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Full text of "Der Hof von Ferrara"

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THE  ELMER  BELT  LIBRARY  OF  VINCIANA 


A  gift  to  the  Library  of  the  University  of  California, 
Los  Angeles,  from  Elmer  Belt,  M.D.,  1961 


THE  LIBRARY 

OF 

THE  UNIVERSITY 

OF  CALIFORNIA 

LOS  ANGELES 


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CHLEDOWSKI  /  DER  HOF  VON  FERRARA 


ISABELLA  D'ESTE 

BILDNIS  VON  TIZIAN.  WIEN,  GALERIE 


AUTORISIERTE  UBERTRAGUNG 
VON   ROSA   SCHAPIRE 


FttNFTES   BIS  SIEBENTES  TAUSEND 
COPYRIGHT  1921  BY  GEORG  MtTLLER  VERLAG  A.-G.,  MCNCHEN 


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Library 

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INHALTSVERZEICHNIS 


I.  Land  und  Leute     i 

II.  Niccolo  III 19 

III.  Lionello    38 

IV.  Borso 52 

V.  Ercole  1 70 

VI.  Matteo  Maria  Bojardo no 

VII.   Das  junge  Ferrara  ..  ..  : 133 

VIII.   Lucrezia   Borgia    158 

IX.  Ariosto 206 

X.  Renata  di  Francia 240 

XI.  Alfonso  II 310 

XII.  Torquato  Tasso 336 

XIII.  Finis  Ferrariae 393 

XIV.  Hofisches   Leben    407 

XV.  Die  Kunst  wird  weltlich 475 

Literaturnachweis     527 

Register 535 

Verzeichnis  der  Abbildungen 543 

Stammtafel  der  Este am  SchluB 


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Dieses  Werk  wurde  im  Auftrag  des  Verlages  Georg  Miiller 
in  Munchen  bei  Manicke  und  Jahn  in  Rudolstadt  im 
Jahre  1921  gedruckt.  Titelrahmen  von  Eugen  Staib.  Den 
Einband  besorgte  die  Buchbinderei  Hiibel  und  Denck 
in  Leipzig  nach   Entwiirfen  von   Professor   Peter  Halm 


FRANCESCO  COSSA:  ALLEGORIE  DES  HERBSTES 
BERLIN,  KAISER-FRIEDRICH-MUSEUM 


ERSTES  KAPITEL 

LAND  UND  LEUTE 


i 


Is  bescheidener  FluB  kommt  der  Po  nach  Pavia,  aber 
nachdem  er  sich  dort  am  Tessin  gesattigt,  durch  die 
zahlreichen  Zufliisse  aus  Alpen  und  Apenninen  ver- 
groBert,  Adda  und  Trebbia  in  der  Gegend  von  Pia- 
cenza  und  Cremona  verschlungen,  wird  er  zum  Herrn 
der  ganzen  lombardischen  Ebene,  er  verleiht  ihr  ein  be- 
sonderes  Geprage,  gestaltet  sie  zum  ungeheuren  Facher,  zu  einem 
Stuck  fruchtbaren  Landes,  dem  er  neueKrafte  aus  den  Bergen  zutragt. 
Mailand,  Brescia,  Verona,  Padua  und  Venedig  auf  der  einen, 
Piacenza,  Parma,  Modena,  Bologna  und  Ravenna  auf  der  anderen 
Seite  sind  die  Edelsteine,  die  diesen  Facher  doppelt  einfassen.  In 
der  Mitte  strahlen  noch  zwei  Brillanten  besonderer  Art:  Mantua 
und  Ferrara.  Reist  man  im  Friihling  durch  diese  Ebene,  so  hat 
man  das  eintonige  Bild  eines  fast  uberschwemmten  Landes.  Uberall 
Wasser;  aus  den  Siimpfen  steigen  kahle  Erlen  auf;  auf  den  mit 
Axt  und  Schere  zurechtgestutzten,  zwergartigen  Stammen  sitzen 
seltsame  Medusenhaupter,  dazwischen  stehen  schlanke,  bis  auf  die 
Krone  beschnittene  Pappeln  —  Wandervogeln  auf  ihrer  Reise  gen 
Norden  eine  beliebte  Rast.  Vertrocknete  Weinranken,  die  sich 
traurig  an  Baumen  festgeklammert,  oder  starrende  Stengel  von 
blassem  Mais  verstarken  den  Eindruck  der  Verwahrlosung  und  Ode 
an  diesen  verschlammten  Teichen.  Aber  iippige,  gelbe  Blumen 
und  lachelnde  Pfirsichbaume  im  Bliitenschmuck  verraten,  daB  das 
Wasser  des  gesegneten  Po  nur  voriibergehend  die  Gegend  iiber- 
schwemmt,    daB    eine    reiche    Reis-    und    Weizenernte    bevorsteht, 


2  ERSTES   KAPITEL 

daB  uort,  wo  heute  trages  Wasser  steht,  im  Herbst  ein  Quell 
purpurnen  Weines  flieBen  wird.  In  der  Sonne  liegt  die  Zukunft,  im 
strahlenden  Himmel,  der  der  Landschaft  einen  heiteren,  hoffnungs- 
freudigen  Zug  gibt,  trotz  aller  Einsamkeit  und  Verwahrlosung. 
Schon  im  nachsten  Monat,  im  Mai,  hat  die  Sonne  iiber  das 
Wasser  gesiegt;  in  der  Luft  feuchte,  dufterfiillte  Diinste,  und  das 
Summen  der  Insekten  klingt  wie  ein  leises  Spiel.  Die  Atmosphare 
zittert  unter  den  Strahlen  eines  wechselnden  Lichtes,  das  die  feuchte, 
schwiile  Luft  durchdringt. 

Vielleicht  ist  die  Landschaft  im  Herbst  am  schonsten:  das 
Wasser  ist  in  das  FluBbett  des  Po  und  in  die  Kanale,  die  die  ganze 
Ebene  durchschneiden,  zuriickgetreten;  warme,  gelbe  und  blutig- 
braunliche  Farben  decken  das  Gelande,  zwischen  Himmel  und  Erde 
hangt  ein  ruhiges,  rdtliches  Licht.  Nach  der  Arbeit  ruht  die  Natur, 
lebt  der  Kontemplation.  Von  Baum  zu  Baum  ranken  sich  Wein- 
reben,  dazwischen  stehen  Menschen  in  bunten  Kleidern  und  weiBen 
Strohhiiten,  und  ein  melancholischer  Esel  rupft  trockene  Krauterr 
ohne  seiner  Umgebung  zu  achten.  Hier  und  da  liegen  auf  den 
Ackern  prachtvolle  Melonen  von  seltsamen  Formen,  und  schon 
wirft  der  von  vier  oder  sechs  Ochsen  gezogene  Pflug  die  zur  winter- 
lichen  Aussaat  bestimmten  fetten,  schwarzen  Schollen  auf.  Auf  den 
flachen  Dachern  der  gemauerten,  rot  oder  blau  gestrichenen  Hauser 
hangen  lange  Maiskranze,  um  in  der  Sonne  zu  reifen.  Auf  den 
Kanalen  gleiten  schwere  Barken,  mit  Korben  voll  Weintrauben  be- 
laden,  langsam  treiben  sie  nach  dem  Po,  den  Lebensnerv  des  Landes. 

Ackerland  ohne  Industrie;  erst  in  der  Gegend  von  Bologna, 
Ravenna  und  Ferrara,  dem  Meere  nahe,  ragen  Fabrikschlote. 

Anders  hat  die  Po-Ebene  im  XV.  und  XVI.  Jahrhundert  aus- 
gesehen,  sie  war  dicht  bewaldet  und  reich  an  Wild.  Im  Dickicht 
bargen  sich  Hirsche,  Rehe  und  Hasen,  im  Gebusch  Rebhuhner  und 
Fasane,  Wildschweine  verheerten  die  Gegend,  und  Fuchs  und  Bar 
waren  nicht  selten.  Ein  wirklicher  Schmuck  der  Felder  waren 
wilde  Pfauen.  Benvenuto  Cellini  erzahlt,  daB  er  im  Jahre  1540, 
krank  und  angegriffen,  iiber  Felder  in  der  Nahe  der  Estensischen 
Palaste  ging.  Meilenweit  kahle  Strecken,  dort  nisteten  wilde 
Pfauen.     Der  Kiinstler  lud  seine  Flinte  mit  Pulver,  das  nur  wenig 


LAND  UND  LEUTE  3 

Larm  machte,  lauerte  den  jungen  Vogeln  auf  und  brachte  taglich  ein 
Tier  in  die  Kiiche.  Er  versichert,  daB  das  Pfauenfleisch  ausgezeichnet 
geschmeckt  und  ihn  von  all  seinen  Schmerzen  schnell  befreit  habe. 

Damals,  im  Beginn  des  XVI.  Jahrhunderts,  konnte  man 
Italien  noch  nicht  das  Land  nennen,  wo  „im  dunkeln  Laub  die 
Goldorangen  gliihen",  denn  die  siiBe  Orange  (Citrus  aurantium 
dulcis)  wurde  erst  zu  Anfang  des  XVI.  Jahrhunderts  aus  Spanien 
nach  Italien  eingefiihrt.  Das  Klima  der  Po-Ebene  war  ziemlich 
rauh,  haufig  fror  der  FluB  im  Winter  zu,  und  uber  Schneestiirme 
in  den  Stadten  berichten  die  Chronisten  nicht  eben  selten. 

Es  gibt  eine  Art  von  Fischadlern  mit  Raubtieraugen  (Aquila 
heliaca),  die  ihre  Nahrung  uber  dem  Wasser  suchen  und  in  alten 
Baumen  nisten.  Rittergeschlechter,  die  diesen  Adlern  gleichen, 
hatten  sich  damals  in  dem  gesegneten  Lande  angesiedelt  und  un- 
geheure  Nester  gebaut;  Schldsser,  mit  Graben  von  faulendem 
Wasser  umstanden,  wurzelten  tief  im  Boden.  Nahrungsmittel  gab 
es  im  UberfluB,  denn  damals,  als  man  nur  wenig  Getreide  aus 
fernen  Landern  einfiihrte,  als  Amerika  noch  nicht  Europas  Ge- 
treidemarktwar,  war  die  Po-Ebene  Italiens  unerschopflicher  Speicher, 
und  die  kraftige  und  umsichtige  Bevolkerung  ein  zuverlassiges 
Arbeitskapital.  Ein  tiichtiges  Volk,  dem  der  geniale  Zug  nicht 
fehlte;  eine  nicht  geringe  Anzahl  bedeutender  Manner  stammt  aus 
der  Po-Ebene.  Das  Menschenmaterial  neigt  dort  nach  Carduccis 
Wort  zum  Uberschaumen. 

Das  groBte  Nest  der  Adlerritter  am  unteren  Po  war  im  XV. 
und  XVI.  Jahrhundert  Ferrara,  an  jenem  Punkte  gelegen,  wo  der 
FluB  anfangt  sich  in  zahlreiche  Arme  zu  spalten  und  ein  morastiges 
Delta  zu  bilden.  Die  Gonzaga  siedelten  sich  uber  dem  Minciosee 
in  Mantua  an,  die  kleineren  Geschlechter  der  Pio,  Pico,  Palla- 
vicini,  Correggio  verschanzten  sich  hinter  SchloBmauern  in  Carpi, 
Mirandola,  Corte  Maggiore  und  Correggio,  andere  zogen  bis  auf 
den  Apennin,  wie  die  Bojardo  in  Scandiano. 

Wie  iiberall  in  der  Po-Ebene  kampften  auch  in  Ferrara  lange 
Zeit  die  freien  Gemeinden  mit  den  ubermiitigen  Rittergeschlechtern, 
bis  die  Stadte  unterlagen.  Die  Ferraresen,  friedfertig  wie  jede 
ackerbautreibende   Bevolkerung,   wenig  im   Kampfe   geiibt,  waren 


4  ERSTES   KAPITEL 

nicht  schwer  zu  besiegen.  Frdsche  wurden  sie  in  Italien  genannt, 
da  sie  sich  zwischen  Kanalen  und  Siimpfen  angesiedelt  hatten;  der 
dem  Ohr  gelaufigste  Klang  war  das  Quaken  der  Frdsche,  und  als 
besonderer  Leckerbissen  gait  ein  Froschragout. 

Quanto  e  felice  dun  que  il  ferrarcie 

U'  canton  d'  ogn'  intorno  in  mille  tempre 

Botter  rane  e  ranocchi  alle  sue  spese. 

Die  Ferraresen  pflegten  zu  antworten,  daB  nicht  allein  ihre 
Frosche  gut  seien,  auch  ihr  Wein  sei  beruhmt,  und  Wurste  und 
Salami  schmackhaft.  Ubrigens  fing  man  in  den  Lagunen,  in  Co- 
macchio,  Aale  in  groBer  Zahl,  die  mariniert  und  nach  ganz  Italien 
verschickt  wurden.  Als  Eleonora  von  Aragon  zu  den  Herren  von 
Rimini  in  freundschaftlichen  Beziehungen  stand,  schickte  sie  ihnen 
jahrlich  an  hundert  eingemachte  Aale  und  bekam  ausgezeichnete 
getrocknete  Feigen  als  Gegengabe.  Die  durch  den  Aalfang  erzielte 
Einnahme  floB  wahrscheinlich  urspriinglich  der  Gemeinde  zu,  spater 
eigneten  die  Markgrafen  sie  sich  an;  sie  war  so  bedeutend,  daB 
es  allgemein  hieB,  wer  nur  fur  ein  Jahr  von  der  Regierung  das 
Recht  erlange,  diesen  begehrten  Fisch  zu  fangen,  werde  zum  reichen 
Mann.  Gegen  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  erzahlte  man  von  einem 
Bartolommeo  di  Orlando,  der  dies  Recht  fur  kurze  Zeit  gepachtet 
und  30  000  Dukaten  verdient  hatte.  Im  Po  wurden  auch  Store 
gefangen,  und  ihr  zu  Kaviar  verarbeiteter  Rogen  war  ein  bedeuten- 
der  Handelsartikel.  Ferner  gehorten  die  Salzsiedereien  zwischen 
Comacchio  und  dem  Stadtchen  Adria  zu  den  Schatzen  des  Landes. 
Unter  Ercole  I.  berichtet  der  venezianische  Gesandte  seiner  Regie- 
rung,  daB  der  Herzog  eine  jahrliche  Einnahme  von  200000  Dukaten 
aus  seinen  Salzwerken  beziehe.  Venedig  hatte  es  noch  nicht  ver- 
schmerzt,  daB  diese  Lagunen  an  Ferrara  gefallen  waren,  da  diese 
Stadt  im  Salzhandel  ein  nicht  zu  unterschatzender  Rivale  im  Orient 
geworden  war.  Uberhaupt  hat  Comacchio,  ein  heute  verfallenes 
Stadtchen,  seine  Epoche  des  Glanzes  gehabt  und  sich  in  byzan- 
tinischer  Zeit  sogar  mit  Venedig  messen  konnen.  Aus  diesen 
Tagen  des  Glanzes  stammt  ein  verfallener  Dom  und  ein  Campanile, 
der  fast  Ruine  ist. 


LAND  UND  LEUTE  5 

Beides  brachte  der  Po  dem  Lande:  Reichtum  und  Ungliick. 
Auf  dem  Architrav  eines  der  Domportale  ist  die  Inschrift  ein- 
gegraben,  gleichsam  als  Schmerzensschrei  der  Bevolkerung: 

,,Ab  aquis  multis  libera  nos  Domine" 

Vor  den  groBen  Uberschwemmungen  schiitze  uns,  Herr. 

Im  Ferraresischen  wurde  Vieh  geziichtet,  es  gab  viel  Wiesen- 
land,  und  Pflanzen  zum  Farben  der  Wolle  wurden  angebaut;  wie 
in  den  iibrigen  Hauptstadten  des  nordlichen  und  mittleren  Italiens 
gehorte  das  Verarbeiten  der  Wolle  ,,1'arte  della  lana"  zu  den  altesten 
und  den  bedeutendsten  Gewerbezweigen.  Weben  war  die  Haupt- 
beschaftigung  der  Frauen,  und  auch  in  Ferrara  war  es  der  Ruhm 
der  Frau,  das  Haus  zu  hiiten  und  Wolle  zu  spinnen  ,,domum  mansit, 
lanam  fecit".  Selbst  nach  England  und  Holland  wurde  Tuch  ex- 
portiert,  und  die  Bevolkerung  von  Ferrara  gait  seit  jeher  als  gewerbe- 
treibend  und  fleiBig:  Stecknadeln,  Nadeln  und  Waffen  wurden  her- 
gestellt,  und  im  Gerben  von  Fellen  hatte  man  es  zu  einer  gewissen 
Beriihmtheit  gebracht. 


II 

Wenn  Ferrara  amHorizontauftaucht,  so  sieht  manschon  aus  der 
Feme  ein  groBes  Gebaude,  von  vier  breit  ausladenden  Turmen 
flankiert,  das  sich  iiber  der  Stadt  erhebt  und  fast  die  ganze  Ebene 
beherrscht.  Es  ist  das  Kastell  der  Este,  drohend  und  finster,  in 
seiner  Bauart  verwandt  den  Schlossern  der  Visconti  und  Sforza 
in  Mailand  und  Pavia,  der  Burg  der  Gonzaga  in  Mantua, 
aber  geschlossen,  da  nach  einem  einheitlichen  Plan  errichtet.  Das 
Gebaude  tragt  das  Geprage  der  hier  herrschenden  despotischen 
Regierung.  Das  Rathaus  in  Florenz  und  Siena  oder  der  Palast 
der  Dogen  zu  Venedig  offenbaren  trotz  ihrer  Strenge  die  stadtische 
Republik,  die  nicht  durch  eine  Mauer-vom  Volk  geschieden  war, 
das  SchloB  zu  Ferrara,  das  wie  eine  befestigte  Burg  von  der  Stadt 
abgegrenzt  ist,  verkundet  schon  von  weitem  die  rucksichtslose 
Herrschaft  des  Schwertes.    Das  SchloB  ist  aus  Backsteinen  errichtet, 


6  ERSTES  KAPITEL 

da  das  Land  wenig  Sandstein  hergibt,  umgeben  von  Graben  mit 
griinlich  schimmelndem  Wasser,  das  aus  dem  nahen  Po  stammt, 
der  die  Gegend  mit  Fieberdiinsten  schwangert.  Unmittelbar  iiber 
die  Oberflache  des  Wassers  sehen  winzige  vergitterte  Gefangnis- 
fenster  aus  den  Mauern;  Schlangen  und  Ratten  waren  die  alleinigen 
Gefahrten  der  hier  Eingekerkerten.  Hoch  iiber  diesen  Tranen- 
lochern  ragen  die  schonen  breiten  Fenster  der  Fiirstenzimmer, 
dort  wurden  Feste  und  Gastmahler  gefeiert  und  iiber  den  Kopfen 
der  Gefangenen  getanzt. 

Zugbriicken  fiihrten  friiher  iiber  die  Graben,  heute  verbinden  ge- 
wohnliche  Briicken  die  Stadt  mit  dem  Sitz  des  Prafekten  und  den 
Gerichtsgebauden.  Auch  die  Schutzmauer,  die  die  Graben  einfaBt, 
existierte  friiher  noch  nicht;  jetzt  sitzen  dort  friedlich  angelnde 
Ferraresen  iiber  dem  stehenden  Wasser.  Noch  im  Jahre  1506 
waren  diese  fehlenden  Mauern  der  AnlaB  eines  groBen  Ungliicks.  Im 
eisernen  Kafig  hing  ein  Gefangener  an  der  AuBenmauer  des  Kastells; 
als  die  Signora  Turchi  Sacrati  mit  vier  Donzellen  vorbsifuhr,  fesselte 
dieser  seltsame  Anblick  den  Kutscher  so  sehr,  daB  er  mit  Pferd 
und  Wagen  in  den  SchloBgraben  hineinfuhr  —  ein  Teil  der  Ge- 
sellschaft  kam  dabei  urns  Leben. 

Die  Kastellmauern  sehen  heute  weniger  finster  aus  als  gegen 
Ende  des  XV.  Jahrhunderts,  als  sie  nach  den  Planen  eines  bekannten 
Architekten,  Bartolino  da  Novara  (1385),  errichtet  wurden.  Die 
vordringende  Renaissance  hat  ihnen  ihre  Strenge  genommen, 
zweimal  wurden  groBere  Veranderungen  vorgenommen,  einmal 
nach  der  Feuersbrunst  im  Jahre  1554,  dann  nach  dem  Erdbeben 
von  1570.  Namentlich  der  letzte  Architekt,  Alberto  Schiatti,  hat 
die  alten  Formen  liebenswiirdiger  gestaltet,  die  Basteien  wurden 
niedriger,  und  Fenster  und  Tiiren  durch  Renaissanceornamente  ab- 
gerundet.  Damals  verschwanden  die  prachtvollen  Treppenstufen, 
die  ,,cordonata",  auf  denen  die  Este  zu  Pferde  bis  in  den  ersten 
Stock  des  Schlosses  gelangen  konnten;  selbst  in  die  unterirdischen 
Gelasse  der  Gefangenen  drang  seit  1592  ein  Klang  der  AuBenwelt, 
da  man  aus  Flandern  eine  Uhr  einfiihrte,  die  nach  nordischer  Art 
jede  Stunde  mit  Glockenmusik  verkiindete;  sie  fand  ihren  Platz 
auf   dem   SchloBturm   ,,di   Rigobollo".      Trotz   dieser   Anderungen 


LAND  UND  LEUTE  7 

verlor  das  Schlofi  nichts  von  seiner  Wucht,  es  driickt  in  seltsamer 
Weise  das  Wesen  der  Herzoge  aus,  denen  es  diente. 

Dem  alten  SchloB  der  Este  gegeniiber  steht  der  Dom,  eines 
der  eigenartigsten  Gebaude  Italiens.  Namentlich  die  Fassade,  an 
der  Jahrhunderte  gearbeitet  haben,  hat  etwas  so  Phantastisches  und 
gleichzeitig  so  Harmonisches  mit  ihren  leichten  lombardischen 
Galerien,  daB  die  mittelalterliche  religiose  Strenge  angesichts  dieser 
Mauern  zu  schwinden  scheint.  Die  Priester  haben  hier  mehr  von 
christlicher  Liebe  und  Mildtatigkeit  gesprochen,  als  das  Volk  mit 
den  Qualen  der  Holle  geschreckt.  Kein  Maler  hatte  gewagt,  auf 
diesem  roten  Marmor  den  Totentanz  darzustellen,  hier  ware  hoch- 
stens  fur  eine  Verkiindigung  Platz  gewesen.  Heiterkeit  spricht 
aus  dieser  Fassade,  namentlich  wenn  ihre  rotlichen  Tone  in  der 
Sonne  leuchten.  Besonders  reizvoll  ist  das  Hauptportal.  Die 
Saulen  ruhen  nach  romanischer  Art  auf  zwei  sitzenden  Riesen, 
denen  als  Sockel  zwei  groBe  sanfte  Lowen  dienen,  gleichsam 
das  Symbol  des  ruhigen,  schweigenden  und  starken  Volkes  von 
Ferrara. 

Der  Dom  stammt  aus  dem  Ende  des  XII.  Jahrhunderts  und 
wurde  schon  1135  dem  heiligen  Georg,  dem  Schutzpatron  der  Stadt, 
geweiht.  Ein  Relief,  das  ihn  im  legendarischen  Kampf  mit  dem 
Drachen  darstellt,  zeigt,  daB  wir  hier  unter  dem  Zeichen  jenes 
Heiligen  stehen,  der  gewissermaBen  mit  den  Begriffen  mittelalter- 
lichen  Rittertums  verwachsen  ist.  II  cavalier  dei  santi,  il  santo 
dei  cavalieri.  tiber  dem  Portal  in  streng  romanischem  Stil  er- 
heben  sich  drei  Arkaden,  die  schon  spateres  gotisches  Geprage 
tragen.  In  der  Mittelnische  verbirgt  sich  die  Statue  einer  Ma- 
donna, tiber  den  Arkaden  ein  breiter,  skulpierter  Fries  mit 
Szenen  aus  dem  Jiingsten  Gericht,  dariiber  ein  dreieckiges  Tympanon 
mit  dem  segnenden  Christus.  Sehr  interessant  ist  die  Wand 
rechts  vom  Hauptportal.  Aus  einem  runden  Medaillon  taucht 
die  groBe  Biiste  einer  schonen,  weltlichen  Frau  auf,  und  dieses 
ratselhafte  Haupt  hat  keinen  eigentlichen  Zusammenhang  mit 
der  Heiligkeit  der  Mauern.  Die  gedruckten  Fiihrer  nennen  sie 
die  Madonna  von  Ferrara  und  halten  sie  fur  die  Personi- 
fikation    der    Stadt.     Dieser    Einfall    ist    jedoch  am  griinen  Tisch 


g  ERSTES  KAPITEL 

ersonnen,  das  Volk  kennt  die  Bezeichnung  Madonna  von  Ferrara 
nicht,  und  wen  der  Kopf  darstellt,  ist  unbekannt. 

Der  Dom  hatte  fiinf  Portale  von  symbolischer  Bedeutung. 
Durch  das  Hauptportal  trat  Christus  ein,  urn  seine  Lammer  zu 
weiden,  gemaB  den  Worten,  daB  er  das  Himmelstor  fur  seine  Herde 
sei.  Die  kleineren  Seitentiiren  waren  fiir  das  Volk  bestimmt,  die  eine 
fur  die  Manner,  die  andere  fiir  die  Frauen.  Durch  die  vierte  Tur 
,,delle  guide"  kamen  die  Pilger,  die  ins  Heilige  Land  oder  nach 
anderen  wunderbaren  Orten  wallfahrten  wollten;  das  letzte  Tor,  die 
,, porta  del  Giudico",  hatte  den  traurigsten  Zweck:  die  Toten  wurden 
von  hier  aus  auf  den  Friedhof  getragen.  Im  Innern  gleicht  das 
Heiligtum  den  Kathedralen  von  Modena  und  Piacenza.  Wie  in 
vielen  anderen  romanischen  Domen  beruht  das  Prinzip  des  Baues 
von  Ferrara  auf  dem  agyptischen  Dreieck;  den  Hauptarm  bildet 
die  untere  Breite  des  Gebaudes,  die  beiden  kleineren  Arme  ver- 
einigen  sich  vor  dem  Gewolbe  des  Heiligtums.  Die  Basis  der  geo- 
metrischen  Figur  verhalt  sich  zu  den  zwei  auf  ihr  ruhenden  Armen 
wie  8:5.  Der  Zweck  dieses  dreieckigen  Verhaltnisses  ist  unbekannt, 
vielleicht  haben  die  auf  diese  Weise  auseinandergezogenen  Mauern 
die  Kraft  des  Gebaudes  verstarkt,  jedenfalls  stiitzt  es  sich  auf  die 
architektonische  Tradition  der  Komasken. 

Ferrara  war  eine  Palast-  und  Gartenstadt,  das  ist  noch  heute 
erkenntlich,  aber  die  langen  schnurgeraden  StraBen  machen  einen 
auBerordentlich  melancholischen  Eindruck,  namentlich  im  neueren 
Teil,  der  nach  der  Regierung  Ercoles  I.  im  Ende  des  XV.  Jahr- 
hunderts  angelegt  wurde.  Zwischen  den  Pflastersteinen  stehen 
Grashalme;  selten  huscht  eine  verlorene  menschliche  Gestalt  iiber 
die  StraBe,  oder  eine  Katze,  aufgescheucht  durch  die  Schritte  des 
Fremden,  verschwindet  hinter  dem  Pfeiler  des  nachsten  Hauses. 
In  den  wenigsten  StraBen  standen  ansehnliche  Gebaude.  Hinter 
dem  Palast  stehen  kleine  Hauser,  dahinter  ragt  das  Gitter  des  stolzen 
Parkes  mit  seinen  weitausgreifenden  alten  Baumkronen,  dann 
kommt  wieder  ein  Palast  und  wieder  elende  Mietshauser.  Ferrara 
ist  die  Stadt  stolzer,  reicher  Geschlechter  und  einer  armen  Be- 
volkerung.  In  jenen  Palasten  und  Garten  spielte  sich  einst  ein 
buntbewegtes  Leben  ab,  am  Abend  Musik  und  Gesang,  durch  die 


SE1TENP0RTAL  DES  DOMES  ZU  FERRARA 


LAND  UND  LEUTE  9 

langen    Strafien    drangte    sich    frohliches    Volk;    die    Este    sorgten 
dafiir,  daB  auch  der  gemeine  Mann  seine  Freude  habe. 

Onde  stagione  fu  di  gloria,  e  corse 
Con  il  tuo  fiume,  o  fetontea  Ferrara 
Ampio,  seren,  perpetuo,  sonante  1'  italo  canto. 

(Carducci.) 

Weder  so  groB  noch  so  gewaltig  wie  in  Rom  und  Florenz 
sind  Ferraras  Palaste,  aber  durch  das  schimmernde  Griin  der  Garten 
sind  sie  jenen  iiberlegen.  Der  vorziiglich  erhaltene  ,, Palazzo  dei 
Diamanti",  in  dem  die  Gemaldegalerie  untergebracht  ist,  gehort 
zu  den  allerschonsten.  Nach  einem  seltsamen  Einfall  Ercoles  I. 
wurde  die  marmorbekleidete  Fassade  nach  Art  geschliffener 
Diamanten  bearbeitet.  Zwdlftausendsechshundert  Marmorbldcke 
wurden  in  diese  „Diamant"-Wande  eingelassen;  dieser  Stein  war 
Ercoles  Wahrzeichen.  Die  geschlossene  Harmonie  dieser  stolzen 
Fassade  wurde  durch  an  sich  gute,  aber  einen  ganz  anderen, 
leichteren  Charakter  tragende  Eckpilaster  zerstort.  Dagegen  ist 
der  Hof  des  Palastes  von  groBem  Reiz,  beim  Anblick  der  schlanken 
Saulen,  die  sich  vom  frischen  Griin  abheben,  vergiBt  man  den 
Widerspruch  der  Fassade. 

Ein  gemeinsames  kiinstlerisches  Geprage  eignet  alien  Palasten 
in  Ferrara:  sie  sind  nicht  so  hoch  aufstrebend  wie  in  Rom,  Genua 
oder  Siena  und  bestehen  nur  aus  einem  Parterre  und  ersten  GeschoB; 
harmonische  Verhaltnisse,  groBe  Fenster,  schone,  strenge  und  reiz- 
volle  Hofe  bilden  ihren  Schmuck.  In  seinen  architektonischen  Ver- 
haltnissen  steht  dem  ,, Palazzo  dei  Diamanti"  am  nachsten  der 
Palazzo  Sacrati  Prosperi  mit  schonen  Ornamenten.  Das  Portal  ist  von 
zwei  korinthischen  Saulen  eingefaBt,  auf  denen  ein  Balkon  ruht. 
Es  ist  ein  kostbares  Werk  der  Renaissance  von  wundervoller  Har- 
monie und  Freiheit  in  der  Komposition.  Ich  erinnere  mich  keines 
zweiten  Tores  in  Italien,  das  ein  so  kostliches  Dokument  jener  Zeit 
ist.  Der  Palazzo  Roverella,  mit  Terrakottapilastern  und  Friesen,  ist 
ein  typisches  Beispiel  fur  die  Hauser  der  reichen  Geschlechter 
Ferraras.  Der  Palazzo  Naseli  Crispi  mit  schdnem  Hof  zeichnet  sich 
gleichfalls    durch    Harmonie    der    Verhaltnisse   aus;    wahrend    die 


I0  ERSTES  KAPITEL 

sogenannte  ,,Palazzina",  ein  niedriges  Gebaude,  das  letzte,  das  die 
Este  in  Ferrara  errichteten,  in  trostlos  verfallenem  Zustand  ist. 
Der  Palazzo  Bentivoglio  dagegen  ist  schon  der  Typus  des  Barock- 
hauses;  aus  der  Renaissance  haben  sich  zwar  die  Hauptformen  er- 
halten,  aber  die  schweren,  iiberladenen  Ornamente  der  Fassade 
atmen  anderen   Geist. 


Ill 

Die  Este  waren  ein  strenges,  kriegerisches,  begabtes  Geschlecht. 
Manner,  die  sich  im  Krieg  und  Rat  bewahrt  und  Italiens  Ruhm 
gemehrt  haben,  entstammen  diesem  Hause. 

I  capitani  e  i  cavalier  robusti 

Quindi  uscivan  che  col  ferro  e  col  senno 

Ricuperar  tutti  gli  onor  vetusti 

Dell'  Arme  invite  alia  sua  Italia  denno. 

(Ariost.) 

Ariosts  Worte  sind  nicht  iibertrieben.  Markante  Gestalten  sind 
aus  diesem  Geschlecht,  das  Ferrara  drei  Jahrhunderte  beherrscht 
hat,  hervorgegangen,  und  wenn  wir  die  sieben  Fiirsten,  in  deren 
Handen  die  Herrschaft  im  XV.  und  XVI.  Jahrhundert  gelegen  hat, 
an  uns  vorbeiziehen  lassen,  es  sind  in  sich  geschlossene  Charak- 
tere,  Manner  aus  Stahl  und  Eisen.  Die  Este  haben  ihre  ausge- 
sprochene  Eigenart,  in  der  Politik  geschickt  und  verschlagen,  im 
Kriege  tapfer  und  kiihn;  die  Gabe  zu  herrschen  eignet  ihnen  trotz 
ihres  unbeugsamen  Despotismus  in  hohem  MaBe,  sie  waren  rach- 
siichtig  bis  zur  Grausamkeit,  und  ging  es  um  Macht  oder  um  ein 
Weib,  so  kannte  ihr  Zorn  keine  Grenze.  Nach  damaliger  Auf- 
fassung  religios,  alien  neuen  Stromungen  in  Kunst  und  Literatur 
zugangig,  fanatische  Verehrer  von  Musik  und  Gesang,  liebten  sie 
Luxus,  glanzende  Feste,  grandiose  Empfange  und  waren  leiden- 
schaftliche  Jager. 

Nach  den  Schmeichlern  entstammte  das  Geschlecht  der  Este 
den  Helden  aus  Karls  des  GroBen  Kreis.     Im  XIV.   Jahrhundert 


LAND  UND  LEUTE  H 

erweiterten  ihre  Feinde  die  Uberlieferung  dahin,  daB  ihr  Stammvater 
der  Treubriichige  aus  Roncesvalles,  Gano,  der  Verrater  sei,  der 
Judas  des  Epos;  nach  dieser  Tradition  hatten  sie  urspriinglich  im 
Wappen  nicht  den  Adler,  sondern  nur  einen  Falken  gefiihrt.  Das 
Geschlecht  entstammt  dem  Stadtchen  Este. 

Die  Markgrafin  Mathilde  hatte  Ferrara  der  romischen  Kurie 
verschrieben,  aber  da  die  Papste  ihre  unmittelbare  Gewalt  dort  nicht 
behaupten  konnten,  muBten  sie  das  Land  als  Lehen  vergeben. 
Neben  den  Fiirsten  von  Savoyen  gehorten  die  Este  zu  den  altesten 
Geschlechtern  im  Norden  Italiens;  ein  Zweig  der  Familie  hatte  sich 
in  Ferrara  niedergelassen,  war  zu  groBer  Macht  gelangt  und  hatte 
dort  mit  nur  geringen  Unterbrechungen  schon  seit  dem  Beginn  des 
XIII.  Jahrhunderts  geherrscht.  Ihr  Hof  war  seit  undenklichen 
Zeiten  von  den  Sitten  und  Legenden  der  westlichen  Ritterschaft 
durchsetzt.  Die  Este  gefielen  sich  in  Turnieren  und  lebten  in  fran- 
zosischen  Traditionen.  Da  die  Lombardei  Frankreich  so  nahe 
liegt  und  zahlreiche  vornehme  Geschlechter  dort  ihren  Wohnsitz 
haben,  war  franzosischer  Sitte  und  dem  Ritterroman  seit  jeher  im 
Norden  eine  Statte  bereitet.  Durch  die  Po-Ebene  zogen  die  Kreuz- 
ritter  aus  dem  Westen  ins  Heilige  Land,  und  ihre  Erzahlungen 
gingen  von  Mund  zu  Mund.  Zu  Beginn  der  Kreuzziige,  als  noch 
heiBes  Feuer  in  der  Ritterschaft  brannte,  bildeten  sie  ihr  Ideal 
nach  den  Gestalten  aus  dem  Kreise  Karls  des  GroBen  und  dem 
Rolandslied.  Ihrer  Stimmung  entsprachen  die  heldenhaft-patrio- 
tischen  Kriege  und  Taten  der  Gefahrten  des  groBen  Kaisers;  aber 
als  das  Feuer  erlosch  und  ihre  Sitten  sanfter  wurden,  geschah  ein 
gleiches  mit  ihren  Romanen,  an  Stelle  der  ehernen  Paladine  Karls 
des  GroBen  traten  Tristan  und  Lancelot,  Konig  Artus'  Gefahrten, 
und  die  Losung  der  Ritter  ward  Mut,  verbunden  mit  hofischer  Sitte, 
der  cortesia.  Das  Ziel  ihrer  Kampfe  war  nicht  mehr  Vernichtung 
der  Unglaubigen,  eher  Kampf  zum  Schutze  einer  geliebten  oder 
bedrangten  Frau,  nicht  feindliche  Heere  beherrschten  ihre  Vor- 
stellung,  sondern  Drachen,  Riesen  und  Zauberer.  Der  neuen  Sitte 
und  dem  neuen  Roman  fehlte  bereits  der  hohe  Schwung  der  chanson 
de  geste.  Der  Helm  wurde  durch  das  Samtbarett  verdrangt,  und  das 
Turnier  lockte  mehr  als  der  Krieg. 


12  ERSTES   KAPITEL 

Dieser  Umschwung  der  Ritterschaft  vollzieht  sich  im  XIII.  Jahr- 
hundert  und  wird  in  Norditalien  so  allgemein,  daB  er  selbst  in  das 
Volk  dringt.  Wahrend  der  Feste,  die  1267  in  Venedig  anlaBlich  der 
Wahl  des  Dogen  Lorenzo  Tiepolo  gefeiert  wurden,  huldigten  alle 
Handwerkerkorporationen  dem  neuen  Machthaber.  Die  Barbiere, 
die  bekanntlich  mit  ihrer  Zeit  zu  gehen  wissen,  hatten  zwei  Mit- 
glieder  ihrer  Innung  als  irrende  Ritter  verkleidet,  zu  Pferde  mit  vier 
Jungfrauen  erschienen  sie  vor  dem  Dogen.  Befragt  erklarten  sie, 
daB  sie  diese  Unschuldigen  soeben  aus  den  Handen  der  Unglaubigen 
befreit  hatten  und  bereit  waren,  ihre  Ehre  gegen  jeden  Verleumder 
zu  schiitzen. 

Um  jene  Zeit  erstarkte  die  Macht  der  Este,  in  der  gesamten 
Lombardei  waren  sie  beruhmt.  Als  erste  fiihrten  sie  die  Trouba- 
dours aus  dem  sudlichen  Frankreich  ein  und  interessierten  sich  fur 
provenzalische  Poesie,  zur  Zeit  als  in  der  Mark  von  Treviso  — 
Amorosa  e  gioiosa  Marca  Trevigiana  — ,  dem  Ziel  der  Troubadours, 
diese  Poesie  noch  ganz  unbekannt  war. 

So  war  der  kluge,  schone  und  beredte  Azzo  VI.  von  Este  (gest. 
1212)  ,,pulcher,  formosus,  sapiens,  eloquens,  animosus"  im  ersten 
Jahrzehnt  des  XIII.  Jahrhunderts  bekannt  als  Verehrer  proven- 
zalischer  Poesie.  An  seinen  Hof  kam  der  Troubadour  Aimeric  de 
Peguilhan  und  besang  die  Reize  seiner  Tochter  Beatrice,  die  er 
die  schonste  Bliite  ihrer  Zeit  nannte. 

Na  Beatrix  d'  Est,  anc  plus  bella  flor 
De  nostre  tempo  no  trobei  meillor; 
Tan  ez  bona,  cum  plus  lanzar  vos  voill, 
Ades  i  trop  plus  de  be  qu'  eu  no  soill. 

Trotz  all  dieser  weltlichen  Vorziige  ging  Beatrice  ins  Kloster, 
vielleicht  aus  ungliicklicher  Liebe  zu  einem  Troubadour.  Sie  griindete 
das  Kloster  Johannes  des  Taufers  in  Padua  und  wurde  nach  ihrem 
Tode  heilig  gesprochen.  Die  Herrschaft  der  Este  steht  von  Anbeginn 
an  im  Zeichen  des  Frauenkultus,  der  ritterlichen  Tugenden  von  Konig 
Artus  und  im  Bilde  des  heiligen  Georg,  der  die  Jungfrau  vom  Dracheh 
befreit  hat.  Der  estensische  Hof  wird  sehr  bald  zum  Vorbild  ritter- 
licher  Sitte,  er  ist  der  typische  Renaissance-Hof  im  nordlichen  Italien. 


LAND  UND  LEUTE  13 

Die  dort  herrschende  Sprache  war  ein  franzosbrter  venezia- 
nischer  Dialekt,  voll  provenzalischer  Ausdriicke  und  Wendungen, 
die  norditalienischen  Ritter  machten  sich  diese  Ausdrucksweise  zu 
eigen.  In  der  Bibliothek  zu  Mantua  befindet  sich  ein  auBerordent- 
lich  wichtiger  Kodex;  der  provenzalische  Canzoniere,  eine  Art 
Anthologie  der  Troubadours  aus  dem  Jahre  1254  ist  in  den  Kreisen 
der  Romanisten  bekannt.  Nach  der  Tradition  soil  er  von  Ferrarino 
da  Ferrara  angelegt  sein,  einem  der  letzten  italienischen  Trouba- 
dours, der  am  Ende  des  XIII.  Jahrhunderts  lebte  und  der  Verfasser 
des  beruhmten  ,,Florilegio",  einer  Sammlung  provenzalischer 
lyrischer  Gedichte  ist.  Ferrarino  sang  am  Hofe  Azzos  VII.  und 
Obizzos  II.  ,,e  fo  giullar  et  intendez  meill  de  trobar  proensal  che 
fos  en  Lombardia". 

Obizzo  II.  war  der  Enkel  Azzos  VII.  und  der  gesetzmaBige 
Begriinder  der  Dynastie  der  Este  in  Ferrara.  Vor  ihm  herrschten 
die  Este  zwar  tatsachlich  in  Ferrara,  aber  erst  Obizzo  II.  hat  seine 
Macht  auf  legalen  Unterlagen  begriindet.  Am  17.  Februar  1264 
war  der  tote  Azzo  mit  groBem  Pomp  in  der  Kirche  von  S.  Francesco 
best  at  "et  worden;  man  beeilte  sich  mit  der  Wahl  des  neuen  Marchese, 
da  nach  altem  Brauch  die  Ratsglocke  das  Volk  und  die  ,,banditore" 
berief  und  auf  den  StraBen  verkiindete,  daB  man  sich  zur  neuen 
Wahl  riiste,  ehe  der  tote  Herrscher  begraben  war. 

Zum  Vormund  seines  minder jahrigen  Enkels,  dessen  Vater  in 
Siiditalien  vergiftet  worden  war,  hatte  Azzo  VII.  Aldingheri  de 
Fontana  ernannt,  einen  einfluBreichen  Edlen  und  Freund  der 
Familie.  Aldingheri  tat  auch  sein  moglichstes,  damit  Obizzo  ge- 
wahlt  werde.  Den  Platz,  auf  dem  abgestimmt  werden  sollte,  lieB 
er  von  Bewaffneten  umstellen,  Verdachtige  und  Manner  mit  Waffen 
wurden  nicht  zugelassen.  Der  Vormund  selbst  sprach  zu  den  Ver- 
sammelten,  pries  die  Vorziige  der  Este  und  beschwor  die  Ver- 
sammelten,  fur  Obizzo  zu  stimmen,  der,  trotz  seiner  siebzehn  Jahre, 
schon  ein  Muster  an  Verstand  und  Umsicht  sein  sollte.  Den  An- 
hangern  des  jungen  Marchese  wurden  Vergiinstigungen  versprochen, 
seinen  Gegnern  mit  Vernichtung  gedroht.  Das  Volk  fiigte  sich  der 
Obermacht,  wahlte  den  Jiingling  zum  Herrscher  und  iibertrug 
ihm,    nach   Aussage   der   Chronisten,    mehr    Gewalt   als   sie   selbst 


14  ERSTES  KAPITEL 

Gott  eignet,  denn  Gott  kann  keine  Ungerechtigkeiten  begehen, 
der  Marchese  aber  durfte  alles  tun,  was  ihm  beliebte,  Boses  und 
Gutes,  ,, omnia  possit,  justa  vel  injusta  pro  suae  arbitrio  volun- 
tatis". 

Die  Este  standen  in  Ferrara  an  der  Spitze  der  Guelfen  und 
galten  als  einer  der  Pfeiler  der  romischen  Kurie,  daher  hatte  der 
Papst  Urban  II.  nichts  gegen  die  Wahl  und  bestatigte  Obizzo  als 
seinen  Statthalter  in  temporalibus.  Obizzo  nannte  sich  durch  die 
Gnade  Gottes  und  der  apostolischen  Kurie  ewiger  Herr  von  Ferrara, 
Gouverneur,  Rektor  und  ,,generalis  et  perpetuus  Dominus  civitatis 
Ferrariae",  verpflichtete  sich  angesichts  des  Volkes,  die  stadtischen 
Institutionen  und  Freiheiten  zu  schiitzen,  und  berief  als  Zeugen 
dieses  Vertrages  die  heilige  Dreifaltigkeit,  die  Mutter  Gottes  und 
den  heiligen  Georg,  den  Schutzheiligen  der  Stadt.  Der  Vertrag 
wurde  mit  zwei  Wachssiegeln  versehen,  mit  dem  Siegel  der  Stadt 
in  Gestalt  des  heiligen  Georg  und  dem  Siegel  der  Este  mit  dem 
weiBen  einkopfigen  Adler.  Das  Ansehen  von  Obizzos  Vormund 
Aldingheri  stieg  jedoch  im  Laufe  der  Zeiten  dermaBen,  daB  der 
Marchese  seine  Macht  und  seinen  Erfolg  fiirchten  muBte,  ,,gloriam 
et  magnitudinem  tolerare  non  potuit",  so  lieB  er  ihn  auf  die  da- 
mals  iibliche  Weise,  durch  Gift,  beseitigen  und  verbannte  einen 
Teil  seiner  Familie  aus  dem  Bereich  des  Landes.  Einer  der  Al- 
dingheri nahm  seinen  Wohnsitz  in  Florenz  und  war  miitterlicher- 
seits  ein  Vorfahre  Dantes.  Seinen  Namen  und  Adel  trug  der  groBe 
Dichter.  Die  Herkunft  des  Dichters  erklart  auch,  weshalb  er  die 
Este  leidenschaftlich  haBte.  Zu  seinen  personlichen  kamen  auch 
noch  politische  Griinde;  fur  Dante  gait  der  Kaiser  als  der  Befreier 
Italiens,  wahrend  die  Este  sich  als  Guelfen  auf  das  Papsttum 
stiitzten.  Deshalb  setzt  Dante  Obizzo  in  die  Holle  neben  Ezzelino, 
den  Beherrscher  der  Mark  Treviso  und  den  groBten  Tyrannen  des 
mittelalterlichen  Italiens,  und  befiehlt  dem  Kentauren  Nessus,  auf 
denjenigen  von  ihnen,  der  sich  aus  dem  mit  kochendem  Blut  ge- 
fiillten  Abgrund  herauslehnen  wurde,  den  Pfeil  abzudriicken.  Der 
Dichter  weiB  keinen  anderen  Unterschied  zwischen  ihnen  zu  finden 
als  den,  daB  Ezzelino  schwarze  Locken  habe,  wahrend  man  Obizzo 
an  seinem  blonden  Haar  erkennen  konne. 


LAND  UND  LEUTE  15 

Obizzo  hatte  zwei  Frauen,  aber  die  Chronisten  berichten 
weniger  von  seinen  Gattinnen  als  von  seiner  Geliebten,  der  schonen 
von  Dante  besungenen  Ghisolla.  Dante  verbannt  Caccianimico 
Venedico  in  die  Holle,  weil  er  die  Frau  durch  List  bewogen  hat, 
sich  dem  Marchese  hinzugeben. 

Die  Art,  wie  die  Papste  die  ferraresischen  Herrscher  mit  ihrer 
Wurde  belehnt  haben,  wurde  der  AnlaB  vieler  blutiger  Tragodien. 
Rom  hielt  sich  namlich  nicht  an  den  Erstgebornen  unter  den  Sohnen 
des  verstorbenen  Herrschers,  betrachtete  selbst  die  Nachfolge  in 
direkter  Linie  nicht  als  verbindlich,  sondern  bestatigte  willkiirlich 
je  nach  der  momentanen  Lage  entweder  den  unehelichen  Sohn 
oder  sogar  die  Briider  des  verstorbenen  Herrschers.  Deshalb 
entbrannte  nach  dem  Tode  eines  jeden  Markgrafen  in  der  Familie 
der  Kampf  um  die  Herrschaft.  Spater  suchten  die  Este  dem 
zu  entgehen,  indem  sie  noch  zu  Lebzeiten  ihrem  geliebtesten 
ehelichen  oder  unehelichen  Sohn  das  papstliche  Lehen  sicherten. 
Das  erste  Opfer  dieses  ungliicklichen  Grundsatzes  war  Obizzo 
selbst,  da  dem  Vernehmen  nach  zwei  seiner  Sonne  ihn  im  Bett 
erwiirgt  haben,  weil  er  den  jungsten  dritten  zum  Nachfolger  be- 
stimmt  hatte. 

Diesen  Kampfen  um  die  Nachfolge  verdanken  wir  es,  dafl 
Ferrara  Ariost  erzeugt  hat.  Als  Obizzo  III.  (1294 — 1352)  infolge 
eines  blutigen  Streites  mit  seinen  Briidern  das  Vaterland  verlassen 
mufite  und  in  Bologna  Schutz  suchte,  lernte  er  die  schone  Lippa 
Ariosti,  die  Tochter  einer  dort  ansassigen  Patrizierfamilie,  kennen. 
Obizzo  hatte  ein  Verhaltnis  mit  Lippa,  das  zwanzig  Jahre  dauerte; 
elf  Kinder,  sieben  Sonne  und  vier  Tochter,  entstammten  diesem 
Bund.  Als  er  den  Thron  von  Ferrara  bestieg,  heiratete  er  die  Frau 
und  legitimierte  seine  Nachkommen.  Die  Po-Ebene  war  nicht 
nur  reich  an  Getreide  und  Wein,  auch  die  dortigen  Familien  er- 
freuten  sich  einer  besonderen  Fruchtbarkeit.  Bei  den  Este  erreichten 
die  ehelichen  und  unehelichen  Nachkommen  bisweilen  die  stattliche 
Zahl  von  zweihundert,  und  einer  der  Wiirdentrager  des  Hofes 
hatte  es  bis  zu  vierzig  Sohnen  gebracht.  Noch  mehr,  der  Arzt 
Michele  Savonarola  versichert,  daB  Niccolo  Pallavicini  noch  als 
Hundertjahriger  einen  Sohn  gezeugt  hat. 


16  ERSTES  KAPITEL 

An  die  schone  Lippa  aus  Bologna  erinnert  Ariost  stolz  im 
,, Roland",  als  er  von  den  bertihmten  und  bedeutenden  Frauen  aus 
dem  Hause  der  Este  spricht.  Lippas  Vetter,  Niccolo  Ariosti,  lieB 
sich  in  Ferfara  nieder  und  ward  zum  Begriinder  jener  Linie  der 
Familie,  aus  der  der  Dichter  stammt. 

Schon  diese  ersten  Este  hatten  einen  Hang  zu  Luxus  und  Ver- 
schwendung.  Als  Obizzo  III.  sich  nach  Venedig  aufmachte,  um  mit 
der  Republik  nach  heifiem  Kampf  seinen  Frieden  zu  schlieBen,  lieB 
er  sich  eine  besondere  mehrstockige  Galeere  erbauen,  von  der  sein 
Kammerherr  Ser  Dino  eine  Zeichnung  gemacht  hat.  Die  Galeere 
war  mit  unerhorter  Pracht  ausgestattet,  das  kostbarste  Material 
wurde  zu  ihrer  Ausschmuckung  verwandt.  Zu  den  beruhmten 
Turnieren  Ferraras  kam  die  Ritterschaft  aus  dem  gesamten  ita- 
lienischen  Norden.  An  seinem  Hofe  unterhielt  Obizzo  den  Narren 
Gonella,  den  Franco  Sacchetti  in  sieben  Novellen  verherrlicht  hat. 
Die  Gutmiitigkeit  des  Marchese  tritt  in  der  einen  zutage.  Gonella 
hatte  sich  etwaszu  schulden  kommen  lassen,  Obizzo  befahl  ihm, 
Ferrara  unverziiglich  zu  verlassen,  sollte  der  Narr  jedoch  wagen, 
noch  einmal  auf  seinem  Boden  zu  stehen,  so  wurde  es  ihn  den 
Kopf  kosten.  Gonella  ging  nach  Bologna,  kaufte  einen  Wagen, 
lieB  ihn  mit  bolognesischer  Erde  fiillen  und  kehrte  so  nach  Ferrara 
zuriick.     Der  Markgraf  lachte  und  verzieh   Gonella  seine  Schuld. 

Der  Luxus  am  Hofe  gab  AnlaB  zu  haufigen  Unruhen,  da  die 
Bevolkerung,  durch  Steuern  und  vielfache  Abgaben  bedrangt,  den 
finanziellen  Druck  nicht  zu  ertragen  vermochte,  um  so  weniger 
als  die  Verwalter  des  Schatzes  ,,Fattori  generali"  ihre  Stelle  miB- 
brauchten,  um  sich  zu  bereichern.  Unter  Niccolo  II.,  Obizzos  III. 
Sohn  (1338 — 1388),  den  man  ,,11  Zoppo"  nannte,  kam  es  zu  starken 
Unruhen.  Am  3.  Mai  1385  warf  sich  das  Volk,  das  infolge  der 
Ubergriffe  des  Schatzmeisters  Tommaso  di  Tortona  zur  Verzweiflung 
gebracht  war,  auf  das  Haus,  in  dem  die  Steuerlisten  aufgehoben 
wurden,  verbrannte  sie  und  demolierte  die  Wohnung  des  verhaBten 
Beamten.  An  der  Spitze  des  Aufstandes  stand  der  Notar  Francesco 
Montelino,  der  die  Losung  ausgegeben  hatte:  ,,Es  lebe  der  Mark- 
graf! Tod  dem  Verrater  Tommaso."  Aber  Tommaso  fliichtete 
ins    SchloB   und   versteckte   sich   dort.      Niccolo  II.  versuchte   die 


PALAZZO  DIAMANTI  ZU  FERRARA 


TOR  DES  PALAZZO  PROSPERI  ZU  FERRARA 


LAND  UND  LEUTE 


17 


Menge,  die  gegen  das  Tor  drangte,  zu  beruhigen;  sein  Bruder  Alberto 
ging  sogar  auf  die  StraBe,  urn  auf  die  Tumultuanten  einzusprechen, 
aber  das  Volk  wollte  nicht  weichen  und  verlangte  die  Herausgabe 
des  Blutsaugers.  Zufallig  kam  einer  der  Sohne  des  Marchese 
herzu,  der  nicht  wuBte,  was  hier  vorging.  Das  Volk  ergriff  ihn 
als  Geifiel  und  bedrohte  ihn  mit  dem  Tode,  falls  der  Marchese 
Tommaso  di  Tortona  nicht  auslieferte.  Niccolo  II.  hat  den  Giinst- 
ling  dem  eignen  Sohn  geopfert,  er  lieferte  seinen  Schatzmeister 
aus,  den  das  Volk  in  Stiicke  riB. 

Dies  war  noch  vor  dem  alten  SchloB  der  Este  geschehen, 
vor  dem  heutigen  Munizipalpalast,  dem  Dom  gegeniiber.  Dieses 
SchloB  war  nicht  genugend  befestigt;  nach  der  gemachten  Er- 
fahrung  beschloB  der  Marchese  ein  Gebaude  zu  errichten,  in  dem  er 
der  Menge  trotzen  konne.  Auf  diese  Weise  entstand  das  Kastell. 
Am  Tage  des  heiligen  Michael  1385  legte  der  Bruder  des  Marchese, 
Alberto  d'Este,  den  Grundstein,  und  man  baute  so  rasch,  daB  das 
SchloB  innerhalb  16  Monaten  fertig  war.  Das  Geld  fur  den  Bau, 
25000  Dukaten,  hatte  Niccolo  bei  seinem  Nachbar,  Francesco  I. 
Gonzaga,  aus  Mantua,  entliehen,  und  da  er  seine  Schuld  nicht  zu 
bezahlen  vermochte,  wurden  die  Abgaben  noch  unertraglicher  als 
jene  waren,  die  das  Volk  unter  Tommaso  di  Tortona  zu  leisten  hatte. 

Einen  Platz,  unmittelbar  vor  den  Mauern  Ferraras,  hatte  der 
Marchese  fur  das  Kastell  gewahlt,  damit  im  Falle  der  Not  die  Be- 
wohner  der  Festung  aus  der  Stadt  fliichten  konnten.  Dem  SchloB 
wurden  spater  groBartige  Garten  angebaut,  die  sich  bis  zum  Po 
hinzogen. 

Niccolos  Nachfolger  war  Alberto  d'Este  (1388  — 1393);  er  stand 
hart  an  der  Grenze  zwischen  Barbarei  und  Kultur  und  war  aus 
lauter  Widerspruchen  zusammengesetzt.  Diesem  Markgrafen  hat 
das  Kastell  noch  bessere  Dienste  als  seinem  Vorganger  geleistet. 
Als  der  Tyrann,  nachdem  er  einen  Teil  seiner  Familie  hatte 
ermorden  lassen,  zur  Herrschaft  gelangt  war,  lieB  er  seinen 
Neffen  Obizzo  Aldobrandino  und  dessen  Mutter  kopfen,  unter  dem 
Vorwand,  daB  sie  eine  Verschworung  gegen  ihn  angestiftet  hatten. 
Giovanni  von  Brescia,  der  im  Einverstandnis  war,  lieB  er  von  Pferden 
durch  die  StraBen  schleifen  und  dann  aufkniipfen,  dessen  Gattin, 


j$  ERSTES   KAPITEL 

Costanza  di  Quintavalli,  sowie  seinen  eignen  Bruder,  den  Bastard 
Alberto,  der  Abwechslung  halber  auf  dem  Scheiterhaufen  ver- 
brennen.  Die  iibrigen  Verschworenen  wurden  mit  gliihenden  Zangen 
gezwickt  und  auBerhalb  der  Stadt,  um  des  abschreckenden  Beispiels 
willen,  aufgehangt. 

Alberto  d'Este  heiratete  im  Jahre  1388  aus  Liebe  Giovanna 
de  Roberti,  die  Tochter  Cabrianos,  seines  Kammerdieners,  doch 
war  er  ihr  nicht  lange  treu,  da  er  sich  bald  darauf  in  ihre  Mutter, 
Margherita  dal  Sale,  verliebte;  sie  gait  als  die  schonste  Frau  ihrer 
Zeit  und  hatte  sich  aus  HaB  gegen  ihre  Tochter  dem  Schwieger- 
sohn  hingegeben. 

Derselbe  Alberto  war,  als  er  sich  seiner  Herrschaft  sicher 
fiihlte,  einer  der  besten  Fiirsten  Ferraras.  Gegen  Ende  seiner 
Regierung  wallfahrte  er  nach  Rom,  legte  das  BiiBergewand  an 
und  kleidete  dreihundert  Berittene,  die  ihn  begleiteten,  in  gleicher 
Weise  ein.  In  Rom  kamen  ihm  funf  Kardinale  entgegen,  der 
Papst  Bonifaz  IX.  verlieh  ihm  die  goldne  Rose,  als  Tugendpreis, 
und  gestattete  die  Grundung  einer  Universitat  in  Ferrara,  nach 
dem  Muster  der  Universitaten  zu  Paris  und  Bologna.  Aus  Rom 
kam  Alberto  krank  zuriick;  da  er  seine  Schwache  Margherita  zu- 
schrieb  und  glaubte,  daB  die  Geliebte  ihn  verzaubert  habe,  lieB  er  sie 

ins  Gefangnis  im  Castelvecchio  werfen  und  dort  erwiirgen. 

Das  dankbare  Ferrara  hat  seine  Statue  im  Pilgergewand 

an  der  Fassade  der  Kathedrale  anbringen  lassen, 

wo  man  sie  noch  heutebewundern  kann. 

Solcher  Art  waren  Ferraras 

erste  Markgrafen. 


ZWEITES  KAPITEL 

NICCOLO  III. 


i 


n  der  Stadtbibliothek  zu  Ferrara  befindet  sich  eine 
Miniatur,  auf  der  man  den  Platz  vor  dem  Palazzo  della 
Ragione  mit  einer  auBerordentlich  treu  dargestellten 
Hinrichtungsszene  sieht.  Die  Miniatur  stammt  aus  dem 
XV.  Jahrhundert.  Die  damalige  Welt  war  Anblicke 
dieser  Art  gewohnt,  so  nahm  niemand  daran  AnstoB, 
daB  blutige  Exekutionen  vor  den  Fenstern  des  Schlosses  stattfanden, 
in  dem  die  fiirstliche  Familie  lebte.  Auf  einem  Geriist,  hoch  genug, 
damit  das  Publikum  das  letzte  Zittern  der  Korper  beobachten  konne, 
steht  ein  kraftiger  Mann,  die  Hande  auf  den  Riicken  gefesselt.  Vor 
ihm  ein  Mdnch  mit  erhobenem  Kruzifix,  hinter  ihm  holt  der  Henker 
mit  Wucht  zum  Schlage  aus.  Auf  dem  Geriist  stehen  die  Richter,  be- 
waffnete  Knechte  und  die  Mitglieder  einer  frommen  Briiderschaft 
in  Kapuzen  mit  schwelenden  Kerzen  in  den  Handen.  Zwei  ab- 
gehauene  bartige  Kopfe  liegen  bereits  am  Boden,  und  die  Arme  der 
Leichen  hangen  herunter.  So  ward  mehr  oder  weniger  jede  neue 
Regierung  im  beginnenden  XV.  Jahrhundert  eingeleitet,  nicht  allein 
in  Ferrara,  sondern  auch  an  den  meisten  anderen  Renaissancehofen. 
Herzen  und  Sinne  hatten  sich  verhartet. 

Nach  Albertos  Tode  kam  sein  Sohn  Niccolo  III.  auf  den  Thron ; 
da  er  noch  nicht  volljahrig  war,  wurde  ihm  ein  Rat,  ,,consiglio",  an 
die  Seite  gestellt,  der  die  Regierungsgeschafte  bis  zum  vollendeten 
neunzehnten  Jahre  des  Markgrafen  leiten  sollte.  In  diesem  Rat 
wollte  auch  das  Volk  seine  Vertreter  haben,  jede  Innung  fur  sich: 
die  Backer,  Schmiede,  Schneider,  Goldarbeiter  usw.  schickten  ihre 


20  ZWEITES  KAPITEL 

Delegierten.  Eine  so  geartete  Versammlung  konnte  sich  nicht  be- 
wahren,  und  das  Resultat  war,  daB  vier  Vormiinder  des  Mark- 
grafen  die  Macht  an  sich  rissen  und  sie  bis  zu  Niccolos  Volljahrig- 
keit  etwa  in  der  Weise  ausiibten,  wie  die  Miniatur  es  darstellt. 

Der  Marchese  jedoch  war  voll  Feuer  und  Energie,  und  es  ver- 
langte  ihn  nach  Taten.  Das  heiBeste  Sehnen  des  jungen  Burschen 
war,  einen  Krieg  zu  sehen.  Da  sich  jedoch  eine  Gelegenheit  dazu 
langere  Zeit  nicht  bot,  bat  er  Azzo,  den  Anfiihrer  seiner  Heere, 
ihm  im  SommerschloB  Belfiore  ein  Kriegsschauspiel  zu  arrangieren. 
Es  nahm  ein  trauriges  Ende,  da  Azzo,  von  einem  WurfspieB  seines 
Gegners  verwundet,  es  mit  seinem  Leben  bezahlte. 

Aus  politischen  Griinden  verheirateten  die  Vormiinder  den 
kaum  13  jahrigen  Niccolo  1397  mit  der  isjahrigen  Gigliola  da 
Carrara,  der  Tochter  des  Fiirsten  von  Padua.  Die  Ehe  war  un- 
glucklich,  die  krankliche  Gigliola  hatte  keine  Kinder,  der  junge 
Marchese  rachte  sich  an  jenen,  die  ihn  so  friih  in  die  Fesseln 
der  Ehe  gezwungen  und  brachte  es,  nach  Aussage  des  Chronisten, 
im  Laufe  der  Jahre  auf  achthundert  Liebesverhaltnisse. 

De  le  femene  qui  el  dir  se  tase 

Octocento  donzele  el  signore  habe  in  so  vita. 

(Caleffino  Cronaca.) 

Nur  der  Abt  von  Pomposa  war  ihm  darin  noch  iiberlegen; 
ihm  wurden  tausend  Liebesverhaltnisse  nachgesagt,  die  schlecht 
genug  zum  ernsthaften  Monchshabit  passen. 

Es  hieB  in  Ferrara,  daB  sich  auf  beiden  Seiten  des  Po  nur 
Niccolos  Kinder  herumtrieben,  ,,Di  qua  e  di  la  del  Po,  tutti  figli 
di  Niccolo",  aber  die  Geschichte  hat  uns  nur  die  Namen  von  zwei- 
undzwanzig  unehelichen  Kindern  iiberliefert,  abgesehen  von  jenen, 
die  Niccolo  spater  mit  zwei  legitimen  Gattinnen  gezeugt  hat. 

Gigliola  starb  im  Jahre  1406;  noch  zu  ihren  Lebzeiten  hatte 
Niccolo  ein  Vcrhaltnis  mit  der  schonen  Stella  dell'  Assassino,  aus 
der  bekannten  sienesischen  Familie  Tolomei.  Ein  Teil  der  Tolo- 
mei  war  infolge  brudermorderischer  Kampfe  mit  dem  angesehenen 
Geschlecht  der  Salimbeni  nach  Ferrara  und  spater  nach  Assisi 
ubersiedelt.     Nach  dieser  Stadt  nannte   man  sie  Assasini,  woraus 


NICCOLO   HI,  21 

sich  spater  der  Name  Assassini  entwickelt  hat.      In  einem  alten 
Vers  heiBt  es  von  ihnen: 

Mutantes  patriam,  mutabunt  nomina:  riicent 
Namque  Assassinos  Ptholomea  stirpe  creates. 

Die  Zeitgenossen  finden  nicht  Worte  des  Lobes  genug  fur 
Stella,  sie  schreiben  ihr  alle  erdenklichen  Vorziige  zu,  sie  war 
der  Trost  der  Armen,  gerecht,  umsichtig,  sittsam,  groBmutig  und 
gait  als  Muster  der  Schamhaftigkeit,  ,,pudicitiae  flos".  Der  Dichter 
Galeoto  Marzio  da  Narni  verfaBte  ihr  zu  Ehren  ein  langes  Gedicht, 
in  dem  er  auch  ihren  Vater,  Giovanni  Tolomei,  preist;  keinem 
Geringeren  als  Niccolo  III.  widmet  er  seine  Verse.  Aus  diesem 
Gedicht  erfahren  wir,  daB  Giacomo,  einer  der  Assassini,  Rechts- 
gelehrter  und  Podesta  in  Ferrara  war  und  fur  seine  Gerechtigkeit 
bekannt.  Der  beste  Beweis  dafur,  daB  Stella  eine  ungewohnliche 
Frau  war,  ist  der  Umstand,  daB  der  in  seinen  Liebesverhaltnissen 
so  unbestandige  Niccolo  sie  etwa  achtzehn  Jahre  fast  als  seine 
Gemahlin  betrachtet  hat.  Er  hatte  drei  Sonne  mit  ihr:  Ugo  Aldo- 
brandini  (geb.  1405),  Lionello  (geb.  1407)  und  Borso  (geb.  1413). 
Dies  Verhaltnis  hinderte  aber  vorubergehende  Liebeleien  nicht; 
Catarina  degli  Albersani,  die  Tochter  eines  Arztes  in  Ferrara,  gebar 
ihm  einen  Sohn  Meliadus  (geb.  1406)  und  die  Ehefrau  Camilla 
della  Tavola  zwei  Kinder,  Alberto  ufid  Gurona  Maria. 

In  Ferrara  und  auch  an  den  befreundeten  norditalienischen 
Hofen  hielt  man  nach  Gigliolas  Tod  (1406)  Stella  Assassini  fur  die 
kommende  Gemahlin  des  Marchese;  man  glaubte,  daB  Niccolo  sich 
kirchlich  mit  ihr  trauen  wiirde.  Stellas  Sonne  hat  er  wie  seine  recht- 
maBigen  Kinder  behandelt;  die  Taufe  des  Erstgeborenen  Ugo  war  in 
Ferrara  feierlich  begangen  worden,  der  Kardinallegat  aus  Bologna 
war  gekommen,  die  Herren  aus  Modena  und  Rimini  hatten  Abgesandte 
geschickt.  Trotzdem  heiratete  Niccolo  Stella  nicht;  vielleicht  haben 
politische  Griinde  den  FiinfunddreiBigjahrigen  bewogen,  141 8  die 
junge  und  schbne  Parisina  de  Malatesta  zu  ehelichen,  die  Tochter 
Andreo  de  Malatestas  und  Lucrezia  degli  Ordelaffis  aus  Ravenna. 
Aus  Kummer  starb  Stella  ein  Jahr  darauf,  und  Caleffini  pries  sie: 
,,Quanto  fo  bella  e  bona!  de  ogni  virtu  la.portd  corona." 


22  ZWEITES  KAP1TEL 

Niccolos  Verhaltnis  zu  Stellas  Sohnen  anderte  sich  infolge 
dieser  Heirat  kaum;  den  altesten,  Ugo,  seinen  Lieblingssohn,  be- 
trachtete  er  sogar  als  seinen  Nachfolger  auf  dem  Throne  und  zeich- 
nete  ihn  als  solchen  vor  Lionello  und  Borso  aus.  Ugo  war  immer 
um  ihn,  wahrend  er  die  beiden  jiingeren  Sohne  unter  verschiedenen 
Vorwanden  aus  dem  Hause  entfernte. 

Parisina,  erfiillt  von  Lebenslust  und  Giite,  hat  sich  die  Liebe 
ihrer  Umgebung  rasch  erworben.  Sie  war  eine  leidenschaftliche 
Tierfreundin  und  liebte  namentlich  Pferde,  sie  brachte  ihren  eigenen 
Rennstall  mit,  schickte  ihre  Pferde  zum  ,,Palio"  von  Verona, 
Mantua,  Modena,  Bologna  und  Mailand,  und  ihr  Jokei,  Giovanni  da 
Rimini,  war  iiberall  Sieger.  Ihre  Farben,  WeiB  und  Rot,  waren 
auf  alien  Bahnen  bekannt.  Seltene  Vogel  lieB  sie  in  Venedig  kaufen, 
wie  es  damals  an  den  groBen  Hofen  Brauch  war.  Teure  Stoffe, 
Kleinodien,  wohlriechende  Ole  und  Essenzen  bezog  sie  aus  Mailand 
und  Venedig.  Ihre  Hoffraulein,  die  ,,damigelle",  waren  ihr  zu- 
getan,  da  sie  ihnen  reiche  Geschenke  machte  und  sich  giitig  gegen 
sie  erwies.  Namentlich  Pelegrina,  die  Tochter  Giacomo  Rubinos, 
eines  vertrauten  Hoflings  Niccolos,  war  ihr  LiebUng;  als  die  Don- 
zella  heiratete,  uberschiittete  sie  sie  mit  Geschenken.  Parisina  las  wie 
alle  Damen  der  damaligen  groBen  Welt  Ritterromane,  Tristans  und 
Isoldes  Los  war  ihr  wohlbekannt,  sie  las  den  Roman  ,,Girone  il 
Cortese",  und  gab  sich  leidenschaftlich  der  Musik,  namentlich 
Lautenspiel  hin.  Auch  ging  sie  fleiBig  zur  Kirche,  ihr  Hauskaplan, 
Fra  Maginardo,  las  ihr  den  Psalter,  und  sie  beniitzte  ein  schones, 
in  schwarzen  Samt  gebundenes  Gebetbuch. 

Parisina  hatte  drei  Kinder,  doch  starb  ihr  Sohn  bald,  und  es 
blieben  nur  zwei  Tochter,  Ginevra  und  Lucia,  am  Leben;  sie  gab 
sich  viel  mit  ihnen  ab  und  lieB  sie  fruh  in  der  Musik  unterweisen. 
Von  Stella  del  Assassinos  Sohnen  bevorzugte  sie  Ugo,  den  Liebling 
des  Vaters.  Der  Markgraf  lieB  Ugo  im  Luxus  aufwachsen,  schenkte 
ihm  die  kostbarsten  Kleider,  Pferde  und  Falken,  wahrend  er  Lio- 
nello, Borso  und  Meliadus  an  Sparsamkeit  gewohnte.  Als  1424 
in  Ferrara  eine  ansteckende  Seuche  ausbrach,  schickte  Niccolo 
Meliadus  nach  Modena  und  Borso  nach  Argenta,  indem  er  strenge 
Vorschriften  iiber  die  Anzahl  der  Diener,  die  sie  halten  durften, 


NICCOLO   III. 


23 


machte;  ferner  verbot  er  den  jungen  Herren,  offene  Tafel  fur  ihre 
Freunde  zu  halten.  Parisina  iiberraschte  Ugo  mit  einer  schonen 
Harfe,  so  hat  wohl  auch  er  eine  Vorliebe  fur  Musik  gehabt. 

Nach  den  Chronisten  war  Ugo  Parisina  zuerst  wenig  sym- 
pathisch;  dies  krankte  Niccolo  so,  daB  er  ihr  den  Sohn,  als  sie  nach 
Loreto  zu  einer  Wallfahrt  aufbrach,  zum  Begleiter  gab,  damit  er 
Gelegenheit  habe,  ihre  Gunst  zu  erwerben.  Diese  Annaherung 
hatte  mehr  Erfolg  als  der  Markgraf  wiinschen  konnte:  Ugo  kam 
als  Parisinas  Geliebter  von  der  Wallfahrt  zuriick,  und  dies  Verhaltnis 
unterhielten  sie  auch  in  Ferrara.  Ob  der  Liebesbund  auf  diese  Weise 
entstand,  bleibe  dahingestellt.  Es  fehlt  jeder  positive  Hinweis  fur 
den  HaB,  der  erst  zwischen  den  beiden  bestanden  haben  soil.  Die 
Frage,  wie  die  Liebe  zwischen  ihnen  entstanden  ist,  kann  der  Histo- 
riker  nicht  beantworten.  Alles,  was  bis  jetzt  iiber  den  Ursprung 
dieser  Liebe  geschrieben  wurde,  entstammt  der  Phantasie  der 
Dichter  und  Romanschreiber.  Genug,  Ugo  und  Parisina  standen 
in  einem  Liebesverhaltnis  zueinander;  Ugos  Vertrauter  war  Aldo- 
brandino  Rangoni,  sein  Hofling  und  Freund,  die  Vertraute  der 
Markgrafin  war  eine  ihrer  Hofdamen,  die  das  Geheimnis  an  Gia- 
corao  Rubino,  Niccolos  treuesten  Diener,  verriet.  Rubino  ging 
sofort  zum  Markgrafen  und  erzahlte  ihm  alles.  Die  Rache  des 
Tyrannen  war  unverziiglich  und  furchtbar.  In  der  Nacht  vom  20. 
auf  den  21.  Mai  1425  lieB  Niccolo  beide  ins  Gefangnis  werfen,  Pari- 
sina in  den  Turm,  der  noch  heute  ,, Torre  Marchesana"  heiBt,  Ugo 
in  den  ,,L6wenturm"  des  Kastells.  Das  Urteil  des  Marchese  lieB 
nicht  lange  auf  sich  warten,  nach  wenigen  Stunden  verurteilte  er 
den  Lieblingssohn  und  seine  Gattin,  die  Mutter  zweier  kleiner 
Tochter,  zum  Tode.  Einer  seiner  treuesten  Ratgeber,  Ugaccion 
Contrario,  von  dem  es  hieB,  daB  er  alles  iiber  den  Markgrafen  ver- 
moge,  und  ein  alter  bewahrter  Minister,  Alberto  dal  Sale,  be- 
schworen  Niccolo  auf  den  Knien  mit  tranenden  Augen,  seinen 
Urteilsspruch  aufzuschieben.  Niccolo  lieB  sich  nicht  erweichen,  er 
wollte  weder  den  Sohn,  noch  die  Gattin  sehen,  und  schon  in  der 
folgenden  Nacht,  vom  21.  auf  den  22.  Mai,  vollzog  der  Henker 
sein  blutiges  Werk.  Ugo  starb  zuerst,  dann  begab  sich  Rubino, 
der  Verrater,  in  Parisinas  Gefangnis  und  forderte  sie  auf,  ihm  zu 


24 


ZWEITES  KAPITEL 


folgen.  Parisina  glaubte,  daB  er  sie  ins  Trabocchetto,  das  unter- 
irdische  Gefangnis,  fiihren  wolle,  und  fragte,  was  mit  Ugo  ge- 
schehen  sei.  Als  man  ihr  sagte,  er  sei  tot,  antwortete  sie,  daB  auch 
sie  nicht  mehr  leben  wolle.  Im  Gefangnis  wartete  der  Henker 
ihrer  bereits;  als  sie  ihn  sah,  nahm  sie  selbst  ihren  Schmuck  ab 
und  legte  den  Kopf  auf  den  Block. 

In  der  gleichen  Nacht  wurden  beide  Kdrper  in  San  Francesco 
bestattet.  Als  man  dem  Markgrafen  sagte,  daB  sein  Wille  erfullt 
sei,  geriet  er  in  Verzweiflung,  zerbiB  den  Stock,  den  er  in  der  Hand 
hielt,  weinte  und  schrie  nach  Ugo.  Aber  noch  war  der  Rache 
kein  Ende  gesetzt.  Am  nachsten  Morgen  erlieB  er  den  Befehl, 
Aldobrandino  Rangoni  zu  verhaften;  in  Modena  wurde  er  hin- 
gerichtet.  An  die  italienischen  Hofe  lieB  er  ein  Dokument  aus- 
fertigen,  worin  er  seine  Tat  meldete.  Als  der  venezianische  Doge, 
Francesco  Foscari,  die  Schrift  erhielt,  gab  er  Befehl,  das  Turnier 
auf  dem  Markusplatz ,  an  dem  der  Markgraf  teilnehmen  sollte,  zu 
vertagen.  —  Das  fragliche  Dokument  war  leider  in  keinem  italie- 
nischen Archiv  auffindbar. 

Niccolo  raste  in  seinem  Schmerz  und  Zorn,  er  beschloB,  daB 
alle  Frauen  Ferraras,  die  wie  Parisina  gesiindigt  hatten,  dem  Henker 
verf alien  sollten,  ,,damit  die  Gerechtigkeit  sich  nicht  nur  an  seiner 
Gattin  vollziehe".  Laudania  Romei,  die  Gattin  eines  hohen  Wiirden- 
tragers  am  Hofe,  war  das  erste  Opfer  dieser  wilden  Gerechtigkeit, 
aber  der  Rausch  verflog,  und  nach  Laudanias  Tod  zog  Niccolo  seinen 
Befehl  zuriick.  Ferraras  Ehefrauen  konnten  wieder  nach  Herzens- 
lust  siindigen,  und  der  Markgraf  selbst  unterstiitzte  sie  ehrlich  darin. 

Der  alternde  Niccolo  hatte  nach  Parisinas  Tod  noch  eine  An- 
zahl  unehelicher  Kinder,  Knaben  und  Madchen.  Beatrice,  die  er 
mit  Anna  de'  Roberti  gezeugt  hatte,  war  um  ihrer  Schonheit  willen 
beriihmt.  Sie  war  die  Konigin  der  Feste  in  Ferrara,  und  ein  altes 
Sprichwort  sagt  von  ihr:  ,,Wer  das  Paradies  auf  Erden  sehen  wolle, 
moge  Donna  Beatrice  betrachten."  Nach  dem  Tode  ihres  Vaters 
vermahlte  sie  sich  mit  dem  Graf  en  Niccolo  da  Correggio;  ihr  zweiter 
Gatte  war  Tristan  Sforza.  Ihr  Sohn,  Niccolo  Correggio  (geb.  1450), 
hat  in  der  Geschichte  der  italienischen  Renaissance  eine  bedeutsame 
Rolle  gespielt. 


PISANELLO:  PILGER  INS  GELOBTE  LAND 

VERONA,  S.  ANASTASIA 


NICCOLO   III. 


25 


143 1  heiratete  Niccolo  zum  drittenmal,  Parisinas  Geschick 
schreckte  die  Tochter  des  Markgrafen  Saluzzo  Ricciardi  nicht  ab, 
ihm  ihre  Hand  zu  reichen.  Im  Ehekontrakt  sah  Niccolo  jedoch 
vor,  daB,  wenn  Riccarda  einen  Sohn  gebaren  wiirde,  die  Nachfolge 
in  Ferrara  nicht  ihm  zufallen  sollte,  sondern  Lionello,  den  der 
Papst  Martin  V.  bereits  1429  legitimiert  hatte.  Im  Jahre  1431  gebar 
Riccarda  einen  Sohn,  jenen  Ercole,  der  Lionello  und  Borso  auf  dem 
ferraresischen  Thron  f olgte  und  einer  der  bedeutendsten  italienischen 
Fiirsten  am  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  war.  Riccarda  schenkte 
1433  einem  zweiten  Sohn,  Sigismondo,  und  unmittelbar  vor  ihrem 
Tode  1440  einer  Tochter,  Bianca  Maria,  das  Leben;  unter  Borsos 
Regierung  heiratete  die  Tochter  den  Condottiere  Galeotto  Pico  della 
Mirandola. 

II 

1413,  als  Stella  Assassini  noch  das  Herz  des  Markgrafen  be- 
herrschte,  beschloB  er  eine  Wallfahrt  ins  Heilige  Land.  Die  Feinde 
der  Dynastie  waren  unterworfen,  im  kleinen  Reiche  herrschte 
Frieden,  so  ward  es  dem  Despoten  zu  eng  in  der  ferraresischen 
Ebene,  der  Geist  des  fahrenden  Ritters  regte  sich  in  der  jungen 
Brust,  und  wie  einst  die  Kreuzfahrer  wollte  er  auf  Christus  Grabe 
BuBe  tun.  Von  fiinfzig  Freunden  und  Hoflingen  begleitet,  verlieB 
Niccolo  Ferrara  am  6.  Mai.  Zur  Expedition  gehorten:  der  Ferra- 
rese  Alberto  della  Scala,  mit  zwei  Gefahrten,  Pietro  Rosso,  ein 
Edelmann  aus  Parma,  der  auch  zwei  Leute  von  seinem  Hof  mit- 
gebracht  hatte,  Feltrino  Bojardo,  der  GroBvater  des  groBen  Dichters 
aus  Scandiano  mit  einem  Diener,  und  mehrere  Mitglieder  bekannter 
Familien.  Als  Sekretar  diente  dem  Markgrafen  Lucchino  del  Campo, 
der  uns  eine  sehr  anschauliche  Beschreibung  dieser  Reise  hinter- 
lassen  hat.  Die  Wallf ahrer  trugen  schwarze  Mantel  mit  rotem  Kreuz 
auf  der  Brust,  und  die  Republik  Venedig  stellte  ihnen  eine  ihrer 
Galeeren  zur  Verfiigung. 

Der  Marchese  wollte  alle  Sehenswiirdigkeiten,  die  auf  seinem 
Wege  lagen,  besichtigen,  und  so  machte  man,  unmittelbar  nachdem 
man  den  Hafen  San  Niccolo  de  Lido  verlassen  hatte,  in  Pola  Station 


26  ZWEITES  KAPITEL 

wegen  der  dort  vorhandenen  romischen  Altertiimer.  Die  Arena 
scheint  den  Markgrafen  besonders  interessiert  zu  haben,  er  hatte  sich 
in  seiner  Jugend  oberflachlich  mit  humanistischen  Studien  befaBt, 
sein  Lehrer  war  der  beriihrnte  Donato  degli  Albanzani  aus  Prota- 
vecchio.  Niccolo  gehorte  jedoch  keineswegs  zu  Donatos  besten 
Schiilern  und  hat  es  im  Lateinischen  trotz  der  Miihe  des  Huma- 
nisten  nicht  weit  gebracht.  Die  Galeere  nahm  ihren  Weg  an  den 
Ionischen  Inseln,  spater  am  Archipel  entlang,  machte  Halt  in  Corfu, 
wo  der  venezianische  Gouverneur  den  Reisenden  ein  Gastmahl  in 
einem  Orangenhain  gab,  griechische  Monche  sangen  zu  ihrem 
groBen  Entziicken  wahrend  der  Tafel.  Im  weiteren  Verlauf  der 
Reise  besuchten  die  ferraresischen  Pilger  die  Insel  Rhodos,  kamen 
an  Cypern  vorbei,  stiegen  in  Syrien  am  II.  Mai  ans  Land  und  gingen 
von  dort  aus  nach  Jerusalem.  In  Jerusalem  blieb  der  Markgraf 
vier  Tage,  vom  15.  bis  zum  19.  Mai,  und  pilgerte  zweimal  zum 
Heiligen  Grab.  Einmal  lag  er  eine  ganze  Nacht  mit  ausgebreiteten 
Armen  wie  am  Kreuzesstamme  da,  ein  anderes  Mai  verbrachte  er 
zwei  Stunden  dort  in  heiBem  Gebet.  Nach  diesem  Gebet  gab  er 
Alberto  della  Scala,  Feltrino  Bojardo  und  Pietro  Rossi  den  Ritter- 
schlag,  giirtete  ihnen  selbst  das  Schwert  um  und  gab  ihnen  goldene 
Sporen  auf  dem  Kalvarienberge.  Die  Wallfahrer  verdroB  es  sehr, 
dafl  sie  imGelobten  Lande  fur  jedenSchritt  den  ,,tiirkischen  Hunden," 
wie  sie  sie  nannten,  zahlen  muBten,  den  Wachtern  auf  dem  Berge 
Zion  gaben  sie  vier  Dukaten,  fur  das  Betreten  des  Tales  von  Josaphat, 
wo  ,, Nostra  Donna"  begraben  ist,  muBten  sie  einen  halben  und 
fur  das  Grab  des  Heilands  anderthalb  Dukaten  entrichten. 

Auf  dem  Riickweg  hielt  der  Markgraf  sich  sechs  Tage  in  Cypern 
auf,  um  den  dortigen  Konig  zu  besuchen,  und  muBte  als  echter 
Sohn  der  Renaissance  auf  der  Insel  Kythera  die  Stelle  betrachten, 
wo  der  Tradition  nach  die  griechische  Helena  geraubt  ward.  Sechs- 
unddreiBig  Tage  fuhren  die  Wallfahrer  von  Cypern  nach  Venedig, 
am  6.  Juli  kamen  sie  in  Ferrara  an,  so  daB  die  ganze  Reise  drei 
Monate  gedauert  hatte. 

Die  haufigen  frommen  Pilgerfahrten  der  Renaissance-Fiirsteri 
waren  zum  groBen  Teil  nur  ein  Vorwand,  um  zu  reisen  und  Aben- 
teuer  zu  suchen,  oder  sie  entsprangen  dem  Wunsch,  fremde  Ver- 


NICCOLO  III.  27 

haltnisse  kennen  zu  lernen.  Es  schickte  sich  fur  den  regierenden 
Fursten  nicht,  ohne  einen  gewichtigen  Grund  sein  Land  zu  ver- 
lassen,  viel  Geld  auszugeben  und  den  Schatz  des  Reiches  zu  be- 
lasten,  so  fand  sich  denn  immer  ein  Vorwand  fur  teure  Pilger- 
fahrten.  Das  eine  Mai  gelobte  der  Fiirst  ein  goldenes  Exvotum 
an  heiliger  Stelle  niederzulegen,  damit  eine  Seuche  erldsche;  ein 
nachstes  Mai  bot  ein  beendeter  Krieg  den  Vorwand  zu  einer  frommen 
Reise. 

Auch  Niccolo  hielt  es  nicht  lange  in  seinem  SchloB  aus.  Ein 
Jahr  nach  der  Reise  nach  Jerusalem  pilgerte  er  nach  Loreto  und 
legte  dort  das  Modell  des  ferraresischen  Doms,  aus  Silber  gefertigt, 
nieder.  Die  Berichte  verschweigen,  was  fur  Gewander  sein  Hofstaat 
fur  diesen  Zweck  anlegen  muBte,  dagegen  wissen  wir,  daB  inn,  als 
er  noch  im  gleichen  Jahre  (am  19.  Juni  1414)  zur  Reliquie  des 
heiligen  Antonius  in  Vienne  in  der  Dauphine  pilgerte,  vierundzwanzig 
Hoflinge  in  lichtgrunen  Gewandern  begleiteten.  In  Frankreich 
,,liebten  die  Frauen  ihn  mehr  als  ihre  eigenen  Manner",  wie  der 
Chronist  hinzufugt.  Von  Vienne  aus  begab  er  sich  nach  Mont- Saint- 
Michel  in  der  Normandie,  aber  auf  der  Riickreise  passierte  ihm  doch 
ein  ungewohnliches  Abenteuer.  In  den  Piemonteser  Bergen  iiberfiel 
ihn  Manfredo  de  Carreto,  der  Marchese  de  Ceva,  und  nahm  ihn  und 
seine  Begleiter  gefangen  in  Erwartung  eines  groBen  Losegeldes. 
Aber  der  Graf  von  Savoyen,  von  diesem  Oberfall  unterrichtet, 
schickte  eine  Abteilung  seines  Heeres,  das  Niccolo  befreite  und 
den  Raubritter  ins  Gefangnis  warf.  Der  Marchese  de  Ceva  be- 
zahlte  seinen  Anschlag  auf  den  Herrn  von  Ferrara  mit  dem  Leben, 
und  sein  SchloB  ward  dem  Erdboden  gleich  gemacht.  Als  nach 
diesem  Ereignis  Niccolo  III.  nach  Ferrara  kam,  war,  nach  Caleffinis 
Bericht,  die  Freude  so  groB,  daB  alle  Kranken  genasen. 

