufluchtsstatte fur die
Kapuziner zu finden. Sie erwirkte Ochino die Erlaubnis, im Advent
vor dem gesamten Hof zu predigen. Diese Predigten machten einen
groBen Eindruck im Volk, der Kapuziner riB seine Horer durch
seine ungewohnliche Beredsamkeit fort; er erschiitterte die Gemuter,
wenn er gegen den Luxus der Geistlichkeit eiferte, Reinheit der
Sitten empfahl und die prunkvolle Zurschaustellung im Gottesdienst
verurteilte.
Unter Ochinos Horerinnen befand sich auch die beriihmte Hetare
und Dichterin, Tullia d'Aragona, der zwar die Beredsamkeit des groBen
Kanzelredners sehr nahe ging, die aber ihren lockeren Lebens-
wandel deswegen nicht aufgab. Glucklicher in der Beziehung
war ein anderer Prediger, ein Monch aus Nuvolara, der einige
Monate nach Ochino in Ferrara predigte, und soviel Kurtisanen
auf den Weg der Tugend brachte, daB er am 1. April eine fromme
Prozession, die nur aus Magdalenen bestand, veranstalten konnte.
Es erregte dies besondere Heiterkeit in der Stadt.
RENATA DI FRANCIA 267
Ercoles Umgebung war jenen, die Bescheidenheit und Ein-
fachheit der Sitten predigten, nicht sehr gewogen; nur mit vieler
Miihe gelang es Vittoria, den Herzog zu bewegen, Ochino ein kleines
Hauschen in der Vorstadt anzuweisen, damit er einen Zufluchtsort
fur seine Kapuziner-Kolonie habe. Nach zehnmonatlichem Aufent-
halt verlieB Vittoria Colonna Ferrara am 22. Februar 1538; sie
scheint Renatas Uberzeugung und ihre Ziele richtig erkannt zu
haben, denn ihr Verhaltnis zur Herzogin wurde so kiihl, daB sie ihr
nicht einmal geschrieben hat.
Ochino begriindete eine Kapuziner-Kolonie in Ferrara; beseeltvom
Verlangen, seine religiose Uberzeugung zu verbreiten, ging er 1538
nach Pisa, Florenz und Lucca und 1539 nach Venedig.
VI
Unterdessen erregten die reformatorischen Bestrebungen, in
deren Zeichen Italien stand, in Rom immer starkere Unruhe,
trotzdem war die dortige Geistlichkeit zu sehr die alten bequemen Zu-
stande gewohnt und glaubte auch zu sehr an die Macht der Kirche,
um sich zu einer energischen, gut organisierten Aktion aufzuraffen.
Noch unter Hadrian VI. waren 1523 etwa sechzig ernsthafte Pralaten
wie Giberti, Sadoleto, Luigi Lippomano, Caraffa, Giuliano Dati u. a.
zusammengetreten und hatten unter demNamen ,, Oratorio del Divino
Amore" eine Vereinigung begriindet, um kirchliche Reformen durch-
zufiihren und das sittliche Niveau der Geistlichkeit zu heben. Die
Mitglieder dieser Vereinigung verpflichteten sich zu Gebeten in
der Kirche, zu Wallfahrten nach heiligen Orten, zur exakten Er-
fiillung der Pflichten, die die Religion den Glaubigen vorschreibt.
Neben dem Kirchlein Santa Dorotea di Trastevere, wo der Legende
nach der Apostel Petrus seinen Martyrertod erlitten haben soil,
hatten sie in der Pfarrei ihre Versammlungen. Dieses Oratorium
diente anderen Stadten als Vorbild, und bald entstanden mehrere
derartige Vereinigungen in Italien. Das romische Oratorium be-
stand aber nicht lange, es scheint im Sacco di Roma unter-
gegangen zu sein. AuBerdem hatten seine Mitglieder zu per-
268 ZEHNTES KAPITEL
sonliche Ziele im Auge, urn eine wirklich erfolgreiche Tatigkeit
zu entwickeln.
Als Paul III. 1536 zum Papst ernannt worden war, berief er
einige beruhmte Manner wie Contarini, Caraffa, Sadoleto, Polo,
damit sie eine kirchliche Reform in Angriff nahmen. Aber Pauls III.
Reformen bestanden nur auf dem Papier; der Papst war ein
groBer Diplomat, dem die Interessen seines Geschlechtes allein am
Herzen lagen, andererseits bestand unter den Kardinalen zu viel
gegenseitiger HaB, als daB es zu einem energischen, wirksamen
VorstoB gekommen ware. Alle Reformen wurden bis zum
nachsten Konzil verschoben, und das Konzil verlief ergebnislos.
Im Kardinalskollegium verlangte es nur Giovanni Pietro Caraffa
ernsthaft nach Taten, mit eisernem Ziigel wollte er das kirchliche
Regiment leiten, und in einem riicksichtslosen, despotischen
Vorgehen der romischen Kurie sah er die alleinige Rettung. Sein
Ziel war, die geistliche Macht zu erweitern, die Ketzer mit den
grausamsten Mitteln zu vernichten, die kirchliche Hierarchie von
unsittlichen Elementen zu saubern und strenge Zucht unter der
Geistlichkeit einzufuhren — ein Wiederankniipfen an Gregors VII.
strenge Reformen. Caraffa stammte von einem erzkatholischen
Adelsgeschlecht in Neapel ab, das die Reliquien des heiligen Ja-
nuarius nach Neapel gebracht und die kostbare Kapelle, Tesoro
Vecchio, errichtet hatte, die bis auf den heutigen Tag gewisser-
maBen das Symbol des neapolitanischen Glaubens ist. Das Erz-
bistum Neapel war eine fast erbliche Wiirde in der Familie Caraffa,
und Giovanni Pietro war schon als Kind fur den geistlichen Stand
bestimmt. Die geistige Veranlagung des jungen Neapolitaners
stimmte vollkommen zum Lebensziel, das ihm vorgeschrieben war.
Mit Energie und Leidenschaft widmete er sich der Kirche und be-
griindete noch in jungen Jahren den aristokratischen Theatiner-
orden, der gewissermaBen ein Biindnis der reformierten Geistlichen
sein sollte. Aber Caraffas Fahigkeiten und seine Herkunft be-
riefen ihn zu hoheren Dingen. Eine Zeit hindurch nahm er teil
am lateranensischen Konzil, dann schickte ihn die romische Kurie
als ihren Legaten nach England, spater gehorte er dem Rate des
spanischen Ferdinand an und wahrte dort durchaus patriotisch-
RENATA DI FRANCIA 269
italienische, besonders neapolitanische Interessen gegeniiber der
fremden Dynastie. Seine kirchliche Wiirde schatzte er so hoch,
daB, als man ihm einst befahl, mit dem Anfang der Messe auf den
noch jungen Karl V. zu warten, er schroff zur Antwort gab, im
heiligen Ornat auf niemand warten zu konnen. Er haBte die Spanier
als echter Sohn des von ihnen bedrangten Neapels, nannte sie ein
heidnisches, unchristliches Volk, ein Mischprodukt von Mauren und
Juden, was iibrigens gar nicht so falsch war, da die hoheren
spanischen Klassen zum grofien Teil sogenannte Maranen, ge-
taufte Juden oder Nachkommen der siidlichen Mauren waren.
Trotzdem war Caraffa in vielen Dingen von spanischem Geist er-
fiillt; die religiose Intoleranz, die die spanischen Neophyten cha-
rakterisiert, war auch ihm eigen. Aus Spanien hatte Caraffa den
Glauben an die Wirksamkeit der Inquisition mitgebracht, die sich
dort zu einer Volksinstitution ausgebildet hatte, zu einer zweiten
Regierung neben der koniglichen — vielleicht machtiger als jene.
Als Caraffa nach Italien zuruckkam und eine hohe kirchliche
Stellung einnahm, ging sein Hauptstreben danach, die italienische
Inquisition zu reformieren. Sie war in den Handen der Bettel-
monche, namentlich in denen der Franziskaner, im Laufe des XIV.
und XV. Jahrhunderts zu einer unbedeutenden kirchlichen In-
stitution ohne jeden EinfluB zusammengeschrumpft. In Venedig
und Neapel war sie mehr das Werkzeug der Regierung als der Kirche,
in Florenz kummerte sich kein Mensch um sie. Trotzdem beob-
achtete Klemens VII. Caraffas Bestrebungen mit einem gewissen
MiBtrauen, vielleicht fiirchtete er, es sei dem Kardinal darum
zu tun, die papstliche Macht einzuschranken; aber a^ch das Kardinal-
kollegium traute dem einfluBgierigen Neapolitaner nicht ganz.
Nach langen Kampfen innerhalb der romischen Kurie fiihrte Caraffa
seine Absichten schlieBlich im Jahre 1542 durch, obgleich auch
der damalige Papst Paul III. sich lange gegen den verstarkten
EinfluB der Inquisition gestraubt hat, aus Furcht, diese Institution
konne allmahlich selbst dem Papsttum unbe quern werden. Fast
gegen seine Uberzeugung gab der Papst nach und unterschrieb die
Bulle ,, Licet ab initio", die das ,,Heilige Officium der Inquisition"
in Rom einfiihrte und dieser Institution eine unerhorte Macht-
270
ZEHNTES KAPITEL
befugnis iibertrug. Sie durfte nicht nur die der Haresie Ober-
fiihrten, sondern auch die Verdachtigen gefangen nehmen, richten
und strafen, ohne Riicksicht auf die Stellung der Schuldigen, selbst
wenn es die hochsten kirchlichen Wurdentrager waren. Bekannt
sind Monforts Worte, der nach der furchtbaren Vernichtung der
Albigenser, der Schuldigen und Unschuldigen, gesagt hat: ,,Alle
sind untergegangen, Gott wird die Seinen wahlen." Dieser Grund-
satz bewufiter Ungerechtigkeit ward aufs neue lebendig. Der
Inquisitor war durch kein Gesetz gebunden, er durfte in guter oder
bdser Absicht menschliche Herzen durchforschen, ohne daB ihm
irgend eine Schranke gesetzt war, ohne irgendwelche moralische
Kontrolle. Wenn er geirrt, ein ungerechtes Urteil gefallt hatte —
,,Gott wurde die Seinen auserwahlen", ihnen im Himmel den un-
schuldigen Tod auf dem Scheiterhaufen lohnen. Alle im Straf-
verfahren von der Antike ererbten Grundsatze, Beschlusse und Vor-
schriften gerieten angesichts der riicksichtslosen Selbstherrlichkeit
des Inquisitors ins Schwanken, die Rechtsbegriffe verwischten
sich fur lange Zeit.
Das Sant' Officio bestand aus sechs Kardinalen, die dem
Papst unterstanden; unter den Kardinalen befanden sich: Caraffa,
Cervino, Ghisleri, die drei spateren Papste. Das furchtbare Tribunal
beschloB die Erorterung religioser Dinge zu verbieten und den
bekannten Predigern die iiber die Notwendigkeit kirchlicher
Reformen sprachen, den Mund zu verschlieBen. Das erste oder
jedenfalls eines der ersten Opfer der Inquisition sollte Ochino
werden, der unter Berufung auf den klosterlichen Gehorsam nach
Rom zitiert wurde. Ochino hatte gerade seine beruhmten Predigten
in Venedig gehalten, die dem papstlichen Nuntius sehr miBfallen
hatten. Der Kapuziner gehorcht zuerst der Aufforderung, aber
auf dem Wege nach Rom, in Florenz, widerrieten ihm die Freunde
entschieden die weitere Reise, da sie voraussahen, daB das Sant'
Officio ihn entweder auf dem Scheiterhaufen verbrennen oder zum
mindesten lebenslanglich einkerkern wurde. Obgleich Ochino
fast sechsundfiinfzig Jahre zahlte, und die Trennung von der Heimat
ihm schwer fiel, beschloB er sich durch die Flucht iiber die Alpen
zu retten. Der Monch Don Pietro Martire und Caterina Cibo gaben
RENATA DI FRANCIA
271
ihm Geld, und Ascanio Colonna, Vittorias Bruder, schenkte ihm
ein Pferd, damit er moglichst schnell aus Italien fliichten konne.
Und schon war es hochste Zeit, denn als Ochino Florenz heimlich
verlassen hatte, umstellten die Biittel der Inquisition das Kloster
Osservanza bei Siena, in der Annahme, daS er sich dort aufhalte.
Aber Ochino reiste schon nordwarts und machte nur in Ferrara
Halt, wo ihm die Herzogin Renata die fur die Reise erforderliche
Ausriistung gab. Von dort aus begab er sich nach Genf, wo er sich
der Reformation anschloB und den Freunden schrieb, ,,in Italien
hatte er sich zu Christus in einer Maske bekennen miissen, hier konne
er ihm mit offenem Antlitz dienen". Er rechtfertigte seine Flucht
auch Vittoria Colonna gegeniiber, aber die ehemalige Freundin
iibergab diesen Brief dem Sant' Officio, anstatt ihm zu antworten,
wohl aus Angst vor der Inquisition. Ochinos Beispiel folgten viele
Kapuziner, und der Nuntius Mignanelli berichtet 1542 dem Kar-
dinal Farnese nach Rom, man hore fortwahrend von Kapuzinern,
die die Kutte ablegen und ihrem Meister folgen.
Nachdem Ochino Italien verlassen hatte, zog er predigend
von Stadt zu Stadt und gab Schriften heraus, die in den Kreisen
der Reformierten Aufsehen erregten. Er heiratete in Genf, da
ihm das Monchsleben unmoralisch erschien, hatte einige Kinder
und trieb sich mit seiner Familie in der Welt umher. Aus Genf ging
er nach Basel, dann forderte ihn der Rat der Stadt Augsburg auf,
dort zu predigen. Doch mufite er fliichten, da Karl V. seine Aus-
lieferung verlangte. Er rettete sich nach England, hatte dort unter
Heinrich VIII. und Eduard VI. als Theologe einen groBen Namen,
aber als die katholische Reaktion siegte, und Maria Tudor das
Heft in Handen hatte, drohten ihm der Tower oder der Tod auf dem
Scheiterhaufen. Ochino war sechsundsechzig Jahre alt, und seine
Kraft noch unverbraucht; er ging wieder in die Schweiz zuruck,
lebte in Basel, war eine kurze Zeit in StraBburg und Genf und
iibersiedelte 1555 nach Zurich. Dort scharten sich die Italiener
um ihn, die ihr Vaterland ihrer religiosen Uberzeugung wegen
verlassen hatten, unter anderen Francesco Lismanin, der gewesene
Ordensprovinziale der Minoriten in Polen und die Markgrafin
Isabella Manriquez, die in Neapel als eine der heiBesten Anhange-
272
ZEHNTES KAPITEL
rinnen von Valdes gait. In Zurich lernte Ochino auch Lalius
Socinus kennen, den beriihmten, aus Siena stammenden Refor-
mator; er ward spater sogar verdachtigt, dessen Lehre angenommen
zu haben.
Je alter Ochino wurde, desto mehr und desto scharfer schrieb
er und packte immer gefahrlichere Themen an. In Zurich lebend,
gab er 1563 in Basel sein beriihmtes Buch ,,DreiBig Dialoge" heraus,
das unter den dortigen Protestanten viel Argernis erregte. Nament-
lich emporte man sich uber die in diesem Werk angeschnittene
Frage der Vielweiberei, die Ochino zwar nicht entschied, aber er
verhielt sich nicht durchaus ablehnend gegen Polygamic und lieB
sie besonders in jenen Fallen gelten, wo die erste Frau keine Kinder
haben konne. Charakteristisch ist seine Widmung dieser Abhand-
lung an die ,,Bruderschaft der ungliicklichen und leidenden Ehe-
manner". Es wurde ihm vorgeworfen, daB er pro domo sua schreibe,
doch halt dies zu glauben schwer, da Ochino damals siebenund-
siebzig Jahre alt war und selbst nach den Aussagen seiner Feinde
stets ein vorbildliches Leben gefiihrt hat. Ochino wurde auf Grund
dieser Abhandlung aus Zurich ausgewiesen; der erschopfte Greis
muBte wieder mit vier Kindern Schutz in Basel suchen, wurde dort
aber nicht aufgenommen, da er angeblich durch die Drucklegung
der dreiBig Dialoge in Basel* Schande uber die stille Stadt gebracht
habe. So ging er weiter nach Nurnberg und versuchte in einer neuen
Abhandlung die Vorwiirfe zuriickzuweisen, die die Ziiricher und
Basler Protestanten gegen ihn erhoben hatten. Als man ihm
auch den Aufenthalt in Nurnberg nur fur kurze Zeit gestattete,
beschloB er nach Polen zu gehen, wo die Verhaltnisse fur die Glau-
bensneuerer augenblicklich giinstig lagen. Ochino scheint diesen
Plan schon langere Zeit erwogen zu haben, da er seinen Dialog
„iiber die Dreifaltigkeit" dem Fiirsten Nikolaus Radziwill gewidmet
hat. Der Fiirst hat das Exemplar jedoch nicht erhalten, da er sich
in einem an Calvin geschriebenen Brief beklagt, daB das Buch
unterwegs verloren gegangen sei. Nach Polen brach Ochino im
Friihling 1564 auf und nahm ein Empfehlungsschreiben vom Buch-
handler Perna in Basel an Martin Czechowicz mit. Als man in Rom
erfuhr, der ehemalige Kapuziner habe die Absicht, nach Krakau
PAPST PAUL III.
BILDNIS VON PARIS BORDONE. FLORENZ, PITT!
RENATA DI FRANCIA
273
zu gehen, war die Unruhe groB, und der Kardinal Borromeo schrieb
am 5. Februar 1564 an den Kardinal Commendoni, den damaligen
apostolischen Nuntius in Polen, ,,aus der Schweiz erreiche ihn die
Nachricht, daB der nichtswiirdige Ochino die Absicht habe, nach
Polen zu gehen. Se. Heiligkeit erachte es fur angemessen, S. K.
Hoheit vor dem anstoBigen Leben dieses Menschen zu warnen und
bitte den Nuntius, sich dafiir zu verwenden, daB Ochino keine
Aufnahme in Polen finde, damit er die gute Saat, die in jenem
Lande aufgegangen, nicht verderbe und dort nicht groBere Unruhe
stifte." Trotz dieser Warnung wurde Ochino gestattet, nach
Krakau zu kommen, er traf Ende Mai oder Juni dort ein und hielt
offentliche italienische Predigten. Der Greis sprach so schon und
hinreiBend, daB nach dem Urteil der Zeitgenossen alle Prediger
neben ihm verblaBten, und die Horer sich in Scharen zu ihm
drangten.
Selbst Sigmund August scheint Ochinos Auftreten nicht ungern
gesehen zu haben, denn die Ratschlage, die der italienische Kanzel-
redner ,,der Briiderschaft der ungliicklichen und leidenden Ehe-
manner" erteilte, waren ganz nach dem Herzen des Konigs.
Der Konig hat seine Gattin Katharina von Osterreich, die
Tochter des Kaisers Ferdinand, nicht geliebt und keine Kinder mit
ihr gehabt; er hatte sich gem von ihr scheiden lassen. Die Sympathie
des Konigs fur Ochino blieb von der Geistlichkeit nicht unbeachtet,
darauf beziehen sich zweifellos Hosius' Klagen in seinem Brief
an Reszka, ,,daB die Ketzer den Konig gegen die Konigin auf-
hetzen, namentlich Ochino ermutige ihn zu einem unerhorten
Schritt, der die ganze Welt emporen wiirde und jeder Moral Hohn
sprache". Wie sehr dem Konig aus personlichen Griinden Ochinos
Ratschlage gef alien mochten, so hatte er doch ,,den ganzen Weiber-
haufen gegen sich", um so mehr als anstoBige Falle des Zusammen-
lebens mit mehreren Frauen schon die Aufmerksamkeit der Geistlich-
keit auf sich zogen ; im erzbischoflichen Archiv zu Gnesen befinden
sich aus der Zeit zwischen 1520 und 1570 sechzehn Scheidungs-
akten ex occasione polygamiae.
Es wurde behauptet, Ochino habe dem polnischen Konig seine
Abhandlung iiber Vielweiberei gewidmet, doch ist dies nicht wahr,
18
274
ZEHNTES KAPITEL
da die konigliche Kanzlei eine derartige Dedikation nicht ange-
nommen hatte; er hat jedoch Sigmund August eine andere seiner
Abhandlunge"n gewidmet, das ,,Gesprach, wie man mit Ketzern
umzugehen habe", er fordert darin den Monarchen auf, Toleranz
gegen Menschen zu iiben, die neue religiose Grundsatze vertreten.
Man kann es sich kaum vorstellen, auf welche Weise der niedere
Klerus, der in seinen Ausdrucken nicht sehr wahlerisch war, an-
fing Ochino zu beschimpfen, besonders als der Dominikaner Melchior
Moscicki, der um seines Eifers und seines Wissens willen beriihmt
war, vergebliche Bekehrungsversuche bei ihm gemacht hatte.
Man nannte Ochino einen ,,schandlichen Fbrderer unmoralischer
Grundsatze" und nicht nur die Katholiken, auch die Lutheraner
gingen gegen ihn vor, da er nicht an die heilige Dreifaltigkeit ge-
glaubt hat. Von zwei Seiten gab es Angriffe gegen den Greis, und
seine Anwesenheit hat sicherlich nicht wenig zum BeschluB des
Landtags vom 7. August 1564 beigetragen, der alien auslandischen
Ketzern gebot, das Land unverziiglich zu verlassen. Ochino muBte
wieder auf die Wanderschaft. Mehrere ihm zugetane Burger ver-
suchten ihn zu iiberreden, trotz dieses Beschlusses im Lande zu
bleiben und boten ihm in ihren Hausern Schutz an; aber der Fliicht-
ling erwiderte, man habe sich der Obrigkeit zu fiigen, er wiirde
den Befehl, Polen zu verlassen, befolgen, ,,selbst wenn er im Walde
oder auf dem Felde liegen bliebe". Er verlieB Krakau, wandte sich
nach dem Westen und machte halt in Pintschew, jenem Zufluchts-
ort der Andersglaubigen, um von seinen Anhangern Abschied zu
nehmen. An der dort herrschenden Seuche starben drei seiner Kinder.
Gebrochen ging er weiter, und drei Wochen nachdem er Polen
verlassen hatte, starb er einsam in Stychow an der March, 1564.
Zu Lebzeiten waren alle protestantischen Sekten gegen ihn vor-
gegangen, nach seinem Tode stritten um ihn Lutheraner, Calvi-
nisten, Reformierte, Socinianer, Wiedertaufer: jede dieser Sekten
behauptete, er gehore zu ihr.
Nach Ochinos Flucht aus Italien hat der Kapuzinerorden
aufgehort, eine bedeutende Rolle in der Gegenreformation zu spielen.
Dieser Orden hat namentlich durch seine Predigten dem Papsttum
allmahlich bedeutende Dienste geleistet, aber noch war er nicht
RENATA DI FRANCIA
275
zu jener Macht gelangt, die notig war, um im Kampf mit dem
Protestantismus eine fiihrende Stelle einzunehmen. Uberhaupt
fehlte es der italienischen Gegenreformation, diesen Kongre-
gationen del Divino amore und anderen ahnlichen Vereinigungen
an einem organisatorischen Talent, an Energie und Einigkeit
in der Durchfuhrung eines klar erkannten Zieles. All diese
schonen und edlen Bestrebungen waren mit zuviel religidser
Romantik durchsetzt, die wie jede Romantik in unklare Formen
zerfloB und nicht geniigend reife, niitzliche Friichte trug. Zum
Kampf mit der Reformation bedurfte es eines starken Organi-
sators, eines Menschen mit eisernem Willen. In dem fur die Kirche
kritischsten Augenblick erstand ein solcher Organisator, ein Mann,
der die Seele des beginnenden Kampfes ward. Pldtzlich tauchte in
Venedig ein spanischer Soldat auf, ein genialer Fiihrer von un-
geheurer Willenskraft, der eine Wallfahrt ins Heilige Land an-
treten wollte. Dieser Mensch hatte sich so stark in der Gewalt,
daB er, trotzdem er seiner Veranlagung nach Mystiker war, auch
die Mystik in einen eisernen Rahmen zu fassen wuBte, um
sie zur Sprungfeder irdischen, eng begrenzten menschlichen Tuns
zu machen. Ignaz Loyola begann in Venedig zu organisieren
und seine Gefahrten zu versenden; dort hat ihn auch Ercole II.
kennen gelernt, der sofort begriff, daB dieser asketische Soldat
berufen sei, eine bedeutsame Rolle im Kampf mit der Reformation
zu spielen. Einige Jesuiten, die Loyola 1537 nach Rom schickte,
um Pauls III. Hilfe zu beanspruchen, passierten Ferrara und wurden
dort auf Veranlassung des Herzogs aufs entgegenkommendste
empfangen. Vittoria Colonna war damals in Ferrara, auch sie
empfing die Durchreisenden liebevoll, ohne zu ahnen, welche
Rolle diese Glaubenskampfer einst spielen wurden. Sie gingen zu
FuB nach Rom, auf spanische Art wie Soldaten angezogen, so daB
man sie unterwegs fur Soldaten hielt, die am Sacco di Roma teil-
genommen hatten und jetzt als reuige Sunder in Demut in die heilige
Stadt pilgerten, um ihr schandliches Tun zu biiBen. Seine geschick-
testen Gefahrten: den Franzosen Claude Jay, Rodriguez und einige
andere schickte Loyola nach Ferrara, dort predigten sie auf offent-
lichen Platzen, um die Bevolkerung fur ihre Ziele zu gewinnen.
18*
276 ZEHNTES KAPITEL
In Rom stieB die ,,Compania di Jesus" auf groBes MiBtrauen, be-
sonders bei Caraffa, schon deshalb, weil sie unter dem Schutz des
Kardinals Contarini auftrat, der der Vertreter einer milderen
Richtung in der Wiedergeburt der Kirche war. Caraffa sah voraus,
daB Loyola, dieser unbekannte Spanier, sehr bald eine fiihrende
Personlichkeit in der katholischen Welt werden wiirde, sein Rivale
im Kampf mit der Reformation. Die Ahnungen des Kardinals
sollten in Erfiillung gehen: der spanische asketische Soldat war
ihm iiberlegen an Erfahrung, an Kenntnis menschlicher Schwachen,
an langsamer, erfolgreicher, leidenschaftsloser Arbeit. Loyola
schleppte die Menschen nicht zum Scheiterhaufen, aber durch
seine subtile Psychologie und durch seine Fahigkeit, die Jugend
fur seine Plane zu gewinnen, gestaltete er die Gesellschaft zu
gunsten der Kirche um. Die Gegenreformation hat der Gesellschaft
Jesu ungeheuer viel zu danken, wahrend die Inquisition, Ca-
raffas Lieblingswerk, die sich durch ihre Grausamkeit verhaBt
gemacht hat, ihr nur geschadet hat; ihr Vorgehen widersprach
italienischer Tradition, da das Volk nicht zu religiosen Kampfen
neigt. Die Inquisition vermochte niemand zu iiberzeugen; nach
kurzer Wirksamkeit belustigte sie durch ihre Urteilsspriiche oder
schuf Martyrer eines priifenden skeptischen Wissens. Sie hat
Cecco d'Ascoli verbrannt, weil er die Wege der Naturforschung
betrat, Giordano Bruno zum Tod auf dem Scheiterhaufen ver-
urteilt, da er eine ebensolche Revolution in der Philosophie wie
Kopernikus in der Astronomie durchfiihren wollte, und nur die
Angst davor, sich lacherlich zu machen, hat sie verhindert, Galilei
das gleiche Schicksal zu bereiten. Mit Galileis Verurteilung zum
Gefangnis und zu einem dreijahrigen Absingen von sieben
Psalmen, weil er in seinem ,,Dialogo su due massimi sistemi del
mondo Tolemaico e Coperniciano" bewiesen hatte, daB die Erde
sich um die Sonne drehe, hat das Sant' Officio das Szepter ver-
loren, unter das es die Kultur der Menschheit zwingen wollte. Das
Vorgehen dieser leidenschaftlichen, gewaltsamen Reaktion hatte die
traurigsten Folgen fur Kultur und Religion, denn es hat die Geister
gegen die Kirche emport und Unglauben geweckt. Trummer kenn-
zeichnen den Sieg dieser Reaktion, Italien verschwand fur langere
RENATADIFRANCIA
277
Zeit als bedeutungslos vom Schauplatz der Welt, Spanien erstarrte,
und Frankreich versank in Unmoral und Luxus nach der Unter-
driickung der Hugenotten.
Aber weder flammende Scheiterhaufen, noch die Fesseln, in die
die Gedankenfreiheit gezwungen wurde, vermochten die von der
Renaissance angeregte Forschung zu unterdriicken, und man
kann ruhig sagen, da8 das Urteil iiber Galilei1) die Scheidegrenze
ward zwischen der Kultur des Glaubens und der Kultur der Skepsis,
dem charakteristischen Merkmal der modernen Gesellschaft.
Die furchtbare Reaktion hat die Kirche gerettet, aber den Glauben
getotet. Ware Renata eine Zeitgenossin von Catherina von Siena
gewesen, so ware sie in ihrem fanatischen Verlangen, die Kirche
zu reformieren, eine der kraftigsten Stiitzen der rdmischen Kurie
geworden; da sie aber das Ungluck hatte, unter Paul III. und
Paul IV. zu leben, wurde sie in das entgegengesetzte Lager ge-
drangt. Das Sant' Officio hat vor sein Inquisitions-Tribunal die
edelsten Persdnlichkeiten, die an der religidsen Bewegung in Italien
teilnahmen, zitiert, die ehemaligen Mitglieder der Kongregation
del Divino amore, und selbst Vittoria Colonna hatte die Qual eines
Inquisitionsprozesses erdulden miissen und ware vielleicht im Ge-
fangnis gestorben, wenn ihr Tod die rdmischen Terroristen nicht vor
dieser Schmach bewahrt hatte.
Es war ein nicht wieder gut zu machendes Ungliick fur die
katholische Welt, daB die Reform der rdmischen Verhaltnisse unter
spanischem und nicht unter strikt italienischem EinfluB gestanden
hat. Die Spanier, das leidenschaftlichste und am wenigsten tolerante
unter den romanischen Volkern, verraten in ihrem Tun eine gewisse
Brutalitat, die anstatt zu mildern gereizt, anstatt zu heilen neue
Wunden geschlagen hat. Ohne diese spanische Riicksichtslosigkeit
ware dem Papsttum so manche Spaltung erspart geblieben, und der
Glaube an das Mitleid und die Humanitat der rdmischen Kirche
') Es lautet wie folgt: ,,11 sostenere essere il Sole nel cento del mondo
e immobile e proposizione assurda e falsa in filosofia, e formalmente ereticale,
perche espressamente contraria alia Santa Scrittura." — ,,La Terra non
essere nel centro del mondo, ma molile col diurno mo to e proposizione
egualmente assurda in filosofia, ed erronea in materia e fede."
278 ZEHNTES KAPITEL
ware nicht in den weitesten Kreisen erschiittert. Die Einsetzung
der Inquisition auf spanischer Grundlage und der weitgreifende
EinfluB Span! ens, verstarkt durch Karls V. Macht, hat edle, kirch-
lich gesinnte Italiener wie Contarini, Giberti und namentlich Gio-
vanni Morone, der in hohem MaBe die Eigenschaften besaB, um
die Gesundung der Kirche herbeizufiihren, so terrorisiert, daB sie
vom Schlachtfeld abtreten oder sich spanischen Stromungen hin-
geben muBten. Damit hat es der ganzen Aktion an einigendem
Geist gefehlt; die katholische Welt zerfiel in Fanatiker und in solche,
die nicht paktieren wo*llten. Fur ruhig denkende, vernunftige Men-
schen gebrach es augenblicklich an Platz.
VII
Renata hat wahrend ihres zehnjahrigen Zusammenlebens mit
ihrem Gatten fiinf Kinder geboren, aber allmahlich begann
Ercole sein ,,monstrum" zu vernachlassigen und ein Liebesverhaltnis
nach dem anderen anzukniipfen. Die Franzosinnen in Renatas
Umgebung haben tiber die Untreue des Herzogs eifrig nach Frank-
reich berichtet, am meisten verdroB sie Ercoles Verhaltnis mit
ihrer Landsmannin, Frau de Noyant, die an einen Hofmann ver-
heiratet war. Uber dieses Verhaltnis wurde sogar am franzosischen
Hofe gesprochen, und Terruffini, der ferraresische Gesandte in
Paris, bekam Bosheiten genug zu horen. Die Hofdamen der Konigin
Eleonora gerieten einst in seiner Gegenwart in einen solchen
Zorn uber Frau de Noyant, daB sie Strafen fur die Verbrecherin
ersannen, falls sie je in ihre Kande fiele; sie wollten sie auf lang-
samem Feuer rosten, in Stiicke hacken und ihr die Augen ausstechen.
Ercole hatte einige uneheliche Kinder, auch der Literat Lodovico
Trotti war sein Sohn. Der Ruhm des Herzogs als gefahrlicher Ver-
fiihrer war so groB, daB er ihn einmal beinahe mit seinem Leben
bezahlt hat. 1546 veranlaBte er die Sch wester eines venezianischen
Patriziers Gian Paolo Manfrone, einen Ferraresen niedrigen Standes
zu heiraten. Manfrone verdachtigte den Herzog, daB er die Ehe
gestiftet habe, um einen bequemen Deckmantel fur ein unerlaubtes
RENATA DI FRANCIA
279
Verhaltnis zu haben und wollte ihn aus Rache ermorden. Der An-
schlag miBlang, der Herzog lieB Manfrone ins Gefangnis werfen,
wo der ungliickliche Venezianer wahnsinnig wurde.
Die franzdsischen Autoren heben riihmend hervor, daB Renata
sehr nachsichtig gegen die Untreue ihres Gatten gewesen sei. Sie
speiste sogar zuweilen in Gesellschaft von Frau Noyant, die von
den Hofdamen so sehr gehafit wurde. Allmahlich verschlechterte
sich das Verhaltnis zwischen den Gatten, besonders da Ercole ge-
legentlich brutal und schroff gegen die Herzogin war, da er ihr ihre
Sympathie fur Menschen, die der Ketzerei verdachtigt wurden,
nachtrug. Renata fuhlte sich einsam und trostbediirftig. Pons,
der Schwiegersohn der Mme. de Soubise, war das Muster eines
liebenswiirdigen, einnehmenden franzdsischen Hoflings, sah dazu
gut aus, und war tonangebend in Fragen der Eleganz in Ferrara.
Wahrend seines sechsjahrigen Aufenthaltes am Hofe bestand ein
sehr herzliches Verhaltnis zwischen ihm und der Herzogin, das
freilich die Grenze der Freundschaft nicht uberschritten hat. Die
Sache blieb lange Geheimnis, zuletzt wurde Ercole durch anonyme
Briefe auf die Gefiihle seiner Frau aufmerksam gemacht.
1539 wurde den Este von Paul III. endlich der Besitz von Mo-
dena und Reggio bestatigt; die romische Kurie hatte sich auf diese
Stadte gewisse Rechte angemaBt, und der Papst lieB sich fur diese
Bestatigung achtzigtausend Dukaten in bar auszahlen, sowie
einen jahrlichen Tribut von siebentausend Dukaten und zwanzig-
tausend Sack Salz aus Comacchio. Als der alte Kassierer der Este,
Girolamo Giglioli, von diesen Vertragen erfuhr, geriet er in eine
solche Verzweiflung, daB er sich laut iiber Ercole beklagte und
erklarte, der alte Herzog hatte eher Rom bekriegt und erobert,
als eine so enorme Summe geopfert. Er weigerte sich, das Geld
herauszugeben. Als ihn Ercole zwang, die Kasse zu offnen, er-
krankte der Alte schwer aus Kummer. Dieser Vertrag, der die Este
fester als bisher an die romische Kurie band, wurde in Frankreich
ungern gesehen; Frankreich wollte die Este zum Bundesgenossen
haben, ohne ihnen je beizustehen. Ercole, der nicht mit Franz I.
brechen wollte, beschloB Pons nach Paris zu schicken, damit er
den Konig umstimme. Franz I. hatte eine Vorliebe fur Pons,
280 ZEHNTES KAPITEL
infolgedessen hielt Ercole ihn fur die geeignete Personlichkeit. Pons
entledigte sich seines Auftrages in zufriedenstellender Weise, aber
wahrend seiner Abwesenheit entspann sich eine Korrespondenz
zwischen ihm und Renata, die Ercole zu haufig erschien. Renata
schrieb ihre Briefe des Morgens, wenn der ganze Hof schlief, und
da sie die Postmeister der nachstgelegenen Stadte erkauft hatte,
nahm sie nicht an, daB ihre Korrespondenz je in unberufene Hande
kame. Sie schrieb taglich und berichtete eingehend iiber ihr Leben.
Ihre Orthographie laBt zwar so manches zu wiinschen iibrig, aber
dafiir ist ihre Art zu schreiben sehr lebendig, amusant und hiibsch.
Aus zweien dieser Briefe, die das estensische Archiv bewahrt, spricht
ein warmes Empfinden. Renata nennt Pons immer ,,mon enfant",
einige Abschnitte des Briefes sind in chiffrierter Schrift. Sie erzahlt,
sie reite mit ihren Hofdamen beinahe taglich, ihr Mann habe mit
ihr zusammen Abendbrot essen wollen, doch habe sie sich geweigert
unter demVorwand,daB es schon spat sei; einmal habe sie aus Langer-
weile Laura dei Dianti, die Geliebte des verstorbenen Herzogs
Alfonso besucht. Sehr anmutig schildert sie ihm das Kind, das Frau
Pons wahrend der Abwesenheit ihres Gatten geboren; das Sohnchen
habe einen Mund wie der Vater, aber so winzig, daB eine Erbse kaum
darin Platz fande, und ebenso sanft blickende Augen wie der Vater.
Sie habe es dreimal auf die Augen gekiiBt. Renata erstattet Pons auch
sehr genau Bericht iiber seinen kleinen Hund, ihren besten Freund in
Abwesenheit seines Herrn, er schlafe in ihren Armen und lieBe sie aus
Eifersucht nicht schreiben. Pons konne beruhigt iiber ihn sein. Sie
wache ,,de le faire etriller et epuceter tous les soirs et matins".
War das Hiindchen auf Renata eifersiichtig, so scheint sie es noch
mehr auf seinen Herrn gewesen zu sein. Es schien ihr, und wohl
nicht ganz ohne Grund, daB eine ihrer Hofdamen, Diana Ariosti,
ihn Hebe, deshalb fing sie einen ihrer Briefe auf. Die schone Ita-
lienerin beweist in diesem herzlichen und fesselnden Brief, daB
sie von Orthographie keine Ahnung hat, aber daB man auch ohne
diese Kunst gelehrter Leute seine Empfindungen sehr warm aus-
driicken kann. Sie klagt, ihr Leben sei ohne de Pons freudlos.
Dieser Brief hat Renata zwar beunruhigt, aber de Pons' gelegent-
liche Seitenspriinge scheinen ihr Verhaltnis nicht getriibt zu haben.
RENATA DI FRANCIA " 28l
Als Ercole aus anonymen Briefen von der Zartlichkeit seiner Frau
fur den schonen Franzosen erfuhr, nahm er diese Nachricht ruhig
genug auf, lieB nichts davon merken, daB er Renata nachspiire,
und versuchte nur unter den verschiedensten Vorwanden de Pons
in Paris zuriickzuhalten. Anderthalb Jahre blieb er fort, und als
der sentimentale Hofmann in der ersten Halfte des Jahres 1540
nach Ferrara zuriickkam, traf er Renata nicht mehr. Der vorsichtige
Ercole hatte sie in die Verbannung nach Consandolo geschickt, in
ein SchloB der Este, das ungesund iiber den faulenden Wassern
des Comacchio lag; bis auf die Vogel im Garten und die Aale im
Wasser gab es keinerlei Gesellschaf t. Der Bediirf nisse ihrer Seele hatte
Ercole wohl gedacht, er gab ihr zum Kaplan den sehr geschickten
Geistlichen Francois Richardot, einen Hofmann von einnehmendem
AuBern, der zwar in Frankreich ein Anhanger Calvins gewesen
war, aber jetzt zu den eifrigsten Katholiken gehorte. Richardot
scheint vom Herzog beauftragt worden zu sein, Renata zum streng
katholischen Glauben zuruckzufiihren; aber als er erkannte,
daB es Renata mehr nach Genf denn nach Rom drange, lieB er sie
ihren Weg gehen, befestigte sie in Calvins Lehre und nicht im
Katholizismus, empfahl ihr jedoch dringend, mit Riicksicht auf
den Herzog und seine Stellung zur romischen Kurie, die Brauche
und Vorschriften der katholischen Religion zu befolgen. Er drangte
sie, zur Messe und zum Abendmahl zu gehen, ohne an die Wirksam-
keit der priesterlichen Absolution zu glauben. Calvin scheint
Richardot gut gekannt zu haben, er sagte einmal von ihm, seine
Worte hatten nicht mehr Wert als das Geschwatz einer Elster. Die
zweideutigen Ratschlage des Kaplans haben Renatas Gewissen
nicht beruhigt; durch Frau de Pons' Vermittelung wandte sie sich
1 54 1 an Calvin. Er schrieb ihr sehr eindringlich, warnte sie vor
Richardot, empfahl ihr Mut und Ausdauer, denn die furchtsamen
Menschen glichen geistigen Kruppeln. Er schickte ihr seine Ab-
handlung ,,De la Cene de notre Seigneur", die seine Lehre knapp
zusammenfaBt. Calvins Schrift machte Renata groBen Eindruck,
sie horte auf, in die Kirche zu gehen und zu beichten.
Als Renata am tiefsten von Calvins Lehre durchdrungen war, er-
schien am 22. April 1543 der Papst Paul III. in Ferrara. Er reiste
282 " ZEHNTES KAPITEL
Karl V. entgegen, der in Genua gelandet war. Er wollte den Kaiser
veranlassen, das Herzogtum Mailand seinem Sohn Pier Luigi oder
seinem Enkel Ottavio zu iibertragen. Seine Bemiihungen hatten
nicht den erwunschten Erfolg, aber einmal in Bologna, nahm er
Ercoles Einladung nach Ferrara um so lieber an, als er einen
doppelten Zweck damit verfolgte: einmal wollte er Ercole zu einer
Anleihe von funfzigtausend Scudi veranlassen, und dann Renatas
Tochter sehen, da er eine derselben seinem Enkel Orazio Farnese
zugedacht hatte.
Zur BegriiBung des Papstes kam Renata nach Ferrara; in einer
kostbaren Sanfte begab sie sich zu Paul III., begleitet von siebzig
vornehmen Ferraresinnen in schwarzen, silbergestickten Kleidern,
auf Pferden mit schwarz-silbernem Zaumzeug. Die Calvinistin
und Ketzerin kuBte den papstlichen Pantoffel, und Paul III. schenkte
ihr einen kostbaren Diamanten und einen Lilienzweig aus Dia-
manten, im Werte von fiinfzehnhundert Talern. Der Papst ge-
stattete auf ihre Bitte, daB die Nonne Suranna das Augustinerinnen-
kloster verlasse und in den herzoglichen Palast ziehe, um die jungen
Prinzessinnen im Sticken zu unterweisen. Paul III. erwies Renata
seine Gunst in jeder Beziehung; um sie vor den Verfolgungen der
Inquisitoren in Ferrara zu schiitzen, erlieB er ein Breve, worin er sie
dem unmittelbaren Schutz des Papstes und der GroBinquisitoren
des Sant' Officio unterstellte. Renata ward also eine vollkommene
Ausnahmestellung der Inquisition gegeniiber eingeraumt. Infolge
ihrer besonderen Frommigkeit und der erprobten Starke ihres
Glaubens verdiene sie in Frieden zu leben, ohne der unnotigen
Kontrolle der inquisitorischen Gewalt ausgesetzt zu sein, wie es im
Breve hieB. Weder die Inquisitoren in Ferrara und Bologna, noch
die Bischofe oder pi'pstlichen Gesandten durften bei Strafe des
Bannes in ihr religioses Verhalten eingreifen. Dieses Breve wurde
auf die Bitte des franzosischen Gesandten in Rom erlassen, ohne
Ercoles Wissen, ja, es war gegen ihn gerichtet, da er die Tochter
des Konigs von Frankreich nicht rucksichtsvoll genug behandele.
Der Hauptgrund war jedoch, daB der Papst Renata gewinnen
wollte, damit sie Orazio Farnese die Hand ihrer Tochter Anna
gebe, wahrend Ercole gegen diese Verbindung war. Der Herzog
RENATA DI FRANCIA 283
wuBte, daB die Verbindung mit den Papsten, selbst zu Lebzeiten des
Papstes, mit dem man das Biindnis geschlossen, nicht immer Vor-
teile bringe, nach seinem Tode aber geradezu Nachteile. AuBer-
dem war Orazio ein papstlicher Bastard, also kein geniigend vor-
nehmer Pratendent fur eine estensische Herzogstochter. Als
Paul III. eine endgiiltige Antwort verlangte, begann Ercole unter
verschiedenen Vorwanden die Entscheidung hinauszuschieben und
wuBte immer neue Hindernisse ausfindig zu machen — bis der
Papst starb.
Wir glauben nicht, daB Renata, als sie dem Papst ihre Ergeben-
heit bewies und sich um das Breve bewarb, Rom betriigen wollte
und unehrenhaft vorgegangen ist. Alle vornehmen Damen jener
Zeit: Renata, eine Zeit hindurch Vittoria Colonna oder die Konigin
von Navarra nannten sich in ihren Brief en ,,Roms sehr gehorsame
Tdchter", und versuchten trotzdem mit alien ihnen zu Gebote
stehenden Mitteln Reformen einzufuhren ,,zum Wohl der Religion
und der Kirche". Noch waren die Grenzen zwischen Ketzerei und
dem, was die Kirche erlaubte, flieBend.
Nach der Auszeichnung, die der Papst der Herzogin erwiesen
hatte, gab es keinen eigentlichen Grund mehr, sie gewissermaBen
in Verbannung in Consandolo zu behalten, da Rom jeden Verdacht
der Ketzerei von ihr genommen hatte. Es gehorte sich also, daB die
Herzogin wieder ihren Wohnsitz in Ferrara nehme, und zu diesem
Zwecke muBte de Pons entfernt werden. Ercole machte sich auch
sehr energisch ans Werk. Er hatte ihn bis jetzt aus Riicksicht
auf Franz I. gelitt?n, aber schlieBlich gingen ihm der Hochmut
und die Intriguen des franzosischen Spions zu weit, er bat 'Renata,
ihn von ihrem Hof zu entfernen, besonders da er Klatschereien iiber
sie verbreite. Renata lehnte diese Forderung zwar ab, aber da dem
Ehepaar de Pons der Boden in Ferrara zu heiB geworden war, floh
es insgeheim nach Venedig. Franz I. machte dem Herzog zwar
Vorstellungen, weil er Pons angeblich schlecht fur seine Dienste
belohnt habe, aber Ercole lieB statt jeglicher Antwort auf die Briefe
des Konigs die Mobel und Kleider des Ehepaares Pons konfiszieren
und gab vor, daB die Juden, die Glaubiger der verhaBten Franzosen
Anspriiche darauf erheben. Frau Pons starb bald nachdem sie
284 ZEHNTES KAPITEL
Italien verlassen, er verheiratete sich zum zweitenmal mit Maria
de Monchenu, einer eifrigen Katholikin, und wurde unter ihrem
EinfluB ein so treuer Sohn der Kirche, daB er als franzosischer
Statthalter in Saintonge die Protestanten aufs grausamste ver-
folgt hat.
Renata brauchte, nachdem Frau de Pons sie verlassen, eine neue
Gesellschafterin, sie bat die Konigin von Navarra, ihr eine Ver-
treterin zu schicken. Die Konigin wahlte Frau de La Roche, die,
wie Brantome sagt, sehr nach Luther roch. Obgleich man sie bei ihrer
Abreise gewarnt hatte, in Ferrara weder Mund noch Augen und
Ohren zu haben, zettelte die La Roche sofort Intriguen an, und ver-
feindete sich mit dem ganzen Hof in dem MaBe, daB Ercole sie
nach sechsmonatlichem Aufenthalt nach Frankreich zuriick-
schicken muBte. Nach dieser Enttauschung verlangte Renata nicht
mehr nach einer franzosischen Ehrendame, sondern wahlte an Frau
de La Roches Stelle Olympia Morato, die schon seit einigen Jahren
ihrem Hof angehorte. Olympia war die Tochter des ferraresischen
Humanisten Pellegrino Morato, der nach der Sitte der damaligen
Professoren, den lateinischen Namen Fulvio angenommen hatte.
Unter Alfonso I. war er der Lehrer seiner jungeren Sonne Ippolito
und Alfonso gewesen, dann muBte er auswandern, da er es mit
Luther hielt. 1534 gestattete ihm Ercole zuriickzukommen, aber
Morato verleugnete seine Vorliebe fur die Reformation durchaus
nicht, sein Haus in Ferrara war der Sammelpunkt fur die Feinde
des Papsttums. Einer der intimsten Freunde Moratos war Curione,
Humanist, Literat und Ketzer, ein sehr begabter Mensch von
besonders angenehmen Umgangsformen. Er war an Renatas
Hof gern gesehen, und ihm verdankte Olympia, ein hochgebildetes
Madchen, die Stellung bei der Herzogin. Mit fiinfzehn Jahren
schrieb sie schon ausgezeichnet italienisch, sprach lateinisch und
griechisch, iibersetzte Homer und Vergil, machte Gedichte und
gewann alle Herzen durch ihre Giite und Bescheidenheit. Zuerst
berief Renata sie als Gesellschafterin fur ihre alteste Tochter Anna,
spater anvertraute sie ihr die Erziehung ihrer beiden jungeren
Tochter Lucrezia und Leonora. Die jungen Prinzessinnen trieben
klassische Sprachen, muBten bisweilen in einem kleinen Kreis
RENATA DI FRANCIA 285
von Gelehrten philosophische Thesen verteidigen, und Olympia
lieB sie Aristoteles' Rhetorik, Ptolemaus' Schriften, Cicero, Ovid
und von neueren Verfassern Erasmus Rotterdamus lesen, auch
bestellte sie aus Venedig Proklus' Spharen und einen Globus, „un
mappomondo". Den Unterricht leiteten auBer Olympia der Huma-
nist Sinapius; spater kam noch Francesco Porto, ein Monch, der der
Reformation nahe stand, dazu.
Olympia blieb trotz ihrer Heirat mit dem deutschen Gelehrten
Grunthler im Hofdienst und befaBte sich nach wie vor mit der
Erziehung der Prinzessinnen. Ihre eignen Studien durften darunter
nicht leiden, sie las die antiken Philosophen und war Skeptikerin
geworden. In ihrem beruhmten spateren Werk, den ,,Dialogen",
berichtet sie, sie habe allmahlich angenommen, der Zufall regiere
die Welt, und ihr Glaube an Gott sei geschwunden. Das Studium
der Bibel gab ihr zwar den Glauben wieder, brachte sie aber der
romischen Kirche noch ferner. 1548 erkrankte Olympias Vater
schwer, sie muBte den Hof verlassen und kam erst wieder, als die
Prinzessin Anna mit dem Herzog von Aumale vermahlt wurde.
Nachdem sie den Unterricht von Lucrezia und Leonora wieder auf-
genommen hatte, wurde sie plotzlich aus dem Hofdienst entlassen,
ohne daB jemand auch nur im entferntesten den Grund dieser Un-
gnade ahnte. Renata, die sonst sehr mildtatig war, gestattete Olym-
pia nicht einmal die Sachen an sich zu nehmen, die sie ins SchloB
mitgebracht hatte, und erst nach vielen Bitten und nachdem auch
Lavinia della Rovere ihre Partei ergriffen hatte, gab sie ihr ein
altes Kleid zuriick. Diese Herzensharte wirft ein eigenes Licht
auf Renatas Charakter, sie muB nicht nur eigensinnig, sondern
auch rachsiichtig gewesen sein. Man nimmt an, Renata habe
im Zorn gehandelt, als sie erkannte, daB Olympia mehr zu Luther,
als zu Calvin neige, doch laBt sich dariiber heute nichts Sicheres aus-
sagen. Jedenfalls war Olympias Stellung in Ferrara unmoglich ge-
worden, sie muBte die Stadt verlassen, infolge der Unannehmlich-
keiten, die sie, als vom Hof entfernt, iiberall zu gewartigen hatte.
Sie folgte ihrem Gatten in seine Heimat nach Schweinfurt, doch
wartete ihrer dort ein tragisches Schicksal. Sie war kaum dort an-
gekommen, als die Bischofe von Bamberg und Wurzburg die Stadt,
286 ZEHNTES KAPITEL
in der sich Albert von Brandenburg eingeschlossen hatte, belagerten.
Das bischofliche Heer eroberte die Stadt und brandschatzte sie in
furchtbarster Weise; Olympia verlor ihr ganzes Hab und Gut,
entfloh notdurftig bekleidet und irrte mit ihrem Mann iiber schnee-
bedeckte Felder, bis sie das Stadtchen Hameln erreichte, das drei
Meilen von Schweinfurt entfernt ist. In einem Brief an Curione
berichtet sie, sie sei barfuB, in einem zerrissenen Mantel, den eine
Frau ihr unterwegs geliehen hatte, nach Hameln gekommen.
Ihre Gesundheit war diesen Strapazen nicht gewachsen, sie starb
am 7. November 1555 in Heidelberg.
VIII
Die Reformbestrebungen griffen in Norditalien immer mehr
urn sich; Ferrara, Modena und Mirandola wurden der Hauptsitz
der neuen Bewegung. Die Bewegung kam aus dem Norden, aus
Deutschland und Frankreich, und unterschied sich sehr lebhaft
von den reformatorischen Tendenzen der Theatiner, den Idealen
der neapolitanischen Frauen und den Bestrebungen der Kapuziner.
Aus Deutschland kamen erst Bucher, spater um 1520 Menschen.
Die Monche, die Rom in den Norden schickte, damit sie gegen
die Reformation auftraten, kamen zumeist von Luthers Lehre
erfiillt zuriick. In Ferrara trafen die Anhanger des deutschen Re-
formators die Jiinger Calvins, und wahrend die ersteren nur eine
Reform der Kirche anstrebten, ohne die politischen Verhaltnisse
antasten zu wollen, hatten die letzteren demokratische Tendenzen
und hetzten das Volk gegen die Fiirsten auf. Trotzdem vermochten
die Calvinisten nicht, groBere Volksmengen zu fesseln, ihre Dok-
trinen waren zu kalt und zu pedantisch und haben zu wenig auf die
Phantasie gewirkt. In Italien fanden Luthers Lehren giinstigeren
Boden, da sie in der Hauptsache gegen die Ubergriffe der Kirche ge-
richtet waren, aber die Grundlage der Gesellschaft nicht erschiit-
terten. Die italienischen Fiirsten waren zu eng durch materielle
Interessen mit Rom verbunden, um den Sturz des Papsttums zu
wiinschen, und das Volk lauschte zwar den Angriffen auf Monche
RENATA DI FRANCIA 287
und Bischofe mit reichlichem Behagen, kam aber nicht im ent-
ferntesten auf den Gedanken, das Papsttum zu bekampfen.
Die reformatorische Bewegung beschrankte sich in Ferrara
wie in den iibrigen norditalienischen Stadten auf jene Klasse, die
wir heute ,,die Intelligenz" nennen, auf Professoren, Literaten,
Monche, die ihr Geliibde gebrochen, und auf gebildete Frauen.
Renata war von ,,Ketzern" umgeben. Ihr Hofarzt Gian Sinapius,
der Universitatsprofessor Celio Curione, beides Freunde von Olym-
pia Morato, Chilian Sinapius, der mit einer Hofdame der Herzogin,
Francesca Bucyronia, verheiratet war, waren samtlich heifie An-
hanger der Reformation. Celio, Melanchthons Schuler, war viel-
leicht die fesselndste Persdnlichkeit unter ihnen. Er war der drei-
undzwanzigste Sohn von Giacomo di Chieri und Carlotta Montrolier,
einer Hofdame der Herzogin Bian ca von Savoyen. Sehr gebildet, be-
redt, im Umgang sympathisch, kam er schon friih in Turin ins
Gefangnis, da er in der Kirche einen Dominikaner, der unerhorte
Dinge iiber Luther vorbrachte, laut einen Liigner schalt. Aus
dem Gefangnis entfloh er bald, hatte noch mancherlei Abenteuer,
und als er in Venedig mit Pellegrino Morato bekannt wurde, ging
er mit ihm zusammen nach Ferrara und war bei Renata besonders
gut angeschrieben. Doch war seines Bleibens nicht lange, vom
Sant' Officio bedrangt, muBte er in die Schweiz fliichten und suchte
Schutz bei Bullinger, einem der Fiihrer der reformatorischen Be-
wegung in Zurich. Renata war mit ihm im Briefwechsel geblieben
und anvertraute ihm sogar Gelder zur Unterstiitzung bedrangter
Calvinisten.
Unter dem EinfluB dieser Renata nahestehenden Personlich-
keiten stand selbst Ercoles Leibarzt, Angelo Manzollini, der Verfasser
eines satirischen Gedichtes gegen den Papst, ferner Lilio Giraldi,
der Chronist und Schmeichler des estensischen Hauses, und Marc-
antonio Flaminio, ein sehr begabter Mensch, der jedoch seine
religiosen Anschauungen beliebig wechselte und Calvinist oder
eifriger Katholik war, je nachdem es ihm am besten paBte. Am
Hofe der Herzogin lebte auch der franzosische Dichter L6on Jamet,
der ein uberzeugter Anhanger der Reformation war, obgleich er
es verstanden hatte, sich Ercoles Gunst zu erwerben. Die cal-
288 ZEHNTES KAPITEL
vinistische Bewegung wurde ferner von einigen hervorragen-
den Frauen unterstiitzt, von Lavinia della Rovere, der Enkelin
Julius II., und der Grafin Giulia Rangone di Bentivoglio. Der in
Deutschland verfolgte Reformator Alciatus fliichtete erst nach
Bologna, dann nach Ferrara und schrieb von dort aus am 7. Juli
1540, daB er in ,,diesem ferraresischen Himmel" eine aufierst
gebildete Gesellschaft gefunden habe, daB man dort die Neuerer nicht
verfolge, und er sich in Ferrara sehr viel wohler als in Bologna fuhle.
Im Vergleich mit Modena war Ferrara ein sehr ruhiger Refor-
mationsherd. In Modena hielt Paolo Ricci dffentlich heretische
Predigten und hatte groBen EinfluB. Auch das kleine Mirandola,
der Stammsitz der Pico, war eine Zufluchtsstatte fur Luthers
und Calvins Anhanger, da der Graf Galeotto sie energisch unter-
stiitzte, und Renata ihm jene franzosischen Hugenotten zuschickte,
denen in Ferrara Gefahr drohte. Allmahlich beunruhigte man sich
iiber all diese Dinge in Rom, namentlich das Vorgehen der Uni-
versitatsprofessoren in Ferrara erweckte Argernis. Der dortigen
Inquisition wurde ein ,,Bekenntnis"-Formular zugeschickt, das
die der Ketzerei verdachtigen Professoren unterschreiben sollten.
In diesem Dokument erklarten sie zwar ausdriicklich, mit der Re-
formation in keinerlei Zusammenhang zu stehen, aber diese Forma-
litat war natiirlich zwecklos, da religiose Untersuchungen und
ketzerische Agitation nach wie vor anhielten, und man nament-
lich in zahlreichen ,,Akademien" die heikelsten religiosen Fragen
erorterte.
SchlieBlich forderte Paul III. Ercole auf, energisch gegen dieses
Argernis einzuschreiten; aber der Herzog erklarte, wohl mit Riick-
sicht auf Renata, die Vorwiirfe der rdmischen Kurie seien zu all-
gemein gehalten, und die ihm gesandte Schrift fuhre keine Tatsachen
an, die einer strengeren Untersuchung als Grundlage dienen konnten;
er bitte daher, ihm die Personen namhaft zu machen, gegen die er
vorgehen solle. Infolgedessen verlangte der Papst nahere Einzel-
heiten vom ferraresischen Inquisitor, und nach einiger Zeit be-
nachrichtigte er den Herzog, daB Renata selbst beschuldigt werde,
zwei Ketzer an ihrem Hofe zu beherbergen, Bruccioli, den Flo-
rentiner Literaten, und Francesco Porto, den griechischen Monch.
RENATA DI FRANCIA 289
Bruccioli hatte eine sehr verbreitete Bibelausgabe iibersetzt, die
man offentlich als ketzerisch verbrannt hatte, obgleich sie Franz I.
und Renata gewidmet war. Dcr Obersetzer wurde zu einer Geld-
strafe von fiinfzig Scudi verurteilt. Als Bruccioli dem Richter er-
klarte, eine so hohe Geldstrafe nicht bezahlen zu konnen, da er
nichts besitze, wurde ihm zur Antwort, er wurde, wenn er nur wollte,
Geld finden konnen. ,,So veranlaBt nur," erwiderte Bruccioli, „daB
Ich hundert Scudi finde, dann bleiben mir fiinfzig, die ich sehr
notig habe." Der Richter hatte schon so unrecht nicht, denn Renata
bezahlte die Geldstrafe in aller Stille.
Francesco Porto, ein Grieche aus Kreta, war langere Zeit der
Lehrer der jungenPrinzessinnen gewesen,und obgleich er in religiosen
Dingen ziemlich zuriickhaltend war, unterlag es keinem Zweifel,
daB er es mit der Reformation hielt. Derselbe Papst, der vor gar nicht
langer Zeit Renata vor den Belastigungen des Inquisitors geschiitzt
hatte, forderte jetzt den Herzog sehr energisch auf, seine Ge-
mahlin zu veranlassen, ihre Taktik gegen die Ketzer zu andern.
Aber der' Herzog, der augenblicklich wohl besser mit Renata
stand, erklarte der romischen Kurie, ein gewaltsames Einschreiten
habe gar keinen Sinn und wurde die Herzogin nur reizen, einen
Wechsel musse man der Zeit und ruhiger Oberredung iiberlassen.
Der Papst konne ihm, der in seinem Leben schon viel fur das
Wohl des Apostolischen Stuhles geopfert habe, voll vertrauen;
er wiirde vorgehen, wie es das Interesse der Kirche fordere. Ercole
hatte recht; als namlich der Papst den franzosischen Gesandten
in Rom, Herrn Gye, veranlaflte, nach Ferrara zu reisen, um Renata
im Namen der romischen Kurie Vorstellungen zu machen, empfing
die Herzogin ihn aufs ungnadigste und erklarte, daB ihr tugend-
haftes Leben der beste Schutz gegen all jene sei, die es wagten,
sie anzugreifen.
Die Jesuiten in Ferrara nahmen jedoch an Renatas Leben
AnstoB, sie schickten unablassig beunruhigende Berichte nach
Rom: die Herzogin ginge weder in die Kirche noch zur Beichte,
hielte die Fasten nicht ein und lieBe auch ihre Hofleute nicht fasten.
Ercole hat gewiB bedauert, die Jesuiten nach Ferrara berufen
und wirksam unterstutzt zu haben, denn jetzt gait es, ihr allzu
19
290
ZEHNTES KAPITEL
energisches Vorgehen einzudammen. Er bemiihte sich, in Rom
durchzusetzen, daB man Fra Girolamo Pepina aus Lodi zum In-
quisitor in Ferrara einsetze, da er Reformbestrebungen sympathised
gegeniiberstand und die Gewahr fiir ein friedliches Handeln bot.
Trotzdem spitzten die Verhaltnisse sich immer mehr zu, nament-
lich als die Inquisition den Ketzer Fannio in Bagnacavallo auf
ferraresischem Gebiet gefangen nahm und ihn nach Ferrara iiber-
fiihrte. Fannio Fannino aus Faenza war schon in seiner Jugend
gegen die romische Kirche aufgetreten, indem er reformatorische
Lehren offentlich verkiindigte. Zur Strafe wurde er ins Gefangnis
geworfen. Seine verzweifelte, arme Familie bemiihte sich um seine
Freilassung und veranlaBte ihn, dem Willen der Inquisition gemafl,
seine Ansichten offentlich zu widerrufen. Fannio schamte sich jedoch
dieser Feigheit so sehr, daB er ohne Riicksicht auf Gefahr nunmehr
eine neue Agitation gegen Rom begann und in der Romagna viel
Anhanger gewann. Er war ein sehr begabter, ja glanzender Redner;
die Inquisition hielt ihn deshalb fiir einen der gefahrlichsten Neuerer
und beschloB seinen Tod auf dem Scheiterhaufen. Ercole sollte dieses
Urteil in Ferrara vollstrecken lassen, aber Renata tat ihr Bestes,
um im Namen der christlichen Liebe den Angeklagten, dessen
Familie in bitterster Not zuriickblieb, zu befreien. Auf Wunsch der
Herzogin zogerte Ercole mit der Urteilsvollstreckung, muBte zu-
letzt aber dem sehr energischen Druck der Inquisition nachgeben.
Renata war in einem der Schlosser auBerhalb Ferraras; als sie
erfuhr, daB das Urteil vollzogen werden solle, kam sie in die Stadt
und flehte den Herzog aufs neue um Fannios Leben. Ercole war
den Befehlen der Inquisition gegeniiber machtlos, er anderte den
Urteilsspruch nur dahin, daB er Fannio im Gefangnis erwiirgen
und den Korper in den Po werfen lieB. Als man dem Verurteilten
vor der Urteilsvollstreckung das Kreuz in die Hand geben wollte,
gab er ruhig zur Antwort, da er den lebenden Christus im Herzen
trage, wiiBte er nicht, was er mit einem holzernen Christus an-
fangen solle.
Kaum ein Jahr spater, am 23. Mai 1551, wurde am Fenster-
kreuz des herzoglichen Palastes Domenico Giorgio aufgehangt,
ein Geistlicher aus Sizilien, der der Ketzerei verdachtig war. Gleich-
RENATA DI FRANCIA 2QI
zeitig verurteilte die Inquisition Lodovico Domenico in Florenz
zu zehn Jahren Gefangnis, da er Calvins ,,Nicommediana" ins
Italienische iibersetzt hatte. Calvin selbst bat Renata, sich fur
Domenico bei Cosimo Medici zu verwenden, was die Herzogin
auch sofort tat, indem sie in ihrem Brief besonders betonte, sie
schreibe auf die Bitte eines Mannes, dem sie gern dienen mochte.
Trotz aller Angebereien der Inquisition und der Brief e aus Rom
vertrat Renata die Partei der Reformierten, wo immer sie konnte,
und unterstiitzte sie unablassig mit Geldmitteln.
Die fortwahrenden Streitigkeiten zwischen Ercole und Renata,
die auf religiose Differenzen zuriickgingen, und das infolgedessen
immer stillere Leben am Hofe wirkten niederdriickend auf Don
Alfonso, den altesten Sohn, einen energischen Jungling, den es nach
Taten und Ruhm diirstete. Er konnte dieses untatige Leben nicht
langer ertragen und erklarte, lieber unter dem Sultan kampfen, als
langer in Ferrara die Hande in den Schofi legen zu wollen. Der Erb-
prinz wollte nach Frankreich gehen, da die kriegerische Betatigungs-
moglichkeit dort eine sehr viel groBere war; aber der Vater wollte
nichts von diesem Plan wissen, denn Alfonso hatte in diesem
Falle gegen den Kaiser kampfen miissen, was Ercole, den kaiser-
lichen Bundesgenossen, in die fatalste Situation gebracht hatte.
Don Alfonso beschloB daher, seine Absicht gegen den Wunsch
des Vaters auszufiihren, und floh mit fiinfzehn Getreuen im Mai
1552 aus dem Hause, indem er vorgab, auf die Jagd zu gehen.
Der Herzog lieB ihn verfolgen, doch Alfonso war mit seinem Gefolge
schon zu weit, und die herzoglichen Diener kehrten unverrichteter
Sache nach Ferrara zuriick. In seinem Zorn muBte sich Ercole damit
zufrieden geben, in effigie den Freund seines Sohnes Giovanni
Lavezzuola hangen zu lassen. Er war Alfonso bei seiner Flucht
behilflich gewesen; gegen den Jungling selbst, der darauf
rechnen durfte, in Frankreich mit offenen Armen empfangen zu
werden, war der Herzog machtlos. Tasso gedachte dieses Vor-
falles in seinem ,,Befreiten Jerusalem" bei der ,, Flucht" des jungen
Rinaldo:
Nobilissima fuga, e che l'imiti
Ben degna alcun magnanimo nipote.
19*
292
ZEHNTES KAPITEL
Heinrich II. nahm den Jiingling sehr gnadig auf und iibertrug
ihm das Oberkommando iiber eine kleine Heeresabteilung, aber
Ercole begann trotzdem diplomatische Unterhandlungen mit dem
franzdsischen Hof, urn den Sohn zur Riickkehr zu veranlassen;
sein Trost war, Alfonso wiirde heimkehren, wenn sein Geld alle
ware. Unterdessen nahm Alfonso zum groBen Kummer seines
Vaters teil an Frankreichs Krieg gegen den Kaiser und zeichnete
sich durch unvergleichliche Tapferkeit aus. Wahrend der Belagerung
einer Festung ging Alfonso mit einigen Gefahrten auf einen ex-
ponierten Hiigel, wo ihn die feindlichen Geschosse erreichen
konnten, legte sich ins Gras und erzahlte ihnen Liebesabenteuer.
Allem Anschein nach war es mit der SchuBfahigkeit der kaiser-
lichen Artillerie nicht weit her, da die jungen Eisenfresser mit heiler
Haut aus diesem gefahrlichen Abenteuer davonkamen.
Der alte Ercole sollte recht behalten: der Sohn kam friiher
wieder, als man erwartet hatte. Im Herbst 1554 war er in Ferrara,
da sein Geld zu Ende und sein Kredit erschopft war. Er anvertraute
sich der vaterlichen Gnade, lieB aber seine Fluchtgefahrten nicht
im Stich, da er ihnen vollstandige Verzeihung beim Herzog er-
wirkte.
Die Riickkehr des Sohnes verbesserte das Verhaltnis der Ehe-
gatten keineswegs, und Renata bekannte sich immer offener zu
Calvins Lehre. Als einer ihrer beliebtesten und treuesten Diener,
Ippolito Putti, in den letzten Ziigen lag, und der Herzog den Priester
mit dem heiligen Sakrament zum Sterbenden schicken wollte, wider-
setzte sich Renata standhaft und veranlaBte damit einen sehr pein-
lichen Vorfall. Die Sorge des Herzogs wuchs, als er beobachtete,
daB Renata beide Tochter in Calvins Lehre erziehen wollte. Als
er ihr Vorwurfe machte und drohte, ihr die Tochter zu nehmen,
brach sie in Tranen aus und antwortete, nicht imstande zu sein,
ihren Kindern Glaubenssatze einzuimpfen, die sie fur falsch halte.
Ein andermal schickte er ihr einen Geistlichen, damit er in ihren
Gemachern eine Messe abhalte, da ,,verjagte ihn die Herzogin
wie den leibhaftigen Teufel". Aus ihrer Oberzeugung machte sie
durchaus kein Hehl, im Gesprach betonte sie, der Katholizismus
sei eine Gotzenreligion, an deren Vorschriften sie nicht glaube.
RENATA DI FRANCIA
293
Gleichzeitig unterstiitzte sie die Hugenotten mit immer groBeren
Summen, stand in regelmaBiger Korrespondenz mit Calvin und bat
ihn, ihr zwei Lehrerinnen zu empfehlen, ,,erzogen in Gottesfurcht
und Demut, rein in ihrem Leben und ihren Worten, die als Vorbild
dienen konnten und den Frieden liebten". Ihr Lehrerinnenideal
schilderte sie Calvin so eingehend, dafi sie selbst an die Kleider
dieser Frauen, die aus der Schweiz kommen sollten, dachte. Sie
brauchen nicht vkl fur ihren Putz auszugeben; schrieb sie, schwarze,
wollene Kleider, der Witwentracht ahnlich, geniigen, ,,avec le
chaperon d'oreilles". Dieser mit geheimer Post an Calvin gesandte
Brief ist in Ercoles Hande geraten; er hat eine Abschrift danach
machen lassen, die sich heute im estensischen Archiv befindet.
Renata war unvorsichtig genug, ihre Brief e einem jiidischen Kauf-
mann aus Ferrara zur Weiterbeforderung nach Genf anzuvertrauen.
Dieser Kaufmann hat den Empfangern nur einige Brief e iibergeben,
um das Vertrauen seiner Klientin nicht zu verlieren, die iibrigen
handigte er Ercole aus, der Abschriften danach machen liefi,
um gegebenenfalls eine Waffe gegen seine Frau in Handen zu
haben.
Die Jesuiten, namentlich Loyola, waren mit den Zustanden in
Ferrara sehr unzufrieden; da Pater Jay fur Deutschland notwendig
war, schickten sie erst Pater Broet, dann Lepelletier, zu Ercoles
groBem Arger, da er zu Jay viel Vertrauen hatte. Lepelletier drangte
den Herzog, gegen die Ketzer mit scharfsten Mitteln vorzugehen.
Auf seine Veranlassung erlieB Ercole ein Dekret, welches alle der
Ketzerei Verdachtigen des Landes verwies, darunter waren auch
einige Diener der Herzogin. Das geniigte Loyola nicht, er konnte
nicht fassen, dafi Lepelletiers EinfluB bei Renata abprallte. Er
schrieb dem Jesuitenpater einen sehr scharfen Brief und verlangte
von den iibrigen Jesuiten in Ferrara, ihm in versiegelten Briefen ihre
Ansicht iiber das Vorgehen ihres Vorgesetzten mitzuteilen. Lepel-
letier berief sich auf den Widerstand der Herzogin und ihrer Hof-
damen und beklagte sich, daB diese Hexen in tatsachlichem Ein-
vernehmen mit dem Teufel stiinden, ,,fornicatio cum Daemonibus";
erst 1553 gelang es ihm, eine der Hofdamen mit Hilfe ihres Gatten
zu bekehren. t)ber Renata selbst vermochte er nichts.
294
ZEHNTES KAPITEL
Die Herzogin verlieB Ferrara, bekiimmert und emport daruber,
daB sie ihre Lieblingsdiener verloren hatte; sie zog sich nach Con-
sandolo zuriick, wo sie einer weniger strengen Kontrolle unter-
stand und leichter an Calvin schreiben konnte. Die Nachrichten,
die der Herzog aus Consandolo bekam, waren sehr beunruhigend,
es geniigte Renata nicht mehr, auf ihren Hof reformierend zu
wirken, sie begann ketzerische Ideen selbst unter der Bevdlkerung
des nahe gelegenen Stadtchens Argenta zu verbreiten.
Ercoles Geduld war zu Ende. In einem ausfiihrlichen Briefe
berichtet er Heinrich II., daB Renata in ihrem Eigensinn gegen Gott
siindige und das Haus der Este mit Schande bedecke; man konne
ihr in keiner Weise die „ketzerischen Phantasien" austreiben,
selbst Weihnachten wollte sie nicht in die Kirche gehen. Der
Herzog vergleicht seine Leiden mit den LeMen Hiobs und bittet
den Konig, einen gebildeten, energischen Kaplan an Renata zu
schicken, damit er sie von der Schadlichkeit der ketzerischen Grund-
satze iiberzeuge und auf den Weg der Wahrheit zuriickfuhre.
Heinrichs Antwort an Renata klang deutlich genug: so lange sie
Ketzerin bleibe, diirfe sie auf seinen Schutz nicht zahlen. Er schickte
ihr den fanatischen franzosischen Inquisitor Matthias Ory,
der seit zwanzig Jahren die GeiBel der Reformierten war. Ory
hatte eine Vollmacht des Konigs, gegen die Herzogin mit riicksichts-
loser Scharfe vorzugehen; wenn es ihm nicht gelange, sie ,,zur
Herde von Jesus Christus zuriickzufiihren", so war er berechtigt
ihr mit der Einziehung ihrer Giiter in Frankreich zu drohen, mit
der Entziehung ihrer Tochter und der Entfernung ihrer franzo-
sischen Dienerschaft. Als-aber der Due de Guise von diesem strengen
koniglichen Befehl erfuhr, schickte er seinen Vertrauten an Renata,
um Orys Vorgehen zu durchkreuzen. Fur diese Mission bestimmte
er den Dichter Jamet, der einst Ercoles Sekretar gewesen war,
sich dem Herzog in keiner Weise verdachtig gemacht hatte und
sich doch insgeheim treu zu Calvin bekannte. Jamet holte sich,
ehe er nach Ferrara kam, Instruktionen beim Meister in Genf.
Ory setzte mit Hilfe des Jesuiten Jay alle Hebel in Bewegung,
um Renatas Oberzeugung zu andern, aber auch Calvin lieB nicht
locker. Da er Jamets Geschicklichkeit nicht iibermaBig hoch ein-
RENATA DI FRANCIA
295
schatzte, sandte er seinen tiichtigsten Anhanger, Francois de Morel,
der auch unter dem Namen de Colonges bekannt ist, schleunigst
nach Ferrara. Calvins Gesandter kam unter fremdem Namen
nach Ferrara; obgleich er die Herzogin insgeheim sah, erfuhr
Ercole von diesen geheimen Zusammenkiinften. Da Renata nicht
von der Verbindung mit den Ketzern abzubringen war, nahm er
ihr die Tochter und gab sie in das Kloster Corpus Domini, das seiner
Schwester Eleonora d'Este unterstand. Gleichzeitig entlieB Ercole
Renatas Hofdamen und ihre franzosische Dienerschaft, nur
einige ihm absolut ergebene und zuverlassige Personen blieben in
ihrem Dienst. Renata trug all diese MaBnahmen auBerlich ruhig,
aber energisch wies sie die Versuche des Inquisitors zuriick, sie
von Calvins Lehre abzubringen. Ory ergriff in seiner Ungeduld
ein letztes Mittel, das Heinrich II. sicherlich nicht vorausgesehen
hatte: er verklagte Renata vor dem Tribunal der Inquisition. Das
Tribunal, mit Bischof Rosetti an der Spitze, trat in Ferrara zu-
sammen, die Richter waren Bischof Lodeve und Lepelletier, der
Rektor des Jesuitenkollegiums. Ory als Anklager warf Renata
vor, daB sie sich zu Calvins Ketzerlehre bekenne, nicht zur Messe
gehe, die Wirksamkeit der Sakramente bestreite, nicht beichte
und nicht an die Fleischwerdung Christi glaube. Aus Riicksicht auf
den Konig von Frankreich und Ercole ging das Tribunal sehr
milde vor, verurteilte Renata nicht zumTode, sondern nur zu lebens-
langlichem Gefangnis und zur Konfiskation all ihrer weltlichen
Giiter. Die Bibliothek der Herzogin, in der sich Hunderte von ver-
botenen Buchern befanden, sollte verbrannt und ihre Dienerschaft
aufs schwerste bestraft werden, aber vierundzwanzig der Schul-
digsten warteten den Urteilsspruch nicht ab, sondern flohen ins-
geheim.
Renata nahm den Urteilsspruch ganz ruhig auf und zeigte keiner-
lei Furcht. Am 7. September, einen Tag, nachdem das Urteil ge-
fallt war, hielt bei Tagesanbruch ein Wagen vor ihrem Palast, und
unter der Eskorte des Bischofs Rosetti und Ruggieros, des ehe-
maligen ferraresischen Gesandten in Rom, wurde die Herzogin
in das alte SchloB uberfuhrt, das schon lange als Gefangnis diente.
Renata wurde in jenen Raumen untergebracht, die sie unmittelbar
296 ZEHNTES KAPITEL
nach ihrer Ankunft in Ferrara als junge Frau bewohnt hatte, vor
ihrer Tiir wurde eine Wache postiert, und zwei zuverlassige Frauen
wurden mit ihrer Bedienung betraut. Plotzlich, im Verlaufe von
noch nicht einer Woche gingen Veranderungen vor, die man sich
furs erste nicht zu erklaren vermochte. Renata verlieB das Ge-
fangnis, und Ory, der franzosische GroBinquisitor, war aus Ferrara
verschwunden. Aus dem Anklager ward ein Angeklagter: Renata,
zum AuBersten gebracht, legte zu ihrer Verteidigung jenes Breve
von Paul III. vor, in dem der Papst ihr ausdrucklich gestattet hatte,
selbst GewaltmaBregeln gegen jeden zu ergreifen, der sie der Ketzerei
bezichtige. Kraft dieses Breve unterstand Ory dem Bann, und Re-
nata war berechtigt, ihren Gatten aufzufordern, ihn ins Gefangnis
werfen zu lassen. Der franzosische Monsignore hielt es fur das
Kliigste, das Feld zu raumen. Renata hatte sich an ihren Feinden
sehr geschickt geracht.
Infolge dieses Breve, von dem auch Ercole nichts gewufit zu
haben scheint, wurde sein Verhalten der Herzogin gegeniiber ein
anderes. Da ihr mit Gewalt nicht beizukommen war, lieB sich nur
auf giitlichem Wege Frieden schlieBen. Ercole versuchte es auf diese
Weise, und schon nach einigen Tagen kam es wenigstens zu auBeren
Zugestandnissen. Infolge des politischen Verhaltnisses des Herzogs
zur romischen Kurie und der Zukunft ihrer Kinder gab Renata fin-
den Augenblick nach; sie beschloB, die vom katholischen Kult vor-
geschriebenen religiosen Brauche zu wahren, beichtete sogar
bei Lepelletier und nahm das Abendmahl. Ercole erwies sich der
Herzogin dankbar fiir diesen Wandel in ihrem Benehmen, gab ihr
die Tochter zuriick und gestaltete ihren Hofstaat auf die alte Art um.
Pater Lepelletier triumphierte, er riihmte Renatas wunder-
bare Bekehrung laut und berichtete Loyola von diesem auBer-
ordentlichen Ereignis; doch Ercole kannte seine Frau besser als
ihr Beichtvater; er wuBte, daB die Herzogin Calvinistin geblieben
war und sich nur fiir den Augenblick der auBeren Notwendigkeit
gefiigt hatte. Ercoles MiBtrauen ging so weit, daB er sich weigerte,
ihr ihre Kleinodien herauszugeben, damit sie sie nicht verkaufe
und die Ketzer mit diesem Geld unterstiitze. AuBerdem unter-
stellte er sie dem besonderen Schutze zweier Jesuiten, die er zu
RENATA DI FRANCIA 297
ihrem Hauskaplan und Beichtvater ernannte. Diesen geistlichen
Wachtern konnte es nicht lange entgehen, dafl ihr Triumph ver-
fruht war; sie scheinen die Wahrheit nach Rom berichtet zu haben,
denn der neue Papst, Paul IV., jener furchtbare Caraffa, empfahl
seinem Auditor Rota, als er ihn nach Ferrara entsandte, Renata
nicht zu besuchen.
Trotzdem beunruhigten sich Calvin und die Sektierer, als sie
erfuhren, Renata sei in den SchoB der katholischen Kirche zuriick-
gekehrt, und selbst Olympia Morato schrieb damals: ,,daB sie die
Herzogin stets fiir unbestandig gehalten habe"; aber Renata sorgte
dafiir, dafl Calvin nicht lange an ihren Abfall glaube. Briefe zwischen
Ferrara und Genf kamen und gingen wie friiher, und Calvin, der
Renata in ihren Grundsatzen befestigen wollte, schickte einen seiner
originellsten Apostel Galeazzo de Vico nach Ferrara. Galeazzo,
ein vornehmer Neapolitaner, hatte im OberfluB mit Frau und Kindern
gelebt, da machten ihm Valdes' und Ochinos Predigten einen solchen
Eindruck, daB er seine Familie verlieB, auf sein Vermogen ver-
zichtete und sich zu Calvin nach Genf begab. Er ward zum leiden-
schaftlichen Apostel der Reformation: arm und elend durchzog
er die Schweiz, Flandern, das nordliche Italien und predigte die
Lehre seines Meisters. Insgeheim, wahrscheinlich unter fremdem
Namen, kam er nach Ferrara, hatte Zusammenkunfte mit der
Herzogin, die ihn in ihrem eigenen Wagen bis an die Grenze be-
forderte.
Die Inquisition hatte ein hartes Stuck Arbeit zu leisten, und
viele Scheiterhaufen brannten, ehe Ferrara und namentlich Modena
als weniger „verdachtig" galten. Noch unter Alfonso wurden in Mo-
dena dreizehn Manner und Frauen verbrannt. Paul IV. befahl den
Geistlichen in Ferrara mit Hilfe weltlicher Institutionen Material
zu sammeln, um all jenen, die man der Sympathie mit den Ketzern
verdachtigte, den ProzeB zu machen, und sie auch dann nicht zu
schonen, wenn sie zur hochsten Klasse der dortigen Gesellschaft
gehoren sollten. Um das Material um so schneller und sicherer zu-
sammen zu bekommen, empfahl die romische Kurie, gegebenen Falles
die Folter nicht zu schonen. Die Denunzianten wurden von der
Inquisition reichlich belohnt, und einer ihrer wichtigsten Geheim-
298 ZEHNTES KAPITEL
agenten war jener Franzose de Noyant, der seiner Zeit das Ver-
haltnis zwischen seiner eigenen Frau und Ercole ruhig geduldet
hatte.
Ercole und besonders sein intoleranter Nachfolger Alfonso II.
leisteten der Inquisition in ihrem Vernichtungswerk Vorschub.
Die Reformation wurde unterdriickt, aber die Arbeit in Italien
war weniger schwer als in Deutschland oder Frankreich. Die
Italiener haben wenig Anlage zum religiosen Fanatismus, und der
Mehrzahl erschien es toricht, sich foltern und einsperren zu lassen,
wenn es doch geniigte, die auBeren Formen der Kirche zu erfiillen
und man im stillen glauben konnte, was man wollte. Die Zahl
jener, die fur ihre religiose Uberzeugung sterben wollten, war
in Italien ganz gering.
IX
Italiens politische Verhaltnisse waren gegen das Ende von
Ercoles Regierung so kompliziert, daB es viel diplomatischer
Geschicklichkeit bedurfte, um im allgemeinen Chaos nicht unter-
zugehen. Die kleinen Tyrannen und Republiken vermochten sich
gegen die drei groBen Gewalten: Spanien, Frankreich und das
Papsttum nicht zu behaupten, nur dem Herzog von Ferrara gelang es,
sein Land vor fremden Einfetllen zu schutzen. Um seine Stellung
zu befestigen und sich dem Kaiser wieder zu nahern, beschloB
Ercole seinen Sohn Alfonso mit Cosimo Medicis Tochter zu ver-
heiraten. Renata war gegen diese Verbindung, sie wunschte, daB
Alfonso sich mit Marguerite, der Herzogin von Berry, der Schwester
des Konigs von Frankreich, die etwas alter als er war, vermahle;
aber Ercole hatte bereits mit einer franzosischen Prinzessin so bose
Erfahrungen gemacht, daB er seine Zustimmung verweigerte.
Da die Florentinerin erst vierzehn Jahre alt war, entschloB man
sich zwar zur sofortigen Trauung, jedoch mit der Klausel, daB Al-
fonso fur langere Zeit nach Frankreich gehe.
Der alte Ercole sollte seinen Sohn nicht wiedersehen, er er-
krankte am 26. September 1558 schwer und war am 3. Oktober
RENATA DI FRANCIA 299
tot. Vor seinem Tode versuchte er Renata zu bewegen, als Regentin,
bis zu Alfonsos Riickkehr aus Frankreich, ihre Beziehungen zu
den Heretikern abzubrechen und ihre geheime Korrespondenz
mit Calvin aufzugeben. Der Vermittler dieser Briefe war der Post-
meister des Stadtchens Luna in der Romagna. Renata versprach
dem Sterbenden, seine Wiinsche zu erfiillen, bald reute sie ihre
Schwache, und sie versuchte sich vor Calvin zu rechtfertigen.
Der geschickte Reformator sprach ihr Trost zu, Mda sie Gott durch
diesen Schwur beleidigt habe, sei sie nicht gezwungen, ihn zu halten".
Renatas Regentschaft war nur von kurzer Dauer. Alfonso
traf am 26. Oktober 1559 in Ferrara ein und iibernahm die Regie-
rung in gewohnter Weise. Auf Bitten der Mutter gab er seinem alten
Oheim Giulio d'Este die Freiheit wieder; er hatte dreiBig Jahre
im unterirdischen Kerker geschmachtet. Als der alte Mann den
Lebenden wiedergegeben ward, betrachtete ihn ganz Ferrara als
eine Merkwiirdigkeit, denn er war noch a la francese gekleidet wie zu
Zeiten Alfonsos I. Seinen Kopf deckte ein Hut mit ungeheuren
Krausen, der Rock reichte bis an die Knie, die Armel, bauschig
nach oben, umschlossen das Handgelenk fest, der Mantel war pelz-
gefiittert, die weiten Strumpfe dienten gleichzeitig als Taschen,
und an den Stiefeln prangte eine seidene Franse. Der arme Giulio
sollte sich seiner Freiheit nicht lange freuen, er starb zwei Jahre,
nachdem er aus dem Gefangnis freigekommen war.