Dieser  Pilgerfahrt  sollten  noch  weitere  folgen:  in  Vienne  hatte 
es  ihm  so  gut  gef alien,  daB  er  im  Jahre  1434  wieder  zum  heiligen 
Antonius  wallfahrte;  ein  Jahr  darauf  pilgerte  er  in  die  S.  Annun- 
ziata  nach  Florenz,  um  ein  Wachs-Exvoto  zu  stiften.  Es  war  ein 
groBes  Pferd,  fur  das  er  dem  Kiinstler  fiinfzig  Gulden  bezahlt  hat. 

Der  Marchese  gehort  zu  jenen  Renaissancemenschen,  bei 
denen  sich  Verbrechen  und  Zerknirschung  seltsam  eng  beriihren. 


28  ZWEITES  KAPITEL 

Die  Zerknirschung  war  nur  von  kurzer  Dauer,  die  ungeziigelte 
Grausamkeit  und  das  leidenschaftliche  Ungestiim  seines  Charakters 
brachen  bei  der  erstbesten  Gelegenheit  wieder  durch.  Ethische 
und  moralische  Begriffe  fehlten  vollkommen,  Religion  war  eine 
schone  Form,  ein  vererbter  Brauch,  sehr  haufig  der  Deckmantel 
fiir  Verbrechen;  in  goldenen  Rahmen  wurde  das  Bild  ziigelloser 
menschlich-unmenschlicher  Triebe  eingefaBt.  Eine  Wallfahrt  ins 
Heilige  Land,  zum  heiligen  Jakobus  von  Compostella  —  und  man 
fiihlte  sich  all  seiner  Siinden  quitt. 

In  Niccolo  III.  waren  die  Traditionen  franzosischer  Kultur 
lebendig.  Seine  Kenntnis  des  Lateinischen  war,  wie  schon  er- 
wahnt,  nur  mangelhaft,  und  Donato  hat  wohl  endgiiltig  die  Hoff- 
nung  aufgegeben,  seinem  Schiiler  klassische  Sprachen  beizubringen; 
denn  er  iibersetzte  fiir  ihn  zwei  Werke  ins  Italienische:  Petrarcas 
Buch  ,,Von  beriihmten  Mannern"  und  Boccaccios  Abhandlung 
„Von  beriihmten  Frauen".  Die  Lieblingslektiire  Niccolos  und  des 
gesamten  estensischen  Hofes  bildeten  franzosische  Romane,  ,,Istorie 
francesi",  und  der  beste  Beweis  dafiir,  wie  lebendig  diese  Ritter- 
geschichten  waren,  ist  der  Umstand,  daB  man  den  Kindern  mit 
Vorliebe  Namen  aus  dem  Kreise  Karls  des  GroBen  und  Konig 
Artus'  Tafelrunde  gab,  wie  Meliadus,  Ginevra,  Rinaldo,  Isotta  usw. 
Niccolo  hatte  eine  Vorliebe  fiir  schone  franzosische  Biicher,  die  er 
zum  Teil  von  seinem  Vater  geerbt  und  zum  anderen  hatte  ab- 
schreiben  und  mit  Miniaturen  schmiicken  lassen.  In  seiner  Biicher- 
sammlung  befanden  sich  ,,die  Geschichte  des  heiligen  Gral", ,, Merlins 
Prophezeiungen",  ,, Meliadus",  ,,Lancilotto",  ,,Chronique  de  Saint 
Denis"  und  viele  andere.  Der  Katalog  der  estensischen  Bibliothek 
aus  dem  Jahre  1474  fiihrt  den  ,,Lancilotto"  in  vier  Exemplaren  auf, 
den  Roman  ,,Gutifre  de  Boion"  in  zweien,  und  in  ebenso  vielen 
,,die  Geschichte  Alexanders".  Den  Donzellen  und  der  weniger  ge- 
bildeten  mannlichen  Jugend  am  Hofe  waren  diese  franzosischen 
Handschriften  unzuganglich.  Die  Mehrzahl  der  Ritter  lauschte  neu- 
gierig  den  Berichten  der  Sanger,  die  die  franzosischen  Romane  in 
italienischer  Sprache  und  italienischer  Art  angemessen  vortrugen. 

Niccolos  Bibliothek  war  schon  so  umfangreich,  daB  der  Fiirst 
einen  eigenen  Raum  in  der  Torre  di  Rigobollo,  wo  sich  auch  das 


NICCOLO   III. 


29 


geheime  Archiv  der  Este  befand,  dafiir  bestimmt  hatte.  Er  HeB 
das  erste  Handschrifteninventar  anlegen,  das  sich  bis  auf  den  heu- 
tigen  Tag  erhalten  hat.  Giovanni  Falconi  und  Jacopo  d'Arezzo 
versahen  die  Biicher  mit  Miniaturen. 

Auch  franzosische  Mode  war  mafigebend  am  Hofe,  und  man 
bezog  nicht  wenig  Toiletten  und  Einrichtungsstiicke  aus  Paris  oder 
Flandern.  In  der  franzdsischen  Hauptstadt  versah  man  sich  mit 
schoner  Wasche,  in  Brugge  bestellte  Niccolo  Arazzi  mit  seinen 
Wappen  und  seiner  Devise,  und  Silber  zum  Schmucke  der  Tafel 
wurde  zumeist  in  Paris  gekauft.  Da  aber  die  flandrischen  Arazzi 
sehr  teuer  waren,  grundete  Niccolo  in  Ferrara  eine  Teppichfabrik 
nach  flamischem  Muster,  die  sich  iiber  ein  Jahrhundert  erhalten 
hat.  Aus  Flandern  HeB  er  auch  Kirchensanger  kommen;  sie  wurden 
die  Begriinder  des  beriihmten  Chores,  auf  den  der  ferraresische  Hof 
sehr  stolz  war.  Unter  Niccolo  erwarben  die  Este  zwei  neue  Palaste, 
Belriguardo  und  Consandolo,  auBerdem  HeB  der  Markgraf  den 
Palast  der  Este  in  Venedig  umbauen  und  restaurieren;  der  Senat 
der  Republik  hatte  ihn  bereits  1382  Niccolo  II.  fur  geleistete  Dienste 
geschenkt.  Dieser  Palast  hat  die  verschiedensten  Schicksale  durch- 
gemacht.  Von  den  Este  hat  ihn  im  XVII.  Jahrhundert  der  Kardinal 
Aldobrandini  erworben,  dann  diente  er  unter  dem  Namen  ,,Fondaco 
dei  Turchi"  den  tiirkischen  Kaufleuten,  die  nach  Venedig  kamen, 
als  Wohn-  und  Lagerraum;  1880  wurde  er  zur  Aufnahme  der 
Sammlung  Correr  bestimmt,  aus  der  das  heutige  Museo  Civico 
sich  entwickelt  hat.  Jenes  Gebaude,  das  in  jungster  Zeit  in  be- 
scheidener  Weise  erneuert  wurde  und  jedem  Besucher  Venedigs 
bekannt  ist,  war  im  XIV.  und  XV.  Jahrhundert  der  stolze  Wohn- 
sitz  der  Este.  So  oft  ein  Mitglied  der  Familie  nach  Venedig  kam, 
sei  es,  um  mit  der  Republik  zu  unterhandeln  oder  um  in  der  Stadt 
der  schonen  Kurtisanen  der  Lust  zu  fronen,  wohnte  es  in  diesem 
Palast.  Niccolo  III.  war  einigemal  in  Venedig  gewesen;  mit  dem 
groBten  Luxus  trat  er  1415  auf,  als  er  in  Begleitung  von  zwei- 
hundert  Rittern  kam  und  am  groBartigen  Turnier  auf  dem  Markus- 
platz  teilnahm. 

Zu  den  glorreichsten  Augenblicken  unter  Niccolos  Regierung 
gehbrte   der   Empfang   des    Kaisers    Siegmund    im   Dezember    des 


30 


ZWEITES  KAPITEL 


Jahres  1433,  als  der  Monarch  von  seiner  Kronung  zuruckkam.  Er 
gab  Lionello,  Borso  und  Ercole  den  Ritterschlag  und  hielt  Sigis- 
mondo  zur  Taufe.  Aber  ein  wichtigeres  Ereignis  war  das  be- 
ruhmte  Konzil  zu  Ferrara  1437.  Seine  Aufgabe  war  die  Wieder- 
vereinigung  der  griechischen  und  romischen  Kirche,  die  sich  858, 
seit  den  Tagen  des  Photius,  gespalten  hatte;  ferner  gait  es,  Mittel 
zur  Bekampfung  der  Turken  zu  finden,  die  das  Ostliche  Kaiserreich 
bedrohten.  Zu  den  Griinden,  die  den  Papst  bewogen  hatten,  Ferrara 
fiir  das  Konzil  zu  wahlen,  soil  auch  der  gehort  haben,  dafl  das 
Studium  des  Griechischen  damals  dort  bliihte,  und  man  sich  daher 
leichter  als  anderswo  mit  den  ostlichen  Gelehrten  verstandigen 
konnte. 

Zum  Konzil  war  selbst  der  Papst  Eugen  IV.  gekommen,  ferner 
der  Kaiser  des  Ostens  Johannes  Palaeologus,  Demetrius,  der  Be- 
herrscher  Moreas,  Joseph,  der  Patriarch  von  Konstantinopel,  und 
viele  Gesandte  und  Pralaten.  Aber  weder  der  Papst  noch  Niccolo 
waren  imstande,  langere  Zeit  die  ungeheuren  Kosten  zu  tragen,  die 
der  Unterhalt  der  Gaste  verursachte,  so  ubersiedelte  das  Konzil 
im  nachsten  Jahre  nach  Florenz,  das  sich  erboten  hatte,  die  er- 
forderlichen  Mittel  aufzubringen.  Dazu  wurde  Ferrara  von  einer 
Seuche  heimgesucht,  und  der  plotzliche  Tod  eines  der  ostlichen 
Bischofe  verursachte  einen  panischen  Schrecken  unter  den  Ver- 
sammelten,  die  Ferrara  urn  jeden  Preis  zu  verlassen  wiinschten. 
Auch  Niccolo  ging  nach  Florenz.  Drei  Jahre  darauf  starb  er 
plotzlich  in  Mailand  am  26.  Dezember  1441  wahrend  seines  Aufent- 
haltes  als  Friedensvermittler  zwischen  Mailand  und  Venedig.  Zu 
seinem  Nachfolger  hatte  er  Lionello  bestimmt,  bei  dessen  etwaigem 
Tode  Borso;  erst  nach  ihrem  Ableben  sollte  der  Thron  seinen  legi- 
timen  Sohnen,  Ercole  und  Sigismondo,  zufallen.  In  seinem  Testa- 
ment bezeichnete  der  Markgraf  Lionello  als  den  der  Herrschaft 
wiirdigsten,  ,,in  quern  praeclarissimum  suum  natum  semper  totam 
suam  mentem  et  totas  cogitationes  locavit  et  fixit". 

Die  Leiche  des  Markgrafen  wurde  nach  Ferrara  gebracht,  dem 
Wunsch  des  Toten  entsprechend  ward  sie  nackt  in  den  Sarg  gelegt 
und  in  S.  Maria  di  Belfiore  ohne  jedes  Geprange  beigesetzt.  In 
tiefer  Stille  bewegte  sich  der  Leichenzug  nachts  durch  die  StraBen 


NICCOLO  III.  3I 

der  Stadt,  und  nur  Tausende  von  Menschen  und  Fackeln  verrieten 
die  Bedeutung  der  Stunde.  Am  Hofe  der  Este  trug  man  lange 
tiefe  Trauer  nach  dem  Tode  dieses  ungewohnlichen  Herrschers, 
noch  ein  Jahr  darauf  waren  die  Wande  und  Mobel  des  Schlosses 
tnit  schwarzem  Tuch  ausgeschlagen,  die  Markgrafen  und  der  ge- 
samte  Hofstaat  trugen  schwarze  Samtanziige  und  Hiite  und  Hand- 
schuhe  in  gleicher  Farbe.  —  Zahllose  Epitaphe  entstanden  an- 
laBlich  des  Todes  des  Fiirsten,  da  jeder  der  ferraresischen  Huma- 
nisten  sich  fiir  verpflichtet  hielt  mit  Schmeicheleien  hervorzutreten, 
die  den  Sohnen  des  Verstorbenen  angenehm  sein  konnten.  Guarino 
hatte  nicht  weniger  als  vier  Inschriften  fiir  den  Grabstein  ent- 
worfen. 

Niccolo  hatte  groBe  Vorziige,  sie  entsprangen  einem  richtigen 
Begreifen  dessen,  was  seinem  Geschlecht  von  Nutzen  sein  konnte. 
Eine  starke  Dynastie  ist  ohne  strenges  Regiment  unmoglich,  dessen 
war  er  stets  eingedenk,  und  in  diesem  Sinne  hat  er  gehandelt.  Ernst- 
haft  bemiihte  er  sich,  Kunst  und  Wissenschaft  zu  fdrdern.  Es 
gait,  Gelehrte  und  Kiinstler  nach  Ferrara  zu  ziehen,  um  den  Glanz 
des  Hofes  zu  erhohen  — ,  dies  Streben  beherrschte  damals  jeden 
Fiirsten.  Namentlich  lag  Niccolo  die  Erziehung  seiner  Sonne  am 
Herzen,  deshalb  berief  er  Guarini  Guarino  aus  Verona,  den  be- 
kanntesten  Humanisten  im  damaligen  Italien.  Durch  seine  Wirk- 
samkeit  wurde  der  Hof  von  Ferrara  zu  einem  der  bedeutendsten 
Mittelpunkte  humanistischer   Studien. 


Ill 

Guarino  war  der  erste  Italiener,  der  im  Griechischen  unter- 
richtete.  Langere  Zeit  war  er  in  Konstantinopel  gewesen,  nach 
seiner  Riickkehr  lehrte  er  in  Florenz,  Venedig,  Verona  und  schlieB- 
lich  in  Ferrara  Lateinisch  und  Griechisch.  In  Venedig  war  er  1414 
wie  ein  regierender  Fiirst  empfangen  worden  oder  wie  ein  heim- 
kehrender  Triumphator.  Einer  seiner  Lobredner  schreibt,  es  scheine, 
daB  der  Kaiser  nach  Venedig  gekommen  sei,  soviel  Menschen  seien 
dem  beruhmten  Gelehrten  entgegengezogen ;  und  mag  auch  manches 


32 


ZWEITES   KAPITEL 


Ubertriebene  in  diesen  Worten  liegen,  so  beweisen  sie  doch  den  all- 
gemeinen  Eifer,  der  der  neuen  Wissenschaft  gait.  Nach  der  Tra- 
dition soil  Guarino  zwei  StoBe  von  Handschriften  aus  Griechenland 
mitgebracht  haben;  als  der  eine  beim  Untergang  des  Schiffes  im 
Meer  versank,  soil  der  arme  Gelehrte  vor  Kummer  graue  Haare 
bekommen  haben.  Als  Guarino  infolge  einer  Seuche  1416  aus 
Venedig  nach  Verona  kam,  versuchte  die  Heimatstadt  alles,  um 
ihn  an  sich  zu  fesseln,  und  da  kein  Mittel  verfing,  beschloB  man 
ihn  dort  zu  verheiraten.  Mit  Hilfe  von  Guarinos  Mutter,  die  in 
Verona  lebte,  gelang  die  Intrige,  er  wurde  mit  Taddea  Cendrata 
di  Niccoli  zusammengetan,  und  der  ungliickliche  Humanist  klagt, 
ihm  sei  so  stark  zugesetzt  worden,  daB  er  nicht  anders  konnte, 
,,ita  ut  manus  dederim".  Guarino  begriindete  in  Verona  eine  sehr 
gut  besuchte  Privatschule,  aber  infolge  einer  wiederholt  ausbrechen- 
den  Seuche  muBte  er  dreimal  nach  Valpolicella  fluchten,  wo  seine 
Frau  einen  kleinen  Besitz  hatte.  Niccolo  d'Este  beniitzte  diesen 
AnlaB,  um  ihn  nach  Ferrara  zu  Ziehen,  mit  veranlaBt  von  seinem 
Ratgeber  Giacomo  Giglioli,  der  auch  heranwachsende  Sonne  hatte 
und  ihnen  eine  bessere  Erziehung  zu  geben  wiinschte.  Verona 
wollte  aber  Guarino  nicht  so  leicht  hergeben,  erst  nach  langeren 
Unterhandlungen  gestattete  man  dem  Gelehrten,  mit  seiner  Familie 
den  neuen  Wohnort  zu  beziehen. 

Im  Mai  des  Jahres  1429  kam  der  damals  schon  sechzigjahrige 
Guarino  nach  Ferrara;  da  auch  dort  eine  Seuche  herrschte,  entfloh 
er  der  Stadt  so  schnell  als  moglich  und  fiihrte  acht  Monate  hin- 
durch  in  umliegenden  Dorfern  ein  trauriges  Leben  in  Begleitung 
von  elf  Kindern,  seiner  Frau,  die  wieder  Mutterfreuden  entgegen- 
sah,  und  einigen  Dienstboten.  Daran  nicht  genug,  anvertraute  ihm 
auch  Giacomo  Giglioli  seine  Sonne,  da  er  fur  deren  Gesundheit  in 
Ferrara  fiirchtete;  so  hatte  der  ungliickliche  Padagoge  ein  voll- 
standiges  Pensionat  und  Spital,  da  stets  ein  Teil  der  Gesellschaft 
krankelte.  Als  im  Winter  die  Gefahr  endlich  voriiber  war,  er- 
schien  Guarino  in  Ferraras  stillen  StraBen  (1429)  und  wie  es  bei 
seinem  Lobredner  heiBt: 

Mansurum  placida  statione  recepit 
Pacis  et  aligeri  Ferraria  mater  amoris. 


NICCOLO   III.  33 

Hier  begriindete  er  ein  Privatinstitut ;  sehr  bald  iibertrug  ihm 
der  Markgraf  Lionellos  Erziehung  und  lieB  ihm  dafiir  350  Du- 
katen  jahrlich  iiberweisen,  eine  fur  damalige  Zeiten  fiirstliche  Be- 
lohnung.  Er  war  ein  beruhmter  Padagoge  und  Lehrer;  seine 
Schriften  sind  jedoch  trocken  und  langweilig,  und  seine  Briefe  und 
Reden  gleichen  in  dieser  Beziehung  alien  ubrigen  literarischen  Er- 
zeugnissen  der  Humanisten.  Aus  seinem  beruhmten  an  Lionello 
nach  dem  Tode  des  Markgrafen  gerichteten  Brief  spricht  jene 
kriecherische  Gesinnung  vor  dem  neuen  Fiirsten,  die  alle  hofischen 
Schriftsteller  der  Renaissance  kennzeichnet.  Guarinos  sympathische 
Ziige  sind  dagegen  das  Sehnen  nach  griechischer  Kultur,  nach 
jenem  Ideal  der  Menschheit,  um  dessen  Wiedereroberung  es  zu 
kampfen  gait,  wie  einst  die  Kreuzfahrer  um  Christi  Grab  gekampft 
hatten.  Fur  Guarino  und  die  ersten  Humanisten  war  Griechen- 
land  das  heilige,  das  gelobte  Land. 

Die  griechischen  Padagogen  begriindeten  damals  in  Italien 
Privatschulen  und  hatten  damit  viel  Erfolg,  denn  die  Eltern  waren 
nicht  langer  gezwungen,  ihre  Sonne  in  dieKlosterschulen  zu  schicken, 
die  immer  mehr  verfielen.  In  Padua  eroffnete  im  Jahre  1408  der 
Grieche  Barzizza  eine  Schule  nebst  einer  Privaterziehungsanstalt; 
er  beschaftigte  tiichtige  Lehrer,  und  die  venezianischen  Patrizier- 
sdhne  stromten  in  dies  Institut.  Die  Schiiler  bezahlten  jahrlich 
fur  Unterricht  und  Unterhalt  vierzig  Skudi.  Nach  dem  Muster 
dieser  Anstalt  begriindete  Guarino  seine  Schule  in  Ferrara,  an  der 
er  selbst  unterrichtete;  aufierdem  hatte  er  offentliche  Vorlesungen 
an  der  dortigen  Universitat.  Die  Abende  widmete  er  den  jungen 
Leuten,  die  bei  ihm  wohnten,  und  der  Wissensdurst  war  so  groB, 
daB,  wie  einer  seiner  Schiiler  berichtet,  er  und  seine  jungen 
Freunde,  die  im  gleichen  Zimmer  schliefen,  zumeist  bis  um 
Mitternacht  lernten  und  um  drei  Uhr  morgens  schon  wieder  vor 
den  Buchern  saBen.  Selbst  im  Sommer  am  Lande  war  der  Lern- 
eifer  nicht  zu  stillen.  Wir  besitzen  einen  Brief  eines  anderen 
Schiilers  von  Guarino,  in  dem  der  Jiingling  schildert,  mit  welcher 
Freude  ,,incredibili  voluptate"  er  sich  auf  dem  Lande  humanistischen 
Studien  hingebe;  selbst  wahrend  korperlicher  Obungen  konnen  sich 
die  Schiiler  nicht  vom  Buche  trennen,  bei  jeder  Gelegenheit  sprechen 

3 


34  ZWEITES  KAPITEL 

sie  mit  den  Lehrern  von  Griechen  und  Romern,  so  dafl  jeder  Spazier- 
gang  ihr  Wissen  bereichert.  Grolien  Eindruck  machte  den  Pa- 
dagogen  das  Buch  von  Pierpaolo  Vergerio,  das  1404  unter  dem  Titel 
erschien  ,,De  ingenuis  moribus  ac  liberalibus  studiis  ad  Ubertinum 
Carrariensem"  und  Vorschriften  iiber  Erziehung  und  Unterricht 
enthielt.  Dieser  Traktat  sollte  als  Grundlage  fur  die  Erziehung 
des  jungen  Ubertino  dienen,  des  Sohnes  Francesco  Novellos  II.,  des 
Herrn  von  Carrara.  Pierpaolo  stiitzte  sich  auf  Theorien,  die  er 
griechischen  und  romischen  Autoren,  wie  Plato,  Aristoteles,  Plu- 
tarch, Cicero  (De  oficiis)  und  Quintilian  entnommen  hatte.  Ver- 
gerio legte  das  Hauptgewicht  auf  Literatur,  Musik,  Zeichnen  und 
Fechten.  Guarino  gliederte  diesem  System  weitere  korperliche 
Ubungen  an:  Jagen,  Schwimmen  und  Tanzen  waren  Vorschrift, 
wahrend  der  Tanz  gegen  Vergerios  Grundsatze  war.  Hauptsachlich 
lag  es  Guarino  daran,  seinen  Schulern  gesunde  moralische  Grund- 
satze einzuimpfen,  —  gerade  darin  war  man  damals  sehr  lax.  Er 
hielt  an  den  Satzungen  der  Kirche  fest  und  fiihrte  im  Gegensatz 
zu  vielen  Humanisten  seine  Schuler  taglich  vor  dem  Unterricht 
in  die  Kirche.  DaB  er  ein  guter  Padagoge  war,  bewies  er  an  seiner 
eigenen  Familie,  denn  elf  von  seinen  dreizehn  Kindern  hat  er  zu 
brauchbaren  Menschen  erzogen.  Guarinos  Schule  besuchten  Fran- 
zosen,  Deutsche,  Englander,  Polen  und  Ungarn;  als  Knaben  schon 
kamen  sie  nach  Ferrara,  so  Giovanni  di  Cisinge,  mit  dem  Bei- 
namen  Pannonius,  der  als  dreizehnjahriger  gekommen  war  und  bis 
zu  seinem  vierundzwanzigsten  Jahr  bei  Guarino  verblieb.  Auch 
altere  Leute  besuchten  seine  Vortrage,  darunter  Ferraras  einfluB- 
reichste  Manner. 

Die  Schule  zerfiel  in  drei  Abteilungen;  auf  einen  Elementar- 
kursus  baute  sich  das  Studium  von  Grammatik  und  Rhetorik  auf. 
Das  Ziel  dieser  Kurse  war:  griindliche  Unterweisung  im  Latei- 
nischen  und  Griechischen  und  Kenntnis  der  alten  Schriftsteller; 
ferner  war  es  dem  Lehrer  um  eine  gewisse  Gewandtheit  zu  tun, 
so  muBten  die  Schuler  taglich  iiber  die  verschiedensten  Gegenstande 
debattieren.  Beredsamkeit  wurde  von  der  Jugend  verlangt;  sie 
sollte  in  gewahlter  Sprache  jede  These  verteidigen  konnen,  ein- 
fache,  ja  bizarre  so  gut  wie  streng  philosophische.     Eine  beliebte 


NICCOLO   III.  35 

Aufgabe  war  unter  anderen  der  Streit  iiber  die  Jungfraulichkeit 
der  Dido,  iiber  die  es  in  Poesie  und  Geschichte  der  Alten  wider- 
sprechende  Berichte  gibt. 

Den  Padagogen  war  es  im  Beginn  der  Renaissance  darum  zu 
tun,  daB  sich  die  Jugend  in  ihren  Instituten  wohl  fiihle,  heiter  und 
witzig  sei;  die  Anfange  humanistischer  Erziehung  standen  noch 
nicht  im  Zeichen  der  Pedanterie.  Unter  den  Schiilern  trieb  die 
Satire  iippige  Bliiten.  Nicht  wenig  AnlaS  dazu  boten  die  Pro- 
fessorenfrauen,  die  sich  gern  einen  der  Studenten  als  kiinftigen 
Gatten  fur  ihre  Tochter  gekodert  hatten;  auch  die  ferraresischen 
Madchen,  jene  Lelien  und  Lucien,  gingen  so  wenig  leer  aus  wie 
die  „Griechin".  Guarino  selbst  wuBte  seine  Wiirde  zu  wahren. 
Als  die  Schuler  ihn  zu  einem  Bankett  einluden,  weigerte  er  sich 
zu  kommen,  da  ein  alter  Mann  wie  er  die  Ausgelassenheit  ihrer 
Feste  nicht  storen  solle. 

Um  1425  hatte  Vittorino  da  Feltre  seine  beruhmte  Schule  in 
Mantua  eroffnet,  die  ,,Casa  gioiosa",  das  frohliche  Haus,  so  genannt 
wegen  des  heiteren  Tones,  der  dort  unter  der  Jugend  herrschte. 
Gianfrancesco  II.,  der  Markgraf  von  Mantua,  hatte  Vittorino  be- 
rufen;  er  unterrichtete  nicht  nur  die  Sohne  und  Tochter  der  furst- 
lichen  Familien,  sondern  auch  die  Kinder  Unbemittelter,  und  selbst 
aus  der  Fremde  strdmten  ihm  Schuler  zu. 

Dies  waren  die  gliicklichsten  Zeiten  des  einsetzenden  Huma- 
nismus,  und  in  den  Schulen  dieser  beiden  Manner  zeitigte  er  seine 
besten  Friichte.  Das  humanistische  Schulwesen  trug  aber  den 
Keim  des  Verderbens  schon  in  sich,  denn  es  wurde  auf  den  Stamm 
scholastischer  Schulweisheit  gepfropft;  die  neuen  Safte  klassischen 
Wissens,  die  diesem  morschen  Stamm  zugefiihrt  wurden,  belebten 
ihn  nur  fur  einen  Augenblick.  Kaum  waren  die  beiden  Padagogen 
aus  Ferrara  und  Mantua  tot,  so  wurde  ihr  System  von  der  furcht- 
barsten  Pedanterie  durchsetzt,  und  der  Beiname  eines  Pedanten, 
eines  Menschen,  der  an  der  schwersten  Dummheit  trug  —  hatte  er 
sie  sich  doch  durch  langjahriges  Griibeln  iiber  Biicher  angeeignet  — , 
ward  in  den  folgenden  Jahrhunderten  der  Schrecken  aller  ver- 
niinftigen  Menschen.  Von  den  Pedanten  erzahlte  man  sich  folgende 
Anekdote:  Eines  Tages  war  ein  groBer  Streit  unter  ihnen  auf  dem 


36  ZWEITES  KAPITEL 

ParnaB  entstanden;  die  einen  behaupteten,  daB  sich  das  Wort 
consumptum  mit  p  schreibe,  die  anderen  wollten  des  p  entraten. 
Da  wollte  der  erziirnte  Apoll  alle  Pedanten  aus  seinem  Reich  ver- 
bannen,  und  nur  auf  die  Bitten  Ciceros  und  Quintilians,  die  ihnen 
nicht  den  geringsten  Teil  ihres  Ruhmes  verdankten,  lieB  er  sich 
erweichen. 

Der  beriihmteste  Humanist  in  Ferrara  neben  Guarino  war 
Giovanni  Aurispa,  er  war  etwas  friiher  an  den  Hof  der  Este  als 
Meliadus  ,,precettore"  gekommen.  Ein  ganz  anders  gearteter 
Mensch  als  Guarino,  gehort  er  zu  jenem  unter  den  Humanisten 
verbreiteten  Typus,  der  Karriere  machen  wollte,  fiir  den  die  neue 
Wissenschaft  nur  ein  Mittel  war,  urn  Beziehungen  zu  den  Hofen 
anzukniipfen  und  sich  moglichst  vorteilhafte  geistliche  Pfrunden 
zu  sichern.  Aus  diesem  Grunde  hatte  Aurispa  auch  die  geistlichen 
Weihen  genommen,  doch  hinderte  ihn  dies  durchaus  nicht,  welt- 
lichen  Freuden  nachzugehen.  Sein  Freund  war  Beccadelli  Panor- 
mita,  der  sich  eine  Zeitlang  in  Ferrara  aufhielt.  Sie  stimmten  in 
ihren  Anschauungen  iiberein,  nur  war  Panormita  begabter  und 
ehrgeiziger.  Als  Beccadelli  einst  von  Neapel  aus  Aurispa  vor- 
stellte,  daB  er  dort  Bischof  werden  konne,  wenn  er  sein  Sybariten- 
leben  in  Ferrara  aufgeben  wolle,  erklarte  Aurispa,  daB  er  sein  be- 
quemes  Dasein  in  Ferrara  den  Miihen  vorzoge,  die  mit  hohen 
Amtern  verkniipft  seien.  Aurispa  hat  sehr  wenig  geschrieben, 
sein  ganzer  literarischer  NachlaB  besteht  aus  sieben  kurzen  Ge- 
dichten  und  einigen  kleineren  aus  dem  Griechischen  iibersetzten 
Schriften.  Er  war  trage  und  be  quern;  sein  Versprechen,  eine 
kurze  Biographie  Homers  innerhalb  vierzehn  Tagen  zu  iibersetzen, 
hat  er  selbst  im  Laufe  eines  Jahres  nicht  erfullt,  obgleich  er  nach 
Panormitas  Aussage  nichts  anderes  zu  tun  hatte,  als  ,, seine 
Nagel  zu  putzen  und  seinen  fetten  Bauch  zu  kratzen". 

Seiner  griindlichen  Kenntnis  des  Griechischen  und  seiner  be- 
deutenden  griechischen  Bibliothek  hatte  Aurispa  seine  Stellung  unter 
den  Humanisten  zu  danken.  Es  war  fiir  ihn  leichter  als  fiir 
andere  Gelehrte,  kostbare  Biicher  zu  sammeln,  da  er  groBe  Ein- 
kiinfte  hatte;  auBerdem  vermehrte  er  seine  Sammlung  durch  ent- 
liehene  Handschriften,  die  er  nicht  wiedergab.     Filelfo  hat  es  ihm 


NICCOLO   III.  37 

nie  verziehen,  daB  er  ein  von  ihm  entliehenes  Buch  trotz  nicht 
ubermaBig  hoflicher  Mahnungen  dreiundzwanzig  Jahre  behalten 
hat.  Wahrscheinlich  hat  er  als  echter  Humanist  auch  Handel  in 
Handschriften  getrieben,  und  er  verstand  es,  gelegentlich  fiir  seine 
Biicher  wirkliche  ,,Liebhaber"-Preise  zu  erzielen. 

Ein  anderer  ernsthafterer  Vertreter  unter  den  damaligen  Ge- 
lehrten  war  Ugo  Benzi,  Arzt,  Physiker,  Philosoph  und  Literat; 
Niccolo  III.  hat  ihn  nach  Ferrara  berufen,  damit  er  an  der  dortigen 
Universitat  lese.  Benzi  konnte  auf  eine  beruhmte  Dozentenver- 
gangenheit  zuriickblicken.  Er  hatte  in  Padua,  Bologna,  Pavia, 
Florenz,  ja  selbst  in  Paris  an  der  Universitat  gelesen  ,,ubi  im- 
mortali  cum  laude  docuit".  Uberall  war  er  der  Fiirst  unter  den 
Arzten  und  Philosophen  genannt  worden. 

Wahrend  des  ferraresischen   Konzils  hatten  diese  Humanisten 

eine   glanzende  Gelegenheit,  sich   durch   ihr   Wissen    hervorzutun. 

Damals  gab  Benzi  den  griechischen  Gelehrten  ein  Fest,  an  dem  selbst 

Niccolo  III.  teilnahm.  Nach  dem  Essen  wurden  dieTische  auseinander 

geriickt  und  Aristoteles'  und  Platos  Anhanger  begannen  die  Debatte. 

Der  Wirt  bat  seine  Gaste,  ihm  Fragen  iiber  philosophische  Probleme, 

die  damals  im  Mittelpunkt  des  Interesses  standen,  zu  stellen;  ohne 

vorbereitet  zu  sein  beantwortete  er  jede  einzelne  mit  iiberraschender 

Belesenheit,  obgleich  das  Gesprach  bis  tief  in  die  Nacht  dauerte.  Prak- 

tischer  als  Ugo  gewann  Aurispa  zwar  nicht  unsterblichen  Ruhm  bei 

diesen  gelehrten  Versammlungen,  wurde  aber  dafur  vom  Papst  zum 

Sekretar  der  romischen  Kurie  ernannt.    Niccolo  hat  auch 

MicheleSavonarolaausPaduanachFerraraberufen; 

er  war  ein  beriihmter  Arzt  und  Schrift- 

steller  und  der  GroBvater  des  Flo- 

rentiner  Kanzelredners 

und  Reformators. 


DRITTES  KAPITEL 

LIONELLO 


i 


wei  Tage  nach  Niccolos  Tod  trat  der  Adel  im  Kastell 
im  Saal  der  ,,zwei  Kamine"  zusammen  und  ernannte 
Lionello  zumHerrn  vonFerrara,  Modena,  Reggio  und 
samtlichen  dazu  gehdrigen  Ortschaften  und  Schlossern. 
Dann  durchzog  die  Versammlung,  Lionello  an  der 
Spitze,  die  StraBen  der  Stadt  zu  Pferde,  und  das 
versammelte  Volk  rief:  ,,Viva  lo  illustrissimo  messer  Leonello 
signore  nostro!" 

Ein  Portrat  von  Giovanni  Oriolo  in  der  National  Gallery  zu 
London,  ein  zweites  von  Pisanello  in  der  Sammlung  Morelli  zu 
Bergamo,  sowie  einige  Medaillen  sind  von  Lionello  erhalten.  Er 
hat  einen  eigenartigen  Kopf  mit  lockigem  Haar,  einer  seltsam  ab- 
geschragten  Stirn,  kleinen  aber  scharfen  Augen,  einer  schmalen, 
langen  Nase,  sinnlichen  Lippen  —  der  Gesamteindruck  ist  nicht 
unsympathisch.  Besonders  das  Londoner  Bildnis,  das  Lionello  in 
jugendlichem  Alter  darstellt,  nimmt  fiir  diese  Personlichkeit  ein, 
von  der  die  Zeitgenossen  so  viel  edle  Ziige  uberliefert  haben.  Auf 
dem  Revers  zweier  Medaillen  Pisanellos  befindet  sich  ein  Mast 
mit  stark  geschwelltem  Segel.  Es  scheint  dies  ein  Zeichen  von 
Bestandigkeit  zu  sein,  die  jedem  Sturm  trotzt:  Lionellos  Symbol. 
Niccolo  hat  diesem  Sohn  eine  besonders  sorgfaltige  Erziehung 
angedeihen  lassen.  Guarino  war  fiinf  Jahre  hindurch  sein  Lehrer, 
bis  zur  Heirat  des  jungen  Markgrafen  mit  Margherita  Gonzaga. 
Vergil,  Cicero,  Valerius  Maximus,  Justinian,  Ovid  und  Terenz  hat 
er    mit    seinem    Schiiler    gelesen    und    ihn    in    alien    korperlichen 


LIONELLO  39 

Fertigkeiten  unterwiesen.  Lionello  konnte  reiten,  schwimmen,  laufen, 
springen,  tanzen  und  mit  dem  Schwert  fechten.  Damit  der  Thron- 
folger  auch  in  der  Kriegskunst  erfahren  sei,  schickte  ihn  der  Vater 
1422  nach  Perugia,  in  das  Lager  des  beriihmten  Condottiere  Braccio 
dei  conti  di  Montone.  Zwei  Jahre  lernte  Lionello  das  Kriegshand- 
werk  und  blieb  bis  zum  Tode  des  Fuhrers  im  Lager.  Damals  hatte 
er  ein  Verhaltnis  mit  Braccios  schoner  Tochter,  das  seine  um  die 
Tugend  ihres  Helden  allzu  angstlich  besorgten  Biographen  nicht 
zugeben  wollen.  Trotz  dieses  Romanes  vergaB  Lionello  in  der 
Feme  seines  Lehrers  nicht,  vielmehr  berichtete  er  ihm  regelmaBig 
iiber  seine  Reisen.  Diese  Briefe  beweisen  seine  Anhanglichkeit  an 
Guarino.  Er  meldet  ihm  einmal,  daB  er  keinen  geringen  Anteil 
am  Siege  habe,  den  Braccio  errungen,  ein  andermal  schickte  er  ihm 
Rehbocke  und  Fasanen,  oder  ein  eben  erworbenes  Buch,  oder 
bittet  ihn,  ihm  einen  Passus  in  einem  alten  Autor  auszulegen, 
den  er  nicht  verstanden.  Er  beschreibt  seine  Zeiteinteilung  auf  dem 
Lande:  auf  Jagdfreuden  folgen  Lektiire,  Musik  und  Gesang.  Auch 
Guarino  kargt  mit  Beweisen  seiner  Sympathie  fur  den  ehemaligen 
Schiiler  nicht.  Er  wollte,  daB  man  ihn  in  Zukunft  Guarino  Lionelli 
nenne,  und  auf  eines  seiner  Biicher  schrieb  er  stolz:  ,,Hoc  libello 
me  Guarinum  Veronesem  donavit  Leonellus  Estensis."  Guarino 
und  anderen  Gelehrten,  so  Pier  Candido  Decembrio,  schrieb  Lionello 
lateinisch,  seinen  iibrigen  Bekannten  italienisch,  im  ferraresischen 
Dialekt,  und  als  echter  Sohn  seiner  Zeit  machte  er  naturlich  auch 
Gedichte.  Er  hinterlieB  einen  Band  lateinischer  und  italienischer 
Gedichte,  aber  nur  zwei  Liebessonette  sind  auf  uns  gekommen. 
In  dem  einen  beklagt  sich  der  Dichter,  daB  Amor  ihn,  der  Seh- 
kraft  beraubt,  blind  am  Wege  irren  lasse  und  hohnisch  zu  ihm 
spreche:  ,,Gehe  nur  hin,  Ubermiitiger,  der  seiner  Kraft  vertraut." 
Und  der  Dichter  sucht  seinen  Weg  und  harrt  eines  Mitleidigen, 
der  ihn  an  der  Hand  fassen  und  leiten  wiirde.  Aber  vergebens 
wartet  er,  er  muB  Amors  Spott,  der  ihm  auflauert,  tragen  und  ihn 
beschamt  bitten,  ihm  wieder  Fuhrer  zu  sein.  In  einem  anderen 
Sonett  schildert  Lionello  eine  wunderbare  Quelle,  die  am  Helikon 
entspringt,  wer  Stirn  und  Hande  in  sie  taucht,  verhartet  sich  gegen 
die  Glut  der  Liebe.     Auch  der  Dichter  ist  hingepilgert,  aber  Amor 


4o  DRITTES  KAPITEL 

wartet  seiner  dort  mit  gespanntem  Bogen,  und  als  er  am  Quell 
schopfen  will,  vergiftet  der  Gott  das  Wasser  mit  seinem  Pfeil.  So 
entziindet  die  Quelle  die  Wunde,  die  sie  heilen  sollte,  zu  neuem 
Brand.  Petrarcas  EinfluB,  der  die  damalige  italienische  Lyrik  be- 
herrschte,  ist  in  diesen  Sonetten  unverkennbar. 

Nach  seiner  Riickkehr  aus  Perugia  war  Lionello  Zeuge  der 
furchtbaren  Tragodie:  des  Todes  von  Parisina  und  Ugo,  an  dem 
er  sehr  hing.  Dieser  Vorfall  scheint  eine  leise  Schwermut  erzeugt 
zu  haben,  die  immer  mehr  in  seinem  Wesen  durchbrach.  Lionello 
blieb  aber  dem  Vater  zugetan,  auch  Niccolo  hatte  den  Sohn  auf 
Reisen  immer  um  sich  und  erwies  ihm  viel  Liebe. 

Noch  zu  Lebzeiten  des  Vaters  vermahlte  sich  Lionello  1435 
mit  Margherita  Gonzaga  aus  Mantua.  Sie  stand  ihm  geistig  nahe, 
war  Vittorino  da  Feltres  gelehrte  Schulerin  und  traumte  gleich 
ihrem  Gatten  von  Griechen  und  Rdmern.  Guarino  freute  sich 
dieser  Heirat  so  sehr,  daB  er  zweiBiographien  von  Plutarch  fur  Lionello 
als  Hochzeitsgeschenk  iibersetzte;  brieflich  sprach  er  ihm  seine 
Freude  dariiber  aus,  daB  er  eine  so  gebildete  Fiirstin  eheliche. 
Schon  im  Verlobungsvertrag,  den  Niccolo  III.  und  Gonzaga 
schlossen,  ward,  wie  Niccolo  dem  venezianischen  Senat  berichtet, 
Lionello  die  Nachfolge  in  Ferrara  gesichert.  Die  freundschaftlichen 
Beziehungen,  die  schon  seit  langerer  Zeit  zwischen  den  Este  und 
Gonzaga  bestanden,  befestigen  sich  vermoge  dieser  Heirat,  und 
zwei  Jahre  spater  fand  Carlo  Gonzagas  Trauung  mit  Lucilla,  Lio- 
nellos  Schwester,  statt. 

Margherita  war  keine  Schonheit,  aber  die  Chronisten  finden 
nicht  Worte  genug,  um  ihre  gute  Erziehung,  ihre  Bescheidenheit 
und  Gute  zu  preisen.  In  Ferrara  zog  sie  am  6.  Februar  1435  ein, 
alter  Sitte  gemaB,  wie  alle  jungen  Markgrafinnen,  auf  weiBem 
Zelter,  doch  der  Tag  war  kalt  und  die  Felder  mit  Schnee  bedeckt. 
Sie  trug  einen  scharlachroten,  hermelinverbramten  Samtmantel, 
und  wirkte  wahrhaft  koniglich  unter  dem  Baldachin. 

Die  Feste  dauerten  drei  Tage  und  verschlangen  ein  Vermdgen; 
die  Stadt,  die  hoheren  Beamten,  selbst  Privatpersonen  beteiligten 
sich  mit  bedeutenden  Betragen  an  den  Kosten  fur  die  Hochzeits- 
feierlichkeiten,  um  sich  die  Gunst  des  Markgrafen  zu  sichern.     So 


LIONELLO  D'ESTE 
BILDNIS  VON  PISANELLO.     BERGAMO,  AKADEMIE  (GALLERIA  MORELU) 


UONELLO 


41 


schickten  unter  anderen  die  Stadt  Modena  Niccolo  fiir  diesen  Zweck 
2000  Lire,  der  Bischof  von  Modena  259,  Ugo  Bed,  ein  bekannter 
Humanist  und  Gelehrter  in  Ferrara,  166,  und  der  Hofarchitekt 
Giovanni  da  Siena  100.  Es  war  allgemein  bekannt,  daB  Niccolo 
kein  Barvermogen  hatte,  bei  Gianfrancesco  von  Mantua  hatte  er 
44000  Dukaten  geborgt,  zum  Teil  waren  sie  schon  zuriickgezahlt, 
wahrend  sie  zum  andern  Teil  in  Margheritas  Mitgift  verrechnet 
wurden. 

Fiir  das  junge  Paar  wurde  im  SchloB  eine  Wohnung  her- 
gerichtet.  Ein  Schlafzimmer  fiir  den  Winter  nach  Siiden,  ein 
2weites  fiir  den  Sommer  nach  Norden  gelegen.  Im  Winterschlaf- 
zimmer,  der  Camera  dei  pavoni,  stand  ein  grosses  Himmelbeet, 
ein  neuer  NuBbaumtisch,  zwei  Banke,  eine  Truhe  mit  Samtbehang 
und  Ornamenten  aus  vergoldetem  Zinn  und  ein  Wandleuchter;  der 
groBte  Schmuck  dieses  Raumes  waren  zwei  Bankchen  mit  schwarz  - 
griiner  Atlasdecke,  darauf  Lionellos  Wappen  und  sein  Wahlspruch 
in  Diamanten.  Schwarz  und  Griin  iiberwogen  in  der  Einrichtung, 
die  prachtig,  aber  nach  heutigen  Begriffen  nicht  iibermafiig  be- 
quem  war.  Doch  war  das  Bett  mit  weichen,  mit  Wolle  gestopften 
Matratzen  versehen,  die  Kissen  aus  Daunen,  und  das  Deckbett 
hatte  einen  gestreiften  Oberzug.  Tagsiiber  lag  eine  schwarz-griine 
Atlasdecke  auf  dem  Bett,  die  mit  Ornamenten  und  Figuren  reich 
bestickt  war,  darunter  befand  sich  eine  musizierende  Frau.  An 
den  Wanden  hingen  wahrscheinlich  Bilder  venezianischer,  ferra- 
resischer  und  mantuanischer  Maler.  Die  Guardacamera  und  die 
Guardaroba  stieBen  an  das  Schlafzimmer;  in  der  ersten  wurden 
Kleider  und  Hausgerat  aufbewahrt;  so  befand  sich  dort  eine  Uhr 
mit  Zifferblatt  aus  vergoldetem  Zinn  und  einem  schwebenden 
Engel,  auBerdem  ein  Schachbrett  mit  Lionellos  Wappen;  Schach 
war  des  jungen  Markgrafen  Lieblingsspiel.  In  der  Guardaroba 
stand  ein  zweites  Schachbrett  in  schwarz  mit  weiBem  Elfenbein 
und  einem  dazugehorigen  Tischchen.  AuBerdem  standen  dort 
Truhen,  Banke,  ein  Tisch  aus  NuBbaumholz,  Kupferkriige  und 
Schiisseln.  Der  Humanismus  hatte  der  Antike  alles  abgelernt  — 
bis  auf  die  Sauberkeit  der  Rdmer.  Wahrend  das  kleine  Pompeji 
groBartige   Badeanstalten   hat  und   Bleirohren   das   Wasser  in  die 


42  DRITTES  KAPITEL 

Hauser  leiten,  sind  Badevorrichtungen  in  der  Renaissance  eine 
seltene  Ausnahme,  und  die  Ferraresen  muBten  den  Sommer  ab- 
warten,  um  im  Po  baden  zu  konnen.  Zu  Ehren  des  Markgrafen 
soil  nicht  verschwiegen  werden,  daB  sich  in  der  Guardaroba  ein 
groBes  Becken  mit  seinem  Wappen  zum  FuBwaschen  befand. 

Das  Speisezimmer,  ein  langer  Saal  mit  zwei  Kaminen,  wurde 
auch  bei  groBen  Empfangen  beniitzt.  Sechs  Banke,  zwei  Biifetts 
und  zwei  Tische,  der  eine  aus  Zypressenholz,  bildeten  die  Ein- 
richtung.  Vier  groBe  Leuchter  erhellten  den  Raum.  Wahrschein- 
lich  waren  die  Wandbehange  und  Teppiche  der  Hauptschmuck  des 
Speisesaals  und  der  Schlafzimmer.  Uber  die  Wanddekoration  in 
Lionellos  Raumen  sind  wir  nicht  unterrichtet,  aber  nach  damaliger 
Sitte  hatte  der  Speisesaal  wohl  eine  Holztafelung,  dariiber  Fresken 
oder  aus  Flandern  importierte  Arazzi.  Den  SteinfuBboden  deckten 
orientalische  Teppiche,  die  venezianische  Kaufleute  nach  Europa 
gebracht  hatten.  Lionellos  Hofstaat  speiste  in  einem  kleineren 
Raum,  in  der  ,,Sala  dei  lincorni",  so  genannt,  da  der  Markgraf  das 
Einhorn  in  seinem  Wappen  hatte.  Am  schonsten  scheint  jedoch 
die  ,, camera  dei  cimieri"  eingerichtet  gewesen  zu  sein,  Lionellos 
Studio.  Dort  war  ein  Biicherschrank  aufgestellt,  der  friiher  Paolo 
Guinigi,  dem  Fiirsten  von  Lucca,  gehdrt  hatte.  Niccolo  hatte  ihn 
erworben,  als  das  Eigentum  des  Tyrannen  nach  seinem  Sturz  ver- 
kauft  worden  war.  Es  muB  ein  mit  kiinstlerischem  Schnitzwerk 
versehener  Schrank  gewesen  sein,  sonst  hatte  der  Transport  von 
Lucca  nach  Ferrara  nicht  gelohnt.  Lionellos  Kammerdiener  und 
vier  andere  Bediente  hatten  bescheidene  Kammern,  ebenso  war  die 
weibliche  Dienerschaft  in  zwei  Raumen  untergebracht:  in  der 
,, stanza  delle  donne  vecchie"  und  in  der  ,, stanza  delle  donne  vedove". 
Margherita  krankelte  haufig,  sie  scheint  von  ihrem  Vater  ein 
schweres  Magenleiden  geerbt  zu  haben.  Da  sie  wahrend  der  ersten 
zwei  Jahre  ihrer  Ehe  kinderlos  blieb,  gelobte  sie  der  Kirche  von 
S.  Francesco  in  Assisi  ein  Exvotum,  fur  den  Fall,  daB  sie  Kinder 
bekame.  Nach  der  Geburt  ihres  Sohnes  am  28.  Juni  1438  schickte 
sie,  um  ihr  Geldbnis  zu  erfiillen,  ein  Wachsbild  nach  Assisi.  Aber 
ihre  Gesundheit  verschlimmerte  sich.  In  den  Brief  en  an  ihren 
Vater  baklagte  sie  sich  iiber  ein  ,,anhaltendes  Kaltegefuhl  im  Kopf", 


LIONELLO 


43 


sie  habe  einen  verdorbenen  Magen,  vertriige  Fleisch  iiberhaupt 
nicht  mehr  und  konne  sich  allein  von  weichen  Eiern  und  Suppen 
ernahren.  Die  Luft  in  Ferrara  bekam  ihr  schlecht,  so  ging  sie  im 
Sommer  1439  nach  Governolo,  der  Sommerresidenz  der  Gonzaga, 
aber  dort  verschlimmerte  sich  ihr  Zustand;  nach  vierjahriger  Ehe 
starb  sie  am  7.  Juli.  Auch  ihr  Vater  starb  an  einem  Magenleiden 
im  neunundvierzigsten  Lebensjahre. 

Lionello  hat  Margherita  sehr  geliebt,  ihr  Tod  ging  ihm  so  nahe, 
daB  er  sein  Leben  fur  zerstdrt  hielt.  Seine  neu  aufgenommenen 
Devisen  bezeugen  diesen  Kummer:  ein  Schwert  mit  zerbrochenem 
WurfspieB,  ein  AmboB  mit  geborstenem  Hammer,  ein  Schild,  in 
dem  einige  Pfeile  stecken,  wahrend  die  iibrigen  zerbrochen  am 
Boden  liegen. 

Fiinf  Jahre  blieb  Lionello  Witwer;  politische  Griinde,  be- 
sonders  die  Notwendigkeit  sich  einen  Bundesgenossen  gegen  die 
drohend  angewachsene  Macht  Venedigs  zu  sichern,  veranlaBten  ihn 
eine  zweite  Ehe  einzugehen.  Die  kiinftige  Markgrafin  von  Ferrara 
war  Maria  von  Aragon,  die  uneheliche  Tochter  Alfonsos  und  einer 
spanischen  Maurin.  In  Lionellos  Namen  leitete  Agostino  Villa 
1443  die  Verhandlungen.  Alfonso  versprach  seiner  Tochter  eine 
Mitgift  von  30000  Dukaten,  Lionello  sicherte  seiner  Gattin  die 
Halfte  dieser  Summe  als  ihr  Eigentum  zu  ,, propter  ejus  virgini- 
tatem". 

Fur  die  Kosten  der  Obersiedlung  der  Markgrafin  und  der  Feste 
anlaBlich  der  Hochzeit  muBten  wieder  die  ferraresischen  Stadt- 
gemeinden,  die  Bischofe  und  die  iibrigen  Wiirdentrager  des  Reiches 
aufkommen.  Es  war  ein  driickender  Brauch,  der  die  Freude  der 
Bevblkerung  iiber  die  Verbindung  der  Dynastie  mit  dem  Konigs- 
haus  von  Neapel  nicht  wenig  schmalerte. 

Die  Vorbereitungen  zum  Empfang  der  Neapolitanerin  ver- 
schlangen  ein  Vermogen.  Die  verstorbene  Markgrafin  war  Vitto- 
rino  da  Feltres  bescheidene  Schiilerin,  —  fur  die  Konigstochter, 
die  den  Luxus  des  vaterlichen  Hofes  gewohnt  war,  gait  es,  das 
SchloB  anders  herzurichten.  Obrigens  sollte  Maria  von  Aragon 
nicht  mehr  die  bescheidenen  Raume  der  Thronnachfolgerin  be- 
ziehen,  sondern  jenes  Appartamento,  das  Niccolo  friiher  mit  seinem 


44  DRITTES  KAPITEL 

Hofstaat  bewohnt  hatte.  So  wurden  groBe  Neuanschaffungen  ge- 
macht:  silberne  und  emaillierte  Tafelgerate,  figiirliche  Teppiche  aus 
Flandern,  seidene  Wandbehange,  silberne  Stickereien,  vier  Schilde 
mit  dem  Wappen  ,,di  Madama",  zierliche  Ketten  zur  Befestigung 
der  Falken,  Pferdegeschirr,  eine  kiinstlerische  Kassette  fur  das 
papstliche  Agnus  dei,  silberne  Spiegel-  und  Bilderrahmen,  Wasche 
und  kostbare  Mobel.  Nicht  allein  der  Palast  sollte  neu  eingerichtet 
werden,  die  junge  Markgrafin  sollte  in  Ferrara  eine  groBe  Anzahl 
von  Toilettegegenstanden,  ja  fast  eine  ganze  Ausstattung  vorfinden. 
Ein  kostbarer  Rubinring  und  andere  Kleinodien  wurden  fur  sie 
bestellt,  ganze  StoBe  von  Seidenstoff  und  Brokat  aufgestapelt,  selbst 
der  Handschuhe  wurde  gedacht:  Handschuhe  aus  Alpenziegen- 
leder,  mit  Gold  und  Silber  gestickt,  Handschuhe  zum  Pallospiel, 
sowie  acht  Kamme  aus  Elfenbein.  Bei  dieser  Gelegenheit  bekam 
das  Hofgesinde  karmoisinrote  Handschuhe,  damit  wurden  auch  die 
Universitatsprofessoren  begliickt,  die  den  Baldachin  iiber  der  ein- 
ziehenden  jungen  Frau  tragen  sollten.  Fiir  sich  selbst  lieB  Lionello 
einen  gelben  Anzug  anfertigen. 

Der  Markgraf  lieB  die  Verlobte  von  seinem  Bruder  Borso  und 
mehreren  Adeligen  abholen.  Zwei  bewaffnete  Schiffe  wurden  aus- 
geriistet,  das  fiir  die  Braut  bestimmte  hatte  Purpursegel  und  war 
inwendig  mit  flandrischen  Arazzi  ausgeschlagen.  Die  venezia- 
nische  Signoria  lieB  einige  ihrer  Schiffe  und  Capitani  dazustoBen, 
und  die  gesamte  Flotte  verlieB  Venedig  am  24.  Marz  des  Jahres 
1444.  Fast  einen  Monat  spater,  am  20.  April,  zog  Maria  von 
Aragon  in  Venedig  ein,  der  Doge,  die  Dogaressa  und  vornehme 
Venezianerinnen  in  kostbar  geschmiickten  Barken  empfingen  die 
Braut  und  geleiteten  sie  in  den  estensischen  Palast.  Am  Ponte 
Rialto  war  das  Gedrange  so  groB,  daB  die  Briicke  zerbrach,  zwei- 
hundert  Personen  fielen  ins  Wasser,  zwanzig  davon  ertranken,  und 
es  gab  iiber  vierzig  Verwundete. 

Damit  Ferraras  kiinftige  Markgrafin  einen  giinstigen  Ein- 
druck  von  Venedig  bekomme,  verehrte  ihr  die  Signoria  ein  kost- 
bares  Kleinod  im  Werte  von  300  Dukaten.  Als  die  Neapolitanerin 
einige  Tage  spater  sich  Ferrara  von  der  Seeseite  naherte,  kam  ihr 
Meliadus,  der  Bruder  ihres  Verlobten,  zu  Schiff  entgegen,  mit  ihm 


LIONELLO 


45 


die  ferraresische  Ritterschaft  und  die  schonsten  Frauen  der  Stadt, 
deren  Barken  Meliadus'  Schiff  wie  ein  Kranz  umgaben.  Allgemeine 
Aufmerksamkeit  erregte  ein  groBer  Kahn,  in  dem  festlich  ge- 
schmiickte,  schone  Landmadchen  aus  Polesina  saBen.  Bei  Glocken- 
gelaute,  Gesang  und  Bollerschiissen  zog  die  Aragonierin  am  24.  Mai 
ins  Castel  nuovo  ein,  in  den  Palast  der  ehemaligen  Geliebten  Nic- 
colos  III.,  Philippa  della  Tavola.  Dort  ruhte  sie  drei  Tage  aus, 
dann  fand  der  feierliche  Einzug  in  Ferrara  am  27.  Mai  statt.  Die 
Braut  saB  auf  einem  weiBen  Zelter  unter  dem  Brokatbaldachin, 
den  die  Universitatsprofessoren  in  ihren  neuen  karmoisinroten 
Handschuhen  trugen.  Bei  Musikklangen  bewegte  sich  die  Kaval- 
kade  durch  die  StraBen  der  Stadt,  die  Feste  wahrten  fiinfzehn  Tage: 
Balle,  Lanzenstechen  und  Turniere  folgten  einander.  Der  Platz 
vor  dem  SchloB  war  in  Wald  und  Wiese  verwandelt,  Jagden  auf 
wilde  Tiere,  die  man  dort  ausgesetzt  hatte,  fanden  statt,  und  die 
Neapolitanerin  konnte  sich  dieses  Spiels  vom  Fenster  aus  erfreuen. 
Am  nachsten  Tage  wurde  der  Platz  vor  der  Kathedrale  in  einen 
Eichenhain  verwandelt,  und  S.  Giorgio,  Ferraras  Schutzheiliger,  er- 
legte  dort  einen  furchtbaren  Drachen. 

Das  Festmahl  nach  der  Trauung  war  eines  der  groBartigsten, 
dessen  man  sich  in  Ferrara  entsann.  Es  gab  soviel  Lichter, 
daB  der  Saal  zu  brennen  schien,  und  die  Gerichte  lieBen  sich  nicht 
mehr  zahlen.  Die  markgrafliche  Kiiche  exzellierte  besonders  durch 
ihre  groBe  Anzahl  von  Fleischspeisen.  Schiissel  folgte  auf  Schiissel, 
Fasanen,  Rebhuhner,  Pfauen  wurden  aufgetragen,  ganz  abgesehen 
von  Ochsen,  Kalbern  und  Hiihnern. 

Wahrend  der  Hochzeitsfeste  wurden  etwa  tausend  Ochsen  und 
Kalber,  40000  Hiihner,  15000  Pfund  Zucker  und  zahlloses  Ge- 
fliigel  verzehrt  und  allein  12  000  Pfund  Wachs  verbraucht. 

Maria  von  Aragon  erwarb  sich  die  Herzen  der  Bevolkerung 
schnell,  auch  ihren  Mann  verstand  sie  zu  fesseln,  sie  glanzte  jedoch 
trotz  ihres  lebhaften  Geistes  mehr  durch  ihre  Schonheit  und  Liebens- 
wiirdigkeit  als  durch  ihr  Wissen.  Sie  lebte  nicht  lange.  Ferraras 
ungesunde  Lage  scheint  ungiinstig  auf  sie  gewirkt  zu  habsn;  sie 
starb  nach  fiinfjahriger  Ehe,  am  9.  Dezember  1449.  Fast  ein  Jahr 
spater,  am  1.  November  1450,  starb  Lionello,  er  litt  seit  langerer 


46  DRITTES  KAPITEL 

Zeit  an  starken  Kopfschmerzen.  Nach  dem  Chronisten  Caleffini 
waren  diese  Schmerzen  die  Ursache  seines  Todes.  ,,E1  male  de 
la  testa  el  condusse  a  morte."  Er  hinterlieB  zwei  Sonne,  Fran- 
cesco, einen  illegitimen  Sohn,  der  am  burgundischen  Hofe  erzogen 
wurde,  und  Niccolo,  das  noch  unmiindige  Kind  der  Margherita 
Gonzaga. 

Lionello  war  vielleicht  der  erste  wirklich  menschliche  Herrscher 
unter  den  Renaissancefursten.  Eine  Art  Vorrede  zu  dem  von  ihm 
fur  Ferrara  erlassenen  Gesetz  ist  fur  ihn  bezeichnend.  Er  sagt, 
alles  Menschenwerk  zerfalle  in  Staub,  die  Weisheit  allein  sei  ewig 
und  sie  allein  beherrsche  die  Welt.  Darum  miisse  der  Fiirst  sich 
von  ihr  leiten  lassen,  auf  das  Wohl  seiner  Untertanen  bedacht 
sein,  unter  Hintansetzung  seines  eigenen  Vorteils. 

Der  Dichter  Janus  Panonius  feiert  ihn: 

. .  .  cultam  studiis  Leonellus  cultior  alma 
Sic  in  pace  regit  patriam,  sic  iure  quieto 
Temperat,  ut,  reliquis  late  cum  ferrea  volvat 
Urbibus,  huic  uni  vehat  aurea  tempora  Titan. 

(I.  Panonis  Paneg.  p.  25.) 

II 

Nach  Niccolos  III.  Tode  begann  fur  die  Humanisten  das  goldene 
Zeitalter  in  Ferrara.  Lionello  hatte  zwar  in  seiner  Jugend  italie- 
nische  Gedichte  gemacht,  doch  beschaftigten  ihn  spater  haupt- 
sachlich  philosophische  und  theologische  Studien;  in  der  klassischen 
Literatur  brachte  er  es  so  weit,  daB  er  als  erster  die  Aufmerksam- 
keit  der  Gelehrten  darauf  richtete,  daB  die  Korrespondenz  zwischen 
Petrus  und  Seneca,  mit  der  sich  die  Humanisten  damals  abgaben, 
nicht  authentisch  sei.  Die  alten  Autoren  sammelte  er  mit  Leiden- 
schaft  und  war  auf  die  VergroBerung  der  vaterlichen  Bibliothek 
sehr  bedacht.  In  seinen  Diensten  stand  ein  Bibliothekar,  der 
unter  anderen  das  Buch  ,,De  re  uxoria"  fur  ihn  abschrieb;  das 
Einbinden  von  Buchern  wurde  eifrig  betrieben,  das  Leder  dazu 
lieferte  der  Introligator  Nigrisolo  dei  Nigrisoli. 


LIONELLO  47 

Lionello  bereicherte  seine  Bibliothek  auch  durch  Abschriften 
von  Plautus'  Komodien,  die  kurz  vorher  in  Deutschland  gefunden 
worden  waren;  sie  sollten  spater  in  Ferraras  hofischer  Kultur  eine 
groBe  Rolle  spielen.  Selbst  in  den  offiziellen  Verfiigungen  des 
Markgrafen  brach  seine  Vorliebe  fur  das  klassische  Altertum  durch, 
so  in  jenem  Dekret,  in  dem  er  dem  Arzt  Savonarola  die  Einkiinfte 
einer  Liegenschaft  schenkte.  Er  sucht  seine  Freigebigkeit  ge- 
wissermaBen  zu  rechtfertigen,  indem  er  sich  auf  das  Beispiel  der 
beruhmtesten  Manner  des  Altertums  beruft;  seit  Alexander  dem 
GroBen  hatten  bei  alien  Herrschern  Arzte  und  Gelehrte  in  hohem 
Ansehen  gestanden. 

Die  Humanisten  drangten  sich  an  den  Markgrafen,  so  wurde 
unter  seiner  Herrschaft  die  Universitat  in  Ferrara  zu  einer  der 
bedeutendsten  Italiens.  Lionello  berief  beriihmte  Manner:  Teodor 
Gaza  aus  Saloniki  als  Lehrer  des  Griechischen,  Basinio  di  Parma, 
Francesco  d'Arezzo,  Lionello  und  Lodovico  Lardi.  Den  Huma- 
nisten Angelo  Decembrio  zeichnete  er  in  einem  solchen  MaBe  aus, 
daB  er  ihm  aus  Dankbarkeit  ein  Denkmal  in  seinem  Werke  ,,Politia 
litteraria"  gesetzt  hat.  Auch  Leon  Battista  Alberti,  der  zu  jenen 
gehorte,  die  das  gesamte  Wissen  ihrer  Zeit  beherrschen,  war  ihm 
befreundet.  Alberti  kam  1438  zum  beriihmten  Konzil  nach  Ferrara, 
als  tibersetzer  aus  dem  Griechischen  und  Sekretar  Eugens  IV.;  er 
erkannte  bei  naherem  Verkehr,  daB  es  Lionello  Ernst  damit  war, 
seine  Untergebenen  zu  begliicken.  Er  widmete  ihm  1442  seine 
„Teogenia",  in  der  er  sich  dariiber  verbreitet,  was  dem  Lande 
mehr  schade,  Niederlagen  oder  bestandiger  Wohlstand,  die  Schlechtig- 
keit  der  Menschen  oder  politische  Revolutionen.  Die  ,,Teogenia" 
war  gewissermaBen  das  Versprechen  Albertis,  sich  langere  Zeit  in 
Ferrara  aufzuhalten,  da  er  sich  in  Lionellos  Staat  sehr  wohl  ge- 
fiihlt  hatte.  ,,Dort  begriff  ich"  —  schreibt  er  nach  jenem  Be- 
such  —  ,, welches  Gliick  es  ist  in  einem  Staate  zu  leben,  in  dem 
nichts  den  Frieden  des  Geistes  triibt,  unter  der  Herrschaft  des 
besten  Vaters,  der  Gesetz  und  Gewohnheiten  respektiert."  Zwei 
Modelle  ferraresischer  Kiinstler  fiir  Niccolos  III.  Reiterdenkmal 
wurden  von  Alberti  begutachtet;  der  Gelehrte  beniitzte  diesen  An- 
laB,  um  seine  Abhandlung  zu  schreiben  ,,De  equo  animante",  iibei 


48  DRITTES  KAPITEL 

Pferdezucht  und  Rassenkreuzung,  das  Material  dazu  ergab  der 
reichbesetzte  Marstall  des  Markgrafen.  Aus  den  Gesprachen  mit 
Lionello  entstand  ein  weiteres  Werk  Albertis,  jener  beriihmte 
Traktat  iiber  Baukunst  ,,L'arte  d'edificare".  Selbst  einen  Mann 
von  Albertis  Bedeutung  regte  die  Atmosphare  an  Lionellos  Hof  an. 

Ferrara  ward  zum  wichtigsten  literarischen  Sammelpunkt  im 
damaligen  nordlichen  Italien.  Im  SchloB  versammelten  sich  die 
Gelehrten  und  Literaten  nach  Tische  oder  ,, inter  potandum",  zu- 
weilen  lud  der  Markgraf  sie  in  seine  Schlosser  Belfiore  oder  Bellos- 
guardo  ein,  wo  sie  im  Schatten  von  Eiche  und  Lorbeer  iiber  wissen- 
schaftliche  und  literarische  Fragen  debattierten,  oder  er  arrangierte 
Jagdfeste,  wohl  weniger  fiir  Guarino  und  Gaza  als  fur  ihre  jugend- 
lichen  Begleiter.  Diese  Zusammenkunfte  waren  durch  Platos 
Dialoge  angeregt.  Die  Humanisten  glaubten  die  Gepflogenheiten 
der  alten  Weisen  in  Ferraras  schattige  Garten  verpflanzen  zu 
konnen.  Eine  der  markantesten  Personlichkeiten  dieses  Kreises 
war  Uguccione  Contrari,  ein  Mensch  von  scharfem  Verstand  und 
groBer  Erfahrung,  dem  Markgrafen  sehr  zugetan  und  in  politischen 
Dingen  so  geschickt,  daB  zuweilen  nicht  nur  das  Schicksal  Ferraras, 
sondern  das  ganz  Italiens  von  seinen  Planen  abhing.  Der  Mark- 
graf unternahm  keinen  entscheidenden  Schritt  ohne  seinen  Rat 
Feltrino  Bojardo  aus  Scandiano,  der  aus  einer  den  Este  sehr  zu- 
getanen  Familie  stammte,  Alberto  Costabili,  Giovanni  Gualengo,  die 
meisten  der  Universitatsprofessoren  gehorten  zu  den  regelmaBigen 
Besuchern  dieses  Kreises;  unter  den  jiingeren  zeichneten  sich 
namentlich  aus  die  Briider  Niccolo  und  Tito  Strozzi  und  Alberto 
Pio  aus  Carpi. 

Die  Strozzi,  denen  wir  noch  wiederholt  am  estensischen  Hofe 
begegnen  werden,  waren  Florentiner  Verbannte,  ,,fuorusciti". 
Carlo  Strozzi  und  sein  Sohn  Giovanni  waren  als  Fiihrer  der  guel- 
fischen  Partei  gezwungen,  die  Vaterstadt  zu  verlassen,  als  die 
Ghibellinen  fiir  kurze  Zeit  die  Macht  hatten;  unter  Niccolo  III. 
hatten  die  Strozzi  sich  in  Ferrara  niedergelassen.  Die  Legende 
will  wissen,  daB  einer  ihrer  Vorfahren  seinen  Gegner,  einen  Riesen, 
erwiirgt  habe  (strozzare),  daher  bekam  ihre  Familie  den  Beinamen 
,,Wiirger",  ,,Strozza",  woraus  sich  der  Name  Strozzi  entwickelt  hat. 


LIONELLO  49 

Giovanni  war  mit  Costanza  de  Costabili  verheiratet,  einer  Frau 
aus  angesehenem  ferraresischem  Geschlecht,  ihre  vier  Sonne  haben 
den  Este  gute  Dienste  geleistet.  Der  jiingste  Tito  Vespasiano 
(geb.  1425)  war  wie  Lionello  Guarinos  Schiiler,  ein  leidenschaft- 
licher  Latinist,  der  friih  begann  lateinische  Verse  zu  machen.  Er 
war  der  begabteste  unter  den  Jungen,  die  sich  urn  Lionello  sam- 
melten.  Alberto  Pio  stammte  aus  der  Condottiere-Familie  aus 
Carpi  in  der  Po-Ebene,  den  Nachbarn  der  Carpi  aus  Mirandola. 
Er  ist  nicht  identisch  mit  Alberto  III.  Pio,  einem  beriihmten  Ge- 
lehrten  und  Diplomaten,  dem  wir  an  Ercoles  I.  Hof  begegnen 
werden.  Zu  dieser  kunstbeflissenen  Jugend  gehorte  auch  Francesco 
Ariosto  aus  derselben  Familie,  aus  der  spater  der  groBe  Dichter 
hervorging. 

Die  Zusammenkiinfte  bei  Lionello  waren  zwanglos  und  heiter. 
Starker  als  aller  Klassizismus  war  die  Jugend;  neben  Debatten 
wissenschaftlicher  Natur  erzahlte  man  sich  die  im  XV.  und  XVI. 
Jahrhundert  beliebten,  oft  reichlich  gepfefferten  ,,Facetien",  zu- 
weilen,  selbst  am  Abend,  spielten  Flotenspieler,  ,,tibicines",  auf, 
was  Guarino  in  einem  seiner  Briefe  damit  rechtfertigt,  daB  es  auch 
im  Altertum  nicht  anders  war.  Beschonigend  fiigt  der  Padagoge 
hinzu,  daB  die  Musik  nicht  sinnlich  sondern  schlicht  und  ernst 
gewesen  sei,  ,,non  lascivientem  sed  sobriam  convivis  solebant  ad- 
hibere  musicam".  Der  Tisch  war  nur  einfach  besetzt,  das  Essen 
wurde  durch  Witz  und  Scherz  gewiirzt,  indem  man  es  auch  darin 
Sokrates  gleich  tun  wollte. 

Die  Geselligkeit  stand  im  Zeichen  der  ,,urbanitas",  einer  in 
sehr  gesuchten  Formen  sich  bewegenden  Hoflichkeit,  die  spater,  be- 
sonders  bei  Spaniern  und  Franzosen,  zu  lacherlichen  Ubertreibungen 
fiihrte.  Guarino  lehrte,  daB  der  Mensch  nicht  nur  geschaffen  sei, 
um  zu  leben,  ,,vivere",  sondern  um  mit  anderen  leben  zu  konnen. 
,,convivere".  AuBerdem  legte  man  groBes  Gewicht  auf  die  Fahig- 
keit  sich  gut,  ja  elegant  auszudriicken,  da  nach  Guarino  der  Mensch 
nicht  nur  die  Pflicht  habe,  verstandig  zu  sein,  sondern  auch  seine 
Gedanken  verstandig  und  klar  zu  auBern. 

Die  Antike  hat  diese  Menschen  ganzlich  hypnotisiert,  sie  ver- 
loren  die  Fahigkeit,  unbefangen  zu  denken.     Guarino  schreibt  aus 


50  DRITTES  KAPITEL 

Valpolicella  an  einen  Freund,  wie  sehr  ihn  die  Natur  begliicke, 
sofort  fiigt  er  quasi  als  Rechtfertigung  hinzu,  daB  auch  Fabritius 
und  Cato  sich  des  Landlebens  erfreut  hatten.  Beim  Spazieren- 
gehen,  Reiten,  Jagen,  selbst  beim  Fischen  hatte  er  seinen  Vergil 
in  der  Tasche,  er  hielt  es  fur  seiner  unwiirdig,  iiber  die  Felder  ohne 
diesen  Fiihrer  zu  gehen,  der  Ackerland  und  Vieh  so  poetisch  ge- 
schildert  hat.  Die  Beschreibung  seines  Landhauses  in  Valpolicella 
ist  fast  wortlich  Plinius  entlehnt,  der  uns  die  Schilderung  seines 
groBen  Landsitzes  in  Toskana  hinterlassen  hat. 

Selbstverstandlich  haben  die  Humanisten  die  franzosischen 
Ritterromane  verachtet;  ihnen  galten  jene,  am  Hof  der  Este  so 
viel  gelesenen  Biicher  als  unmoralisch,  sie  betrachteten  es  als 
unter  ihrer  Wiirde,  sich  mit  diesen  Dingen  abzugeben  angesichts 
der  Werke  von  Ovid.  Darin  stimmten  sie  vollkommen  mit  der 
Geistlichkeit  iiberein,  die  auch  in  den  Erzahlungen  der  StraBen- 
sanger  den  Quell  des  Ubels  fand.  So  kampfte  man  gemeinsam 
gegen  die  Romane,  und  es  ist  schon  seltsam  genug,  daB  der  hitzigste 
Gegner  der  Ritterliteratur  ein  Arzt  in  Ferrara  war,  Michele  Savona- 
rola, den  die  Merlin  und  Rinaldo  so  erbosten,  daB  er  in  seiner 
Abhandlung  ,,Confessionale"  den  Priestern  riet,  jenen  ihrer  Beicht- 
kinder  keine  Absolution  zu  erteilen,  ,,die  sich  vergniigen  mit  dem 
Horen  und  Lesen  uberfliissiger  Liebesgeschichten,  zuviel  Zeit  fur 
Musik  und  weltlichen  Gesang  verschwenden  und  an  den  Feiertagen, 
anstatt  zur  Vesper  zu  gehen,  den  StraBensangern  lauschten".  Aber 
weder  die  Vorstellungen  der  Humanisten  noch  die  Ermahnungen 
der  Geistlichkeit  schufen  Wandel,  das  Volk  wuBte  mit  den  neu- 
modischen  Gelehrten,  die  seine  Phantasie  nicht  befriedigten,  nichts 
anzufangen  und  zog  die  Geschichten  heldenmiitiger  Ritter  Platos 
Lehren  vor. 

Infolge  des  Einflusses  der  Humanisten  war  selbst  Petrarcas  Kult 
in  Ferrara  geringer  als  anderswo,  mit  Florenz,  z.  B.  das  zum  eigent- 
lichen  Sitz  der  Petrarkisten  wurde,  gar  nicht  zu  vergleichen.  Unter 
Lionello  herrschten  die  Latinisten  in  Ferrara  unumschrankt,  mit 
geringen  Ausnahmen  machte  man  nur  lateinische  Verse,  das  Ideal 
der  Dichter  war  Ovid,  den  man  in  Form  und  Inhalt  kopierte.  Und 
dieser  Latinisten  gab  es  so  viele,  daB  in  Italien  der  Spottvers  zirku- 


LIONELLO 


51 


lierte,  in  Ferrara  gabe  es  so  viel  Reimschmiede  wie  Frosche  in  den 
Siimpfen.     Bartolommdo  Prignano  Paganelli  (gest.   1493)  schrieb: 

....  tot  Ferraria  vates 

Quot  ranas  tellus  Ferrariensis  habet. 

Der    bekannteste    dieser    Dichter    war    Giovanni    Cesinge,    Janus 

Pannonius,  und  der  klugste  wohl  jener  Arzt,  Girolamo 

Castelli,  auch  er  ein  Schiiler  Guarinos,  der 

selbst  noch  in  seinem  Testament 

verbot,  seine  Verse  je 

zu  drucken. 


VIERTES  KAPITEL 

BORSO 


i 


h  gloria  d'Este!  nennt  Annunzio  in  seinem  Roman 
„I1  Piacere"  den  Palazzo  Schifanoja  in  Ferrara.  Von 
auBen  betrachtet  zeichnet  sich  der  Palast  weder  durch 
seinen  Umfang  noch  durch  seine  architektonischen 
Verhaltnisse  aus,  nur  das  Hauptportal  mit  dem  groBen 
Wappen  der  Este  macht  einen  durchaus  eigenartigen 
Eindruck.  Das  Gebaude,  das  schon  von  Alberto  Este  errichtet  worden 
war,  hat  durch  Borsos  Umbau  sein  heutiges  Gesicht  erhalten.  Den 
,,Ruhm  der  Este"  muB  man  innerhalb  der  bescheidenen  Wande, 
im  ersten  Stock  des  groBen  Saales  suchen,  wo  die  beriihmten  Fresken 
mit  Szenen  aus  Borsos  Leben  sich  befinden. 

Die  Fresken  gehoren  zu  den  kostbarsten  Dokumenten  hofischer 
Kunst  aus  der  zweiten  Halfte  des  XV.  Jahrhunderts,  und  es  ist  sehr 
zu  beklagen,  daB  nur  ein  Teil  erhalten  ist.  Im  XVIII.  Jahrhundert, 
in  der  Zeit  von  Tunche  und  Kalkbewurf ,  wurden  sie  uberstrichen,  und 
erst  zwischen  1830  und  1839  teilweise  aufgedeckt,  als  man  Vor- 
bilder  zu  einem  Kostiimfest,  einer  Jagd  zu  Borsos  Zeiten,  brauchte. 
Da  erst  iiberzeugte*  man  sich  vom  groBen  Wert  der  Malereien, 
und  zwei  Jahre  spater  reinigte  der  Bolognese  Alessandro  Compa- 
gnoni  das,  was  noch  nicht  ganz  verdorben  war. 

1450,  nach  Lionellos  Tod,  iibernahm  Borso  die  Regierung;  er 
hat  bis  1 47 1  in  Ferrara  geherrscht.  Seine  Regierung  war  eine 
Epoche  des  Friedens,  da  das  Reich  dank  dem  glucklichen  Lauf  der 
Ereignisse  und  der  Umsicht  des  Herrschers  keine  Kriege  zu  fiihren 
hatte.   Ferrara  wurde  damals  die  ,, Terra  della  pace"  genannt.   Borso 


BORSO 


53 


bemuhte  sich,  in  alien  politischen  Verwicklungen  seine  Neutralitat 
zu  wahren,  und  die  italienischen  Nachbarlander  haben  ihn  mehr- 
fach  zum  Richter  ernannt  in  Fallen,  die  zu  kriegerischen  Ver- 
wicklungen hatten  fiihren  konnen.  Ohne  Blutverlust  vergroBerte 
er  sein  Reich,  obgleich  infolge  des  Erloschens  der  Dynastie  der 
Visconti  in  Mailand  und  der  Feindseligkeiten  der  Venezianer,  die 
Ferraras  wachsende  Macht  nur  ungern  sahen,  die  Verhaltnisse 
schwierig  genug  waren.  Borso  verstand  es,  die  Feinde  unter- 
einander  zu  veruneinigen  und  Nutzen  aus  ihrem  Streit  zu  ziehen. 
Der  Papst  Paul  IV.  hat  einmal  gesagt,  Borso  fiihre  ohne  Schwert- 
streich  und  Geld,  wenn  er  mit  seinen  Falken  auf  die  Jagd  ginge, 
Krieg  mit  wem  er  wolle  und  dazu  vorteilhafter  als  irgendein 
anderer  mit  fiinftausend  Berittenen.  Borso  hatte,  auf  Herrschaft 
und  Ruhm  bedacht,  viele  Vorziige,  aber  diese  Vorziige  resul- 
tierten  in  der  Hauptsache  aus  dem  Egoismus  des  Herrschers.  Darin 
war  er  den  Medici  verwandt:  war  Gerechtigkeit  nicht  mit  Nach- 
teilen  fur  ihn  verbunden,  so  iibte  er  sie  gem,  aber  mehr  als  um 
Recht  ging  es  ihm  um  den  Ruhm  des  Gerechten.  Er  stand  sehr 
friih  auf;  nachdem  er  mit  seinem  Hauskaplan  gebetet  hatte,  ging 
er  in  die  Stadt,  umgeben  von  Raten  und  Sekretaren,  um  die  Streitig- 
keiten  unter  der  Bevolkerung  zu  schlichten  und  in  patriarchalischer 
Weise  Gerechtigkeit  in  jenen  Fallen  zu  iiben,  die  man  nicht  erst 
dem  Gericht  vorlegen  mufite.  Fur  gewdhnlich  begleiteten  ihn 
Teofil  Calcagnini,  den  er  1465  zum  Ritter  des  goldenen  Sporn  mit 
dem  Stern  ernannt  hatte,  und  die  geheimen  Rate  Lorenzo  Strozzi, 
Agostino  de  Bonfranceschi  da  Rimini  und  Prisciano  de  Prisciani. 
Die  Bevolkerung  drangte  sich  an  ihn,  auf  der  StraBe  konnte  sich 
jeder  bei  ihm  beklagen  und  seine  Bitte  vortragen.  So  sehr  geizte 
er  um  den  Ruhm  des  ,, Gerechten",  daB  er  gelegentlich  das  Theatra- 
lische  nicht  scheute.  So  wird  folgendes  Geschichtchen  von  ihm 
erzahlt:  Als  der  Hofmarschall  eines  Tages  Handwerker  fur  von 
ihnen  ins  SchloB  gelieferte  Dinge  nicht  bezahlt  hatte,  wandten  sie 
sich  an  Borso;  er  selbst  iibergab  die  Sache  dem  Gericht,  lieB  sich 
verurteilen,  bezahlte  den  Handwerkern  was  ihnen  zukam  und 
machte  dem  Hofmarschall  Vorwiirfe,  daB  er  ihn  in  eine  solche 
Lage  gebracht  habe.  Ein  andermal  hatte  sich  ein  begiiterter  Ferrarese 


54  VIERTES  KAPITEL 

in  Venedig  eine  boshafte  Bemerkung  iiber  Borso  gestattet.  Als 
er  zuriickkam,  forderte  ihn  der  Markgraf  vor  das  Gericht  der 
„Zwdlf";  der  Urteilsspruch  lautete:  Verbannung  und  Einziehung 
seiner  Giiter.  Einer  von  Borsos  Schmeichlern  geriet  wahrend  der 
Gerichtsverhandlung  in  solchen  Zorn,  daB  er  auf  den  Angeklagten 
beinahe  mit  dem  Dolch  losging.  Der  Markgraf  begnadigte  den 
Verurteilten  zwar,  doch  muBte  der  arme  Teufel  mit  dem  Strick 
um  den  Hals  zu  ihm  gehen  und  um  Gnade  bitten.  Es  ware  ein- 
facher  gewesen,  von  vornherein  zu  verzeihen,  ohne  die  ganze  Ge- 
richtskomodie  zu  inszenieren,  aber  Borso  hatte  eine  Schwache  fur 
fiirstliche  Reklame.  Die  Ebene  von  Ferrara  erschien  ihm  zu 
flach,  so  lieB  er,  um  seiner  Phantasie  Geniige  zu  tun,  einen  Hiigel 
in  Montesanto  aufschiitten.  Der  kunstliche  Hiigel  verschlang  un- 
niitze  Arbeit  und  Geld,  und  die  Bevolkerung  murrte. 

Er  unterstiitzte  Dichter  und  Gelehrte,  um  von  ihnen  gepriesen 
zu  werden.  Obgleich  er  nicht  gelehrt  war  wie  Lionello,  gab  er 
doch  nicht  unbedeutende  Summen  fur  die  Universitat  und  seltene 
Biicher  aus,  auBerdem  interessierte  er  sich  angelegentlichst  fur  die 
Einfiihrung  der  Buchdruckerkunst.  Tito  Strozzi,  der  die  Eitelkeit 
des  Markgrafen  kannte,  verfaBte  eine  lateinische  Dichtung  ,,Bor- 
siada",  die  ihn  verherrlichte,  doch  braucht  die  Menschheit  nicht 
dariiber  zu  klagen,  daB  nur  Bruchstucke  dieses  Epos  erhalten  sind. 
Borso  verstand  es  glanzend,  seinen  Ruhm  zu  mehren.  ,,Tiirken 
und  Inder"  —  versichert  ein  Chronist  —  ,,haben  ihn  fur  den 
alleinigen  Beherrscher  Italiens  gehalten  und  ihm  Geschenke  ge- 
macht."  Uberall  gait  er  als  der  Kliigste  unter  den  Herrschenden 
in  der  zweiten  Halfte  des  XV.  Jahrhunderts. 

Luxus  und  Jagd  waren  seine  Hauptpassionen,  er  teilt  sie  frei- 
lich  mit  alien  Angehorigen  seines  Geschlechts.  Von  den  iibrigen 
Este  unterschied  ihn  eine  seltsame  Gleichgiiltigkeit  den  Frauen 
gegeniiber,  die  in  seinem  Leben  keine  Rolle  spielen.  Einer  seiner 
Biographen,  der  von  groBer  Bewunderung  fur  ihn  erfiillt  ist,  legt 
ihm  diese  Eigenheit  als  Vorzug  aus. 

Am  meisten  wurde  Borsos  groBe  Gastfreundschaft  genihmt. 
Sein  Haus  stand  alien  bekannten  Personlichkeiten  offen,  das  SchloB 
war    mit    besonderem    Prunk    ausgestattet,    er    selbst    trug    stets 


BORSO  55 

Goldbrokat.  Giraldi  sagt,  daB  Borso  in  seinem  Anzug  ,,piu  ambitioso, 
che  non  conveniva"  sei,  selbst  seine  Beinkleider  waren  aus  Brokat 
oder  Atlas,  und  den  Kopf  deckte  eine  hohe,  spitze  Miitze,  die  mit 
Gold  und  Edelsteinen  ausgenaht  war.  Der  Markgraf  hatte  die 
beriihmtesten  Hofnarren,  die  schonsten  Pferde,  Hunde  und  Falken, 
und  in  ganz  Italien  las  man  die  Beschreibungen  der  von  ihm  ver- 
anstalteten  Feste.  Uberdies  war  er  sehr  baulustig,  er  legte  den 
Grundstein  der  beruhmten  Certosa  von  Ferrara,  befestigte  die 
Mauern  der  Stadt  und  erneuerte  den  Palazzo  Schifanoja.  Frei- 
gebig  gegen  seine  Freunde,  lieB  er  fur  Teofilo  Calcagnini  einen 
Palast  bauen  und  schenkte  ihm  auBerdem  einige  Hauser.  Von 
seinen  Hoflingen  zeichnete  er  Casella  aus,  den  er  sein  rechtes  Auge 
nannte,  und  Lodovico  Carbone,  von  dem  noch  die  Rede  sein  wird. 
An  Casellas  Begrabnis  nahm  er  in  Trauerkleidern  teil,  was  den 
bisherigen  Gepflogenheiten  der  Este  widersprach. 

In  Borsos  Leben  haben  zwei  Tatsachen  oder  richtiger  zwei 
Feste  die  Historiker  am  meisten  beschaftigt:  der  Empfang  des 
Kaisers  Friedrich  III.  in  Ferrara  und  Borsos  Aufenthalt  in  Rom. 
Beide  Ereignisse  beweisen,  daB  der  Herrscher,  der  sich  einen  gut- 
miitigen  Anstrich  gab,  ein  sehr  geschickter  Diplomat  war.  Fried- 
rich  III.  kam  Anfang  des  Jahres  1452  mit  einem  Gefolge  von  zwei- 
tausend  Mann,  dem  Erzherzog  Albrecht  und  dem  Konig  Ladislas 
zur  Kronung  nach  Rom;  in  Siena  sollte  er  seine  Braut  Eleonora 
von  Portugal  treffen.  Das  Geld  war  knapp  am  kaiserlichen  Hofe, 
und  so  verteilte  Friedrich  gern  Titel  unterwegs,  um  als  Gegengabe 
seinen  Schatz  zu  fiillen.  Borso  begehrte  den  Herzogstitel  seit  langer 
Zeit,  er  wollte  auch  den  Kaiser  durch  einen  prachtigen  Empfang 
und  reiche  Geschenke  fur  sich  einnehmen.  So  ritt  er  ihm  entgegen, 
umgeben  von  den  Fiirsten  der  kleineren  norditalienischen  Hofe, 
den  Edelleuten  und  der  Geistlichkeit;  drei  Standarten  wurden  ihm 
voran  getragen:  eine  griine  mit  schwarzem  und  weiBem  Adler  trug 
Francesco  Sforzatello  di  Rovigo,  die  zweite,  die  auch  griin  war, 
trug  Venceslao  Rangoni  da  Modena,  eine  dritte,  rote,  Pietro  Maro- 
cello  di  Ferrara.  Ein  kostbarer  Baldachin  wurde  uber  dem  Platz 
errichtet,  auf  dem  der  Kaiser  und  der  Markgraf  sich  trafen.  Friedrich 
war  sehr  gnadig;  Borso  bewirtete  ihn  und  sein  zahlreiches  Gefolge 


56  VIERTES  KAPITEL 

wahrend  voller  zehn  Tage,  suchte  ihn  durch  Banketts  und  Lanzen- 
stechen  zu  zerstreuen,  und  die  Musikklange  verstummten  kaum 
wahrend  des  Aufenthalts  des  Monarchen  in  Ferrara.  In  der  Um- 
gebung  des  Kaisers  befanden  sich  auch  die  Gesandten  der  Stadt 
StraBburg  mit  ihrem  Gefolge.  Ihnen  verdanken  wir  eine  Be- 
schreibung  des  Empfanges  in  Ferrara,  sie  finden  nicht  Worte  ge- 
nug  fur  Borsos  Gastlichkeit.  In  ihre  Wohnung  hatte  ihnen  der 
Markgraf  sechzehn  verschiedene  Weinsorten  geschickt,  so  viel  Brot 
wie  zwei  Knechte  schleppen  konnten,  zehn  Konfektkisten,  dreierlei 
Wachskerzen,  dreiBig  Kapaune,  zwei  lebendige  Kalber,  und  Hafer 
fiir  ihre  Pferde  im  UbermaB.  Ja  noch  mehr,  der  Fiihrer  des  Zuges 
und  sein  Sohn  bekamen  goldene  Ringe  und  jeder  der  Gefahrten 
einen  kostbaren  Rosenkranz.  Dem  Kaiser  schenkte  Borso  die 
schonsten  funfzig  Pferde  aus  seinen  Stallungen  und  fiinfzig  der 
besten  Falken.  Damit  nahm  Borso  den  Kaiser  so  sehr  fiir  sich 
ein,  daB  er  auf  der  Riickreise  aus  Rom  in  Ferrara  wieder  Halt 
machte  und  dem  Markgrafen  den  heiBbegehrten  Titel  eines  Herzogs 
von  Modena  und  Reggio  verlieh.  Zum  Herzog  von  Ferrara  konnte 
er  ihn  nicht  ernennen,  da  dieser  Titel  vom  Papst  abhing,  dessen 
Lehnsvasall  der  Markgraf  war.  Die  Papste  beobachteten  aber  die 
Machterweiterung  der  Este,  die  den  Interessen  der  romischen 
Kurie  entgegen  war,  mit  scheelem  Auge. 

Am  Himmelfahrtstage  fand  die  Feier  zu  Ehren  der  Verleihung 
des  Herzogstitels  statt.  Am  Vorabend  des  Feiertages  gab  es  ein 
groBes  Fest  im  SchloB,  selbst  der  Kaiser  tanzte,  die  ganze  Stadt 
war  illuminiert  und  Pechfasser  brannten  auf  den  freien  Platzen. 
Vor  dem  Dome,  an  der  Rigobolloturmseite,  stand  ein  mit  ver- 
schiedenen  ,,Historien"  bemaltes  Leinenzelt,  darin  ein  Thron  mit 
Goldbrokatdecke.  Uber  die  iibrigen  Sitze  waren  agyptische  Teppiche 
gebreitet.  Der  Kaiser  zog  einen  mit  Gold  und  Kleinodien  bestickten 
Mantel  an  und  setzte  die  mit  kostbaren  Edelsteinen  geschmiickte 
Krone  auf,  ihr  Wert  soil  150  000  Gulden  betragen  haben.  Auf  den 
Tribiinen,  an  den  Fenstern  des  bischoflichen  Palastes  und  des 
Palazzo  della  Ragione  waren  so  viele  Edelleute,  so  viel  schone 
Frauen  in  kostbaren  Gewandern  und  solche  Volksmassen,  daB  selbst 
der  Kaiser  sich  dieser  Pracht  gev/undert  und  gesagt  haben  soil,  das 


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BORSO  57 

Reich  wiirde  auf  eine  Stadt  wie  Ferrara  stolz  sein.  Uber  den 
Borgonuovo  kam  Borso  auf  den  Platz  vom  Castello  Vecchio  her, 
in  einem  Goldbrokatanzug,  starrend  von  Kostbarkeiten,  um  den 
Hals  trug  er  eine  Kette,  die  allein  20  000  Gulden  wert  war.  Nament- 
lich  vier  seiner  Edelsteine  erregten  allgemeine  Bewunderung, 
zwei  auf  dem  linken  Armel  und  zwei  auf  dem  Hute:  es  waren  Steine 
von  nie  gesehener  Schonheit.  Dem  Markgrafen  voran  ritten  vier- 
hundert  Edelleute  auf  wundervollen  Pferden,  mit  dem  Herzog- 
schwert  folgte  einer  der  bekanntesten  Burger  Ferraras:  Cristiano 
Francesco  Bevilacqua.  Als  Borso  auf  dem  Platz  erschien,  erscholl 
es  von  alien  Seiten:  Borso!  Borso!  Duca!  Duca!  Vor  dem  kaiser- 
lichen  Zelt  machte  Borso  Halt  und  stieg  die  Stufen  der  Tribune 
zum  Monarchen  heran,  wahrend  die  Ritterschaft  sich  im  Halb- 
kreis  aufstellte.  Der  Markgraf  kniete  vor  Friedrich  nieder,  der 
ihn  zum  Herzog  von  Modena  und  Reggio  und  Graf  en  von  Rovigo 
ernannte.  Dann  wurde  dem  neuen  Herzog  ein  langer  scharlach- 
roter,  hermelinbesetzter  Mantel  umgelegt,  in  die  Hande  gab  man 
ihm  ein  goldenes  Zepter  und  ein  bloBes  Schwert,  zu  seinen  FiiBen 
legte  man  die  Fahnen  der  drei  Stadte,  iiber  die  er  herrschen  sollte, 
dann  kuBte  der  Kaiser  Borso  und  setzte  ihn  an  seine  Seite.  Nach 
besndeter  Zeremonie  gab  der  Kaiser  noch  einigen  der  Anwesenden 
den  Ritterschlag,  darunter  auch  Niccolo  da  Correggio,  Borsos  Neffen, 
einem  einjahrigen  Kinde,  und  dem  vierzehnjahrigen  Galeotto  della 
Mirandola. 

Dann  begab  sich  der  ganze  Zug  in  den  Dom;  vor  dem  Haupt- 
altar  gelobte  der  Herzog  dem  Kaiser  Treue  und  verehrte  dem 
Monarchen  als  Zeichen  seiner  Ergebenheit  ein  Kleinod  aus  sieben 
Steinen,  das  einen  Wert  von  40  000  Gulden  hatte.  Borso  durfte 
den  kaiserlichen  Adler  in  seinem  Wappen  fiihren  und  erhielt  den 
Titel  ,, Principe  del  S.  R.  J."  und  ,,Duca  con  suprema  giurisdizione  ". 

Dann  sprach  auf  kaiserlichen  Befehl  Aeneas  Sylvius  Picco- 
lomini,  der  Bischof  von  Siena,  zum  versammelten  Volk,  indem  er 
die  Bedeutung  der  neuen,  Borso  verliehenen  Wiirde  erklarte  und  die 
Tugenden  und  Verdienste  der  Este  beleuchtete.  Dies  war  der 
BeschluB  des  fur  die  Geschichte  von  Ferrara  denkwiirdigen  Tages. 
Am  19.  Mai  fuhr  der   Kaiser  nach  Venedig,  wo  er  im  Palast  der 


58  VIERTES  KAPITEL 

Este  residierte.  Borso,  umgeben  von  der  Ritterschaft  und  einer 
bewaffneten,  etwa  tausend  Mann  zahlenden  Eskorte,  unternahm 
eine  Triumphreise  im  neuen  Herzogtum.  Unterwegs  berauschte 
er  sich  an  den  Zurufen:  Duca!  Duca!,  am  Glockengelaute,  an  Ge- 
sang,  Musik  und  festlichen  Ansprachen.  In  Modena  und  Reggio 
wurde  er  feierlichst  empfangen,  Tausende  von  Kindern  kamen  ihm 
mit  Blumen  entgegen,  die  beriihmtesten  Redner  priesen  seinen  Ruhm, 
und  Triumphwagen  durchzogen  die  Straflen.  Der  Verfasser  und 
Regisseur  des  allegorischen  Festspiels  in  Reggio  war  Malatesta 
Ariosto,  ein  Notar  aus  Ferrara,  Mitglied  des  Rates  und  Gelegen- 
heitsdichter. 

Borso  kopierte  Alfonso  von  Neapel,  der  auch  ahnliche  Triumph- 
zuge  durch  sein  Reich  liebte.  Diese  Ansprachen  und  Huldigungen, 
die  dem  neuen  Herzog  wurden,  fanden  ihren  Niederschlag  in  einem 
Verse  Bojardos,  in  dem  ihn  der  groBe  Dichter  feiert:  ,,Sei  gegriiBt, 
Zier  der  Este,  Borso,  Ruhm  der  Welt!" 

Borsos  Traum  war,  auch  Herzog  von  Ferrara  zu  werden,  und 
als  Pius  II.  nach  Mantua  reiste,  um  den  Feldzug  gegen  die  Tiirken 
vorzubereiten,  glaubte  der  Markgraf,  daB  der  geeignete  Augenblick 
gekommen  sei,  um  diesen  Wunsch  zu  verwirklichen.  Er  ver- 
sprach  denn  auch  dem  Papst,  der  am  17.  Mai  1459  in  Ferrara  auf 
der  Durchreise  weilte,  300  000  Gulden  fur  die  tiirkische  Expedition, 
ohne  im  entferntesten  daran  zu  denken,  diese  groBe  Summe  zu 
zahlen.  Den  Papst  empfing  er  mit  dem  groBten  Aufwand,  den  er 
aufzubringen  vermochte.  Begleitet  von  den  Herren  von  Forli, 
Cesena,  Rimini,  Mirandola,  Correggio  und  Carpi,  fuhr  er  ihm  ent- 
gegen; im  Gefolge  befanden  sich  unter  anderen  sieben  estensische 
Bastarde,  drei  Briider  von  Borso,  Francesco,  Lionellos  unehelicher 
Sohn,  und  drei  Sohne  von  Meliadus.  Vor  der  Porta  di  San  Pietro  saB 
der  Herzog  vom  Pferde  ab,  kniete  vor  dem  Papst  nieder,  kiiBte  ihm 
den  FuB  und  iibergab  ihm  die  Schlussel  der  Stadt,  Bei  Glocken- 
gelaute zog  der  Papst  durch  die  StraBen,  die  mit  Tausenden  von 
Fackeln  erleuchtet  waren.  In  Ferrara  blieb  Pius  II.  elf  Tage  und 
beging  dort  die  Fronleichnamsprozession.  Zum  Abschied  schenkte 
Borso  dem  Papst  noch  einen  silbernen  Tafelaufsatz  im  Werte  von 
8000  Dukaten. 


BORSO 


59 


Dem  heimkehrenden  Papst  bereitete  der  Markgraf  wieder  einen 
groBartigen  Empfang.  Er  war  ihm  auf  dem  Po  entgegengefahren, 
erwartete  ihn  in  einem  prachtvollen  Bucentaur,  mit  Fahnen  und 
Musik,  umgeben  von  tausend  Barken,  die  die  gesamte  Breite  des 
Flusses  einnahmen.  Am  Ufer  erwarteten  den  Papst  weiBgekleidete 
Kinder,  die  ihm  Blumen  und  Kranze  zuwarfen.  Die  SlraBen  der 
Stadt,  durch  die  der  Papst  fuhr,  waren  mit  Blumen  und  Grun  ge- 
schmiickt,  und  bunte  Stoffe  waren  zwischen  den  Hausern  gespannt. 
Mit  einer  kiinstlichen  Briicke  wurden  SchloB  und  Dora  verbunden, 
damit  der  Papst  die  Kirche  unbehelligt  betreten  konne.  Aber  die 
vielen  Vorbereitungen  und  Kosten  waren  vergebens,  Pius  blieb  nur 
einen  Tag  in  Ferrara,  schlug  Borso  den  erbetenen  Herzogstitel  ab, 
und  erst  sein  Nachfolger,  Paul  II.,  der  den  Este  wohlgesinnt  war, 
entschied  die  Frage  im  Sinne  des  Herrschers  von  Ferrara. 


II 

Im  Besitz  der  neuen  Wiirde  brach  Borso  im  Friihling  1471  nach 
Rom  auf  mit  einem  wahrhaft  koniglichen  Gefolge.  Ihn  be- 
gleiteten  Alberto  d'Este,  die  Herren  von  Carpi,  Correggio,  Mirandola, 
Scandiano  und  Teofil  Calcagnini,  sein  treuer  Ratgeber,  auBerdem 
gehorten  etwa  funfhundert  Ritter  und  Hoflinge  in  Samt-  und 
Brokatgewandern  zum  Zuge.  Am  13.  Marz  verlieBen  sie  Ferrara 
auf  siebenhundert  Pferden  in  kostbarem  Geschirr,  zweihundert- 
fiinfzig  Mauleseln  mit  purpurnen  Samt-  oder  Tuchdecken  mit  dem 
Wappen  der  Este.  Die  silbernen  Glocken  der  Maulesel  stimmten 
lustig  zur  Musik  der  Trompeter  und  Pifferari.  Neben  den  Maul- 
eseln schritten  achtzig  Knechte  in  WeiB-rct-grun,  mit  dem  ge- 
stickten  Zeichen  ,,di  Sua  Eccellenza",  jeder  von  ihnen  fiihrte  zwei 
Koppeln  Jagdhunde  vornehmster  Rasse. 

Siebzehn  Tage  dauerte  die  Reise  iiber  Ravenna,  Rimini,  Pesaro, 
Perugia,  Todi  und  Narni,  und  als  sich  der  Zug  der  Porta  del  Popolo 
naherte,  kam  ihm  ganz  Rom  entgegen.  Den  neuen  Herzog  be- 
griiBten  siebzehn  Kardinale;  die  StraBen,  durch  die  der  Gast  ein- 
zog,    waren   mit   frischen,    eigens   zu   diesem    Zweck   verpflanzten 


60  VIERTES  KAPITEL 

Baumen  eingefaBt,  Girlanden  aus  Laub  und  Blumen  waren  da- 
zwischen  gespannt.  Aus  den  Fenstern  der  Hauser  hingen  Teppiche 
und  kostbare  Stoffe,  dazwischen  Schilde  mit  Borsos  und  des  Papstes 
Wappen.  Triumphbogen  mit  entsprechenden  Inschriften  fehlten 
nicht,  und  zur  Freude  des  Volkes  schenkten  die  Springbrunnen  an 
jenem  Tage  nicht  Wasser  sondern  Wein.  Niemals  war  der  Kaiser 
in  Rom  so  feierlich  empfangen  worden.  Der  dankbare  Herzog  von 
Ferrara  lieB  Silbergeld  unter  das  Volk  werfen. 

Als  Wohnung  hatte  der  Papst  seinem  Gast  den  schonen  Palast 
in  der  Nahe  des  Vatikans  bestimmt,  der  fur  den  Kardinal  Longueil 
gebaut  worden  war.  Die  feierliche  Verleihung  der  Herzogswiirde 
fand  am  Ostertage  in  der  Peterskirche  statt.  Seine  Eindrucke  be- 
schreibt  Borso  am  15.  April  1471  in  einem  an  seinen  treuen  Sekretar 
Giovanni  di  Compagno  in  Ferrara  gerichteten  Brief.  Er  ist  hochst 
bezeichnend  fur  den  aufgeblasenen,  um  Ruhm  und  Namen  geizen- 
den  Fiirsten;  aus  jeder  Zeile  spricht  das  Gliick  uber  den  groBartigen 
Empfang,  die  Freude  daruber,  daB  Tausende  seine  Gewander,  seine 
Pracht,  seine  Schatze  bewundern  und  Zeugen  seiner  Triumphe 
sind.  Besonders  stolz  ist  er  darauf,  daB  er  die  Wiirde  eines  Herzogs 
von  Ferrara  von  jenem  empfangt,  der  der  Nachfolger  Christi  auf 
Erden  ist,  eine  groBere  Ehre  kann  ihm  also  nicht  mehr  zuteil 
werden.  Da  ihm  der  Herzogstitel  durch  Gottes  Gnaden  geworden 
ist,  wird  Gott  seine  Stellung  bestatigen  und  ihm  und  seinen  Unter- 
gebenen  seinen  Segen  schenken.  Zur  Feier,  daB  er  zum  Ritter 
der  Kirche  geschlagen  und  mit  dem  Herzogstitel  in  der  Peters- 
basilika  belehnt  wurde,  legte  Borso  ein  purpurnes,  golddurch- 
webtes  Ehrenkleid  an,  das  bis  an  die  FiiBe  reichte.  Sein  ganzes 
Gefolge  begleitete  ihn  und  bewunderte,  wie  er,  um  Ruhm  und  Ehre 
zu  mehren,  ,,per  nostra  honorificentia  et  gloria",  die  Schleppe  des 
papstlichen  Pluviale  trug. 

Kopf  an  Kopf  drangten  sich  in  der  Basilika  Romer  und  Fremde, 
kein  Apfel  hatte  zur  Erde  fallen  konnen.  Nach  verschiedenen 
einleitenden  Zeremonien  begann  die  groBe  Messe  mit  dem  Chor 
der  papstlichen  Sanger.  Der  Papst  trat  nach  dem  ,,Kyrie  eleison" 
an  den  Altar,  um  Borso  zum  Ritter  zu  schlagen;  nach  den  Evan- 
gelien,   die   lateinisch   und   griechisch   gelesen  wurden,   kniete   der 


BORSO  6l 

Herzog  vor  dem  Papst  nieder  und  leistete  den  Treuschwur  nach 
vorgeschriebener  Formel,  dann  sprach  der  Papst  feierlich  zu  ihm 
,,accipe  gladium",  gleichzeitig  umgiirtete  ihn  Thomas,  der  Tyrann 
von  Morea  und  Bruder  des  letzten  Kaisers  von  Byzanz,  mit  dem 
Schwert,  und  die  Generate  der  heiligen  Kirche,  Costantino  Sforza 
und  Napoleone  Orsini,  legten  ihm  die  goldenen  Sporen  an  als  Zeichen 
wahren  Rittertums,  ,,in  signum  verae  militiae".  Zuletzt  driickte 
ihm  der  Papst  den  FriedenskuB  auf  die  Stirn  ,,osculum  pads", 
und  Borso  umarmte  alle  Kardinale  der  Reihe  nach,  ihrer  Wiirde 
entsprechend.  Borso  empfand  die  Weihe  der  Stunde  so  stark,  dafi 
er  auch  spater  diese  Feier  als  etwas  Aufierordentliches  betrachtete, 
dessen  Erinnerung  bis  zu  seinem  Tode  nachwirken  wiirde.  Nach 
der  Zeremonie  empfing  Borso  das  Abendmahl  aus  den  Handen  des 
Papstes  und  jetzt  erst  erfolgte  der  eigentliche  Akt  der  Titeliiber- 
tragung.  Man  legte  ihm  einen  sehr  weiten  purpurnen  Damast- 
mantel  um,  der  nur  auf  der  rechten  Seite  geoffnet  war,  ,,mit  be- 
sonders  langer  Schleppe"  —  fiigt  Borso  hinzu  —  ,,der  furstlichen 
Wiirde  entsprechend".  Ober  die  Arme  hing  man  ihm  einen  breiten 
Hermelinkragen,  auf  den  Kopf  setzte  ihm  der  Papst  selbst  eine 
Mitra  ,,oveta"  von  spitzer  Form,  mit  auf  die  Ohren  fallenden 
Klappen,  mit  Perlen  und  einem  auBergewohnlich  schonen  Rubin  ge- 
schmiickt.  Als  der  Papst  ihn  mit  diesem  Attribut  der  Herzogswiirde 
bekleidete,  sprach  er  die  in  diesen  Fallen  vorgeschriebene  Formel 
,,accipe  insigne  ducalis  proeminentiae",  und  bei  der  Obergabe  des 
kunstlerischen  Zepters  fiigte  er  die  Worte  hinzu:  ,,directionis  et 
justitiae".  SchlieBlich  legte  ihm  Paul  II.  eine  kostbare  Kette  um  den 
Hals,  so  daB  der  neue  Fiirst  ,,aussah  wie  ein  Kardinal". 

Nach  dem  Gottesdienst  erteilte  der  Papst  dem  Volk  den  Segen, 
schwang  das  SchweiBtuch  der  heiligen  Veronika  und  verkiindete 
einen  allgemeinen  AblaB.  Der  Chronist  berichtet,  daB  sich  zwei- 
malhunderttausend  Menschen  auf  dem  Platz  angesammelt  hatten, 
was  jedenfalls  ubertrieben  ist.  Es  geniigt,  daB  die  StraBen,  Fenster 
und  Dacher  der  umliegenden  Hauser  bis  zum  Kastell  S.  Angelo 
von  Neugierigen  belagert  waren,  und  als  Borso  von  samtlichen 
Kardinalen  geleitet  in  seinen  Palast  zuriickkehrte,  konnte  er  sich 
des   Zurufs    erfreuen,   der   ihm   von   alien    Seiten   entgegenschlug: 


62  VIERTES  KAPITEL 

Duca!  Duca!  Borso!  Borso!  Trotz  all  seines  Gliickes  bekennt  der 
neue  Herzog,  daB  die  Feierlichkeit  zu  lange  gedauert  habe  und 
er  tniide  und  hungrig  nach  Hause  gekommen  sei.  Am  meisten 
freute  ihn,  daB  man  weder  einem  Konig  noch  einem  Kaiser  zu 
Ehren  je  solche  Feste  in  Rom  gefeiert  hatte. 

Nachdem  er  geschlafen  und  ausgeruht,  muBte  Borso  sich  zu 
einer  neuen  Feier  riisten:  die  Ehrungen,  die  ihn  in  Rom  erwarteten, 
fanden  kein  Ende,  Der  Papst  verlieh  ihm  am  zweiten  Ostertag 
die  goldene  Tugendrose,  ,,psr  nostra  gloria  et  exaltatione",  wie 
Borso  sich  ausdriickt.  In  seinem  hermelinbesetzten  Mantel,  der 
ihm  anscheinend  groBe  Freude  machte.  mit  der  Mitra  auf  dem 
Haupt,  dem  Zepter  in  der  Hand  und  der  kostbaren  Kette  um  den 
Hals,  begab  sich  der  Herzog  nach  S.  Peter  zu  dieser  neuen  Ehrung. 
In  der  Kirche  erklarte  der  Papst  nach  vollzogenem  Gottesdienst 
die  Bedeutung  der  goldenen  Rose.  ,,Eine  solche  Rose"  —  schreibt 
Borso  seinem  Sekretar  —  ,,wird  nur  dem  wiirdigsten  Herrscher  auf 
Erden  verliehen."  Die  Rose  war  mit  Edelsteinen  im  Werte  von 
funfhundert  Dukaten  geschmiickt,  und  als  Borso  sich  aus  der 
Kirche  in  den  Palazzo  di  S.  Marco  begab,  wo  der  Papst  ein  groB- 
artiges  Festmahl  ihm  zu  Ehren  gab,  hielt  er  den  neuen  Beweis  der 
papstlichen  Gunst  in  der  Hand,  und  wieder  begriiBte  ihn  das  Volk 
mit  lauten  Ovationen.  Zu  diesem  Mahl  waren  fiinfzehn  Kardinale 
geladen,  und  die  Kirchenfursten  ergingen  sich  in  lebhaften  Ver- 
mutungen  dariiber,  weshalb  Paul  II.  Borso  in  dem  MaBe  feiere. 
Die  Neugier  wuchs,  als  der  Papst  Borso  in  geheimer  Audienz  emp- 
fing  und  der  Inhalt  der  Unterredung  nicht  bekannt  ward.  Spater 
erst  kombinierte  man,  daB  ein  neues  Konzil  nach  Ferrara  berufen 
werden  sollte.  Dort  sollte  man  iiber  Anderungen  innerhalb  der 
kirchlichen  Hierarchie  und  die  Vernichtung  der  turkischen  Macht 
verhandeln.  Der  Papst  sah  voraus,  daB  die  Kardinale  sich  der 
Einberufung  dieses  Konzils  energisch  widersetzen  wiirden,  deshalb 
wollte  er  sein  Geheimnis  wahren.  In  seinen  Planen  sollte  Borso 
ihn  unterstiitzen. 

Borso  hatte  nicht  vorausgesehen,  daB  dieser  vom  Papst  emp- 
fangene  Herzogstitel  einst  die  rechtliche  Grundlage  werden  wiirde, 
um  den  Este  Ferrara  zu  nehmen.     Aufs  neue  war  er  Lehnsvasall 


BORSO 


63 


der  Kirche  geworden,  hatte  seine  Abhangigkeit  vom  Papste  an- 
erkannt,  die  Bande  zwischen  Ferrara  und  Rom  enger  gekniipft, 
wahrend  sie  unter  Obizzo  II.,  der  1264  ,,durch  den  Willen  des 
Volkes"  gewahlt  worden  war,  sich  sehr  gelockert  hatten.  Als  Rom 
etwa  ein  Jahrhundert  spater  (1598)  Don  Cesare  d'Este  Ferrara 
nahm,  stiitzte  es  sich  in  der  Hauptsache  darauf,  daB  Paul  II.  Borso 
zum  Herzog  von  Ferrara  ernannt  habe. 

Fast  einen  Monat  blieb  der  Herzog  in  Rom;  vor  seiner  Abreise 
lieB  er  viertausend  Dukaten  unter  die  papstliche  Dienerschaft  ver- 
teilen.  Wahrend  seines  Aufenthalts  in  der  Hauptstadt  der  Welt 
war  sein  Palast  der  Mittelpunkt  des  diplomatischen  und  gesell- 
schaftlichen  Lebens.  Hocherfreut  dariiber  schreibt  der  Herzog  dem 
treuen  Giovanni,  er  wurde  sich  wundern,  sahe  er,  wieviel  Kardinale 
und  Pralaten  ihn  besuchen,  wieviel  Menschen  beiderlei  Geschlechts 
ihn  zu  sprechen  wiinschen,  wie  man  ihn  feiere,  obgleich  man  in 
Rom  den  Anblick  von  Kaisern  und  Konigen  gewohnt  sei.  Auch 
Francesco  Ariosto  schrieb,  daB  Borsos  Triumph  in  Rom  dem 
Triumph  der  rdmischen  Casaren  gleiche. 

Wie  hatte  der  estensische  Herzog  ahnen  kdnnen,  daB  er  sich 
in  Rom  den  Todeskeim  geholt  hat?  Er  holte  sich  dort  das  Fieber, 
dem  er  einige  Monate  spater  erlag.  Noch  konnte  er  auf  der  Riick- 
reise  in  Loreto  haltmachen,  aber  krank  schon  kam  er  nach  Ferrara, 
der  Krafteverfall  war  schnell,  und  am  19.  August  war  der  Fiirst 
tot.  Paul  II.  war  noch  vor  ihm  gestorben,  er  erlag  einem  apo- 
plektischen  Anfall  am  26.  Juli  1471. 

Borso  hatte  alle  moglichen  Vorkehrungen  getroffen,  damit 
Ercole,  den  er  sehr  liebte,  ihm  ohne  Hindernisse  auf  dem  Thron 
folge. 

Den  Tod  fast  eines  jeden  Herrschers  glaubte  man  damals  auf 
Gift  zuriickfuhren  zu  konnen;  so  hieB  es  auch  von  Borso,  er  sei 
an  einem  langsam  wirkenden  Gift,  das  man  ihm  in  Rom  verabreicht 
habe,  gestorben.  Diese  Geruchte  entbehren  jeder  Grundlage,  Fieber 
war  eine  der  haufigsten  und  furchtbarsten  damals  herrschenden 
Krankheiten. 

In  der  Certosa,  wo  sein  Sarg  heute  noch  steht,  wurde  Borso  bei- 
gesetzt.      Noch   zu  seinen   Lebzeiten  hatte  Ferrara  ihm   1451   ein 


64  VIERTES  KAPITEL 

Marmordenkmal  vor  dem  Dom  errichtet.  Auf  der  Saule,  auf  der 
der  erste  ferraresische  Herzog  stand,  war  in  goldenen  Lettern 
Tito  Strozzis  Vierzeiler  zu  lesen: 

Hanc  tibi  viventi  Ferraria  grata  columnam 
Ob  merita  in  patriam,  Princeps  justissime  Borsi 
Dedidat,  Estensi  qui  Dux  a  sanguine  primus 
Excipis  imperium,  et  placida  regis  omnia  pace. 

Dieses  Denkmal  wurde  spater  vor  den  Haupteingang  des  esten- 
sischen  Palastes  gesetzt  und  wahrend  der  Revolution  im  Jahre  1796 
zertriimmert. 

Ill 

Unter  Borsos  Regierung  ging  der  EinfluB  der  Humanisten  zu- 
riick.  Mit  der  Herrschaft  des  Lateinischen  war  es  zu  Ende;  poli- 
tische  Intrigen,  Jagden  und  Feste  beschaftigten  den  Fiirsten;  er 
kiimmerte  sich  weder  urns  Lateinische  noch  urns  Griechische,  die 
Universitat  jedoch  unterstiitzte  er,  so  daB  sie  in  dem  von  Lionello 
festgelegten  Umfang  weiterbestand.  Guarino  behielt  sein  Lehramt, 
und  da  Aurispa  seine  Pfriinden  bezog,  hatte  er  keinen  AnlaB,  Ferrara 
zu  verlassen,  aber  allmahlich  starben  Lionellos  Schiitzlinge  aus  oder 
suchten  ihr  Gliick  an  anderen  Hofen.  Jene,  die  sich  bei  Borso  in 
Gunst  setzen  wollten,  iibersetzten  lateinische  Werke  ins  Italienische. 
Tonangebend  wurde  der  ,, sermon  moderno".  Carlo  di  San  Zorzo 
iibersetzte  fiir  Borso  die  Biicher,  die  man  damals  gelesen  haben 
muBte,  wie  ,,Vita  di  Niccolo  Piccinino",  oder  Decembrios  ,,Le  laudi 
della  citta  di  Milano".  In  der  dem  Fiirsten  gewidmeten  Vorrede 
heiBt  es,  es  bedeute  keineswegs  eine  Zuriicksetzung,  daB  ,,Fortuna,  die 
jedem  wahrhaft  Tugendhaften  entgegenwirke,  dem  Fiirsten  zu  seinen 
vielen  Vorziigen  nicht  auch  das  Interesse  fiir  Literatur  gesch enkt  habe. ' ' 
Eine  groBe  Anzahl  italienisch  schreibender  Autoren  schickte 
Borso  ihre  Werke,  in  der  Annahme,  daB  ihre  Arbeit  in  Ferrara  gut 
aufgenommen  werden  wurde.  So  brachte  ihm  Lorenzi  Spirito  di 
Perugia  seine  Dichtung  ,,L'  Altro  Marte"  dar,  Candido  de'  Bontempi 
widmete  ihm  sein  poetisches  Elaborat  ,,11   Salvador".      Ob  Borso 


BORSO  65 

all  diese  umfangreichen  und  langweiligen  Machwerke  auch  ge- 
lesen  hat,  bleibe  dahingestellt,  aber  die  Literaten  hatten  die  Absicht, 
seine  Kenntnis  der  klassischen  Literatur  zu  fdrdern  und  iibersetzten 
fur  ihn  Plutarchs  ,,Biographien",  Ciceros  ,,Briefe"  und  verschiedene 
andere  antike  Autoren,  wie  Appian,  Prokopios,  Herodot,  Xenophon, 
Plautus,  Apulejus  usw.  Auch  Borsos  Giinstlingen,  Teofilo  Cal- 
cagnini,  Alberto  und  Ercole  d'  Este  wurden  Ubersetzungen  aus 
dem  Griechischen  und  Lateinischen  gewidmet;  das  scheint  die 
Humanisten  strenger  Observanz  nicht  wenig  geargert  zu  haben, 
und  Messer  Teofilo  machte  Carlo  da  San  Zorzo  Vorwiirfe,  daB  er 
Unrecht  an  der  Menschheit  tue,  indem  er  italienisch  und  nicht  latei- 
nisch  schreibe.  Die  Sprache  dieser  Ubersetzer  war  nicht  gerade 
korrekt,  sie  wimmelte  von  ferraresischen  Provinzialismen,  aber  die 
Ferraresen  waren  arrogant  genug  zu  behaupten,  daB  ihr  Dialekt 
dem  Toskanischen  nicht  nachstande,  ,,non  ha  mancho  elegantia  da 
alzuno  altro  Italiano  parlare".  Stolz  schreibt  Polizmagna  einmal 
an  den  Fiirsten:  ,,Ferrarra,  Italiens  Kleinod,  hat  uns  beide  geboren 
und  erzogen,  darum  sollen  wir  auch  nicht  anders  denn  ferraresisch 
sprechen."  Da  es  sehr  bequem  war,  sich  nicht  mit  dem  Lateinischen 
zu  qualen,  folgte  das  gesamte  Ferrara  dem  Vorbild  seines  Fiirsten. 
Als  ein  Podesta  den  Befehl  erhielt,  ,,accipitrem  bene  legatum 
in  sacculo",  einen  in  einen  Sack  verschnurten  Falken  zu  schicken, 
lieB  der  gewissenhafte  Beamte  einen  Geistlichen  aufgreifen  und 
schickte  ihn  im  Sack  an  die  aufgegebene  Adresse.  Vielleicht  ist 
das  Ganze  nur  eine  boshafte  Anekdote,  jedenfalls  ist  sie  bezeichnend 
fur  den  Verfall  der  lateinischen  Kultur  in  Ferrara. 

Mit  der  Entwicklung  des  ,, sermon  moderno"  wuchs  auch  die 
Vorliebe  fur  franzosische  Romane.  Aus  den  Buchern  der  herzog- 
lichen  Kammer,  in  die  genau  eingetragen  wurde,  wer  Biicher  aus 
der  hofischen  Bibliothek  entliehen  hat,  ergibt  sich,  daB  Ritter- 
romane  am  meisten  gelesen  wurden.  Bianca  d'  Este  las  ,,Gothofred 
de  Boion",  der  Conte  Lodovico  da  Canno  entlieh  ,,Galooth  le  Brun", 
Jacopo  Ariosti  und  Gian  Francesco  della  Mirandola  ,, Lancelot", 
Meliadus  ,,Tristan  in  lingua  Gallica",  Francesco  d'  Arezzo  ,,Gral", 
,, Merlin",  „Meliadus"  und  ,,Lancilot".  Eifrige  Leser  der  Romane 
aus  dem  bretonischen  Zyklus  waren   Galeotto  di  Campo  Fregoso, 

5 


66  VIERTES  KAPITEL 

Sigismondo  d'  Este  und  Alberto  della  Scala.  Auch  Borso  scheint 
viel  franzosische  Biicher  gelesen  und  franzosische  Handschriften 
gern  gesammelt  zu  haben.  ,, Merlin"  und  ,,Lancilot",  ins  Volgare 
iibersetzt,  lieB  er  mit  Miniaturen  versehen,  Giovanni  di  Niccolo 
Biondo  und  Scipio  Fortuna  empfahl  er,  Abschriften  der  ,,Storia  di 
Francia"  zu  beschaffen,  und  erwarb  ins  Italienische  iibersetzte 
Biicher  wie  ,,Spagna",  ,,L'  Aspromonte",  ,,Merchino". 

Man  konnte  den  Markgrafen  keine  groBere  Freude  bereiten, 
als  indem  man  sie  den  Paladinen  aus  Konig  Artus'  Tafelrunde 
verglich.  Die  Panegyriker  und  Schmeichler  des  Hauses,  wie  Ugo 
Caleffini,  versaumten  nie  zu  betonen,  wenn  sie  von  den  jungen 
Markgrafen  sprachen,  von  Ercole,  Sigismondo,  Lionello,  Rinaldo, 
daB  sie  ,,vollendete  Paladine"  seien,  ,,che  sono  paladini  perfetti". 

Der  einzige  beriihmte  Humanist,  der  Borso  nahe  stand,  war 
sein  Giinstling  Lodovico  Carbone  (1435 — 1482),  der  iiber  vier  Ge- 
dichtbande  veroffentlicht  hat;  beide  Strozzi  feiern  ihn  als  be- 
riihmten  Dichter  und  Gelehrten.  Tatsachlich  war  Carbone  der 
Typus  des  humanistischen  Scharlatans,  ein  eingebildeter,  miB- 
giinstiger  Neidhammel,  der  keine  literarische  GroBe  neben  sich 
gelten  lieB.  Seine  ganze  Kunst  bestand,  wie  bei  der  Mehrzahl  der 
Humanisten,  in  der  glatten  Form  des  Verses;  er  gait  als  Autoritat 
in  der  Metrik  und  hieB  der  ,,Magister  syllabarum".  Liebesge- 
schichten  erfullten  sein  Leben;  als  ihn  die  Ungarn  zum  Professor 
beriefen,  konnte  er  sich  nicht  entschlieBen,  Ferrara  zu  verlassen, 
da  ihn  Francesca  Fontana  fesselte,  der  seine  Gedichte  galten.  Fran- 
cescas  Lippen  schienen  ihm  begehrenswerter  als  kaiserliche  und 
furstliche  Ehrenbezeugungen. 

Fontanina  vetat  insita  pectori 
Quae  fixa  est  animo  et  visceribus  meis 
Magnis  principibus  hanc  ego  praefero 
Regum  delitiis  regnaque  persica 
Franciscae  superant  oscula  dulcia 
Ludentes  oculi,  risus  aureus .... 

Der  Francesca  folgte  eine  Lucia,  die  ihn  so  in  Anspruch 
nahm,    daB  er  kaum  zu    seinen  in  der  Universitat    angekiindigten 


BORSO  67 

Vorlesungen  kam.  Die  Schiiler  kannten  den  Abhaltungsgrund  und 
verfaBten  ein  Epigramm  ,,An  die  schonste  Lucia,  Lodovico  Carbones 
kiinftige  Gattin,  die  ihm  den  Besuch  der  Universitat  untersagt". 
Die  Studenten  bitten  die  Geliebte  des  Professors,  ihn  nicht  mit 
ihren  Zartlichkeiten  im  Hause  zuriickzuhalten,  sondern  mit  ihm 
in  die  Vortrage  zu  kommen  und  sie  durch  ihre  schonen  Augen 
fur  seine  Faulheit  zu  entschadigen. 

Als  Pius  II.  in  Ferrara  war,  hielt  Carbone  in  der  Kirche  der 
Madonna  degli  Angeli  eine  so  groBartige  Ansprache,  daB  der  Papst 
ihm  den  Titel  ,,conte  palatino"  beilegte.  Der  Dichter  war  so  stolz 
auf  seine  Werke  und  seine  Bedeutung,  daB  er  glaubte,  ganz  Ferrara 
sei  von  seinem  Ruhm  erfullt. 

lam  mea  Ferrariam  celebratur  fama  per  urbem 
Cantatur  tota  nomen  in  urbe  meum. 

Als  er  nach  einem  einjahrigen  Aufenthalt  in  Bologna  nach 
Ferrara  zunickkam,  verglich  er  sich  in  einer  offentlichen  Rede  mit 
Achill,  der  sich  auf  sein  Schiff  zuriickgezogen  hatte,  und  die  ferrare- 
sische  Universitat  mit  dem  griechischen  Heer,  sie  sei  fiihrerlos  wie 
jenes,  wenn  sie  nicht  wiedergewanne  ,,il  suo  ardente  Carbone". 
1469  kam  Friedrich  III.  nach  Ferrara.  Wieder  hielt  Carbone  eine 
feierliche  Ansprache,  diesmal  dem  Kaiser  zu  Ehren  und  nicht 
weniger  zu  eigenem  Lob.  Er  riihmte  sich,  er  habe  10000  Gedichte 
gemacht,  und  wahrend  seines  Lebens  sei  kein  beriihmter  Mann  ge- 
storben,  keine  Tochter  aus  vornehmem  Hause  habe  geheiratet,  ohne 
daB  er  sie  besungen  hatte.  Seiner  Beredsamkeit  vertrauend,  bat 
er  den  Kaiser,  ihm  den  Grafentitel  zu  bestatigen  und  den  Lorbeer 
zu  verleihen.  Der  Schmeichler  erreichte  alles.  Lionello  wiinschter 
daB  Carbone  der  Lehrer  seiner  beiden  fur  den  geistlichen  Stand 
bestimmten  Briider  werde.  Nach  dem  Tode  des  Markgrafen  haben 
die  Minister  aber  einen  Notar  aus  Ferrara  dazu  ernannt.  Der 
Professor  rachte  sich;  bei  der  Wahl  des  neuen  Universitatsrektors 
hielt  er  eine  groBe  Rede  im  Beisein  Borsos,  des  gesamten  Hofes, 
der  Professoren  und  Studenten,  in  der  er  den  anwesenden  Ministern 
die  unglaublichsten  Beleidigungen  ins  Gesicht  warf,  er  nannte  zwei 
unter    ihnen     ,,monstra    turpissima",      Verrater,    Vernichter    der 

e* 


68  VIERTES  KAPITEL 

Republik,  da  sie  Lionellos  Willen,  der  Carbone  zu  schatzen  ge- 
wuBt,  gefalscht  hatten. 

Sehr  bezeichnend  fiir  ihn  ist  sein  Dialog  zwischen  Ferrara  und 
Bologna,  wohl  um  1460  wahrend  seines  Aufenthaltes  in  Bologna 
geschrieben.  Ferrara  klagt,  daB  Giacomo  Grati,  der  bolognesische 
Gesandte  in  Ferrara,  den  geliebten  Rhetor  entfuhrt  habe,  Bologna 
antwortet,  da  Ferrara  soviel  beruhmte  Redner  besaBe,  konne  es 
ihm  doch  den  groBen  Professor  leihen,  aber  Ferrara  verteidigt  sich: 
gewiB  gabe  es  Literaten  genug,  aber  das  waren  zum  groBten  Teil 
eingebildete  Streithahne  oder  Flegel  und  Esel  von  so  schlechten 
Manieren,  daB  die  Stadt  sich  ihrer  schamen  musse.  Carbone  je- 
doch,  der  hofliche,  liebenswiirdige,  zuvorkommende,  giitige  sei 
Ferrara  entrissen.  Sicher  habe  die  Natur  ihn  geschaffen,  damit  er 
des  groBen  Borso  gewaltige  Tugenden  besinge  und  feiere.  Bologna 
stimmt  in  den  Ruhm  des  Fiirsten  ein,  ja  es  ware  gliicklich,  kame 
es  los  vom  Joch  der  ,,gesegneten  Kirche",  die  auf  weltliche 
Macht  nicht  verzichten  will.  Ware  nicht  die  Furcht  vor  Rom, 
mit  Freuden  wiirfe  sich  Bologna  in  die  Arme  Borsos,  dieses  edlen, 
gesetzten,  frommen  und  gerechten  Herrschers. 

Carbone  veroffentlichte  auch  scherzhafte  Geschichtchen  in  Art 
der  Facezien  des  Poggio  Bracciolini  unter  dem  Titel  ,,Le  Cento 
trento  novelle  o  facetie  de  Lodovico  Carbone".  Es  ist  die  erste 
italienische  Nachahmung  lateinischer  Schriften  dieser  Art;  das  Genre 
war  in  der  Renaissance  sehr  beliebt. 

Eine  der  interessantesten  Personlichkeiten  aus  Borsos  Um- 
gebung  war  der  Hofmedikus  und  Universitatsprofessor  Michele 
Savonarola,  den  noch  Niccolo  III.  nach  Ferrara  berufen  hatte.  Er 
war  ein  sehr  streng  denkender  Mensch  und  wurde  in  spateren  Jahren 
zum  Asketen;  da  ihm  die  Verbreitung  seiner  medizinischen  Theorien 
am  Herzen  lag,  schrieb  er  mehrere  Abhandlungen.  Die  Este  haben 
ihn  fiir  seine  Dienste  glanzend  entlohnt,  Lionello  gab  ihm  den 
Zehnten  der  sanctae  Helenae,  Borso  das  feudum  Madelane  und 
Papst  Nikolaus  V.  ernannte  ihn  zum  Ritter  von  Jerusalem.  Savo- 
narolas  beruhmtestes  Buch  war  die  ,,Practica  major",  eine 
Enzyklopadie  des  damaligen  medizinischen  Wissens:  er  gibt 
hygienische  Vorschrif ten,  empfiehlt  eine  vernunf tgemaBe  Ernahrung, 


BORSO  69 

lehrt  die  Zubereitung  von  Speisen,  gibt  einzelne  Rezepte  und 
beschaftigt  sich  mit  samtlichen  moglichen  Krankheiten  vom  Kopf 
bis  zu  den  FuBen  ,,de  omnibus  aegritudinibus  particularibus  a  capite 
usque  ad  pedes  et  earum  curis".  Er  schrieb  auch  iiber  Balneologie 
,,De  balneis",  fur  die  es  in  Italien  stets  viel  Verstandnis  gab,  war 
man  doch  selbst  in  Zeiten  groBter  Barbarei  nach  Abano,  Poretta 
und  in  viele  andere  Badeorte  in  Toskana  gereist.  Savonarola  hatte 
den  bekannten  Condottiere  Gattamelata  nach  Abano  begleitet, 
Niccolos  III.  Gicht  durch  Bader  geheilt,  Bader  galten  ihm  als  wesent- 
licher  Faktor  in  der  Medizin,  und  zwar  nicht  allein  kalte  und  warme 
Bader,  sondern  auch  Bader  in  Wein,  01,  Milch  usw.  Sein  Buch 
enthalt  auch  Rezepte  zum  Destillieren  des  Aquavit,  der  ihm  als 
wichtige  Medizin  gilt,  ,,medicarum  calidarum  magistra  ac  parens", 
maBig  gebraucht  ist  er  ,,sanitatis  humanae  conservatrix  optima  ac 
deperditae  mirabiliter  restaurativa".  Savonarola  beherrschte  die  ge- 
samte  damalige  griechische  und  lateinische  medizinische  Literatur, 
am  meisten  aber  huldigte  er  den  Arabern,  und  Avicenna  stellte  er 
hoher  als  Galenos. 

Seltsam   genug  ist  es,   daB  dieser  Arzt  und  Gelehrte,   der  die 
Natur  zu  erforschen  suchte,  unter  seinen   Schriften  zwei  Biicher 
iiber    die    Beichte    hinterlassen    hat,    ,,Confessionale"    und    ,, Delia 
Confessione".      Das    erste    enthalt    Vorschriften,    wie    man    sich 
fiir     die     Beichte     vorzubereiten     und     wie     man     zu     beichten 
habe,    das    zweite    Lehren,    auf    welche    Weise    Gott    um 
Vergebung    der    Siinden    zu    bitten    ist.     Savona- 
rola   schrieb    noch    verschiedene    Biicher 
moralischen    und    politischen   In- 
halts,  die  aber  fiir  uns  be- 
deutungslos  sind. 


FONFTES  kapitel 
ERCOLE  L 


i 

it  Blut  muBte  auch  Ercole  wie  viele  seiner  Vorganger 
den  ferraresischen  Thron  erkaufen.  Lionellos  Sohn 
Niccolo  hielt  sich  fur  Borsos  rechtmaBigen  Nachfolger 
und  wollte  sich  mit  Hilfe  seiner  Anhanger  der  Herr- 
schaft  und  des  Kastells  bemachtigen.  Zwei  Parteien 
standen  einander  gegeniiber:  das  Segel  ,,Vela",  Niccolos 
Zeichen,  und  der  ,,Diamant",  Ercoles  Wappen.  Der  Diamant  er- 
freute  sich  beim  Volke  groBerer  Beliebtheit.  Ercole,  liebenswiirdig, 
gewinnend,  heiter,  von  stattlichem  Aussehen,  den  noch  dazu  die 
in  Neapel  verbrachte  Jugend  und  seine  Beziehungen  zum  Hofe  von 
Aragon  mit  einer  gewissen  Glorie  fur  die  Volksphantasie  umgaben, 
trug  den  Sieg  leicht  davon.  Siebzigtausend  Menschen  sollen  sich 
fur  ihn  ausgesprochen  haben,  und  das  Volk  war  dieses  Sieges  so 
froh,  daB  es  alter  Sitte  gemaB  den  Palazzo  della  Ragione  gestiirmt, 
die  Sitze  der  Gerichtspersonen  zertrummert  und  die  vorhandenen 
Papiere  verbrannt  hat.  Die  damaligen  Gerichtshofe  scheinen  sich 
nicht  tibermaBiger  Sympathie  erfreut  zu  haben. 

Niccolo  zog  sein  ,, Segel"  ein  und  suchte  Schutz  in  Mantua  bei 
seinem  Verwandten  Lodovico  II.  Gonzaga.  Ercole  schickte  ihm 
zum  Beweise,  daB  er  das  Vergangene  vergessen  habe,  ein  schones 
Trauergewand,  das  Niccolo  nach  dem  Tode  des  Oheims  brauchte. 
Dies  Geschenk  verbesserte  jedoch  die  Beziehungen  zwischen  dem 
Herzog  und  dem  Kronpratendenten  nicht;  da  Ercole  einen  plotz- 
lichen  Uberfall  fvirchtete,  schickte  er  den  Grafen  Niccolo  di  Rinaldo 
Ariosti  nach  Mantua,  damit  er  Niccolo  zu  vergiften  versuche.    Fur 


ERCOLEI.  yi 

diesen  ,,Dienst"  versprach  der  Herzog  Ariosti  zwei  Schlosser,  einen 
Palast  in  Ferrara  und  eine  jahrliche  Pension.  Unter  dem  Vor- 
wand,  der  Markgrafin  Geschenke  von  Ercole  zu  bringen,  kam 
Ariost;  es  gelang  ihm,  Niccolos  Hofmarschall  Cesare  Pirandoli 
zu  gewinnen,  der  seinem  Herrn  ein  vergiftetes  Gericht  vorsetzen 
sollte.  Durch  einen  seltsamen  Zufall  erkrankte  Pirandoli  an  jenem 
Abend,  an  dem  er  seinen  verbrecherischen  Plan  ausfuhren  wollte; 
in  der  Annahme,  daB  auch  er  vergiftet  sei,  gestand  er  Niccolo  und 
Federigo  Gonzaga  alles.  Ariost  gelang  es,  aus  Mantua  zu  ent- 
fliehen  und  Ferrara  zu  erreichen;  Pirandoli  wurde  dffentlich  hin- 
gerichtet. 

Natiirlich  trug  dies  Ereignis  nicht  dazu  bei,  das  Verhaltnis 
zwischen  Niccolo  und  Ercole  zu  verbessern.  Der  Pratendent  lauerte 
auf  einen  geeigneten  Augenblick,  um  sich  zu  rachen  und  Ferraras 
zu  bemachtigen. 

Nachdem  Ercole  seine  Herrschaft  befestigt  hatte,  dachte  er 
seiner  in  Neapel  verbrachten  Jugend  und  beschloB,  Eleonora  von 
Aragon,  Ferrantes  Tochter,  zur  Gattin  zu  wahlen.  Er  war  damals 
einundvierzig  Jahre  alt.  Eleonora  war  die  Braut  des  Fiirsten  Sforza 
von  Bari,  aber  Sixtus  IV.  hob  diesen  Vertrag  durch  eine  besondere 
Bulle  im  Jahre  1472  auf.  So  war  Eleonoras  Hand  frei,  und  das 
Biindnis  mit  dem  Aragon  bot,abgesehen  von  allem  anderen,  nament- 
lich  deshalb  fur  Ercole  viele  Vorteile,  weil  es  Ferraras  Macht  gegen 
Venedig,  seine  gefahrlichste  Nachbarin,  starkte.  Eleonora  wurde 
eine  Mitgift  von  80000  Dukaten  versprochen. 

Der  Hof  von  Neapel  war  wegen  seiner  spanischen  Pracht  und 
seines  groBen  Luxus  bekannt.  Auch  Ercole  hatte  Sinn  fur  Pracht- 
entfaltung,  und  so  wurden  die  glanzendsten  Vorbereitungen  zum 
Empfang  der  Braut  in  Ferrara  getroffen.  Um  Eleonora  nach 
Ferrara  zu  geleiten,  gingen  im  Juni  1473  Sigismondo  und  Alberto, 
Ercoles  Briider,  nach  Neapel;  in  ihrer  Gesellschaft  befanden  sich 
Galeotto  Pico  della  Mirandola,  Niccolo  da  Correggio,  Marco  Pio 
aus  Carpi,  der  Dichter  Maria  Bojardo,  Nino  Contrari  und  Lodovico 
Carbone,  dem  die  feierlichen  Ansprachen  bei  der  BegriiBung  zu- 
fielen.  Der  Zug  bestand,  abgesehen  von  der  Dienerschaft,  aus 
iunfhundert   Berittenen.      In   Neapel   wurden   die   Ferraresen   aufs 


72  fUnftes  kapitel 

glanzendste  empfangen;  zweihundert  bekannte  Personlichkeiten 
Neapels,  Fiirsten,  Ritter  und  Hofdamen,  gaben  der  scheidenden 
Fiirstin  das  Geleite. 

Eleonora  zu  Ehren  wurden  in  Rom  Feste  gegeben,  die  zu  den 
glanzendsten  der  Renaissance  gehoren.  Der  Arrangeur  war  der  junge 
Kardinal  S.  Sisto,  Pietro  Riario,  der  Nepote  Sixtus  IV.,  der  aus  einem 
armen  Monch  ein  groBer  Kirchenfiirst  gev/orden  war  und  als  einer 
der  groBten  Verschwender  der  ganzen  Epoche  gait.  Er  war  der  Typus 
des  hochmiitigen  Pralaten,  erpicht  auf  Macht  und  Ruhm,  und 
riB  mit  Hilfe  des  Papstes  die  reichsten  Pfriinden  an  sich.  Seine 
Einkiinfte  betrugen  nach  heutigem  Gelde  etwa  zwei  und  eine  halbe 
Million  Franken.  Sie  flossen  ihm  zu  aus  dem  Erzbistum  von  Florenz, 
dem  Patriarchat  von  Konstantinopel,  der  Abtei  S.  Ambrogio  und 
einer  Reihe  anderer  Bistiimer,  die  ihm  der  Papst,  sein  Vetter,  iiber- 
wiesen  hatte. 

Die  gesamte  Palasteinrichtung  des  Kardinals,  seine  Wagen 
und  die  Anziige  der  Dienerschaft  waren  aus  Samt  und  Brokat,  reich 
mit  Gold  gestickt.  Der  ehemalige  Franziskaner  besaB  die  schonsten 
Pferde  in  Rom,  kleidete  seine  Dienerschaft  in  Scharlach  und  urn- 
gab  sich  mit  einer  Schar  von  Verseschmieden,  die  ihn  in  den  Himmel 
hoben.  Seine  bevorzugte  Kurtisane,  Teresa,  iiberschiittete  er  mit 
Perlen  und  Edelsteinen;  er  gab  Turniere  und  Bankette,  wie  sie  das 
Rom  der  Papste  noch  nicht  geschaut  hatte. 

Sein  Gast  war  Eleonora. 

Ferraras  Herzogin  naherte  sich  am  5.  Juni  1473  den  Toren 
der  ewigen  Stadt.  Die  Kardinale  Caraffa  und  Anxias  de  Podio 
kamen  ihr  mit  einem  groBen  Gefolge  von  Pralaten  entgegen  und 
geleiteten  sie  in  den  Later  an,  wo  ein  Friihstuck  bereitet  war.  Dort 
erwarteten  sie  die  beiden  papstlichen  Nepoten:  die  Kardinale  Riario 
und  Giuliano  della  Rovere,  der  nachmalige  Julius  II.  In  ihrer 
Gesellschaft  begab  sich  Eleonora  zu  S.  Sisto.  Da  der  Palast  des 
Kardinals  zu  eng  war,  um  die  ferraresischen  und  neapolitanischen 
Gaste  aufzunehmen,  lieB  Riario  auf  dem  Platz  vor  der  Kirche  ein 
groBartiges  Holzgebaude  errichten,  versehen  mit  offenem  Atrium. 
Auf  der  einen  Seite  des  Platzes  hatte  er  eine  Buhne,  die  fur  offent- 
liche  Auffuhrungen  bestimmt  war,  aufschlagen  lassen.     Vor  dem 


ERCOLE  I.  D'ESTE 
KOPIE   DOSSIS  NACH  TIZIAN.     MODENA,   GALER1E 


ERCOLE  I. 


73 


Palast  stand  ein  Springbrunnen,  der  sein  Wasser  aus  einer  Zisterne 
auf  dem  Dach  der  Basilika  empfing.  Der  provisorische  Palast 
wirkte  wie  ein  Gebaude  aus  Stein;  Wande,  Decken  und  FuBboden  der 
groBen  Zimmer  waren  mit  golddurchwirkten  Tapeten  und  flan- 
drischen  Teppichen  gedeckt.  Ein  groBartiger  Teppich  mit  der  Er- 
schaffung  der  Welt,  der  von  Nikolaus  V.  bestellt  worden  war,  er- 
regte  allgemeine  Bewunderung.  Es  wurde  behauptet,  daB  in  der 
gesamten  christlichen  Welt  kein  schonerer  Arazzo  vorhanden 
sei;  leider  ist  dieser  kostbare  Schatz  nicht  auf  uns  gekommen. 
Diese  provisorischen  Raume  waren  mit  einem  derartigen  Luxus 
ausgestattet,  daB  selbst  die  Zeitgenossen,  die  den  Pomp  der  Kirchen- 
fursten  gewohnt  waren,  AnstoB  an  dieser  Verschwendung  nahmen. 
Um  Eleonoras  Raume  kuhl  zu  erhalten,  waren  drei  groBe,  ver- 
steckt  angebrachte  Blasebalge  in  Tatigkeit. 

Am  Pfingstsonntag  wurde  die  Geschichte  der  ,, Susanna"  am 
Nachmittag  auf  dem  Platz  vor  dem  Palast  aufgefuhrt,  und  am  Mon- 
tag  gab  der  Kardinal  ein  Festessen,  das  sich  den  raffiniertesten  der 
romischen  Kaiserzeit  vergleichen  lieB.  Von  Trommeln  und  Pfeifen 
begriiBt,  betraten  die  Gaste  den  Saal.  Die  Dienerschaft  in  seidner 
Livree  gab  eine  Vorahnung  des  zu  erwartenden  Luxus.  Am  Haupt- 
tisch  saBen  auBer  der  Fiirstin  nur  noch  neun  Personen,  acht  aus 
ihrem  Gefolge,  und  der  Kardinal  Riario,  der  Gastgeber,  war  der 
Zehnte.  Allgemeine  Bewunderung  erregte  das  Biiffett  mit  den 
Meisterwerken  der  Kochkunst,  mit  zwolf  auBerst  wertvollen  Tafel- 
aufsatzen  aufgeziert.  Zuerst  wurden  SiiBigkeiten  gereicht,  kandierte 
Orangen  mit  Malvasierwein  und  Rosenwasser  zum  Waschen. 
Es  gab  vierundvierzig  Gerichte,  darunter  in  einem  Stiick  gebratene 
Rehe,  Hirsche,  Hasen,  Kalber,  wahrend  das  Gefliigel:  Kraniche, 
Fasanen,  Pfauen  in  seinem  Federkleid  gleichsam  lebendig  serviert 
wurde.  Das  seltsamste  Gericht  war  ein  Bar  in  seinem  Fell,  mit 
einem  Stock  im  Maul,  ,,damit  er  nicht  beiBe".  Die  Schuppen  der 
Fische  waren  versilbert,  das  Brot  vergoldet,  und  die  Kuchen,  Torten 
und  SiiBigkeiten,  die  in  ungeheuren  Mengen  gebracht  wurden, 
hatten  die  seltsamsten  kunstlichen  Formen.  Die  Meisterwerke 
der  Zuckerbackerkunst  waren  ein  Herkules,  fast  lebensgroB,  im 
Kampf  mit  Ungeheuern  begriffen,  und  eine  groBe   Schlange,   die 


74  FUNFTES  KAPITEL 

sich  auf  einem  Zuckerberg  walzt  und  den  Gasten  ihren  auf- 
gesperrten  Rachen  zukehrt.  Auch  ein  reichbeflaggtes  Konfekt- 
schloB  wurde  hineingebracht,  dann  schleppte  man  zwolf  groBe, 
mit  Zucker-Eicheln  beladene  Schiffe  herbei,  als  der  Frucht  der 
Rovere,  die  eine  Eiche  im  Wappen  fiihren.  Den  Schiffen  folgte 
Venus  in  stolzem,  von  ausgestopften  Schwanen  gezogenem  Ge- 
fahrt,  schlieBlich  zeigte  sich  in  der  Tiir  ein  bewaldeter  Berg,  daraus 
schritt  ein  lebendiger  Zwerg  heraus  und  driickte  in  Versen  seine 
Verwunderung  dariiber  aus,  sich  unvermutet  in  so  erlesener  Ge- 
sellschaft  zu  befinden.  Die  Einformigkeit  des  sechs  Stunden 
wahrenden  Mahles  unterbrachen  allegorische  Gestalten,  die  durch 
Rezitation  von  Gelegenheitsgedichten  und  Gesang  das  Bankett 
verschonten.  Unter  anderen  trat  ein  Jiingling  auf  und  sang  mit 
schoner  Stimme  ein  lateinisches  Gedicht,  in  dem  er  den  Gasten 
vorhielt,  daB  sie  von  solchen  Herrlichkeiten  umgeben  selbst  den 
Gdttern  den  Olymp  nicht  zu  neiden  brauchten,  um  so  weniger 
als  Jupiter  selbst  unter  ihnen  weile. 

Wer  sollte  dieser  Jupiter  sein?  Der  Gastgeber  und  Kardinal, 
der  Franziskaner  ? 

Ein  Ballett  beschloB  das  Fest.  Auf  der  Biihne  tanzten  antike  Helden 
mit  ihren  Geliebten.  Den  wolliistigen  Tanz  unterbrachen  Kentauien, 
die  die  schonen  Balletteusen  rauben  wollten,  aber  Herkules  ergriff  ihre 
Partei  und  verjagte  die  wilden  Kraftmenschen.  Dem  Ballett  folgten 
noch  einige  Auf  f  iihrungen,  deren  Inhalt  aus  dem  My  thus  geschopf  t  war. 

Die  Feste  der  Renaissance  kannten  kein  MaB,  es  gait  den  Becher 
bis  zur  Neige  zu  leeren,  bis  die  Teilnehmer  der  Feste  vor  Miidig- 
keit  fast  umsanken. 

Die  Herzogin  blieb  fiinf  Tage  in  Rom,  und  es  ist  mehr  als  zweifel- 
haft,  ob  sie  wahrend  dieses  Empfanges  sich  von  den  Reisestrapazen 
zu  erholen  vermochte.  Ein  Trost  in  ihrer  Abspannung  mogen  die 
reichen  Geschenke  gewesen  sein,  mit  denen  Sixtus  IV.  und  die  Kar- 
dinale  sie  iiberschiitteten. 

In  Ferrara  traf  man  groBartige  Vorbereitungen  zum  Empfang 
der  Herzogin.  Fiinf  der  beriihmtesten  Maler  und  Bildhauer  arbeiteten 
an  einem  fur  sie  bestimmten  Caroccio,  iiber  den  Po  wurde  eine 
neue  Briicke  geschlagen,  und  eine  Kunstlerschar  schmiickte  die  Stadt. 


ERCOLEI.  75 

Zu  Pferde  zog  Eleonora  unter  dem  Baldachin  ein,  in  einem 
Kleid  aus  Goldbrokat  mit  kostbaren  Edelsteinen  und  einer  stolzen 
Krone  auf  dem  Haupt.  In  den  StraBen  Griin,  Blumen,  bunte 
Stoffe  —  so  daB  die  Herzogin  durch  unabsehbare  Zelte  einzuziehen 
schien.  Triumphbogen  waren  errichtet,  und  auf  Estraden  suchten 
Tanzer  bei  Musikklangen  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  zu  Ziehen. 
Am  nachsten  Tage  traute  der  Kardinal  Bartolommeo  Roverello 
das  herzogliche  Paar  im  Dom,  dann  begannen  die  acht  Tage 
wahrenden  Feste.  Die  stadtischen  Korporationen  machten  Eleonora 
reiche  Geschenke,  deren  Wert  auf  28444  Lire  berechnet  wurde, 
auBerdem  brachte  ihr  jede  vornehme  Familie  und  jeder  groBere 
Wurdentrager  des  Landes  seine  Huldigung  in  Form  eines  Ge- 
schenkes  dar. 

Eleonora  war  eine  ungewohnliche  Frau  von  groBen  Verdiensten 
und  groBer  Energie.  Sie  war  sehr  musikalisch,  spielte  selbst  Harfe, 
las  viel  und  sammelte  die  Werke  der  beriihmtesten  damaligen 
Maler.  Sie  besaB  Bilder  von  Mantegna  und  Bellini;  in  ihrer  Hand- 
bibliothek  befanden  sich  Casars  Kommentare  in  italienischer  Uber- 
setzung,  Plinius'  Schriften,  die  ,,Fioretti"  des  heiligen  Franziskus, 
eine  groBe  Anzahl  spanischer  Geschichten  und  unter  anderem  der 
damals  viel  gelesene  Roman  ,,11  Career  d'Amore". 

In  schweren  Tagen  bewies  Eleonora  viel  Mut  und  Geistes- 
gegenwart,  namentlich  als  Niccolo,  um  den  an  ihm  versuchten 
Mord  zu  rachen,  in  Ferrara  einfiel.  Ercole  war  in  Belriguardo, 
und  Niccolo  hielt  den  Augenblick  fur  geeignet,  um  durch  einen 
kiihnen  Streich  Ferrara  zu  erobern,  wo  Eleonora  mit  den  kleinen 
Kindern  allein  verblieben  war.  Im  Einverstandnis  mit  dem  Mark- 
grafen  von  Mantua  und  Giovanni  Maria,  dem  Fiirsten  von  Mai- 
land,  hatte  der  Pratendent  siebenhundert  Bewaffnete  in  Kahnen, 
die  mit  Stroh  bedeckt  waren,  verborgen  und  landete  mit  dieser  Schar 
in  Ferrara.  Ehe  die  Kunde  des  Uberfalls  ins  Kastell  gedrungen  war, 
erklang  schon  Niccolos  Kriegsruf:  vela!  vela!  durch  Ferraras 
Gassen.  Aber  diese  Losung  fand  auch  diesmal  bei  der  Bevolkerung 
keinen  Widerhall,  Eleonora  sammelte,  unterstiitzt  von  ihren 
Schwagern  Ercole,  Sigismondo,  Alberto  und  Rinaldo,  ein  Heer; 
Niccolo  wurde  aus  der  Stadt  vertrieben,  mit  seinen  Begleitern  in 


76  FUNFTES  KAPITEL 

die  Siimpfe  gedrangt  und  dort  gefangen.  Niccolos  Haupt  fiel  unter 
dem  Beil;  zweihundert  seiner  Anhanger  lieB  Ercole  zur  Warnung 
unter  den  Fenstern  des  Palazzo  della  Ragione  aufhangen,  fiinf 
an  den  Zinnen  des  Castell  Vecchio,  den  iibrigen  schenkte  er  das 
Leben  unter  der  Bedingung,  daB  sie  ihm  den  Treueid  leisteten. 
Alle  waren  damit  einverstanden,  nur  ein  alter  Koch,  Lucca,  wollte 
seinen  Herrn  nicht  verleugnen;  als  man  ihm  sagte,  er  miisse,  um 
seine  Freiheit  zu  erlangen,  ,, diamante"  rufen,  schrie  er  ,,vela!" 
und  biiBte  seine  Treue  mit  dem  Leben. 

In  den  beiden  ersten  Jahren  ihrer  Ehe  hatte  Eleonora  zwei 
Tdchter:  Isabella  (geb.  am  18.  Mai  1474)  und  Beatrice  (geb.  am 
29.  Juni  1475),  spater  kamen  vier  Sonne  dazu,  von  denen  der 
alteste,  Don  Alfonso,  als  Alfonso  I.  dem  Vater  auf  dem  Throne  folgte, 
Ippolito  wurde  spater  Kardinal. 

Ercole  und  Eleonora  lebten  in  einer  Musterehe,  nach  den  Be- 
griffen  der  Renaissance.  Der  Herzog  gait  als  treuer  Ehemann, 
und  nur  einmal,  um  den  Traditionen  seines  Geschlechtes  treu  zu 
bleiben,  hat  er  seiner  Frau  die  Treue  gebrochen.  Als  Eleonora 
im  Mai  des  Jahres  1477  fur  einige  Monate  zu  ihren  Eltern  nach 
Neapel  reiste,  kniipfte  der  Herzog  ein  Verhaltnis  mit  einer  Hof- 
dame  an,  Isabella  Arduino,  die  ihm  im  Marz  1478  einen  Sohn 
Giulio  geboren  hat.  Drei  Monate  spater  wurde  Isabella  an  einen 
Giacomo  Mainente  in  Ferrara  verheiratet,  und  Ercoles  einmalige 
Eheirrung  hat  sein  gutes  Verhaltnis  zu  Eleonora  nicht  getriibt. 
In  dieser  Beziehung  waren  die  damaligen  Frauen  iibrigens  sehr 
nachsichtig.  Wenn  z.  B.  der  Markgraf  Gonzaga  von  Mantua, 
der  Gatte  Isabellas  und  Schwiegersohn  Ercoles,  sich  fur  eine  langere 
kriegerische  Expedition  riistete,  wahlte  ihm  die  sorgende  Gattin 
selbst  eine  schone,  gesunde  Mantuanerin  zur  Reisegefahrtin. 

Vor  seiner  Heirat  mit  Eleonora  hatte  Ercole  mit  Lodovica 
Condolmieri  eine  Tochter  Lucrezia  d'Este.  Sie  heiratete  1487 
den  Grafen  Annibale  Bentivoglio,  den  Sohn  des  Tyrannen  von 
Bologna,  und  war  eine  ungewohnliche  Frau. 

Eleonora  war  eine  gute  Mutter  und  gab  ihren  Kindern  eine  sorg- 
faltige  Erziehung.  Battista  Guarino  unterrichtete  die  Madchen 
im  Lateinischen,  nach  ihm  Jacopo  Gallino,  der  es  so  gut  verstand, 


ERCOLE  I. 


77 


die  jungen  Herzoginnen  fur  die  trockenen  Studien  zu  interessieren, 
daB  Isabella  auch  spater  als  Markgrafin  von  Mantua  sich  gem  der 
Zeiten  entsann,  wo  sie  nach  Chrysoloras  Grammatik  gelernt 
und  Vergils  Eklogen,  Ciceros  Briefe  oder  die  Aeneis  aus  dem  Ge- 
dachtnis  rezitiert  hatte.  Ein  sehr  von  ihr  verebrter  Lehrer  war  auch 
Mario  Equicola  d'Alveto,  der  Verfasser  der  1521  in  Ferrara  er- 
schienenen  ,,Geschichte  von  Mantua"  und  der  Abhandlung  ,, Delia 
natura  d'amore".  Die  jiingere,  wenig  begabte  Beatrice  konnte  diesen 
Stunden  nicht  viel  Reiz  abgewinnen,  sie  ritt  lieber  oder  futterte 
die  Tiere  im  Park.  Isabella  dagegen  gait  als  ungewohnliches  Kind, 
,,deliziosa  creatura",  und  man  gab  sich  stets  viel  mit  ihr  ab. 

Ein  wesentlicher  Faktor  in  der  Erziehung  war  der  Musik- 
unterricht.  Aus  Konstanz  lieB  der  Fiirst  einen  deutschen  Geist- 
lichen  und  beriihrnten  Musiker,  Don  Giovanni  Martin,  kommen, 
damit  er  seine  Kinder  unterrichte  und  gleichzeitig  die  Sanger 
der  fiirstlichen  Kapelle  ausbilde.  Isabella  hatte  eine  gute  Stimme  und 
sang  gem  zur  Laute.  Die  jungen  Damen  spielten  auch  Klavier  und 
waren  so  musikalisch,  daB  Trissino,  einer  der  Hofdichter,  Isabellas 
Stimme  mit  Sirenengesang  verglich,  ja,  er  ging  noch  weiter:  sie 
vermoge  wie  einst  Orpheus  wilde  Tiere  mit  ihrer  Stimme  zu  zahmen. 
Auch  Baldassare  Castiglione  pries  ihre  Talente.  Vor  fremden  Gasten 
riihmte  sich  der  Fiirst  gern  des  Gesanges  seiner  Tochter,  und  bei 
einem  Feste,  das  zu  Ehren  des  Gesandten  Ludwigs  XII.  gegeben 
wurde,  entziickte  Isabella  durch  ihr  Lautenspiel  die  ganze  Gesellschaft. 

Auch  in  kdrperlichen  Ubungen  wurden  die  jungen  Madchen  unter- 
wiesen,  sie  muBten  reiten  und  tanzen,  daneben  auch  handarbeiten, 
besonders  kunstvolle  Stickereien  in  Gold  und  Seide  ausfiihren. 


II 

Nach  Burckhardt  war  Ferrara  der  erste  moderne  Staat;  diesen 
Satz  miiBte  man  dahin  korrigieren,  daB  Ferrara  am  deutlichsten 
zeigt,  wie  ein  Staat  in  der  Renaissance  organisiert  war.  Die  admi- 
nistrativen  Grundsatze  der  damaligen  despotischen  Staaten  waren 
in  ganz  Italien  fast  die  gleichen,  in  Ferrara  treten  sie  besonders 


78  fOnftes  kapitel 

hervor,  weil  eine  Dynastie  sich  drei  Jahrhunderte  hindurch  be- 
hauptet  hat.  Infolgedessen  hatten  alle  politischen  Einrichtungen  dort 
mehr  Bestand  und  bekamen  allmahlich  eine  festgeschlossene  Form. 

Uberall,  in  Ferrara,  Mantua,  Bologna  oder  Verona,  bildeten  die 
friiheren  Gemeindestatuten  die  Grundlagen  der  Regierung  und  des 
richterlichen  Verfahrens.  Die  Kommune  bestand  weiter,  aber  sie 
bestand  unter  dem  Schwerte  des  herrschenden  Fiirsten  oder  Con- 
dottiere,  der  ihr  so  viel  von  der  friiheren  Autonomie  belieB,  als  es 
mit  Riicksicht  auf  seine  Finanzen  und  Ziele  notwendig  war.  Der 
Furst  veranderte  im  allgemeinen  die  Institutionen  der  Gemeinde 
nicht,  aber  er  kontrollierte  sie  und  beschrankte  ihre  Tatigkeit  durch 
seine  Macht.  In  Ferrara  regierten  noch  im  XIII.  Jahrhundert 
zwolf  ,,weise  Manner",  ,,Savi",  an  ihrer  Spitze  stand  der  ,,aller- 
weiseste",  ,,Giudice  de'  Savi",  er  war  der  Prasident  des  Stadtischen 
Rates  und  Vertreter  des  Volkes.  Das  Statut  der  Stadt  nennt  ihn 
,, Pater  moderator  que  patriae  et  praefectus  universitatis".  Der 
Giudice  de'  Savi  hatte  dieselben  Obliegenheiten  zu  erfiillen  wie  die 
friiheren  Konsuln,  die  noch  unter  Friedrich  I.  der  Republik  Ferrara 
vorgestanden  hatten.  Zuerst  bekleidete  ein  fremder  Rechts- 
gelehrter  diese  Stelle,  seit  dem  XV.  Jahrhundert  ein  Mitglied  eines 
der  aristokratischen  Geschlechter  Ferraras.  Die  zwolf  Savi  wurden 
aus  den  Biirgern  der  Stadt,  ohne  Unterschied  des  Standes,  gewahlt, 
ihnen  halfen  in  ihrer  Arbeit  Beamte,  Aggiunti.  Den  Vorsitzenden 
der  Savi  ernannte  der  Herzog  oder  setzte  ihn  nach  Gutdiinken  ab; 
obgleich  der  Giudice  der  hochste  Beamte  im  Staate  war,  iibertrug 
er  dem  neuen  Thronfolger  den  Oberbefehl  iiber  das  Heer  und  iiber- 
gab  ihm  die  Herrschaft  iiber  das  Volk. 

Dem  Kollegium  der  Savi  unterstand  die  zivile,  wirtschaftliche 
und  finanzielle  Verwaltung  der  Gemeinde  sowie  die  Gerichtsbarkeit 
in  Zivil-  und  Strafsachen,  soweit  sie  durch  die  Macht  des  Podesta 
nicht  beschrankt  war.  Die  Savi  erlieBen  Gesetze,  die  ihre  Rechts- 
kraft  erst  erhielten,  wenn  der  Herzog  sie  bestatigte,  auferlegten 
stadtische  Abgaben,  sorgten  fur  die  offentliche  Sicherheit,  die  Er- 
haltung  der  StraBen,  Kanale  und  Briicken;  zum  Bereich  ihrer 
Tatigkeit  gehorte  ferner  hoheres  und  niederes  Schulwesen,  Ge- 
sundheitspolizei,  selbst  das  Pragen  der  Miinzen. 


ERCOLE  I. 


79 


Aus  friiherer  Zeit  hatte  sich  die  Wiirde  eines  Podesta  erhalten. 
Wahrend  in  freien  Gemeinden  der  Podesta  der  hochste,  fur  eine 
bestimmte  Zeit  gewahlte  Beamte  war,  dem  die  Volksversammlung 
eine  fast  diktatorische  Gewalt  iibertragen  hatte,  war  der  Podesta 
in  Ferrara  zu  Zeiten  der  Este  ein  festangestellter,  vom  Herzog 
ernannter  Beamter.  Er  war  Gerichtsvorsitzender  in  einzelnen 
wichtigen  Strafsachen,  die  dem  Rechtsspruch  der  Savi  entzogen 
waren,  und  fiihrte  die  Befehle  des  Herzogs  aus.  Uber  jene  Dinge, 
auf  die  es  dem  Herzog  wenig  ankam,  saBen  die  Savi  zu  Gericht 
und  fallten  ihr  Urteil.  Der  Giudice  konnte  sich  daran  freuen,  in 
Wachs  sein  groBes  Siegel  con  San  Giorgio  pragen  zu  lassen,  aber 
wehe  dem  Richter,  der  sich  dem  Willen  des  Herrschenden  wider- 
setzt  hatte.  Dann  trat  der  Podesta,  der  exekutive  Gewalt  besaB, 
in  Wirksamkeit,  und  der  verdachtige  oder  hartnackige  Giudice 
wurde  im  besten  Falle  in  das  VerlieB  unterhalb  des  Kastells  ge- 
worfen,  wenn  ihn  seine  Halsstarrigkeit  nicht  den  Kopf  kostete. 
Und  in  diesen  italienischen  Tyrannenstaaten  herrschte  eine  riihrende 
Vielfaltigkeit  in  der  Art,  sich  der  der  Regierung  unbequemen 
Menschen  zu  entledigen.  Gewohnliche  Verbrecher  wurden  gehangt 
oder  der  Kopf  wurde  ihnen  mit  einer  der  franzosischen  Guillotine 
verwandten  Vorrichtung  abgeschlagen.  Die  Franzosen  haben  nam- 
lich  keinen  AnlaB,  sich  ihres  Doktors  Guillotin,  als  des  Erfinders 
dieses  Mordinstrumentes,  zu  riihmen,  es  war  schon  in  Ferrara 
unter  dem  Namen  ,,mannaia"  bekannt  —  fehlte  die  ,,mannaia", 
so  wurde  der  Kopf  mit  dem  Schwert  abgeschlagen  oder  der  Delin- 
quent im  Gefangnis  erwiirgt.  Wollte  man  sich  jemandes  in  aller 
Stille  entledigen,  so  bediente  man  sich  des  Dolches,  fur  Ver- 
wandte  und  Freunde  jedoch  hatte  man  Gift  im  Vorrat.  Ubrigens 
gehdrte  auch  das  Einmauern  eines  Menschen  in  eine  enge 
Zelle  nicht  zu  den  Seltenheiten;  noch  im  Jahre  1507  ward 
Madonna  Laura  disonesta  auf  diese  Weise  unschadlich  ge- 
macht.  Sie  wurde  in  der  Bischofskirche,  an  der  linken  Seite 
des  Hauptaltars  eingemauert;  die  Nische  war  so  klein,  daB  sie 
sich  kaum  in  ihr  umdrehen  konnte,  und  nur  durch  einer! 
schmalen  Spalt  in  der  Mauer  wurde  ihr  die  notwendigste  Nah- 
rung    zugefuhrt. 


8o  FUNFTES  KAPITEL 

Ferrara  war  wegen  seines  ausgezeichnet  verwalteten  Staats- 
schatzes  beriihmt,  und  seine  finanziellen  Institutionen  waren 
vorbildlich  fiir  die  tibrigen  Staaten.  Die  ferraresischen  Herzoge 
galten  als  vermogend,  ,,danarosi",  und  trieben  neben  Venedig  und 
Florenz,  deren  Finanzwirtschaft  ebenfalls  ausgezeichnet  war, 
die  beste  Finanzpolitik.  Unter  Borso  und  Ercole  I.  war  das  ferra- 
resische  Finanzsystem  schon  vollkommen  ausgebildet.  An  der 
Spitze  der  Verwaltung  fiir  die  Einnahmen  und  Ausgaben  des  Reiches 
standen  zwei  ,,Generalfaktoren",  denen  der  gesamte  Beamten- 
stab  unterstand.  Die  Faktoren  ernannte  der  Herzog;  dem  einen 
unterstand  das  Finanzwesen  der  Hauptstadt,  dem  andern  das 
der  Provinz.  Die  Reichseinkiinfte  flossen  in  die  allgemeine  herzog- 
liche  Kasse,  in  die  ,,Bank",  und  bestanden  in  der  Hauptsache  aus 
den  Zinsen,  die  die  zum  groBten  Teil  verpachteten  herzoglichen 
Giiter  abwarfen,  aus  Zollen,  Monopolen,  dem  Verkauf  der  Amter, 
den  Einkiinften  der  herzoglichen  Fabriken  (Tuch,  Teppiche, 
Majolika),  ja  selbst  aus  dem  Erlos  fiir  Getreide.  Die  Gemeinden 
stellten  jahrlich  zur  Bestreitung  ihrer  eigenen  Ausgaben  eine 
sogenannte  ,,Kollekte"  auf,  eine  Abgabe,  die  nach  MaBgabe  der 
vorhandenen  Vermogen  erhoben  wurde.  Wenn  die  Gemeinden 
ungewohnlich  groBe  Ausgaben  hatten  infolge  von  Oberschwem- 
mungen,  Seuchen  und  Erdbeben,  oder  selbst  infolge  of fentlicher  Feste, 
so  kam  die  herzogliche  Kasse,  ,, camera  ducale",  ihnen  haufig  zu 
Hilfe,  um  sie  zu  entlasten.  Aus  dem  herzoglichen  Schatz  wurde 
das  groBe  Soldnerheer  der  Este  entlohnt,  die  Anfuhrer  jedoch, 
die  zumeist  aus  der  begiitertsten  Ritterschaft  gewahlt  wurden, 
erhielten  keine  Bezahlung  und  dienten  nur  um  der  Ehre  willen. 
Die  Erhaltung  der  Festungen,  der  Ankauf  von  Waffen,  Schiffen 
und  samtlichen  Kriegsausriistungen  lastete  gleichfalls  auf  dem 
herzoglichen  Schatze. 

Die  Rechenbucher  wurden  in  den  Generalfaktoreien  mit  er- 
staunlicher  Ubersicht  und  Ausfiihrlichkeit  gefiihrt;  es  gab  getrennte 
Biicher  fiir  die  offentlichen  Ausgaben,  ,,Spese  publiche  dello  Stato", 
und  fiir  die  Ausgaben  des  herzoglichen  Hofes,  ,,della  corte  ducale". 
Nicht  nur  die  bedeutenden  Summen,  die  die  Bezahlung  der  Diener- 
schaft,  der  Bau  von  Schldssern,   Kirchen,  die  Instandhaltung  der 


ERCOLEI.  8l 

Palaste,  die  Fiihrung  der  Kiiche,  der  Stalle,  die  herzoglichen  Reisen 
usw.  verschlangen,  wurden  in  diese  Biicher  eingetragen,  sondern 
selbst  die  geringfiigigsten  Posten  wurden  aufgefiihrt,  wie  z.  B. 
Reparaturen  der  Beinkleider  des  Herzogs  und  des  Hofgesindes: 
,  ,raperrature  di  abiti  e  di  calzi  per  uso  del  signore  et  della  corte". 
Das  Budget  war  sehr  genau  und  scharf  ausgearbeitet,  und  wurde 
in  ruhigen  Jahren  vielleicht  weniger  uberschritten  als  heutzutage. 

Unter  den  Gemeindeausgaben  figurieren  bereits  ganz  betracht- 
liche  Posten  fur  wohltatige  Zwecke;  unter  Ercole  I.  wurde  in 
Ferrara  eine  ,,Wohltatigkeits-Gesellschaft"  begriindet,  ,,Associa- 
zione  dei  poveri  di  Christo",  und  sogar  eine  Vereinigung  zur  Unter- 
stutzung  verschamter  Armer,  ,,Scuola  o  regola  dei  poveri  ver- 
gognosi".  Die  Stadtverwaltung  suchte  der  Bettelei  auf  der  StraBe 
zu  steuern  und  ging  so  streng  vor,  dafi  es  in  der  zweiten  Halfte 
des  XVI.  Jahrhunderts  gegen  eine  Geldstrafe  von  zwei  Scudi  ver- 
boten  war,  den  Bettlern  Almosen  auf  der  StraBe  zu  geben.  Vielleicht 
dankt  man  es  diesem  Verbot,  daB  man  selbst  heute  in  Ferraras 
StraBen  weniger  Bettler  als  im  ubrigen  Italien  sieht. 

Auch  fur  ein  anderes  sehr  zweifelhaftes  Verdienst  muB  man  Fer- 
rara den  Vorrang  einraumen;  es  war  eine  der  Brutstatten  der  heutigen 
Bureaukratie.  Zur  Politik  der  Este  gehorte  es,  sich  mit  einfluB- 
reichen  und  ihnen  ergebenen  Familien  zu  umgeben.  Durch  Gunst- 
beweise,  freigebige  Stiftungen  fesselten  sie  bedeutende  Menschen 
an  sich,  deren  Nachkommen  mit  dem  Herrscherhause  verwuchsen. 
Selbstverstandlich  iibertrugen  die  Herzoge  am  liebsten  den  Sohnen 
jener  Familien  die  zu  vergebenden  Amter,  da  sie  ihnen  mehr  als 
ganz  Fremden  vertrauten.  Im  Laufe  der  Zeit  entstand  eine  Phalanx 
von  Wiirdentragern  und  Beamten,  die  den  Este  verbunden  waren, 
alle  groBeren  Amter  an  sich  rissen,  sich  bereicherten  und  eine  un- 
durchdringliche  Mauer  um  die  Dynastie  bildeten.  So  entwickelte 
sich  eine  Beamtenhierarchie,  die  dem  Staat  teuer  zu  stehen  kam. 
Eine  amiisante  Illustration  dieser  Zustande  geben  uns  Ausweise 
iiber  Fische,  die  unter  die  Beamten  zu  Weihnachten  verteilt  wurden. 
Der  Giudice  dei  Savi  bekam  vierundsechzig  verschiedene  Fische, 
wahrend  die  Savi  nur  zweiunddreiBig  erhielten,  den  stadtischen 
Advokaten  wurden  zwolf  Fische  geschickt,  den  Syndici  zehn,  den 

6 


82  FUNFTES  KAPITEL 

Notaren  sechzehn,  und  die  unteren  Beamten,  wie  die  Kanzlisten, 
Unterkanzlisten,  Buchhalter,  Rechnungsbeamten  bis  hinunter  zu 
den  Portiers,  Kutschern  und  Trommlern,  muBten  sich  mit  einigen 
Karpfen  oder  Hechten  begniigen. 