Alfonso II. war gegen die Ketzer viel intoleranter als sein Vater;
er erklarte, lieber unter Aussatzigen als unter Hugenotten leben
zu wollen, und in Frankreich hatte er dem Konig empfohlen, die
gewaltsamsten MaBregeln gegen die Reformatoren zu ergreifen
und nicht die Fiihrer allein zum Tode zu verurteilen. Zwischen der
calvinistischen Mutter und dem fanatischen Sohn konnte es keinen
Frieden geben, das Verhaltnis spitzte sich immer mehr zu, besonders
als Alfonso 1560 nach Rom fuhr, um Pius IV. zu huldigen. Dort
verlangte man vom Herzog, seine Mutter zu zwingen, die Be-
ziehungen zu den Ketzern abzubrechen. Alfonso stellte nach seiner
Riickkehr die Herzogin vor die Alternative: ihr Vorgehen vollig
zu andern oder Italien zu verlassen. Alfonsos Harte verletzte Re-
nata aufs empfindlichste; sie beschloB, in kvirzester Zeit nach
300
ZEHNTES KAPITEL
Frankreich zuriickzugehen. Die Abreise fand mit all den Ehrungen
statt, die man der Herzogin-Mutter und friiheren Regentin schuldig
war; Alfonso begleitete Renata bis an die Grenze des Reiches.
Am 2. September verlieB Renata Ferrara, begleitet von drei-
hundert Menschen und ihrem jiingeren Sohne, Don Luigi, der
sie nach Frankreich brachte.
Renata war die markanteste Personlichkeit unter den refor-
mierten Frauen Italiens, aber ihr Vorgehen war anders als das
einer Vollblutitalienerin, einer Colonna oder Giulia Gonzaga;
ihrem Temperament nach blieb sie stets die Franzosin und Frau
des Nordens. Eine groBe Rechtlichkeit und Charakterfestigkeit,
unendliche Giite und Mitleid waren ihre hervorragendsten Eigen-
schaften. Als ehrliche Katholikin war sie nach Italien gekommen,
und sie ware sicherlich dem Katholizismus treu geblieben, wenn
man ihr rucksichts- und liebevoller begegnet ware, und wenn der
religiose Terrorismus nicht seinen Hohepunkt erreicht hatte. Es
emporte sie, daB man von ihr verlangte, Dinge zu glauben, die
sie nicht glauben konnte, daB sie anstatt verniinftiger Belehrung
auf einen strikten Befehl stieB. Ihr koniglicher Stolz revoltierte,
und die eigensinnige, leidenschaftliche Bretonin erwachte. Sie
gehort zu jener groBen Zahl, die die Brutalitat der Gegenreformation
mit Gewalt in das feindliche Lager gestoBen hat.
Sie war so sehr von religiosen Ideen erfiillt, daB im Gegen-
satz zu den beriihmten italienischen Frauen die Kunst keinen Platz
in ihrem Leben fand. Wahrend Ercole als wahrer Macen die ferra-
resischen Maler Girolamo da Carpi, die beiden Dossi und Garofalo
um sich scharte, Pordenone, Cellini, Sansovino und einige Flamen
kommen lieB, interessierte sich Renata als echte Calvinistin kaum
fur Kunst und unterstiitzte nur einige unbedeutende franzosische
Kiinstler um ihrer Nationalitat willen. Dagegen hatte sie eine Vor-
liebe fur Musik, sah Seiltanzern gem zu und hatte eine Schwache
fiir Hofnarren. Sie besaB ihrer eine groBe Anzahl und kleidete sie
besonders sorgfaltig in Samt und kostbares Pelzwerk. Diese
Schwache der Herzogin war wohl bekannt; als sie nach Frankreich
ging, schickte ihr der Marchese Pescara seinen Hofnarren, damit
er sie wahrend der Reise erheitere.
RENATA DI FRANCIA 301
X
Renata ging direkt nach Orleans, wo damals der junge Konig
Franz II. voriibergehend weilte mit seiner Mutter Katharina von
Medici, die in seinem Namen regierte. Die damaligen religiosen
und politischen Verhaltnisse in Frankreich waren die denkbar
traurigsten. Katharina hielt es weder mit den Katholiken noch mit
den Hugenotten, aber durch ihre Intriguen versuchte sie beide
Parteien gegeneinander zu gunsten des Thrones zu verhetzen.
Renata trat als ehrliche Calvinistin auf, als Protektorin der Huge-
notten, aber als Frau von koniglichem Gebliit, als „fille de France"
betrachtete sie es als ihre Pflicht, die Dynastie zu stutzen und die
leidenschaftlichen Kampfe zu mildern. In Frankreich fielen jene
Riicksichten fort, die ihre Bewegungsfreiheit in Ferrara gehemmt
hatten: das Verhaltnis zu Rom, die Notwendigkeit, ihre Kinder im
romisch-katholischen Glauben zu erziehen — das war kein Hemm-
schuh mehr, sie konnte jetzt ruhig ihren t)berzeugungen gemaB leben
und ihre Glaubensgenossen unterstiitzen. Der Konig starb bald
nach ihrer Ankunft, am 5. Dezember 1560, doch anderte dies die
Verhaltnisse keineswegs, da sein Bruder, Karl IX., ein zehn-
jahriger Knabe, ihm auf dem Thron folgte und Katharina Regentin
blieb.
Nach kurzem Aufenthalt in Orleans siedelte Renata nach Mont-
argis iiber, das ihr Erbteil neben Chartres bildete. In Montargis
stand ein seit langem unbewohntes, verfallenes SchloB; Renata
machte sich sofort daran, diese Residenz umzubauen und zu be-
festigen und iibertrug diese Arbeit einem bekannten Baumeister,
Du Cerceau, einem Anhanger Calvins. Die Kosten dieses Unter-
nehmens waren ungeheuer und trugen nicht wenig dazu bei, Re-
natas Budget zu erschiittern.
Die Herzogin unterhielt nach wie vor Beziehungen zu Calvin,
fragte ihn in wichtigen Dingen um Rat, und der letzte Brief, den
der Genfer Reformator geschrieben hat, ist an Renata, die Pro-
tektorin des neuen Glaubens, gerichtet. Die ganze Umgebung der
Herzogin bekannte sich zu £alvin, und die Hofgeistlichen, fana-
tische Hugenotten, machten ihr nicht wenig Sorge, da sie die katho-
302 ZEHNTES KAPITEL
lische Bevolkerung in Montargis und Chartres bekehren wollten
und damit unwillkiirlich gegen Renata aufhetzten.
Renatas Lage war von der wechselnden Stellung des fran-
zosischen Hofes den Hugenotten gegeniiber abhangig. Jeder Sturm
der furchtbaren religiosen Kampfe fand seinen Widerhall in Mont-
argis, nach jeder Verfolgung fluchteten Hugenotten unter Renatas
schutzendes Dach; es haben haufig Hunderte von Vertriebenen
an ihrem Tisch Platz gefunden. Montargis hieB bald ,,Nichee des
Huguenots".
Trotzdem Renata zum Frieden mahnte, konnte der kleine Ort
nicht zur Ruhe kommen, und als an der unteren Loire jene furcht-
baren Kampfe begannen, kam es auch in Montargis zur Revolution,
da die katholische Bevolkerung dort starker als die protestantische
war. Der katholische Waldhiiter Michel Bareau, ein roher Kerl,
der sehr viel EinfluB hatte, wollte die ganze calvinistische Rotte
ermorden. Die erschrockene Renata bat den Prinzen Conde, der
in Orleans mit seiner protestantischen Armee stand, ihr einen Trupp
Soldaten zur Aufrechterhaltung der Ordnung zu schicken. Aber
Condes Soldaten waren fanatische Calvinisten; als sie nach Mont-
argis kamen, warfen sie etwa zwanzig Geistliche und Monche in
den Brunnen, zerstorten Heiligenbilder, raubten Kelche, Mon-
stranzen, Ornate, zerrissen Kirchenbucher und zertrummerten
Glocken. Naturlich iibten Michel Bareau und seine Soldaten Rache
an den Eindringlingen, und nur mit groBter Muhe gelang es Renata,
Cond6s Heer zu entfernen und die Ruhe wiederherzustellen.
Nach dem Sieg der Katholiken bei Dreux am 19. Dezember
1562 suchte Renatas Schwiegersohn, der Due de Guise, den Konig
zu veranlassen, die Herzogin zu zwingen, Montargis zu verlassen
und eines der koniglichen Schlosser in Fontainebleau Saint- Germain
en Laye oder im Bois de Vincennes zu beziehen. Auf diesen Befehl
gab Renata zur Antwort, daB sie in Montargis bleiben und sich im
Notfall verteidigen wiirde. Guise, der Orleans besetzte, schickte
infolge dieser Weigerung eine Abteilung seines Heeres unter General
Malicorne, damit er gegen das verhaBte Hugenottennest vorgehe.
Als Malicorne nach Montargis kam, lieB Renata ihn auffordefn,
sich wohl zu iiberlegen, was er zu tun beabsichtige, in Frankreich
RENATA DI FRANCIA
303
gabe es niemand als den Konig allein, der ihr befehlen diirfe, und
wenn er es wagen wiirde, das SchloB zu belagern, so wiirde sie
selbst die Mauern besteigen, und den Tollkuhnen erwarten, der
die Tochter des Kdnigs ermorden wolle. Nach dieser Meldung
wagte Malicorne nicht vorzugehen und bat um die Ordre des Kdnigs
aus Paris. In der Zwischenzeit waren wichtige Dinge vorgegangen,
am 18. Februar 1563 war der Herzog von Guise ermordet worden.
Er war der grdBte Feind der Hugenotten und hatte den Einwohnern
von Orleans gedroht, sie wie Katzen zu vertilgen. Nach seinem
Tode war die katholische Partei bereit, friedlich zu unterhandeln.
Der Konig befahl Malicorne, von der Belagerung des Schlosses ab-
zusehen, und Renata triumphierte fur den Augenblick. Aber diesen
Triumph sollte sie bitter bezahlen. Der Due de Guise war ihr
Schwiegersohn gewesen, und der Jubel im hugenottischen Lager,
die Lieder, die das Gedachtnis des katholischen Fiihrers beschimpften
und von alien Seiten an ihr Ohr drangen, beleidigten sie. In Renata
machte sich eine gewisse Opposition geltend, sie begann Guise
zu verteidigen und da sie seine unerhorte Grausamkeit gegen die
Hugenotten nicht zu rechtfertigen vermochte, behauptete sie,
alles sei nur auf Befehl des Kdnigs geschehen; im Innersten sei er
kein iiberzeugter Katholik gewesen, sondern habe der Reformation
nahe gestanden. Der Priester Morel, Renatas Freund, berichtete
damals Calvin, die Herzogin gehe durch schwere Kampfe; das
Verlangen,der wahren Religion Christi zu niitzen, kampfte in ihr mit
der Liebe zur Tochter und dem Gefuhl des Unrechts, das ihrer Familie
geschehen. Der in Amboise geschlossene Traktat, der den Pro-
testanten Gewissensfreiheit sicherte und die Erlaubnis, ihre Re-
ligion offentlich auszuiiben, gab Renata fur kurze Zeit ihre Ruhe
wieder, ihr Leben gestaltete sich weniger schwer, sie begann wieder
haufiger Laute zu spielen, belustigte sich mit ihrer Zwergin Agnes,
ihrem geliebten SchoBhundchen und ihrem Papagei, fur den sie
einen sechs Stockwerk hohen Kafig bauen lieB. Die Zugestandnisse
an die Hugenotten fachten ihren Mut an; ihr Verlangen stieg, fur
Calvins Lehre neue Anhanger zu gewinnen, sie wollte die gesamte
Bevdlkerung Montargis' zu ihrem Glauben bekehren. Calvin
empfahl ihr eine religiose Polizei einzufuhren, mit anderen Worten,
304 ZEHNTES KAPITEL
eine gemaBigte Inquisition, wie er sie in Genf eingesetzt hatte,
aber dieser hinterlistige religiose Terrorismus widersprach ihrer
Gemiitsart.
Der Friede zwischen den streitenden Parteien in Frankreich
wahrte nur sehr kurze Zeit. Katharina von Medici wandte sich
immer mehr von den Hugenotten ab und wurde ihre immer aus-
gesprochenere Feindin; auch die Bevolkerung wollte die den Huge-
notten zugestandenen Rechte nicht anerkennen und emporte sich
gegen die Ketzer.
Nach Calvins Tod am 4. April 1564 hielt Alfonso von Ferrara
den Augenblick fur gekommen, um in katholischem Geist auf die
Mutter einzuwirken. Er kam nach Frankreich, im Glauben, die
Herzogin iiberreden zu konnen, auBerdem wollte er im Einverstand-
nis mit Emanuel Filibert, dem Herzog von Savoyen, den Konig
und seine Umgebung veranlassen, mit aller Strenge gegen die
Protestanten vorzugehen. Er riet dem Konig, unverziiglich fiinf
oder sechs Fuhrer der ketzerischen Bewegung zu ermorden, um
den Hugenotten Furcht einzujagen. Noch wurden diese Gewalt-
maBregeln nicht angewandt, Katharina glaubte, der Reformation
allmahlich und mit weniger BlutvergieBen Herr werden zu konnen,
gleichzeitig bereitete sie einen Schlag vor, um Renatas EinfluB
auf ihre Glaubensgenossen abzuschwachen. Sie wollte Anna d'Este,
die Witwe des ermordeten Guise, mit Jacques, dem Herzog von
Nemours, dem fanatischsten Feind der Hugenotten, verheiraten.
Katharina leitete die Intrigue so geschickt, daB Renata von der
beabsichtigten Verbindung erst Wind bekam, als die Sache schon
ganz perfekt und der Ehekontrakt beinahe unterschrieben war.
Das Vorgehen der Konigin emporte Renata noch mehr gegen ihre
katholischen Gegner; sie schloB sich in Montargis ein und begann
eine protestantische Agitation mit erneuter Energie. Umgeben
von ihrem friiheren Hofstaat, dem sich auch Leon Jamet ange-
schlossen hatte, gestaltete sie mit Hilfe einiger Priester Montargis
zum protestantischen Herzogtum um, ohne der koniglichen
Befehle zu achten. Sie begriindete dort sogar ein Priesterkolleg,
mit der Absicht, protestantische Pastoren auszubilden. Die Huge-
notten bewunderten Renatas Energie, ihr Ruhm verbreitete sich
RENATA DI FRANCIA 305
weit ixber Frankreich hinaus, und in Deutschland wurde sie als
Heldin der Reformation gefeiert. Zur Beliebtheit der Herzogin
trug ihre schrankenlose Wohltatigkeit bei; wahrer Armut gegen-
iiber kannte Renata keinen Glaubensunterschied und unterstutzte
franzosische Monche und Schweizer Pastoren in gleicher Weise.
Den franzdsischen Hof beunruhigte Renatas Wirksamkeit in
solchem MaBe, daB Karl IX. den alten Befehl erneuerte, die Herzogin
moge Montargis verlassen und nach Fontainebleau oder Vin-
cennes ubersiedeln. Da Renata Widerstand leistete, entzog ihr
der Konig vermittels eines Dekrets die Verwaltung ihrer Erbgiiter
und iibertrug sie d'Entragues, dem Statthalter von Orleans. Man
nahm ihr all ihre Einkiinfte und verurteilte sie, von der Wohl-
tatigkeit ihrer Kinder zu leben. Renata legte Protest gegen dieses
Dekret ein, und die Einwohner der Stadt Chartres, obgleich selbst
Katholiken, unterstutzten ihren Protest aufs warmste. Uberall
hielt man das Vorgehen des Konigs fur ein groBes an der Tochter
Ludwigs XII. begangenes Unrecht. Ludwig XII. lebte noch als guter
Konig im Gedachtnis aller. Der Konig muBte sich der offentlichen
Meinung fugen und seinen ErlaB zuriickziehen, er lieB der Herzogin
wenigstens den Schein der Macht in ihren Erbgiitern.
Die Kampfe zwischen Katholiken und Hugenotten wurden
mit immer groBerer Bitterkeit gefiihrt; Leidenschaften machten
Menschen zu reiBenden Tieren; im ganzen Lande floB Blut, und es
kam zu den furchtbarsten Grausamkeiten. In Auxerre briet die
katholische Bevolkerung das Herz eines Hugenotten auf Kohlen
und zerlegte es in Stiicke zum Essen. Die Hugenotten flohen nach
Deutschland und in die Schweiz, und Montargis wurde wieder eine
Zufluchtsstatte hungriger, elender, verzweifelter Calvinisten. Re-
nata nahm auch diesmal auf niemand Rticksicht und offnete den
Bediirftigen ihr gastliches Haus. Aber die Regierung wollte nichts
von Mitleid wissen, aus Paris kam der Befehl an die Herzogin,
die schutzsuchenden Hugenotten sofort zu entfernen. Renata
hatte weder ein Heer noch die Macht, sich dem Willen des Konigs
zu widersetzen ; am 26. September 1569 muBten vierhundertsechzig
Menschen ihr SchloB verlassen. Sie stellte den Fliehenden hundert-
fiinfzig Dienstfuhren, acht Wagen und mehrere Pferde zur Ver-
3o6 ZEHNTES KAPITEL
fiigung, aber kaum hatte die Kara wane, die Frankreichs Grenze
zustrebte, Montargis verlassen, so vertrat ihr ein Trupp des kdnig-
lichen Heeres den Weg und wollte die Fliichtenden ermorden.
Der eine von ihnen, Pierre Beaumont, hielt eine Ansprache an seine
Gefahrten, forderte sie auf, sich zu ergeben und demutig wie Christus
am Kreuz zu sterben. Im letzten Augenblick, ehe das Verbrechen
begangen wurde, kam ein Trupp protestantischer Soldaten, und nach
kurzem Kampf mit den Kdniglichen wurden die Fluchtlinge befreit.
Nur einen Augenblick durfte Renata sich dieses Sieges freuen;
sie wurde sehr bald gezwungen, all ihre Hofleute ,,unsicheren Glau-
bens" zu entlassen. Das war ein schwerer Schlag fur sie; als sie
sich von ihren alten Dienern trennte, war ihr nach ihren Worten
zu Mute, als wenn sie selbst auseinanderginge. Unterdessen ver-
nichteten beide Parteien sich gegenseitig mitleidslos in furchtbarem
Kampf; in beiden Lagern begann es an Geldmitteln zu fehlen,
um den Vernichtungskrieg fortzusetzen. So muBte es zum Frieden
kommen oder rich tiger zum Waffenstillstand, der im August 1570
geschlossen wurde. Renata war so gliicklich dariiber, daB, als ihr
um zehn Uhr abends ein Diener diese Nachricht brachte, sie ihm fiinf
Pfund fur die gute Botschaft schenkte. Doch sollte sie trotz des
augenblicklichen religidsen Friedens nicht zur Ruhe kommen, da
ihr andere Sorgen drohten. Die letzten Ereignisse, die groBe Hof-
haltung und ihre schrankenlose Wohltatigkeit verschlangen mehr als
ihre Einnahmen betrugen. Um ihre pekuniaren Verhaltnisse zu
ordnen, hatte sie gegen den kdniglichen Schatz einen ProzeB an-
gestrengt, damit ihr ein Teil aus dem NachlaB Ludwigs XII., der
ihr nach Ansicht ihrer Berater zustand, ausgezahlt werde. Die Forde-
rung war nicht absolut sicher, und der Ausgang des Prozesses zum
mindesten zweifelhaft; erst durch Vermittlung der Kdnigin-Mutter
kam es zwischen der Krone und Renata zu einem Vertrag, wonach
die Herzogin jahrlich 60 000 Pfund bezog. Zu dieser giinstigen Er-
ledigung hatte in Paris namentlich die Riicksicht auf ihre Tochter,
die Herzogin von Nemours, beigetragen, deren Mann einer der
bekanntesten Generate der kdniglichen Armee war.
Das Schicksal hat Renata gegen Ende ihres Lebens nicht das
Furchtbarste vorenthalten, das sie treffen konnte. Hinfallig und
RENATA DI FRANCIA 307
kranklich reiste sie im Februar 1572 zu ihrer Tochter nach Paris,
und das Ungliick wollte, daB sie dort das Blutbad der Bartholomaus-
nacht miterleben sollte. Am Mittwoch, den 20. August, gab es ein
groBes Fest bei Hofe, im Theater wurde ein Marchen aufgefiihrt,
das gut gefiel. Aber es fehlte nicht an Stimmen, die den Inhalt des
Stuckes fur eine bose Vorbedeutung hielten. Auf der Biihne war
rechts das Paradies, links die Holle; den Zugang zum Paradies
verteidigten drei Ritter, in der Holle wimmelte es von Teufeln und
Teufelchen, die sich unter Feuer und Schwefel zu schaffen machten.
Mitten auf der Biihne fiihrte Charon seinen Nachen iiber einen
FluB und setzte die Erlosten im Himmel, die Verdammten in der
Holle ab. Gruppen irrender Ritter in verschiedenfarbigem Schmuck
kamen ins Paradies und baten um Aufnahme, aber die bewaffneten
Wachter wehrten ihnen den Zutritt und verjagten sie in die Holle.
Merkur kam auf einem Hahn und begliickwiinschte die Paradieses-
wachter ob ihrer Wachsamkeit. Die Zuschauer begriffen, daB die
Verteidiger des Himmels, die Hiiter der katholischen Kirche, niemand
anders als der Konig und seine Briider waren, und daB man
die Hugenotten, mit dem Konig von Navarra an der Spitze, in
die Holle verbanne.
Renata hat in Paris nicht bei ihrer Tochter im Louvre gewohnt,
sondern im Kloster Notre-Dame, und diesem Umstand hat sie es
zu danken, daB sie in der Nacht des 23. August nicht Augenzeuge
des Blutbades war, das im Umkreis des koniglichen Palastes statt-
fand. Als in den folgenden Tagen die Morder auch in den iibrigen
Stadtteilen wiiteten, fiirchtete der Konig fur Renatas Leben und
schickte eine Abteilung treuer Soldaten ins Kloster, um sie vor
den Uberfallen der fanatischen Bevolkerung zu schutzen. Acht
Tage wahrte das Gemetzel; als sich Paris zu beruhigen anfing
und die Tore der Stadt geoffnet wurden, reiste Renata ab unter dem
Schutz Bewaffneter, die ihr der Due de Guise, Colignys Morder,
stellte. Und es war gut, daB sie fortreisen konnte, denn die ver-
tierte Menge hat Colignys Leiche noch aus der Seine herausgefischt,
da sie ,,unwiirdig sei, selbst von den Fischen gefressen zu werden".
Renata kam ohne Zwischenfall nach Montargis, aber diese Vor-
falle haben sie gebrochen; sie war alt und mager geworden und
3o8 ZEHNTES KAPITEL
glaubte, daB die Reformation sich von diesem Schlag nicht erholen
wiirde und ihre religiosen Ideale fur immer vernichtet seien.
Sie, die bis jetzt in ihrer Oberzeugung unerschiitterlich gewesen
war, begann der t)bermacht zu erliegen, aus Furcht, daB ihren
calvinistischen Untertanen ein gleiches Schicksal wie in Paris
drohe. Sie unterlieB jegliche religiose Agitation, um so mehr als
ihre Tochter aus Paris berichtete, daB die Hugenotten mit Gewalt
gezwungen werden wiirden, in den SchoB der katholischen Kirche
zuriickzukehren, und der Kdnig ein Edikt erlassen habe, wonach
alle ohne Unterschied zur Messe gehen miiBten; selbst der Kdnig
von Navarra und der Prinz von Cond6 hatten sich dem nicht ent-
ziehen konnen. Falls sich Renata den neuen Vorschriften nicht
fiigen wolle, miisse sie gewartigen, daB ihre Dienerschaft und
ihre ganze Umgebung fur sie biiBen wiirden. In milderer, aber nicht
weniger bestimmter Form schrieb die Kdnigin-Mutter; sie ermahnte
sie, offen mit der Reformation zu brechen, was nach ihren Ver-
sicherungen dem Konig eine groBe Freude ware. Dieser Brief machte
auf Renata den erhofften Eindruck nicht, da sie fast gleichzeitig
von den furchtbaren in Orleans begangenen Grausamkeiten und
der schrecklichen Lage der Hugenotten hdrte. Renatas Seele
wandte sich den Verfolgten zu, zum letzten Male offnete sie den
Vertriebenen die Tore ihres Schlosses, zum groBen Arger des Kbnigs
und seiner Umgebung.
Ihre Krafte waren erschopft. Gebrochen durch die furchtbaren
Eindriicke der letzten Monate, fern von ihren Freunden, die in die
Schweiz, nach Deutschland und England geflohen waren, ohne
Stiitze, in ihrer Familie — Alfonso war einer der groBten Gegner
der Reformation und Anna an einen der Fiihrer der katholischen
Partei verheiratet — , verlor sie die Hoffnung, jemals ihren Glaubens-
genossen helfen zu konnen. Trost fand sie nur noch im Gebet.
Um das MaB ihres Ungliicks voll zu machen, erkrankte 1574
in Paris ihr geliebter Sohn, der Kardinal Luigi, lebensgefahrlich.
Die Arzte gaben ihn auf. Trotz ihrer eigenen Schwache eilte Renata
zum Kranken, aber diese Reise gab ihr den Rest: in Paris erkrankte
sie an einem hartnackigen Fieber. Als es dem Kardinal etwas besser
ging, lieB sie sich in ihr geliebtes Montargis schaffen; dort, wo sie
RENATA DI FRANCIA 309
gewirkt, wollte sie ihr Leben beschlieBen. In Montargis erreichte sie
die Nachricht vom Tode des Konigs und der Flucht Heinrichs III.
aus Krakau, iiber die ihr der Kardinal Luigi nahere Angaben
machte. Sie starb ganzHch entkraftet am 15. Juni 1574; von ihren
Kindern mogen allein der Kardinal und ihre Tochter Anna ihren
Tod ehrlich betrauert haben. Alfonso schamte sich beinahe des
Andenkens der Mutter, er verbot jede Trauerfeier, und lieB in
Rom anfragen, ob man die Glocken lauten und fur ihre Seele beten
diirfe. Die apostolische Residenz gab zur Antwort, daB, da Renata
als Ketzerin gestorben sei, von einer religiosen Feier nicht
die Rede sein konne. Ebensowenig gestattete der Konig, trotz
der nachdriicklichsten Bitten des Kardinals, daB in Paris
eine Trauerfeier stattfinde und Renata in den Konigsgrabern
zu Saint Denis bestattet werde. Die Tochter lieB die Mutter
in der Kapelle des Schlosses von Montargis beisetzen; dem
Wunsche der Verstorbenen gemaB trugen sechs Arme den Sarg.
Einige Tage spater wurde auf Befehl des Herzogs von Ne-
mours ein katholischer Gottesdienst fur Renatas Seele
angeordnet. Die Herzogin hat ihrem Testament
einen kurzen LebensabriB vorangesetzt. Sie
dankt Gott dafiir, von einem Konig ab-
zustammen, den man den ,,Vater
des Volkes" genannt, und
legt ihr Glaubensbe-
kenntnis im Sinne
Calvins ab.
ELFTES KAPITEL
ALFONSO II.
esonders in seiner Art war Alfonso, der neue Herrscher:
von Kraft und Leben uberschaumend, hatte er viel-
faltige Interessen und wollte uber alles orientiert sein.
Fiir diese herkulische Natur war Ferrara zu eng. Hauf ig
fuhr er im stromenden Regen, beim starksten Ge-
witter ins Freie, gleichsam um mit den Elementen zu
kampfen; einmal riB ihm bei einer solchen Expedition der Sturm
den oberen Teil des Wagens ab und fegte ihn in den Po. Er ritt,
kutschierte einen Vierer- ja Sechserzug mit spielender Geschick-
lichkeit und war ein leidenschaftlicher Jager. Allmahlich erregte
diese Jagdpassion allgemeine Emporung, da das Jagen auf dem
gesamten ferraresischen Territorium alien, bis auf den Herzog
und seine Gefahrten, strengstens untersagt war. Einmal lieB er
sechs Menschen aufhangen, da sie trotz dieses Gebotes gejagt
hatten. Neben den groBen Jagden arrangierte der Herzog Theater-
auffiihrungen, Turniere, Balle, Bankette und Konzerte, spielte
Palla und leitete die Feste im Karneval; gab es gar nichts anderes
zu tun, so schloB er sich in seinem Laboratorium ein, machte wie
die Mediceer chemische Experimente und kombinierte Gifte zu
medizinischen Zwecken. AuBerdem war er ein enragierter Mecha-
niker und Baumeister, lud Alchimisten, Ingenieure und Hand-
werker aller Art an seinen Hof, fiihrte neue Industrien in Ferrara
ein, wie Teppichweberei und Ledergerberei auf korduanische Art,
ja er verarbeitete in seinen Majolikafabriken sogar eine neue
Porzellan masse. Er war ein ausgezeichneter Organisator und hatte
ALFONSO II.
3"
einen so gut organisierten diplomatischen Dienst, daB er stets die
besten politischen Informationen erhielt.
Die Gesandten und Korrespondenten schickten dem Herzog
und seiner Kanzlei ganze StoBe von Gutachten, die sogenannten
,,Avvisi e notizie"; auf diese Weise wurde das diplomatische
estensische Archiv ,,la gemma piu preziosa della Serenissima sua
Casa", wie sich Francesco III., der vorletzte Herzog von Modena,
ausdriickte; diese Dokumente befinden sich heute in Modena.
Alfonso interessierte sich auch fur Literatur und Kunst. Gleich
nachdem er die Regierung ubernommen hatte, liefl er die estensische,
damals schon sehr kostbare Bibliothek vergroBern; er wollte eine
groBe Druckerei begriinden und lieB zu diesem Zwecke einen be-
riihmten Drucker aus Venedig, Giolito, kommen, aber dieses Unter-
nehmen hat sich nicht bewahrt. Er unterstiitzte die Universitat,
lebte in einem Kreis von Literaten wie Patriccio, Guarini, Monte-
catini, Salviati, Borghesi, vertraute ihnen Professuren und Gesandt-
schaften an, und es geniigt darauf hinzuweisen, daB unter seiner
Regierung die Literatur, nicht die italienische allein, sondern die
Weltliteratur, um ein Epos wie ,,Gerusalemme" und um Theater-
stiicke wie ,,Aminto" und ,, Pastor fido" bereichert wurde.
Alfonso war ein glanzender Redner und lieB auch keine Gelegen-
heit unbeniitzt, um seine Beredsamkeit zu zeigen; er beherrschte
auBer dem Italienischen vier Sprachen: Franzosisch, Lateinisch,
Spanisch und Deutsch.
In seinen Fehlern hat er manchen an Borso erinnernden Zug:
er war maBlos hochmutig und eingebildet, und tat sich auf seine
Tapferkeit, Klugheit und sein altes Geschlecht viel zu gute. Dazu
war er rachsiichtig und zur Vendetta bereit. Als er sich zu einer Ex-
pedition nach Ungarn riistete und Pier Gentile Varano aufforderte,
daran teilzunehmen, Varano diesen Wunsch jedoch, da es ihm an
Geldmitteln fehlte, nicht erfiillen konnte, lieB er seinen Vasallen
seinen Unwillen zwar furs erste nicht merken, warf ihn jedoch
aus einem nichtigen Vorwand nach Jahren ins Gefangnis. Des
Prunkes und der Sicherheit wegen ging Alfonso stets mit einer
Eskorte auf die StraBe, die aus fiinfzig Schweizern und Deutschen,
hundert Kavalleristen und zweihundertfunfzig FuBsoldaten be-
312
ELFTES KAPITEL
stand. Die Kavallerie fiihrten Graf Ercole Bevilacqua und Graf
Aeneas Montecuculi an.
Alfonso suchte namentlich gute Beziehungen zum Kaiser und
zu den Erzherzogen aufrecht zu erhalten; um sich ihnen gefallig
zu erweisen, schickte er jedes Jahr seltene Pflanzen, Fruchte, ein-
gemachte Fische, Mortadella und Salami nach Wien. Da diese
Leckerbissen aufs beste bereitet sein und doch nichts kosten sollten,
lieB er sie sich von den Damen der ferraresischen Aristokratie
schenken. Um den Kaiser zu gewinnen und die Moglichkeit kriege-
rischer Betatigung zu haben, beschloB er 1566 an der Spitze eines
ansehnlichen Heeres nach Ungarn zu gehen, und mit der kaiser-
lichen Armee gegen die Tiirken zu kampfen. In Ferrara war man
iiber diese Expedition sehr ungehalten; sie verschlang Unsummen
und brachte keinen unmittelbaren Nutzen; gliicklicherweise ging
die tiirkische Gefahr diesmal schnell voriiber, und da Alfonso den
Feind am Ufer der Donau nicht vorfand, war er bald wieder in Italien.
Nach dem Tode seiner ersten Gattin Lucrezia de* Medici ver-
mahlte sich Alfonso mit Barbara von Osterreich; sie starb bald
darauf, und er heiratete Margherita Gonzaga in der Hoffnung auf
den Thronerben, da seine beiden ersten Ehen kinderlos waren.
Bis in sein spates Alter hoffte er auf diesen Sohn, da ihm Philipp
Nostradamus in Frankreich in seiner Jugend prophezeit hatte,
er wiirde drei Frauen haben und erst von der dritten im achtund-
fiinfzigsten Lebensjahre einen Sohn bekommen. In dieser Hoffnung
bestarkte ihn sein Freund und Kriegsgefahrte, Cornelio Benti-
voglio, der als Fiinfundsechzigjahriger noch Kinder zeugte.
Das Verlangen nach Taten und Kriegen, das Alfonso niemals zur
Ruhe kommen liefi, veranlaBte ihn, sich nach der Flucht von Henri
Valois aus Krakau, um den polnischen Thron zu bewerben. Seit
der Herrschaft der Konigin Bona bestanden enge Beziehungen
zwischen den Este und dem polnischen Hof. Bonas Mutter, Isabella
von Aragon, hatte gewiinscht, daB Kardinal Ippolito d'Este, der
mit den Aragon verwandt und auBerdem, wie es hieB, ihrem Herzen
sehr nahe stand, ihre Tochter nach Krakau begleite. Isabella lag
um so mehr daran, als Ippolito zu Sigmund I., dem er noch unter
Ladislas Jagiello nahe getreten war, gute Beziehungen hatte.
KONIGIN BONA SFORZA UND RENATA D'ESTE,
GRAFIN VON MIRANDOLA
KRAKAU, MUSEUM GRAF CZAPSKI
ALFONSO II.
313
Sigmund war von 1498 bis 1501 bei seinem Bruder Ladislas
in Budapest gewesen, dort hatte er Ippolito, der damals Erzbischof
von Gran war, kennen gelernt. Ippolito riistete im Herbst 15 17
zur Reise nach seinem neuen ungarischen Bistum im Erlau, Isabella
hoffte, der Kardinal wiirde seine Reise nach dem Norden bis zum
Friihling des Jahres 151 8 aufschieben und die kiinftige polnische
Konigin nach Krakau geleiten. Ippolito konnte seine Reise nicht
bis zum Fruhjahr aufschieben und infogedessen anvertraute
Isabella ihre Tochter auf ihrer Reise nach Rom Prosper Colonnas
Schutz.
Ippolito kam zu Bonas Trauung nach Krakau, doch verlieB err
wie bereits erwahnt, die Stadt sehr bald infolge der zwischen ihm
und Colonna eingetretenen MiBverstandnisse. Zum Konig und zur
Konigin stand er in einem sehr guten Verhaltnis, besonders da
Bona sich um die Freundschaft der Este bemuhte, als der mach-
tigsten und aristokratischsten der italienischen Herrscherfamilien.
Briefe und Geschenke wurden zwischen Erlau und Krakau ge-
wechselt, Konig Sigmund schenkte Ippolito Hunde und Falken,
Bona sogar zwei Kamele, die sie wahrscheinlich aus der Tiirkei
bekommen hat. Kamele waren nicht nur in Polen, sondern auch
in Italien eine so groBe Seltenheit, daB Ippolito, als er Alfonso
dariiber berichtete, versprach, sie fiir ihn malen zu lassen. Im
folgenden Jahre bat die Konigin, die sich nicht wohl fiihlte und an
Schwindel litt, Ippolito, ihr aus Erlau seinen Leibarzt zu schicken, den
Priester Andrea Valentini, der auch unverzuglich nach Krakau kam.
Valentini nahm an, daB die Leiden der Konigin auf ,,vapore" be-
ruhten, die vom Magen kamen; ihr Zustand lieB sich aber leicht
durch die zu erwartende Niederkunft erklaren. Am 1. August 1520
gebar sie einen Sohn, Sigmund August; Valentini war bei der Ent-
bindung zugegen.
Die Nachricht, daB die italienische Prinzessin den Polen einen
Thronerben geschenkt habe, wurde in Neapel und Ferrara mit groBer
Freude aufgenommen, und Alfonso I., der stets bereit war, Feste zu
veranstalten, gab aus diesem AnlaB ein glanzendes Turnier. Ippolito
hat diesen Freudentag nicht lange iiberlebt; er starb einen Monat
darauf, am 2. September 1520.
3i4
ELFTES KAPITEL
Die Beziehungen zwischen den ferraresischen Herzogen und
dem polnischen Hofe brachen nach Ippolitos1) Tode nicht ab, be-
schrankten sich aber auf zeremonielle Brief e. Erst Alfonso II.
suchte eine Annaherung an Polen auf seiner Expedition nach
Ungarn, er hat einige polnische Edelleute dort kennen gelernt
und vielleicht hat ihn dies auch auf den Einfall gebracht, sich um
den polnischen Thron zu bemuhen.
Heinrich von Valois' Bruder, Karl IX., der Konig von Frank-
reich, begann schon 1573 zu krankeln; sein Tod war vorauszusehen.
Heinrich von Valois versuchte einige Polen zu gewinnen, ihm,
wenn er franzdsischer Konig wiirde, entweder die polnische Krone
zu belassen, oder wenigstens das Szepter seinem Kandidaten zu
iibertragen. Alfonso II., der dem franzosischen Hofe nahe stand,
hielt die Vereinigung der polnischen und franzosischen Krone fur
eine Unmoglichkeit, nahm aber an, daB Heinrich von Valois'
Partei auch nach seiner Abreise stark genug ware, um die Wahl
eines von ihm empfohlenen Kandidaten durchzusetzen. Infolge-
dessen beschloB Alfonso, sich unter alien Umstanden die Zuneigung
und Unterstiitzung des Konigs zu sichern, und eine starke Partei
in Polen fur sich zu gewinnen, die ihn als Kandidaten fur den frei
werdenden Thron aufstellen sollte.
Da der Cavaliere Bottone, der gewohnliche Gesandte Ferraras
in Polen, dem Herzog nicht geeignet erschien, um ihn in einer so
wichtigen Angelegenheit zu vertreten, schickte Alfonso Ascanio Giral-
dini als auBerordentlichen Abgesandten nach Polen mit einem
ganzen Stab von Beamten und Hofleuten und gab ihm eine bis auf
den heutigen Tag erhaltene genaue Instruktion2), wie er die Aktion
*) Bona stand auch gut mit dem Kardinal Ippolito II. (1509 — 1572),
Alfonsos I. und Lucrezias Sohn; eine interessante Erinnerung an die Be-
ziehungen der Konigin zur Familie des Kardinals ist eine Medaille, die sich
heute im Museum Czapski in Krakau befindet. Auf dem Avers ist die
alte Bona treffend ahnlich dargestellt, auf dem Revers Renata, Ippolitos II.
naturliche Tochter, die 1553 Lodovico Pico, den Graf en von Mirandola, ge-
heiratet hat und zwei Jahre spater, am 29. November 1555 gestorben ist. Diese
beiden Frauenkopfe auf der gleichen Medaille lassen auf nahere Beziehungen
schlieCen. Vielleicht war Bona Renatas Patin. •
») Cod. Marc. Ital. CI. X, Nr. LXXVI.
ALFONSO II. 315
einzuleiten habe. Der neue Gesandte so lite Beziehungen zu den
einfluBreichsten Personlichkeiten ankniipfen und mit offener Hand
darauf aus sein, dem Herzog Freunde zu erwerben. Giraldini hatte
eingehend zu berichten, wen er gewonnen habe und auf wen man
gegebenenfalls mit Sicherheit rechnen konne. Fur den sichersten
hielt der Gesandte Andreas Zborowski, den Hofmarschall, der den
letzten ungarischen Krieg mitgemacht und sich Alfonso ange-
schlossen hatte. Auch Peter Zborowski, Krakaus Wojwode, schien
Giraldini schon deshalb sicher, weil er die Wahl des osterreichischen
Kandidaten unter alien Umstanden hintertreiben wollte. Zu Alfonsos
Freunden zahlte der Gesandte auch den Unterkanzler Peter Dunin
Wolski, Szafraniec, einen bekannten rvithenischen Magnaten, den
Kastellan Stanislas Krzycki und einige andere. Bei diesen Unterhand-
lungen, die zumeist an wohlbesetzterTafel stattfanden, spielte das Geld
eine groBe Rolle. Das Friihstiick dauerte so lange, daB es sich bis
zum Mittag- und Abendbrot ausdehnte, ja bis in die spate Nacht
wahrte, und da Giraldini eine schwache Konstitution hatte, klagte
er uber die unertragliche Hitze in den Raumen, das unmaBige Trin-
ken, und hielt diese Art zu unterhandeln fur seine schwierigste
Aufgabe in Polen.
Karl IX. starb Ende Mai 1574; Alfonso war schon zwei Wochen
spater davon unterrichtet und schickte sofort eine zweite Gesandt-
schaft nach Polen, um seine Angelegenheit nicht zu verzogern.
Er anvertraute sie Camillo Gualengo und Battista Guarini, die er
wiederholt in wichtigen diplomatischen Missionen nach Turin
und Rom geschickt hatte.
Zu Battistas Ahnen gehorte der beriihmte Humanist Guarino
da Verona. Er hat die Universitat in Padua besucht, wurde spater
an Stelle seines verdienten Oheims, des Rhetorikers, zum Univer-
sitatsprofessor in Ferrara ernannt (1557), heiratete Taddea Bandidio,
die aus einer bekannten ferraresischen Familie stammt und die
Schwester jener schonen Lucrezia, der Grafin Machiavelli ist,
von der noch die Rede sein wird. Guarini bemiihte sich, den Tra-
ditionen seiner Familie gemaB, in Alfonsos II. Dienst zu treten;
1567 figuriert sein Name auf der Liste der Hofleute. Er bezog
damals zwanzig Scudi monatlich.
3i6 ELFTES KAPITEL
Guarinis poetisches Talent hatte sich friih geregt; schon ehe er
durch sein Schaferdrama ,, Pastor fido" beruhmt geworden war,
war er als Schriftsteller geschatzt. Aber trotz seiner groBen Be-
gabung war er nicht nur am Hofe, sondern auch in seiner eignen
Familie unbeliebt. AuBerordentlich habgierig, prozessierte er sein
ganzes Leben hindurch, und setzte die Gerichtshdfe in Ferrara,
Venedig, Padua und Rom fortwahrend in Tatigkeit. Niemals zu-
frieden, hielt er es an keinem Hof lange aus, und konnte doch auf
das hofische Leben nicht verzichten. Als seine Stellung in Ferrara
unmoglich geworden war, zog er sich auf seinen Landsitz Guarina,
in der Nahe von Padua, zuriick. Bald war es ihm dort zu einsam,
und er ging an den Hof Karl Emanuels I. nach Turin; da ihm die
Verhaltnisse dort nicht zusagten, ging er als Alfonsos II. Sekretar
nach Ferrara zuriick. Auch diese Stelle gab er bald auf, fuhr zum
groBen Arger des Herzogs nach Venedig und iibernahm, aufs neue
von Sehnsucht nach dem Hofleben ergriffen, eine Ratsherrnstelle
in Turin. Dort hielt er es nicht lange aus, bemuhte sich um
verschiedene andere Anstellungen und war eine Zeit hindurch
Sekretar des Herzogs von Toskana in Florenz, bis er bei den Rovere
in Urbino Schutz suchte. Als es ihm dort zu einformig wurde,
kam er nach Ferrara zuriick und starb zuletzt in Venedig am
7. Oktober 1612. In seinem Familienleben war er der furchtbarste
Geizhals und Tyrann, seine Frau hat er zu Tode geargert, mit seinen
Sohnen prozessiert und als Mensch die peinlichsten Erinnerungen
hinterlassen.
Diesen Guarini betraute Alfonso mit der wichtigsten Mission
in Polen; der Herzog hatte es so eilig, daB sich schon am 17. Juni,
kaum drei Tage, nachdem er die Nachricht vom Tode des franzo-
sischen Konigs erhalten hatte, die ferraresische Gesandtschaft auf
dem Wege nach dem Norden befand. Guarini begleitete Camillo
Gualengo, ein bekannter Fechtmeister und Duellant; sie sollten
zusammen bis nach Innsbruck gehen und sich dort trennen, der
eine mit dem Schiff iiber den Inn und die Donau, der andere auf
gewohnlichem Wege nach Wien reisen. In Wien sollten sie den
Kaiser von Alfonsos Absicht, sich um den polnischen Thron zu
bawerben, benachrichtigen. Die Gesandten hatten den Auftrag,
ALFONSO II. 317
dem Kaiser zu erklaren, daB, falls Erzherzog Ernst, Maximilians
Sohn, um die polnische Krone kandidieren wiirde, Alfonso bereit sei,
seine Absichten sofort aufzugeben. Von Wien aus sollte Guarini nach
Krakau und Warschau gehen, um Informationen liber Heinrichs III.
Plane einzuholen, die Gunst der Schwester des verstorbenen Konigs,
der Infantin, zu gewinnen und ihr einen sehr schmeichelhaft
abgefaBten Brief iibergeben. In Krakau hieB es, daB Guarini wegen
der Heirat des Herzogs von Ferrara mit der Infantin unterhandeln
solle; Hieronymus Lipoman berichtet in diesem Sinne am 20. Sep-
tember 1574 an Mocenigo, den Dogen von Venedig. Guarini brachte
glanzende Zusagen mit, der Herzog sicherte dem Adel noch groBere
Freiheiten zu, versprach im Laufe zweier Monate 300 000 Gulden
nach Polen zu schicken, und ,,da er kinderlos sei, wiirden die Polen
seine Kinder werden". AuBerdem sollte „die Schule von Krakau
mit gelehrten Mannern besetzt und verschiedene Kiinstler nach
Polen berufen werden".
Je naher der Termin der Wahl heranriickte, desto groBer wurden
die Zusagen des Herzogs. Alfonso versprach schlieBlich, das Heer
auf seine Kosten zu erhalten, die Schulden der Jagellonen zu
bezahlen und dem Schatz der Republik zwei Millionen Dukaten
zu iiberweisen. Einigen polnischen Edelleuten hatte er sich ver-
pflichtet, vierzigtausend Scudi und mehr auszuzahlen, falls sie
seine Kandidatur unterstiitzen wurden.
Gleichzeitig schickte Alfonso Giraldini, der unterdessen von
seiner ersten Gesandtschaft zuruckgekommen war, auf schnellstem
Wege nach Krakau, damit er noch vor Guarini dort eintreffe, und
als ein in Polen bekannter Diplomat, der den maBgebenden Kreisen
nahe stand, ihm einen guten Empfang bereite. Heinrichs III.
fluchtahnliche Abreise aus Krakau durchkreuzte Alfonsos Plane,
seine Gesandten haben den Valois nicht mehr erreicht. Der Konig
war am 18. Juni aus Krakau entflohen und traf mit Guarini in
Wien zusammen. Der ferraresische Gesandte wuBte nicht, wie er
sich unter diesen Umstanden zu verhalten habe; ohne Heinrich III.
auch nur aufzusuchen, lieB er sich schleunigst von Alfonso weitere
Instruktionen geben. Mit erneuten Instruktionen versehen, fuhr
er nach Krakau, um dort zu erfahren, daB die Wahl bis aufs
3i8 ELFTES KAPITEL
nachste Jahr vertagt sei. Er scheint in Krakau bei Zborowski
gewohnt zu haben, und seine Absichten wurden namentlich von
Krzycki, Lanckoronski und Niemsta unterstiitzt. Guarini hatte
gehofft, am Nuntius eine Stiitze zu finden, aber Laureo war Alfonsos
Gegner und soil dem Ferraresen ausdrucklich erklart haben, ange-
sichts der Kandidatur eines Mitgliedes des osterreichischen Hauses
habe Alfonso keine Aussichten. Es heiBt, daB Gregor XIII. dem
Nuntius 25 000 Dukaten fur die Wahl des Erzherzogs geschickt
habe, aber an diese GroBmut der romischen Kurie zu glauben,
fallt schwer.
Infolge der Verlegung der Wahl war es fur Guarini zwecklos,
in Polen zu bleiben, besonders da er dem Herzog mundlichen Be-
richt erstatten wollte. Am 25. September traf er wieder in Ferrara
ein. Das Ergebnis seiner Reise war fur ihn insofern befriedigend, als
er, wie er einem Freunde berichtet, den nordischen Himmel und nor-
dische Brauche gesehen und sich gefreut habe, Dinge kennen
zu lernen, von denen er bis dahin keine Vorstellung gehabt hatte.
II
Alfonso war alles darum zu tun, Heinrich III. fur sich zu ge-
winnen. Als er erfuhr, daB der Konig iiber Tirol und Norditalien
nach Frankreich gehen und nach Venedig kommen wiirde, beschloB
er ihm entgegen zu reisen und ihn nach Ferrara einzuladen. Schon
vor dieser Einladung hatte er eine Gelegenheit, sich dem Konig
gefallig zu erweisen. Heinrich war in der peinlichsten Geldverlegen-
heit, und der Weg nach Paris erforderte bedeutende Ausgaben.
Du Ferrier, der franzosische Gesandte in Venedig, sollte sich um
eine Anleihe bemiihen; er fragte erst die vier Florentiner Bankiers,
die ihre Filialen in Venedig hatten, die Strozzi, Capponi, Cran-
secchi und Baglioni, aber die vorsichtigen Florentiner glaubten
an Heinrichs Zukunft nicht recht und wollten keinen Soldo be-
willigen. Sich an die venezianischen Banken zu wenden, war nicht
angangig, infolge dessen wandte sich Du Ferrier an Claudio Ariosti,
den ferraresischen Gesandten in Venedig, damit er sich bei Alfonso,
ALFONSO II.
319
der als sehr vermogend gait, bemiihe um ,,qualche buona somma
di danari". Alfonso half dem Konig aus, aber mit einem geringeren
Betrag, als Du Ferrier erwartet hatte; schlieBlich verbiirgte sich
der GroBherzog von Florenz fur Heinrich, so daB sich die Reisekasse
des fliehenden Konigs einigermaBen fiillte. Trotzdem war das Geld
sehr knapp, und der Konig bezahlte unterwegs die Edeln, die ihn
in ihren Schlossern aufnahmen, reichlich mit Titeln, aber die kost-
baren Geschenke blieben aus. Gleich nach dem ersten Nachtlager
gab er dem Neffen des Signore Brancone, bei dem er wohnte, den
Ritterschlag ; in Piave erwies er seinem Wirt, Giovanni Sarcedeni,
dieselbe Ehre; in Treviso zeichnete er Bartolommeo Lipoman mit
der gleichen Wiirde aus ; Ragazzoni in Sacile gestattete er, die f ran-
zosischen Lilien in seinem Wappen zu fiihren, und bezeichnete
so seinen Weg nach Venedig mit dem Kreieren neuer Adels-
geschlechter.
Die venezianische Signoria schickte ihm eine Gesandtschaft bis
an die Grenze der Republik, nach Pontebba, die ihm einen Geleit-
brief und PaB iibergab, kostbar in roten Stoff gebunden und mit
goldnen Ornamenten versehen. Der Herzog von Ferrara kam
Heinrich mit einem Sechserzug bis nach San Daniele entgegen, sein
Gefolge hatte er in Venedig gelassen. Als er den Konig sah, ritt er
an seinen Wagen heran und verneigte sich tief; da Heinrich den
Herzog nicht erkannte, kehrte Alfonso um und griiBte den Konig
abermals. Wieder betrachtete Heinrich den Reiter verwundert,
als er jedoch erfuhr, daB es der Herzog von Ferrara sei, begriiBte er
ihn aufs liebenswiirdigste und lieB den Wagen halten. Alfonso
wollte dem Konig die Knie kussen, aber Heinrich wehrte diesem
ObermaB von Respekt, hob den Herzog auf und lud ihn ein, in
seinen Wagen zu steigen.
In Venedig hatte man groBe Vorbereitungen zum Empfang des
jungen Herrschers getroffen, und mit Recht schrieb Du Ferrier
dem Konig, es gabe niemand, der nicht darauf bedacht sei, ihn zu
ehren, ja Greise furchteten zu sterben, ehe sie ihn gesehen. Hein-
richs III. Empfang war vielleicht der groBartigste, den die Re-
publik im XVI. Jahrhundert einem fremden Gast hatte zuteil
werden lassen. In Murano machte der Konig seine erste Rast im
320
ELFTES KAPITEL
Palast von Bartolommeo Capello, in Venedig wohnte er im Palast
der Foscari; der Bucentaur war erneuert und auf dem Lido ein von
Paolo Veronese und Tintoretto bemalter Triumphbogen errichtet
worden. Tausende von kleinen Schiffen und Gondeln nahmen an
der Einfahrt am 18. Juli 1574 teil, in alien Kirchen lauteten die
Glocken, Chorgesang wurde angestimmt, Freudenschiisse abge-
brannt, dazu strahlte der Himmel in leuchtendem Blau, und der
junge Monarch sagte, wie berauscht von der Schonheit des Bildes,
das sich ihm darbot, enthusiastisch zu seiner Umgebung: ,,Wie
gliicklich ware ich, wenn die Konigin Mutter das alles gesehen
hatte." Heinrich sprach gut und flieBend, die kurze Ansprache des
Dogen beantwortete er mit einer vielleicht zu langen franzosischen
Rede; spater verlangte es ihn nicht mehr nach oratorischen Er-
folgen.
Am Abend legte die Barke des Konigs, von lauten Zurufen be-
griiBt, vor dem Palazzo Foscari an. Mit grofiem Prunk war die
Wohnung hergerichtet und in goldenen Buchstaben im Hauptsaal
als Motto zu lesen: ,,Omnipotens virtus". Der Konig hat sich nicht
zu streng an diese Worte gehalten ; kaum war er mit seinen intimeren
Freunden allein im Palast, als er durch einen Seitenausgang mit dem
Herzog von Ferrara in eine bereit stehende, unansehnliche Gondel
schliipfte, erst an einem Gelage teilnahm, und dann in Alfonsos
Palast, dem spateren Fondaco dei Turchi, landete. Dort hatte
Alfonso einen wahrhaft iibermiitigen Abend veranstaltet : Theater-
auffuhrungen, schone Frauen und ein iippiges Mahl. Den glan-
zendsten Schmuck des Festes bildeten die Auffuhrungen der Thea-
tergesellschaft Gelosi, der damals beriihmtesten Komikertruppe
in Norditalien. Diese Auffiihrung hat die Signoria schwer beleidigt.
Die venezianische Regierung hatte sich die groBte Miihe gegeben,
um die Gelosi aus Mailand nach Venedig zu bekommen, da sie
durch den franzosischen Gesandten erfahren hatte, daB der Konig
sie zu sehen wiinsche und besonders auf das Spiel der Vittoria
Piissima, der beriihmtesten Kiinstlerin der Truppe, neugierig sei.
Die Gelosi waren eigens nach Mailand gekommen — dreiBig Per-
sonen — um wahrend der Feste, die zu Ehren von Don Juan d'Au-
stria, des Siegers bei Lepanto, veranstaltet wurden, aufzutreten; es
BATTISTA GUARINI
LITHOGRAPHIE NACH „VITE E RITRATTI DI XXX ILLUSTRI FERRARESI"
ALFONSO II.
321
war also nicht leicht gewesen, sie zur Ruckkehr zu bewegen. Den
Wunsch der Signoria, ihrem vornehmen Gast eine miihsam veran-
staltete Oberraschung zu bereiten, hat der Herzog von Ferrara durch-
kreuzt, indem er in aller Stille mit den Kiinstlern verabredet hatte,
daB sie vor der offiziellen Auffuhrung in der ersten Nacht bei ihm
spielen sollten. Die Signoria war emport iiber Alfonso: er hatte
den Ehrenplatz der venezianischen Wiirdentrager bei den Festlich-
keiten ohne weiteres eingenommen und sich erdreistet, bei der Ab-
fahrt vom festen Land nach Murano in die konigliche Gondel ein-
zusteigen, so dafl die Gesandten der Republik, die doch hier Herr
im Hause waren, die nachstfolgende Gondel beniitzen muBten. Damit
war sein Sundenregister noch nicht beschlossen: am Vorabend der
feierlichen Einfahrt nach Venedig war Alfonso inkognito mit dem
Konig aus Murano iiber den Canale Grande gefahren und hatte
ihm die kostbarsten Palaste der Stadt gezeigt, so daB der offizielle
Einzug fur Heinrich nicht mehr den iiberwaltigenden Reiz des
Neuen haben konnte, mit dem ihn die Republik blenden wollte.
In Alfonsos Palazzo hatte sich der Konig ausgezeichnet unter-
halten, namentlich hatte ihm die Piissima einen starken Eindruck
gemacht, ,,jene gottliche Vittoria, die Zauberin der Liebe, der en
Worte Flammen in den Herzen Tausender entfachen, deren har-
monische, siiBe Stimme die Zuschauer entziickt und deren sanfte
oder getragene Bewegungen musikalischen Rhythmus haben."
Heinrich III. war erst am hellen Morgen in seinem Palazzo,
und trotz seiner dreiundzwanzig Jahre hat er wohl nicht wenig
iiber Kbnigspflichten gescholten, da er, ohne auszuruhen, schon
in den Morgenstunden Audienz zu erteilen hatte. Aber Venedigs
Freuden lieBen ihn keinen Augenblick zur Ruhe kommen; am
Abend ging er vermutlich zu FuB durch HintergaBchen in die
Gegend von San Giovanni Crisostomo, wo Veronica Franco wohnte,
die beriihmte Dichterin und Kurtisane, eine der reizvollsten Frauen
Venedigs, obgleich sie unter Nummer 204 im ,,Cataloge delle prin-
cipali et piu honorate cortigiane di Venetia" eingetragen war. Die
Franco stand unter Venedigs leichtlebigen Frauen an erster Stelle,
wegen ihrer Schonheit und des Luxus, den sie entfaltete; auBer-
dem strahlt ihr Name, neben dem der Tullia d'Aragona, in der
322
ELFTES KAPITEL
Geschichte der italienischen Literatur des XVI. Jahrhunderts.
Veronika hat gute Sonette gemacht und wie die beriihmte romische
Kurtisane Porzia den ganzen Petrarca und Boccaccio im Kopf
gehabt und aus dem Gedachtnis eine Unzahl von Gedichten von
Vergil, Horaz, Ovid und von tausend anderen Autoren rezitiert.
Mit dem Reiz der Jugend verband sie die Klugheit der erfahrenen
Frau:
E di costumi adorna, e di virtude,
Con senil senno in giovenil etade.
Da sie jung war, hatte sie noch keine Zeit gehabt, groBe Reich-
turner zu sammeln; sie gehorte nicht zu jenen verdienten Kurti-
sanen, die der venezianische Senat in seinen dffentlichen Akten
,,le nostre benemerite meritrici" nannte. Der Himmel hat ihr nach
den Worten eines heiBen Bewunderers Reize sondergleichen ge-
schenkt, goldblondes Haar, gottliche Augen, deren Glanz die Sonne
iiberstrahlt, und Hande von schneeiger WeiBe. Tintoretto hat sie
gemalt, doch ist ihr Portrat leider untergegangen. In Gambas
,,Alcuni ritratti di donne illustri delle provincie veneziane" besitzen
wir zwar ihr Bildnis; da sie aber dort ein kostbares Diadem im
Haar tragt und mit Schmuck und Goldbrokat iiberladen ist, gleicht
sie eher einer steifen englischen Konigin, als der liebenswiirdigen
Dichterin ,,Terrena Dea, alto e novo miracolo, luce impressa del
raggio della divinita, paradiso". Veronica hat langere Zeit ein Ver-
haltnis mit einem sehr ernsten Pralaten gehabt, der als Kanzel-
redner beruhmt war; sie war so eifersiichtig, daB, wenn ihr Geliebter
fortfuhr und sie allein zuriickblieb, ,,sola in solitario tetto", sie aus
Furcht, er konne ihr untreu werden, sich das Leben nehmen wollte.
Spater hatte Veronica zwei Kinder, deren Vater sich gewissenhaft
in das Kirchenbuch eingetragen haben; zu ihren Verehrern ge-
horten auch Wilhelm, der Herzog von Mantua, und der Kardinal
Luigi d'Este, Renatas Lieblingssohn. Dem Kardinal hat sie
,, Brief e" gewidmet und in der Vorrede seine groBe Cortesia und seine
iiberirdische Gentilezza gepriesen; sie hat vor ihm gekniet und die
engelhafte Gute dieses Dieners des Himmels, der ein groBer Welt-
mann war, angebetet.
ALFONSO II.
323
Veronicas Haus war der Mittelpunkt des literarischen und
kiinstlerischen Venedigs, der seinerzeit beriihmte Dichter Domenico
Veniero, Tintoretto, der ernste Sperone Speroni, Girolamo Muzio,
selbst der alte Bernardo Tasso haben bei ihr verkehrt. Man sprach
iiber Philosophic und Poesie, und die Frau des Hauses hat die Abende
durch Musik und Gesang verschont. In einem Briefe bittet sie einen
Freund, zu einem musikalischen Abend zu kommen „alle venti ore
in occasione ch' io faccio musica". In einem anderen ladet sie
einen Freund zu einem zwanglosen Friihstiick ein, ,,sine fuco et cere-
moniis, more majorum". Jeder fremde Literat, der nach Venedig
kam, hat sie besucht, selbst Montaigne, der sie ,,janti fame vene-
tiane" nennt, war am 6. November 1580 zum Abendbrot bei ihr,
und die Dichterin hat ihm ein Exemplar ihrer soeben erschienenen
Briefe geschenkt. Am nachstfolgenden Tage hatte der arme Mon-
taigne ,,une colique qui lui dura deux ou trois heures" — ob ihm
Veronicas Kiiche nicht behagt hat? Die Franco fiihrte ein offenes
Haus auf groBem FuBe und muB die Eifersucht der iibrigen Kur-
tisanen erweckt haben, denn die eine hat sie vor dem Tribunal des
Sant' Officio verklagt. Die Beschuldigung war furchtbar: als Vero-
nica eine Schere mit silbernem Griff und eine andere Kleinigkeit
gestohlen worden war, habe sie den Teufel zu Hilfe gerufen und sich
dabei eines geweihten Ringes und Weihwassers bedient; sie ginge
nicht zur Messe und hatte mit schwarzen Kiinsten zwei durch-
reisende Deutsche in sich verliebt gemacht. Aber Veronica hatte
in geistlichen Kreisen einfluBreiche Protektoren, und es gelang ihr,
die torichten Vorwiirfe zuriickzuweisen. Allmahlich begann sie
ein vorbildliches Leben zu fiihren, schrieb fromme Sonette, und
1580 begriindete sie ein Asyl fiir Frauen, die gleich ihr das lockere
Leben aufgeben wollten. In der Kirche ,,del Soccorso", wo jene
Magdalenen beteten, befand sich ein Bild von Carletta Caliari (heute
in der Akademie in Venedig) , die Griindung dieses Asyls darstellend.
Die eine der vier zu Maria betenden Frauen soil Veronica Franco
sein. Unsere fromme Siinderin starb, fiinfundvierzig Jahre alt, am
Fieber. Zu ihren schonsten Erinnerungen gehorte der Besuch
Heinrichs III.; jenes Augenblicks gedenkt sie im Brief, den sie
,,all invitissimo e cristianissimo Re Enrico III" gerichtet hat; sie
324
ELFTES KAPITEL
sei stolz und gliicklich, daB der Konig geruht habe, ihre bescheidene
Wohnung zu beehren. Sie schickt ihm zwei Sonette und verspricht
ihm einen Gedichtband zu widmen, indem sie ihn feiert als den
Helden.
In armi, e in pace, a mille prove esperto.
Veronica hat dem Konig ihr Bildnis, wahrscheinlich auf Email
gemalt, zum Andenken geschenkt, doch wissen wir nichts von der
Gegengabe des Konigs.
Acht Tage war Heinrich in Venedig; es hieB allgemein, er habe
nicht eine Nacht in seinem Palast verbracht, obgleich er tagsiiber
durch Empfange und Feste gerade gequalt genug war; der Doge
und die Senatoren furchteten fur seine Gesundheit. Als spater die
Nachricht kam, der Konig sei unterwegs in Cremona erkrankt,
ging der Doge zum Gesandten Du Ferrier, damit er Catherina von
Medici flehentlich bitte, ihren Sohn vom unmaBigen Leben zuriick-
zuhalten, namentlich von den ,,iibermutigen korperlichen Obun-
gen" und ihm empfehle mehr Fleisch zu essen. Man hatte in
Venedig beobachtet, daB der Konig sich nur von Gemiise, Obst
und Brot, das er ins Wasser tauchte, ernahre, also von Dingen, die
dem Korper nicht Kraft genug zufiihrten. Der Konig kummerte
sich durchaus nicht urn den vaterlichen Rat der venezianischen
Signoria, sondern fiihrte auch in Frankreich ein ausschweifendes
Leben, das seinen schwachen Organismus zerstort hat.
Balle, Illuminationen, Feste, Regatten jagten einander wah-
rend Heinrichs Aufenthalt in Venedig, vielleicht hat ihm der Em-
pfang bei Monsignor Giovanni Grimani, dem Patriarchen von
Aquileja, mehr Freude gemacht als der groBe Ball im Dogenpalast.
Der Konig wollte Grimanis kostbare Sammlungen sehen, seine
Bronze- und Marmorplastik, seine Bilder und Miniaturen, unter
denen das beruhmte Brevier sich befand, das die Biblioteca Mar-
ciana heute besitzt. Der erfahrene Patriarch zweifelte nicht daran,
Heinrich eine groBere Freude durch einen Kreis schoner Vene-
zianerinnen zu bereiten als durch seine ,,anticaglie", infolgedessen
lud er dreiBig der schonsten vornehmsten Gentildonne Venedigs ein,
die den Konig nicht durch ihre Reize allein, sondern auch durch
ihre Toiletten blendeten. Anstatt die Sammlung zu besichtigen,
ALFONSO II.
325
begann man zu tanzen, ein Tanz der Frauen ,,alla gagliarda" wurde
arrangiert, den Heinrich noch nicht kannte und zu sehn wiinschte.
Die Tanzerinnen fiihrten eine Art Ballett auf, die Manner nahmen
daran nur insofern Anteil, als sie einen Kreis um die Damen schlos-
sen, den Takt schlugen und durch Zurufe und Scherz ihre Heiter-
keit steigerten. Es wurde auch der ,,ballo del cappello" getanzt,
die Damen wahlen dabei die Tanzer durch Oberreichen ihrer Hiite.
Der erwahlte Jiingling legt sein Barett auf den Kopf der Tanzerin,
indem er sie artig kiiBt, und sie gibt ihm mit einem KuB sein Eigen-
tum zuriick. Dieser Austausch der Hiite mit begleitendem KuB
gefiel dem Konig sehr; eine sehr kiihne Dame trat auch an ihn
heran, indem sie ihm ihren Hut anbot. Da Heinrich in Trauer um
Karl IX. war, konnte er der Aufforderung nicht nachkommen
und stellte der schonen Tanzerin einen seiner Begleiter als Vertreter
vor. Die Nachmittags-Unterhaltung bei Grimani dauerte bis zum
Abend; der Konig ging zwar in den Palazzo Foscari zuriick, aber
nur um durch ein Seitenpfortchen zu seinen Freundinnen zu ent-
schliipfen.
Man muB dem Konig jedoch das Zugestandnis machen, daB er
auch in Tizians Atelier war, wo er die ,,Allegorie dec Sieges von
Lepanto" fur den Konig von Spanien sehen konnte.
Unterdessen kamen Briefe, die Heinrich zu schleunigster Riick-
kehr aufforderten; seine verniinftigeren Gefahrten, besonders der
Herzog von Savoyen, Emanuele Filiberto, begannen um den Konig
besorgt zu werden und rieten zur Abreise. Am letzten Tage kaufte
der Konig Geschenke fur seine Freunde in Venedig. Fur Kleinodien
allein gab er zweiunddreiBigtausend Scudi aus, er blieb aber einen
bedeutenden Teil dieser Summe schuldig und sollte sie spater durch
Vermittlung des franzosischen Gesandten bezahlen. Dem Dogen
bot er einen Ring mit einem kostbaren Diamanten an, aber Mo-
cenigo muBte dieses Kleinod dem Schatz der Republik verschreiben,
da das Oberhaupt der Regierung Geschenke nicht annehmen durfte.
Am 27. Juli fuhr Heinrich iiber den Po nach Ferrara, die Vene-
zianer, besonders die Hausbesitzer am Canale Grande, waren ganz
froh, daB die Feste ein Ende hatten, da infolge der konstanten
Illuminationen das 01 fur die Lampen zu teuer war. Alfonso
326
ELFTES KAPITEL
schlug mit dem Konig den weiteren Weg iiber Capparo in seine
Hauptstadt ein, damit, wie der Florentiner Gesandte boshaft
bemerkte, das Herzogtum von Ferrara dem Gaste groBer erscheine.
Bei fiirchterlicher Hitze zog am 29. Juli der Konig mit seinem
ganzen Hofstaat in Ferrara ein bei Musikklangen, Glockengelaute
und Freudenschiissen. Vor dem Stadttor iibergab Cornelio Benti-
voglio dem Konig die Schliissel, die dieser liebenswiirdig zuriickgab.
Im Palast an der Treppe erwarteten den Konig die Prinzessinnen
Lucrezia und Leonora; Heinrich kiiBte ihnen die Hand nicht, was
der Florentiner Gesandte mit boshafter Freude konstatierte.
Alfonso hatte die koniglichen Gemacher mit den schdnsten Teppichen
und Kunstwerken schmucken lassen, es gab eine groBe Theaterauf-
fiihrung und einen Ball, aber der Empfang war nicht ganz gelungen.
Der Konig muBte infolge wichtiger Briefe aus Paris friiher als be-
absichtigt, verreisen, der Ball fand denn auch einen Tag eher statt,
und mehrereDamen trugen weniger kostbareGewander, da die Schnei-
derinnen ihre Kunstwerke nicht vollenden konnten. Schlimmer
war's, daB am zweiten Tage der Anwesenheit des Konigs ein leichtes
Erdbeben, das Ferrara damals haufiger heimsuchte, einen gewissen
Schrecken unter den Gasten verbreitete. Der Konig war sehr ab-
gespannt und nahm daher den Wasser- und nicht den Land-
weg nach Mantua. Er wurde dort mit auBerordentlicher Pracht
empfangen: es gait Ferrara zu uberbieten. Fur Alfonso als Zu-
schauer war dies auch nicht gerade angenehm.
Ill
In Polen beschaftigte sich unterdessen Ascanio Giraldini mit
Alfonsos Angelegenheiten, aus Ferrara kam ihm noch Alessandro
Baranzono zu Hilfe.
Die Gesandten gewannen den Adel, besonders in der Gegend
von Plock; sie zeigten Alfonsos Bildnis in Waff en, mit der Muskete
in der Hand, damit die Polen Vertrauen zu dieser ansehnlichen
Personlichkeit gewannen, aber sie glaubten selbst nicht ganz an
einen gliicklichen Ausgang und wollten die Verantwortung mit einer
ALFONSO II. 327
einfluBreichen ferraresischen Persdnlichkeit teilen, denn Geraldini
bat, Alfonso moge ihm noch einen guten Redner schicken, ,,un
huomo di gran portata." Wieder muBte Guarini nach Polen auf-
brechen; er ging in den ersten Oktobertagen des Jahres 1575 iiber
Saravalle und Ampezzo fort und hatte nicht wenig Schwierigkeiten
zu iiberwinden. Guarini schildert seiner Frau einige Tage nach
seiner Ankunft in Polen die Reise. Er beklagt sich, nicht imstande
zu sein, die doppelte Qual des Kdrpers und der Seele zu ertragen.
Unmittelbar nachdem er die Alpen uberschritten, sei er am Fieber
erkrankt, das ihn wahrend seiner Reise bis an die Donau gequalt
habe. In Wien habe er seiner Krankheit wegen rasten mussen;
da die Zeit drangte, hatte er die Rede, die er auf dem Wahlfelde
halten sollte, nach Warschau geschickt, damit sie dort verlesen werde.
Nachdem er etwas zu Kraften gekommen, hat er. trotz seiner Krank-
heit, seine Reise fortgesetzt und rechtfertigt sich seiner Frau gegen-
iiber damit: die Ehre verlange, daB er, an der Spitze einer so wich-
tigen Gesandtschaft stehend, die Pflichten gegen seinen Herrn hoher
schatze als seine Gesundheit. Unter den groBten Miihen und Ge-
fahren, jeden Augenblick eines Oberfalls gewartig, habe er seinen
weiteren Weg zuriickgelegt. Krank,halb erfrorenkam er in Warschau
am 19. Dezember an, mehr tot als lebendig. Es war zu spat, die
Gesandten der iibrigen Kandidaten hatten ihre Saohen bereits er-
ledigt, und der Adel war schon zur Abstimmung auf dem Wahl-
feld geschritten.
Der kranke Gesandte sollte endlich in Warschau etwas zur Ruhe
kommen. Gesund hat ihn weniger die nordliche Landschaft ge-
macht als die Nachricht, daB Alfonsos vielvermdgender Minister
Pigna gestorben sei. Guarini betrachtete ihn als seinen groBten
Feind am Hofe und schrieb es ihm zu, daB derHerzog ihn zum zweiten
Mai mit dieser Gesandtschaft betraut hatte, ,,non gia legazione,
ma relegazione di Pologna", und ihn zur Reise gezwungen, die er
kaum lebend uberstanden infolge von Krankheit, Seuche, Unbe-
quemlichkeiten, Mordern, Raubern und Qualen aller Art, die er
hatte erdulden mussen.
Die ferraresischen Gesandten hatten Stefan Batory's Wahl zum
Kdnig von Polen in Warschau abgewartet, dann reisten sie ab,
328 ELFTES KAPITEL
wahrend Guarini noch in Polen blieb, in der Annahme, daB Ba-
tory die Wahl nicht annehmen wiirde. Da sich diese Hoffnung
nicht erfiillte, ging auch er nach Ferrara zuriick und legte Alfonso
einen langeren Bericht vor, der heute noch die interessanteste Quelle
fur die ferraresisch-polnischen Beziehungen ist. Die Hoflinge in
Ferrara schrieben Alfonsos miBlungene Bewerbung um die pol-
nische Krone namentlich den beiden Gesandten zu, die zuerst nach
Warschau gegangen waren. Von Giraldini hieB es, er sei als Jude in
Siena geboren und als Esel in Ferrara getauft; von Guarini wurde
angenommen, seine unausstehliche Pedanterie habe ihn in Polen
unmoglich gemacht, und er sei keine geniigend representative Per-
sonlichkeit, um eine Vorstellung vom Glanz und der Wurde der
Este zu geben.
Alfonsos Bewerbungen um die polnische Krone entbehrten eines
komischen Epiloges in Ferrara nicht. Ein Betruger, ein Tiirke oder
Armenier, wollte sich die Ambitionen des Herzogs nach fremden
Thronen zu nutze machen. Er kam insgeheim nach Ferrara und
bot Alfonso im Namen der Bevolkerung des heiligen Landes das
Kdnigreich Jerusalem an. Fur den Herzog, der mit Bojardos und
Ariosts Gedichten aufgewachsen war, konnte es keinen passenderen
Thron geben. Alfonso nahm die geheimnisvolle Personlichkeit
aufs beste auf, als er den Betrug erkannte, steckte er den Turken
ins Gefangnis, doch gelang es jenem, aus der Haft zu entfliehen.
Alfonso wurde, da auch die Ehe mit seiner dritten Frau kinder-
los geblieben war, in seinem Alter verschlossen und gereizt. Da
das Geschlecht der Este auszusterben drohte, iiberlieB er die Re-
gierung den Ministern, die die Macht miBbrauchten und dem Volk
immer groBere Lasten auferlegten. Die schlechten Beamten wurden
nicht abgesetzt, da der Herzog nicht zugestehen wollte, sich in der
Wahl der Manner geirrt zu haben; die drei Fattori generali ver-
fiigten iiber alle Einkiinfte, bereicherten sich und zwangen die
Bevolkerung zu immer groBeren Abgaben, die in ihre Taschen
flossen. Statthalter kleiner Stadte, die fiinfundzwanzig Scudi mo-
natlich bezogen, muBten jahrlich dreitausend und mehr als Tribut
entrichten. Um die Einkiinfte machte sich der Herzog keine Sorge,
da die Gelder reichlich in seine Kasse flossen; er bezog eine jahr-
ALFONSO II.
329
liche Einnahme von viermalhundertfiinfzigtausend Scudi; allein
die Salinen und der Fischfang in Comacchio warfen funfzigtausend ab.
Alfonso trug, als er alter wurde, immer schwarz, war aber mit
groBer Sorgfalt angezogen, seine Kragen und Manschetten waren
so kunstvoll gearbeitet, daB sich auch die eleganteste Frau ihrer
nicht hatte zu schamen brauchen. Fast immer hatte er ein Samt-
barett auf und trug den Degen an der Seite. Gegen seine Unter-
tanen war er von ausgesuchter Hdflichkeit; die Bittsteller verlieBen
die Audienz entziickt von der Liebenswiirdigkeit des Herzogs; erst
spater, wenn sie nichts von dem erreichten, was sie erbeten hatten,
pflegten sie ihre Ansicht zu andern.
IV
Eine sehr interessante Personlichkeit war Alfonsos jiingerer
Bruder, der Kardinal Luigi d' Este. Erwar gegen seinenWillen
Geistlicher geworden, sah besonders gut aus, war stets in ein Laby-
rinth von Liebesverhaltnissen verwickelt und fuhrte bestandig
irgend etwas gegen seinen Bruder im Schild.
Es war fast Grundsatz bei den damaligen Fiirstenfamilien
Italiens, daB ein Mitglied der Familie Kardinal wurde, urn auf
diese Weise das Geschlecht politisch und materiell zu heben. Diese
Tradition hatte sich namentlich bei den Gonzaga und Este ein-
?eburgert, und da der Kardinal Ippolito (der jiingere), Ercoles II.
Bruder, ein alter Mann war, als Luigi heranwuchs, bestimmte
Ercole den Sohn zu Ippolitos Nachfolger und Erben der ungeheuren
Einkunfte des Kardinals. Ippolito hatte durch die Protektion des
Konigs von Frankreich einen sehr groBen EinfluB im Heiligen
Kollegium, dieser EinfluB sollte jetzt auf Luigi iibergehen.
Luigi hatte keine Lust zum geistlichen Stand, aber er wurde
nicht gefragt, und Paul III., der Ercole II. und dem Kardinal Ippolito
zu Willen sein wollte, ernannte den funfzehnjahrigen Knaben
zum Bischof von Ferrara. Es war nicht der erste Fall in der Fa-
milie der Este, daB ein halbwuchsiger Knabe ein hohes kirchliches
Amt inne hatte; Ippolito d' Este (der altere) war ja kaum acht
330
ELFTES KAPITEL
Jahre alt gewesen, als er zum Bischof von Gran ernannt worden
war, und mit fiinfzehn Jahren war er schon Kardinal. Um den
jungen Luigi, den Bischof von Ferrara, fur den geistlichen Stand vor-
zubereiten, wurde ihm der franzosische Jesuit Lepelletier zum Mentor
gegeben, den Loyola selbst fur diesen Zweck ausersehen hatte. Aber
die Lehren des geschickten Jesuiten nutzten wenig. Luigi gefiel es
in Ferrara nicht, er beschloB, dem Beispiel des alteren Bruders
zu folgen und aus Ferrara zu fliehen.
Das Studium fand er langweilig, dazu litt er unter dem Geiz des
Vaters, der ihm nur eine ganz kleine Pension bewilligte, die der
bischoflichen Wurde nicht entsprach. Luigi wollte nicht nach
Frankreich, sondern nach Spanien fliehen; der Bischof von Trient,
der Kardinal Madruzzi, hatte, als Anhanger des osterreichischen
Kaiserhauses, ihn dazu beredet und Antonio Maria di Collegna,
Ercoles diplomatischer Agent, ihn mit Geld unterstiitzt. Der Her-
zog entdeckte die Verschworung rechtzeitig, er lieB den jungen
Bischof fur einige Tage einsperren und Collegna in sffigie hangen,
da er seiner nicht habhaft werden konnte.
Luigi gab seine Fluchtplane nicht auf , kaum hatte sich der Vater
beruhigt, so beschloB er mit Wissen und Hilfe der Mutter nach
Paris zu fliehen. Er lieh Geld beim Juden Jsaak, versetzte seinen
gesamten Besitz und stahl sich 1558 in aller Stille mit einem
Diener aus der Stadt, um seinen Bruder einzuholen, der tags zuvor
mit Erlaubnis des Vaters nach Frankreich aufgebrochen war. Falls
der Konig von Frankreich ihm kein Asyl geben wollte, war Luigi
sogar bereit, in die Tiirkei zu fliehen, nur um dem langweiligen
Ferrara zu entgehen. Aber der Konig, von Renata brieflich unter-
richtet, nahm Luigi freundlich auf, und der junge Bischof beniitzte
die Gelegenheit, um ein lustiges Leben zu fuhren und Geld zu borgen,
wo er konnte.
Unterdessen starb der alte Ercole, Alfonso ging eilig nach Ferrara
zuriick, um die Regierung zu ubernehmen, Luigi dagegen gefiel
es am lockeren franzosischen Hof so gut, daB er durchaus nicht an
Ferrara dachte. Vergebens forderte ihn der Bruder in sehr scharfen
Briefen auf, der Pflichten eingedenk zu sein, die er gegeniiber Kirche
und Familie habe, vergebens berichtete er von der Bereitwilligkeit
ALFONSO II.
331
des Papstes, ihm die Kardinalswiirde zu iibertragen, vergebens
ziirnte der alte Kardinal dem unfolgsamen Neffen — Luigi wollte
weder vom Bistum noch von der Kardinalswiirde etwas horen
und gab vor, soviel Schulden zu haben, daB er nicht imstande sei,
das Amt, das ihm der Papst iibertragen wolle, entsprechend aus-
zufiillen. Der eigentliche Grund von Luigis Weigerung war, daB
er am Hofe der Konigin sein Herz an eine Italienerin, Livia. die
Tochter Galeottos Pico della Mirandola, verloren und sie zu heiraten
versprochen hatte. Dieser Roman miBfiel Luigis franzosischer
Familie griindlich, da Livia ein unvermogendes Madchen aus ein-
fachem Hause war, und durchaus keine standesgemaBe Gattin fiir
einen Este. Um ihn von Livia freizumachen, wurde ihm der Ge-
danke an eine andere Heirat nahegelegt, die dem Ansehen seiner
Familie entsprach. Unterhandlungen wurden angekniipft zwischen
ihm und Maria de Bourbon, der Grafin von Saint-Paul, der jungen
Witwe Jeans d' Enghien, die ein Einkommen von 40 000 Scudi
jahrlich hatte. Renata hat dieses Eheprojekt sehr unterstiitzt, da
sie nicht wunschte, daB ihr Sohn der romischen Kirche angehore.
Dieser Plan hat Alfonso und den Oheim Kardinal nicht wenig
erschreckt; sie wiinschten im Interesse der estensischen Dynastie,
daB Luigi eine bedeutende Stelle in der romischen Kurie einnehme,
nicht aber in Frankreich mit einem Jahreseinkommen von vierzig-
tausend Scudi lebe. Alfonso schickte einen ihm ergebenen Hof-
mann nach Paris, damit er Luigi von diesen Planen abbringe. Auch
wurde ihm die Bezahlung seiner Schulden in Aussicht gestellt,
wenn er nach Italien zuruckzukommen bereit sei. So lief in Al-
fonsos Sinn alles giinstig ab, da die Grafin de Saint-Paul keine Lust
hatte, sich mit dem leichtsinnigen Luigi einzulassen und einige
Monate spater den Herzog de Nemours geheiratet hat. Emport uber
dies Vorgehen der Grafin, war Luigi nach ihrer Trauung cher bereit
nachzugeben, um so mehr als der franzosische Hof, dem es sehr
darum zu tun war, seinen Parteiganger im Heiligen Kollegium zu
haben, auch den jungen Prinzen drangte, die Kardinalswiirde anzu-
nehmen. Der verliebte Bischof kapitulierte und wurde einige Mo-
nate spater, am 26. Februar 1561, zum Kardinal ernannt. Er war
damals dreiundzwanzig Jahre alt, aber es ist ihm wahrend seines
332
ELFTES KAPITEL
ganzen Lebens nicht gelungen, sich mit seinem Stand zu versbhnen.
Er hat es Alfonso nicht verziehen, ihn gewissermaBen zum geist-
lichen Stand gezwungen zu haben, und den Onkel Ippolito stets
aus diesem Grunde gehaflt. Auch den Papsten, Pius IV., der ihn
zum Kardinal ernannt, und Sixtus V., dem er viel zu danken hatte,
hat er die unerbetene Protektion im stillen nicht verziehen und
bei jeder Gelegenheit seine Unabhangigkeit und seine MiBstimmung
Rom gegemiber bekundet. So wollte er, als es 1563 zu einer
Schlagerei zwischen den papstlichen Sbirren und den Knechten des
Kardinals kam, die einen Gastwirt erschlagen hatten, unter keinen
Umstanden die Schuldigen herausgeben; der Papst muBte den Fall
dem Kardinalskollegium unterbreiten und den halsstarrigen Este
mit Hausarrest bestrafen. Erst infolge der Vermittlung des Herzogs
von Ferrara und des Kardinals Borromeo, dem der sturmische
Kollege sympathisch war, hat ihn der Papst aus dem unfreiwilligen
Aufenthalt im Palazzo auf dem Monte Giordano befreit.
Einige Jahre spater unter Gregor XIII., dem Freunde der
Este, hatte Luigi wieder einen Zwist mit dem Vatikan wegen seiner
zuchtlosen Dienerschaf t ; der empdrte Papst befahl ihm, Rom sofort
zu verlassen, da sonst eine Haft in Tivoli seiner warte. Es v/ar aber
nicht so leicht, gegen den Kardinal, der den Konig von Frankreich
hinter sich hatte, vorzugehen; Luigi verlieB Rom zwar fur einige
Zeit, aber Heinrich III. nahm sich seiner so warm an, daB der
Papst seinen Befehl zuriickziehen muBte; und der Kardinal, der
infolge seiner Verschwendung beim Volk beliebt war, kam wie ein
Triumphator, von jubelnden Zurufen begriiBt, nach Rom zuriick.
Wahrend die Familie eine Ehe Luigis in seiner Pariser Zeit
unter alien Umstanden hatte verhindern wollen, suchte Alfonso
um 1 58 1, als der Kardinal vierundvierzig Jahre alt war und eine
so hohe kirchliche Wurde hatte, ihn zu bewegen, zu heiraten. Da
der Herzog kinderlos war, hoffte er auf diese Weise den Este den
Thron von Ferrara zu erhalten. Zur Braut hatte er Luigi eine
Tochter von Eleonora d' Este bestimmt, und von diesem Plan war
sogar in Rom die Rede. Aber jetzt hatte der Kardinal keine Lust,
sein Leben nochmals aufs neue zu beginnen. Er schrieb, er sei zu
krank und leidend, um eheliche Pflichten einzugehen; da er auBer-
ALFONSO II.
333
dem bereits ,,in sacris" sei, wiirde er vom Papst nur mit Miihe den
zur Heirat notwendigen Dispens erhalten. Diese Griinde scheinen
nichts als eine Ausrede gewesen zu sein. Luigi hatte gem sein
Gliick als Ehemann versucht, wenn er nicht den Verlust der unge-
heuren Einkiinfte befiirchtet hatte, die mit der geistlichen Wiirde
verbunden waren. Sein Einkommen betrug damals 120 000 Scudi;
wenn er seine kirchlichen Amter aufgegeben hatte, so waren ihm
hochstens zweiundzwanzig bis dreiundzwanzigtausend Scudi jahr-
lich verblieben. Der Kardinal gab dem Bruder zu verstehen, daQ
er eventuell bereit ware, auf den Kardinalspurpur zu verzichten
und die vorgeschlagene Ehe einzugehen, wenn er ihm einen Teil
seiner Einkiinfte zusichern wiirde. Der Herzog hatte aber keine
Lust, ihm eine so ungeheure Pension auszusetzen, auBerdem war
Sixtus V. gegen diesen Plan, der seiner Ansicht nach zuviel Argec-
nis gegeben hatte.
So blieb Luigi Kardinal und gait als der ,,glanzendste", da er auf
sehr groBem FuB lebte, das Haus stets voller Gaste hatte, auf Reisen
das Geld zum Fenster hinauswarf und Unsummen im Kartenspiel
und in Geschenken fur gekronte Haupter verschwendete, um sich
deren Gunst zu sichern. Schone und bekannte Frauen in Rom,
Ferrara und Frankreich iiberschiittete er mit Kostbarkeiten, unter-
stiitzte Dichter, schmiickte seinen Palast Diamanti in Ferrara und
vollendete den Bau der groBartigen Villa der Este in Tivoli.