Der  Schrecken  der  ganzen  Stadt  war  der  Capitano  di  giustizia, 
eine  Art  Polizeidirektor,  umgeben  von  einem  Stabe  von  Geheim- 
polizisten.  ,,Un  amicho  sechreto"  war  eine  Personlichkeit,  durch 
die  der  Herzog  von  alien  Geschehnissen  in  der  Stadt  unterrichtet 
wurde.  Der  Capitano  di  giustizia  legte  dem  Herzog  taglich  die 
Liste  der  Durchreisenden  vor,  und  Ferrara  gebiihrt  das  zweite 
,,Verdienst",  daB  dort  das  PaBwesen  vervollkommnet  wurde.  Jeder 
Fremde  muBte  eine  Taxe  entrichten  fur  die  Erlaubnis,  sich  in 
Ferrara  aufzuhalten,  verlieB  man  den  Umkreis  der  Mauern,  so 
war  eine  besondere  Erlaubnis  von  der  Stadtverwaltung  erforder- 
lich  und  auch  dafiir  muBte  eine  kleine  Taxe  bezahlt  werden.  Einem 
anderen  stadtischen  Departement  dem  ,,Uffizio  delle  Bollete", 
unterstanden  sanitare  Dinge,  wie  zu  treffende  Einrichtungen 
wahrend  einer  Seuche;  zu  seinem  Ressort  gehorte  auch  ,,maresciallo 
delle  meretrici",  ein  Beamter,  der  die  Aufsicht  iiber  die  Kurti- 
sanen  fiihrte,  deren  es  in  Ferrara  unzahlige  gab. 

Der  bestgehaBte  Polizeidirektor  war  unter  Ercoles  Herrschaft 
Gregorio  Zampante  aus  Lucca.  Im  allgemeinen  hielten  die  Este 
es  fur  richtig,  dieses  Amt  Fremden  zu  iibertragen,  die  zur  Be- 
volkerung  in  keinerlei  Beziehung  standen.  Unter  Zampante  ging, 
nach  Aussage  der  Chronisten,  den  groBen  Spitzbuben  alles  unge- 
straft  durch,  wahrend  er  bei  den  kleinen  auch  die  geringfugigste 
Ubertretung  grausam  bestrafte.  Mit  Torturen  setzten  seine  Nach- 
forschungen  ein,  und  die  Strafgelder  flossen  in  seine  Tasche.  Er 
hatte  eine  solche  Machtstellung,  daB  selbst  die  Sonne  des  Herzogs 
vor  ihm  zitterten.  Zampante  wagte  sich  nur  von  Bewaffneten 
umgeben  auf  die  StraBe;  in  seinem  eignen  Garten  gezuchtete  Tauben 
waren  das  einzige  Fleischgericht,  das  er  aB,  so  groB  war  seineAngst  vor 
Gift.  Die  Emporung  iiber  ihn  war  allgemein,  schlieBlich  fanden  sich 
drei  junge  Leute,  die  sich  am  18.  Juni  1490  in  seine  Wohnung 
einschlichen,  den  Tyrannen,  der  nach  Tisch  schlummerte,  toteten, 
auf  bereitstehende  Pferde  sprangen  und  jubelnd  durch  die  StraBen. 


ERCOLE  I. 


83 


zogen:  ,,Freut  euch,  wir  haben  Zampante  erschlagen!"  Als  der 
Herzog  von  diesem  Vorfall  erfuhr,  waren  die  Morder,  die  die  offent- 
liche  Dankbarkeit  schiitzte,  schon  auBerhalb  der  Reichsgrenzen. 
Die  Ubergriffe  der  Beamten  waren  bisweilen  so  unerhort,  daB,  als 
Ercole  einst  aus  eigener  Initiative  einen  dieser  Blutegel  aufhangen 
HeB,  das  Volk  die  Glocken  lautete  und  am  Abend  Freudenfeuer  zu 
Ehren  des  Herzogs  abbrannte.  AuBer  den  Polizeidirektoren  be- 
driickten  das  Volk  namentlich  die  ,,fattori  generali",  von  denen 
schon  die  Rede  war.  Als  einer  von  ihnen,  Bonvicino  della  Corte, 
mit  dem  Beinamen  Lupo  Malvagia,  ein  Giinstling  Borsos,  1475 
seines  Amtes  entsetzt  wurde,  feierte  die  ganze  Stadt  den  Tag  durch 
Glockengelaute  und  abendliche  Illumination.  Selbst  der  strenge 
Strozzi  verfaBte  damals  ein  Festgedicht,  worin  er  sich  ruhmt,  dazu 
beigetragen  zu  haben,  den  ,,grausamen  Wolf"  zu  entfernen. 

Perniciosa  tamen  rabies  latronis  iniqui, 

Laesa  Malum  quern  turba  Lupum  cognomine  dixit, 

Sermonis  nostri  gladio  iugulata  repente 

Corruit  aeternum  stygiis  damnata  tenebris. 

Ubrigens  gab  Ercole  das  schlechte  Beispiel  selbst,  er  verkaufte 
offentliche  Amter  an  Manner,  die  unter  mannigfachen  Vorwanden 
der  Gesellschaft  dreifach  das  dem  Herzog  bezahlte  Geld  abpreBten. 
Der    Verkauf    der    Amter   war    eine    der    wichtigsten    Einnahme- 
quellen  des  herzoglichen  Schatzes. 

Der  offentliche  Kredit  litt  ungeheuer  infolge  der  Obergriffe 
des  Fiskus  und  der  Habgier  der  Beamten.  Das  Geld  verbarg  sich, 
um  Leuteschinder  wie  Malvagia  nicht  zu  reizen,  da  sie  mit  be- 
sonderem  Behagen  den  Reichen  ihre  Schrauben  anlegten.  Der 
ZinsfuB  stieg  enorm,  die  Gemeinde  berechtigte  die  Kapitalisten, 
bis  zu  vierzig  vom  Hundert  zu  fordern,  und  dreiBig  vom  Hundert 
gait  als  ein  absolut  fairer,  legaler  Satz.  Da  infolge  derartiger  Zu- 
stande  die  Bevolkerung  unter  Geldknappheit  litt,  bemiihte  man 
sich  in  Ferrara  wie  in  anderen  Stadtgemeinden  im  XV.  Jahr- 
hundert,  jiidische  Bankiers  zur  Ansiedlung  zu  gewinnen,  da  sie 
kiihner  als  die  Christen  im  Geldverleihen  waren.  Im  XV.  und 
XVI.  Jahrhundert  lebte  fast  in  jedem  italienischen  Nest  ein  Jude, 


84  fOnftes  kapitel 

der  gegen  Pfander  Geld  lieh,  und  in  groBeren  Stadten  gab  es  ihrer 
mehrere.  Die  Regierung  iibertrug  ihnen  die  Fiihrung  der  Bank- 
geschafte,  haufig  in  der  Form  eines  absoluten  Monopols,  sicherte 
ihnen  religiose  Toleranz  zu  und  gestattete  ihnen  zu  wohnen,  wo 
es  ihnen  gefiel,  ohne  sie  auf  bestimmte  StraBen  zu  beschranken. 
Diese  jiidischen  Bankiers  in  Ferrara  waren  nicht  gezwungen,  auf 
ihrem  Mantel  das  Zeichen  ,,0"  zu  tragen,  das  alien  iibrigen  Juden 
vorgeschrieben  war.  Der  Bankier  wurde  in  der  Stadt  zur  privi- 
legierten  Personlichkeit,  ,,tamquam  civis  habeatur",  und  dem- 
zufolge  zum  Beschiitzer  der  iibrigen  Juden,  die  allein  in  bestimmten 
Stadtteilen  wohnen  durften.  Unter  Ercole  gab  es  im  gesamten 
Herzogtum    zwolf-    und    in    Ferrara    allein    sechstausend    Juden. 

Die  unredlichen  Glaubiger  wurden  zusammen  mit  den  ge- 
meinen  Verbrechern  eingesperrt,  erst  Ercole  I.  lieB  einen  besonderen 
Schuldturm  fur  sie  bauen.  Bankerott  gait  seit  jeher  als  groBe 
Schande.  Auf  einem  der  Platze  Ferraras  lag  seit  undenklichen 
Zeiten  ein  groBer  Marmorblock  ,,pietra"  genannt,  ein  formloses 
Denkmal  auf  einem  Unterbau,  der  aus  einigen  Stufen  bestand. 
Von  diesem  Stein  aus  verkiindete  der  Gerichtsdiener  neue  Ge- 
setze,  spater  bekam  der  Block  eine  sonderbare  Bestimmung, 
da  dem  Volke  die  Bankerotteure  darauf  vorgefiihrt  wurden.  Diese 
Sitte  scheint  etruskischen  Ursprungs  zu  sein  und  hat  sich  unter 
verschiedenen  Formen  in  italienischen  Stadten  erhalten.  Der 
Bankerotteur  wurde  aus  seinem  Haus  geholt,  ein  leerer  Sack  wurde 
vorangetragen,  eine  neugierig  gaffende  Menge  folgte,  dann  muBte 
der  arme  Teufel  auf  jenen  Stein  steigen,  und  ein  griiner  Hut  wurde 
ihm  als  Zeichen  der  Schande  aufgestiilpt.  Von  diesem  erhohten 
Standpunkt  muBte  er  dem  Volke  verkiinden,  daB  er  auf  alles,  was 
sein  Besitz  gewesen  war,  verzichte,  und  so  wurden  ihm  fur  den 
Preis  der  Schande  all  seine  Schulden  erlassen.  Nahm  man  auf 
demselben  Platz  dem  ehemaligen  Bankerotteur  den  griinen  Hut 
,,il  cappel  verde"  ab  und  setzte  ihm  einen  schwarzen  auf,  so  be- 
deutete  es,  daB  er  seine  Schulden  bezahlt  und  aufs  neue  Anleihen 
machen  konnte. 

Unter  Ercole  erreichte  Ferrara  seine  grdBte  Entwicklung.  Die 
Stadt  zahlte  einmalhunderttausend  Einwohner,  und  obgleich  neue 


ERCOLE  I. 


85 


StraBen  angelegt  und  Hauser  und  Palaste  im  Bau  begriffen  waren, 
war  der  Wohnungsmangel  grofi.  Borso  hat  die  alte  Stadt  bedeutend 
nach  Siiden  erweitert,  aber  erst  Ercole  wurde  Ferraras  Baumeister. 
Da  Bauen  seine  Leidenschaft  war,  widmete  er  sich  dieser  Aufgabe 
mit  Liebe.  Unter  Ercole  entstand  ein  ganzer  Stadtteil,  von  der 
HauptstraBe,  der  Strada  della  Giudecca,  nach  Norden,  der  groBer 
war  als  das  gesamte  altere  Ferrara.  Lange,  breite,  einfache  StraBen 
entstanden,  und  damit  gab  Ercole  das  erste  Beispiel  einer  modernen 
Stadtanlage,  in  der  es  im  Winter  sehr  kalt  und  im  Sommer  unertrag- 
lich  heiB  ist. 

Ercole  hatte  auch  schwere  Zeiten  zu  iiberstehen;  die  Haupt- 
ursache  seines  Ungliicks  war  das  Seesalz,  das  man  seit  langer 
Zeit  am  ferraresischen  Ufer  gewann.  Neidisch  blickten  die  Vene- 
zianer  auf  den  Aufschwung  der  estensischen  Salinen,  sie  wollten 
Ferrara  zwingen,  Salz  aus  den  Salzbergwerken  der  Republik  zu 
kaufen.  Der  Streit  um  das  Salz  und  wegen  des  Fischfanges  am 
Ufer  des  Adriatischen  Meeres  bot  den  auBeren  AnlaB  zu  einem 
Kriege  zwischen  Ercole  I.  und  Venedig.  Die  Franzosen  und  der 
Papst  haben  zwar  Ferraras  Untergang  verhindert,  aber  der  Krieg 
mit  der  gewaltigen  Republik  hat  den  Wohlstand  des  Herzogtums 
fur  lange  Zeit  vernichtet. 

Auf  Ercoles  Seite  stand  Frankreich  und  die  von  Frankreich 
beeinfluBte  Lombardei,  daher  sah  man  in  Ferrara  erst  mit  sehr 
viel  Gelassenheit  dem  Ausgang  des  Kampfes  entgegen.  Die  Dichter 
schilderten  bereits  den  Tod  der  Republik:  der  Papst  komme,  um 
ihr  die  letzte  Olung  zu  geben,  der  Konig  von  Frankreich  und  der 
Kaiser  Maximilian  wollen  Zeugen  dieses  Sterbens  sein,  der  Konig 
von  Spanien  halte  die  Exequien.  Der  Herzog  von  Ferrara  bereite 
der  verhaBten  Nachbarin  das  Grab,  und  der  Markgraf  von  Mantua 
ordne  einen  feierlichen  Gottesdienst  fur  ihre  Seele  an.  Jubelnd 
verbreitete  man  ein  Gedicht  iiber  Venedig,  das  mit  dem  Vierzeiler 
begann: 

O  Venezia,  o  Venezia  pingua  e  grassa 
Ogli  altru'  regni  or  la  tua  fama  abassa! 
La  tua  superbia  non  ha  fin  ne'  fondo: 
San  Marco  tuo  non  e'  maggior  di  Christo. 


86  FUNFTES  KAPITEL 

Die  Venezianer  dagegen  verspotteten  das  schwache  Ferrara 
und  sangen:  ,,0  guerra,  o  nonguerra,  Ferrara  andera'  per  terra  . . ." — 
ja  mehr  noch,  sie  warfen  Ercole  I.  vor,  Italien  verraten  zu  haben, 
da  er  zusammen  mit  Lodovico  Moro  Karl  III.  in  die  Lombardei 
gerufen  habe.  Auch  die  durch  Tradition  tiberlieferte  Herkunft  vom 
Geschlecht  der  Maganza  wurde  ihm  vorgehalten,  das,  wie  schon 
friiher  erwahnt,  den  Ursprung  alles  Bbsen  in  Ritterromanen 
reprasentiert. 

Marchese  di  Ferrara  di  la  casa  di  Maganza, 
tu  perdera  '1  stado  al  dispetto  di  re  di  Franza. 

San  Marco,  auf  seine  Macht  pochend,  warf  sich  in  die  Brust 
und  tat,  als  wenn  er  neben  Jupiter  im  Himmel  die  Erde  beherrsche: 

Jove  e  in  ciel  e  Marco  sol  in  guerra, 
1'  uno  guberna  il  ciel,  1'  altro  la  terra. 

Ercole  war  ein  Diplomat,  kein  Heerfiihrer;  er  folgte  Borsos 
Traditionen,  veruneinigte  seine  Gegner  und  zog  Nutzen  aus  ihren 
Fehlern.  Niemand  traute  ihm,  aber  der  allgemeine  HaB  gegen 
Venedig  war  die  beste  Hilfe.  Dieser  HaB  wurde  seine  Rettung, 
trotzdem  er  wiederholt  zuviel  auf  eine   Karte  gesetzt  hat. 

Aus  dem  Krieg  mit  Venedig  resultierten  furchtbare  wirtschaft- 
liche  Niederlagen.  Die  Heere  der  siegreichen  Republik  belagerten 
Ferrara  langere  Zeit,  die  Po-Uberschwemmungen  fugten  unermeB- 
lichen  Schaden  zu,  zu  Hunderten  erlagen  die  Ferraresen  der  Seuche, 
zuletzt  erkrankte  Ercole.  Als  es  schien,  daB  die  Macht  der  Este 
fur  immer  vernichtet  sei,  ubernahm  Eleonora  mit  starker  Hand 
die  Ziigel  der  Regierung.  Sie  schickte  ihre  Kinder  nach  Modena, 
brachte  den  kranken  Gatten  an  einen  sichern  Ort,  stachelte  das  Volk 
zur  Verteidigung  des  Vaterlandes  an  und  rettete  das  Reich  vor 
dem  Untergang  durch  ihre  Energie  und  die  spatere  Intervention 
des  Papstes.  Es  waren  Ferraras  schwerste  Zeiten,  der  estensische 
Hof  versetzte  fast  all  seine  Kostbarkeiten:  goldene  Ketten,  Rubinen 
und  Diamanten,  man  war  gezwungen,  das  groBte  Kleinod  des 
Familienschatzes  zu  verkaufen,  ,,gran  Zolielo  del  diamante  tri- 
angolare".  Als  148 1  die  Ernte  miBriet,  fehlte  es  selbst  dem  Hof 
an  Brot,  und  das  Volk  starb  Hungers. 


ERCOLEI.  87 

Die  Fehler  in  der  Verwaltung,  die  alle  damaligen  Tyrannen- 
staaten  begingen,  zeigten  sich  in  solchen  Zeiten  in  ihrer  ganzen 
Furchtbarkeit.  Die  Einrichtungen  zielten  mehr  darauf  ab,  die 
Macht  des  herrschenden  Geschlechtes  zu  verstarken  als  dem  ganzen 
Volke  eine  auch  nur  ertragliche  Existenz  zu  schaffen. 

Der  Krieg  mit  Venedig  hat  insofern  die  wirtschaftlichen  Ver- 
haltnisse  des  ferraresischen  Hofes  umgestaltet,  als  Ercoles  Nach- 
folger  einen  kriegerischen  Reservefonds  anlegten.  Er  muBte  jedoch, 
wie  wir  sehen  werden,  zumeist  als  Anleihe  fiir  die  Papste  verausgabt 
werden. 

Ill 

In  den  Jahren  1487,  1490  und  1491  verheiratete  Ercole  drei 
Tochter  und  einen  Sohn,  es  gait  vier  Ausstattungen  anzuschaffen, 
und  so  gab  es  Gelegenheit  genug,  um  den  Glanz  des  Hofes  zu  ent- 
falten.  Lucrezia  wurde  als  erste  verheiratet,  als  uneheliche  Tochter 
bekam  sie  die  relativ  bescheidenste  Mitgift  von  nur  10  000  Dukaten. 
Auch  wurde  ihre  Hochzeit  durch  weniger  glanzende  Feste  gefeiert. 
Doch  erzahlte  man  sich  viel  von  den  kostbaren  silbernen  und 
goldenen  Tafelaufsatzen  beim  Hochzeitsbankett.  Der  beruhmte 
Francia,  der  sich  damals  mehr  mit  Goldschmiedekunst  als  mit 
Malerei  beschaftigte,  hat  sie  geschaffen.  Glanzender  waren  die 
Vorbereitungen  zu  Isabellas  Hochzeit,  die,  noch  nicht  sechzehn- 
jahrig,  Francesco  Gonzaga,  dem  Sohn  des  herrschenden  Mark- 
grafen  von  Mantua,  einem  zweiundzwanzigjahrigen  Jiingling, 
vermahlt  wurde.  Diese  Heirat  schuf  fiir  viele  Jahre  eine  groBe 
Annaherung  zwischen  den  Dynastien  der  benachbarten  beiden 
Landchen  und  wurde  in  Venedig  nicht  ubermaBig  gern  gesehen. 
Schon  1480  hatte  Federigo  Gonzaga  Beltramino  Cusastro  nach 
Ferrara  geschickt  und  um  die  Hand  der  damals  sechsjahrigen 
Isabella  fiir  seinen  zwolfjahrigen  Sohn  angehalten.  Cusastro 
berichtete  seinem  Herrn  begeistert  von  der  ungewohnlichen 
Intelligenz  der  kleinen  Isabella.  Gleichzeitig  schickte  er  das  von 
Cosimo  Tura  gemalte  Bild  der  jugendlichen  Braut,  das  aber  leider 
untergegangen  ist,  nach  Mantua.     Einen  nicht  weniger  giinstigen 


88  FUNFTES  KAPITEL 

Eindruck  als  Cusastro  empfing  spater  ein  anderer  mantuanischer 
Gesandter,  der  Madonna  Isabella  mit  ihrem  Tanzlehrer,  Messer 
Ambrogio,  tanzen  sah,  einem  Juden,  der  in  den  Diensten  des 
Herzogs  von  Urbino  war.  Er  konnte  ihre  graziosen  Bewegungen 
nicht  genug  riihmen. 

Um  Isabellas  Hand  hatte  auch  die  Furstin  Bona  Sforza  aus 
Mailand  fiir  ihren  Sohn  Lodovico  Sforza  gebeten.  Da  Isabella 
schon  verlobt  war,  trug  Ercole  Lodovico  seine  jiingere  Tochter 
Beatrice  an;  sie  wurde  am  Hofe  des  GroBvaters  in  Neapel  erzogen, 
zusammen  mit  den  Kindern  der  Ippolita  Sforza,  der  Furstin  von 
Kalabrien,  einer  der  gebildetsten  Frauen  ihrer  Zeit.  Lodovico  Sforza, 
mit  dem  Beinamen  II  Moro,  kam  1479  nach  Neapel,  und  da  auch 
der  Konig  von  Neapel  fiir  diese  Verbindung  war,  iibertrug  er  ihm 
das  Fiirstentum  Bari,  das  durch  den  Tod  des  alteren  Sforza  frei 
geworden  war.  Am  22.  Mai  des  Jahres  1483  wurde  Isabellas  und 
Beatrices  Verlobung  in  Ferrara  auf  dem  Platz  vor  dem  Kastell 
verkiindet. 

Im  Friihling  des  Jahres  1484  kam  der  Markgraf  von  Mantua 
mit  seinem  Sohn  Francesco  zum  San  Georgstag  nach  Ferrara. 
Mit  sechshundert  Rittern  und  Hbflingen  war  er  iiber  den  Po  ge- 
kommen,  und  der  Herzog  feierte  ihn  wahrend  seines  viertagigen 
Aufenthaltes  mit  allem  Prunk,  den  der  ferraresische  Hof  auf- 
bringen  konnte.  Die  Verlobten  lernten  sich  kennen,  traten  ein- 
ander  naher,  und  von  diesem  Zeitpunkt  an  stand  Isabella  mit 
Francesco  in  regelmafiiger  Korrespondenz,  machte  ihm  sogar  Ge- 
schenke  und  schickte  ihm  Verse,  die  die  Hofpoeten  ihm  zu  Ehren 
gemacht  hatten. 

Isabellas  Hochzeit  sollte  im  Friihling  des  Jahres  1490  statt- 
finden.  Ein  ganzes  Heer  von  Malern,  Bildhauern,  Gold- 
schmieden,  ferraresischen  und  spanischen  Stickern  wurde  fiir 
die  Ausstattung  aufgeboten.  Eleonora  schickte  den  bekannten 
Maler  Ercole  Roberti  nach  Venedig,  um  Einkaufe  zu  machen. 
In  Venedig  wurden  auch  die  meisten  Tapezierarbeiten  bestellt, 
und  bei  Fra  Rocca,  einem  bekannten  Goldschmied  in  Mailand, 
wurden  Gebetbucheinbande  gekauft  und  ein  tragbares,  silbernes 
Altarchen  im  Werte  von  sechshundert  Dukaten.      Isabella  bekam 


BEATRICE  D'ESTE 
DETAIL  AUS  ZENALES  „LA  VERGINE  IN  TRONO".     M. Ml, AND,  BRERA 


ERCOLE  I. 


89 


25  000  Dukaten  in  bar  als  Mitgift,  ihre  Aussteuer  war  2000,  ihre 
Juwelen  3000  Dukaten  wert.  Es  war  dies  keine  auBergewdhnlich 
groBe  Mitgift,  Eleonora  hatte  ihrem  Gatten  80  000  Gulden  mit- 
gebracht. 

Die  Trauung  fand  in  Ferrara  am  11.  Februar  1490  in  der  SchloS- 
kapelle  statt.  Nach  der  Zeremonie  ritt  die  junge  Braut,  mit  der 
Krone  geschmuckt,  von  einem  zahlreichen  Gefolge  umgeben,  durch 
die  Stadt.  Zu  ihrer  Rechten  ritt  der  Herzog  von  Urbino,  zu  ihrer 
Linken  der  neapolitanische  Gesandte.  Am  Abend  fand  das  Fest- 
mahl  statt  im  groBen  Saale  des  Kastells,  der  mit  flandrischen  Tep- 
pichen,  die  Eleonora  aus  Neapel  mitgebracht  hatte,  ausgestattet 
war.  Die  silbernen  Tafelaufsatze  waren  von  erlesener  Pracht,  ein 
venezianischer  Goldschmied,  Giorgio  da  Ragusa,  hatte  sie  nach 
Cosimo  Turas  Zeichnungen  ausgefuhrt.  Zur  Tischdekoration  ge- 
horten  auch  zweihundertfunfzig  Fahnchen,  die  Giovanni  Bian- 
chini,  Torello  genannt,  gemalt  hatte.  Was  auf  diesen  Fahnen 
dargestellt  war,  ist  unbekannt. 

Am  nachsten  Tage  fuhr  die  Braut  mit  ihren  Eltern  und  Briidern: 
Alfonso,  Ferrante  und  Ippolito  iiber  den  Po  in  ihre  kiinftige  Haupt- 
stadt.  Trotz  des  Winters  (am  15.  Februar)  waren  alle  StraBen  mit 
frischen  Blumen  geschmuckt  und  die  Hauser  mit  Girlanden 
friihlingsmaBig  aufgeputzt.  Die  Markgrafin  Elisabetta  Gonzaga 
empfing  die  Schwiegertochter,  umgeben  von  Nachbarn  und  Ver- 
wandten.  Kostbare  Geschenke  wurden  ihr  iiberreicht,  Gobelins 
mit  der  Darstellung  des  trojanischen  Krieges,  die  Gabe  des  Herzogs 
von  Urbino,  erregten  allgemeine  Bewunderung.  Bis  zum  SchluB 
des  Karnevals  wahrten  die  Feste  und  Feierlichkeiten,  und  Isabella 
war  wohl,  trotz  ihrer  Jugend,  froh,  als  sie  sich  ruhig  in  ihrer  neuen 
Hauptstadt  umschauen  konnte. 

Beatrices  und  Isabellas  Trauungen  sollten  am  gleichen  Tage 
stattfinden,  aber  Sforza  schob  die  Zeremonie  unter  verschiedenen 
Vorwanden  hinaus.  Er  entschuldigte  sein  Zogern,  weil  er  angeblich 
auf  den  venezianischen  Senat,  der  gegen  diese  fur  die  Republik  ge- 
fahrliche  Vereinigung  der  Hauser  Este  und  Sforza  war,  Rucksicht 
nehmen  musse.  Der  Hauptgrund  war  sein  Verhaltnis  zur  schonen 
Cecilia    Gallerani;    mit   alien   Mitteln   suchte   sie   die    Heirat   ihres 


9o  fOnftes  kapitel 

Geliebten  zu  verhindern.  Fast  schienen  die  Beziehungen  zu  den  Este 
endgiiltig  abgebrochen.  SchlieBlich  besann  sich  Moro,  und  im  August 
des  Jahres  1490  schickte  er  Francesco  da  Casate  nach  Ferrara  mit 
groBartigen  Geschenken  fur  seine  Verlobte,  er  brachte  ein  Hals- 
band  mit  aus  groBen  Perlen  und  stilisierten  Blumen  von  meister- 
hafter  Arbeit,  sowie  Ohrringe  aus  Rubinen,  Perlen  und  Smaragden. 
Die  Trauung  wurde  auf  den  16.  Januar  1491  im  Kastell  zu  Pavia 
festgesetzt.  Unmittelbar  vor  Beatrices  Abreise  aus  dem  Eltern- 
hause  kam  auf  Moros  Veranlassung  ein  junger  Bildhauer,  Christo- 
foro  Romano,  nach  Ferrara,  um  ihre  Biiste  in  Marmor  zu  fertigen. 
Romano  war  ein  ebenso  begabter  Kiinstler  als  geschickter  Hof- 
mann,  der  Giinstling  Moros,  auch  in  Mantua  und  Urbino  war  er 
wohl  gelitten.  Der  Kardinal  Ascanio  Sf  orza  hatte  ihn  in  Rom  kennen 
gelernt  und  nach  Mailand  empfohlen.  Beatrices  Biiste,  die  damals 
entstand,  befindet  sich  heute  im  Louvre,  das  Werk,  das  Qualitaten 
hat,  gait  friiher  als  Arbeit  Leonardo  da  Vincis. 

Auch  Beatrice  war  nicht  schon  so  wenig  wie  Isabella,  da 
sie  aber  lebhaft  und  gut  gewachsen  war,  gefiel  sie  iiberall.  Sie  war 
eine  passionierte  Jagerin  und  Reiterin.  Stolz  und  ehrgeizig,  litt 
sie  keine  Nebenbuhlerin  neben  sich;  so  entstand  auch  ihre  Eifer- 
sucht,  zu  der  sie  nur  Grund  genug  hatte. 

Die  Jahreszeit  war  fur  den  Hochzeitszug  nicht  giinstig.  Der 
Winter  des  Jahres  1490/91  war  ungewohnlich  streng,  Weih- 
nachten  lag  der  Schnee  drei  FuB  hoch  in  Ferraras  StraBen.  Der 
Po  war  fest  gefroren,  das  Eis  begann  erst  Ende  Februar  aufzutauen, 
so  daB  der  Hochzeitszug  den  Landweg  nach  Pavia  einschlagen 
muBte.  Die  Braut  begleiteten  die  Mutter,  Messer  Sigismondo,  der 
Kardinal  Ippolito  und  ihr  Bruder  Alfonso.  Moro  hatte  Vorkehrungen 
getroffen,  damit  die  ferraresischen  Gaste  unterwegs  gutes  Quartier 
und  Essen  und  Trinken  vorfanden.  Am  29.  Dezember  kamen  sie 
nach  Mailand,  von  dort  aus  ging  es  erst  nach  Pavia.  Infolge  der 
schlechten  Wege  fuhren  die  Frauen  im  Wagen  nach  Brescello, 
wahrend  die  Manner  es  zu  Pferde  erreichten;  dort  war  der  Po 
schiffbar.  Die  Hochzeitsgesellschaft  bestieg  das  Schiff;  in  Piacenza 
machte  man  eine  kurze  Rast,  und  erst  am  nachsten  Tage,  um  vier 
Uhr  nachmittags,  erreichte  man  Pavia.  Lodovico  hatte  einen  anderen 


ERCOLE  I. 


91 


Weg  am  Ticino  entlang  gewahlt  und  traf  seine  Braut  erst  in  Piacenza. 
Die  Strecke  von  Mailand  nach  Pavia,  die  heute  in  kaum  einer  Stunde 
zuriickgelegt  wird,  erforderte  damals  fast  drei  Tage. 

Die  Training  wurde  mit  groBem  Pomp  in  Pavia  am  17.  Januar 
1 49 1  begangen;  am  22.  begab  sich  die  ganze  Gesellschaft  nach 
Mailand  zur  Hochzeit  von  Alfonso  d'  Este  und  Anna  Sforza.  Alfonso, 
der  im  Palazzo  Schifanoja  am  21.  Juni  1471  geboren  war,  war 
damals  14  Jahre  alt,  aber  schon  ein  Jahr  nach  seiner  Geburt  war 
seine  Heirat  mit  der  mailandischen  Herzogstochter  eine  beschlossene 
Sache.  In  Ferrara  war  der  Ehekontrakt  ratifiziert  worden,  im 
Beisein  des  Kindes,  das  Manuele  Bollaia  wahrend  dieser  Zeremonie 
auf  den  Armen  trug. 

Anna  Sf orzas  Ankunft  in  Ferrara  war  der  AnlaB  prachtiger  Feste. 
Schon  der  Einzug  der  Gattin  des  Thronerben  gestaltete  sich  sehr 
groBartig.  Ercole  erwartete  sie  mit  zahlreichem  Gefolge  am  Ufer 
des  Po.  Die  Herzogin  kam  im  Bucentaur;  in  den  gefrorenen  FluB 
hatte  man  einen  Kanal  gehauen,  um  der  jungen  Frau  die  Strapazen 
zu  ersparen,  die  Eleonora  und  Beatrice  kurzlich  zu  iiberstehen 
hatten.  Am  12.  Februar  zog  Anna  zu  Pferde  unter  dem  Baldachin 
in  die  Stadt  ein,  vier  Triumphbdgen,  nach  Zeichnungen  des  Archi- 
tekten  Biagio  Rosetti,  waren  zu  ihrem  Empfange  errichtet  worden. 
Auf  dem  Triumphbogen  in  der  Nahe  des  Palazzo  Schifanoja  stand 
Apoll  auf  einem  von  stattlichen  Pferden  gezogenen  Wagen.  Eine 
erlauchte  Versammlung  erwartete  sie  in  Ferrara;  Gesandte  aus 
Florenz,  Lucca  und  Neapel  waren  erschienen,  um  das  junge  Paar 
zu  begluckwunschen.  Die  venezianischen  Gesandten  hatten  ein 
Gefolge  von  fiinfzig  Berittenen;  die  gesamte  Ritterschaft  des  ferrare- 
sischen  Landes  war  in  die  Hauptstadt  gekommen,  so  daB  die  Hof- 
kiiche  wahrend  der  Hochzeitstage  funfundvierzigtausend  hundert 
und  elf  Pfund  Fleisch  verbraucht  hat. 

Die  Herzogin-Mutter  empfing  die  Schwiegertochter  vor  dem 
SchloBportal  und  geleitete  sie  in  die  fur  sie  bestimmten  Gemacher. 
Am  nachsten  Morgen  hielt  der  ferraresische  Bischof  den  Gottesdienst 
in  der  SchloBkapelle  ab,  und  am  Abend  gab  Ercole  zu  Ehren  Anna 
Sf  orzas  einen  groBen  Ball,  darauf  folgte  die  Auffiihrung  von  Plautus' 
,,Menaechmi"  in  italienischer  Bearbeitung.     Die  Dekorationen  zur 


92  fOnftes  kapitel 

Komodie  hatte  Nicoletto  del  Cogo  gemalt,  als  Sohn  des  Hof- 
koches  trug  er  diesen  Spitznamen.  An  den  beiden  folgendenAbenden 
wurden  wieder  zwei  Komodien  von  Plautus  aufgefiihrt,  in  den 
Zwischenakten  fiihrte  man  Moresken  auf ,  die  mit  dem  Inhalt  der 
Stucke  in  gar  keinem  Zusammenhang  standen.  In  einer  der  Moresken 
sturzten  beim  Klang  idyllischer  Musik  etwa  zehn  junge  Leute 
tanzend  mit  Efeuzweigen  in  den  Handen  auf  die  Biihne,  sie  ver- 
schlangen  die  Girlanden  zu  einer  Art  Altan.  Dann  erschien  Apott 
im  Gefolge  der  Musen,  er  griff  in  die  Saiten  seiner  Leier  und  sang 
eine  Ode  zu  Ehren  des  jungen  Paares,  des  estensischen  Hauses  und 
der  versammelten  Gaste.  Als  er  Ercoles  Tugenden  und  Verdienste 
pries,  entzog  sich  der  Fiirst  durch  eine  leichte  Handbewegung 
gewissermaBen  den  ihm  gespendeten  Schmeichelreden.  Ein  anderes 
intermezzo"  war  eine  landliche  Szene  mit  Ballett:  verkleidete 
Bauern  stellten  tanzend  dar  das  Bestellen  der  Felder,  Aussaat 
und  Ernte.  Mythologische  Szenen  mit  Choren  antiker  Gotter 
fehlten  nicht.  Juno,  Venus,  Apoll,  Bacchus  und  sein  Gefolge  sangen 
zum  Klang  der  Musik.  Damit  war  die  Reihe  der  Moresken  noch 
lange  nicht  erschopft,doch  ware  ein  weiteresAufzahlennurermudend. 
Anna  Sforza  hatte  eine  groBe  Zahl  von  Kleinodien  und  kost- 
baren  Geraten  mitgebracht,  vergoldete  und  bemalte  Truhen, 
Schatullen  aus  Elfenbein  und  Zypressenholz.  Das  Verhaltnis 
schien  ein  gutes  zu  werden,  aber  Anna  war  leidend,  und  Don  Alfonso 
zu  jung,  zu  sehr  auf  neue  Liebesgeniisse  bedacht  und  zu  ziigellos, 
um  ein  ruhiges  Leben  fuhren  zu  konnen.  So  blieb  das  Gliick  aus, 
besonders  da  Anna  kinderlos  war;  1497  starb  sie  nach  sechs- 
jahriger  Ehe.  An  peinlichen  Vorfallen  war  ihre  Ehe  reich  genug; 
einige  Monate  vor  ihrem  Tode  verzeichnet  der  bekannte  venezianische 
Chronist  M.  Sanuto  einen  kecken  Jugendstreich  Don  Alfonsos: 
fast  nackt  habe  er  mit  den  Gefahrten  seiner  Ausschweifungen 
Ferraras  StraBen  durchzogen.  In  seinem  Ausgabebuch  sind  iiberdies 
sorgsam  die  Posten  gebucht  ,,per  Venere  lasciva",  und  in  seinem 
,, Studio"  hingen  von  Cosimo  Tura  gemalte  liisterne  Bilder  nackter 
Weiber.  Er  unterschied  sich  ubrigens  in  seinen  Lebensgewohn- 
heiten  durchaus  nicht  von  den  iibrigen  gekronten  Hauptern,  deren 
Dasein  an  Ausschweifungen  reich  war. 


ERCOLE  I. 


93 


Zwei  Jahre  nach  Alfonsos  und  Anna  Sforzas  Hochzeit  starb 
Eleonora  von  Aragon  1493.  Infclge  ihres  plotzlichen  Todes  ent- 
standen  unwahrscheinliche  Geriichte:  ihr  Gatte  habe  sie  ver- 
giften  lassen,  da  sie  sich  seiner  auf  ahnliche  Weise  hatte  entledigen 
wollen.  Vergiftungen  waren  bei  Fiirstengeschlechtern  damals 
etwas  so  Alltagliches,  daB  das  Volk  fast  bei  jedem  plotzlichen  Todes- 
fall  ein  Verbrechen  gewittert  hat.  Die  Geschichte  des  ferraresischen 
Hofes  bietet  aber  nicht  den  mindesten  AnlaB,  um  an  Eleonoras 
gewaltsamen  Tod  zu  glauben;  im  Gegenteil,  die  Fiirstin  lebte  in 
einer  nach  damaligen  Begriffen  besonders  gliicklichen  Ehe  und 
war  allgemein  geachtet.  Von  alien  Dichtern  wurden  ihre  Tugenden 
besungen,  und  unter  den  Elaboraten  der  Hofpoeten  zu  Ehren  der 
Verstorbenen  gebiihrt  Tito  Strozzis  Gedicht  das  groBte  Interesse, 
denn  ehrliche  Trauer  um  die  Herzogin  spricht  daraus. 


IV 

Ercole  war  zwar  nicht  so  gebildet  wie  Lionello,  aber  die  litera- 
rische  Bewegung  interessierte  ihn  bedeutend  mehr  als  Borso,  der 
nur  auf  seine  Titel,  Pferde  und  Jagden  bedacht  war.  Schon  seine 
leidenschaftliche  Vorliebe  fur  Musik  und  Theater  und  sein  Be- 
streben,  in  Ferrara  eine  erstklassige  Biihne  zu  schaffen,  schlug 
Briicken  zur  Literatur.  Selbst  als  er  alt  und  krank  war,  lieB  er  sich 
von  Vincenzo  aus  Modena,  einem  damals  beruhmten  Musiker,  auf 
dem  Klavier  vorspielen.  Mehr  noch  als  Ercole  interessierte  sich 
Eleonora  fur  Literatur,  auBerdem  entsprach  es  den  Traditionen 
ihres  Geschlechtes,  Dichter  und  Kiinstler  an  den  Fiirstenhof  zu 
ziehen.  Unter  Ercoles  und  Eleonoras  Herrschaft  war  der  ferrare- 
sische  Hof  ein  Mittelpunkt  fur  Italiens  literarisches  Leben  und  von 
groBtem  EinfluB  auf  die  Entwicklung  der  Ideen  der  Hochrenaissance. 
Eine  ganze  Reihe  interessanter  Personlichkeiten  war  in  Ferrara 
zu  finden.  So  Tito  Vespasiano  Strozzi  (1422 — 1505),  dem  wir 
bereits  als  Jiingling  in  Lionellos  Umgebung  begegnet  sind.  Auch 
Borso  liebte  und  schatzte  ihn  sehr  und  suchte  ihn  bei  jeder  Ge- 
legenheit  auszuzeichnen.    Er  hat  ihm  Domicella  zur  Frau  gegeben, 


94  fOnftes  kapitel 

die  vermogende  Tochter  des  Grafen  Guido  Rangone,  des  General- 
kapitans  seiner  Armee.  1470  verlieh  er  ihm  einen  goldenen  Ritter- 
degen  und  nahm  ihn  ein  Jahr  spater  nach  Rom  mit,  dort  hat  das 
Kardinalkollegium  Strozzi  mit  dem  Dichterlorbeer  gekront,  um 
die  Gunst  des  neuen  Herzogs  zu  gewinnen.  Wie  die  iibrigen  Ty- 
rannen  der  Renaissance  suchten  auch  die  Este  Emigranten  an  sich 
zu  fesseln,  da  sie  ihnen,  aus  Dankbarkeit  fur  die  gewahrte  Zufluchts- 
statte,  treuer  dienten  als  die  angesessenen  Geschlechter.  Die  Strozzi 
waren  besonders  begabt,  so  waren  im  Jahre  1422  allein  drei  Mit- 
glieder  dieser  Familie  als  Gesandte  verschiedener  Fiirsten  bei  der 
Signoria  in  Venedig  tatig:  Palla  Strozzi  als  Vertreter  der  Floren- 
tiner  Republik,  Uberto  hatte  der  Markgraf  von  Mantua  und 
Giovanni,  Vespasians  Vater,  der  Markgraf  von  Ferrara  entsandt. 
Gemeinsame  Jugenderinnerungen  bestanden  zwischen  Titus, 
Borso  und  Ercole.  Sie  waren  samtlich  Guarinos  Schiiler,  Titus 
war  um  neun  Jahre  alter  als  Ercole,  und  sie  hatten  tolle  Jugend- 
streiche  begangen.  In  einem  seiner  Gedichte  wendet  sich  Strozzi 
an  den  Herzog: 

Cujus  ego  tecum  viridi  nutritus  in  aevo. 

Ercole  hat  wie  Borso  Strozzi  sehr  geschatzt  und  ihn  auch 
im  Staatsdienst  beschaftigt.  So  gehorte  Titus  dem  Gefolge  an, 
das  1473  Eleonore  aus  Neapel  abholte,  spater  wurde  er  Gouverneur 
von  Rovigo  und  der  Provinz  Polesine  und  stand  im  Krieg  mit 
Venedig  auf  bedeutendem  Posten.  Er  war  auch  Gesandter  bei  In- 
nocenz  VIII.  und  gegen  Ende  seines  Lebens,  als  Sechsundsiebzig- 
jahriger,  Vorsitzender  der  Savi.  Abgesehen  von  Jugenderinnerungen 
verbanden  auch  gemeinsame  Passionen  Titus  mit  Borso  und  Ercole. 
Er  war  wie  die  beiden  Herzoge  ein  leidenschaftlicher  Jager.  Die 
Walder  neben  Racano,  wo  sich  Titus  haufig  im  Sommer  aufhielt, 
waren  reich  an  Hirschen,  Wildschweinen  und  Hasen.  Seine  Jagd- 
hunde,  die  er  aus  Thrakien  kommen  lieB,  waren  um  ihrer  Ge- 
schicklichkeit  willen  bekannt,  und  Falken  und  Habichte  ver- 
stand  er  selbst  vortrefflich  abzurichten.  Bagarino,  den  einen  Falken, 
lieB  er  von  Cosimo  Tura  malen  und  besang  den  Lieblingsvogel 
in  lateinischen  Versen.    Titus  hatte  eine  Vorliebe  fur  das  Landleben; 


ERCOLEI.  95 

auBer  Racano  besaB  er  noch  dreiVillen  auf  demLande,Borsohatte  ihm 
zwei  davon  geschenkt.  In  der  Villa  Quartisano  befand  sich  seine 
Bibliothek.  Titus  Sohn,  Ercole,  der  auch  dichtete,  schildert  in  einem 
lateinischen  Gedicht  das  Landleben  des  Vaters,  wie  er  fur  Pferde 
und  Ochsen  sorge,  in  der  Wirtschaft  nach  dem  Rechten  sehe  und 
dabei  eifrigst  dichte  und  studiere. 

Sub  lucemque  toro  exurgit  dumque  aspera  mollit 
Pectora,  nunc  libros  versat,  nunc  carmina  condit, 
Nee  sinit  in  cessum  labi  irrevocabile  tempus. 

Titus  gehort  zu  den  bekanntesten  lateinischen  Dichtern  seiner 
Zeit,  hatte  er  italienisch  geschrieben,  so  stiinde  er  an  erster  Stelle 
unter  den  Renaissancedichtern.  Seine  Sprache  ist  weniger  rein 
als  die  Pontanos  und  Polizians,  die  das  Lateinische  wie  eine  lebende 
Sprache  beherrschten.  Hofisches  Wesen  und  das  fremde  Idiom 
haben  sein  Talent  erstickt.  Es  fehlt  ihm  weder  an  starkem  Natur- 
sinn,  noch  an  Beobachtungsgabe,  so  schildert  er  die  damaligen 
Zustande  anschaulich,  hat  Schwung  und  Leidenschaft,  was  selbst 
in  den  Epigrammen,  die  er  als  Achtzigjahriger  an  Lucrezia  Borgia 
richtet,  durchbricht. 

Nach  Guarinos  Tod  stand  er  an  der  Spitze  der  Humanisten 
in  Ferrara;  leidenschaftlich  nahm  er  Partei  gegen  das  Italienische 
als  Schriftsprache,  selbst  seine  Liebesgeschichten  wurden  nur  in 
lateinischen  Versen  besungen.  Er  hat  in  der  Hauptsache  Liebeslieder 
verfaBt,  aber  sie  sollten  den  Beifall  ihm  verwandter  Humanisten 
finden  und  waren  nicht  fur  die  Frauen  bestimmt,  die  er  geliebt  hat. 
Kein  leidenschaftlicher  ErguB  heiBer  Empfindungen,  eher  ein 
Kokettieren  mit  der  Liebe. 

Auf  einem  Wettrennen  in  Ferrara,  im  Friihling  des  Jahres 
1 44 1,  lernte  er,  als  Neunzehnjahriger,  ein  reizendes  Madchen  mit 
goldblondem  Haar  kennen,  das  er  Anthia  nannte.  An  sie  richtet 
er  einen  Zyklus  von  Elegien,  die  unter  dem  Titel  ,, Erotica"  er- 
schienen  und  zu  seinen  bekanntesten  Werken  gehoren.  Aber 
seine  eigenen  Empfindungen  in  Worte  zu  fassen,  hielt  der  Schiiler 
Guarinos  nicht  mit  seiner  Wiirde  vereinbar,  so  entlieh  er  einem 
griechischen    Roman    des    Xenophontes    aus    Ephesos    Bilder    und 


96  fOnftes  kapitel 

Wendungen  und  gab  selbst  seiner  Ferraresin,  die  wahrscheinlich 
Maria  oder  Bettina  hieB,  den  Namen  einer  antiken  Heldin.  Ein 
anderer,  dem  der  Jiingling  im  Wege  stand  und  der  Macht  und  Ein- 
fluB  hatte,  scheint  gleichfalls  Anthia-Bettina  geliebt  zu  haben; 
so  wurde  der  verHebte  Latinist  aufgefordert,  Ferrara  zu  verlassen. 
Da  Anthia  nach  Florenz  iibersiedelt  zu  sein  scheint,  durfte  Titus 
nach  geraumer  Zeit  wieder  nach  Ferrara  zuriickkehren.  Nur  Elegien 
waren  die  Frucht  dieser  Jiinglingsliebe.  Anthia  scheint  sich  fur 
Strozzis  Verse,  die  sie  sicherlich  nicht  verstanden,  nicht  erkennt- 
lich  gezeigt  zu  haben.  Uber  sehr  sinnliche,  ja  liisterne  Abschnitte 
hat  das  Lateinische  seinen  schutzenden  Mantel  gebreitet.  Diese 
Gedichte  erschienen  spater  in  einem  Lucrezia  Borgia  gewidmeten 
Bande.  Strozzi  durfte  die  Widmung  riskieren,  ohne  die  Herzogin 
zu  verletzen,  da  auch  sie  so  wenig  wie  Anthia  die  Gedichte  zu  lesen 
imstande  war. 

Strozzi  gehort  zu  jenen  Hoflingen,  die  stets  bereit  sind,  Weih- 
rauch  abzubrennen.  Mit  Freuden  ergriff  er  jede  Gelegenheit,  um 
Lobeshymnen  an  den  Herzog  und  die  herzogliche  Familie  loszulassen. 
Alfonsos  Trauung  mit  Anna  Sforza,  Eleonoras  Tod,  Lucrezia 
Borgias  Einzug  in  Ferrara,  ja  selbst  der  seltene  Anblick  des  ge- 
frorenen  Pos  (im  Jahre  1443)  begeisterten  ihn  zu  Gedichten.  Zu 
Borsos  BegruBung  schreibt  er:  Bei  der  Ankunft  des  Fiirsten  er- 
hellt  sich  der  Himmel,  das  Gewitter  verzieht  sich,  und  frisches 
Griin  deckt  die  Erde.  Brauchte  man  Gelegenheitsgedichte,  so 
wandte  man  sich  an  Strozzi,  selbst  wenn  es  sich  darum  handelte, 
Aufschriften  fur  die  von  den  Herzogen  errichteten  Gebaude  zu  ver- 
fassen,  war  er  zur  Hand.  Selbstverstandlich  sind  seine  Schmeiche- 
leien  nicht  frei  von  den  seltsamsten  Vergleichen  und  Bildern.  Der 
afrikanische  Lowe  in  Borsos  Tierpark  folgt  dem  Beispiel  seines 
Herrn,  er  wirft  sich  nicht  auf  schwachere  Geschopfe,  wie  Hunde 
oder  Hasen,  sondern  miBt  seine  Kraft  mit  Biiffel,  Bar  und  Wild- 
schwein.  Leider  hat  der  Lowe  sehr  bald  die  Behauptungen  des 
Dichters  Liigen  gestraft,  indem  er  das  Tochterchen  des  Park- 
wachters,  das  ihm  Futter  brachte,  zerriB.  Um  Ercole  zu  ehren,  gab 
Titus  seinem  altesten  Sohne  den  gleichen  Namen,  doch  werden  wir 
noch  sehen,  daB  die  herzogliche  Familie  ihm  diese   Schmeichelei 


ERCOLE  I. 


97 


ebenso  vergalt,  wie  der  Lowe  dem  Tochterchen  des  Parkwachters 
das  Futter. 

Titus  heiratete  erst  als  Fiinfundvierzigjahriger,  er  hatte  also 
Zeit  genug,  urn  eine  zweite  Blondine  zu  besingen,  der  er  den  klas- 
sischen  Namen  Phylloroe  beilegte.  Strozzi  hat  diese  Frau  sehr 
geliebt,  sie  hat  in  einer  Villa  am  Po  gewohnt,  die  er  gleichfalls 
besang.  Nach  seiner  Schilderung  war  es  ein  altes,  efeuumranktes 
Hauschen,  mit  verblichenen,  halb  vom  Regen  verwaschenen 
Heiligenfresken.  Es  verbarg  sich  hinter  Baumen,  daneben  stand 
eine  verfallene  Kapelle,  und  in  der  Nahe  pfliigte  der  Kaplan  seine 
diirftigen  Felder  mit  geliehenen  Pferden.  Phylloroes  Tage  waren 
gezahlt,  sie  fiel  einer  Seuche  zum  Opfer,  und  der  Dichter  hat  ihren 
Tod  bitter  beklagt. 

AuBer  diesen  Liebesliedern  begann  Titus  ein  Gedicht  zu  Ehren 
Borsos,  doch  blieb  es  unvollendet,  da  er  nach  dem  Tode  dieses 
Beschutzers  schleunigst  ein  Gedicht  auf  seinen  Nachfolger  machte. 

Erst  im  spateren  Alter  bekleidete  Titus  offentliche  Amter.  Als 
Statthalter  von  Polesina  holte  er  sich  ein  hartnackiges  Fieber;  da  alle 
Mittel  vergebens  waren,  diktierte  er  seinem  Diener  ein  demiitiges 
Gedicht  an  den  heiligen  Bellino,  den  Schutzpatron  der  Diozese 
Adria-Rovigo,  und  bat  ihn  flehentlich,  ihn  von  dieser  schweren 
Krankheit  zu  befreien.  Nach  seiner  Genesung  stiftete  er  aus  Dank- 
barkeit  eine  Gedenktafel  auf  dem  Grabe  des  heiligen  Bischofs. 
In  den  schwersten  Zeiten,  im  Jahre  1497,  war  er  Vorsitzender  der 
Savi,  wahrend  venezianische  Soldner  das  ferraresische  Land  ver- 
wiisteten,  wiederholte  Erdbeben  die  Bevolkerung  in  Schrecken 
versetzten  und  eine  Seuche  furchtbare  Verheerungen  anrichtete. 
Kaum  war  das  Ungliick  abgewandt,  so  verschwendete  der  Herzog 
trotz  des  herrschenden  Elendes  ein  Vermogen  fur  luxuriose  Ge- 
baude,  glanzende  Feste  und  Jagden.  In  sozialer  Beziehung  geschah 
gar  nichts,  um  die  Wunden,  die  der  Krieg  dem  Lande  geschlagen, 
zu  heilen,  da  der  alternde  Herzog  sich  auf  die  Vorsehung  verlieB 
und  nur  Andachten  fur  das  Wohlergehen  des  Volkes  anordnete. 
Im  Jahre  1500,  als  man  einen  Oberfall  der  Tiirken  befiirchtete,  lieB 
er  taglich  Prozessionen  veranstalten  und  fur  das  Abwenden  der 
drohenden  Gefahr  beten,  anstatt  die  Miindung  des  Po  zu  befestigen. 

7 


98  FUNFTES  KAPITEL 

Da  die  Bevolkerung  infolge  der  schweren  Abgaben  und  der 
konstanten  Durchmarsche  des  franzosischen  Heeres  zu  erschopft 
war,  urn  neue  Lasten  tragen  zu  konnen,  wandte  sich  der  HaB  gegen 
die  Regierung.  Strozzi,  der  als  hochster  Beamter  mehr  das  Interesse 
des  Herzogs  und  des  Hofes  als  des  gesamten  Landes  im  Auge  hatte, 
wurde  zur  bestgehaBten  Personlichkeit.  Man  nannte  ihn  den 
,,Menschenfresser",  und  es  hieB,  daB  Messer  Tito  schlimmer  sei 
als  selbst  der  Teufel,  ,,e  peggio  voluto  dal  Popolo,  che  non  e  il 
Diavolo".  Vielleicht  trug  zu  diesem  HaB  der  Glaube  bei,  Titus 
habe  den  Herzog  zur  Griindung  eines  neuen  Stadtteils  ,,Terra 
nuova",  ,,Addizione  Ercolea",  der  unerhdrte  Summen  verschlang, 
veranlaBt. 

Titus  hat  den  Herzog  iiberredet,  seinen  noch  jungen  Sohn 
Ercole  1498  zum  richterlichen  Beirat  der  dodici  savi  zu  ernennen, 
sehr  bald  sogar  zum  Vertreter  des  Vaters.  Die  Bevolkerung  von 
Ferrara  nahm  an  diesem  Protektionswesen  AnstoB,  auf  diese  Weise 
wurde  das  wichtigste  Amt  im  Reiche  beinahe  erblich. 

Titus  iiberlebte  Ercole  I.  und  starb  ein  halbes  Jahr  nach  dem 
Herzog,  am  30.  August  1505,  an  einer  pestilenzartigen  Seuche. 
Noch  am  20.  Januar  des  gleichen  Jahres  war  er  von  seiner  Besitzung 
Rocano  nach  Ferrara  gekommen,  um  seine  Amtspflichten  zu  er- 
fullen;  er  fehlte  bei  Ercoles  Sterbelager  nicht,  ernannte  Alfonso 
zum  rechtmaBigen  Nachfolger  und  belehnte  ihn  mit  dem  Herzogs- 
stab  und  Schwert. 

Wir  besitzen  kein  Portrat  von  Titus;  in  der  Br  era  zu  Mailand 
hat  sich  nur  eine  Medaille  erhalten  mit  der  Aufschrift  ,, Titus 
Strozzius".  Sie  zeigt  die  harten  und  gewohnlichen  Ziige  eines 
kraftigen  Mannes. 

Am  estensischen  Hofe  gehorte  Strozzi  zu  den  Literaten  ,,in 
floribus",  wahrscheinlich  aber  gab  es  mehr  Dichter  ,,in  herbis", 
die  sich  mit  einem  viel  kummerlicheren,  haufig  sogar  traurigen 
Schicksal  bescheiden  muBten.  Darunter  ware  zu  nennen  Pandolfo 
Collenuccio  (1449 — 1504),  der  sich  an  den  verschiedensten  Hofen 
herumtrieb:  in  Bologna,  Pesaro,  Florenz  und  am  langsten  in  Ferrara. 
Fur  Ercole  I.  iibersetzte  er  ,, Amphitryon",  der  1487  in  Ferrara 
aufgefuhrt  wurde,  ihm  widmete  er  auch  seine  beriihmte  Verteidigung 


ERCOLE  I. 


99 


des  Plinius  gegen  die  brutalen  Angriffe  Niccolo  Leonicenos,  des 
Lektors  fur  Mathematik  und  Philosophic  in  Ferrara.  Der  Herzog 
schickte  ihn  als  Gesandten  zu  Maximilian  und  zum  Papst  Alexan- 
der VI.  Auch  andere  italienische  Fiirsten  vertrauten  ihm  als  einem 
gewandten  Mann  diplomatische  Missionen  an,  aber  der  hagere 
Poet  fiihrte  diese  Unterhandlungen  nicht  immer  zu  einem  giinstigen 
Ende.  1488  lieB  ihn  Sforza  wegen  irgendeines  politischen  Ver- 
gehens  fur  fiinfzehn  Monate  ins  Gefangnis  werfen  und  dann  des 
Landes  verweisen.  1504  gestattete  ihm  der  Tyrann  zwar  nach 
Pesaro  zuriickzukehren,  aber  nur  urn  ihn  aufs  neue  gefangen  zu 
nehmen  und  wegen  seiner  Sympathie  fur  den  Fiirsten  Valentino 
zu  ermorden. 

Collenuccio  hat  verschiedenes  veroffentlicht,  unter  anderem 
ein  religioses  Stuck  ,,Commedia  de  Jacob  et  de  Joseph",  sowie  ein 
historisches  Buch  „Compendio  della  storia  del  regno  di  Napoli". 
Aber  sein  bestes  Werk  ist  die  ,, Canzone  alia  morte".  Der  Schmerz 
eines  Menschen,  der  von  Hof  zu  Hof  wandert,  nirgends  Ruhe  findet 
und  im  Tod  den  alleinigen  Ausweg  des  ihm  drohenden  Schicksals 
sieht,  ist  ergreifend  zum  Ausdruck  gebracht.  Viel  poetische  Kraft, 
viel  echter  Schmerz  spricht  aus  diesem  Gedicht;  nicht  in  der  Ver- 
derbtheit  derGesellschaft  sieht  der  Dichter  den  Grund  seines  Kummers, 
sondern  in  der  Natur,  die  den  Menschen  geschaffen,  um  ihn  zu  qualen 
von  der  Wiege  bis  zum  Grabe. 

Questa  acerba  matrigna 

Natura,  in  tanti  mal  questo  sol  bene 

Pose  per  pace,  libertade  e  porto: 

A'  piu  savi  diporto, 

Che  '1  fine  attendon  delle  mortal  pene. 


Eine    sehr     charakteristische     Personlichkeit,     die     dem     Hofe 
Ercoles     I.     sein     eigentliches     Geprage     verlieh,     war     der 
Kardinal    Ippolito    d'Este,    ein    Renaissance- Kirchenfiirst    in    der 


100  FUNFTES  KAPITEL 

vollen  Bedeutung  dieses  Wortes,  umgeben  von  einem  zahl- 
reichen  Gefolge  von  Hoflingen  und  Gelehrten.  Zu  seinem  lite- 
rarischen  ,,Hofgesinde"  hat  eine  Zeit  hindurch  auch  Ariost  gehort. 

Als  dritter  Sohn  Ercoles  und  Eleonoras  von  Aragon  war 
Ippolito  am  20.  Februar  1479  geboren.  Der  Vater  hatte  ihn  von 
friih  auf  zum  Kardinal,  wenn  nicht  zum  Papst  bestimmt.  Schon 
der  siebenjahrige  Knabe  erhielt  die  Tonsur  und  das  geistliche  Ge- 
wand  in  Ferrara;  kaum  ein  Jahr  nach  dieser  Zeremonie  ward  das 
Kind  zum  Erzbischof  von  Gran  und  Primas  von  Ungarn  ernannt. 
Seine  Tante,  Beatrice  von  Aragon,  war  die  Gemahlin  des  ungarischen 
Konigs  Matthias  Corvinus,  daher  diese  Protektion.  Innozenz  VIII. 
machte  zwar  erst  seine  Einwande  gegen  diese  in  der  Kirchen- 
geschichte  unerhorte  Ernennung,  aber  trotz  alledem  bestatigte  er 
sie  ein  Jahr  darauf  unter  der  Bedingung,  daB  die  Weihen  erst  spater 
vollzogen  werden  sollten.  So  ging  der  achtjahrige  Ippolito  nach 
Ungarn,  begleitet  von  einem  Gefolge  von  hundertfiinfzig  Hoflingen 
und  Rittern;  in  seinem  Reisesack  befand  sich  Vergils  Aneis,  und 
es  fehlten  ihm,  als  einem  echten  Este,  auch  Plautus'  Komodien 
nicht. 

Sieben  Jahre  blieb  der  junge  Kirchenfiirst  in  Ungarn,  und 
wahrend  die  alteren  Geistlichen  die  kirchlichen  Pflichten  fur  ihn 
erfiillten,  jagte  er  Wildschwein  und  Hirsch  und  las  in  seinen  freien 
Stunden  Vergil  und  Ritterromane.  Das  hinderte  ihn  jedoch  nicht, 
die  Stufenleiter  der  romischen  Hierarchie  schnell  zu  erklimmen, 
schon  1493  ernannte  der  Papst  Alexander  VI.  den  Vierzehnjahrigen 
zum  Kardinal. 

Das  Erzbistum  in  Gran  warf  freilich  dreiBigtausend  Dukaten 
jahrlich  ab,  aber  der  Unterhalt  der  bischoflichen  Miliz  verschlang 
die  Halfte  dieser  Summe,  auBerdem  muBte  Ippolito  als  Primas 
von  Ungarn  im  adoptierten  Vaterlande  residieren.  Dazu  schien 
er  keine  Lust  zu  haben,  er  sehnte  sich  nach  dem  heimatlichen 
Italien.  Freudig  tauschte  er  daher  das  ungarische  Erzbistum 
gegen  die  gleiche  Wurde  in  Mailand  ein,  die  nur  fiinftausend 
Dukaten  abwarf.  Lodovico  Moro  hat  ihn  damit  belehnt.  1496  kam 
er  nach  Italien  zuriick  und  blieb  nur  noch  Titularbischof  von 
Gran.      Sein  ganzes   Leben  war  er   Sforza  dankbar,   daB  er   ihm 


ERCOLEI.  IOi 

die  Ruckkehr  in  die  Heimat  ermoglicht  hatte,  wie  das  Ariost  in 
seinem  Roland  bezeugt: 

.  .  .  Ora  in  pace  a  consiglio  con  lui  siede, 
Or  armato  con  lui  spiega  i  colubri, 
E  sempre  par  d'  una  medesima  fede, 
O  ne'  felici  tempi  o  nei  lugubri: 
Nella  fuga  lo  seque,  lo  conforta 
Nell'  afflizion  gli  e  nel  periglio  scorta. 

(XLVI.  94.) 

Nach  Corvinus  Tode  muBte  Beatrice  von  Aragon  Ungarn  ver- 
lassen,  sie  kam  nach  Ferrara,  und  Ippolito  begleitete  seine  Tante 
und  Protektorin  nach  Neapel.  Diese  friihzeitige  Gewohnung  an 
hohe  Wiirden  und  die  Sorge  um  offentliche  Angelegenheiten  war 
auf  Ippolito  von  groBem  EinfluB,  ihm  eignete  sehr  bald  die  Wiirde 
seines  Standes;  an  Ercoles  Regierungsangelegenheiten  nahm  er 
beratend  teil,  und  der  Herzog  bediente  sich  seiner  wiederholt  bei 
diplomatischen  Missionen.  Er  stand  an  der  Spitze  der  Gesandt- 
schaft,  die  nach  Rom  ging,  um  Lucrezia  Borgia  abzuholen,  und 
iibergab  ihr  kostbare  Geschenke  im  Namen  seines  Bruders.  Alex- 
ander VI.  zeigte  sich  ihm  fur  diese  Liebenswiirdigkeit  und  Miihe 
erkenntlich,  schenkte  ihm  einen  Palast  in  Rom  und  iibertrug 
ihm  auch  das  Erzbistum  von  Capua.  Unter  Julius  II.,  dem 
eingefleischten  Gegner  der  Este,  war  seine  Stellung  als  Kardinal 
sehr  schwierig,  deshalb  ging  er  zeitweilig  nach  Ungarn  zuriick. 
Er  wollte  Ariost  mitnehmen,  doch  der  Dichter  konnte  sich, 
wie  wir  noch  sehen  werden,  nicht  entschlieBen,  ihn  zu  be- 
gleiten.  Im  Jahre  1518  kam  der  Kardinal  aus  Ungarn  zu 
Bonas  Trauung  nach  Krakau,  an  der  Spitze  eines  groBartigen 
Gefolges  von  Klerikern  und  Hoflingen  mit  insgesamt  dreihundert- 
siebenundsechzig  Pferden.  Er  kam  als  papstlicher  Gesandter 
nach  Polen  und  uberbrachte  dem  Konig  Sigismund  Leos  X.  Wiinsche 
in  Form  eines  Breve.  Infolge  von  MiBverstandnissen  wegen  des 
Zeremoniells,  die  sich  zwischen  ihm  und  Prosper  Colonna,  Bonas 
Vormund  und  Hofmeister,  auf  der  Reise  ergeben  hatten,  nahm  er 
an  den  Kronungsfeierlichkeiten  nicht  teil  und  kehrte  ziemlich  ver- 


102  FONFTES  KAPITEL 

stimmt  nach  zweiwochentlichem  Aufenthalt  in  Krakau  nach 
Ungarn  zuriick. 

Nach  Castigliones  Berichten  hat  der  Kardinal  zu  den  an- 
ziehendsten  Personlichkeiten  seiner  Zeit  gehort.  Benehmen,  Sprache, 
Gebarden  waren  edel;  trotz  seiner  Jugend  machte  er  einen  so  ernsten 
Eindruck,  daB  er  selbst  unter  den  altesten  Kirchenfiirsten  auffiel. 
Im  Verkehr  mit  Mannern  und  Frauen  jedes  Standes  hatte  er  so  viel 
Einnehmendes,  daB  jeder,  der  mit  ihm  in  Beruhrung  kam,  seinem 
Zauber  erlag.  Es  gebrach  ihm  weder  an  Umsicht,  noch  an  Mut, 
und  in  alien  geschaftlichen  Dingen  bekundete  er  eine  ungewohnliche 
Geschicklichkeit.  Wie  alle  Este  war  auch  Ippolito  ein  groBer  Musik- 
freund;  er  spielte  Violine,  und  an  seinem  Hofe  hielten  sich  immer 
die  bekanntesten  Kiinstler  auf.  Auch  Literaten  scharten  sich  um 
ihn,  vielleicht  berief  er  sie  mehr,  um  den  Glanz  seines  Hauses  zu 
steigern,  als  aus  personlichem  Interesse  an  Literatur,  wenigstens 
drangt  sich  dieser  SchluB  auf  auf  Grund  seiner  Beziehungen  zu 
Ariost,  von  denen  noch  die  Rede  sein  wird.  Er  gait  als  sehr  gebildet, 
und  daB  er  gerne  las,  beweisen  die  vielen  Biicher,  die  er  auf  Reisen 
mit  sich  zu  fiihren  pflegte. 

Dies  waren  die  Vorziige  des  geschickten  Kardinals,  aber  er 
hatte  auch  Fehler  genug.  Er  war  gewalttatig,  hochmiitig,  rach- 
siichtig  —  so  lieB  er  den  papstlichen  Gesandten  in  Ferrara  wegen 
irgendeiner  ihm  zugefiigten  Beleidigung  durchpriigeln,  dann  floh 
er  aus  Angst  vor  seinem  Vater  nach  Mantua  zu  seinem  Schwager 
Francesco  Gonzaga.  Trotzdem  die  ihm  iibertragenen  Bistumer 
und  Abteien  eine  jahrliche  Einnahme  von  iiber  47  000  Talern  ab- 
warfen,  kiimmerte  er  sich  um  kirchliche  Dinge  gar  nicht.  Da  er 
nicht  aus  eigenem  Willen  Geistlicher  geworden,  fiihrte  er  ein  voll- 
kommen  weltliches  Leben,  und  seine  Liebeshandel  waren  be- 
riihmt.  So  sein  Roman  mit  Sanzia,  Joffro  Borgias  Frau;  man 
erzahlte  sich  von  seiner  Schwache  fiir  Veronika,  eine  einfache 
Frau  aus  Brescia;  in  Ferrara  war  Dalila  Putti  eine  seiner  zahlreichen 
Geliebten.  Seine  natiirliche  Tochter,  Elisabetta,  verheiratete  er 
mit  Giberto  Pio  und  gab  ihr  eine  Mitgift  von  10  000  Gulden. 

Der  Kardinal  starb  in  Ferrara  im  Jahre  1520  und  wurde  im 
dortigen  Dome  beigesetzt. 


ERCOLE  I.  IOg 

VI 

Je  alter  Ercole  I.  wurde,  desto  mehr  trat  sein  Hang  zur  From- 
migkeit  zutage,  haufig  unternahm  er  Wallfahrten  und  schickte 
Exvota  an  heilige  Statten:  nach  Loreto,  an  San  Niccolo  in  Bari,  an 
Santa  Maria  dell'  isola  di  Eremiti,  ja  er  wollte  sogar  zu  San  Gia- 
como  di  Galizia  pilgern,  doch  der  Papst  war  gegen  diese  Reise. 
In  dem  neuen  Stadtteil  lieB  er  mehrere  Kirchen  errichten,  sehr 
zum  Schaden  der  Kunst,  denn  die  Fonds  wurden  fiir  Gebaude  zer- 
splittert,  die  in  den  meisten  Fallen  weder  kiinstlerisch  ausge- 
schmuckt,  noch  selbst  zu  Ende  gefiihrt  werden  konnten.  Dem 
Vorbild  des  Herzogs  folgten  die  privaten  Stifter,  sie  bauten  kleine, 
unansehnliche,  schlecht  fundierte  Kirchen,  die  spater  der  armen 
Bevolkerung  nur  zur  Last  fielen.  Die  Zahl  der  Kloster  stieg  fort- 
wahrend,  und  auch  daraus  erwuchsen  der  Bevolkerung  neue  Lasten. 
Das  relativ  kleine  Ferrara  hatte  uber  hundert  Kirchen,  zu  ver- 
schiedenen  gehorten  Kloster.  Soviel  Monche  zu  ernahren  war  die 
Bevolkerung  nicht  imstande;  Neid  und  MiBgunst  zwischen  den  ver- 
schiedenen  Orden  einerseits,  zwischen  den  Monchen  und  den  welt- 
lichen  Klerikern  andererseits,  sowie  der  Kampf  um  das  tagliche 
Brot  schadigte  das  Ansehen  der  Geistlichkeit  und  tat  der  Reli- 
giositat  Abbruch. 

Bis  zu  welchem  Grade  Ercoles  Wiinsche  in  dieser  Beziehung 
sich  verstiegen  hatten,  beweisen  seine  amiisanten  Bemiihungen 
um  die  Dominikanerin,  die  Schwester  Lucia  da  Narni,  die,  da  sie 
in  ihrer  Ehe  ungliicklich  war,  Nonne  geworden  und  um  ihrer  From- 
migkeit  willen  beriihmt  war.  Wie  Katharina  von  Siena  sollte  auch 
sie  seit  ihrem  zwanzigsten  Jahre  Stigmata  auf  ihren  Handen  haben, 
die  jeden  Donnerstag  bluteten.  Die  Nonne  lebte  in  einem  Kloster 
zu  Viterbo,  und  Ercole  neidete  dem  Stadtchen  den  Besitz  dieser 
heiligen  Frau.  AuBerdem  nahm  er  in  seinem  Aberglauben  an, 
Lucias  Anwesenheit  in  Ferrara  wiirde  dem  Lande  und  seiner 
Familie  Segen  bringen,  Lucias  Mutter,  Gentilina,  und  ihr  Onkel 
Antonio  Mei,  die  in  Narni  lebten,  wurden  vom  Herzog  gewonnen, 
und  der  Nonne  versprach  er  ein  eigenes  Kloster  in  Ferrara  zu  er- 
richten, wenn  sie  hinzukommen  sich  entschlosse.    Lucia  hatte  groBe 


104  fOnftes  kapitel 

Lust,  nach  Ferrara  zu  kommen,  aber  Viterbos  gesamte  Bevolkerung 
war  dagegen  aus  Furcht,  die  Abreise  der  Nonne  konne  der  Stadt 
Ungluck  bringen.  Antonio  Mei,  der  die  Intrige  leitete,  iiberzeugte 
sich  bald,  dafi  er  Lucia  gutwillig  nicht  aus  Viterbo  frei  bekame,  daher 
beschloB  er,  sie  heimlich  zu  entfuhren.  Die  Nonne  war  im  Komplott, 
er  kam  als  Abgesandter  aus  Narni  zu  ihr,  mit  einem  Brief, 
Gentilina  liege  im  Sterben  und  wiinsche  ihre  Tochter  noch  einmal 
vor  dem  Tode  zu  sehen.  Um  Mitternacht  war  er  im  Kloster,  um 
die  Flucht  mit  Lucia  zu  besprechen;  ungliicklicherweise  belauschte 
eine  zweite  Nonne  die  Unterredung  und  alarmierte  sofort  die  stadtische 
Obrigkeit.  Die  Signori  fuhrten  Antonio  als  Gefangenen  aufs  Rat- 
haus,  und  der  arme  Teufel  hatte  Miihe  genug,  um  wieder  frei- 
zukommen.  Der  geschickte  Onkel  hatte  unterdessen  Lucias 
Beichtvater  gewonnen,  er  vertraute  ihm  seine  Plane  an,  und  der 
Nonne  wurde  empfohlen,  wie  bisher  zum  Gottesdienst  nach  S.  Maria 
della  Quercia  zu  gehen,  einem  Kirchlein  auBerhalb  der  Mauern  der 
Stadt.  An  Ercole  schrieb  er,  ihm  nach  Narni  vierundzwanzig 
berittene  Bogenschiitzen  und  ein  ruhiges  Pferd  fur  die  Nonne  zu 
schicken.  Diesen  Brief  brachte  Giannino,  der  Diener  des  Herzogs, 
der  von  Anfang  an  im  Geheimnis  war,  nach  Ferrara.  Ercole  erfiillte 
Antonios  Wiinsche  und  am  Stephanstage  des  Jahres  1498  brach 
unter  Alexander  da  Fioranos  Leitung  eine  kleine  Schar  von  Arm- 
brustschiitzen  aus  Modena  auf ;  sie  erreichten  Orte,  sollten  von  dort 
aus  nachts  bis  in  die  Nahe  Viterbos  gehen  und  im  Walde  versteckt 
bis  um  zwei  Uhr  nach  Mitternacht  warten.  Fiorano  hielt  sich  an 
seine  Vorschriften ;  von  Orte  aus  schickte  er  in  die  Nahe  von 
S.  Maria  della  Quercia  vier  tapfere  Manner  und  zwei  Frauen  zur  Ge- 
sellschaft  fur  die  Nonne,  wahrend  er  selbst  an  der  Spitze  der  Arm- 
brustschiitzen  in  einer  gewissen  Entfernung  wartete.  Aber  der 
Anschlag  miBlang;  die  Boten  fanden  in  der  Nahe  des  Kirchleins 
nur  Lucias  Beichtiger,  der  ihnen  sagte,  daB  man  im  Magistrat  Wind 
von  den  Absichten  der  Nonne  bekommen  haben  musse,  da  sie 
nicht  aus  den  Mauern  der  Stadt  gelassen  werde.  Aber  es  sollte  noch 
schlimmer  kommen:  als  ein  Hirte  die  fremden  Bewaffneten  neben 
S.  Maria  della  Quercia  sah,  lief  er  in  die  Stadt,  schlug  Larm  und  er- 
schreckte  die  Bevolkerung  in  dem  MaBe,  daB  Sturm  gelautet  wurde. 


ERCOLE  I. 


105 


Die  Einwohner,  die  urn  den  beabsichtigten  Anschlag  der  Ferra- 
resen  wuBten  und  gerustet  waren,  waren  sofort  zur  Stelle,  machteii 
einen  Ausfall  und  zweihundert  Berittene  umgaben  Fiorano  und 
seine  Handvoll  Leute.  Nicht  leicht  war  es  dem  Ferraresen,  seinen 
Angreifern  klar  zu  machen,  daB  ihm  jede  bose  Absicht  fern  sei, 
er  kehre  aus  Rom  heim  und  einige  seiner  Soldaten  und  zwei  Frauen, 
die  zum  Gefolge  gehorten,  hatten  in  S.  Maria  della  Quercia  beten 
wollen.  Zwar  glaubten  die  Manner  aus  Viterbo  kein  Wort  von  alle- 
dem,  aber  sie  liefien  Fiorano  weiterziehen  und  dem  Herzog  melden, 
daB,  was  ihm  anscheinend  gefalle,  auch  ihnen  lieb  ware,  deshalb 
empfehlen  sie  ihm,  seine  phantastischen  Plane  aufzugeben,  da  sie 
ihn  anderenfalls  als  Feind  der  Stadt  behandeln  wiirden. 

Da  es  auf  diese  Weise  nicht  gegliickt  war,  ging  Fiorano  nach 
Rom,  um  mit  Hilfe  des  Kardinals  von  Este  das  Ziel  zu  erreichen, 
das  dem  Herzog  so  sehr  am  Herzen  lag.  Der  Kardinal  wandte  sich 
an  Monsignore  Felino,  den  Sekretar  Alexanders  VI.,  der  sich  der 
Sache  warm  annahm.  Er  veranlaBte  den  Papst  zu  einem  Breve  an 
die  Prioren  der  Stadt  Viterbo,  das  ihnen  die  hochste  Ungnade  an- 
drohte,  wenn  sie  die  Schwester  Lucia  nicht  nach  Ferrara  Ziehen 
liefien.  Auch  dem  Prokurator  der  Dominikaner  wurde  von  Alex- 
ander VI.  empfohlen,  alle  Kindernisse  aus  dem  Wege  zu  raumen. 
Doch  diese  papstlichen  Befehle  niitzten  nichts;  die  Bewohner  er- 
klarten  kurz,  daB  sie  die  Nonne  nicht  herausgeben  wiirden.  Diese 
Widersetzlichkeit  argerte  die  Herren  in  Rom,  und  der  Kardinal 
d'Este  veranlaBte  den  Papst,  den  Prioren  von  Viterbo  mit  dem 
Bann  zu  drohen,wenn  sie  es  wagen  sollten,  Lucia  zuriickzubehalten. 
Aber  mit  der  Bevolkerung  einer  aberglaubischen  Stadt  laBt  es  sich 
nicht  so  leicht  verhandeln;  einige  der  Prioren  kamen  nach  Rom 
und  erklarten  dem  Kardinal,  daB  das  Volk  von  Viterbo  unter  gar 
keinen  Umstanden  die  Nonne  herausgeben  und  mit  Gewalt  gegen 
alle  MaBnahmen  vorgehen  wurde,  um  so  mehr,  da  Lucia  selbst 
in  Viterbo  bleiben  wolle.  So  spitzte  sich  diese  Angelegenheit  immer 
mehr  zu,  besonders  da  Ercole  I.  Brief  auf  Brief  schrieb,  daB  sich  der 
Kardinal  und  der  papstliche  Sekretar  Felino  Sandei  der  Sache  an- 
nehmen  sollten,  ,,sino  alia  desiderata  expeditione".  Ercole  ward 
immer  verbissener;   um  den  Papst  zu  seinen  Gunsten  zu  stimmen, 


I06  fOnftes  kapitel 

schickte  er  ihm  den  jahrlichen  Tribut  aus  Ferrara  und  befahl,  das 
Geld  in  Rom  nicht  zu  sparen,  da  Fiorano  sich  beklagte,  daB  man 
dort  fur  alles  zahlen  miisse,  ,,perch6  ogni  cosa  val  danari  qua". 
Fiorano  brachte  dem  Papst  den  Tribut,  Alexander  empfing  ihn  sehr 
liebenswiirdig,  freute  sich  des  Geldes  und  sagte:  ,,Quantunque 
tardi,  sempre  bene". 

Unterdessen  beschloB  Frate  Timoteo  aus  Modena,  den  Herzog 
zu  uberraschen  und  auf  eigene  Faust  Lucia  aus  Viterbo  zu  stehlen, 
in  der  Annahme,  daB  ihr  Beichtvater  bei  diesem  Plane  helfen 
wiirde.  Aber  der  Monch  verdarb  in  seinem  Eifer  alles,  der  Beicht- 
vater wollte  nichts  mehr  von  diesem  gefahrlichen  Unternehmen 
wissen,  und  der  neue  Anschlag  des  Herzogs  von  Ferrara  sprach 
sich  herum.  Darum  lieB  auch  Ercole  mit  Hilfe  des  ferraresischen 
Inquisitors  den  Bruder  Timoteus  bei  seiner  Riickkehr  ins  Gefangnis 
werfen,  da  er  Schritte  in  seinem  Namen  unternommen  habe,  zu 
denen  er  nicht  ermachtigt  war. 

Lucia  aber  wurde  ungeduldig,  es  verlangte  sie  nach  einer  Ab- 
wechslung,  und  so  verlieB  sie  zusammen  mit  vier  befreundeten 
Nonnen  das  Kloster  und  zog  in  die  Stadt  zu  ihren  Verwandten. 
Sie  erklarte,  daB  sie  unter  gar  keinen  Umstanden  in  Viterbo  bleiben 
wiirde  und  lieber  sterben  wolle,  als  ins  bisherige  Kloster  zuriick- 
kehren;  der  Mutter  und  dem  Onkel  empfahl  sie,  dem  Herzog  zu 
versichern,  daB  sie  in  ihrem  EntschluB,  nach  Ferrara  zu  kommen, 
beharre,  ja  in  einem  sehr  unorthographischen  Brief e  erklarte  sie 
Ercole,  bis  jetzt  sei  sie  zwar  gezwungen  in  Viterbo,  aber  ihr  heiBestes 
Sehnen  sei,  dieses  dumme  Volk  zu  verlassen,  ,,separarsi  da  questo 
populo  ignorante".  Dagegen  wurde  im  Rat  beschlossen,  die  eigen- 
sinnige  Nonne  eher  zu  toten  als  fortzulassen.  Fiorano  gab  jedoch 
in  Rom  die  Hoffnung  nicht  auf,  den  Wunsch  des  Herzogs  zu  er- 
fiillen;  es  reizte  die  Pralaten,  daB  sie  in  Sachen  der  Kirche  nicht 
Festigkeit  und  EinfluB  genug  hatten,  um  sich  ein  elendes  Weib  zu 
sichern,  ,,ad  avere  una  femminuccia".  Doch  wurde  es  dadurch  nicht 
besser;  der  Papst,  des  Kampfes  um  die  Nonne  mude,  erklarte,  das  Volk 
in  Viterbo  nicht  mit  Gewalt  zwingen  zu  wollen,  sie  herauszugeben. 

Unverhofft  gewann  der  Herzog  in  Viterbo  selbst  einen  sehr 
nutzlichen  und  einfluBreichen  Bundesgenossen.  Antonio,  der  dortige 


ERCOLE  I.  107 

Podesta  HeB  insgeheim  Ercole  erklaren,  er  sei  bereit,  dahin  zu 
wirken,  daB  Lucia  in  absehbarer  Zeit  aus  Viterbo  freikame,  voraus- 
gesetzt,  daB  er  Podesta  von  Ferrara  wiirde.  Der  vorsichtige  Wurden- 
trager  bat  jedoch,  daB  Ercole  ihm  das  Dekret  seiner  Ernennung 
mit  der  entsprechenden  Klausel  im  voraus  schicke.  Der  Herzog 
war  bereit  und  HeB  ihm  das  gewiinschte  Papier  ubermitteln.  Nun 
ging  die  Intrige  rasch  ihren  Lauf.  In  einem  Weinberg  hatten 
Lucia  und  ihr  Onkel  aus  Narni  eine  geheime  Zusammenkunft,  es 
wurde  beschlossen,  daB  sie  sich  am  13.  April  bereit  halten  solle,  um 
aus  der  Stadt  entfiihrt  zu  werden.  Die  Verschworung  leitete  derpapst- 
liche  Sekretar,  Felino  Sandei,  der  nach  Viterbo  gekommen  war, 
um  im  Einverstandnis  mit  dem  Podesta  dieVorkehrungen  fur  Lucias 
Flucht  zu  treffen.  Es  ging  auch  alles  glatt  vonstatten.  Die  Nonne 
wurde  unter  Wasche  und  Gemuse  in  einem  Korb  versteckt.  Der 
kostbare  Schatz  wurde  einer  Mauleselin  umgebunden  und  einem 
erkauften  Fiihrer  anvertraut,  der  ihn  in  Narni  im  Hause  von  Lucias 
Mutter  ablieferte.  Als  der  Herzog  erfuhr,  daB  Lucia  in  Narni  sei, 
schickte  er  eine  bewaffnete  Eskorte,  und  so  kam  sie  endlich  nach 
Ferrara.  Vielleicht  war  Frate  Timoteo  am  gliicklichsten  iiber  den 
Ausgang,  der  Herzog  setzte  ihn  in  Freiheit  und  als  Entschadigung 
fur  die  erlittene  Unbill  bekam  er  ein  Zeugnis,  daB  er  sich  im  Ge- 
fangnis  so  gefiihrt,  wie  es  sich  fur  einen  guten  Kleriker  schicke. 

Lucia  wurde,  wie  ihr  von  Ercole  versprochen,  die  Oberin  des 
neuen  Klosters,  sie  HeB  ihren  Beichtvater,  Christopho  da  Viterbo, 
nach  Ferrara  kommen,  aber  gliicklich  war  sie  in  ihrer  neuen  Wiirde 
nicht,  sie  sehnte  sich  sogar,  wie  wir  noch  sehen  werden,  ins  alte 
Kloster  zuruck. 

Ercole  geniigte  der  mystische  Glanz,  der  von  Schwester  Lucia 
iiber  Ferrara  ausging,  nicht,  ihn  verlangte  auch  nach  der  beruhmten 
Schwester  Colomba,  die  von  der  ,,Eucharistie  lebte,  die  ihr  ein  Engel 
vom  Himmel  bringt",  auch  diese  ,,wunderbare"  Frau  gewann  er 
fur  Ferrara.  Ercole  beschaftigte  sich  namentlich  damit,  die  geist- 
lichen  Orden  zu  vergroBern,  und  die  erhaltenen  Rechnungen  zeigen, 
welch  stattliche  Summen  fur  diesen  Zweck  verausgabt  wurden. 
Beinahe  taglich  wurden  aus  der  herzoglichen  Speisekammer 
groBe  Posten  von  Lebensmitteln  in  die   Kloster  geschickt:   Fisch, 


108  FUNFTES  KAPITEL 

Gemiise,  gerauchertes  Fleisch,  Kase,  Konfekt  und  marinierte  Sachen. 
Wahrend  der  Hochzeitsfeierlichkeiten  von  Alfonso  und  Anna  Sforza 
wandten  sich  die  Frati  di  Santo  Spirito  an  die  herzogliche  Ver- 
waltung,  damit  auch  sie  ihren  Karneval  feiern  konnten,  ,,ad  cio 
possiamo  etiam  nui  fare  lo  nostro  carnevale". 

In  schreiendem  MiBverhaltnis  zu  dieser  Freigebigkeit  den 
Klostern  gegenuber  stand  die  Riicksichtslosigkeit,  mit  der  man 
der  wirklichen  Not  im  Volk  begegnete.  Konnten  die  Abgaben  nicht 
entrichtet  werden,  so  pfandete  die  herzogliche  Kammer  selbst 
Bettstelle  und  Kissen.  Am  Tage  von  Isabellas  Trauung  liefi  man  um 
der  allgemeinen  Freude  willen  einen  armen  Teufel  frei,  der  wegen 
riickstandiger  Abgaben  eingesperrt  war;  auch  das  mit  Beschlag 
belegte  Bett  wurde  ihm  wiedergegeben,  aber  nach  den  Festen 
muBte  das  Bett  wieder  ins  fiskalische  Magazin  zuriickwandern. 