Wahrend seines romischen Aufenthaltes 1577 und 1578 hatte
er einen Hofstaat von dreihundertneunundvierzig Hoflingen und
Dienern und erwarb zwei Drittel des Palazzo Orsini in Monte gior-
dano. Die ungeheuren Einkiinfte, die ihm so mancher gekronte
Fiirst neiden konnte, geniigten nicht fur alle Passionen des ver-
schwenderischen Pralaten; in seinen letzten Lebensjahren wuBte
er sich vor seinen Glaubigern nicht zu retten, die ihm mit der Be-
schlagnahme seiner Giiter drohten, und seine Jugendgewohnheit:
Kleinodien bei jiidischen Bankiers zu versetzen, hat er bis in
sein spates Alter behalten.
Durch sein unmaBiges Leben hat er seine Gesundheit friih unter-
graben und da er die Ratschlage der Arzte oder seiner Freunde nicht
befolgen wollte, starb er im Januar 1586. Die Schmeichler der Este
334
ELFTES KAPITEL
wahnten, ganz Europa wiirde ihn betrauern; Sebastian Ardesi gab
in Padua eine Sammlung von Klageliedern unter dem Titel heraus
,,Vari lamenti d' Europa nella morte di Luigi d' Este". Sein Ver-
mogen oder richtiger seine Schulden im Betrage von 200 000 Scudi
vermachte der Kardinal Cesare d' Este, der die Erbschaft nur urn
der Ehre der Familie willen annahm; nachdem er eine Unmenge
von Schulden bezahlt und zahllose Prozesse gefiihrt hatte, hat er
kaum einige Triimmer aus dieser Kardinalsherrlichkeit gerettet.
Im NachlaB befand sich eine groBe Anzahl schoner Masken, die
auch im NachlaB der beiden alteren estensischen Kardinale nicht
gefehlt haben, da sie den Karneval leidenschaftlich liebten. Einer
der Zeitgenossen hat den Kardinal Luigi ,,Ghiotto di maschere"
genannt und berichtet, daB der Kirchenfiirst und Don Francesco
d'-Este sich 1565 als Facchini verkleidet wahrend des Karnevals
in den StraBen herumgetrieben hatten. Dagegen gab es in seinem
Palast kaum ein Buch, da er sich weder mit Literatur noch mit irgend
einer Wissenschaft beschaftigt hat. Wenn er Literaten an seinem
Hof versammelt und eine Zeit hindurch beiden Tasso, Vater und
Sohn, Unterhalt gegeben hat, so geschah es nur, um den Glanz
seines Hauses zu mehren. Von Tassos Verhaltnis zum Kardinal
wird noch die Rede sein.
Doch soil nicht verschwiegen werden, daB zwei estensische Kardi-
nale, Ippolito II., Alfonsos und Lucrezias Sohn, und Luigi die wunder-
volle Villa d' Este in Tivoli bei Rom erbaut haben, den Typus des
landlichenBarockpalastes, ein ,,luogo di delizie", wie die Renaissance-
menschen bezeichnenderweise Wohnsitze dieser Art nannten.
Ippolito II. war 1550 zum ,,governatore di Tivoli" ernannt
worden und begann sofort den Bau der groBartigen Villa, indem
er Felsen sprengen lieB und Aquadukte legen, um durch Wasser-
falle und Teiche das Terrain zu beleben. Der Baumeister, Piero
Ligorio, entwarf die Plane zu diesem in groBem MaBstab erdachten
Werk, das 1569, also neunzehn Jahre nachdem die Arbeit in ihren
Hauptzvigen festgelegt war, fertig war. Ippolito starb 1572; nach
seinem Tode hat Luigi an der weiteren Ausschmuckung der Villa
und der Garten gearbeitet, aber auch bei ihm reichten weder Zeit
noch Mittel, um Ligorios Plane ganz durchzufiihren. Die Fassade
ALFONSO II. 335
der Villa ist niemals vollendet worden, und deshalb erscheinen die
Dimensionen der Frontmauern unverhaltnismaBig ausgedehnt,
verglichen mit dem breiten Mittelrisalit. Die Villa hat mannigfache
Schicksale erlebt, sie war im Besitz der Herzdge von Modena, des
Kardinals Hohenlohe und des Erzherzogs Franz Ferdinand d'Este.
Der Kardinal Ippolito hat, ehe er mit dem Bau des Palastes in
Tivoli begann, die Garten anlegen lassen, die an die Villa d' Este in
Rom, den heutigen Quirinal, grenzten. Er residierte dort und gab
Beweise eines ungewohnlich ausgepragten asthetischen Geschmackes.
In Tivoli wollte er alle beriihmten Villen Italiens iiberholen, er wollte
seinen Wohnsitz prachtiger gestalten als die Villa Lanti in Bagnaja
bei Viterbo oder den Palazetto Farnese in Caprarola und soil unge-
fahr eine Million Scudi verbaut haben.
Auch fur die Gartenanlage hat Luigi ungeheure Summen ver-
ausgabt; einige Jahre nach Ippolitos Tod hat er fur die Arbeiten in
Tivoli tiirkische Sklaven fur 3492 Scudi gekauft, der Preis fur den
einzelnen betrug 36 Scudi ; das ,,luogo di delizie" hat nicht wenig zum
Ruin seiner Finanzen beigetragen. Namentlich war es ihm um eine
harmonische Vielgestaltigkeit von Baumen und Strauchern zu tun,
und in der Tat verbinden sich in wundervoller Art die dunklen Tone
der Zypressen und siidlichen Eichen mit dem leuchtenden Blatt-
werk des Lorbeers, dem ruhigen Griin der Pinien und den archi-
tektonisch-strengen Buchsbaumwanden. Der Park in Tivoli ist
der Idealgarten, in dem die antike gartnerische Tradition sich
mit Renaissancemotiven zur Einheit verschmolzen hat. Durch
die Vereinigung von Architektur, Plastik und Garten-
kunst wurde ein iiberaus kunstlerischer Naturaus-
schnitt geschaffen; seine Komponenten sind
das tiefe Griin der Bau me, Marmor und
Wasserfalle, das Ganze zusammen-
gefafit in die strengen Formen der
Renaissance, aber lebendig und
iiberraschend durch dasViel-
faltige und Wechselnde
seiner Bilder.
zwOlftes kapitel
TORQUATO TASSO
i
asso, der groBe Dichter, der mit den Schwachen seiner
Zeit belastet ist und am meisten fur die Siinden der Re-
naissance gelitten hat, ist zugleichauchderkranklichste
Vertreter des beginnenden geistigen Druckes. Ein
schwacher Charakter und schwachlicher Mensch, eine
Gestalt, die unser Mitleid erregt, aber unsere Sym-
pathie nicht zu erringen vermag. Der schadliche EinfluB des
hofischen Wesens, der Cortigianeria, tritt bei keinem der be-
riihmten Zeitgenossen so scharf wie bei Tasso zu Tage; keiner war
so widerstandslos gegen die neue, jedes personliche Wollen ver-
nichtende Stromung wie er. Er vermochte die Widerspriiche, die
ihn verzehrten, nicht zu losen; der Reaktion hat er den Flug seiner
Seele und die Freiheit seines Geistes geopfert, aber der Korper war
diesem Gewaltakt nicht gewachsen, der arme Dichter verfiel in
geistige Umnachtung, in jene ,,fiera malinconia", wie er selbst sie
genannt hat.
Torquato gehort einer bekannten Familie an, die in Almeno,
im Bergamaskischen zu Hause ist; Mitglieder dieser Familie sind
im XV. Jahrhundert nach Deutschland, Flandern und Spanien aus-
gewandert und haben das machtige Geschlecht der Fiirsten Taxis
begriindet. Torquatos Vater, Bernardo, arm, aber auf seine vor-
nehme Herkunft pochend, war in jungen Jahren Sekretar beim
Grafen Guido Rangoni, aus Modena, dem General der romischen
Kurie; er hat die diplomatische Laufbahn eingeschlagen und Re-
nata di Francia und dem Herzog von Salerno, Ferrante San-
TORQUATO TASSO
BILDNIS VON ALESSANDRO ALI.ORI. FLORENZ, UFFIZIEN
TORQUATO TASSO 337
severino, einem der groBten neapolitanischen Magnaten, gedient.
Bernardos Beschaftigung hinderte ihn, sich an einem Ort anzu-
siedeln, er muBte seinem Herrn in der Suite des Kaisers nach Tunis,
Spanien, Frankreich und Flandern folgen; er heiratete daher erst
in spateren Jahren, 1539, Porcia, die Tochter Giacomo de Rossis
aus Pistoja. Sie brachte ihm eine ganz bedeutende Mitgift mit,
funftaurend Scudi, und er kaufte dafiir Land in Sorrent, da er
giaubte, sich dort ruhig niederlassen zu konnen. Porcia war trotz
ihrer Schonheit eine stille, hausliche Frau; Bernardo lebte mit ihr
in einer gliicklichen Ehe, doch war das Gliick nicht von Dauer, da
ihn seine dienstlichen Pflichten aus dem Hause trieben. Um jene
Zeit, am II. Marz 1544, wurde Torquato geboren, in Sorrent; die
Villa Pignatelli Strongoli steht heute auf jener Stelle, wo einst sein
Geburtshaus stand.
Bernardo hat in seiner Jugend lyrische Gedichte gemacht; in
Sorrent schrieb er ein groBeres Rittergedicht ,,Amadigi" voll von qua-
lendem Pathos und torichten Obertreibungen ; den Inhalt hat er
dem franzosischen Roman ,,Amadis de Gaule" entlehnt. Doch
konnte er sein Epos nicht in Ruhe beenden, da er Neapel schleunigst
verlassen muBte. Der Herzog von Salerno war, als Anhanger von
Franz I., beim Kaiser in Ungnade gefallen, der Vizekonig von
Neapel, Don Pedro di Toledo, nannte ihn einen Verrater und nahm
ihm die ihm iibertragenen Lehnsgiiter; da Bernardo in der Poliiik
des Herzogs eine bedeutende Rolle gespielt hatte, wurde auch sein
Vermogen konfisziert, und der arme Diplomat und Dichter sah sich
plotzlich verbannt, fast in Not, bis ihm 1554 gestattet wurde, sich in
Rom niederzulassen.
Porcia Tasso verblieb in Neapel, ihre Briider und ihre Mutter
nahmen in der richtigen Voraussetzung, daB die verlassene Frau
beim Vizekonig weder Schutz noch Recht finden wurde, ihr Stiick-
chen Land in Sorrent fort, so daB Porcia gezwungen war, den
siebenjahrigen Knaben in die frisch begriindete Jesuitenschule in
Neapel zu tun und selbst mit ihrer Tochter Cornelia ein Kloster
aufzusuchen. Bernardo blieb in Rom, um den Vizekonig zu veran-
lassen, ihm sein eingezogenes Vermogen Iierauszugeben; er nahm
den zehnjahrigen Torquato zu sich, um ihn in Rom zu erziehen.
338 ZWOLFTES KAPITEL
Aber von der Wiedergabe des Vermogens war gar nicht die Rede,
Bernardo muBte sogar aus Rom fliichten, da es zum Krieg zwischen
Spanien und Paul IV. kam, der Vizekdnig von Neapel in den Kirchen-
staat einriickte und Tasso fiirchtete in die Hande seiner Feincie
zu fallen.
Zum UbermaB des Ungliicks starb Porcia in Neapel; die schutz-
losen kleinen Kinder v/aren sich selbst iiberlassen, bis sich Gio-
vanna von Aragon ihrer erbarmte und sie ins Kloster San-Festo
brachte. Tasso selbst fand eine Zufluchtsstatte beim Herzog Guido-
baldo von Urbino, den Sohn schickte er zu seiner Familie nach
Bergamo zuriick, spater lieB Guidobaldo ihn an seinen Hof kommen,
als Spiel- und Lerngefahrten fiir den achtjahrigen Francesco Maria,
den spateren Herzog. Als Torquato im Mai 1557 nach Urbino kam,
war er d.reizehn Jahre alt; die dort verlebten Jahre waren wohl die
gliicklichsten seines Lebens. Der Hof von Urbino, an dem Gelehrte
und Kiinstler lebten, die schone Lage der Stadt — all das wirkte auf
die Phantasie des Jiinglings. Im Sommer lebte der Hof in Pesaro
oder in der Villa Imperiale, dem nahe gelegenen SchloB; weit dehnt
sich der Blick von dort iiber Pesaro, Fano, Sinigaglia, Ancona bis
nich Loreto, im Westen tauchen die Hiigel der Romagna auf. Die
Weite dieses Blickes und die Schonheit des Schlosses machten auf
Torquatos jugendliche Phantasie einen solchen Eindruck, daB er
die Villa Imperiale als Schauplatz fur seine erste groBere Dichtung
MRinaldo" wahlte und sie zum ,, Palazzo della Cortesia" umgestaltete.
Torquato lernte in Urbino zum erstenmal hdfisches Leben kennen,
hier eignete er sich die Cortesia und Creanza an, die keinem Hof-
mann fehlen durften, und iibte sich selbst in der Musik, da der Herzog
eine Hofkapelle hatte, die ihn sehr beschaftigte. In Urbino schrieb
Torquato auch seine ersten lyrischen Gedichte.
Unterdessen war Bernardos Roman „Amadigi" fertig, und im
Friihling 1559 ging er nach Venedig, um ihn dort drucken zu lassen.
Die ,,Dedikation" eines Buches war damals eine sehr wichtige
Frage, eine Frage der Karriere. Ursprunglich wollte Bernardo sein
Gedicht Philipp II. von Spanien widmen, da ihm aber von den
Spaniern soviel Unrecht geschehen war, beschloB er, das Buch dem
Konig von Frankreich, auf den er Hoffnungen setzte, anzubieten.
TORQUATO TASSO 339
Als er sah, daB er auch von den Franzosen nichts zu erwarten habe,
hielt er sich wieder an Philipp II., in der Hoffnung, den Konig
veranlassen zu konnen, ihm seinen Besitz zuriickzuerstatten. Die
Schmeichelei war jedoch erfolglos.
Mit dem Vater ging auch Torquato nach Venedig, er lebte dort
in einem Kreis beriihmter Literaten und Dichter. Den geistigen
Mittelpunkt bildete die ,,Accademia Veneziana", auch ,,della Fama"
benannt; ihr gehorten Veniero, Gradenigo, Girolamo Ruscelli.
Patricio und Aldo Manuzio an, in dessen Verlag die Werke der Aka-
demiker erschienen. Aldo war damals ein hochbetagter Mann, dem
Verlag stand sein Sohn Paolo vor, der Gedichte machte und mit
Torquato befreundet war. In diesem literarischen Kreise begann
Tasso, trotz seiner Jugend, an ein groBes Epos zu denken. Alle
Dichter hatten damals mehr oder weniger ein Ziel vor Augen: die
Regeln von Aristoteles' Poetik mit dem Geist der Zeit zu vereinigen.
Ariost schien ihnen bereits veraltet, Trissino entsprach zu wenig
den Vorschriften der Poetik, die besonders der Professor Sigonia
in Padua vortrug. Er war der Liebling der Jugend und wollte ,,zu
eigenem Ruhm und zum Neid der ubrigen Gelehrten" eine neue
Einheit zwischen der antiken Philosophic und dem neuen Roman
begriinden. Tasso wahlte, von dieser Vorstellung erfiillt, Rinaldo,
Karls des GroBen Paladin, zu seinem Helden und schrieb im Lauf
von zehn Monaten ein Gedicht, das ein deutlicher Beweis der
auBerordentlichen Begabung des jungen Kiinstlers ist. Abenteuer,
die mehr oder weniger der alten Ritterpoesie entlehnt sind, wurden
vorn Dichter in erschreckender Monotonie aneinander gereiht;
dennoch verrat sich auch hier schon im Naturgefiihl die Begabung
des Kiinstlers furs Idyll, die spater in seinem Schaferdrama ,,Aminto"
zur Bliite gelangte.
Die literarischen Anfange des Sohnes haben dem Vater griind-
lich miBfallen; er hatte Grund genug, eine auf die Gunst des Hofes
gestellte Existenz zu fiirchten und wollte dem jungen Torquato ein
von der Laune der Machtigen unabhangiges Leben sichern. Zu
diesem Zwecke schickte er ihn anderthalb Jahre nach seiner An-
kunft in Venedig, im November 1560, auf die Universitat nach
Padua, damit er dort Rechtswissenschaften studiere. Aber Torquato
340 zwOlftes kapitel
interessierten Guido Pancirolis trockne Vortrage nicht, viel lieber
las er die alten Ritterromane auf der Bibliothek, auch war er ein
haufiger Gast des alten Literaten Sperone Speroni, bei deni man
sich zu wissenschaftlichen Disputationen traf. Tasso verkehrte
auch viel bei Giovanni Vincenzo Pinelli, einem vermogenden
Genueser Patrizier, der in Padua lebte, seltene Biicher und
Antiquitaten sammelte und ein offenes Haus fur Dichter und
Gelehrte hatte.
Bernardo, dem es pekuniar sehr schlecht ging, fehlten die.
Mittel, um seinen Sohn in Padua zu erhalten; es gelang ihm jedoch,
den jungen Annibale di Capua zu veranlassen, Torquato unter
seinen Schutz zu nehmen. Der Protektor, der gleichfalls in Padua
studierte, gehorte einem vornehmen neapolitanischen Geschlecht
an. Die vornehme Jugend hatte schon auf der Universitat ihren
Hofstaat, der aus den armeren Kollegen bestand; sie wurden unter-
stutzt und auf diese Weise die spateren Klienten herangeziichtet.
Der arme Torquato trat somit schon mit achtzehn Jahren seinen
Hofdienst an; er begann es fruh zu lernen zu schmeicheln und*
sich in die Launen der GroBen zu schicken. Annibale di Capua
war spater als Erzbischof von Neapel bekannt und wurde, ver-
mutlich infolge seiner Beziehungen zu den polnischen Edelleuten
auf der Universitat in Padua, papstlicher Gesandter in Polen.
Torquato konnte sich nicht an den Gedanken gewohnen, Rechts-
gelehrter zu werden; nach einem Jahre gestattete ihm der Vater,
sich auf der philosophischen Fakultat zu inskribieren und die
Vortrage von Francesco Piccolomini aus Siena, Marc Antonio
Passery und Sigonio zu besuchen, ja er lieB ihn sogar seinen ,,Ri-
naldo" veroffentlichen.
Damit dieses Jugendwerk dem Verfasser die Gunst und Unter-
stiitzung eines machtigen Magnaten einbringe, empfahl er ihm,
den ,,Rinaldo" dem Kardinal Luigi d' Este zu widmen, der schon
damals fur seine Freigebigkeit bekannt war. Der Kardinal nahm
die Dedikation an, und Torquato fiigte seinem Gedicht jene Stanzen
hinzu, in denen er seinern kiinftigen Protektor eine dreifache Krone
verspricht, den Ruhm, die Ketzer auszurotten und einen neuen
Kreuzzug zu predigen.
TORQUATO TASSO 341
Ma quando, il crin di tre corone cinto,
V avrem 1' empia Eresia domar gia visto,
E spinger pria, da santo amor sospinto
Contra 1' Egitto i Principi di Cristo;
Onde il fiero Ottomano oppresso e vinto
Vi ceda a forza il suo mal fatto acquisto;
Cangiar la lira in tromba e in maggior carme
Dir tentero le vostre imprese e l'arme.
(Rinaldo I, 5.)
Wie wenig Tassos Schmeicheleien der Wirklichkeit entsprachen,
haben wir bereits gesehen.
Auch Annibale di Capua, seinem Kollegen und Protektor auf
der Universitat zu Padua, hat Torquato seinen Dank im ,, Rinaldo"
entrichtet und ihm und dem Grafen Stanislas Tarnowski die schone
Ottave gewidmet:
De' duo quindi lontan, giovani in vista,
La sacra mitra ha Tun, l'altro la spada;
Un, Annibal di Capua, onde di trista
Convien che lieta Roma un tempo vada;
L'altro, che la fortezza al senno mista
Avendo al Ciel si fara larga strada,
E'Stanislavo, di Tarnovio Conte
Che star potra co' piu famosi a fronte.
(Rinaldo VIII, 10.)
Tasso hat diese beiden Kollegen wohl deshalb in einer Ottave
verherrlicht, weil Tarnowski als Annibales Freund gait ; ihre Freund-
schaft hat sich spater in Polen bewahrt.
Wahrend Tassos Universitatszeit in Padua stieg die Zahl der
fremden Studenten, besonders der Polen und Deutschen, mit jedem
Jahr. Die venezianische Republik hat nach dem Krieg mit der Liga
von Cambrai die Universitat in Padua neugestaltet und sich bemiiht,
die beriihmtesten Lehrer zu gewinnen. Von 1562 an kamen immer
mehr fremde Studenten. Wahrend ihre Gesamtzahl 1561 nur
138 betrug, gab es 1562 schon 470 Horer, 1563 541 und 1565
sogar 720.
342
ZWOLFTES KAPITEL
,,Rinaldo" erschien im Sommer des Jahres 1562 in Venedig und
hat den jungen Verfasser in ganz Italien beriihmt gemacht. Eine
Auflage folgte der anderen, und erst die so viel gelesene ,,Gerusa-
lemme" hat dazu beigetragen, daB Tassos Erstlingswerk in Ver-
gessenheit geraten ist.
Wahrend Tasso am Rinaldo schrieb, begann er iiber eine groBe
religiose Dichtung nachzudenken, die der damaligen Geistesrichtung
entsprochen hatte. Die Welt hatte sich geandert, die Zeit des Froh-
sinns in der Renaissance war unwiederbringlich dahin, das Tridentiner
Konzil hatte der Christenheit eiserne Fesseln angelegt, und iiber
funfzig neue Orden, an ihrer Spitze die Gesellschaft Jesu, wachten
dariiber, daB der menschliche Gedanke nicht die Grenzen iiber-
schreite, die ihm in Trient gezogen worden waren. Die ganze
Christenheit ward neu organisiert, die Fahne, auf die die Renais-
sance mit Feuerlettern die Befreiung des Individuums aus den
Fesseln der scholastischen Tradition geschrieben hatte, ward zer-
rissen; an Stelle kleiner Tyrannenstaaten, die von kiihnen und ge-
schickten Condottieren begriindet worden waren, erstanden groBe
Reiche; nicht mehr die personliche Tapferkeit des eisengepanzerten
Ritters,sondern die Starke der Geschutzewar im Kampf entscheidend.
Die Liebe fur das eigne Land und das Verstandnis fur seine Sonder-
art ward in Italien durch Karls V. Macht vernichtet, und in den
jungen Geistern entstand unter dem EinfluB von Trient das Ideal
eines einheitlichen machtigen rdmischen Katholizismus. Ritter-
poesie im Sinne eines Bojardo oder Ariost war nicht mehr am Platze ;
der kampfenden, siegenden Kirche unterstand jede geistige Regung.
Die Dichter muBten mit der Inquisition rechnen, wenn sie nicht ins
Gefangnis geworfen oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden
wollten. Religiose Dichtungen wurden immer haufiger; Tansillo
verfaBte eine „Cristiade" und ,,Lagrime di San Pietro", Armicio
Agnifilo die ,,Casa di Lucifero", Benedetto dell' Uva ,,Le Vergini".
Die Phantasie der jungen Dichter ward durch die Angst vor den
Unglaubigen gestachelt, die Tiirken bedrohten die venezianischen
Besitzungen, Ungarn und Polen, und Siiditalien war infolge der
Einfalle der nordafrikanischenVolker in bestandiger Gefahr. Wieder
tauchte der Gedanke der Kreuzziige auf; der alte Wunsch, das
TORQUATO TASSO 343
Heilige Grab zu befreien, ward lebendig, die ritterlichen Kampfe
Karls des GroBen und Rolands kiihne Taten wirkten befruchtend
auf die dichterische Phantasie: Michele Bonsignoris „Liberazione
di Terra Santa" und ,,Gerusalemme", Bargis ,,Siriada" und Brac-
ciolinis ,,Croce racquista" sind deutliche Zeichen der neuen Ge-
sinnung.
Tasso zogen seine Kindheitserinnerungen in diesen Kreis; als
Knabe hatte er in Sorrent im Benediktinerkloster La Cava de'Tir-
reni mit dem phantastischen Blick auf Val Meteliana gelebt, und
die Monche hatten ihm von den Kreuzziigen und dem Papst Urban II.
erzahlt, der die Kutte genommen und in ihrem Kloster gestcrben
war. Ein trauriges Ereignis in seiner eignen Familie weckte seinen
Zorn gegen die Unglaubigen. In der Nacht vom 15. Juni 1558 war
plotzlich die tiirkische Flotte bei Sorrent erschienen, Tassos jung-
verheiratete Schwester Cornelia weilte dort mit ihrem Gatten. Die
Tiirken kamen unvermutet ans Land, fuhrten einen groBen Teil der
Bevolkerung in die Sklaverei, und nur durch einen gliicklichen Zu-
fall gelang es dem jungen Paar, sich durch die Flucht zu retten;
es irrte in den Bergen herum, bis die Gefahr voriiber war.
Tasso las in franzosischen Chroniken iiber die Kreuzziige und
muB auch die alten chansons de geste, die den Zug ins Heilige Land
schildern, gekannt haben. Obgleich die urspriinglichen franzosischen
und provenzalischen Texte dieser Gedichte damals bereits ver-
schwunden waren, so existierten doch Bearbeitungen wie ,,La
Croisade", und .Jerusalem" von Grandidoro di Donai, oder der
,,Gutifre de Buione". Die Kreuzziige waren das Lieblingsthema der
nordfranzosischen Dichter, und schon im XII. Jahrhundert hatte
Riccardo, ,,11 Pellegrino" benannt, eine Geschichte von ,,Buglione's"
Expedition geschrieben. Spater wurden einige dieser Ritterromane
,,Elia", ,,L'infanzia di Goffredo", „Antiochia", ,,I Cattivi" und
,,Gerusalemme" zu einer einzigen Geschichte unter dem Titel ,,Ca-
valiere dal Cigno" zusammengefaBt. Die Schicksale und Begeben-
heiten von Elias, Goffreds GroBvater, der in einen Schwan ver-
wandelt wurde, sind darin beschrieben.
In Venedig hatte Giovanni Maria Verdizotti, der Geistlicher und
Literat, ein elender Dichter und schwacher Maler war, aber ein
344 ZWOLFTES KAPITEL
Mensch voll warmer Begeisterung fur Kunst, viel Sympathie fur
Tasso. Er suchte Torquato zu einer groBen religiosen Dichtung
anzueifern, deren Inhalt die Befreiung des Heiligen Landes sein
sollte, und in demselben Geist suchte auf den Dichter Danese Cataneo
einzuwirken, ein Bildhauer und Verseschmied, in dessen Haus
Tasso seinen Rinaldo geschrieben hat. Dem Rat der Freunde ge-
maB, begann Torquato vom Mai 1559 bis zum November 1560, vor
seiner Abreise nach Padua, ein umfangreiches Werk ,,Liberazione
di Gerusalemme" anzulegen. In Padua jedoch fehlte es ihm an Zeit
zur Weiterarbeit; die Studenten fuhrten ein ausgelassenes Leben,
und Tasso beherrschten, nach eigenem Gestandnis, „die Rechte
der Liebe". Der Kardinal Luigi und die Principessa Leonora d'Este,
waren damals in der Universitatsstadt; in ihrer Gesellschaft befand
sich eine schone funfzehnjahrige Damigella Lucrezia Bendidio,
deren Gesang den ganzen Hof und namentlich Tasso bezauberte.
Lucrezia war nur einen Monat in Padua, aber sie machte dem
Dichter einen so tiefen Eindruck, daB, als sie bald darauf den Grafen
Paolo Machiavelli heiratete, Tasso seinen Schmerz in Liebes-
gedichten ausstrdmen lieB.
Es war schon damals Sitte, die Universitat zu wechseln, um
verschiedene beruhmte Professoren zu horen; so finden wir Tasso
im November 1562 in Bologna; sein Ruhm als Verfasser des ,, Rinaldo"
war ihm vorausgegangen. In Bologna wurde ein noch lustigeres
Leben als in Padua gefuhrt, Torquato zahlte zur ,,jeunesse doree",
der auch seine Vettern Ercole und Cristoforo, Bonaventura Maffetti
aus Bergamo, der Conte Capra und mehrere andere angehorten.
Tasso wurde dem Monsignore Cessi vorgestellt, dem papstlichen
Vizelegat, der in Vertretung von Carlo Borromeo die Regierungs-
geschafte fuhrte; er wurde auch in das Haus von Francesco und
Daniele Spinoli eingefuhrt; es waren junge reiche Genueser, die sich
studienhalber in Bologna aufhielten und in ihrem eigenen Hause
eine Art studentischer Akademie begriindet hatten. Die verschie-
densten literarischen und philosophischen Fragen wurden bei diesen
Versammlungen erortert, und Tasso hielt dort einmal einen Vortrag
iiber die Grundsatze der Dichtkunst. Nach den Debatten wurde
gegessen, und es ging dann noch lustig her; aber diese Versamm-
TORQUATO TASSO 345
lungen fanden ein trauriges Ende: Francesco Spinola muflte aus
Bologna fliehen, da man ihn verdachtigte, da8 er seinen Rivalen bei
einer von ihm geliebten Kurtisane hatte ermorden lassen. Erst
zwei Jahre spater erlieB Pius IV. dem stiirmischen Liebhaber seine
Strafe, aber er durfte nicht wieder nach Bologna kommen, sondern
muBte seine Studien in Padua fortsetzen.
Auch in Bologna fing Torquato Feuer; seine Liebe gait Virginia
Ercolani, der verheirateten Grafin Bianchi; ihr zu Ehren lieB er
ein Gedicht drucken, in dem er sie feierte als ,,La Virginia overo
della Dea de' nostri rempi". Diese lyrischen Ergiisse taten niemand
etwas zu Leide, anders verhielt es sich mit einem Pas quill auf einige
Professoren, das viel boses Blut machte. Man wollte ihm einen
ProzeB machen, aber der Dichter, der Angst vor dem Gefangnis
hatte, entfloh nach Mantua und richtete von dort aus einen langen
Brief an Monsignore Cessi, in dem er versuchte, seine Unschuld zu
beweisen; aber seine Erklarungen klangen nicht iiberzeugend ge-
nug, urn den Verdacht zu zerstreuen. Aus Mantua ging Tasso wieder
nach Padua, urn seine Studien abzuschlieBen, er folgte der Ein-
ladung Scipione Gonzagas in sein Haus. Gonzaga war sehr begabt,
in klassischen Studien erfahren, dazu malte und sang er; seine
Familie hatte ihn fur den geistlichen Stand bestimmt, als Nach-
folger des Kardinals Ercole Gonzaga. Dem Beispiel anderer vor-
nehmer Jiinglinge folgend, begriindete er in Padua die Akademie
,,degli Eterei" und hoffte durch Tasso den akademischen Ver-
sammlungen einen besonderen Glanz zu verleihen. Die Jugend
stand damals unter dem EinfluB des beruhmten Kanzelredners
Panigarola, der im Geist des Tridentiner Konzils predigte und der
neuen religiosen Stromung viel Anhanger gewonnen hat. Torquato
kampfte mit sich, religiose Zweifel hatten sich seiner bemachtigt,
und Panigarolas Worte vermochten ihn nicht zu iiberzeugen. Er
gestand spater selbst, er habe in seiner Jugend gezweifelt, daB die
Seele unsterblich sei, und Gott die Welt erschaffen habe; er habe
nicht geglaubt, daB Christus gekommen sei, um die Menschheit zu
entsiihnen, und den Jesuiten geziirnt, weil sie ihn gezwungen hatten,
mit neun Jahren zur Kommunion zu gehen, ehe er die Geheimnisse
der katholischen Religion auch nur ahnen konnte. Sein ganzes
346 zwOlftes kapitel
Leben hat Tasso an diesem Zwiespalt getragen, Frieden fand er erst,
als sein muder, kranker Geist die groBen philosophischen Fragen
nicht mehr zu erfassen imstande war.
Nachdem das Universitatsjahr beendet war, ging Torquato
nach Mantua, wo er seinen Vater traf, einen verbitterten Hofmann,
der vergebens nach Brot und einem gastlichen Dach suchte.
Der langere Aufenthalt in Mantua hat sich tief in Tassos Herz
eingeschrieben; er hat dort Laura Peperara kennen gelernt, die
spater am Hof von Ferrara eine Rolle spielen sollte. Sie war die
Tochter eines vermogenden Kaufmanns, blendend schon und sang
vorziiglich. Der Dichter scheint die Absicht gehabt zu haben, sich
um ihre Hand zu bewerben, wie aus einem der zahlreichen an sie
gerichteten Sonette hervorgeht, aber seine Armut und die fehlende
soziale Position waren in den Augen ihrer Familie alles andere
eher als eine gute Empfehlung. Laura ist spater eine glanzende
Ehe eingegangen, und Tasso hat sie wiederholt besungen.
II
Das Jahr 1565 war entscheidend in Torquatos Leben; sein Vater
hat den Kardinal Luigi d'Este veranlaBt, ihn an seinen Hof zu
ziehen. ImOktoberging der junge Dichter nach Ferrara, um das unge-
bundene Studentenleben gegen ein Hoflingsdasein einzutauschen.
Der Kardinal lebte im SchloB, in den sogenannten Camerini
dorati, die Alfonso fur seinen Bruder hatte erneuern und ver-
schonern lassen. Luigi hatte seinen besonderen Hofstaat, der zwar
noch nicht so glanzend war wie in seiner rdmischen Zeit, aber er
hatte schon damals ein groBes Gefolge. Sein Maggiordomo war dei
Graf Belisario Tassoni, sein Sekretar Benedetto Manzuoli aus
Modena, und diesem hochsten Hofbeamten unterstanden der Kas-
sierer, der Cameriere segreto, acht Camerieri vornehmer Ab-
stammung, der Chef der Kanzlei, selbst der am Hof amtierende
Theologe. Als letzter wurde Torquato Tasso in die Liste eingetragen,
als Hofmann ohne festes Amt, der fur seinen Patron Verse zu
schreiben versprochen hatte. Er hat dem Kardinal drei Themen
TORQUATO TASSO 347
fur heroische Dichtungen vorgelegt, Luigi scheint die ,,Gerusa-
lemrae" gewahlt zu haben, und so erhielt das Epos, das Torquato
schon seit langerer Zeit beschaftigte, von Anfang an die Sanktion
des Kardinals.
Tasso war an Luigis Hof keine feste Pension ausgesetzt worden,
nur von Zeit zu Zeit je nach der Laune des Kardinals wurden ihm
dreiBig Scudi gegeben. Als Wohnung waren ihm zwei kleine Zimmer
im Kastell angewiesen worden, das eine diente dem Dichter, das
andere seinem Diener; einige Einrichtungsstticke, Bettzeug und
Leinwand wurden aus der Guardaroba des Kardinals herbeigeschafft.
Man muB sich darunter freilich nicht Dutzende von Leintiichern,
Kissenbeziigen und Handtiichern vorstellen; der ganze Vorrat be-
stand aus einer Decke, zwei Leintiichern und einem Strohsack.
Das war fur einen Hofmann ,,ohne Pflichten" genug. Das Essen
wurde Tasso aus der Kardinalskiiche in die Wohnung gebracht, da
der Dichter sich geweigert hatte, in der Gesindestube zu essen;
dazu bekam er taglich ein Fiasko reinen Wein, ein Fiasko ver-
diinnten Wein fur den Diener, im Sommer ein Pfund Lichter
monatlich, im Winter anderthalb. Es demiitigte den Dichter, daB
er nicht zum Kardinalstisch herangezogen wurde, an dem die an-
geseheneren Hofleute speisten; auBerdem emporte ihn das schlechte
Essen, das er nach Haus geschickt bekam; so bat er durch Ver-
mittlung der Principessa Lucrezia am Tisch der Gentiluomini
sitzen zu diirfen. Diese Vergiinstigung scheint man ihm abgeschla-
gen zu haben, und erst nach geraumer Zeit wurde ihm eine feste
Bezahlung von vier Scudi monatlich zugestanden; das gleiche Ein-
kommen hatte der Theologe, wahrend der Hofarzt acht Scudi bezog.
Die karge Pension geniigte Torquato nicht, er begann friih Schulden
zu machen, allmahlich warteten seine Glaubiger bereits am Tage
der Auszahlung vor der Wohnung, um sofort die armseligen Gro-
schen mit Beschlag zu belegen.
Als Tasso nach Ferrara kam, hatte Alfonso II. einen glanzen-
den Hofstaat, aber die groBen dortigen Geschlechter gingen ihrem
pekuniaren Ruin entgegen. Die Este haben durch ihren Luxus den
gesamten Adel zu ungeheuren Ausgaben veranlaBt und infolgedessen
seinen materiellen Ruin bewirkt. Noch fiihrten die Bentivoglio,
348 ZWOLFTES KAPITEL
Bevilacqua, Tassoni, Bendidio und mehrere andere Familien ein
offenes Haus. Giovanni Battista Pigna war der allvermdgende
Minister; ein durchtriebener, geschickter Beamter von niedriger
Herkunft, zugleich Dichter und Philosoph. Tasso schloB sich ihm
und den Literaten an wie Ercole Cato, Agostino, Borso degli
Arienti und dem Grafen Annibale Romei. Er war ein haufiger Gast
bei der Principessa Lucrezia, ,,der Schdnsten unter den Schonen",
und bei Leonora, von der Francesco Zini, der Dichter aus Brescia,
sang, es gabe kein Herz, das nicht bei ihrem Anblick in Flammen
stiinde:
Te visu qui non accensas pectore flammas
Sentit hie humani nil sibi cordis habet.
Um Leonora und Tasso wurde spater ein Roman gesponnen,
dessen tragischer SchluB in Tassos Gefangennahme gipfelt. Wir
werden sehen, daB der Dichter aus ganz anderen Grunden im Spital
der heiligen Anna festgehalten wurde.
Im Salon der Prinzessinnen, wie auch in den anderen Hausern
der vornehmen Welt in Ferrara war Tasso bald ein begehrter Gast;
er war der Liebling der Frauen, und jede ferraresische Schone
wiinschte ihren Namen in einem Sonett des Dichters wiederzu-
finden. Aber nicht in den Salons allein, auch in Gelehrtenkreisen
war der Verfasser des ,,Rinaldo" begehrt, und als im Jahre 1568 die
,,Accademia Ferrarese" begriindet wurde, deren Zusammenkiinfte
in Ercole Varanos Hause stattfanden, hielt Torquato eine An-
sprache bei der Eroffnungsfeier im Beisein des Herzogs und der
bekanntesten Hofleute. Einer der eingeladenen Gaste berichtete
einige Tage spater in einem Privatbrief, daB Tasso gut aber mit
bergamaskischem Akzent gesprochen habe. Das war gerade kein
Vorzug, da man die Bergamasken wegen ihres Dialektes damals
allgemein verspottete. Auch sei erwahnt, daB Tasso ein schlechter
Redner war, er stotterte die Worte hervor und hatte Schwierigkeiten
im Ausdruck, doch hinderte ihn dies nicht, regen Anteil an den
Arbeiten der Akademie zu nehmen und bei den Sitzungen seine
,,Discorsi de l'arte poetica" vorzutragen, in denen er die Grundsatze
der epischen Dichtung auseinandersetzte. Er betonte die Einheit
TORQUATO TASSO 349
der Handlung in der Mannigfaltigkeit des Stoffes und verglich das
Epos mit der Welt, die ein einheitliches Ganzes bildet, trotzdem sie
aus wunderbaren oberen und niedrigen unteren Faktoren, aus
Gliick und Schmerz besteht. Seine glanzendste Leistung in der
Accademia war die Verteidigung der fiinfzig Thesen iiber die Liebe,
die zum groBen literarischen Ereignis ward. Diese Thesen stiitzten
sich in der Hauptsache auf Platos Philosophic, der damals noch die
,,Herzens"theorien beherrschte. Die Disputation interessierte die
Gesellschaft um so intensiver, als die Gegnerin, die die Ansichten
des Dichters bekampfte, Orsina Bertolaja Cavaletti war, eine sehr
schone und gelehrte Dichterin. Sie trat namentlich gegen Tassos
Grundsatz auf, daB der Mann heiBer und bestandiger liebe als
die Frau. Soweit der Dichter und nicht die Theorie in Frage
kam, hatte Orsina schon ganz recht, denn Tasso gehorte durch-
aus nicht zu den Menschen mit dem heiBen Herzen und den
groBen Leidenschaften, er liebte nur, wenn er Gegenliebe fand,
und trbstete sich in seinem Liebesschmerz stets durch ein elegantes
Sonett. Die Liebe gait ihm nur so viel, als sie ihn zu einem schonen
Gedicht begeisterte. Vielleicht das Gleichgultigste, das man einer
Frau sagen kann, findet sich bei ihm:
Si vuoi pur ch'ami, ama tu me, facciamo
L'amor d'accordo ....
Im Winter 1568 reiste Tasso nach Mantua, da sein Vater schwer
erkrankt war, unterwegs erfror ihm sein Gesicht, und zwei Zahne
muBten entfernt werden. Wahrend seines Aufenthaltes in Mantua
hatte Tasso einen unangenehmen Zwischenfall: er las im Bett
und vergaB das Licht auszuloschen. An der brennenden Kerze ent-
ziindeten sich Biicher und Kleider, und der Dichter schlief so fest,
daB er erst erwachte, als sein Bart zu glimmen begann. Da sprang
er zum Fenster hinaus, verletzte sich den FuB und rief Menschen zu-
sammen, damit sie das Feuer loschten, aber seine ganze Wasche
war verbrannt, was fur den armen Teufel keine kleine Katastrophe
war. Gliicklicherweise erbarmte sich Eleonora d'Austria, die Her-
zogin von Mantua, seiner in dieser kritischen Lage, schenkte ihm
zwolf Scudi und Leinwand, damit er den erlittenen Schaden wenig-
350
zwClftes kapitel
stens teilweise wettmachen konne. Es ging ihm schlecht in Mantua,
im Herbst erkrankte er schwer am Fieber, eine gewisse Gedachtnis-
schwache, an der er sein ganzes Leben gelitten hat, verblieb ihm
nach dieser Krankheit.
Der alte Bernardo Tasso, der als Fiinfundsiebzigjahriger schon
seiner erschiitterten Gesundheit wegen nicht mehr imstande war,
in diplomatischen Missionen zu reisen, bat den Herzog von Mantua,
ihm ein ruhiges Amt am Platze zu iibertragen. Der Herzog er-
nannte ihn zum Podesta von Ostilia, einem kleinen Nest am Po,
wo er bei elender Bezahlung Malarialuft einatmen muBte. Dem
konnte er nicht lange Stand halten und starb in der Nacht des 4. Ok-
tober 1569. Sein Leben hat er im Hofdienst aufgerieben. Als Tor-
quato von Bernard os Krankheit erfuhr, eilte er nach Ostilia, aber
er fand weder seinen Vater am Leben, noch auch nur einen Stuhl
in der Wohnung. da die Dienerschaft alles gestohlen hatte, was
nicht niet- und nagelfest war. Tasso hatte keine Mittel, um den
Toten begraben zu lassen; der Duca Guglielmo wollte den fatalen
Eindruck, den der Tod des Hofmanns und Diplomaten im Elend ver-
ursacht hatte, verwischen und lieB ihn feierlich und mit viel Pomp
bestatten. Der Korper wurde nach Mantua gebracht und in der
Kirche S. Egidio beigesetzt.
Bei Bernardos Tod, der sein Leben dem Dienst groBer Herren
gewidmet, war nichts zuriickgeblieben als betrachtliche Schulden,
einige flandrische Arazzi, die noch aus guten Tagen stammten, und
eine arabische Vase, Kriegsbeute von der Expedition nach Tunis.
Fur Torquato war also nichts iibrig geblieben, er hatte sich sogar
durch die Reise zum Sterbenden in Schulden gestiirzt, seine Kleider
und anderes versetzt, und der Kardinal befreite ihn aus groBen
Sorgen, als er anordnete, daB ihm zwanzig Skudi ausgezahlt werden
solHen. Auf Wunsch des Kardinals sollte dieser Betrag nicht dem
Dichter selbst ausgehandigt, sondern seinem Glaubiger, dem Juden
Isachino da Fano, direkt bezahlt werden. Bose Zungen behaup-
teten, Luigi sei nur deshalb bereit gewesen, Tassos versetzte
Kleider auszulosen, damit er zur Hochzeit der Prinzessin Lucrezia
mit Francesco Maria della Rovere am 18. Januar 1570 kommen
konne
TORQUATO TASSO 351
III
Der Kardinal Luigi traf im Jahre 1570 Vorbereitungen zu einer
Reisenach Paris, mit der Absicht, sich die franzdsischenPfrunden
cies Kardinals Ippolito zu sichern. Der unruhige Pralat hatte
die Absicht, falls dieser Plan fehlschlagen wiirde, Purpur und
Kardinalswiirde abzutun, ,,scardinalarsi" wie man sagte. Esdauerte
lange, ehe die beabsichtigte Reise zustande kam, denn Luigi fehlte
es an Geld, er wollte unbedingt mit groBem Hofstaat reisen, und einen
Teil seiner Familiares, zu denen auch Tasso gehdrte, mitnehmen.
Torquato freute sich auf diese Reise; da der Weg weit war,
machte er vorher sein Testament, in dem er iiber seinen litera-
rischen NachlaB verfiigte, er anvertraute ihn seinem Freund Ercole
Rondinelli, der gleichfalls dem Hof des Kardinals angehorte. Um das
Gedachtnis seines Vaters zu ehren, empfahl er die Arazzi zu verkaufen,
die bei einem Juden versetzt waren, und ihm ein Grabdenkmal zu
errichten. Sollte das vorhandene Geld fur diesen Zvveck nicht
reichen, so mdge Rondinelli versuchen, die groBmiitige Prinzessin
Leonora zu veranlassen, den fehlenden Betrag zu erganzen.
In drei Abteilungen fuhr der Hofstaat des Kardinals nach
Frankreich. Die zwei ersten brachen im September 1570 aus
Ferrara auf, die dritte, zu der Tasso gehdrte, erst im Oktober. Zu
dieser Gruppe gehorten auch zwei Geistliche, der Theologe und
Kaplan des Kardinals, der Arzt, zwei Stallmeister, einige Kammer-
diener und ein groBer Stab von Kochen und Knechten, samtlich
zu Pferde. Pas quale Angeluccio war der Kassierer und Rechen-
rneister dieser Expedition und trug sehr gewissenhaft alle Aus-
gaben in ein Buch ein, das sich bis auf den heutigen Tag erhalten
hat. Alle drei Abteilungen traf en sich, nachdem sie Italien und
das siidliche Frankreich passiert hatten, in der Abtei Chalis, wo
sie auf die Ankunft des Kardinals warteten. Unterdessen wurde
Ferrara von furchtbaren Erdbeben heimgesucht, die Este muBten
wahrend eines ganzen Monats in Zelten unter freiem Himmel kam-
pieren, und infolge des allgemeinen Ungliicks verzogerte sich auch
die Abreise des Kardinals. Erst am 19. Januar 1571 machte sich
Luigi, von sechsundzwanzig vornehmen Ferraresen begleitet, nach
352
zwOlftes kapitel
Frankreich auf und erreichte Paris am 20. Februar, an einem sehr
kalten Wintertag. Frankreich stand im Zeichen von Festen in-
folje der Vermahlung Karls IX. mit Elisabeth von Osterreich, das
Konigspaar weilte in Villers Cotterets und hielt erst im Marz seinen
Einzug in die Hauptstadt. Tasso war damals noch nicht der be-
ruhmte Dichter des ,,Befreiten Jerusalem", das erst zehn Jahre
spater erschien, aber er fand in den dortigen literarischen Kreisen
den freundlichsten Empfang, da alles Italienische in Frankreich
damals als modern gait. Im Zeichen italienischer Kultur stand bereits
die Regierung Karls VIII. und Ludwigs XII., und der fremde Ein-
fluB steigerte sich unter Katharina von Medici. Zur Feier von
Karls VIII. Hochzeit hatte man die italienische Theatergesell-
schaft der ,,Gelosi" kommen lassen, und franzosische Literaten be-
trachteten die Italiener als ihre Lehrer im Humanismus, der frei-
lich in Italien um hundert Jahre friiher als in Frankreich aufge-
taucht ist. Wenn auch der EinfluB italienischer Kultur in Frank-
reich Tasso einen sympathischen Eindruck gemacht hat, so er-
bitterten ihn die religiosen Verfolgungen, die gerade damals ihren
Hohepunkt erreicht hatten, aufs auBerste und verscharften die
Zweifel, die seine Seele seit langem beunruhigten. Gerade da-
mals war in Frankreich dar Umfang der kirchlichen Gerichtsbar-
keit erweitert und eine unerhort strenge Zensur eingefiihrt worden,
in Rouen und Orange hatte man ein furchtbares Blutbad unter
den Hugenotten veranstaltet.
Wahrend seines mehrmonatlichen Aufenthaltes in Frankreich
hat Tasso viel gesehen und gelernt, wie aus einem auBerordentlich
interessanten Brief an den Grafen Ercole Contrari, in dem er seine
Eindriicke schildert, hervorgeht. Er hat Burgund, Lyon, die Nor-
mandie, Picardie und Lothringen kennen gelernt, doch gefiel ihm
im allgemeinen Frankreich weniger als Italien. Die Bavolkerung
erschien ihm sehr arm und elend, die Hauser, die zumeist aus
Holz gebaut waren, haBlich und verwahrlost, nur die Kirchen
hoben sich groBartig von der sie umgebenden Armut ab. Die
gotische Architektur der franzosischen Kathedralen machte ihm
einen starken Eindruck. Die franzosischen Frauen haben ihm
infolge ihrer Schonheit, Liebenswurdigkeit und Lebhaftigkeit be-
TORQUATO TASSO 353
sonders gut gefallen, wahrend er die Manner durch die krummen
Beine, die sie sich beim konstanten Reiten geholt hatten, verun-
staltet fand. Dreierlei war Tasso besonders aufgefallen und er-
schien ihm von nachteiligsten Folgen: die Mutter nahren ihre Kinder
nicht selbst, sondern Ziehen sie mit Kuhmilch auf, der Adel lebt
zuriickgezogen auf seinen Schlossern am Lande, verkehrt hochstens
mit Bauern und ist ungebildet, ja flegelhaft, die Wissenschaften
stehen ihm ganz fern, und die Gelehrten rekrutieren sich nur aus
Mannern von niedrigem Stand. Die Philosophic, diese konigliche
Wissenschaft, muBte sich in Frankreich einem Bauern vermahlen
und hat dabei viel von ihrer Vornehmheit eingebuBt.
Eindringlichere Beobachtungen als dieser Brief enthalt Tassos
spatere Abhandlung ,,Discorso intorno alia sedizione nata nel regno
di Francia l'anno 1585"; sie bekundet viel Beobachtungsgabe, die
man dem Dichter nicht ohne weiteres zugetraut hatte.
Das franzosische Konigspaar hatte die Absicht, den April in
der Bretagne zu verleben und lud den Kardinal ein, mitzureisen;
er befand sich damals schon in groBer Geldverlegenheit, und da
er nicht das ganze Gefolge, mit dem er nach Frankreich gekommen
war, zu erhalten vermochte, beschloB er nur einen Teil mitzu-
nehmen und die iibrigen aus Paris nach Italien zuriickzuschicken.
Zu diesen letzteren gehorte auch Tasso, den diese Zuriicksetzung
gegeniiber den vornehmeren Hoflingen tief schmerzte, um so mehr,
als er auch noch so manchen AnlaB hatte, sich iiber den Dienst
beim Kardinal zu beklagen. Er glaubte, von Luigi zu schlecht
entlohnt zu werden und eine zu untergeordnete Rolle am Hofe
zu spielen. Die Klagen waren unbegriindet, da Tasso nach da-
maligen Anschauungen durchaus nicht schlecht bezahlt wurde, da
er keinerlei Pflichten zu erfiillen hatte, auBerdem war der Kar-
dinal ein bekannter Verschwender und seine Hoflinge hatten keinen
AnlaB, sich iiber den Geiz ihres Herrn zu beklagen. Tasso be-
schloB, den Dienst beim Kardinal aufzugeben; seine wahren Be-
weggriinde waren seine verletzte Eigenliebe und seine groBe Un-
bestandigkeit, die spater noch gewachsen ist. Die innere Unruhe
hat ihn von Ort zu Ort getrieben, Tasso war niemals und mit nichts
zufrieden. Er scheint um so weniger AnlaB gehabt zu haben,
23
354
ZWOLFTES KAPITEL
sich iiber den Geiz des Kardinals zu beklagen, als er sich bei
ihm viel Geld erspart hat. In Italien konnte er nachher fast
ein ganzes Jahr reisen, ohne eine feste Beschaftigung, die ihm
auch nur die geringste Einnahme gesichert hatte.
IV
Im Glauben, an Alfonsos II. Hofe ein Unterkommen zu finden,
kam Tasso nach Ferrara, aber als er sah, daB es dort auf bloBe
Versprechungen hinauslief, ging er nach einigen Wochen nach
Rom, in der Erwartung, der Kardinal Ippolito d'Este, der fiir seine
Freigebigkeit gegen Dichter und Literaten bekannt war, wiirde ihn
in seinen Dienst nehmen. Der vom Alter mitgenommene Kardinal
empfing Tasso zwar einige Male in seiner schonen Villa in Tivoli,
gab ihm aber die erhoffte Anstellung nicht.
Tasso blieb noch einige Monate in Rom; es war im Jahre 1571
wahrend der beriihmten Schlacht bei Lepanto, und die papstliche
Hauptstadt zitterte unter dem Eindruck der politischen und kriege-
rischen Nachrichten. Tasso bat Gott, wie er seinem Freunde
schrieb, den Christen den Sieg zu verleihen, und zahlte nicht zu
den letzten, die daftir gedankt haben. Unter den Kampfenden
befand sich auch ein Verwandter von Torquato, Antonio Tasso, von
der flamischen Linie; er zeichnete sich durch seine Tapferkeit in
der Schlacht bei Curzolari aus, so daB Philipp II. ihn zur Beloh-
nung zum Gesandten in Paris ernannte. Torquato stand zwar
zu seinen flandrischen und spanischen Verwandten in keinerlei
Beziehung, aber stolz auf sein Geschlecht freute er sich iiber An-
tonios Ehrung; dieses Ereignis und der Zusammenbruch der tiir-
kischen Macht veranlaBten ihn zur Weiterarbeit an seiner Dichtung
von Jerusalems Befreiung, die durchaus zeitgemaB war und die
Geister beschaftigen konnte.
Tassos Geldmittel waren erschdpft, ohne einfluBreiche Pro-
tektion vermochte er sich nicht langer zu erhalten, so wandte er
sich durch Vermittlung seiner romischen Freunde an den Herzog
TORQUATO TASSO 355
von Ferrara und bat, an seinem Hof aufgenommen zu werden.
Auch die Herzogin Lucrezia, auf deren Unterstutzung er stets
rechnete, suchte er zu diesem Zwecke in Urbino auf. Er hatte
sich nicht getauscht; die Herzogin war im Begriffe, aus Castel-
durante nach Ferrara zu reisen, sie nahm den Dichter mit und bat
ihren Bruder, Alfonso II., ihm an seinem Hof eine Anstellung zu
geben. Der Herzog ging ins Moorbad Sant Elena bei Padua,
wegen der rheumatischen Schmerzen im Knie, die er sich in
seiner Jugend wahrend der Kriege in Frankreich geholt hatte;
zu seiner Gesellschaft nahm er einige Hofleute mit, darunter auch
Tasso. Der Dichter muB dem Herzog einen guten Eindruck ge-
macht haben, da er ihn spater auch nach Comacchio zum Fisch-
fang, der im Herbst stattfand, mitnahm. Im Januar 1572 wurde
Tasso in die Liste der bezahlten Hofleute aufgenommen mit einer
Pension von achtundfiinfzig markgraflichen Lire, nach unserem
heutigen Geld etwa no Lire. Der Betrag ist gering genug, aber der
Geldwert war damals groBer als heute, auBerdem hatte Tasso
Essen und Wohnung frei, so daB das bare Geld fur seine Kleidung
und andere Bediirfnisse dienen konnte. Der Dichter hatte keinerlei
Pflichten, der Herzog hatte nur den Wunsch geauBert, Tasso moge
neben seinem groBen Werk auch Gelegenheitsgedichte verfassen,
wozu Torquato gern bereit war. Sein ,,ozio letterato" befriedigte
ihn sehr, und sein Einkommen betrug viermal soviel wie beim
Kardinal. Nachdem er dem Herzog seine Dankbarkeit in einem
flieBenden Gedicht ausgesprochen und sich vom zweijahrigen
Herumvagabondieren erholt hatte, begann er an seiner ,,Gerusa-
lemme" zu arbeiten.
Natiirlich fehlte es ihm an Neidern nicht, besonders Alfonsos II.
allmachtiger Minister, Giovan Battista Pigna, war ihm wenig ge-
wogen. Er machte selbst elende Gedichte und war in Lucrezia
Bendidio verliebt, fur die sich Tasso bereits in Padua interessiert
hatte und um deren Gunst er aufs neue warb. Lucrezia lebte am
Hofe zu Ferrara und entfachte wahre Liebesbrande. AuBer Pigna
und Tasso hatte auch Battista Guarini sein Herz an sie verloren
und schickte ihr gereimte Liebesseufzer. Obgleich Guarini und
Tasso als Dichter nicht gut zueinander standen, so verband sie
23*
356
ZWOLFTES KAPITEL
gemeinsamer HaB gegen Pigna. Beide wollten den machtigen
Rivalen lacherlich machen, und als Pigna fur einige Monate mit
dem Herzog nach Osterreich reiste, lieBen sie seine Liebes-Can-
zonen drucken. Pigna durfte sich nicht einmal beklagen, da Tasso
den Gedichten einen fur den Verfasser sehr schmeichelhaften Kom-
mentar hinzugefiigt hatte. Die Bendidio verspottete ihren alten
Verehrer so gut wie die jungen Dichter. Pigna nannte sie bos-
hafterweise ,,lo sposo della barba bianca", und von den jungen
Dichtern lieB sie sich zwar gem huldigen, aber als praktische Frau
kniipfte sie Beziehungen zu dem an, der zwar keine Gedichte
machte, sie aber dafiir mit kostbaren Geschenken iiberschuttete:
zum Kardinal Luigi. In ihren Briefen an den Kardinal verspottete
sie den alten Pigna, der sie mit seinen Zartlichkeiten verfolgt hat.
1573 ging Alfonso nach Rom, um dem neuen Papst Gregor XIII.
zu huldigen und die Frage der Nachfolge im Herzogtum Ferrara
zu sichern. Ein zahlreiches Gefolge begleitete ihn, darunter be-
fanden sich Tasso, Guarini und der beriihmte Altertumskenner
Piero Ligorio; der Herzog hoffte mit seiner Hilfe in Rom seine
beriihmte Anticagliensammlung vermehren zu konnen. Alfonso
war nur einen Monat in Rom und einige Tage in Tivoli; Tasso
fand zur Arbeit keine Zeit, kniipfte aber viel Beziehungen an und
sah namentlich zum erstenmal die groBe Schonheit, von der ganz
Rom sprach, Barbara Sanseverino, die Grafin di Sala, die mit ihrer
Schwiegertochter Leonora di Scandiano dort weilte. Von Barbara,
der die romischen Damen ihre Triumphe neideten, hieB es, sie
habe die Schonheitspalme davongetragen:
Tolse Barbara gente il pregio a Roma.
Im Friihling machte sich Tasso in Ferrara wieder an die Arbeit
und lieB sein Schaferdrama ,,Aminta" drucken, das der Herzog
im Sommer im Belvedere auffiihren lieB. Zu diesem Zwecke lieB
man die Theatergesellschaft ,,Gelosi" kommen, die damals in
Venedig auftrat und gem an norditalienischen Hdfen spielte. Tasso
selbst unterwies die Schauspieler; die Auffiihrungen, die einige Mai
wiederholt wurden, sind glanzend ausgefallen, und haben ganz
Ferrara beschaftigt, um so mehr als man hinter einigen Gestalten
TORQUATO TASSO 357
des Dramas bekannte ferraresische Personlichkeiten zu erkennen
vermeinte. Alfonso gab seiner Zufriedenheit Ausdruck, indem er
Tasso zum Professor — der Geometrie und der Himmelskorper an
der Universitat in Ferrara ernannte. Der Dichter hatte nur an
Feiertagen die Pflicht, vorzutragen, und bezog dafiir ein Ein-
kommen von 150 markgraf lichen Lire (in heutigem Geld etwa 283).
,,Aminta" wurde spater in Pesaro aufgefiihrt, Tasso ging hin, um
die Inszenierung zu leiten, und allmahlich errang dieses Schafer-
drama in alien italienischen Stadten groBe Erfolge.
Als die Nachricht von Karls IX. Tod nach Ferrara kam, emp-
fahl der Herzog dem Dichter, eine Trauerrede zu verfassen und sie
im Dom beim Trauergottesdienst zu verlesen.
Zur BegriiBung Heinrichs III. in Venedig nahm er Tasso mit,
der die Gelegenheit beniitzte, um zwei Sonette zu Ehren des Valois
zu verfassen, worin er seine GroBe und seine Tugenden pries. Der
Dichter verubelte dem Konig spater sein lockeres Leben in Venedig,
zu dem ihn iibrigens, wie wir gesehen haben, Alfonso selbst ver-
leitet hat.
1574 erkrankte Tasso an einem sehr hartnackigen Fieber, das
ihn lange gequalt und ungiinstig auf seinen physischen und mora-
lischen Zustand eingewirkt hat. Trotzdem arbeitete er an der
Vollendung des ,,Befreiten Jerusalem", da der Herzog sehr un-
geduldig war und den Ruhm kaum erwarten konnte, der seinem
Geschlecht durch das Erscheinen dieses Epos werden sollte. Seit
zehn Jahren war Tasso am Hof der Este; der Herzog hatte ihm
seine Gunst geschenkt, ihn auf Reisen, auf die Jagd, zum Fisch-
fang mitgenommen, ihm vollige Freiheit in seiner Arbeit gelassen,
und trotzdem hatte der Dichter seine Aufgabe noch nicht gelost.
Endlich im April des Jahres 1575 war das Gedicht fertig, aber da
Tasso die drei letzten Biicher wahrend seiner Krankheit geschrieben
hat, waren sie schwacher als die vorhergehenden ausgefallen.
Obrigens war das Gedicht noch nicht druckreif, einige Abschnitte
358 ZWOLFTES KAPITEL
geniigten dem Dichter noch nicht, und der Zwiespalt in seiner
Seele unterband seine schopferische Kraft.
Luftveranderung sollte Tasso vom Fieber heilen; er fuhr fur
einige Zeit nach Padua und Vicenza, aber diese Reise half ihm
nicht; Ferraras uberdriissig, begann er sich in aller Stille zu be-
miihen, an einem andern Hof Unterkunft zu finden, beim GroB-
herzog Francesco in Florenz oder beim Kardinal de' Medici. Es
war dies ein fur ihn sehr verhangnisvoller Schritt, da der Hof von
Florenz und Ferrara in den denkbar schlechtesten Beziehungen
zueinander standen; sie kampften um den ,,Vorrang" — dieser
Frage wurde damals groBe Bedeutung beigemessen. Alfonso be-
anspruchte den Titel ,,Altezza", sehr zum Arger des GroBherzogs,
der behauptete, daB dieser Titel nur ihm zukomme. Die Rivalitat
zwischen beiden Hofen hatte dazu gefiihrt, daB der Herzog schon
1573 seinen Untertanen unter Androhung sehr empfindlicher
Strafen verboten hatte, fremde Dienste anzunehmen; dies Verbot
war in der Hauptsache gegen Florenz gerichtet.
Da Tassos Bemiihungen, in den Dienst der Medici zu treten,
vergeblich waren, veranderte der Dichter seinen Plan; er wollte
nach Rom gehen, um dort sein Werk dem Urteil beriihmter Lite-
raten und dem Spruch der Inquisition zu unterbreiten, und die
Arbeit so vieler Jahre endlich drucken lassen. Da es ihm an
Mitteln fur diese Reise fehlte, wandte er sich schriftlich an seinen
Universitatskollegen und Freund, Scipione Gonzaga, der in Rom
lebte, damit er die Durchsicht seines Werkes ubernehme. Gonzaga
fiirchtete die groBe Verantwortung der Kritik wie der Inquisition
gegeniiber, er bat daher Pier Angelo da Braga, einen beriihmten
lateinischen Dichter, Flaminio de' Nobili, den Philosophen und
bekannten Hellenisten, Sperone Speroni, den Verfasser des Buches
,,La Cenace" und schlieBlich ein Mitglied der Inquisition Silvio
Antoniano, den Schiiler Filippos da Neri und spateren Kardinal
unter Sixtus V., einen Menschen von strengen Sitten, aber engem
Horizont, ihm bei dieser Arbeit zu helfen. Tasso fiirchtete die
Einwande des Inquisitors in Bologna, deshalb begab er sich auch
zu ihm, damit er die Dichtung vom Standpunkt der romisch-katho-
lischen Kirche priife. Uberhaupt beherrschte die Angst vor der
TORQUATO TASSO 359
Inquisition Tasso in hohem MaBe, er war nicht einmal sicher, ob
er in seinem Gedicht die alten Gotter Mars und Jupiter anfiihren
diirfe, und erst als er sich darauf besann, daB auch Dante in seinem
,,Paradies" keinen AnstoB genommen habe, Jupiter zu erwahnen,
beruhigte er sich und faBte den Vorsatz, sich der Inquisition gegen-
iiber auf das Beispiel des groBen Dichters zu berufen. Tassos
Furcht war nicht unbegriindet. Gregor XIII., der Freund und Pro-
tektor der Jesuiten, saB auf dem papstlichen Stuhl, Antoniano war
damals schon eine sehr einfluBreiche Personlichkeit, und durch
seinen Mund sprach die Inquisition. Ihm erschien die ganze
Dichtung als ein gefahrliches Werk, das in Rom nicht gem gesehen
werden wiirde, als ein Erzeugnis, das dem Geist der Zeit nicht ent-
sprach. Um jedoch seine Versohnlichkeit zu beweisen, besonders
da er sich selbst, als Verfasser einiger frommer Lieder, fur einen
Dichter hielt, verlangte Antoniano zwar nicht, daB das ganze Manu-
skript zerstort werde, aber er erachtete es als notwendig, daB Tasso
es zu einer ,,rein" religiosen Dichtung umarbeite, die weniger fur
weltliche Menschen als fur Mdnche und Nonnen bestimmt sei,
,,desiderarebbe ch'l poema fosse letto non tanto da cavalieri quanto
da religiosi e da monache"; er wiinschte ferner, daB die Handschrift
vor Drucklegung einer ernsthaften Nonne zur Zensur vorgelegt
werde, aber zu diesem AuBersten kam es nicht. Von der ganzen
Dichtung gefiel ihm eigentlich nichts, weder die Gesamtanlage,
noch die Hauptcharaktere, oder die poetischen Episoden. Er
verlangte von Tasso, jedes Wort zu streichen, das ein geistliches
Ohr beleidigen konnte und die Liebesepisoden und alle Wunder
auszulassen. Nur Gott allein kann Wunder wirken, deshalb ist es
dem Dichter nicht gestattet, einen Zauberer einzufiihren, der mit
seiner Rute Ritter in Fische verwandelt oder andere ,,Metamor-
phosen" bewirkt.
Tasso war verzweifelt, man zerstorte ihm sein ganzes Werk,
und seine Briefe an Antoniano zeigen das wahrhaft tragische
Ringen des Renaissancegeistes, des Dichters, der von Jugend auf
gewohnt war, seine Gedanken frei zu auBern, mit dem dumpfen
Fanatismus eines Menschen der brutalen Reaktion. Verzweifelt
fragte Tasso einst, ob die Liebesszenen wirklich gestrichen werden
360 zwOlftes kapitel
miiCten ,,gli amori saranno condemnati?" da ein solcher Urteils-
spruch den Tod seiner Dichtung bedeutete. Trotz seiner Em-
porung entschuldigt Tasso seine ,,Fehler" demiitig vor dem all-
vermogenden Zensor, er bedenkt die verschiedensten Moglichkeiten,
um den Zensor zufrieden zu stellen, den Forderungen der Zeit zu
entsprechen ,,come comanda la necessita de' tempi" und den engen
Seelen der Mitmenschen gerecht zu werden; er uberlegt, wie er allem
Wunderbaren eine ,,moralische" Bedeutung beilegen und die beiden
Biicher von der Zauberin Armida auslassen konnte. Er wollte
sie gesondert drucken, um wenigstens auf diese Weise eine der
schonsten Gestalten seiner Phantasie zu retten. Sein Werk be-
trachtet er als ,,la somma de la sua vita", daher marterten ihn
die Schwierigkeiten, diese unerwarteten Hindernisse, dieser Kampf
mit der kirchlichen Pedanterie, die schon zwei Jahre dauerten.
Er war ein zu schwacher Charakter, um sich auf irgend eine Weise
von der inquisitorischen Ubermacht frei zu machen; er furchtete
den Kampf mit der Kirche, wollte nicht zum Abtriinnigen werden,
bemiihte sich, zu glauben und wollte wenigstens fur den Druck
seines Buches die Erlaubnis der romischen Kirche bekommen.
Und wenn sich sein skeptischer Geist von Zeit zu Zeit empdrte,
so unterwarf er sich zur Siihne religiosen Ubungen, ging in die
Kirche und betete im Hause, um auf diese Weise den Renaissance-
Satan zu iiberwinden. Haufig stand ihm, wie er selbst gestanden
hat, das Bild des Jiingsten Tages vor Augen, er glaubte den Klang
der Posaunen zu horen, die am Tage der groBen Abrechnung er-
klingen werden, und den Heiland in den Wolken zu sehen, wie er
mit durchdringender Stimme ruft: geht hin, Verfluchte, ins ewige
Feuer. Dann packte ihn furchtbare Angst, er muBte beichten
und das Abendmahl nehmen. Er beichtete, daB er an der Unsterb-
lichkeit der Seele zweifle, und an den gottlichen Ursprung der
Welt, an die Wirksamkeit der Sakramente, an die gottliche Mission
des Papstes auf Erden, an die Erlosung des Menschen nicht glaube.
All das meldete er dem Inquisitor in Bologna, und klagte sich
selbst an, doch der Inquisitor begriff, daB er es mit einem Dichter
zu tun habe, der sein seelisches Gleichgewicht verloren, und nahm
diese Gestandnisse eines kranken Menschen nicht ungiitig auf.
TORQUATO TASSO 36!
Aber diese Sanftmut beangstigte Tasso anstatt ihn zu beruhigen,
er fand das Vorgehen des Inquisitors leichtsinnig, oberflachlich,
und hielt sich fur schuldig.
Wenn Antonianos Kritik in religiosen Dingen ihn zur Ver-
zweiflung brachte, so haben ihn die Bemerkungen des Pedanten
Speroni iiber den Aufbau der Dichtung, die Regeln der Poetik, die
angeblich falsch befolgt waren, im hochsten Grade emport. Zur
Verwirrung seines kranken Geistes trug noch bei, daB er im Glau-
ben befangen war, seine Feinde an Alfonsos Hof wiinschten, daB
sein Werk entweder nicht erscheine oder mit den Verbesserungen
der Pedanten und Inquisitoren, jeder poetischen Schonheit bar,
herausgegeben werde. Uberall witterte er Verfolgung, Intrigue,
Hinterlist.
Diese Kampfe und diese Unruhe zerstorten ihn seelisch und
physisch so sehr, daB er im Juli 1575 schwer erkrankte, an furcht-
baren Kopfschmerzen litt, und mit dem Herzog nicht aufs Land
gehen konnte; er blieb in Ferrara zuriick und pflegte, wenn seine
Schmerzen nachlieBen, der Prinzessin Lucrezia sein Gedicht vor-
zulesen. Damals begannen ihn krankhafte Ahnungen zu verfolgen,
er glaubte sich von Damonen, die auf sein Schicksal einwirken,
umgeben; aus diesem Grunde studierte er Magie und Astrologie
und verfaBte sogar einen Dialog ,,Messagiero" iiber Damonologie,
in dem er auf philosophischem Wege die Existenz gottlicher Boten
nachzuweisen sucht. Obrigens haben auch Gelehrte wie Ficino,
Patrizzi und Pico della Mirandola an diese Dinge geglaubt. Dazu
war Tasso vom Verlangen beherrscht, seinen Wohnsitz zu andern;
er traumte davon, nach Rom zu reisen, Antoniano zu sprechen
und die Zensur seines Werkes zu beschleunigen. Lucrezia wider-
riet ihm diese Reise, sie kannte den Wunsch des Herzogs, die ,,Ge-
rusalemme" unter seiner Agide erscheinen zu lassen, und seine
Befiirchtungen, Tasso konne die Dichtung den Medici widmen,
um an ihren Hof zu gelangen. Die Vorstellungen der Prinzessin
halfen nicht. Tasso ging im November nach Rom und suchte seine
Reise durch den Hinweis auf die religiosen Gnaden des groBen
Jubilaums zu rechtfertigen. Diese Abreise war ein um so groBerer
Fehler, als am 4. November Pigna, der hofische Philosoph, Mi-
362
ZWOLFTES KAPITEL
nister, Historiograph und bezahlte Dichter, gestorben war, und
man allgemein annahm, daB Tasso sein Amt als Historiograph
und Dichter antreten wiirde.
In Rom suchte Tasso auf Antoniano einzuwirken, was fast un-
moglich war, und Speronis Gunst zu gewinnen, der damals eine
literarische Macht war. Speroni warf ihm Weichlichkeit vor, man-
gelnden Ernst im Ausdruck, unpassende Scherze, mit anderen
Worten, er vermiBte jene poetische Pose, die der pedantische Literat
so hoch einschatzte. Tassos Demut schien Speroni zu entwaffnen,
denn er erwies sich dem Dichter etwas gnadiger.
Schon begann eine innere Unruhe Tassos Handlungen und Be-
nehmen zu beherrschen; nach kurzem Aufenthalt in Rom ging er
nach Siena, um den Rat von Monsignore Piccolomini, des Ver-
fassers eines neuen Kommentars zu Aristoteles Poetik, einzuholen.
Unbefriedigt von dessen Ratschlagen reiste er nach Florenz zu
Vincenzo Borghini, iiberall auf der Suche nach kritischen Ein-
wanden, die seinem Werk hochstens schaden konnten. Im Januar
war er wieder in Ferrara und begann sich um das Privileg fur die
Herausgabe seines Buches zu bemiihen. Seine Geisteskrankheit
nahm rapid zu, ein ihm unbekanntes Etwas zerriB seinen Geist.
,,Mi si volge un non so che per 1' animo." Maffeo Veniero, der
Florentiner Gesandte in Ferrara, schrieb am 17. Juni 1577 an den
GroBherzog Francesco, ,, Tasso leide an einer seltsamen Geistes-
krankheit: er glaubt, daB er der Ketzerei schuldig sei und daB man
ihn vergiften wolle . . ."
VI
In Ferrara traf Tasso die Grafin Barbara Sanseverino und ihre
Schwiegertochter Leonora, die Gattin des Graf en Giulio di Scan-
diano, die er bereits in Rom kennen gelernt hatte. Die ganze
Stadt sprach von nichts anderem als von dem Geist, der Liebens-
wiirdigkeit und dem Reiz dieser Frauen, alle Herren am Hofe
waren in sie verliebt, selbst Alfonso; auch der Duca di Parma und
Vincenzo Gonzaga begingen nicht wenig Torheiten, um ihnen zu
TORQUATO TASSO 363
gefallen. Tasso hatte Gelegenheit, Sonette ihnen zu Ehren zu
verfassen, sogar die hangende Unterlippe der Grafin Scandiano
wurde poetisch verklart!
Einer der heiBesten Verehrer der schonen Leonora war Guarini,
der zusammen mit Ascanio Giraldini aus Polen zuriickgekehrt
war; aber Guarini und Tasso iiberzeugten sich bald, daB sie die
Grafin Scandiano nur in Gedichten feiern diirften, da sie einen zu
gefahrlichen Rivalen hatten, um sich allzu kiihn um ihre Gunst
zu bewerben. Dieser Rivale war kein Geringerer als Alfonso selbst.
Tasso trostete sich bald, da die Herzogin eine sehr schone Dami-
gella Olympia hatte, ,,bella e vaga brunetta", ihr weihte er seine
Gefiihle und spendete der Grafin nur Weihrauch. Er neidete aber
der Damigelle, der zu dienen, die einer Gottheit gleicht.
O con le Grazie eletta e con gli Amori,
Fanciulla avventurosa,
A servir a colei che a Dea somiglia.
Als die Grafin spater ein Tochterchen zur Welt brachte, auBerte
Tasso seine Freude in Versen.
Trotz der Liebelei mit Olympia und der Verehrung fur die
Grafin Scandiano ging es dem Dichter immer schlechter, immer
haufiger trat sein Verfolgungswahnsinn auf und unter den Hof-
leuten gait er als jemand, ,,dem etwas fehle". Einen der niederen
Hofbeamten, Ercole Fucci, hatte er ohne Grund ins Gesicht ge-
schlagen; emport dariiber holte Fucci seinen Bruder zu Hilfe und
priigelte Tasso mit dem Stock auf der StraBe durch. Der er-
schrockene Tasso verlieB langere Zeit sein Zimmer nur, wenn er
zusammen mit den anderen Hdflingen den Herzog auf seinen Aus-
flugen begleiten muBte.
Im Februar 1577 ging der ganze Hof nach Comacchio, wo ein
Teil des Karnevals verbracht werden sollte. Die lustige Gesell-
schaft, die aus den Contessen di Sala und Scandiano, mehreren
anderen Damen und Hofleuten, darunter auch unserem Dichter,
bestand, dachte nur daran, Feste zu feiern. Tasso schrieb ein
Lustspiel, das einzige, das er jc verfaBt hat, und die Hofgesell-
schaft fuhrte es auf. Der Herzog selbst gab einen Kellner, die
364 ZWOLFTES KAPITEL
Contessa di Sala hatte die Rolle eines jungen Madchens Lucilla
iibernommen, die Scandiano verkleidete sich als Mann, und Tasso
sprach den Prolog. Das Lustspiel gait als sehr gelungen, ist aber
leider untergegangen; wir hatten den ,,Karnevals"-Tasso daraus
kennen gelernt, mit iibermiitigen Ziigen, die wir sonst nicht an
ihm kennen. Tassos heitere Stimmung hielt nicht lange vor; un-
mittelbar nach seiner Riickkehr in Ferrara klagte er wieder, daB
man ihn verfolge, er litt an diisteren Ahnungen und schrieb dem
Gefahrten seiner Kindertage Guidobaldo, dem Markgrafen von
Mantua, daB er seit acht Monaten in bestandiger Angst lebe, weil
die Hoflinge und Feinde ihm seine Handschriften fortnahmen; er
bat den Markgrafen, ihm einen Diener zu schicken, der gar keine
Beziehungen zu Ferrara habe und dem er absolut trauen konne.
In der zweiten Aprilhalfte beherrschten Visionen und Angstzustande
den Dichter in noch starkerem Grade, er beschuldigte verschiedene
Personlichkeiten beim Herzog, daB sie ihn verfolgten und Be-
ziehungen zu den Ketzern hatten. Aus Furcht, selbst zum Ketzer zu
werden, ging er haufig zur Beichte und verriet dem Inquisitor die
Namen jener Hoflinge, die er des Abfalls beschuldigte. Der Herzog
schickte ihm den Arzt, der ihm blutreinigende Mittel verschrieb,
aber alles war vergebens. Tasso verblieb in seinen religiosen Angst-
zustanden, er glaubte, daB der Inquisitor in Ferrara seine Pflich-
ten nicht gewissenhaft erfulle und begann sich zu einer Reise nach
Rom zu rusten, um ihn dort vor dem Inquisitionstribunal zu
verklagen. Man glaubte, der Inquisitor selbst konne ihn in diesem
seelischen Zwiespalt beruhigen, da er, verniinftig und menschlich
denkend, wuBte, daB Tassos vermeintliche Ketzer und Ketzereien
nur in seiner kranken Phantasie bestanden. Auf die Bitte des
Herzogs nahm er Tasso fur einige Tage zur geistlichen Einkehr
ins Kloster Degli Angeli und suchte dort durch Sanftmut und
Uberredung auf sein allzu empfindliches Gewissen einzuwirken.
Der Monch gab sich Miihe, um dem Dichter das verlorene Gleich-
gewicht wiederzugeben, er lieB ihn beichten, erteilte ihm voll-
kommene Absolution, aber all das niitzte nichts, Tasso fand, daB
man ihn fur seine Siinden foltern miisse; er verdachtigte den In-
quisitor, seine Pflichten nicht streng genug einzuhalten und wollte
TORQUATO TASSO 365
ohne Wissen des Herzogs nach Bologna gehen, urn vor dem
dortigen Inquisitor, den er fur besonders berufen hielt, zu beichten.
Der Herzog konnte nicht ohne weiteres zustimmen; seit den Tagen
der Renata verdachtigte Rom Ferrara wegen religioser Neue-
rungen, und die romische Kurie ging diesem Verdacht urn so lieber
nach, als sie nach Griinden suchte, urn Ferrara den Este zu neh-
men; der Herzog dagegen bemiihte sich, die Nachfolge seinem
Vetter, Cesare d'Este, zu sichern.
Tasso konnte ihm also groBen Schaden zufiigen; ware er nach
Bologna gegangen und hatte vor dem dortigen Inquisitor ferrare-
sische Hoflinge der Ketzerei bezichtigt, so hatte der Inquisitor
sicherlich die ganze Angelegenheit nach Rom berichtet, und es
ware dies ein erwiinschter AnlaB, um gegen die Este vorzugehen.
Im Interesse des Staates und der Dynastie befahl Alfonso, ein
Auge auf Tasso zu haben, damit der geisteskranke Dichter nicht
aus Ferrara entfliehe, im iibrigen gab er ihm in der Stadt vollige
Bewegungsfreiheit. Man muBte jedoch bald strengere Vorsichts-
maBregeln ergreifen. Am Abend des 17. Juni 1577 ging Tasso zur
Prinsessin Lucrezia, um ihr wieder von seinen Angsten und Ver-
dachtsgriinden zu sprechen; als er einen Diener, den er verdach-
tigte, ihn zu bewachen, im Zimmer bemerkte, ergriff er ein Messer
und warf sich auf ihn. Der Diener verteidigte sich, aber dieser
Wutanfall hatte eine strenge Verfiigung zur Folge: der Herzog
lieB Tasso in den kleinen Zimmern der Corte vecchia einsperren,
wahrend er gleichzeitig empfahl, so sanft wie moglich mit ihm
umzugehen; er stellte den Dichter auch unter den besonderen
Schutz des Hofmannes Guidone Cocappani. Cocappani hatte die
Aufgabe, Tasso freundschaftlich von der Notwendigkeit, bewacht zu
werden, zu iiberzeugen, und ihn zu iiberreden, sich in arztliche
Behandlung zu begeben. Nach einigen Tagen beruhigte der Dichter
sich, er bat, aus dem Gefangnis entlassen zu werden und in seine
alte Wohnung zuriickkehren zu diirfen, im iibrigen war er bereit,
sich stets von einem Diener begleiten zu lassen. Seine alte Woh-
nung wurde ihm wieder angewiesen, nur die Fenster wurden ver-
gittert, und nach einiger Zeit erlaubte ihm der Herzog sogar, zu
seiner Zerstreuung nach Belriguardo zu kommen, wo damals der
366
zwOlftes kapitel
Hof weilte. Die zahlreiche Gesellschaft, die sich dort befand, wirkte
nicht gunstig auf den Dichter; er bat den Herzog, ihn nach Ferrara
zuriickkehren und bei den Franziskanern wohnen zu lassen. Al-
fonso hatte nichts dagegen, aber die Franziskaner und Karthauser,
zu denen man sich gleichfalls begab, hatten wenig Lust, sich um
die Pflege eines Geisteskranken zu kummern, daher zogen sich die
Unterhandlungen mit ihnen in die Lange. Unterdessen verschlim-
merte sich Tassos Zustand bedeutend, der Dichter glaubte sich von
seinen angeblichen Feinden bedroht und fiirchtete sich vor Gift
und der Inquisition. In seinen Gewissensnoten schrieb er an das
Inquisitionstribunal nach Rom: der ferraresische Inquisitor habe
ihn als einen Wahnsinnigen und nicht als einen Ketzer behandelt,
infolgedessen fande er den Frieden des Gewissens nicht; er bat,
einen ProzeB gegen ihn anzustrengen und ihm die Moglichkeit zu
geben, sich zu verteidigen. Gleichzeitig setzte er Scipione Gonzaga
von dieser Supplik in Kenntnis und flehte um seine Unterstiitzung
in Rom. Diese Briefe gerieten in Alfonsos Hande, der taktvoll
genug, sie nach Rom schickte und den Kardinal d'Albano bitten
lieB, das Tribunal zu veranlassen, Tasso mitzuteilen, daB es ihn fur
vollkommen unschuldig halte. Ein solcher Urteilsspruch wiirde
den Kranken beruhigen und ihn von den Skrupeln und Angsten
befreien, die ihn qualten. Man schien in Rom genau dariiber
unterrichtet zu sein, daB Tasso kein Ketzer war.
Die Franziskaner erklarten sich endlich bereit, Tasso in ihr
Kloster aufzunehmen, aber obgleich der Pater Agostino Righini,
ein sehr vernunf tiger und guter Mensch, sich gewissenhaft mit ihm
beschaftigt hatte, verdusterte sich der Geist des Dichters immer mehr,
seine Verfolgungsmanie steigerte sich, das Gespenst der Inquisition
lieB ihm keine Ruhe, so daB die Franziskaner die Verantwortung
fur den Kranken nicht langer tragen konnten und den Herzog
baten, ihn irgendwo anders unterzubringen. So wurde der Dichter
wieder in jene Zimmer im Kastell uberfiihrt, die urspriinglich fur
ihn bestimmt waren; zwei Diener hatten fur seine Pflege und
Bewachung zu sorgen.
Aber Tasso war wie viele Geisteskranke, listig genug, um seine
Wachter zu betrugen; er durchbrach die Tiir, die in die Nachbar-
TORQUATO TASSO 367
zimmer fiihrte, und obgleich man seine Abwesenheit sofort be-
merkte, gelang es ihm, aus Ferrara zu entfliehen; er irrte in den
Feldern umher, suchte schlieBlich erschopft Schutz in Poggio
beim Grafen Lamberti und ging von dort aus nach Bologna.
Berittene wurden ihm aus Ferrara nachgeschickt, aber Tasso
hielt sich im Feld verborgen und entging auf diese Weise seinen
Verfolgern. Die Flucht des kranken Dichters beunruhigte den
Herzog und den Inquisitor von Ferrara aufs lebhaf teste; man
ahnte, daB Tasso nach Bologna gehen und dort gegen den Inqui-
sitor Klage wegen seiner lassigen Verfolgung der Ketzer erheben
und den gesamten ferraresischen Hof der Ketzerei bezichtigen
wiirde. Unannehmlichkeiten mit Rom wurden vorausgesehen.
VII
Die Angst des Herzogs war diesmal unbegriindet. Tasso gelangte
am Ufer des Adriatischen Meeres entlang, liber den Apennin
nach Gaeta und fuhr von dort aus mit dem Schiff nach Sorrent,
wo seine verheiratete Schwester Cornelia wohnte. Es wird erzahlt,
daB er erschopft von der Reise, die er unter groBten Beschwerden
zuriicklegen muBte, da er kein Geld hatte, als fremder Pilger
zur Schwester kam, ohne seinen Namen zu nennen. Er iiber-
gab ihr einen Brief des Bruders: er befande sich in der furcht-
barsten Lage und brauche unbedingt Hilfe; erst als er sah, daB
die Schwester den Brief mit Tranen las und bereit war, den
Armsten aufzunehmen, gab er sich zu erkennen.
Die vertraute Umgebung und die veranderten Verhaltnisse
wirkten zuerst giinstig auf den Geist des Dichters, aber bald trat
der Verfolgungswahn aufs neue auf. Er schrieb an Scipione Gon-
zaga und den Kardinal d'Albano und bat, sich fur ihn bei Al-
fonso II. zu verwenden, damit er ihm die gegen seinen Willen er-
folgte Flucht aus Ferrara vergebe, ihn vor seinen Feinden schiitze
und ihm das Manuskript zuriickerstatte, da er die Durchsicht
seines Werkes nunmehr vollenden wolle. Alfonso war zu allem
bereit, aber Tasso, von Unruhe gejagt, wartete das Resultat nicht ab,
368 ZWOLFTES KAPITEL
sondern beschloB, nach Ferrara zu gehen. Zu diesem Zwecke fuhr
er von Sorrent nach Rom, dort suchte er den Gesandten von Ferrara
auf, auBerte sein Bedauern iiber seine iibereilte Flucht aus Ferrara,
bat um Verzeihung und schrieb gleichzeitig einen demutigen Brief
an den Herzog voll Vertrauen in seine Gnade. Alfonso hatte
wenig Lust, in Tassos Riickkehr nach Ferrara einzuwilligen; er
fiirchtete, daB neue Verwicklungen daraus entstehen wiirden, und
antwortete seinem Gesandten, er sei bereit, fur Tassos Unterhalt
zu sorgen, wenn er in Rom bliebe. Damit war der Dichter nicht
zufrieden, er war das hofische Leben schon zu sehr gewohnt, um
auf die glanzende Umgebung verzichten zu konnen; er bat und
drangte deshalb, wieder in den Hofdienst aufgenommen zu wer-
den. Alfonso war endlich bereit, in Tassos Riickkehr nach Ferrara
einzuwilligen, aber er stellte seine Bedingungen: der Dichter musse
einsehen, da3 er krank sei und begreifen, daB seine Annahme,erwerde
verfolgt, nichts als der AusfluB seiner kranken Phantasie sei und
ebenso grundlos wie seine Furcht, der Herzog wolle ihn vergiften;
wenn dem so ware, hatte man sich seiner langst entledigen konnen.
Alfonso verlangte Tassos Versprechen, sich in arztliche Behand-
lung zu begeben; wiirde er dem Arzt nicht gehorchen und die alten
Szenen wiederholen, so musse er Ferrara verlassen. Tasso unter-
warf sich alien Bedingungen, ja er versprach, wie der Gesandte
berichtet, mehr, als von ihm verlangt wurde, um nur wieder nach
Ferrara zurtickkehren zu diirfen. Der Herzog lieB ihn unter der
groBtmoglichen Riicksichtnahme auf seinen kranken Zustand nach
Ferrara schaffen, und ein Bekannter Tassos, der diese Reise mit-
machte, berichtet dem GroBherzog von Toskana, dem Dichter fehle
nichts, als Gehirn im Kopfe.
In Ferrara wurde Tasso im Hause eines Hofmannes unter-
gebracht, sein Essen bekam er aus der herzoglichen Kiiche. Der
Herzog befahl dem Dichter, sich einer Kur zu unterwerfen, die
einige Monate dauern sollte, aber Tasso wurde ungeduldig, wollte
die Vorschriften der Arzte nicht befolgen und fuhr nach Mantua,
um sich in aller Stille um den Dienst am toskanischen Hofe zu
bewerben; er glaubte, daB Vincenzo von Mantua ihm darin helfen
wiirde. Da seine Bemiihungen vergeblich waren, verschleuderte
TORQUATO TASSO 369
er seinen Rubinring und seine goldene Halskette, die einzigen
Kleinodien, die er besaB, fur ein Spottgeld und ging nach Padua,
wo ihn ein friiherer Bekannter, Niccolo degli Oddi, der Prior des
Klosters S. Benedetto novello, aufnahm. Sein Verlangen, an den
toskanischen Hof zu gehen, steigerte sich ins Krankhafte; da er
in Padua niemand fand, der ihn darin fordern konnte, ging er nach
Venedig, in der Hoffnung, sein Freund Venier, ein elender, aber
beim Florentiner Hof gut angeschriebener Dichterling, wiirde ihm
darin behilflich sein konnen. Um dem GroBherzog zu schmei-
cheln, schrieb Tasso eine Kanzone anlaBlich der Geburt eines Kin-
des in der Familie Medici, aber alle Bemuhungen waren umsonst,
der GroBherzog gab Venier schroff genug zur Antwort, ,,er hielte
es fur uberfliissig, Wahnsinnige an seinen Hof zu Ziehen". Als die
Absage eintraf, fuhr Tasso nach Pesaro, zum Herzog von Urbino,
aber auch dort blieb er nur kurze Zeit und machte sich nach Turin
auf, ohne Geld, zu FuB, ,,durch Moraste und Fliisse". Aus Turin
schrieb er an den Kardinal d'Este und an andere Bekannte und
flehte den Kardinal, ihn in seinen Dienst zu nehmen; ohne das
Resultat seiner Bitte abzuwarten, tauchte er plotzlich in Ferrara
auf und begab sich zum Kardinal, der ihn mitleidig und giitig auf-
nahm. Tasso begniigte sich mit der Gunst seines friiheren Pro-
tektors nicht, er wiinschte aufs neue, zum Hof des Herzogs zuge-
zogen zu werden, im SchloB zu wohnen und die gleiche Pension
wie friiher zu beziehen. Ehe er jedoch in dieser Beziehung irgend-
eine Zusicherung erlangen konnte, verlieB er am Abend des 11. Marz
1579 seine Wohnung und lief in groBter Aufregung direkt in den
Palast der Cornelia Bentivoglio, wo er nur Damen, darunter Isa-
bella Bendidio mit ihrer Schwester Lucrezia und ihren Tochtern
fand. In ihrer Gegenwart beschimpfte er den Herzog, die Prin-
zessin und die ganze estensische Familie in ordinarster Weise,
dann verlieB er die erschrockenen Frauen, stiirmte ins SchloB,
wollte die Prinzessin sprechen, verlangte sein Manuskript und
Schutz vor seinen Feinden, die ihn verfolgen und der Ketzerei be-
zichtigen. Als man ihm den Zutritt zur Prinzessin weigerte, ver-
fiel er in noch groBere Raserei und stieB die argsten Beleidigungen
gegen die Este aus. Bei dem ungewohnlichen Larm liefen die
24
370
ZWOLFTES KAPITEL
Hofleute zusammen, und der Herzog befahl, den Dichter ins
St. Annenspital zu bringen, wo man den armen Teufel fesselte, da
man den Gebrauch von Zwangsjacken noch nicht kannte und Tob-
siichtige in Ketten schloB.
Der Spitalshiiter Agostino Mosti, der in seiner Jugend an Lucre-
zia Borgias Hof gelebt hatte und als SpaBmacher von angenehmen
Manieren bekannt war, war ein hochanstandiger Mensch; er war
sehr fromm, ,,amator de la religione", selbst von den Ideen der
Inquisition durchdrungen und verfolgte, wie berichtet wird, die
Ketzer mit dem Eifer eines Katholiken, ,,der in Christus verliebt
ist". Agostino war von edler Cortesia, er zahlte sich zu den Lite-
raten und hat sogar interessante Erinnerungen hinterlassen, die die
damaligen Sitten charakterisieren. Mosti hat sich Tassos ehrlich
angenommen, aber furs erste war dem unglucklichen Dichter nicht
zu helfen ; er warf sich auf seinen Wachter, schlug um sich, und erst im
Mai 1 579, als er sich etwas beruhigt hatte, konnte man ihmzweiZimmer
im Spital anweisen, die zum Teil mit seinen eigenen Geraten, zum
Teil mit Mdbeln aus der herzoglichen Guardaroba ausgestattet waren.
Aus der herzoglichen Speisekammer scheint man ihm auch
Lebensmittel geschickt zu haben, da in den Rechnungsbuchern aus
den Jahren 1580 und 1581 wiederholt der Posten vorkommt: ein
Pfund Butter ,,per il Signore Tasso ammalato"; von 1582 ab erhielt
er sein Essen ganz aus der herzoglichen Kiiche. Der Spitalswein
scheint ihm nicht geschmeckt zu haben, er fand ihn zu schwach
und wendet sich an Mosti:
Ditemi '1 ver: cotesto vostro vino
E forse quel che date a gli ammalati
Perche da' fumi non siano aggravati.
Auch Salat und anderes Gemiise scheint er nicht geniigend be-
kommen zu haben, obgleich alles im Spitalsgarten hinreichend
vorhanden war:
Signor Mosto, il vostr'orto e cosi grande
Che debbe aver raponzoli e lattuca,
Radichi, indivia e quante erbe manduca
Roma e condisse ne le sue vivande.
TORQUATO TASSO 37!
Trotz der Klagen iiber Wein und Salat war Mosti Tassos ehrlicher
Freund, er suchte ihm den unfreiwilligen Aufenthalt im Spital auf
alle Weise ertraglich zu gestalten; auch Mostis Sohn Giulio hat die
Manuskripte des Dichters abgeschrieben und seine Kommissionen
besorgt. Tassos Lage im Spital war vielleicht besser als die so
manches Kranken in einem heutigen Privatsanatorium. Aber der
Dichter wurde nicht mehr gesund und beklagt sich in einem Brief
an Gonzaga, ,,sein Geist sei des Denkens unfahig, seine Phantasie
erlahmt, seine Sinne abgestumpft, und seine Feder wolle ihre
Pflichten nicht mehr tun". Trotzdem schrieb Tasso viel, doch lassen
sich seine Verse den fruheren nicht vergleichen. Zeitweilig ist es
ihm wohl besser gegangen, so durfte er 1580 in Gesellschaft eines
Freundes maskiert am Karneval in den StraBen teilnehmen. um
sich zu zerstreuen.
Wahrend der Dichter in seinen Zimmerchen im Spital einge-
sperrt war, gingen viele seiner Abhandlungen und Gedichte, darunter
auch die ,,Gerusalemme", in Abschrift von Hand zu Hand. Er selbst
hat dazu beigetragen, da er verschiedene Exemplare an Kritiker
versandt hat. Literarische Spekulanten begannen das Eigentum des
Dichters zu pliindern; schon 1579 erschien eine Sammlung seiner
Gedichte in Genua, darunter befanden sich vier Gesange von ,,Gof-
fredo", und einige Monate spater gab Celio Malespina in Venedig
vierzehn Gesange der ,,Gerusalemme" unter dem Titel ,,11 Goffredo"
heraus.
Dies veranlaBte einen anderen Literaten, Angelo Ingegnere, einen
Freund von Tasso, wahrend seines Aufenthaltes in Ferrara im Winter
1579 — 1580, im Laufe von sechs Nachten die ganze Dichtung ab-
zuschreiben und sie in Casalmaggiore 1581 drucken zu lassen,
indem er ihr ihren eigentlichen Titel gab: ,,Gerusalemme liberata",
gegen den Willen des Dichters, der diesen Titel fur wenig geeignet
hielt. Im selben Jahre gab ein anderer Freund Tassos, Febo Bonna,
eine zweite Ausgabe der ,,Gerusalemme" in Ferrara heraus, die sich
auf Tassos eigenes Manuskript stiitzte. All diese Ausgaben erschienen
ohne Genehmigung des Dichters, ja die gewissenlosen Rauber
seines literarischen Eigentums iiberlieBen dem Kranken nicht ein-
mal einen Pfennig aus ihrem Gewinn. Trotzdem kann die Nachwelt
24»
372
ZWOLFTES KAPITEL
den literarischen Freibeutern nur dankbar sein, ohne sie hatten wir
die Dichtung nicht in ihrer urspriinglichen Fassung, unverdorben
durch die spateren Uberarbeitungen und Zutaten, die Tasso auf
Antonianos Veranlassung gemacht hat.
Tasso wuBte von diesen Diebstahlen, die ihn sehr emporten;
iiberzeugt, daB er in seiner Freiheit dies hatte hindern konnen,
klagte er iiber sein ,, Gefangnis", schrieb an all seine einfluBreichen
Bekannten und bat sie, sich beim Herzog daf;:r einzusetzen, daB er
ihn aus seinem Schutz entlasse. In der Stille des Spitals beschaftigten
ihn jedoch die Vorkommnisse bei Hof, und er verfaBte fortwahrend
Gelegenheitsgedichte. Er bekam viel Besuch von Bekannten und
von verschiedenen Beruhmtheiten, so von Aldo Manuzio, seinem
Jugendfreund, den Tasso mit einem Sonett bedacht hatte, und von
Muzio Manfredi, der den Dichter ziemlich ruhig ,,assai in cervello"
befunden hatte. Das einformige Leben schien allmahlich auf Tassos
Gesundheit giinstig einzuwirken, da der Herzog ihm 1582 erlaubte,
bei groBeren Festen zu Hof zu kommen und die Prinzessin Lucrezia
sich ein Jahr spater bemuhte, Tasso die Erlaubnis zu erwirken drei-
mal wochentlich, von einem Freund begleitet, in der Stadt spazieren
zu gehen. Die Besserung hielt aber nicht an, eines Tages entriB Tasso
einem ihn besuchenden Freund den Degen, wohl in der Annahme, daB
er ihn ermorden wolle, ein andermal schrieb er Scipione Gonzaga, er
moge ihm mit einem absolut zuverlassigen Menschen eine Arznei
schicken, da er befiirchte, daB man ihm in Ferrara Gift in die Schach-
tel streue.
Einen aufrichtigen Freund fand Tasso im Monch Angelo Grillo,
der einer bekannten genuesischen Familie angehorte und sich eine
Zeit hindurch in Ferrara aufhielt. Grillo verstand das Vertrauen des
Dichters zu gewinnen, und durch ihn versuchte Tasso bei den Gonzaga
wie beim Kardinal d'Albano seine Befreiung aus dem Gefangnis zu
erwirken. Grillo schrieb nach Mantua und Rom, um Tasso zu helfen,
doch niemals machte er Alfonso einen Vorwurf daraus, daB er Tasso
im Spital festhielt, er war im Gegenteil iiberzeugt, daB Tasso sein ver-
meintliches Gefangnis mehr dem Mitleid als der Strenge des Herzogs
zu danken habe. Tasso hoffte gesund zu werden, ,, durch Luft, — Kost
— jaselbstWeinveranderung, dieseinem Geschmackmehrentsprache".
TORQUATO TASSO 373
Der Kardinal d' Albano setzte sich fiir Tasso bei Alfonso ein,
der Herzog antwortete sehr liebenswiirdig, daB er nur zu gern bereit
ware, den Dichter aus dem Spital zu entlassen, vorausgesetzt, daB
er eine andere Unterkunft fande; einen Kranken aber konne er
nicht schutzlos aus der Stadt entlassen.
Wahrend man sich mit dem kiinftigen Schicksal des Dichters be-
schaftigte, hatte dessen Zustand sich wieder verschlechtert ; in einem
seiner Briefe beklagt er sich, daB er nachts nicht schlafen konne,
nicht wisse, was mit ihm vorgehe, daB der Teufel im selben Zimmer
schlafen miisse, denn er offne seine Schranke und stehle sein Geld.
In diesem Zustand konnte er nicht aus dem Spital entlassen werden.
VIII
Der kinderlose Alfonso versuchte alles, um den Este nach seinem
Tod die Herrschaft in Ferrara zu sichern; zu diesem Zwecke
stiftete er die Ehe seines Neffen Don Cesare mit Virginia de' Medici,
Cosimos I. Tochter. Er hoffte, die beiden machtigen Geschlechter
wiirden sich vereint der Absicht der romischen Kurie, Ferrara als
Kirchengut einzuziehen, leichter widersetzen konnen. Die Trauung
des jungen Paares wurde in Florenz am 6. Februar 1586 festlich
begangen, und Tasso beniitzte die allgemeine Freude, um Don
Cesare zu bitten, sich fiir seine ,,Entlassung aus dem Gefangnis"
beim Herzog einzusetzen. Er hatte jedoch das Ungliick, jedesmal,
wenn er sich um seine Freiheit bemuhte, etwas zu begehen, das
diese Freiheit vereitelte. Am 16. Februar warf er sich mit dem Dolch
auf seinen Freund Constantini, der kaum durch die Tiir zu ent-
kommen vermochte.
Und doch gab es im Jahre 1586 eine Gelegenheit, ihn aus dem
Spital zu entlassen und anderem Schutz anzuvertrauen. Im Juli
kam Vincenzo Gonzaga nach Ferrara und bat den Herzog, Tasso
fiir einige Zeit nach Mantua mitnehmen zu diirfen, da die Luft-
und Ortsveranderung giinstig auf seinen Geisteszustand einwirken
konne. Alfonso gab seine Einwilligung, und Tasso beschloB frohen
Herzens zur Madonna delle Grazie, bei Mantua, zu pilgern, um
374
ZWOLFTES KAPITEL
seiner Beschiitzerin fur die ihm zuteil gewordene Gnade zu danken.
Er hatte es so eilig, Ferrara zu verlassen, daB er weder Biicher noch
Manuskripte mitnahm, und sofort den Bucentaur bestieg, mit dem
Vincenzo Gonzaga nach Mantua reisen sollte. Nach mehr als sieben
Jahren zum erstenmal in Freiheit!
Gonzaga nahm sich seiner ernsthaft an. Er gab ihm ein Zimmer
im SchloB, lieB ihm neue Kleider machen und erlaubte ihm, ihn
jeden Morgen zu besuchen. Tasso war gliicklich, er berichtet
einem Freunde, er habe ein wunderschones Zimmer, und der Herzog
sei sehr liebenswiirdig gegen ihn, nur die in Ferrara verbliebenen
Manuskripte und Biicher beunruhigten ihn. Er bat die Herzogin
Margherita, sein Eigentum einzufordern, doch war nichts mehr
vorhanden, seine Freunde und Verehrer hatten alles zum ,,Anden-
ken" mitgenommen.
Einige Monate ging es Tasso in Mantua besser, die neue Um-
gebung und haufige Ausfluge ins Freie wirkten zerstreuend auf
ihn, aber diese Besserung dauerte wie immer nur kurze Zeit; der
Dichter begann wieder iiber Melancholie und Verlust seines Ge-
dachtnisses zu klagen. Es schmerzte ihn tief, daB seine Altersge-
nossen es in Ferrara zu etwas gebracht hatten, wahrend seine Ge-
sundheit ihn stets gehindert hatte, auch nur die bescheidenste Po-
sition zu erringen; seltsamerweise hat diese Position ihn gelegentlich
mehr beschaftigt, als sein literarischer Ruhm. Sein Streben war
jetzt darauf gerichtet, an seinem Werk zu feilen, einige Abschnitte
auszulassen und seine religiosen Skrupel zu iiberwinden.
Nach einiger Zeit hatte Tasso auch in Mantua keine Ruhe mehr,
er wollte so schnell als moglich fort, entweder nach Genua, wo ihm
Pater Grillo eine Professur fur Ethik verschaffen sollte, oder nach
Neapel, um einen ProzeB wegen der Mitgift seiner Mutter — eine
Forderung von zweimalhundertfiinfzigtausend Scudi — anzu-
strengen. Wieder argerte es ihn, daB er nicht ganz frei war, denn
auf Wunsch des Herzogs muBte er sich stets von einem Diener be-
gleiten lassen, auBerdem fiirchtete er in demfeuchten Klima von Man-
tua krank zu werden. Er ging nach Genua und machte unterwegs in
Borgo Pignolo im Bergamaskischen Halt, um seine Verwandten
zu besuchen. Aber dieser ,,fabbricatore della propria infelicita", wie
TORQUATO TASSO 375
ihn mit Recht einer seiner Biographen genannt hat, hatte das Ziel
seiner Reise noch nicht erreicht, und schon packte ihn die Sehn-
sucht nach dem Leben am Hofe; er ging nach Mantua zuriick, ,,da
er es nicht abwarten konnte, die Hand des neuen Herzogs Vin-
cenzo zu kiissen", der die Regierung nach dem Tode des Vaters
angetreten hatte. Unmittelbar nach seiner Ruckkehr nach Mantua
war er tief verletzt, daB der Herzog ihn noch nicht empfangen hatte,
,,che no ha bacciato ancora le mani al serenissimo signor Duca",
aber bald trostete er sich und verfaBte eine Kanzone zur Kronung
des zweiundzwanzigjahrigen Herrschers. Tasso wollte iiberall ver-
wohnt und geehrt werden, ein gut bezahlter Hofmann, ohne jeg-
liche Verpflichtung sein, und stets fuhlte er sich verletzt und in seiner
Ehre gekrankt.
Als es sich herumsprach, daB der Herzog von Ferrara und seine
Gattin in Mantua erwartet wurden, fuhlte sich Tasso nicht mehr
sicher, er furchtete, Alfonso wurde ihn mitnehmen und ins Spital
stecken; ohne jemand ein Wort zu sagen, ohne sich selbst vom
jungen Herzog zu verabschieden, floh er nach Rom. Der verletzte
Gonzaga wollte ihn durch seinen Gesandten zuriickholen lassen,
da er sich Alfonso gegeniiber fur den Dichter gewissermaBen ver-
antwortlich fuhlte, auBerdem furchtete er, dem Herzog von Ferrara
wurde Tassos Aufenthalt in Rom unangenehm sein. Der damalige
Papst Sixtus V. war gegen die Fremden in Rom auBerordentlich
streng. Er befahl, Tasso keinerlei Schwierigkeiten zu machen, ver-
sagte ihm jedoch jede materielle Unterstiitzung. Tasso kam dies-
mal als gebrochener Sunder, als der gehorsame Dichter der Inqui-
sition nach Rom; er bereute sogar, der Verfasser des ,,Befreiten
Jerusalem" zu sein, und versuchte die Irrtumer seines Lebens
durch Gedichte wieder gutzumachen, die dem Geist der Jesuiten
entsprachen.
Mit Tassos Aufenthalt in Rom im Jahre 1587 beginnt der letzte
Akt in der Tragodie seines Lebens, der Akt, in dem der Mensch sich
der groBen Gaben, die ihm geworden, unwiirdig erweist. Er erklart
ausdrucklich, seine Bestimmung sei ,,piacere e onore" gewesen,
und er wiinsche nichts anderes, als ,, be quern unter den groBten
Wurdentragern" niederzusitzen. Unter dem EinfluB der romischen
376 ZWOLFTES KAPITEL
Umgebung traumt er von geistlichen Wurden und Pfrunden und
bekennt, daB er, da er ,,nicht imstande sei, ein eheliches Biindnis
einzugehen, nur an geistliche Ehren denke." Zuweilen kommen
ihm Zweifel, an der Moglichkeit diese Ehren zu erreichen, in solchen
Augenblicken spielt er mit dem Gedanken an eine reiche Ehe, durch
die er eine materiell gesicherte Existenz erreichen wollte. Als er
erfahrt, daB die Herzogin von Mantua ihm zwei Tiirkisen schenken
will, bittet er schleunigst, ihm an Stelle der Tiirkisen einen Rubin
und eine in Gold gefaBte Perle zu schenken, damit er im Falle einer
Heirat den Verlobungsring bereit habe. Die friiheren Wahnsinns-
ausbriiche kehren nicht wieder, er wird ein ruhiger, nicht von Idea-
len beschwerter Mensch, dessen Geist durch ein widriges Geschick
gebrochen ist, ein Dichter ohne hoheren Flug und Feuer. Er ist
fast bis an den Bettelstab gebracht, borgt von Freunden und Be-
kannten Geld, Biicher, selbst Hemden. Er schreibt Gelegenheits-
gedichte, um Geschenke zu ergattern und gesteht selbst, daB er
,,gezwungen sei zu liigen und Menschen zu loben, die dessen nicht
wert seien", schlieBlich packt ihn der Ekel vor sich selbst. ,,Nichts
bin ich," schreibt er, ,,nichts kann ich, ja ich habe nicht einmal
Wunsche." Gelegentlich fiihlt er seine elendeErniedrigung,klagt iiber
seinen tiefen Fall und schreibt der GroBherzogin von Toskana, sein
Ungliick sei beispiellos und lieBe sich mit niemandes Geschick ver-
gleichen, ,,senza antico esempio e senza nuovo paragone, grande,
inaudita, insolita, miserabile e maravigliosa".
Viele seiner Freunde waren durch seine fortwahrenden Belasti-
gungen und sein Kriechen vor den GroBen verletzt; als er sah,
daB man sich in Rom von ihm zuriickzuziehen anfing, iibersiedelte
er nach Neapel, wo er krank und gebrochen eine Zufluchtsstatte
im Kloster Monte Oliveto fand. Um sich den Monchen dankbar zu
erweisen, verfaBte er ein Gedicht ,, Monte Oliveto", das die Anfange
des Ordens und die Grundsatze der Monche verherrlichte. Dieses
Gedicht sollte seinen heiBen Glauben bezeugen, aber es ist nur ein
unreiner Ton auf einer verstimmten Harfe. Der Dichter hat es dem
Kardinal Antonio Caraffa, dem Protektor der Monche von Monte
Oliveto, gewidmet, und diese Widmung beweist, wie fern Tasso jenen
Tagen steht, da er seinen ,,Rinaldo" dem Kardinal Luigi d* Este
TORQUATO TASSO 377
widmete, jenem Kardinal, der so ganz anders geartet war, als die
Mitgli^der der Familie des furchtbaren Reformators der Inquisition.
In Neapel lebte Tasso etwas auf, da er dort viele Beziehungen
aus seiner Jugend hatte ; auBerdem suchte die gesamte dortige vor-
nehme Welt den Dichter der „Gerusalemme" kennen zu lernen; er
wurde besucht und von den aristokratischen Familien eingeladen;
dann zerstreute und beschaftigte ihn die Hoffnung, den ProzeB mit
der Regierung um sein miitterliches Erbteil zu gewinnen. Der arme
Teufel mufite sich bald iiberzeugen, ,,daB jeder ProzeB ein groBes
Obel sei, und das allergroBte, wenn man die Regierung zum Gegner
habe". Die Hoffnung, die von den Spaniern annektierten Giiter der
Mutter zuriickzuerlangen, erwies sich als aussichtslos.
Unbestandig wie immer, kam Tasso nach Rom zuriick und war
von jetzt ab abwechselnd in Rom, Bologna, Florenz, Mantua und
Neapel, er ging von Kloster zu Kloster, von Spital zu Spital, haufig
schwer krank, bettelnd und seinen Bekannten so sehr zur Last
fallend, daB der eine ihn verachtlich ,,questo semiuomo" nannte.
Trotz des vermeintlichen Unrechts, das ihm in Ferrara ge-
schehen war, versuchte er wieder hinzugehen und wandte sich
wiederholt an den Herzog. Er schrieb ihm im Dezember 1594:
wenn man Vergangenes ausloschen konne, so wiirde er nichts so
sehr wiinschen als einen Dienst an seinem Hof. Er fleht den Herzog
an, sich seiner zu erbarmen, und bittet Gott, Alfonso moge ihm ver-
zeihen. Aber der Herzog wollte sich nicht neuen Unannehmlich-
keiten durch den Dichter aussetzen.
IX
Auf Tassos letzte Lebensjahre fiel noch ein Schimmer von Gliick,
wenn man in seiner traurigen Lage von Gliick sprechenkann. Nach
langen Kampfen hat er sich der neuen Gesellschaft angepaBt und
nicht langer unter dem geistig engen Horizont gelitten; er schrieb
ein zweites ,,frommes" Jerusalem und verfaBte Monchsgedichte
wie die ,,Vita di S. Benedetto". Sein Dichterruhm begann ihm die
Tore der Palaste zu offnen, in denen man sich im Glanz der Wissen-
378
ZWOLFTES KAPITEL
schaft und Poesie sonnen wollte. So lud ihn in Neapel der Principe
di Conca zu sich ein. Tasso sah fiir einen Augenblick seine Wlinsche
erfullt: er wohnte in stolzen Gemachern, geschmiickt mit Bildern
von Raffael, Tizian, Battista Dossi und Sebastiano del Piombo; er
hatte eine reiche Bibliothek und eine Dienerschaft in kostbarer
Livree zu seiner Verfugung. Um seine Freundschaft bewarb sich
auch ein anderer vermogender Neapolitaner Manso, der spater seine
Biographie verfaBt hat und jeden Augenblick bereit war, ihn in seine
schon gelegene Villa aufzunehmen. Der mangelnde Takt des Fiirsten
Conca trug dazu bei, die Wiinsche des gelehrten Macens schnell zu
verwirklichen. Der Furst verlangte zu heiB und hartnackig, daB die
,,Gerusalemme conquistata" unter seinem Patronat erscheine, damit
dieser Ruhm seinem Haus zufalle. Da er Tassos unbestandigen
Charakter kannte, fiirchtete er, der Dichter konne trotz der ihm
gebotenen Bequemlichkeiten Neapel mit seinem Manuskript ver-
lassen oder sich um eine andere Protektion bemiihen. Er teilte ihm
einen Diener zu, der moglichst unauffallig daniber zu wachen hatte,
daB der Dichter seinen Schatz, die ,,Gerusalemme", die schon zu
einem umfangreichen Buch angewachsen war, nicht aus dem Pa-
last entferne. Der Diener hat seine Pflicht allzu eifrig erfullt, so daB
der miBtrauische Tasso der besonderen Obhut gewahr wurde, unter
der er stand, und Manso davon in Kenntnis setzte. Die Freunde
beschlossen, dem Fiirsten das Ungehorige seines Benehmens zu
zeigen; eines Tages kam Manso zu Tasso, nahm die Handschrift
in die eine Hand, die andere gab er dem Dichter und geleitete ihn
in seine Villa. Der Diener, vor Schrecken starr, berichtete seinem
Herrn, was geschehen war, aber Furst Conca gab vor, daB ihn die
Ubersiedlung des Dichters mit dem Manuskript zu Manso nichts
angehe. Bei Manso verbrachte der Dichter die angenehmste Zeit
seines Lebens, seine Wiinsche waren erfullt: ,,sedere con nobilis-
simi cavalierie", da in Mansos Haus alle Beriihmtheiten Neapels
verkehrten. Er begann damals den ,,Mondo Creato" zu schreiben,
eine Dichtung von der Schdpfung der Welt, mit der er die in der
,,Liberata" begangenen Fehler gutmachen, sich von den ketzerischen
Siinden seiner Jugend reinwaschen, und das Bekenntnis eines unver-
bruchlichen Glaubens niederlegen wollte. Die an Heinrichs III. Hof
TORQUATO TASSO 379
viel gelesene franzosische Dichtung ,,La sepmaine ou creation du
monde" von Wilhelm de Saluste Du Bartas, hat ihn sicherlich zu
diesem Werk angeregt. Tassos umfangreiche Dichtung in fliefienden
Versen, voll philosophischer Betrachtungen, erkaltet durch ihre
niichternen Erwagungen und entspringt keinem inneren Bediirfnis,
ex abundantia cordis. Trotzdem fand er eine Reihe von Nach-
ahmern im Italien des XVI. und XVII. Jahrhunderts und hat Milton
zu seinem „Verlorenen Paradies" angeregt. Milton war als DreiBig-
jahriger in Neapel, und ein Einsiedler hat ihn mit Manso bekannt
gemacht. Der junge Englander und der alte Neapolitaner haben
sich gut verstanden, sie haben lateinische Verse, von gemeinsamer
Bewunderung iiberflieBend, ausgetauscht, und Milton hat in seinem
Epos Manso als Freund und Biographen Tassos gefeiert:
Te pridem magno felix concordia Tasso
Iunxit et aeternis inscripsit nomina chartis.
Wahrend Torquatos Aufenthalt in Neapel wurde der Kardinal
Ippolito Aldobrandini zum Papst als Klemens VIII. gewahlt. Diese
Nachricht erfullte den Dichter mit neuer Hoffnung, er kannte Aldo-
brandini und rechnete darauf, daB der Papst sich seiner annehmen
wurde. Es duldete ihn nicht langer in Neapel, er ging am 26. April
1592 nach Rom, wo ihn der papstliche Neffe Cincio Passeri Aldo-
brandini mit viel Wohlwollen empfing. Cincio hatte in seinem Hause
eine Akademie begriindet, die Mitglieder wohnten und aBen bei ihm,
und man kann sich vorstellen, wie begliickt die Literaten iiber diesen
neuen Macen waren und wieviel Abhandlungen und Gedichte ihm
gewidmet wurden. Cincio lud auch Tasso zu sich ein, doch war
seine Gastfreundschaft nicht ganz selbstlos, da der ruhmsuchtige
papstliche Nepote ebenso wie der Fiirst Conca und der Marchese
Manso wiinschte, daB die ,,Conquistata" unter seinen Auspizien
und in seinem Haus beendet und gedruckt wiirde.
Wahrend Tasso sein Epos iiberarbeitete, schrieb er ein
kurzes Gedicht ,,Le lagrime di Maria Vergine", zu dem ihn
ein schones Madonnenbild, vermutlich von Diirer, angeregt hat:
Eine Mutter Gottes in heiBem Gebet, deren Augen Tranen ent-
stromen.
380 ZWOLFTES KAPITEL
Obgleich Torquato im Vatikan ein schones Zimmer mit Ausblick
auf den Garten hatte, krankelte er fOrtwahrend und war unzu-
frieden. Aber seine Eitelkeit war befriedigt, da er haufig mit Kar-
dinalen und romischen Beriihmtheiten speiste. In einem Briefe an
Fabio Gonzaga gesteht er, der einzige Trost im Fieber, das ihn
kaum verlasse, seien die Ehrenbezeugungen, die man ihm im Va-
tikan erweise und die man ihm anderwarts, in Mantua z. B., vor-
enthalten habe. So nahm er an einem Mittagbrot mit mehreren
Kardinalen teil, und war der einzige Hofmann im ganzen Palast,
den man dieser Ehre fur wiirdig befunden hatte. Ahnliche Riick-
sichten wurden ihm zuteil in den Hausern der romischen Magnaten:
der Colonna, Orsini und Gaetani. Stets unzufrieden, sehnte er sich
aus dem Vatikan nach Neapel, wo er durch Seebader zu gesunden
hoffte. Er verschob seine Abreise nur, da er auf die Ernennung
Cincio Aldobrandinis zum Kardinal wartete; diese Feier wollte er
durch seine Dichtung, die dem kiinftigen Kirchenfiirsten gewidmet
war, verherrlichen. Cincio sejnerseits hatteTasso versprochen, ihn auf
dem Kapitol mit dem Dichterlorbeer kronen zu lassen. Tasso war in
Erwartung dieser Ehre so sehr vom Gefiihl seiner GroBedurchdrungen,
daB er nur mit goldner Halskette und dem Degen an der Seite auf
die StraBe ging und sich dem allgemeinen Spott aussetzte.
Am 17. September 1593 ernannte der Papst endlich den Sohn
seines Bruders Pietro Aldobrandini und Cincio, den Sohn seiner
Schwester, zu Kardinalen. Der letztere nannte sich Kardinal di
San Giorgio, um sich von Pietro, der den Familiennamen Aldo-
brandini behalten hatte, zu unterscheiden. Tasso veroffentlichte
seine Dichtung ,,Gerusalemme conquistata", doch machte sie den
erwarteten Eindruck nicht, sie war zu sehr Antonianos einstigen
Wiinschen entsprechend auf Monche und Nonnen zugeschnitten.
Die Dichtung hat viel boses Blut in Ferrara gemacht, da Tasso die
an die Adresse der Este gerichteten Komplimente wieder ge-
strichen hat. Alf onsos Geiz war nach Tassos eigener Aussage daran
schuld, da er sich geweigert hat, dem Dichter fur sein Lob klingen-
den Lohn zu bezahlen.
1593, nach dem Erscheinen der „Gerusalemme", ging Tasso
nach Neapel zu den Benediktinern ins Kloster San Severino. Er
TORQUATO TASSO 381
schrieb dort viel Gedichte von geringer Bedeutung, besuchte alte
Bekannte und ging haufig in Gesellschaft. Sehr befreundet war er
mit Monsignore Stanislas Reszka, dem Gesandten der polnischen
Kdnige Stefan Batory und Sigmund III. am neapolitanischen Hofe.
Tasso muBte Reszka schon friiher in Rom oder Neapel kennen
gelernt haben und hat ein Sonett an ihn gerichtet, das zu Beginn
des XIX. Jahrhunderts vom Marchese Gian Giacomo Trivulzio
veroffentlicht wurde. Sebastian Ciampi, der polnisch-italienischen
Beziehungen nachgegangen ist, hat es in seinem am 2. Juni 1828
an Visconti gerichteten Brief nachgedruckt. Es lautet:
Napoli mia, che a peregrini egregi
Cedesti la corona e'l proprio regno,
E fermasti a gran sede alto sostegno
Del gelato aquilon traslati i regi;
Par non avesti con piu eccelsi fregi
D' eterna fama e d'onorato pegno
Di vera pace o pur d'arte e d'ingegno
Di sermo e di valor, si rari pregi;
Mentre il buon Rescio e teco e in te s'accoglie
Ah! la gloria d' Europa in lue ci serba,
Se del publico cuor hai cura e zelo.
Onda salubre, e caldo fonte, ed erba
Sgombri al saggio signor le ingiuste doglie;
Ch'ei ti placa la terra e placa il cielo.
Reszka empfing viel literarische Beriihmtheiten in seinem
Hause, auch Tasso war ein haufig gesehener Gast und las dort seine
Gedichte vor. Ein Exemplar seiner ,,Gerusalemme conquistata"
hat er Reszka in sehr schmeichelhafter Form gewidmet:
Al sig. Stanislao Rescio nuncio illustrissimo
Rescio, s'io passero l'alpestre monte
Portato a vola da' toscani carmi
Giunto, diro con vergognosa fronte,
382 ZWOLFTES KAPITEL
Dove ha tanti il tuo re cavalli et armi
Altri di Voi gia scrive altri racconte
Le altere imprese e le scolpisca in marmi;
Ne' taccia a tanti pregi onde rimbomba
Non minor fama la gia stanca tromba.
Das Exemplar der ,,Conquistata" mit dieser Widmung befand
sich im Jahr 1828 im Besitz der Buchhandlung Giovanni Battista
Petrucci in Rom; der Englander Graf Guilford hat es dort erworben.
Der jetzige Aufenthaltsort des kostbaren Exemplars ist unbekannt,
wahrscheinlich ist es in einer englischen Privatsammlung zu finden.
Der erste Vers der oben angefiihrten Ottave brachte Ciampi auf
den Gedanken, Tasso habe die Absicht gehabt, nach Polen zu reisen
und dort das Gliick zu suchen, das er in der Heimat nicht finden
konnte. Aber schon Guasti hat in seinen Briefen darauf hingewiesen,
daB sich dieser Vers nicht auf Tasso selbst, sondern auf seine Werke
bezieht, die iiber die Alpen nach Polen dringen wiirden; Guasti hat
wohl recht, denn die Annahme, der kranke, dem Grabe so nahe
Tasso konne im Ernst den Gedanken erwogen haben, in das so feme
Polen zu gehen, ist wenig iiberzeugend. Wahrscheinlich war dieser
Vers nur eine der vielen Hdflichkeitsphrasen, von denen die da-
malige Poesie wimmelt.
Tassos wartete ein naheres Ziel: seine letzte Reise nach Rom.
Der Kardinal Cincio war urn seine Gesundheit besorgt, er glaubte,
der Dichter konne im Vatikan mehr Bequemlichkeiten, als bei den
Benediktinern in Neapel finden, er lud ihn daher nach Rom ein
und schickte ihm fiinfzig Scudi fur die Reise. Tasso traumte von
der Kronung auf dem Kapitol in Rom, er machte eine Reihe wert-
loser Gedichte, wohl mehr aus Gewohnheit, als aus innerem
Drang, und erkrankte im Marz 1594 sehr schwer. Er wiinschte aus
dem Vatikan in das Kloster S. Onofrio in Gianicolo gebracht zu
werden, da die Arzte ihm die dortige Luft empfohlen hatten. ,,Dort
an diesem hochgelegenen Ort werde ich", sagte Tasso, ,,Gesprache
mit den Monchen von St. Onofrio fiihren, die im Himmel enden
werden." Er hatte sich fiir jenes Kloster auch deshalb entschieden,
weil seine Mutter von der Familie Gambacorta, den friiheren Des-
TORQUATO TASSO 383
poten Pisas, abstammte, und Pietro Gambacorta der Griinder des
Eremitenklosters des heiligen Girolamo gewesen war.
Der Zustand des Dichters verbesserte sich im Kloster nicht, er
war Fieber- und Wahnsinnsanfallen unterworfen, schlug mit dem
Pantoffel nach dem Arzt und zwang den Diener, die Medizin aus-
zutrinken, im Glauben, daB sie vergiftet sei. Der Kardinal Cincio
erwies ihm viel Freundlichkeit, gab ihm zwei Diener, schickte
seinen Arzt und kam fur alle Wunsche des Dichters auf. In seinen
letzten Tagen war Tasso sehr verandert, er wurde sanft, be-
reitete sich fur den Tod vor und bat, im Kloster S. Onofrio
beigesetzt zu werden. Am 25. Marz 1594 starb er mit den
Worten: ,,In manus tuas Domine"... die er nur noch stammeln
konnte.
Tasso war groB, mager, und dunkelblond; er hatte sparliches
Barthaar, eine groBe Nase, groBe Augen und blasse Lippen; seine
langen Hande und FiiBe machten ihn ungeschickt. Er sprach
langsam, stotternd und wiederholte die letzten Worte eines Satzes
haufig. Er hat nicht leicht geschrieben, viel gestrichen und seine
Verse zehnmal und noch mehr durchgefeilt. In seinem Dialog
iiber ,,die Liebe" gesteht er Marfisa d' Este, die um ein Sonett ge-
beten hatte, seine Gedichte kosteten ihn SchweiB. Manso erzahlt,
Tasso habe voller Neid in Neapel den Improvisatoren auf der StraBe
gelauscht und sich gewundert, daB ihnen die Verse so leicht zu-
flossen. Dennoch war er der fruchtbarste Dichter des XVI. Jahr-
hunderts.
Tasso hatte eine Vorliebe fur Luxus, Glanz und rauschende Feste,
er war ein groBer Feinschmecker und ein leidenschaftlicher Be-
wunderer kostbarer Steine, iiberhaupt iibten Kleinodien einen
magischen EinfluB auf ihn aus. Wahrend einer schweren Krank-
heit hat er seine Freunde angefleht, ihm einen Smaragd zu schenken,
da er der Oberzeugung war, daB ihn der EinfluB dieses Steines ge-
sund machen wiirde. Am ferraresischen Hof hat er eine gewisse
Wurde angenommen und beobachtete eine Etikette, die zu seinem
kriecherischen Wesen den Vornehmen gegenuber nicht immer
paBte. Der Meister vollendeter Form in der Poesie hatte nur wenig
ehrliches, tiefes Empfinden, und man kann von ihm sagen, daB er
384 ZWOLFTES KAPITEL
zwar haufig aus Liebe gestorben ist, aber immer nur in seiner Ein-
bildung. Seine Devise konnte Boileaus Wort sein:
Et toujours bien mangeant mourir par metaphore.
Als die fiinfzigjahrige Catherina de' Medici ihm 1571 ihr Por-
trait geschenkt hat, hat er ein gliihendes Sonett an sie gerichtet, und
solche Sonette mit kiinstlichen Empfindungen sind nicht eben selten
bei ihm.
Tassos Geisteskrankheit begann, wahrend er an seinem ,,Be-
freiten Jerusalem" gearbeitet hat, damals als er den ungleichen
Kampf mit der Inquisition aufnahm. Bis in den Anfang des XVII.
Jahrhunderts hatte die gesamte literarische Welt die Ursache seiner
religiosen und Verfolgungsmanie gekannt, die sich infolge phy-
sischer Erschdpfung und geistiger Uberanstrengung steigerte. Zum
Verfall seiner Hrafte trug noch bei, daB er, Gift in den ihm vorge-
setzten Speisen argwohnend, haufig sehr starke Mittel als Gegen-
gift gebrauchte, die zerstorend wie Gifte wirkten. So vergiftete er
sich allmahlich.
Die neue Generation im XVII. Jahrhundert, die Tasso nicht
mehr gekannt hat, wollte nicht glauben, der Verfasser des ,,Be-
freiten Jerusalem" und der ,,Aminta" sei geisteskrank gewesen, des-
halb begann man nach Griinden zu forschen, die das Ungluck
seines Lebens hatten verschulden konnen. Man ersann einen Ro-
man, der sich zwischen ihm und der Prinzessin Leonora d'Este
abgespielt und Alfonso veranlaBt haben sollte, ihn im Gefangnis
und spater im Annenspital unschadlich zu machen. Tassos erster
Biograph, Manso, hat diese Erzahlung der Nachwelt iiberliefert, und
zwei Jahrhunderte hindurch wurde sie von den verschiedensten
Biographen des Dichters, von Italienern, Franzosen, Deutschen
und Englandern kritiklos ubernommen. Erst gegen Ende des
XVIII. Jahrhunderts, als man die estensischen Archive zu erforschen
begann, iiberzeugte man sich, daB Tassos Geisteskrankheit und
nicht irgend ein Roman der Grund seiner Uberfiihrung ins
Spital gewesen war. Der italienische Literarhistoriker Tiraboschi
hat die Dinge auf ihr wirkliches MaB zuriickgefuhrt; aber der
Roman zwischen Tasso und Leonora war schdner als die Wirk-
TORQUATO TASSO 385
lichkeit, Goethe hat ihn als Grundlage fur sein Drama benutzt,
und angesichts dieses Meisterwerks ist die Kritik aufs neue ver-
stummt, besonders da man sich auch in Italien nicht beeilt hat,
die Legende richtig zu stellen, die Tassos poetisch verklarter Gestalt
besser als die Wirklichkeit entsprach.
Erst Victor Cherbuliez hat 1863 in seinem Roman „Le prince
Vitale" Tasso so aufgefaBt, wie er aufgefaBt werden soil. Tasso hat,
nach der Schilderung des franzosischen Novellisten, zu seiner Ver-
zweiflung entdeckt, daB er nicht der Mann seiner Zeit sei, und diese
tragische Entdeckung hat seinen Charakter gebrochen und seinen
Geist getriibt. Der Mensch der Hochrenaissance war verurteilt, in
jenem Italien zu leben und zu schreiben, das unter dem Einflufl
des tridentinischen Konzils, der Inquisition und der Jesuiten der
Hort der Reaktion geworden war. Tassos Mutter, die Kultur der
Renaissance, hat in ihrer Todesstunde ihm, ihrem letzten Sohn, das
Leben geschenkt; der Nachgeborene traumt von ihr, hofft sie noch
am Leben zu finden, bis er in Rom auf den Stufen des Vatikans an
Stelle der Renaissance, eine furchtbare, erhabene Gestalt sieht,
die ihm zuruft: ,,ich bin die Inquisition".
Tasso gehort zu den Genies der Cbergangszeiten, die die Gegen-
wart nicht begreifen und nicht mit ihrem eigenen Ich vereinen
konnen. Durch sein Leben geht wie durch das Byrons oder Leo-
pardis ein tragischer Bruch.
X
1585 und in den folgenden Jahren, wahrend Tasso im Spital
eingesperrt war, gab es eine lebhafte Polemik unter den Literaten
Italiens iiber den Wert des ,,Befreiten Jerusalem". Es wurde mit
Ariosts ,, Orlando" verglichen; man stritt, welches Werk schoner
sei, welchem der beiden Dichter der hohere Rang in der Geschichte
der epischen Poesie gebiihre; es gab ,,Apologien", ,,Repliken" und
,,Contrarepliken"; in Broschiiren, die mit der Leidenschaft der
Renaissance geschrieben wurden, beschimpfte und beleidigte man
sich in einem solchen MaBe, daB es zwischen Florenz und Ferrara
*5
386 zwOlftes kapitel
beinahe zu einer diplomatischen Aktion gekommen ist. Die kiirzlich
begriindete florentinische Akademie ,, Delia Crusca" warf sich zu
Ariosts Verteidigerin auf, gab eine „Difesa del Orlando Furioso"
heraus und beschuldigte die Gegner, Tassos Werk nur deshalb hoher
zu stellen, weil sie von Alfonso II. erkauft seien und ihm nach dem
Mund reden wollten.
Diese Polemik hat den eingesperrten Dichter aufs auBerste ge-
reizt, um so mehr, als er von seinen Gegnern recht unangenehme
Bemerkungen zu horen bekam; sie behaupteten, die ,,Gerusalemme"
ware ein trockenes, schlecht aufgebautes Werk, dem es an dichte-
rischem Schwung fehle, ein langweiliges, geschmackloses Epos.
Es war dies iibrigens nicht die Ansicht boshafter Kritiker allein,
Galilei, der sich auch lebhaft fur Literatur interessierte, hat be-
hauptet: ,,Tasso sage Worte, Ariost Dinge". Uberhaupt hat die
,,Liberata" zu Beginn mehr scharfe Kritik als Lob gefunden, trotz-
dem sie sehr viel gelesen wurde und vielen Dichtern als Vorbild
gedient hat. Allmahlich wurde sie neben dem ,,Furioso" Italiens
popularste Dichtung, und es gibt kaum einen Winkel in Italien,
wo man nicht Abschnitte daraus aus dem Gedachtnis rezitiert.
Das Ratsel dieser Popularitat lost die Musik der Verse, die Schonheit
der Ottaven, deren Wohllaut jeden Italiener durchdringt, denn er
hort seine Muttersprache in ihren melodischsten Klangen. Eine
lyfisch-sentimentale Note, eine krankhafte Sinnlichkeit, die der
Stimmung des Modernen entspricht, klingt in den Versen an. Tasso
schrieb, als sich der Geist der modernen Gesellschaft zu regen begann;
in der ,,Gerusalemme" spurt man das erste Zittern neuer Gedan-
kenschwingungen, und so wurde sie gewissermafien zur sehnsiich-
tigen Wiege der heutigen Kultur. Sie wurde dies namentlich des-
halb, weil Tasso trotz seines Verlangens episch zu bleiben und Homer
nahe zu kommen, seinen personlichen Empfindungen und Vorstel-
lungen Worte leiht. Tassos Geist war blendend, schillernd, mit
einem Hang zur Mystik, und sein Gedicht wirkt wie ein im Licht
bewegter Opal, es zieht an und verbreitet eine Art magischer At-
mosphare. Was uns heute in der ,,Gerusalemme" stbrt, ist ihr
Mangel an Einfachheit, man empfindet das nahende Barock mit
seinen Obertreibungen. Tasso stand unter dem Einflufi dieser
TORQUATO TASSO 387
Zeitstromung, und so enthalt sein Gedicht viel leere Deklamation,
rhetorische Phrasen und iiberfliissige Zutaten.
Vergleicht man Tassos und Ariosts politische Anschauungen,
so ergibt sich bei Ariost das Kaisertum als einigende Macht; das
ganze christliche Europa schart sich unter der Flagge des Impe-
rators, um die Oberfalle der Sarazenen zuriickzuschlagen, wahrend
das Kaisertum bei Tasso als weltverbindende Gewalt bereits schwin-
det und dafiir die christliche Ritterschaft im Namen der Religion
mit den Unglaubigen kampft. An Stelle des Kaisertums ist die
Kirche das einigende Band der Volker. Rinaldo driickt das Emp-
finden der estensischen Guelfen aus:
S'oppone aU'empio Augusto e'l doma:
E sotto l'ombra degli argentei vanni
L'aquila sua copre la chiesa e Roma.
Diese Anschauung ist das natiirliche Ergebnis des Druckes,
der auf Italien unter der schweren kaiserlich-spanischen Faust
lastete. Rom allein scheint berufen, die Volker zu sammeln.
AuBer dem ,,Befreiten Jerusalem" hat kein Werk Tassos einen
solchen Erfolg wie das Schaferidyll ,,Aminta" gehabt, das zu den
grbBten Schatzen der italienischen Literatur des XVI. Jahrhunderts
gehort. Die Renaissance hat die antike Bukolik wieder zu Ehren
gebracht, man begann Theokrits Idyllen und Eklogen nachzu-
ahmen; schon Boccaccio hat den Schaferroman in seinem ,,Ameto"
eingefiihrt und bekannte Personlichkeiten im Hirtengewand auf-
treten lassen. Diese Form der Poesie war der Kritik und der Schmei-
chelei gleich willkommen, antike Hirten traten auf, aber sie sprachen
wie moderne Menschen, um deren Anschauungen es dem Dichter
zu tun war. Die Schmeichelei im Munde dieser Idealgestalten
wirkte nicht zu plump, die Kritik nicht zu personlich. Was Wunder
also, wenn sich diese Art der Poesie schnell eingebiirgert hat, und
wenn namentlich gegen Ende des XV. Jahrhunderts eine Tendenz
zum Dialog, zum Drama sich geltend macht. Schon Serafino
Aquilano hat in einer Ekloge die Verderbnis und den Geiz der
romischen Kurie gegeiBelt; sie war gegen Innocenz VIII. gerichtet
und erschien unter dem Patronat des Kardinals Giovanni Colonna.
*5*
388 zwOlftes kapitel
Um 1506 hat eine dramatisierte Ekloge ,,Tirsi" am Hof von Urbino
viel von sich reden gemacht; ihre Verfasser waren zwei bekannte
Hofleute Baldassare Castiglione und Cesare Gonzaga. Castiglione
hat sich selbst in der Gestalt Jolis und Gonzaga in der Gestalt Da-
metos geschildert; iiber den Hof von Urbino und die Hofleute er-
gossen die Verfasser ein Fiillhorn geschickter Komplimente. Na-
mentlich die als Galatea gefeierte Herzogin Elisabetta durfte zu-
frieden sein, auch der in Urbino anwesende Bembo brauchte sich
nicht zu beklagen. In Ferrara wurden im Februar 1508 drei Eklogen
aufgefiihrt, ihre Verfasser waren Ercole Pio, Antonio dell'Organo
und Tebaldeo. Diese Art der Poesie gliederte sich dem Drama
immer mehr an; trotz ihrer pastoralen Anfange wurde sie immer
aristokratischer und hofischer, da sich diese Auffuhrungen be-
sonders fur kostbare Dekorationen und gewahlte Diktion eigneten.
Auf diese Weise entstand eine neue Art theatralischer Auffiih-
rungen, besonders geeignet zur Verherrlichung der Feste in Ferrara,
Urbino und Mantua, wo ein literarisches Feinschmeckertum bliihte.
In Hirtengewandern traten diese Gestalten auf die Biihne, die in
gedrechselten Redensarten miteinander verkehrten; ernsthafte po-
litische Elemente wurden mit Humor und Ausgelassenheit ver-
quickt, Szenen ergaben sich, die Castigliones ,,Hofmann" nicht
unahnlich waren. Die Fiirsten belustigten sich an diesen Dramen,
die Gelegenheit genug boten, um ihrer Eitelkeit zu schmeicheln
und sie auf der Biihne gleich Gottern zu feiern.
Das Stuck bestand zumeist aus fiinf Akten und einem Prolog,
auch fehlte der in die Handlung eingreifende Chor von Hirten,
Jagern und Nymphen nicht. Eine gewisse Empfindsamkeit, die die
Gesellschaft der ausgehenden Renaissance kennzeichnet, ein gewisser
widerwartiger Klang gemachter Liebe, wie in den Sonetten der Petrar-
kisten, fand sich in den Schaferspielen und sprach die hofische Gesell-
schaft besonders an. Es war so suB, den Klagen der Hirten zuzuhoren:
El dulce lamentar de los pastores
wie bei einem Nachahmer von Sannazaros ,, Arcadia" zu
lesen ist, einem der Hauptvertreter des Idylls im XVI. Jahr-
hundert. Schon bei ihrem Beginn enthielt diese Art drama-
TORQUATO TASSO 385
tischer Poesie in ihren Klagen, ihrer Empfindsamkeit und Ein-
tonigkeit die Zeichen des Verfalls. Namentlich der ferraresische
Hof hatte eine Vorliebe fur das Schaferspiel ; die Auffiihrungen
wurden ebenso sorgfaltig vorbereitet wie einst die klassische
Komddie unter Ercole. Epoche machte die Auffiihrung von Giovan
Battista Giraldis Schaferspiel „L' Egle", das weder Tragodie noch
Lustspiel, sondern Drama sein sollte; infolge der vielen einge-
flochtenen Satiren nannte es der Dichter ,, Satire". Giraldi wollte
Euripides' satirisches Drama neu beleben, aber er kam zu etwas
anderem, indem er Arkadiens Gotter und Halbgotter einfiihrte.
„Egle" wurde im Winter 1545 im Hause des Verfassers aufgefiihrt,
im Beisein Ercoles II. und des Kardinals Ippolito. Die Musik hatte
Antonio del Cornetto verfaBt, die Dekorationen Girolamo Carpi
gemalt. Neun Jahre spater, am 4. Marz 1554, wurde eine ahnliche
Novitat aufgefiihrt: ,,11 sacrificio, favola pastorale" von Agostino
de' Beccari, und 1563 wurde im Palazzo Schifanoja die „Aretusa"
gespielt, eine pastorale Komddie von Alberto Lellio mit Musik. Es
folgten Auffiihrungen verwandter Komodien, wie z. B. Agostino
Argentis ,,Sfortunato", aber sie wirken alle wie Vorstudien fur
Tassos ,,Aminta", das bedeutendste Werk dieser Gattung. ,,Aminta"
wurde zum erstenmal im SchloB Belvedere in Alfonsos II. Gegen-
wart und im Beisein des gesamten Hofes aufgefiihrt und fand all-
gemeinen Beifall. Verschiedene Einzelheiten, die sich auf allbe-
kannte Personlichkeiten bezogen, fesselten aufs lebhafteste, so die
Anmerkungen gegen Speroni, gegen jenen gelehrten, aber sehr
hochmutigen und scharfen Kritiker, der dem Verfasser des ,,Be-
freiten Jerusalem" durch seine pedantischen Bemerkungen nicht
wenig Arger bereitet hatte. Tasso nannte Speroni Mopso, und Aminta
charakterisiert ihn folgendermaBen: „Sie hat Grund genug, iiber
ihr Schicksal zu verzweifeln, denn der kluge Mopso hat ihr eine
diistere Zukunft prophezeit, jener Mopso, der die Sprache der
Vogel versteht, die Heilkraft der Krauter und Quellen kennt, der
alles weiB, was in der Vergangenheit und Gegenwart geschehen und
womit die Zukunft schwanger ist."
,,Von welchem Mopso sprichst du?" antwortet Tirsi, ,,von jenem,
der Honig im Mund, Verrat im Herzen und ein Messer unter dem
390 zwOlftes kapitel
Mantel fiihrt? Fiirchte dich nicht, denn jene falschen, unheil-
kiindenden Prophezeiungen, mit denen er schreckt, gehen, wie aus
Erfahrung bekannt, in den seltensten Fallen in Erfiillung."
Der letzte Satz bezieht sich auf Tassos personliche Erfahrungen.
Als der Dichter zum erstenmal einige Gesange seines ,,Befreiten
Jerusalem" am ferraresischen Hof 1571 in Speronis Gegenwart vor-
las, beurteilte der alte, reiche, eingebildete Kritiker den jungen
Dichter streng und prophezeite ihm nur geringen Erfolg. Tassos
Ruhm verbreitete sich iiber ganz Italien, und der Dichter durfte,
ohne zu iibertreiben, sagen, Speroni sei ein falscher Prophet.
Nur mit Speroni hat Tasso so streng in ,,Aminta" abgerechnet;
fur Alfonso II., die Prinzessinnen Lucrezia und Leonora, fur die
Grafin Scandiano und viele andere gab es nichts als Schmeiche-
leien, selbst fur den Sekretar Pigna, der als Elpin auftritt, wurde
Weihrauch abgebrannt, obgleich der Dichter ihm nicht ehrlich
zugetan war.
MAminta" wurde in Pesaro, Urbino und Mantua aufgefiihrt,
in Buchform erschien es erst im Dezember 1580 bei Aldo Manuzio,
und bis 1891 hat es in Italien allein hundertfiinfundsiebzig Ausgaben
erlebt. Das Buch zirkulierte bereits vor seinem Erscheinen in ganz
Italien in Abschriften und fand viel Nachahmer. Spater wurde es
ins Franzosische, Spanische, Englische, Hollandische, Danische,
Deutsche, Polnische, Neugriechische, Ungarische und selbst La-
teinische iibersetzt.
Zur Popularitat von ,,Aminta" und von alien dramatischen
Stiicken dieser Art trug nicht wenig die melancholisch-lyrische
Musik bei. Fur ,,Aminta" hatte sie ein Jesuit aus Sizilien Erasmo
Marotta (gest. in Palermo 1641) komponiert. Der verliebte Hirte
singt seine Liebesklagen funfmal auf der Biihne, Daphnes und Silvias
Gesang entziickte die Horer, und der Chor im ersten Akt entfesselte
Beifallssturme.
Guarini hat Tasso ,,Amintas" Ruhm geneidet, er beschloB ein
schoneres, sorgfaltiger durchgefeiltes Schaferdrama zu schreiben.
Neun Janre, von 1581 bis 1590, hat er daran gearbeitet und ihm
den Titel ,, Pastor fido" gegeben. Guarinis Werk war bis in die
kleinsten Einzelheiten durchgefeilt und geglattet, und als der Ver-
TORQUATO TASSO 391
fasser einige Abschnitte an Alfonsos Hof vorlas, durfte er mit der
Aufnahme, die seine Arbeit fand, zufrieden sein. Guarini war ein
vorsichtiger Mann; ehe er sein Drama drucken lieB, wollte er sich
nach den verschiedensten Seiten hin vergewissern, daB er Lob ernten
wurde. Er riihmte sich, gewissermaBen um Tasso damit zu schlagen,
sein Drama sei nicht von einem Dichter von Beruf verfaBt, sondern
von einem Menschen, der zu seinem Vergniigen schreibe. Er fuhr
zu Ferrante Gonzaga nach Guastalla, wo sich stets ein groBer Kreis
von Literaten und gebildeten Frauen zusammenfand, um dort sein
Schaferspiel vorzulesen. Guastalla wurde ,,Vaso delle Muse" ge-
nannt, weil sich dort so viel Dichter zu versammeln pflegten. Unter
Guarinis Horern befand sich auch Barbara Sanseverino. Zum ersten-
mal sollte der „Pastor fido" in Ferrara 1584 aufgefiihrt werden; der
Herzog befahl seinen Statthaltern, Jiinglinge mit schauspielerischem
Talent ausfindig zu machen; erwachsene Schauspieler gab es
genug, wahrend es schwierig war, einen Knaben fur die Rolle der
Nymphe zu finden. SchlieBlich war auch diese Rolle besetzt, aber
trotz der langen Vorbereitungen kam die Vorstellung aus uns un-
bekannten Griinden nicht zustande, und erst 1591* nachdem das
Drama im Druck erschienen war, sollte es an Vincenzo Gonzagas
Hof aufgefiihrt werden. Diese Auffiihrung wurde wegen ihrer
kostbaren Inszenierung und der sorgfaltigen Regie, die der Grafin
Agnese Argotta unterstand, zu einem epochemachenden Ereignis.
Zwischen den Akten wurden eingestreute Intermezzi mit viel Pomp
aufgefiihrt. Nach dem ersten Akt wurde ein Ballett mit Gesang,
,,Musica della Terra", aufgefiihrt; zwischen Baumen und Felsen
tanzten Nymphen und sangen Hymnen an die Erde. Im zweiten
Intermezzo verwandelte sich die Biihne in einen groBen See, Venus
in der Muschel tauchte auf, umgeben von Nymphen, Amorinen und
Sirenen, die einen Hymnus aufs Meer sangen. Das dritte Intermezzo
stellte die ,,Musica dell' Aria" dar, die acht Winde auf kiinstlichen
Wolken ausfiihrten. Im letzten Intermezzo sangen sieben Gott-
heiten, die die Planeten darstellten, die ,,Musica del Cielo". Un-
gliicklicherweise verhinderte der plotzliche Tod des Kardinals
Giovanni Gonzaga die Hauptauffiihrung, sie kam erst im Jahre 1598
zustande, und war so groBartig, daB in ganz Italien davon ge-
392 zwOlftes kapitel
sprochen wurde. Die Musik zum ,, Pastor fido" haben Giacomo de
West, Francesco Rovigo und der Jude Isacchino aus Mantua kom-
poniert; von letzterem stammt die Arie zum Tanz der ,,Dunkeln".
Guarini konnte bei dieser Auffiihrung, bei „seiner Hochzeit", wie
er sie nannte, nicht zugegen sein; 1598 wurde das Stuck wiederholt
aufgefuhrt, zuletzt auch in Ferrara.
Nach dem Erscheinen von ,,Aminta" und ,, Pastor fido" ergoB
sich eine wahre Flut von Schaferdramen iiber Europa, und es gibt
wenig Beispiele in der Geschichte der Literatur, daB eine poetische
Form die Herzen des Publikums in dem MaBe erobert hat. Diese
verliebten philosophierenden Hirten, die die Horer mit ihren zwei-
deutigen Ausdriicken belustigt haben, diese leichtsinnigen Nym-
phen, die sich niemals zierten, die gemeinsten Dinge in scherzhafter
Form vorzubringen, haben dem lockeren Geist des XVI., XVII.
und XVIII. Jahrhunderts in merkwiirdiger Weise entsprochen. Die
prunkvollen Auffiihrungen, die glanzenden szenischen Bilder, die
melodischen Verse — all das trug dazu bei, den Schaferdramen
eine lange Herrschaft zu sichern. Im XVII. und XVIII. Jahrhundert
gab es von Neapel und Gibraltar bis nach England und Danemark
keinen gebildeten Menschen, der nicht ,,Aminta" und ,, Pastor
fido" gelesen hatte, und in einer venezianischen Satire des
XVIII. Jahrhunderts werden die Frauen verspottet, die
ganze StoBe von Gebetbiichern in die Kirche tragen,
da sie trotz dieser mitgebrachten Bibliothek
mehr an den ,, Pastor fido" als an Lita-
neien und fromme Hymnen denken.
Montre ascolta messa, col cervello
Le medita l'amor del dio Cupido,
E i versi in bocca tien del ,, Pastor fido"
Per recitarli al caro pastorale.
DREIZEHNTES KAPITEL
FINIS FERRARIAE
i
matas und Ercoles Tochtern, Anna, Lucrezia und
Leonora, wurde,wie erwahnt, eine besonders sorgfaltige
Erziehung zuteil. Ihre Lehrer waren Humanisten alten
Zuschnitts, und die jungen Damen beherrschten das
Lateinische so gut, daB sie 1543, zurFeier von Pauls III.
Besuch in Ferrara, eine Komodie von Terenz im
Originaltext aufgefuhrt haben. Annas Schicksal, die den Herzog
von Guise geheiratet hat und nicht wieder nach Italien zuriickge-
kehrt ist, ist uns bekannt, Leonora, die jungste, ein vornehmes,
gutes, krankliches Geschopf hat an den Hofintriguen keinen Anteil
genommen, Lucrezia dagegen, die sehr schon, leidenschaftlich und
rachsiichtig war, haben offentliche Angelegenheiten lebhaft be-
schaftigt, gelegentlich hat sie sie im geheimen gelenkt, und gegen
Ende ihresLebens hat sie wie ein bdser Geist iiber Ferrara geherrscht;
sie hat mit dazu beigetragen, das Reich zu Fall zu bringen.
Battista Giraldi Cintio hat Lucrezia in seiner Dichtung ,,L'Ercole"
die Schonste unter den Schonen genannt, und die Hofpoeten, Tasso
an erster Stelle, fanden nicht Vergleiche und zierliche Wendungen
genug, urn ihre Reize und ihr Wissen zu preisen.
Nach Ercoles Tod und Renatas Abreise nach Frankreich blieben
beide Prinzessinnen Leonora und Lucrezia in Ferrara unter Alfonsos
Schutz. Der Vater hat ihnen eine sehr knappe Mitgift ausgesetzt,
ja sie zugunsten des Bruders benachteiligt. Er hatte ihnen
60000 Scudi vermacht (etwa 150000 Francs), davon bekamen
sie aber nur 40 000 Scudi in bar ausbezahlt, der Rest bestand in
394
DREIZEHNTES KAPITEL
Schmuck und kostbaren Geraten. Das Testament enthielt auBerdem
die Klausel, daB, falls diese beiden Tochter nicht heiraten sollten,
Alfonso fiir ihre Nahrung und Kleidung und die ihrer Dienerschaft
zu sorgen habe. Es war dies natiirlich keine geringe Ausgabe fiir
Alfonso, sie betrug an zweihundert Scudi monatlich fiir jede der
Sch western, auBerdem gait es fiir den Unterhalt von achtund-
zwanzig Personen, die ihren Hofstaat bildeten, zu sorgen.
Der Herzog hatte seinen Schwestern besondere Wohnungen im
SchloB angewiesen, wo sie Gaste empfangen, Gesellschaften geben
und musikalische Abende veranstalten konnten; beide liebten Musik
iiber alles, Lucrezia hatte eine schone Stimme und entziickte den
ganzen Hof durch ihren Gesang. Die Prinzessinnen blieben unver-
mahlt; der franzosische Hof hatte zwar schon 1547 um Lucrezias
Hand fur den Herzog von Lothringen angehalten, aber Ercole trug
ihm damals Anna an, da Lucrezia erst elf Jahre alt war. Unter-
handlungen wegen Lucrezias Heirat mit dem Herzog von Nemours
wurden gleichfalls gepflogen, 1560 wurde ihr Pius' IV. Nepote,
Federigo Borromeo, angetragen, aber all diese Plane haben sich
aus uns unbekannten Griinden nicht realisiert. Erst 1565, als
Lucrezia dreiBig Jahre alt war, begann der alte Herzog Guido-
baldo von Urbino an ihre Heirat mit seinem Nachfolger Francesco
Maria della Rovere, einem sechzehnjahrigen Knaben, zu denken.
Dieser Plan scheint vom Kardinal Luigi ausgegangen zu sein, als
dem einzigen der Familie, mit dem die Schwester gut stand.
Francesco Maria hat die groBten Hoffnungen erweckt, er war
hiibsch, gebildet, geistreich, begabt und ehrgeizig. Der Vater hatte
ihn an den spanischen Hof geschickt, damit er den Kaiser fiir sich
einnehme und fiir die Zukunft niitzliche Beziehungen ankniipfe.
1565 fuhr Francesco nach Spanien, er hielt sich unterwegs in Ferrara
auf, und blieb zwei und ein halbes Jahr am kaiserlichen Hof. Als
Guidobaldo erfuhr, daB Francesco sich in eine Spanierin, in die
Schwester des Herzogs von Ossuna, verliebt habe, lieB er ihn sofort
zuruckkommen, aus Furcht, der Jiingling konne eine Ehe, die
unter seinem Range, dem eines regierenden Herzogs war, eingehen.
Erst in Italien erfuhr Francesco Maria Guidobaldos Absicht, ihn
mit Lucrezia zu verheiraten; er erschrak aufs auBerste, da die Prin-
FINIS FERRARIAE 395
zessin dem Alter nach fast seine Mutter hatte sein konnen und ihm
in Ferrara nicht ubermaBig gefallen hatte. Dagegen war Lucrezia,
die zusammen mit dem Kardinal in aller Stille an der Verwirklichung
dieses Planes gearbeitet hatte, von Guidobaldos EntschluB begluckt,
sie glaubte mit ihrem Verstand und ihrer Geschicklichkeit allmah-
lich das Herz des jungen Gatten gewinnen und ihn nach ihrem
Willen lenken zu konnen. Die Umgebung der Prinzessin schien am
gliicklichen Ausgang dieser Ehe zu zweifeln, da in den Ehekontrakt
die Klausel gesetzt wurde, daB ihre Mitgift ihr auszuzahlen sei,
falls sie sich von ihrem Gatten trennen oder wieder nach Ferrara
zuriickkehren sollte. Alfonso verlangte, daB Lucrezia, ehe sie die
Ehe einging, auf ihre Anspriiche auf das Vermogen ihrer Eltern
in Ferrara verzichte, was die Prinzessin peinlich beriihrt hat. Sie
setzte sich mit Guidobaldo ins Einverstandnis, auf seinen Rat unter-
schrieb sie zwar das von ihr verlangte Schriftstuck, aber gleich-
zeitig legte sie im geheimen, durch Vermittlung eines ihr vertrauten
Notars Protest gegen den Kontrakt ein, ferner protestierte sie gegen
die ihr von Alfonso ausgesetzte Mitgift, die dem Vermogen ihrer
Familie nicht entsprach. Dieser Protest befindet sich bei den No-
tariatsakten in Pesaro.
Am 8. Februar 1570 wurde der Ehekontrakt vollzogen, der
Brautigam wurde von Cesare Gonzaga aus Guastalla vertreten.
Francesco Maria kam erst zehn Tage nach dieser Formalitat nach
Ferrara; der Herzog empfing ihn aufs prachtigste, arrangierte ihm
zu Ehren Balle, Maskeraden, Theaterauffuhrungen und ein groB-
artiges Turnier ,,11 mago rilucente".
Francesco Maria lieB sich all diese Feste gefallen, aber nach
einigen Tagen, am 13. Februar 1570, verlieB er Ferrara plotzlich
ohne seine Gattin, indem er wichtige Geschafte vorschiitzte. Von
diesem Tage an lieB er ein ganzes Jahr nichts von sich horen, ob-
gleich Ferrara wiederholt von Erdbeben heimgesucht wurde, und
Lucrezia sogar in Lebensgefahr geriet. Erst nach Verlauf dieses
Jahres schrieb er an die Prinzessin, sie moge nach Pesaro kommen,
wo er sie erwarten wiirde. Trotz des ungezogenen Benehmens des
jungen Gatten, das jedem Brauch widersprach, traf Lucrezia mit
zahlreichem Gefolge am 9. Januar 1571 in Pesaro ein. Sie wurde
396 DREIZEHNTES KAPITEL
aufs prachtigste empfangen, und Guidobaldo gab sich alle erdenk-
liche Miihe, den fatalen Eindruck zu verwischen, den Francesco
Marias schandliche Flucht aus Ferrara gemacht haben mufite. Lu-
crezia gefiel iibrigens auBerordentlich, und Lazaro Mocenigo, der
venezianische Gesandte, berichtet dem Dogen aus Pesaro, Lucrezia
sehe gut aus, sei voller Grazie und Majestat, aber mit ihren
dreiBig Jahren sei sie nicht die geeignete Gattin fur den jungen
Erbprinzen. Den Herzog und den gesamten Hof interessierte die
Frage, ob sie Kinder haben wurde, auch Mocenigo schlieBt seinen
Brief ,,gebe Gott, daB sie Kinder habe, doch zweifle ich sehr daran."
Lucrezia gelang es auch diesmal nicht, ihren Gatten zu fesseln.
Da bot sich ihm eine sehr giinstige Gelegenheit, Lucrezia zu ver-
lassen. Die christlichen Machte bereiteten eine groBe Expedition
gegen die Turken vor. Francesco Maria beschloB daran teilzuneh-
men und verlieB Pesaro kaum ein halbes Jahr nach Lucrezias
Ankunft. Die ungluckliche Prinzessin suchte ihn vergebens von
diesem Plan abzubringen, ihre Oberredungskunst vermochte nichts
iiber den Jiingling, den es nach Ruhm diirstete und der der altlichen
Gattin miide war. Es gelang ihr nur, ihre Riickkehr nach Ferrara
bei Guidobaldo zu erwirken, doch muBte sie versprechen, nach
zwanzig Tagen zuruckzukommen. Guidobaldo brachte ihr viel
Sympathie entgegen und verlangte in seiner despotischen Art, daB
sein Wille respektiert werde und Lucrezia sich an die Bevolkerung
Urbinos gewohne. Aus den zwanzig Tagen wurden zwei Monate,
Lucrezia kam erst im November zuriick, und einige Tage nach ihr
kam auch Francesco Maria von seiner Expedition heim.
Das ungliicklichste eheliche Zusammenleben begann, voll
Streit und Zank, unterbrochen von Lucrezias Reisen nach Ferrara,
verscharft durch Geldsorgen, da die mageren Einkiinfte der Prin-
zessin ihre notwendigsten Bedurfnisse nicht deckten. Sie war bei
den jiidischen Kaufleuten in Urbino verschuldet, und aus den
Handen der Wucherer befreite sie erst der Tod der Mutter, die ihr
50 000 Lire in bar vermacht hat. Einige Monate nach Renatas
Tod, am 28. September 1574, starb auch der alte Guidobaldo, Lucre-
zias treuer Anhanger. Infolgedessen spitzte sich das Verhaltnis
zwischen den Gatten noch scharfer zu. Lucrezia lebte nun in der
FINIS FERRARIAE
397
Hauptsache beim Bruder: eine Magen- und Augenerkrankung ver-
anlaBte sie im Friihling 1575 Pesaro zu verlassen und Ferrara auf-
zusuchen, das wegen seiner tiichtigen Arzte beriihmt war. Von Kind-
heit auf an Feste, Zerstreuungen und Geselligkeit groBen Stils ge-
wohnt, offnete sie wieder ihfe Salons im ferraresischen Kastell; damals
verkehrte Tasso viel bei ihr. Der Dichter las ihr seine „Gerusalemme"
vor und riihmte sich in seiner eitlen Art in einem Brief an seinen
Freund, er verbringe viele Stunden bei ihr ,,in secretis". Das sollte
bedeuten, daB er zeitweilig allein von ihr empfangen wurde, denn
wahrhaft ,,in secretis" empfing sie jemand anderes, den Marchese
Ercole Contrari, den sie noch vor ihrer Hochzeit geliebt hat. Die
Contrari gehorten zu den bekanntesten Familien von Ferrara und
waren selbst mit den Este verwandt, da der GroBvater Ercole mit
Diana, Sigismondo d'Estes natiirlicher Tochter, verheiratet war.
Ercole Contrari besaB mit den groBten Feudalbesitz in Ferrara, das
Marquisat Vignola, zahlreiche Schlosser und Dorfer. Er scheint
schon in den Fiinfzigen gewesen zu sein, war aber ein ansehnlicher,
stattlicher Mann, der noch bei alien Turnieren den Preis gewann.
Am Hofe nahm er als Fiihrer der herzoglichen Garde eine wichtige
Stelle ein und besaB des Herzogs absolutes Vertrauen. Lucrezia
sah trotz ihrer vierzig Jahre noch gut aus, und da sie in ihrer Ehe
soviel Enttauschungen erlebt hatte, wandte sie sich mit um so
heiBerem Herzen ihrer friiheren Liebe zu. Sie kniipfte ein Liebes-
verhaltnis mit Contrari an, von dem auch am Hof gesprochen wurde.
Lucrezias Vetter Alfonso d'Este, Alfonsos I. natiirlicher Sohn
und der Vater Cesares, des vermutlichen Thronfolgers, erfuhr da-
von; allzu besorgt um die Ehre der Familie, benachrichtigte er den
Herzog von allem. Alfonsos Vorgehen entsprach der Tradition der
furstlichen Tyrannengeschlechter.
Am Nachmittag des 2. August 1575 lieB er Contrari zu sich bitten;
der Marchese kam ahnungslos ins SchloB, im Glauben, der Herzog
habe einen Auftrag fur ihn. Alfonso kam ihm entgegen und bat
ihn in ein Privatgemach. Dort warteten bereits Cornelio Bentivoglio,
Pigna, der Sekretar des Herzogs, der Graf Palla Strozzi und Burrino,
der Henker. Anwesend waren ferner Curzio Trotti, der Freund des
Marchese und Borso Trotti, Lucrezias Milchbruder, der ihr Ver-
398 DREIZEHNTES KAPITEL
trauter gewesen war. Die beiden letzteren hatte der Herzog am
Morgen des gleichen Tages zu sich gebeten und ihnen durch Dro-
hungen das Geheimnis entrissen. Sie kannten den Ausgang nicht,
aber die Anwesenheit des Henkers war eine furchtbare Drohung.
Als Contrari ins Zimmer trat, warf ihm Bentivoglio plotzlich eine
Decke iiber den Kopf, Strozzi packte ihn bei den Armen, damit er
sich nicht wehren konne, Burrino preBte ihm die Schlafen mit
einer groBen Zange zusammen, dann warf er ihm mit ungeheurer
Schnelligkeit und Geschicklichkeit einen Strick urn den Hals, so
daB der Marchese lautlos zusammenbrach. Die Zeugen verlieBen
auf Alfonsos Befehl das SchloB unverziiglich, um einen Arzt zu
holen; das Gerucht wurde ausgesprengt, daB Contrari einen
Schlaganfall bekommen habe; als der Arzt seinen Tod kon-
statiert hatte, wurde er in einem herzoglichen Wagen in den
Palast der Contrari uberfuhrt. Zwei Tage spater lieB Alfonso
den Marchese mit all dem Pomp begraben, der ihm seiner Stellung
nach gebiihrte und in der Familienkapelle bei den Dominikanern
beisetzen.
Als man Lucrezia vom Unfall des Marchese benachrichtigte,
glaubte sie erst, er ware noch am Leben und schickte in seinen
Palast, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Als sie je-
doch erfuhr, wer der Morder war, blieb sie auBerlich ganz ruhig,
aber sie schwor Rache nicht den Urhebern des Mordes allein, sondern
ihrem ganzen Geschlecht. Ihr HaB richtete sich namentlich gegen
ihren Vetter, Don Alfonso d'Este, den sie fur den moralischen Ur-
heber des Verbrechens hielt, und gegen seinen Sohn Don Cesare. Sie
wurde die furchtbarste Feindin ihrer eignen Familie und hatte dafur
Griinde genug. Ihr eigener Vater hatte ihr Unrecht getan, indem er
ihr im Testament eine unverhaltnismaBig kleine Mitgift ausgesetzt
hatte, ihr Bruder hatte sie geschadigt, als er sie zwang, in den Ehe-
akten auf ihre Anspriiche auf den Familienbesitz zu verzichten und
derselbe Bruder hatte ihr Herz zerrissen, da er ihr auf hinterlistige,
verbrecherische Art den einzigen Menschen nahm, den sie geliebt hat.
Nach Contraris Tod blieb ihr Verlangen nach Rache zweiundzwanzig
Jahre ungestillt, zweiundzwanzig Jahre lang intrigierte sie, lebte
erfiillt vom HaB gegen alles, was mit ihrem Geschlecht in Zusammen-
FINIS FERRARIAE 399
hang stand, bis sie sich einige Tage vor ihrem Tode hohnlachend
gestehen konnte, den Este Ferrara entrissen zu haben.
Kurze Zeit, nachdem ihr Geliebter ermordet worden war, verlieB
Lucrezia Ferrara, sie ging zu ihrem Manne zuriick, legte auf ihrer
Reise nach Urbino in Loreto ein Gelubde ab, und flehte wohl die
Madonna um Beistand in der Durchfuhrung ihrer Rache an.
Beim Gatten blieb sie nur kurze Zeit, sie hatte sich bei ihm eine
damals sehr verbreitete Krankheit geholt, die bei ihr in ihrer ganzen
Furchtbarkeit auftrat. Verzweifelt beschloB sie Urbino fur immer
zu verlassen und ging nach Ferrara zuriick. Dort lieB sie sich vom
beriihmten Arzt Brasevoli behandeln,aberSpuren der Krankheit blieben
fur immer. Die offentliche Meinung in Urbino wandte sich bald gegen
den Herzog, der jetzt alle moglichen Mittel anwandte, um sich mit seiner
Frau zu versohnen und sie zu bewegen, wieder zuriickzukehren. Die
italienischen Tyrannen pflegten eheliche Konflikte in aller Stille zu
losen, mit Gift oder Gefangnis; die Flucht der Gattin war etwas an da-
maligen Ho fen Beispielloses. Francesco Maria fiihlte sich in seinem
Stolz tief verletzt und seinen Untergebenen gegeniiber gedemiitigt, er
schrieb und schickte Boten nach Ferrara, um Lucrezia zur Ruckkehr
zu bewegen, aber alles war umsonst. Selbst Alfonso ergriff die Partei
seiner Schwester und seines Hauses und holte den Rat derDoktoren der
Sorbonne ein, um Lucrezias EntschluB, nicht mehr zum Gatten, der
ihr soviel Unrecht zugefiigt hatte, zuriickzukehren, rechtlich zu
stiitzen. Francesco begab sich zu Gregor XIII., damit er Lucrezia be-
fehle, zu ihm zuriickzukehren, aber weder das papstliche Breve, noch
die Versuche der Kirchenfursten vermochten sie in ihrem EntschluB
wankend zu machen. So blieb nichts anderes iibrig, als wenigstens
die Vermdgensverhaltnisse der Gatten einem schiedsrichterlichen
Spruch zu unterwerfen. Die Kardinale, Farnese, Este und Sforza,
haben diesen Vertrag beraten, der in Rom am 31. August 1578 ge-
schlossen wurde. Es wurde beschlossen, Lucrezia ihre Freiheit zu
lassen, sie konne wohnen, wo sie wolle, und der Herzog von Urbino
habe die Pflicht, ihr jahrlich 6000 Scudi auszuzahlen, die Halfte
jener Summe, zu deren Auszahlung er sich im Ehekontrakt ver-
pflichtet hatte. AuBerdem bestimmte Francesco Maria Lucrezia
das SchloB in Novillara nebst dem dazu gehorigen Landbesitz.
400 DREIZEHNTES KAPITEL
II
Lucrezia hatte keine Lust, einsam in Novillara zu leben, es ver-
langte sie, ein Mittelpunkt zu sein und von zahlreichen Menschen
umgeben und verehrt zu werden. Sie wahlte Ferrara zu ihrem Wohn-
sitz, besonders da sie dort Gelegenheit hatte, ihre Intriguen weiter-
zuspinnen.
Alfonso, der nach Barbaras Tod einige Zeit als Witwer gelebt
hatte, verheiratete sich 1579 zum dritten Mai mit der funfzehn-
jahrigen Margherita, der Tochter des Herzogs von Mantua; sie war
trotz ihrer Jugend eine selbstandige, unabhangige Natur. Natiirlich
begann nach Margheritas Einzug in Ferrara ein Wettkampf zwischen
den beiden Frauen, welcher von beiden die erste Rolle am Hofe ge-
biihre — Lucrezia hatte geglaubt, Margherita vollkommen be-
herrschen zu konnen, aber die junge Mantuanerin war sich ihrer
Wiirde als Herzogin von Ferrara bewuBt und lieB sich von der ge-
schiedenen Frau mit bewegter Vergangenheit nicht in eine unter-
geordnete Position drangen. Bald standen sich diese beiden Frauen
nach dem Ausdruck eines Zeitgenossen ,,wie Schlangen gegeniiber,
die sich beiBen wollen". Margherita fiihlte sich um so sicherer,
als am Hof von Lucrezias Verhaltnis mit dem Grafen Monte-
cuculi, einem Cameriere des Herzogs, geflustert wurde. Lucrezia
soil trotz aller Stiirme, durch die sie gegangen, auch in ihrem
spateren Leben einen groBen Teil ihrer friiheren Schonheit bewahrt
haben. Dies moge zur Rechtfertigung von Montecuculi dienen, der
ihr letztes Opfer gewesen zu sein scheint. Mit zunehmendem Alter
stieg auch die Frommigkeit der Herzogin, sie verbrachte ganze Tage
im Kloster, lieB beriihmte Kanzelredner kommen, was sie jedoch
nicht hinderte, glanzende Feste zu geben, Gaste von fernher einzu-
laden und auf sehr groBem FuB zu leben. Sie hatte sogar
einen beruhmten Koch, Rosetti, der ein Buch unter dem Titel
,,La scalco", 1582 in Venedig herausgegeben hat, worin er
einige von seiner Herrin veranstaltete Banketts beschreibt. Auf
dem einen traten wahrend des Desserts zwei Hofnarren auf, Le-
dardino und Francatrippa, die die ganze Gesellschaft zum Lachen
brachten.
FINIS FERRARIAE
401
Feste und Gebete hinderten Lucrezia nicht, gegen ihre eigne
Familie zu arbeiten. Alfonso behielt sie streng im Auge, liefi sie durch
ihm ergebene Diener beobachten und fing oft sogar ihre Briefe auf.
1587, nach Alfonso d'Estes, des Vetters Tod, richtete die Herzogin ihr
ganzes Augenmerk darauf, zu verhindern, daB sein Sohn Cesare
auf den Thron von Ferrara komme. Ihr Vorgehen war nicht frei von
der Furcht, daB Cesare, der iiber ihre Geiiihle nicht im Zweifel war,
sich einst an ihr rachen wurde. Um dem vorzubeugen, richtete die
Herzogin 1591 ein Memorial an ihren Bruder und bat, ihre Zukunft
sicherzustellen, damit sie nicht, ,, falls Ferrara einst in Gott weiB
wessen Hande iibergehe, das Opfer der furchtbarsten Behandlung
werde". Sie machte sogar einen neuen Pratendenten ausfindig,
Cesare Trotti, Ercoles II. unehelichen Sohn, um Cesares mogliche
Thronfolge zu verhindern. Als sie erfuhr, daB Rom nach Alfonsos II.
Tod Ferrara zu annektieren beabsichtige, beschaftigte sie die Sorge
um den zukiinftigen Herrscher nicht langer, sie stellte ihre ganze
Kraft in den Dienst der romischen Kurie und war vom Wunsche
erfiillt, daB das Reich, das drei Jahrhunderte lang unter der Herr-
schaft ihres Geschlechtes gestanden, der Kirche anheimfalle. Sie
empfing papstliche Gesandte im geheimen, gab der Kurie Rat-
schlage, auf welche Weise sie sich nach Alfonsos Tod Ferraras am
sichersten bemachtigen konne, und wuBte Parteigenossen um sich
zu sammeln. Noch vor dem Tode des Oheims Don Alfonso berichtete
Rafaele Medici, der Florentiner Geschaftstrager in Ferrara, im
August 1587 seinem Herzog, Lucrezia widersetze sich Don Alfonsos
Nachfolge nicht nur infolge des Hasses, den sie fur ihn nahre, sondern
auch aus Furcht, nach Pesaro zuriickzukehren und sich dem Oheim
unterwerfen zu mussen oder, was vielleicht noch schlimmer sei,
seiner Frau, die aus einer Apothekerfamilie stammte. Don Alfonso
furchtete mit Recht, Lucrezia wurde sich nach dem Tode des Herzogs
des Kronschatzes, der etwa eine Million Scudi enthielt, bemachtigen
und Cesares Gegner um sich scharen, um ihn vom Thron fernzu-
halten. Rafaele Medici empfahl Cesare einen Versuch, die Herzogin
fur sich zu gewinnen und gemeinsame Sache mit ihr zu machen,
da der GroBherzog von Florenz Ferrara lieber nach wie vor in der
Hand derEste und nicht unter der Herrschaf t der Kirche gesehenhatte.
a6
402 DREIZEHNTES KAPITEL
Lucrezia wollte von einer Annaherung Cesares nichts wissen;
sie hatte alles so sorgfaltig eingefadelt, daB der Erfolg so gut wie
sicher war. Sie war im Oktober 1597 in Reggio zur wunder-
tatigen Madonna della Ghiara gepilgert, als ihr gemeldet wurde,
ihr Bruder sei schwer am Fieber erkrankt. Sofort lieB sie sich in
einer Sanfte nach Ferrara bringen; sie fand Alfonso noch am Leben,
konnte ihn aber nicht mehr sprechen, da Alfonso sich weigerte, sie
zu empfangen. Alfonso starb am 27. Oktober; vor seinem Tode
hatte er die adligen Wiirdentrager und die Altesten der Stadt an sein
Lager berufen und den Versammelten sein Testament verlesen,
in dem er Cesare d'Este als seinen Nachfolger bestimmte. Gleich-
zeitig teilte er den Anwesenden mit, daB er sich beim Kaiser um die
Investitur von Modena an Cesare bemuht habe. Dem zukiinftigen
Herzog hatte er in seinem Testament die Pflicht auferlegt, Lucrezia
die gleiche Summe auszuzahlen, die sie bis jetzt erhalten hatte,
auch vermachte er ihr 4000 Scudi in bar.