Die  Geistlichkeit  stand  bei  Ercole  in  einem  gewissen  aber- 
glaubischen  Ansehen,  namentlich  jene  Menschen,  von  denen  er 
der  t)berzeugung  war,  daB  sie  iibernatiirliche  Gaben  hatten  und 
mit  prophetischem  Geist  begabt  seien.  Auch  die  zwischen  ihm  und 
Savonarola  herrschenden  freundschaftlichen  Beziehungen  sind 
auf  diese  Ehrfurcht  zuruckzufuhren,  obgleich  der  Jiingling  seiner 
Zeit  das  ferraresische  SchloB  mit  Fliichen  und  den  Worten  ver- 
lassen:  ,,Heu  fuge  crudeles  terras,  fuge  litus  avarum."  Damals, 
1472,  schrieb  er  seine  beriihmte  Kanzone  ,,De  ruina  mundi",  aus 
der  am  deutlichsten  seine  Empdrung  iiber  die  Verderbnis  der  dortigen 
Hofkreise  spricht.  ,,Gliicklich,  wer  vom  Raub  lebt  und  sich  von 
fremdem  Blute  nahrt"  — dies  seinUrteil  iiber  die  Welt,  die  ihn  umgab: 

Felice  ormai  chi  vive  di  rapina! 

E  chi  dell'  altrui  sangue  piu  si  pasce. 

Angesichts  dieser  Erinnerungen,  die  der  junge  Savonarola  aus 
Ferrara  mitbrachte,  sind  die  herzlichen  Beziehungen  zwischen  dem 
allvermogenden  Monch  in  Florenz  und  Ercole  um  so  uberraschender. 
Aber  der  Herzog  von  Ferrara  brauchte  Savonarolas  politische 
Unterstiitzung  wiederholt,  iiberdies  wollte  er  sich  das  Wohlwollen 
des  im  Himmel  in  besonderer  Gunst  stehenden  Monches  sichern. 
Eifrig  las  Ercole  jede  neue  Schrift  Savonarolas,  und  als  er  erfuhr, 


ERCOLE  I. 


109 


daB  der  finstere  Dominikaner  sein  ,, Compendium  Revelationum" 
geschrieben,  bemiihte  er  sich,  die  Abhandlung  handschriftlich  zu 
bekommen,  ehe  sie  im  Druck  erschienen  war.  Der  Herzog  stand 
zuletzt  in  dem  MaBe  unter  dem  EinfluB  des  Dominikaners,  daB  er 
1496  Ferrara  in  einen  religidsen  Staat  nach  Savonarolas  Ideal 
umwandeln  wollte.  Mit  groBer  Strenge  ordnete  er  allwochentlich 
ein  zweitagiges  Fasten  fiir  die  Bevolkerung  an,  lieB  zur  Entscheidung 
politischer  Fragen  Prozessionen  veranstalten  und  betrachtete  es 
als  seine  Pflicht,  religiose  Brauche  einzufiihren.  Um  auf  die  Sitt- 
lichkeit  der  Bevolkerung  zu  wirken,  erlieB  er  vom  Balkon  des 
Palazzo  della  Ragione  ein  Edikt,  daB  Gotteslasterungen,  Sodomie, 
auBereheliches  Zusammenleben  und  andere  Ubertretungen  der 
guten  Sitte  hart  bestraft  werden  sollten.  Den  Juden  gegeniiber  ver- 
scharfte  er  die  friiheren  Vorschriften,  er  erinnerte  sie  der  Pflicht, 
ein  gelbes  Zeichen  auf  dem  Mantel  zu  tragen,  zwang  sie,  Predigten 
imDom  beizuwohnen,  und  war  sehr  begliickt,  als  der  eine  nach  solch 
einer  stiirmischen  Kirchenlehre  bat,  zum  Katholizismus  iibertreten 
zu  diirfen. 

Savonarola  war  mit  Ercole  sehr  zufrieden;  als  er  ihm  sein 
Buch  ,,De  simplicitate  Christianae  Vitae"  schickte,  auBerte  er  die 
Hoffnung,  daB  ,,die  darin  enthaltenen  Lehren  dem  Herzog  infolge 
seiner  groBen  Tugenden  unschatzbare  geistige  Vorteile  bringen 
wiirden".  Dem  ferraresischen  Gesandten  erklarte  Savonarola,  daB 
er  Gott  bitte,  er  moge  dem  Herzog  stets  seine  Gnade  zuteil  werden 
lassen.  Ercole  blieb  seiner  Verehrung  fiir  den  Monch  treu,  auch 
als  sein  Stern  schon  im  Sinken  war  und  Rom  ihn  mit  dem  Bann 
belegte.    Er  ergriff  leidenschaftlich  die  Partei  des  Angeklagten  und 

veranlaBte  seinen  Verwandten,  Gian  Francesco  della  Miran- 

dola,  die  Verteidigung    zu  schreiben,  die    gedruckt 

unter  dem  Titel  erschien  ,,Joannis  Francisci 

Pici    Mirandolae    Opusculum   de    sen- 

tentia  excommunicationis  injusta 

pro    Hieronymi    Savone- 

rolae  viri  prophetae 

innocentia". 


SECHSTES  KAPITEL 

MATTEO  MARIA  BOJARDO 


i 

ie  Bojardo  lebten  im  XIV.  Jahrhundert  in  Rubbiera, 
einem  zwischen  Modena  und  Reggio  gelegenen  Gut;  erst 
Niccolo  III.  d'  Este  verlieh  ihnen  das  Bergstadtchen 
Scandiano  nebst  den  dazu  gehorigen  Landereien  an 
Stelle  von  Rubbiera.  Schlecht  fuhren  sie  bei  diesem 
Tausche  nicht,  Scandiano  war  eine  der  groBten  Be- 
sitzungen  im  Ferraresischen.  Der  Chronist  Salimbene,  ein  Franzis- 
kaner  aus  dem  XIII.  Jahrhundert,  erzahlt,  daB  Bonifazio  Bojardo 
bewaffnet  das  Zisterzienserkloster  S.  Prospero  di  Reggio  iiber- 
fallen  habe.  Dem  Kloster  stand  damals  ein  auBerordentlich  geiziger 
Abt  vor,  der  seine  Monche  hungern  lieB.  Daher  emporten  sich  einige 
unter  ihnen,  wollten  den  Geizkragen  los  werden  und  an  seiner 
Stelle  einen  anderen  Abt  wahlen.  Die  Unzufriedenen  setzten  sich  mit 
Bojardo,  ihrem  Nachbar,  ins  Einverstandnis,  er  iiberfiel  im  Jahre 
1286  das  Kloster,  verjagte  den  Abt,  nahm  die  Gelegenheit  wahr 
und  raubte,  was  sich  nur  rauben  lieB.  Kaum  war  Bojardo  fort, 
als  auch  der  Abt  wieder  auf  der  Bildflache  erschien,  vor  die  Kloster- 
pforte  postierte  er  vierzig  ihm  zugetane  Burger  aus  Reggio,  die  das 
Kloster  Tag  und  Nacht  bewachen  sollten.  Aber  der  Geizhals  gab  der 
Wache  nichts  zu  essen,  und  als  sie  hungrig  in  die  Stadt  zogen, 
um  einen  warmen  Bissen  zu  kriegen,  erschien  Bojardo  abermals 
und  half  den  rebellischen  Monchen  bei  der  Wahl  eines  neuen  Abtes. 
Den  Este  war  das  Geschlecht  der  Bojardo  ergeben,  es  hat 
dem  Herzogtum  eine  stattliche  Anzahl  verdienstvoller  Kondottiere, 
Podesta  und    Bischofe   gestellt,    und   Feltrino   Bojardo   gehorte   zu 


MATTEO  MARIA  BOJARDO  III 

Lionellos  literarischem  Kreise.  Fast  bei  alien  groBeren  Gesandt- 
schaften  der  Este  waren  die  Grafen  von  Scandiano  vertreten  und 
galten  als  Zierde  des  Hofes.  Titus  Vespasianus  Strozzis  Schwester 
ward  die  Gattin  Giovanni  Bojardos;  dieser  Ehe  entstammte  im 
Jahre  1434  Matteo  Maria  Bojardo,  Italiens  groBter  Dichter  im 
XV.  Jahrhundert.  Sein  Ritterroman  ,, Orlando  Innamorato"  spiegelt 
den  Geist  hdfischer  Kultur  in  der  Po-Ebene  am  deutlichsten.  Matteo 
Maria  bildete  sich  in  Ferrara  unter  dem  EinfluB  seines  Oheims 
Strozzi,  so  ward  er  ein  tiichtiger  Latinist  und  verbrachte  seine  Jugend 
im  Kreise  ferraresischer  Humanisten.  Seine  Kenntnisse  im  Grie- 
chischen  waren  unbedeutend. 

Scandiano  hatte  damals  zwei  Besitzer:  Matteo  Marias  Vater, 
Giovanni,  und  den  Oheim  Giulio  Ascanio,  der  mit  Cornelia  Taddea 
Pio  aus  Carpi  vermahlt  war.  1452  starb  Giovanni,  da  auch  seine 
Gattin  tot  war  und  Matteo  Maria  erst  achtzehn  Jahre  zahlte,  uber- 
nahm  Giulio  Ascanio  die  Verwaltung  des  gesamten  Vermogens. 
Als  auch  Giulio  Ascanio  zwei  Jahre  darauf  starb,  muBte  Matteo 
Maria  Bojardo  Ferrara  verlassen  und  sich  mit  der  Landwirtschaft 
beschaftigen.  Er  blieb  elf  Jahre  in  Scandiano,  es  war  wohl  die 
gliicklichste  Zeit  seines  Lebens.  Ercole  d'Este,  der  aus  Neapel, 
wo  er  aufgewachsen  war,  nach  Ferrara  zuriickkam,  wurde  1462  zum 
Statthalter  des  Herzogtums  von  Modena  eingesetzt.  In  Modena 
hatte  er  einen  auBerordentlich  glanzenden  Hof,  auch  sein  Bruder 
Sigismondo  d'  Este,  der  in  Reggio  residierte,  versammelte  einen  groBen 
Kreis  um  sich.  An  beiden  Hofen  war  Bojardo  ein  haufig  gesehener 
Gast,  besonders  schloB  er  sich  an  Ercole  an,  der  ihm  sehr  zugetan  war. 

Wahrscheinlich  hat  Bojardo  schon  in  Ferrara  Verse  gemacht, 
aber  erst  in  Scandiano  wurde  er  als  Dichter  beruhmt.  Noch  stand 
er  unter  Strozzis  EinfluB,  daher  begann  er  mit  lateinischen  Nach- 
ahmungen  Vergils  und  mit  ,,Pastoralien",  in  denen  er  Borso  und 
Ercole  pries.  Glucklicherweise  ging  er  weder  im  Lateinischen  noch 
in  hofischen  Schmeicheleien  unter:  der  Neffe  ward  dem  Oheim 
untreu,  verliebte  sich,  und  die  Liebe  war  seine  Rettung. 

Am  4.  April  des  Jahres  1469  gab  es  in  Reggio  Wettrennen  und 
Turniere.  Dabei  lernte  Bojardo  die  achtzehn  jahrige  Antonia  Caprara 
kennen    in    jenem    Augenblick,     ,,wo    die     Liebe     gleich     einem 


112  SECHSTES  KAPITEL 

Gewitterregen  vom  Himmel  fiel,  um  die  Herzen  der  Edlen  zu  erfreuen 
und  siiBe  Flammen  zu  schiiren  ...  als  Frauen  in  festlichen  Ge- 
wandern  sich  durch  Spiel,  Tanz  und  Gesang  verjiingten,  als  man 
iiberall  nur  heiter  Liebende  sah  und  frohlichesVolk  im  FestesgenuB" x) . 

Bojardo  entbrannte  in  einem  Augenblick  des  Rausches  in 
leidenschaftlicher  Liebe.  Fur  die  Italiener  der  Renaissance  bot  eine 
solche  Liebe  den  AnlaB  zu  einem  ganzen  ,,Canzoniere"  oder  we- 
nigstens  zu  einigen  Sonetten.  Bojardo  geniigte  das  Sonett  nicht. 
Sein  Gefiihl  fur  Caprara  hielt  einige  Jahre  an,  er  sang  der  Geliebten 
einen  umfangreichen  ,,Canzoniere",  der  die  ganze  Skala  einer 
heiBen  Leidenschaft  begreift.  HeiBe  Wunsche  wurden  laut,  es  kom- 
men  Augenblicke  des  Gliickes  und  vollstandiger  Gemeinsamkeit, 
dann  das  Weh  der  Enttauschung,  da  Caprara  einen  anderen  liebt,  den 
sie  wohl  geheiratet  hat.  Auch  auBere  Umstande  scheinen  das  Ende 
dieses  schonen  Traumes  herbeigefuhrt  zu  haben.  Mit  Borso  ging 
Bojardo  nach  Rom,  wahrend  dieser  Trennung  scheint  Antonia 
ihr  Herz  einem  andern  geschenkt  zu  haben,  vielleicht  einem 
jiingeren,  da  Bojardo  damals  schon  siebenunddreiBig  Jahre  alt  war. 

Die  italienischen  Kritiker  sind  sich  dariiber  uneinig,  ob  der 
,,Canzoniere"  Caprara  allein  gewidmet  ist  oder  ob  auch  andere 
jugendliche  Liebesabenteuer  Bojardos  darin  besungen  wurden. 
Ich  neige  zu  der  ersten  Annahme,  da  Bojardo  wiederholt  bekennt,  daB 
Caprara  seine  groBte  Liebe  war,  ja  er  sagt  sogar,  daB  nur  zwei  starke 
Gefiihle  ihn  beherrscht  haben:  seine  Anhanglichkeit  an  Ercole 
und  seine  Liebe  fur  Caprara. 

Doe  cose  for  mia  spene  e  sono  ancora: 

Ercule  l'una,  il  mio  Signor  zentile 

L'altra  il  bel  volto  ove  ancor  il  cor  se  posa. 

l)  Piovea  da  tutti  e  cieli  Amore  in  terra 
E  ralegrava   i'  anime  gentili 
Spirando  in  ogni  parte  dolcie  foco 


Le  donne  in  festa,  in  allegrezza,  in  gioco, 

In  danze  peregrine,  in  dolci  canti; 

Per  tutto  leti  amanti 

Zente  lezadre,  e  festigiar  giocondo. 


MATTEO  MARIA  BOJARDO  H3 

Ein  seltsames  Zusammenstellen  von  Empfindungen,  bezeichnend 
genug  fiir  den  Hofling. 

Der  Canzoniere  besteht  aus  Sonetten,  Kanzonen,  Madrigalen 
und  Gedichten  in  anderer  Form,  die  sich  durch  Einfachheit  der 
Sprache  und  Aufrichtigkeit  der  Empfindung  auszeichnen.  An- 
lehnungen  an  Petrarca  kommen  selten  vor,  die  Selbstandigkeit  des 
Verfassers  und  eine  mannliche  Kraft,  frei  von  jeder  Sentimen- 
talitat,  geben  dem  Canzoniere  sein  charakteristisches  Geprage. 
Klar,  deutlich  und  plastisch  spiegelt  sich  jeder  Eindruck  wider,  nichts 
nebelhaft  Verschwommenes,  Unsicheres  in  diesen  Versen.  Uberall 
went  gesunde,  kraftige  Landluft.  Der  Dichter  freut  sich  seiner  Liebe. 

Qualunque  piu  de  amar  fu  schiffo  in  pria, 
E  del  camin  de  Amor  piu  dilungato, 
Cognosca  1*  alegrezza  del  mio  stato, 
E  tornarese  ala  amorosa  via. 

Qualunque  in  terra  ha  piu  quelch'  ei  disia. 
Di  forza,  senno,  e  di  bellezza  ornato; 
Qualunque  sia  nel  mondo  piu  beato, 
Non  se  pareggia  a  la  fortuna  mia. 

Bojardo  bedarf  als  offene,  aufrichtige  Natur  des  Vertrauten 
und  Freundes.  Von  seiner  Liebe  und  seiner  Caprara  muB  er  er- 
zahlen,  und  da  er  wie  jeder  Verliebte  den  Frauen  das  groBte  Ver- 
trauen  entgegenbringt,  gesteht  er  seinen  Kusinen,  Marietta  und 
Ginevra  Strozzi,    all  seine  Freuden  und  Leiden. 

Aber  nicht  Liebe  allein,  alles,  was  schon  und  groB  ist,  erhebt 
seine  Seele,  trifft  seines  Wesens  innersten  Kern.  Als  er  zum  ersten- 
mal  in  Borsos  Gefolge  nach  Rom  kommt,  erfullt  ihn  die  ewige 
Stadt  mit  Entziicken.  Der  gewaltige  Eindruck  findet  seinen  Nieder- 
schlag  im  Gedicht  ,,In  prospectu  Romae",  den  er  gleichfalls  in  den 
Canzoniere  aufgenommen  hat. 

Ecco  1'  alma  citta  che  fu  regina 

Da  1'  unde  Caspe  a  la  terra  Sabea; 

La  triomfal  citta  che  impero  avea 

Dove  il  Sol  se  alza  insin  la  dove  inchina. 


H4  SECHSTES  KAPITEL 

1 471  bestieg  Ercole  Ferraras  Thron,  ein  Jahr  darauf  heiratete 
Bojardo  seinem  Stande  und  seiner  gesellschaftlichen  Stellung 
gemaB.  Die  Erwahlte  war  Taddea  di  Giorgio  aus  dem  Hause  der 
Grafen  von  Gonzaga  in  Novellara,  einer  Seitenlinie  der  in  Mantua 
herrschenden  Gonzaga.  Taddea  hat  nicht  durch  Schonheit  geglanzt, 
sie  hatte  zwar  hiibsche,  aber  sehr  kleine  Augen,  einen  sanften  Ge- 
sichtsausdruck  und  im  iibrigen  war  sie  ,,moribus  et  forma  felix". 
Bojardo  hat  gliicklich  mit  ihr  gelebt,  und  ihr  Haus  war  seiner  Gast- 
lichkeit  und  Wohltatigkeit  wegen  beruhmt.  ,,M6ge  dir  Gott  die 
Bojardo  ins  Haus  schicken,  mit  ihnen  wird  das  Gliick  einkehren." 
„Iddio  ti  mandi  a  casa  i  Boiardi"  hieB  es  in  Scandiano  und  Reggio. 

Trotz  alledem  gab  es  im  Schlosse  zu  Scandiano  Sorgen  genug. 
Nur  zur  Halfte  gehorten  die  Giiter  Matteo  Maria,  der  Besitzer  der 
anderen  Halfte  war  sein  Vetter  Giovanni  Bojardo,  Giulio  Ascanios 
unmiindiger  Sohn.  Im  Namen  des  Knaben  herrschte  seine  Mutter 
Cornelia  Taddea,  die  den  Dichter  und  seine  junge  Frau  offenbar 
gehaBt  hat.  Verwickelungen  aller  Art  haben  den  HaB  geschiirt. 
Cornelia  Taddea  stammte,  wie  erwahnt,  von  den  Pio  aus  Carpi; 
diese  Familie  war  seit  undenklichen  Zeiten  mit  der  Gemeinde  von 
Reggio  im  Streite  wegen  des  Wassers  aus  dem  Kanal  des  Flusses 
Secchia.  Im  Sommer  stand  das  Wasser  sehr  niedrig,  Reggio  wollte 
den  AbfluB  des  Wassers  in  einen  Nebenkanal,  der  nach  Carpi  ging, 
nicht  gestatten,  fur  Carpi  war  aber  das  Wasser  der  Secchia  beinahe 
eine  Lebensfrage.  1473  iiberfielen  plotzlich  etwa  zweihundert 
Manner  aus  Carpi  das  Gebiet  von  Reggio,  schnitten  den  nach  Reggio 
flieBenden  Kanal  ab,  und  lieBen  das  Wasser  in  ihren  Kanal  ein- 
stromen.  Matteo  Maria,  der  sich  den  Traditionen  seines  Geschlechts 
gemaB  fiihlte  als  ,, defensor  et  propugnator  Reipublicae  Reginae", 
riickte  an  der  Spitze  seiner  Leute  aus  und  gab  Reggio  sein  Wasser 
wieder.  Daher  der  Zorn  der  Tante,  die  das  Interesse  ihrer  Familie, 
der  Pio  aus  Carpi,  gewahrt  wissen  wollte.  Die  rachsiichtige  Frau 
beschloB  im  Einverstandnis  mit  ihrem  Bruder,  Marco  Pio,  Bojardo 
zu  vergiften.  Der  Notar  Simone  Boione  aus  Reggio  war  mit  im 
Komplott,  auch  Bojardos  vertrauter  Diener  wurde  gewonnen, 
der  unter  einem  Vorwand  nach  Carpi  ging  und  von  dort  aus  Gift 
mitbrachte.    Diesen  Diener  verlieB  aber  im  entscheidenden  Augen- 


MATTEO  MARIA  BOJARDO  H^ 

blick  der  Mut,  das  Verbrechen  auszufiihren,  er  gestand  seinem  Herrn 
alles  und  zerstorte  den  Anschlag.  Bojardo  bemachtigte  sich  Boiones 
sofort  und  fiihrte  ihn  samt  dem  Zeugen  nach  Ferrara  zum  Herzog. 
Ercole  lieB  das  Gift  untersuchen  und  gleichzeitig  Marco  Pio  aus 
Carpi  gefangen  nehmen.  Da  es  sich  jedoch  um  die  machtige 
Familie  der  Pio  handelte  und  gar  um  Bojardos  Tante,  wurde  die 
ganze  Sache  vertuscht,  nur  Simone  Boione  aus  dem  Ferraresischen 
ausgewiesen,  und  auch  das  fur  nicht  gar  zu  lange  Zeit.  Simones 
Bruder  gehorte  zu  den  Altesten  Reggios,  so  erwirkte  er  ein  Jahr 
darauf  dem  Giftmdrder  die  Riickkehr  ins  Vaterland. 

Der  Dichter  hatte  seinen  Glauben  an  Richter,  Notare  und  an 
Gerechtigkeit  eingebiiBt : 

Attendi  ala  giustizia, 

E  ben  ti  guarda  da  procuratori, 

E  giudizi  e  notai:  che  han  gran  tristizia, 

E  pongono  la  gente  in  molti  errori. 

Stimato  assai  e  quel  ch'ha  piu  malizia, 

E  gli  avvocati  sono  anche  peggiori, 

Che  voltano  le  leggi  a  lor  parere: 

Da  lor  ti  guarda,  e  ferai  tuo  dovere. 

(Orl.  In.  II.  XXVIII,  51.) 

Nach  diesem  Anschlag  auf  sein  Leben  war  ein  weiteres  Zu- 
sammenwirtschaften  mit  der  Tante  in  Scandiano  fast  unmoglich. 
Fur  seine  Halfte  Scandianos  bot  ihm  Ercole  entsprechende  Giiter 
auf  dem  Territorium  von  Ferrara  an,  aber  Matteo  Maria  wollte  sich 
des  Familienbesitzes  nicht  entauBern  und  bat  den  Herzog,  die 
Giiter  zwischen  ihm  und  dem  jungen  Giovanni  Bojardo  zu  teilen. 
Der  Herzog  willigte  ein,  und  1475  wurde  das  Dominium  den  beiden 
Linien  zugesprochen,  wobei  Scandiano  im  Besitze  des  Dichters 
blieb.  Trotzdem  war  der  Aufenthalt  im  elterlichen  Schlosse  Matteo 
verleidet,  er  iibersiedelte  noch  im  gleichen  Jahre  mit  seiner  Familie 
nach  Ferrara,  bewohnte  einen  Palazzo  auf  der  via  Ripa  Grande  bis 
zum  Jahre  1478  und  konnte  in  Ruhe  seiner  Arbeit  nachgehen. 
Wieder  lebte  er  im  Krefse  der  Humanisten,  und  ihrem  Einflusse  ist 
es    wohl    zuzuschreiben,    daB    er    Herodot    und    auch    Xenophons 

8* 


H6  SECHSTES  KAPITEL 

,,Cyropedie"  iibersetzte,  wahrscheinlich  aus  dem  Lateinischen,  da 
seine  Kenntnisse  fur  den  griechischen  Originaltext  nicht  reichten. 
Auch  gab  er  in  gekiirzter  Form  Apulejus  ,,Asino  d'  oro"  heraus. 
Gleichzeitig  begann  er  sein  bedeutendstes  Werk,  den  ,,  Orlando 
Innamorato";  Abschnitte  daraus  las  er  an  Ercoles  Hof  vor. 

1478  entschloB  sich  Bojardo  nach  Scandiano  zuriickzukehren. 
Doch  war  sein  Aufenthalt  von  nur  kurzer  Dauer,  denn  Ercole  er- 
nannte  ihn  1481  zum  ,,Kapitan",  nach  unserer  Terminologie  zum 
Gouverneur  von  Modena;  dort  residierte  er  iiber  zwei  Jahre. 
Die  Verhaltnisse  waren  schwierig,  Bojardo  scheint  nicht  energisch 
genug  gewesen  zu  sein,  urn  die  Parteien  in  Schach  zu  halten,  deshalb 
hieB  es  spater,  daB  Modena  schlecht  regiert  werde,  ,,che  era  male 
conducta".  Auch  der  Herzog  scheint  mit  dem  Dichter  nicht  zu- 
frieden  gewesen  zu  sein,  so  nahm  Bojardo  gegen  Ende  des  Jahres 
1482  mit  Ercoles  Zustimmung  seinen  Abschied.  Roberto  Strozzi 
wurde  an  seiner  Stelle  ernannt.  Bojardo  lebte  in  Scandiano  wieder 
seiner  Poesie. 

Aber  nach  funf  Jahren  trat  er  wieder  in  den  Dienst  der  Regie- 
rung.  Im  Januar  des  Jahres  1487  ernannte  ihn  Ercole  zum  Kapitan 
von  Reggio,  dort  waren  die  Bojardo  beliebt,  und  die  Verhaltnisse 
lagen  einfacher  als  in  Modena.  Bis  zu  seinem  Tode  blieb  der  Dichter 
dort.  Doch  waren  es  fur  ihn  traurige  Tage.  Von  Anbeginn  klagte  er 
dariiber,  daB  er  in  einer  alten  Zitadelle  wohnen  miisse,  in  einem 
diistern  Hause,  ,,una  trista  casa".  In  Reggio  muBte  der  neue  Ka- 
pitan im  Beisein  eines  herzoglichen  Delegierten  schwdren,  indem 
er  die  Hand  aufs  Evangelium  legte,  daB  er  seines  Amtes  walten 
wurde  ohne  Furcht,  ohne  den  Wunsch  sich  zu  bereichern,  ohne 
Vendetta- Geliiste,  und  daB  er  bereit  sei,  fur  die  Macht  und  die 
Ehre  des  Herzogs  sein  Leben  einzusetzen.  Nach  dem  Schwur 
wurde  er  in  die  Sala  del  Consiglio  geleitet,  hier  begruBten  ihn  die 
Anziani  mit  dem  Prior  Bartolommeo  de'  Cartari  an  der  Spitze, 
angesichts  des  versammelten  Volkes.  Bojardo  hielt  bei  diesem 
AnlaB  eine  kurze  Ansprache,  die  einen  sehr  guten  Eindruck  machte 
Er  selbst  fiihlte  sich  in  dieser  neuen  Stellung  gar  nicht  wohl.  Sein 
Gehalt  war  viel  zu  klein,  er  hatte  ein  Einkommen  von  nur  fiinf- 
undsiebzig  Lire  monatlich,  war  gezwungen,  funf  Pferde  und  ebenso- 


MATTEO  MARIA  BOJARDO  117 

viel  Diener  zu  halten,  von  denen  drei  imstande  sein  muBten,  Kriegs- 
dienst  zu  tun,  auBerdem  mufite  er  auch  fur  den  Unterhalt  seines 
Sekretars,  des  Cancelliere  del  Reggimento  sorgen.  Bei  ihm  wurden 
die  Schliissel  der  Stadttore  deponiert,  ihm  unterstanden  die  Tor- 
wachter  und  das  Heer,  das  die  Mauern  Tag  und  Nacht  bewacht, 
auBerdem  standen  die  Besatzungen  der  Schlosser  des  gesamten  Urn- 
kreises  unter  seinem  Kommando.  Er  war  der  Vertreter  des  Kerzogs, 
wachte  iiber  die  offentliche  Ordnung  in  der  Stadt  und  in  dem  zur 
Stadt  gehorigen  Territorium,  mit  ihm  muBten  sich  der  Podesta 
und  die  stadtische  Verwaltung,  die  Anziani,  ins  Einvernehmen 
setzen.  Aber  gemaB  der  herrschenden  Sitte  schickte  der  Herzog 
von  Zeit  zu  Zeit  auBerordentliche  Kommissare  aus  Ferrara,  die  fur 
den  Augenblick  die  hdchste  Gewalt  inne  hatten  und  sich  in  poli- 
tische,  militarische  und  richterliche  Angelegenheiten  einzumischen 
berechtigt  waren.  Es  war  dies  gewissermaBen  eine  Kontrolle  der 
stadtischen  Obrigkeit,  und  die  Kommission  war  sehr  wohl  in  der 
Lage,  ihr  Mandat  zu  miBbrauchen  und  die  Kapitane  zu  qualen. 
Zwei  Mitglieder  der  Kommission,  Beltramino  und  Lodovico  Orsini, 
machten  Bojardo  genug  zu  schaffen.  Wenn  Beltramino,  ein  ferrare- 
sischer  Notar,  erwartet  wurde,  so  war  die  ganze  Stadt  in  Aufruhr, 
die  allerbeste  Wohnung  wurde  fur  ihn  vorbereitet,  ausgestattet 
mit  Mobeln,  die  bei  den  wohlhabenden  Biirgern  zusammengeliehen 
wurden,  denn  man  fiirchtete  ihn  mehr  als  den  Herzog. 

Bojardo,  ein  gerechter,  ritterlicher,  sanfter,  vornehmer  Mensch, 
,,mehr  zum  Dichten,  als  zum  Strafen  geeignet",  muBte  sich  fort- 
wahrend  in  langen  Briefen  vor  dem  Herzog  wegen  der  gegen  ihn 
erhobenen  Vorwurfe  rechtfertigen.  Einmal  wurde  er  verdachtigt, 
daB  er  Rauber  beschiitze,  die  sich  in  seinen  Giitern  in  Scandiano 
verborgen  hatten,  ein  andermal  beklagte  sich  Venedig,  daB  in  Reggio 
eine  Falscherbande  venezianisches  Geld  nachmache.  So  schreibt 
Bojardo  Brief  auf  Brief  an  seinen  Herzog,  befordert  sie  bald  mit  der 
Post,  bald  mit  einem  Boten,  ,,sehr  wichtig",  ,,per  posta,  cito,  cito", 
und  nennt  ihn  seinen  ,,einzigen",  seinen  ,,besten  Herrn",  ,,meo 
unico",  ,,meo  singularissimo  Domino".  Der  Herzog  bleibt  ihm 
auch  gnadig  und  bewahrt  ihm  sein  Vertrauen,  da  er  ihm  wahrend 
des  Krieges  mit  Venedig  auftragt,  einige  Festungen  zu  besichtigen, 


H8  SECHSTES  KAPITEL 

um  den  Bestand  der  Waffen  und  den  Zustand  der  Mauern  zu  priifen. 
Nach  dem  Kriege  erteilt  er  ihm  sogar  das  von  Bojardo  sehr  er- 
wiinschte  Privileg,  in  Scandiano  wahrend  der  Ostertage  zehntagige 
Jahrmarkte  abzuhalten. 

Aber  die  Tage  des  Gliickes  waren  fiir  immer  vorbei.  Seit  1494 
begann  Bojardo  zu  krankeln,  dazu  erlitt  Italien  eine  Niederlage 
nach  der  anderen,  die  er  vielleicht  starker  als  jeder  andere  empfand. 
In  jenem  denkwiirdigen  Jahre  hat  Lodovico  Sforza  Karl  VIII.  nach 
Italien  gerufen.  Ercole  I.,  Sforzas  Schwager,  gestattete  den  Durch  - 
gang  des  franzosischen  Heeres  durch  Reggio  und  versprach,  fiir 
einen  sehr  maBigen  Preis  Sorge  fiir  den  Unterhalt  zu  tragen.  Die 
ganze  Last  des  Durchmarsches  der  Franzosen  fiel  auf  Bojardo. 
Er  klagt  iiber  diesen  Durchmarsch,  schildert  dem  Herzog  das  fran- 
zosische  Heer  eingehend :  die  Leute  seien  zwar  gut  bewaf fnet  und  be- 
ritten,  doch  rmiBten  sie  mit  dem  Teufel  im  Bunde  sein,  so  haufig 
wie  Ercoles  Heer  „ diamante"  rief,  schrien  sie  ,,diable".  Das 
franzosische  Heer  habe  friiher  sogar  eine  Fahne  mit  einem  ge- 
hdrnten  Damon  ,,Demonio  cornuto"  gehabt,  erst  jetzt,  wohl  um  in 
Italien  kein  Argernis  zu  erwecken,  sei  der  heilige  Martin  darauf 
gemalt  worden.  All  das  schmerzte  den  Dichter.  Italiens  Ungliick  be- 
nahm  ihm  die  Lust  zum  Dichten  und  drangte  ihn  doch  wieder  dazu. 
Mit  zerrissener  Seele  gibt  er  seinem  Orlando  den  beriihmten  SchluB: 

Mentre  che  io  canto,  o  Dio  Redentore, 
Vedo  1'  Italia  tutta  a  fiamma  e  foco 
Per  questi  Galli,  che  con  gran  valore 
Vengon,  per  disertar  non  so  che  loco, 
Pero  vi  lascio  in  questo  vano  errore 
Di  Flordespina  ardente  a  poco  a  poco: 
Un'  altra  fiata,  se  mi  fia  concesso, 
Raccontervovi  il  tutto  per  espresso. 

(Ill,  IX,  26.) 

Indes  ich  dieses  sing  —  o  Gott  der  Giite! 
Seh  ich  Italien  rings  in  Flamm  und  Brand 
Durch  diese  Gallier,  deren  Kriegsgewiite 
Verheeren  will,  ich  weiB  nicht  welches  Land. 


MATTEO  MARIA  BOJARDO  H9 

Drum  laB  ich  Flordespinen,  die  ergliihte 
Von  eitler  Liebe,  nach  und  nach  entbrannt. 
Ein  andermal  —  begiinstigt  Gott  mein  Streben  — 
Hoff  ich  von  allem  Euch  Bericht  zu  geben. 

Das  Schicksal  seiner  Heldin  konnte  er  nicht  weiter  besingen. 
Er  war  den  ganzen  Herbst  schwer  krank,  ,,graviter  aegrotans", 
und  starb  am  19.  Dezember  1494. 


II 

Zwischen  1475  und  1478,  wahrend  seines  Aufenthaltes  in  Ferrara, 
schrieb  Bojardo  die  beiden  ersten  Biicher  seines  Ritterromanes 
,, Orlando  Innamorato".  Die  hofische  Atmosphare  hat  ihn  sicher- 
lich  mit  beeinfluBt.  Damals  wie  heute  war  der  Roman  eine  der 
beliebtesten  literarischen  Formen,  deren  man  sich  bediente,  um 
zu  einem  groBen  Leserkreis  zu  sprechen,  zu  Hoflingen,  schonen 
Frauen,  tapfern  Rittern:  ,,signori  e  dame  e  bella  baronia".  Noch 
iiber  das  XVI.  Jahrhundert  hinaus  beherrschen  Italien  Erzahlungen 
aus  dem  Sagenkreis  Karls  des  GroBen,  aus  Kdnig  Artus'  Tafelrunde 
und  dem  bretonischen  Zyklus.  Diese  Themen,  in  verschiedenster 
Weise  bearbeitet  und  mit  den  seltsamsten  Zutaten  ausgeschmiickt, 
lebten  im  Munde  der  StraBensanger,  die  sie  dem  Geschmack,  den 
Anspriichen  und  der  Phantasie  ihrer  Horer  anpaBten.  Um  die 
Wende  des  XV.  Jahrhunderts  hatte  Italien  seinen  beruhmten 
maestro  di  canto,  Andrea  dei  Magnabotti,  aus  Barberino  im  Val 
d'Elsa,  eine  Art  Alexander  Dumas.  Von  ihm  stammen  die  beruhm- 
testen  Ritterromane  ,,Reali  di  Francia"  und  ,,Guerino  il  Meschino", 
die  Jahrhunderte  iiberdauert  und  bis  auf  den  heutigen  Tag  ihre  Leser 
haben,  ahnlich  wie  ,,Der  Graf  von  Monte  Christo"  und  ,,Die  drei 
Musketiere".  In  den  ,,Reali  di  Francia"  leitet  dieser  siidliche  Barde 
in  phantastischer  Weise  die  Abstammung  der  frankischen  Konige 
von  den  Romern  ab,  berichtet  von  ihren  ritterlichen  Taten  bis  zu 
Karl  dem  GroBen,  indem  er  die  franzosische  Literatur  aufs  grau- 
samste  pliindert.     Seine  Geschichte  von  Guerino,  dem  angeblichen 


120  SECHSTES  KAPITEL 

Sohn  Milons  von  Tarent,  zeichnet  sich  durch  eine  besonders  kiihne 
Phantasie  aus.  Als  Milon  seinen  Thron  verloren  und  von  Feinden 
ins  Gefangnis  geworfen  wurde,  rettete  die  Amme  seinen  kleinen 
Sohn  und  nahm  sich  des  Kindes  an.  Aber  die  Korsaren  raubten 
und  verkauften  ihn  als  Sklaven  nach  Konstantinopel.  Hier  erwarb 
er  sich  die  Gunst  des  byzantinischen  Kaisers  und  ward  zu  einem 
im  ganzen  Osten  beriihmten  Ritter.  Schrankenlos  war  sein  Mut, 
er  befreite  Griechenland  vom  Joche  der  Tiirken,  und  auf  der  Suche 
nach  seinem  gefangenen  Vater  kam  er  in  die  verschiedensten 
Lander  und  gab  iiberall  Proben  seiner  Tapferkeit.  Er  bekampfte 
die  Araber  und  riistete  sogar  zu  einer  Reise  nach  Sonne  und  Mond, 
um  Apoll  und  Diana  zu  befragen.  Nachdem  er  dies  Abenteuer 
bestanden,  ging  er  nach  Irland,  um  einen  beruhmten,  wunder- 
tatigen  Ort,  das  Purgatorium  des  heiligen  Patricius  aufzusuchen. 
Nach  einer  dreiBig  Jahre  wahrenden  Wanderschaft,  nach  Nach- 
forschungen  mannigfachster  Art,  bei  denen  er  sogar  bis  in  die  Holle 
gedrungen,  fand  er  seinen  Vater  und  gab  ihm  die  so  lange  entbehrte 
Freiheit  wieder. 

Dieser  Art  waren  die  Geschichten  der  Cantastorie,  Abenteuer, 
die  in  nur  sehr  losem  Zusammenhange  standen,  ohne  jede  kiinst- 
lerische  Form.  In  den  Romanen  des  XV.  Jahrhunderts  spielen 
namentlich  zwei  Geschlechter  eine  groBe  Rolle:  die  Chiaramonti 
und  die  Maganzesi;  der  ersten  Familie  entstammen  die  tapferen, 
groBmiitigen  Helden,  wahrend  jeder  Maganzese  ein  Feigling, 
Betriiger  und  Lump  ist  und  das  komische  Element  im  Roman 
reprasentiert.  Diese  Romane  wurden  im  XIV.  und  XV.  Jahr- 
hundert  zumeist  in  Stanzen  geschrieben,  doch  war  der  nicht  durch- 
gefeilte  Vers  fast  barbarisch  in  seiner  Form.  Erst  Luigi  Pulci,  der 
Florentiner  (geb.  1432),  gab  diesen  Romanen  gewissermaBen  die 
literarische  Weihe.  In  seiner  Dichtung  ,,11  Morgante",  die  1481 
erschien,  beniitzte  er  zum  groBten  Teil  den  Roman  ,, Orlando" 
eines  unbekannten  Verfassers,  den  die  StraBensanger  dem  Volke 
sangen.  In  diesem  Roman  iiberwogen  Episoden  aus  Karls  des 
GroBen  Sagenkreis,  die  am  meisten  zur  Phantasie  des  Volkes 
sprachen.  Die  Helden  sind  grausam  und  wild,  der  Begriff  ritter- 
licher   Ehre   fehlt  noch.      Kriege,    Heldentaten,    Kampfe   mit  den 


MATTEO  MARIA  BOJARDO  I2i 

Unglaubigen  —  bilden  den  Hauptinhalt.  Pulci  schrieb  fiir  die  Floren- 
tiner  Burger,  nicht  fiir  Hofe  und  Ritter,  deshalb  lag  ihm  dieses 
Thema  naher  als  die  Gestalten  aus  Konig  Artus'  Kreis,  die  damals 
in  den  franzosischen  und  norditalienischen  Romanen  dem  Ideal 
fahrender  Ritter  immer  ahnlicher  wurden.  Ja,  Pulci  entging  das 
Lacherliche  dieses  Rittertums  nicht,  er  trieb  seinen  Spott  mit  Lanci- 
lottos  edlen  Nachkommen,  und  sein  Morgante  ward  so  gewisser- 
maBen  zum  Vorlaufer  Don  Quichottes  und  Sancho  Pansas.  Wenn 
der  Riese  Morgante  und  sein  Gefahrte,  der  Riese  Margutto,  die 
gefesselte  Prinzessin  befreien,  so  glaubt  man  schon  den  spanischen 
irrenden  Ritter  mit  seinem  Knappen  zu  sehen: 

Disse  Morgante:  amedue  siam  giganti, 
Da  te  a  me  vantaggio  veggo  poco: 
Koi  andiam  pel  mondo  cavalieri  erranti 
Per  amor  combattendo  in  ogni  loco. 

(XIX,  37.) 

Jener  Margutto  ist  eine  die  Volksphantasie  fesselnde  Gestalt: 
ein  verschlagener  Halunke,  der  sich  zu  den  sieben  Todsiinden 
bekennt  und  sich  freut,  wenn  es  ihm  gelungen,  jemand  geschickt 
zu  bestehlen  oder  zu  betriigen,  dabei  ist  er  gelegentlich  ganz  gut- 
miitig.  Beide  sind  gefrafiig  wie  Rabelais'  Gargantua.  Auf  einen 
Satz  verschlingt  Morgante  einen  Biiffel,  ein  Einhorn,  einen  Basi- 
lisken,  ein  Kamel  und  einen  Elefanten,  eine  zersplitterte  Fichte  be- 
niitzt  er  als  Zahnstocher;  er  ist  so  stark,  daB  er  Mauern  mit  seiner 
Faust  zertrummert,  ein  eisernes  Tor  als  Schild  beniitzt,  und  wenn  er 
auf  dem  Schiffe  stramm  auf  dem  Verdeck  steht,  kann  er  im  Not- 
fall  als  Mast  dienen.  Margutto  stirbt  den  Tod  eines  VielfraBes: 
nachdem  er  sich  vollgefressen,  sieht  er  einen  Affen,  der  in  seine 
gelben  Stiefel  fahrt  —  er  lacht  aus  Leibeskraften  und  platzt. 

Fiir  die  Markgrafen  und  Damen  des  estensischen  Hofes  war 
ein  solcher  Roman  zu  wild  und  urwiichsig,  zu  wenig  knupfte  er  an 
die  glorreiche  Vergangenheit  der  groBen  Geschlechter,  zu  niedrig 
stellte  er  die  Frau  und  die  Liebe,  zu  wenig  wurden  schone  Konigs- 
tochter  und  ritterliche  Heldentaten  gefeiert.  Solchen  Wiinschen 
entsprach   Matteo  Bojardo  schon  besser,  er,  der  Dichter,  der  am 


I22  SECHSTES  KAPITEL 

Hofe  in  ritterlichen  Traditionen  groB  geworden,  von  den  Gesangen 
der  Troubadours  gewiegt.  Er  begann  seinen  Roman  etwas  spater 
als  Pulci  seinen  Morgante,  aber  ganz  unabhangig  vom  Florentiner. 
Bojardos  Phantasie  standen,  wie  dem  estensischen  Hofe,  die 
Gestalten  des  bretonischen  Sagenkreises,  die  Helden  von  Konig 
Artus'  Tafelrunde  naher  als  die  wilden  Recken  aus  Karls  des 
GroBen  Umkreis.  Der  Hof  des  groBen  Kaisers  verschloB  der 
Liebe  seine  Pforten,  seine  Ideale  waren  nur  Glauben  und 
Vaterland : 

Perche  tenne  ad  Amor  chiuse  le  porte 
E  sol  si  dette  alle  battaglie  sante. 

(Orl.  In.  II.  XVIII,  2.) 

Je  verfeinerter  Sitten  und  Brauche  wurden,  desto  mehr  erwarb 
die  Liebe  sich  Heimatrecht  in  der  Literatur.  Der  bretonische  Zyklus 
siegte.  Das  Eindringen  des  Liebeselementes  und  des  Abenteuers 
in  den  Kreis  Karls  des  GroBen  begann  in  Frankreich  eher  als  in 
Italien,  was  sich  an  franzosischen  Romanen  aus  dem  Ende  des 
XII.  Jahrhunderts  wie  ,,Huon  de  Bordeaux"  oder  ,,  Jehan  de  Lanson" 
beobachten  laBt. 

Zwei  Elemente,  zwei  Zyklen,  die  Jahrhunderte  hindurch  die 
Phantasie  der  nordlichen  und  sudlichen  Volker  beschaftigt  haben, 
begannen  sich  gegenseitig  zu  durchdringen,  eine  organische  Ein- 
heit  zu  bilden.  Seltsam  genug,  die  Liebe  als  allgewaltige  Herr- 
scherin  im  Ritterroman  hat  ihren  Ursprung  im  Norden,  in  Konig 
Artus'  Kreis,  nicht  im  Siiden.  Das  Ideal  der  spateren  Ritterschaft 
ist  Tristan,  sein  Leitstern  die  Liebe,  seine  Waffen  Mut,  Kiihnheit 
und  Frauenverehrung.  Die  Welt,  in  der  Matteo  lebte,  hat  die 
Tugend  der  Keuschheit,  die  den  friiheren  Roland  zierte,  nicht 
begriffen;  Bojardo  wahlt  ihn  zwar  zu  seinem  Helden,  doch  der 
treue  Kampe  Karls  des  GroBen,  der  Streiter  des  bedrohten  Christen- 
tums,  schmachtet  in  Liebesfesseln. 

Bojardo  nennt  sein  Gedicht  den  ,,Verliebten  Roland",  ,, Orlando 
Innamorato",  und  fiihlt  sich  gewissermaBen  verpflichtet,  sich  vor  sei- 
nen Lesern  zu  rechtfertigen,  weil  er  sich  dem  bretonischen  Kreise  zu- 
gewandt  und  Roland  zum  Liebeshelden  gemacht  hat.    Aus  der  Bretagne 


MATTEO  MARIA  BOJARDO  123 

holt  er  den  Inhalt  seines   Gedichtes,  denn  dort  ist  der  Ursprung 
des  Liebeskultus,  dort  leben  Ritter,  die  die  Ehre  der  Frauen  schiitzen : 

Fu  gloriosa  Bretagna  la  grande 
Una  stagion  per  1'  arme  e  per  1'  amore, 
Onde  ancor  oggi  il  nome  suo  ai  spande 
Si  che  al  re  Artuse  fa  portare  onore, 
Quando  i  buon  cavalieri  a  quelle  bande 
Mostrarno  in  piu  battaglie  il  suo  valore, 
Andando  con  lor  dama  in  avventura 
Ed  or  sua  fama  al  nostro  tempo  dura. 

(Orl.  In.  II.  XVIII,  1.) 

DaB  er  vom  „Verliebten"  Roland  erzahlt,  ist  nur  selbstverstand- 
lich.  Turpin,  jener  Chronist  und  Bischof,  der  von  Karls  des  GroBen 
Heldentaten  berichtet,  verschweigt  Rolands  Liebesgeschichten,  „um 
seiner  Ehre  nicht  Abbruch  zu  tun".  Aber  selbst  diese  Ritter  ver- 
mogen  sich  der  Liebe  nicht  zu  erwehren,  jeden  zieht  sie  in  ihren 
Taumel,  jung  und  alt,  vornehm  und  gering,  gegen  den  Tod  und 
gegen  die  Liebe  ist  kein  Kraut  gewachsen. 

Gioveni  e  vecchi  vanno  alia  sua  danza, 
La  bassa  plebe  col  signore  altiero: 
Non  ha  rimedio  amor  e  non  la  morte; 
Ciascun  prende  ogni  gente,  e  d'ogni  sorte. 

(Orl.  In.  I.  XXVIII,  2.) 

Im  ,,Verliebten  Roland"  wiirde  man  vergebens  naoh  einer  ein- 
heitlichen  Handlung,  die  einem  bestimmten  Ziele  zustrebt,  suchen. 
Es  ist  ein  Bukett  seltsamer  Kriegs-  und  Liebesgeschichten.  Liebe 
ist  die  Triebfeder,  die  die  phantastischen  Gestalten  dieser  erdachten 
Welt  bewegt,  und  wenn  der  Dichter  auch  seine  Helden  aus  alten, 
verstaubten  Rittergeschichten  holt,  das  Gefiihl,  das  sie  eint  und 
bindet,  quillt  aus  seinem  eigenen  Herzen,  aus  der  Erinnerung  an 
seine  erste  starke  Leidenschaft.  Nicht  wendet  er  sich  nach  Hem 
Vorbild  antiker  Schriftsteller  an  die  olympischen  Gotter  um  Bei- 
stand,  aber  die  Heldin  seiner  Jugendtraume,  Caprara,  beschwort 
er,    seine    Begeisterung    anzufachen.        ,,Licht    meiner    Augen'% 


I24  SECHSTES  KAPITEL 

ruft  er,  ,,Leben  meines  Herzens,  dem  ich  einst  anmutige  Reime 
gesungen  und  schone  Liebeslieder  gedichtet,  begeistere  mich,  daB 
ich  die  Geschichte  kiinde": 

Luce  degli  occhi  miei,  spirito  del  core, 
Per  cui  cantar  solea  si  dolcemente 
Rime  leggiadre  e  bei  versi  d'  amore 
Spirami  aiuto  alia  storia  presente. 

(Orl.In.  II.  IV,  i.) 

Die  Heldin,  der  dieses  UbermaB  von  Empfinden  gilt,  ist  in  Bo- 
jardos  Dichtung  Angelika,  die  Tochter  Galafrones,  des  Konigs 
der  Tataren;  am  Hofe  Karls  des  GroBen,  und  wo  immer  sie  auf- 
taucht,  erobert  sie  alle  Herzen  im  Sturm.  So  wird  hier  zum  ersten- 
mal  die  Frau  zur  wichtigsten  Gestalt  des  Ritterromanes. 

Im  Mai  ,,a  la  Pas  qua  rosata"  hat  Karl  der  GroBe  die  gesamte 
Ritterschaft  zu  einem  groBen  Turnier  nach  Paris  berufen.  Christen 
und  Unglaubige  kamen  in  Scharen.  Der  machtige  Monarch  saB 
auf  seinem  goldenen  Throne,  um  ihn  tafeln  zweiundzwanzig- 
tausenddreiBig  Gaste:  die  Christen  an  den  Tischen,  die  Sarazenen, 
die  Heiden,  wie  Hunde  am  Boden  auf  Teppichen.  Wahrend  des 
Mahles  betritt  den  Saal  eine  Jungfrau  von  wunderbarer  Schonheit, 
,,wie  der  Morgenstern,  wie  die  Lilie  im  Garten,  wie  die  Rose  im  Hain": 

La  qual  sembrava  mattutina  stella 
E  giglio  d'  orto  e  rosa  de  verzieri. 

(Orl.In.  I,  21.) 

Vier  gewaltige  Recken  und  ein  junger  Ritter  in  kostbarer 
Riistung  begleiten  sie.  Angelika  stellt  den  Ritter  dem  Kaiser  als 
ihren  Bruder,  Uberto  del  Lione,  vor  und  bittet,  daB  er  am  Turnier 
teilnehmen  diirfe.    Der  Sieger  wiirde  zum  Lohn  ihre  Hand  erhalten. 

Die  ganze  Ritterschaft  entbrennt  vor  Verlangen,  die  schone 
Frau  zu  besitzen.  Ferragu,  ein  wilder  Sarazene,  springt  als  erster 
auf,  ihm  folgen  die  Paladine,  der  feurige  Rinaldo  und  Roland, 
sein  Verwandter,  der  Neffe  Karls  des  GroBen,  der  erste  Ritter  der 
Christenheit,  und  viele  andere.  Das  Los  entscheidet,  in  welcher 
Folge  sie  in  die  Schranken  treten  diirfen.     Ferragu  ist  der  gliick- 


MATTEO  MARIA  BOJARDO  125 

lichste,  als  erster  soil  er  mit  dem  fremden  Ritter  kampfen;  Roland 
ist  leider  erst  der  dreiBigste.  Aber  Ferragu  wird  bezwungen,  denn  er 
hat  einen  uniiberwindlichen  Gegner  vor  sich.  Der  Zauberer  Malagise 
entdeckt  das  Geheimnis  des  fremden  Paares.  Angelika  ist  Galafrones 
Tochter,  des  Konigs  der  Tataren  auf  Catajo,  und  ihr  Bruder  heiBt 
Argalia.  Im  Auftrag  ihres  Vaters  sind  sie  nach  Frankreich  ge- 
kommen,  um  Karls  des  GroBen  kiihnste  Ritter  in  den  Osten  zu  ent- 
fuhren  und  dem  Kaisertum  seine  starkste  Stiitze  zu  nehmen.  Argalia 
kampft  mit  verzauberten  Waff  en,  Angelika  besitzt  einen  Ring, 
der  sie  im  Notfall  unsichtbar  macht.  Der  schwarzhaarige  Ferragu 
miBfallt  Angelika,  denn  die  launische  Konigstochter  liebt  die 
Blonden.  Ohne  den  Ausgang  des  Kampfes  abzuwarten,  entzieht 
sie  sich  vermoge  ihres  Ringes  den  Blicken  der  Ritter,  besteigt  ihr 
RoB  und  zieht  heimwarts  in  den  Osten.  Ihren  Spuren  folgen  Ferragu, 
Roland  und  Rinaldo;  der  Weg  fiihrt  durch  den  Ardenner  Wald. 
Dort  stillt  die  mude  Angelika  ihren  Durst  an  einer  Quelle,  die  die 
Liebe  anfacht,  wahrend  sich  Rinaldo  an  einer  andern  Quelle  starkt, 
die  die  Liebe  loscht.  Angelika  verliebt  sich  in  Rinaldo,  doch  sein 
Feuer  fur  sie  erkaltet.  Roland  dagegen  brennt  wie  ein  Vulkan  fur 
Angelika,  er  jagt  ihr  nach,  besteht  die  seltsamsten  Abenteuer, 
erreicht  sie  endlich,  findet  sie  schlafend  am  Flusse,  und  wahrend  er 
die  Schlafende  bewundert,  sieht  er  den  heransturmenden  Ferragu. 
Ein  furchtbarer  Zweikampf  beginnt,  doch  wahrend  des  Kampfes 
erfahrt  der  Sarazene,  seine  Herrschaft  in  Spanien  sei  bedroht,  der 
indische  Konig  Gradasso  am  Ufer  der  Halbinsel  gelandet,  das 
Reich  Karls  des  GroBen  in  Gefahr,  Valencia  eingeaschert,  Aragon 
zerstort,  Barcelona  belagert.  Als  treuer  Vasall  kehrt  Ferragu  auf 
schnellstem  Wege  in  die  Heimat  zuriick,  der  verliebte  Roland 
jedoch  laBt  nicht  ab  in  seiner  Verfolgung  der  tatarischen  Konigs- 
tochter. Auch  Rinaldo  kehrt  nach  verschiedenen  Abenteuern 
nach  Frankreich  zuriick,  um  sich  an  die  Spitze  von  Karls  Heer 
zu  stellen. 

Seltsame  Verwicklungen,  eigenartige  Zufalle  spielen  sich  nun 
im  fernen  Osten  ab;  irrende  Ritter,  verlassene,  hilfesuchende  Frauen 
Ziehen  am  Leser  vorbei.  Eine  der  interessantesten  Gestalten  ist 
der  tatarische  Konig  Agricano,  der  naturlich  gleichfalls  in  heiBer 


126  SECHSTES  KAPITEL 

Liebe  fur  Angelika  entbrannt  ist;  er  will  sie  mit  Gewalt  gewinnen 
und  belagert  die  Festung  Albracca,  in  die  sich  die  verfolgte  Jungfrau 
vor  ihm  gefliichtet  hat.  Zu  ihrem  Verteidiger  erwahlt  Angelika 
Roland,  der  rettungslos  in  ihren  Schlingen  zappelt.  Der  nachtliche 
Zweikampf  zwischen  Agricano  und  Roland  ist  vielleicht  die  schonste 
Episode  des  Romans.  Angelika  liebt  Rinaldo,  sehnt  sich  nach  ihm 
und  beschlieBt,  nach  Frankreich  zu  gehen,  um  ihn  wiederzusehen. 
Der  naive  Roland  begleitet,  schiitzt,  verteidigt  sie  in  alien  Gefahren, 
kampft  fur  ihre  Ehre.  Wieder  fiihrt  uns  der  Dichter  in  den  Ardenner 
Wald  und  laBt  Angelika  und  Rinaldo  abermals  aus  den  Zauber- 
quellen  trinken,  aber  diesmal  starkt  Angelika  sich  am  Quell  des 
Vergessens,  Rinaldo  am  Liebesquell.  So  wird  Rinaldo  Rolands 
leidenschaftlicher  Rivale;  die  Paladine,  die  dem  Geschlecht,  dessen 
Stammvater  der  trojanische  Hektor  ist,  angehoren,  werden  er- 
bitterte  Feinde.  Da  Karl  der  GroBe  seiner  beiden  tapfersten  Ritter 
nicht  entraten  will,  ersinnt  er  einen  Ausweg :  dem  Sieger  im  Kampf 
mit  den  Sarazenen  verspricht  er  Angelikas  Hand.  Mit  diesem 
Schicksalsspruch  des  groBen  Kaisers  bricht  Bojardo  seine  Erzahlung 
ab;  hier  hat  Ariost  spater  mit  seinem  Rasenden  Roland  eingesetzt. 

Am  meisten  weichen  in  Bojardos  Dichtung  von  den  fruheren  fran- 
zosischen  Romanen  ab  Roland  selbst  und  die  vielen  neuen  Frauen- 
gestalten,  die  die  Erzahlung  beherrschen.  Dieser  veranderte  Roland  ist 
das  Symbol  des  veranderten  Rittertums  um  die  Wende  zwischen  dem 
XIV.  und  XV.  Jahrhundert.  Es  ist  nicht  langer  jener  starke  Held, 
der  bereit  ist,  sein  Vaterland  Frankreich  und  den  Kaiser  zu  schutzen, 
der  im  EngpaB  von  Roncesvalles  mit  seiner  letzten  Kraft  Karls 
Durchgang  von  Spanien  nach  Frankreich  verteidigt.  Nicht  jener 
Roland,  der  die  Liebe  nur  als  weibische  Schwache  und  Krankheit 
estimiert  und  keusch  lebt,  sondern  ein  liebestoller  Ritter,  der  Gott 
anfleht,  die  heiligen  heimatlichen  Standarten,  Frankreichs  goldene 
Lilien  zu  zerstoren,  Karl  den  GroBen  und  sein  Heer  zu  vernichten, 
denn  nur  auf  Frankreichs  Trummern  und  den  Leichen  seines  er- 
lauchten  Geschlechtes  kann  Angelika  sein  werden.  Der  groBe 
Roland  ist  klein  geworden  —  aus   dem  Helden  der  irrende  Ritter. 

Aber  er  ist  auch  nicht  der  hofische  liebenswiirdige,  galante 
Frauenverehrer   und    Ritter   des   estensischen    Hofes,    sondern   ein 


MATTEO  MARIA  BOJARDO  127 

ziigelloser  Held  des  Lagers,  aus  dessen  Herz  Flammen  schlagen, 
ein  unverdorbenes,  seltsam  naives  Kind,  das  nichts  von  Frauenlisten 
ahnt.  Im  Zorn  zittern  seine  Lippen,  und  sein  Mund  spriiht  Feuer; 
nach  dem  Zweikampf  mit  Rinaldo  erregen  seine  haBverzerrten 
Ziige,  selbst  da  er  schlaft,  noch  Grausen. 

Frauen  gegeniiber,  und  namentlich,  wenn  es  eine  so  raffinierte 
Kokette  ist  wie  Angelika,  ist  er  schiichtern,  ungeschickt  und  begeht 
eine  Albernheit  nach  der  andern.  Nach  seiner  Riickkehr  aus  dem 
Gefangnis  in  Dragontino  lost  ihm  Angelika  selbst  den  Panzer, 
richtet  ihm  das  Bad,  salbt  seinen  Korper,  kiiBt  ihn  voller  Zartlich- 
keit,  Roland  ist  beschamt,  schiichtern,  beherrscht  seine  Leiden- 
schaft  —  und  geht  zu  Bett.  In  Angelikas  Handen  ist  er  nichts  als 
ein  gutwilliges  Werkzeug  ihrer  Eitelkeit  und  ihrer  egoistischen 
Plane. 

Und  doch  ist  dieser  Roland,  der  sich  selbst  seiner  Liebe  wundert, 
trotz  seiner  Naivitat  und  brutalen  Kraft  schon  ein  Renaissance- 
Mensch,  der  absolut  ,,fortschrittliche"  Begriffe  von  ritterlichen 
Tugenden  hat.  Sehr  bezeichnend  dafiir  ist  seine  Unterhaltung 
mit  Agricano,  der  behauptet,  es  sei  eines  Ritters  unwiirdig,  sich 
mit  Wissenschaften  abzugeben.  Der  tatarische  Konig  berichtet, 
er  habe  in  seiner  Jugend  seinem  Lehrer  den  Kopf  zerspalten  und  sich 
auf  diese  Weise  der  Zudringlichen  entledigt,  die  ihm  die  Kunst  des 
Schreibens  und  Lesens  beibringen  wollten.  Ein  Ritter  miisse  reiten, 
jagen,  fechten,  aber  es  stehe  ihm  schlecht,  iiber  Buchern  zu  bruten: 

Ne  mi  par  che  convenga  a  gentilezza 
Star  tutto  il  giorno  ne'  libri  a  pensare. 

(Orl.  In.  I.  XVIII,  43.) 

Roland  dagegen  erklart  zu  unserer  groBen  Uberraschung, 
Wissen  schmiicke  den  Ritter  wie  die  Blume  die  Wiese,  Wissen 
allein  erhebe  Herz  und  Sinn  zum  Schopfer  aller  Dinge,  und  wer  es 
verachte,  gleiche  einem  Stein,  einem  Stuck  Holz,  einem  Ochsen. 

Ed  e  simile  a  un  bove,  a  un  sasso,  a  un  legno, 
Chi  non  pensa  a  1'  eterno  creatore ; 
Ne  ben  si  pud  pensar,  senza  dottrina. 

(Ibid.  44-) 


128  SECHSTES  KAPITEL 

Trotz  dieses  neuzeitlichen  Anstriches  ist  Roland  von  italienischer 
Kultur  ganzlich  unberiihrt.  Er  sieht  furchtbar  aus;  schielt  auf 
einem  Auge,  seine  dichten,  gestraubten  Brauen  starren  wie  bei 
einem  Luchs;  im  Schlafe  schnarcht  er,  daB  die  Mauern  zittern, 
benagt  seine  Nagel  mit  den  Zahnen,  und  sein  Geruch  verrat  ihn 
schon  von  weitem.  Was  Wunder,  dafi  die  schone,  leichte,  launische 
Angelika  sich  nicht  in  ihn  verlieben  kann? 

In  Angelika  personifiziert  Bojardo  eine  jener  koketten,  verdor- 
benen  Salonldwinnen,  wie  er  sie  an  italienischen  Hofen  haufig 
genug  gesehen  haben  wird.  In  der  Schilderung  ihres  Charakters 
racht  er  sich  fur  Capraras  Untreue,  die  ihm  ihr  ganzes  Geschlecht 
verleidet  hat.  Von  der  Treue  der  Frau  hat  er  einen  sehr  schlechten 
Begriff,  er  glaubt,  daB  ihre  Liebe  kaum  einen  Tag  wahre. 

Io  non  credo  apena, 

Che  un  giorno  intiero  amore  in  donna  dura 

heiBt  es  in  einer  seiner  Kanzonen. 

Das  Bild,  das  er  von  Angelika  entwirft,  entspricht  ihrem  Cha- 
rakter  vollkommen: 

Candido  ha  il  viso  e  la  bocca  vermiglia, 

Suave  guardatura  et  affalata, 

Tal  che  ciascun  mirando  il  cor  gl'  impiglia 

La  chioma  bionda  al  capo  rivoltata, 

Un  parlar  tanto  dolce  e  mansueto 

Ch'  ogni  triste  pensier  tornava  lieto. 

(Orl.  In.  I.  XXVII,  60.) 

Trotz  ihrer  siiBen,  einnehmenden  Blicke  schickt  Angelika 
Roland  im  Augenblicke,  wo  sie  ihn  nicht  mehr  braucht,  zur  Zauberin 
Morgana,  in  der  Hoffnung,  daB  er  dort  seinen  Tod  finden  wird. 

Angelikas  Gegenstiick  im  Gedicht  ist  die  Konigin  Marfisa,  eine 
heldische,  schone,  kiihne,  mutige,  stolze  Frau,  kraftig  wie  ein  Mann, 
ein  Typus,  wie  man  ihn  bisweilen  im  Mittelalter  und  in  der  Renais- 
sance findet.  Sie  kampft  mit  wirklichen  Waffen,  nicht  mit  List  und 
Koketterie,  und  als  sie  Roland  mit  der  Faust  insGesicht  schlagt,  spritzt 
ihm  das  Blut  ausNase  undOhren.  Sie  hat  einen  Eid  geschworen,  ihren 


MATTEO  MARIA  BOJARDO  129 

eisernen  Panzer  nicht  eher  abzulegen,  als  bis  der  groBe  Kaiser  ihr 
Gefangener  geworden.      Deutlich,   plastisch  schildert  sie  Bojardo: 

Vom  Helm  entblofit  zeigt  sie  ihr  Antlitz  hier, 
Nichts  Schdn'res  sah  man  auf  dem  Erdenrunde. 
Das  Haupt  umflicht  der  blonden  Locken  Zier, 
Ihr  Auge  gibt  von  Sternenklarheit  Kunde. 
Und  diesem  Reiz  ist  alles  gleich  an  ihr; 
Gewandt  in  jeder  Regung,  kiihn  von  Munde, 
GroB  von  Person,  ein  wenig  braun  von  Haut, 
So  stellt  Turpin  sie  dar,  der  sie  geschaut. 

(Orl.  In.  XXVII,  59.) 

Bojardos  ritterliches  Ideal  ist  nicht  Roland,  sondern  der  Sarazene 
Brandimarte.  Mit  besonderer  Liebe  hat  der  Dichter  diese  Gestalt 
gezeichnet,  ein  kiihner,  gewandter  Ritter,  voller  Gentilezza,  den 
Roland  im  Gefangnis  zum  Christentum  bekehrt.  Es  ist  fur  die 
damaligen  Anschauungen  von  Ritterlichkeit  sehr  bezeichnend, 
daB  der  Sarazene  eine  der  sympathischsten  Gestalten  des  Gedichtes 
ist.  ,,La  Cavalleria",  die  Ritterlichkeit,  stand  fast  hoher  als  die 
Religion,  dank  ihr  wurden  Christ  und  Mohammedaner  gleich,  und 
der  wahre  Ritter  hatte  ein  Anrecht  auf  religiose  Toleranz.  Ge- 
wissermaBen  zwischen  Roland  und  Brandimarte  stehen:  der  Paladin 
Rinaldo,  ein  Riese  von  unerhorter  Kraft,  der  im  Zweikampf  mit 
Roland  solche  Streiche  fiihrt,  daB  er  ihm  ohne  den  Stahlhelm 
unfehlbar  ,,das  Gehirn  ins  Maul  geschlagen  hatte",  sowie  Rogier, 
ein  Jiingling  edelster  Abstammung,  in  dem  vaterlicherseits  das  Blut 
Alexanders  des  GroBen  und  mutterlicherseits  das  des  trojanischen 
Hektor  flieBt.  Rogier  liebt  Rinaldos  Schwester,  heiratet  sie  und  wird 
zum  Ahnherrn  des  estensischen  Geschlechtes.  Es  war  Brauch  am 
ferraresischen  Hof,  Rogier  als  Stammvater  der  Este  zu  feiern,  schon 
Tito  Strozzi  und  Priscianus  in  seinen  ,,Annales  ferrarienses"  kennen 
diese  Genealogie.  Schon  sie  haben  gegen  jene  fur  die  Este 
beschamende  Tradition  Einspruch  erhoben,  als  wenn  der  Stamm- 
vater des  Geschlechtes  Gano  ware,  der  Verrater  von  Roncesvalles. 

In  Bojardos  Gedicht  darf  man  so  wenig  nach  psychologisch 
durchgefiihrten  Charakteren  suchen,  wie  den  inneren  Triebfedern 


130  SECHSTES  KAPITEL 

des  Handelns  der  Menschen  nachgehen.  Die  auftretenden  Persdn- 
lichkeiten  sind  so  dargestellt,  wie  ihre  Handlungen  sie  nach  auBen 
spiegeln,  ihre  Portrats  sind  nur  mit  einigen  kiihnen  Pinselstrichen 
hingesetzt;  aber  in  kulturhistorischer  Beziehung  ist  das  Gedicht 
sehr  fesselnd,  wir  finden  viele  Ziige  der  Gesellschaft  wieder,  in  der 
Bojardo  gelebt  hat.  Viel  Kraft  und  Phantasie,  und  der  grdBte  Vor- 
zug  der  Dichtung  ist  ihre  Jugend,  die  in  jeder  Zeile  lebendig  ist, 
Jugend  der  Epoche,  Jugend  der  Phantasie,  Jugend  im  Ausdruck. 
Im  Friihling  spielen  sich  die  Hauptereignisse  ab,  und  dieser  Friih- 
ling  prangt  im  Bliitenduft,  strahlt  in  siidlicher  Sonne.  Mit  dieser 
Jugendlichkeit  einen  sich  Heiterkeit,  Humor  und  eine  leichte  Ironie, 
die  wie  eine  leise  Melodie  iiber  dem  Ganzen  schweben.  Trotz  ihrer 
unmoglichen  Unternehmungen  wirken  Bojardos  Helden  nicht  lacher- 
lich,  denn  die  Phantasie  des  Verfassers  ist  so  stark,  daB  sie  iiber  Natur- 
gesetzen  zu  stehen  scheint.  Im  Zauber  der  Dichtung  glauben  wir  gut- 
willig,  daB  ein  Walfisch  zwei  Meilen  lang  ist,  oder  daB  neunzig  Ritter 
gegen  das  zwei  Millionen  starke  Heer  Agricanos  gekampft  haben. 
Bojardos  Dichtung  gleicht  jenen  Bildern  der  Friihrenaissance, 
die  trotz  mancher  Seltsamkeit  in  der  Zeichnung  und  in  den  Details 
durch  ihre  Kraft  und  Urspriinglichkeit  stark  auf  uns  wirken.  Die 
Phantasie  des  Dichters  erfindet  die  merkwurdigsten  Geschichten 
und  Gestalten,  mit  vulkanischer  Kraft  wird  eine  farbige,  schdne, 
seltsam  schillernde  Welt  herausgestoBen.  Das  Gedicht  hat  keinen 
Zweck  irgendwelcher  Art,  es  lehrt  nichts  und  will  nichts  beweisen, 
es  ist  Spiel  und  Scherz.  Bojardo  schreibt  fur  eine  Gesellschaft,  die 
im  OberfluB  und  Luxus  lebt,  sich  weder  um  religiose  noch  soziale 
Fragen  kiimmert,  er  schreibt  nur,  um  seinem  Schaffensdrang  Geniige 
zu  tun  und  das  Verlangen  nach  Schdnheit  bei  den  Menschen,  unter 
denen  er  lebt,  zu  stillen.  ,, Nichts  mehr  verlange  ich,"  sagt  er, 
,,als  daB  Ihr  mich  anhdrt  in  Heiterkeit  und  Freude."  Erst  am 
SchluB  des  Romanes  umwdlkt  sich  seine  Stirn  angesichts  der  Stiirme, 
die  Italien  bevorstehen,  er  ahnt  andere  Zeiten,  andere  Mdglich- 
keiten,  und  das  Gedicht  klingt  elegisch  aus.  Bojardos  Wunsch 
ging  in  Erfiillung,  er  wurde  gelesen  ,,in  Heiterkeit  und  Freude". 
Seine  Gesange  wurden,  unmittelbar  nachdem  sie  entstanden,  fur 
Ercole     und     andere     Persdnlichkeiten     des      estensischen     Hofes 


MATTEO  MARIA  BOJARDO  131 

abgeschrieben.  1491,  wahrend  Isabella  d'Estes  Aufenthalt  in  Mai- 
land,  entspann  sich  ein  lebhafter  Streit  zwischen  ihr  und  Galeazzo 
Visconti,  welcher  der  Paladine,  Roland  oder  Rinaldo,  in  ritter- 
lichen  Tugenden,  in  Mut  und  Ehre  hoher  stiinde.  Isabella  trat  fur 
Rinaldo  ein,  wahrend  Galeazzo  Rolands  Partei  ergriff.  Der  Streit 
begann  im  Augenblick,  da  die  Markgrafin,  Visconti  und  der  gesamte 
Hof  Pavia  mit  dem  Schiff  verlieBen;  Isabella  geriet  in  solche  Hitze,daB 
sie  laut  schrie  ,, Rinaldo!  Rinaldo!",  wie  der  StraBenpobel,  der  wah- 
rend der  Revolution  ,, Diamante!  Diamante!"  oder  ,,Vela!  Vela" 
gerufen  hatte.  Selbstverstandlich  iiberzeugten  die  literarischen 
Gegner  einander  nicht,  und  als  Isabella  Mailand  verlieB,  wurde  brief- 
lich  weiter  gekampft.  Einige  Briefe  von  Galeazzo  an  Isabella  sind  auf 
uns  gekommen,  sie  sind  ein  interessanter  Beweis,  welches  Interesse 
Bojardos  Roman  bei  den  Zeitgenossen  erweckt  hat.  AuBerordentlich 
energisch  und  mit  viel  Humor  tritt  Galeazzo  fur  Roland  ein,  er  glaubt, 
daB  auch  Isabella  das  Zwecklose  einsehen  wiirde,  einen  Verrater 
und  Verbrecher  wie  Rinaldo  zu  verteidigen.  Roland  ist  der  wahre 
Christ,  ,,christianissimo",  bestandig,  tapfer,  klug,  gemaBigt,  mit- 
leidig,  gerecht,  giitig,  der  Verteidiger  der  Kirche,  der  Schutz  der 
Witwen  und  Waisen,  dessen  Platz  im  Himmel  sicherlich  neben  den 
Heiligen  sein  wird.  Rinaldos  Leben  dagegen  ist  eine  Kette  von 
Verbrechen,  er  ist  ein  hochmutiger  Abenteurer,der  nur  StraBenhandel 
sucht,  ein  Liigner  und  Rauber,  und  ware  er  nicht  mit  Karl  demGroBen 
und  Roland  verwandt  —  er  faulte  langst  im  Gefangnis.  Zwar  Hebe 
Roland  Rinaldos  Gesellschaft,  aber  nur  um  Rinaldos  Heiterkeitwillen. 

Halb  im  Scherz  kampft  die  Markgrafin  hartnackig  fur  Rinaldo. 
Sie  droht  ihrem  Gegner,  er  wiirde,  wenn  er  ihren  Helden  so 
beschimpft,  jetzt  um  Ostern,  wo  man  dem  Nachsten  seine  Siinden 
verzeihe,  Schaden  nehmen  an  seiner  Seele.  Um  Galeazzos  Argu- 
mente  um  so  eindringlicher  zu  bekampfen,  bittet  Isabella  im  August 
1 49 1  Bojardo  um  die  Fortsetzung  seines  Gedichtes,  und  als  sie 
von  ihm  erfahrt,  daB  er  nichts  Neues  geschaffen,  verlangt  sie  zum 
mindesten  die  beiden  ersten  Biicher  des  ,,Verliebten  Roland". 

Als  Vollblut-Italienerin  muBte  Isabella  Rinaldo  hoher  schatzen 
als  Roland.  Der  Streit  um  die  beiden  Romanhelden  zwischen  der 
Markgrafin  und  Galeazzo  scheint  die  Hofe  in  Mantua  und  Mailand 


132 


SECHSTES  KAPITEL 


lebhaft  beschaftigt  zu  haben;  in  Galeazzos  und  Lodovico  Sforzas  Urn- 
gebung  muB  es  sogar  zwei  Parteien  gegeben  haben,  und  Bellincioni, 
MorosHofdichter,  verherrlicht  diesenliterarischen  Kampf  in  Sonetten. 
Der  Dichter  steht  erst  auf  Rinaldos  Seite,  dann  ergreift  er  Rolands 
Partei  und  versucht  Isabella  zu  veranlassen,  ihre  Ansicht  zu  andern 
und  ihren  Irrtum  einzugestehen,  denn  irren  ware  menschlich. 
Umana  cosa  6,  dice  la  scrittura, 
L'  errare,  e  cosa  angelica  ancor  pone, 
L'  emendarsi,  e  non  far  qual  Faraone, 
Con  1'  ostinata  mente  cieca  e  dura. 
Daher  „Markezana",  schlieBt  Bellincioni,  ,,laB  Rinaldo,  diesen 
Auswurf  der  Natur,  fahren,  che  fu  proprio  uno  scandal  di  natura, 
und  bekehre  Dich  zu  Roland." 

Isabella  hatte  fur  Bojardo,  den  sie  als  Dichter  und  Kavalier 
schatzte,  eine  besondere  Vorliebe.  Nach  den  Absichten  des  Ver- 
fassers  sollte  ,,1'  Innamorato"  Isabella  gewidmet  sein.  Die  kaum 
zweiundzwanzigjahrige  Herzogin  und  der  greise  Dichter  schrieben 
sich  gegenseitig  bewundernde  Briefe. 

Bojardos  Roman  strotzt  von  Provinzialismen.    Die  Sprache  ent- 
spricht   den    Anforderungen    der    jungen    Generation   nicht   mehr, 
die  die  toskanische,  durch  klassische  Vorbilder  gereinigte  Mundart  ein- 
zufiihren  begann.  Nach  Aretins  Urteil  ist  der  ,,Verliebte  Roland"  von 
heroischerSchonheit,aber  dieSpracheist  trivial  und  einzelneAusdriicke 
direkt  plebejisch  und  veraltet.  Es  fehlte  nicht  an  Literaten,  die  Bojar- 
dos Werk  verbessern  und  umarbeiten  wollten,  wie  Berni  und  Lodovico 
Domenichi,  aber  das  italienische  Publikum  verwarf  den  verbesserten 
Bojardo  und  schdpfte  am  wahren  Quell  der  Kraft  und  Poesie.   Ziem- 
lich  viel  Erfolg  hatte  Francesco  Bello,Cieco  benannt,  ein  armer  elender 
Dichter,  der  zumeist  bei  den  Gonzaga  lebte,  mit  seinem  Roman 
,,Mambriano"  (1490 — 96),  der  den  ,,Verliebten  Ro- 
land" weiter  ausbaut,  aber  erst  Ariost  verstand 
es,  den  goldenen  Faden  der  phantasti- 
schen  Begebenheiten  von  Bo- 
jardos Helden  weiter 
zu  spinnen. 


SIEBENTES  KAPITEL 

DAS  JUNGE  FERRARA 


i 


rasmus  Rotterdamus  kam  1508  nach  Venedig,  um  bei 
Aldo  Manuzio  eines  seiner  Werke  herauszugeben;  es 
wunderte  ihn  nicht  wenig,  daBverschiedenederdortigen 
Gelehrten  nicht  lateinisch  mit  ihm  sprechen  wollten, 
trotzdem  sie  die  Sprache  vollkommen  beherrschten. 
Auch  der  Florentiner  Historiker,  Bernardo  Rucellai, 
war  damals  in  Venedig,  und  als  Erasmus  ihn  in  Gesellschaft  traf, 
sprach  er  ihn  lateinisch  an.  Der  Florentiner  gab  ihm  eine  liebens- 
wurdige  italienische  Antwort,  als  aber  Erasmus  sagte,  daB  ihm  das 
Italienische  so  fremd  sei  wie  das  Indische,  und  er  zu  ihm  wie  zu 
einem  Tauben  spreche,  erwiderte  Rucellai  kein  Wort  mehr  und 
gab  vor,  Erasmus  nicht  zu  verstehen,  obgleich  er  lateinisch  nicht 
weniger  rein  als  Sallust  schrieb. 

Die  Italiener  waren  zur  Uberzeugung  gekommen,  daB  der  Ge- 
brauch  der  alten  Sprachen  der  Entwicklung  des  ,,Volgare"  Abbruch 
tue,  deshalb  fiihrten  sie  im  Alltag  wie  in  der  Literatur  einen  heiBen 
Kampf  mit  dem  Lateinischen.  In  den  letzten  Jahrzehnten  des 
XV.  Jahrhunderts  begann  dieser  Sprachenkampf  und  wurde  in 
Ferrara  vorbereitet.  Tito  Strozzis  schriftstellerische  Begabung, 
seine  heftige  Opposition  gegen  die  Einfiihrung  des  Italienischen 
in  die  Literatur  war,  wie  wir  gesehen  haben,  die  Hauptstutze  der 
Humanisten  in  Ferrara,  selbst  Ercole  hat  auf  ihn  Riicksicht  ge- 
nommen.  Strozzi  hatte  an  der  im  humanistischen  Sinne  ge- 
leiteten  Universitat  eine  Stiitze,  namentlich  da  dort  der  sehr 
tiichtige  Lehrer  alter  Sprachen,  Battista  Guarino,  der  Sohn  des  alten 


134 


SIEBENTES  KAPITEL 


Veronesen,  tatig  war.  Aber  der  in  den  Rahmen  der  Universitats- 
wissenschaften  eingespannte  Humanismus  war  nicht  mehr  jener 
ziindende  Funke,  den  Filelfo,  Valla  oder  der  alte  Guarino  entfacht 
hatten.  Die  Korporationen  der  Gelehrten,  die  Akademien  und  haufig 
auch  die  Universitaten  waren  nur  die  Begrabnisstatten  grofier 
Gedanken.  Sobald  eine  Idee  in  akademischen  Kreisen  Eingang 
gefunden  hatte,  gehorte  sie  der  Geschichte  an  und  wurde  steril.  Die 
Professoren  sangen  ihr  noch  das  de  profundis. 

Andere  Stromungen  waren  in  Italiens  j lingerer  Generation 
wirksam.  Man  strebte  nach  einer  klaren  Vorstellung  der  Antike, 
begann  die  Autoren  in  reineren  Texten  zu  lesen,  suchte  in  ihren 
Geist  einzudringen,  die  alte  Kultur  mit  den  Errungenschaften  der 
christlichen  Welt  zu  vergleichen  und  begann  den  eroberten  Schatz 
von  alien  Seiten  eingehend  zu  betrachten.  Man  verstand  jetzt 
unter  philologischer  Arbeit  etwas  anderes  als  zu  Beginn  der  Re- 
naissance, wo  die  Geister  von  der  GrdBe  der  neuentdeckten,  antiken 
Schriftsteller  so  geblendet  waren,  daB  sie,  ohne  Riicksicht  auf  das 
Bestehende,  die  alte  Kultur  sklavisch  nachahmen  wollten.  Jetzt 
begann  man  dariiber  nachzudenken,  wie  sich  das  errungene  Wissen 
am  besten  verwerten  lieBe.  Die  Epoche  der  riickhaltlosen  Nach- 
ahmung  war  zu  Ende.  Die  ferraresische  Jugend  begann  zu  forschen, 
und  von  nicht  geringem  Nutzen  war  ihr  dabei  die  Bibliothek  der 
Este,  die  neben  den  Werken  klassischer  Autoren  provenzalische 
und  andere  Handschriften  bewahrte.  Neben  der  kritischen  Arbeit 
regte  sich  bei  erlesenen  Geistern  die  schopferische.  Fast  die  gesamte 
jiingere  Generation  der  Dichter  und  Literaten  hatte  unter  dem 
EinfluB  der  Antike  lateinisch  zu  schreiben  begonnen,  und  ging 
spater  zum  Italienischen  iiber. 

Der  alten  Schule  am  nachsten  stand  Ercole  Strozzi,  Titus  Vespa- 
sianus  Sohn,  den  der  Vater  im  Kult  des  Lateinischen  erzogen  hatte. 
Einige  Historiker  der  Renaissance  stellen  ihn  als  lateinischen  Dichter 
hoher  als  den  Vater.  Jedenfalls  hatte  Ercole  mehr  Phantasie  und 
Gestaltungskraft  als  Titus,  der  Vater  dagegen  erreichte  die  alten 
lateinischen  Schriftsteller  fast  im  leichtfliissigen  Vers  und  in  der 
gewahlten  Sprache.  Obgleich  Ercole  auf  einem  FuB  hinkte,  war 
er    der    beriihmte    Held    unzahliger    Liebesgeschichten,    sie    ver- 


DAS  JUNGE  FERRARA  135 

mehrten  zwar  die  Zahl  seiner  erotischen  Gedichte,wurdenaber  auch, 
wie  wir  spater  sehen  werden,  die  Ursache  seines  tragischen  Todes. 
Es  hieB  von  ihm,  daB  ihn  leichte  Romane  und  leichte  Elegien  be- 
schaftigten,  ,,i  facili  amori  e  intorno  a  questi,  le  facili  e  piu  culte 
elegie".  Sein  beriihmtestes,  in  Hexametern  verfaBtes  Gedicht  war 
,,Genethliacon",  das  von  Schmeicheleien  fur  die  Este,  Borgia  und  das 
Haus  von  Aragon  iiberfloB.  Jenes  hdfische  Wesen  und  das  Kriechen 
vor  den  machtigsten  Geschlechtern  fraB  wie  ein  Krebsschaden  an 
den  bedeutendsten  Geistern  der  Renaissance.  Auch  Ercole  war 
nicht  unter  jenen,  die  die  Zukunft  bezwungen  haben.  Anders 
Giovanni  Pico  della  Mirandola  (1463 — 1494),  er  gehorte  jenem 
humanistischen  Kreise  an,  den  Titus  Vespasianus  mit  seinem 
klassischen  Obergewicht  erdriickte.  Pico  war  als  Polyhistor  und 
Philosoph  beriihmt,  es  hieB  von  ihm,  daB  der  Geist  eines  ganzen 
Jahrhunderts  nur  einen  Mann  von  solchem  Wissen  und  Wert  er- 
zeugen  konne.  Die  Zeitgenossen  nannten  ihn  den  Phonix  unter 
den  Genies,  ,,fenice  degl'  ingegni",  und  Polizian  pries  ihn  als  das 
Licht  aller  Wissenschaften,  ,,Picus  omnium  doctrinarum  lux". 
Pico  hatte  sein  Wissen  in  Ferrara  erworben. 

Die  Familie  der  Pico  aus  Mirandola  gehorte  zu  jenen  Geschlech- 
tern, die  den  Hof  der  Este  umkreisten,  haufig  nach  Ferrara  kamen 
und  sich  fast  als  ihre  Vasallen  betrachteten;  sie  hatten  eine  Be- 
sitzung  Corbula  auf  ferraresischem  Gebiet,  und  ihre  Beziehungen 
zu  Ercole  waren  besonders  eng,  da  Bianca  Maria,  des  Herzogs 
natiirliche  Schwester,  mit  Galeotto  Pico  della  Mirandola  ver- 
heiratet  war.  Galeottos  junger  Neffe,  Giovanni,  Gianfrancesco 
Picos  und  Giulia  Bojardos  Sohn,  kam  studienhalber  nach  Ferrara, 
war  Guarinos  eifriger  Horer  und  Tito  Vespasiano  Strozzis  Freund. 
Giovanni  studierte  nicht  nur  griechisch,  sondern  auch  chaldaisch 
und  hebraisch,  lieB  in  Ferrara  die  Werke  der  Alten  fur  sich  ab- 
schreiben  und  gait  sehr  bald  als  Autoritat  in  klassischen  Sprachen. 
Nach  Tito  Strozzis  Aussage  war  er  alien  Zeitgenossen  in  der  Kenntnis 
des  Griechischen  und  Lateinischen  iiberlegen.  Niemand  hat  die 
Gesetze  der  Natur  tiefer  erforscht  und  niemand  kannte  den  Lauf  der 
Gestirne  besser.  Pico  war  Meister  in  Marthematik  und  sprach  trotz 
seiner   Gelehrsamkeit   so   flieBend,   daB   ihm  auch   darin   niemand 


136  SIEBENTES  KAPITEL 

gleichkam.  ,,Wer  gehdrt  hat,  wie  Du  iiber  theologische  Fragen 
sprichst,"  schreibt  ihm  Strozzi,  ,,konnte  Dich  fiir  einen  ausgezehrten 
Greis  halten,  und  doch  deckt  kaum  leichter  Flaum  Deine  rosigen 
Wangen."  Diese  rosigen  Wangen  und  das  lange  Blondhaar  trugen 
dazu  bei,  daB  Giovanni  als  der  Anmutigste  unter  der  damaligen 
ferraresischen  Jugend  gait.  Ebenso  schnell  wie  sein  Wissen  urn  die 
Sterne  erwarb  er  sich  die  Herzen  der  Frauen. 

Das  Resultat  dieser  Abenteuer  waren  Liebesgedichte ;  prak- 
tischer  als  Strozzi  besang  er  seine  Geliebten  italienisch,  so  daB 
sie  die  Gedichte  auch  lesen  konnten.  Er  scheint  sich  dieses 
Oberschreitens  der  Vorschriften  der  alteren  Humanisten  jedoch 
geschamt  zu  haben,  vielleicht  auch  des  gar  zu  leichtfertigen 
Tones  seiner  Gedichte,  jedenfalls  hat  er  diese  Seitenspriinge 
seiner  jugendlichen  Phantasie  spater  verbrannt,  ,,religionis  causa", 
wie  es  hieB. 

Studienhalber  ging  Pico  von  Ferrara  aus  nach  Bologna,  spater 
nach  Paris  und  Florenz,  wo  er  Lorenzo  Medici  kennen  lernte.  Er 
verschlang  jegliches  Wissen  und  lieB  sich  sogar  insgeheim  aus  dem 
Osten  einen  in  der  Kabbalistik  erfahrenen  Mann  kommen,  der  ihn 
bei  verschlossenen  Tiiren  in  die  von  der  Kirche  verworfene  Lehre 
einfiihrte.  Seine  Anschauungen  iiber  die  ostliche  Kabbala  legte  er 
spater  im  Werke  nieder  ,,Conclusiones  Cabalisticae".  Aus  Florenz 
schickte  Giovanni  alien  hervorragenden  Gelehrten  neunhundert 
Thesen,  die  er  in  Rom  im  Jahre  i486  der  ganzen  Welt  gegeniiber 
zu  verteidigen  sich  verpflichtete,  indem  er  die  Gelehrten  auf- 
forderte,  auf  seine   Kosten  hinzukommen. 

Das  Ergebnis  dieses  Auftretens  war  ein  ungeheures  Aufsehen, 
viel  Feindschaft  unter  den  Gelehrten,  Innozenz'  VIII.  Zorn,  der  ihn 
der  Heresie  bezichtigte  —  da  packte  ihn  der  Ekel  vor  der  Welt, 
er  widmete  sich  theologischen  Studien  und  lebte  von  jetzt  an  wie 
ein  Klosterbruder  auf  seinen  landlichen  Besitzungen  in  Corbula 
im  Ferraresischen  oder  in  seiner  Villa  Quarceto  bei  Fiesole.  Er 
begann  sich  zu  kasteien,  durch  Fasten  zu  qualen,  sein  Vermogen 
unter  die  Armen  zu  verteilen,  hatte  die  Absicht  in  ein  Dominikaner- 
kloster  einzutreten  und  barfuB  im  harenen  Gewande  Gottes  Wort 
zu  verkunden. 


DASJUNGE  FERRARA  137 

Sein  Korper  vermochte  dem  kiihnen  Flug  seines  Geistes  nicht 
standzuhalten,  und  Giovanni  starb  als  EinunddreiBigjahriger  am 
14.  November  1494. 

Auf  seinen  Tod  schrieb  Giovanni  Battista  Mantovano  ein 
Distichon,  das  den  Bruch  in  der  Seele  dieses  ungewohnlichen  Men- 
schen  mit  wenigen  Worten  charakterisiert.  Der  Gelehrte  hatte  sich 
in  einen  Heiligen  gewandelt: 

Picus  Joannes,  coelos  elementa  Deumque 
Doctus,  adhuc  iuvenis,  sanctificatus  obit. 

Giovanni  della  Mirandola  steht  als  erster  in  der  Reihe  jener 
kranken  Renaissancemenschen,  die,  unzufrieden  mit  sich  und 
den  religidsen  und  sozialen  Zustanden,  sich  der  Mystik  ergeben. 
Aus  den  Werken,  die  er  hinterlassen,  spricht  ein  Mensch  von  un- 
erhdrtem  Gedachtnis,  der  das  gesamte  damalige  Buchwissen  ver- 
schlungen,  dabei  aber  seinen  gesunden  Verstand  eingebiiBt  und 
in  ein  Chaos  von  Theologie,  Philosophic,  Kabbalistik,  Magie  und 
Naturwissenschaft  versunken  ist,  ohne  einen  Ausweg  zu  finden. 
Er  wollte,  wie  viele  seiner  Zeitgenossen,  Platos  Philosophic  mit  dem 
Christentum  vereinigen,  das  Wissen  mit  dem  Glauben.  Ein  un- 
mogliches  Unterfangen,  das  weniger  robuste  Geister  zur  Zerruttung 
gefiihrt  hat. 

Die  meisten  Familien  der  norditalienischen  Hofe  waren  unter- 
einander  verwandt.  So  war  Giovannis  Schwester  Catherina  mit  einem 
Nachbarn,  Lionello  Pio  aus  Carpi,  verheiratet,  aus  jener  stillen, 
heute  verfallenen  Stadt,  wo  nur  das  stolze  SchloB  der  Pio  und 
einige  Kirchen  als  Zeugen  einer  jetzt  versunkenen  Kultur  iibrig- 
geblieben  sind.  Die  Hofe  zu  Mirandola  und  Carpi  wetteiferten  in 
der  Pflege  von  Wissenschaft  und  Kunst.  Die  Pio  gehoren  zu  den 
alten  ghibellinischen  Geschlechtern  und  hatten  dem  Kaiser  Heeres- 
folge  geleistet.  Catherina  Pio  war  eine  ungewohnlich  gebildete  Frau; 
friih  verwitwet,  lebte  sie  der  Erziehung  ihrer  Sonne  Alberto  und 
Lionello.  Fur  den  kaum  vierjahrigen  Alberto  hatte  sie  aus  Rom  den 
jungen  Humanisten  Aldo  Manuzio  als  Lehrer  kommen  lassen,  der 
damals  schon  wegen  seiner  grundlichen  Kenntnis  des  Griechischen 
bekannt  war.     Einige   Jahre  unterrichtete  Aldo  Alberto   in  Carpi, 


138  SIEBENTES  KAPi'TEL 

urn  1 48 1  ging  er  mit  seinem  Zogling  nach  Ferrara,  wo  auch 
ein  Onkel  des  Kr.aben,  Giovanni  Pico,  lebte.  Durch  Aldo  Manuzio 
und  seinen  Schiiler  ward  der  Kreis  der  Humanisten  in  Ferrara  ver- 
grbfiert,  und  Ercole  Strozzi  nahm  sofort  beim  beriihmten  Florentiner 
Unterricht  im  Griechischen.  Aldos  Aufenthalt  in  Ferrara  war  dies- 
mal  nur  von  kurzer  Dauer,  er  muBte  vor  den  venezianischen  Sold- 
nern,  die  1482  die  Stadt  belagerten,  fliichten.  Die  Beziehungen  Aldos 
zu  den  Este  waren  von  Bestand,  auch  Alberto  war  ein  haufiger 
Gast  in  Ferrara,  muBte  er  doch  die  Interessen  seines  kleinen  Land- 
chens  wahren,  da  der  Herzog  ein  Auge  auf  Carpi  geworfen  und  die 
Absicht  hatte,  es  zu  annektieren  und  Ferrara  einzuverleiben. 

Aldo  blieb  furs  erste  in  Carpi.  Lehrer  und  Schiiler  wurden  all- 
mahlich  Freunde;  dies  Verhaltnis  hat  ihr  ganzes  Leben  angehalten 
und  wurde  ein  wichtiger  Faktor  in  der  Entwicklung  des  Studiums 
alter  Sprachen  in  Italien.  Beide  waren  gleich  eifrig,  und  so  war 
Carpi  kurze  Zeit  ein  wichtiger  Mittelpunkt  fur  wissenschaftliche 
Arbeit.  Alberto  geniigte  das  Studium  der  Antike  nicht,  er  wollte 
sich  auch  in  Naturwissenschaften,  in  Astronomie  und  Astrologie 
vertiefen.  Die  vatikanische  Bibliothek  bewahrt  einen  lateinischen 
Kodex,  die  Ubersetzung  eines  hebraischen  Werkes  iiber  Astrologie, 
die  ein  franzosischer  Jude  Izaak  gemacht  und  die  Alberto  Pio 
abschreiben  lieB.  Er  beniitzte  jede  Gelegenheit,  um  sein  Wissen 
zu  vermehren.  In  Carpi  lebte  Jacopo  Berengario,  der  Sohn  eines 
dortigen  Chirurgen,  der  um  fiinfzehn  Jahre  alter  als  Alberto  war; 
als  Entgelt  fur  Aldos  griechischen  Unterricht  unterwies  er  Alberto 
in  Anatomie,  das  Demonstrationsobjekt  war  ein  geschlachtetes 
Schwein.  Berengario  war  spater  als  Arzt  geschatzt  und  gait  als 
einer  der  beruhmtesten  damaligen  Anatomen. 

Auch  Giovanni  Pico  war  1485  einige  Zeit  in  Carpi.  Damals 
scheinen  die  drei  jungen  Leute  den  Plan  gefaBt  zu  haben,  eine 
Druckerei  zu  griinden,  um  textlich  einwandfreie  Ausgaben  griechi- 
scher  und  lateinischer  Klassiker  herzustellen.  Damit  sollte  einem 
empfindlichen  Mangel  abgeholfen  werden.  Lateinische  Biicher 
waren  zwar  schon  in  groBer  Anzahl  erschienen,  aber  die  Ausgaben 
wimmelten  von  Fehlern,  griechische  Biicher  existierten  jedoch 
kaum. 


DAS  JUNGE  FERRARA  139 

Mit  welchem  Eifer  sich  Aldo  an  die  Arbeit  machte,  geht  aus 
einem  Passus  seiner  Dedikation  einer  griechischen  Ausgabe  hervor. 
,,Gott  ist  mein  Zeuge,"  schreibt  er,  ,,daB  ich  nichts  sehnlicher 
wiinsche,  als  zu  niitzen.  Ich  schmeichle  mir,  daB  mein  bisheriges 
Leben  dies  bewiesen  hat,  und  ich  werde  suchen,  es  zu  beweisen, 
solange  Gott  mich  in  diesem  Jammertal  erhalt.  Zwar  kdnnte  ich 
ein  ruhiges,  sorgenfreies  Leben  fiihren,  aber  ich  ziehe  Miihe  und 
Arbeit  vor,  denn  die  Aufgabe  des  Menschen  besteht  nicht  in  Freuden 
und  Lustbarkeiten,  die  des  Gelehrten  unwiirdig  sind,  sondern 
miihselige  Arbeit  ist  seine  Bestimmung.  ..." 

Die  neue  Druckerei  griindeten  die  Freunde  nicht  in  Carpi,  sondern 
in  Novi,  einem  kleinen,  gleichfalls  den  Pio  gehorenden  Stadtchen. 
Carpi  sollte  der  Sitz  einer  Akademie,  als  Sammelpunkt  humanisti- 
scher  Studien  werden.  Es  waren  kuhne  Plane;  Alberto  Pio  versprach 
Aldo  die  Einkiinfte  seiner  groBen  Landereien  fur  den  Bestand  der 
Druckerei  zu  opfern  und  die  Zukunft  des  Humanisten  sicher- 
zustellen. 

Die  Druckerei  in  Novi  konnte  sich  nicht  lange  halten;  Albert os 
Vetter,  Gibert  Pio,  bemachtigte  sich  Carpis  und  vertrieb  Alberto, 
der  1496  nach  Ferrara  fliichten  muBte.  Aldo  hatte  in  Novi  Aristo- 
teles  ,,Organon"  herausgegeben,  das  Buch  war  Alberto  gewidmet, 
und  die  Vorrede  klang  nicht  weniger  zartlich  als  jene,  die  Horaz 
an  Macenas  gerichtet:   ,,Oh,  mein  Schutz,  oh,  meine  Zierde." 

Aldo  blieb  langere  Zeit  in  Ferrara,  dann  beschloB  er  seine 
Druckerei  nach  Venedig  zu  verlegen,  da  man  dort  am  ruhigsten 
und  sichersten  seiner  Arbeit  leben  konnte.  Das  triibte  jedoch  sein 
freundschaftliches  Verhaltnis  zu  seinem  einstigen  Schiiler  in  keiner 
Weise,  Alberto  Pio  blieb  zeitlebens  Protektor  von  Aldos  Ver- 
lag  und  war  immer  bereit,  ihn  mit  Geldmitteln  zu  unterstiitzen. 
Im  Januar  des  Jahres  1513,  kurz  vor  Julius  II.  Tode,  setzte  Alberto 
beim  Papst  ein  wichtiges  Privileg  fur  Aldo  durch:  der  Nachdruck 
seiner  Biicher  war  bei  Androhung  des  Bannes  verboten.  Dank 
Albertos  Bemuhungen  bestatigte  auch  Leo  X.  diesen  Gnadenakt. 
Alberto  schatzte  und  liebte  Aldo  so  sehr,  daB  er  ihm  im  Jahre  1504 
sogar  sein  Wappen  zuerteilte  und  ihm  die  Fiihrung  des  Namens 
Pio  gestattete.    Seitdem  zeichnete  der  venezianische  Drucker  Aldus 


140 


SIEBENTES  KAPITEL 


Pius  Manutius  Romanus  und  beniitzte  den  silbernen  Adler  im 
roten  Feld  als  Wappen.  Auch  nach  Aldos  Tod  unterstiitzte  Alberto 
den  beriihmten  Verlag,  der  in  die  Hande  von  Albertos  Schwieger- 
vater,  Andreo  Asolano,  iibergegangen  war. 

Das  geniigte  Alberto  nicht;  er  war  in  dem  MaBe  von  der  Wichtig- 
keit  des  Unternehmens,  klassische  Autoren  herauszugeben,  durch- 
drungen,  daB,  als  1505  Carpi  wieder  in  seine  Hande  kam  und  er 
einige  Gelehrte  urn  sich  versammeln  konnte,  er  auch  auf  seinen 
friiheren  Plan,  die  Druckerei  zu  erhalten,  zuruckkam.  Zu  diesem 
Zwecke  lieB  er  Benedetto  Dolcibolo  kommen,  den  ehemaligen 
Schiiler  Aldos,  der  spater  eine  selbstandige  Druckerei  in  Corte 
Maggiore,  am  Hofe  von  Roland  II.  Pallavicini  eingerichtet  hatte. 
Wie  im  XV.  Jahrhundert  jeder  der  italienischen  Tyrannen  seinen 
Ehrgeiz  darein  gesetzt  hatte,  Handschriften  abschreiben  zu  lassen 
und  aufzuhaufen,  so  wollte  im  beginnenden  XVI.  Jahrhundert  jeder 
seine  eigene  Druckerei  habenc  Alberto  Pio  kommentierte  damals 
Duns  Scotus  und  gab  seine  Arbeit  in  einer  kostbaren  Ausgabe,  mit 
eigenen  Typen  gedruckt,  heraus.  Carpis  Schicksale  waren  aber  zu 
unbestandig,  das  kleine  Landchen  ging  von  einer  Hand  in  die  andere, 
schlieBlich  rissen  die  Este  es  ganz  an  sich.  Als  es  nun  1508  Dolcibolo 
an  einem  machtigen  Protektor  fehlte,  iibersiedelte  der  unternehmende 
Drucker  nach  Ferrara  und  gab  dort  klassische  Werke  heraus. 


II 

Zusammen  mit  Alberto  Pio  war  1498  auch  der  Venezianer 
Pietro  Bembo  in  Ferrara.  Er  war  ein  leidenschaftlicher  Verehrer 
antiker  Literatur  und  Ercole  Strozzis  Freund,  bei  dem  er  haufig 
zu  Gaste  war.  Seit  vielen  Jahren  hatte  Venedig  seinen  Gesandten 
in  Ferrara  mit  dem  Titel  eines  Vizedomino,  er  war  wenig  beliebt, 
da  er  sich  in  alles  hineinmischen  wollte;  die  venezianischen,  in  Ferrara 
lebenden  Untertanen  unterstanden  seiner  richterlichen  Gewalt, 
und  als  Beobachter  der  ferraresischen  Regierung  war  er  dem  Herzog 
unbe  quern.  Mit  Riicksicht  auf  die  Macht  der  benachbarten  Re- 
publik  muBte  man  ihn  dulden.    Gegen  Ende  des  XV.  Jahrhunderts 


DASJUNGE  FERRARA  I41 

nahm  der  alte  Bernardo  Bembo,  der  fruhere  venezianische  Ge- 
sandte  in  Florenz,  diese  Stelle  ein;  seine  Familie  gehorte  zu  den 
angesehensten  der  Republik,  und  er  war  um  seiner  Gelehrsamkeit 
willen  bekannt.  Sein  Sohn  Pietro,  ein  hiibscher,  ansehnlicher, 
sehr  begabter  Jiingling,  lebte  von  1498  bis  1500  bei  ihm. 

Pietro  war  im  Griechischen  bewandert  und  hatte  sich  in  Pe- 
trarca,  Boccaccio  und  in  provenzalische  Literatur  vertieft.  Er 
sammelte  die  Werke  provenzalischer  Dichter,  und  ein  von  ihm  zu- 
sammengestellter  Kodex  befindet  sich  in  der  Bibliotheque  nationale 
zu  Paris  (Nr.  12473).  Trotz  aller  Gelehrsamkeit  und  Philologie  war 
Bembo  zu  tollen  Streichen  aufgelegt,  bei  den  Frauen  sehr  beliebt, 
,,gentiluomo  galante  e  bello",  und  gait  als  Stern  unter  der  ferrare- 
sischen  Jugend. 

Sein  Wunsch  war,  die  Volkssprache,  das  ,,Volgare",  zu  reinigen 
und  es  zur  Schriftsprache  zu  erheben.  Ihn,  der  die  glatten  Satze 
der  alten  Autoren  gewohnt  war,  reizten  Bojardos  Provinzialismen 
und  sprachlichen  Verballhornungen.  Mit  seinen  Planen  stieB  er 
bei  den  Gelehrten  auf  nicht  geringen  Widerspruch.  Ercole  Strozzi 
war  einer  seiner  scharfsten  Gegner,  er  sagte,  Bembo  kame  ihm 
vor  wie  jemand,  der,  an  Wildbret  gewohnt,  sich  plotzlich  von  Sau- 
bohnen  nahren  wolle.  Bembo  verwies  auf  Dante  und  erwiderte, 
wer  das  Lateinische  pflege,  gleiche  einem  Menschen,  der  seine 
eigene  Mutter  verhungern  lasse,  um  eine  fremde  Frau  zu  ernahren. 
Italienisch  sei  die  Sprache  ihrer  Vater,  Mutter,  Schwestern,  und  es 
sei  eine  viel  groBere  Schande,  diese  ihre  Muttersprache  nicht  zu 
beherrschen,  als  im  Lateinischen  oder  Griechischen  zu  versagen. 
Bembo  hatte  die  Frauen  fur  sich. 

Mit  noch  einem  gefahrlichen  Feind  hatte  die  junge  Generation 
zu  kampfen,  mit  der  Pedanterie.  Die  Pedanterie,  eine  wahre  Krank- 
heit,  wucherte  auf  den  Feldern  der  Humanisten  und  wuchs  sich  zum 
seltsamen  Unkraut  aus.  Ein  reines  Lateinisch  schreiben,  war  die 
Losung  der  alteren  literarischen  Zirkel  —  was  man  schrieb,  war 
gleichgiiltig.  Der  eine  HeB  ein  lateinisches  Gedicht  iiber  die  Zucht 
der  Seidenraupen  drucken,  der  andere  iiber  das  Schachspiel,  und  die 
Partner  waren  Apoll  und  Merkur.  Es  gab  sogar  einen  lateinischen 
Dichter,  der  ein  didaktisches  Gedicht  ,,De  morbo  gallico"  verfaflt 


142  SIEBENTES  KAPITEL 

hatte,  in  dem  er  Arzneien  gegen  die  neue  Krankheit  empfahl.  Auch 
in  der  Prosa  versuchten  diese  Latinisten  sich  so  sklavisch  an  die 
antiken  Ausdriicke  zu  halten,  daB  sie  es  zu  rechtfertigen  suchten, 
wenn  sie  Worte  anwandten,  die  die  Antike  nicht  kannte,  wie 
dux,  comes  oder  marchio.  Cicero  war  natiirlich  das  Ideal  dieser 
Phrasendrescher. 

Bembo  war  kein  Dichter,  das  hinderte  ihn  nicht,  italienische  und 
lateinische  Gedichte  zu  machen,  die  sich  durch  ihren  fehlenden 
Inhalt  auszeichnen.  Beriihmt  war  sein  Dialog  ,,Gli  Asolani",  den 
der  Verfasser  in  Ferrara  begann.  Es  sind  Gesprache  uber  Liebes- 
theorien.  Die  venezianische  Republik  hatte  Cyperns  entthronter 
Konigin,  Catherina  Cornaro,  eine  sehr  schone  Besitzung,  das  Castel 
Asolo  im  Trevisanischen,  zum  Wohnort  angewiesen.  Die  Cornaro 
empfing  dort  ihre  Gaste  und  entfaltete  einen  koniglichen  Luxus. 
Auch  Bembo  war  eine  Zeitlang  in  Asolo,  er  wahlt  ihren  Hof  zum 
Schauplatz  fur  sein  Gedicht.  Dort  finden  drei  Jiinglinge  drei  Vene- 
zianerinnen,  die  dem  Hofstaat  der  Konigin  angehoren.  Nach  Tisch 
versammelt  diese  kleine  Gesellschaft  sich  im  Garten  und  setzt  sich 
in  den  Schatten  von  Lorbeerbaumen  neben  eine  rieselnde  Quelle. 
Der  eine  der  Jiinglinge  stellt  die  Frage,  ob  die  Liebe  gut  oder  vom 
Ubel  sei.  Der  melancholische  Perrottino  ist  ein  Feind  der  Liebe 
und  glaubt,  daB  sie  die  Wurzel  alles  Bosen  auf  der  Welt  sei.  Am 
nachsten  Tage  verteidigt  Gismondo  die  Liebe,  und  am  dritten  Tage 
nimmt  selbst  die  Konigin  teil  am  Gesprach.  Lavinellos  Beweis- 
fiihrung  ist  die  schlagendste:  die  Liebe  ist  weder  gut  noch  bdse, 
doch  kann  sie  das  eine  oder  das  andere  sein,  je  nach  dem  Gegen- 
stande,  dem  sie  gilt.  Gut  ist  eine  Liebe,  deren  Ideal  eine  schone  Seele 
in  einem  schonen  Korper  ist,  schlecht  und  tierisch  die  bloB  sinnliche 
Liebe,  die  nicht  auf  die  Erhaltung  des  menschlichen  Geschlechtes  aus- 
geht.  Lavinello  erzahlt  auch  von  einem  Gesprach,  das  er  mit  einem 
Einsiedler  uber  diesen  Gegenstand  gefiihrt:  nach  dessen  Ansicht 
gibt  es  nur  eine  wahre  Liebe,  die  Liebe  zu  Gott. 

So  haben  wir  wieder  Petrarcas  Theorien,  verbramt  mit  plato- 
nischen  Ideen.  Bembo  lehnt  sich  iiberhaupt  in  seinen  italienischen 
Gedichten  eng  an  Petrarca  an;  die  Dialogform  der  ,, Asolani" 
entlehnt  er  Boccaccio,  indem  er  sie  erweitert  und  ausspinnt.    Immer 


DAS  JUNGE  FERRARA  143 

folgt  er  jemandes  Vorbild:  in  seiner  Prosa  Cicero  und  Boccaccio, 
in  seinen  Gedichten  Petrarca.  Seine  Verse  entstehen  nicht  aus 
innerem  Zwange;  an  Veronica  Gambara  richtet  er  leidenschaftliche 
Sonette,  obgleich  er  sie  nie  gesehen. 

Mit  Bembo  beginnt  jene  literarische  Krankheit,  die  wie  ein 
jeden  Organismus  zerfressender  Pilz  in  Italien,  namentlich  im 
XVI.  Jahrhundert,  um  sich  gegriffen  und  jede  literarische  Selb- 
standigkeit  zerstort  hat.  Diese  Krankheit  nannte  man  Petrarkis- 
mus.  Petrarca  wurde  zum  literarischen  Gott  erhoben,  dagegen  ver- 
blaBte  Dantes  Ruhm,  auch  an  Fiirstenhofen  wurden  die  Werke 
des  grofien  Florentiners  kaum  noch  gelesen.  Wahrend  dreier 
Jahrhunderte,  von  der  Erfindung  der  Buchdruckerkunst  bis  ins 
XVIII.  Jahrhundert,  sind  in  Italien  kaum  zwanzig  Dante-Ausgaben 
erschienen,  wahrend  Petrarcas  ,,Canzoniere"  vom  Ende  des 
XV.  bis  zum  Beginn  des  XVII.  Jahrhunderts  hundertsiebenund- 
fiinfzig  Neudrucke  erlebt  hat. 

Es  ist  nur  zu  begreiflich,  daB  der  Petrarkismus  seinen  Ursprung 
an  italienischen  Fiirstenhofen  hat.  Raffinierte  Kunst  und  gesuchte 
Formen  wurden  am  Hof  gewiinscht.  Nach  den  Ansichten  einer 
solchen  Gesellschaft  war  Petrarca  allein  wiirdig,  den  Platz  neben 
Ovid  und  Horaz  zu  behaupten.  Dante  war  fur  Fiirsten  und  Hof- 
linge  zu  dunkel,  zu  philosophisch  und  brutal.  Monsignore  Delia 
Casa  erklarte  in  seinem  ,,Gabot",  daB  man  aus  der  Gottlichen  Ko- 
mbdie  hofische  Art  ,,1'arte  di  essere  grazioso"  nicht  lernen  konne. 
Dieser  Begriff  ,, grazioso"  war  aber  das  Wesentlichste,  und  Petrarcas 
Canzoniere  stimmte  gut  dazu.  Der  Petrarkismus  wurde  der  ver- 
zauberte  Kreis,  aus  dem  die  Geister  langere  Zeit  nicht  herauszutreten 
vermochten.  Es  ging  so  weit,  daB  Petrarca  nicht  nur  nachgeahmt, 
sondern  umgearbeitet  und  verbessert  wurde.  Ein  Dichterling  aus 
Mailand  verfaBte  in  der  ersten  Halfte  des  XVI.  Jahrhunderts  eine 
Dichtung  ,,11  bel  Laureto"  zu  Ehren  von  Donna  Laura,  im  Glauben, 
daB  Petrarca  ihre  Schonheit  und  Tugend  zu  wenig  gepriesen.  Petrarca 
gleichen,  ja  iiber  ihn  hinausgehen,  wird  zum  Losungswort.  Pietro 
Aretino  wuBte  sich  vor  Freude  nicht  zu  lassen,  als  ihm  der  Mark- 
graf  von  Mantua  schrieb,  daB  er  in  einer  Kanzone  selbst  den  Meister 
ubertroffen  habe. 


144 


SIEBENTES  KAPITEL 


Was  Wunder,  daB  Bembo,  durchdrungen  von  hofischer  Art, 
und  vom  Wunsch  beseelt,  die  italienische  Sprache  zu  reinigen, 
zum  riickhaltlosen  Verehrer  Petrarcas  wurde.  Unter  Scharteken 
und  verstaubten  Handschriften  forschte  er  nach  seinen  Schriften, 
denn  Petrarca  sollte  zum  Ideal  des  Jahrhunderts  werden.  Aldo 
Manuzio  behauptet,  daB  Bembo  Petrarca  popular  gemacht  habe ,  vor  ihm 
kannte  man  in  Venedig  und  der  Lombardei  den  „Canzoniere"  kaum. 

Bembo  schrieb  ein  Sonett  nach  dem  anderen;  wahrend  Petrarcas 
reine  Liebe  und  Begeisterung  Laura  gait,  war  Bembos  Muse  eine 
gewohnliche  Rdmerin,  die  bekannte  Morosina,  mit  der  er  drei 
Kinder  hatte. 

Bembos  Ziel,  die  Gesellschaft  zu  petrarkisieren,  gelang  voll- 
standig.  Als  er  alt  geworden,  konnte  er  zu  seinem  Ergotzen  sehen, 
daB  alle  romischen  und  venezianischen  Kurtisanen  den  ,,Petrar- 
chino",  eine  kleine  Ausgabe  des  ,,Canzoniere",  auf  der  StraBe 
gewissermaBen  als  Gebetbuch  in  der  Hand  hielten,  ebenso  war  der 
,,Petrarchino"  der  unzertrennliche  Gefahrte  jedes  Elegants.  In 
Venedig  konnte  man  die  Creme  der  mannlichen  Jugend  sehen, 
eine  Blume  hinter  dem  Ohr,  in  parfumierten  Handschuhen,  den 
Petrarca  halb  aus  der  Tasche  heraussehend,  wie  sie  auf  dem 
S.  Marco-Platz  spazieren  ging,  die  FuBe  mit  zierlicher  Bedacht- 
samkeit  setzte  und  den  vorubergehenden  Frauen  verliebte  Blicke 
zuwarf .  Wie  es  heute  gewissermaBen  zum  guten  Ton  gehort,  Klavier 
zu  spielen,  so  war  damals  das  Reimeschmieden  ein  Zeichen  hoherer 
Kultur.  Auf  dem  Tische  jedes  ,,Dichters"  lagen  kleine  Worterbiicher 
und  Reimpaare,  die  aus  dem  ,,Canzoniere"  herausgeschrieben  waren. 

Nach  Bembos  Tode  verkiindete  einer  seiner  Schiiler,  der  vene- 
zianische  Dichter  Domenico  Venier,  die  Tranenflut  ware  so  groB, 
daB  eine  neue  Sintflut  der  Welt  drohe. 

Per  la  morte  di  Bembo  un  si  gran  pianto 
Piovea  da  gli  occhi  de  1'  umana  gente, 
Ch'  era  per  affogar  verecemente, 
Come  diluvio,  il  mondo  in  ogni  canto. 

Bembos  wirkliche  und  groBe  Verdienste  beruhen  natiirlich  nicht 
in  seinen  Dichtungen,  sie  liegen  in  seinem  Streben,  das  Italienische 


DAS  JUNGE  FERRARA  I4^ 

aus  seiner  miBachteten  Stellung  zu  befreien  und  ihm  seinen  Klang 
und  seine  Reinheit  wiederzugeben. 

So  feiert  Ariost  Bembo  in  seinem  Orlando: 

Piero 
Bembo,  che  '1  puro  e  dolce  idioma  nostro 
Levato  fuor  del  volgare  uso  tetro 
Quale  esser  dee,  ci  ha  co'l  suo  esempio  mostro. 

(Orl.  fur.  XLVI,  15.) 

Aus  Bembos  Studien  in  Ferrara  erwuchs  sein  spateres  Werk 
,, Prose  della  volgar  lingua",  als  Grundlage  fur  den  weiteren  Aus- 
bau  des  Italienischen  aus  den  verschiedensten  Dialekten.  Seine  Arbeit 
setzte  Bembo  in  Rom  als  Sekretar  Leos  X.  fort  (1513),  in  Rom 
verkehrte  er  mit  Castiglione,  Fregoso  und  Angelo  Colocci,  einem 
der  beruhmtesten  Gelehrten  der  Renaissance.  Colocci,  der  die 
klassischen  Sprachen  grundlich  kannte,  war  gleichfalls  ein  leiden- 
schaftlicher  Verehrer  der  lingua  volgare.  Wie  Bembo  hatte  er 
sich  in  das  Studium  provenzalischer  Poesie  vertieft  und  be- 
herrschte  das  Spanische  und  Portugiesische;  er  sammelte  griechische, 
lateinische,  hebraische  und  provenzalische  Handschriften  und 
antike  Miinzen;  leider  wurden  seine  groBartigen  Sammlungen 
wahrend  des  Sacco  di  Roma  zerstort.  In  Coloccis  beruhmten  Garten 
,,Orti  Colocciani"  versammelten  sich  die  Sprachreformer  und  be- 
griindeten  die  ,,Accademia  Romana",  die  der  Mittelpunkt  des  lite- 
rarischen  Lebens  in  Rom  wurde.  Wir  finden  dort  fast  alle  jene 
Literaten,  die  gegen  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  in  Ferrara,  Mantua 
und  Urbino  tatig  waren. 

Dieser  ferraresischen  Jugend  hatte  sich  auch  Jacopo  Sadoleto 
(1477 — 1547)  angeschlossen,  der  Sohn  eines  beruhmten  Juristen 
aus  Modena.  Er  wurde  spater  Sekretar  bei  Leo  X.  und  Kardinal, 
interessierte  sich  lebhaft  fur  Cicero  und  war  fur  seinen  eleganten 
lateinischen  Stil  bekannt.  Sadoleto  besuchte  zusammen  mit  Alberto 
Pio  die  Vortrage  des  beruhmten  Humanisten  und  Arztes,  Niccolo 
Leoniceno,  der  Aristoteles  kommentiert  hat. 

Celio  Calcagninis  (1479 — 1541)  Elegien  waren  weit  verbreitet, 
er  laBt  sich  fast  mit  Ariost  vergleichen  und  iiberragt  dank  seiner  ziin- 
denden  Phantasie  all  seine  Zeitgenossen. 


146  SIEBENTES  KAPITEL 

Calcagnini  gehort  zu  den  Universalgenies  der  Renaissance, 
als  Jurist  und  Astronom  war  er  in  ganz  Europa  beriihmt.  Als 
Heinrich  VIII.  von  England  seine  Scheidung  durchsetzen  wollte, 
fragte  man  ihn  und  noch  einige  andere  beriihmte  Gelehrte  der  da- 
maligen  Welt  um  ihre  Ansicht.  Etwa  die  Halfte  der  groBen  Manner 
der  Renaissance  waren  uneheliche  Sdhne.  So  auch  Calcagnini. 
Sein  Vater,  Calcagnino  di  Francesco  Calcagnini,  gehorte  zu 
Ferraras  angesehensten  Familien,  von  der  Mutter,  Lucrezia  Con- 
stantini,  weiB  man  kaum  mehr  als  den  Namen.  Der  Vater  soil,  als 
ihm  die  Geburt  des  Sohnes  gemeldet  wurde,  Ciceros  Brief  an  den 
Adilen  M.  Celio  gelesen  und  hocherfreut  gerufen  haben,  daB  der 
Knabe  Celio  heiBen  musse.  Ein  echt  humanistisches  Historchen! 
Auch  bei  der  Taufe  sollte  Celio  einen  Beweis  seiner  kiinftigen 
kraftigen  Organisation  geben:  als  das  einige  Tage  alte  Kind  zur 
Taufe  in  die  Kirche  getragen  wurde  und  der  Priester  ihm  Wasser 
iiber  den  Kopf  goB,  wehrte  es  sich  heftig  mit  seinen  kleinen  Hand- 
chen  gegen  das  Kalte  und  ergriff  das  Gebetbuch  des  Kaplans.  Celio 
wuchs  in  Ferrara  auf;  zu  seinen  beruhmtesten  Lehrern  gehoren 
Pietro  Pomponazzo,  der  Philosoph,  und  Niccolo  Leoniceno,  der  be- 
kannte  Arzt.  Friihzeitig  ubertrugen  die  ferraresischen  Herzoge  ihm 
Wiirden  und  beniitzten  ihn  als  Gesandten  bei  den  verschiedensten 
Hofen.  Celio  begleitete  den  Kardinal  Ippolito  nach  Ungarn  und 
Polen,  war  Gesandter  in  Venedig  und  Rom  bei  Julius  II.  und  Leo  X., 
dann  muBte  er  wieder  nach  Ungarn,  um  Zwistigkeiten,  die  unter 
den  Magnaten  nach  dem  Tode  des  Konigs  Ladislaus  ausgebrochen 
waren,  zu  schlichten;  in  Ferrara  trug  er  an  der  Universitat  Mathe- 
matik  und  Astronomie  vor.  Von  seinen  Verdiensten  auf  diesem  Ge- 
biet  wird  noch  die  Rede  sein.  Celio  wurde  spater  Domherr  in  Ferrara; 
da  er  jedoch  fur  die  Dominikaner  eine  besondere  Vorliebe  hatte,  ver- 
machte  er  ihnen  seine  Bibliothek,  seine  mathematischen  und 
astronomischen  Instrumente,  sowie  fiinfzig  Skudi  jahrlich  fur  die 
Erhaltung  der  Sammlungen.  Ferner  verfiigte  er  testamentarisch, 
daB  das  Maultier,  das  ihn  lange  Jahre  getragen  hatte,  bis  zu  seinem 
Tode  im  gewohnten  Stall  bleiben  und  Gnadenbrot  genieBen  sollte. 

Naturlich  hatte  das  Hoflingswesen,  der  iibertriebene  Frauen- 
kult  der  hoheren  Kreise  einen  schadlichen  EinfluB  auf  die  Literatur, 


DAS  JUNGE  FERRARA  j^y 

besonders  auf  die  Poesie.  Nichts  durfte  einfach  gesagt  werden, 
man  ersann  Schmeicheleien,  sonderbare  Vergleiche,  die  mit  dem 
gesunden  Menschenverstand  im  seltsamsten  Widerspruch  standen. 
Gegen  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  nahm  diese  Krankheit  immer 
mehr  iiberhand,  im  XVI.  und  XVII.  wurde  sie  zur  verheerenden 
Epidemie,  zum  sogenannten  Seicentismo. 

Einer  der  Hauptvertreter  dieser  Richtung  am  Hofe  von  Ferrara, 
ja  gewissermaBen  ihr  Schdpfer  war  Antonio  Tebaldi;  da  ihm  dieser 
Name  nicht  poetisch  genug  erschien,  nannte  er  sich  Tebaldeo.  In 
Ferrara  1463  geboren,  wuchs  er  dort  auf,  schrieb  dort  seine  ersten 
Gedichte,  und  war  sehr  bald  so  beruhmt,  daB  er  zum  Poesielehrer 
der  kleinen  Isabella  d' Este  ernannt  wurde.  Die  Schulerin  befriedigte 
den  Lehrer  in  hohem  MaBe,  er  auBerte  sich  einst  iiber  sie,  sie  beganne 
Wunder  in  der  Poesie  zu  tun,  ,,ad  fare  miraculi  in  poesia",  was 
wohl  nicht  ganz  wortlich  zu  nehmen  ist.  Tebaldeos  Liebeshandel 
erfreuten  sich  bald  einer  gewissen  Beriihmtheit,  um  so  mehr,  als 
sie  in  seinen  Sonetten  verherrlicht  wurden,  seine  Verse  gefielen 
so  gut,  daB  einer  der  estensischen  Hofpoeten  an  ihn  schrieb: 

Remembrati  di  noi  tu  che  trascendi 
Con  l'ali  isnelle  d'un  stil  raro  e  bello, 
Dal  mondo  al  cielo;  tal  che  questo  e  quello, 
Stupiscon  dil  gran  che  fra  noi  prendi. 

Nach  Isabellas  Vermahlung  ging  Tebaldeo  zu  den  Bentivoglio 
nach  Bologna,  dort  studierte  er  Medizin  und  schickte  seiner  friiheren 
Schulerin  nur  von  Zeit  zu  Zeit  Sonette.  Doch  die  Markgrafin 
sehnte  sich  nach  ihm,  wenn  sie  sich  als  Dichterin  fiihlte, 
wiinschte  sie,  daB  Tebaldeo  ihr  die  Pforte  zum  ParnaB  offne.  AuBer- 
dem  war  ihr  seine  Gesellschaft  sympathisch,  da  er  nach  ihren 
Worten  ein  Mann  war,  ,,di  tanto  honore  et  piacere".  Der  liebens- 
wiirdige  Hofling  kam  nach  Mantua,  hier  unterwies  er  die  Mark- 
grafin nicht  nur  darin,  wie  man  in  Wahrheit  zur  Dichterin  wiirde, 
sondern  schrieb  in  aller  Stille  Sonette,  die  der  Markgraf  als  sein 
eigenes  Elaborat  veroffentlichte ! 

Sonette  machen  gehdrte  zum  guten  Ton;  da  der  arme  Markgraf 
diese  Forderung  absolut  nicht  erfiillen  konnte,  half  er  sich,  so  gut 


148  SIEBENTES  KAPITEL 

es  eben  ging,  selbst  spater,  als  Tebaldeo  nicht  mehr  in  Mantua  lebte, 
lieB  er  sich  noch  Sonette  fur  seinen  eigenen  Bedarf  von  ihm 
schicken. 

Der  Dichter  erfiillte  seine  Aufgabe  zur  vollsten  Zufriedenheit  des 
Markgrafen,  aber  Gonzaga  entlohnte  Tebaldeo  nicht  seinen  beschei- 
denen  Anspriichen  gemaB.  Antonio  litt  Mangel,  er  wurde  am  Hof 
ungeniigend  und  schlecht  ernahrt,  bekam  den  ,,traurigsten"  Wein 
und  verdorbenes  Fleisch.  So  bat  er  den  Markgrafen,  ihm  wenigstens 
zehn  Dukaten  monatlich  auszusetzen,  da  er  sonst  in  Mantua 
nicht  leben  ikonne  und  einen  anderen  Dienst  suchen  miisse. 
Dem  Markgrafen  erschien  diese  Summe  zu  hoch,  Tebaldeo  ging 
deshalb  nach  Ferrara  zuriick,  trat  in  Ippolitos  Dienste  und  huldigte 
spater  dem  neuen  Stern  am  ferraresischen  Hofe,  Lucrezia  Borgia, 
deren  Sekretar  er  wurde. 

Seine  Beziehungen  zum  Hofe  von  Mantua  wurden  nicht  abge- 
brochen,  er  schickte  nach  wie  vor  seine  Gedichte,  fur  die  ihm  be- 
scheidener  Lohn  ward.  Einmal  bat  er  die  Markgrafin,  ihm  wenigstens 
vier  Hemden  zu  schenken,  wenn  auch  aus  elendem  Leinen,  er  wurde 
sie  in  Gedichten  bezahlen,  da  er  nichts  anderes  besitze. 

Endlich  im  Jahre  1513,  als  Leo  X.  Papst  wurde  und  samtliche 
Dichter  und  Kunstler  ihr  Heil  in  Rom  suchten,  iibersiedelte  auch 
Tebaldeo  in  die  papstliche  Residenz.  Er  wurde  Geistlicher,  lebte  in 
Castigliones,  Bembos  und  Raffaels  Gesellschaft,  und  seine  Traume 
sollten  wenigstens  zum  Teil  in  Erfiillung  gehen,  er  kam  auf  den 
ParnaB  —  wenn  auch  nur  auf  den  gemalten.  Raffael  brachte  nam- 
lich  sein  Bildnis  auf  dem  ParnaB-Fresko  in  den  vatikanischen 
Stanzen  an.  Es  gab  einen  Glanzpunkt  in  seinem  Leben:  Leo  X. 
schenkte  ihm  einst  500  Dukaten  fur  ein  Epigramm.  Wahrend  des 
Sacco  di  Roma  verlor  der  Dichter  sein  gesamtes  Hab  und  Gut,  er 
blieb  in  der  Stadt,  und  fluchte  bis  zu  seinem  Tode  —  am  4.  No- 
vember 1537  —  Karl  V.  und  seinen  Soldnern. 

Seine  gesammelten  Gedichte  gab  Jacopo  Tebaldi  1498  in  Modena 
heraus,  offenbar  ohne  Wissen  des  Verfassers;  sie  waren  Isabella 
von  Mantua  gewidmet.  Der  Dichter  selbst  wollte  seine  an  eine 
Flavia  gerichteten  Liebeslieder  der  Offentlichkeit  nicht  preisgeben. 
Die  Gedichte  strotzen  von  Ubertreibungen.     Die  Vergleiche  wirken 


DAS  JUNGE  FERRARA  149 

lacherlich,  soweit  sie  dem  heutigen  Geschmack  nicht  geradezu 
unertraglich  sind.  Des  Dichters  Tranen  flieBen  in  Stromen,  so  daB 
der  aufgeweichte  Erdboden  abrutscht;  wenn  er  liebt,  so  verzehrt 
dieser  Brand  seine  Kleider,  und  Rauchsaulen  steigen  gen  Himmel; 
ungewiB,  ob  dies  Feuer  ihn  ganz  verzehren  wird,  bittet  er  seinen 
Freund  vorsichtshalber,  Briefe  an  ihn  zu  adressieren;  an  den 
lebenden  oder  schon  toten  Tebaldeo.  Fast  noch  schlimmer  wird  es, 
wenn  er  Francesco  Gonzagas  Gefuhle  schildert:  der  Markgraf  weint 
aus  Liebe,  seine  Tranen  bilden  die  Seen,  die  Mantua  umgeben,  ja 
der  Po  steigt  infolge  dieses  Ergusses,  und  der  ungluckliche  Gonzaga 
seufzt  so  sehr,  daB  der  aus  seinen  Klagen  entstandene  Wind  den  Mast 
der  Barke  bricht,  die  ihn  zu  seiner  Geliebten  fuhrt.  Tebaldeo  selbst 
magerte  einmal  aus  Liebeskummer  so  ab,  daB  er  wahrend  des 
Karnevals  keine  Maske  vorzubinden  brauchte,  da  niemand  sein 
skelettartiges  Gesicht  erkannte. 

Seine  politischen  Sonette,  nach  Italiens  Niederlage  geschrieben, 
verraten  echten  Patriotismus,  doch  wiirde  man  auch  hier  vergebens 
nach  einem  einfachen  Gefiihl  suchen. 


Ill 

Neben  dieser  glanzenden  Jugend,  die  eine  mehr  oder  weniger 
behaglichesoziale  Stellung  undverfeinerteKultur  hatte,  trieb  sich 
unter  den  Dienern  der  Este  in  Kiichen  und  Vorzimmern,  in  ab- 
genutzten  Kleidern,  ein  sehr  origineller  Dichter  herum,  Antonio 
Cammelli  (1440 — 1502),  Pistoja  benannt.  Aus  ihm  sprach  der  Witz 
der  Armen  und  die  Satire  des  Volkes. 

Fast  jeder  Hof  hatte  damals  einen  derartigen  Dichter,  er  rangierte 
bei  Tische  hoher  als  der  Hofnarr  und  niedriger  als  der  fur  sein 
Kloster  sammelnde  Franziskaner;  alle  spotteten  seiner,  am  wenigsten 
vielleicht  der  Fiirst,  der  wegen  seiner  Schmeicheleien  fur  ihn  ein- 
genommen  war.  Eine  ahnliche  Rolle  spielte  in  Mailand,  an  Lodo- 
vico  Moros  Hof,  Bernardo  Bellincioni,  er  steckte  voller  Witz  und 
Sarkasmus  und  war  seinem  Herrn  ehrlich  zugetan.  Pistoja  hatte 
eine  groBe  Familie;  da  er  in  Ferrara  keine  feste  Beschaftigung  hatte, 


150  SIEBENTES  KAPITEL 

lebte  er  von  den  Brocken  der  herzoglichen  Tafel.  Unausgesetzt 
bettelte  er  urn  Getreide  und  andere  Lebensmittel,  einmal  schrieb 
er  demiitig,  daB  er  vom  Herzog  Nahrung  erwarte  wie  ein  Kind  von 
seiner  Mutter.  Wahrscheinlich  hat  er  eine  kleine  monatliche  Unter- 
stiitzung  bekommen,  beklagt  er  sich  doch  in  einem  seiner  Sonette, 
daB  er  ,,gegen  Monatsende"  zerrissene  Striimpfe  trage,  Hab  und 
Gut  sei  beim  Juden,  er  lebe  auf  Borg,  Regen  und  Sonne  kbnnten 
ungehindert  in  seine  elende  Wohnung  dringen,  Schwamm  decke 
den  FuBboden  und  Schimmel  die  Wande.  Den  Mauleseltreibern 
wurde  vom  Herzog  mehr  Gnade  als  den  Dichtern  erwiesen.  Wird 
ihm  im  SchloB  Essen  gereicht,  so  muB  er  mit  den  Hofnarren  und 
Fuhrleuten  vor  einem  widerwartigen  Tischtuch  niedersitzen  in  einem 
kalten,  schmutzigen  Raum,  wo  ihm  die  Decke  fast  auf  den  Kopf 
fallt.  Salat  mit  verdorbenem  01,  trockenes  verschimmeltes  Brot, 
saurer  Wein  und  das  nicht  gar  gewordene  Fleisch  einer  alten  Kuh 
bilden  das  Mahl. 

SchlieBlich  erbarmte  der  Herzog  sich  seiner  und  gab  ihm  eine 
Anstellung.  Im  Jahre  1487  ernannte  er  ihn  zum  Capitano  des 
Tores  di  Santa  Croce  in  Reggio  und  setzte  ihm  eine  kleine  Pension 
aus.  Aber  der  arme  Dichter  muBte  in  einem  Turm  wohnen,  der  ihm 
beinahe  iiber  dem  Kopf  zusammenbrach  und  den  Ercole  nicht 
restaurieren  lieB,  auch  die  allernotdurftigsten  Lebensmittel  wurden 
ihm  versagt.  Der  Capitano  bettelte  sich  bei  den  Biirgern  etwas 
Wein  und  Brot  zusammen.  Man  nannte  ihn  auch  ,,Fiirstendiener 
auf  fremde  Kosten",  ,, servo  del  duca  all'  altrui  spese".  Zwar  ver- 
sprach  ihm  der  Herzog  Geld,  doch  wurde  der  Sold  nie  ausgezahlt. 
Nach  zehn  Jahren  verlor  Pistoja  auch  diese  Anstellung,  bekam  sie 
aber  1499  wieder,  da  die  Markgrafin  Isabella,  die  seine  Verse  sehr 
schatzte,  sich  fur  ihn  verwandte.  Ein  Jahr  spater  hieB  es  wieder 
den  einstiirzenden  Turm  verlassen,  und  der  arme  Dichter  trieb  sich 
abwechselnd  an  den  Hofen  von  Correggio,  Mantua,  Novellara  und 
Ferrara  umher,  hungernd  und  klagend,  bis  er  elend  im  Jahre  1502 
gestorben  ist.  Auf  Veranlassung  der  Markgrafin  Isabella  sammelte 
Niccolo  da  Correggio  seine  Gedichte. 

Diese  Gedichte  verraten  viel  Kraft,  Sarkasmus  und  ehrlichen 
Schmerz  iiber  das  Ungliick  des  Landes.  Das  emporte  Gewissen  meldet 


DAS  JUNGE  FERRARA  151 

sich  sehr  selten  bei  den  Dichtern  jener  Periode,  die  alle  in  Phrase 
und  Schmeichelei  ersticken  —  dieser  arme  Hungerleider  allein  hat 
den  Mut  zur  Wahrheit.  An  Alexander  VI.  wendet  er  sich  in  einem 
geharnischten  Sonett: 

Ruina  de'  Christian,  tu,  falso  prete 
Per  simonia  comprasti  il  divin  culto, 
Da  cui  e  fatto  il  templo  santo  stulto 
Con  omici,  stupri  e  con  monete. 

Du,  Ruin  der  Christen,  falscher  Priester, 
Gottes  Stuhl  hast  du  durch  Simonie  erkauft, 
Die  heilige  Kirche  geschandet 
Durch  Mord,  Raub  und  Wucher. 


II  femelico  verme  iniquo  e  tristo, 
Che  divora  la  croce  e  Jesu  Christo. 

Gieriger,  boser,  finsterer  Wurm, 

Du  schandest  das  Kreuz  und  Christus. 

Als  Ferrara-Anhanger  haBte  Pistoja  Venedig  und  warf  der  Re- 
publik  ihre  Habsucht  und  Treulosigkeit  vor.  San  Marco  kennt  keine 
Freundschaft,  wiederholte  er  immer  wieder. 

Jedes  wichtigere  politische  Ereignis,  jede  markante  Personlichkeit 
unter  den  Zeitgenossen  spiegelt  sich  in  Pistojas  Sonetten.  In  Augen- 
blicken  derLeidenschaft  benutzte  er  die  wirksameFormkurzerFragen 
und  Antworten.  Ausgezeichnet  in  dieser  Hinsicht  ist  das  Gedicht, 
wie  der  beriichtigte  Lucca  Gregorio  Zampante,  den  die  Ferraresen 
hassen,  in  den  Himmel  eindringen  will,  aber  S.  Peter  weist  ihn  in 
die  Holle,  und  der  Teufel  Fanfarello  ubernimmt  die  Fuhrung: 

Toe  chi  batte?  —  Amici,  aprimi  un  poco. 

—  Come  ti  chiami?  —  Da  Lucca  Gregorio. 

—  Ah,  ah!  io  el  so,  il  tuo  nome  S  notorio; 
Su  su,  a  la  forca,  a  la  manara,  al  foco, 
Par  te  non  fu  fondato  questo  loco.      • 

Piu  giu  te  aspetta  un  altro  concistorio. 

—  Lasciami  venir  qui  col  tuo  aiutorio. 


152  SIEBENTES  KAPITEL 

—  No,  no,  altro  ti  vuol  cociere  il  coco. 

Bu,  bu.  —  Chi  abaia?  —  Pier  fammi  ragione. 

—  Chi  sei  tu  che  mi  chiami?  —  Fanfarello. 

—  Che  cosa  vuoi  da  me?  —  Questo  latrone, 
Che  al  ciel  per  crudelta  si  fe  rebello; 

Io  ti  dico  da  parte  di  Plutone, 

Che  gli  e  per  carta  suo:  ecco  il  libello. 

—  Io  non  voglio  esser  quello, 

Che  a  nissun  patto  l'altrui  preda  toglia: 
Piglialo,  menal  via  fa  la  tua  voglia. 

—  Cavati  for  la  spoglia, 
Cammina,  traditor,  che  ogni  martire, 
Sara  poca  vivanda  al  tuo  fallire.1) 

Wohl  Ercole  zu  Gefallen  schrieb  Pistoja  eine  fiinfaktige  Tra- 
godie:  ,,Filostrato  e  Panfila",  den  Inhalt  schdpft  er  aus  Boccaccios 
Novelle  von  Ghismonda  und  Guiscard.  Aber  hier  verlaBt  ihn  sein 
Witz,  er  kann  nicht  auf  Stelzen  gehen.  Das  Ganze  strotzt  von  Uber- 
treibungen  und  ist  erschreckend  trivial.  Doch  wurde  diese  Tragodie 
in  Mantua  in  der  Fastenzeit  im  Jahre  1499  aufgefuhrt. 

*)  Wer  klopft?  —  Freund,  mach  auf. 

—  Wer  bist  du?  —  Lucca  Gregorio. 

—  Nun  weiB  ich's,  bekannt  ist  dein  Name; 
Hinunter  zur  Holle,  in  Pech  und  Schwefel, 
Nicht  fur  dich  ist  dieser  Ort, 

Deiner  harrt  ein  andrer  Spruch. 

—  Hilf  mir  und  laB  mich  ein. 

—  Nein,  nein,  deiner  wartet  schon  der  Koch. 

—  Bu,  bu.  —  Wer  bellt  da?  —  Petre,  Gerechtigkeit. 

—  Wer  ruft  mich?  —  Fanfarello. 

—  Und  dein  Begehr?    Diesen  Rauber, 
Der  sich  gegen  Gott  emport. 

Pluto  laBt  dir  sagen, 

Er  sei  ihm  zu  eigen  —  hier  die  Schrift. 

—  Nicht  der  will  ich  sein, 
Der  andern  Rechte  raubt, 

Nimm  ihn  und  tu  nach  deinem  Begehr. 

—  Mach  hurtig,  Verrater. 

Fur  deine  Missetaten  langt  keine  Strafe. 


DAS  JUNGE  FERRARA  I53 

IV 

Wahrend  an  der  italienischen  Sprache  gearbeitet  wurde, 
taucht  auch  das  Verlangen  nach  der  italienischen  Biihne 
auf.  Die  alten  Mysterienspiele  geniigten  nicht  mehr,  sie  zogen 
sich  in  die  Klostermauern  zuriick,  und  die  Volksauffiihrungen,  die 
in  Siena  stattfanden,  entsprachen  dem  Geschmack  der  klassisch 
geschulten  gebildeten  Gesellschaft  nicht.  Die  neue  Generation 
verlangte  eine  Komodie  nach  dem  Muster  der  alten,  Szenen,  die 
menschliches  Leben  und  menschliche  Schwachen  spiegeln.  Natiir- 
lich  gait  es  erst  Anleihen  bei  Plautus  und  Terenz  zu  machen,  ehe 
man  die  Biihne  und  ihre  Anforderungen  begriff.  Die  antiken 
Komodien  aufzufiihren,  war  nicht  leicht  und  namentlich  mit  nicht 
unerheblichen  Kosten  verbunden;  die  italienischen  Hofe  begriff  en, 
daB  die  Initiative  von  ihnen  ausgehen  miisse,  die  vermogenden 
Fiirsten  waren  die  einzigen,  die  diesen  Versuch  unternehmen 
konnten. 

Es  wird  erzahlt,  daB  Ercole,  der  als  Knabe  wahrend  einer  Krank- 
heit  die  alten  Autoren  griindlich  gelesen,  schon  damals  die  Wieder- 
geburt  des  Theaters  geplant  hat.  Er  steht  an  der  Spitze  der  Be- 
wegung,  und  ihm  gebiihrt  das  grofite  Verdienst  in  der  Belebung  der 
modernen  Biihne.  Theaterauffuhrungen  liebte  er  leidenschaftlich, 
und  mit  Eifer  machte  er  sich  an  ihre  Ausstattung,  weder  Miihe  ncch 
Kosten  sparend.  Sein  Wunsch  war,  in  Ferrara  die  erste  Biihne 
Italiens  zu  schaffen,  und  er  hat  dieses  Ziel  zum  Nutzen  der  Literatur 
erreicht: 

Quae  fuerat  Latiis  olim  celebrata  theatris 
Herculea  .  .  .  scena  revixit  ope. 

Ercole  hat  eine  ganze  Schar  ferraresischer  Literaten  angefeuert, 
antike  Komodien  zu  iibersetzen,  umzuarbeiten,  Eklogen  zu  ver- 
fassen,  Pastoralen  und  Ballettspiele  zu  ersinnen.  Im  Einverstandnis 
mit  ihm  arbeiteten  an  der  Wiedergeburt  der  Biihne:  Bojardo,  Bat- 
tista  Guarino,  Niccolo  da  Correggio,  Collenuccio,  Tebaldeo  und  viele 
andere,  und  Architekten  und  Maler  wie  Fino  de'  Marsigli,  Trullo, 
Segna,  Giovanni  da  Imola,  Pellegrino  da  Udine  und  spater  die  Briider 


154  SIEBENTES  KAPITEL 

Dossi  und  ihre  Schiiler  ersannen  Biihnenapparate,  zeichneten 
Kostume  und  malten  Dekorationen. 

Als  erstes  Theaterstiick  wurden  i486  Plautus'  Menaechmen 
aufgefiihrt.  Die  Biihne  war  im  SchloBhof  aufgeschlagen.  Ein  Jahr 
darauf,  zu  Ehren  von  Lucrezia  d'Este  und  Annibale  Bentivoglios 
Hochzeit  wurde  ein  Original-Lustspiel,  Correggios  ,,Cefalo",  mit 
sehr  viel  Pomp  gespielt.  Die  Biihne  war  in  ein  SchloBchen  verwandelt, 
dort  agierten  die  Schauspieler.  Das  erwies  sich  als  unpraktisch, 
da  man  infolge  des  Regens  eine  Auffiihrung  abbrechen  mufite. 
Spater  fanden  Auffuhrungen  abwechselnd  im  Garten  oder  in  Schi- 
fanoja  statt,  schlieBlich  wurde  1499  mit  nicht  unbedeutenden 
Kosten  eine  Biihne  im  grofien  Palastsaal  errichtet.  Ballette,  Farcen 
und  Burlesken  schob  man  zwischen  die  Akte  der  klassischen  ,,Ko- 
mddien"  ein,  die  alles  andere  eher  denn  amiisant  waren.  Ferrara 
errang  eine  Stellung,  wie  sie  heute  etwa  Bayreuth  hat.  Aus  weiter 
Feme  kam  man  zu  diesen  Auffuhrungen,  iiberall  wurde  davon 
gesprochen,  ja  die  Auffuhrungen  in  Ferrara  gehorten  zu  den  be- 
deutendsten  kunstlerischen  Ereignissen  der  damaligen  Zeit.  Den 
Glanzpunkt  bildete  die  Auffiihrung  des  gesamten  Zyklus  von 
Plautus'  Komodien  anlaBlich  der  Feste  bei  Don  Alfonsos  Trauung 
mit  Lucrezia  Borgia.     Doch  wird  davon  noch  die  Rede  sein. 

Ferraras  Biihne  war  gewissermaBen  das  Vorbild  fur  alle  iibrigen 
Hofe.  Namentlich  die  Gonzaga  in  Mantua  und  Lodovico  Moro 
waren  leidenschaftliche  Theaterenthusiasten;  die  Auffuhrungen 
brachten  in  die  Monotonie  des  hofischen  Lebens  viel  Abwechslung. 
In  Ferrara  und  Mantua  wurden  allmahlich  Schauspieler  aus- 
gebildet,  die  man  sich  gegenseitig  lieh.  Der  schon  siebzigjahrige 
Ercole  unternahm  1493  eine  muhselige  Reise  nach  Mantua,  um  dort 
eine  Auffiihrung  zu  leiten.  Er  nahm  zwanzig  junge  Leute  mit, 
die  gewohnt  waren,  auf  der  Biihne  aufzutreten,  darunter  befand 
sich  auch  Ariost. 

Im  Anfang  des  XVI.  Jahrhunderts  entstand  unter  den  Juden 
in  Mantua  eine  Gesellschaft  von  Gelegenheits-Schauspielern,  sie 
spielten  am  Hofe  des  Markgrafen,  und  ihre  Gesellschaft  blieb  lange 
bestehen.  Fiir  ihre  Auffuhrungen  hatten  die  Juden  ihr  eigenes 
Orchester. 


DAS  JUNGE  FERRARA  155 

V 

Eine  von  Ercoles  Hauptstiitzen  im  Arrangieren  von  Theater- 
auffuhrungen  war  Niccolo  da  Correggio,  eine  sehr  ausgepragte 
Personlichkeit,  die  etwa  Castigliones  Idealbild  eines  Hofmannes 
entsprach.  Ansehnlich,  tapfer,  der  Held  der  Turniere  und  Ver- 
ehrer  des  schonen  Geschlechts,  tanzte  er  so  gut  wie  wenige  seiner 
Zeitgenossen;  dank  seiner  eleganten  Kleidung  gait  er  der  Jugend 
als  Modevorbild,  war  die  Seele  der  Feste,  verfaBte  Lustspiele  mit 
unglaublicher  Geschicklichkeit  und  machte  im  Fluge  Madrigale, 
Sonette  und  Inschriften  fur  Impresen.  Saba  da  Castiglione  nennt  ihn 
einen  der  beruhmtesten  Ritter  Italiens,  ,,uno  delli  piu  famosi, 
honorati  et  virtuosi  cavalieri,  che  in  tutta  Italia  si  trovarsero",  und 
Carretto  feiert  ihn  in  seiner  Dichtung  ,,Tempio  d'Amore": 

...  II  cavalier  de  tanto  preggio 
Che  con  stil  elegante  et  amoroso 
E  col  valor  de  Marte  orna  Correggio. 

Er  war  mit  den  Este  verwandt;  seine  Mutter  Beatrice  war 
Niccolos  III.  natiirliche  Tochter  und  hatte  1448  Niccolo  di  Gherardo 
da  Correggio  geheiratet.  Man  nannte  sie  ,,regina  delle  feste",  und 
ein  vielzitiertes  Wort  hieB:  ,,um  leicht  aus  dieser  Welt  in  jene 
uberzugehen,  miisse  man  Pierobonos  Musik  lauschen,  um  den  Him- 
mel  offen  zu  finden,  Herzog  Borsos  Gnade  erfahren,  und  um  das 
Paradies  zu  sehen,  Donna  Beatrice  auf  einem  Ball  beobachten." 
Einige  Monate  nach  der  Hochzeit  starb  Niccolo  da  Correggio.  Der 
Sohn  Niccolo,  den  Beatrice  nach  dem  Tode  des  Gatten  in  den  ersten 
Monaten  des  Jahres  1450  geboren,  bekam  den  Beinamen  Postumus, 
um  ihn  vom  Verstorbenen  zu  unterscheiden.  Kaiser  Friedrich  III., 
der  1452  in  Ferrara  war,  hat  das  Kind,  wie  bereits  erwahnt,  zum 
Ritter  geschlagen.  Um  das  Kriegshandwerk  zu  lernen,  diente  Cor- 
reggio als  Kondottiere  im  Heer  der  venezianischen  Republik  unter 
Bartolommeo  Colleoni.  1472  heiratete  er  dessen  Tochter  Cassandra, 
eine  beruhmte  Schonheit,  trat  aus  dem  venezianischen  Heer  aus 
und  lebte  abwechselnd  in  Ferrara,  Mantua  und  Mailand.  Bei 
Moro  und  Beatrice  d'Este  stand  er  in  besonderer  Gunst.  FiirFrauen- 


I56  SIEBENTES  KAPITEL 

toilette  hatte  er  ein  scharfes  Auge,  und  Beatrice  lieB  sich  gem  von 
ihm  beraten.  Uberall  war  er  ein  begehrter  Gast,  er  belebte  die  Gesell- 
schaft  durch  seinen  Witz,  machte  Sonette  und  Lieder,  die  Isabella 
d'  Este  zur  Laute  sang.  Fiir  sie  schrieb  er  audi  eine  psychologische 
Dichtung  ,, Psyche"  —  allerdings  von  nur  geringem  Wert. 

Als  es  im  Jahre  1482  zum  Kriege  zwischen  Ferrara  und  Venedig 
kam,  kampfte  Niccolo  auf  Seite  der  Este.  In  der  Schlacht  bei 
Argenta  geriet  er  in  venezianische  Gefangenschaft ;  die  Republik 
vergafi  es  ihm  nicht,  daB  er  vor  zehn  Jahren  ihr  Kondottiere  gewesen 
war  und  eine  Venezianerin  zur  Frau  hatte,  und  behandelte  ihn  als 
gemeinen  Gefangenen.  Er  wurde  in  die  Toricella  eingesperrt  und 
schrieb  sehr  ungluckliche  Briefe  von  dort  aus,  er  beklagte  sich  iiber 
den  unerhorten  Schmutz,  iiber  Flohe  und  anderes  Ungeziefer,  das 
ihn  nicht  schlafen  lieB,  iiber  das  ekelhafte  Essen  und  auch  dariiber, 
daB  er  nicht  einmal  einen  Tisch  habe. 

Als  sichMoro  und  Isabella  d'Este  fiir  ihn  verwandten,lieBen  ihn  die 
Venezianer  nach  einigen  Monaten  frei;  Correggio  war  des  Kriegessatt 
und  ging  nach  Frankreich  alsMoros  Gesandter.  Am  haufigsten  hielt  er 
sich  in  Ferrara  auf  und  half  Ercolel.  bei  seinen  Theaterauffuhrungen. 

Im  venezianischen  Gefangnis  beklagte  er  in  seinem  besten 
und  tiefst  empfundenen  Sonett  Ferraras  Niederlage.  Da  er  Venedigs 
Macht  kannte,  bat  er  die  geliebte  Stadt,  sich  dem  Lowen  zu  beugen. 

Io  t'amo.     Tu  sai  ben,  ch' io  n' ho  cagione 
Deh!     perche  non  deponi  omai  l'orgoglio? 
Che  sai:  sol  umilta  vince  il  Leone. 
Piu  che  di  mia  prigion  di  te  mi  doglio; 
Che  poi  che  vedi  in  l'arme  la  ragione 
Vogli  schivare  il  porto  e  dar  nel  scoglio. 

Sein  literarisch  bedeutendstes  Werk  war  ein  mythologisch- 
pastorales  Drama  ,,Favola  di  Cefalo".  Es  wurde  1487  in  Ferrara 
zum  erstenmal  aufgefiihrt  und  war  eines  der  ersten  fiir  die  Biihne 
bestimmten  italienischen  Originalwerke.  Es  ist  jedoch  ein  sehr 
verungliicktes  Drama;  der  Inhalt  ist  aus  Ovids  Metamorphosen 
geschopft.  Niccolo  war  auch  der  Verfasser  der  dramatischen  Ekloge 
,,Favola  di  Callisto",  die  1501  in  Mantua  aufgefiihrt  wurde. 


DAS  JUNGE  FERRARA  I57 

Correggio  reiste  fast  immer  in  Gesellschaft  seines  Sekretars, 
des  Messer  Niccolo,  der  auch  dichtete,  oder  eines  anderen  ,,Fa- 
miliaris",  des  sogenannten  Prete  da  Correggio.  Der  letztere,  ein 
sonderbarer  Mensch,  war  am  Hofe  zu  Ferrara  und  Mantua  wegen 
seines  Witzes  und  seines  groBen  Diensteifers  sehr  beliebt.  An  ihn 
wandte  man  sich  in  alien  schwierigen  Familienangelegenheiten, 
er  verstand  es,  Geschafte  zu  ordnen,  Gaste  zu  unterhalten  und  ge- 
legentlich  bei  einem  Bankett  trat  Prete  als  fahrender  Sanger  auf 
und  trug  seine  eignen  Gedichte  vor.  Isabella  hat  ihn  sich  einmal 
schriftlich  bei  Correggio  ,,per  nostra  recreatione"  ausgeliehen. 

Trotz  seiner  gesellschaftlichen  Erfolge  scheint  Correggio  nicht 

glucklich  gewesen  zu  sein;  in  seinen  Sonetten  klagt  er  iiber  sein 

Geschick  und  die  Frauen.    Das  eine  beginnt  mit  den  Worten:  ,,Sotto 

la  croce  che  mi  da  la  sorte".    Auch  scheint  er  schwer  darunter  ge- 

litten  zu  haben,  daB  seine  Liebe  unerwidert  blieb.  Natiirlich  hat  auch 

er    einen   ,,Canzoniere"   hinterlassen,    er    hat    ihn   Isabella    d'  Este 

zwar  angeboten,  aber  nicht  geschickt.    Nach  dem  Tode  des  Dichters 

scheint  die  Markgrafin  erfahren  zu  haben,  daB  Correggios   Sohn, 

Gian   Galeazzo,   diese   Gedichtsammlung  Lucrezia  Borgia  widmen 

wolle.   Das  emporte  Isabella,  infolgedessen  reklamierte  sie  den  Nach- 

laB  energisch;  ob  sie  den  ,,Canzoniere"  bekommen  hat,  wissen  wir 

nicht,  aber  ihr  Arger  ist  begreiflich,  denn  einmal  war  ihr  Lucrezia  wenig 

sympathisch,  auBerdem  empfandsie  GianGaleazzosVorgehen  als  Un- 

dankbarkeit,  da  sie  sich  der  Correggio  stets  angenommen  hatte. 

Selbst  als  Galeazzo  sich  mit  Ginevra  Rangoni  vermahlte, 

schenkte  sie  ihm  ein  schones  Klavier,  ,,un  magni- 

fico   Clavicordio".     Niccolo    Correggio    starb 

in  Ferrara  in  der  Nacht  vom  i.  auf  den 

2.  Februar  1508;  es  waren  nicht 

weniger     als     sieben    Arzte 

an    sein    Krankenbett 

gerufen  worden. 


ACHTES  KAPITEL 

LUCREZIA  BORGIA 


i 

orenzo  Pucci,  der  Florentiner  Gesandte  am  romischen 
Hofe,  schrieb  am  24.  Dezember  1493  an  seinen  Bruder, 
er  wolle  Madonna  Giulia  Farnese  besuchen  und  sich 
ihre  weitere  Protektion  beim  Papste  sichern,  als  Ent- 
gelt  fiir  die  Dienste,  die  er  ihrer  Familie  geleistet  habe. 
Pfrunden,  die  ihm  ansehnliche  Einkiinfte  eintrugen, 
verdankte  Pucci  Giulias  Verwendung  bei  Alexander  VI.  Giulia  lebte 
bei  Lucrezia  Borgia,  Alexanders  Tochter,  der  der  Vater  in 
S.  Maria  in  Porticu  ein  Haus  in  der  Nahe  des  Vatikans  abge- 
treten  hatte. 

Lucrezia  war  damals  dreizehn  Jahre  alt,  Giulia,  die  etwas  altere, 
war  Orsinis  Gattin  und  Mutter  der  kleinen  Laura.  Giulias  Schwieger- 
mutter,  Adriana  Ursina  oder  Orsini,  stand  Lucrezias  Haus  vor; 
Alexander  hatte  es  nicht  als  zweckmaBig  erachtet,  seine  Tochter  bei 
ihrer  Mutter,  Vanozza  Catanei,  erziehen  zu  lassen.  Als  Kardinal 
hatte  er  Vanozza  verheiratet,  zuerst  an  den  Mailander  Giorgio  da 
Croce,  dann  nach  dessen  Tode  an  den  unbedeutenden  Mantuaner 
Dichter  Carolus  Canale,  dem  er  eine  kleine  Anstellung  als  Solli- 
zitator  der  papstlichen  Bullen  verschafft  hatte. 

Aus  dem  Hause  des  Sollizitators  konnte  die  Tochter  des  Kar- 
dinals  Borgia  nicht  ihren  Eintritt  in  die  Welt  feiern.  Es  lieB  sich 
auch  anders  einrichten.  Alexander  hatte  Beziehungen  zu  Adriana, 
Lodovico  Orsinis  Witwe,  die  im  Jahre  1489  ihren  Sohn  mit  der 
schonen  Giulia  Farnese  verheiratet  hatte.  Der  Kardinal  verliebte 
sich  in  die  junge  Giulia  und  stand  bereits  zwei  Jahre  nach  ihrer 


LUCREZIA  BORGIA  i$q 

Trauung  in  intimen  Beziehungen  zu  ihr,  Adriana,  Orsinis  Mutter, 
unterstiitzte  dieses  Verhaltnis,  damit  der  Kardinal  die  finanziell 
zerriittete  Lage  ihres  Geschlechtes  hebe.  Sie  entfernte  ihren  Sohn 
auY  eines  der  Schlosser  der  Orsini  und  leistete  dem  Kardinal  und 
spateren  Papst  Borgia  Dienste,  die  schlecht  mit  den  Traditionen  ihres 
vornehmen  Geschlechtes  im  Einklang  standen. 

Pucci  kam  in  Lucrezias  Haus,  um  Giulia  Farnese  zu  sehen. 
Die  drei  Frauen  saBen  vor  dem  Kamin,  da  Madonna  Giulia  gerade 
ihre  Haare  trocknete.  Sie  begriiBten  Lorenzo  freudig,  und  Giulia 
bat  ihn,  neben  ihr  Platz  zu  nehmen. 

Pucci  hatte  Giulia  langere  Zeit  nicht  gesehen,  er  berichtet,  sie 
sei  etwas  voller  geworden  und  das  schonste  Geschopf  der  Welt. 
Ein  Battisttiichlein  hatte  sie  iiber  den  Kopf  gebunden,  und  ihr 
Haar  war  durch  ein  spinnwebdiinnes  Netz,  das  mit  goldenen 
Faden  durchwirkt  war,  zusammengehalten.  Im  Beisein  des  Gastes 
lieB  sie  sich  kammen  und  loste  ihr  Haar.  ,, Etwas  Ahnliches", 
schreibt  Lorenzo,  ,,habe  ich  nie  gesehen.  Ihr  goldblondes  Haar 
reicht  bis  zu  ihren  FiiBen,  Giulia  leuchtete  wie  die  Sonne."  Sie 
lieB  ihr  einjahriges  Tochterchen  bringen,  das  Kind  war  dem  papst- 
lichen  Vater  auffallend  ahnlich,  ,,adeo  ut  vere  ex  ejus  semine  orta 
dici  possit". 

Wahrend  Pucci  mit  Giulia  und  Adriana  sprach,  entfernte  sich 
Lucrezia,  um  sich  umzukleiden,  sie  kam  in  einem  Morgenkleid 
aus  veilchenfarbenem  Samt  wieder,  das  nach  neapolitanischer 
Mode  gearbeitet  war.  Auch  sie  hatte  goldblondes  Haar;  die  Farbe 
war  sicherlich  kunstlich  erzeugt,  denn  die  Tochter  Vanozza  Cataneis 
aus  dem  Trastevere-Viertel  und  Rodrigo  Borgias,  des  Mauren 
aus  der  Gegend  von  Valenzia,  war  kaum  von  Natur  blond.  Lucrezia 
war  lange  nicht  so  schon  wie  ihre  Gefahrtin,  ihre  Ziige  waren 
nicht  regelmaBig,  aber  sie  hatte  einen  besonders  reizvollen  Aus- 
druck,  war  lebhaft,  nicht  frei  von  Koketterie  und  im  Gesprach 
anmutig  und  gewandt.  Die  Heiterkeit  und  das  Gewinnende 
ihres  Wesens  waren  vater liches  Erbteil,  auch  der  Papst  bezwang 
die  Menschen  durch  seine  Liebenswiirdigkeit.  Diese  Vorzuge  eigneten 
auch  ihrem  Bruder,  Cesare  Borgia,  der  trotz  seiner  Grausamkeiten 
und  Verbrechen  die  Menschen  an  sich  zu  fesseln  wuBte. 


l6o  ACHTES  KAPITEL 

Die  Umgebung  der  13  jahrigen  Lucrezia  war  alles  andere  eher 
als  moralisch.  Der  alte  Vater,  der  Papst,  in  ein  Liebesabenteuer 
mit  Giulia,  der  Frau  eines  anderen,  verstrickt,  und  dieses  Verhaltnis 
von  der  Haushofmeisterin  und  Schwiegermutter  der  jungen  Frau 
begiinstigt.  In  einem  anderen  Stadtviertel  Lucrezias  Mutter,  ihr 
ferngeriickt,  von  einer  neuen  Familie  und  neuen  Kindern  urn- 
geben,  und  in  Lucrezias  Haus  das  kleine  Schwesterchen,  Giulias 
und  des  Papstes  Tochter.  Die  Verhaltnisse  waren  selbst  fur  die 
Renaissance  kompliziert  genug. 

Lucrezia  war  trotz  ihrer  dreizehn  Jahre  schon  zweimal  verlobt 
gewesen,  beidemal  mit  Spaniern,  da  Borgia  in  Italien  einen  dem 
Range  seiner  Familie  entsprechenden  Verlobten  fur  seine  Tochter 
nicht  finden  konnte.  Noch  gait  es  in  Rom  als  Makel,  die  Tochter 
eines  Kardinals  zu  sein,  in  Spanien  war  Lucrezias  groBe  Mitgift 
ausschlaggebend.  Ihren  ersten  Verlobten,  Cherubin  de  Centelles, 
hat  Lucrezia  nie  gesehen,  dem  elf  jahrigen  Kinde  war  mitgeteilt 
worden,  daB  iiber  sein  Schicksal  bestimmt  sei.  Bald  traten  Urn- 
stande  ein,  die  die  Vollziehung  dieser  Ehe  hinderten,  deshalb  suchte 
der  Kardinal  fur  seine  Tochter  einen  anderen  Spanier  zum  Manne, 
den  Grafen  Aversa.  Ehe  Lucrezia  erwachsen  war,  wurde  ihr  Vater 
Papst  (am  11.  August  1492),  und  Alexander  VI.  geniigte  Graf 
Aversa  als  Schwiegersohn  nicht  mehr,  er  wiinschte  die  Borgia 
durch  seine  Tochter  mit  einer  groBen  italienischen  Familie  zu 
verbinden,  um  ihren  politischen  EinfluB  auf  der  Halbinsel  zu  ver- 
starken. 

Zum  Brautwerber  wurde  diesmal  der  Kardinal  Ascanio  Sforza 
ausersehen,  dem  Rodrigo  Borgia  seine  Papstwiirde  in  der  Haupt- 
sache  zu  danken  hatte.  Ascanio  gehorte  zu  den  intimsten  Vertrauten 
des  Papstes  und  war  allvermogend  im  Vatikan.  Er  kam  auf  den 
Gedanken,  Lucrezia  mit  Giovanni  Sforza,  dem  Grafen  von  Cotignola 
und  kirchlichen  Vikar  zu  Pesaro,  das  die  Sforza  als  papstliches 
Lehen  verwalteten,  zu  verheiraten.  Giovanni  war  sechsundzwanzig 
Jahre  alt,  Witwer,  seine  erste  Frau  Maddalena,  die  Schwester  von  Eli- 
sabetta  Gonzaga  aus  Urbino,  war  im  Wochenbett  gestorben, 
tapfer,  gebildet,  —  die  Vorbedingungen  f iir  das  Gliick  der  papstlichen 
Tochter   schienen   gegeben.      Die   Verbindung   mit   der   machtigen 


PINTURICCHIO:  DIE  HEILIGE  KATHARINA  VON  ALEXANDRIEN 

ANGEBLICHES  PORTRAT  VON  LUCREZIA  BORGIA 

DETAIL  AUS  DEM  APPARTAMENTO  BORGIA  1M  VAT1KAN 


LUCREZIA  BORGIA  I6I 

Familie  Sforza  war  ein  wichtiger  Schritt  in  der  Geschichte  von 
Alexanders  VI.  Familienpolitik;  Lodovico  Sforza,  der  Mailander, 
wurde  so  zum  Anhanger  des  Papstes. 

Kaum  hatte  Graf  Aversa  erfahren,  daB  sein  zukunftiger 
Schwiegervater  den  papstlichen  Thron  bestiegen  habe,  als  er  nach 
Rom  kam,  um  an  seine  Rechte  zu  mahnen.  Gleichzeitig  erschien 
Sforza,  und  die  Anwesenheit  dieser  beiden  Bewerber  gab  AnlaB  zu 
verletzendem  Gerede  liber  den  Papst  und  die  Braut.  Lucrezia  hat 
an  diesen  Intrigen  keine  Schuld,  der  Papst  hat  despotisch  iiber 
ihre  Hand  verfiigt.  Als  der  Spanier  sah,  daB  Sforza  mehr  Chancen 
hatte,  trat  er  ihm  gegen  eine  Abfindungssumme  von  dreitausend 
Dukaten  seine  Rechte  auf  Lucrezias  Hand  ab  und  verlieB  Rom. 

Die  Stadt  Pesaro  freute  sich  des  Sieges  ihres  Herrn,  da  sie  ver- 
schiedene  Begiinstigungen  vom  Papst  erhoffte.  Sforza  veranstaltete 
einen  groBen  Ball  im  SchloB,  die  tanzenden  Paare  schritten  zum 
SchloBhof  hinaus,  durchzogen  im  Reigen  die  StraBen  und  mischten 
sich  tanzend  unter  das  Volk.  Der  Bevollmachtigte  des  Papstes, 
Monsignore  Scaltes,  fuhrte  den  lustigen  Reigen. 

Dieses  Hinuntersteigen  der  Tanzenden  aus  dem  fiirstlichen 
SchloB  zum  Volke  ist  ein  charakteristischer  Beweis  fur  das  be- 
stehende  Verhaltnis  zwischen  italienischen  Despoten  und  ihren 
Untergebenen.  Niemals  war  der  Klassenunterschied  in  Italien 
so  groB  wie  in  anderen  Landern.  Das  Volk  hatte  seine  alte  Kultur, 
einen  auBeren  Schliff  und  eine  gewisse  angeborene  Liebenswiirdig- 
keit,  die  es  im  gesellschaftlichen  Verkehr  den  hoheren  Klassen 
fast  gleichstellte.  Deshalb  hatten  Maskenfeste  nirgends  eine  solche 
Bedeutung  wie  in  italienischen  Stadten.  Wenn  sich  die  SchloB- 
herrin  in  ihrer  Maske  unter  das  Volk  mischte,  so  wuBte  sie,  daB  sie 
sich  in  ihrer  Sphare  bewegte,  in  einer  Masse,  die  gesellschaftlicher 
Manieren  nicht  entbehrte. 

Am  12.  Juni  1494  fand  im  Vatikan  Lucrezias  Trauung  mit  Sforza 
statt.  Die  Neuvermahlte  zahlte  vierzehn  Jahre.  Der  Papst  und  die 
Sforza  waren  befriedigt:  Lodovico  Moro  war  im  Begriffe,  Karl  VIII. 
nach  Italien  zu  rufen,  damit  er  die  Macht  Ferdinands  von  Neapel 
breche,  der  Papst  und  Venedig  strebten  nach  dem  gleichen  Ziel,  so  war 
es  ein  leichtes,  ein  Biindnis  gegen  den  Neapolitaner  zu  schlieBen. 


l(,2  ACHTES  KAPITEL 

Lucrezia  begab  sich  fur  kurze  Zeit  nach  Pesaro.  Bei  stromendem 
Regen  zog  sie  am  8.  Juli  1494  ein  und  nahm  ihren  Wohnsitz  in 
Gradara,  dem  Lieblingsaufenthalt  ihres  Gatten.  Auf  Alexander  VI. 
lastete  die  Trennung  von  seiner  Tochter,  er  verlangte  unablassig 
nach  Nachrichten,  und  aus  jener  Zeit  hat  sich  ein  eigenhandiger 
Brief  des  Papstes  an  sie  erhalten,  uberstromend  von  Ausdriicken 
vaterlicher  Zuneigung.  Der  Papst  empfiehlt  Lucrezia,  auf  ihre  Ge- 
sundheit  zu  achten  und  fleiBig  zur  Madonna  zu  beten. 

Sehr  bald  anderte  Alexander  VI.  seine  Politik;  Spanien  ver- 
mittelte  zwischen  dem  Papst  und  Konig  Ferdinand  von  Neapel,  und 
das  Biindnis  mit  Lodovico  Moro  und  den  Venezianern  ward  dem 
Papst  zum  Hemmschuh.  Die  Stellung  der  Sforza  am  papstlichen 
Hofe  war  erschiittert,  Alexander  VI.  vereinigte  sich  mit  der  arago- 
nischen  Dynastie  und  wurde  zum  Gegner  von  Karls  VIII.  geplantem 
Zug  nach  Italien,  an  dem  Moro  arbeitete.  Selbst  Ascanio  Sforza, 
der  Gunstling  des  Papstes,  fiihlte  sich  infolgedessen  in  Rom  nicht 
sicher  und  floh  nach  Ganezzano  zu  den  Colonna,  die  in  franzosischem 
Sold  standen. 

Giovanni  Sforza  blieb  als  Kondottiere  der  Kirche  noch  eine 
Zeitlang  im  Lager  der  neapolitanischen  Armee,  aber  auch  seine 
Stellung  wurde  unmoglich.  Er  mufite  entweder  gegen  die  Franzosen 
kampfen  und  gegen  den  Vorteil  der  eignen  Familie,  deren  Haupt 
Moro  war,  arbeiten,  oder  mit  dem  Papst  brechen.  Alexander  VI. 
erleichterte  ihm  diesen  Konflikt;  als  Giovanni  nach  Rom  kam, 
wo  auch  Lucrezia  sich  damals  befand,  verlangte  der  Papst  von  ihm, 
in  eine  Trennung  von  seiner  Frau  einzuwilligen,  mit  dem  Eingestand- 
nis,  daB  die  Ehe  infolge  seiner  Schuld  nie  vollzogen  worden  sei. 

Giovanni  wollte  von  all  dem  nichts  horen,  aber  hinter  dem 
Papst  stand  Cesare  Borgia,  der  derartige  Angelegenheiten  mit  Gift 
oder  Dolch  zu  erledigen  pflegte.  Er  soil  seiner  Schwester  gesagt 
haben,  daB  sich  Mittel  genug  finden  wiirden,  um  sie  von  dem  un- 
be  quern  gewordenen  Gatten  zu  befreien.  Schnell  benachrichtigte 
Lucrezia  Giovanni  von  der  ihm  drohenden  Gefahr,  er  warf  sich 
auf  sein  turkisches  Pferd  und  erreichte  Pesaro  im  Verlauf  von 
vierundzwanzig  Stunden.  Das  Pferd  brach  erschbpft  zusammen, 
aber  Sforzas  Leben  war  gerettet. 


LUCREZIA  BORGIA  163 

Es  wird  erzahlt,  daB  Giacomino,  Sforzas  Diener,  sich  bei  Lucrezia 
befand,  als  Cesare  zu  ihr  kam,  um  ihr  mitzuteilen,  der  Befehl, 
ihren  Gatten  zu  ermorden,  sei  schon  erlassen.  Lucrezia  verbarg 
den  Diener  hinter  dem  Bettvorhang,  damit  er  Zeuge  ihres  Gespraches 
mit  Cesare  sei,  und  schickte  Giacomino,  als  ihr  Bruder  das  Zimmer 
verlassen,  zu  Sforza,  um  ihn  von  den  Anschlagen  der  Borgia 
zu  unterrichten.  Ehrlich  war  Lucrezia  gegen  ihren  Mann  vor- 
gegangen,  den  sie  vielleicht  nie  geliebt  hat,  aber  dessen  Frau  sie 
schlieBlich  war.  Nach  Sforzas  Flucht  zog  sie  sich  in  das  Kloster 
San  Sisto  zu  Rom  zuriick,  das  sie  am  4.  Juni  1497  be^og.  Ob  sie 
sich  aus  eignem  Willen  hinbegeben  hat  oder  auf  Befehl  des  Vaters 
und  Bruders,  die  erfahren  haben  muBten,  daB  sie  Giovannis  Flucht 
bewirkt  hatte,  muB  dahingestellt  bleiben. 

Im  September  1497  berief  der  Papst  eine  Scheidungskommission, 
die  erkannte,  daB  die  Ehe  ungultig  sei,  da  sie  nicht  vollzogen  worden 
war.  Lucrezia  muBte  bezeugen,  daB  sie  diese  Tatsache  beschworen 
konne. 

Als  Sforza  dies  erfuhr,  fuhlte  er  sich  selbst  in  Pesaro  nicht  mehr 
sicher  und  floh  verkleidet  nach  Mailand.  Er  legte  Protest  ein  gegen 
die  Aussagen  erkaufter  Zeugen,  doch  gegen  die  Borgia  lieB  sich 
nicht  kampfen.  Lodovico  Moro  und  Ascanio  Sforza  drangten  in 
ihn,  nachzugeben.  Giovanni  fiigte  sich  ihren  Wunschen  und  gab 
eine  schriftliche  Erklarung,  daB  Lucrezias  Aussagen  auf  Wahrheit 
beruhen. 