Cesare kam unmittelbar nach Alfonsos Tod nach Ferrara; nach
alter Sitte bestieg er seinen Schimmel und zog im Herzogsmantel
durch die StraBen der Stadt, indem er das ferraresische Reich in
Besitz nahm. Der Papst, Klemens VIII. Aldobrandini, beantwortete
den Umzug mit einem Edikt am Domportal, worin er Cesare einen
Usurpator nannte, und verkiindete, daB Ferrara als Kirchengut der
Kirche anheimfalle. Gleichzeitig lieB der Papst unter der Anfuhrung
seines jungen Nepoten, des Kardinals Pietro Aldobrandini, ein
Heer von dreiBigtausend Mann vor Ferraras Grenzen sammeln. Da
Cesare trotz des Ediktes und des papstlichen Heeres nicht gutwillig
zuriicktrat, erlieB der Papst am 23. Dezember eine Bulle, die ihn
und seine Anhanger in den Bann tat, auBerdem belegte er Ferrara
und das gesamte Landgebiet mit dem Interdikt. Die Lage des jungen
Herzogs war hoffnungslos, die ferraresische Bevolkerung hatte nicht
die geringste Lust, ihn zu beschiitzen, da er es nicht verstanden
hatte, sich Sympathien zu erwerben. Niemand vertraute dem un-
erfahrenen, schwankenden Fiihrer, niemand glaubte, daB er sich
auf dem Thron wurde behaupten konnen. Die Bevolkerung war
auBerdem durch Abgaben viel zu erschopft, um die weitere Herr-
schaft der Este zu begehren; auf alien lastete Druck und Apathie.
FINIS FERRARIAE 403
Unter solchen Umstanden blieb Cesare nichts iibrig, als Verhand-
lungen mit Rom anzukniipfen. Aber wer sollte sie fiihren? Der
Herzog begab sich zur verhaBten Lucrezia, zu seiner erbittertsten
Feindin.
Nach Ercole Mostis Berichten, der in die geheimsten Plane des
verstorbenen Herzogs eingeweiht war, hat Alfonso II. die Absicht
gehabt, Lucrezia zu vergiften, aus Furcht, daB sie Cesares Plane
durchkreuzen wiirde, dem Kranken gebrach es jedoch an Energie,
um diesen Befehl ausfiihren zu lassen. Mosti empfahl Cesare, den
Wunsch des Toten zu vollstrecken, aber den bei dieser Unterredung
anwesenden Sekretar Loderchi emporte dieser Plan und er hintertrieb
seine Ausfiihrung. Don Cesare war Mostis Rat nicht unzuganglich,
schon war er im Begriff, Lucrezia erwiirgen zu lassen, als weitere
Ereignisse die Durchfuhrung dieses furchtbaren Planes unmoglich
machten. Cesare war von den freundschaftlichen Beziehungen seiner
Tante zu Rom unterrichtet, er glaubte an ihre Geschicklichkeit und
nahm an, daB sie in einem so kritischen Augenblicke den Fall der
estensischen Dynastie in Ferrara nicht wiinschen, sondern unter
entsprechenden Vorteilen die Rolle der Retterin des Geschlechts
spielen wiirde. Aus diesem Grunde bat er sie, mit dem Kardinal
zu unterhandeln und riistete sie mit absoluter Vollmacht aus.
Aber Cesare hatte sich getauscht, nichts verband Lucrezia mehr
mit den Este; seit dem Augenblicke, da Alfonso ihren Geliebten
hatte ermorden lassen, brutete sie Rache. Triumphierend ubernahm
sie den Auftrag: der Augenblick der Rache war gekommen.
Der Winter war kalt, Schnee deckte die StraBen, die schwachliche
Herzogin lieB sich in der Sanfte nach Solarolo zu Aldobrandini
tragen. Der Legat empfing sie mit groBen Ehren, doch wollte er
sich in Verhandlungen nicht eher einlassen, als bis Cesare die Waffen
niedergelegt, seinen kleinen Sohn als Geisel geschickt und auf das
Herzogtum Ferrara verzichtet habe. Lucrezia wurde als Belohnung
fur ihre Miihe und das Zustandekommen des Traktates das unab-
hangige Herzogtum Bertinoro in der Romagna zugesprochen. Mit
diesem Ultimatum kam Lucrezia nach Ferrara; Cesare empfand die
Unmoglichkeit, das Herzogtum zu halten, er berief am 10. Januar
1598 die zwolf Savi und die Vertreter des Adels, ubergab nach einer
a6*
404
DREIZEHNTES KAPITEL
ergreifenden Ansprache die Oberherrschaft dem Anfuhrer der Savi,
verzichtete auf den Thron von Ferrara und schickte gleichzeitig
seinen altesten Sohn, Don Alfonso, einen sechsjahrigen Knaben,
unter dem Schutze zweier Edelleute, in Aldobrandinis Hauptquartier
nach Faenza.
Der Traktat, der den Este alle Rechte auf Ferrara nahm, wurde
in Faenza am 15. Januar 1598 unterzeichnet und nennt sich in der
italienischen Geschichte Transazione di Faenza. Am 29. Januar
brachte einer der papstlichen Condottiere den kleinen Alfonso d'Este
nach Modena, und Cesare verlieB das ferraresische Kastell. Zum
letzten Mai horte er des Morgens mit seinem Gefolge die Friihmesse
im Dom. Unmittelbar nach dem Gottesdienst setzte sich der
ganze Zug in Bewegung unter dem Schutz von sechshundert be-
waffneten Reitern, zweihundert Bogenschiitzen zu Pferde und drei-
hundert FuBsoldaten. Dieser Zug sah einem Begrabnis nicht un-
ahnlich, im Volke tiefes Schweigen, der Herzog saB allein im Wagen
mit gesenktem Haupt, und als er am Garten del Padiglione vorbei-
kam, hielt er einen Brief vors Gesicht, um seine Tranen zu ver-
bergen. Bei der Kirche degli Angeli erinnerte er sich der Gefangenen
und schickte eine Abteilung Bogenschiitzen unter der Fiihrung
eines Cameriere, um die Unglucklichen zu befreien, die in den unter-
irdischen Gefangnissen des Schlosses und des Palazzo della Ragione
schmachteten.
Es gab in Ferrara einige herrscherlose Stunden, ehe das papst-
liche Heer einzog, und diese wenigen Stunden der Freiheit machte
sich der Pobel zunutze, um sich auf die Wohnungen der Juden zu
stiirzen, die die Este, die stets Geld brauchten, beschiitzt hatten.
Die Emporung gegen die Juden wegen des von ihnen betriebenen
Wuchers war so groB, daB schon Alfonso II. einen Teil des Heeres
in der Nahe des Ghettos einquartiert hatte, um sie vor den Ober-
fallen des Volkes zu schutzen.
In jenen letzten Tagen der estensischen Herrschaft in Ferrara
lag Lucrezia schwer krank im SchloB, den Strapazen der Reise nach
Faenza war sie nicht gewachsen, und dem Tode nahe wollte sie an
ihrem Geschlecht noch die letzte Rache nehmen. Sie machte ihr
Testament und verschrieb all ihren Besitz in Italien, darunter den
FINIS FERRARIAE
405
groBartigen Palazzo Belvedere auf einer Po-Insel in der Nahe von
Ferrara, dem Feind der Este, dem Kardinal Aldobrandini, zu dem
sie bis dahin keinerlei Beziehungen gehabt hatte. Um ihrem Ent-
schluB noch groBere Bedeutung beizulegen, richtete sie im Testament
die Bitte an den Kardinal, er moge das Vermachtnis annehmen
als Beweis der Dankbarkeit fur seine ungeheuren Verdienste. In
Ferrara rief dieses Testament helle Emporung hervor, man hielt
es fur den teuflischen Einfall einer von satanischem Geist erfullten
Frau, und iiber Aldobrandini wurden nicht gerade schmeichelhafte
Geriichte verbreitet. Ein unbekannter ferraresischer Patriot ver-
faBte auf Lucrezias Tod, die zum Untergang des Vaterlandes bei-
getragen habe, folgendes Epitaph:
Inimica alia patria e al proprio sangue,
Sotto finto color di dare aita
Precipitando altrui perde la vita
Lucrezia estense, che qui giace essangue.
Nach dem Einzug des papstlichen Heeres in Ferrara begann auch
dort jene niederdriickende Herrschaft, die in den folgenden Jahr-
hunderten halb Italien zum moralischen und materiellen Untergang
gefiihrt hat. Klemens VIII. brach am 13. April aus Rom nach Fer-
rara auf, von einem groBen Stab von Kardinalen, Bischofen und
Pralaten umgeben, um die neue Herrschaft anzutreten. Ihm voran
trug ein weiBes Maultier eine groBartige goldene Schatulle mit dem
Sakrament. Dieses Zeichen der Liebe und des Friedens stand in
keinerlei Einklang mit dem HaB, den der Papst gegen Ferrara
nahrte. Klemens VIII. wollte es in Wahrheit an diesem ungliick-
lichen Land rachen, daB es sich einige Jahrhunderte hindurch der
romischen Kurie nicht unterworfen hatte. Sein Hauptbestreben war,
in Ferrara eine Festung zu errichten, um die ganze Stadt zu be-
drohen. In Pietro Aldobrandini fand der Papst einen nur zu treuen
Vollstrecker seiner Rache; und dieser Kardinal sollte fur immer in der
Geschichte als einer der groBten Barbaren, die je die Macht der Kirche
miBbraucht haben, gekennzeichnet sein. Er befahl die Zerstorung
des Kastell Tebaldo, eines Schlosses, das der Markgrafin Mathilde
gehort hatte, und des Sommerschlosses Belvedere, das mit den kost-
406
DREIZEHNTES KAPITEL
barsten Fresken geschmiickt war. Ferner liefi er die Palaste Costabili
und Veranno sowie einen ganzen Stadtteil des Borgo und Colle di
San Giacomo, wo iiber sechstausend Menschen wohnten, dem Erd-
boden gleich machen. Auch die dort befindlichen Kirchen, darunter
S. Agata und S. Giovanni vecchio wurden zerstort. Und das alles,
damit die neue Regierung Platz fiir eine Zitadelle finde, die Mario
Farnese nach den Planen der Festung in Antwerpen erbaute. Da der
Palazzo Belvedere infolge von Lucrezias Testament in den Besitz des
Kardinals iibergegangen war, hatte der auf seinen Vorteil bedachte
Kirchenfurst den prachtvollen Wohnsitz der Este dem papstlichen
Schatz fur fiinfzehntausend Scudi verkauft. Die schonsten Bilder
aus dem Kastell hatte Aldobrandini fiir sich gerettet, alles iibrige
raubte sein Nachfolger, der Kardinal-Legat Borghese. Aus dem
reichen Schatz ferraresischer Kunst blieben kaum sparliche Uber-
reste an Ort und Stelle.
Ferrara hatte als Reich zu bestehen aufgehort, die Zeiten der
Este, eines Bojardo, Ariost, Tasso waren fiir immer vorbei. Eine
Seitenlinie des beriihmten Geschlechtes herrschte zwar noch bis
zum Ende des XVIII. Jahrhunderts in Modena, aber es war nur ein
schwacher Zweig des einst machtigen Stammes, das Herrscher vom
Schlage eines Alfonso undErcole nicht mehr hervorgebracht hat. 1803,
nach dem Tode vonCesares letztem Nachfolger, ErcoleRinaldoIII.,fiel
Modena seiner Tochter Maria Beatrice Ricarda zu, die mit Ferdi-
nand III., Franz I. Sohn, verheiratet war. Ferdinand wurde
auf diese Weise der Begriinder der osterreichisch-
estensischen Linie, die sich mit geringen
Unterbrechungen auf Modenas Thron
bis zum Jahre 1859 behauptet
hat, bis das Herzogtum von
den Soldaten des eini-
gen Italien ein-
genommen
wurde.
VIERZEHNTES KAPITEL
HOFISCHES LEBEN
i
1 orditaliens Fiirstenhofe bilden in der Renaissance eine
Gruppe fiir sich; ihre Kultur setzt sich aus anderen
Komponenten zusammen als die der burgerlich ge-
farbten Florentiner Gesellschaft, auch unterschei-
den sie sich in vielen Beziehungen von der Kultur
des Hofes von Neapel, und mit dem papstlich-romischen
Hof lassen sie sich naturgemaB nicht vergleichen.
An der Spitze der nordischen Hofe standen Ferrara, Mantua
und Mailand. Nach dem Beispiel von Ferrara und Mantua modelten
sich die weniger glanzenden Hofe von Bologna, Urbino, Carpi,
Sabionetta, Scandiano. Einige darunter haben eine gewisse Zeit
hindurch unter der Herrschaft des einen oder anderen hervorragen-
den Tyrannen eine glanzende Rolle gespielt, um bald vom Schau-
platz abzutreten, sei es aus politischen oder aus (inanziellen Griinden.
Die kleineren Signori sonnten sich zumeist in der Gunst
groBerer Hofe ; da sie sich auf ihrem kleinen Landsitz langweilten,
blieben sie Monate, selbst Jahre im Dunstkreis des Hofes. Unter
diesen Herrschern und dem noch niedrigeren Adel herrschte, um
ein modernes Wort zu gebrauchen, ein gewisser Snobismus, eine
gewisse Befriedigung der Eitelkeit, wenn ein leiser Abglanz vom
Hofe der Este oder Gonzaga auf sie fiel.
Die geographische Lage trug dazu bei, diesen norditalienischen
Partikularismus zu fordern. Rom und Venedig waren die Zentren
der groBen Welt. Nach Rom kam man nur ein- oder zweimal im
Leben; die Reise war zu teuer, haufig gefahrlich, man sprach und
4o8 VIERZEHNTES KAPITEL
traumte Jahre davon. Nach Venedig fuhr man haufiger und pflegte
mit leeren Taschen zuriickzukehren. Um Einkaufe zu machen oder
um sich zu amiisieren, ging man in dieLagunenstadt, aber manwahlte
sie nicht zu seinem dauernden Wohnsitz, denn das kaufman-
nische, reiche Venedig entsprach dem ritterlich-kondottieren Ge-
schmack nicht in allem. Der Hof von Ferrara trug das aristo-
kratischste Geprage, die Este konnten das meiste Geld ausgeben
und den groBten Luxus entfalten. Mailand hatte auBerordentlich
glanzende Augenblicke, aber der haufige politische Wechsel war
der Entwicklung einer hofischen Tradition hinderlich; sie lieh
gerade den estensischen Herzogen ihren groBten Glanz. Das Leben
in den ferraresischen Schldssern und Sommerpalasten gait als Vor-
bild hofischen Lebens schlechthin; von dort drang ein Abglanz
ritterlicher Kultur in die kleinen norditalienischen Hofe, von Fer-
rara und den Este wurde am meisten gesprochen, ihre Sitten galten
als Muster.
Abgesehen von den beiden Residenzen in Ferrara und den zahl-
reichen dortigen Palasten, erbauten die Este sieben groBere Sommer-
palaste: Belfiore, Belriguardo, Belvedere, Coppara, Masola, Con-
sandolo und Sabioncello, aufierdem hatten sie, wie schon erwahnt,
ihren Palast in Venedig. Ferrara lag in einer reizlosen Ebene, es
gait also prachtige Gartenanlagen mit kunstlichen Kanalen und
Seen zu schaffen, um die Sommerresidenzen wohnlich zu gestalten
und ein moglichst abwechslungsreiches Bild zu schaffen. Auf den
Kanalen schwammen Schwane; zahme Tiere, die in den Hainen
frei umherliefen, oder wilde in Zwinger gesperrte, belebten das
Gartenbild. Die Wande der Palaste wurden mit Fresken geschmiickt
oder mit Arazzi behangt, die die Este in groBer Zahl besaBen. Schon
unter Niccolo III. hatte der ferraresische Hof iiber dreihundert
flandrische Teppiche und eine groBe Anzahl prachtiger Vorhange
aus Tuch und Samt mit Blumen, Drachen und anderen phan-
tastischen Tieren in Gold und Silber gestickt.
Im Parke Barca, der unter Ercole I. angelegt wurde, hielt man
Kaninchen, Hasen, Rehe, Damhirsche und Wildschweine, im
Belvedere ziichtete man unter Alfonso I. Truthiihner, StrauBe,
Tauben, sehr seltene kleine Adler, selbst Elefanten. Ariost hat
hOfisches leben
409
dieses stolze Schlofi mit seinen Garten in seinem Orlando beschrieben.
Im Park Barchetto hatte Ercole II. vier Giraffen, die ihm der dani-
sche Konig Christian VII. geschenkt hatte. Die Garten und der
Tierpark im SchloB zu Mansola waren von so groBer Ausdehnung,
daB die umfassende Mauer zwolf Meilen lang war.
Uberseeische Tiere, namentlich Vogel, interessierten die Fiirsten
auBerordentlich, man machte sie sich gegenseitig zum Ge-
schenk. Als in der ersten Halfte des XVI. Jahrhunderts die Portu-
giesen auf der Insel Mauritius einen unbekannten Vogel in der
GroBe eines Schwans entdeckten, strebten alle europaischen Hofe
nach seinem Besitz. Dieser Vogel wurde auf hollandisch Dront, ,,der
Geschwollene", oder verstiimmelt Dontgenannt; die Hofe verschenkten
ihn sich untereinander als groBte Seltenheit, und das Wundertier
wurde sogar portratiert. Alfonso I. sah den Vogel im Tiergarten
von Franz I. von Frankreich, lieB ihn portratieren und schickte das
Bild seinem Bruder, dem Kardinal Ippolito, nach Erlau. Im Wiener
Hofmuseum befindet sich ein Bild von Roland Savery, auf dem dieser
Vogel dargestellt ist. Lebendige Donte gab es noch im XVII. Jahr-
hundert in den Menagerien zu London und Oxford, es waren die
letzten Exemplare dieser Art.
Als Alfonso erfuhr, daB in Venedig in Giovanni Cornaros Palast
eine sehr schone Gazelle aus Afrika eingetroffen sei, — ein Tier, das
er noch nicht kannte — beauftragte er seinen Gesandten Tebaldi,
Tizian zu bitten, sie zu malen. Leider war die Gazelle schon tot
und sogar in den Kanal geworfen worden, so daB Tizian den herzog-
lichen Auftrag nicht erfullen konnte.
Der Hof und das Reich waren identisch. Alles drangte zum Hof,
fur den Hof arbeitete der Landmann, der hinter dem von sechs
Ochsen gezogenen Pflug einherschritt; auf das SchloB stiitzten sich
Handel und Gewerbe, in Ferrara so gut wie in Modena. Und eine
der Triebfedern jeglichen Geschehens am Hof war Prachtentfaltung,
die Lust sich zu zeigen, Glanz zu verbreiten, andere durch Reichtum,
Luxus, prachtvolle Pferde, Hofnarren, Zwerge, goldne Gewander
zu blenden, mit einem Worte, Aufmerksamkeit zu erwecken und zur
Bewunderung zu reizen. Das Verlangen nach Luxus war ein Erb-
stiick der mittelalterlich-ritterlichen Hofe und die groBe Rolle, die
4io
VIERZEHNTES KAPITEL
die Kunst in der Renaissance spielte, trug dazu bei, dieses Verlangen
zu steigern. Man brauchte Luxus und verstand ihn zu entfalten.
Wenn man Privatbriefe aus dem XV. und XVI. Jahrhundert
liest, die gleichzeitigen Chroniken durchblattert, so drangt sich einem
der SchluB auf, Feste, iippige Hochzeitsfeierlichkeiten, Empfange
von Kaiser und Papst, das Bewirten einfluBreicher Nachbarn haben
den eigentlichen Lebensinhalt der herrschenden Klasse ausgemacht.
Um sich zu zeigen, groBartig aufzutreten, borgten die Fiirsten be-
deutende Summen bei Wucherern, versetzten Familienkleinodien
und schropften die Untertanen bis zum auBersten. Luxus scheint
der Daseinszweck dieser Hofe und Dynastien gewesen zu sein.
Selbst die Pflege der Literatur und Kunst, von der soviel die Rede
ist, die Unterstiitzung der Kiinstler entsprang bei den Renaissance-
fiirsten selten einem geistigen Bediirfnis, sie war in der Hauptsache
der AusfluB der Ehrbegier und des Ruhmes. Von den sieben esten-
sischen Herzogen in Ferrara im XV. und XVI. Jahrhundert hatten
nur Lionello und Alfonso I. ein inneres Verhaltnis zu Poesie und
Kunst, die anderen, selbst Borso und Ercole I., folgten in ihrer Unter-
stiitzung von Kiinstlern und Gelehrten nur der Mode der damaligen
Zeit, sie wollten es den Medici gleich tun, einer kunstlerisch be-
sonders begabten Familie. Wie gewohnlich, standen die Frauen in
dieser Beziehung hoher und brachten Literatur und Kunst wirkliches
Interesse entgegen; genannt seien nur Isabella Este Gonzaga,
Lucrezia Borgia und Elisabetta Gonzaga. Die Architektur fand
unter den Fiirsten die meisten Verehrer, mit ihrer Hilfe konnten sie
ihre GroBe und Macht am besten nach auBen bekunden.
Diese ,,gewaltigen Naturen, diese Menschen mit despotischen
Instinkten", die mit Ausnahme der Este fast samtlich von Con-
dottieren abstammten, verlangten nach Ruhm und Ehre und wollten
eine Rolle in Italien spielen. Nicht jedem war die Moglichkeit zu
kriegerischer Betatigung verliehen; um das Gliick des Volkes war
man wenig besorgt, und da es noch keine Zeitungen gab, fielen all-
tagliche Begebenheiten schnell der Vergessenheit anheim. Die
Despoten warteten mit Ungeduld auf den Augenblick sich zu zeigen,
sie sehnten sich danach, daB von ihnen gesprochen, daB nach Rom
und Neapel, selbst an den franzosischen und kaiserlichen Hof von
H&FISCHES LEBEN 411
ihren Reichtiimern und dem Glanz ihrer Hofhaltung berichtet werde.
Wenn sie auf Reisen gingen, was stets ungeheure Summen ver-
schlang, so wollten sie die Bewunderung der Gleichstehenden und
das sich Demutigen der Massen spiiren.
Dieser Wunsch, Bewunderung zu erwecken, beherrscht die Aus-
gestaltung des Hofes, die Reisen der Fiirsten, ihre Hochzeiten und
Begrabnisse, iiberall Glanz und Zurschaustellung. Ferrara war ein
in dieser Beziehung typischer Hof. Kunstgewerbe, soweit es sich
auf die Einrichtung des Hauses, die Kleidung, das Zaumzeug der
Pferde und Saumtiere bezieht, erreichte dort eine hohere Stufe als
anderswo, da die Herzoge auf jeden Gegenstand achteten und auch
die geringste Kleinigkeit kiinstlerisch ausgestaltet haben wollten.
Sie befolgten darin die Zeitstromung, die in freien Vereinigungen,
in Handwerkerziinften aufgekommen war, indem sie danach streb-
ten, daB alles von ihnen Geschaffene ein kleines Meisterwerk sei.
Der Schdnheitssinn war in der Renaissance lebendig, der Verfall
des Geschmackes machte sich erst spater geltend in den Zeiten
kirchlicher Reaktion und protestantischen Puritanertums im XVII.
und XVIII. Jahrhundert und noch spater, als die fabrikmaBige Her-
stellung aller Dinge begann.
Neben Pomp und Luxus herrschte am Hofe im taglichen Leben
eine unerhorte Einfachheit. Von irgendwelchen Bequemlichkeiten
in der Einrichtung der Hauser war nicht die Rede, die kostbarsten
Kleinodien auf der einen, der unglaublichste Schmutz auf der andern
Seite. Nur wenn fremde Gaste erwartet wurden, wurden die Locher
in den Dachern geflickt und die gesprungenen Zimmerwande mit
Teppichen behangen. Als man Friedrich III. in Ferrara erwartete,
wurden in aller Eile die Balkons im SchloB angestrichen und die
Marmorsaulen gescheuert; da es aber keine Scheuerlappen gab,
muBten schleunigst vier Schwamme gekauft werden. Die Korridore
und Loggien waren nachts nicht beleuchtet; damit sich die Deutschen
nicht die Kopfe einstieBen, wurden eiserne Haken angebracht, um
Laternen aufzuhangen und fiinfzehnhundert Pfund Talglichter
gekauft. Nach der Abreise des Kaisers nach Rom fand es die Diener-
schaft iiberflussig, die Raume, die er bewohnt hatte, in Stand zu
halten, und bei seiner Ruckkehr muBte man sie wieder in Ordnung
412
VIERZEHNTES KAPITEL
bringen, da sich Unrat darin angesammelt hatte. Und dabei waren
die Wande mit flandrischen Arazzi ausgeschlagen und die Betten
mit Seide, Samt und Brokat bedeckt. Ob der Kaiser auf goldge-
stickten Kissen bequem schlafe, daran scheint niemand gedacht
zu haben, es ging nur darum, durch Pracht zu blenden. In gewohn-
lichen Zeiten waren die markgraflichen Betten mit Leintiichern be-
deckt, in die die Mause Locher genagt hatten, oder mit Decken, die
in Fetzen zerfielen. Die Marchesana Ricciarda hatte ein Schlaf-
zimmer, das mit den teuersten Teppichen behangen war, aber das
Bett war mit ganz grobem Leinen gedeckt, und Madonna Lucia,
eine von Parisinas Tochtern, lag unter einer zerfetzten Decke.
Borso, der Brokatbeinkleider trug und Schmuck von unschatz-
barem Wert an seinem Barett, schlief auf einem Strohsack und
hatte zumeist ein schmutziges Kissen unter seinem Kopf. In
den Garderoben wurden die kostbarsten Pelze und Gewander auf-
gespeichert, aber selbst die Markgrafen trugen geflickte Kleider.
Sehr haufig flickten sie sie selbst, und zu den Toilettenutensilien
jedes Signore und Edelmannes gehorte eine Schachtel mit Nadeln
und vielfarbigem Zwirn. Erst Ercole I. weigerte sich, seine Knopfe
selbst anzunahen, und gab einem Schneider sein Warns zum Flicken.
Die Hofpagen trugen silbergestickte Kleider, aber sie schliefen der
Lange nach auf dem Stroh hingestreckt; 1474 wurde zum erstenmal
Leinen gekauft, um Strohsacke fur sie herzustellen, und auch das
geschah nur, weil sie an ihren Stiefeln und Kleidern Strohhalme
durch das ganze SchloB trugen. Die Knaben trugen ihr Haar lang
bis liber die Schultern fallend, aber sie besaflen keine Biirsten, man
gab ihnen nur Holzkamme, und ihr einziges Toilettengerat bestand
in einem kupfernen Wasserkrug.
Der ganze Hofstaat wurde auf herzogliche Kosten gekleidet,
selbst die Hofleute aus den ersten Familien, die Donzellen, die Dichter
bekamen die ,,Radchen-Livr6e". Jeder, der aus dem Dienste schied,
muBte seine Kleider zuriickgeben. Wir haben gesehen, wie der
armen Morata, Renatas Gesellschafterin und der Lehrerin ihrer
Tochter, kaum das Hemd belassen wurde, das sie am Leibe trug.
Die niedere Dienerschaft bekam auBerordentlich selten neue Anziige,
daher sahen diese Kiichenjungen und die Knechte, die das Wasser
hOfisches LEBEN 413
herbeiholten, schmutzig und zerrissen aus; selbst die Padagogen am
Hofe sah man selten in halbwegs anstandigen Kleidern. Meliadus,
Nicolaus III. Sohn, hatte Messer Prosdocimo zum Lehrer. Dieser
arme Humanist war so sparlich mit Wasche versehen, daB er zu all-
gemeinem Argernis fast nackt einherlief. Meliadus selbst schrieb, als
er die Universitat in Padua besuchte, einen verzweifelten Brief nach
Hause, die Fattori generali mogen ihm fiinf Ellen Tuch schicken,
da er sich sonst ohne Hosen auf der StraBe zetgen muflte. Auch
das Schuhwerk fur den gesamten Hofstaat, ,,per tutta la famiglia",
wurde von der herzoglichen Kasse bestritten, aber die Stiefel waren
wohl sehr schlecht gearbeitet, da die Herzoge und die ersten Hofleute
achtzig Paar jahrlich -a Person verbrauchten; die iibrigen bekamen
drei, die Donzellen zwei Paar Stiefel und ein Paar Schuhe monatlich.
Aus den Hofrechnungen unter Ercole I. geht hervor, daB Isabella
d'Este als junges Madchen im Verlauf von anderthalb Jahren
dreiunddreiBig Paar Stiefel verbraucht hat. Fur ihre schlechten
Stiefel wurden die Schuster schlecht entlohnt, oder mufiten zum
mindesten wie die iibrigen Handwerker Jahre lang auf Bezahlung
warten. 1422 faBte ein Schuster Mut und folgte dem Markgrafen
nach Venedig, indem er ihn fuBfallig bat, seine Rechnung zu
bezahlen; die Beamten in Ferrara hatten ihm gesagt, daB sie kein
Geld hatten.
Erst unter Ercole I. begann man etwas mehr auf Bequemlich-
keit zu achten und den Hofstaat besser zu fiihren; die Herzogin, die
neapolitanischen Luxus gewohnt war, wollte auch in Ferrara etwas
zivilisiertere Brauche einfuhren.
Eine der Hauptsorgen der Este war, gute Informationen iiber
alles zu erhalten, was in der Welt vorging; hauptsachlich aus diesem
Grund hatten die Herzoge auch an kleinen Hofen Gesandte und
Geschaftstrager. In den Berichten ist aber haufig von Politik gar
nicht die Rede, dafvir wird selbst die geringste Klatschgeschichte,
die Ferrara interessieren konnte, nicht umgangen. Mit auBer-
ordentlicher Ausfiihrlichkeit werden Balle, Feste und Jagden be-
schrieben, selbst die Toiletten der Frauen nicht ubersehen. Privat-
briefe und derartige Berichte traten bis zu einem gewissen Grade
an die Stelle von Tageszeitungen, wenn sie aber langere Zeit
4M
VIERZEHNTES KAPITEL
ausblieben und die Neugierde stieg, suchte man sie durch astrolo-
gische Prophezeiungen zu stillen.
Gegen Ende des XV. und zu Beginn des XVI. Jahrhunderts
beginnen die italienischen Astrologen, Zeitungen in bescheidenstem
Umfang zu begriinden, indem sie sogenannte ,,giudici", Prognosen,
herausgeben. Die beriihrnteren unter ihnen erlieBen von Zeit zu
Zeit, besonders zum i. Januar, politische Prophezeiungen. Diese
kleinen Schriften, die zumeist ganz inhaltsreich und kurz sind, er-
schienen in sehr viel Exemplaren und wirkten stark auf die offent-
liche Meinung. In Ferrara spielten die Astrologen eine geringere
Rolle als in Mantua oder Mailand, da die niichternen Este weniger
zum Aberglauben neigten als die Gonzaga oder Sforza, Isabella
d'Estes Gatte vertraute den Astrologen so sehr, daB er fast immer
ihre Ansicht liber Menschen, die er sehen, und uber Dinge, die er
tun sollte, einholte. Die Visconti und unter den Sforza nament-
lich Lodovico Moro unternahmen nicht das geringste, ohne den
Hofastrologen um Rat zu befragen. In Ferrara wurden Ungliicks-
tage sehr beachtet, die Astrologen machten dem Herzog ein genaues
Verzeichnis der Tage, an denen er nichts Wichtiges unternehmen
sollte. Jeder groBere Hof muBte seinen Astrologen haben, und selbst
einzelne Kardinale, wie unter anderen Ippolito d'Este, Ariostos Pro-
tektor, konnten ohne den gelehrten Sterndeuter nicht auskommen.
Niccolo III. und Borso hatten ihre Astrologen und unter Ercole I.
begegnen wir schon 1468 ,, Prognosen". Ercole beschaftigte sich
iiberhaupt in ungewohnlichen MaBe mit allem, was in der Welt vor-
ging; iiber die Expeditionen nach Amerika wollte er auf dem Lau-
fenden gehalten werden und lieB sich die Prognosen fremder Astro-
logen schicken. 1478 bekam er ein Schriftchen, das der benihmte
Astrologe Robert de Monteregio in Niirnberg herausgegeben hatte.
Es war eine traurige Prognose: furchtbare Kriege und Seuchen
wurden Italien prophezeit, einigen italienischen Fursten ohne
Nennung ihres Namens mit dem Tode gedroht, auBerdem lieB
Monteregio durchblicken, daB ein groBer Konig plotzlich an Gift
sterben wiirde. Fiir den Herzog von Ferrara fand sich ein ange-
nehmes Wort, er wiirde sich durch seine Tapferkeit besonders aus-
zeichnen und im Krieg wie im Frieden schienen ihm giinstige Sterne
hOfisches LEBEN 415
zu leuchten. Im Archiv zu Modena befindet sich auch eine Prognose
aus dem Jahr 1502, ihr Verfasser war Domenico Maria Novara,
Kopernikus' Protektor. Ferraras beriihmtester Astrologe im 15. Jahr-
hundert war Avogario oder Avogardo; er unterrichtete an der
dortigen Universitat von 1455 bis 1475 und hat zahlreiche Schriften
verfafit. Die Este haben ihn auBerordentlich geschatzt und groB-
artig beschenkt, doch hinderte sie dies nicht, ihn zu bestrafen, als er
einst in seinem ,,giudizio" Prophezeiungen brachte, die dem ferra-
resischen Hof nicht giinstig schienen. Von diesem Augenblick an
muBte er dem Herzog seine Prognosen vor der Drucklegung vor-
legen; es ist das erste Beispiel einer an Zeitungen geiibten Zensur.
Alles, was dem Herzog mififiel, wurde ausgestrichen, damit die
offentliche Meinung nicht in einer ihm unsympathischen Weise
beeinfluBt werde.
Avogarios Nachfolger, Pietro Bono, legte gleichfalls dem Herzog
seine Prognosen zur Zensur vor; einmal jedoch, im Jahre 1508,
hatte er ohne Wissen des Herzogs Dinge verkiindet, die dem Konig
von Frankreich unangenehm waren, infolge dessen muBte er sich
hiiten, nicht in die Hande der koniglichen Agenten zu fallen.
Die Astrologen haben ihre Herren sehr haufig zu irgend einer
Expedition oder Tatigkeit angeregt, wenn ihnen die Konstellation
der Sterne giinstig schien, sie rieten ihnen im richtigen Augenblick
zuzugreifen, „a tempo pigliar la fortuna". So gut wie in wichtigen
Dingen war der Rat des Astrologen auch in den geringsten Vor-
kommnissen des taglichen Lebens notwendig; man holte seinen Rat
ein, wenn es sich darum handelte, eine Medizin, ein Pulver, eine
Mixtur einzunehmen; man fragte die Sterne, ob die Stunde giinstig
sei. War Borso krank, so fragte Gonzaga seinen Astrologen, wann
der Herzog von Ferrara sterben wiirde; der Sterndeuter hatte sich
nur um einen Monat verrechnet, er hatte den kritischen Augenblick
auf den 17. Juli verlegt, und Borso starb am 20. August. Einen un-
geheuren Eindruck machte es der italienischen Gesellschaft, als der
Florentiner Astrologe, Cristoforo Landino, die Geburt eines fiir
die Kirche gefahrlichen Reformators in Deutschland vorhersagte,
man bezog diese Prophezeiung spater auf Luther. Zu dieser
Prophezeiung bedurfte es einer Frage an die Sterne nicht, der
4l6 VIERZEHNTES KAPITEL
Niedergang der Kirche berechtigte zur Annahme, daB Menschen
auftreten wiirden, um den Kampf mit der romischen Verderbnis
aufzunehmen. Am beruhmtesten waren Aretins Prophezeiungen,
die der geschickte Pamphletist von Venedig aus versandte. Er kannte
mehrere unter den Herrschenden, hatte Beziehungen zu sehr viel
Menschen, die eine hervorragende Stelle einnahmen, und bekam von
uberallher Briefe; so konnte er die besten Informationen iiber alles
haben, was in Italien vorging. Auf diesen Nachrichten fufiend, ver-
faBte er seine Prognosen und prophezeite Dinge, an die niemand
sonst dachte.
II
Bernardo Bellincioni, Lodovico Moros Hofdichter, schrieb einst,
die Herren verbergen soviel Geheimnisse und soviel Boses in
ihrem Herzen, daB man sie nach dem Schein nicht beurteilen konne:
Quanti segreti in petto
E malizie e rispetto hanno e' signori
Che non si posson giudicar di fuori.
Keiner von ihnen sprache viel, sie verbergen ihre Gedanken,
beherrschen ihren Zorn, aber sie warten auf die Gelegenheit, um
sich zu rachen. So steigt auch der Falke ruhig in die Luft, bis er
im gegebenen Augenblick wie der Blitz auf sein Opfer niederfallt.
Herrschsucht, Liebe und Vendetta waren die drei Haupttrieb-
federn der Renaissance-Tyrannen. Man sprach und schrieb da-
mals viel von Ritterlichkeit, Ehre und den Vorzugen der Tugend,
und Castiglione gehorte zur Zahl der Moralisten, die ihre Gesell-
schaftsklasse durch den Hinweis auf die Antike zu idealisieren ver-
suchten. Auch Ferrara fehlte es an einem solchen Moralisten unter
Alfonso II. nicht. Es war der Graf Annibale Romei, der in seiner
Abhandlung ,,Discorsi" der Contessa di Scandiano, der Signora
Isabella Bentivoglio und der gesamten Damen- und Herrenwelt, die
im estensischen SchloB in Masoli versammelt waren, empfiehlt,
iiber Schonheit, Ehre, Edelmut und Reichtum nachzudenken. Wenn
man diese gelehrten Abhandlungen liest, so konnte es scheinen,
HOFISCHES LEBEN 417
als ware die Gesellschaft an italienischen Hofen vor allem darauf
bedacht gewesen, Seele, Geist und Herz zu bilden. Hinter all dem
steckt aber wenig Wahrheit, jene Abhandlungen und Gesprache
iiber Liebe und Ehre waren eine Art gesellschaftHchen Turniers,
die Herren und Damen der groBen Welt kopierten gelegentlich die
Disputationen der Professoren, sie iibten sich in der Kunst der
Beredsamkeit, aber alles blieb fur sie Theorie, und ungezahmte
menschliche Leidenschaften bahnten sich ihre eigenen Wege. Das
Moralisieren hatte nur den Zweck, daB man seine finsteren Leiden-
schaften hinter einer glatten auBeren Schale verbarg. Machiavelli
verlangt vom Fursten, daB er Fuchs und Lowe sei, ,,il principe
della bestia deve pigliare la volpa e il Hone"; Fiichse waren sie alle,
aber bis zum Lowen brachten es nur wenige. Den Dynastien ging
es in der Hauptsache um den auBeren Glanz des Geschlechtes und
die Terrorisierung der Gesellschaft. Jeder der Untertanen sollte
davon durchdrungen sein, daB die Vendetta seiner harre, falls er
sich etwas gegen die herrschende Familie zu Schulden kommen
lasse. Ehre und edler Ruhm waren etwas Untergeordnetes. Der Fiirst
durfte ungescheut die groBten Missetaten begehen, ohne seinen guten
Namen zu gefahrden, aber ein ihm zugefiigtes Unrecht oder eine
Beleidigung durfte er nicht vergessen. Eine solche VergeBlichkeit
hatte die Macht der Dynastie untergraben. Der Terrorismus der
Despoten brachte es mit sich, daB die Mitglieder der groBten Ge-
schlechter sich als gemeine Mordbuben brauchen lieBen. Ariosts
Vater fuhr nach Mantua, um den Feind seines Herzogs zu vergiften;
bei Contraris Ermordung haben Leute wie Bentivoglio und Strozzi,
die Vertreter der vornehmsten Familien, Henkersdienste geleistet. Das
Werkzeug des Tyrannen beim gemeinsten Verbrechen zu sein, tat nie-
mand Abbruch, aber gegen die Regeln des Turniers oderZweikampfes
zu verstoBen, bedeckte den Namen mit unausloschlicher Schmach.
Die Tyrannengeschlechter standen auBerhalb aller Maorlge-
setze, sie durften die groBten Verbrechen begehen, denn die Macht
war in ihren Handen. Selbst die Papste taten die Fursten fur ge-
wbhnliche Verbrechen nicht in den Bann, nur fur politische Ver-
gehen, die gegen die Macht und die Herrschaft der Kirche verstieBen.
Rom hatte die herrschenden Familien stets als Ausnahmegeschlechter
27
4i8 VIERZEHNTES KAPITEL
betrachtet, fiir die die bestehenden Moralgesetze nicht galten. Mit
der Tugendrose haben die Papste Niccolo III. bedacht, der Parisina
hatte ermorden lassen, ebenso viele andere Verbrecher unter den
Tyrannen, wenn es darum ging, sie fiir die Politik der romischen
Kurie zu gewinnen. Als Vincenzo Gonzaga 1537 den Thron von
Mantua bestieg, war er fiinfundzwanzig Jahre alt und bereits von
seiner ersten Gattin, einer Farnese, geschieden. Man erzahlte sich,
die Ehe sei auseinandergegangen, da Vincenzo seinen ehelichen
Pflichten nicht geniigen konnte. Als der Markgraf sich um die Hand
der Tochter des toskanischen GroBherzogs Francesco bewarb,
stellte der GroBherzog zur Bedingung, daB Gonzaga den Beweis
seiner mannlichen Kraft erbringe. In Venedig sollte diese eigen-
artige Priifung stattfinden. Man wahlte ein schones Madchen,
eine Bastardtochter der Albizzi, die eine sorgfaltige Erziehung
in Florenz erhalten hatte. Mit Genehmigung der Bischofe und
Kardinale, da Francesco ein frommer Herrscher war, wurde sie in
Gesellschaft vertrauenswiirdiger Frauen nach Venedig geschickt.
An der Spitze dieser Expedition stand der Cavaliere Belisario Vinto,
der Sekretar des Geliebten von Bianca Capello, ein Mann, in den man
Vertrauen setzen durfte und der in delikaten hofischen Angelegen-
heiten wohl bewandert war. Die Expedition verlief zu allgemeiner
Zufriedenheit, und der GroBherzog hatte die Sicherheit, seine Tochter
ruhig dem zu Unrecht verleumdeten Gonzaga anvertrauen zu konnen.
Man muB sich wundern, daB die Renaissance-Herrscher nicht
blutgierige Tyrannen gewesen sind, es waren aber zum grdBten
Teil nuchterne, scharf denkende Naturen, die nur gerade soviel
Boses taten, als unbedingt geschehen muBte. Sie rechneten mit
der Bevolkerung und wollten sie nicht zum AuBersten treiben. AuBer-
dem verstanden sie das Leben zu genieBen, sie waren Feinschmecker
des Lebens — das trat in alien hofischen Einrichtungen zu Tage.
Ill
Wer das Verhaltnis der Geschlechter zueinander im XVI. Jahr-
hundert nach den Deklamationen Castigliones im „Corte-
giano", Bembos in den „Asolani", Sperone Speronis in den „Dia-
HOFISCHES LEBEN
419
loghi", Tassos in den verschiedensten Abhandlungen beurteilen
wollte, und die Flut der Sonette fur ein Abbild dessen hielte, was sich
in der Wirklichkeit abgespielt hat, wiirde sich die denkbar ver-
kehrteste Vorstellung der damaligen Zustande machen. Ein Abbild
der tatsachlichen Zustande findet man eher in den charakteri-
stischen damaligen Sitten, in Privatbriefen, Novellen oder in jenen
,,Capitoli" benannten politischen Erzeugnissen, in denen Satiriker,wie
Berni, Delia Casa, Varchi, Molza, Bembo, Firenzuola, Aretino die
oft heikelsten Themen in einer witzigen, anziehenden, glanzenden,
poetischen Form behandelt haben.
Als die Epoche des eigentlichen Ritterromans mit Ariost zu
Ende war, kam die Zeit der Novelle. Gelegentlich hat sie die Literatur
mit Unkraut iiberwuchert, aber die Novelle hat sich ans Leben ge-
halten, aus der vorhandenen Tradition geschopft, und deshalb ist
sie ein unerschopflicher Schatz fin* den Kulturhistoriker.
Fast jede Stadt und jedes Kulturzentrum hatten ihre Novel-
listen: Florenz Firenzuola, Lasca, Machiavelli, Rom Molza, der
zwar aus Modena stammte, aber allmahlich zum Romer geworden
war, Venedig Straparola, Parabosco Erizzo, Ferrara den beruhmten
Battista Giraldi, dessen hundert Novellen ,,Hecatommiti" zu
groBem Ruhm gelangt sind; sie alle iiberragt Bandello, der ganz
Norditalien angehort. Jeder seiner zweihundertneunzehn Novel-
len ist eine Widmung vorangestellt, eine Art Brief an die verschie-
densten Personen gerichtet, der vielleicht noch farbiger und fur die
Zeit aufschluBreicher ist als die Novellen selbst. Bandello lebte
von 1480 bis 1542 in Italien, spater in Frankreich, wo er 1560 als
Achtzigjahriger gestorben ist. Die beruhmten Frauen seiner Zeit
hat er samtlich gekannt: Beatrice d'Este, die Markgrafin von
Mantua, Giulia Gonzaga, Vittoria Colonna, Costanza Rangone
Fregcso, Ippolita Torelli; er hat bei den Geliebten von Lodovico Moro
verkehrt, bei Lucrezia Crivelli und Cecilia Gallerani, und seine be-
sondere Gonnerin war Ippolita Sforza, die zweite Frau von Alessandro
Bentivoglio, den Julius II. aus Bologna vertrieben hat. In seinen
Erzahlungen hat er sie alle gefeiert, ,,Eroine Bandelliane", wie sie
Scaligeri, ein unbedeutender Dichter, genannt hat. Aber Bandello
hatte auch unbekannte Heldinnen, denen zwar der historische
27*
420
VIERZEHNTES KAPITEL
Name fehlt, nicht aber das leidenschaftliche Herz; er schildert
Frauen aus alien Gesellschaftsstanden; auch Kurtisanen, wie eine
Imperia, eine Tullia d'Aragona, eine Isabella de Luna, die zuweilen
Herzensparoxysmen unterlagen, fehlen nicht. Bandello ist nicht
mehr der Epiker des Rittertums allein, er schildert die gesamte
Bevolkerung, die herrschende Kaste wird nicht allein als dar-
stellungswert befunden, der Horizont des Schriftstellers hat sich
erweitert. Er wirkt weder allzu tragisch noch allzu komisch, er
schildert das Leben in seinen verschiedensten Formen, und infolge
dessen kommt er von alien Schriftstellern des Cinquecento dem mo-
dernen Empfinden am nachsten. Den Inhalt seiner Novellen bildet
in der Hauptsache Ehebruch; die Novellisten des XV. und XVI.
Jahrhunderts haben ihr Thema aus dem Leben geschopft, so gut
wie die modernen franzosischen Romanschriftsteller. Der Eng-
lander Aschau, der im XVI. Jahrhundert nach Italien kam, dankte
dem Himmel, daS er dort nur zehn Tage geblieben ist, da er in
dieser kurzen Zeit dort mehr Ziigellosigkeit gesehen habe als in
London im Verlauf von neun Jahren. Der Englander hatte schon
so unrecht nicht, der Verkehr der Geschlechter war in Italien frei,
ja ziigellos genug, aber in den hoheren Klassen gab es Grenzen
fur diese Freiheit, es gait den Schein, ,,decoro", zu wahren. Der
Schein wurde der Tugend gleich geachtet, die ,,onesta" der Ehe-
frau war durch ihn bedingt. Alles sollte in der Renaissance seine
schone geschlossene Form haben; was dieser Form widersprach,
gait als unmoralisch. Darauf beruhte die Ethik der Renaissance.
Auf die italienischen Sitten, namentlich auf die Sinnlichkeit hat
die Beriihrung mit den Spaniern auBerordentlich ungiinstig einge-
wirkt; die Kriege mit Spanien und das Eindringen spanischer Art
im Frieden war vielleicht das groBte Unheil fur die italienische
Renaissance. Die Spanier, die sinnlichsten und grausamsten aller
siidlichen Volker, haben der italienischen Gesellschaft ihr Gift ein-
geimpft. Mit den Borgia kamen ziigellose spanische Kurtisanen
und iippige Pralaten, ihnen folgten die brutal-leidenschaftlichen
spanischen Romane. Die spanische Ritterschaft hat jeder guten
Sitte Hohn gesprochen. Selbst an der italienischen Kunst ist die
spanische Seuche nicht spurlos vorbeigegangen. Giulio Romano
HOFISCHES LEBEN 42i
(1492 — 1546) und Benvenuto Cellini (1500 — 1570) eroffnen die
Schar der Kiinstler, die der spanischen Sinnlichkeit erlegen sind;
Ribera, Spagnuola, Caravaggio und die ganze bolognesische Schule
haben sich auf dieser Grundlage weiter entwickelt.
Die brutale Sinnlichkeit erzeugte eine uneheliche Reaktion
in der Gesellschaft, eine verlogene Sentimentalitat, die sich aus-
gezeichnet auf dem Stamme des Petrarkismus entwickeln konnte.
Dieses unechte Gefiihl begann um die 60 er Jahre des XVI. Jahr-
hunderts das Verhaltnis der Geschlechter zu beherrschen und in
der Literatur durchzubrechen. Es tritt gleichzeitig mit dem Barock
in der bildenden Kunst auf, und man konnte, soweit Novelle und
Dichtkunst in Frage kommen, von einem Barock in der Literatur
sprechen. Das glanzendste Beispiel dieser barocken Romantik ist
Bandellos hubsch erzahlte Novelle von dem Veroneser Liebes-
paar. Shakespeare hat den Stoff aufgegriffen, entwickelt, ver-
tieft und daraus jene einzige, starkste Liebestragodie der Welt
geschaffen, die Geschichte von Romeo und Julia1).
IV
Die elegante Frau der Renaissance sah wie ein lebendiger Rebus
aus, dessen Losung allein dem Gatten Schwierigkeiten bereitete.
Alles in ihrer Kleidung hatte eine besondere Bedeutung. Die auf
ihr Kleid gestickte oder in den Stoff verarbeitete Devise charakte-
risierte ihren momentanen Seelenzustand; verschiedene Zeichen
in ihrer Toilette oder in der Art, wie sie ihren Schmuck gefaBt hatte,
standen mit ihrem Glauben an den EinfluB der Planeten auf mensch-
liche Schicksale in Zusammenhang; die Farbe ihrer Kleider oder
Wappenzeichen richtete sich nach der Tradition ihrer Familie;
selbst das Parfiim, das sie beniitzte, hatte eine gewisse Bedeutung.
Um das Herz ihres Geliebten warb sie mit der Sprache von Seiden-
stoffen, Saphiren, Smaragden, mit dem Duft von Ambra und
*) Shakespeare hat auch die inhaltlich verwandte Novelle Lodovicos da
Port „Giulietta e Romeo" 1524 benutzt.
422
VIERZEHNTES KAPITEL
Krautern des Ostens, die sie selbst nach geheimem Rezept zu
mischen verstand.
Tonangebend fur die Mode in Norditalien war mehrere Jahre
Isabella Gonzaga, diese ungewohnliche, hochbegabte Frau, iiber
die die Zeitgenossen, mit Ausnahme Aretins, sich in iiberschwang-
lichen Worten ergehen. Die Markgrafin anderte ihre Devise haufig,
ihr beliebtestes Zeichen war ein goldener Leuchter, den sie in den
verschiedensten Formen auf ihre Kleider sticken lieB. Der in sie
verliebte Giovio, der joviale, scharfe Historiker, fiigte diesem Zeichen
die Devise hinzu: ,,sufficit unum in tenebris". Diese Worte ent-
hielten die Schmeichelei, daB ein Licht wie sie die Dunkelheit zu
erhellen vermoge. Isabella hatte eine Art von Periicke aus seidenen
Faden und Bandern aufgebracht, die ,,capigliara", die sie auf dem
Bild der Wiener Galerie tragt. Diesen nicht gerade schonen Schmuck
neideten ihr die Damen der benachbarten Hofe, und die eine, Eleo-
nora Rusca, bat urn die Erlaubnis, diese ,,notabile invenzione"
tragen zu diarfen. Aus Krakau schrieb die Konigin Bona am 15. Juni
1522 an Isabella, nannte sie ,,fonte et origine di tucte le belle
foggie d'ltalia" und bat um Bericht iiber die neueste Mode. Selbst
die Konigin von Frankreich lieO sich ein Paar Kandschuhe von
ihr zuschicken, die bcsonders fur die Pflege der Hande geeignet
sein sollten. Isabella erfiillte den Wunsch der Konigin, aber als die
Handschuhe nach Paris kamen und der ferraresische Gesandte,
Alfonso Ariosto, ein Verwandter des Dichters, sie aus der Schachtel
herausnahm, verbreiteten sie einen so schlechten Geruch, daB der
arme ,, orator" in der groBten Verlegenheit war, ob er sie der Koni-
gin bringen oder verbrennen sollte. Die Handschuhe enthielten
eine Fettigkeit, die unterwegs verdorben war. Die Konigin freute
sich des Geschenkes sehr und versicherte, daB der schlechte Ge-
ruch der Handschuhe ihre Brauchbarkeit in keiner Weise beein-
trachtige. Pietro Bembo war gliicklicher; Isabella hatte ihm nach
Rom ein Biichschen duftender Pomade geschickt, die unversehrt
ankam, und Bembo riihmte sich, ein wichtiges Toilettenmittel zu
besitzen, das die Markgrafin allein zubereiten konne. Isabella be-
stimmte nicht nur die Mode, der sich natiirlich die Damen in Fer-
rara unterwarfen, auch die meisten literarischen Neuheiten tauchten
HOFISCHES LEBEN
423
zum erstenmal an ihrem Hof auf. Wenn die Markgrafin erfuhr,
daB der eine oder andere Dichter ein neues Buch oder nur ein neues
Sonett verfaBt habe, schrieb sie unzahlige Briefe, um in den Besitz
dieses literarischen Erzeugnisses zu kommen. In ihrer Bibliothek
befanden sich alle Neuerscheinungen: Bembos ,,Asolani" so gut
wie Sannazaros , .Arcadia" oder die Sonette der venezianischen
Petrarkisten. Alles Neue fesselte sie, und sie nahm keinen AnstoB,
in ihren Gemachern neben dem Bildnis Leos X. die Portrats von
Erasmus Rotterdamus und von Luther aufzuhangen. Sie wollte
in jeder Beziehung die erste unter den Damen der norditalienischen
Hofe sein, und so war es ihr auch darum zu tun, soviel Kunstwerke
und Bilder zusammen zu bekommen, wie nur irgend moglich,
namentlich war sie ,,avida di anticaglie". Die Este hatten eine
Vorliebe fur antike Medaillen und Miinzen; die Mode, ,, anticaglie"
zu sammeln, war so allgemein, daB man sogar anfing, dariiber zu
spotten, und Sadoleto klagte einst, ,,die antike Krankheit" sei in
Wahrheit zum Wahnsinn ausgeartet, den man ,,heilen miisse".
Isabella war um ihrer Reize willen so beriihmt, daB Giangiorgio
Trissino, der bereits erwahnte Humanist aus Vicenza, sie als Typus
der Renaissance- Schonheit aufgestellt hat, ahnlich wie Helena als
Urbild weiblicher Schonheit in Griechenland gegolten hat. Als der
antike Schriftsteller Celsius den Bewohnern Krotons ein Bild
der beriihmten Helena entwerfen wollte, wahlte er fiinf der schon-
sten Madchen, beschrieb die charakteristischsten Ziige jeder einzelnen,
verband diese Teile zur Einheit und bildete ein Frauenideal: Helena.
Trissino hielt sich an dieses Vorbild, er wollte die Markgrafin auf
ahnliche Weise schildern und wahlte zu diesem Zweck fiinf Frauen,
die in Italien um ihrer Schonheit willen beriihmt waren: Spinola
aus Genua, Ericina und Bianca Trissino aus Vicenza, die Contessa
di Caiazzo aus Mailand, die Heldin mehrere Novellen Bandellos,
und Clemenza de' Pazzi aus Florenz. Unter diesen fiinf wahlte
Trissino dasjenige, was ihn an der einzelnen am meisten gefesselt
hatte: Stirn, Augen, Brauen, Haare, Hande, den UmriB der ganzen
Gestalt usw.; auf diese Weise bildete er das ideale Portrat der Mark-
grafin. Ahnlich ging auch Tizian bei einem seiner Venusbilder vor,
dem schonsten Korper irgendeiner venezianischen Kurtisane gab er
424 VIERZEHNTES KAPITEL
Isabellas idealisierte Ziige; die Markgrafin war in Wirklichkeit
durchaus keine Schonheit, sie bezauberte nur durch ihre Anmut
und ihre lebhaften Augen. Man kann wohl sagen, daB die ganze
Generation um die Wende des XV. und XVI. Jahrhunderts unter
ihrem Zauber stand. Bezeichnungen, wie ,,die geliebte", ,,gute"
usw. sind in den Briefen der Zeitgenossen und in den Chroniken
von ihrem Namen unzertrennlich. Wir besitzen einige Bildnisse
von Isabella, an deren Authentizitat nicht zu zweifeln ist. Im Louvre
ist ihr Portrat von Leonardo da Vinci erhalten, al carbone vor dem
Jahre 1500 gezeichnet, auf dem sie als fiinfundzwanzigjahrige Frau
dargestellt ist. Die Replik dieses Bildes befindet sich in den Uffizien,
und Isabella erscheint darauf noch lebendiger und intensiver er-
faBt als auf dem Pariser Portrat. In Obereinstimmung mit diesem
Bilde beschreibt sie Maria Equicola, der viele Jahre in ihrem Dienst
in Mantua gestanden hat; er schildert ihre dunkeln glanzenden
Augen, ihren weiBen Teint und ihr iippiges blondes Haar. Ein
anderer Zeitgenosse berichtet, sie sei von mittlerer GroBe, habe
schone Arme, eine wohlgebildete Hand, sehr anmutige Bewegungen
und sei im allgemeinen ,,una donna piu bella assai che '1 sole".
Wesentlich spater als Leonardos Zeichnung ist Isabellas Portrat
in Wien entstanden, eine Rubensche Kopie nach einem Original
von Tizian. Das Bild stammt aus der Zeit, da die Markgrafin anfing
stark zu werden und den Reiz der ersten Jugend verloren hatte.
In Zeiten, wo man soviel iiber Schonheit sprach und schrieb,
— die gesamte Renaissance stand ja gewissermaBen im Zeichen
des Schonheitskults — bemiihten sich die groBen Hofe natiirlich
nach Kraften, ihrer Herzogin oder Markgrafin einen Kreis schoner
Frauen auszuwahlen, als besonderen Anziehungspunkt fur den
Hof. Die ,,Damigelle" wurden gewohnlich aus den Damen der vor-
nehmen oder stadtischen Geschlechter gewahlt, und da sie viel Ver-
suchungen ausgesetzt waren, wurde iiber ihre Tugend verschieden
geurteilt. Ein Schriftsteller nannte sie ,,ministre di Venere", doch
muB man dem ferraresischen Hof zugestehen, daB die Damigellen
dort strenger als anderswo gehalten wurden. Die ungluckliche
Parisina hatte elf Ehrendamen, wenn eine von ihnen heiratete,
schenkte ihr die Markgrafin eine schon gemalte Truhe, die die Aus-
SCHULE VON FERRARA: EINE VERLOBUNG
BERLIN, KAISER-FRIEDRICH-MUSEUM
hOfisches leben 425
stattung enthielt, und sechshundert Lire als Mitgift Zuweilen
traten ganz junge Madchen in den Hofdienst, die selbst ihre Kleider
und Pelze noch muBten verlangern lassen. Am Alltag waren die
Donzellen auBerordentlich bescheiden angezogen, sie trugen grune
oder rote wollene Kleider mit schwarzen oder bronzefarbenen
Armeln, an Festtagen dagegen trugen sie Samt- und Brokatge-
wander. Natiirlich herrschte auch in diesem Madchenkreis in Fer-
rara nicht immer musterhafte Moral; wir kennen Angela Borgias
Geschichte, die sich sehr bemiiht haben muB, das Herz des Kar-
dinals d'Este zu erwerben, wenn er aus Eifersucht seinem Bruder
die Augen hat ausstechen lassen, oder die von Diana d'Ariosti,
die zartliche Briefe an Pons gerichtet hat. Die groBte Sorge mit
ihren Damigellen hatte Isabella von Mantua, die freidenkend genug
in Liebesdingen war und ihren Hofdamen viel Freiheit gewahrt hat.
15 1 3 fuhr Isabella zum Karneval nach Mailand, von ihren
hiibschesten und liebenswiirdigsten Damigellen begleitet, darunter
befand sich die schdne Brognina. Der Erzbischof von Gurk, Mon-
signore Matteo Lang, der kaiserliche Vertraute, der damals in Mai-
land weilte, verliebte sich wie ein Jungling in die kokette Mantua-
nerin. Er unterhielt sich lateinisch mit ihr, indem er italienische
Brocken dazwischen flocht, da er Dantes und Ariostos Sprache kaum
kannte; die mailandischen Hoflinge haben sich diesen Mangel in
der Bildung des Kirchenfiirsten zu Nutzen gemacht und ihm in
Brogninas Gegenwart die komischsten und unpassendsten Ausdriicke
untergeschoben. Aber die Leidenschaft des Monsignore erkaltete
nicht; Isabella berichtet ihrem Gatten brieflich, der Erzbischof
habe sich ohne Riicksicht auf seine Wiirde und seine soziale Stel-
lung vor Brognina auf die Knie geworfen, ,,et cum lei fece l'amor
quanto gli pare". Aber der Erzbischof hatte einen gefahrlichen
Nebenbuhler, es war kein Geringerer als der spanische Vizekonig in
Mailand, Raimondo di Cardone, und beide Rivalen benahmen sich
auf einem Festmahl im Palast des Grafen Brunovo komisch genug.
Als Isabella mit ihren Damigellen in den Saal trat, drangten sich
der Vizekonig und der Erzbischof heran, um Brognina zu umarmen,
und beide scheinen ihr viel Kiisse geraubt zu haben. Der Vizekonig
hat sich artig aus der Affaire gezogen, er schickte der schonen
426 VIERZEHNTES KAPITEL
Mantuanerin am nachsten Tage 25 Ellen karmoisinroten und 25
Ellen schwarzen Samt und lieB ihr melden, den karmoisinroten Samt
schicke er ihr aus Dankbarkeit fur die Freude, die er gestern emp-
funden, den schwarzen als Belohnung fiir die Scham, die ihr Antlitz
iibergossen. Einer von Isabellas Hoflingen berichtet einem Be-
kannten, Brogninas Mantuaner Verehrer, die Zeuge der Bewer-
bungen des Vizekonigs und des Bischofs waren, seien vor Neid fast
gestorben und hatten den machtigen Rivalen gegenuber doch
nichts anfangen konnen, besonders da diese schamlosen, einge-
bildeten und elenden Spanier nicht mit sich scherzen lieBen. Der
Mantuaner hatte schon so unrecht nicht; wahrend der Vizekonig
den Damigellen Herz und Kiisse raubte, stahlen seine Hoflinge auf
Ballen und Empfangen alle Kostbarkeiten, die sie erreichen konnten.
Im Ballgedrange war die Devise vom Kleid der Markgrafin, ihre
goldenen Leuchter, verschwunden; die spanischen Adeligen hatten
sie mit der Geschicklichkeit von Beutelschneidern abgeschnitten.
Selbst in den Salons des Vizekonigs haben die stolzen Spanier den
mailandischen Herren ihre goldnen Knopfe abgeschnitten; da-
gegen konnte man sich nicht wehren, da die Spanier bei der leisesten
Bemerkung zum Duell herausgefordert haben.
Isabella sah bei der Liebschaft des Vizekonigs und des Erzbischofs
mit Brognina durch die Finger, ja, sie begiinstigte sie bis zu einem
gewissen Grade, da sie die Herren gewinnen wollte, um fiir Mantua
und fiir Alfonso d'Este verschiedene politische Vorteile herauszu-
schlagen. Namentlich war es ihr darum zu tun, Peschiera fiir
Mantua zu erwerben, um Zutritt zum Gardasee zu haben. Als der
maskierte Erzbischof auf einem Balle viel mit Brognina tanzte
und ihr von Liebe sprach, beniitzte Isabella die Gelegenheit, um
ihn Peschieras wegen zu interpellieren. Brognina war dem Erz-
bischof nicht gnadig, da Cardone mit seinem Samt und seiner
spanischen Galanterie ihr Herz gewonnen hatte. Nicht Brognina
allein, auch die iibrigen mantuanischen Damigellen erlebten Liebes-
abenteuer in Mailand; ihr Benehmen und die Nachsicht der Mark-
grafin erregten Gonzagas MiBfallen in hohem Grade, er warf seiner
Frau brieflich vor, all diese Zugellosigkeiten zu dulden, und sich
in Mailand zur ,,favola del vulgo" zu machen. Isabella fiihlte sich
HOFISCHES LEBEN 427
durch diese Vorwurfe empfindlich verletzt, sie antwortete ihremGatten,
sie verdiene an Stelle desTadels groBes Lob, da sie fiir Mantuas Nutzen
arbeite und den Gonzaga tausend Freunde wahrend ihres Aufenthalts
in Mailand gewonnen habe. Damals begann die Macht der Spanier
in Italien ins Wanken zu geraten, und dafiir ging Franz' I. Stern
nach der Schlacht bei Marignano glanzend auf. Die geschickte
Markgrafin bemiihte sich, Beziehungen zu dem jungen Kdnig an-
zuknupfen, der neugierig war, die beriihmte Frau kennen zu lernen
und vielleicht noch mehr wiinschte, Brognina zu sehen, von deren
Schonheit er schon viel gehort hatte. Der Besieger der spanischen
Armee beschloB die Spanier auch in Herzenssachen zu schlagen,
und schon ehe er die Damigella gesehen hatte, hatte er den Plan
gefaBt, sie Cardone abspenstig zu machen. Aber ihre Beziehungen
zum Vizekonig waren nicht folgenlos geblieben. Brognina war ge-
zwungen, den Hof der Markgrafin zu verlassen und sich fiir einige
Zeit in ein Kloster, in der Nahe von Goito, zuriickzuziehen. Dieser
Zwischenfall und Aufschub hat Franz' I. Eifer in keiner Weise
abgekiihlt; er befahl, die Damigella aus dem Kloster, das auf man-
tuanischem Boden lag, zu stehlen, und hat Monsignore Galeotto,
den Bischof von Nizza, der in Liebessachen erfahren war, mit
dieser Mission betraut. Der Bischof fuhr sofort nach Mantua, um
dem Markgrafen den Fall vorzutragen und ihn zu bitten, das Unter-
nehmen nicht zu stdren. Gonzaga ergriff gern die Gelegenheit, sich
Franz I. gefallig zu erweisen; er befahl dem Kommandanten in
Goito, den Bischof in seinen Absichten zu unterstiitzen. Der An-
schlag konnte schon fast als gelungen betrachtet werden, der
Bischof hatte Brognina aus den Klostermauern geholt, auf ein
Pferd gesetzt, mit seinem Mantel bedeckt und geleitete sie im
Schutz einiger Bewaffneter ins konigliche Lager. Ungliicklicher-
weise stieB die Kavalkade unterwegs auf eine Abteilung spanischer
Reiter. Brognina, die sich nur widerwillig gefiigt hatte, warf den
Mantel beim Anblick der Spanier ab, gab sich ihnen als la bella di
Cardone zu erkennen und bat um ihre Befreiung. Die Spanier warfen
sich auf den Bischof, priigelten ihn durch, und der seinem Konig
gehorsame Monsignore hatte es bei dieser Begegnung nur seinem
Pferd zu danken, daB er mit dem Leben davonkam. In der Schatulle,
428 VIERZEHNTES KAPITEL
die die Spanier dem Bischof raubten, befand sich ein gefalschtes
Breve, in dem der Papst Brognina empfahl, vom spanischen Vize-
konig zum franzosischen Monarchen iiberzugehen und sie von
vornherein wegen ihres Leichtsinns entsiindigte.
Franz I. war gerade im Begriff, von Mailand nach Bologna auf-
zubrechen, wo er mit Leo X. zusammentreffen sollte, als ihn die
Nachricht von der miBlungenen Expedition und vom Triumph des
spanischen Vizekonigs erreichte. Sein Zorn ergoB sich auf den
Bischof von Nizza. Der Monsignore bekam einen geniigend strengen
Denkzettel, urn sich in Zukunft nicht in Dinge einzulassen, die ihn
nichts angingen, er suchte mit zerblautem Riicken Schutz in Mantua,
wo er langere Zeit in Furcht vor der Rache des Konigs und Car-
dones lebte. Ganze Tage verbrachte er im Boot auf dem Mantua-
ner See, da er sich dort vor spanischen oder franzosischen
Dolchen am sichersten fiihlte. Dem ganzen Hof gait er als Ziel-
scheibe des Witzes, und ein lustiger Frate aus dem Kloster delle
Grazie riet, der Markgraf moge Leo X. empfehlen, den Bischof von
Nizza als geeignetste Personlichkeit fur das Konzil zu bestimmen,
um zu giinstigen Ergebnissen in der Reform der Heiligen Kirche
zu kommen.
Diese Begebenheit hat Isabella durchaus nicht entmutigt, die
allerschonsten Damigellen um sich zu versammeln. Die eine von
ihnen, Alda, eine Verwandte von Matteo Bojardo, hat die Markgrafin
in dem MaBe beherrscht, daB sie allmahlich zur Vertrauten ihrer
ehelichen Geheimnisse wurde, auBerdem hat sie ihren Sohn, den
jungen Federigo Gonzaga, betort. Der Marchese Francesco muBte
1515 das kokette Madchen fortschicken, da sie in Mantua durch
ihre Intriguen wahre Feuerbrande zusammengetragen hat. Am
schlimmsten ist es der Markgrafin mit ihren Donzellen wahrend
Karls V. Aufenthalt in Bologna ergangen.
Isabella hat wahrend des Karnevals in dem von ihr bewohnten
Palast Tag und Nacht Balle, Maskeraden und andere Festlichkeiten
arrangiert, an denen die italienische und spanische Jugend teilnahm.
Die Damigellen haben sich sehr frei benommen und boten AnlaB
zu verschiedenen Reibereien, da die leidenschaftlichen, eifersiich-
tigen Spanier die Italiener, die auch zum groBten Teil in die
H5FISCHES leben
429
schonen Gefahrtinnen der Markgrafin verliebt waren, gereizt und
herausgefordert haben. Die Skandale nahmen kein Ende, auf den
Mauern und Saulen des Palastes konnte man Kreide- und Kohle-
zeichnungen sehen und unanstandige Aufschriften lesen, die sich
auf die Damigellen bezogen und von der Dienerschaft entfernt
werden muBten. Das eigentliche Drama, zu dem die Damigellen
beitrugen, spielte sich am 17. Marz beim Ball der Herzogin von
Savoyen ab. Es war ein auBerordentlich prachtiger Abend, an dem
Karl V., die Herzdge von Ferrara, Mailand und Urbino teilnahmen.
Der Kaiser blieb zwei Stunden, sprach und scherzte mit den Damen;
die gute Laune des Monarchen teilte sich der ganzen Gesellschaft
mit, und es schien, als sollte die Gesellschaft ohne einen jener un-
angenehmen Zwischenfalle, die damals an der Tagesordnung waren,
verlaufen. Nachdem Karl V. gegangen war, begannen sich einige
Spanier Isabellas Damigellen gegeniiber so unanstandig zu be-
nehmen, daB die Italiener die Ehre des Hauses wahren wollten, nach
den Waffen griffen und die Spanier aufforderten, den Saal zu ver-
lassen. Die Spanier blieben natiirlich, zogen gleichfalls und es
kam zum Kampfe, bei dem drei der kecken Fremden ihr Leben
lieBen. Von den Dienern des Hauses, die die Kampfenden trennen
wollten, waren sieben verwundet.
Der Markgrafin blieb nichts anderes iibrig, als Bologna zu ver-
lassen; sie empfahl sich dem Kaiser, der sich ihr trotz der getoteten
Spanier sehr gnadig erwies, empfing den papstlichen Segen und
kam am 21. Marz mit ihren unruhigen Damen nach Mantua zuriick.
Natiirlich war dieser weibliche Hofstaat an den italienischen
Hofen der Mittelpunkt aller Vorurteile und alles Aberglaubens;
dort suchten die verschiedensten Charlatans nach ihren Opfern,
dort fanden Schonheitsrezepte und Geheimmittel ihre Abnehmer.
In Ferrara gab es zwar infolge der Universitat bessere Arzte, als
in den meisten iibrigen italienischen Stadten, aber die Arzte waren
namentlich bei den Frauen der Renaissance sehr unbeliebt.
Dieser traurigen Gestalt in schwarzer Cimarra, schwarzem
Samtbarett und Trauerhandschuhen traute niemand so recht,
und in den meisten Fallen behandelte man sie als „jumentum
insipiens" und rief ,,portate fieno", wenn sie naherkam. Nichts war
430
VIERZEHNTES KAPITEL
so verbreitet, wie Anekdoten von Arzten; man erzahlte sich, irgend
ein Arzt habe selbst den Puis des Campanile, als die Glocken
schlugen, nicht finden konnen und wiederholte mit Plato, daB es
dem Arzt allein gestattet sei, die Menschen straflos zu toten. Der
Arzt, namentlich ,,medicus urinarius" wurde neben dem Monch
zur beliebtesten komischen Figur der Novellisten und Lustspiel-
dichter. Sogar in den mittelalterlichen kirchlichen Auf f iihrungen in den
,,Rappresentazioni sacre" tritt der Arzt schon ah komische Figur auf.
In jenen Frauengemachern miBtraute man dem Arzt, glaubte
aber fest an die Wirksamkeit der verschiedensten Rezepte, von
denen sich noch ganze StoBe in Bibliotheken verbergen. Nament-
lich schrieb man gewissen Beschworungsformeln und kostbaren
Steinen eine geheimnisvolle Bedeutung zu und schatzte die Wirk-
samkeit heilender Krauter. Noch im XIII. Jahrhundert gab der
portugiesische Arzt Pietro di Giuliano da Lisbona, der spatere
Papst Johannes XXL, ein populares medizinisches Buch ,,Tesoro
di poveri" heraus. Dieses Buch war fur einige Jahrhunderte das
Rezept-Schatzkastlein1), auch die medizinischen Vorschriften eines
andern Papstes, Innocenz III., erfreuten sich groBer Beliebtheit.
Innocenz war der Erfinder eines Pulvers, das das Augenlicht wieder-
gab, der Kardinal Bianco war ein noch groBerer Wundertater,
sein Pulver erhielt die Sehkraft, hielt den Magen in Ordnung, zer-
streute die bose Laune und wirkte giinstig auf die Brust. In diesen
Rezeptbuchern, die in keinem groBern Hause fehlten, sind auch
Beschworungsformeln, scongiuri, eingetragen. Es gab scongiuri
gegen Fieber, Zahnschmerz und viele andere Krankheiten; wenn
man sie sprach, muBte man ein Kreuz iiber die schmerzende Stelle
schlagen, auBerdem fasten, beten und Almosen geben. So wurde z. B.
die Rose geheilt, wenn man iiber den Kranken den Vers sprach:
Nui tre fratre simo: iamo, a monte Albano,
A piglia noglio pe' resibela e anti mali.
Als Universalmittel gait der Rosmarin, dem man zweiundsiebzig
,, virtu" zuschrieb, d. h. man glaubte, daB er sich in zweiundsiebzig
x) Sehr verbreitet waren auch die Biicher ,, Regime de corps" von Aldo-
brandini di Siena und „De regimine sanitatis" von Taddeo Alderotti.
hOfisches leben 431
Fallen erfolgreich anwenden lieBe. Rheumatismus und Katarrh,
samtliche Geschwiire, selbst Krebs wurden mit Rosmarin geheilt.
Auch Sancho Pansa hat Don Quixote Rosmarin und Salz auf die
Ohrwunde gelegt, die sich der baruhmte Ritter im Kampf geholt
hatte. Rosmarin machte die Alten wieder jung, gab den Frauen
einen weiBen, glatten Teint, mit diesem wunderbaren Kraut ver-
trieb man Schlangen und wilde Tiere, Rosmarin brachte Gliick und
OberfluB und heilte sogar Geisteskrankheiten. Man erzahlte sich,
ein englischer Monch habe diese Eigenschafte-n des Rosmarin in
Indien beobachtet und das Wunderkraut nach Europa gebracht.
Diese tJberlieferung war schon deshalb unwahrscheinlich, da
bereits die Romer Rosmarin in verschiedenen Fallen beniitzt
haben.
Besondere Eigenheiten hatten einige kostbare Steine wie Sma-
ragden, Rubine u. a., auBerdem gab es zehn Steine, pietre virtuose
benannt, die mit geheimer Kraft begabt waren. Namentlich Frauen
suchten nach dem Adlerstein, pietra dell'aquila, die die Adler in
ihren Nestern zusammentragen sollten. Dieser Stein sollte die
schmerzvollsten Vorgange im Leben der Frau erleichtern, und der
Glaube an seine Heilsamkeit hat sich bis auf den heutigen Tag er-
halten, so weit, daB haufig noch Frauen in Pariser Apotheken
kommen und nach dem Adlerstein verlangen1).
Sehr gesucht war besonders der Smaragd, denn er gab dem, der
ihn trug, Gesundheit und Heiterkeit. Freilich muBte man ihn in
Wein und 01 waschen. Am starksten waren die Wirkungen der
x) Im Pariser .Journal de la Beaute" vom 11. Juni 1905 lese ich, daB
die „pierre du soleil" als Berloque gefafit, Liebe erwecke und den Geliebten
binde. Dieselbe Zeitung empfiehlt am 19. Dezember 1905 ihren Leserinnen
als besonders wirksam in Liebesdingen die „magische Pflanze" Mandragola,
die zu den groBen Seltenheiten gehort, an einsamen, wilden Platzen wachst,
zufallig auftaucht und wieder verschwindet und sich nicht durch Samen
wie andere Pflanzen vermehrt. Wer Mandragola besitzt, kann sicher sein,
wiedergeliebt zu werden. So lebt Machiavellis „Mandragola" denn bis auf
den heutigen Tag. In Galizien wissen die Bauernmadchen von dieser Pflanze
und ihren Vorziigen, nennen sie jedoch anders. Nach ihren Beschreibungen
stimmt die Wurzel vollkommen mit der Mandragola -Wurzel tiberein die
sich in der kaiserlichen Bibliothek in Wien befindet und die Gestalt eines
zusammengeschrumpften Puppchens hat.
432 VIERZEHNTES KAPITEL
Koralle, die ahnlich wie der Rosmarin unzahlige Vorzuge hatte. In
pulverisiertem Zustand wurde sie zusammen mit eingemachten
Friichten gegen Herzkrankheiten eingenommen, da corallo ,,cor
alens" bedeutete, der Stein also als herzernahrend gait.
Conforte al riguardar la vista e '1 core:
Averne seco quande il folgor cade,
Pietra non e piu util ne migliore.
Im Buch ,,Segreto de Segreti", das Aristoteles zugeschrieben
wurde und in Albertus Magnus beruhmtem Werk ,,De Mineralibus"
las man iiber die geheimen Eigenschaften kostbarer Steine. Nicht
der Stein allein war von geheimem EinfluB auf den Geist und die
Gesundheit des Menschen, die eingeschnittenen Figuren erhohten
seinen magischen Wert. Eine Kamee mit einer menschlichen
Figur, die eine Schlange am Kopf hielt, vermehrte den Reich-
turn; ein Lowe oder Ziegenbock in Stein schiitzte vor taglichem
oder dreitagigem Fieber, Lowe und Hund zusammen heilten
Tollwut.
Die Monche, die sich den groBen Damen gefallig erweisen
wollten, schrieben ihnen die verschiedensten Rezepte ab, so erhielt
Chiara di Correggio, die im XVI. Jahrhundert lebte, von einem
Franziskaner einige unerhort seltene Schonheitsrezepte ,,Ricette
da fare bella". Unter anderem sind die Substanzen eines Pulvers
aufgefiihrt, die der Kardinal-Protektor jenes Monchs, ,,il mio car-
dinale", beniitzt hat und denen er seine schone weiBe Hand zu
danken hat. Das Buch enthalt auch Rezepte fur Puder, fur das
Parfiimieren von Handschuhen und verschiedene andere wertvolle
Winke fur Frauen.
Zu einer Frauenbibliothek gehorte auch eine Sammlung von
Gebeten gegen gewisse Krankheiten, und damals schon wandte
man sich an die heilige Apollonia von Alexandrien, wenn man an
Zahnschmerzen litt.
In der sehr zum Aberglauben neigenden Renaissance bestand
neben der wirklichen Welt eine Welt der Symbole, in der die Phan-
tasie frei schalten konnte. Alles, was den Sinnen unterstand, hatte
seine geheime Bedeutung; mit den Sternen und den Himmelskorpern
HOFISCHES LEBEN 433
beschaftigten sich die Astrologen, fur die Phantasie gewohnlicher
Menschen bot die Flamme im Kamin, Rauch, Kohle, Asche,Wolken,
Regen, Schnee und der Regenbogen Ziindstoff genug. Jedes
elementare Ereignis, jeder Gegenstand, der damit in Verbindung
stand, war fiir gute oder bose Prophezeiungen geeignet. Die Welt
der Symbole stand in engem Zusammenhang mit den Devisen und
Wappen, die sich ein jeder wahlte, der auf irgendeine Stellung in
der Gesellschaft ein Anrecht hatte. Zur Imprese fiigte sich die Figur
und ein entsprechendes Motto. Alle klugen, feinsinnigen Menschen
beschaftigte diese Kombination. Es gibt keinen VierfiiBier, Vogel,
Fisch, keine Schlange und kein Insekt, keine Pflanze und keine
Frucht, die damals nicht als Thema fiir eine Imprese gedient
hatten. Ganze Biicher wurden dariiber geschrieben, die ernst-
haftesten Menschen beschaftigten sich mit dieser von ihnen
erschaffenen Wissenschaft. Natiirlich haben sich die F.rauen
am meisten dieser Symbolik gewidmet, und wie alles andere
unterlagen auch die Devisen der Mode. Die Donzellen stickten
unter Niccolo III. franzosische Devisen auf ihre Armel, da
Norditalien damals im Zeichen franzosischer Sitte und fran-
zosischer Romane stand; unter Ercole I. wurden die franzosischen
durch spanische Devisen verdrangt, und unter Renata herrschte
wieder das franzosische Wappen vor. Eine ihrer Damen war so
tugendhaft, daB sie die Devise trug: ,,Ehrlich will ich mein Leben
vollenden!"
Eine sehr charakteristische Personlichkeit, die etwas vom
Arzt, vom Astrologen und vom Naturforscher hatte, war der Nea-
politaner Giovan Battista' della Porta, den der Kardinal Luigi
d'Este haufig bei sich zu Gaste sah. Delia Porta gab dem Kardinal
gegen seine Gicht ein Ol, das er aus Bucheckern gewann, die Mixtur
war mit Hdllenstein und geheimen Beschworungsformeln gebraut;
in seinen freien Augenblicken schrieb er wertlose Komodien. Sein
wichtigstes Werk war jedoch das Buch ,,Fisonomia delle erbe", in
dem er zweitausend Geheimmittel herausgab; es waren Geheim-
nisse, die er der Natur abgelauscht hatte, und er glaubte, niemand
konne in seinem Wissen weitergehen, als er gedrungen sei. Dem
gelehrten Charlatan geniigte das Offenbaren der geheimen Eigen-
28
434
VIERZEHNTES KAPITEL
schaften der Pflanzen nicht, er gab noch ein anderes Werk ,,Ma-
gnalia naturae" oder ,,Magia naturale" heraus, in dem er die Schleier
von alien Zweigen menschlichen Wissens hob. Unter alchymisti-
schen Seltsamkeiten befanden sich merkwiirdige Entdeckungen,
Ergebnisse ernsthaften Forschens, und manche wichtige spatere
Erkenntnis wurden vorausgeahnt. So sprach er viel von Perspek-
tive, von Spiegeln, die eine Feuersbrunst aus der Feme zu ent-
ziinden vermogen, von der Art mit Menschen auf Tausende von
Meilen mittels des Mondes zu sprechen, von Brillen, durch die man
ungeahnte Entfernungen iibersehen konne. Er widmete sich auch
agronomischen Forschungen, lehrte Methoden, um aus einem
Samenkorn dreiBigfaltige Frucht zu ernten, Getreide hundert Jahre
gut aufzubewahren, bisher unbekannte Blumen und Friichte zu
ziichten, Brot und Mehl zu backen. Diese wirtschaftlichen Vor-
schriften haben den Kardinal sehr interessiert, er hat den Neapoli-
taner in seine Villa nach Tivoli mitgenommen und ihm Geldmittel
zur Verfugung gestellt, damit er in seinem Haus Versuche anstelle,
Andere „Gelehrte", die Delia Porta seinen Erfolg neideten, haben
ihn bei der Inquisition verklagt, er verbreite irreligiose Kenntnisse
und verkiinde zukiinftige Dinge, aber mit Hilfe seiner einfluBreichen
Beschiitzer gelang es dem Alchymisten sich zu rechtfertigen. Sicher-
lich war es ihm um ein ehrliches Erforschen der Natur zu tun, zu
diesem Zwecke griindete er sogar eine ,,Accademia dei Segreti", in
der die verschiedensten Erfahrungen gesammelt wurden. Nach dem
Muster dieser Akademie entstanden spater Verbindungen, wie die
,,Accademia delCimento" und die ,,AccademiadellaTraccia",diezur
Erweiterung naturwissenschaftlicher Forschungen beitrugen. Delia
Porta war auch Lavaters Vorganger, er verfaBte eine Abhandlung
,,De humana Physiognomia", in der er bewies, daB die Gesichts-
ziige und gewisse Linien im Bau des menschlichen Korpers zur Be-
wertung und Feststellung geistiger Eigenschaften des Menschen
dienen konnen. Das groBte Verdienst des Neapolitaners besteht
darin, daB er als erster auf das Teleskop hingewiesen hat, an diesem
Problem hat er in venezianischen Glasfabriken gearbeitet. Ihm wird
auch die Erfindung der Camera obscura zugeschrieben, die spater
fur Kepler und Newton wertvoll war.
HOFISCHES LEBEN 435
V
DerHof vonFerrarawar einerderheitersten geselligen Mittelpunkte
Italiens. Fast ununterbrochen gab es Musik, Gesang und Tanz,
und die Keiterkeit des Kastells hat sich der ganzen Stadt mitgeteilt.
Wenn die Zeitgenossen Ferrara beschreiben, so heben sie immer
hervor, daB die ganze Stadt am Abend von Musik und Gesang wieder-
halle. Die Este haben Musik mit viel Hingabe getrieben und selbst
ihre Pagen in mehreren Instrumenten unterweisen lassen. Musik
wurde zur Leidenschaft der Renaissancehofe. Es wurde bereits er-
wahnt, daB die Este Musiker aus Flandern und Frankreich haben
kommen lassen und ihr eigenes Orchester hatten. Unter Alfonso II.
hat die Pflege der Musik in Ferrara ihren Hohepunkt erreicht.
Fast alle beruhmten Musiker Europas kamen damals fur einige Zeit
nach Ferrara und haben dem Hofe ihre neuesten Werke geschickt.
Der Franzose Giovanni Alessandro di Melleville war Musiklehrer
der Prinzessinnen Anna, Lucrezia und Leonora; namentlich
Lucrezia hat wahrend ihres ganzen Lebens Musik eifrig betrieben.
Eine Zeit hindurch beschaftigte sie an ihrem Hof die drei Schwestern
Avogari, die zusammen mit dem Organisten ein ausgezeichnetes
Quartett gebildet haben. Leonora hatte eine sehr schone Stimme,
aber die Arzte haben ihr infolge ihrer schwachen Konstitution friih-
zeitig das Singen verboten. Der beruhmte Pier Luigi Palestrina wurde,
nachdem er seine ,,Messe di Papa Marcello" komponiert hatte, nach
Ferrara als Kapellmeister berufen und nahm vier Jahre von 1567 bis
1571 diese Stelle ein. Vorher war er kurze Zeit Mitglied des Chores der
Sixtina gewesen, aber Paul IV. Caraffa hatte ihn entlassen, da der
leichtsinnige Pier Luigi weltliche ,,Madrigale" komponiert und sie
x555 in Rom herausgegeben hatte. Infolgedessen suchte der be-
ruhmte Musiker Beschaftigung bei anderen Kirchen, bis er nach
Ferrara kam. Fur Caraffa war seine Musik zu weltlich, fur Alfonso
zu ernst. Palestrinas kiinstlerische Richtung entsprach dem Ge-
schmack desHerzogs nicht, infolgedessen verlieB der Kiinstler Ferrara
und ging 1571 nach Rom zuriick, wo er wieder in San Peter ange-
stellt wurde. Alfonso war selbst Komponist, er hat die Musik zu
den ersten Schaferspielen, die am Hofe aufgefiihrt worden waren,
28*
436 VIERZEHNTES KAPITEL
verfaBt und beschaftigte sich auch mit dem Arrangement der
SchloBkonzerte. Da es viel Schwierigkeiten kostete, die entspre-
chende Sangeranzahl zusammenzubringen, bemiihte er sich von
den Prioren der dortigen Kloster die Erlaubnis zu erhalten, die
musikalischen Monche an den Hofkonzerten teilnehmen zu lassen.
Die Monche muBten, wenn sie offentlich auftraten, einen schwarzen
Mantel iiber ihre Kutte ziehen.
Zu Ferraras beruhmtesten Kapellmeistern gehort Luzzasco
Luzzaschi, der dem SchloBorchester von 1561 bis 1592 vorstand.
Er hatte einen groBartigen Chor von Damen und Herren der ersten
Gesellschaft gegrundet, iiber den die Zeitgenossen voll Lobes sind.
Zu diesem Chor gehorten: Tarquinia Molza, Lucrezia Bendidio,
die Contessa Leonora di Scandiano, Vittoria Bentivoglio und
Laura Peperara; unter den Mannern hatte der Neapolitaner Giulio
Cesare Brancaccio die schonste BaBstimme. Militarische Studien
haben ihn jedoch mehr als Musik interessiert, und er hat den Herzog
mit seiner Abhandlung iiber Strategic, von der er nicht ubermaBig
viel verstanden zu haben scheint, sehr gelangweilt. Der Herzog hat
Brancaccio vierhundert Scudi jahrlich angewiesen, ihm Pferde ge-
halten und ihm vollig freien Unterhalt gewahrt, doch dies geniigte
dem verschwenderischen Neapolitaner keineswegs, er traumte stets
davon, sein Schicksal zu verbessern. Nachdem er den Hof von Fer-
rara verlassen hatte, trieb er sich in Frankreich und Spanien herum,
bis er zuletzt in Neapel von der Barmherzigkeit der Menschen lebte,
denen er amiisante Anekdoten erzahlte.
Die bedeutendste Rolle in der musikalischen Welt hat Tarquinia
Molza gespielt; die Gesandten unterlassen es nie, sie in ihren Be-
richten iiber Ferrara zu erwahnen, und die Dichter haben sie be-
sungen. Tarquinia Molza, aus einer bekannten Familie Modenas
stammend, trieb auBer Musik auch klassische Sprachen und Astro-
nomic Einer der Hofpoeten hat ihr ein Madrigal gewidmet: ,,A
la signora Tarquinia Molza la qual studiando la sfera andava la
sera contemplar le stelle". Tarquinia hat auch gedichtet und nimmt
unter den Dichterinnen des XVI. Jahrhunderts in Italien durchaus
keine untergeordnete Stelle ein. Alfonso II. hat sie so heiB verehrt,
daB er einst ihr zu Ehren in einem Turnier gekampft hat; Tasso
HOFISCHES LEBEN 437
hat diese Begebenheit in einem elegantei; Sonett besungen. Die
Molza kam als junge Witwe 1583 nach Ferrara, sie gefiel dem Dichter
auBerordentlich, aber der flandrische Musiker Giacomo West, der
im Dienst der Grafen von Novellara stand und sehr haufig nach
Ferrara kam, fand vor ihren Augen mehr Gnade. Man wollte Kiisse
zwischen Tarquinia und dem Flamen belauscht haben, und der
Herzog, der vielleicht nicht ganz frei von Eifersucht war, fing Briefe
des verliebten Paares auf. Infolgedessen mufite die Molza, nachdem
sie einige Jahre in Ferrara gelebt hatte, 1589 nach Modena zuriick-
kehren; in ihrem Haus fand sich ein Kreis von Literaten und Mu-
sikern zusammen.
Von Lucrezia Bendidio, einer der Sangerinnen des Hofes, und
ihrem Verhaltnis zum Kardinal Luigi, war schon die Rede. Von
Laura Peperara, der jiingsten dieser Damen, ware zu erwahnen,
daB sie durch ihren Gesang Annibale Turchi besiegt hat, einen Jung-
ling, der zu den ersten Familien von Ferrara gehort und sich mit ihr
vermahlt hat. Der Herzog zeigte sich sehr freigebig und hat der
armen Sangerin zehntausend Scudi als Mitgift geschenkt.
Von Zeit zu Zeit wurden am ferraresischen Hof ganz groBe
Konzerte veranstaltet, so brachte Alfonso 1583 zum Empfang eines
beriihmten Gastes siebenundfiinfzig Sanger zusammen. Zwei
Zimmer im SchloB wurden fur die Proben bestimmt, und der Herzog
lieB zur Beniitzung der Kiinstler die verschiedensten Instrumente
zurechtlegen, wie Posaunen, Bratschen, Floten, Zithern, Harfen,
Klaviere usw.
Bezeichnend fur die Musik am ferraresischen Hofe im ausgehen-
den 16. Jahrhundert war ihr Zusammengehen mit der gleich-
zeitigen Poesie. Jedes Madrigal, jede Ballade und Kanzone, die
Tasso, Guarini oder Pigna verfaBt hatten, wurde von Agostini,
Fiorini, Luzzasco oder haufig vom Herzog selbst in Musik gesetzt.
Selbst einzelne Abschnitte aus dem Furioso oder der Gerusalemme
wurden vertont. Es wird erzahlt, daB Ariost sich in ein junges
Madchen verliebt hat, das mit unbeschreiblichem Reiz seinen Or-
lando gesungen hat. Die Musik wurde allmahlich weich und sen-
timental, die Zeitgenossen klagen, daB es ihr an Kraft fehle, und
selbst Tasso spricht in seinem Dialog ,,La Cavaletta" vom Verfall
438 VIERZEHNTES KAPITEL
des musikalischen Gefiihls und fordert Meister wie Luzzasco auf,
den alten Ernst, die gravita wiederzubeleben.
Ohne Musik, ohne Intermezzi, in den meisten Fallen komischer
Art mit sehr anstoBigen Versen und entsprechend sinnlicher Musik,
ging es bei keiner Theaterauffiihrung ab. Die Intermezzi nahmen
dermaBen uberhand, daB einer der Kunstler sich beklagt hat, er
schreibe eine Komodie fiir Intermezzi und nicht mehr Intermezzi
fur eine Komodie. Lasca klagt in seinem Prolog zu ,, Strega" iiber
die musikalischen Einlagen, die die Aufmerksamkeit der Zuhdrer
vom Drama ablenken. Um dem Geschmack des Publikums zu
schmeicheln, flocht jeder Lustspieldichter Madrigale in seine Ko-
modie ein, die fiir Musik und Gesang verfaBt waren, und in den
wenigsten Fallen mit dem Inhalt des Stiickes in Zusammenhang
standen. Diese Intermezzi bilden im Zusammenhang mit der Ko-
modie den Anfang des Melodramas, das sich im XVII. Jahrhundert
entwickelt hat.
Die Klagen iiber die Sinnlichkeit und Verweichlichung der
Musik haben also wenig geniitzt, und trotz des einsetzenden Ver-
falls ist die Vorliebe fiir Musik nicht in Ferrara allein, sondern in
ganz Italien ungeheuer gestiegen; musikalische Akademien wurden
gegriindet, um gemeinsame Konzerte zu veranstalten. Die ferra-
resische Akademie sollte ihren Statuten gemaB alle drei Monate
ein groBes Konzert geben, die Jugend ausbilden und aus ihrem
Kreise Zensoren in musikalischen Dingen wahlen.
In unmittelbarem Zusammenhang mit der Musik stand der
Tanz, der erst in der Renaissance zum weltlichen Spiel wurde, wah-
rend er im Mittelalter mit religiosen Brauchen eng verkniipft war.
Der Tanz in der Kirche war ein heidnischer Brauch. Die romische
Kirche hat diese Sitte seit dem XII. Jahrhundert bekampft, und
bis gegen Ende des XVI. Jahrhunderts erlieBen die Konzile ein
Verbot nach dem andern, in den Kirchen und auf den Friedhofen
zu tanzen. In Piemont wurde noch im XVI. Jahrhundert in der
Kirche getanzt, wenn der junge Kaplan die erste Messe las, und
heute tanzt man noch in einzelnen spanischen Gemeinden zu Ehren
der Mutter Gottes, nicht nur wahrend der Prozession auBerhalb der
Kirche, sondern auch in der Kirche selbst. In Sevilla hat sich der
HOFISCHES LEBEN 439
Tanz der Kinder vor dem heiligen Sakrament als Brauch einge-
biirgert1). In Italien hat man erst in der Renaissance den Tanz
vollkommen von kirchlichen Brauchen getrennt. Zuerst hat auch
der Renaissancetanz etwas vom kirchlichen Ernst bewahrt, er war
langsam und getragen, eine Art begleitender Bewegung zum reli-
giosen Lied. Es wurde zumeist singend getanzt, und tiefe Ver-
beugungen gehorten zu den wesentlichen Bestandteilen des Tanzes.
Wahrscheinlich war die erste dem Tanz angepaBte Gedichtform
die Ballade, spater wurden im Takt Kanzonen, Madrigale und ver-
schiedene andere Gedichte gesungen.
Da der Tanz in Italien sich aus kirchlichen Brauchen entwickelt
hat, war er bis ins XV. Jahrhundert eine bloBe Volksbelustigung,
erst allmahlich ging er vom offentlichen Platz, von der StraBe in
den geschlossenen Raum iiber. Die Volkstanze wurden damals zu
Tanzen umgewandelt, wurdig ,,da esser dangati per dignissime
x) Nicht nur in Sevilla, sondern auch in entlegeneren Stadtchen Anda-
lusiens bestehen bis auf den heutigen Tag religiose Tanze in der Fastenzeit
zu Ehren der Mutter Gottes. Sie haben neben der religiosen auch eine
historische Bedeutung; denn sie stellen die Freude iiber den Untergang der
Mauren dar. Diese Tanze gleichen einer amusanten Maskerade mehr als
einer religiosen Zeremonie. Die Tanzer, zumeist Leute aus dem Volk,
Ziehen sich wie Harlekins an, tragen ein rotes Warns, ein kurzes, weiBes,
gesticktes Beinkleid, stecken farbige Bander an und gurten sich mit bunten
Scharpen. Auf dem Kopf tragen sie eine Art Helm oder Pyramide aus
rotem Stoff mit kunstlichen Blumen, unter dem Kinn gebunden. Kleine
Spiegelchen, die an diesem seltsamen Kopfputz befestigt sind, erhohen das
Grelle der Kostume. Diese Ballettanzer mit einem Alkalden an der Spitze
gehen tanzend der Prozession voran und teilen sich auf ein gegebenes Zeichen
in zwei Gruppen, von denen die eine die Christen, die andere die Mauren
darstellt. Beide Gruppen veranstalten einen Kriegstanz, schlagen sich mit
Stocken beim Klang der Kastagnetten und Tamburine, dann erliegt die
Gruppe der Mauren der Ubermacht, erklart sich geschlagen, sinkt vor Marias
Bild in die Knie und bittet urn die Taufe. Es folgt ein Freudentanz iiber
die Belehrung der Unglaubigen, die Prozession tritt in die Kirche, die Orgel
spielt lustige Melodien, die Tanzer setzen ihre schwingenden Bewegungen
fort, und der Ball in der Kirche wahrt bis zum Abend. Niemand lacht,
niemand empfindet die Komik der Szene, im Gegenteil, das versammelte
Volk ist vom religiosen Charakter dieser Sitte durchdrungen, und die Frauen
knieen und beten wahrend des Hollenlarms.
440
VIERZEHNTES KAPITEL
madonne et non plebeie". In der Benennung ,,contradanse" hat sich
die Herkunft eines der verbreitetsten Salontanze vom Volkstanz er-
halten, da contradanse urspriinglich nichts anderes war als danza
della contrada, Dorftanz.
Musik und Tanz wurden Bedingungen guter Erziehung. Tanz-
lehrer, — die beriihmtesten darunter waren in Ferrara Domenico
da Ferrara, der Verfasser des Buches ,, Liber Ballorum", und sein
Schiiler der Jude Guglielmo hebreo Pisauriensis, der einen ,,Trat-
tato dell'Arte del Ballo" herausgab — erdachten immer neue Tanze,
und selbst Lorenzo de' Medici hielt es nicht unter seiner Wiirde,
Tanzfiguren zusammenzustellen. Die Duchessa Margherita, Al-
fonsos II. Gattin, hat neue Tanze erdacht, und am 20. Januar 1582
haben auf dem Hofball die Herzogin selbst, Donna Marfisa und noch
sechs Damen einen vollkommen neuen Tanz aufgefiihrt. Einige
unter ihnen stellten in hochgeschiirzten Kleidern Manner dar.
Vielleicht waren Tanzschulen in keiner Epoche so verbreitet, wie
in der zweiten Halfte des XVI. Jahrhunderts; die beste Gesellschaft
fand sich dort zusammen, und diese Anstalten standen in ebenso
hohem Ansehen wie die Fechtschulen. Die vornehme Jugend ritt
morgens und iibte sich in der Verfertigung von Waffen, am Nach-
mittag wurde in der Tanzschule getanzt. Da man sich in allem be-
miihte, die Antike nachzuahmen, wurden auch pantomimische,
sehr indezente Tanze eingefiihrt.
Die verbreitetsten Tanze in der zweiten Halfte des XV. und im
beginnenden XVI. Jahrhundert waren ,,la piva", ,,il saltarello",
aber es gab daneben auch eine Menge provinzialer Tanze wie ,,ve-
neziana", ,,bergamasca", „florentina", ,,polesina", ,,friulana". Gugli-
elmo hebreo hat mehr als zehn neue Tanze ersonnen und eingefiihrt.
Haufig trug der Tanz den Namen der Kanzone, von der er stammte,
wie „Mezzacrocca", die am Hof zu Mantua viel getanzt wurde. An
mehreren der Kanzonen, die zum Tanz gesungen wurden, wiirde man
heuteAnstoB nehmen, aber damals war man weniger heikel. Zudenbe-
kanntesten gehorte die Kanzone ,, Rosina", die folgendermaBen begann :
Che bella chioma ch'ha la mia Rosina,
Rosina bella fa li la la la
Viva l'amore e chi morir mi fa.
hOfisches leben 441
In den weiteren Strophen wurden die Reize der Rosina sehr
eingehend geschildert. Heute noch wird das Lied auf den Dorfern
mit den verschiedensten Zusatzen gesungen, indem anstelle der
Rosina eine Marianna getreten ist:
Che bel capelli ch'ha la mia Marianna . . .
Im SchloB zu Ferrara wurde der Ball zumeist mit einem Fackel-
tanz, ,,ballo della torcia", und dem Loschen der Fackeln beschlossen.
Die Tanze bestanden zumeist aus verschiedenen Figuren, die man
noch in manchen heutigen Tanzen, besonders auch im polnischen
Mazur, entdecken konnte. So faBte man z. B. im ,,ballo della
catena" die Tanzerinnen der Reihe nach unter den Arm und tanzte
eine Tour mit ihnen:
II ballo s'intreccia
Braccia con braccia:
Mentr'un s'allaccia
L'altro si streccia.
Es gab auch Figuren, in denen der Tanzer der von ihm er-
wahlten Dame ein Tuch zuwarf, ,,ballo della pezzuola", eine andere
,,il brando", war noch deutlicher, da man die Tanzerinnen der Reihe
nach abkiissen durfte. Bei besonders festlichen Ballen suchte man
durch graziose und anmutige Tanze zu glanzen. Ein venezianischer
Schriftsteller lobt die ferraresischen Damen, sie hatten im Tanz Mil
misurato passo" und beschrieben leichte und anmutige Wendungen.
VI
Ferrara war nachst Rom die wegen ihres Karnevals beriihm-
teste Stadt, und als in der zweiten Halfte des XVI. Jahrhunderts
die Papste den Karnevaleifer zu dampfen begannen, gait der fer-
raresische Fasching als der erste in ganz Italien. Besonders die
letzten Este haben sich fur Karnevalsfeste interessiert, unter ihrer
Herrschaft wurde der Karneval fast zu einer staatlichen Institution.
Sehr charakteristisch sind in dieser Beziehung die Berichte der fer-
raresischen Gesandten bei der romischen Kurie; sie beweisen, bis zu
442
VIERZEHNTES KAPITEL
welchem Grade die Este alles interessiert hat, was mit Faschings-
freuden in Zusammenhang stand. Die Gesandten haben den romi-
schen Karneval aufs ausfiihrlichste geschildert, und ihre Briefe sind
ein ausgezeichneter Beitrag zur Sittengeschichte von Rom. Ferrara
war fur seine schonen Masken beruhmt, sie wurden ein wichtiger
Handelsartikel der Stadt. Am 13. Februar 1508 berichtet der ferra-
resische Gesandte seinem Herzog aus Rom, der Kardinal d'Auch sei
mit den Masken sehr zufrieden, sie gehorten zu den schonsten, die
man in Rom je gesehen habe. Auch die fur den Bischof von Orvieto
bestimmten Masken seien zur groBten Freude desPralaten ausgef alien,
,,le ebbe carissime". Aus Ferrara scheinen auch Masken fur die Kar-
dinale S. Pietro in Vincoli und d'Aragon gekommen zu sein, die
wahrend des Karnevals ,,vestiti alia mammeluca" waren. Unter
Leo X. wartete der beriihmte papstliche Bankier, Agostino Chigi, im
Januar 151 8 auf drei Dutzend Masken, die ihm der Herzog von
Ferrara schicken sollte. In seinem Dialog ,,Delle maschere" hat
schlieBlich auch Tasso die ferraresischen Masken weit hoher als z. B.
die mailandischen geschatzt.
All dies beweist, wie sehr der Fasching in das Leben der Stadt
eingriff. Von den Herzogen hat namentlich Alfonso II., selbst als
er nicht mehr jung war, den Karneval bis zum auBersten ausge-
kostet, im Kostiim eines Hofnarren pflegte er sich auf der StraBe
unter die Menge zu mischen. Dies wurde einem Franziskanermonch
zuviel, im Beisein des Herzogs legte er seiner Predigt den Text zu-
grunde: drei Dinge haBt meine Seele: einen armen Hochmiitigen,
einen reichen Geizhals, einen wolliistigen Alten. Im Verlauf der
Predigt bekam der Herzog so manche unangenehme Wahrheit zu
horen; der Franziskaner betonte das Argernis, das ein alter Narr
gebe, der in der Maske Tanze anfuhre. Der Herzog hat die bittere
Pille in aller Stille heruntergeschluckt, und als der Kardinal Carlo
Borromeo fur drei Tage nach Ferrara kam, befahl er der gesamten
Bevolkerung, die Masken abzulegen, und tat selbst ein Gleiches.
Wahrend des Karnevals jagten Giostren, Balle, Konzerte,
Theaterauffiihrungen einander, so daB die vornehme Gesellschaft,
die an diesen Vergniigungen teilnahm, kaum einen Augenblick der
Ruhe hatte. Zu den beliebtesten Vergniigungen gehorten Wett-
HOFISCHES LEBEN 443
laufe aller Art; bis zum Giirtel entbloBte Jiinglinge und Greise
liefen urn die Wette, auch Madchen nahmen an Wettlaufen teil;
selbst fiir Tiere veranstaltete man Wettrennen, so fur Esel, Schweine,
und Biiffel, auch Stierkampfe waren sehr beliebt. Ein ErlaB der
herzoglichen Kanzlei ist auf uns gekommen, worin anstandige
Madchen, von gutem Betragen, uber zwolf Jahre alt, aufgefordert
werden, sich zum Wettlauf am Georgstag zu melden. Als erster
Preis gait das Palio, die weiteren Preise bestanden in Seidenstoff
fiir einen Rock. Das Publikum betrachtete es als sein Recht, wahrend
der Wettlaufe das erste beste voriibergehende Madchen zu packen
und auf Decken so hoch zu werfen, bis es — Venedig sahe.
Einmal nahm der Ubermut dermaBen uberhand, daB man zuletzt
die Verwundeten wie vom Schlachtfeld vom Spielplatz tragen
muBte. Wie viele andere Karnevalsitten, kam auch dieses ,, Spiel"
aus Rom nach Ferrara. Hatte doch Leo X. am letzten Dienstag des
Jahres 151 9 den Monch, dessen Stuck keinen Beifall bei der Auf-
fiihrung fand, auf Decken hochwerfen lassen. Dieses seltsame
,, Spiel" war im Zwischenakt an Stelle einer Moreske eingeschoben
worden. Die mit diesem Spiel verbundene Gefahr war nicht minder
groB, als jene die beim ,,Eierkrieg", einer gleichfalls sehr beliebten
Karnevalsnummer, zutage trat. Die Kampfenden waren zuletzt
so aufgeregt, daB sie nicht langer mit Eiern, sondern mit Stocken
fochten, und so mancher ging direkt nach der Schlacht ins Spital.
Zu den hubschesten ritterlichen Spielen gehorte der Ringlauf;
dem Sieger war eine kostbare Belohnung zugedacht: ein reichge-
schmiicktes Barett, ein Stuck Brokat oder Samt.
Nach Ferrara kamen zum Karneval Seiltanzer, Athleten oder
Prestidigitateure in groBer Zahl. Beliebt waren Ringkampfe von
Kraftmenschen. Weihnachten 1564 kampften wahrend eines Fest-
essens im SchloB ein Spanier und ein Italiener Cola aus den Abruzzen.
Mit Leichtigkeit hob der letztere einen dreihundert Pfund wiegenden
Menschen auf und zerbrach Hufeisen, er hat auch im Kampfe gesiegt.
Die Studenten haben an den Karnevalfesten regsten Anteil
genommen, so haben die Juristen am 2. Februar i486 im Palazzo
Schifanoja ein groBartiges Fest gegeben, zu dem sie die Herren und
Damen der herzoglichen Familie und Ferraras elegante Welt ein-
444
VIERZEHNTES KAPITEL
luden. Man amiisierte sich glanzend und tanzte den ganzen Tag in
der Gartenloggia. Mehr noch als in den Salons machten sich die
Studenten auf der StraBe bemerkbar. Gruppen Maskierter trieben
sich in der Stadt herum, neckten die vorbeikommenden Frauen,
und ihre Freude war vollkommen, wenn es schneite, und man mit
Schneeballen die Fenster der Bekannten bombardieren konnte.
Zuweilen kam es aus diesem AnlaB zu wirklichen Kampfen. Im
Januar 148 1 griffen einige maskierte Hoflinge eine Studenten-
gruppe mit Schneeballen an. Am nachsten Tage kamen dreihundert
maskierte Studenten vor das SchloB und forderten die Cortegiani
zu einem Schneeduell auf, ,,a fare alia neve"; an ihrer Spitze stand
der junge Niccolo Maria Este. Natiirlich blieben die Studenten
Sieger, denn soviel Hofleute wie Studenten gab es sicher nicht. Eine
je groBere Seltenheit der Schnee war, eine um so bedeutsamere
Rolle spielte er bei Festen, in Literatur und Kunst. Lascas Novellen-
cyklus ,,Le Cene" wird durch eine grimmige Schneeschlacht zwischen
ausgelassenen verheirateten Frauen und jungen Leuten eingeleitet;
den BeschluB dieser ,,guerra terribile" bildet ein freundschaftliches
Zusammensitzen vor dem Kaminfeuer und das Erzahlen von zu-
weilen sehr lockeren Geschichten. Die Legende der Santa Maria
della Neve ist in Rom entstanden, wo es selten schneit, und auf dem
beruhmten Bild der Madonna della Neve in Siena bringen Engel-
kinder dem Jesusknaben Schneeballe zum Spiel dar.
Die Studenten wurden allmahlich so ubermiitig, daB sie in der
zweiten Halfte des XV. Jahrhunderts wahrend des Karnevals ihre
Donzellen maskiert in die Schulsale mitbrachten, selbst in Masken
erschienen und dort Tanze auffiihrten; erst Ercole I. verbot
1478 maskierten Frauen den Zugang zu den Gymnasien. Die Stu-
denten haben sich fur dies Verbot schadlos gehalten, indem sie sich
als Monche und ihre Freundinnen als Nonnen verkleideten, sich
in Scharen liber die StraBen walzten und alle Voriibergehenden
belastigten. Das war selbst der milden Franziskaner-Inquisition
ein zu starkes Stuck, der Herzog muBte eingreifen und die Jugend
auffordern, das Klosterhabit zu respektieren.
Die Studenten haben den Karneval haufig bis zum Fasten-
sonntag ausgedehnt, die Professoren in ihren Vortragen gestort
HOFISCHES LEBEN 445
und die fleiBigen Kollegen verspottet, bis der Rektor ein Machtwort
sprach und die alte Ordnung wieder einsetzte.
Das Ende des Karnevals, der rapide Ubergang von Tanz, Lust-
barkeit, Bankett zu Gebeten und Kasteiung war seit jeher der Vor-
wurf einer besonderen Art von Poesie, der Poesie der Karneval-
kontraste, ,,il contrasto di Carnevale e della Quaresima". Im Mittel-
alter waren diese Gedichte in Spanien, Italien, Frankreich und
Deutschland sehr verbreitet: der Kampf des Faschings mit dem
Fasten, aus dem der letztere als Sieger hervorgeht, ist das vielfach
variierte Thema. Die Dichter, die zum groBten Teil dem geistlichen
Stand angehoren, stehen auf der Seite des Fastens und fiihren zahl-
reiche Griinde an, die fur die Kasteiung des Korpers sprechen. Be-
riihmt war im XV. Jahrhundert neben vielen lateinischen Erzeug-
nissen das Gedicht des Erzbischofs Hita ,,der Triumph des groBen
Fastens iiber den Fasching".
Der Sieg des Fastens und die Abtotung des Fleisches entsprach
den Anschauungen der Renaissancedichter nicht mehr. In den
Gedichten des ausgehenden XV. und beginnenden XVI. Jahrhunderts
behauptet sich der Karneval als Sieger. Der Fasten wird als eine
diistere, widerwartige, ausgemergelte Gestalt dargestellt, wahrend
der Karneval ein lustiger, ubermiitiger Geselle ist. Besonders in
Italien wird die ,,Monna Quaresima" zur komischen Figur, die
haufig auf die Biihne zitiert wird. Zu den amiisantesten Gedichten
dieser Gattung gehbrt ,,11 contrasto del Carnevale colla Quaresima",
das im XVI. Jahrhundert auBerordentlich verbreitet war und in
amiisanter Weise den Kampf dieser beiden Machthaber schildert.
Der Karneval, ein iibermiitiger, kiihner Geselle, mit Wurstkette
um den Hals und Sporen an den nackten FiiBen reitet gewohnlich
auf einem FaB Malvasier, mit prachtvoller Schabracke. Gegen
diesen ausgelassenen Kerl riistet sich die Quaresima, ein altes, haB-
liches Weib, in einer mit Zwiebeln und Knoblauch gestickten
Tunika, an der Spitze eines Heeres von Sardellen, Aalen, Zwiebeln,
Sellerie und Petersilie. Der Karneval ruft seine Wald- und Luft-
armee zusammen, die aus Lowen, Hirschen, Luchsen, Hammeln,
Fasanen, Pfauen und Tauben besteht; er selbst besteigt sein Pferd,
von dem zu beiden Seiten etwa hundert gebackene Hiihner herunter-
446 VIERZEHNTES KAPITEL
baumeln, und rtistet sich zum Kampf. Sein Gesandter ist der Hahn
in stolzem, weiBgelben Federkleid, der Anfiihrer der Armee ein
gemastetes Schwein, vier FuB lang mit schwarzen Borsten und
rollenden Augen. Die Heere stoBen wiitend aufeinander, der Sieg
scheint der Quaresima sicher, ein ganzes Heer von Kapaunen sucht
seine Rettung in der Fluent und was noch schlimmer, das Schwein
stirbt den Tod der Tapfern auf dem Schlachtfelde. Als der Karne-
val die Gefahr erkennt, stiirzt er sich in das Kampfgewiihl, rollt
wie der Donner, bis er zuletzt, nachdem er die groBten Schwierig-
keiten iiberwunden, die Madonna Quaresima gefangen nimmt.
Die Megare wird gebunden, und der Kriegsrat und die gesamte
Baronie des Karnevals versammeln sich, um iiber ihr Schicksal zu
bestimmen. Die Mehrheit der Versammlung, der auch der Fasching
angehort, ist dafiir, die grausame Feindin zu Tode zu verurteilen,
da halt der Ziegenbock eine sehr geschickte Rede, er erinnert den
Karneval, daB er sich stets durch Giite ausgezeichnet und niemandem
etwas Boses zugefiigt habe, und bittet schlieBlich um Begnadigung
der Quaresima. Der geriihrte Karneval schenkt der Megare die
Freiheit und gestattet ihr sogar, vierzehn Tage im Jahr zu machen,
was ihr gefallt. Sollte sie jedoch wagen, sich groBere Rechte anzu-
maBen oder sich aufs neue gegen den Karneval zu emporen, so
wiirde sie zu Tode verurteilt und den Kapaunen zum FraB
vorgeworfen werden. Der groBe Sieg wird prachtvoll gefeiert,
auf einem Triumphwagen, den acht Elefanten Ziehen, fahrt
Prinz Fasching durch sein Reich, und der Wein flieBt in
Stromen.
Aber das Schicksal des Karnevals ist nicht immer so gliicklich,
Im Theaterstiick ,,Rappresentazione et Festa di Carnevale et
della Quaresima", in dem der Koch eine der Hauptpersonen ist,
siegt die Quaresima und verurteilt den Karneval zum Tod auf dem
Scheiterhaufen. Der arme Karneval bittet all seine Heiligen um
Beistand, er betet zum heiligen Kapaun, zum marinierten Hasen
und zu vielen andern Beschiitzern im Walde, aber Klagen und
Tranen sind vergebens, gegen Ende der Vorstellung wird er auf den
Scheiterhaufen geworfen, Satan erscheint und nimmt die Seele des
Konigs der Sunder, ,,il Re de peccatori", mit sich. Aber die Sym-
hGfisches LEBEN 447
pathie des Verfassers und des Publikums steht auf Seiten des Karne-
vals, dem man in der Hclle viel Malvasier und fette Kapaunen
wiinscht.
VII
Der hochste Wiirdentrager des herzoglichen Magens, eine Art Hof-
marschall, war der Senescalco, der die Reihenfolge der Speisen
.bei Tisch anzuordnen hatte und die schwere Kunst verstand, ge-
bratene Pfauen, Kapaune und Fasane zu tranchieren. Ihrn unter-
stand eine ganze Beamtenschar, die Apparechiatori, Imbandilori
oder Credenzieri, Silber und Geschirr war in ihrer Obhut und das
Tischdecken gehorte zu ihren Pflichten. Als Borso 1471 nach Rom
ging, nahm er seinen Senescalco Gatamelata und mehrere Creden-
zieri mit.
Die Rechnungsbucher wurden mit groBter Sorgfalt gefuhrt, im
estensischen Archiv befinden sich bis auf den heutigen Tag Garde-
robe- und Kiichenbucher, die ,,Libri di Spendaria" und die ,,Libri
della Grassa".
Tischwasche und besseres Leinen lieB man aus Holland und
Flandern, seibst aus Rennes in der Bretagne kommen, einfache
Wasche wurde in Venedig oder in der Schweiz gekauft. Die groBen
Tischtiicher waren sehr teuer und wurden nur bei besonderen Ge-
legenheiten beniitzt. (Jberhaupt wurde Tischwasche wegen ihres
groBen Wertes sehr geschont. Neben jedem Gedeck lagen Servietten,
die man wahrend des Essens unter dem Kinn befestigte, um die
kostbaren Gewander nicht zu beschmutzen. Kunstvoll ziseliertes,
haufig vergoldetes Silber, das auch mit Email und Edelsteinen ver-
ziert war, bildete den Hauptschmuck der Tafel. Es sind das jene
Tafelaufsatze in Gestalt von Turmen, Vogeln, Schiffen usw., die
heute in den Museen und furstlichen Schatzkammern einmagaziniert
sind. In den zahlreichen Beschreibungen des Tischsilbers der Este
ist auch ein Geschirr aus vergoldetem Silber erwahnt, in Form von
Schiffen, mit Einhornern und dem Wappen der Este geschmiickt,
das auf vier emaillierten Radern ruht. Es gab Vasen in Form von
Wblfen oder Delphinen, mit Schlangen und Fischen verziert.
448
VIERZEHNTES KAPITEL
Prasentierteller, Kelche, Salzfasser, Leuchter, Konfitiirenschalen
waren aufs sorgfaltigste gearbeitet und ornamentiert, besonders Mai-
land und Venedig waren fur ihre kiinstlerische Goldarbeit bekannt.
Zu den TischgefaBen, die heute aus dem Gebrauch gekommen sind,
gehorten in Italien aus dem Osten eingefiihrte GefaBe fiir Rosen-
wasser, das in groBen Quantitaten verbraucht wurde, zum Hande-
waschen vor und nach Tische so gut wie zur Bereitung verschiedener
Speisen. Rosenwasser wurde in Pavia gekauft, bei Maestro Battisto
degli Barbareschi, der dort einen Laden mit seltenen Geriichen und
Spezereien aus dem Osten hatte. Huhnergerichte wurden mit Zucker
bereitet und mit Rosenwasser parfumiert! Auch zu anderen Gerichten
scheinen die Koche Rosenwasser gebraucht zu haben, da bei einem
Festessen, das in Ferrara am 4. Juli 1473 gegeben wurde, 48 Pfund
in der Kiiche und nur 24 bei Tisch verbraucht wurden.
Die Kiiche hat zu den besonderen Sehenswiirdigkeiten des Hofes
gehort. Sie hat einen ganzen Stab von Kochen und eine groBe An-
zahl von Kiichenjungen beschaftigt. Gute Koche waren auBer-
ordentlich gesucht, die Hofe haben sie sich ebenso wie die beruhmten
Konditoren gegenseitig abspenstig zu machen gesucht. In der
herzoglichen Hofkuche in Ferrara trugen die Koche schwarze
Baretts, Hosen aus rotem Stoff und vermutlich weiBe Leinenjacken.
Sie haben verschiedenen Kategorien angehort, es gab Backer,
Konditoren und Fleischkoche; mit Borso fuhr auch der Backer
Angiola nach Rom. Eine besondere Personlichkeit in der Kiiche
hat die Fleischspeisen vergoldet, bei feierlichen Anlassen wurde der
groBte Teil der gebratenen Speisen vergoldet und auf seltsamste
Weise verziert. Die Pfauen gehorten zum gesuchtesten Gefliigel,
so sehr daB wir im XV. Jahrhundert am estensischen Hofe sogar
einen ,,indoratore de paoni" finden. Selbst der Name dieses maestro
Bernardino di Pasti ist unvergessen geblieben.
Seltsame Dinge wurden damals gegessen. Die hochste Kiichen-
kunst bestand darin, einen ganzen Pfau vergoldet oder in vollem
Federkleid, den Schwanz zum Rad geschlagen, feuerspriihend, auf
einer ungeheuren silbernen Schiissel aufzutragen. Zu diesem Zwecke
steckte man dem Pfau mit Kampher oder Spiritus getrankte Watte in
den Schnabel, ziindete sie an und servierte das brennende Tier.
HOFISCHES LEBEN
449
Unter Ercole I. wurden in der Kiiche fur ein Festessen sieben Pfund
Kampher verbraucht, und da auf einen Pfau eine Unze entfiel, muB
man achtzig Pfauen den Gasten vorgesetzt haben. Der gebratene
Vogel wurde auf eiserne Stiitzen gestellt, damit er sich auf den
Beinen halte, der Schlossermeister oder Schmied Maestro Martino
verstand ein kunstvolles Geriist fur diesen Zweck zu verfertigen.
Man stelle sich etwa fiinfzehn Diener vor, die in den Speisesaal mit
radschlagenden Pfauen auf groBen Schiisseln eintraten. Die Gaste
gerieten in helle Bewunderung und ein Kamphergeruch, etwa wie
in einem Pelzwarengeschaft, erfiillte die Luft. Beim Hochzeits-
bankett der neapolitanischen Eleonora wurde als besondere Ober-
raschung ein lebendiges Spanferkel in einer Pastete serviert. In den
Kiichenrechnungen der Este figurieren auch Posten fur das Ver-
silbern von Fisch- und Wildsiilzen, die haufig in Muscheln oder auf
groBen Schiisseln serviert wurden. Da zu diesen Siilzen auch Wachs
verwandt wurde, miissen Wachs und Silber wohl nur als Schmuck
fur solche Gerichte gedient haben.
Im Speisesaal roch es nicht nur nach Rosenwasser und Kampher,
auch Bisam stieg den Gasten in die Nase. Besonders dem Zucker-
werk wurden Bisam und andere ostliche Geruche beigemischt.
Venezianische Kaufleute haben sie von ihren Reisen mitgebracht,
namentlich aus Trapezunt iiber Konstantinopel.
AuBer Fischspeisen wurde auch Backwerk und Marzipan ver-
goldet. Das Vergolden der Speisen war in dem MaBe Sitte, daB bei
Ercoles I. Hochzeitsfeier 27 629 Goldblattchen zum Verzieren von
Marzipan und anderem Konfekt verwendet wurden. Schon damals
herrschte die Sitte, den Gasten Schachteln mit Zuckerwerk zu
verehren, es waren dies aber nicht etwa kleine Bonbonnieren, die
beim Dessert zur Erinnerung verteilt werden, sondern groBe Kasten,
die zwei Pfund StiBigkeiten enthielten. Wahrend Friedrichs III.
Aufenthalt in Ferrara sind nicht weniger als zweitausendsechs-
hundert solcher Eichenkasten verteilt worden.
Das Festessen, das am 4. Juli 1473 zu Ehren von Ercoles I.
Hochzeit gegeben wurde, war einer der glanzendsten kulinarischen
Erfolge von Ferrara; zur Beleuchtung des Saales waren allein 1882
Pfund Wachs erforderlich. Am folgenden Tage wurde ein Bankett
29
450 VIERZEHNTES KAPITEL
fur vierzehn Hofdamen arrangiert, daran nahmen Eleonoras Dami-
gellen teil, von denen drei aus Neapel stammten: Sylvia, Diana und
Colonna, und Frauen aus Ferraras und Modenas beriihmtesten Ge-
schlechtern. Zu dieser Hochzeit waren so viel auswarttge Gaste ge-
kommen, daB man nicht alien Wohnung im herzog'ichen Palaste
anweisen konnte, viele der Angekommenen muBten in den Patri-
zierhausern untergebracht werden. Jeden Morgen wurden den
Gasten, die mit zahlreichem Gefolge gekommen waren, Lebens-
mittel fur den ganzen Tag geschickt. Die Sitte verbot zu sparen, die
Gaste bekamen bedeutend mehr, als sie aufzuessen imstande waren.
So erhielt z. B. der Kardinal Roverelli, der mit einem Gefolge von
dreiBig Personen gekommen war, taglich 360 Pfund Fleisch: auch
wenn die Dienerschaft des Kirchenfiirster. noch so gefraBig ge-
wesen ware, so hatte sie diese Massen beim besten Willen nicht ver-
tilgen konnen. Die iibriggebliebenen Lebensmittel haben die Gaste
unter die Armen verteilt oder in die Kldster geschickt. Der Kardinal
bekam wahrend seines Aufenthaltes in Ferrara (vom 29 Jani bis
zum 12. Juli) 5040 Pfund Fleisch. Die Gastfreundschaft des Hofes
nahm ungeheure Dimensionen an, nicht nur den Hochzeitsgasten
wurden Lebensmittel zugeschickt, auch das Volk, das zu den Tur-
nieren gekommen war: Musikanten, Sanger, Handwerker, Gaukler,
Taschenspieler, iiberhaupt alle, die in irgendeinem Zusammenhang
mit dem Fest standen, wurden gespeist. Selbst jedem Mdnch und
jeder Nonne in der Stadt wurden zwei Pfund Fleisch taglich be-
willigt. Die Gemeinden des gesamten Herzogtums hatten diese
Vorrate zu liefern, und es laBt sich denken, daB nicht immer alles
von bester Qualitat war. Bei solchen Festen iloB der Wein in Stro-
men. Als Borso den Kaiser mit einem Gefolge von zweitausend
Deutschen empfing, wurde der Wein in Venedig und in der Romagna
zusammengekauft, auBerdem muBte jedes Stadtchen, ja jedes Dorf
im Herzogtum ein bestimmtes Quantum Wein liefern. Die ferra-
resischen Weine gehorten iibrigens zu den besten in Italien.
Man gab sich die groBte Miihe, die Gaste bei den Festen durch
mythologische Auffuhrungen, Gesang und Deklamation zu zer-
streuen und die beriihmtesten Kiinstler entwarfen das Programm
fur Zerstreuungen dieser Art. Die ausfuhrlichsten ,, Menus" aus dem
hOfisches leben 451
XV. Jahrhundert sind uns von Festessen iiberliefert, die Galeazzo
Visconti, der Kardinal Riario und der Marschall Trivulzio in Mai-
land gegeben haben. Das erste dieser Festessen bestand aus sechs-
zehn Gangen, abgesehen von Zuckerwerk, Wein und Obst. Vor
Tisch wurde vergoldetes Zuckerwerk und Malvasier gereicht, dann
wusch man sich die Hande in Rosenwasser und setzte sich zur Tafel.
Ein feierlicher Augenblick kam: vergoldete Ferkel, aus deren Maul
Flammen spriihten, und vergoldete Fische wurden aufgetragen.
Die Reihenfolge der Schiisseln widersprach heutigen kulinarischen
Begriffen, das zweite Gericht bestand aus gebratenen Hasen und
vergoldeten Hechten. Das dritte Gericht war eine groBe Uber-
raschung : ein groBes gebratenes Kalb wurde aufgetragen, das
aufrecht auf seinen Beinen stand und kunstlich vergoldet war. Die
Gaste erfreuten sich eines guten Appetits, dem Kalb folgten Wachteln,
Rebhiihner, Enten und Reiher. Jeder Gang bestand aus einem
Fleisch- und einem Fischgericht; als man nach den Rebhiihnern eine
neue Serie von Schiisseln mit Ochsenbraten und Kapaunen, die
mit Zwiebelpuree garniert waren, hineinbrachte, fehlte auch ein
ungeheurer Stor nicht. Die Gerichte nahmen kein Ende; wieder
folgten Kapaune und anderes Gefliigel, Fische mit Zitronensauce,
dazwischen wurden Pasteten mit Kalbsbraten und Aalen gereicht,
Siilzen aus Wild und Fischen und wieder Kapaune; Hasen, Rehe
in anderer Zubereitung. Noch war man nicht beim SchluB: es
kam eine dritte Serie von Gebratenem, Hirschwildpret, Huhner in
roter und griiner Sauce, Pfauen mit Salat und Erbsen, geraucherte
Zungen, Karpfen usw.
Es gab eine solche Menge von Schiisseln, daB die Tierwelt nicht
geniigend verschiedene Gattungen von Fleisch und Fisch bot, um
wahrend des Mittagessens stets Neues zu liefern. Daher wiederholten
sich Kalbs- und Rinderbraten oder Kapaune allzu haufig im
Menu, doch war fur Abwechslung gesorgt, indem diese Fleisch-
speisen auf die verschiedenste Art zubereitet waren. Wie frucht-
bar die damalige Kuchenphantasie war, geht zur Geniige daraus
hervor, daB bei einem Mittagessen bei Gherardo Bevilacqua in
Ferrara Eier auf fiinfundfiinfzig verschiedene Arten zubereitet
serviert wurden.
ag*
452 VIERZEHNTES KAPITEL
Diese Herrlichkeiten und dieser Luxus waren jedoch nur auBere
Vergoldung, so gut wie jene, die Pfauen und Ferkeln zuteil ward,
man tat besser, in die Kredenzschranke und in die Kiiche nicht erst
hineinzusehen. Bei dem Bankett, das man 1574 in Ferrara zu Ehren
des durchreisenden Heinrich von Valois gab, bog sich der konigliche
Tisch unter der Last von Gold, Silber und Majolika. Scalchi und
Camerieri suchten sich in guter Bedienung zu iiberbieten, aber an
den Tischen, an denen die Damen saBen, aB man von sehr gewohn-
lichem Tongeschirr, es gab weder Messer noch Gabeln und an Stelle
von Lakaien bediente ein zusammengelaufenes Gesindel, das die
Gaste mit den Ellbogen stieB und bestahl.
VIII
A Is die Reise von Florenz nach Bologna noch zwei Tage dauerte
und Wagen ein ungewohnliches Vehikel waren, spielten Pferde
und Maulesel eine bedeutsame Rolle im Haushalt der italienischen
Hofe. Wagen (carrette) kannte man schon lange, aber es waren
Luxuswagen, die infolge der schlechten Wege nur auf kurzen
Strecken beniitzt werden konnten; niemand fiel es ein, einen
langeren Weg im Wagen zuriickzulegen, zu diesem Zwecke wurden
Sanften beniitzt. In Florenz und wahrscheinlich in ganz Italien
beniitzte 1534 die Markgrafin Cybo aus Massa als erste einen Wagen,
um sich aus dem Palazzo Pazzi, in dem sie wohnte, in die Stadt zu
begeben. Der Wagen gab erst Argernis, Dekrete gegen Luxus wurden
erlassen und suchten der Verbreitung von Gefahrten zu steuern.
Noch unter Heinrich III. Valois durften die Pariserinnen zu den
Empfangen bei Hofe nicht anders als zu Pferde kommen. Franz I.
hatte nur zwei Wagen, einen fur sich, und einen fur die Konigin.
In Ferrara machte es groBen Eindruck, als Beatrice, die Tochter
Ferdinands von Aragon und Braut von Matthias Corvinus im Hof-
wagen, den man ,,Vehiculum feminarum" nannte, durch die Stadt
fuhr. Den Wagen wurden besonders schwere Pferde vorgespannt.
Im Laufe des XVI. Jahrhunderts wurde das Wagenfahren Mode
in Italien, die Fiirsten bemiihten sich, die besten Kutscher zu be-
hGfisches leben 453
kommen, man fuhr mit Viererzugen, und Isabella von Aragon fuhr
in Neapel sogar mit sechs schwarz und weiB gescheckten Pferden.
Der Kardinal Ippolito d'Este hatte einen Kutscher, der acht Pferde
ausgezeichnet zu lenken verstand, und Modenino, der Stallmeister
des Markgrafen von Mantua, fiihrte zwischen 1540 und 1550 auf
dem S. Peter-Platz in Mantua mit einem stolzen Schimmel-Vierer-
zug „cose da non credere" aus.
Aber trotz dieser Vorfiihrungen war das ganze XVI. Jahrhundert
noch das Jahrhundert der Reitpferde und stolzen Kavalkaden, die
zu den groBartigsten Zurschaustellungen hofischen Reichtums ge-
horten. Der Einzug von Galeazzo Maria Sforza und seiner Gemahlin
Bona di Savoia im Friihling 1471 nach Florenz hat den Chronisten
groBen Eindruck gemacht. Die Abreise wurde bis zum Mai ver-
schoben, um unterwegs geniigend frische Weide fiir die Pferde zu
finden, da man nicht soviel Heu mitschleppen konnte. Das Gefolge
der Sforza bestand aus der vornehmsten Ritterschaft, den Ministern,
einem Trupp Soldaten, Pagen, Reitknechten, Hofnarren und Tromm-
lern; es waren im ganzen uber zweitausend Pferde, funfhundert
Hundekoppeln, und Falken und Habichte ohne Zahl. Zu dieser
Karawane gehorten bereits zwanzig mit Goldbrokat ausgeschlagene
Karossen, denen Maulesel vorgespannt waren. Aber diese Wagen
machten den Dienern nicht wenig Arbeit, da sie die engen steinigen
Wege in den Apenninen kaum zu passieren vermochten. Die Vor-
bereitungen zur Reise hatten 200 000 Dukaten in Gold, also iiber
zwei Millionen Francs gekostet. Als Vorwand gait die Erfiillung
eines frommen Gelubdes, tatsachlich kam es nur darauf an, der Welt
den Reichtum und die Macht des mailandischen Herzogs zu zeigen.
Naturlich riickte eine solche Kavalkade nur langsam von der Stelle,
und die Landbezirke, durch die sie kam, wurden rechtzeitig be-
nachrichtigt, damit Futter fur die Pferde und Lebensmittel fiir die
Menschen vorhanden sei. Den Pferden wurde in der Hauptsache
Gerste oder eine Futterschlempe aus Gerste und Hacksel gegeben,
nur die edlen Rosse bekamen besseres Futter: Gerstenmehl mit Wasser
angeruhrt und Heu mit Hacksel oder Streu. Nach Ariost befand
sich in den Kammern beim Eingang der Stalle stets Gerste und
Stroh:
454
VIERZEHNTES KAPITEL
In una stanza che, presso all'uscita,
D'orzo e di paglia sempre era fornita.
(Orlando XII. 32.)
Hafer wird in den estensischen Registern kaum erwahnt, ob-
gleich in Frankreich und England Hafer damals bereits das ge-
wohnte Pferdefutter war.
Borsos Expedition nach Rom gehorte zu den prachtigsten, die
im XV. Jahrhundert stattgefunden haben. Monate vorher wurden
Gold- und Silberbrokate bei Giuliano Gondi, Pietro Francesco und
Giuliano de Medici in Florenz fur einen so hohen Betrag gekauft,
daB die Bezahlung in zwei Raten, im Herbst und zu Weihnachten,
vor sich ging, aufierdem lieB man auch aus Venedig Stoffe kommen.
Borso lieB 149 Personen aus seiner Umgebung, die sogenannte
,,Famiglia" einkleiden, aufierdem Anziige fur mehrere Diener an-
fertigen und schwarzsamtnes Zaumzeug fur den Maulesel, den
Alberto d'Este ritt. Obgleich Borso an siebenhundert Pferde in seinen
Stallen hielt, gab es fur den ganzen Zug nicht Pferde und Maulesel
genug, man muBte bei den benachbarten Hofen und in Toskana
noch Pferde dazu mieten. Einige Monate vor der Abreise wurde
ein groBer Stab von Stalldienern aufgenommen, und Maestro Guar-
niero aus Modena, einer der Stallmeister des estensischen Hofes,
brachte den neuangenommen Knechten bei, wie sie die Pferde zu
behandeln hatten. Unterwegs entsandten die Stadte ihre Trompeter
zur BegriiBung des Herzogs, und zur Erhohung der Feierlichkeit
wurden iiberall die Glocken gelautet. Borso war freigebig; als sie
nach Brescia kamen, um den beruhmten Condottiere Bartolommeo
Colleoni zu besuchen, schenkte er dem Glockner der dortigen Kathe-
drale einen Dukaten fur seinen lustigen WillkommensgruB.
Im Winter erhohten die Pelze die Pracht der ganzen Kalvalkade
nicht wenig, die Herren trugen Mantel, die mit schwarzem Fuchs,
Zobel oder Marder ausgeschlagen waren, die Dienerschaft trug
gewohnliche Fuchs- oder Schafpelze. Die Frauen hatten die FiiBe
mit langen schweren Fransen bedeckt. Im Sommer trugen die
Reisenden Strohhiite, die zumeist aus Cremona kamen. Das Zaum-
zeug wurde aus rotem Leder oder aus mit Tuch verkleideten Riemen
verarbeitet und mit vergoldetem Zink oder selbst echtem Gold ver-
hOfisches leben
455
ziert. Derartiges Zaumzeug kostete Unsummen. Borso bezahlte
1465 liber sechshundert Dukaten fiir vergoldetes Zaumzeug, auch
Ercole I. hatte groBartiges Pferdegeschirr. Seiner Verlobten schickte
er nach Neapel Zaumzeug aus karmoisinrotem Samt mit goldenen
Schniiren und Knopfen, dazu eine zweite Garnitur aus griinem Bro-
kat, die gleichfalls mit goldenen Ornamenten versehen war. Lu-
crezia Borgia hatte Zaumzeug ,,a la turchesca" aus karmoisin-
rotem Samt mit Gold und Silber gestickt.
Die Este hatten eine Vorliebe fiir schone Pferde, und ihre Stalle
waren voll der edelsten Tiere. Selbst in fremden Landern wurden
sie zusammengekauft. Im Friihling wurden die Pferde stets fiir
zwanzig Tage auf die Weide geschickt, und im September haben sie
ein zweites Mai im Freien gegrast. Niccolo III. hatte einen groBen,
reichbesetzten Stall, er bezahlte gelegentlich hundert Dukaten fiir
ein Tier, den hdchsten Preis, der damals fiir Pferde gegeben wurde.
Da der Wert eines damaligen Dukaten ungefahr elf Franken heutiger
Wahrung entspricht, so kostete ein Pferd ungefahr tausend Franken.
Borso bezog seine Pferde aus Frankreich, Ungarn, Deutschland,
England, selbst aus Afrika, schwere Zugpferde und Berberrosse
lieB er dort einkaufen. Die Pferde waren damals schon teurer als
zu Niccolos Zeiten, fiir ein gutes Jagdpferd wurden fiinfzig bis
sechzig Dukaten, fiir ein Luxuspferd und einen Renner iiber hundert-
zwanzig Dukaten bezahlt. Fiir seinen Hofnarren Scocola kaufte
Borso ein kleines Pferd fiir acht Dukaten, und da Scocola ein kleiner
dicker Kerl war, muB er drollig genug im Sattel gewirkt haben.
Viel teurer als Pferde waren Maulesel, die man aus Toskana oder
Spanien kommen lieB. Borso hat im Jahre 1470 und 1479 seinen
Stallmeister zweimal nach England zum Pferdekauf geschickt, und
dieser maestro de stalla hatte nicht wenig Schwierigkeiten zu iiber-
winden, ehe er die schonen Tiere iibers Meer nach Ferrara brachte.
Er hat sehr interessante Reiseberichte geschickt: infolge des Krieges
hatte er nicht nach Paris und von dort aus nach Dieppe gehen
konnen, Rauber hatten ihn bis aufs Hemd ausgepliindert, auf dem
Meer hat ihn ein Gewitter uberrascht und die Oberfahrt von Dieppe
nach England hat etwa acht Stunden gedauert. Auf dem Schiff
ging es ihm so schlecht, daB er sich dem Schutze aller Heiligen, und
456 VIERZEHNTES KAPITEL
aller wundertatigen Madonnen, von deren Existenz er wuBte, emp-
fahl. Von London aus ging er nach Irland und war uberzeugt, daB
die schonen Pferde, die er dort erstanden hatte, den Beifall des
Herzogs finden wiirden. In seinen letzten Briefen aus Basel berichtet
er, daB er zwolf Pferde gekauft habe, klagt jedoch iiber das teure
Leben; die taglichen Ausgaben in der Osteria betragen vier Dukaten
und jede Stunde unterwegs scheint ihm hundert Jahre zu wahren,
so sehr wiinscht er Seine Exzellenz begriiBen zu konnen.
Wettrennen war eine Leidenschaft der Este; die ungliickliche
Parisina hat Schulden gemacht, um ein edles Pferd zu erwerben.
Jockeys, ,,pagi a correre", lieB man aus der Fremde kommen, sie
trugen die seltsamsten Namen, wie ,,Tempesta", ,,Golfo", ,,Mos-
catello", ,,Villano" usw. Auf den Meierhofen in Belfiore wurden
die Pferde dressiert, und vor den Wettrennen wurden sie ohne Sattel
geritten. Die Jockeys trugen einen Schild auf der Brust mit den
Farben der Este: weiB, rot und griin. Arm- und Beinbruche kamen
haufig bei ihnen vor, aber Maestro Antonio verstand sie zu heilen,
er ist auch in den Hofrechnungen eingetragen als ,, Antonio da
Soprano, maestro in cuntare le ossa".
AuBerordentlich friih wurden die Kinder des herzoglichen
Hauses aufs Pferd gesetzt. Don Alfonso I. war kaum drei Jahre alt,
und schon standen fur ihn zwei Pferde bereit: ein Fuchs und ein
dunkelbraunes Pferd. In den Rechnungen aus dem Jahre 1475 ist
ein Posten von einer Lire und zehn Soldi verzeichnet fur ein holzernes
Tischchen, das fur den Sattel bestimmt war, auf den die kleine, damals
etwa anderthalbjahrige Isabella, die spatere Markgrafin von Mantua,
gesetzt wurde. Ercole hielt fur seinen eignen Gebrauch achtzig
Pferde, darunter waren die graugesprenkelten am zahlreichsten ver-
treten; fur die Herzogin standen stets funfzehn Pferde bereit, aber sie
ritt am haufigsten auf ihrem Fuchs, ,,il buono" benannt. Zum Jagen
hatte Eleonora ein Pferd, das gewohnt war, auf seinem Sattel einen
Leoparden zu tragen. Leoparden standen bei den Frauen der Renais-
sance sehr in Gunsten, die eine hat sich sogar von Francesco Ubertini
mit einer kleinengelbbraunenPantherkatze auf dem Arm malen lassen.
Das kleine Raubtier blickt nicht iibermaBig sanft auf jenem Portrat,
das sich heute im Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin befindet. Neben
REITER
DETAIL AUS DEN FRESKEN IM PALAZZO SCH1FANOJA ZU FERRARA
H&FISCHES LEBEN 457
den aus Nubien eingefiihrten Berberrossen, den schweren Stuten aus
Barco, den Pferden fur Hofdamen, Falkner und Kuriere galten die bei
Giostren undTurnieren beniitzten Tiere als die wichtigsten; sie wurden
,,fazionarii" genannt, da die Ritter bei den Turnieren in einzelne Par-
teien, fazioni, zerfielen. Eine graue Stute, die taglich in die Meierei
nach Stienta fuhr, um frische Butter und Buttermilch fur die Kiiche zu
holen, nahm den geringsten Rang unter den Pferden am herzoglichen
Hofe ein. Naturlich gab es in so groBen Stallen auch Pferde, die ihr
Gnadenbrot oder richtiger ihre Gnadenstreu erhielten. Am geach-
tetsten unter jenen Pensionaren war das Maultier, auf dem die
Herzogin Eleonora aus Neapel nach Ferrara gekommen war. Jedes
Pferd hatte seinen Namen; im Stall wurden ihnen griine Bander in
die Mahnen geflochten und sie wurden mit roten Tuchdecken zu-
gedeckt, wie sie die Fuhrleute in Toskana noch heute beniitzen.
Unter Ercole I. waren die Pferdepreise auBerordentlich gestiegen,
und Filippo Maria Visconti hatte Rennpferde, die tausend Gold-
dukaten kosteten. Die Gonzaga in Mantua ziichteten eine beriihmte
Rasse, sie lieBen Stuten aus Spanien, Irland, Thrakien und Cilicien
kommen. Die Mantuanischen Pferde waren so geschatzt, daB man
sich die groBte Miihe gab, um ein Pferd von den Gonzaga zu be-
kommen.
Eine ungeheure Ausgabe war das Erhalten der Gastpferde;
ihre Zahl schwankte in den Stallen zwischen hundertzwanzig und
vierhundert. Als Bentivoglio im Dezember 1478 nach Ferrara kam,
brachte er hundertacht Pferde mit, und jeden Tag kam ein Gast mit
zehn oder zwanzig Pferden.
Den Stallen stand der Marescalco vor, der zugleich Tierarzt war
und die Herzoge stets auf ihren Reisen begleitete. Aretino hat diesen
Typus in seinem Lustspiel ,, Marescalco" verewigt; die Komodie
spielt am Hof zu Mantua. Zu den Pflichten des Marescalco gehorte
das Arrangement von Wettrennen, Giostren und Jagden. Wenn
Pferderennen stattfanden, so wurden auch die benachbarten Hofe
in Kenntnis gesetzt; so versandte Ercole I. am 27. April 1499 fol-
gende Bekanntmachung: ,,Hiermit zur Kenntnis, daB Se. Exzellenz
beschlossen hat, zu ihrem eigenen Vergniigen und zur Unterhaltung
aller, die kommen wollen, am 1. Mai zwischen der 21. und 22. Stunde
458 VIERZEHNTES KAPITEL
in Terra nuova (wo es eine Bahn in der Art eines Hippodroms gab) ,
folgende Wettrennen stattfinden zu lassen:
Das erste Wettrennen fur Berber und andere edle Pferde, die
zweimal um das Hippodrom laufen sollen. Erster Preis: ein Stuck
karmoisinroten Samt. Das zweite Wettrennen fur zweiradrige
Wagen (baroccio) mit vorgespannten Ochsen. Preis: zehn Ellen
rotes Tuch." Auch das dritte, vierte und fiinfte Wettrennen war
fur Ochsen vorgesehen.
Auch in kleinen Stadten, an Festtagen und Jahrmarkten, selbst
auf Dorfern fanden Turniere statt, natiirlich weniger glanzend als
am herzoglichen Hofe. An Vergniigungen dieser Art beteiligte sich
jedoch der Adel nicht, nur junge Leute aus den niedrigeren Volks-
klassen, selbst Stallknechte und Diener der Este traten auf, aber stets
mit der auf den Schild gemalten Devise ihrer Herren. Alberto d'Este
bezahlte einem Maler, Maestro Gerardo, fiinfundvierzig Lire fur das
Bemalen der Schilde und Lanzen dreier Leute aus seiner ,,Familie",
die an der Giostra in Mirandola teilnehmen sollten.
Das Hauptinteresse des Hofes konzentrierte sich im Herbst auf
die Jagd, die Ebene von Ferrara war aufierordentlich fur die Jagd
mit Falken und Habichten geeignet. Annibale Romei bewundert
in seinen ,,Dicsorsi" die herzogliche Reiterkavalkade, die auf die
Wiesen Belriguardos ausriickt. Alfonso und der gesamte Adel auf
prachtvollen Pferden, hinter ihnen eine stolze Reihe von Karossen
mit der Herzogin und den ubrigen Damen. Wenn man die Reiher
aufscheuchte, die Falken loslieB, und in den Liiften ein Kampf auf
Leben und Tod zwischen den gefliigelten Feinden entbrannte,
schienen alle Zuschauer den Atem vor Spannung anzuhalten.
Unter Alfonso I. fanden viel gefahrlichere Jagden statt. Bona-
ventura Pistofilo, der Sekretar und Biograph des Herzogs, erzahlt,
Alfonso habe ihn im Herbst 1520 zu den Jagden und Fischfangen
in Comacchio beordert. Der Literat war kein Jager und durchaus
nicht willens, sein Leben, die Launen seines Herrn befolgend, aufs
Spiel zu setzen; er verzeichnet mit einer gewissen Genugtuung, der
Herzog habe am 26. November ein Wildschwein mit eigner Hand
erlegt und beim Fall eines zweiten geholfen, er selbst aber fiirchtete
das Wild wie den Teufel. Wahrend der Jagd fliichtete er voll Angst
HOFISCHES LEBEN 459
auf eine hohe Eiche, die er fur den sichersten Platz hielt, um gefahr-
los zuzusehen. Trotz dieser VorsichtsmaBregel klopfte ihm das
Herz gewaltig, als er einen vorbeilaufenden Wolf sah, und er verlor
fast das BewuBtsein, als ein Biiffel im Gebiisch erschien. Am
nachsten Tage veranderte Pistofilo seinen Standpunkt, er hielt es
fur ratsam, dort zu bleiben, wo das erlegte Wild zusammengetragen
wurde und sein Schwert in das Blut eines erlegten Wildschweins zu
tauchen. Die Jagdeindriicke haben seine literarischen Nerven so
sehr erschiittert, daB er sich dasFieber in den Sumpfen vonComacchio
holte und nicht begriff, daB der Herzog bis um zwei Uhr nachts dem
Vogelfang im Netz zusehen konnte.
Naturlich waren Hunde und Falken ein wesentlicber Faktor
in der Jagdausriistung. Borso hatte hundert Falkner und schenkte
Kaiser Friedrich III. 1452 funfzig glanzend abgerichtete Falken.
Es wurde damals viel iiber die Dressur und Pflege der Vogel ge-
schrieben und Borso selbst besaB in seiner Bibliothek Dantes Buch
,,De natura falconum et de remediis avium".
IX
Perugias beruhmter Chronist, Matarazzo, schreibt am Ende des
XV. Jahrhunderts, zur Hofhaltung eines groBen Herrn gehoren
neben Pferden, Hunden, Falken, wilden Tieren, auch Hofnarren.
Der Reihenfolge des ehrlichen Chronisten folgend, wollen auch wir,
nachdem von den Stallungen und Menagerien des estensischen
Hofes die Rede war, zu den Hofnarren iibergehen. Ihr Vorhanden-
sein war ein Erbteil des Mittelalters, das eine Vorliebe fur rohe
Scherze und ordinare, ja gemeine Witze hatte. Oberdies bedurfte
der mittelalterliche ritterliche Despot eines Wesens, das ihm die
Wahrheit sagte und gewissermaBen die offentliche Meinung re-
prasentierte. Die kleinen und groBen Fiirsten waren von Schmeichlern
umgeben; schon aus dem Verlangen nach Abwechslung wollten
sie von Zeit zu Zeit etwas anderes horen als bloBe Huldigungen,
besonders von einem Menschen, der mit seinem Herrn verglichen
ein zu elendes Geschopf war, um beleidigen zu kdnnen. Man konnte
460 VIERZEHNTES KAPITEL
diesen Menschen ohne weiteres in Ketten legen, durchpriigeln oder
ins Gefangnis werfen, falls er sich zuviel herausgenommen hatte.
Die Renaissance hat den Hofnarren auf eine etwas hdhere Stufe
gehoben, sie verlieh ihm einen gewissen poetischen Glanz, da das
XV. und XVI. Jahrhundert literarisch zu empfindsam war, um
nicht selbst der Institution des Hofnarren eine gewisse artistische
Note zu verleihen. Die Umwandlung des mittelalterlichen SpaB-
machers in den humanistischen Hofnarren trat rein auBerlich
schon darin zutage, daB der Hofnarr der Renaissance nur ganz selten
das Kleid des Harlekins und seine Gldckchenmutze anlegte, er trug
sich wie jeder andere Hofmann und unterschied sich von den iibrigen
nur durch seine Witze, seine schlagfertigen Antworten und seinen
belebenden EinfluB auf die Gesellschaft. Da man an die Hofnarren
groBe geistige Anspriiche stellte, geschah es haufiger, daB ver-
kommene, herumgestoBene Dichter, Menschen von hoherer Be-
gabung, die Rolle eines Hofnarren ubernahmen, und es fiel schwer,
sie von den eigentlichen Hofnarren zu unterscheiden. Der bereits
erwahnte Pistoia war in Ferrara, so gut wie in Mantua und Rom
bekannt, er war durch den EinfluB des hofischen Lebens vollkommen
heruntergekommen. Als er einsah, daB sich das Narrentum am
Hofe besser als der Verstand bezahlt mache, wurde er zum dichten-
den Hofnarren, der seinen Herren neben platter Schmeichelei
manch bittere Wahrheit gesagt hat.
Er hat sich in den Vorzimmern herumgetrieben und gemein
gemacht. In einem seiner Sonette beklagte er sich, er miisse Tafel-
beamter, Mundschenk, Portier, Lakai, Kiichenjunge und Schlim-
meres sein. Bernardo Bellincioni, Lodovico Moros Hofpoet, gehorte
eigentlich auch zu den Hofnarren; seine Gedichte, die Talent ver-
raten, waren den Launen seines Herrn angepaBt. Er verstand zu
schmeicheln und die Wahrheit zu sagen, sich zu erniedrigen und
wie eine getretene Schlange zu zischen, wenn es nottat.
Dieses Herunterdriicken witziger, lustiger Menschen, die eine
Zufluchtstatte am Hof gesucht haben, in die Kaste von Hofnarren
oder anders ausgedriickt, dieses Erheben des Hofnarren zum Rang
von Menschen hoherer sozialer Stellung, hat dazu gefiihrt, daB
niemand daran AnstoB nahm, wenn selbst Monche diese Rolle
HOFISCHES LEBEN 461
iibernahmen. War doch jener Fra Mariano, Leos X. belieb-
tester Hofnarr, der Capo di matti, wie man ihn nannte, der auf
einen Sitz zwanzig Kapaunen, vierhundert Eier und eine ganze
Pyramide anderer Speisen vertilgte, und einen hanfnen Stride, in
Sauce als Stor zubereitet, gegessen hat, ein Franziskanermonch,
der seine Kaplanwohnung und seine Kirche in Rom hatte und
es bis zum papstlichen Piombator brachte. Ein anderer Monch,
Fra Martino, war gleichfalls Hofnarr bei Leo X., und der Domini-
kaner Fra Serafino war Hofnarr in Urbino. Nur die Geringschat-
zung der damaligen Gesellschaft fur die Bettelmonchorden macht
diese Tatsache begreiflich, aber zugleich erhellt daraus, dafi die
Renaissance einen andern Begriff vom Wesen eines Hofnarren
hatte als das Mittelalter und ihn hoher eingeschatzt hat. Im Norden,
in Frankreich und Deutschland, hat sich der Narr mit Glockchen
und Eselsohren an der Miitze sehr viel langer als in Italien erhalten.
Die Este liebten es wie die anderen Fiirsten, sich mit Hofnarren
zu umgeben, ihre Witze und komischen Einfalle waren ihnen zum
Lebensbediirfnis geworden. In den Fresken des Palazzo Schifanoja
strecRt eine fette Gestalt die Hand nach Borso aus, um ihm Geld
abzubetteln. Es ist der beriihmte Scocola, der soavissimo istrione,
der in bestandiger Geldnot war. Der Kiinstler hat ihn in der ihm
ublichen Pose dargestellt, was die Bewunderung und Heiterkeit der
Zeitgenossen erweckte. Scocola saB zu haufig in der Osteria beim
Wein, er muBte Borso einst versprechen, nicht wieder hinzugehen
und seine bei den ,,barbari Judei" versetzten Kleider einzulosen.
Er selbst war ein getaufter Jude. Beriihmter war Gonella, Nicco-
los und Borsos Hofnarr, von dem Bandello viel zu erzahlen weiB.
Er verstand es besser als Scocola mit Geld umzugehen und hat
auch einen kleinen Laden in Ferrara aufgemacht, in dem er selbst-
verfertigte Handschuhe, Ledertaschen und Giirtel verkaufte.
In der estensischen Pinakothek zu Modena befindet sich ein aus-
gezeichnetes Portrat Dossis von einem ferraresischen Hofnarren,
der ein Schaf im Arm halt. Auf dem Cartellino steht der Name
Sir Gerius, vermutlich ist es der Dargestellte.
Die Hofe von Ferrara. Mantua, Mailand und Florenz haben ihre
Hofnarren haufig untereinander ausgetauscht; wurde man eines
462
VIERZEHNTES KAPITEL
Hofnarren uberdrussig, so lieh man ihn dem Nachbarhof, und zu-
weilen wurde urn die Ausleihung eines Hofnarren wie urn eine
groBe Gunst gebeten. So war der mantuanische Hofnarr Fran-
cesco 1462 langere Zeit in Ferrara; er brachte seinem Pferd ver-
schiedene Kunststucke bei, so ,,daB das Pferd alles tat, was ihm
Francesco befahl, ganz als wenn das Tier Verstand hatte". Lo-
renzo de' Medici empfahl 1489 Isabella d'Este seinen griechischen
Hofnarren, indem er ihn als einen fur seinen Witz in der ganzen
Welt bekannten Menschen hinstellte und als ,, einen alten Freund
des Hauses Medici". Als Alfonso d'Este 1498 krankelte, schickte
ihm seine Schwester aus Mantua den beriihmten Narren Mattello.
Seine Spezialitat bestand darin, Monche und religiose Zeremonien
zu verulken, was fur damalige Anschauungen bezeichnend genug
ist. Mattello hielt eine Messe ab, indem er den einen oder anderen
Kleriker kopierte. Sein Publikum bestand nicht etwa nur aus welt-
lichen Menschen, auch Geistliche verschmahten nicht, sich den
SpaB mitanzusehen und in das allgemeine Gelachter einzustimmen.
Alfonso war des Lobes voll iiber Mattello und schrieb seiner Schwes-
ter, sie habe ihm eine groBe Freude durch den Narren bereifet, er
habe all seine Schmerzen vergessen, wenn er ihm zuhorte. Da
Alfonso Mattello so freundlich aufgenommen hatte, schickte ihm
der Schwager auch noch einen zweiten Hofnarren, l'Estense genannt,
und dieses Paar hat den Kranken so begliickt, ,,daB, wenn man ihm
ein kostbares SchloB geschenkt hatte, er sich kaum so sehr wie iiber
diese beiden Hofnarren gefreut hatte." Pistoia besang Estense nach
seinem Tod: falls der Schalknarr in den Himmel kame, so wurde
das ganze Paradies auBer sich vor Lachen geraten, falls er aber in
die Holle kame, so wurde selbst Cerberus verstummen.
Se '1 corpo exanimato requia in pace,
Lo spirto, credo, che da lui diviso
Tutto rider faccia ora il paradiso;
S'egli e al inferno, Cerber gode e tace.
tjber seinen Tod haben Isabella und ihr Gatte wie iiber ein groBes
Ungliick berichtet, doch hat dies den Markgrafen nicht gehindert,
Mattello, ,,wenn er iiber die Schnur haute", zu unfreiwilligem
hOfisches leben 463
Fasten oder zu Rutenstreichen zu verurteilen. Als der Arzt, Maestro
Luca, ihn einen Tag vor seinem Tod zur Ader lassen wollte, fand er
keine Stelle auf dem Kdrper des a/men Teufels, die nicht Spuren von
Schlagen trug, die ihm sein Ubermut eingetragen hatte.
Alfonso d'Este hat sich 1498, wahrend seiner Krankheit, von
einer ganzen Reihe von Hofnarren belustigen lassen, darunter be-
fand sich auch Diodato, ein groBer Taugenichts, den die Este
einige Jahre vorher entlassen hatten. Diodato war nach Man-
tua zur Markgrafin Isabella gefluchtet, die eine Vorliebe fur
ihn hatte. Der Lump hatte Frau und Kinder, aber alles, was er
verdiente, gab er seiner Geliebten und lieB die Familie darben. Der
kranke Alfonso bat seine Schwester, ihm Diodato zu schicken; aus
Furcht, daB die Dulcinea ihn nicht wiirde reisen lassen, gestattete
er ihm sogar, sie nach Ferrara mitzubringen. Aber der Narr konnte
nicht kommen, da er an einem widerwartigen Leiden erkrankt war.
Zwei Hofnarren, dem Franzosen Galasso und dem Italiener
Fristella, begegnet man gegen Ende des XV. Jahrhunderts ab-
wechselnd in Ferrara und Mantua. 1490 ist von Fristella viel die
Rede: er pflegte den Adligen den Ritterschlag zu geben, und dieser
Scherz fand bei Hofe Anklang. Zu Rittern, Hofnarren oder Hof-
lingen wurden jene geschlagen, die der Herzog dazu bestimmt hatte.
Bei dieser Zeremonie wurden ihnen Giirtel und Sporen angelegt und
Fristella taufte die neuen Wurdentrager mit Wein. Auf diese Weise
wurde auch Bartolommeo del Palazzo, mit dem Spitznamen Rive-
renza, zum Ritter geschlagen; er war der Hofnarr der Este und
malte und bildhauerte in freien Augenblicken. Eleonora von
Aragon und Ercole I. hatten eine Vorliebe fur Fristella; als er sich
einmal in Mantua iiber Erwarten lange aufhielt, wurde um ihn wie
um einen kostbaren Schatz gemahnt.
Auch Lucrezia Borgia brachte 1502 einige Hofnarren nach Ferrara
mit, darunter waren drei Spanier. Sie priesen in spanischen Versen
unter allerlei Scherz und Kurzweil auBer ihrer Herrin die Markgrafin
Isabella, die sie infolgedessenbeschenkte: dem einen gab sie eineWeste
den andern ein Stuck Goldbrokat, den dritten einige Ellen Atlas.
Die ferraresischen Narren suchten es den Fremden zuvorzutun und
sich in die Gunst der neuen Herzogin einzuschmeicheln, was na-
464 VIERZEHNTES KAPITEL
mentlich dem einen, Barone, gelang. Obrigens waxen spanische
Lustigmacher nicht zum ersten Mai am ferraresischen Hof. Ercole
hatte bereits 1498 ,,un Spagniolo pjacevole", den man sehr schatzte,
da er immer guter Dinge war, amiisante Lieder sang, tanzte und
drollige Geschichten vortrug.
Ein anderer spanischer Narr, wahrscheinlich Gianicho spagnole,
hat 1508 in Rom einen Hymnus zu Ehren des Kardinals Ippolito
d'Este improvisiert. Eine Zeit hindurch war in Italien alles modern,
was aus Spanien kam. Als die franzosische Renata in Ferrara einzog,
ritt an der Spitze des Brautzuges ein spanischer Narr auf einem
Dromedar in seltsamer Tracht.
Neben den mannlichen wurden auch weibliche SpaBmacher
an den Hofen gehalten. Oberhaupt war alles begehrt, was dem
Hofe einen originellen Anstrich geben konnte. Lucrezia Borgia
hatte eine Vorliebe fur eine arme blode Person, Catarina matta,
die ihrer Herrin so zugetan war, daB sie nach ihrem Tod untrostlich
blieb und aus Ferrara nach Mantua zu Isabella geschickt werden
muBte. Catarina wurde gelegentlich zum allgemeinen Gaudium
als Mann verkleidet. Sie konnte keinen Wein vertragen, verfiel
nach dem ersten Glas in eine tolle Laune und brachte zur Freude
des ganzen Hofes die unglaublichsten Dinge fertig. Der iibliche
Scherz war, ihr zu befehlen, durch einen FluB zu waten; die arme
Narrin hob ihre Rocke hoch und ohne nach rechts oder links zu
sehen, gab sie vor, durchs Wasser zu gehen. Sie stahl wie ein Rabe,
redete man ihr aber sanft zu und bat sie, die gestohlenen Sachen
zu zeigen, so fuhrte sie ohne weiteres zum Versteck. Catarina war
wohl blode und alles andere eher als eine witzige Hofnarrin. Das
Halten von Hofnarrinnen gehorte nicht zu den Ausnahmen. Viel
genannt wurde im XV. Jahrhundert Paoletta, die Hofnarrin der
Konigin von Neapel, und Marguerite de Valois, Franz' I. Schwester,
hielt an ihrem Hofe die Savin, die unter dem Namen ,,la folle
de la reyne de Navarre" bekannt war. Als Alberto Pio Carpi Isa-
bella Gonzaga einen Dienst erweisen wollte, schickte er ihr 1502
die „dumme" Giovanna und schrieb, die Markgrafin moge sie ihm
zuriickschicken, falls sie ihr nicht gefiele. Aber Giovanna ent-
sprach Isabellas Geschmack durchaus, sie dankte Alberto mit der
DOSSO DOSSI: HOFNARR
MODENA, GAT, ERIE
HOFISCHES LEBEN 465
artigen Wendung, es sei nur natiirlich, daB jemand, der in wichtigen
Dingen ein so treffendes Urteil habe, auch Kleinigkeiten richtig zu
beurteilen verstande. Isabella, die eine bedeutende Portratsammlung
beriihmter Zeitgenossen hatte, wollte auch das Portrat von Triboulet
besitzen, des bekannten Hofnarren Ludwigs XII. und Franz' I. Der
Konig schickte ihr eine Biiste Triboulets aus Terrakotta, die sehr
ahnlich gewesen sein soil. Victor Hugo hat in seinem Drama ,,Le
roi s'amuse" Triboulet als auBerordentlich edle Gestalt verherrlicht,
iiberhaupt haben die Romantiker die Hofnarren idealisiert und sie
zu ganz unmoglichen Gestalten erhoben.
X
Nach alter Sitte haben auch Zwerge zum Hofstaat gehort.
Schon die Romer pflegten Zwerge in Patrizierhausern zu halten,
und arme kleine Kinder wurden kiinstlich verkriippelt, urn spater
teuer als Zwerge verkauft zu werden. Noch in der zweiten Halfte
des XVI. Jahrhunderts, im Jahre 1566 bedienten in Rom vierund-
dreiBig Zwerge beim Tisch des Kardinals Viteli, und die Gaste
bewunderten, daB alle verschiedene MiBbildungen aufwiesen.
Auf Mantegnas Fresko in der Camera degli Sposi zu Mantua be-
findet sich die Zwergin unmittelbar neben der Markgvafin. Die
Besucher des Schlosses von Mantua kennen auch die fur die Zwerge
bestimmten Zimmer, kleine Kammerchen mit breiten und niedrigen
Stufen, und eine winzige Kapelle; alles war der GroBe der armen
Bewohner angemessen. Dieser Teil des Schlosses beweist, welche
wichtige Rolle Zwerge an Renaissancehofen gespielt haben und
wie sehr sie dem hofischen Pomp angepaBt wurden. Haufig flossen
die Pflichten eines Zwerges und Hofnarren ineinander. Als der
Herzog von Mailand 1512 nach Mantua kam, kam ihm der Zwerg
Nanino als Bischof verkleidet entgegen; er wuBte soviel Wiirde in
seinem pontifikalen Gewand an den Tag zu legen, daB er allgemeine
Heiterkeit erregte. Nach Tisch wurde er als venezianischer Pa-
trizier verkleidet, und andere als Ritter bewaffnete Zwerge voll-
fiihrten die verschiedensten Waffenkunststucke. Es war Naninos
30
466 VIERZEHNTES KAPITEL
wie Mattellos Spezialitat, Geistliche zu kopieren, und da der Mark-
graf sich seiner riihmen wollte, lieB er ihn das Ornat anlegen und
vor einem zu diesem Zwecke errichteten Altar eine Messe zele-
brieren. An Stelle des Evangeliums las Nanino seine Genealogie
vor und blickte so ernsthaft drein, daB einer der Anwesenden seinem
Freunde schrieb, er habe keinen Geistlichen gesehen, der die Messe
so genau und feierlich abzuhalten verstanden hatte wie dieser Zwerg.
All das geschah an erzkatholischen Hofen.
Nanino war zuweilen ungezogen und schlug und beschimpfte
seine Gefahrten; als der Markgraf von einem solchen Zwischenfall
horte, lieB er ihm sagen, er moge dessen eingedenk sein, daB es noch
Fesseln gabe, Reifen fur die Hande und Zangen, um den Mund zu
schlieBen. Diese Drohung wirkte, und Nanino hat sich spater vor
dem jungen Federigo, der damals in Rom weilte, geriihmt, er,
Nanino, ware jetzt des Markgrafen erstgeborener Sohn und hatte
infolge seiner guten Auffuhrung selbst Federigo aus dem vaterlichen
Herzen verdrangt. Der Zwerg unterschrieb seinen Brief: ,, Nanino,
frater vester, Illmi Principis primogenitus."
1522 war Nanino in Ferrara; da er mit einer Zwergin verheiratet
war, bat Renata, daB ihr das erste Kind des kleinen Paares geschenkt
werde. 1530 wurde den Nanino ein kleines Zwergenkind geboren,
aber ob das Kind normal gewachsen war oder starb — kurz, das
Geschenk unterblieb.
Selbst die Begrabnisse der Zwerge waren den Herren ein Fest.
1 514 starb ein Zwerg am mailandischen Hofe, und Maximilian
Sforza bat die Gonzaga, eine Deputation der dortigen Zwerge zum
feierlichen Begrabnis zu schicken und einen von den kleinen Man-
tuanern die Begrabnisrede halten zu lassen. Das geschah auch,
trotz einer unvermeidlichen Verzogerung, da die mantuanischen
Zwerge damals in Ferrara waren, wo einer der beliebtesten Hofnarren
der Markgrafin sich abwechselnd als venezianischer Patrizier oder
Franziskaner prasentierte.
Selbst die ernsthafte Vittoria Colonna hat man wahrend
ihres Aufenthaltes in Ferrara, als religiose Reformen sie be-
schaftigten, durch die Possen der Zwerge zu amiisieren ver-
sucht. Ihr zu Ehren haben mitten im Saal der Zwerg Morgan-
HOFISCHES LEBEN 467
tino und die Zwergin Delia getanzt; das kleine Paar fand allge-
meinen Beifall.
Neben den Zwergen haben Sklaven und Sklavinnen eine wichtige
Rolle unter dem Hofgesinde gespielt. Je schwarzer der Afrikaner,
desto hoher war er im Preis, und eine junge Negerin bestellte man
sich nicht anders wie einen jungen Hund. Ercoles I. Gattin hat bei
einem schwarzen Gondoliere in Venedig einen sehr schwarzen
Knaben und ein ebensolches Madchen gekauft. Isabella, ihre
Tochter, wollte eine noch schwarzere Mohrin haben; sie schrieb
an Brognolo, den mantuanischen Agenten in Venedig, er moge eine
etwa vierjahrige, gesunde, gutgewachsene kleine Negerin, so schwarz
als nur moglich, fur sie besorgen; aber der Agent konnte trotz der
groBten Miihe den Wunsch der Markgrafin nicht erfullen, er ver-
sicherte jedoch, daB die Frau des Gondoliere, von dem die dunkeln
Geschwister erworben worden waren, in drei Monaten einen neuen
SproBling erwarte. Die Frau brachte das schwarzeste Madchen,
das man sich wiinschen konnte, zur Welt, und die Signora Brognolo
ist in hochsteigener Person mit dem Kinde nach Mantua gefahren,
damit ihm unterwegs nichts geschehe. Die Markgrafin war sehr
zufrieden, aber das Madchen allein geniigte nicht, sie wollte sich
jetzt schon einen Mann fur sie sichern, um in Zukunft eine
schwarze Rasse ziichten zu konnen. Sie erfuhr von Signora Bro-
gnolo, daB sich in einem Hause in Venedig ein kleiner schwarzer
Saugling befande, und beauftragte den Agenten, diesen Knaben
unbedingt fur sie zu erwerben. Brognolo besah das Kind, fand es
gesund und hiibsch und kaufte es fur zehn Dukaten beim Besitzer'
der Sklavin, da die Mutter kein Recht hatte, iiber ihr Kind zu ver-
fiigen. Der Padrone besann sich aber sehr bald, da ihm von anderer
Seite fiinfzehn Dukaten fur das Negerkind versprochen waren.
Brognolo war in Verzweiflung, er wandte sich bis an den Rat der
Zehn, damit man den wortbruchigen Padrone zwinge, den Vertrag
einzuhalten. Der Rat entschied den Fall zugunsten des mantua-
nischen Agenten, der das Mohrenkind sofort mitnahm und der
Markgrafin mit Genugtuung berichtete, der Kleine sei gesund,
habe guten Appetit, er habe ihn bereits taufen lassen und das Kind
unterstiinde der besonderen Obhut seiner Gattin Cecilia. Das Kind
30*
468 VIERZEHNTES KAPITEL
wurde spater zu Isabellas groBer Freude von einer zuverlassigen
Frau nach Mantua gebracht. Ob das Mohrenpaar groB geworden
ist und dem Hof von Mantua die erhoffte Mohrenrasse geschenkt
hat, wissen wir nicht.
Isabella gab sich mit dem einen Paar nicht zufrieden. 1499 kaufte
sie wieder durch Vermittlung von Donato de' Preti einen jungen
Mohren in Venedig fiir dreiBig Dukaten, und 1533 meldete ihr
Sigismondo Cantalmos Witwe Margherita, daB eine schwarze Skla-
vin, die erst kiirzlich ,,aus der Berberei" gekommen sei, in Venedig
zu verkaufen ware, ein sechzehnjahriges, hubsches, gutgewachsenes
Madchen, nur sei ihre Unterlippe zu dick. Sie trinke keinen Wein,
und es hieB, daB sie noch nicht mit Mannern verkehrt habe. Es
wurden fiinfzig Dukaten fiir sie gefordert.
Es war also gar nicht so leicht, Neger in Venedig zu erwerben,
da die Venezianer in der Hauptsache weiBe Sklaven mitbrachten,
namentlich Slawen, Tataren, Tscherkessenmadchen und nur
ganz vereinzelt Afrikaner. Luzio und Renier berichten von
einem sehr unanstandigen Sonett Pistoias, das sich heute noch
in den Bibliotheksakten befindet, worin eine slawische Sklavin
einige Worte in ihrer Sprache sagt. Als schwarze Sklaven nach
Venedig kamen, bemiihten sich namentlich die Kurtisanen, sie zu
erwerben, da es zum guten Ton gehorte, sich von Negern bedienen
zu lassen. In dieser Beziehung hatten die vornehmen Damen die
gleichen Geliiste wie die Kurtisanen. In der Sammlung Cook be-
findet sich ein angebliches Portrat von Lucrezia Borgia: eine reich ge-
schmiickte Frau stiitzt sich mit der rechten Hand auf den Arm
eines Mohren, der seine Herrin verliebt betrachtet. Dieses Portrat
bildet keine Ausnahme, die vornehmen Frauen der Renaissance
haben sich gem mit einem Hund oder einem Mohren malen lassen.
In Lucrezia Borgias Gefolge scheinen sich bei ihrem Einzug in
Ferrara zwei weiBe Sklavinnen befunden zu haben: die Griechinnen
Samaritana und Camilla. Um die Mitte des XVI. Jahrhunderts
hatte der Kardinal Ippolito d'Este noch eine ganze Schar von
Sklaven und Sklavinnen aus Numidien, Athiopien, Indien, der Tiirkei,
die in zwanzig verschiedenen Sprachen sprachen. Einer der Tiirken
des Kardinals fluchtete 1533 aus Rom nach Mantua, der Markgraf
hOfisches leben 469
lieB ihn festnehmen und in Ketten schlieBen, wofiir Ippolito sich
brief lich becankt hat.