Am  22.  Dezember  1497  wurde  die  Scheidung  ausgesprochen, 
und  Sforza  gab  Lucrezia  ihre  Mitgift,  31000  Dukaten,  heraus.  Von 
diesem  Augenblick  an  wurde  er  der  groBte  Widersacher  seiner 
friiheren  Gattin  und  verbreitete  die  schamlosesten  Geriichte  iiber 
ihr  Verhaltnis  zum  Papst.  Damals,  wo  die  Verkehrsverhaltnisse 
schwerfallig  waren  und  Zeitungen  fehlten,  wurde  jedes  Gerede, 
auch  das  unwahrscheinlichste,  leicht  geglaubt.  Die  von  ihm 
ausgesprengten  Nachrichten  gelangten  in  Briefe  und  Chroniken 
und  haben  sich  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhalten. 

Der  iiberzeugendste  Beweis  dafiir,  daB  blutschanderische  Be- 
ziehungen  zwischen  Alexander  VI.  und  Lucrezia  nie  bestanden 
haben,  ergibt  sich  daraus,  daB  der  Papst  ein  sehr  guter  Vater  war; 


164  ACHTES  KAPITEL 

seine  groBen  Fehler  entstanden  gerade  aus  dieser  Liebe  und  Ver- 
blendung  fur  seine  Kinder.  Obrigens  war  Alexander  eine  durchaus 
normale,  gesunde  Natur,  nur  fehlten  ihm  alle  Qualitaten,  die  ihn 
zum  Papst  befahigt  hatten.  Feinde  oder  ,,Unbequeme"  zu  ver- 
giften  oder  zu  ermorden,  gait  unter  den  damaligen  Herrschern 
nicht  als  unmoralisch  oder  unerlaubt. 

Die  politischen  Plane  des  Papstes  und  namentlich  Cesare  Borgias 
drangten  zu  einer  engen  Vereinigung  mit  dem  Hof  von  Neapel. 
Wieder  sollte  Lucrezia  zum  gefiigigen  Werkzeug  werden.  Der 
Papst  forderte  Carlotta,  Federigos  Tochter,  zur  Frau  fiir  Cesare. 
Zu  einem  solchen  Opfer  konnte  sich  der  Konig  von  Neapel  nicht 
entschlieBen,  besonders  da  auf  Cesare  ein  neues  blutiges  Ver- 
brechen  lastete:  man  bezichtigte  ihn  der  Ermordung  seines  Bruders 
Gandia.  Nach  langeren  Unterhandlungen  gab  Federigo  seine  Ein- 
willigung  zur  Heirat  von  Don  Alfonso,  des  natiirlichen  Sohnes  Al- 
fonsos  II.,  mit  Lucrezia.  Don  Alfonsos  Schwester,  Donna  Sancia, 
war  bereits  mit  Cesares  jiingerem  Bruder,  Don  Jofr6,  vermahlt. 

Alfonso,  der  als  der  schonste  Jungling  in  Rom  gait,  war  sieb- 
zehn  Jahre  alt.  Lucrezia  war  um  ein  Jahr  alter.  Am  20.  Juni  1498 
wurde  die  Vermahlung  dieses  jungen  Paares  in  aller  Stille,  ohne 
laute  Festlichkeiten,  vollzogen.  Lucrezia  wurde  zu  oft  verheiratet, 
als  daB  man  ihre  Trauung  durch  rauschende  Feste  dem  Gedachtnis 
des  Volkes  einpragen  wollte.  Die  Tochter  des  Papstes  bekam 
40  000  Dukaten  als  Mitgift,  und  der  Konig  von  Neapel  gab  seinem 
Neffen  das  Herzogtum  Bisceglia  als  Morgengabe. 

Die  Ehe  war  glucklich;  aufrichtig  liebte  Lucrezia  den  Neapoli- 
taner,  der  sich  viel  Zuneigung  in  Rom  erworben  hatte.  Soviel  wir 
wissen,  war  Alfonso  Lucrezias  erste  Liebe;  iiber  ihr  Herz  hatte  man 
immer  verfiigt  wie  iiber  einen  Geldbeutel,  der  in  der  vatikanischen 
Schatzkammer  niedergelegt  war.  Das  kostbare  Kleinod  wurde  je 
nach  Bedarf  verkauft  oder  versetzt. 

Auch  diesmal  ergab  sich  eine  Moglichkeit,  das  Pfand  besser  zu 
Geld  zu  machen.  Ein  Jahr  nach  Alfonsos  Vermahlung  wurde  der 
Papst  der  Feind  der  neapolitanischen  Dynastie.  Alexander  VI. 
trat  der  Liga  bei,  die  Ludwig  XII.  und  Venedig  geschlossen  hatten; 
ihr  Ziel  war,  Lodovico  Sforza  aus  Mailand  zu  vertreiben.  Als  Gegen- 


LUCREZIA  BORGIA 


165 


leistung  verpflichtete  Frankreich  sich,  Cesare  Borgia  in  der  Er- 
oberung  der  Romagna  beizustehen. 

Abermals  fliichtete  Ascanio  Sforza  aus  Rom,  aus  Furcht,  daB 
man  ihn  als  nunmehr  iiberfliissigen  Kardinal  aus  dem  Wege  raumen 
wiirde.  Dem  jungen  Alfonso  drohte  Cesares  Dolch,  da  Borgia  von 
der  Unterwerfung  des  Konigreichs  Neapel  mit  Frankreichs  Hilfe 
traumte. 

Wieder  muBte  Lucrezia  ihrem  Mann  zur  Flucht  helfen.  Dies- 
mal  mit  blutendem  Herzen,  sie  liebte  den  schonen  Neapolitaner,  sah 
zudem  ihrer  Niederkunft  entgegen.  Alfonso  floh  am  2.  August  1499, 
Lucrezia  weinte  ihm  fassungslos  nach. 

Aber  Alexander  VI.  war  ein  ,,guter"  Vater;  um  seine  Tochter 
zu  trosten,  ubergab  er  ihr  Nepi  und  ernannte  sie  zur  Regentin  von 
Spoleto  und  Umkreis,  wo  bis  dahin  papstliche  Legaten  geherrscht 
hatten. 

Mit  einem  groBen  Hofgesinde  begab  sich  Lucrezia  in  ihr  neues 
Lehngut,  sie  blieb  aber  nur  kurze  Zeit  dort,  da  sie  gezwungen  war, 
ihrer  Niederkunft  wegen  sich  nach  Rom  zu  begeben.  Am  1.  No- 
vember 1499  schenkte  sie  einem  Sohn  das  Leben,  er  wurde  zu 
Ehren  des  Papstes  Rodrigo  genannt. 

Unterdessen  kehrte  Alfonso  Bisceglia  nach  Rom  zuriick,  um 
sich  seines  ehelichen  Gliickes  zu  freuen;  er  glaubte,  daB  die  Gefahr 
fur  ihn  voriiber  sei.  Es  mag  sein,  daB  auch  Lucrezia  Cesare  nicht 
langer  gefiirchtet  hat,  im  Glauben,  ihr  Mann  stehe  den  politischen 
Planen  des  Bruders  nicht  mehr  im  Wege. 

Aber  darin  bestand  ihr  Irrtum.  Cesare  haBte  die  ganze  arago- 
nische  Dynastie  und  schloB  seinen  jungen  Schwager  nicht  aus, 
auBerdem  hatte  er  bereits  andere  Absichten  fur  seine  Schwester. 
Bisceglia  war  iiberfliissig,  in  den  dunklen  Gemachern  der  Borgia 
war  sein  Todesurteil  gesprochen. 

Als  der  Fiirst  am  15.  Juli  1500  gegen  elf  Uhr  abends  den  Vatikan 
verlieB,  iiberfielen  ihn  fiinf  Sbirren  auf  dem  Petersplatz  und  ver- 
wundeten  ihn  schwer.  In  der  Annahme,  daB  der  Oberfall  Cesares 
Werk  sei,  wollte  Alfonso,  aus  Furcht  vor  Vergiftung,  sich  nicht 
einmal  von  rdmischen  Arzten  verbinden  lassen  und  lieB  sich  einen 
Arzt  aus  Neapel  kommen. 


166  ACHTES  KAPITEL 

Ludwig  Pastor  nimmt  an,  indem  er  sich  auf  Creightons  ,,Ge- 
schichte  des  Papsttums"  stiitzt,  die  Urheber  des  Uberfalles  seien 
die  Orsini  gewesen,  da  sie  glaubten,  daB  Alfonso  sich  mit  ihren 
Feinden,  den  Colonna,  verbinden  wolle.  Alfonso  jedoch  war  der 
Oberzeugung,  Borgias  Dolche  hatten  ihn  verwundet,  und  uns  will 
scheinen,  daB  Alfonso  und  Lucrezia  diese  Dinge  richtiger  gesehen 
haben  mussen  als  spatere  Historiker. 

Alfonsos  Durst  nach  Rache  war  so  groB,  daB  er  eines  Tages 
auf  den  voriibergehenden  Cesare  zielte  und  einen  Pfeil  abdruckte. 
Da  schickte  Cesare  seine  Henkersknechte  und  lieB  Alfonso  nieder- 
machen.     Sein  Korper  wurde  in  Stiicke  zerrissen. 

Lucrezia  war  Witwe.  Nach  den  furchtbaren  Vorkommnissen 
erkrankte  sie  am  Fieber,  und  damals  scheint  es  zu  einem  Zerwurfnis 
zwischen  ihr  und  dem  Vater  gekommen  zu  sein. 

Gebrochen  reiste  sie  am  20.  August  1500,  von  600  Pferden  be- 
gleitet,  nach  Nepi.  Aber  ob  nun  Alexander  sich  nach  seiner  Tochter 
gesehnt  oder  sie  Langeweile  in  der  Provinzstadt  empfunden  hat  — 
im  September  oder  Oktober  war  sie  wieder  in  Rom. 


II 

Schon  im  November  1500  sprach  man  davon,  daB  Lucrezia 
Alfonso,  den  23jahrigen  Witwer  und  Thronfolger  von  Ferrara, 
heiraten  wiirde.  Die  Borgia  hatten  diesen  Plan  ausgebriitet,  und 
der  Kardinal  Ferrari  aus  Modena  schrieb  sofort  dariiber  an  Ercole. 
Natiirlich  machte  diese  Absicht  den  Este  den  peinlichsten  Ein- 
druck.  Eine  Absage  konnte  sie  Ferrara  kosten,  da  das  Land  papst- 
liches  Lehnsgut  war  und  sie  Rom  einen  Tribut  zu  entrichten  hatten. 
AuBerdem  war  Cesares  Macht  so  gestiegen,  daB  es  der  groBten  An- 
strengungen  bedurfte,  um  sich  seiner  zu  erwehren.  Andererseits 
erschien  Ercole  und  Alfonso  die  Demiitigung  unertraglich ,  in 
ihr  Haus  die  Tochter  des  Papstes  aufzunehmen,  eine  Frau,  von  der 
die  schlimmsten  Dinge  erzahlt  wurden.  Auch  hatte  man  in  Ferrara  die 
Absicht,  sich  dem  franzosischen  Hof  zu  verschwagern,  Alfonso  sollte 
sich  mit  Louise,  der  Witwe  des  Fursten  von  Angouleme,  vermahlen. 


LUCREZIA  BORGIA  ^ 

Mehr  noch  als  den  Vater  empdrte  Alfonso  der  bloBe  Gedanke 
an  diese  Verbindung;  er  war  ein  starker,  unbeugsamer  Charakter 
und  wollte  sich  dieser  Forderung  nicht  fiigen. 

Abschlagig  beschied  Ercole  den  Brief  des  Kardinals  Ferrari. 
Aber  so  leicht  gab  der  Papst  nicht  nach,  er  sicherte  sich  die  nach- 
driickliche  Unterstiitzung  des  franzosischen  Hofes,  eine  ganze 
Schar  einfluBreicher  Agenten  machte  dem  Fiirsten  von  Ferrara 
die  Vorteile  dieser  Verbindung  klar  und  verwies  auf  die  Gefahren, 
denen  sich  die  Dynastie  der  Este  im  Falle  einer  Absage  aussetzte. 
Ercole  sah  bald  ein,  daB  er  sich  der  Macht  der  Borgia  nicht  wiirde 
widersetzen  konnen,  doch  Alfonso  wollte  nichts  von  der  Ver- 
bindung horen;  erst  als  der  Vater  ihn  darauf  hinwies,  daB,  wenn 
nicht  der  Sohn,  er,  Ercole,  Lucrezia  wiirde  heiraten  miissen,  wurde 
er  in  seinem  Widerstand  schwankend. 

Am  meisten  zum  Gelingen  der  Plane  von  Alexander  VI.  sollte  bei- 
tragen  der  Statthalter  der  Romagna  und  Vertraute  Cesares,  Don 
Ramiro  de  Lorgna,  ,,uomo  crudele  et  espedito",  wie  ihn  Machiavell 
charakterisiert  hat. 

Schon  am  8.  Juli  1501  lieB  Ercole  Ludwig  XII.,  der  als  Mittels- 
person  vorging,  mitteilen,  daB  er  mit  dem  Papst  in  Unterhandlungen 
einzutreten  bereit  sei. 

Die  Unterhandlungen  waren  schwierig,  Ercole  verlangte  viel, 
der  Papst  argerte  sich  zwar,  war  aber  bereit  nachzugeben,  da  ihm 
darum  zu  tun  war,  seine  Kinder  mit  der  vornehmsten  Familie  Italiens 
zu  verbinden.  Obrigens  drangten  Cesare  und  Lucrezia  den  Vater, 
fur  den  Preis  dieser  Ehe  selbst  schwere  Opfer  zu  bringen. 

Als  Mitgift  sollte  Lucrezia  200  000  Dukaten  erhalten,  zu- 
gestanden  wurde  ferner  eine  ErmaBigung  des  Tributes,  den  Ferrara 
der  Kirche  zu  entrichten  hatte,  und  eine  Reihe  anderer  der  Familie 
Este  vorteilbringender  Vereinbarungen. 

Um  Lucrezia  fur  die  wichtige  Rolle,  die  ihr  zu  spielen  bevor- 
stand,  vorzubereiten,  setzte  sie  der  Papst,  als  er  im  Juli  nach  Ser- 
moneta  ging,  zu  seiner  Stellvertreterin  im  Vatikan  ein.  In  seiner 
Abwesenheit  hatte  sie  eine  Art  Regentschaft  iiber  den  Kirchenstaat, 
sie  durfte  Briefe  eroffnen  und  sollte  in  wichtigen  Fallen  den  Rat 
des  Kardinals  Lisbona  einfordern. 


168  ACHTES  KAPITEL 

Im  Schlofl  der  Este  in  Belfiore  wurde  am  i.  September  1501 
der  Ehekontrakt  unterschrieben,  und  als  diese  Nachricht  am  4.  Sep- 
tember nach  Rom  kam,  ordnete  Alexander  eine  Illumination  des 
Vatikans  an.  Am  nachsten  Morgen  begab  sich  Lucrezia  in  bischof- 
licher  Begleitung,  mit  einer  Eskorte  von  dreihundert  Berittenen, 
nach  S.  Maria  del  Popolo,  um  der  Madonna,  zu  der  fleiBig  zu  beten 
der  Vater  ihr  anbefohlen  hatte,  ihren  Dank  zu  entrichten.  Das 
kostbare  Kleid,  das  sie  an  jenem  Tage  trug,  schenkte  sie  einem  der 
Hofnarren,  als  er  iibermutig  auf  die  StraBe  lief  und  schrie:  Es  lebe 
die  Herzogin  von  Ferrara! 

Als  die  ferraresischen  Gesandten  nach  Rom  kamen,  befriedigte 
sie  der  ihnen  vom  Papst  gewordene  Empfang  im  hochsten  Grade, 
nur  Cesare  Borgia  zeichnete  sich  nicht  durch  iibermaBige  Hoflich- 
keit  aus.  Das  erstemal,  am  23.  September,  nahm  er  sie  zwar  an, 
empfing  sie  jedoch  im  Bette.  Die  Ferraresen  glaubten,  er  sei  krank, 
da  er  die  ganze  vorhergehende  Nacht  getanzt  hatte,  spater  erfuhren 
sie,  daB  ihm  nichts  gefehlt  habe,  und  er  Kraft  und  Laune  genug 
gehabt  hatte,  um  die  folgende  Nacht  wieder  zu  durchtanzen.  Zwar 
versuchte  er  spater  den  schlechten  Eindruck  zu  verwischen  und 
bewilligte  den  Gesandten  eine  abermalige  Audienz  —  es  gait  dies 
als  besondere  Gunst,  da  er  nicht  gern  Gehor  erteilte  und  sich  im 
allgemeinen  hofischem  Zeremoniell  entzog  — ,  aber  er  empfing  sie 
nicht.  Die  Gesandten  beklagten  sich  beim  Papst,  Alexander  gab 
vor,  dem  Sohne  zu  ziirnen  und  antwortete,  daB  Cesare  unberechen- 
bar  sei,  auf  seine  Art  lebe  und  die  Nacht  zum  Tage  wandle;  die  Ge- 
sandten von  Rimini  hatten  unlangst  zwei  Monate  in  Rom  warten 
mussen,  ehe  sie  ihn  zu  Gesicht  bekommen  hatten. 

Als  es  sich  darum  handelte,  die  Liste  der  Fiirsten  und  Wurden- 
trager  festzusetzen,  die  Lucrezia  nach  Ferrara  abholen  sollten, 
nannten  die  Gesandten  auch  Annibale  Bentivoglio,  Giovannis  Sohn, 
den  der  Papst  nicht  liebte.  Alexander  besann  sich,  aber  schlieBlich 
sagte  er:  wenn  Ercole  d'Este  ihm  selbst  Tiirken  als  Gesandte  schicken 
wurde,  so  hatten  sie  einen  guten  Empfang  zu  gewartigen.  Nur 
einmal  wurde  er  ungeduldig,  als  der  Herzog  von  Ferrara  immer  neue 
Bedingungen  stellte,  und  nannte  ihn  einen  ,,  Kramer",  ,,un  merca- 
tante". 


LUCREZIA  BORGIA  ^9 

Schon  nach  Alfonso  Bisceglias  Tode  hatte  man,  namentlich 
in  Neapel,  nicht  wenig  boshafte  Gedichte  auf  die  Borgia  und  Lucrezia 
gemacht,  in  den  Epigrammen  von  Sannazaro  und  Pontano  wurde 
sie  zur  schamlosen  Hetare  gestempelt;  kaum  war  die  Heirat  zwischen 
Alfonso  d'  Este  und  Lucrezia  bestimmt,  so  erschienen  wieder  zahl- 
lose  Schmahschriften  auf  die  Borgia.  Besonderes  Aufsehen  machte 
ein  kleines  Buch,  in  Brief  form  an  Silvio  Savelli  gerichtet,  der  sich 
damals  vor  dem  Papst  bei  Kaiser  Maximilian  in  Deutschland  ver- 
barg.  Der  Papst  hatte  Savellis  Giiter  konfisziert,  und  der  Ver- 
fasser  der  Broschiire  begliickwiinschte  ihn,  daB  er  wenigstens  sein 
Leben  vor  den  Borgia  gerettet  habe.  Er  rat  Savelli,  dem  Kaiser 
und  alien  deutschen  Fiirsten  von  den  Verbrechen  der  Borgia  zu 
berichten  und  von  dem  gottlosen  Leben,  das  der  Papst  fiihre.  Zu 
diesem  Zwecke  berichtet  er  ihm  iiber  alle  Mitglieder  der  verhaBten 
Familie:  iiber  Alexander,  Cesare,  Lucrezia  und  die  iibrigen.  Alle 
Beleidigungen  und  Klatschgeschichten,  die  die  Feinde  der  Borgia 
in  Mailand,  Venedig  und  Neapel  verbreitet  hatten,  wurden  wieder 
aufgetischt.  Die  Schrift  war  ein  Werk  des  Zornes  und  der  Rache. 
Unter  anderem  berichtete  der  Verfasser  iiber  jenes  Bankett  am 
letzten  Oktobertag,  wo  im  Beisein  des  Papstes,  Cesares  und  Lucrezias 
fiinfzig  Kurtisanen  getanzt  hatten,  erst  in  Kleidern,  dann  splitter- 
nackt. 

Der  Papst  las  die  Broschiire;  da  er  jedoch  aus  seiner  Kardinals- 
zeit  an  romische  Satiren  und  Schmahschriften  gewohnt  war,  lachte 
er  und  seine  Umgebung  iiber  diese  Beleidigungen.  Aber  Cesare  ver- 
stand  keinen  SpaB,  er  spiirte  dem  Verfasser  der  Broschiire  nach,  der 
dem  Vernehmen  nach  ein  Neapolitaner  Jeronimo  Mancione  war,  lieB 
ihm  die  Hand  abhacken  und  die  Zunge  herausreiBen.  Gleichzeitig 
lieB  er  auch  den  Verfasser  einer  anderen  Schmahschrift,  den  papst- 
lichen  Bibliothekar  Fra  Gian  Lorenzo,  bestrafen  und  einen  Vene- 
zianer  einsperren,  weil  er  eine  gegen  den  Papst  gerichtete  Schrift 
aus  dem  Griechischen  ins  Lateinische  iibersetzt  hatte. 

An  der  Spitze  der  Gesandtschaft,  die  nach  Rom  gekommen  war, 
um  Lucrezia  abzuholen,  stand  der  Kardinal  Ippolito  d'Este,  Alfonsos 
Bruder,  der  als  Salonheld,  Diplomat,  Frauenverehrer  und  Jager 
gleich  beriihmt  war.    AuBer  ihm  gehorten  noch  fiinf  Mitglieder  der 


170 


ACHTES  KAPITEL 


Familie  Este  zum  Gefolge:  Don  Ferrante,  Don  Sigismondo,  Niccolo 
Maria,  der  Bischof  von  Adria,  Meliadus  d'  Este,  der  Bischof  von 
Comacchio  und  Don  Ercole,  der  Neffe  des  Fiirsten.  Die  bekanntesten 
Mitglieder  der  Aristokratie  von  Ferrara,  die  Herren  von  Correggio, 
Mirandola,  Strozzi,  Bevilacqua  und  viele  andere  nahmen  an  der 
Gesandtschaft  teil,  die  auf  fiinfhundert  Pferden  in  Rom  einzog. 
Als  die  Este  in  den  Vatikan  kamen,  ging  Lucrezia  ihren  zukiinftigen 
Schwagern  bis  auf  die  Treppe  entgegen,  und  franzosischer  Sitte 
gemaB  kiiBte  sie  sie  nicht  auf  die  Wange,  sondern  markierte  nur 
einen  briiderlichen  KuB,  indem  sie  ihr  Antlitz  gegen  das  ihre  neigte. 
Sie  trug  ein  weiBes,  goldgesticktes,  wollenes  Kleid  mit  offenen 
Armeln  aus  weiBem  Goldbrokat,  die  nach  spanischer  Mode  ge- 
schlitzt  waren.  Dariiber  einen  Umhang  aus  dunkelbronzefarbnem 
Samt,  mit  Zobel  verbramt,  den  Kopf  schmiickte  ein  grimes  Schleier- 
arrangement,  mit  Goldfaden  und  Perlenschnuren.  Perlen  hatte  sie 
um  den  Hals.  Sie  sah  bezaubernd  aus,  und  einer  der  Ferraresen 
schrieb,  daB  dem  Kardinal  Ippolito  die  Augen  zu  glanzen  begannen. 
,,A1  nostro  cardinale  Ippolito  scintillavano  gli  occhi:  ella  e  donna 
seducente  et  veramente  graziosa." 

Ercole  schickte  seiner  Schwiegertochter  unerhort  kostbare  Ge- 
schenke.  Es  hieB  damals  in  Italien ,  daB  das  Haus  Savoyen  die 
schonsten  Kleinodien  auf  der  Halbinsel  besaBe,  deshalb  schrieb 
Ercole  nach  Rom,  ,,er  sei  freilich  nicht  so  reich  wie  der  Herzog  von 
Savoyen,  aber  dennoch  wiirde  er  Lucrezia  Kleinodien  verehren, 
die  sich  mit  jenen  messen  kdnnten".  Auch  der  Papst  stand  nicht 
zuriick,  als  er  mit  dem  Gesandten  von  Ferrara  sprach,  tauchte  er 
seine  Hand  in  eine  mit  Perlen  gefiillte  Schale  und  sagte:  ,,A11 
dies  fur  Lucrezia,  ich  wiinsche,  daB  sie  die  schonsten  Perlen  in  ganz 
Italien  besitze." 

Mit  Er  coles  Geschenken  war  der  Papst  durchaus  zufrieden,  und 
El  Prete,  Isabella  Gonzagas  Berichterstatter,  teilt  seiner  Herrin 
mit,  daB  Alexander  VI.,  als  er  aus  den  Handen  des  ferraresischen 
Gesandten  die  fur  Lucrezia  bestimmten  Geschenke  in  Empfang 
genommen,  sich  sehr  dariiber  gefreut,  sie  den  Kardinalen  und  Frauen 
gezeigt  und  sie  auf  dunkeln  Samt  gelegt  habe,  damit  sie  um  so 
schoner  wirkten.   Unter  den  Kostbarkeiten  gab  es  prachtvolle  Ringe, 


LUCREZIA  BORGIA  171 

Ohrgehange,  Steine  in  kiinstlerischer  Fassung  und  ein  Perlen- 
halsband  von  seltener  Schonheit. 

Um  sich  dem  Papst  gefallig  zu  erweisen,  strahlte  Rom  im 
Festesglanz.  Im  Vatikan  wurde  getanzt  und  musiziert.  Abend  fur 
Abend  wurde  gefeiert,  und  Alexanders  vaterliche  Eitelkeit  konnte 
sich  nicht  genug  darin  tun,  den  Ferraresen  zu  riihmen,  wie  schon 
seine  Tochter  tanze,  wie  anmutig  und  klug  sie  sei,  wie  gut  sie  in 
Spoleto  herrsche,  wie  geschickt  sie  ware,  wenn  sie  ihm  einen  Vor- 
teil  ablisten  wollte.  ,,Unser  Spiel  ist  ungleich,"  fugte  er  hinzu, 
,,Lucrezia  gewinnt  immer."  Laut  riihmte  er  ihre  Bescheidenheit 
und  ihre  reinen  Sitten;  die  Gesandten  von  Ferrara  bestatigten  all 
dies  und  schrieben  dem  Fiirsten:  je  langer  sie  Lucrezia  betrachteten, 
desto  mehr  schatzten  sie  ihre  Giite,  Tugend  und  Frommigkeit. 

Vor  der  Abreise  nach  Ferrara  beschaftigten  Lucrezia  die  Reise- 
vorbereitungen  in  hohem  MaBe.  Am  Stephanstag  besuchte  sie 
El  Prete.  Sie  saB  in  ihrem  geraumigen  Schlafzimmer  neben  dem 
Bette,  an  der  Tiir  standen  etwa  zwanzig  Romerinnen,  a  la  romanesca 
gekleidet,  mit  gewohnlichen  Tuchern  auf  dem  Kopf.  AuBerdem 
warteten  etwa  zehn  Hofdamen  im  Zimmer  ihrer  Befehle.  Die 
hofischen  Donzellen  machten  den  ferraresischen  Gesandten  keinen 
groBen  Eindruck,  ihrer  Ansicht  nach  waren  Ferraras  Frauen 
den  Romerinnen  an  Schonheit  ebenbiirtig.  Nur  eine,  Angela  Borgia, 
erregte  das  Entziicken  der  Fremden,  und  El  Prete  legte  sich  schon 
Liebesplane  mit  Bezug  auf  sie  zurecht.  Zu  Beginn  des  Karnevals 
wurde  jeden  Abend  bei  Lucrezia  getanzt.  Die  Ferraresen  wunderten 
sich,  daB  es  in  den  StraBen  Roms  vom  Morgen  bis  zum  Abend  von 
maskierten  Hoflingen  wimmelte. 

In  den  letzten  Tagen  drangten  sich  Karnevalfeste,  Wettrennen, 
Stierkampfe,  Theaterauffuhrungen,  Ballett  und  Moresken. 

Am  6.  Januar  riistete  man  zum  Aufbruch,  der  Papst  schenkte 
seiner  Tochter  eine  schone  Sanfte  fur  zwei  Personen  und  stattete 
den  ganzen  Zug  mit  groBter  Pracht  aus.  Cesare  gab  der  Schwester 
eine  Ehreneskorte,  die  aus  zweihundert  Reitern,  Musikanten  und 
Hofnarren  bestand,  damit  sie  Lucrezia  auf  der  Reise  durch  ihre 
Scherze  erheiterten.  Einer  zahlreichen  bewaffneten  Eskorte  fiel 
die  Aufgabe  zu,  den  Hochzeitszug  vor  einem  eventuellen  tjberfall 


172 


ACHTES  KAPITEL 


von  Giovanni  Sforzas  Soldnern  zu  schiitzen,  da  man  dessen  An- 
schlage  fiirchtete. 

Unter  Lucrezias  Frauen  befand  sich  auch  Adriana  Orsini,  ihre 
friihere  Haushofmeisterin,  und  die  schone  Angela  Borgia,  deren 
Reize  die  Dichter  besangen.  Hundertfiinfzig  Maultiere  und  viele 
eigens  zu  dem  Zweck  hergerichtete  zweiradrige  Karren  waren  mit 
Lucrezias  Ausstattung  bepackt,  ihre  personliche  Umgebung  be- 
stand  aus  hundertachtzig  Menschen. 

Rom  verlieB  die  Tochter  des  Papstes  an  einem  Nachmittag  auf 
einem  Schimmel  mit  goldenem  Geschirr;  sie  trug  ein  scharlach- 
rotes  Samtkleid  mit  Hermelin  und  einen  federgeschmiickten  Hut. 
Samtliche  Kardinale  und  die  Gesandten  fremder  Fiirstlichkeiten 
gaben  ihr  bis  zur  Porta  del  Popolo  das  Geleit,  iiber  tausend  Menschen 
nahmen  am  Zug  teil. 

Aus  dem  Vatikan  sah  Alexander  VI.  den  Fortziehenden  nach,, 
bis  sie  seinen  Augen  entschwunden  waren. 

In  den  letzten  Wochen  ihres  Aufenthaltes  in  Rom  setzte  sich 
Lucrezia  fur  die  Verwirklichung  eines  heiBen  Wunsches  ihres 
zukiinftigen  Schwiegervaters  ein. 

Es  wurde  schon  erwahnt,  daB  Ercole  mit  groBen  Schwierigkeiten 
die  Nonne  Lucia  aus  Viterbo  nach  Ferrara  hatte  kommen  und  fur 
ihren  Orden  ein  prachtiges  Kloster  errichten  lassen.  Er  hatte  zwar 
eine  Oberin,  doch  die  Zahl  der  Nonnen  geniigte  ihm  nicht;  einige 
Sch western  aus  Piacenza  und  Brescia  kamen  dazu,  und  in  Ferrara 
traten  einige  junge  Madchen  ins  Kloster,  die  spater  Geliibde  ab- 
legten,  aber  jene  alteren  Nonnen  wollten  sich  der  Macht  einer 
so  jungen  Oberin  wie  Lucia  nicht  beugen,  im  Kloster  entstanden 
Uneinigkeiten,  die  sie  sehr  schmerzten.  Ercole  beschloB  daher,  aus 
Narni  und  Viterbo  einige  Nonnen,  die  Schwester  Lucia  befreundet 
waren,  kommen  zu  lassen,  um  ihr  eine  Stiitze  gegen  die  Rebellinnen 
zu  schaffen.  Sein  Gesandter  Bartolommeo  Bresciani  sollte  sich  mit 
dem  Prior  der  Dominikaner  ins  Einvernehmen  setzen  und  sieben 
Nonnen  nach  Ferrara  bringen.  Der  Prior  machte  energisch  Front: 
nicht  genug,  daB  Ercole  ihnen  die  Schwester  Lucia  ,,geraubt" 
habe,  wolle  er  dem  Kloster  zu  Viterbo  jetzt  noch  seine  besten 
Schwestern  nehmen.    Bresciani  ging  nach  Rom,  um  die  Angelegen- 


LUCREZIA  BORGIA 


173 


heit  beim  Papst  zu  fordern,  und  kam  am  11.  Oktober  1501  anT 
als  Lucrezia  zur  Reise  nach  Ferrara  riistete.  Der  Gesandte  begab 
sich  sofort  zur  zukiinftigen  Schwiegertochter  seines  Herzogs,  die 
sich  der  Sache  sehr  warm  annahm.  Gleich  nach  der  ersten  Audienz 
erhielt  Bresciani  den  besten  Eindruck  von  Lucrezia,  er  schrieb  dem 
Fiirsten,  sie  sei  ,,una  madonna  molto  gentile  et  da  bene  et  a  resonare 
excelente". 

Lucrezia  bat  den  Papst  sofort,  Ercoles  Wunsch  zu  erfiillen, 
doch  war  die  Sache  nicht  so  einfach,  da  Messer  Adriano,  Alexanders 
VI.  Sekretar,  seine  Zweifel  hatte,  ob  man  ohne  groBen  Schaden  dem 
Kloster  in  Viterbo  sechs  Nonnen  entziehen  diirfe.  So  beschloB 
Adriano,  die  Angelegenheit  in  der  Weise  zu  erledigen,  daB  Viterbo 
vier  und  das  Kloster  zu  Narni  zwei  Nonnen  abtrete.  Lucrezia  jedoch 
lieB  nicht  locker,  sondern  wollte  Ercoles  Wunsch  in  vollem  MaBe 
erfullt  sehen.  Sie  drangte  den  Papst,  so  daB  Alexander  VI.  befahl, 
sechs  Nonnen  aus  Viterbo  nach  Ferrara  zu  schicken  und  auBerdem 
noch  zwei  aus  Narni.  Aus  der  papstlichen  Kanzlei  wurde  ein  Breve 
an  den  Statthalter  der  beiden  Stadte  erlassen,  der  jene  Nonnen  mit 
dem  Fluche  bedrohte,  die  nicht  innerhalb  sechs  Tagen  nach  Rom 
aufbrachen,  um  von  dort  aus  ihren  Weg  nach  Ferrara  zu  nehmen. 
Ercoles  Gesandter  konnte  nicht  genug  die  Energie  riihmen,  die 
Lucrezia  aufgewandt  hatte,  um  den  Herzog  zufriedenzustellen.  Aber 
die  Opposition  in  Viterbo  gegen  den  Befehl  des  Papstes  war  groB; 
die  Priorin  des  Klosters,  Suor  Diambra,  eine  zweite  Nonne,  Suor 
Lionarda,  kamen  von  einem  Dominikaner,  dem  Bruder  Martin, 
geleitet,  sofort  nach  Rom,  um  zu  erklaren,  daB  sie  nicht  nach  Ferrara 
gehen  wurden,um  so  weniger,  als  einige  junge  und  schone  Schwestern 
fur  Ferrara  gewahlt  worden  waren,  und  ihre  machtigen  Familien 
fiirchteten,  daB  ihnen  Boses  widerfahren  konne.  Die  Nonnen  er- 
wirkten  sich  Gehor  beim  Papst,  doch  Alexander  VI.  empfing  sie  sehr 
streng  und  sagte  nur  drei  Worte:  ,,Siete  mandate  a  Ferrara",  Ihr 
seid  nach  Ferrara  bestimmt.  Der  Papst  hatte  aber  nicht  bedacht, 
daB  er  es  diesmal  mit  Frauen  zu  tun  habe;  die  Nonnen  gebardeten 
sich  eigensinniger  als  der  Teufel,  ,,ustinate  piu  che  il  diavolo", 
fiihrten  Klage  bei  Lucrezia,  vergossen  Tranen  vor  dem  Obersten 
der  Dominikaner,  drangten  Bresciani,  aber  Lucrezia  gab  nicht  nach. 


174 


ACHTES  KAPITEL 


Am  21.  Dezember  bereits  berichtete  Bresciani  aus  Viterbo  an 
Ercole,  daB  alle  von  ihm  gewiinschten  Nonnen  in  Rom  seien,  unci 
,,daB  auch  nicht  eine  fehle".  Da  der  Prior  der  Dominikaner  nicht 
wiinschte,  daB  die  Schwestern  die  Reise  in  Gesellschaft  einer  milita- 
rischen  Eskorte  zuriicklegten,  versicherte  ihn  Bresciani,  Lucrezia 
wiirde  Sorge  tragen,  daB  ihnen  unterwegs  jeder  angemessene 
Schutz  zuteil  wiirde.  Der  Gesandte  selbst  traf  alle  Vorbereitungen  fiir 
diese  Expedition  und  begleitete  die  Nonnen.  Leinenmantel,  mit  einer 
Wachsschicht  iiberzogen,  damit  sie  unterwegs  nicht  naB  wiirden, 
wurden  fiir  sie  angeschafft,  Maultiere  und  Lebensmittel  hergerichtet. 
Zuerst  sollten  sie  sich  dem  Zuge  anschlieBen,  der  Lucrezia  nach 
Ferrara  geleitete,  aber  Ercole  war  dagegen;  zwar  bestimmte  er  ihnen 
den  gleichen  Weg,  den  der  Hochzeitszug  zuriickzulegen  hatte, 
aber  er  empfahl  ihnen,  Lucrezia  stets  um  einen  Tag  voraus  zu  sein. 
Die  Schwestern  waren  launisch  und  eigensinnig,  ,,noiose",  der 
Maggiordomo  der  Fiirstin  beklagte  sich  lebhaft  iiber  sie,  sie  er- 
reichten  Ferrara  jedoch  gliicklich,  als  die  Stadt  ihre  Vorbereitungen 
zum  Empfang  der  Tochter  Alexanders  VI.  traf.  Ercole  war  begliickt 
iiber  die  Ankunft  der  so  sehnsiichtig  erwarteten  Nonnen;  aber  seine 
Freude  war  nicht  von  langer  Dauer,  da  die  Unzutraglichkeiten  im 
Kloster  in  dem  MaBe  stiegen,  daB  man  nach  wenigen  Tagen  fiinf 
der  neu  hinzugekommenen  Schwestern  zuriickschickte,  sicherlich  im 
Einverstandnis  mit  dem  Herzog. 


Ill 

Haufig  erstatteten  die  ferraresischen  Gesandten  dem  Herzog 
Bericht  iiber  den  Verlauf  der  Reise;  es  war  kalt,  die  Frauen  des 
Reisens  zu  Pferde  ungewohnt,  so  kam  die  Kavalkade  nur  langsam 
von  der  Stelle.  In  Spoleto,  in  Terni,  in  Foligno,  uberall  wurde  die 
Tochter  des  Papstes  feierlichst  empfangen.  Zwei  Meilen  vor  Gubbio 
schloB  sich  die  Fiirstin  Elisabetta  von  Urbino  dem  Zuge  an;  fiir  sie 
war  der  zweite  Platz  in  der  Sanfte  vorgesehen,  die  Alexander  VI. 
Lucrezia  geschenkt  hatte.  Die  stolze  Montefeltro  erniedrigte  sich, 
um  ihr  kleines  Herzogtum  vor  Cesare  Borgias  Habgier  zu  retten, 


LUCREZIA  BORGIA  175 

aber  ihre  Demiitigung  war  umsonst,  der  furchtbare  Sohn  des  Papstes 
vertrieb  sie  einige  Monate  spater  aus  diesem  Urbino,  an  dem  sie 
so  sehr  hing.  Elisabetta  und  Guidobaldo,  ihr  Gemahl,  muBten  als 
Fliichtlinge  Schutz  beim  gastlichen  Hofe  von  Mantua  suchen.  Die 
Fiirstin  leistete  Lucrezia  bis  nach  Ferrara  Gesellschaft,  unterwegs 
berichtete  sie  nur  kurz  an  Isabella  d' Este,  daB  sie  es  fur  uberfliissig 
erachte,  ihr  die  Reise  zu  beschreiben,  da  sie  ja  wisse,  daB  El  Prete 
ihr  ausfuhrlich  iiber  alles  Bericht  erstatte. 

In  Pesaro  begriiBten  hundert  Kinder  mit  Olzweigen  in  den 
Handen  Lucrezia,  sie  trugen  Rot  und  Gold,  die  Farben  der  Borgia. 
Dort  muBte  sich  Lucrezia  einen  ganzen  Tag  aufhalten,  um  ihr  Haar 
zu  waschen  und  vermutlich  aufs  neue  zu  farben;  wenn  sie  diese 
Prozedur  nicht  haufig  vornahm,  bekam  sie  Kopfweh. 

Auch  in  Cesena  gab  es  einen  prachtigen  Empfang.  Cesares 
Generalstatthalter,  die  Altesten  der  Stadt  und  ein  Zug,  der  nach 
Tausenden  zahlte,  begriiBten  und  geleiteten  sie  in  den  prachtigen 
Palast  der  Malatesta;  alle  Glocken  klangen,  und  aus  Bollern  wurde 
geschossen.  Francesco  Uberti,  ein  lokaler  Dichter  und  Verehrer 
Cesares,  besang  in  seinen  Versen  jenen  feierlichen  Augenblick  und 
freute  sich,  daB  die  ,,bescheidene  Venus",  wie  er  Lucrezia  nannte, 
das  boshafte  und  beleidigende  Gerede  besiege. 

Je  naher  sie  Ferrara  kamen,  desto  trauriger  wurde  die  Braut; 
sie  wuBte  von  allem  Feilschen  um  ihre  Person,  wuBte,  daB  der  Papst 
sie  Ferrara  aufgedrangt  hatte,  und  muBte  die  Demiitigung  tief  emp- 
finden.  Die  Gesandten  berichten,  daB  sie  die  Einsamkeit  aufsuche; 
in  Pesaro  hatte  sie  ihre  Frauen  am  Abend  tanzen  lassen,  wahrend 
sie  selbst  in  ihrem  Gemach  verblieben  war.  In  Rom  hatte  sie  ihr 
Sohnchen  Rodrigo  gelassen;  dort  hatte  sie  ihre  stiirmische  Jugend 
verlebt,  jetzt  fiirchtete  sie  den  kiihlen  Empfang  in  Ferrara.  Auch 
Sforza  beunruhigte  sie,  der  im  nahegelegenen  Mantua  weilte  und 
Rache  briitete.  Zwar  hatte  Alexander  VI.  Ercole  empfohlen,  Gio- 
vanni zu  beobachten,  aber  der  rachsiichtige  Sforza  konnte  doch 
Lucrezia  auf  die  eine  oder  andere  Weise  zu  nahe  treten. 

Physisch  erschopft  durch  die  beschwerliche  Reise,  moralisch 
gebrochen  durch  die  UngewiBheit  der  Zukunft,  so  naherte  sich 
Lucrezia  dem  Ziel  ihrer  Fahrt.    Aber  schon  im  Kastell  Bentivoglio 


176  ACHTES   KAPITEL 

trat  ein  unerwartetes  Ereignis  ein,  das  ihr  Mut  gab.  Verkleidet 
war  Alfonso  gekommen,  um  sie  zu  begriiBen  und  vor  dem  feier- 
lichen  Einzug  in  Ferrara  kennen  zu  lernen.  Er  war  ihr  ganz  fremd, 
es  lafit  sich  nicht  einmal  nachweisen,  dafl  er  ihr  geschrieben  hat, 
wahrend  die  Eheverhandlungen  gepflogen  wurden.  Im  Kastell 
Bentivoglio  empfingen  die  kiinftigen  Galten  in  einer  zwei  Stunden 
wahrenden  Unterhaltung  einen  giinstigen  Eindruck  voneinander. 
Das  Eis  war  gebrochen,  Lucrezia  kam  Alfonso  nach  den  Versiche- 
rungen  eines  Anwesenden  ,,mit  groBer  Fiigsamkeit  und  Grazie" 
entgegen,  er  reiste  befriedigt  fort,  sicherlich  hat  ihm  die  reizvolle 
Frau,  die  alle  durch  ihre  Anmut  besiegt  hat,  Eindruck  gemacht. 

Eine  zweite  weniger  angenehme  Begegnung  wartete  Lucrezias 
in  Malalbergo.  Isabella  Gonzaga,  die  Markgrafin  von  Mantua, 
Alfonsos  Schwester,  war  ihr  dort  entgegengereist.  Sie  war  gegen  diese 
Heirat  gewesen,  die  ihr  als  Demiitigung  der  estensischen  Familie 
erschien.  ,,In  frohlicher  Wut",  wie  sie  ihrem  Manne  schrieb, 
empfing  sie  die  Schwagerin,  aber  wahrend  der  Hochzeitsfeierlich- 
keiten  langweilte  sie  sich,  war  mit  allem  unzufrieden  und  verlangte 
schnellmoglichst  nach  Mantua  zuriickzukehren. 

Die  Feste  in  Ferrara  gehoren  zu  den  allerprachtigsten  der 
Renaissance.  Ercole  sparte  nicht,  um  den  Fremden  durch  den 
Glanz  seines  Hofes  die  Wunde  zu  verbergen,  die  ihn  brannte: 
die  Aufnahme  dieser  Schwiegertochter  in  das  alte  Geschlecht  der 
Este.  Aber  Lucrezia  erleichterte  ihm  seine  Aufgabe;  durch  ihre 
strahlende  Anmut  und  Liebenswiirdigkeit,  die  alle  Herzen  gefangen- 
nahm,  schien  sie  die  boshaften  Geriichte,  die  man  iiber  sie  ver- 
breitet  hatte,  Liigen  zu  strafen. 

Alexanders  Tochter  zog  auf  einem  Schimmel  ein,  iiber  den  eine 
Decke  aus  Scharlach  gebreitet  war;  sie  trug  ein  schwarzes  gold- 
gesticktes  Samtgewand,  dessen  breite  Armel  in  malerischen  Falten 
hinunterfielen.  Ihre  Schultern  deckte  ein  Mantel  aus  Goldbrokat 
und  Hermelin,  das  geloste  Haar  umschloB  ein  zartes,  diamanten- 
geschmucktes  Netz,  ein  Geschenk  Ercoles  I.,  und  ihren  Hals 
schmiickte  eine  Kette  von  Perlen  und  Rubinen,  die  ferraresisches 
Erbgut  war.  Die  Professoren  der  Universitat  zu  Ferrara  hielten 
einen  purpurnen  Baldachin  iiber  die  Herzogin. 


LUCREZIA  BORGIA 


177 


Vor  dem  Tore  des  Castell  Tebaldo  scheute  das  durch  die  Schiisse 
erschreckte  Pferd,  Lucrezia  glitt  auf  den  Boden,  erhob  sich  jedoch 
im  namlichen  Augenblicke.  In  jenen  aberglaubischen  Zeiten  hat 
der  Zwischenfall  sicherlich  AnlaB  zu  traurigen  Vorhersagungen 
gegeben. 

Der  Hoclizeitszug  war  auBerordentlich  lang  und  farbig.  An  der 
Spitze  waren  berittene  Bogenschutzen  in  WeiB  und  Rot,  den  Farben 
der  Este,  daneben  Trommler  und  Pfeifer.  Ihnen  folgte  Don  Alfonso, 
umgeben  von  acht  Pagen  und  einem  stattlichen  Gefolge  ferrare- 
sischer  Edier.  Er  trug  ein  Kleid  aus  rotem  Samt,  auf  dem  Kopfe 
saB  ein  schwarzes  Samtbarett  mit  goldener  Agraffe.  Sein  kastanien- 
farbenes  Pferd  war  mit  einer  karmoisinroten  goldgestickten  Decke 
bedeckt.  Die  Mitte  des  Zuges  bildete  Lucrezia,  ihr  folgte  in  ge- 
messenem  Ernst  Fiirst  Ercole  I.  in  schwarzem  Samtgewand,  auch 
sein  Pferd  hatte  schwarzsamtnes  Geschirr.  Hinter  Ercole  Lucrezias 
Hofstaat,  ihre  Hofdamen  und  Donna  Adriana,  die  ehemalige  Haus- 
hofmeisterin  und  Vertraute  Alexanders  VI.  Als  der  Zug  sich  dem 
Platz  vor  dem  Schlosse  naherte,  HeBen  sich  zwei  Seiltanzer  mit 
unerhorter  Geschicklichkeit  an  langen  Stricken  von  den  SchloB- 
turmen  herab  und  begriiBten  die  Braut.  Ohne  Hofnarren  ging  es 
eben  in  der  Renaissance  nicht  ab. 

Isabella  erwartete  Lucrezia  auf  der  Palasttreppe  und  geleitete 
sie  beim  Klange  der  Musik  in  den  Thronsaal,  wo  die  junge  Herzogin 
neben  ihrem  Gemahl  unter  einem  goldenen  Baldachin  (capo  cielo) 
Platz  nahm  und  eine  lange  Ansprache  anhoren  muBte.  Der  Saal 
war  mit  fiinf  groBen,  aus  Seide,  Gold  und  Silber  gewebten  Teppichen 
geschmiickt. 

Der  erste  Festtag  war  voriiber.  Auf  die  Bevolkerung  hatte  die 
junge  Herzogin  den  besten  Eindruck  gemacht;  man  erzahlte,  sie  sei 
schlank,  habe  wunderschones,  blondes  Haar,  weiBe  Zahne,  eine 
zierliche  Nase,  lebhafte  frohliche  Augen  von  schwer  zu  bestimmender 
Farbe,  und  pries  ihre  Liebenswiirdigkeit  und  Anmut.  Cagnola, 
der  aus  Parma  zu  den  Hochzeitsfeierlichkeiten  gekommene  Ge- 
sandte,  der  sehr  ausfiihrliche  Aufzeichnungen  iiber  alles  hinter- 
lassen  hat,  notiert,  Lucrezia  habe  helle  Augen,  einen  etwas  groBen 
Mund,  einen  gutgeformten,  weiBen  Hals,  und  Heiterkeit  und  Froh- 


I78  ACHTES  KAPITEL 

sinn  gehen  von  ihr  aus.  Ihre  schone  Gesichtsfarbe,  dolce  ciera, 
riihmt  in  ihren  Brief  en  auch  die  Marquise  von  Cotrone,  Isabellas 
Hofdame,  obgleich  sie  sich  ziemlich  unfreundlich  iiber  Lucrezia 
ausgesprochen  hat  und  der  Ansicht  war,  daB  ihre  Herrin  Isabella 
wahrend  dieser  Feste  das  Schonheits-,,Pallio"  erringen  wiirde. 
All  diese  Beschreibungen  stimmen  mehr  oder  weniger  uberein 
mit  Lucrezias  Bildnis  auf  einer  Medaille,  die  ,,a  l'amour  captif" 
genannt  wird,  weil  auf  der  Riickseite  ein  an  einen  Lorbeerzweig 
gefesselter  Amor  dargestellt  ist,  neben  dem  verschiedene  Musik- 
instrumente  liegen.  Diese  Medaille  ist  wohl  ziemlich  unmittelbar 
nach  Lucrezias  Ankunft  in  Ferrara  geschlagen  worden  und  zeigt 
uns  ihr  authentischstes  Portrat. 

Angesichts  des  Zaubers,  der  von  Lucrezia  ausging,  verstummte 
selbst  die  damals  sehr  scharfe  Satire,  und  anstatt  die  Tochter  des 
Papstes,  die  geschiedene  Frau  und  Witwe  zu  kritisieren,  begann 
man  dem  alten  Herzog  vorzuwerfen,  daB  er  allzu  viel  Geld  fur  die 
Festlichkeiten  verschwende.  Ober  den  Theatersaal  des  Palazzo 
della  Ragione,  wo  Plautus'  Komodien  aufgefiihrt  wurden,  ergoB 
sich  eine  Flut  von  Sonetten,  die  auf  den  alten  Herzog  wegen  seiner 
Verschwendungssucht  stichelten,  an  diesen  Lasten  hatten  dann 
die  Untertanen  zu  tragen.  Um  seine  Einnahmen  zu  vergroBern, 
pflegte  der  Herzog  die  Amter  zu  verkaufen,  vor  Lucrezias  Hoch- 
zeit  waren  die  Preise  fur  die  offentlichen  Anstellungen  hoher  denn 
je  gewesen.  Fur  eine  sehr  hohe  Summe  bestatigte  Ercole  damals 
Titus  Strozzis  Wahl  zum  giudice  de  savi,  obgleich  das  Volk  ihn  haBte. 

Den  Glanzpunkt  des  Hochzeitsfestes  bildeten  Balle,  Theaterauf- 
fiihrungen,  Moresken  und  Turniere.  Auf  dem  groBen  Ball  im 
SchloB  tanzte  Lucrezia  romische  und  spanische  Tanze  beim  Klang  des 
Tamburins.  Sie  liebte  es,  durch  Solotanze,  die  damals  sehr  beliebt 
waren,  zu  glanzen.  Ohne  schweren  Zwischenfall  waren  die  Turniere 
abgelaufen,  nur  Guido  Vaino  da  Imola  hatte  dem  Pferd  seines 
Gegners  Aldovrandino  Piatese  drei  schwere  Wunden  beigebracht; 
da  das  Tier  gemietet  war,  muBte  Piatese  fiinfzig  Dukaten  dafur 
bezahlen. 

Ercoles  schwache  Seite  war,  wie  schon  erwahnt,  das  Theater, 
er  gab  dafiir  Unsummen  aus.    Im  Saale  des  Palazzo  della  Ragione, 


LUCREZIA  BORGIA  179 

In  dem  sonst  der  Podesta  amtierte,  war  eine  Biihne  errichtet  worden, 
Von  vierzig  Ellen  Lange  und  fiinfzig  Ellen  Breite.  Die  Dekorationen 
bestanden  aus  gemalten  Hausern,  Felsen,  Baumen  und  verschiedenen 
anderen  Dingen.  Von  den  Zuschauern  trennte  die  Biihne  eine  niedrige 
Holzwand.  In  dem  fur  das  Publikum  reservierten  Teil  des  Saales 
safien  vorn  die  Herzoge  und  der  Hof,  dahinter  die  ubrigen  Zu- 
schauer  in  dreizehn  amphitheatralisch  aufgestellten  Bankreihen. 
Dreitausend  Menschen  fanden  Platz;  in  der  Mitte  die  Frauen,  zu 
beiden  Seiten  die  Manner.  Mit  griinem  Stoff  waren  der  Saal  und  die 
Banke  ausgeschlagen.  Fiinf  Wappenschilde  strahlten  an  der 
Decke:  in  der  Mitte  das  Wappen  des  Papstes,  rechts  das  des  Konigs 
von  Frankreich  und  der  Este,  links  das  der  Borgia  und  ein  altes 
estensisches.  Vor  dem  Beginn  der  Vorstellung  hatte  der  Herzog 
die  Kostiime,  die  bei  den  Auffuhrungen  beniitzt  wurden,  aus- 
gestellt,  damit  die  Gaste  sahen,  daB  jedes  Stuck  seine  besondere 
Kostiimausstattung  habe.  Es  gab  insgesamt  hundert  Anziige  fiir 
Manner  und  Frauen,  zumeist  aus  leichtem  Wollstoff  gefertigt.  Lite- 
raten  und  Kiinstler  hatten  fiir  die  Theaterauffiihrung  gearbeitet, 
Maschinen  und  Zuriistungen  erdacht,  Dekorationen  gemalt.  Be- 
sonders  hatten  sich  um  den  Glanz  der  Auffuhrungen  verdient  ge- 
macht  Fino  de  Marsigli,  Trulo,  Giovanni  da  Imola,  Pelegrino  da 
Udine  und  Dosso  und  seine  Schuler.  Die  Musik  hatte  Maestro  Alfonso 
della  Vinola  komponiert,  und  zu  den  Hauptsangern  und  Sangerinnen 
gehorten  Madonna  Dalida,  Maestro  Alfonso  Lanto  und  Giovanni 
Michele. 

Die  szenischen  Auffuhrungen  dieses  Hochzeitsfestes  waren  von 
epochemachender  Bedeutung  in  der  Entwicklung  des  modernen 
Theaters.  Aus  alien  Gegenden  Italiens  hatte  Ercole  Kiinstler  kommen 
lassen,  er  lieB  den  ganzen  Zyklus  auffiihren,  fiinf  Stiicke  von  Plautus, 
denen  ein  fiir  diesen  AnlaB  gedichteter  Prolog  voranging.  Bis  auf 
einen  Abend  wurde  vom  3.  bis  zum  8.  Februar  taglich  Komodie 
gespielt,  die  Auffuhrungen  wurden  durch  Konzert,  Moresken  oder 
Seiltanzer  unterbrochen,  um  sie  mannigfaltiger  zu  gestalten.  Plautus 
,,Bacchides"  dauerten  fiinf  Stunden;  Isabella  Gonzaga  vermochte 
es  vor  Langerweile  nicht  auszuhalten  und  schrieb  ihrem  Manne, 
diese   ganze  Hochzeit  sei  so   langweilig  und   kalt,   daB  sie   schon 


180  ACHTES  KAPITEL 

tausend  Jahre  zu  wahren  scheine.  Die  Auffiihrungen  dauerten 
von  sechs  oder  sieben  Uhr  abends  bis  um  Mitternacht.  Die  Moresken, 
eine  Art  von  Pantomime  mit  Musik  und  Tanz,  waren  fur  das  Pu- 
blikum  eine  Erholung,  aber  an  Plautus'  Komodien  begeisterten 
sich  hochstens  Ercole  und  die  Universitatsprofessoren. 

In  einer  der  Moresken  kam  ein  grofier  Wagen  auf  die  Buhne,  dem 
ein  Einhorn,  das  Symbol  der  Este,  vorgespannt  war.  Eine  schone 
Jungfrau  hielt  die  Ziigel,  und  auf  der  Plattform  des  Wagens  spielte 
sich  die  ganze  ,,Historie"  ab.  Die  Nymphe  befreite  einige  an  Baume 
gefesselte  Gefangene,  und  sie,  froh  der  errungenen  Freiheit,  be- 
gannen  beim  Klang  der  wahrscheinlich  eintonigen  und  langweiligen 
Musik  zu  tanzen.  Auch  zehn  Neger  tanzten  mit  brennenden  Fackeln 
zwischen  den  Zahnen  und  zehn  Gladiatoren  zeichneten  sich  durch 
einen  Kriegstanz  aus. 

Unter  den  Zuschauern  nahmen  die  alteren  Leute  AnstoB  am  Tanz 
von  Mannern  und  Frauen  in  fleischfarbenen  Trikots,  in  denen  die 
Tanzenden  wirkten,  als  wenn  sie  ganz  nackt  waren.  Die  Tanzerinnen 
streuten  ein  wohlriechendes  Pulver  auf  den  Boden,  so  daB  der  ganze 
Saal  von  wunderbarem  Duft  erfiillt  war.  Mit  Raffinement  wollte  man 
auf  Sinne  und  Phantasie  wirken.  Ercole  liebte  schliipfrige  Ko- 
modien, selbst  Isabella  fand  des  Unmoralischen  zuviel  auf  der 
Buhne  und  schrieb  nach  der  Auffuhrung  der  ,,Casina"  ihrem  Mann 
einen  Brief  voll  boshafter  Anmerkungen. 

Im  kleineren  Kreise  lieB  die  Markgrafin  ihre  Stimme  horen, 
namentlich  um  den  franzosischen  Gesandten  zu  erfreuen,  gegen  den 
sie  sich  sehr  huldreich  erwies.  Nachdem  sie  sich  langere  Zeit  mit 
ihm  unterhalten  hatte,  zog  sie  ihren  Handschuh  ab  und  verehrte  ihn 
ihm  als  Erinnerungszeichen. 

Ihre  Stimme  pries  Trissino  in  seiner  Kanzone  ,,Gentil  signora": 

,,Ma  quando  le  sue  labbra  al  canto  muove, 
Tanto  dolcezza  piove 

Dal  ciel,  che  1'  aere  si  rallegra,  e  il  vento 
A  si  dolce  armonia  s'  afferma  intento." 

Der  letzte  Tag  der  Festlichkeiten  war  zur  Ubergabe  der  Geschenke 
an  die  Neuvermahlten  bestimmt.    Die  Gaben  waren  seltsam  genug. 


LUCREZIA  BORGIA  x8i 

Der  franzosische  Konig  schickte  Lucrezia  einen  Rosenkranz  aus 
goldenen  Kugeln,  die  mit  Bisam  gefiillt  waren,  es  war  dies  damalseine 
groBe  Kostbarkeit;  fiir  Don  Alfonso  fiigte  er  einen  Schild  hinzu, 
auf  dem  in  Email  Maria  Magdalena  dargestellt  war  —  dazu  schenkte 
er  ihm  eine  Vorschrift  fiir  das  GieBen  der  Geschutze.  Die  Gesandten 
der  iibrigen  Lander  legten  zu  Lucrezias  FiiBen  Brokatstoffe  nieder 
und  silberne  GefaBe  von  kostbarer  Arbeit.  Mit  einem  eigenartigen 
Geschenk  bedachten  sie  die  Venezianer.  Sie  lieBen  fur  ihre  Gesandten 
Dolfin  und  Foscolo  besonders  kostbare  Mantel  aus  Karmoisinsamt 
mit  Hermelin  verbramt  arbeiten,  ehe  die  Gesandten  nach  Ferrara 
reisten,  muBten  sie  in  den  groBen  Ratssaal  gehen  und  sich  in  diesen 
Manteln  dem  versammelten  Senat  und  viertausend  Zuschauern 
prasentieren.  Fiir  den  einen  dieser  Mantel  waren  zweiunddreiBig, 
fiir  den  anderen  achtundzwanzig  Ellen  Samt  erforderlich.  Eben 
diese  Mantel  boten  die  Gesandten  Lucrezia  zum  Geschenk  dar.  Zuerst 
prasentierten  sie  sich  der  Herzogin  darin,  hielten  lange  italienische 
und  lateinische  Ansprachen,  dann  verschwanden  sie  im  Vor- 
zimmer,  legten  die  kostbaren  Mantel  ab  und  lieBen  sie  Lucrezia 
iibergeben.    Ganz  Ferrara  hat  die  Venezianer  ausgelacht. 

Wahrend  der  Feste  schrieb  Isabella  ihrem  Manne  taglich;  ihre 
Briefe  verraten  ihre  schlechte  Laune  und  ihre  Unzufriedenheit 
dariiber,  daB  Lucrezia  einen  gunstigern  Eindruck  macht,  als  sie 
erwartet  hatte.  Dagegen  behaupten  Isabellas  Anhanger,  daB 
sie  schoner  als  Lucrezia  sei  und  ihr  auch  iiberlegen  in  der  Fahig- 
keit,  sich  in  dieser  glanzenden  Gesellschaft  leicht  und  sicher  zu 
benehmen.  Die  Marchesa  de  Cotrone  berichtet  ihrem  Verlobten 
Francesco  Gonzaga,  Isabella  iiberstrahle  alle  Frauen  an  Schonheit 
und  Grazie,  mit  ihr  verglichen  waren  alle  nichts,  ,,una  niente". 
B.  Capilupo  schreibt  dem  Marchese  von  Mantua,  Isabella  gebuhre 
die  Palme.  Wahrend  der  Feste  zu  Ferrara  wurden  fiinf  Frauen 
am  meisten  genannt:  Lucrezia,  Isabella,  Elisabetta  von  Urbino, 
Emilia  Pia  und  die  Marchesa  de  Cotrone.  Capilupo,  ein  befangener 
Zeuge,  weist  Lucrezia  unter  ihnen  den  letzten  Platz  an.  Als  Isabella 
sich  mit  dem  franzosischen  Gesandten  unterhielt,  erregte  sie  die 
Bewunderung  aller  durch  ihre  iiberlegene  Art  und  die  Eleganz 
ihrer  Beredsamkeit.    Boshaft  fiigt  Capilupo  hinzu,  obgleich  Lucrezia 


^2  ACHTES  KAPITEL 

mehr  mitMannern  zu  tungehabt  habe  als  dieMarchesaundElisabetta, 
konne  sie  sich  ihnen  im  verstandigen  Gesprach  nicht  vergleichen. 

Die  Trauung  zu  Ferrara  war  ein  groBes  Ereignis  in  der  eleganten 
Welt.  Die  geringfiigigste  Kleinigkeit  in  der  Kleidung  von  Mann 
oder  Frau,  die  man  bei  einer  festlichen  Versammlung  beobachtete, 
wurde  beschrieben  und  analysiert,  die  Striimpfe  a  la  Sforzesca 
wurden  ebenso  angestaunt  wie  die  Baretts  a  l'antiqua  und  eine 
Fiille  anderer  Details.  Die  Frauen  interessierten  sich  besonders  fur 
die  Spanier,  die  in  Lucrezias  Gefolge  nach  Ferrara  gekommen 
waren.  Um  jene  Zeit  fingen  die  Spanier  an,  eine  tonangebende 
Rolle  in  der  rdmischen  Gesellschaft  zu  spielen  —  italienische  Hoflich- 
keit  und  italienische  Sitte  hat  nicht  wenig  Schaden  daran  genommen. 

In  dem  MaBe  als  die  Macht  der  Borgia  stieg,  wuchs  die  Zahl  der 
Spanier,  die  sich  in  Rom  niederlieBen  und  dort  nach  Stellung  und 
Verdienst  suchten.  Selbst  spanische  Hoflinge  begannen  in  Mode  zu 
kommen;  auf  den  StraBen  und  in  Gesellschaft  horte  man  fort- 
wahrend  spanisch  sprechen,  man  las  spanische  Romane,  kutschierte 
a  la  spagnola,  kleidete  sich  auf  spanische  Art  und  eignete  sich  eine 
Menge  spanischer  Ausdriicke  und  Wendungen  an.  Jeder  Kramer  und 
Diener  wurde  ,,Don"  angesprochen,  und  die  Zahl  der  Duelle  stieg. 

Dieses  spanische  Element  war  ein  Verhangnis  fur  Italien. 
Soweit  wirkliche  Kultur  und  Charaktereigenheit  in  Frage  kamen, 
standen  die  Spanier  viel  tiefer  als  die  Italiener.  In  den  Jahrhunderte 
wahrenden  Kampfen  mit  den  Mauren  hatten  sie  auBerlich  die  aus- 
gesuchte  Hoflichkeit  und  Ritterlichkeit  der  Mauren  angenommen, 
aber  die  wirklichen  Tugenden  und  die  hohe  Kultur  des  unter- 
jochten  Volkes  hatten  sie  sich  nicht  zu  eigen  gemacht.  Die  lang- 
wahrenden  religiosen  Rassenkampfe  hatten  blutgierige  Raubtier- 
instinkte  in  ihnen  entwickelt,  die  sich  hinter  auBerem  Firnis 
verbargen.  Ihre  Religion  war  Aberglauben,  ihr  Ehrgefiihl  Durst 
nach  Rache  und  Vendetta,  jeder  Moralbegriff  fehlte  ihnen.  Sie 
waren  beriichtigt  wegen  ihrer  Unehrlichkeit  und  ihrer  widerlichen 
Angewohnheiten . 

Dem  Reiz  der  fremdlandischen  Galanterie  erlagen  die  jungen 
Italienerinnen  jedoch  am  haufigsten  und  zeichneten  lange  Zeit 
die  Spanier   aus.     Wahrend   der  Hochzeitsfeste   in  Ferrara  beob- 


LUCREZIA  BORGIA  ^3 

achtete  man,  daB  Lucrezias  Donzellen  im  Gansemarsch,  eine  hinter 
der  anderen,  einherritten,  um  ihr  Kostum  in  all  seinen  Besonder- 
heiten  von  den  Spaniern  bewundern  zu  lassen,  die  die  Gewohn- 
heit  hatten,  sich  dort  aufzustellen,  wo  die  Frauen  vorbeikamen, 
und  ihnen  zudringlich  nachzusehen. 

Als  die  Feste  voriiber  waren,  fuhren  die  Gaste  auseinander, 
nur  Donna  Adriana  mit  ihren  rdmischen  Damen  und  ihrem  gesamten 
Gefolge  riistete  nicht  zum  Aufbruch.  Ercole  I.  war  verzweifelt,  es 
gait  infolge  ihres  verlangerten  Besuches  fiir  den  Unterhalt  von 
vierhundertfiinfzig  Menschen  und  dreihundertfiinfzig  Pferden  zu 
sorgen.  Die  Vorrate  an  Lebensmitteln  und  Futter  waren  bereits 
wahrend  der  Hochzeitsfeste  aufgebraucht,  und  die  Last,  diesen 
fremden  Hofstaat  langere  Zeit  zu  erhalten,  war  unertraglich.  Ercole 
schrieb  sogar  an  seinen  Gesandten  nach  Rom,  damit  der  Papst 
Adriana  zur  Riickkehr  auffordere,  aber  Lucrezias  ehemaliger 
Hofmeisterin  schien  es  in  Ferrara  sehr  gut  zu  gefallen,  da  sie  sich 
erst  im  Mai  zur  Abreise  verstand.  Die  Bevolkerung  von  Ferrara 
fiihrte  bittere  Klage,  da  die  Hochzeitstage  allein  25  000  Dukaten 
verschlungen  hatten. 

Das  junge  Paar  bezog  das  Castel  Vecchio.  Eine  unfreundliche 
Residenz:  in  den  Kellern  Gefangene,  und  iiber  dem  stehenden  Wasser, 
das  das  SchloB  umgab,  zahllose  Miickenschwarme.  Der  Papst  er- 
kundigte  sich,  ob  Lucrezia  gliicklich  sei;  als  ihm  berichtet  wurde, 
daB  Don  Alfonso  nur  am  Tage  Vergniigungen  auBerhalb  des  Hauses 
nachgehe  und  die  Nachte  bei  seiner  Gattin  verbringe,  war  er  zu- 
frieden.  Der  beruhmte  Ritter  Bayard,  Lucrezias  heiBer  Verehrer, 
bezeugt  in  einem  seiner  Briefe  die  Zufriedenheit  des  Papstes,  indem 
er  hinzufiigt,  daB  Alexander  Don  Alfonso  gelobt  habe.  „I1  signor 
Don  Alfonso  va  a  piacere  in  diverse  loci  come  giovane,  il  quale, 
dice  Sua  Santita,  fa  molto  bene." 

IV 

Ob    Lucrezia    mit    diesem    Vorgehen    ihres    Mannes    ganz    ein- 
verstandcn  war,  ist  fraglich,  aber  die  Tochter  des  Papstes  fiihlte 
die   starke   Hand   eines   Gatten,   mit  dem  nicht  zu  scherzen  war. 


^4  ACHTES  KAPITEL 

Bonaventura  Pistofilo,  der  langjahrige  Sekretar,  Biograph  und 
Vertraute  von  Alfonso,  schildert  den  Herzog  als  einen  groBen,  starken 
Mann,  der  physische  Anstrengungen  liebte.  Sehr  scharfsinnig  und 
von  sanfter  Gemutsart,  hatte  er  viel  gelernt,  in  seiner  Jugend 
Frankreich  und  England  bereist;  er  war  musikalisch  und  hat  es 
auf  der  Geige  zu  groBer  Virtuositat  gebracht;  besonders  liebte  er 
ritterliche  Spiele,  Jagd  und  Pferde  und  schwamm  wie  ein  Stor  in 
seinem  Po.  GroBe  Gesellschaften  vermied  er,  aber  mit  Leuten 
niedrigeren  Standes  gab  er  sich  gem  ab,  mit  Ingenieuren  und  Ar- 
beitern,  die  ihm  in  seinen  Beschaftigungen  beistanden.  Er  baute 
unablassig,  arbeitete  an  der  Verbesserung  der  Geschiitze  und  an 
der  Hebung  der  Fayenceerzeugnisse.  Er  war  ein  auBerordentlich 
gewissenhafter,  gerechter  Herrscher  und  verlangte  auch  von  seinen 
Untertanen  Gerechtigkeit. 

Alfonsos,  von  Pistofilo  uberlieferte  Charakteristik  deckt  sich 
mit  dem  Eindruck,  den  das  Portrat  des  Herzogs  in  der  estensischen 
Galerie  zu  Modena  macht,  es  ist  die  Kopie  eines  Originalbildes  von 
Tizian.  Der  Herzog,  ein  kraftiger,  breitschulteriger  Mann  mit 
langlichem  Gesicht,  starkem  Bart,  stiitzt  sich  mit  der  Rechten 
auf  eine  Kanone,  vielleicht  eines  jener  drei  Geschiitze,  die  seinen 
Ruhm  bildeten:  ,,Grandiavolo",  ,,Terremoto"  und  ,,Giulia".  Das 
letzte  war  aus  der  ungeheuren  Statue  Julius'  II.  gegossen,  dem  Werke 
Michelangelos,  welche  das  Volk  von  Bologna,  das  den  Papst  haBte, 
wahrend  der  Revolution  am  30.  Dezember  151 1  zertriimmert  hat. 

Ferrara  bedurfte  um  jene  Zeit  eines  ernsten,  starken  Herrschers. 
Nacheinander  haben  drei  Papste  nach  der  estensischen  Herrschaft 
gestrebt:  Julius  II.  mit  Gewalt  und  List,  Leo  X.  und  Klemens  VII. 
durch  Treubruch  und  Verrat.  Die  Zeiten  waren  sehr  schwer,  es  gait 
nicht  nur  sich  der  Papste  zu  erwehren,  sondern  fortwahrend  Schutz 
zu  suchen  bei  einem  der  beiden  europaischen  Potentaten,  dem  Konig 
von  Frankreich  oder  dem  Konig  von  Spanien,  die  sich  unablassig 
befehdeten.     Ein  Lavieren  in  Gefahren. 

All  das  iiberstand  Alfonso;  es  kamen  Zeiten,  wo  er  Modena, 
Reggio,  Polesina  verloren,  wo  Julius'  II.  Bann  auf  ihm  gelastet, 
wo  die  Pest  die  Bevolkerung  von  Ferrara  dezimierte,  und  Erdbeben 
Land  und  Leute  zerstorten,  und  schlieBlich  kam  jener  Augenblick, 


ALFONSO  I.  D'ESTE 
KOPIE  DOSSIS  NACH  TIZIAX.    MODENA,  GALERIE 


LUCREZIA  BORGIA 


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wo  der  Herzog  nach  der  Schlacht  bei  Bastia,  an  der  Schlafe  von 
einem  Stein,  der  aus  dem  eigenen  GeschoB  stammte,  getroffen, 
wie  tot  am  Boden  lag.  Es  waren  schwere  Zeiten:  bei  Giacomo  d'Am- 
brogio,  dem  Bankier  zu  Verona,  mufite  er  fiir  450  Lire  2883  Medaillen 
versetzen,  die  seine  Vorfahren  gesammelt  hatten,  spater  selbst 
Lucrezias  Kleinodien  verpfanden;  Alfonso  hat  all  dem  die  Stirn 
geboten,  sich  der  Papste  erwehrt,  den  denkwiirdigen  Sieg  bei  Ra- 
venna (am  11.  April  1512)  erfochten,  die  Medaillen  und  Kleinodien 
eingelost,  den  verlorenen  Besitz  zuriickerworben,  und  nach  langer 
und  glanzvoller  Herrschaft  hinterlieB  er  sein  Reich  dem  altesten 
Sohne,  Ercole  II.,  im  Jahre  1534. 

Einem  so  tatigen  Fiirsten  blieb  nicht  viel  Zeit  und  MuBe  zur 
Pflege  der  Literatur,  besonders  da  seine  Interessen  eher  bildender 
Kunst:  Architektur  und  Malerei,  gehorten.  Dafiir  bemiihte  sich 
Lucrezia  in  Friedenszeiten  ein  Zentrum  fiir  das  geistige  Leben 
zu  schaffen,  und  in  der  Tat  gehorte  der  Hof  von  Ferrara  wahrend 
ihrer  Herrschaft  in  dieser  Beziehung  zu  den  beruhmtesten  und 
glanzendsten  der  Renaissance. 

Lucrezia  iibte  einen  besonderen  Reiz  aus:  sie  wurde  von  ihrer 
ganzen  Umgebung  geliebt,  und  die  Literaten,  deren  es  in  Ferrara 
soviel  gab,  priesen  in  lateinischen  und  italienischen  Versen  ihre 
Tugenden  und  ihren  Verstand,  teils  aus  Verehrung,  teils  um  ihr 
zu  schmeicheln.  Durch  ihre  Giite  und  Zuvorkommenheit  besiegte 
sie  alle,  nur  Isabella  war  uneinnehmbar,  und  Lucrezia  vermochte 
trotz  ihres  ernsthaften  Strebens  sich  hier  keine  Zuneigung  zu 
erringen. 

Um  sich  gegen  die  Markgrafin  von  Mantua  liebenswiirdig  zu 
erweisen,  schrieb  sie  ihr  kurz  nach  der  Trauung  (am  14.  Mai  1502), 
daB  sie  sehr  wiinsche,  ihre  Biiste  in  Marmor  zu  besitzen,  und  da 
Gian  Giacomo,  ein  romischer  Goldschmied  und  Bildhauer,  in  Ferrara 
aufgetaucht  sei,  bat  sie  sie,  ihm  sitzen  zu  wollen.  Ob  diese  Biiste 
jemals  in  Angriff  genommen  wurde,  wissen  wir  nicht,  aber  die  Be- 
kanntschaft  mit  diesem  romi6chen,  wahrscheinlich  untergeordneten, 
Kiinstler  nahm  ein  peinliches  Ende,  da  der  Bildhauer-Goldschmied, 
nachdem  er  sich  ein  Jahr  in  Ferrara  aufgehalten,  Lucrezia  zwei 
kostbare  Steine,  einen  Rubin  und  einen  Diamanten,  gestohlen  und  sich 


lS6  ACHTES  KAPITEL 

insgeheim  nach  Mantua  begeben  hat,  wo  man  ihn  jedoch  nicht  er- 
wischen  konnte. 

In  Ferrara  huldigte  alles  Lucrezia,  selbst  der  alte  Titus  Strozzi 
war  ihr  Verehrer.  Er  sandte  ihr  ein  iiberschwengliches  Epi- 
gramm,  obgleich  er  die  Grenze  des  Alters,  das  Menschen  bestimmt 
ist,  erreicht  und  langst  der  Liebe  vergessen  habe,  sei  er  bei  ihrem 
Anblick  in  Liebe  entbrannt  und  lage  gefesselt  zu  ihren  FuBen. 
Ihr  Bild  habe  zwar  ein  beriihmter  Meister  gemalt,  aber  menschliche 
Kunst  vermoge  diese  gottliche  Schonheit  nicht  wiederzugeben. 
Lucrezias  Linke  schmiicke  ein  Armband  in  Gestalt  einer  Schlange; 
wenn,  wie  man  sagt,  der  SchlangenbiB  eine  namenlose  Sehnsucht 
erwecke,  so  sei  dieser  Reif  ein  bezeichnendes  Symbol.  Im  BewuBt- 
sein  ihrer  Tugend  und  Reinheit  brauche  die  Fiirstin  den  BiB  des 
Neides  nicht  zu  gewartigen,  da  alle  Herrlichkeiten  des  Himmels 
und  der  Erde  sich  in  ihr  vereinigt  hatten.  Wer  sie  nicht  gesehen 
habe,  sei  zu  bedauern,  wer  sie  jedoch  gesehen  habe,  wiirde  in  Ewig- 
keit  von  Liebessehnsucht  verzehrt  werden. 

Nicht  nur  der  Vater,  auch  Ercole  Strozzi,  der  Sohn,  huldigte  der 
bezaubernden  Fiirstin.  Obgleich  Ercole  hinkte,  hatte  er  viel  Gliick 
bei  Frauen,  und  sein  Gebahren  Lucrezia  gegeniiber  begann  bereits 
Alfonsos  MiBtrauen  zu  erwecken.  Lucrezia  scheint  dem  jungen 
Strozzi  eine  Rose  geschenkt  zu  haben,  die  sie  vorher  an  ihre  Lippen 
gefiihrt  hat;  dies  bot  den  AnlaB  zu  einem  leidenschaftlichen  Epi- 
gramm  Strozzis: 

Laeto  nata  solo,  dextra,  rosa,  police  carpta; 

Unde  tibi  solito  pulcrior,  unde  color? 
Num  te  iterum  tinxit  Venus?  an  potius  tibi  tan  turn 

Borgia  purpureo  praebuit  ore  decus? 

,,Rose,  dem  Boden  der  Freude  entsproBne,  vom  Finger  gepfliickte, 
Warum  scheinet  als  sonst  schoner  dein  farbiger  Glanz? 

Farbt  dich  Venus  aufs  neu?  hat  eher  Lucreziens  Lippe 
Dir  im  Kusse  so  hold  schimmernden  Purpur  verliehn?" 

Ercole  Strozzi  sang  auch  vom  marmornen  Cupido,  der  in 
Lucrezias  Schlafgemach  stand  und  sich  zum  Stein  gewandelt, 
als  er  seine  Herrin  geschaut.    Ihr  Anblick  wirkt  wie  der  der  Meduse; 


LUCREZIA  BORGIA  1S7 

zum  Stein  wird  jeder,  der  sie  sieht,  aber  die  Liebesglut  brennt  weiter 
in  ihm  und  entlockt  dem  Stein  noch  Tranen. 

Schon  um  1505  und  1506  scheint  Alfonso  auf  Ercole  eifersiichtig 
gewesen  zu  sein,  er  haBte  und  verdachtigte  ihn,  und  damals  scheinen 
Eifersucht  und  Zorn  in  ihm  entstanden  zu  sein,  die  zwei  Jahre  spater 
eine  furchtbare  Tragodie  zur  Folge  hatte. 

Jener  KuB  auf  die  Rose,  die  Ercole  geschenkt  ward,  war  nichts 
als  Tandelei,  und  Alfonso  brauchte  sich  daruber  nicht  zu  beun- 
ruhigen;  zum  Hofstaat  der  Herzogin  gehorte  aber  damals  schon 
ein  anderer  gelehrter  Dichter,  der  den  hauslichen  Frieden  im  Schlosse 
zu  Ferrara  hatte  triiben  konnen:  es  war  kein  anderer  als  PietroBembo. 

In  der  Ambrosiana  zu  Mailand  befinden  sich  Briefe,  die  dort 
nach  vielen  Irrfahrten  gelandet  sind.  Es  sind  im  ganzen  neun, 
sieben  italienische,  zwei  spanische,  und  ihre  Oberschrift:  ,,A1  mio 
carissimo  M.  Pietro  Bembo"  gibt  so  manches  zu  denken.  Sie  tragen 
die  Unterschrift:  ,,Lucretia  Estense  da  Borgia",  ihre  Herkunft 
steht  also  auBer  Zweifel.  Diese  Briefe  sind  vorsichtig  abgefaBt, 
in  Worten  und  Wendungen,  aus  denen  sich  nicht  unbedingt  folgern 
laBt,  daB  ein  intimeres  Verhaltnis  zwischen  der  Furstin  und  dem 
jungen  Venezianer  bestanden  habe.  Aber  Don  Alfonso  hatte  die 
beigelegte  blonde  Locke  so  wenig  begliickt  wie  die  Liebesgedichte 
in  spanischer  Sprache. 

Lucrezia  hat  sich  am  Hofe  zu  Ferrara  einsam  gef iihlt ;  ihren  Mann 
hat  sie  nie  geliebt,  ihrer  Umgebung  konnte  sie,  vielleicht  abgesehen 
von  einigen  Frauen,  die  mit  ihr  aus  Rom  gekommen  waren,  nicht 
unbedingt  vertrauen.  So  konnte  sie  dazu  kommen,  Pietro  Bembos 
Liebe  zu  erwidern.  DaB  diese  Liebe  bestanden  hat,  beweisen  die 
erwahnten  Briefe,  wenn  man  sie  mit  Bembos  Briefen  an  A***  ver- 
gleicht,  die  in  seine  gesammelten  Schriften  aufgenommen  wurden. 
Diese  Briefe  waren  an  Lucrezia  gerichtet;  die  Vermittlerin  der 
Korrespondenz  zwischen  Bembo  und  der  Herzogin  war  die  schone 
Angela  Borgia,  die  Bembo  einmal  ,,angelo  intercessore",  den  ver- 
mittelnden  Engel,  nennt. 

Bembo  hatte  ein  sehr  einnehmendes  AuBere,  eine  sympathische 
Stimme,  er  war  weich  und  liebenswiirdig  im  Umgang  und  hatte 
Frauen  gegeniiber  ein  unerschopfliches  Gesprachsthema,  da  er  gerade 


188  ACHTES  KAPITEL 

damals  in  Ferrara  ,,Gli  Asolani"  schrieb,  die  Lucrezia  gewidmet 
waren.  In  Liebessachen  scheint  er  erfahren  gewesen  zu  sein,  da 
ihn  an  Venedig  noch  ein  altes  Verhaltnis  aus  dem  Jahre  1501 
band,  das  sich  infolge  seiner  Entfernung  allmahlich  ldste. 

Als  Bembo  sich  im  Friihling  des  Jahres  1505  mit  seinem  Vater 
und  der  venezianischen  Gesandtschaft  zu  Julius  II.  begab,  machte 
er  zum  erstenmal  Station  in  Urbino  und  erregte  dort  die  besondere 
Aufmerksamkeit  der  klugen  Emilia  Pia.  Sie  schrieb,  er  sei  ein 
Mann,  mit  dem  man  rechnen  miisse,  ,,che  veramente  e  uomo  da 
fame  conto."  Wahrend  seines  Aufenthaltes  in  Mantua,  im  gleichen 
Jahr,  machte  er  Isabella  den  besten  Eindruck;  er  berichtet,  daB 
er  dort  sehr  geehrt  worden  sei,  ,,accarezzato  et  honorato". 

Er  war  ein  Mensch  besonderer  Art,  was  ja  auch  die  Zukunft 
bestatigt  hat. 

Schon  zwei  Jahre  nach  Lucrezias  Hochzeit,  im  Juni  1503,  klingt 
in  Bembos  Briefen  ein  heiBes  Gefuhl  an.  Er  war  damals  in  Ostalleto 
bei  den  Strozzi,  sie  hatten  dort  ein  Landhaus  mit  groBen  Garten 
und  einer  kostbaren  Bibliothek,  die  jedoch  in  verwahrlostem  Zustand 
war,  da  Bembo  sich  beklagt,  daB  die  Mause  die  Umschlage  von 
Aristoteles'  Schriften  zernagt  hatten.  Er  bittet  seine  venezianischen 
Freunde,  agyptische  Katzen  zu  besorgen,  die  bekannt  dafiir  waren, 
im  Mausefang  zu  exzellieren.  Heute  fehlt  jede  Spur  der  Villa  und  der 
schonen  Garten  der  Strozzi. 

Am  3.  Juni  schickt  Bembo  der  Herzogin  aus  Ostalleto  zwei 
Sonette  und  berichtet  bei  diesem  AnlaB:  ,,Nichts  Neues  kann  ich 
melden,  ich  konnte  hochstens  dieses  ruhige  Leben  beschreiben, 
die  Einsamkeit,  den  Schatten  der  Baume,  die  Stille,  die  mir  friiher 
siiB  und  lieb  waren  —  jetzt  erscheinen  sie  mir  langweilig  und  weniger 
schon.  Was  bedeutet  das?  1st  es  der  Beginn  eines  t)bels?  Ich  wollte, 
Ew.  Herrlichkeit  suchte  in  ihrem  Biichlein  nach,  ob  Ihre  Gefiihle 
den  meinen  entsprechen.  Ew.  Herrlichkeit  Gnade  empfehle  ich 
mich  so  viele  mal,  als  es  Blatter  gibt  in  diesem  Garten,  in  den  ich 
hinaussehe,  gelehnt  an  jenes  Hebe  Fensterchen." 

Das  erwahnte  Buch  bezieht  sich  wahrscheinlich  auf  ein  spanisches 
Buch  mit  Sentenzen  und  Prophezeiungen,  das  Lucrezia  haufig 
befragte. 


LUCREZIA  BORGIA  189 

Aus  Bembos  Gedichten  aus  jener  Zeit  spricht  seine  Zuneigung 
fur  die  Herzogin.  Die  Gedichte  stromen  ihm  zu;  auch  wenn  er  auf  die 
Jagd  geht,  denkt  er  mehr  an  ein  zierliches  Sonett  als  an  das  zu 
belauschende  Wild.  In  einem  dieser  Gedichte  preist  er  Lucrezia: 
nimmt  die  Fiirstin  die  Feder  zur  Hand  und  schreibt  Verse,  so  gleicht 
sie  den  Musen,  beriihrt  sie  die  Harfe  mit  ihren  schonen  Fingern, 
so  rauscht  das  Instrument  sanft  und  milde  wie  der  Po,  tanzt  sie,  so 
schreitet  sie  so  leicht,  daB  man  furchten  muB,  eine  Gottheit  wiirde 
sie  entfuhren  und  in  einen  Stern  verwandeln. 

Das  Schlangenarmband,  das  Lucrezia  trug,  inspirierte  Bembo  wie 
Strozzi  zu  Hexametern:  als  man  einst  eine  Natter  in  das  gold- 
bringende  Wasser  des  Tajo  geworfen,  wandelte  sie  sich  zur  goldenen 
Schlange.  Der  spanische  FluB  wuBte  nicht,  was  er  mit  diesem 
Kleinod  tun  sollte,  da  fand  er  eine  wurdige  Frau,  die  sich  damit 
schmucken  wollte,  und  diese  Frau  war  Lucrezia. 

Das  ihr  gesandte  Sonett  beantwortete  die  Herzogin  mit  einer 
leidenschaftlichen  spanischen  Kanzone,  fur  die  der  Dichter  mit 
spanischen  Versen  dankte.  Er  entschuldigte  sich,  daB  er  die  Sprache 
nicht  ganz  beherrsche,  und  bat  sie,  diese  Verse  niemandem  zu 
zeigen. 