In der zweiten Halfte des XVI. Jahrhunderts bestand also noch
in Ferrara und Mantua der Brauch, Sklaven zu kaufen, die die
lebendige ,,Dekoration" der groBen Hofe vervollstandigten.
XI
Die Hofleute und die Dienerschaft wurden ,,famiglia" genannt,
damit ist das patriarchalische Verhaltnis umschrleben, das an
italienischen Hofen geherrscht hat; die gewohnliche Erscheinung,
daB bei patriarchalischem Zuschnitt nur der Patriarch zu seinem
Rechte kommt und die Familie den Despotismus und die Launen
ihres Herrn zu tragen hat, trifft auch fur die italienischen ,,Fa-
milien" zu. Den Schmeichlern ging es natiirlich weitaus am besten,
Fiirsten neigen stets dazu, ernste Menschen von wirklichem Ver-
dienst schlecht zu behandeln, und ihrem Beispiel pflegt dann der
gesamte Hofstaat zu folgen. Die Zustande waren zuweilen furcht-
bar, und zu alien Zeiten stdBt man auf die Klagen verzweifelter
Hoflinge. In der Renaissance, als das Gefiihl fur menschliche Wiirde
in immer weiteren Kreisen zu erwachen begann, hort man immer
haufiger den Aufschrei von Menschen, die sich durch das Hofleben
gedemiitigt fiihlen, und am estensischen Hof haben wohl schon
unter Niccolo III. sehr traurige Zustande in dieser Beziehung be-
standen, wenn selbst ein so ernster und gesetzter Mann wie der Arzt
Michele Savonarola eine lange Satire iiber das hofische Joch ver-
faBt hat. Die Satire tragt den Namen: ,,De nuptiis Battibocco et
Serrabocca" und ist gegen die Schmeichler, MiiBigganger und Ver-
leumder gerichtet, sowie gegen jene, die es verstehen, sich unter
die Machtigen und die einfluBreiche Geistlichkeit zu drangen, und
stets etwas fiir sich auf Kosten ihrer Gefahrten erbitten. Solch ein
Mensch ist Savonarolas Battibocco, sein Gegenstiick ist Serrabocca,
ein schweigsamer ernster Mensch, der sich gerade infolge seiner
Vorziige die allgemeine Sympathie am Hof verscherzt. Battibocco
heiratet seine Schwester Loquacita, die sich dank ihrer Geschwatzig-
470
VIERZEHNTES KAPITEL
keit bei alien einzuschmeicheln versteht und sogar ohne weiteres
vom Papst einen Dispens erhalten hat, urn ihren Bruder zu heiraten.
Gevattern und Kranzelherren bei dieser Hochzeit sind ,,Schmeiche-
lei", „Oble Nachrede", „Luge", ,,Unfrieden", ,,Tauschung", ,,Ver-
schwendung" usw. Zum Hochzeitsbankett gibt es Frosche, Moven
und Reiher, die so gut zubereitet sind, daB sie zuerst ausgezeichnet
schmecken, und erst nach einer Weile einen sauren, bitteren,
beiBenden Geschmack hinterlassen. Jedes Gericht wird unter
lautem Geschrei und Glockengelaute aufgetragen; die Glanznummern
der Tafel bilden Stdrche, die, obgleich sie gebraten auf den Tisch
kommen, Larm mit ihren Schnabeln schlagen. Zu den besonderen
Delikatessen des Mahles gehoren Zungen von Otterngeziicht, eine
Zuspeise aus Schlangen und ein Fuchsbraten.
Fast alle Schriftsteller und Dichter des XV. und XVI. Jahr-
hunderts haben im Herzen bittern Groll gegen die hofischen Zu-
stande genahrt, denn abgesehen von den fortwahrend zu erdulden-
den Unannehmlichkeiten und Ungerechtigkeiten haben sie deut-
lich empfunden, daB der Hof ihr Talent ruiniert, indem sie gezwun-
gen wurden, auf Kommando zu schreiben und zu schmeicheln
In Satiren hat Ariost sich Luft gemacht und im Orlando hat er die
hofischen Zustande in zwei charakteristischen Ottaven gegeiBelt
Pistoia und selbst Battista Guarini, der nicht ohne hofische Art
leben konnte, haben bitter iiber ihren Dienst am Hofe geklagt
Guarini hat das Zwiespaltige seiner Lage empfunden: zu unfrei,
um frei zu sein, und nicht unfrei genug, um Furstenknecht zu sein,
,,per servidore troppo libero, per libero troppo schiavo". In all
seinen Briefen klagt er, man miisse sich bei Hofe seines eignen
Willens, seiner eignen Ansicht iiber die Dinge entauBern, auf Be-
fehl schreiben, und sein ganzes Leben hore man die Kette klirren,
an die man gefesselt sei. Im herzoglichen Dienst habe ihn die
Muse verlassen, die sich nicht in Knechtschaft begeben wolle.
Ausfiihrlich schildert er in einem seiner Briefe diese hofische
Not und den Zwang, sich nach dem Willen des Herzogs zu richten;
selbst der Reiche miisse sich bei Hofe gleich den Hofschranzen und
Dienern herumstoBen lassen, wenn er aber kiihn genug ist, um ein un-
abhangiges Leben zu fiihren, so wird er als Geizhals und Sonder-
hOfisches leben 471
ling verschrien, und die Fiirsten zermalmen ihn bei gegebener
Gelegenheit dank ihrer Ubermacht. Jeder schiffbriichige Hofling,
jeder elende SpieBbiirger, jeder Lump empfindet es als sein Recht,
ihn zu beleidigen; sucht der mit FiiBen Getretene nach Gerechtig-
keit — er wird sie nicht finden und das Ende seines Prozesses nicht
erleben. Was dieser Unabhangige auch Gutes tun oder sagen moge,
— alles wird ihm als Siinde oder Verleumdung ausgelegt werden,
alles zu seinem Unheil ausschlagen. Die Regierung wird ihm die
schwersten Steuern auferlegen, ihm immer Gaste fur die Nacht
ins Haus schicken und seine Leute fur alle Arbeiten stets zuerst in
Anspruch nehmen. Wenn die furstlichen Sbirren ihren Raubzug
antreten, um die Bevolkerung auszusaugen, so werden sie zuerst bei
ihm anklopfen und wehe, wenn er ihnen seine Tur nicht auftut.
Dann werden sie das Tor einschlagen, sein Haus pliindern, seine
Diener durchpriigeln, da sie wissen, daB sie gegen jenen, der beim
Fiirsten in Ungnade ist, ungestraft vorgehen konnen.
Aber auch abseits vom Hofe kann man nicht leben, denn dann
gleicht man einem Segelschiffer wahrend eines Gewitters, der an
Felsen zerschellt. Wahrend sich der Schiffer noch mutig aus der
Gefahr retten kann, kommt bei Hofe nur der zum Ziel, der be-
reit ist, niedrig und gemein zu handeln. Alles ist dort Luge und
Betrug, und in diesem elenden Leben, in dem der blinde Zufall
herrscht, geschieht stets das Unerwartete. Man muB ein kluger
Steuermann sein, stets Weihrauch, Verleumdung und Tauschung
in Bereitschaft haben und niemals blinden Gehorsam verweigern.
Dazu als erster Grundsatz, man darf niemals auf Bestechung ver-
zichten, wenn man zur Gerechtigkeit gelangen will. Wer sich einmal
den Zorn des Fiirsten zuzieht, moge fur immer vom Leben Abschied
nehmen.
Der Fiirst und die hofische Clique sind allmachtig, nur der ver-
mag innerhalb dieser Gesellschaft Brot und Ansehen zu finden, der
sich beiden unterwirft; jeder von ihnen bedarf eines Herrn und
eines Dieners, un padrone, una servitu.
Einer der Hoflinge klagt uber sein schweres Geschick. Im Vor-
zimmer Stunden hindurch antichambrieren, bis der Herr seine Be-
fehle erteilt, ihm Tag und Nacht Gesellschaft leisten, ihm zu FuB
472 VIERZEHNTES KAPITEL
oder zu Pferde folgen, wohin es ihm zu gehen beliebt, dem leisesten
Wink folgen, nicht essen, ehe er gegessen, sich nicht zur Ruhe be-
geben, ehe er schlaft, jedes Wort auf die Wagschale legen, nicht
zu viel noch zu wenig sprechen, im Gehen, Stehen, Sitzen stets dar-
auf bedacht sein, ob es dem Herrn auch gefallt, Tausende von Be-
leidigungen herunterschlucken, sich mit Intrigue gegen Intrigue
schiitzen, mit Verleumdung gegen Verleumdung, keine Stunde der
Ruhe und Sicherheit haben, und als Entgelt fur all das die bose
Laune des Despoten ertragen, ohne Grund in seine Ungnade ver-
fallen, an einem Tage all seine Hoffnungen zerstort sehen — dies
das Schicksal eines Cortegiano.
Ein anderer schildert ,,la corte" als die Statte alles Unheils, als
eine Kloake, in der die Not nistet, wo die Armen sich als SpaB-
macher hergeben mussen, die Ehrlichen verfolgt und die Spitz-
buben erhoht werden, wo es den Spionen und Verleumdern und jenen,
die von Betrug leben, gut geht, wo man hinterlistig sein mufJ, ein
Rauber und Ehebrecher, um nur existieren zu konnen.
Lodovico Domenichi klagt in einem seiner Dialoge, so oft er an
seine Lage denke, komme es ihm vor, als ware er kein Mensch, kein
freies Geschopf, sondern der elendeste Sdldling. Gabriello Simoni
nennt den Hof ein Gefangnis und Grab, in das sie den Menschen
bei lebendigem Leibe bergen.
Sepoltura e prigion dell' uomo vivo.
Selbst Vittoria Colonna bemitleidet die Menschen, die die schonsten
Jahre ihres Lebens am Hof verlieren, dort Ehren und eine Ver-
besserung ihres Schicksals suchen, aber was sie finden, sind Be-
leidigungen und Unrecht.
. . . ne le gran corti consumando
II piu bel fior de' lor giovenil anni,
Mentre utile ed onor van ricercando,
Sol ritrovano insidie, oltraggi e danni.
GewiB, Baldassare Castigliones ,,Hofmann" zeigt ein anderes
Bild, aber Castiglione schrieb fur die Herrschenden und nicht fur
jene, die Tage hindurch in den Vorzimmern auf Befehle warten
hOfisches leben 473
mufiten. Literaten und Gelehrte beurteilt er von der Hohe seines
Standpunkts als mantuanischer Gesandter in Rom und Freund
des Herzogs Guidobaldo aus Urbino. AuBerdem entwirft Baldassare
das Bild eines Hofmanns, wie es sein sollte, und idealisiert den
Herzog Guidobaldo, an dessen Hof er denkt. Fur ihn ist der ,,Hof"
gewissermaBen eine Hochschule der Bildung und feinen Sitte. DaB
diese auBere Kultur an italienischen Renaissancehofen erreicht
wurde, unterliegt keinem Zweifel. Salonkultur und vornehme
Sitte haben sich dort entwickelt. Aber unter der schonen Schale
verbarg sich eine grenzenlose Verderbnis. Erasmus Rotterdamus
ist dies nicht entgangen; der Widerspruch zwischen der gese!l-
schaftlichen Form und dem Wesen der Dinge hat ihn in Italien so
frappiert, daB er, als er 1509 aus Rom nach London zuriickkam,
sein ,,Lob der Dummheit" schrieb.
Auch die Literatur litt unter dem hofischen Wesen, sie wurde
zur Sklavin der Machtigen und Reichen. Die Erfindung der Buch-
druckerkunst hat in dieser Beziehung keinen Wandel geschaffen,
da der Druck der Biicher sehr teuer, der Verkauf nicht genugend
geregelt war und im allgemeinen dem Verfasser keinen materiellen
Nutzen brachte. Der Verfasser muBte nach einem vermogenden
Protektor suchen, da es Buchhandler, die zugleich Verleger waren,
nicht gab. Wollte er seine Arbeiten drucken lassen, so muBte er
zum Schmeichler und Hdfling werden, und ob er Dichter, Historiker
oder Philosoph war, wenn er kein Vermogen hatte, war er nicht
mehr als ein Bettler.
Diese okonomische Abhangigkeit der Literatur von den Reichen
muBte in ganzen Generationen von Literaten Erbitterung und einen
versteckten HaB gegen die Herrschenden erzeugen. Es bedurfte
eines mutigen, begabten und riicksichtslosen Menschen, um die
Fesseln zu zerreiBen und aus einem Ausgesaugten ein Aussauger
zu werden. Moralisch waren diese Grundsatze nicht gerade, aber
Ethik stand damals nicht eben hoch im Kurs: Egoismus und
Eigennutz war die Losung der Epoche. Wenn ein Cesare Borgia
sich mit Dolch und Gift ein Reich schaffen, Sforza mit List und
Macht eine Dynastie begriinden, ja wenn ein gewohnlicher Rauber
wie Piccolomini Stadte zur Unterwurfigkeit zwingen und aus groBen
474
VIERZEHNTES KAPITEL
Landgebieten ungeheure Summen erpressen konnte — dann durfte
auch Aretino sagen, daB er sich mittels seines Talents zum
mindesten Unabhangigkeit erwerben miisse. Jene beriefen sich,
wenn sie ihre Grausamkeiten und ihren Despotismus rechtfertigen
und sich mit den erbeingesessenen Dynastien Frankreichs und
Spaniens vergleichen wollten, auf Gottes Gnade als den Ursprung
alles Rechtes, ein Aretino war froh, zum mindesten ein freier Mensch
aus Gottes Gnade zu werden und nannte sich uomo libero per la
grazia di Dio. Aretino schwang das revolutionare Banner gegen die
Hofe und das Hof lings wesen,sein Manifest istseinBuch ,,Dialogo
delle Corti", in dem er gegen die Sklaverei der Literaten
kampft. Es war eine beiBende Satire auf hofi-
sches Wesen, ein flammender Protest gegen
hofische Art, der Beginn der „anti-
cortegiana"-Literatur, die im XVI.
Jahrhundert entstand und
allmahlich das gesamte
Hof lingstum unter-
graben hat.
FtTNFZEHNTES KAPITEL
DIE KUNST WIRD WELTLICH
i
on starkstem EinfluB auf die Malerei im Sinne ihrer
Verweltlichung waren die norditalienischen Fiirsten-
hofe. Allmahlich zog die Kunst aus der Kirche in
Palaste und Schlosser ein und entnahm dem Alltag
ihre Motive. Selbstverstandlich haben die Maler seit
jeher den strengen Inhalt religioser Tafelbilder und
Fresken durch Szenen aus der Natur und der sie umgebenden Ge-
sellschaft zu beleben gesucht, aber es waren schiichterne, von den
Stiftern nicht immer gern gesehene Versuche. Eine beriihmte Aus-
nahme bilden die Fresken von Ambrogio Lorenzetti (zwischen 1337
und 1339) im Palazzo Pubblico in Siena, die, weltlichen Inhalts, die
Folgen guter und boser Regierung darstellen. Auch in die Fresken
im Campo Santo zu Pisa haben die Kunstler eine ganze Reihe aufier-
biblischer und auBerkirchlicher Themen einzufuhren gesucht, aber
all diese Neuerungen muBten sich in sehr engen Grenzen bewegen,
da das Tafelbild oder Fresko fur eine Kirche, den Kreuzgang eines
Klosters oder Friedhofs bestimmt war und religiose Szenen oder die
frommen Taten eines Heiligen zu verherrlichen hatte. Solange
die Forderer der Malerei Geistliche und Monche waren oder welt-
liche Stifter, die sich vermittels der Kunst einen Weg in den Himmel
bahnen wollten, konnte sie dem engen Kreis, den ihr die Heilige
Schrift, das Leben der Martyrer und Kirchenheiligen gezogen hatte,
nur entschliipfen, indem sie ihre eigentliche Mission uberschritt.
Die Papste hatten naturgemaB weder die Absicht noch den
Wunsch, der Malerei das Tor in die Umwelt zu of men; das Bildnis
476 FUNFZEHNTES KAPITEL
allein schien ihnen, vom religiosen Thema abgesehen, ein der Kunst
wiirdiger Gegenstand, und es hat seit jeher bei der Kirche in hohem
Ansehen gestanden. Auch die Gemeinden hatten weder Lust noch
Gelegenheit, den Malern weltliche Themen in Auftrag zu geben;
wenn die Kommune ein Tafelbild oder Fresko bestellte, so geschah
es fur offentliche Mittel, zu Ehren Gottes oder um die Schutzpatrone
der Stadt zu verherrlichen ; die ritterlichen Taten eines beruhmten
Mitbiirgers oder siegreichen Condottiere der Nachwelt zu erhalten,
war schon deshalb nicht angangig, da man befurchtete, auf diese
Weise einer einzelnen Personlichkeit oder ganzen Familie einen
iibermachtigen EinfluB in der Gesellschaft einzuraumen und der
Tyrannei Tiir und Tor zu offnen. So haben erst die Fiirstenge-
schlechter und Condottieri, die ein eignes Reich begriindet hatten
und sich ihrer Taten ruhmen durften, die biblischen Helden und
Heiligen des Herrn allmahlich aus dem Bereich der Kunst verdrangt
und sich selbst und ihre eigenen Taten und Schicksale vom Maler
preisen lassen. Es lag in ihrem dynastischen Interesse, auBer
ihren eigenen, nach Moglichkeit idealisierten Portrats auch Epi-
soden aus ihrer Regierung verherrlichen zu lassen, um kommenden
Geschlechtern den sichtbaren Beweis ihres Edelmuts und ihrer
Tapferkeit zu erbringen.
Die Renaissance hat, wie in alien Zweigen menschlichen Wissens
und menschlicher Tatigkeit, auch in der Malerei weltliche Ten-
denzen begiinstigt. Mythologie und Allegorie fanden ihren Platz,
und der groBe Kiinstler-Archaologe Mantegna war unter den ersten,
die der Malerei diese Richtung gewiesen haben. Wenn der Paduaner
Meister ,,Casars Triumphzug" gemalt hat, warum sollten nicht auch
die Gonzaga auf den Einfall kommen, ihr Kastell mit Szenen aus
ihrem Leben zu schmiicken, warum nicht auch Borso zur Ober-
zeugung gelangen, daB seine Regierung glorreich genug sei, um
an den Mauern des Palazzo Schifanoja dem Enkel seinen Ruhm zu
kiinden ? Da der Einfall, die eignen Taten im Bilde darzustellen, fur
damalige Begriffe sehr kiihn war, haben Kiinstler und Despoten
mit besonderem Eifer nach allegorischen Themen gegriffen, da auf
diese Weise die grobsten Schmeicheleien auf die Leinwand zu bringen
waren, ohne scheinbar die Grenzen der Ruhmsucht zu uberschreiten.
DIE KUNST WIRD WELTLICH 477
Im Bestreben, den Condottieri und Fiirsten in wenigst anstoBiger
Weise zu schmeicheln, sind sich Malerei und dramatisches Schafer-
spiel begegnet. Hier wie dort konnte man die Este, Gonzaga oder
die Herren von Urbino als Halbgotter, Nymphen, Satyrn und Hirten
verherrlichen, Vorteil fur den Kiinstler und Ruhm fur den Besteller
herausschlagen. Was Wunder, wenn die mantuanische Isabella
eine so groBe Vorliebe fur gemalte Allegorien hatte, daB sie ungefahr
das ganze SchloB damit gefiillt hat?
Auch die Verbreitung der Novelle in der Literatur hat nicht
wenig zur Modernisierung der Malerei beigetragen, die Kunstler,
die nach dem Beispiel der Literaten gingen, haben fromme Legenden
novellistisch behandelt; Carpaccios Ursula-Zyklus in Venedig,
Gozzolis Augustin-Fresken in San Gimigniano, Sodomas Benedikt-
Legende in Monte Oliveto, Fra Filippo Lippis Szenen aus dem Leben
Johannes des Taufers im Prato sind die deutlichsten Beispiele dafiir.
Erst unter Niccolo III. kann von den Anfangen ferraresischer
Malerei und einem groBern Bedarf an Fresken und Tafelbildern
die Rede sein. Ferrara hatte zwar schon im XIII. Jahrhundert seine
Maler, aber aus dieser Epoche haben sich kaum Spuren erhalten.
Auch Giotto hat in Ferrara gearbeitet und hat dort seine Nach-
ahmer gefunden, aber diese Namen bleiben, da die Werke nicht
erhalten sind, totes Buchwissen ohne lebendigen Inhalt.
Nur Antonio Alberti, der sogenannte Antonio da Ferrara, der
zwischen 1438 und 1464 gemalt hat, zum Teil von Giottos Werken
beeinfluBt, zum Teil die Umbrer nachahmend, ist fur uns eine greif-
bare kiinstlerische Personlichkeit. Erhalten sind seine Fresken in
San Petronio zu Bologna, in der Kirche S. Antonio in Polesina
bei Ferrara, drei Bilder in Urbino und Fresken in der Friedhofs-
kapelle in Talamello bei Pesaro. Als sein bedeutendstes Werk
galten den Zeitgenossen Fresken, die er in der heutigen Stadtbibliothek
zu Ferrara geschaffen hat und die nicht auf uns gekommen sind.
Das bereits erwahnte Verlangen, die Taten des regierenden Fiirsten
— Niccolos III. -r- zu verherrlichen, sprach daraus, auf dem Haupt-
bild war das dkumenische Konzil dargestellt, das Eugen 1438 nach
Ferrara berufen hat. Dieses Fresko wies bereits den Weg, den die
Malerei in Ferrara spater einschlagen sollte. Niccolo, stolz darauf,
478 FUNFZEHNTES KAPITEL
daB ein so wichtiges Konzil in Ferrara stattgefunden hat, wollte
diesen Augenblick im Bilde festhalten und der Nachwelt die Teil-
nehmer des Konzils vorfiihren. Es genugte den Fursten nicht, sich
portratieren zu lassen, auch Bildnis-Medaillen wurden gepragt;
sie waren um so begehrter, als sie Briicken von der Moderne zur
Antike schlugen und Niccolo und Lionello d'Este mit Casar, Ti-
berius und Marc Aurel verbanden. Neben der Malerei wird die
Medaille zum wichtigsten Zweig ferraresischer Kunst, wahrend die
monumentale Plastik, da es an Marmor fehlte, sich dort nicht ent-
wickeln konnte.
In diesen kleinen Staaten hat die Personlichkeit des Fursten so
sehr auf der Entwicklung jedes Zweiges der Wissenschaft, der Kunst
und der Industrie gelastet, daB er allem die Richtung gewiesen und
allem seinen Stempel aufgedriickt hat. In Florenz und Venedig hat
die Biirgerschaft auf die Entwicklung der Kunst miteingewirkt, in
Ferrara ausschliefilich der Hof. Wenn dem Fursten die Kiinstler
am Ort nicht gefielen, wenn sie denvenezianischenundflorentinischen
Meistern an Begabung und Technik nachstanden, so bezog er
fremde Kiinstler nach Ferrara oder kaufte fremde Kunstwerke.
Der Fiirst besaB den kurzsichtigen Patriotismus der Stadtgemeinden
nicht, die nur die ortsangesessenen Kiinstler forderten mit Riick-
sicht auf die Ehre der Kommune und den Verdienst am Ort. Der
Fiirst bereiste fremde Hofe, sah die verschiedensten Kunstwerke, er
wollte es den anderen gleichtun, auch wenn es nicht ohne erhebliche
pekuniare Opfer ging.
Unter Lionellos Regierung gab es bereits eine groBe Anzahl
ortsangesessener Maler in Ferrara; der bedeutendste darunter war
Giovanni Oriola, der auch ein Bildnis der Markgrafin geschaffen hat.
Pietro de' Bonsignori, Angiolo da Foligno, Daniele Agresti, Do-
menico Costa und viele andere haben sich in Ferrara niedergelassen,
gelockt von der Aussicht auf Verdienst in der sich stetig vergroBern-
den Stadt; es waren jedoch keine Talente von irgendwelcher Be-
deutung, eher Handwerker, die sich mit Dekorationsmalerei be-
schaftigten. Zu den bekanntesten unter ihnen gehorte Niccolo
d'Alemagna oder Niccolo Teutonico, der einige Zeit in Padua war
und sich 1445 in Ferrara niedergelassen hat. Er scheint das Portrat
DIE KUNST WIRD WELTLICH
479
von Beatrice, der unehelichen Tochter von Niccolo III., gemalt zu
haben und hat spater Borso ein Diptychon angeboten, mit den
Portrats des Herzogs Galeazzo von Mailand und seiner Gemahlin.
Wie in anderen Stadten, ist auch in Ferrara das Malerhandwerk
vom Vater auf den Sohn iibergegangen ; am langsten hat es sich bei
den Bonacossi und Turoli erhalten, die anderthalb Jahrhunderte den
Pinsel gehandhabt haben. Der alteste Bonacossi, Bartolommeo,
hat 1379 gelebt und der letzte, Giacomo, noch 1504 gemalt Jacopo
Turola, der unter dem Spitznamen Jacopo dei Belli bekannter ist,
hat 1434 den estensischen Palast in Venedig sowie das SchloB in
Belriguardo, das Kloster in Belfiore .und Zimmer im herzoglichen
Palast in Ferrara geschmiickt. Als der Kaiser in Ferrara erwartet
wurde, hat er Fahnen gemalt, die mit zehn Dukaten fur das Stuck
bezahlt wurden Sie miissen kunstlerischen Wert gehabt haben,
da sie einen so hohen Preis erzielt haben
Ein bekannter Dekorationsmaler war unter Niccolo III und
Lionello Jacopo da Soncino, genannt Sagramoro, der einer groBen
Werkstatt vorstand und alle Dekorationsarbeiten ubernommen hat.
Er hat Schatullen gemalt, Standarten fur den Bucentaur, Kastchen,
die zum Aufbewahren von Silber bestimmt waren und haufig als
Hochzeitsgeschenk beniitzt wurden, und Papierfiguren zu Illumi-
nationszwecken verfertigt. Bei ihm wurden Schilde mit gemalten
Wappen und Devisen gekauft, er hat Decken und Karnine bemalt
und Kartons fur Arazzi entworfen, die in Flandern gewebt wurden.
Sagramoros in Olfarben gemalte Tarockkarten, die der ferraresische
Hof in groBen Mengen gebraucht hat, waren sehr beruhmt. Die
Technik der Olmalerei ist aus Flandern nach Ferrara gekommen;
ehe diese Technik fur Tafelbilder verwandt wurde, wurden Spiel-
karten, Fahnen und andere Gebrauchsgegenstande, die dem Ver-
schleifl unterlagen, mit Olfarben bemalt. ,, Maria Himmelfahrt",
ein Bild auf Seide, das 1442 als Preis in einem Pferdewettrennen
angesetzt war, ist vermutlich schon in Olfarben gemalt worden.
In Ferrara bestand noch im XV. Jahrhundert die Sitte, die wir
schon im XIII. in Italien finden, an offentlicher Stelle die Portrats
der in ihrer Abwesenheit verurteilten Verbrecher anzubringen. So
hat Sagramoro das Portrat des bekannten bolognesischen Rechts-
480 FUNFZEHNTES KAPITEL
gelehrten Andrea Barbazza (gest. 1480) gemalt, das an der Mauer
des Amtes delle bollette angeschlagen wurde. Der bekannte Ge-
lebrte war nur deshalb zum Galgen verurteilt und in effigie ge-
hangen worden, weil er trotz seines Versprechens nicht gekommen
war, um an der Universitat in Ferrara zu lesen.
In Sagramoros Bottega hat Niccolo Panizzato gearbeitet, der
spater auf eigne Hand Bestellungen von religiosen Bildern so gut
wie von dekorativen Arbeiten annahm. Panizzato muB ein begabter
Landschafter gewesen sein, wir wissen von einer von ihm gemalten
Verkiindigung, einem Doppelbild mit landschaftlichem Hintergrund,
und in einem von Borsos Palasten hat er in den Loggien Garten
gemalt. ,,Verduren" dieser Art waren sehr beliebt; auch ein anderer
zeitgenossischer Maler, Andrea Costa da Vicenza, hat 1449 eine
Krdnung Maria fur Beatrice d'Este, anlaBlich ihrer Trauung mit
Niccolo da Correggio, gemalt, auch dies war ein mehrteiliges Ma ver-
dure" gemaltes Altarbild. Zur Feier von Friedrichs III. Ankunft
(1452) hat Costa die mit Papier beklebte Decke und die Wande eines
Gemaches bemalt; da die Zeit drangte, wurden ihm ,,samtliche
Maler", die sich zur Zeit in Ferrara befanden, zur Verfiigung ge-
stellt. Es ist dies einer der ersten Versuche, Papiertapeten einzu-
fiihren. Costa hat die verschiedensten Gegenstande bemalt, 1455
hat er eine Wiege bemalt, die der Herzog von Ferrara Isotta, der
Gemahlin des Grafen Frangipani auf Segni, verehrt hat. Selbst die
Kiste, in der die Wiege verschickt wurde, war bemalt. 1454 hat er
fur den Herzog Devisen und Wappen auf weiBen Atlas gemalt, die
als Fahnen beniitzt werden sollten.
II
Der Umschwung in der ferraresischen Malerei, die bis dahin
keinen einheitlichen Charakter hatte und mehr dekorativen
Zwecken gedient hat, datiert seit dem Auftreten von einigen be-
deutenden fremden Kiinstlern in Ferrara. Am starksten hat Vittore
Pisano, Pisanello benannt, auf die Ferraresen gewirkt.
Pisanello ist einer der interessantesten Kiinstler aus der ersten
Halfte des XV. Jahrhunderts, ein strenger Realist und scharfer
COSIMO TURA: MADONNA
VENEDIG, AKADEMIE
DIE KUNST WIRD WELTLICH 481
Beobachter, der der Natur liebevoll nachgeht. Ihm erscheint
nicht die menschliche Gestalt allein eines ernsten Studiums wiirdig,
jedes Tier, jeder Baum, jede Pflanze, jeder Gegenstand, der ihn
frappiert, wird zum begehrten Modell. Den scharfen UmriB der
Medaille hat er auch auf die Zeichnung und das Gemalde iiber-
tragen und hat jeder Erscheinung ihre charakteristischste Seite
abzulauschen gesucht.
Pisanello kam um 1435 zum erstenmal aus Rom nach Ferrara,
wo sein Freund, der Humanist Guarino, an der Universitat las.
Von diesem Zeitpunkt an kam er haufiger nach Ferrara; Lionello
hat ihn auBerordentlich hoch geschatzt und mit Bestellungen iiber-
hauft. 1 441, wahrend er Lionellos Portrat gemacht hat, kam Jacopo
Bellini; auch bei ihm wurde ein Portrat des jungen Prinzen bestellt.
Das Bildnis des Venezianers hat Niccolo III. besser gefallen, doch
tat das Pisanellos Beziehungen zum ferraresischen Hof keinen
Abbruch. Er hat mehrere Bilder fur die Este geschaffen, auf
dem einen sind Antonius und Georg an der Waldgrenze dar-
gestellt, in Anbetung der Madonna, die mit dem Jesuskind auf
den Armen in den Wolken erscheint. Der h. Georg im Panzer
und Florentiner Strohhut mit breitem Rand, wie ihn die Ritter da-
mals im Sommer zu tragen pflegten, tragt Lionellos Ziige, auch
der h. Antonius mit seinen ausgepragten energischen Ziigen, dem
langen Bart und der Kapuze auf dem Kopf stellt wohl eine bekannte
Personlichkeit dar. Zu den Fiifien des h. Georg liegt ein erschlagener
Drache, hinter ihm tauchen zwei Pferdekopfe auf. In der ganzen
Komposition ist Maria gewissermaBen als nebensachliche Zu-
gabe behandelt, wahrend es dem Kunstler hauptsachlich darauf
ankam, die beiden Heiligen darzustellen; vielleicht war es ihm be-
sonders um ein treues Abbild von Lionello mit Waf fen und Pferden zu
tun. Pisanello hat auch ein Einzelbildnis von Lionello gemalt, das sich
heute in der Galerie Morelli in Bergamo befindet.
Das schone Frauenbildnis von Pisanello, das sich heute im Louvre
befindet, soil ein Portrat von Margherita Gonzaga sein, die Lionello
am 2. Februar 1435 geheiratet und am 2. Juli 1439 verloren hat.
Den Hintergrund bilden griine Zweige, Bluten und flatternde
Schmetterlinge; das Kolorit ist lebendig und von groBer Harmonic
31
482 FUNFZEHNTES KAPITEL
Pisanello war kurz vor seinem Tode, der um 1451 eingetreten
sein muB, in Ferrara, er starb ungefahr ein Jahr nach Lionello.
Wie hoch der Kiinstler in Ferrara geschatzt worden ist, beweisen
die Lobreden, die die Dichter ihm zu Ehren verfaBt haben und
die nichts anderes als ein Abglanz der Lobreden am Hofe sind.
Guarino aus Verona und Tito Vespasiano Strozzi haben den
Kiinstler in schwungvollen Versen gefeiert.
Jacopo Bellinis Beziehungen zum ferraresischen Hof haben,.
wie erwahnt, unter Niccolo III. eingesetzt. Die Bezahlung war ein-
fach genug, da der Kiinstler gelegentlich durch Lieferung von Natu-
ralien befriedigt wurde. So lieB Lionello Bellini 1441 zwei Scheffel
Getreide auszahlen; diese Art der Bezahlung muB aber dem Kunstler
nicht unerwunscht gewesen sein, da er viel fur die Este geschaffen
hat; leider ist kein einziges dieser Bilder erhalten. Auch Mantegna,
der damals noch Squarciones Schiiler war, war unter Lionello kurze
Zeit in Ferrara. Sein EinfluB war ein auBerordentlich wichtiger
Faktor in der Entwicklung der ferraresischen Kunst, und die engen
Beziehungen der Este zu den Gonzaga haben es den Ferraresen
erleichtert, die Werke des gro3en Mantuaner Meisters kennen zu
lernen.
Rogier van der Weydens Ankunft in Ferrara war eines der
wichtigsten kiinstlerischen Ereignisse jener Epoche. Rogier kam
1450 nach Italien, wahrscheinlich zum groBen Kirchenjubilaum,
das viel flandrische Pilger nach Rom gelockt hat, auch mag er nach
einem Markt fur seine Bilder gesucht haben. Die erste italienische
Stadt, in der er sich langere Zeit aufhielt, war Ferrara; der Glanz
des dortigen Hofes, vielleicht auch Empfehlungen flandrischer
Kaufleute, die zu den Este in Beziehungen standen, mdgen ihn
hingelockt haben. Der Enthusiasmus, mit dem man Rogiers Bilder
in Ferrara aufgenommen hat, laBt sich nur der Bewunderung ver-
gleichen, die Hugo van der Goes' Portinari-Altar in Florenz erweckt
hat. Als Rogier seine Bilder nach Ferrara brachte, war die Olmalerei
dort noch fast unbekannt. Man bediente sich dieser Technik zwar
fur Spielkarten, Fahnen, zum Bemalen plastischer Figuren usw.,
aber die ersten Olgemalde hat erst Cosimo Tura 1469 aus-
gefiihrt.
DIE KUNST WIRD WELTLICH 483
Der starke Realismus des flandrischen Kunstlers einerseits,
seine tiefen, glanzenden, leuchtenden, lebendigen Farben anderer-
seits mufiten Ferraras gesamte kiinstlerische Welt aufregen.
Lionello hat ein Triptychon von Rogier mit einer Kreuzabnahme er-
worben. Die Gestalten waren nach der Versicherung eines Zeit-
genossen der Ausdruck gottlicher, nicht menschlicher Kunst, von
der Allmacht der Natur, nicht von der Hand eines Kunstlers ge-
schaffen.
Lionello starb zu friih, als daB sich die Folgen dieser neuen Ein-
fliisse noch unter seiner Regierung in der Malerei von Ferrara hatteri
zeigen konnen. Erst unter Borso (1450 — 1471) entsteht eine Maler-
schule auf ferraresischem Boden mit bestimmten charakteristischen
Kennzeichen, die sie von den iibrigen kiinstlerischen Tendenzen
in Mittelitalien unterscheiden. Unter Borso hort der starke EinfluQ
fremder Maler in Ferrara auf, mit Ausnahme von Piero della Fran-
cesca, dieses Licht- und Luftmalers der Renaissance, den der Herzog
um 1 45 1 fur einige Zeit nach Ferrara berufen hat.
Der Hauptvertreter des kiinstlerischen Prozesses, der sich nun
vollzogen hat: der Bildung einer eignen ferraresischen Schule, die
sich fremde Elemente assimiliert hat, ist Cosimo Tura (geboren um
1432 bis 1495) eine ausgepragte kiinstlerische Personlichkeit, fern
von allem Banalen, die die Natur eifrig erforscht und sie mit einer
gewissen Riicksichtslosigkeit und Brutalitat wiedergibt. Squarciones
Grundsatze mogen auch auf ihn eingewirkt haben, jedenfalls aber
hat er Piero della Francescas EinfluB erfahren. Glucklicherweise
sind Turas Hauptwerke erhalten, so daB er nicht der Geschichte allein
angehort, sondern eine greifbare Personlichkeit ist, die durch die
Kuhnheit ihres Pinsels und das Derbe ihrer knochigen Gestalten zu
uns spricht. Tura war der Sohn von Domenico aus Guardo, einem
kleinen Ortchen im Ferraresischen. Er hat in Padua gelernt und
mag sich dort wie Mantegna seine Vorliebe fur die Antike
geholt haben. Gem bringt er auf seinen Bildern antike Triimmer
an, Fragmente griechischer Statuen oder romischer Bauten. Er war
eine Zeit hindurch in Venedig; nach dem Tode von Angiolo da Siena,
des Hofmalers der Este, ging er nach Ferrara, um dort die Stelle
eines „Malers fur alles" zu ubernehmen, und wurde bald Borsos
31*
484 FUNFZEHNTES KAPITEL
Lieblingskiinstler. Er hat Kartons fur Teppiche entworfen, die auf
flandrische Art gewebt wurden, und Stoffe fiir Bankdecken, Riicken-
lehnen und Tiirvorhange gezeichnet. Diese Kartons, auf denen sich
Tiere im Griinen tummelten, wurden vom ,,arazziere" Livino aus-
gefiihrt. Er hat Kisten bemalt, Zaumzeug fiir Pferde zu einemTurnier
gezeichnet, selbst Vorbilder fiir die Jacken entworfen, die die Ritter
wahrend der Giostren iiber ihre Riistung anlegten. Als 1459 Galeazzo
Sforza in Ferrara erwartet wurde, schmuckte Tura den Bucentaur,
auf dem Borso seinem Gast auf dem Po entgegenkam; er war auch
der Regisseur der Feste, die zu Ehren des mailandischen Herzogs
gegeben wurden. Fiir das Turnier, das 1462 Niccolo und Alberto
Maria d'Este gaben, und an dem Sigismondo Malatesta aus Rimini
und Astorre aus Faenza teilnahmen, entwarf Tura Zeichnungen fiir
Pferdedecken und Modelle fiir die Kostiime der Ritter. Neben diesen
Gelegenheitsarbeiten vollendete er die von Angiolo da Siena begon-
nenen Fresken in Lionellos SchloB zu Belfiore; spater hat er in
Borsos Studio die Wande und selbst die Mobel, die dort unterge-
bracht werden sollten, bemalt.
Als Entgelt fiir seine Arbeit bekam er eine Freiwohnung in der
Casa de' Forestieri und von 1460 an wurden ihm dreiBig Lire monat-
lich ausgezahlt, auBerdem hat ihm die Camera ducale 1464 ein Haus
geschenkt, das fiir vierhundertfiinfzig markgrafliche Lire fiir ihn
erworben wurde. Seine Bezahlung war nach damaligen Anschau-
ungen sehr hoch. Bald nach diesem Kauf verschwindet Turas Name
aus den herzoglichen Registem; er ist damals — zwischen 1465 und
1467 — vermutlich mit Borsos Einwilligung, nach Mirandola ge-
gangen und hat in Picos beriihmter Bibliothek gemalt. Die Poesie,
neun Musen, eine Sibylle und viele andere Gestalten aus der klassi-
schen Welt sollen die Wande dieses Saales geschmiickt haben.
Gegen Ende des Jahres 1467 kam Tura ruhmbedeckt nach Ferrara
zuriick; jetzt beginnt die glanzendste Periode seiner Kiinstlerlauf-
bahn, er war Ferraras meistbeschaftigter und gefeierter Maler. Zwei
Jahre spater fallt wohl der Begin n seiner Tatigkeit im groBen Saal
des Palazzo Schifanoja, auch die SchloBkapelle in Belriguardo
wurde von ihm gemalt, doch hat sich keine Spur davon erhalten.
Vorbild oder zum mindesten Anregung fiir diese Fresken sollen
DIE KUNST WIRD WELTLICH 485
ihm Gentile da Fabrianos Fresken im Broletto zu Brescia gewesen
sein. Der Palazzo in Belriguardo hatte ebensoviel Sale und Zimmer,
als es Tage im Jahre gibt und befand sich stets im Umbau. Al-
fonso II. haben Turas Bilder in der Kapelle nicht mehr gefallen, er
lieB sie herunterschlagen und neue Bilder, die seinem Geschmack
entsprachen, anbringen. Im XVII. Jahrhundert war der stolze Sitz
der Este bereits Ruine. Ehe Tura sein Werk in Belriguardo be-
endet hatte, starb Borso; der Kiinstler hat seinem Protektor den
letzten Dienst geleistet und den Katafalk, auf dem der Leichnam des
Herzogs in der Certosa wahrend der Leichenfeier ausgestelit war,
geschmiickt.
Tura malte wahrend seiner Tatigkeit in der Kapelle in Belriguardo
an der Stirnseite der grofien Orgeln in der Kathedrale zu Ferrara zwei
seiner beruhmtesten Bilder: einen h. Georg und eine Verkiindigung.
Sie befinden sich heute, von der Orgel losgelost, im Chor des Heilig-
tums. Der h. Georg, der seine Lanze in den Drachen einbohrt, ist
sehr lebendig erfaBt, und die fliehende Prinzessin verleiht der ganzen
Komposition einen dramatischen Zug. In der Verkiindigung liegt
dem Kiinstler ein Idealisieren der Gestalten fern, die Maria ist eine
Frau aus dem ferraresischen Volk, auch der Engel unterscheidet sich
nicht von den Menschen, die den Kiinstler umgaben. Trotz der
etwas zu groBen Kopfe und der iibermaBig energischen Bewegungen
aller Gestalten, machen diese Bilder durch ihre Einfachheit und
Starke einen groBen Eindruck und sichern Tura seinen Platz neben
den groBten italienischen Realisten, neben Fra Filippo Lippi, Man-
tegna und Foppa.
Unter Ercole I. hat der Hof bei Tura fast ausschlie31ich Portrats
bestellt und ihm auBerdem einige dekorative Arbeiten anvertraut.
1472, vor seiner Trauung mit Eleonora von Aragon, hat ihm der
Herzog Entwiirfe bestellt fiir das Ehebett, den Betthimmel und die
Bettdecke, die von Maestro Rubinetto di Francia nach Art flandrischer
Arazzi aus Wolle und Seide hergestellt werden sollten. Der Herzog
hat ihn auch nach Venedig geschickt, damit er ein Tafelservice bei
dem dortigen Goldschmied Giorgio Alegretto da Ragusa bestelle.
Es war ein kostbarer Tafelaufsatz, zu dem auch emaillierte, mit
plastischen Gestalten versehene Vasen gehorten; Satyrn, Adler,
486
FUNFZEHNTES KAPITEL
Schlangen, Delphine und das Horn der Fruchtbarkeit befanden sich
darauf. Fast die gesamte Einrichtung der Zimmer der jungen Frau
wurde nach Turas Entwiirfen und Angaben hergestellt, die Aus-
fiihrung war einheimischen Handwerkern und dem Goldschmied
Amadio in Mailand anvertraut worden. Ercoles Studio sollte auf
Wunsch des Herzogs einen moglichst heitern Eindruck machen,
der Kiinstler schmiickte es mit den Gestalten schoner, halbnackter
Frauen, die der Antike entlehnt waren. Uber ihre Bedeutung und
den Verbleib der Bilder wissen wir nichts.
Vor der Hochzeit muBte Tura die Neugierde der Verlobten be-
friedigen und ihr ein getreues Bildnis ihres kiinftigen Gatten und
seiner natiirlichen Tochter Lucrezia, die am Hof erzogen werden
sollte, schicken. Als Ercoles erster Sohn geboren wurde, war man
sofort darauf bedacht, eine entsprechende Gattin fur ihn zu wahlen.
So portratierte 1477 Tura das einjahrige Kind fur Anna Sforza,
Gian Galeazzos Schwester, die Alfonso 1491 tatsachlich geheiratet
hat. Zwischen 1480 und 1485 hat der Kiinstler Isabella und Beatrice
d'Este gemalt, er kam als Portratmaler in Mode, und jede bekannte
Personlichkeit am ferraresischen Hofe wollte von ihm gemalt werden.
Auch Tito Strozzi hat sich von ihm malen lassen, aber leider ist von
all diesen Bildnissen nur ein einziges auf uns gekommen, und auch
dies laBt sich nicht mit absoluter Sicherheit identifizieren. Es ist das
Portrat von Uberto Sacrati mit Frau und Sohn, das sich heute in der
Galerie Strozzi in Ferrara befindet. Die Signora Sacrati von nur
geringem Reiz, in sehr kostbarer Toilette, stiitzt beide Hande auf
den Arm eines blonden Kindes, wahrend Uberto einen Falken halt.
Die kleine Familie sitzt vor einer Balustrade und hebt sich rechts
von einem blaugriinen Vorhang ab, mit davorhangender Korallen-
schnur, links ein Ausblick auf die Landschaft.
Da die in Ferrara ausgefiihrten Portrats von Tura untergegangen
sind, kann man ihn nur nach den religiosen Bildern, die sich heute
in den verschiedensten Galerien befinden, beurteilen. In Frage
kommen namentlich einige Teile eines vielfliigeligen Altarbildes, das
der Kardinal Roverella fur S. Giorgio fuori le mura in Ferrara be-
stellt hat, fur jene verlassene Kirche, vor der heute Pferde grasen
Das Mittelbild dieses Altars, eine thronende Madonna, die das
DIE KUNST WIRD WELTLICH 487
schlafende Christuskind auf d^m SchoB halt, von sechs musizieren-
den Engeln umgeben, befindet sich in der National Gallery in London.
Ein arcnitektonischer Bogen, uberreich mit Ornamenten versehen,
halt das Bild zusammen. Auf einem der Seitenfliigel, der sich in
der Galerie Colonna zu Rom befindet, ist der Stifter Roverella vor
Maria kniend dargestellt. Hinter ihm stehen zwei Schutzheilige
der h. Maurelius und der h. Paulus, zwei realistisch behandelte, aus-
drucksvolle, kraftige Gestalten. Ein zweiter Seitenfliigel, eine
Pieta, ist im Louvre. Maria halt den Korper ihres Sohnes auf den
Knien, zu beiden Seiten stehen Magdalena, zwei andere heilige
Frauen, Johannes und Joseph von Arimathia. Maria und Christus
sind von auffallender HaBlichkeit, dagegen haben die Heiligen den
Ernst und die GroBe, die Turas Gestalten so haufig eignet. Auf-
fallend wirken in diesem Bilde wie in so vielen anderen unseres
Meisters der Reichtum der Ornamente und die Pracht der Gewander ;
der Kiinstler hat sich den auBeren Glanz des ferraresischen Hofes
zu eigen gemacht und kann selbst bei einem so tragischen Motiv
wie einer Pieta nicht davon absehen. Magdalena ist zu einer vor-
nehmen Dame des estensischen Hofes geworden, mit einem Perlen-
diadem auf dem Kopf, einem scharlachroten, goldgestickten Kleid
mit blauen Armeln und einem tiefgriinen Mantel.
Im Kaiser Friedrich-Museum in Berlin befindet sich eine der
groBartigsten Madonnen von Tura. Das Bild stand auf dem Hoch-
altar der Kirche San Lazzaro in Ferrara. Auf den Stufen des Thrones
stehen links die h. Apollonia, rechts die h. Katherina von Alexan-
drien, Augustinus und Hieronymus bilden gewissermaBen Mariens
Ehrengarde. Auf der Mauer sitzt ein lautespielender Engel; zwei
schwebende Engel sind im Begriff, Maria zu kronen.
Cosimo hat mehrere Hieronymusbilder geschaffen, das eine
dieser Bilder befindet sich in der Pinakothek zu Ferrara, ein zweites
in der National Gallery zu London. Der ferraresische Hieronymus
steht kunstlerisch hoher als der Londoner: der Kirchenvater, lebens-
groB im Kardinalsgewand, stiitzt sich auf eine antike Saulentrommel.
Der treue Lowe liegt zu seinen FiiBen. Den machtigen Kopf des
Greises umgibt ein breiter, goldner Heiligenschein, der sich pracht-
voll vom hellen Himmel abhebt. Sehr kraftig wirkt der violette,
488 fOnfzehntes kapitel
griingefiitterte Mantel, der phantastisch iiber den Kopf gezogen ist.
Auch hier fehlen nicht interessante ornamentale Details, fur die der
Kiinstler augenscheinlich eine Vorliebe gehabt hat, namentlich
fallen schone Arabesken, die die Pilaster schmucken, und Delphine,
grau in grau gemalt, auf.
Die Zeitgenossen haben Tura auBerordentlich hoch geschatzt.
Giovanni Santi hat ihn neben Antonello da Messina, Giovanni
Bellini und Melozzo genannt. Tito Strozzi hat Tura in einer Elegie
gefeiert, eine Frau bittet den Kiinstler sie zu malen:
Nunc cupit externis pingi velata capillos
Cultibus, et nudo nunc libet esse coma.
Turas pekuniare Verhaltnisse waren so giinstig, daB er 1471 in
seinem Testament einen groBen Betrag fur den Bau der Kirche der
Heiligen Cosmas und Damian aussetzen konnte. Der Kiinstler ver-
stand sein Geld anzulegen und war unablassig mit Spekulationen
beschaftigt; er hat Hauser zum Verkauf gebaut und hat mit Gold-
schmieden, Tuchfabrikanten, Holzhandlern und Backern Kom-
pagniegeschafte gemacht. Die ferraresische Bevolkerung war da-
mals auBerordentlich unternehmend, und die Verhaltnisse des Landes
begiinstigten diesen Trieb. Tura folgte nur dem Beispiel der anderen.
Er starb 1495 und hinterlieB einen Sohn Damian, den ihm seine
Dienerin Ossolina geboren hat.
Ill
Ein unter Borso und Ercole I. viel genannter Maler war Baldassare
d'Este, von dem leider kein einziges authentisches Bild auf uns
gekommen ist. Er war eine bekannte Personlichkeit am ferrare-
sischen Hof , und deshalb soil hier von ihm die Rede sein. Baldassare
hat zur groBen Schar der naturlichen Sonne von Niccolo III. gehort,
war also ein Halbbruder der regierenden Herzoge, seine Mutter
Anna Roberti stammte aus Reggio. Er hat seine Bilder Baldassare
Estense gezeichnet, das herzogliche Wappen beniitzt und neben
seinen Namen den Diamantring, Ercoles I. Lieblingszeichen, ange-
COSIMO TURA: MADONNA IN TRONO
T.oNDoN, NATIONAL GALLERY
STICKENDE FRAUEN
DETAIL AUS DEN FRESKEN 1M PALAZZO SCHIFANOJA ZU FERRARA
DIE KUNST WIRD WELTLICH 489
bracht. Er ging friihzeitig in die Lombardei und muB in Mailand
gelernt haben; sein Name hatte dort einen guten Klang, da er im
Kastell zu Pavia die Portrats von Galeazzo Maria Sforza und seiner
Gattin Bona di Savoia gemalt hat. Galeazzo hat ihn in einem Brief
an denHerzog vonFerrara sehr gelobt: er sei ein ehrenwerter Mensch,
ein beriihmter Kunstler, und ihm aus vielerlei Grunden teuer.
1469 hat sich Baldassare in Ferrara niedergelassen, und Borso hat
die Habe des Kiinstlers aus Pavia m;t dem Schiff holen lassen. Er
war damals etwa dreiBig Jahre alt und wurde zum Hofmaler der Este
ernannt. Borso hat ihm eine monatliche Pension von zehn mark-
graflichen Lire ausgesetzt und ihm auBerdem sechs FaB Weintrauben
und sechs Scheffel Getreide jahrlich gegeben. Als Wohnung wurde
ihm der Palazzo Paradiso angewiesen, den man den Pio infolge
ihrer Verschwdrung gegen den Herzog genommen hatte; auch die
gesamte dort befindliche Einrichtung stand zu Baldassares Ver-
fiigung. Baldassares groBere Bilder wurden besonders bezahlt,
iiberhaupt wurde er bei jeder Gelegenheit sehr ausgezeichnet, ein-
mal muBte er sogar Arbeiten, die Tura in der Kapelle in Belriguardo
ausgefuhrt hatte, abschatzen. Bei Borsos Begrabnis gehdrte der
Kunstler zu jenen, die schwarz gekleidet dem Sarge bis zur Certosa
folgten.
Da Galeazzo Maria Sforza das Portrat des toten Herzogs zu be-
sitzen wiinschte, wurde es von Ercole bei Baldassare bestellt, es
gelang so vortrefflich, daB der Herzog von Mailand, fur das Geschenk
dankend, erklarte, er glaube Borso lebend vor sich zu sehen, wenn
er das Bild betrachte. Baldassare hat das Bild selbst nach Mailand
gebracht, da Galeazzo cusdriicklich gebeten hatte, das kostbare
Werk sorgfaltig zu verpacken.
Nach seiner Ruckkehr aus Mailand hat Baldassare eine Zeit
hindurch in Reggio gewohnt, wo ihm der Herzog eine Sinekure iiber-
trug und zum Kapitan della Porta Castello ernannte. Dort heiratete
der Kunstler Giovanna Fogliani und wurde der Vater einiger sehr
hubscher Tochter. Die eine Tochter wurde 1490 von drei Jiing-
lingen, die zum dortigen Adel gehdrten, geschandet; dieser em-
porende Vorfall machte viel von sich reden. Baldassare fuhr sofort
nach Ferrara, um sein Recht beim Herzog zu suchen; der Herzog
49o fOnfzehntes kapitel
befahl dem Gouverneur und Podesta von Reggio, die Verbrecher aufs
strengste zu bestrafen, aber es war umsonst, da die Zeugen infolge
der hohen Stellung der Angeklagten die Aussage verweigerten. Der
ungliickliche Vater wandte sich wieder an den Herzog, flehte, daB
man die Schuldigen dem fiir seine Strenge bekannten Gregor Zam-
pante iibergebe, aber alles war vergebens, die Ehre des Madchens
blieb ungeracht. Da Baldassare infolge dieses Vorkommnisses
nicht langer in Reggio bleiben konnte, iibersiedelte er nach Ferrara,
und der Herzog bemiihte sich, ihn wenigstens einigermaBen zu
entschadigen, indem er ihn zum Gouverneur von Castel Tebaldo
ernannte. Wir wissen noch, daB der Herzog ihm 1497 ein Stuck Tuch
und Striimpfe, die mit dem diamantgeschmiickten Ring versehen
waren, geschenkt hat. Vielleicht sollte dieses Geschenk gewisser-
maBen Schmerzensgeld fiir die erlittene Unbill sein.
Die Protektion des Herzogs war nicht immer Schutz genug
vor der Habsucht und den Schikanen der iibrigen Hoflinge und Be-
amten des Reiches. 1502 beschwerte sich Baldassare beim Herzog,
daB er kleinere FaBchen mit Weintrauben bekame, als ihm zustanden,
und dumpfes Getreide. Er klagte bitter liber seine Not und bat, daB
ihm der Herzog aus seiner Garderobe einen getragenen Anzug
schenke, ein Paar Striimpfe, Rock und Mantel, damit er sich wenig-
stens zuweilen bei Hof zeigen konne. Dieser Brief schlieBt wie andere
Schreiben dieser Art mit der Versicherung, daB, auch wenn der Her-
zog ihm nichts zugestehen wiirde, er stets sein treuer Diener bliebe.
Es war dies die ubliche Formel der Bittsteller, um der schlechten
Laune des Herrschenden vorzubeugen. Obgleich sich Baldassare mit
den Bettlern, denen man abgetragene Kleider schenkt, auf eine
Stufe stellt, hatte er Geld genug, um in seinem Testament hundert
Messen fiir den Frieden seiner Seele auszusetzen und seiner Frau
hundert Lire in Gold, verschiedene Kostbarkeiten, Leinen, Seide,
und goldgewebten Brokat zu vermachen. AuBerdem hinterlieB er
ein Giitchen in der Nahe von Reggio. Es schien also damals vor-
teilhafter zu sein, als Bettler und nicht als Gutsbesitzer aufzutreten.
Baldassares beriihmtestes Werk scheint ein groBes Gruppenbild
von Borso, Alberto d'Este, Lorenzo Strozzi und Teofilo Calcagnini
gewesen zu sein, samtlich zu Pferde. Dieses Bild, fiir das der Kiinst-
DIE KUNST WIRD WELTLICH
491
ler zweihundert Dukaten bekommen hat, hat er zu Borsos Leb-
zeiten begonnen, aber erst nach dessen Tode vollendet.
Baldassare scheint ein guter Portratmaler gewesen zu sein, da
Borso seinen eigenen Kopf und die Gesichter einiger Hoflinge in den
Fresken im Palazzo Schifanoja von ihm hat iibermalen lassen, als
sie ihm nicht ahnlich genug schienen. AuBerdem hat Baldassare
Marietta, Teofilo Calagninis Frau, Tito Strozzi und viele andere
Personlichkeiten des ferraresischen Hofes gemalt, und seine
Portrats wurden dreimal teurer als die von Cosimo Tura bezahlt.
Strozzis Portrat, das sich vor nicht langer Zeit in der Galerie Costabili
befunden hat und spater (nach Morelli) in der Sammlung des be-
riihmten Antiquars Gugenheim gewesen sein soil, ist heute ver-
schollen. Ein danach gemachter Stich befindet sich in Rosinis
Werk: Storia della pittura italiana.
IV
Neun Jahre j linger als Cosimo Tura, aber wie er von Squarciones
Schule und Piero della Francesca beeinfluBt, war der bertihmte
Francesco Cossa (um 1435 — 1477) • Er war wie Tura Realist und hatte
eine Vorliebe fur Typen aus dem*"Volk. Cossa steht jedoch starker
unter Piero della Francescas verfeinerndem EinfluB, er hat eine
gewisse Vorliebe fur schlanke Gestalten, farbige Tone im Kolorit
und geht perspektivischen Problemen nach. Sein beriihmtestes Werk
sind die Fresken im Palazzo Schifanoja, auch kulturgeschichtlich
von ungeheurer Bedeutung; gut erhalten aus dem ganzen Cyklus
sind allein jene Kompositionen, in denen Borsos Beschaftigung im
Marz, April und Mai dargestellt ist. Der Kiinstler hat die Wand in
drei Zonen geteilt, die verschiedenen Zwecken dienen. Die hochste
an der Decke ist den Gottern gewidmet, die mittlere steht im Zeichen
des Tierkreises und anderer symbolischen Figuren, auf der untersten
und breitesten spielen sich Szenen aus Borsos Leben ab. Auf einer
der hochsten Zonen der Wand sitzt Minerva im Triumphwagen,
dem Einhorner, die symbolischen Tiere der Jungfraulichkeit und
Klugheit, vorgespannt sind. Die Gottin halt eine Lanze in der rechten
und ein geschlossenes Buch in der linken Hand. Neben ihr haben
492
fOnfzehntes kapitel
sich einige nackte Kinder auf dem Wagen niedergelassen. Zwei
Gruppen bewegen sich im Bilde: Gelehrte, vielleicht ferraresische
Universitatsprofessoren, disputieren untereinander, und sitzende
Frauen, denen Kofdamen zusehen, sticken und weben. Samtlich
ausgesprochene ferraresische Typen. Auf der mittleren Zone be-
findet sich ein schwer zu deutendes symbolisches Bild: neben dem
Tierkreiswidder sitzt eine Frau, die nach dem Himmel weist; sie
personifiziert den Friihling, den Beginn des astronomischen Jahres;
zu beiden Seiten befinden sich symbolische Gestalten, deren Be-
deutung unklar ist. Vielleicht die bedeutsamste, jedenfalls die fur
uns verstandlichste Zone, ist die unterste. Borso in prachtigem
Kostiim nimmt Bitten, Wiinsche und Klagen seiner Untergebenen
entgegen. Die treuesten Hoflinge umgeben ihn, selbst der geliebte
Affe, den ein Page in seinem besonderen Schutz hat, fehlt nicht.
Rechts mehrere charakteristische Gestalten, sicherlich wieder vor-
ziigliche Portrats aus der Umgebung des Herzogs; links erscheint
wieder Borso zu RoB, im Begriff in Calcagninis Gesellschaft, von
Adligen und Falknern begleitet, zur Jagd zu gehen. Den Hinter-
grund bilden Landschaft und Architektur. Es ist unmoglich, alle
Einzelheiten dieser Fresken aufzufiihren, sie geben einen ausge-
zeichneten Einblick in Ferraras Leben in der zweiten Halfte des
XV. Jahrhunderts. Auf einem Fresko bewegt sich Scocola, der
,,soavissimo istrione", der sich sehr viel in Gegenwart des Herzogs
herausnehmen durfte, neben seinem Herrn. Auch Calcagnini,
Borsos beliebter Ratgeber, kommt mehrere Mai vor.
Cossa hat diese Fresken zwischen 1467 und 1470 gemalt und sich
in einer schriftlichen Supplik bitter beim Herzog iiber die elende Be-
zahlung beklagt, die fur diese groCe Arbeit ausgesetzt werde. Er
bekam wie die iibrigen Maler zehn Bolognini fur den QuadratfuS
des Freskos bezahlt, ihn emporte nicht nur die schlechte Bezahlung,
mehr noch der Umstand, dafJ er mit Kunstlern, die ihm an Konnen
und Ruhm durchaus nicht zu vergleichen waren, auf eine Stufe
gestellt wurde. Borso lieB seine Bitte unberiicksichtigt und hat sogar,
wie schon erwahnt, einige der Dargestellten von Baldassare iiber-
arbeiten lassen, was den Kiinstler sehr gekrankt hat. Er verlieB
deshalb Ferrara, obgleich er einem Architektengeschlecht angehorte,
DIE KUNST WIRD WELTLICH
493
das seit langem dort ansassig war, und siedelte nach Bologna iiber,
wo er am langsten gewirkt hat.
Abgesehen von den Fresken im Palazzo Schifanoja hat er in
Ferrara noch ein mehrteiliges Altarbild geschaffen. Sein urspriing-
licher Aufbewahrungsort ist unbekannt, einige Flugel befinden sich
heute in London, Rom und Mailand. Der Heilige auf dem Londoner
Bild ist wohl Kyazinth, der ein Buch in der Linken halt und mit der
Rechten segnet. Es ist eine sehr charakteristische Gestalt, die sich
plastisch von Felsen und einer Ruine abhebt. Einige kleinere Ge-
stagen tauchen zwischen den Felsen auf, in den Liiften thront
Christus von Engeln umgeben, die die Marterwerkzeuge halten.
Zwei zu diesem Altar gehorige Flugel sind 1895 aus der Sammlung
Barbi Cinti in Ferrara in die Brera nach Mailand gekommen. Dar-
auf die Gestalten von Petrus und Johannes dem Taufer; Petrus
sieht ernst und giitig aus, Johannes wirkt streng, fast abstoBend.
Hande, Haare und alle iibrigen Details sind mit sehr groBer Sorgfalt
ausgefuhrt, das Kolorit saftig und von schonem Klang. Sehr interes-
sant ist die Predella dieses Altars in den Vatikanischen Sammlungen,
die dort den Namen Benozzo Gozzoli tragt. Auf der vierteiligen
Predella sind vier Szenen aus dem Leben des h. Hyazinth dar-
gestellt. Die Typen entsprechen jenen im Palazzo Schifanoja,
besonders die Frauen scheinen dem ferraresischen Volk anzu-
gehoren.
Wahrend Cossas Aufenthalt in Ferrara ist wohl das Bild ent-
standen, das heute im Kaiser Friedrich-Museum hangt: ein junges,
von der Arbeit heimkehrendes Landmadchen. Sie halt eine Schaufel
in der rechten Hand und Weinranken in der linken. Ihr Ge-
sicht atmet jene Ruhe, die allein die Beriihrung mit der Natur
gibt. Eine norditalienische Landschaft: bestellte Felder, ragende
Zypressen und ein kleines Stadtchen in der Feme bilden den Hinter-
grund. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Allegorie des
Herbstes: Weinlese. Das Bild befand sich urspninglich im Kloster
des h. Domenicus in Ferrara, wo es im Saal der Inquisitionssitzungen
hing. Ein Idyll im Saal der Inquisitoren!
In Bologna hat Cossa sehr viel gearbeitet, er hatte einen starken
EinfluB auf die dortige Malerei, so daB man ihn fast den Begrunder
494
FUNFZEHNTES KAPITEL
der Bologneser Malerschule nennen kann. Er hatte viel Schiiler,
audi Francesco Francia, der bekannteste bolognesische Maler, hat
sich in seiner Werkstatt vom Goldschmied zum Maler gewandelt.
Einige Bilder von Cossa, die aus seiner Bologneser Periode
stammen, befinden sich in auBeritalienischen Galerien und Privat-
sammlungen, darunter die reizvolle ,,Verkiindigung" in der Dresdener
Galerie, die die besten Kenner ferraresischer Kunst: Morelli, Ven-
turi, Harck und Frizzoni unserm Meister zugeschrieben haben.
Cossa ist dem ferraresischen Typus auch spater treu geblieben, die
Verkiindigung fiihrt in die Nahe der Schifanoja-Fresken.
In Bologna haben sich verschiedene Werke von Cossa erhalten.
Zu den bekanntesten gehort die Madonna del Baracano in der Kirche,
die einer frommen Vereinigung des gleichen Namens gehort. Dies
Bild ist urspriinglich von einem alteren Maler ausgefiihrt worden,
Cossa hat es auf Giovanni Bentivoglios II. Wunsch iibermalt und
restauriert. Abgesehen von einem gewissen Archaismus im Gesicht
der Maria und des Kindes, hat er dem ganzen Bild seinen person-
lichen Stempel aufgepragt. Mariens Ausdruck muBte unverandert
bleiben, da man sich von dem wundertatigen Bild folgende Legende
erzahlte: 1402, unter Giovanni Bentivoglios I. Regierung hat
Giangaleazzo, der Herzog von Mailand, Bologna belagert. Bento
Bentivoglio, der Kommandant der Stadt, sah wahrend der Belage-
rung in der Nahe der Kirche San Stefano eine vor dem Marienbild
betende Frau, die er der Spionage bezichtigte. Er lieB sie verhoren
und obgleich sich aus ihren Worten ergab, daB sie unschuldig war,
schien es Bentivoglio ratsamer, das Bild einmauern zu lassen,
damit sich nicht Verrater betend naherten und dem feindlichen
Heere Zeichen machten. Als man versuchte, das Bild einzumauern,
fielen die Ziegel auseinander und die Mauer stiirzte ein. Bentivoglio
machte einen erneuten Versuch mit einer starkeren Mauer, aber
auch diese stiirzte ohne einen sichtbaren auBeren Grund sofort ein.
Ja noch mehr, nachts sah man auf jener Stelle, wo sich das Bild be-
fand, geisterhafte Gestalten sich regen; der erschrockene Bentivoglio
betrachtete diese Erscheinung als ein ihm gegebenes ubernatiirliches
Zeichen, das wundertatige Madonnenbild nicht zu verbergen.
Giovanni II. lieB dieses Bild von Cossa iibermalen, da es sehr ruiniert
DIE KUNST WIRD WELTLICH 495
war. Ehe sich der Kunstler an dies fromme Werk machte, beichtete
er, nahm das Abendmahl und bat den Bischof um seinen Segen.
So gestarkt, nahm er den Pinsel zur Hand.
Zwei Jahre spater hat Cossa ein Temperabild auf Leinwand fur
das Foro dei Mercanti gemalt, das Bild befindet sich heute in der
Pinakothek zu Bologna. Es ist dies eines seiner bezeichnendsten
Werke. Die Madonna mit dem Kind auf dem SchoB sitzt auf einem,
mit zwei Kandelabern und Fruchtkdrben geschmiickten Thron. tJber
dem Thron breitet sich ein schoner architektonischer Bogen aus.
Rechts sitzt Johannes lesend, links befindet sich Petronius im
Bischofsmantel und im Hintergrund der Stifter, der Notar Antonio
degli Amorini.
Cossa fand in Bologna und Modena zahlreiche Nachahmer.
Unter Ercole I. bat sich die Stadt sehr vergroBert, viel neue Pa-
laste wurden von den dort angesessenenPatrizierfamilien erbaut,
und der Herzog hat sich an der allgemeinen Baulust rege beteiligt.
Ferrara hat damals sehr viel Kunstler beschaftigt, es sind nicht
weniger als siebzig Malernamen aus jener Zeit auf uns gekommen.
Wahrscheinlich waren es in der Hauptsache Dekorationsmaler, die
die Zimmer oder AuBenwande der Palaste und die Tausende von
Geraten, die im Gebrauch waren, mit Farben verziert haben. Neben
diesen handwerkartigen Malern gibt es einige bedeutende Talente,
deren Werken das Charakteristikum jener Epoche, das jugendlich
Uberschaumende, kraftig Energische eignet.
Zu ihnen gehort Ercole di Antonio de' Roberti, der Sohn eines
estensischen Portiers (geb. zwischen 1450 und 1460, gest. 1496).
Er hat sich unter Jacopo Bellinis EinfluB entwickelt, aber auch
Mantegna und Piero della Francesca haben auf ihn gewirkt. Von
dem letzteren hat er die helle, durchsichtige und doch warme
Farbe ubernommen, so daB er zum bedeutendsten Koloristen der
alteren ferraresischen Schule wurde. Mit besonderer Sorgfalt hat
er die landschaftlichen Hintergriinde seiner Bilder behandelt, und
496 fOnfzehntes kapitel
es verstanden, den empfangenen Eindruck mit groBer Treue zum
Bild zu verarbeiten.
Ercoles Anfange standen im Zeichen schwerer auBerer Kampfe;
da er nicht imstande war, Miete fiir ein eigenes Lokal zu bezahlen,
hatte er eine Bottega zusammen mit seinem Bruder, dem Tischler
Polidoro; um den Betrag fiir die Miete zu verringern, haben sie die
Halfte des Lokales Giovanni di Giuliano aus Piacenza abgetreten,
der Vergoldungen aus reinem Metall fiir Maler gemacht hat. Die
Bruder, der Maler und der Tischler, haben Kompagniegeschafte mit
dem Vergolder gemacht, der wohl ein noch armerer Teufel war als
sie selbst, da sie ihm Handwerkszeug und die Halfte des Metalls
liefern muBten, wahrend er sich verpflichtete, seine Einkaufe mit
ihnen zu teilen. Trotz der billigen Wohnung und der Gemeinschaft
mit dem Vergolder ist es Ercole in Ferrara schlecht ergangen; er
siedelte nach Bologna iiber, und wir finden ihn 1482 mit tatig an
der Ausschmiickung der Kapelle von Domenico Garganelli im Dom.
Er hat dort zwei Fresken, eine Kreuzigung und einen Tod Maria,
geschaffen; der Ausdruck der Kbpfe soil ergreifend gewesen sein.
Michelangelo und Vasari haben dieses Meisterwerk sehr bewundert;
nach Vasari soil Roberti zwolf Jahre daran gearbeitet haben, indem
er sieben Jahre al fresco daran gemalt und funf Jahre korrigiert hat.
Vasari hat sich geirrt, da Ercole schon i486 nach Ferrara zuriickging;
jedenfalls beweisen Vasaris Berichte, daB die Fresken in Bologna mit
besonderer Sorgfalt und groBer Gewissenhaftigkeit ausgefiihrt waren.
Die Fresken sind leider langst untergegangen,nur eine Federzeichnung
der Kreuzigung befindet sich im Kupferstichkabinett in Berlin.
Wahrend seines Aufenthaltes in Bologna hat Ercole auch eine
Predella fur das Altarbild in der Kirche San Giovanni in Monte ge-
malt, auf der er einige Szenen aus den Fresken der Kapelle Garga-
nelli wiederholt hat. Zwei Teile dieser Predella: Der Zug nach
Golgatha und eine Gefangennahme Christi befinden sich heute in
der Dresdner Galerie, wahrend eine Pieta in die Royal Institution
zu Liverpool verschlagen wurde. In diesen Werken ist der Ein-
fluB von Mantegna und Jacopo Bellini unverkennbar, die energisch
aufgefaBten Gestalten haben eine grcQe Kiihnheit in ihren Be-
wegungen — Robertis bezeichnende Eigenschaften.
FRANCESCO COSSA: VERKUNDIGUNG
DRESDEN. GALERIE
FRANCESCO COSSA: MADONNA ZWISCHEN PETRONIUS UND JOHANNES
BOLOGNA. PINAKOTHEK
DIE KUNST WIRD WELTLICH 497
Von i486 bis zu seinem Lebensende hat Ercole in Ferrara gear-
beitet, da er nach Turas Tod zum Hofmaler ernannt wurde. Er
wurde gut bezahlt, sein Einkommen betrug zweihundertvierzig
markgrafliche Lire; ebenso hoch war der Sold der Kapitane der
wichtigsten Festungen und der „Fattori generali". AuBerdem sind
in die Rechnungsbiicher des Hofes groBe Posten als Geschenke fur
den bildenden Kiinstler eingetragen; so bekommt er einmal ein
Stuck schwarzen Damast, ein andermal zwanzig Ellen Atlas in
Farbe nach seiner Wahl, abgesehen von Purpuratlas, der zu den
kostbarsten Stoffen gehorte. Bei den Vorbereitungen zu Isabellas
Ausstattung fielen Ercole wichtige Aufgaben zu, er fuhr nach
Venedig, um Gold zum Schmuck von dreiBig Truhen zu kaufen —
elftausend Blattchen Edelmetall wurden verbraucht — , und die
besten Farben zu wahlen, zu denen in der Hauptsache Lack und
Ultramarin gehort haben. Unter Robertis Anleitung wurde das
Ehebett gebaut und dekoriert sowie der Triumphwagen, in dem
Isabella sich zum letztenmal in Ferraras StraBen gezeigt hat, ehe
sie nach Mantua ging. Er hat auch zu jenen gehort, die ihr das Ge-
leite in die neue Hauptstadt gegeben haben; die Vorbereitungen fur
die Festlichkeiten und die Reise haben ihn so angestrengt, daB er
aus Riicksicht auf seine Gesundheit Mantua schleunigst verlassen
muBte.
Arbeit gab es genug, aber die Bezahlung verzogerte sich unge-
biihrlich lange. Der Hof hatte infolge der Hochzeit so groBe Aus-
gaben, daB die herzogliche Kasse sich mit der Entlohnung des Kiinst-
lers nicht eben beeilte. 1491 waren Ercoles Forderungen noch immer
nicht beglichen, in einem verzweifelten Brief wandte er sich direkt
an den Herzog und bat um Geld; er betonte, daB er auch seine not-
wendigsten Ausgaben nicht mehr bestreiten konne. Dieser Brief
hatte kein Resultat, da dem Kiinstler erst 1495 der Rest seines
Guthabens ausgezahlt wurde. Die herzoglichen Bestellungen liefen
ununterbrochen fort, der Kiinstler machte alles, was von ihm ver-
langt wurde, er bemalte Kamine und Friese, zeichnete eine topo-
graphische Karte von Neapel, die die Herzogin einem der benach-
barten Hofe schenken wollte, und lieB es sich nicht verdrieBen.
Eleonoras Papageienkafig zu vergolden.
3a
498 FtJNFZEHNTES KAPITEL
Roberti muB ein guterzogener Mensch von angenehmen Ma-
nieren gewesen sein, da ihn der Herzog mit dem jungen Don Alfonso
nach Rom schickte, um den neuen Papst Alexander VI. zu begrufien.
Allmahlich wurde der Kiinstler der Liebling des Herzogs; als er Kar-
tons fur die Fresken in Belriguardo zeichnete, weilte Ercole ganze
Tage in seiner Werkstatt und sah den Fortschritten mit groBem
Vergniigen zu. Die Arbeit hat den Herzog so gefesselt, daB er das
Schachspielen und Reiten ganz aufgab und seinem Sekretar verbot,
in die Malerwerkstatt zu kommen, um ihn beim Vergniigen des
Zusehens nicht zu storen. Auch Don Alfonso war stets beim Maler
zu finden, so daB er das fur Isabella bestimmte Portrat von Ercole
nicht rechtzeitig vollenden konnte, da ihn der Thronnachfolger zu
sehr storte.
Roberti ging fur kurze Zeit nach Ungarn, von Mathias Cor-
vinus berufen; in der Galerie zu Budapest befindet sich die Zeich-
nung eines Mannes, die der Tradition nach wahrend seines Aufent-
halts in Ungarn entstanden ist.
In verschiedenen offentlichen und privaten Sammlungen werden
Ercole mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit Bilder zuge-
schrieben, am besten beglaubigt ist ein Altarbild in de* Brera zu
Mailand, das vom Kiinstler fur die Kirche Santa Maria in Porto in
der Nahe von Ravenna geschaffen wurde. Es ist eine thronende
Maria mit dem Kind auf dem SchoB, in der Feme schimmert eine
Stadt am Meeresufer und blaue Hugel. Links reicht eine Heilige dem
Kind einen Vogel, das sich vorbeugt, um ihn zu erhaschen; der
h. Augustin und der Stifter Pietro Onesti sind Zeugen dieser Szene.
Auf der Predella befinden sich der Bethlehemitische Kindermord,
die Anbetung der Konige und die Darstellung im Tempel, die in
Komposition und Ausfiihrung an Mantegna und Cossa anklingen.
Die gleichen Wege wie Ercole Roberti ist sein Zeitgenosse
Bianchi oder Bianco Ferrari (gest. 1510) gegangen; er soil Cor-
reggios erster Lehrer gewesen sein. Nur ein beglaubigtes Bild in
der Galerie zu Modena ist bekannt, es wurde von einem Schiiler
Giovanni Scaccieri vollendet. Dargestellt ist eine Verkiindigung;
die schlanken Gestalten sind von der Weihe des Augenblicks er-
fiillt, im Hintergrund eine Landschaft mit poetischen Ruinen*
DIE KUNST WIRD WELTLICH
499
Ferrari starb, wahrend er an diesem Bilde arbeitete; zwei Jahre
spater wurde es von Scaccieri zu Ende gemalt. Das Wesentliche des
schonen Bildes scheint schon ausgeftihrt gewesen zu sein.
Etwas jiinger als die beiden genannten Kunstler war Domenico
Panetti, Turas Schiiler (geb. um 1460, gest. ura 1512). Einige seiner
Bilder befinden sich in der Pinakothek zu Ferrara, das beste darunter
ist ein Altarbild mit dem h. Andreas, eine majestatische Gestalt mit
edlen Ziigen, die sich von einer heitern Landschaft abhebt.
Panetti hat namentlich fur Kirchen gemalt, in der Pinakothek
zu Ferrara befinden sich eine sehr charakteristische Heimsuchung,
eine Verkiindigung und ein toter Christus; unter den Trauernden
fallt besonders ein alter Mann im Turban durch seinen groBen Ernst
auf. Eine schone Landschaft im Hintergrund beweist wieder, da8
die ferraresischen Kunstler viel Gefiihl fur Landschaftsmalerei
gehabt haben.
VI
Wer Bologna auch nur fliichtig gesehen hat, muB sich des Fres-
kos der Familie Bentivoglio in der Kapelle gleichen Namens
in San Giacomo Maggiore entsinnen. Giovanni Bentivoglio II., der
Tyrann von Bologna, und seine Gemahlin Ginevra Sforza knien mit
gefalteten Handen vor der thronenden Madonna, die Kinder sind
ihrem Alter nach zu beiden Seiten aufgestellt, vier Sonne neben dem
Vater, sieben Tochter neben der Mutter. Die Gesichter sind weder
anziehend noch hiibsch, aber voll verwegener Kiihnheit, selbst bei
den Madchen erkennt man die Zugehorigkeit zu einem Geschlecht
riicksichtsloser Tyrannen, das noch nicht durch Luxus und Sitten-
verderbnis gebrochen ist. Die Portrats sind ausgezeichnet, in jedem
Gesicht tritt der Familientypus unverkennbar zutage. Alle Gestalten
unterscheiden sich durch ihren Realismus von dem sanften, milden
Madonnenantlitz, dem reizenden Bambino und den beiden Engel-
chen, die zu Haupten des Thrones Flote spielen. Auffallend wirkt
das Zwiespaltige, mit dem der Kunstler seinen Gegenstand behandelt
hat: die Bentivoglio und die gottlichen Gestalten sind ganz ver-
schieden aufgefaBt. Bei den ersten zeigt er sich als der unverkenn-
32*
500 FUNFZEHNTES KAPITEL
bare Abkommling der ferraresischen Schule, bei den zweiten macht
sich der EinfluB der Bolognesen, namentlich Francesco Francias,
geltend. Ubrigens ist im ganzen Bild, in dem kostbaren mit Schnitz-
werk, Ornament und Statuetten verzierten Thron, in den stolzen
Brokatgewandern der Bentivoglio der Hofmaler der Este unver-
kennbar.
Dieses Fresko ist das Werk des Ferraresen Lorenzo Costa, eines
der markantesten Vertreter der ferraresischen Schule aus dem Ende
des XV. Jahrhunderts. Lorenzo ist 1460 in Ferrara geboren und
1535 in Mantua als Fiinfundsiebzigjahriger gestorben. Er hat sich
unter dem EinfluB von Tura, Francesco Cossa und Ercole Roberti ent-
wickelt, aber noch als Knabe ist er nach Florenz gegangen, wo be-
sonders Benozzo Gozzoli auf ihn eingewirkt haben soil. Nach seiner
Ruckkehr in Ferrara begann er wie die meisten dortigen Maler da-
mit, Portrats der Este und der hofischen Beriihmtheiten zu malen,
darunter war auch Tito Strozzi.
Leider befindet sich heute kein einzigesWerk von Costa in Ferrara,
sie sind in den verschiedensten Museen und Sammlungen verstreut.
Die groBeren Freskenwerke des Kiinstlers sind, abgesehen von jenen
in San Giacomo Maggiore, fast samtlich untergegangen. Namentlich
erlagen diesemGeschick die Fresken, die Costa zusammen mit einigen
anderen Kiinstlern in den Parterrezimmern des Palazzo Bentivoglio
geschaffen hat, Szenen aus den Perserkriegen und dem Brand von
Troja. Diese Kompositionen haben nur kurze Zeit bestanden, sie
wurden vom Volk zerstort, als es 1506 das Tyrannennest ausgehoben
hat, damals als Bologna in Julius' II. Hande gefallen war. In der Ka-
pelle der Bentivoglio haben sich dagegen noch zwei Fresken von 1490
erhalten, es sind die damals beliebten ,,Trionfi", dekorative Fest-
zuge mit prachtvollen Wagen, Pferden, schon gekleideten Gestalten,
in denen rdmische Reminiszenzen lebendig sind. Im ,, Triumph des
Ruhmes" ziehen Elefanten den Triumphwagen, im ,, Triumph des
Todes" sind Biif fel vorgespannt. Der gut gruppierte Zug hat interessante
Einzelheiten, wirkt aber etwas steif und kalt ; das war bei diesem Moti v,
das den Kiinstler durch seine klassischen Formeln gebunden hat, frei-
lich kaum zu vermeiden. In derselben Kapelle befindet sich auch eine
durch Restaurierung sehr verdorbene Landschaft von Costa, die einer
DIE KUNST WIRD WELTLICH 501
Terracotta von Niccolo dell'Arca — Bentivoglio I. zu Pferde — als
Hintergrund dient. Auch die Liinetten enthalten iibermalte Bilder
des Kiinstlers, die nur wenig uber seine Bedeutung aussagen.
In der Pinakothek zu Bologna gibt es noch einige schwachere
Bilder von Costa, die aus verschiedenen Kirchen stammen, seine be-
ruhmtesten Altarbilder befinden sich in San Petronio und in San
Giovanni in Monte. Das Bild in San Petronio, in der Kapelle Bac-
ciochi stammt aus dem Jahre 1492 und zeigt auf goldenem Hinter-
grund eine Madonna mit dem Jesuskind. Zu den FiiBen des Thrones
sitzen die h. Jacobus und Hieronymus, zu beiden Seiten stehen Se-
bastian und Georg. In der Kapelle Vazelli zu San Petronio befindet
sich eineVerkundigung von Costa, die vielleicht noch deutlicher als die
Madonna Bacciochi Cosimo Turas EinfluB verrat. Die Maria wirkt
wie ein ferraresisches Landmadchen, der Engel ist von feierlicher
Strenge, ohne idealisiert zu sein. Ich schlieBe mich dem Urteil
Gruyers an, der das Bild Costa zuschreibt, wahrend es nach Friz-
zoni ein Werk von Francia ist. Die Spuren von Francias EinfluB sind
in Costas Bildern nicht eben seiten. Als sich Costa 1483 in Bologna
niederlieB, war Francia fast ausschlieBlich als Goldschmied tatig
und gait auch in den ersten Jahren von Costas Wirksamkeit in
Bologna noch in der Hauptsache als solcher. Die beiden Kiinstler
traten einander naher und haben 1490 eine Schule begriindet, in der
Francia im Parterre im Goldschmiedehandwerk und im Schlagen
von Medaillen unterwies, wahrend Costa im ersten Stock die Maler
ausgebildet hat. Die Schule hatte groBen Erfolg und brachte es
bis zu zweihundertzwanzig Schiilern. Obgleich sich Francia zu-
erst hauptsachlich als Goldschmied betatigt hat, hat er Costa, als
er sich der Malerei zuwandte, sehr bald uberfliigelt, und Costa geriet
bald unter seinen EinfluB.
Costa hat zusammen mit Francia an einem von Antonio Galeazzo
Bentivoglio bestellten Altarbild in der Kirche della Misericordia in
Bologna gearbeitet. Francia hat das Hauptbild, die Anbetung des
Christkindes, gemait (in der Pinakothek zu Bologna) und Costa die
Predella mit der Anbetung der Konige abgetreten, die gegenwartig
in der Brera zu Mailand hangt. Bentivoglio hat diesen Altar so hoch
geschatzt, daB er ihn bei seiner Flucht aus Bologna 1506 mitnahm.
502 FUNFZEHNTES KAPITEL
Erst 1816 ist das Hauptbild nach Bologna zuriickgekommen,
wahrend die Predella in Mailand verblieb.
Auch im Oratorium der Cecilia zu Bologna, mit den beriihmten
Fresken aus dem Leben der Heiligen und des h. Valerian, be-
finden sich zwei Kompositionen von Costa: die Bekehrung des
Valerian und Cecilia Almosen verteilend. Diese Bilder sind zwar
an Qualitat mit den Fresken von Francia nicht zu vergleichen,
zeichnen sich aber durch den landschaftlichen Hintergrund aus.
In der Kirche San Giovanni in Monte befinden sich zwei Bilder
des Kiinstlers, eine Marienkronung und eine Madonna mit vier
Heiligen; die letztere gehort zu Costas schonsten Bildern.
Lorenzo war in Bologna eine so einfluBreiche Personlichkeit,
daB er 1503 in die acht Mitglieder zahlende Deputation gewahlt
wurde, die nach Rom ging, um den neu gewahlten Papst Pius III.
zu begriiBen. Anstatt der BegriiBung konnte die Gesandtschaft am
Begrabnis des eben verstorbenen Papstes teilnehmen, und blieb in
Rom bis zur Wahl Julius' II., um dem neuen Papst zu huldigen.
Von den Bildern, die Costa wahrend seines Aufenthalts in Bo-
logna geschaffen hat, sind heute nur noch wenige mit absoluter
Sicherheit zu bestimmen. In Bologna hat er bis 1506, spatestens
1507, gelebt; nach Mantegnas Tod wurde er von Isabella d'Este nach
Mantua berufen. Da Mantegna einen Monat vor der Vertreibung
der Bentivoglio aus Bologna gestorben war, muBte es Costa
sehr daran liegen, an einen anderen Hof berufen zu werden, da er
in Bologna seine Protektoren verloren hatte und Julius II. natur-
gemaB andere Absichten hatte, als die Kiinstler der eroberten Stadt
zu beschaftigen.
Costa muB damals ein sehr angesehener Kiinstler gewesen
sein, da Gonzaga ihm eine Pension von sechshundert neunund-
sechzig Lire bewilligte, und ihm ein Haus in Mantua zu eigen gab;
im Dekret, in dem er ihn zu seinem Hofmaler ernennt, heiBt es mit
der damals iiblichen Ubertreibung, es gabe in Italien keinen ihm zu
vergleichenden Kiinstler. Spater hat der Herzog ihm in einer da-
mals selten vorkommenden, groBmutigen Anwandlung zwolf-
tausend Taler und zweihundert Morgen Land geschenkt; es ist dies
vielleicht weniger dem Talent des Kiinstlers als seinen gesellschaft-
DIE KUNST WIRD WELTLICH 503
lichen Vorziigen zuzuschreiben, Costa hatte auBerordentlich ange-
nehrne Umgangsformen und erfreute sich vieler Sympathien bei
Hofe.
Unmittelbar nach seiner Ankunft in Mantua hat Costa zu
Mantegnas Triumphziigen zwei neue Bilder hinzugefugt. Wahrend
Mantegna streng sachlich nur den antiken Helden gefeiert hat,
hat Costa auf das hofische Kompliment nicht verzichtet. Neben
dem Triumph des antiken Helden sollten die Triumphe der Gon-
zaga angebracht werden. Um die groBe Vergangenheit mit der
sehr bescheidenen Gegenwart zu verbinden, hat er zur Ver-
lierrlichung des Markgrafen ein heidniF.ches Fest zu Ehren von
Herkules gewahlt; Francesco Gonzaga und seine drei Sonne Fede-
rigo, Ercole und Ferdinando spielten, von Hoflingen umgeben,
darin eine bedeutsame Rolle. Im zweiten, viel spater entstandenen
Bilde, war Federigo im Kreise von Freunden und Hoflingen dar-
gestellt, als Anfiihrer der kirchlichen Armee mit dem Feldherrn-
stab in der Hand, den ihm Leo X. 1521 anvrtraut hat. Auch in
Costas Fresken, im Palazzo Pusterla, gingen Gegenwart und
Reminiszenzen aus der klassischen Welt eine seltsame Verbindung
eiri. So sah man auf der einen Wand die Markgrafin Isabella,
Laute spielend, von Hofdamen umgeben, wohl ihr musikalischer
,,Triumph", auf der gegeniiberliegenden Wand eine mythologische
Szene: Latona, die Bauern, die ihr die Quelle triibten, in Frosche
verwandelnd, daneben Francesco Gonzaga, von Herkules auf
dornigem Pfad zur Ewigkeit geleitet. Damit auch die Gegenwart
zu ihrem Rechte komme, lieB sich der Markgraf auf einer anderen
Wand mit dem Feldherrnstab der romischen Kirche malen, auf einem
Piedestal stehend, damit die Hoflinge ihn um so besser bewundern
konnten. In den iibrigen Fresken muBte sich Coriolan mit dem
h. Sebastian und Johannes vertragen. Leider sind all die Fresken, die
fur die damalige Auffassung so bezeichnend sind und die Bild-
nisse der wesentlichsten Personlichkeiten des mantuanischen
Hofes enthielten, 1630 wahrend der Belagerung von Mantua unter-
gegangen.
Aus Isabellas kleinen mit raffiniertem Geschmack eingerich-
teten Zimmern, die sie ihr ,,Paradiso" nannte, hat sich ein Bild
504
FUNFZEHNTES KAPITEL
von Costa erhalten, das sich heute im Louvre befindet. Costa hat
es jedenfalls nach den Vorschriften der Markgrafin fur das ,,Studiolo"
geschaffen, das Isabella mit besonderer Sorgfalt eingerichtet hat
und das sie mit Bildern von Mantegna, Perugino und Giovanni
Bellini schmucken wollte. Fiinf dieser Bilder befinden sich heute
im Louvre, darunter zwei allegorische Kompositionen von Costa;
die eine davon ist vcn geringerem Wert und sehr zerstdrt. Das
Hauptbild soil nach den Deutungen von Yriarte und Gustave
Gruyer Isabellas Hof allegorisieren. Im Hintergrund eine durch
einen FluB belebte Landschaft, prachtvolle Baume beschatten die
Hauptgruppe der Frauen, hinter dem FluB ragen Hiigel und
Felsen. Yriarte und Gruyer wollten zwei Portrats in diesem Bild
erkennen: Isabella in der von Amor gekronten Frau, wahrend
Baldassare Castiglione der Ritter sein soil, der die Hydra erlegt.
Gegen diese allzu kiihne Deutung hat sich A. Lucio1) gewandt,
er beweist, daB dieses Bild ein Gegenstuck zu Mantegnas ParnaB,
zu seinem Sieg der Tugend uber die Laster und zu Peruginos
Kampf der Liebe und der Keuschheit bildet, zu Kompositionen, die
auf Isabellas Bestellung entstanden sind, fur die den Kiinstlern auBer
dem von Isabellas Humanisten ausgekliigelten Thema auch die MaBe
vorgeschrieben waren, damit sie in die Wande des Studiolo ein-
gelassen werden konnten. Die Bilder waren durchaus allegorisch,
das in Frage stehende gehorte zu den damals modernen ,,Trionfi"
und konnte ein ,, Triumph der Liebe" sein. Die von Amor gekronte
Gestalt befindet sich auf dem zweiten Plan und tragt durchaus
keine individuellen Ziige; Isabellas Portrat auf diesem Bilde stande
an erster Stelle, und der Kunstler hatte sein Bestes getan, um
sie so ahnlich wie moglich zu machen. Auch der Ritter kann
nicht Castiglione sein, da gerade wahrend Costa sein Bild malte,
der Verfasser des ,,Cortegiano" in Ungnade bei Gonzaga war und
selbst nicht ohne Lebensgefahr die mantuanische Grenze iiber-
schreiten durfte. Lucios Beweise sind so iiberzeugend, daB man
das Bild, das offiziell ,,La Cour d'Isabelle d'Este" benannt wird,
durchaus nicht als Portrat betrachten darf, da es zu den streng alle-
gorischen Bildern gehort.
*) A. Lucio, I Ritratti d' Isabella d' Este. Emporium, maggio 1900.
LORENZO COSTA: S. S. PETRONIO, FRANCESCO E TOMMASO
BOLOGNA, PINAKOTHEK
DIE KUNST WIRD WELTLICH 505
In Mantua hat sich nur in der Kirche S. Andrea ein Bild von
Costa erhalten. Es stammt aus der heute zerstdrten Sylvesterkirche,
in der auch Costa beigesetzt war. Auf diesem sehr restaurierten
Bild empfehlen der h. Sylvester und einige andere Heilige der Ma-
donna die Bevolkerung von Mantua. Das Bild ist 1525 entstanden
und soil Costas letztes Werk sein.
Weitere Bilder von Costa befinden sich im Pitti in Florenz: das
Portrat eines etwa fiinfzigjahrigen Mannes, und im Kaiser Friedrich-
Museum zu Berlin: ein toter Christus, von Maria, Johannes und
Nikodemus beweint. 1535 starb Costa zu Mantua, er hat infolge einer
schweren Krankheit etwa zehn Jahre vor seinem Tode zu malen
aufgehcrt. Seine bekanntesten Schiiler sind Dossi und Garofalo,
auch Lodovico Mazzolini und Michele Coltellini haben wahrschein-
lich bei ihm gelernt.
Man erzahlt von einem seiner Schiiler Niccoluccio aus Kala-
brien, daB er den Meister habe ermorden wollen. Costa hat auf
einem seiner Bilder dem Hofnarrn von Francesco II. Niccoluccios
Ziige gegeben. Fur diesen Spott hat Niccoluccio Rache nehmen wollen.
Als er zusammen mit dem Lehrer auf einem Geriist gemalt hat,
warf er sich plotzlich mit dem Dolch auf Costa, die schwachen
Bretter gaben bei dieser Erschiitterung nach, das Geriist brach zu-
sammen und die Gegner stiirzten herunter. Von alien Seiten kamen
Menschen bei dem furchtbaren Gepolter; Niccoluccio fliichtete un-
bemerkt und kam nicht wieder nach Mantua, aus Furcht vor der
Strafe des Markgrafen.
VII
Von einem andern, Costa in manchem verwandten Kiinstler,
dessen Werke sich durch ihre schonen Farben und eine gewisse
idyllische Note auszeichnen, haben sich mehrere Bilder in Ferrara
erhalten. Es ist Ercole Grandi di Giulio Cesare (geb. um 1462, gest.
1535), ein Ferrarese und Freund von Costa, mit dem er haufig zusam-
men gearbeitet hat. Er war eine Zeit hindurch in Bologna, hat aber
zumeist in Ferrara gelebt. In den Jahren 1495 und 1496 erhielt er
als Anzahlung auf seine Arbeiten von der groBherzoglichen Kammer
5o6 fOnfzehntes kapitel
acht Ellen griinen, zwei Ellen blauen Atlas, fiinf Ellen schwarzen
Damast und fiinf Ellen schwarzes Tuch. Er verstand zu reprasen-
tieren und bei den Hoffestlichkeiten eine Rolle zu spielen. Er war
auch als Architekt tatig, und Ferrara besitzt einige nach seinem
Entwurf ausgefiihrte Kirchen und Profanbauten. Die Pilaster am
Palazzo de' Diamanti gehen wahrscheinlich auf ihn zuriick.
In der Pinakothek zu Ferrara befinden sich eine Grablegung
und eine Geburt Christi, die ebenso wie das Martyrium des h. Se-
bastian und Maria von Agypten, in der gleichen Galerie, Erco'ie init
Unrecht zugeschrieben werden. Dagegen sind sowohl Morelli als
auch Venturi der Ansicht, daB die Fresken in Palazzo Scrofa Cal-
cagnini zu Ferrara, die bisher Garofalo zugeschrieben wurden,
Grandis Werk sind. Eines der besten Werke von Ercole hangt
in der National- Galery in London: eine thronende Maria mit
dem Kind, das den Beschauer segnet. Den Thron umgeben der
h. Wilhelm und Johannes der Taufer. Vom durchdringenden
Ernst dieser Gestalten hebt sich der kleine Jesusknabe in seinem
Liebreiz ab; es ist eine auBerordentlich gelungene Schoofung. Das
Bild ist reich mit Ornamenten geschmiickt.
Zu Grandis beglaubigten Bildern gehoren ferner ein Georg als
Drachentoter in der Galerie Corsini in Rom, das Portrat einer hiib-
schen jungen Frau in der Capitolinischen Sammlung, friiher Gio-
vanni Bellini zugeschrieben und einige zusammengehorige biblische
Darstellungen in Bergamo, bei Lady Layard in Venedig usw.
Grandi in seiner Malweise verwandt war Pellegrino Aretusi da
Modena, Pellegrino Munari benannt (gest. 1523). Er gait in seiner
Jugend in Modena als ,,giovane bello e degno in la pictura" und
war der Verlobte der schdnen Cassandra Calori. Er hat unter Rafr
faels Leitung in den Loggien des Vatikans gearbeitet; nach seiner
Riickkehr in Modena hat ihn ein trauriges Geschick ereilt. Sein Sohn
hat auf der StraBe mit der Hellebarde den jungen Giuliano di Bastardi
erschlagen. Der Kiinstler lief, als sich diese Nachricht verbreitete,
auf die StraBe; da die Verwandten des Getdteten den Morder, der die
Flucht ergriffen hatte, nicht sahen, warfen sie sich auf den un-
schuldigen Pellegrino; einige Stunden spater erlag er den ihm zu-
gefiigten Wunden.
DIE KUNST WIRD WELTLICH 507
Zu Lorenzo Costas Schiilern soil auch ein eigenartiger Kiinstler,
Lodovico Mazzolini (geb. um 1478, gest. um 1528), gehort haben.
Fiir den ferraresischen Hof war er viel beschaftigt. Er hat Lu-
crezia Borgias Raume im Kastell geschmiickt, fiir den Kardinal
Ippolito II. und in der SchloBkapelle gemalt. Eines seiner besten
Werke: Christus im Tempel lehrend, befindet sich im Kaiser-
Friedrich-Museum zu Berlin. Die Manner, die sich um den Knaben
drangen, und die Zuschauer auf der Galerie sind auBerordent-
lich charakteristische Gestalten. Sein Dresdner Bild: eine Schau-
stellung Christi, verrat viel Kraft, die Volkstypen sind sehr ener-
gisch aufgefaBt. In der Galerie zu Wien befindet sich seine Be-
schneidung und in der dortigen Akademie seine Madonna mit dem
Christuskind und dem h. Hieronymus.
Auch die Anbetung des Kindes in der Pinakothek zu Ferrara
ist der Erwahnung wert. In der Mitte des Bildes stiitzen zwei
Engel das Jesuskind, wahrend Maria mit gefalteten Handen da-
vor kniet. Auch die Heiligen Alberic, Bernhard und Joseph nehmen
an der Anbetung teil; Ochs und Esel, die legendarischen Tiere,
fehlen nicht, im Hintergrund wird eine hiibsche Landschaft sichtbar.
In Rom in den Galerien Borghese, Doria und Chigi befinden sich
mehrere Bilder von Mazzolini.
VIII
Wahrend unter Borso und Ercole I. die ferraresische Malerei
unter dem EinfluB von Mantegna, Bellini und Piero della
Francesca stand, erlag sie in der ersten Halfte des XVI. Jahrhunderts
dem Reiz von Giorgione und Tizian. Zwar verlor sie ihr individuelles
Geprage nicht, aber sie suchte sich besonders die Farbenwirkungen
der venezianischen GroBmeister anzueignen.
Tizian war viermal in Ferrara, zum erstenmal unter Alfonso I.,
vom 13. Februar bis Ende Marz 151 6. Er und seine beiden Gehilfen
wurden im SchloB untergebracht, aus der herzoglichen Kiiche
wurden ihnen Lebensmittel geschickt: gesalzenes Fleisch, Salat,
Ol, Kastanien, Orangen, Kase und fiinf MaB Wein wochentlich.
5o8 fUnfzehntes kapitel
Alfonso hatte den Kiinstler nach Ferrara berufen, damit er das
Bacchanal beende, ein von Bellini angefangenes Bild, das er infolge
seines hohen Alters nicht mehr hatte vollenden konnen. Es war
fur das herzogliche Studio bestimmt. Die Figuren waren samtlich
fertig, Tizian hatte nur noch die Landschaft im Hintergrund zu
malen und wahlte eine Ansicht seines geliebten Cadore. Alfonso
wollte sich mit dem einen Bild nicht zufrieden geben, er bestellte
ihm noch mehrere andere, die Tizian jedoch nicht mehr in Ferrara
ausfiihren konnte, da er in Venedig erwartet wurde. Der Herzog lieB
ihn fort, empfahl aber seinem Gesandten Thebaldi, ein Auge auf den
jungen Kiinstler zu haben, da er sein Talent sehr schatze und die
Bilder moglichst schnell haben wolle. Tizian war damals nicht so
beriihmt wie zwei Jahre darauf nach der Fertigstellung seiner As-
sunta fiir Santa Maria dei Frari; Alfonso belastigte ihn mit den ver-
schiedensten Auftragen, er befahl ihm antike Statuen fiir ihn zu
besorgen, — ein Bronzepferd wird besonders erwahnt — lieB ihn
Modelle fiir Glasgegenstande zeichnen, den GuB in Murano beauf-
sichtigen, ja er muBte selbst bei der Verpackung zugegen sein, damit
die Sachen in gutem Zustand ankamen. Tizian sollte dem Herzog
tiichtige Arbeiter fiir seine Fayencefabrik besorgen, mit den Rahmen-
verfertigern und Vergoldern verhandeln und der kiinstlerische Ver-
mittler des Herzogs in Venedig sein. Auch als Maler sollte er sich
fiir den Herzog betatigen; Alfonso bestellte ihm drei Bilder fiir sein
Studio, das er mit Gestalten, die von Lebenslust iiberschaumten,
geschmiickt haben wollte. Namentlich um das Bacchanal, fiir
das Tizian ein bis in alle Einzelheiten ausgearbeitetes Programm
bekommen hatte, war es dem Herzog zu tun. Tizian war jedoch
seit der Assunta so sehr mit Auftragen iiberhauft, daB er nicht alien
Wiinschen gerecht werden konnte. Der Rat der Zehn drohte ihm
sogar mit schweren Geldstrafen, da sein Bild in der Sala del Maggior
Consiglio nicht fertig wurde, und Alfonso ziirnte ihm in an Thebaldi
gerichteten Briefen und sparte mit unangenehmen Worten nicht.
Mit dem wachsenden Ruhm des Meisters stieg das Verlangen des
Herzogs nach seinen Bildern, und als ihm der Kiinstler 1525 das
Bacchanal und Bacchus und Ariadne schickte, war die Freude in
Ferrara sehr groB. Gerade damals waren Philostrats Werke bei
DIE KUNST WIRD WELTLICH
509
Aldo Manuzio erschienen. Die Gelehrten, in deren Gesellschaft
Tizian verkehrte, iiberredeten ihn, eine der farbigen und reizvollen
Schilderungen des alten Verfassers als Motiv fur ein Bild zu wahlen.
So entstand das dritte Bild fur Alfonsos Studio: das Venusfest —
ein Kranz entziickender Kindergestalten, die von Leben und
Kraft iiberschaumen. Als die Spanier dies Bild spater aus Ita-
lien fortschleppten, hat Domenichino den Vizekonig von Neapel
gebeten, es noch einmal betrachten zu diirfen; als ihm beim An-
blick des Bildes zum BewuBtsein kam, daB Italien es fur immer ver-
liere, brach er in Tranen aus. Tizians Werke wurden spater von
Karl V. so sehr geschatzt, daB der Kaiser den italienischen Fiirsten
Gnadenbeweise dafiir verkaufte. Damals muBte Alfonso schweren
Herzens sein Studio pliindern, um die Laune des spanischen Des-
poten zu befriedigen. Alles, was dem kaiserlichen Agenten gefiel,
wurde nach Spanien geschickt, Ferrara muBte mehrere Werke
von Tizian hergeben: die prachtvollen Portrats von Alfonso I.,
Karl V., Ercole II., eine Judith, eine Madonna, einen h. Michael.
Alfonso trauerte seinem eignen Bildnis am meisten nach, da es
zu den Meisterwerken des groBen Venezianers gehorte.
Ehe die Spanier das herzogliche Studio gepliindert hatten, gait
es den dortigen Malern als kostbarstes Museum; dort konnten sie
Tizians Farben und seinen malerischen Elan studieren, und die neue
Richtung der ferraresischen Schule hat dort ihren Ursprung ge-
nommen. An der Spitze jener, die am meisten bei den Venezianern
gelernt haben, standen die beiden Bruder Lutero, Dossi benannt.
Der altere Giovanni (1479? — 1542) war das starkere Talent, aber
auch der jiingere Battista (gest. 1549) war sehr begabt. Sie arbei-
teten meist zusammen, trotz des intensiven Hasses, der zwischen
ihnen herrschte. Der jiingere, ein eifersiichtiger, neidischer Cha-
rakter, neidete Giovanni seine starkere Begabung und seine groBeren
Erfolge, dazu kam sein Zorn, daB der Vater testamentarisch Gio-
vanni mehr als ihm vermacht hatte. Wenn die Bruder zusammen
arbeiteten, sprachen sie nicht zueinander, sondern verstandigten sich
durch Zeichen oder schrieben mit Kohle an die Wand, was sie einan-
der zu sagen hatten. Giovanni gait als ein heiterer, liebenswurdiger
Mensch und war bei Alfonso gut angeschrieben, ,,per essere uomo
5io
fOnfzehntes kapitel
affabile molto e piacevole". Die Dossi scheinen bei Lorenzo Costa
gelernt zu haben ; allmahlich malte Giovanni in der Hauptsache Figu-
ren und Battista Landschaften, so kam es, daB sie sich in ihren Fres-
ken vorzuglich erganzten und zusammen arbeiteten. Battista malte
auch Figurliches, besonders auf Bestellung von Laura Dianti, mit der
Alfonso nach Lucrezia Borgias Tod ein Liebesverhaltnis unterhielt.
Der Herzog lieB fur Laura den Palazzo degli Angeli bauen, und
Battista hat ihn wahrend mehrerer Jahre von innen und auBen mit
Fresken geschmiickt. In einem der Sale hat er auf dem Fries die
Inschrift angebracht: ,,unica spes m(ei) n(ominis)", jedenfalls
auf Alfonsos Befehl, der sehr an Laura hing. Laura ha.t Battistas
Talent sehr geschatzt, und als sie ihren Sohn Don Alfonso d'Este mit
Giulia della Rovere verheiratete, bestellte sie bei Dcssi vier Bilder,
die fur die Raume des jungen Paares bestimmt waren: eine Kleo-
patra, Venus mit sechs Amorinen, eine Fortuna und einen h. Hiero-
nymus in der Wuste. Battista hatte Motive gewahlt, die einen land-
schaftlichen Hintergrund erforderten. Doch hat er auch Portrats
gemalt, und Laura hat ihm nach dem Tode des Herzogs ein Bildnis
von Alfonso I. bestellt, das vorzuglich gelungen sein soil. Allmahlich
wurde Battista der Maler Lauras, ihres Sohnes Don Alfonso und
ihres Enkels Alfonsino. Gleich den alteren ferraresischen Kimstlern
hat er auch alle dekorativen Arbeiten fur sie gemalt: Lauras Em-
bleme gezeichnet — Trompeten und eine Sonne auf einem Wagen
ruhend, — so gut wie Zaumzeug fur Pferde, er hat Kartons fiir
Teppiche entworfen und wahrend des Karnevals Triumphwagen
arrangiert. Er wurde nicht immer mit barem Geld, sondern haufig
auch mit Lebensmitteln bezahlt, bekam Getreide, Wein, Bohnen,
Weintrauben, selbst Schweine, einmal schenkte ihm Alfonsino
einen kunstlerisch ausgefiihrten Degengriff aus Elfenbein. Auch
bei Ercole II. stand Giovanni in Gunsten; zum feierlichen Empfang
von Paul III. bemalte er einige Triumphbogen, das Tor San Giorgio
und den Ausgang zum Cortile nuovo. Als der Kiinstler im Jahre 1545
schwer erkrankte, bewilligte ihm der Herzog eine Unterstiitzung
von zehn Dukaten ,,per puro amore".
Giovanni Dossi, gewohnlich Dosso Dossi genannt, ist eine viel
ausgesprochenere Personlichkeit. Er ist so sehr vom ritterlichen Geist
DIE KUNST WIRD WELTLICH 511
des estensischen Hofes und namentlich von Ariosts Dichtung er-
fiillt, daB er in vieler Beziehung gewissermaBen die Ideen des groBen
Dichters malerisch umgesetzt hat. Einzelne seiner Bilder wirken
wie Illustrationen zum Rasenden Roland, seine Circe, sein David mit
dem Haupt Goliaths, seine diademgeschmuckte Frau in rotem
Mantel1) in den Galerien Borghese und Doria zu Rom atmen eine
phantastisch-ritterliche Atmosphare.
Neben weltlichen hat Giovanni auch viel religiose Bilder gemalt,
darunter zeichnen sich besonders zwei Altarbilder aus, von denen
sich das eine in der Pinakothek zu Ferrara, das andere in der esten-
sischen Galerie zu Modena befindet. Der sechsteilige Altar in Ferrara
wurde von Antonio Costabili fur die Kirche San Andrea bestellt.
Auf dem Mittelbild thront die Maria mit dem Christuskind, dem sich
der Johannesknabe anbetend naht. In den Wolken schwingen
Engel einen roten, goldgestickten Vorhang iiber dem Thron. Zu
den FiiBen des Thrones sitzt Johannes d. E. mit einem Buch auf den
Knien und betrachtet die Gruppe der rechts stehenden Andreas und
Hieronymus, zu denen sich ein Mann in zeitgenossischer Tracht
mit dem Turban auf dem Haupt gesellt hat. Im Hintergrund eine
Berglandschaft mit leuchtend blauem Himmel. Der Altar hat trotz
zahlreicher Restaurierungen seine schone, an Venedig erinnernde
Farbe behalten. Die Gestalten sind von ferraresischer Energie. Dies
Werk stammt aus Dossis letzten Lebensjahren; nach Aussage des
Chronisten hat sich Battista Dossi beim Anblick des prachtvollen
Bildes vor Neid nicht zu fassen gewuBt und mit Macht versucht,
die Vollendung zu hintertreiben, er schrieb dem Bruder auch ano-
nyme Briefe, die ihn veranlassen sollten, Ferrara zu verlassen und
seine Arbeit zu unterbrechen.
Ein groBes Altarbild mit einer von Engeln umgebenen Maria
in Wolken hat Dossi fur den Dom in Modena geschaffen. In
dieser Kirche befindet sich noch Giovannis ,,Geburt Christi",
die Venturi Battista Dossi zuschreibt. Dieses Bild gait stets als
Giovannis Werk, und die Abweichungen im Stil und in der Farbe
*) Im alten Katalog der Galerie Doria ist dieses Bild als Vanozza Catanei
▼erzeichnet, was ausgeschlossen ist, da Dossi zur Zeit ihres Glanzes noch
nicht gelebt hat.
512 FtlNFZEHNTES KAPITEL
sind nicht groB genug, um ihm dies Bild zu nehmen. Der Tradition
nach sollen die vor dem Christuskind knieenden Manner Alfonsos I.
und Ercoles II. Zuge tragen.
Dossi hat wie alle ferraresischen Maler viel Portrats gemalt,
einige davon befinden sich heute in Modena. Besonders gut ist ein
Bildnis von Ercole I. im Panzer, die Ahnlichkeit mit den gleichzeitig
geschlagenen Medaillen ist unverkennbar. Alfonsos I. Bildnis in der
gleichen Galerie ist unter dem EinfluB des Tizianschen, das Karl V.
nach Spanien mitgenommen hat, entstanden. Alfonso in Wehr und
Waffen stiitzt sich auf eines seiner Geschiitze, auf die er so stolz
war; der Herzog ist wahrscheinlich nach der Einnahme von Bastia
dargestellt. Links sieht man eine Festungsbriicke mit der Fahne der
venezianischen Republik, rechts den Po mit venezianischen Galeeren.
Dossis bestes Werk in Modena ist das Bild eines estensischen Hof-
narren, dem etwas von Velasquez' Wucht eignet. An Stelle der
Narrenschelle hangt ein Goldstiick an der Kappe, die Haare fallen
lang auf den roten Mantel herunter, in den Armen halt er ein Schaf.
Im Hintergrund eine Landschaft.
Dossis Ruhm wuchs schnell, und von alien Seiten bemuhte man
sich um seine Bilder. Isabella hat ihn 1532 nach Mantua berufen,
der Kiinstler hat ihr fur den Palazzo San Sebastiano ein Bild mit
elf Gestalten geschaffen, das leider nicht auf uns gekommen ist.
Auch der Herzog von Urbino, Francesco Maria della Rovere, hat
sein SchloB bei Pesaro, die Villa Imperiale, die als eine der schonsten
in Italien gegolten hat, von Dossi ausmalen lassen. Pietro Bembo hat
sich begeistert dariiber ausgesprochen ; Bernardo Tasso hat in der Villa
Imperiale als Gast Guidobaldos II. gelebt und dort seinen Amadigi
vollendet. An den Fresken in der Villa waren tatig : Girolamo Genga,
Francesco Manzachi da Forli, Raffaelino del Colle, Bronzino, Ca-
millo Mantovano und die Dossi. Vasari, der fur die Dossi wenig
iibrig hat, berichtet ausfuhrlich iiber ihren MiBerfolg in Pesaro.
Nach ihm haben beide Briider in der Villa Imperiale damit be-
gonnen, alle iibrigen Bilder schlecht zu machen, ohne jedoch Bes-
seres zu schaffen, denn ihre Fresken waren so schlecht, daB der
Herzog sie ubermalen lieB, und die ganze Arbeit aufs neue Giro-
lamo Genga iibertragen hat. Diese Darstellung ist wenig wahr-
DOSSO DOSSI: VISION DER VIER KIRCHENVATER
DRESDEN, GALERIE
DIE KUNST WIRD WELTLICH
513
scheinlich, denn in der Villa Imperiale bef indent sich bis auf den heu-
tigen Tag Fresken, die den Dossi zugeschrieben werden, so das Bild
des Herzogs Francesco Maria, der vor dem venezianischen Dogen
kniet und von ihm angesichts des versammelten Volkes den Herzogs-
stab entgegennimmt, und einige von Girlanden iiberhangene Land-
schaften im gleichen Saal. Henry Thode schreibt auch die Land-
schaft im Hintergrund der Kronung Karls V. dem jiingeren Dossi
zu, wahrend die Kronung selbst von Genga geschaffen wurde. Dossis
Spuren kann man auch im Saal verfolgen, dessen Decke mit Ver-
diiren und verstreuten musikalischen Instrumenten versehen ist,
die ein Mittelbild historischen Inhalts einfassen. Schone Frauen
mit nackten Armen tragen das Gewolbe, in den Ecken drangen sich
Putten, die Kronen und Eichenzweige halten oder auf Tafeln die
Namen von Francesco und Eleonora schreiben. Nur die Dossi,
sagt Gruyer, die Zeitgenossen Ariosts, konnten diese phantasti-
schen Zierate ersinnen. Der Betrachtende wird an die Circe
der Galerie Borghese erinnert, an die Teppiche mit den Metamor-
phosen Ovids und die Gobelins in Madrid mit den Geschichten
Vertumnus' und Pomonas, die sicherlich nach Zeichnungen der Dossi
hergestellt sind.
Das letzte groBe dekorative Werk der Dossi waren die Fresken
im bischof lichen Palast zu Trient. 1535 war der Bau vollendet,
die Dossi haben bis 1539 dort gearbeitet. Die Zimmer im ersten Stock-
werk hat Battista mit den Ansichten der bedeutendsten Stadte und
Schlosser geschmiickt, die sich im Besitz des Bischofs von Trient
befanden. Als das Fiirstentum Trient aufgehoben wurde, wurde
das dortige SchloB zur Kaserne umgewandelt, die Fresken sind
untergegangen und nur eine kleine Spur, ein Fresko von Giovanni
hat sich erhalten. Es ist eine thronende Maria, der ein Heiliger den
Kardinal Bernardo Clesio empfiehlt. Clesio hat die Dossi nach
Trient berufen. Der bischofliche Palast hat im XVI. Jahrhundert
allgemeine Bewunderung erweckt. Pier Andrea Mattioli hat ihn
in einem Gedicht besungen, das 1539 in Venedig erschienen ist:
,,11 magno palazzo del cardinale di Trento". Battista hat noch ein
anderes SchloB an der Etsch fur die Madrazzi ausgemalt, aber diese
Fresken sind samtlich untergegangen.
33
514
fOnfzehntes kapitel
Im herzoglichen Palast zu Ferrara befinden sich noch drei
Fresken von Dossi: eine Ariadne auf einem von Tigern gezogenen
Wagen, eine Weinlese und der Triumph von Bacchus und Ariadne.
Die nackten Gestalten sind von iibertriebenem Realismus, allein
die dekorativen Zwecken dienenden Putten haben ihren friiheren
Reiz behalten. Am besten unter all diesen Kompositionen wirkt
der Fries im groBen Saal und die Fresken im kleinen Raum, der auf
die Terrasse miindet. Im Mittelbild ist eine Weinlese dargestellt.
In einer norditalienischen, bergigen Herbstlandschaft mit leuchten-
den Weinreben, die sich von Baum zu Baum ranken, sitzt eine ein-
fache Frau und halt einen Becher, nach dem ein Kind die Arme
ausstreckt. Im Bilde herrscht viel Leben: Frauen, Kinder, Satyrn
und Panisken lesen Weintrauben, tragen die Frucht zur Kelter und
schleppen Bottiche herbei. Die meisten Kunsthistoriker schreiben
die Weinlese Dossi zu, wahrend man uber den Urheber der iibrigen
Fresken im Zwtifel ist. Diese Frage ist heute noch ungelost, wiirde
jedoch zur Charakteristik Dossis nur wenig beitragen.
Die Briider Dossi haben auch Entwiirfe fur Teppiche und Ma jo-
liken gemalt, und einige Kriige in der herzoglichen Apotheke waren
nach ihren Angaben gefertigt. Aus dem Rechnungsbuch des Hofes
geht hervor, daB Battista Vorlagen fur Majolikavasen gezeichnet
und Giovanni wahrend zweier Tage Muster fur den Topfer ent-
worfen hat.
Giovanni Dossi wurden die Illustrationen zur Ausgabe des
,, Orlando" zugeschrieben, die 1556 bei Valgrisio in Venedig erschie-
nen ist. Obgleich die Wiedergabe dieser Holzschnitte schwach und
undeutlich ist, frappieren sie durch die Kiihnheit der Komposttion
und Zeichnung und sind Giovannis nicht unwiirdig. Gruyer spricht
sie ihm nur deshalb ab, weil sie vierzehn Jahre nach seinem Tode er-
schienen sind. Dieses Argument ist nicht ganz iiberzeugend; wie
haufig geschieht es, daB ein Werk lange im NachlaB eines Kiinstlers
liegen bleibt, namentlich wenn sich die Erben iiber den von ihnen
uberschatzten Besitz nicht einigen konnen. Dossis Erben waren
drei Schwiegersohne, da er nur Tdchter hatte; es ist also nicht ganz
ausgeschlossen, daB infolge der unter ihnen eingetretenen Streitisr-
keiten die Herausgabe der Zeichnungen sich verzogert hat. Gio-
DIE KUNST WIRD WELTLICH 515
vanni war mit Ariost befreundet, es liegt also nahe, daB er sich darum
beworben hat, die bedeutendste Dichtung seiner Zeit zu illustrieren.
Battista Dossi starb kinderlos und hat keinen Geringeren als den
Herzog von Ferrara zu seinem Erben eingesetzt, indem er im Testa-
ment urn ein wiirdiges Begrabnis bat. Jedenfalls ist dies ein Be-
weis fur das gute Verhaltnis, das zwischen dem Herzog und dem
Kiinstler bestanden, und fur die Dankbarkeit, die Dossi ihm bis an
sein Lebensende bewahrt hat.
Die Dossi hatten viele Schuler, so Jacopo Paniccioti, Gabriele
Capellino, Camillo Filippi, Giuseppe Mazzuoli usw., aber keiner
von ihnen hat Bedeutendes geleistet. Nur der bekannte Bildhauer
Alfonso Lombardi hat die kiinstlerischen Ideen der Dossi iiber-
nommen, wie die Medaillonkbpfe beweisen, die die Fassade des
Palazzo Bolognini in Bologna schrmicken.
IX
Ein Zeitgenosse der Dossi und ein sehr geschatzter Kiinstler
war Benvenuto Tisi, Garofalo genannt (geb. urn 1481, gest. am
6. Sept. 1559), aus dem Dorfe Polesina im Ferraresischen. Benve-
nutos Vater war Schuster und hatte es jedenfalls vorgezogen,
wenn sein Sohn einen anderen Beruf erwahlt hatl^e, aber der Knabe
bestand auf seinen Willen und ging nach Cremona in die Lehre
zum Maler und Sticker Boccaccino, der spater fur den estensischen
Hof tatig war. Dieser Lehrer geniigte dem lernbegierigen jungen
Kiinstler nicht, er beschloB nach zweijahrigem Aufenthalt in Cre-
mona nach Rom zu gehen. Aus Furcht, auf Hindernisse zu stoBen,
entfloh er heimlich im Winter aus Boccaccinos Haus und kam
hungrig und zahneklappernd in Rom an; selbst seine armselige
Garderobe hatte er in Cremona gelassen. Zu diesem EntschluB wird
ihn auch die schlechte Behandlung bewogen haben, die der Sticker
seinen Schiilern angedeihen lieB. Boccaccino war ein heftiger Mensch
und hat im Jahre 1499 seine Frau, die ihn betrogen, erschlagen.
In Rom fand Garofalo eine Zufluchtsstatte bei dem florentiner
Kiinstler Giovanni Baldini, den Milanesi Bussini oder Sollazini
33*
516 fOnfzehntes kapitel
nennt, da nichts von der Existenz eines Malers Baldini bekannt ist.
Benvenuto ist nur kurze Zeit, kaum einige Monate, in Rom ge-
blieben, dann ging er nach Bologna, wo Costa sehr anerkannt war.
Der junge Kiinstler erleg dem EinfluB des beriihmten Ferraresen,
wie an vielen seiner Bilder ersichtlich. Ober Benvenutos Aufenthalt
in Bologna wissen wir nichts Naheres und begegnen ihm erst 1506
als einem fertigen Kiinstler in Ferrara, wo er verschiedene Auftrage
fur Lucrezia Borgia ausgefiihrt hat. Er hat zusammen mit Gio-
vanni Dossi gearbeitet, aber ohne den Schwung und die Phantasie,
die Ariosts Freund ausgezeichnet haben; seine Bilder kennzeichnet
vielmehr eine gewisse kiihle Niichternheit. Dossis EinfluB tritt
natiirlich in Garofalos beriihmter Pieta in der Galerie Borghese,
sowie im h. Nikolaus aus Bari und im h. Sebastian in den kapito-
linischen Sammlungen zutage. Auch Christi Geburt in der Galerie
Doria, die dort Ortolano zugeschrieben wird, die Madonna mit dem
h. Rochus und Sebastian in Bergamo sind unter Dossis EinfluB ent-
standen. Garofalo lockten bald andre Ziele, Rom und der Ruhm der
dortigen Meister haben es ihm angetan. 1508 oder 1509 ging er zum
zweitenmal an den Tiber und wurde dort der Schuler des um etwa
zwei Jahre jiingeren Raffael. Der EinfluB des Urbinaten auf den
Ferraresen war wenig glucklich; nach diesem abermaligen Aufent-
halt in Rom wird Benvenuto konventionell, er stellt zartliche oder
leidenschaftliche Szenen ohne Leidenschaft dar und kopiert Raffael
so sklavisch, daB man seine Bilder spater wiederholt Raffael zuge-
schrieben hat. Raffael war damals tonangebend, die Einfachheit
und der gesunde Realismus der alteren ferraresischen Schule hatten
sich iiberlebt, und die Fiirsten begannen der neuen Richtung in der
Malerei zu huldigen. Nach Garofalos Riickkehr aus Rom lieB Al-
fonso die Kapelle im Kastell und die Fassade des Palazzino della
Montagnola von ihm mit Fresken schmucken. Diese Werke sind
samtlich untergegangen, wahrend sich die Fresken im friiheren
Palazzo Trotti, dem heutigen Seminar, erhalten haben. Es sind dies
Decken in zwei Parterrezimmern, frostige Malereien ohne jeglichen
Schwung, etwas langweilige Nachahmungen antiker Ornamentik.
Ein groBes Fresko, aus dem friiheren Refektorium des Andreas-
klosters, befindet sich in der Pinakothek zu Ferrara. Es ist eine
DIE KUNST WIRD WELTLICH 517
ziemlich verwickelte symbolische Komposition, die Verherrlichung
des Christentums und der Fall der jiidischen Welt. Einige durchaus
gelungene Gestalten bewegen sich im Bild, so der Geistliche, der
den Graubartigen tauft, oder zwei Manner in ostlichen Gewandern
auf dem ersten Plan, aber das Ganze ist zu unubersichtlich kom-
poniert, ura einen reinen Genufi zu ermoglichen. Aus der Franzis-
kanerkirche ist gleichfalls ein Fresko in die Pinakothek iiber-
fuhrt worden, ein Bethlehemitischer Kindermord, der den Kiinstler
unter Raffaels EinfluB zeigt. Erwahnt seien noch die Aufer-
weckung des Lazarus und die Anbetung der Konige, gleichfalls in
der Pinakothek. Vasari schatzt von alien Bildern Garofalos das
letztere am hochsten.
Es liegtmir fern, alleBilder von Garofalo inModena, Bologna, Dres-
den usw. aufzuzahlen. Der ferraresische Kiinstler wurde friiher als
Nachahmer Raf f aels sehr geschatzt, und seine Bilder waren sehr gesucht.
Garofalo hat spat, als Neunundvierzigjahriger, geheiratet und
verlor bald darauf infolge einer schweren Krankheit ein Auge. Da
er den Verlust des zweiten Auges befiirchtete, weihte er sich der
heiligen Lucia und gelobte, wenn ihm sein zweites Auge erhalten
bliebe, stets nur aschgraue Kittel zu tragen. Zur Erinnerung stiftete
er ein kleines Bild in die Kapelle Sta. Trinita, er hatte sich vor der
h. Lucia kniend dargestellt und brachte ihr seine beiden Augen dar.
Das Bild, das einzige gut beglaubigte Selbstbildnis des Kiinstlers,
ist leider untergegangen. Nach Baruffaldi hat Garofalo sein Selbst-
bildnis auch auf dem Abendmahl in San Spirito angebracht.
Trotz des Verlustes des einen Auges hat der Kiinstler noch sehr
viel gemalt, und all seine Arbeiten zeichnen. sich durch sichere
Zeichnung und Harmonie der Farben aus. Da er sehr fromm war,
beschloB er, nach seiner teilweise erfolgten Erblindung, stets an
Sonn- und Feiertagen im Kloster San Bernardino ,,zur Ehre
Gottes" ohne Bezahlung zu malen. Einige dieser Bilder befinden
sich in Rom, die drei besten besitzt die kapitolinische Sammlung,
zwei die Eremitage in Petersburg.
Zeichnungen fur acht groBe Teppiche waren eine seiner letzten
Arbeiten, das ferraresische Domkapitel hatte sie 1550 teils bei ihm
und teils beim Maler Camillo Filippi bestellt. Auf diesen Teppichen
518 fOnfzehntes kapitel
sind die Taten und das Martyrium der h. Maurelius und Georg, der
Schutzpatrone von Ferrara, dargestellt. Zwischen dem 23. April und
dem 7. Mai, den Tagen, die diesen beiden Heiligen geweiht sind,
werden die Teppiche heute noch offentlich ausgestellt. Garofalo ist in
Ferrara zu Sta. Maria in Vado begraben. Sein bekanntester Schuler
ist Girolamo da Carpi (1501 — 1568), ein ziemlich schwacher
Kiinstler, der auch unter demEinfluB von denDossi und vonCorreggio
stand. Carpi war unter Ercole II. Hofmaler und hat viel Portrats
und Teppichkartons geschaffen. Unter Alfonso II. hat Bartolommeo
Faccini am estensischen Hofe gewirkt und die Wande des Kastells
mit den Bildnissen der Vorfahren des Herzogs in natiirlicher GroBe
bemalt; aber all die Maler des untergehenden Ferrara waren
schwache Nachahmer Correggios und der romischen Kiinstler.
Erwahnt sei noch Sebastiano Filippi, Bastianini genannt (geb. 1535,
gest. 1585?), ein Nachahmer von Michelangelo, den er namentlich in
seinem Jiingsten Gericht, einem Fresko im Dom, zu kopieren gesucht
hat. Eine der darauf befindlichen Gestalten soil der Kiinstler aus
Rache angebracht haben. Die Frau, die von Teufeln gepackt wird,
soil Stefano Carregiaris Witwe sein, die schone und reiche Livia
Grazioli, die Bastianini ihre Hand versprochen und doch einen
andern geheiratet hat.
X
Gegen Ende des XIV. und XV. Jahrhunderts hat die Miniatur-
malerei ihren Hohepunkt erreicht; jeder der groBen und kleinen
Potentaten wollte eine Bibel, ein Gebetbuch oder einen Psalter
mit Miniaturen geschmiickt haben und unter Heiligen und Propheten
zum mindesten in einer Initiale sein eigenes Bild finden. Uber-
all wurden Bibliotheken gegriindet: von den Medici in Florenz, den
Aragon in Neapel, den Montefeltro in Urbino, den Visconti und
Sforza im Kastell zu Pavia, den Gonzaga in Mantua, den Este
in Ferrara und von Papsten und Kardinalen in Rom. Im Norden
war der Eifer nicht minder rege, die franzosischen Konige, die
Herzoge von Burgund, der Herzog von Berry haben zu den leiden-
schaftlichsten Sammlern schoner und seltener Biicher gehort. Auch
DIE KUNST WIRD WELTLICH
519
hier scheint es bei der allgemeinen Rivalitat in der Hauptsache
darum zu tun gewesen zu sein, Biicher mit den schonsten und kost-
barsten Miniaturen zu sammeln und selbst Mathias Corvinus, der
ungarische Konig, brachte es zu einer beruhmten Miniaturen-
sammlung. x)
Miniatuimalerei lag damals nicht mehr in den Handen der
Monche allein und war schon eine durchaus weltliche Kunst ge-
worden. In Nord- und Mittelitalien hat man diese schone Kunst
namentlich in Florenz, Siena, Bologna, Padua und Verona gepflegt,
in Ferrara begann man sich erst unter Niccolo III. damit zu be-
schaftigen. Dieser Fiirst hatte bereits zweihundertneunundsiebzig
Handschriften, von denen mehrere mit Miniaturen geschmucktwaren.
Die Miniaturmalerei auf dieser Seite der Apenninen unter-
schied sich wesentlich von der in Florenz und Siena geiibten. Wah-
rend am Arno ein gewisses Idealisieren iiberwog — Fra Angelico
stand dort an der Spitze der Bewegung — , waren die norditalienischen
Kiinstler Realisten. Franzosischer und deutscher EinfluB mag
mitgesprochen haben, mehr noch die Veranlagung der Kiinstler
aus der lombardischen Ebene.
Gegen Ende des XIV. Jahrhunderts hatte Altichiero di Verona
den starksten EinfluB auf die Miniaturmalerei in Norditalien. Er
hat mehr als die meisten seiner Zeitgenossen gesucht, aus der Natur
zu schopfen. Die Miniaturisten, die Niccolo III. aus Florenz hatte
kommen lassen: Franceschino, Francesco da Codegoro und Gia-
como Bussoli haben seiner Richtung entgegengearbeitet, aber als
Vittore Pisanello 1435 nach Ferrara kam, erwies sich die natura-
listische Richtung als die starkere. Schon im Kodex, der Bernardo
di Monsellis Gedichte enthalt, befand sich ein Portrat von Niccolo III.
nach der Natur gemacht. Pisanellos Vorliebe fur Tierstudien hat
den Miniaturisten einen unerschopflichen, eifrig beniitzten Schatz
ornamentaler Motive gebracht.
Die Blutezeit der Miniaturmalerei in Ferrara hat etwa achtzig
Jahre gedauert und umfaBt die Zeit von 1440 bis 1520. Damals ent-
x) Corvins Sammlungen haben die Tiirken nach der Einnahme von
Budapest geraubt; einen Teil hat der letzte Sultan dem Kaiser Franz Joseph
geschenkt, der sie der Pester Bibliothek iiberwiesen hat.
520
FUNFZEHNTES KAPITEL
standen Lionellos Breviarium, das leider untergegangene Werk
von Giorgio Tedesco, Borsos zweibandige Bibel, die sich heute
in den Sammlungen des Erzherzogs Franz Ferdinand in Wien
befindet, Ercoles I. Breviarium, das Missale des Kardinals
Ippolito I. und Alfonsos I. Officium. Auch im Dom und in der
Certosa von Ferrara befinden sich kostbare Choralbucher aus
jener Zeit.
Die ferraresische Miniaturmalerei stand unter dem EinfluB von
Pisanello, Piero della Francesca und Cosimo Tura. Borsos Bibel,
eines der bedeutendsten Dokumente dieser Kunst aus ihrem Beginn,
enthalt iiber tausend Miniaturen und ungefahr ebensoviel gemalte
Embleme und Tiere; Borso hat fur dieses umfangreiche Werk
1375 Dukaten bezahlt. Namentlich zwei Kiinstler waren dabei tatig:
Taddeo Crivelli, der wahrscheinlich aus Mailand stammt, aber in
Ferrara von 1452 bis 1476 tatig war, und Francesco Russi. Borsos
Kammerer, Galeotto dell'Assassino, hat mit diesen Kiinstlern
einen Vertrag in Mantua geschlossen, auf Grund dessen beide sich
verpflichtet haben, im Verlauf von sechs Jahren, vom 8. Juli 1455
angefangen, diese schone Bibel auszumalen. Die Kiinstler haben
ihre Aufgabe glanzend gelost, ihr Werk ist eines der schonsten
Renaissancedenkmaler; der Reichtum ihrer Ornamentik ist uner-
schopflich, sie haben nicht allein die Tier- und Pflanzenwelt, sondern
auch Borsos zahlreiche Embleme kiinstlerisch verwertet. Borso
hatte eine besondere Vorliebe fur Embleme, besonders haufig hat
er das Einhorn unter der Dattelpalme, das beliebteste Zeichen der
Este, oder ein goldenes Gitter im Wasser mit der Unterschrift
,,Fido", das sogenannte ,,Paraduro", verwendet. Dieses Gitter sollte
einen Damm im FluB bedeuten, und gewissermafien die Bemiihungen
des Herrschers um die Regulierung des Po, den Reichtum des
Landes, symbolisieren. Zu den haufig verwandten Symbolen ge-
horte auch ein geflochtener Zaun, ,,Siepe", und einige andere
Zeichen, deren Deutung uns heute schv/er fallt.
Borsos ,, Missale", das zusammen mit der Bibel 1859 nach Wien
gekommen ist, lafit sich ihr zwar an kunstlerischem Wert nicht ver-
gleichen, gehort aber immerhin zu den bedeutenden Erzeugnissen
ferraresischer Miniaturmalerei.
G. MAZZONI: NICODEMUS AUS DER GRABLEGUNG
MODENA, S. GIOVANNI DECOLLATO
DIE KUNST WIRD WELTLICH
521
Gleichzeitig entstanden die Choralbiicher, „Corali", in derCertosa;
die Verfertiger dieser Miniaturen standen starker unter Piero della
Francescas und Mantegnas als unter Pisanellos EinfluB. Zu dieser
Gruppe gehoren Guglielmo Giraldi, Marco dell'Avogaro und Martino
da Modena.
Unter Ercole I. stand die ferraresische Miniaturmalerei sehr stark
unter dem EinfluB von Cosimo Tura, und die Miniaturen aus dieser
Periode mogen ein spezifischer ferraresisches Geprage tragen als jene,
die zur Zeit von Lionello und Borso entstanden sind. Zu dieser jiin-
geren Schule gehoren Jacopo Filippo d'Argenta und seine Gehilfen;
ihre Hauptwerke sind die Choralbiicher im Dom zu Ferrara, die von
Jacopo und Fra Evangelista da Reggio mit Miniaturen versehen
wurden, und das Brevier Ercoles I. aus dem beginnenden XVI. Jahr-
hundert. Diese neuere ferraresische Schule umgibt ihre Miniaturen
mit prachtvollen Ranken, fast die gesamte damals bekannte Tierwelt:
Pferde, Hunde, Katzen, Ochsen, Hirsche, Rehe, Hasen, Kaninchen,
Lowen, Leoparden, Baren, Wildschweine, Elefanten, Kamele und
Affen tummeln sich in diesem Rankenwerk. Die Kiinstler ver-
standen es, die Tiere mit auBerordentlichem Geschmack in ein
stilisiertes oder naturalistisch behandeltes Blattwerk zu verweben.
Auch die herzoglichen Embleme: der von Nelkenblattern umgebene
Diamantring, der gefliigelte Leopard mit Fischschweif, die dem Feuer
entsteigende Hydra usw., spielen eine bedeutsame Rolle im Ornament.
Das ,,Missale" des Kardinals Ippolito I. in der Universitats-
bibliothek in Innsbruck gehort auch zu den schonsten Miniaturen-
Handschriften aus jener Zeit. Das Titelblatt zeigt eine auBerordent-
lich reizvolle Landschaft aus der Po-Ebene mit den Apenninen
im Hintergrund.
Die Einfiihrung der Buchdruckerkunst in Ferrara im Jahr 1492
hat der Miniaturmalerei den ersten schweren Schlag versetzt. Kost-
bare Handschriften wurden durch Druck und Holzschnitt verdrangt.
Unter Alfonso I. setzt bereits der Verfail ein, und das ,,Officium"
dieses Herzogs war das letzte bedeutende Erzeugnis der Miniatur-
malerei in Ferrara. Das „Officium" befindet sich in den Samm-
lungen des Erzherzogs Franz Ferdinand. Unter anderem enthalt das
Buch auch das Bildnis des Herzogs in Waffen, wie er mit gefalteten
522
fOnfzehntes kapitel
Handen vor Gottvater kniet, der ihm in den Wolken erscheint.
Alfonso ist als junger Mensch mit spitzem Bart und langem Haar
dargestellt, seinem spatern Portrat mit aufgedunsenen Ziigen
durchaus unahnlich.
Unter Ercole II. hat die Miniaturmalerei bereits der Vergangen-
heit angehort.
XI
Das untere Po-Tal besitzt keinen Marmor, einer Bildhauerschule
in hartem Stein fehlte es also am wichtigsten Material, und so
konnte die Skulptur in jener Gegend nicht zu einem Monumentalstil
kommen. Wenn Ferrara Monumentalauftrage zu vergeben hatte,
so berief es fremde Kiinstler, besonders Florentines und Antonio
di Cristoforo und Niccolo di Giovanni Baroncelli, den Schiilern
Brunellescos, verdankt die Stadt eines der friihesten Reitermonu-
mente, das in Italien in der Renaissance entstanden ist. Es war das
Denkmal von Niccolo III., das in Borsos Gegenwart im Jahre 1451, am
Himmelfahrtstage, auf dem Platz zwischen Dom und Kastell ent-
hiillt wurde. Alter als dieses Denkmal sind, von der Antike abge-
sehen, nur zwei Reiterstatuen aus dem XIII. Jahrhundert, die des
Lucchesen Tommaso und Bonifazio Offizzi errichtet haben und
jener strenge Sarkophag von Barnabo Visconti, der sich heute im
archaologischen Museum in den Kreuzgangen des Kastells von Mai-
land befindet. Er stammt aus dem Jahr 1370. Ein Reiterdenkmal
war damals noch etwas Ungewohntes, und die ferraresische Be-
volkerung hat daher Baroncelli auch den Spitznamen Niccolo
,,da Cavallo" gegeben. Der Kiinstler hat den Markgrafen im Mantel,
mit dem Barett auf dem Kopf und dem Feldherrnstab in der Hand
dargestellt. Das ferraresische Denkmal ist friiher entstanden all
Donatellos Gattamelata in Padua (1453) und Verrocchios Colleom
in Venedig (Modell 1481, Aufstellung erst 1493). Ferrara bestellte,
stolz auf sein Reiterdenkmal, 1451 bei Baroncelli ein Denkmal von
Borso in Bronze, auf dem Throne sitzend, in reichen Gewandern, wie
es sich fur einen stolzen Herrscher ziemt. Niccolo Baroncelli starb
wahrend der Arbeit, und sein Sohn Giovanni hat mit Hilfe einiger
DIE KUNST WIRD WELTLICH
523
Florentiner das Denkmal vollendet. Die Stadt, gewohnt ihre Herrscher
durch Denkmaler zu feiern, beschloB 1499 auch Ercole I. ein Reiter-
standbild zu errichten. Ercole gefiel das Pferd, das Lionardo in Mai-
land fur Francesco Sforza entworfen hatte, auBerordentlich; er bat die
mailandische Regierung, ihm das Modell zu iiberlassen. Die Sache
zog sich aus verschiedenen Griinden in die Lange, unterdessen zer-
fiel Lionardos Gipsmodell, und das Reiterdenkmal fur Ercole blieb
unausgefiihrt.
Der beriihmteste der ferraresischen Bildhauer war in der ersten
Halfte des XVI. Jahrhunderts Alfonso Lombardi, dessen Werke
sich zum Teil noch in Ferrara, in der Hauptsache aber in
Bologna befinden. Lombardi wurde im Jahre 1479 nicht in
Lucca, wie man annahm, sondern in Ferrara geboren. Die Chro-
nisten berichten, dafJ Tizian, als er in Bologna Karl V. gemalt hat,
den jungen Kiinstler zum Farbenreiben mitnahm. Als sich der
Meister ans Werk machte, gelang es Lombardi unbemerkt, den
Kaiser in Ton za modellieren. Karl V. bemerkte den heimlich ar-
beitenden Bildhauer, lieB sich Lombardis Skizze zeigen und war von
der Arbeit so entziickt, daB er Lombardi die Halfte von den tausend
Talern anweisen lieB, die er fur Tizians Portrat bestimmt hatte;
auBerdem bestellte er ihm seine Biiste in Marmor. Nach Vasaris
Schilderung ist die Biiste sehr gelungen, ,,una cosa rarissima".
Lombardi war ein beliebter Bildhauer, aber kein sehr bedeuten-
der Kiinstler; auch sein Zusammenhang mit Ferrara war nur
locker, da er schon als junger Mensch die Heimat verlassen hat und
nicht wieder zu langerem Aufenthalt zuriickgekommen ist.
Wenn nun Ferrara und die untere Po-Ebene keine groBen Bronze-
und Marmorbildhauer hervorgebracht haben, so haben doch dortige
Plastiker in anderem Material Bedeutendes geschaffen. Sie griffen
nach dem Material, das sie zur Hand hatten, nach Ton, und haben
die Terrakotta-Plastik iai ihrer hochsten Bliite gebracht. Modena,
Ferrara, Bologna und Mailand waren der Sitz dieser Kunst und
Guido Mazzoni ihr Meister. Gebrannter Ton eignet sich auBer-
ordentlich fur Polychromie, zur Durcharbeitung menschlicher
Kopfe mit den charakteristischsten Details und zu einer sehr rea-
listischen Behandlung. Vielleicht gibt es, von Wachs abgesehen,
524 fOnfzehntes kapitel
kein Material, das naturalistischen Tendenzen so sehr entgegen-
kommt wie gemalter Ton.
Die realistischen norditalienischen Kiinstler fanden das ent-
sprechende Material, um ihre kunstlerischen Absichten zu verwirk-
lichen, und in den sogenannten ,,Mortoria", in Beweinungen des toten
Chris tus in natiirlicher GroBe, mogen sie ihr Bestes geleistet haben.
Diese realistischen Gruppen scheinen den mittelalterlichen Mysterien
nahe zu stehen, sie haben alle etwas vom ,,lebenden Bild" behalten.
Die Kiinstler haben die Szenen, die sie in den Kirchen haufig sahen,
in Ton modelliert; die dramatischen Posen der Schauspieler bei
den Passionsdarstellungen in der Charwoche haben den Kiinstlern
einen so starken Eindruck gemacht, daB sie sie zum Gestalten
zwangen. Auch ist es nicht ausgeschlossen, daB in der Gesellschaft
das Verlangen erwachte, diese Vorgange zum mindesten in der Plastik
zu erhalten, als die Mysterien allmahlich aus den Kirchen ver-
schwanden und sich in eine weltliche Biihne umzuwandeln begannen.
Auch Szenen aus dem Leben haben auf die ,,Mortoria" eingewirkt,
so die Sitte, Klageweiber am Sarg des Verstorbenen wahre Ver-
zweiflungsorgien auffiihren zu lassen. Die Klageweiber sind ja
auch auf franzosischen Grabdenkmalern zu finden; das Motiv hat
zu stark auf die Phantasie gewirkt und stand auch mit dem Leben
der Bevolkerung in zu engem Zusammenhang, um von der Kunst
unbeachtet zu bleiben. Die norditalienischen Mortoria, namentlich
jene, in denen Frauen sich mit hysterischer Gebarde iiber Christus
werfen, haben sicherlich ihren Ursprung in der Sitte des offiziellen
Beweinens der Verstorbenen.
Uber Guido Mazzonis Jugend sind wir nur ungeniigend unter-
richtet; er stammt aus Modena und wird deshalb auch Modanino
genannt; er begann damit, Theater- und Karnevalsmasken zu ver-
fertigen, und war der Impresario der Feste zu Ehren Eleonoras von
Aragon in Ferrara. In Busseto befand sich eines seiner friihesten
groBeren Terrakottawerke, eine Geburt Christi, die heute der Samm-
lung des Grafen Callori in Modena angehort. Mazzonis Grablegung,
eines seiner schwacheren Werke, befindet sich in Busseto. Ferrara
bewahrt nur eine seiner Gruppen, aus dem Jahre 1485, in Sta. Maria
della Rosa. Sein bestes, vielleicht nicht geniigend gewiirdigtes Werk
DIE KUNST WIRD WELTLICH 525
befindet sich in S. Giovanni Decollate* in Modena, eine unvergleich-
liche Gruppe; die Maria, die sich uber Christus neigt, gehort zu den
gewaltigsten Figuren eines edlen Realismus. Auch die Domkrypta
in Modena bewahrt eine schone Gruppe des Kiinstlers, eine An-
betung des Kindes. Diese Gruppe befand sich fruher in der
Kirche ,,Osservanza" und wurde erst neuerdings in den Dom
uberfuhrt.
1489 ging Mazzoni fur einige Jahre nach Neapel und hat dort
eine beruhmte Kreuzabnahme fur Monteoliveto ausgefiihrt. Die
Gruppe setzt sich aus sieben sehr realistisch erfaBten Gestalten zu-
sammen, der Tradition nach sollen einige der bekannten damaligen
Personlichkeiten Modell dafiir gewesen sein. Johannes soil die
Ziige Alfonsos II. von Aragon, Nicodemus die des Historikers
Pontano und Joseph von Arimathia die des Dichters Sannazaro
tragen.
Karl VIII. hat Mazzoni nach Frankreich mitgenommen und ihm
eine sehr hohe Pension, fiinfzig Dukaten monatlich, bewilligt. 1496
hat er den sehr von ihm geschatzten Kiinstler zum Ritter geschlagen.
Der Bildhauer hat sich seinem Konig durch ein groBartiges Grab-
denkmal in Saint Denis erkenntlich gezeigt; es ist leider 1793 *n
den Stiirmen der Revolution untergegangen. Bei Franz I. Thron-
besteigung ist Mazzoni nach einem zwanzigjahrigen Aufenthalt
in Frankreich nach Modena zuriickgegangen und ist dort zwei Jahre
spater, 1518, gestorben.
Bekannt fur seine Mortoria war auch Antonio Begarelli (geb.
I479?» gest- I565), der stark unter Correggios EinfluB stand. Seine
Kreuzabnahme befindet sich in San Francesco zu Modena. Die
Gruppe umfaBt dreizehn Personen, besonders die Frauen sind von
groBer Schonheit. In S. Agostino, diesem Pantheon der modene-
sischen Este, befindet sich eine Pieta von Begarelli, in San Pietro sein
toter Christus und eine Gruppe der Madonna in den Wolken, von vier
auf dem Boden stehenden Heiligen verehrt. Die von ihm angelegten
Gestalten wurden von. seinem Neffen Lodovico Begarelli vollendet.
In San Satiro zu Mailand befindet sich auch eine bekannte Be-
weinung Christi von Cristoforo Foppa, Caradosso genannt, mit einer
sehr intensiv und edel erfaBten Maria. Foppa ist 1452 in Mudonio,
526 FUNFZEHNTES KAPITEL
einem Dorf an der Adda geboren; er hat im Hause seines Vaters,
eines Goldschmieds, gelernt und ist im Jahr 1487 nach Rom ge-
gangen. Von dort aus hat ihn Lodovico Moro nach Mailand berufen.
Caradosso hat dort viel gearbeitet und Beziehungen zu Bernardo Bellin-
cioni, Leonardo da Vinci und Bramante angekniipft. Die Beweinung
Christi von Niccolo dell' Area, dem bekannten Bildhauer, der einen
groBen Teil des Grabmals des S. Dominicus in Bologna ausgefuhrt
hat, zeigt einen gewaltsam gesteigerten Realismus. Diese
Gruppe in S. Maria della Vita zu Bologna macht einen fast
abstoBenden Eindruck, die verzweifelten Frauen
wirken wie mittelalterliche Klageweiber mit
weit aufgerissenem Mund, nervos ver-
zerrten Gesichtern und wild wehen-
den Gewandern. Der Realis-
mus in der neueren Kunst
hat seinen starksten
Niederschlag in
den Mortoria
gefunden.
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Venturi, A. II Pisanello a Ferrara. Archivio Veneto vol. XXX. 1885.
— Cosma Tura mit einem Verzeichnis der Werke v. Fr. Harck. Jahr-
buch der preuBischen Kunstsammlungen. Bd. IX.
— Les arts a la cour de Ferrare. Francesco Cossa. L'Art 1888.
— G. B. Relazioni di Governatori di Reggio al Duca Ercole I di Ferrara.
Atti e mem. d. R. R. Deput. di Stor. Patr. per le Prov. Modenesi
e Parmensi. Ser. III. vol. 2. Modena 1884.
Vite e Ritratti di XXX Illustri Ferraresi. Bologna. Zannoli 1833.
Windakiewicz, Dr. Stanislaw. Guarini i jego poselstwo (Guarini
und seine Gesandtschaft) Przeglad polski (Polnische Revue). Krakau.
Juli 1889.
Yriarte, Charles. Isabelle d' Este et les artistes de son temps. Gazette
des Beaux- Arts. Vol. XIII. 1895.
— Autour des Borgia. Paris. I. Rothschild, editeur 1891.
Zambotto, Bernardino. Lucrezia Borgia in Ferrara, sposa a Don
Alfonso d'Este. Mem. stor. estratte dalla cronaca ferrarese di B. Zam-
botto, Ferrara, Domenico Taddei 1867.
REGISTER
Agresti Daniele 478
degli Albanzani Donato 26, 28
Alberti (da Ferrara) Antonio 477
Alberti Leon Battista 47, 48
Alberto d' Este 17, 18
Alberto d* Este 65, 71, 75
Aldingheri de Fontana 13
Aldobrandini Cincio 379, 380, 382,
383
Aldobrandini Pietro 380, 402, 403,
405
d' Alemagna (Teutonico) Niccolo
478
Alexander VI. 105, 158 — 170, 190,
191, 227
Don Alfonso d' Este 401
Alfonso I. d' Este 75, 91 — 93, 166,
167, 176, 177, 181— 185, 193 bis
197, 214, 215, 219—226, 231,
235, 240—242, 244—246, 251,
257, 313, 458
Alfonso II. d' Este 250, 291, 292.
298, 299, 304, 308—335, 354 bis
358, 362—375, 394—403, 435 bis
437. 442
Altichiero di Verona 519
Anna d' Este 284, 307 — 309, 393
Antoniano Silvio 358 — 362
Aquilano Serafino 387
dell' Area Niccolo 526
Aretino Pietro 143, 232, 457, 474
Aretusi da Modena Pellegrino 506
d' Arezzo Francesco 47, 65
d' Arezzo Jacopo 29
d' Argenta Jacopo Filippo 521
Argenti Agostino 389
Argotta Agnese 391
Ariosti Jacopo 65
Ariosti Lippa 15
Ariosti Malatesta 58
Ariosto Francesco 49
Ariosto Lodovico 145, 200, 206 bis
239, 385» 387» 453. 454. 470
AriostoNiccolo 70,71,206 — 209,212
Ariosto Virginio 210, 213, 224 — 226
d' Ascoli Cecco 257, 276
dell' Assassino Stella 20 — 22
Aurispa Giovanni 36, 37
d' Avalos Costanza 263
Aversa 160, 161
Avogario (Avogardo) 415
Avogaro dell' Marco 521
Azzo VI. d' Este 12
Azzo VII. d' Este 13
536
REGISTER
Baldassare d' Este 488 — 491
Bandello 419, 420
Barbazza Andrea 480
Baroncelli Niccolo di Giovanni 522,
523
Baroncelli Giovanni 523
Barzizza 33
di Bascio Matteo 264
Bastianini (Filippi) Sebastiano 518
Beatrice d'Este (Azzos VI. Tochter)
12
Beatrice d'Este (Niccolos III. Toch-
ter) 24, 155
Beatrice d'Este (Ercoles I. Tochter)
76, 77, 88, 89
Beatrice von Aragon ioo, 101
Beccadelli Panormita 36
de' Beccari Agostino 389
Begarelli Antonio 525
Begarelli Lodovico 525
dei Belli (Turola) Jacopo 479
Bellini Jacopo 481, 482
Bellincioni Bernardo 132, 149,
416, 460
Bello (Cieco) Francesco 132
Bembo Pietro 140 — 145, 187 bis
193, 197. 203, 230, 422
Bendidio Lucrezia 344, 355, 356,
436, 437
Bendidio Taddea 315
Bentivoglio Annibale 76
Bentivoglio Antonio Galeazzo 500
Bentivoglio Bento 494
Bentivoglio Cornelio 312, 326, 397
Bentivoglio II. Giovanni 494, 499
Benucci Alessandra 216, 217, 220
Benzi Ugo 37
Berengario Jacopo 139
Bianca d' Este 65
Bianchini (Torello) Giovanni 89
Biondo di Niccolo Giovanni 66
Bisceglia Alfonso 164 — 166
Bisceglia Rodrigo 204
Boccaccino Boccaccio 515, 516
Boione Simone 114, 115
Bojardo Feltrino 48, no
Bojardo Matteo Maria no — 132,
153, 231, 234, 235
Bona 101, 312, 313, 422
Bonacossi Bartolommeo 479
Bonacossi Giacomo 479
Bonna Febo 371
Bono Pietro 415
de' Bonsignori Pietro 478
de' Bontempi Candido 64
Borgia Angela 171, 193, 194
Borgia Cesare 159 — 169, 195
Borgia Lucrezia 158 — 205
Borso d'Este 21, 22, 30, 52 — 69,
454, 455, 49*, 492, 520
Boschetti Albertino 194
Bracciolini Poggio 68
Braga Pier Angelo 358
Brancaccio Giulio Cesare 436
Bresciani Bartolommeo 172, 173
Brognina 425 — 428
Bruccioli 288, 289
Bruno Giordano 276
Bussoli Giacomo 520
Calcagnini Celio 145, 146, 199,
201, 257
Calcagnini Teofil 53
Calleffini Ugo 66
Calvin 256, 259 — 261, 281, 291,
293, 294, 297, 30i, 303, 304
Cammelli (Pistoja) Antonio 149
bis 152, 207
REGISTER
537
di Campo Fregoso Galeotto 66
da Canno Lodovico 65
Capellino Gabriele 515
Caprara Antonia 111 — 113
di Capua Annibale 340, 341
Caraffa Giovanni Pietro 268 — 270,
276
Carbone Lodovico 55, 66 — 68
Cardone Raimondo 425 — 428
da Carpi Girolamo 518
da Carrara Gigliola 20
del Carreto Manfredo 27
Castelmo Ercole 200
Castiglione Baldassare 388, 472, 473
Cataneo Danese 345
Cavaletti Orsina Bertolaja 348
Caviceo Jacopo 202, 203
Cellini Benvenuto 2
de Centelles Cherubin 160
Cesare d'Este 63, 334, 365, 373,
401 — 404
Cesinge (Pannonius) Giovanni34,5i
Cessi 344
di Chieri Celio 287
Cibo Caterina 264, 265, 270
Cintio Giraldi Battista 394
Clesio Bernardo 514
da Codegoro Francesco 519
Colle del Rafaellino 513
Collenuccio Pandolfo 98, 99, 157
Colleoni Bartolommeo 154
Colocci Angelo 145
Colonna Prosper 101
Colonna Vittoria 262 — 267, 275,
283, 466, 472
di Conca 378
Contrari Ercole 352, 397, 398
Contrari Uguccione 48
Cornaro Caterina 142
da Correggio Gian Galeazzo 157
da Correggio Niccolo 57, 153 — 157
da Correggio Prete 157
della Corte Bonvicino 83
Corvinus Mathias 100, ioi, 519
Cossa Francesco 491 — 495
Costa da Vicenza Andrea 480
Costa Domenico 478
Costa Lorenzo 500 — 505
Costabili Alberto 48
Cristoforo di Antonio 522
Crivelli Taddeo 520
Curione Celio 284, 287
Cusastro Beltramino 87
Dante 14, 143
Decembrio Angelo 47
Decembrio Pier Candido 39, 64
Diana d' Este 201
Dianti Laura 280, 510
Diodato 463
Domenichi Lodovico 132, 472
Dossi Battista 509, 510
Dossi Giovanni 509 — 515
Eleonora von Aragon 4, 71 — 76,
86, 88, 91, 93
Elisabetta d' Este 102, 194
Equicola d' Alveto Maria 77
Erasmus Rotterdamus 133
Ercolani Virginia 345
Ercole I. d' Este 25, 30, 70 — 109,
in, 153, 154, 166—182, 191, 193,
227. 457
Ercole II. d'Este 241 — 267, 275 — 299
Ercole Rinaldo III. d' Este 406
Este Abstammung und Charakte-
ristik 10 — 12
Eugen IV. 30
538
REGISTER
da Fabriano Gentile 485
Faccini Bartolommeo 518
Falconi Giovanni 29
Falengo 264
Fannino Fanio 290
Farnese Giulia 158 — 160, 204
Farnese Orazio 282, 283
da Feltre Vittorino 55
Ferrante d' Este 170, 194
da Ferrara (Alberti) Antonio 477
da Ferrara Domenico 440
Ferrari Bianchi 498, 499
Ferrarino da Ferrara 13
Filelfo 36, 134
Filippi Camillo 515, 518
da Foligno Angiolo 478
Foppa (Caradossa) Cristoforo 526
Fortuno Scipio 66
da Fossombrone Lodovico 264
Franceschino 519
della Francesca Piero 483
Francia Francesco 501
Franz I. 240 — 243, 252, 260, 279,
427, 428
Franz II. 301
Franco Veronica 321 — 324
FristeJla 463
Friedrich III. 55—57
Galeotto 427, 428
Galilei 276, 277, 385
Gallerani Cecilia 89, 199, 200
Gallino Jacopo 76
Gambacorta Pietro 383
Garofalo (Tisi) Benvenuto 515—518
Gaurico Lukas 258
Gaza Teodoro 47
Gelosi, Theatergesellschaft 320,352,
356
Genga Girolamo 512, 513
Gianetto 259, 260
Giglioli Giacomo 32
Giraldi Giovan Battista 389
Giraldi Guglielmo 521
Giraldi Lelio 287
Giraldini Ascanio 314, 315, 317,
326, 328
Giulio d' Este 193 — 195, 299
Gonella 16, 461
Gonzaga Cesare 388, 395
Gonzaga Elisabetta 89
Gonzaga di Giorgio Taddea 114
Gonzaga Federigo 87
Gonzaga Francesco 88, 147, 148,
428, 503
Gonzaga Giulia 263
Gonzaga Gulielmo 350
Gonzaga Margherita (Alfonsos II.
Gemahlin) 312, 400, 440
Gonzaga Margherita (Lionellos Ge-
mahlin) 40, 42, 43
Gonzaga Scipione 345, 358, 366,372
Gonzaga Vincenzo 373 — 375, 391,
418
Grandi di Giulio Cesare Ercole 505,
506
Grazioli Livia 518
Gregor XIII. 332, 356, 359
Grillo Angelo 372, 374
Grimani Giovanni 324
Gualengo Giovanni 48
Gualengo Camillo 315, 316
Guarini Battista 315 — 318, 327,
328, 355. 356, 362, 390—392,
470—472
Guarino Battista 76, 134
Guarino Guarini 31 — 35, 39, 40,
49, 50
REGISTER
539
Heinrich II. von Frankreich 292,
294, 295
Heinrich III. Valois 309, 312, 314,
317—326, 332, 357
Ingegnero Angelo 371
Innocenz III. 430
Ippolito I. d' Este 76, 99 — 102, 146,
169, 193, 213—219, 231, 312, 313
Ippolito II. d' Este 314, 329, 334,
335
Isabella d'Aragon 211, 312
Isabella d' Este-Gonzaga 76, 77,
87, 88, 131, 132, M7» MS, 156,
i57> 176— 181, 191, 214, 231,
246, 422—429, 467, 468, 503
bis 595
Isacchino di Mantua 392
Jamet Leon 254, 256, 287, 294, 304
Jay Claude 275, 293, 294
Johannes XXI. 430
Julius II. 184, 204, 214 — 216, 240
Karl V. 225, 232, 234, 249—253,
342, 428, 429, 523
Karl IX. von Frankreich 301, 305,
3M» 315, 352, 357
Klemens VII. 184, 223, 225, 249
bis 252, 269
Klemens VIII. 379, 380, 402, 405
Kopernikus 257
Landino Cristoforo 415
Lang Matteo 425, 426
Lardi Lionello 47
Lardi Lodovico 47
Lasca 438, 444
Lellio Alberto 389
Leo X. 148, 184, 203, 205, 216,
241, 443
Leonora d' Este 284, 348, 384, 393,
394. 435
Leoniceno Niccolo 99, 145, 201, 202
Lepelletier 293, 296, 330
Ligorio Piero 334, 356
Lionello d' Este 21, 25, 30, 38 — 51
Lombardi Alfonso 515, 523
Lorenzetti Ambrogio 475
de Lorgna Ramiro 167
Loyola Ignaz 275, 276, 293, 330
Lucrezia d' Este (Ercoles I. Toch-
ter) 76, 87
Lucrezia d' Este (Ercoles II. Toch-
ter) 284, 348, 355, 361, 372, 393
bis 405, 435
Luigi d' Este 300, 329~ 335. 34°,
34i, 346, 347. 35i— 354> 356,
369, 433, 434
Luzzaschi Luzzasco 436
Maggi Graciosa 201
dei Magnabotti Andrea 119
Malaguzzi Daria 207, 208, 212, 213
Malespina Celio 371
Manfrone Gian Paolo 278, 279
Manso Giovan Battista 378, 379,
383, 384
Mantegna 476, 482, 503
Mantovano Giovanni 137 — 140
Mantovano Camillo 513
Manuzio Aldo 137 — 140, 339, 372
Manzachi Francesco 513
Manzollini Angelo 287
Marcantonio Flaminio 287
Margherita von Navarra 254, 255
Maria d'Aragon 43, 45
540
REGISTER
Marot Clement 243, 253 — 256, 259
Marotta Erasmo 391
Martin Giovanni 77
Matello 462
Mazzolini Lodovico 507
Mazzoni Guido 524, 525
Mazzuoli Giuseppe 515
Medici Francesco 358
Medici Katharina 301, 304
Medici Virginia 373
Meliadus d' Este 22, 44, 65
Milton 379
della Mirandola Gian Francesco 65
della Mirandola Pico Galeotto 25,
33i
della Mirandola Pico Giovanni 135
bis 138
della Mirandola Pico Li via 331
Modena da Martino 521
Molza Tarquinia 436, 437
Montecuculi Luigi 400
Montefeltro Elisabetta 174
da Montepulciano Girolamo 265
da Monteregio Roberto 414
di Montone Braccio 39
Morato Olympia 284 — 286, 297
Morato Pellegrino 284
Morel (de Colonges) Francesco 295
Mosti Agostino 370, 371
Mosti Ercole 403
Nanino 465, 466
da Narni Lucia 103 — 107
Niccolo II. d' Este 16, 455
Niccolo III. d' Este 19 — 37
Niccolo d' Este (Lionellos Sohn) 70,
7i, 75, 76
Niccoluccio di Calabria 505
dei Nobili Flaminio 358
da Novara Bartolino 6
Novara Domenico Maria 415
de Noyant 278, 279
Obizzo II. d' Este 13 — 15
Obizzo III. d' Este 15
Ochino Bernardo 263 — 267, 270
bis 274
Oriola Giovanni 478
Orsini Adriana 158 — 160, 172, 183
Ory Mathias 294 — 296
Palestrino Pier Luigi 435
Panetti Domenico 499
Panicciati Jacopo 515
Panizzata Niccolo 480
Parisina de Malatesta 21 — 24
di Parma Basinio 47
de Parthenay Anna 249, 250
Paul II. 59 — 63
Paul III. 252, 257, 258, 268, 269,
277, 279, 281 — 283, 288, 296,
329
de Peguilhan Aimeric 12
di Perugia Spirito Lorenzi 64
Peperara Laura 346, 436
Petrarca 142 — 144
Pigna Giovan Battista 355, 356, 361
Piissima Vittoria 320, 321
Pio di Carpi Alberto 49, 137 — 140,
210, 211
Pio di Carpi Enea 200, 201
Pirandoli Cesare 71
Pisanello (Pisano) Vittore 480 — 482
Pisauriensis Guglielmo 440
Pistoja (Cammeli) Antonio 149 bis
152, 207, 460, 462, 470
Pistofilo Bonaventura 182, 458, 459
Pius IV. 299, 332
REGISTER
541
Pius II. 58, 59
Poggini Domenico 228, 229
Pomponazzo Pietro 257
de Pons Antonio 249, 250, 279 bis
281, 283, 284
della Porta Giovan Battista 433,
434
Porto Francesco 288, 289
Pucci Lorenzo 158, 159
Pulci Luigi 120
da Ragusa Giorgio 89
da Reggio Fra Evangelista 521
Renata d' Este 314
Renata di Francia 240 — 309
Reszka Stanislas 381
Riario Pietro 72 — 74
Riccardo Saluzzo 25
Richardot Francois 281
Rinaldo d' Este 75, 210
Roberti di Antonio Ercole 495 bis
498
de Roberti Giovanna 18
Romano Christoforo 90
Romei Annibale 416
Rondinelli Ercole 351
della Rovere Francesco Maria 394
bis 396, 399
della Rovere Giuliano 72
della Rovere Guidobaldo 338, 394
bis 396
Roverella Lorenzo 486
Rovigo Francesco 392
Rubinetto di Francia 485
Rucellai Bernardo 133
Russi Francesco 520
Sacrati Uberto 486
Sadoleto Jacopo 145
Sagramoro (da Sancino) Jacopo
479, 480
dal Sale Margherita 18
Sanseverino Barbara 356, 362
Sanseverino Ferrante 337
Sanzio Raffael 516
Savelli Silvio 169
Savonarola Hieronymus 108, 109
Savonarola Michele 37, 50, 68, 69,
469, 470
Scaccieri Giovanni 498
della Scala Alberto 66
di Scandiano Leonora 356, 362,
363. 390, 436
Schiatti Alberto 6
Scocola 461
Sforza Anna 91 — 93
Sforza Ascanio 90, 160
Sforza Galeazzo Maria 453
Sforza Giovanni 160 — 163
Sforza Lodovico il Moro 88, 89 bis
91, 100
da Siena Angiolo 483
Sigismondo d' Este 25, 30, 66, 71,
75, m, 170
Sigmund I. von Polen 312, 313
Sigmund August von Polen 273, 274
Simoni Gabriello 472
Sinapius Chilian 287
Sinapius Giovanni 287
Sixtus V. 332, 333, 375
de Soubise 248, 249, 252, 253, 259
Speroni Sperone 340, 358, 361, 362,
389, 390
Spinola Daniele 344
Spinola Francesco 345
de Spoleto Gregor 210, 211
Stellato (Manzolli) Palingenio 259
542
REGISTER
Strozzi Ercole 95, 98, 134, 135, 186,
195—197, 211, 229
Strozzi Giovanni 48, 49
Strozzi Niccolo 48
Strozzi Tito Vespasiano 49, 54, 83,
93—98, 133, 186, 192, 193
Tarnowski Stanislas 341
Tasso Antonio 354
Tasso Bernardo 336 — 340, 350
Tasso Cornelia 343, 367
Tasso Porcia 337, 338
Tasso Torquato 336—392, 437>
442
Tebaldi (Tebaldeo) Antonio 147 bis
149, 199
Tedesco Giorgio 520
Tizian 228, 229, 508, 509, 523
di Toledo Pedro 337
Torelli Barbara 196, 197
di Tortona Tommaso 16
Triboulet 465
Trissino Giangiorgio 77, 199, 200,
423
Trotti Cesare 401
Tura Cosimo 483 — 488
Turola (dei Belli) Jacopo 479
Uberti Francesco 175
Ugo d' Este 21 — 24
Valdes Alfons 262, 263
Valdes Juan 262, 263
Valentini Andrea 313
Vanozza Catanei 158, 204
Varano Ercole 348
Varano Piero 311
Venier Domenico 144
Verdizzotti Giovan Maria 343
Vergerio Pierpaolo 34
de Vico Galeazzo 297
da Vinci Leonardo 523
Visconti Galeazzo 131, 132
van der Weyden Rogier 482
West Giacomo 392
Zampante Giegorio 82, 83, 153
Ziegler Jakob 257
Zini Francesco 348
di San Zozzo Carlo 65
VERZEICHNIS DER
ABBILDUNGEN
i. Isabella d'Este. Bildnis von Tizian. Wien,
Galerie Titelbild
2. Francesco Cossa: Allegoriedes Herbstes
Berlin, Kaiser-Friedrich -Museum gegeniiber Seite IV
3. Kastell zu Ferrara ,, ,, 8
4. Dom zu Ferrara ,, ,, 8
5. Seitenportal des Domes zu Ferrara ,, ,, 8
6. Palazzo Diamanti zu Ferrara ,, ,, 16
7. Tor des Palazzo Prosperi zu Ferrara ,, ,, 16
8. Pisanello: Pilger ins gelobte Land.
Verona, S. Anastasia ,, ,, 24
9. Lionello d'Este. Bildnis von Pisanello.
Bergamo, Akademie (Galeria Morelli) .... ,, „ 40
10. Borso und seine Umgebung. Detail aus
den Fresken im Palazzo Schifanoja zu Ferrara ,, ,, 56
11. Ercole I. d'Este. Kopie Dossis nach Tizian.
Modena, Galerie ,, ,, 72
12. Beatrice d'Este. Detail aus Zenales ,,La
Vergine in Trono". Mailand, Brera ,, ,, 88
13. Pinturicchio: Die heilige Katharina
von Alexandrien. Angebliches Portrat von
Lucrezia Borgia. Detail aus dem Apparta-
mento Borgia im Vatikan ,, ,, 160
14. Alfonso I. d'Este. Kopie Dossis nach Tizian.
Modena, Galerie ,, ,, 184
15. Ariost. Bildnis von Tizian. London, National-
Gallery ,, ,, 208
544 VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN
16. RenatadiFrancia. BildnisvonFr.Clouet(?).
Sammlung Fiirst Czartoryski in Goluchow . . gegeniiber Seite 248
17. Papst Paul III. Bildnis von Paris Bordone.
Florenz, Pitti „ ,, 272
18. KdniginBonaSforzaundRenatad'Este,
Grafin von Mirandola. Krakau, Museum
Graf Czapski „ ,, 312
19. Battista Guarini. Lithographie nach ,,Vite
e ritratti di XXX illustri Ferraresi" „ ,, 320
20. Torquato Tasso. Bildnis von Alessandro
Allori. Florenz, Uffizien ,, ,, 336
21. Schule von Ferrara: Eine Verlobung.
Berlin, Kaiser -Friedrich-Museum ,, „ 424
22. Reiter. Detail aus den Fresken im Palazzo
Schifanoja zu Ferrara ,, ,, 456
23. DossoDossi: Hofnarr. Modena, Galerie .. ,, ,, 464
24. CosimoTura: Madonna. Venedig,Akademie ,, ,, 480
25. Cosimo Tura: Madonna in Trono. Lon-
don, National- Gallery ,, ,, 488
26. Stickende Frauen. Detail aus den Fresken
im Palazzo Schifanoja zu Ferrara ,, ,, 488
27. Francesco Cossa: Verkiindigung. Dres-
den, Galerie ,, ,, 496
28. Francesco Cossa: Madonna zwischen
Petronius und Johannes. Bologna, Pina-
kothek ,, ,, 496
29. Lorenzo Costa: S. S. Petronio, Fran-
cesco e To mmaso. Bologna, Pinakothek .. „ „ 504
30. Dosso Dossi: Vision der vier Kirchen-
vater. Dresden, Galerie ,, ,, 512
31. Garofalo: Bacchanal. Dresden, Galerie .. ,, ,, 512
32. G. Mazzoni: Nicodemus aus der Grab-
legung. Modena, S. Giovanni Decollato.. ,, ,, 520
Ugo irgherita
Aldobrand ijnehelich)
(unehelich erh. mit
1405— i42 = eazzo Pio
Ercole I.
1431— 1505
zweiter Herzog
von Ferrara
und Modena
verh. mit
Eleonora
d'Aragon
Sigismondo BiancaMaria
1433 — 1507 (unehelich)
1440 — 1506
verh. mit
Galeotto Pico
della
Mirandola
B 3. ldassar •:
(unehelich)
und mehrere
andere Bastarde
I
Ercole
verh. mit
Angela
Sforza
Bianca Diana
verh. mit verh. mit
Alberigi da San Uguccione di
Severino Ambrogio de'
Contrari
1
Ippolito I.
M79— 1520
Kardinal
Elisabetta
(unehelich)
verh. mit
Giberto Pio
Sigismondo
1480— 1524
e
628
von
lit
Medici
STAMMTAFEL DER ESTE
Niccolo III. — I. Gigliola da Carrara 1397
1383 — 1441 2. Parisina Malatesta 1418
3. Riccarda Saluzzo 1431
Ugo Meliadus
Aldobrandino (unehelich)
(unehelich) 1406 — 1452
1405— 1425
LioneMo =
(unehelich)
1407—1450
. Margherita Gonzaga
z. Maria d'Aragon
1
Borso
(unehelich)
1413 — 1471
der ersteHerzog
Modena
Ginevra Lucia
1419— 1440 1419— 1437
Sigismondo Carlo Gonzaga
Malatesta
Isotta
(unehelich)
verh. mit
1. Oddone
Montefeltro
2. Stefano
Frangipani
(unehelich) (unehelich)
1427— 1497 verh. mit
verh. mit Galeazzo Pio
1. Niccolo da
Correggio
2. Tristan Sforza
Ercole I.
1431— 1505
1
Fiancesc
1
0 Niccolo
verh. mit
Eleonora
ondo
BiancaMaria
Baldasslt*
1507
(unehelich)
(unehelich)
1440 — 1506
und mehrere
verh. mit
andereBastarde
Galeotto Pico
Angela
verh. mit verh. mit
Alberigi da San Uguccione di
Severino Ambrogio de'
Contrari
(unehelich)
1473— 1518
Annibale
Bentivoglio
Ippolito I.
1479— 1520
Kardinal
(unehelich)
verh. mit
Giberto Pio
und Modena
Renata di Franc
I GiuliadelleRov
Marfiza .
(unehelich)
verh mit
funfter Herzog ve
h. mit
Francois
von Ferrara FrancescoMaria
e Lorraine
und Modena von
Urbino
ade' Medici 1560
2. Barbara
von Oesterreich 1565
3. Marghe
nta Gonzaga 1579
Virginia de' Medic;
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