Fortwahrend  wurden  Briefe  zwischen  Ferrara  und  Ostalleto  ge- 
wechselt;  am  8.  Juli  bat  Lucrezia  den  Dichter  um  eine  Imprese. 
Mit  zwei  Worten  erfiillte  Bembo  diesen  Wunsch:  ,,Est  animum"  (sic !) , 
sie  sind  fur  uns  nicht  ganz  verstandlich.  Der  Inhalt  der  Briefe 
wurde  heiBer,  Lucrezia  wagte  spater  nicht  mehr  mit  ihrem  eigenen 
Namen  zu  unterschreiben,  sie  zeichnete  mit  den  Buchstaben  F.  F. 
Bembo  versichert  sie  in  einem  seiner  Briefe,  das  grdBte  Gliick  des 
Menschen  bestiinde  darin,  als  Eigenwesen  zu  sterben,  um  in  einem 
andern,  in  der  Geliebten,  weiterzuleben;  an  anderer  Stelle  nennt 
er  sie  das  ,,Licht  seines  Seins"  oder  ,,kiiBt  ihre  Hand,  die  schonste, 
die  er  in  seinem  Leben  an  die  Lippen  gefiihrt". 

Auf  dem  Lande  war  es  Bembo  zu  einsam,  er  zog  nach  Ferrara, 
aber  dort  erkrankte  er  in  den  ersten  Augusttagen  und  muBte  das 
Bett  hiiten.  Lucrezia  besuchte  ihn  und  weilte  lange  beim  Kranken. 
Am  nachsten  Tage  schrieb  er  ihr:  ,,Euer  Besuch  hat  die  Schwache 
von  mir  genommen,  die  meistens  dem  Fieber  folgt,  plotzlich  ward 


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ACHTES   KAPITEL 


ich  gesund  wie  nach  einer  gottlichen  Medizin.  Durch  einen  Blick 
und  die  Beriihrung  der  Hand  ward  mir  die  Gesundheit  wieder- 
gegeben;  da  Eure  mir  so  teuren  Worte  Liebe,  Heiterkeit  und  Trost 
spendeten,  erweckten  sie  mich  zum  Leben." 

Einige  Tage  nach  diesem  Besuch,  am  18.  August  1503,  starb 
Alexander  VI.,  drei  Tage  nach  seinem  Tode  kam  die  Trauerbotschaft 
nach  Ferrara.  Es  war  ein  schwerer  Schlag  fur  Lucrezia,  um  so 
schwerer,  als  nicht  vorauszusehen  war,  welche  Wendung  ihr  Schick- 
sal  jetzt  nehmen  wiirde.  Bembo  teilte  ihren  Schmerz,  er  begriff  ihre 
Angst  und  Sorge  und  ging  sofort  ins  SchloB,  um  sie  zu  sehen  und 
zu  trosten.  Doch  befriedigten  ihn  seine  Worte  nicht;  da  sie  auf- 
richtig  waren,  versagten  sie  in  der  Form,  und  am  nachsten  Tage 
schrieb  er  ihr  aus  Ostalleto,  um  sich  zu  rechtfertigen:  als  er  sie 
in  Tranen,  in  ihrem  schwarzen  Kleid  gesehen  habe,  habe  er  keine 
Worte  gefunden,  sondern  empfunden,  daB  er  selbst  des  Trostes 
bediirfe,  so  sehr  habe  ihr  Anblick  seinen  Sinn  verwirrt.  Ein  zweiter 
leidenschaftlicher  Brief  folgte,  er  riet  Lucrezia,  den  Frieden  ihrer 
Seele  in  diesem  wichtigen  Augenblick  zu  wahren,  trostete  sie  so  gut  er 
vermochte,  in  sehr  herzlicher  Weise.  ,, State  sana",  mit  diesen 
Worten  beschloB  er  seinen  schmerzerfullten  Brief.  Ein  Satz  am 
SchluB  dieses  Briefes  wirft  ein  trauriges  Licht  auf  Lucrezias 
Stellung  am  ferraresischen  Hof:  „Da  die  heutigen  Umstande  dies 
verlangen,"  schreibt  er,  ,,musset  Ihr  niemand  erkennen  lassen, 
daB  Ew.  Gnaden  nicht  nur  iiber  den  jetzt  erlittenen  Verlust  weint, 
sondern  auch  aus  Furcht,  ob  Euer  Gliick  am  Hofe  von  Dauer  sein 
wird."  Dieser  Ausdruck  ,,ancora  la  stante  vostra  fortuna"  be- 
weist,  daB  Lucrezia  fiirchtete,  ihre  Stellung  in  Ferrara  wiirde  sich 
nach  dem  Tode  des  Papstes  andern,  da  sie  weder  der  Liebe  des 
Gatten,  den  fortwahrend  neue  Liebesabenteuer  beschaftigten,  noch 
der  Zuneigung  des  alten  Ercole  sich  sicher  fiihlte.  Und  ihre  Furcht 
konnte  berechtigt  sein,  da  sie  keine  Nachkommenschaft  hatte;  ein 
unglucklicher  Zwischenfall  hatte  sie  zweimal  der  Kinder  beraubt, 
und  erst  fiinf  Jahre  spater,  am  4.  April  1508,  hat  sie  Alfonso  den 
ersten  Sohn  geboren.  In  diesen  schweren  Augenblicken  war  Bembo 
vielleicht  ihr  einziger  Vertrauter.  Die  UngewiBheit,  wie  die  Este 
sie  nach  dem  Tode  ihres  Vaters  behandeln  wiirden,  war  durchaus 


LUCREZIA  BORGIA 


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begreiflich,  denn  Lucrezia  wuBte,  daB  der  alte  Ercole  sich  iiber 
den  Tod  des  Papstes  freue.  Wahrend  Bembo  Lucrezia  Worte  des 
Trostes  sagte,  schrieb  der  Herzog  aus  Belriguardo  an  Giangiorgio 
Seregni,  seinen  Gesandten  beim  franzosischen  Statthalter  in  Mailand, 
und  dankte  Gott,  daB  er  ihn  von  diesem  Papst  befreit  habe,  von  dem 
er  trotz  der  neuen  Familienbande  nichts  Gutes  zu  erwarten  habe. 
Den  Widerwillen  des  Papstes  gegen  Ferrara  schrieb  Ercole  nament- 
lich  Cesare  zu,  der  die  Este  stets  als  Fremde  betrachtet  und  ihnen 
nie  seine  Plane  anvertraut  habe. 

Drastischer  driickt  seine  Freude  iiber  den  Tod  des  Papstes  der 
Marchese  von  Mantua  aus,  der  seiner  Gattin  Isabella  d'  Este  am 
22.  September  1503  schreibt  aus  Isola  Farnese,  in  der  Nahe  Roms, 
dem  Hauptquartier  der  franzosischen  Armee.  Er  berichtet,  der 
Papst  habe  nach  dem  Tod  seines  Vorgangers  Innocenz  VIII.  einen 
Pakt  mit  Satan  geschlossen  und  den  papstlichen  Stuhl  mit  seiner 
Seele  erkauft.  Zwolf  Jahre  der  Herrschaft  waren  Alexander  VI. 
vom  Teufel  garantiert,  er  hat  sein  Versprechen  gehalten,  ja  dem 
Papst  sogar  vier  Tage  iiber  die  bestimmte  Zeit  zugestanden.  In 
Alexanders  Todesstunde  warteten  sieben  Teufelchen  seiner,  und 
sein  Mund  schaumte  wie  kochendes  Wasser  im  Kessel.  Aus  diesem 
Grunde  wollte  niemand  den  Toten  anriihren,  so  daB  der  Toten- 
graber  ihm  einen  Strick  um  die  Beine  band  und  ihn  daran  aus  dem 
papstlichen  Schlafgemach  ins  Grab  schleppte. 

Es  wurde  allgemein  geglaubt,  daB  der  Teufel  sich  persdnlich 
eingestellt  habe,  um  Alexanders  VI.  Seele  in  Empfang  zu  nehmen. 
Diese  Nachricht  drang  jedenfalls  auch  nach  Ferrara  und  erleichterte 
Lucrezias  Stellung  nicht;  man  darf  sich  auch  nicht  wundern,  daB 
sie  sich  in  ihrer  absoluten  Verlassenheit  und  Furcht  vor  dem  Kom- 
menden  immer  mehr  an  Bembo  anschloB,  und  daB  ihre  Freund- 
schaft  noch  inniger  wurde.  Am  4.  Oktober  anvertraute  Bembo 
sich  ihr:  ,,Nach  keinem  Schatz  verlangt  mich  so  wie  nach  jenen 
Worten,  die  ich  gestern  von  Euch  horte  .  .  .  die  Flamme,  die  mich 
erfaBte,  kann  nicht  starker  und  leuchtender  brennen."  Lucrezia 
schien  ihm  nicht  ganz  zu  trauen,  und  aberglaubisch  wie  alle  Frauen 
jener  Zeit  holte  sie  sich  Rat  bei  Karten,  auf  denen  Sentenzen  standen. 
die   ihr   die   Zukunft  kiinden   sollten.      Aus    dem    ersten    Karten- 


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ACHTES  KAPITEL 


spiel,  das  sie  zur  Hand  nahm,  wollte  sie  sich  GewiBheit  iiber  das 
Schicksal  ihrer  Liebe  holen.  Bembo  fiihlte  sich  ihrer  Neigung  schon 
sicher,  er  antwortete  ihr,  er  hoffe,  daB  ein  spanisches  Wort  sich  erfiil- 
len  wiirde,  ,,quien  quiere  amatar  perro,  spesso  ravia  le  levante", 
indem  Lucrezia  seine  wahnsinnige  Liebe  zu  ihr  damp  fen  wolle, 
wiirde  sie  selbst  dieser  Liebe  erliegen.  Und  es  scheint,  daB  die  Karten 
richtig  prophezeit  hatten,  Lucrezia  wehrte  sich  zwar,  aber  die 
Liebe  siegte. 

Am  10.  November  muBte  Bembo  infolge  wichtiger  hauslicher 
Angelegenheiten  Ferrara  verlassen,  zum  Abschied  schickte  er 
Lucrezia  einige  Zeilen,  in  denen  er  sie  ,,sein  teuerstes  Leben" 
nannte;  gleich  alien  Verliebten  lieB  er  ihr  sein  Herz  zum  Pfande, 
bat,  daB  sie  lieb  und  gut  damit  umgehe,  und  empfahl  sich  ihrem 
Gebet.  Bis  Ende  des  Monats  hielt  die  Krankheit  seines  Vaters  ihn 
fern,  und  als  er  nach  Ferrara  fur  kurze  Zeit  zuriickkam,  muBte  er 
infolge  des  Todes  seines  Bruders  Carlo,  den  er  sehr  liebte,  Lucrezia 
abermals  verlassen. 

1504  war  Bembo  noch  in  Ferrara,  aber  seine  Brief e  werden 
vorsichtiger,  auch  Lucrezia  sc.heint  der  hofischen  Umgebung  nicht 
zu  trauen.  In  der  zweiten  Halfte  des  gleichen  Jahres  reiste  Don 
Alfonso  mit  seinem  Sekretar  Pistofilo  und  einem  groBen  Gefolge 
von  Hoflingen  nach  Frankreich,  um  die  guten  Beziehungen 
zu  jener  Dynastie  zu  unterhalten,  die  Ferrara  hauptsachlich 
in  Italien  unterstiitzte  und  um  neue  Errungenschaften  im 
Geschiitzwesen,  die  ihn  iiber  alles  interessierten,  kennen  zu 
lernen.  Lucrezia  blieb  allein  im  SchloB,  denn  der  alte  krank- 
liche  Ercole  hielt  sich  namentlich  in  Belriguardo  auf.  Wie 
weit  damals  ihr  Verhaltnis  zum  Dichterfreund  gediehen  ist,  wissen 
wir  nicht. 

Das  Jahr  1505  ist  entscheidend  in  Lucrezias  Leben,  die  Bande, 
die  sie  an  Bembo  fesselten,  muBten  sich  lockern.  Man  begann  sich 
zu  sehr  mit  diesem  Roman  zu  beschaftigen,  der  in  Hofkreisen  kein 
Geheimnis  war,  auBer  Angela  Borgia  wuBten  noch  drei  Hoffraulein 
darum,  Bembo  nennt  sie  in  seinen  Briefen  Polixena,  Climena  und 
Cintia.  Lodovico  Aristo  und  Tebaldeo  wuBten  um  diesen  Roman, 
und  Titus  Strozzi  schrieb  sogar  ein  recht  ungeschicktes  Epigramm, 


LUCREZIA   BORGIA  193 

in  dem  er  des  Netzes  spottete,  mit  dem  Lucrezia  den  in  sie  ver- 
liebten  Freund  gefangen  hat.     Es  folgt  hier: 

Ad  Bembum  de  Lucretia 

Si  mutatum  in  x.  c.  tertia  nominis  huius 

Littera  1  u  x  fiet  quod  modo  1  u  x  fuerat 
Retia  subsequitur,  cui  t  u  h  a  e  c  subiunge  parat  que 

Sic  scribens:  lux  haec  retia,  Bembe  parat. 

Dazu  kam,  dafl  nach  Er  coles  Tod  am  25.  Januar  1505 
Alfonso  Herzog  von  Ferrara  wurde;  Lucrezias  Stellung  wurde 
dadurch  exponierter  und  erforderte  viel  Vorsicht.  Am  S.  Paulstag 
iibergab  der  alte  Titus,  als  guidice  de'  dodici  savi,  Alfonso  nach  alter 
Sitte  Szepter  und  Schwert  als  Abzeichen  der  Herrschaft.  Als  der 
neue  Herzog  im  Purpurmantel  auf  dem  Schimmel  durch  Ferraras 
StraBen  ritt,  gab  es  einen  solchen  Schneesturm,  daB  man  es  allgemein 
als  Prophezeiung  einer  sehr  stiirmischen  Regierung  auffaBte.  Pest, 
Krieg  und  Erdbeben  sollten  diese  Prophezeiung  nur  zu  sehr  erfiillen. 

Unverziiglich  nach  Alfonsos  Thronbesteigung  spielte  sich  ein 
furchtbares  Drama  im  herzoglichen  Palast  ab.  Angela  Borgia 
bezwang  durch  ihre  Schonheit  ihre  ganze  Umgebung.  Fast  noch 
als  Kind  hatte  man  sie  in  Rom  mit  Francesco  Maria  Rovere  ver- 
lobt,  aber  die  Verbindung  wurde  gelost,  und  der  Erbe  des  Herzog- 
tums  von  Urbino  vermahlte  sich  mit  Eleonora  Gonzaga.  Zu  Angelas 
heiBesten  Verehrern  in  Ferrara  gehorten  der  Kardinal  Ippolito 
d'Este  und  Giulio,  Ercoles  natiirlicher  Sohn.  Giulio  gefiel  Angela 
besser  als  der  Kardinal,  und  das  lebhafte  Madchen  riihmte  einst  in 
Ippolitos  Gegenwart  seine  schonen  Augen.  Der  Kardinal  geriet  vor 
Eifersucht  auBer  sich,  mietete  zwei  ,,bravi"  und  lieB  seinem  Stief- 
bruder  die  Augen  ausstechen.  Am  3.  November  1505  lauerten  die 
Henker  dem  von  der  Jagd  Heimkehrenden  auf,  und  warfen  sich  in 
Ippolitos  Beisein  auf  ihr  Opfer.  Der  Anschlag  geriet  nur  halb, 
der  arme  Giulio  verlor  ein  Auge,  das  andere  vermochten  die  Arzte  zu 
retten. 

Der  gesamte  estensische  Hof  schaumte  vor  Wut  gegen  Ippolito, 
am  gleichgiiltigsten  nahm  jedoch  der  Herzog  das  Verbrechen  auf, 
er  verbannte  den  Kardinal  zwar  vorubergehend,  bestrafte  ihn  aber 

13 


194  ACHTES  KAPITEL 

nicht  so,  wie  es  dieser  verschlagene  Wiiterich  verdient  hatte. 
Giulio  sann  auf  Rache  und  wartete  nur  auf  einen  geeigneten  Augen- 
blick,  um  sie  an  Alfonso  zu  nehmen. 

Donna  Angela  heiratete  ein  Jahr  nach  diesem  Zwischenfall 
den  Grafen  Alexander  Pio  von  Sassuolo,  und  ihr  Sohn  vermahlte  sich 
spater  mitElisabetta,  einer  natiirlichenTochterdesKardinals  Ippolita 

Giulio  ruhte  nicht,  er  setzte  sich  mit  Don  Ferrante,  Alfonsos 
leiblichem  Bruder,  ins  Einvernehmen,  der  den  Herzog  leidenschaft- 
lich  haBte  und  ihm  Ferraras  Thron  entreiBen  wollte.  Der  Ver- 
schworung  traten  mehrere  Unzufriedene  bei,  unter  anderen  der 
Graf  Albertino  Boschetti  und  dessen  Schwiegersohn,  der  Kapitan 
der  SchloBgarde.  Es  wurde  beschlossen,  Alfonso  auf  einem  Masken- 
ball  zu  ermorden  und  Ippolito  durch  Gift  aus  dem  Wege  zu  raumen. 
Der  Kardinal,  der  infolge  seiner  Verschwendungssucht  viel  Freunde 
in  Ferrara  hatte,  wurde  rechtzeitig  von  diesem  Anschlag  benach- 
richtigt  und  hat  jedenfalls  auch  Alfonso  gewarnt.  Im  Juli  1506 
lieB  der  Fiirst  Don  Ferrante  und  den  Grafen  Boschetti  gefangen 
nehmen,  Giulio  gelang  es,  sich  durch  Flucht  nach  Mantua  zu 
retten.  Als  Ferrante  ins  SchloB  gebracht  wurde,  geriet  Alfonso 
in  solchen  Zorn,  daB  er  dem  Bruder  mit  dem  Stock  ein  Auge  aus- 
schlug  und  ihn  ins  BurgverlieB  verbannte.  Giulio  wurde  vom  Mark- 
grafen  von  Mantua  an  Alfonso  ausgeliefert,  gegen  beide  Este 
wurde  ein  HochverratsprozeB  angestrengt,  und  die  Schuldigen  zum 
Tode  verurteilt. 

In  Ferrara  war  alles  ein  AnlaB  zu  glanzenden  Festen,  selbst 
die  Hinrichtung  zweier  Mitglieder  der  herrschenden  Familie  sollte 
zum  offentlichen  Schauspiel  werden.  Im  Hofe  des  Kastells  wurde 
eine  Estrade  errichtet,  auf  der  die  beiden  Prinzen  hingerichtet 
werden  sollten,  ringsum  wurden  Tribiinen  fur  das  Publikum  auf- 
gestellt.  Als  man  die  Gefangenen  herbeifiihrte,  gab  Alfonso,  der 
nicht  aus  der  Art  geschlagene  Sohn  Ercoles,  des  groBen  Theater- 
regisseurs,  den  Henkern  ein  Zeichen,  sie  traten  zur  Seite,  und  er 
begnadigte  die  Bruder  zu  lebenslanglicher  Gefangenschaft  in  den 
Kellern  jenes  Schlosses,  in  denen  der  eine  zu  herrschen  sich  ver- 
messen  hatte.  Noch  unter  Alfonsos  Nachfolger,  Ercole  II.,  hat  Fer- 
rante dort  geschmachtet,  er  starb  erst  im  Jahre  1540.    1559  wurde 


LUCREZIA  BORGIA  195 

Don  Giulio  seine  Freiheitwiedergegeben,  da  er,  ein  fast  achtzigjahriger 
Greis,  dem  Thron  von  Ferrara  nicht  mehr  gefahrlich  werden  konnte. 
Unterdessen  erlitt  Lucrezia  einen  Schicksalsschlag  nach  dem 
andern;  es  ging  mit  der  GroBe  der  Borgia  schnell  zu  Ende.  In 
Spanien,  in  der  Nahe  von  Pampelona,  war  Cesare  am  12.  Marz  1507 
zugrunde  gegangen  als  Abenteurer  und  Kondottiere,  in  fremdem 
Solde,  der  fiir  die  Sache  eines  andern  kampfte.  Als  die  hofischen 
Schmeichler  sahen,  daB  Cesares  Ruhm  Alfonso  nicht  mehr  Abbruch 
tat,  begannen  sie  Lobeshymnen  zu  Ehren  des  Verstorbenen  zu 
dichten.  Ein  Heldengedicht  wurde  1508  von  Ercole  Strozzi  verfaBt, 
in  dem  er  Cesares  groBe  Taten  pries,  er  ruhmte  ihn  als  den  von  der 
Vorsehung  Auserwahlten,  um  das  Kaisertum  und  den  Glanz  Roms 
zu  erneuen,  als  den  Mann,  der  bestimmt  war,  das  zerrissene  Italien 
unter  einem  Szepter  zu  vereinigen,  als  den  von  Machiavell  vorher- 
gesagten  Fiirsten.  Selbst  von  Alexander  VI.  heiBt  es  bei  Strozzi, 
er  verdiene,  einst  der  GroBe  genannt  zu  werden.  Iamque  novos 
titulos,  nobis,  nova  regna  parabat  Sextus  Alexander,  merito  qui 
nomine  quondam  maximus  apellandus  erat  .  .  . 

Zu  friih  hatte  Jupiter  Alexander  in  den  Olymp  berufen!  Als 
die  Gotter  iiber  Cesares  Schicksal  berieten,  war  Pallas  vor  Jupiter 
in  die  Knie  gesunken  und  hatte  gefleht,  daB  er  ihm  Macht  und  ein 
langes  Leben  schenke.  Doch  Venus  war  dagegen,  daB  die  Herrschaft 
iiber  Rom  einem  fremden,  spanischen  Geschlecht  zufalle,  sie 
schaumte  vor  Eifersucht,  da  eine  Spanierin,  Lucrezia  Borgia,  ihr 
an  Schonheit  iiberlegen  war.  Venus  war  starker  als  Pallas;  wie 
Achilles  muBte  Cesare  sterben,  aber  sein  Mut  und  sein  gewaltiger 
Geist  sind  unsterblich,  aus  der  Vereinigung  beider  Geschlechter, 
deren  Ursprung  in  Hellas  zu  suchen  ist,  aus  den  Este  und  Borgia 
wird  der  Held  entstehen,  der  Italien  befreien  wird.  Strozzi  geht  viel 
weiter  als  Machiavell;  wahrend  der  Sekretar  von  Florenz  sich 
kiihl  iiber  die  Unterwerfung  Umbriens,  der  Marken  und  der  Ro- 
magna  ausspricht,  ist  Strozzi  voller  Begeisterung  fiir  Cesare  und 
preist  ihn: 

Qui  rem  romanam  ingenio  et  praestantibus  armis  restituit  .  .  . 

Caesenam  et  multa  in  tumulis  castella  propinguis 

Debellavit  agens  properanti  milite  castra. 

13* 


196  ACHTES    KAPITEL 

Seine  Dichtung  hat  Ercole  Strozzi  der  Herzogin  gewidmet, 
,,alla  diva  Lucrezia  l'epicedio". 

Als  Strozzi  dieses  Gedicht  verfaBte,  liebte  er  Lucrezia  nicht 
mehr,  er  hatte  damals  ein  Verhaltnis  mit  Barbara  Torelli,  Ercole 
Bentivoglios  Witwe,  einer  schonen  Frau,  die  zuweilen  Sonette  schrieb, 
wie  damals  fast  alle  Damen  von  Stand.  Barbara  hatte  ein  Tochter- 
chen  geboren,  das  Strozzi  zum  Vater  hatte.  Der  jungen  Witwe 
gefiel  es  in  Ferrara  sehr  gut,  selbst  Alfonso  I.  hatte  sich  urn  ihre 
Gunst  bermiht.  Sie  aber  hatte  jenen  erwahlt,  den  sie  heiraten 
konnte:  Ercole  Strozzi.  Ihre  Trauung  fand  am  24.  Mai  statt;  drei- 
zehn  Tage  spater,  am  6.  Juni  1508,  fand  man  Ercole,  der  am  Mittag 
ermordet  worden  war,  in  der  Nahe  von  San  Francesco.  Er  lag  in 
seinen  Mantel  eingehullt,  mit  durchschnittener  Kehle  und  zwei- 
undzwanzig  Wunden  am  Korper,  ganze  Haarbiischel,  die  die  Morder 
ihm  ausgerissen  hatten,  deckten  den  Boden. 

Einer  seiner  Dichterf  reunde  sah  den  f  urchtbar  miBhandelten  Korper. 

Vidi  ego  divulsos  crines  a  vertice,  humique 

Undique  dispersos  .  .  . 

Cernite  quam  turpes  nunc  sunt  in  pectore  plagae. 

Am  Tage  des  Mordes  schrieb  Bernardino  Prosperi  an  Isabella 
von  Mantua,  neben  dem  Leichnam  habe  Strozzis  Hut  gelegen  und 
der  Stock,  auf  den  er  sich  zu  stiitzen  pflegte.  Es  schien,  daB  Ercole 
an  anderer  Stelle  ermordet  worden  war,  und  daB  man  den  Korper 
auf  einen  offentlichen  Piatz  niedergelegt  hatte,  um  die  Spuren  des 
Verbrechens  zu  verwischen.  Aus  Bernardinos  Brief  kann  man 
schlieBen,  daB  Strozzi  Barbara  unmittelbar  nach  der  Geburt  des 
Kindes  geheiratet  hat.  Die  Gonzaga  in  Mantua  waren  iiber  diesen 
Mord  emport,  der  Marchese  erbot  sich,  die  Waise  zur  Taufe  zu  halten, 
und  lieB  sich  vom  Dichter  Tebaldeo  bei  der  Zeremonie  vertreten. 
In  ganz  Italien  sprach  man  von  diesem  Verbrechen,  gehorte  Strozzi 
doch  zu  den  beriihmtesten  Mannern  von  Ferrara;  er  war  zwei  Jahre 
vor  seinem  Tod  giudice  de'  savi  gewesen,  also  einer  der  ersten 
Wurdentrager  des  Staates.  In  Ferrara  ahnte  man,  wer  die  Schuldigen 
waren,  und  erwartete  eine  unverziigliche  Untersuchung.  Aber 
Alfonso,   der  bei  solchen  Anlassen  mit  aller   Strenge  vorzugehen 


LUCREZIA  BORGIA 


197 


pflegte,  gebot  der  Gerechtigkeit  Schweigen.  Es  hat  nicht  an  Stimmen 
gefehlt,  die  Lucrezia  Borgia  verdachtigten,  sie  habe  Ercole  er- 
morden  lassen,  damit  er  Alfonso  ihr  Verhaltnis  zu  Bembo,  von 
dem  er  mehr  wuBte  als  andere,  nicht  verrate.  Aber  dieser  Ver- 
dacht  entbehrte  jeder  Grundlage;  sehr  bald  wies  die  ganze  Stadt 
auf  den  Morder  auf  dem  Throne  hin. 

Barbara  Torelii  selbst  schien  Alfonso  fur  den  Urheber  des  Ver- 
brechens  zu  halten,  dies  beweist  ein  Sonett,  das  sie  auf  den  Tod 
ihres  Mannes  geschrieben,  und  in  dem  sie  trotz  ihres  Schmerzes 
nicht  wagt,  den  Morder  zu  nennen.  Dieses  Sonett  gilt  als  eines  der 
schonsten,  das  in  der  Renaissance  von  einer  Frau  gedichtet  wurde. 

Auch  die  Literaten  von  Ferrara  schienen  genau  zu  wissen,  wo  der 
eigentliche  Morder  zu  suchen  war,  fast  alle  verfaBten  Trauergesange, 
aber  keiner  wagte  auf  den  Urheber  des  Verbrechens  hinzuweisen, 
Ariost  so  wenig  wie  Celio  Calcagnini,  Aldo  Manuzio  oder  Bembo. 

Strozzis  Tod  war  fur  Bembo  eine  blutige  Warnung,  er  ward  sich 
bewuBt,  daB  Alfonsos  Eifersucht  ihm  jeden  Augenblick  ein  gleiches 
Los  bereiten  konne.  Bald  nach  diesem  Vorfall  verlieB  er  Ferrara 
und  weilte  abwechselnd  am  Hof  zu  Urbino,  in  Bologna,  Rom  und 
Padua. 

Lucrezias  Liebe  zu  Bembo  war  die  letzte  Leidenschaft  dieses 
Herzens,  das  viel  geliebt  und  viel  durch  seine  Schwachen  gesiindigt 
hat.  Ein  wichtiger  Abschnitt  begann  im  Leben  der  Tochter  Alex- 
anders: am  4.  April  1508  hat  sie  einen  Sohn  geboren,  den  man 
zur  Erinnerung  an  den  GroBvater  Ercole  nannte.  Jetzt  erst  schien 
sie  unloslich  mit  der  Dynastie  der  Este  verbunden.  Im  nachsten  Jahre 
wurde  ihr  zweiter  Sohn  Ippolito  geboren,  und  einige  Jahre  spater, 
151 5  und  16,  schenkte  sie  ihrem  Gatten  noch  eine  Tochter  Eleonora 
und  einen  Sohn  Francesco. 

Lucrezia  begann  stark  zu  werden  und  tat  es  darin  ihrer  Rivalin 
Isabella  von  Mantua  gleich,  die  auch  zu  friih  iibermaBig  runde 
Formen  bekommen  hat.  Lucrezias  Bildnisse  aus  jener  Zeit,  be- 
sonders  das  Portrat  im  Museum  von  Nimes,  das  nach  Yriarte  die 
Herzogin  darstellt,  sowie  ein  Bild,  in  der  Sammlung  Gugenheim  in 
Venedig,  stellen,  wenn  sie  uberhaupt  Anspruch  auf  Authentizitat 
haben,  Lucrezia  ganz  anders  dar,  als  sie  damals  aussah,  da,  der 


I98  ACHTES  KAPITEL 

Tradition  gemafJ,  Pinturicchio  sie  als  h.  Katherina  von  Agypten 
im  Appartamento  Borgia  im  Vatikan  gemalt  hat,  oder  als  man  die 
Medaille  ,,a  l'amour  captif"  nach  ihr  machte. 

Auf  jenen  Portrats,  schlechten  Kopien  verlorener  Originate, 
sieht  Lucrezia  unsympathisch  und  schwerfallig  aus.  Ihr  kastanien- 
braunes  Haar  mit  goldigem  Glanz  ist  a  la  lombarde  frisiert,  mit 
den  charakteristischen  Locken  zu  beiden  Seiten  des  Gesichts,  die 
Augen  blaC  und  hell.  DafJ  sie  helle  Augen  von  undefinierbarer 
Farbe  hatte,  wird  in  alien  Schilderungen  ihrer  Person  erwahnt; 
aber  ihre  Augen  hatten  einen  strahlenden  Reiz,  von  dem 
in  diesen  elenden  Bildnissen  auch  keine  Spur  zu  entdecken  ist. 
Pinturicchios  Bildnis  scheint  mir  authentischer,  schon  deshalb, 
weil  zwischen  seinem  Bild  und  der  Medaille  zweifellos  eine  ge- 
wisse  Verwandtschaft  vorhanden  ist.  Wenn  man  beriicksichtigt, 
dafJ  Pinturicchio  die  noch  sehr  junge  romische  Lucrezia  gemalt 
hat  und  die  Medaille  aus  ihren  ferraresischen  Jahren  stammt, 
so  lassen  sich  gewisse  Unterschiede,  die  diese  beiden  Bildnisse 
aufweisen,  leicht  begreifen. 

Die  Fiirstin  war  giitig  und  hat  allmahlich  an  Takt  und  Umsicht 
gewonnen.  Ein  Franzose,  der  Biograph  Bayards,  kann  sie  nicht 
genug  riihmen,  um  der  Aufnahme  willen,  die  sie  dem  franzosischen 
Heer  bereitet  hat.  Sie  verstand  die  Franzosen  durch  ihre  Liebens- 
wiirdigkeit,  durch  Feste  und  Bankette  so  einzunehmen,  dafi  sie 
sagten,  Lucrezia  sei  die  schonste,  reizendste  und  liebenswiirdigste 
Frau  ihrer  Zeit  und  habe  durch  ihre  Vorziige  ihrem  Manne  und 
Ferrara  unschatzbare  Dienste  geleistet. 


Dank  Strozzi  und  Bembo  lebte  Lucrezia  in  einem  Kreise  lite- 
rarisch  tatiger  Menschen;  auBer  jenen  intimeren  Freunden 
und  Ariost  scharten  sich  Manner  um  sie,  die  in  der  damaligen 
Geisteswelt  etwas  galten.  Lucrezias  Neigungen  war  en  lite- 
rarischer  Art,  wahrend  Alfonso  sich  mehr  fur  bildende  Kunst 
interessierte. 


LUCREZIA  BORGIA  IQq 

Unter  ihrem  Zauber  stand  Antonio  Tebaldeo,  Bembos  ungefahr- 
licher  Nebenbuhler,  er  war  damals  etwa  vierzig  Jahre  alt  und  kam 
Bembo  an  gesellschaftlichen  Vorziigen  nicht  gleich.  Zu  ihren 
Verehrern  gehorte  auch  Celio  Calcagnini,  ein  Polyhistoriker,  von 
umfangreichem  Wissen.  Celio  machte  Gedichte,  studierte  die  Antike, 
war  Latinist,  Historiker,  Philosoph,  verstand  sich  auf  Numismatik 
und  beschaftigte  sich  sogar  mit  Naturwissenschaften,  gegebenen 
Falles  iibersetzte  er  auch  antike  Lustspiele  fur  das  Theater  von 
Ferrara.  Er  war  in  Liebesdingen  sehr  erfahren,  da  er  zu  den  stan- 
digen  Begleitern  des  Kardinals  Ippolito  gehorte  und  mit  ihm  nach 
Ungarn  gegangen  war.  Ein  geschickter  Hbfling,  der  sich  bei  Lucrezia 
in  Gunst  setzen  wollte;  noch  ehe  sie  Ferrara  erreicht  hatte,  hatte  er 
ihr  Kommen  in  einem  Gedicht  gefeiert. 

Eine  noch  einnehmendere  Personlichkeit,  die  langere  Zeit  der 
Umgebung  der  Furstin  angehort  hat,  war  Giangiorgio  Trissino, 
der  Abkdmmling  einer  bekannten  Patrizierfamilie  aus  Vicenza, 
ein  vielgereister  Mann,  der  spatere  Gesandte  Leos  X.  und  Kle- 
mens  VII.  Im  April  des  Jahres  1512  kam  Trissino  zum  erstenmal 
nach  Ferrara,  Familienbeziehungen  kniipfen  ihn  an  die  Stadt. 
1478  geboren,  war  er  damals  etwas  iiber  dreiBig  Jahre  alt,  er  hatte 
kurze  Zeit  vorher  seine  Gattin  ,,dilettissima  consorte"  verloren 
und  gehorte  dank  Abstammung,  Benehmen  und  Bildung  zu  den 
glanzendsten  Gestalten  jener  Welt,  ,,prestantissimo  per  nobilta 
di  natali  e  moltiplicita  di  dottrina".  Trissino  kannte  Deutschland, 
war  langere  Zeit  in  Mailand  gewesen  und  hatte  dort  viel  Inter- 
essantes  erlebt.  Er  hatte  in  seiner  Jugend  haufig  als  Gast  im  Hause 
der  Cecilia  Gallerani  geweilt,  der  beruhmten  Geliebten  Lodovico 
Moros;  ihr  schbnes,  wahrscheinlich  von  Leonardo  da  Vinci  gemaltes 
Bildnis  befindet  sich  im  Museum  der  Fiirsten  Czartoryski  zu 
Krakau.1) 

Bei  Cecilia  versammelten  sich  allabendlich  fast  alle  bedeutenden 
Persbnlichkeiten  Mailands,  es  wurde  musiziert,  die  Dichter  trugen 
ihre  neuesten  Werke  vor,  die  Gelehrten  disputierten  iiber  Philo- 
sophic und  Naturwissenschaften,  Architekten,  Bildhauer  und  Maler 

1)  Nach  Annahme  von  Professor  Jan  Botoz  Antoniewicz  in  seiner  Ab- 
handlung  iiber  dies  Bildnis  (III.  KongreB  polnischer  Historiker  in  Krakau). 


200  ACHTES    KAPITEL 

wiesen  ihre  Skizzen  vor.  Der  Dominikaner  und  Novellist  Bandello 
gehorte  zu  den  regelmaBigsten  Gasten  der  schonen  Frau.  Haufig 
korrigierteTrissinodie  Sonetteder  Gallerani,  dieauch  Gedichtemachte. 

Fur  Lucrezia  war  Trissino  die  geeignete  Personlichkeit,  schon 
deshalb,  weil  er  von  Cecilia  erzahlen  konnte,  die  damals  alle  inter- 
essierte,  da  die  etwas  altlich  gewordene  Schone  auch  nach  ihrer 
Heirat  mit  dem  Grafen  Bergamino  ein  fur  Gelehrte  und  Dichter 
offenes  Haus  in  San  Giovanni  in  Croce  bei  Cremona  fuhrte.  Tris- 
sino gefiel  der  Herzogin,  sie  lernte  seinen  Verstand  und  seine  Er- 
fahrung  schatzen  und  lieB  sich,  wenn  Alfonso  im  Lager  war,  in  alien 
wichtigen  Familienangelegenheiten  von  ihm  beraten.  Ihre  Briefe 
an  ihn  tragen  die  Uberschrift  ,,al  amico  nostro  carissimo".  Trissino 
wohnte  in  Ferrara  bei  den  Obizzi,  einer  der  vornehmsten  Fa- 
milien,  die  zu  Lucrezias  Umgebung  gehorten.  Trissinos  Schwester, 
Maddalena,  war  mit  Antonio  Obizzi  verheiratet,  der  den  Este 
sehr  ergeben  war.  Sehr  befreundet  war  den  Obizzi  die  Familie 
Castelmo,  Fiirsten  von  Sora  aus  dem  Neapolitanischen,  die  des 
Vaterlandes  ver wiesen,  sich  in  Ferrara  niedergelassen  hatten. 
Bei  den  Obizzi  und  Castelmo  versammelte  sich  eine  vornehme 
und  anregende  Gesellschaft.  Beruhmt  wegen  ihres  Witzes  und 
ihrer  Beredsamkeit,  glanzte  dort  Margherita  Moroscelli,  die  Mutter 
jenes  Ercole  Castelmo,  dessen  tragischer  Tod  ganz  Italien  be- 
wegt  hat. 

Wahrend  des  Krieges  zwischen  Ferrara  und  Venedig  kampfte 
der  junge  Castelmo  unter  Ippolito  d'Este  auf  Alfonsos  Seite,  er  fiel 
in  die  Hande  slawischer  Soldaten,  die  in  Venedigs  Sold  standen. 
Da  die  wilde  Horde  sich  nicht  dariiber  einigen  konnte,  welcher 
ihrer  Abteilungen  der  reiche  Gefangene  zugeteilt  werden  sollte, 
schlug  man  ihm  den  Kopf  ab.  Diese  Grausamkeit  veranlaflte  Ariost 
zu  einigen  schonen  Versen,  die  sich  gegen  die  slawischen  Barbaren 
wandten.     Der  Dichter  setzt  mit  der  wuchtigen  Frage  ein: 

Schiavon  crudele,  onde  hai  tu  il  modo  appreso 
Delia  milizia? 

Zu  den  entthronten  Herrschern,  die  sich  in  Ferrara  nieder- 
gelassen hatten,  gehorte  auch  Aeneas  Pio,  der,  aus  Carpi  vertrieben, 


LUCREZIA  BORGIA  201 

in  den  Dienst  der  Este  getreten  war.  Er  wohnte  im  Palazzo  del 
Paradiso,  der  heutigen  Volksbibliothek,  den  der  Fiirst  ihm  an- 
gewiesen  hatte,  um  ihn  sich  zu  verpflichten.  Auch  der  Palast  der 
Pio  war  ein  Zentrum  fur  Ferraras  gesellschaftliches  Leben.  Gra- 
ziosa  Maggi,  eine  Verwandte  Pios,  bildete  den  glanzenden  Mittel- 
punkt  der  dortigen  Versammlungen;  sie  war  eine  jener  beruhmten 
Frauen,  die  Ariost  im  letzten  Buch  seines  Rasenden  Roland  er- 
wahnt.  Wie  in  Mailand  bei  der  Gallerani,  oder  bei  den  Atellani 
in  den  Breragarten,  versammelte  sich  auch  hier  im  Garten  des 
Paradiso  eine  Gesellschaft  schoner  Frauen  und  beriihmter  Manner, 
darunter  waren  Ariost  und  Claucio  Tolomei,  wahrend  seines  Aufent- 
haltes  in  Ferrara.  Diana  d'Este  schien  Graziosa  Maggi  die  Sieges- 
palme  streitig  zu  machen,  und  Celio  Calcagnini  stand  unter  ihrem 
Zauber : 

II  dotto  Celio  Calcagnin  lontana 
Fara  la  gloria  e'l  bei  nome  di  quella. 

Gern  gesehen  waren  die  gelehrten  Professoren  der  Universitat 
zu  Ferrara  in  dieser  Gesellschaft,  und  besonders  schatzte  man 
dort  Nicolo  Leoniceno,  der  neben  Pomponazzi  in  Bologna  zu  den 
ersten  Vertretern  der  neuen  skeptisch-philosophischen  Richtung 
gehorte,  die  die  geistige  Bewegung  der  letzten  Epoche  der  Renaissance 
charakterisiert.  Diese  rationalistische  Schule  verwarf  die  mittel- 
alterliche  Mystik  und  begann  sich  langsam  dem  Erforschen  der 
Natur  zuzuwenden.  Niccolo  stammte  wie  Trissino  aus  Vicenza,  war 
eine  Zeit  hindurch  in  England  gewesen  und  hatte  sich  schlieBlich 
in  Ferrara  niedergelassen,  wo  er  offentliche  Vortrage  iiber  Mathe- 
matik,  Philosophic  und  Medizin  hielt.  Bezeichnend  fur  die  damalige 
Wissenschaft  war  die  Verbindung  von  Philosophic  und  Medizin, 
was  sich  aus  der  auf  Erfahrungstatsachen  begriindeten  Richtung 
ergibt.  Leonicenos  Verdienst  bestand  darin,  daB  er  an  der  Unfehlbar- 
keit  von  Galenos'  und  Plinius'  Theorien,  die  bisher  unumschrankt 
die  Naturwissenschaften  beherrscht  hatten,  geriittelt  hat.  Der 
ferraresische  Gelehrte  hatte  den  Mut  weiterzugehen,  sich  auf  die 
eigene  Erfahrung  zu  stiitzen.  Diese  naturwissenschaftliche,  auf 
Erfahrung  aufbauende  Bewegung  beschaftigte  die  damalige  Welt  in 


202  ACHTES   KAPITEL 

hohem  Grade,  in  den  Salons  wurde  dariiber  gesprochen,  und  wahrend 
unter  Lionello,  Borso  und  selbst  noch  unter  Ercole  Philologie 
geherrscht  hat,  wurden  jetzt  die  Naturwissenschaften  zum  Lieb- 
lingsstudium  erhoben  —  la  natura  delle  cose  occulte.  Einer  der 
damaligen  Gelehrten  erwahnt  ein  interessantes  Gesprach  zwischen 
Trissino  und  Leoniceno  iiber  heilkraftige  Pflanzen,  besonders  iiber  die 
Eigenschaften  des  Rhabarbers.  Ein  heutiger  Arzt  und  Gelehrter 
wurde  wahrscheinlich  iiber  ein  solches  Thema  nicht  mit  einem  Men- 
schen  verhandeln  wollen,  der  nicht  zum  mindesten  seine  medizi- 
nischen  Priifungen  bestanden  hat. 

Leoniceno  verstand  seine  Theorien  auch  in  die  Praxis  um- 
zusetzen,  er  lebte  auBerst  enthaltsam  und  erreichte  ein  Alter  von 
neunzig  Jahren. 

Zu  Lucrezias  Verehrern,  die  jedoch  Alfonso  keinerlei  Grund 
zur  Eifersucht  boten,  gehorte  Jacopo  Caviceo,  der  Vikar  des  Bis- 
tums,  ein  Pralat  von  stiirmischer  Vergangenheit.  Er  war  in  der 
Gegend  von  Parma  1443  geboren  und  hatte  in  Bologna  studiert. 
Von  auffahrendem  Wesen,  kraftig  und  bereit  sich  mit  der  Faust 
sein  Recht  zu  verschaffen,  wurde  er  zum  Helden  eines  nachtlichen 
StraBenkampfes,  muBte  aus  Bologna  fluchten  und  nach  Parma 
zuriickkehren.  Als  er  nach  einiger  Zeit  Geistlicher  wurde,  erregte 
er  allgemeinen  AnstoB  wegen  seines  ztigellosen  Lebens.  Nachdem 
er  eine  Nonne  verfiihrt,  einen  Menschen  todlich  verwundet  und  eine 
Reihe  anderer  Ubertretungen  begangen  hatte,  wurde  ihm  der  Boden 
in  der  Heimat  zu  heiB,  er  muBte  nach  Venedig  fluchten,  schiffte 
sich  ein  und  trieb  sich  einige  Zeit  hindurch  im  Osten,  in  Konstanti- 
nopel  und  auf  den  Inseln  des  Archipels  umher.  1469  begegnen  wir 
ihm  wieder  in  der  Heimat;  im  Kampfe  mit  dem  Erzbischof  steht 
er  an  der  Spitze  des  emporten  Bistums.  Der  Bischof  laBt  ihn  ein- 
sperren,  die  Freunde  des  Herzogs  befreien  ihn  jedoch  gewaltsam 
aus  dem  bischoflichen  Turm.  Caviceo  geht  nach  Rom,  setzt  den 
Kampf  gegen  seinen  Feind  fort,  der  augenscheinlich  aus  Angst  vor 
dem  Papst  einen  Hascher  nach  Rom  schickt,  damit  er  den  auf- 
riihrerischen  Geistlichen  in  aller  Stille  beiseite  schaffe.  Der  ,, Bravo" 
verwundet  Caviceo,  aber  der  viel  geschicktere  Geistliche  macht 
den  Morder  auf  der  Stelle  mit  seinem  Messer  nieder.    Dann  geht  er 


LUCREZIA  BORGIA  203 

zum  Papst,  wirft  sich  ihm  zu  FiiBen,  erklart,  daB  er  den  Feind  in 
Notwehr  erschlagen  habe,  und  erlangt  Verzeihung.  Triumphierend 
kehrt  er  als  Sieger  nach  Parma  zuriick;  mit  der  Macht  des  Erz- 
bischofs,  auf  dessen  Seite  der  Herzog  von  Mailand  Galeazzo  Sforza 
stand,  hatte  er  aber  nicht  gerechnet.  Sehr  bald  sitzt  er  wieder  hinter 
eisernem  Gitter,  aber  er  weiB  sich  frei  zu  machen  und  fliichtet. 
Nach  verschiedenen  dramatischen  Episoden  wird  ihm  1477  das  Kirch- 
spiel  von  San  Michele  in  Padua  iibertragen,  und  damit  beginnt  ein 
ruhigeres  Leben.  Er  erhalt  immer  bessere  Pfriinden,  steigt  in  geist- 
lichen  Ehren,  im  Jahre  1489  begriiBt  er  im  Namen  seiner  Heimat- 
stadt  Friedrich  III.  in  Italien  und  wird  in  offentlichen  Urkunden 
bereits  Doktor  der  Rechte  genannt.  1494  wird  er  in  Ferrara  bischof- 
licher  Vikar,  weiB  sich  Ercole  I.  gefallig  zu  erweisen  und  ist  bei 
Hofe  sehr  gut  angeschrieben. 

In  Ferrara  schrieb  Caviceo  seinen  Roman  ,,Peregrino" ;  er  widmet 
ihn  ,,alla  savia  ad  accostumata  Lucrezia  Borgia".  ,,Peregrino" 
gehort  zu  den  beriihmtesten  Romanen  des  beginnenden  16.  Jahr- 
hunderts,  er  beruht  nicht  auf  bloBer  Erfindung,  der  Verfasser 
hat  einen  groBen  Teil  der  Ereignisse,  durch  die  er  gegangen  und 
seine  selbstandigen  Beobachtungen  der  Natur  hinein  verarbeitet. 
Es  war  ein  Buch,  das  das  Leben  der  Zeit  spiegelt. 

Caviceo  war  in  einem  ruhigen  Hafen  gelandet;  als  ehrwiirdiger 
Pralat  schrieb  er  nicht  langer  Romane,  sondern  Belehrungen  fiir 
seine  Beichtkinder,  ,,11  Confessionale". 

Als  Leo  X.  Papst  wurde,  schrumpfte  Lucrezias  literarischer 
Kreis  zusammen;  Italiens  Dichter  und  Gelehrten  pilgerten  damals 
nach  Rom  wie  ins  Gelobte  Land  und  erwarteten  Ehren  und  goldenen 
UberfluB  vom  Mediceer.  An  den  papstlichen  Hof  iibersiedelten 
damals  Tebaldeo  und  Bembo,  der  in  Urbino  weilte.  Bembo  wurde 
papstlicher  Sekretar,  und  seine  Korrespondenz  mit  Lucrezia  bricht 
im  Jahre  1513  ab.  Er  verliebte  sich  in  Morosina,  eine  Romerin 
niederer  Herkunft,  und  hatte  drei  Kinder  mit  ihr.  Bis  zu  seinem 
Tode  lebte  er  mit  ihr  zusammen,  und  die  schbne  Morosina  hat  durch 
ihre  bose  Laune  und  ihr  ordinares  Betragen  Rache  fiir  alle  die 
Untreue  geiibt,  durch  die  der  gelehrte  Dichter  in  jungen  Jahren 
an  anderen  Frauen  gesiindigt  hat. 


204  ACHTES  KAPITEL 

Ferraras  Krieg  mit  Venedig,  Ungliicksfalle,  die  das  Land  be- 
trafen,  hausliche  Sorgen,  die  Erziehung  der  Kinder  —  all  das  be- 
wirkte,  dafi  die  in  ihrer  Jugend  leichtsinnige  Lucrezia  immer  ernster 
wurde;  sie  begann  wie  alle  Frauen,  die  viel  gelebt  und  viel  Ent- 
tauschungen  erfahren  haben,  Trost  in  der  Religion  zu  suchen. 
In  ihren  letzten  Lebensjahren  wandelte  sich  ihre  Frommigkeit 
in  Bigotterie.  Alexanders  VI.  Tochter  beichtete  taglich  und  ging 
drei-  oder  viermal  monatlich  zum  Abendmahl.  Es  verletzte  sie, 
daB  die  Frauen  in  Ferrara,  alter  Sitte  gemaB,  mit  bloBen  Armen 
gingen  und  den  Hals  bis  zur  Brust  entbloBt  trugen.  Sie  fiihrte 
daher  eine  Art  Tuch  ,,gorgiere"  ein,  das  bei  den  Frauen  aus  dem 
Volke  die  BloBe  deckte,  an  der  sie  AnstoB  nahm.  Die  Zeiten  hatten 
sich  geandert.  Als  Lucrezia  als  Braut  nach  Ferrara  kam,  trug  sie 
ein  Hemd  mit  durchbrochenen  Einsatzen,  das  die  Briiste  durch- 
schimmern  lieB;  Isabella  schrieb  in  heller  Emporung  einen  ent- 
rusteten  Brief  an  ihren  Mann  iiber  diese  Schamlosigkeit. 

So  lange  Rodrigo,  Lucrezias  Sohn  aus  erster  Ehe,  lebte,  bestand 
ein  Band,  das  sie  an  die  Vergangenheit  kniipfte.  Rodrigo,  der 
Fiirst  von  Bisceglia,  wuchs  erst  unter  der  Obhut  des  Kardinals 
Lodovico  Borgia  auf,  dann  nahm  sich  seine  Tante  Isabella  von 
Aragon,  die  Witwe  Giangaleazzo  Sforzas  aus  Mailand,  seiner  an. 
Als  Dreizehnjahriger  starb  Rodrigo,  und  damit  war  das  letzte 
Band  zerschnitten,  das  Lucrezia  an  ihre  sturmische  Jugend  ge- 
fesselt  hat.  Zu  Vanozza  scheint  Lucrezia  in  gar  keinen  Beziehungen 
gestanden  zu  haben,  und  vielleicht  hat  erst  die  Nachricht  ihres  Todes 
die  Herzogin  von  Ferrara  daran  erinnert,  daB  sie  bis  vor  kurzem 
noch  eine  Mutter  hatte.  Vanozza  starb  am  26.  November  151 8  in 
Rom,  und  da  sie  ihr  bedeutendes  Vermogen  frommen  Stiftungen 
verschrieben  und  der  Briiderschaft  del  Gonf alone  angehort  hatte, 
wurde  sie  mit  dem  Pomp,  der  eines  Kardinals  wiirdig  ware,  beige- 
setzt;  das  gesamte  geistliche  Rom  nahm  an  der  Trauerzeremonie  teil. 

Durch  eine  seltsame  Laune  des  Schicksals  wurde  Lucrezia 
Julius  II.  verschwagert,  der  die  Borgia  haBte  und  der  groBte  Feind 
der  Este  war.  Giulia  Farnese,  die  zu  Beginn  des  XVI.  Jahrhunderts 
eine  noch  junge  und  reizvolle  Frau  war,  gefiel  dem  Papst  so  sehr, 
daB   er  seine  Zustimmung  gab  zur   Heirat  seines   Neffen   Niccolo 


LUCREZIA  BORGIA  205 

Rovere  mit  ihrer  Tochter  Laura,  jenem  schonen  Kinde,  das  wir  in 
Rom  in  Lucrezias  Haus  gesehen  haben.  Aber  diese  Verbindung 
trug  durchaus  nicht  dazu  bei,  das  Verhaltnis  zwischen  dem  Hof 
von  Ferrara  und  dem  Papst  zu  verbessern. 

Lucrezia  starb    neununddreiBig   Jahre    alt,   am  24.  Juni  1519, 

bei  der  Geburt  eines  toten  Kindes.     Sie  hat  ihren  Tod  geahnt  und 

zwei  Tage,  bevor  sie  starb,  an  Leo  X.  geschrieben;  dieser  Brief  be- 

schlieBt  in  einer  fiir  jene  Zeit  charakteristischen  Art  ihren  Lebens- 

lauf.    Jenem  Papst,  der  Ferrara  fiir  die  Medici  annektieren  wollte, 

empfiehlt  sie  sich,  als  dem  Schutzherrn  der  Kirche,  in  christlicher 

Demut.     Nach  zweimonatlichen  Leiden,  wie  es  in  diesem  letzten 

Briefe  heiBt,  habe  sie  am  14.  Juni  bei  Morgengrauen  eine  Tochter 

geboren,   sie   habe   gehofft,   daB   dies   sie   von  weiteren  Schmerzen 

befreien  wiirde.     Sie  erkenne  jedoch,  daB  ihre  Krankheit  sich  ver- 

schlimmert  habe  und  sie  sterben  miisse.    In  wenigen  Stunden 

wird  sie  vor  dem  hochsten  Richter  stehen,  und  darum 

bittet  sie  wie  eine   Siinderin   in  Demut  um  den 

heiligen  Ssgen  und  empfiehlt  dem  Heiligen 

Vater  ihren  Mann  und  ihre   Kinder. 

Sie  verschied  in  der  Nacht  vom 

24.  Juni ;  ihr  Mann  war  in 

ihrer  Todesstunde 

bei  ihr. 


NEUNTES  KAPITEL 

ARIOST 


i 

Ipiia^  H  asch  beriihmt  ward  unter  der  Jugend,  die  unter  Ercole  I. 

in  Ferraras  StraBen  groB  wurde,  Lodovico  Ariosto. 
Er  war  nicht  der  erste  Dichter  seines  Geschlechts; 
schon  unter  Lionellos  Regierung  haben  wir  den  Ge- 
legenheitsdichter  Francesco  kennen  gelernt,  und 
unter  Borso  hat  Malatesta  Ariosto  gelegentlich  als 
Poet  gesiindigt.  Nur  Lodovicos  Vater  Niccolo  fuhlte  sich  auf  den 
Niederungen  der  Erde  heimischer  als  auf  dem  ParnaB.  Er  war 
iibrigens  ein  haBlicher,  gewalttatiger,  sehr  unbeliebter  Mann, 
der  hinter  Titeln  herjagte  und  Geld  zusammenraffte,  wo  es  nur  zu 
kriegen  war.  Als  Kaiser  Friedrich  III.  1460  in  Ferrara  war,  be- 
warb  sich  Niccolo  um  den  Titel  eines  Conte  del  sacro  lateranense 
palazzo  e  del  santo  romano  imperio.  Der  Kaiser  gestattete  dem 
neugebackenen  Graf  en,  seinem  Familienwappen,  drei  silbernen 
Bandern  auf  blauem  Felde,  einen  schwarzen,  gekronten  Adler  auf 
Goldgrund  hinzuzufiigen.  Seitdem  fiihrten  die  Ariosto  ein  sehr 
aristokratisches  Siegel  mit  kaiserlichem  Zeichen.  Niccolo  verstand 
es,  sich  den  Herzogen  unentbehrlich  zu  machen,  und  war  zu  jedem 
Dienst  bereit.  Ercole  I.  ernannte  ihn  zu  seinem  Hofmeister,  mag- 
giordomo,  verwandte  ihn  bei  Gesandtschaften  an  den  Papst,  den 
Kaiser  und  Kdnig  von  Frankreich  und  betraute  ihn  sogar  im  Jahre 
1471  mit  der  verbrecherischen  Mission,  Niccolo  di  Lionello  d'Este, 
seinen  rankespinnenden  Rivalen,  in  Mantua  zu  vergiften. 

Wahrscheinlich  als  Entgelt  fur  dieses  gefahrliche  Unternehmen 
ernannte  ihn  Ercole  I.  im  folgenden  Jahre  zum  Kapitan  der  Zitadelle 


ARIOST 


207 


und  zum  Schatzmeister  in  Reggio.  Niccolo  bezog  dort  ein  Ein- 
kommen  von  137  Lire  monatlich,  und  sollte  dreiBig  Soldaten  davon 
erhalten,  indem  pro  Kopf  vier  Lire  gerechnet  wurden.  Er  wollte 
an  den  armen  Teufeln  verdienen  und  lieB  sie  hungern;  als  der  Herzog 
davon  erfuhr,  wurde  Niccolo  zur  Rechenschaft  gezogen.  Niccolo 
bekam  eine  bessere  Frau,  als  er  verdient  hat.  Im  September  1473 
heiratete  er  Daria,  die  Tochter  von  Gabriele  Malaguzzi,  einem 
Edelmann  aus  Reggio;  sie  braehte  ihm  tausend  Dukaten  mit, 
eine  nach  damaligen  Begriffen  nicht  unbedeutende  Mitgift.  Fur 
diesen  Betrag  kaufte  er  Land  in  Gavassetto,  in  der  Gegend  von 
Reggio. 

Daria  war  eine  ungewohnliche  Frau;  Lodovico  glaubt,  daB  er 
seine  Gaben  von  ihr  geerbt  habe.  Sie  suchte  die  Riicksichtslosigkeiten 
ihres  Gatten  gutzumachen,  wo  sie  konnte;  alle  Herzen  flogen  ihr 
zu,  aber  seinen  Charakter  vermochte  sie  nicht  zu  andern. 

Lodovico  war  das  alteste  Kind,  er  wurde  in  Reggio  am  8.  Sep- 
tember 1474  geboren  und  verlebte  dort  seine  Kindheit.  1481  iiber- 
trug  Ercole  Niccolo  zwar  das  Kapitanat  von  Polesina  di  Rivigo, 
aber  kaum  ein  Jahr  spater  muBte  er  seine  friihere  Stelle  in  Reggio 
wieder  einnehmen.  Bis  zum  Jahre  i486  hat  Ariost  dort  den  Ober- 
befehl  behalten,  dann  iibersiedelte  er  nach  Ferrara,  da  Ercole  ihm 
das  wichtigste  Amt  im  ganzen  Reich  anvertraut  hatte:  er  ernannte 
ihn  zum  Prasidenten  der  zwolf  Savi.  Diese  Ernennung  machte  viel 
boses  Blut,  es  hieB  allgemein,  sie  sei  der  Lohn  fur  einen  von  Ariost 
dem  Herzog  erwiesenen  pekuniaren  Dienst,  er  soil  ihm  zweihundert 
Goldskudi  zu  einer  Wallfahrt  zum  heiligen  Jakob  di  Compostella 
geliehen  haben. 

Ganz  Ferrara  haBte  den  neuen  Giudice  de'  savi,  selbst  die  Amts- 
kollegen  konnten  ihn  nicht  leiden.  Boshafte  Gedichte  zirkulierten  in 
der  Stadt,  und  Pistoja  schrieb  allein  dreiundzwanzig  Sonette,  die  die 
allgemeine  Emporung  iiber  Ariosts  Ubergriffe  und  Plackereien  zum 
Ausdruck  bringen.  In  diesen  Sonetten  nennt  ihn  der  Dichter  den 
dummen  Vorsitzenden  von  zwolf  Klugen,  den  Wiirger  von  Ferrara, 
einen  unersattlichen  Rauber,  eine  allgemeine  Landplage,  und  legt 
ihm  noch  eine  Menge  anderer  beleidigender  Namen  bei,  die  aus 
dem  ferraresischen  Dialekt  zu  iibertragen  seine  Schwierigkeiten  hat. 


208  NEUNTES  KAPITEL 

Pistoja  nimmt  an,  daB  Ariosts  Magen  alles  verdauen  konne:  Holz, 
Marmor,   Sand,  selbst  Eisen. 

Tu  mangi  il  legno,  il  marmore,  il  r,abbione, 
II  ferro,  e  s'  egli  e  cosa  ancor  piu  dura. 

Wenn  der  neue  Giudice  de'  savi  iiber  die  StraBe  geht,  schreien 
ihm  alle  wiitend  nach:   ,,Mdrder,  Lump,  Verraterl" 

Che  ti  gridano  dietro  a  gran  furore: 
Al  ladre,  al  manigoldo,  al  traditore. 

In  einer  anderen  Satire,  die  die  Runde  in  der  Bevolkerung  machte, 
beklagt  sich  die  gute  Daria  bei  ihrem  Gatten,  sie  schame  sich,  den 
FuB  iiber  die  Schwelle  zu  setzen,  denn  jeder,  der  sie  sieht,  ruft: 
,,Hier  kommt  die  Frau  des  bosen  Raubers." 

Magnifico  marito  mio  dolcissimo, 
Io  non  ardisco  piu  di  casa  uscire, 
Perch'  io  mi  sento  dietro  a  ciascun  dire: 
Ecco  la  moglie  del  ladro  atrocissimo. 

Doch  solche  Lappalien  machen  Niccolo  keinen  Eindruck;  scham- 
los  erklart  er  der  Gattin,  er  stehle  und  wiirde  stehlen,  nur  den 
heiBe  man  dumm,  der  kein  Geld  habe. 

Io  rubo  e  rubero,  che  in  fra  le  genti 
Chi  e  senza  roba  matto  dir  si  suole. 

SchlieBlich  begann  sich  auch  der  Herzog  seines  Giinstlings  zu 
schamen  und  muBte  sich  dem  Druck  der  offentlichen  Meinung 
fiigen.  1489  entsetzte  er  ihn  seines  Amtes  in  Ferrara,  iibertrug  ihm 
aber  gleichzeitig  die  Stelle  eines  Kapitans  in  Modena.  Diese  Ernen- 
nung  rief  in  Modena  keine  geringe  Bestiirzung  hervor,  und  die 
Satire  regte  sich  auch  dort  gegen  ihn.  In  einem  boshaften  Gedichl 
beklagt  sich  Modena,  daB  das  Raubtier  schon  zum  Sprung  aus- 
hole  und  sich  auf  die  Stadt  zu  stiirzen  bereit  sei. 

Vedi  la  mala  bestia  che  si  move 

Ver'  me  tanto  rabiosa  divenuto 

Che  par  che  mai  la  non  mangiasse  altrove. 


ARIOST 
BILDNIS  VON  TJZIAN.     LONDON,  NATIONAL-GALLERY 


ARIOST  209 

Fiinf  Jahre  hat  das  ungliickliche  Modena  unter  AriostsUbergriffen 
gelitten,  schlieBlich  befreite  der  Herzog  1496  die  Stadt  vom  verhaBten 
Kapitan  und  ernannte  ihn  zum  Statthalter  von  Romagna  di  Lugo. 

Nun  war  es  um  Lugos  Frieden  getan,  aber  diesmal  sollte  eine 
Liebesgeschichte  Ariost  sein  Amt  kosten.  Eines  Tages  fliisterte 
man  sich  emport  zu,  daB  eine  der  Burgersfrauen  ihren  Geliebten, 
einen  Jiingling,  bei  sich  empfange  und  daB  ihn  der  Ehemann  auf 
frischer  Tat  ertappt  habe.  Der  betrogene  Gatte  wollte  seine  Ehre 
mit  erhobenem  Kniittel  schiitzen,  aber  der  Jiingling  suchte  das 
Weite  und  lieB  nur  seinen  Mantel  zuriick.  Als  Ariost  von  diesem 
Vorfall  erfuhr,  lieB  er  in  Zorn  entbrannt  den  verratenen  Gatten 
rufen  und  verlangte  den  Mantel  als  corpus  delicti  zu  sehen.  Der 
Mann  wollte,  verstandiger  als  der  Statthalter,  seine  Hausehre  wahren, 
er  bestritt  alles  und  erklarte,  von  einem  verlorenen  Mantel  nichts 
zu  wissen.  Der  allzu  tugendhafte  Gouverneur  lieB  ihn  auf  die  Folter 
legen,  doch  das  Mittel  verfing  nicht,  der  arme  Kerl  wahrte  sein 
Geheimnis.  Aus  dem  Gefangnis  entlassen,  ging  er  nach  Ferrara 
und  erzahlte  dort  die  ganze  Geschichte.  Ercole,  emport  iiber  Ariosts 
Vorgehen,  entsetzte  ihn  seines  Amtes  und  verurteilte  ihn  zu  einei 
Geldstrafe  von  funfhundert  Skudi;  dieser  Betrag  war  aber  nicht  etwa 
als  Entschadigung  fur  den  zu  Unrecht  gefolterten  Ehemann  be- 
stimmt,  sondern  floB  dem  Staatssackel  zu. 

So  iibte  man  in  der  Renaissance  Gerechtigkeit. 

Aber  dieses  Ereignis  hatte  sein  Gutes:  Ercole  rief  Ariost  aus 
Lugo  zuriick  und  vertraute  ihm  kein  Amt  mehr  an. 

Solcher  Art  war  Lodovico  Ariostos  Vater,  aber  vielleicht  hat 
gerade  dieses  Beispiel  es  bewirkt,  daB  der  Sohn  ein  ganz  anderer  war. 
Lodovico  nannte  Reggio  sein  ,,nido  natio",  das  fur  ihn  voller  Kind- 
heitserinnerungen  war.  Der  Knabe  war  zwolf  Jahre  alt,  als  die 
Eltern  i486  nach  Ferrara zogen.  Er  besuchte  die  Lateinschule  von  Lucca 
Ripo;  Ercole  Strozzi  und  Gaspare  Sardi  waren  seine  Schulkollegen. 

Das  Haus,  das  der  kleine  Ariost  mit  seinen  Eltern  bewohnt  hat, 
existierte  noch  bis  vor  kurzem  in  der  StraBe  ,,Giuoco  del  Pallone" 
und  gehdrte  1474  den  Erben  der  Familie  Ughi.  Noch  erinnert  man 
sich  eines  Zimmers  mit  Freskeniiberresten  aus  dem  XV.Jahrhundert 
mit    gefliigelten    Hippogryphen    und    Gruppen    kleiner    Amoretten, 

14 


210  NEUNTES  KAPITEL 

Der  Tradition  nach  gait  dieses  Zimmer  als  Lucca  Ripos  Schule.  Der 
alte  Ariost  scheint  demnach  einen  Raum  seines  Hauses  zu  Schul- 
zwecken  hergegeben  zu  haben,  dafiir  sprechen  auch  die  vielen 
lateinischen  Inschriften,  die  die  Moral  der  jungen  Gemiiter  festigen 
sollten,  wie  z.  B.:  Loqui  cum  hominibus  tamquam  dii  audiant. 
Der  HaB  und  Spott  seiner  Mitburger  zwang  den  alten  Ariost 
1489  Ferrara  zu  verlassen.  Lodovico  war  damals  funfzehn  Jahre 
alt,  der  Vater  lieB  ihn  in  der  Hauptstadt,  damit  er  sich  dem  Studium 
der  Rechtswissenschaften  unter  Giovanni  Sadoletos  Leitung  an 
der  Universitat  widme  und  spater  ein  offentliches  Amt  bekleiden 
konne.  Lodovico  hatte  an  diesem  Studium  wenig  Freude,  doch  gab 
es  keine  Widerrede,  da  der  Vater  in  solchen  Dingen  nicht  mit 
sich  scherzen  lieB.  Nach  funf  Jahren  war  er  Doktor  der  Rechte. 
Seine  freie  Zeit  widmete  Lodovico  humanistischen  Studien,  die  ihn 
sehr  anzogen.  Gliicklicherweise  hatte  damals  Rinaldo  d'Este, 
Ercoles  Bruder,  einen  beriihmten  Humanisten,  Gregor  da  Spoleto, 
als  Lehrer  fur  seine  Sonne  nach  Ferrara  berufen.  Gregor  war  in 
seiner  Jugend  Augustinermonch  gewesen,  seit  1459  war  er  Lektor 
an  der  Universitat  in  Siena,  da  ihm  das  Klosterleben  miB- 
fiel,  hatte  er  die  Kutte  abgelegt  und  war  weltlicher  Lehrer  ge- 
worden.  Rinaldo  d'Este  bewohnte  damals  den  Palazzo  del  Paradiso, 
und  der  junge  Ariost  nahm  teil  am  Unterricht  des  beriihmten 
Humanisten.  Gregor  hat  ihm  die  Pforte  zur  antiken  Welt  ge- 
bffnet  und  dem  begabten  Schuler  einen  starken  Eindruck  gemacht. 
,,Fortuna  war  mir  giinstig",  schreibt  Ariost,  ,,und  schenkte  mir 
Gregor  di  Spoleto,  den  ich  immer  segnen  werde." 

Fortuna  molto  mi  fu  allora  arnica 
Che  mi  offerse  Gregorio  di  Spoleto 
Che  ragion  vuol  ch'  io  sempre  benedica. 

Lodovico  las  „seine  Dichter":  Ovid,  Vergil,  Horaz,  Plautus, 
Terenz  und  schrieb  lateinische  Gedichte  wie  seine  Freunde  Ercole 
Strozzi  und  Alberto  Pio.  Virginio,  der  Sohn  des  Dichters,  berichtet, 
sein  Vater  sei  nicht  sehr  fleiBig  gewesen  und  habe  wenig  gelesen, 
,,non  era  bibliomane",  aber  zu  seinen  Lieblingsdichtern  hatte  er 
immer  gegriffen. 


ARIOST  211 

Auch  Alberto  Pio  war  Gregors  Schiiler  und  etwa  bis  urn  1500 
mit  Ariost  innig  befreundet,  dann  verlieB  er  Ferrara  voller  Groll 
gegen  Ercole  I.,  der  ihm  Carpi,  sein  vaterliches  Erbe,  entreiBen 
wollte.  Gibert  Pio,  der  Mitbesitzer  Carpis,  hatte  seine  Rechte  an 
Ercole  abgetreten,  Alberto  war  Ferraras  Herzog  gegeniiber  fast 
wehrlos,  er  suchte  beim  Papst,  beim  Kaiser,  beim  Konig  von  Frank- 
reich  Schutz  gegen  ihn,  bis  er  schlieBlich  erschopft  und  zermiirbt 
in  den  Franziskanerorden  eintrat;  er  starb  fast  in  Verbannung  in 
Paris  im  Jahre  1531.  Einige  lateinische  Verse  Ariosts  an  Alberto 
aus  den  gliicklichen  ferraresischen  Tagen  haben  sich  in  seinem 
literarischen  NachlaB  erhalten. 

1500  verlor  Ariost  den  geliebten  Lehrer,  da  Isabella  von  Aragon 
Gregor  als  Erzieher  ihres  Sohnes  berief.  Ariost  betrauerte  die  Ab- 
reise  des  Humanisten  und  klagte,  daB  die  Herzogin  ihn  ihm  ent- 
rissen. 

Mi  fu  Gregorio  dalla  sfortunata 
Duchessa  tolto,  e  dato  a  quel  figliuolo 
A  chi  avea  il  zio  la  signoria  levata. 

Ariost  trat  zuerst  mit  lateinischen  Gedichten  vor  die  Offentlich- 
keit,  er  stand  unter  dem  EinfluB  seines  beriihmten  Lehrers  und  ver- 
nachlassigte  das  Volgare.  Bis  zum  Jahre  1503  hat  er  nur  lateinisch 
gedichtet,  doch  ist  seine  Sprache  nicht  ubermaBig  rein.  Schon  zu 
Beginn  zeigt  sich  ein  gewisser  Hang  zu  Sarkasmus  und  Satire 
und  er  rebelliert  gegen  das  herzogliche  Joch,  das  andere  willig 
trugen.  Diese  Stimmung  spiegelt  am  deutlichsten  eine  an  Ercole 
Strozzi  gerichtete  Elegie,  anlaBlich  des  Todes  von  Michele  Marullo, 
eines  latinisierten  griechischen  Dichters.  Marullos  Tod  ware  fur 
sie  als  Dichter  fast  ebenso  schrecklich  wie  der  Anblick  Italiens, 
das  vor  ihren  Augen  zerfallt.  Die  Fiirsten  erlegen  ihnen  kein 
weniger  schweres  Joch  auf  als  die  fremden  Barbaren.  Es  ist  ebenso 
schwer,  der  Diener  des  franzosischen  Konigs  als  der  eines  italie- 
nischen  Fiirsten  zu  sein. 

Quid  nostra  an  gallo  regi  an  servire  latino, 

Si  sit  idem  hinc  atque  hinc  non  leve  servitium? 

Barbarico  ne  esse  est  pejus  sub  nomine  quam  sub  moribus? 

14* 


212  NEUNTES  KAPITEL 

Ariost  liebte  damals  eine  Spanierin,  Pasifilia,  die  mit  ihm  koket- 
tierte  und  ihn  gleichzeitig  mit  einem  andern  betrog.  Pasifilias 
boser  Geist  war  ihre  Mutter,  und  Ariosts  Freunde,  namentlich 
Bembo,  bemuhten  sich,  seine  Gefiihle  fur  das  unwiirdige  Geschdpf 
abzukiihlen.  Es  war  nicht  ganz  leicht,  und  erst  nach  geraumer 
Zeit  lieB  sich  Lodovico  iiberzeugen,  daB  ,,die  Alte"  die  Reize  ihrer 
Tochter  verkaufe.  In  einer  leidenschaftlichen  Satire  ergieBt  er  seinen 
Zorn  liber  sie.  ,,Geh,  Alte,  mit  deinem  Liebesgefliister,  geh  zum 
Teufel,  gefraBige  Bestie.  Mich  ekeln  Eure  Versicherungen,  die  ich 
so  spat  erst  erkannt." 

Va,  rea  vecchia,  con  questi  carezzevoli 
Sussuri  tuoi,  va  ingorda  vecchia,  al  diavolo. 
Assai  la  vostra  fede,  oh  assai,  m'k  cognita 
Se  ben  tardi.  .  .  .  x) 

In  diesem  Ton  apostrophiert  Ariost  in  einem  ziemlich  langen 
Gedicht  die  alte  Spanierin;  zum  SchluB  faBt  er  seine  Emporung  noch 
einmal  in  dieWorte  zusammen:  ,,Vada  la  scellerata  a  tutti  i  diavoli!" 


II 

Im  Februar  des  Jahres  1500  starb  Niccolo  Ariosto;  auf  dem 
jungen  Lodovico  lastete  die  Sorge  um  neun  Geschwister  und  die 
Mutter.  Es  gait,  vier  Briider  zu  erziehen  und  funf  Schwestern 
zu  verheiraten.  Gliicklicherweise  war  die  Mutter  erst  sechsund- 
vierzig  Jahre  alt  und  beherrschte  die  Familie  durch  ihre  Giite 
und  ihren  Verstand.  Niccolo,  der  sie  im  Leben  genug  gequalt  hat, 
konnte  die  Klausel  im  Testament  nicht  unterdriicken,  ,,ob  fidem 
et  prudentiam",  um  doch  im  letzten  Augenblick  ihre  Vorziige 
anzuerkennen.  Das  vaterliche  Vermogen  war  nicht  groB,  und  Lo- 
dovico muBte  sich  auf  Grund  seiner  juristischen  Studien  um  ein 
Amt  bewerben,  das  ihm  und  seinen  Angehorigen  den  Unterhalt 
einigermaBen  sicherte.  Anstatt  Sonette  und  Kanzonen  zu  schreiben, 
bewirtschaftete  er  das  Gut,  das  fur  die  Mitgift  der  Mutter  in  der 

*)  Nach  Carduccis  Ubersetzung  aus  dem  italienischen  Original. 


ARIOST  213 

Nahe  von  Reggio  erworben  worden  war,  und  trug  emsig  in  die  Wirt- 
schaftsregister  ein,  daB  er  zwei  Bullen  an  Guido  di  Guastello  ver- 
kauft  und  Bernardo  di  Vanzo  einen  Sack  Hanfsamen  gegeben  habe. 
Zwei  Jahre  nach  dem  Tode  des  Vaters  iibertrug  ihm  Ercole  das 
Amt  eines  Kastellans  oder  Capitano  della  Rocca  di  Canossa,  des 
historischen  Schlosses  der  Grafin  Mathilde.  Der  arme  Lodovico 
muBte  wie  die  anderen  Dichter  seine  poetischen  Huldigungen 
an  den  Hof  entrichten,  und  das  Gedicht,  das  er  im  Januar  1502  zu 
Alfonsos  Verlobung  mit  Lucrezia  Borgia  verfaBt  hatte,  wird  wohl 
zu  jener  Ernennung  beigetragen  haben.  Das  Amt  in  Canossa  lieB  ihm 
viel  freie  Zeit,  denn  er  war  haufig  in  Ferrara  oder  Reggio. 

In  Reggio  hat  ihn  eine  Livia  gefesselt,  die  der  Empfindungen 
des  jungen  Dichters  wiirdiger  war  als  die  kokette  Spanierin,  auch 
Ginevra,  der  er  eine  schone  Kanzone  gewidmet  hat,  hat  er  gehuldigt, 
ebenso  Glicera  und  Veronica.  Fuhr  er  nach  Ferrara,  so  konnte  er 
den  Reizen  der  Maria,  des  Dienstmadchens  seiner  Mutter,  nicht 
widerstehen;  sie  hat  ihm  1503  einen  Sohn,  Giovanni  Battista,  ge- 
boren.  Fiinf  Jahre  spater  hatte  er  einen  zweiten  unehelichen  Sohn 
Virginio;  seine  Mutter  war  Arsina  Vitali  da  Magliarino,  ein  Madchen 
aus  dem  Volke,  das  dann  Antonio  Manfredini,  einen  Landmann, 
der  sich  in  der  Nahe  der  Besitzung  der  Ariosto  angesiedelt  hatte, 
heiratete.  Der  junge  Vater  hat  beide  Sohne  legitimiert;  Virginio 
war  sein  Liebling,  und  ihm  verdanken  wir  eine  gute  Biographie 
des  Vaters. 

Das  Leben  in  Canossa,  fern  von  Ferrara,  muBte  auf  jemand,  der 
den  geistigen  Verkehr  mit  den  Humanisten  gewohnt  war,  schwer 
genug  lasten,  so  beniitzte  auch  Ariost  die  erste  Gelegenheit,  um  nach 
Ferrara  zuriickzukehren.  Sie  bot  sich  bald.  Alfonsos  I.  Bruder, 
der  Kardinal  Ippolito,  wurde  zum  Bischof  von  Ferrara  ernannt, 
und  umgab  sich  als  prachtliebender  Herr  dort  mit  einem  groBen 
Hofstaat.  Die  Ernennung  des  Kardinals  feierte  Ariost  durch 
ein  Epigramm,  das  gewiB  dazu  beitrug,  daB  Ippolito  den  Dichter 
an  seinen  Hof  begehrte.  Gegen  Ende  des  Jahres  1503  finden  wir  ihn 
im  Dienst  des  Kardinals,  in  der  Eigenschaft  eines  ,,familiaris", 
also  mit  hoherem  hofischen  Rang,  da  die  niedrigeren  nur  ,,Commen- 
sale"  genannt  wurden.  Die  letzteren  durften  nur  auf  die  Ehre  rechnen, 


ai4  NEUNTES  KAPITEL 

ron  Zeit  zu  Zeit  am  Tisch  des  Herrn  mitzuspeisen;  die  ersteren 
sollten  den  Hausherrn  und  seine  Gaste  unterhalten,  also  teil  an 
der  Gesellschaft  haben.  Der  Kardinal  bestimmte  dem  Dichter 
kirchliche  Pfriinden,  die  jahrlich  240  markgrafliche  Lire  abwarfen 
(etwa  2000  Lire  nach  heutigem  Gelde) ,  dafiir  muBte  Ariost  das  geist- 
liche  Gewand  anlegen.  Das  Gehalt  wurde  ihm  in  drei  viermonat- 
lichen  Raten  ausgezahlt,  unter  Abzug  der  Kosten  fiir  den  Anzug, 
der  aus  der  Kardinalsgarderobe  geliefert  wurde.  Der  Kardinal  suchte 
Ariost  zu  bestimmen,  geistlich  zu  werden;  in  diesem  Falle  hatte  er  ihm 
mit  der  Zeit  groBere  kirchliche  Pfriinden  zuwenden  konnen.  Aber 
der  Dichter,  der  sich  nicht  berufen  fiihlte,  straubte  sich,  die  Weihen 
zu  nehmen.  Ippolito  nahm  ihm  ,,diese  Laune"  iibel,  auch  Ariosts 
Briider  verargten  ihm  dieses  Verlangen  nach  Freiheit.  In  einer, 
an  seinen  Bruder  Galeazzo  gerichteten  Satire  rechtfertigt  sich 
Ariost,  vielleicht  ist  sein  Vorgehen  unverniinftig,  die  Tonsur  wurde 
ihm  den  Weg  zu  hohen  Einnahmen  und  Ehren  bahnen,  aber  jeder 
moge  seiner  Uberzeugung  gemaB  handeln,  auch  die  vorteilhafteste 
Anstellung  in  Rom  kdnne  ihm  die  verlorene  Freiheit  nicht  ersetzen. 

Ognun  tenga  la  sua  (opinion);   questa  e  la  mia: 
Se  a  perder  s'  ha  la  liberta,  non  stimo 
II  piu  ricco  cappel  che  in  Roma  sia. 

Als  familiaris  des  Kardinals  hatte  Ariost  wohl  nicht  iibermaBig 
schwere  Pflichten,  aber  auch  die  erschienen  ihm  unertraglich, 
und  er  fiihlte  sich  in  seiner  Freiheit  gehemmt.  Wie  jeder  andere 
Hofling  muBte  er  der  Suite  seines  Herrn  angehoren,  ihn  auf  Reisen 
begleiten,  so  z.  B.  nach  Mailand  zur  BegriiBung  Ludwigs  XII., 
Gelegenheitsgedichte  verfassen  und  iiberhaupt  zur  Zierde  des  Hofes 
beitragen.  Wiederholt  muBte  Ariost  als  Gesandter  des  Kardinals 
reisen,  so  1507  nach  Mantua  zur  Markgrafin  Isabella,  der  der  Dichter 
besonders  gut  gefiel.  Er  scheint  sich  bei  solchen  Anlassen  als  sehr 
brauchbar  erwiesen  zu  haben,  denn  auch  der  regierende  Herzog 
Alfons  begann  sich  allmahlich  seiner  bei  wichtigen  diplomatischen 
Missionen  zu  bedienen.  Als  es  sich  darum  handelte,  in  guten  Be- 
ziehungen  zum  kriegerischen  und  launischen  Julius  II.  zu  bleiben, 
ging  Ariost  zweimal  nach  Rom,  um  den  Papst  umzustimmen   und 


ARIOST  215 

zu  besanftigen,  ,,la  grande  ira  del  Secondo".  Das  eine  Mai  gelang 
es,  aber  als  Ferrara  sich  von  Frankreich  trennen  und  der  heiligen 
Liga  beitreten  sollte,  war  die  Sache  schon  schwieriger. 

Der  Papst  begann  den  Kampf  mit  dem  Herzog  mit  Qualereien 
gegen  den  Kardinal  Ippolito,  fur  den  er  wenig  iibrig  hatte.  Der  Kar- 
dinal  lieB  sich  zum  Abt  von  Nonantoli  wahlen,  der  Papst  annullierte 
die  Wahl,  warf  dem  Kardinal  Simonie  vor  und  befahl  ihm  bei  Ver- 
lust  der  Kardinalswiirde,  sofort  nach  Rom  zu  kommen.  Ippolito 
beeilte  sich  nicht,  diesen  Wunsch  zu  erfiillen,  aus  Furcht,  daB  der 
Papst  ihn  im  Kastell  S.  Angelo  als  Gefangenen  zuriickbehalten 
wiirde,  er  befahl  Ariost,  der  damals  in  Rom  war,  vermittelnd  bei 
Julius  II.  vorzugehen.  Aber  der  alte  Mann  haBte  die  Este  und 
drohte  dem  armen,  ganz  unschuldigen  Gesandten,  ihn  im  Tiber 
zu  ersaufen,  wenn  die  Este  der  Liga  nicht  beitreten  wiirden.  Da 
sich  Alfonso  nicht  von  Frankreich  trennen  wollte,  bedrohte  der 
Papst  ihn  mit  dem  Bann;  Ariost  gelang  es  gliicklich,  aus  Rom 
zu  entkommen,  und  aus  dem  Gesandten  ward  ein  Soldat.  Der 
Dichter  nahm  an  den  Kampfen  gegen  Ferraras  Feinde  teil,  er 
diente  in  der  Abteilung,  der  Aeneas  Pio  da  Carpi  vorstand,  und 
zeichnete  sich  in  der  Schlacht  bei  Pontecchio  (am  24.  September 
1 510)  bei  der  Eroberung  einer  venezianischen  Galeere  aus. 

Nach  der  Schlacht  bei  Ravenna,  als  Alfonso  mit  jenem  Geleitbrief 
desPapstes,der  ihm  wenig  niitzte,  nach  Rom  ging,  nahm  er  Ariost  mit. 

Damals  muBte  Alfonso  vor  Julius  Zorn  zu  den  Colonna  fluchten, 
die  ihn  drei  Monate  im  Castello  di  Marino  verbargen.  Von  dort 
aus  stahl  er  sich  in  der  Verkleidung  eines  Jagers,  Dieners  und  Monchs 
uber  Florenz  nach  Ferrara.  Ariost  begleitete  ihn  auf  dieser  aben- 
teuerreichen  Flucht  und  schrieb  am  1.  Oktober  an  einen  der  Gon- 
zaga  aus  Florenz:  ,,Endlich  habe  ich  die  Schlupflocher  und  Hohlen 
wilder  Tiere  verlassen  und  kann  wieder  mit  Menschen  sprechen. 
Von  unseren  Gefahren  noch  kein  Wort:  animus  meminisse  horret 
luctuque  refugit.  Noch  habe  ich  meine  Angst  nicht  iiberwunden, 
noch  glaube  ich,  die  papstlichen  Hunde,  vor  denen  mich  Gott 
bewahrt  hat,  hinter  mir  zu  spiiren.  Die  Nacht  habe  ich  in  einer 
einsamen  Hutte,  unweit  von  Florenz,  verlebt,  verkleidet,  mit  Herz- 
klopfen  lauschend,  ob  sie  nicht  hinter  uns  her  jagen." 


2i6  NEUNTES  KAPITEL 

Bei  Julius  II.  Tod  atmete  Italien  auf,  und  alle  Dichter,  Literaten 
und  Kiinstler  freuten  sich  iiber  die  Wahl  Leos  X.  Zu  jenen,  die  nicht 
wenig  Hoffnungen  auf  den  neuen  Papst  setzten,  gehorte  auch 
Ariost.  Er  kannte  den  neuen  Papst  noch  aus  seiner  Kardinalszeit, 
und  damals  hatte  ihm  Giovanni  dei  Medici  Versprechungen  gemacht 
fur  den  Fall,  daB  er  gewahlt  werden  wiirde.  Lodovico  hatte  als  echter 
Dichter  diese  schonen  Worte  fur  bare  Miinze  genommen,  er  ging  mit 
dem  Herzog  nach  Rom  zur  Kronung  des  Papstes,  und  malte  sich  in 
seiner  lebhaften  Phantasie  aus,  daB  Leo  X.  ihn  zuriickbehalten  und 
ihm  eine  seinen  Fahigkeiten  entsprechende  Stelle  geben  wiirde, 
damit  er  endlich  zur  Ruhe  komme  und  seiner  Dichtkunst  leben  konne. 

Vergebliche  Hoffnungen.  Schon  am  17.  April  1514  schreibt 
Ariost  an  Benedetto  Fantino,  den  Kanzler  des  Kardinals  Ippolito, 
einen  sehr  enttauschten  Brief.  Er  habe  dem  Papst  zwar  den  FuB 
gekiiBt,  aber  Leo  X.  habe  ihn  nicht  einmal  bemerkt,  denn  hier  trage 
er  seine  Brille  nicht  mehr,  non  porta  piu  V  occhiale.  Weder  der 
Papst  noch  die  alten  Freunde,  die  jetzt  hohe  Wiirdentrager  ge- 
worden,  wie  Bembo  oder  Bibbiena,  hatten  auch  nur  ein  Wortchen 
von  einem  Amt  gesagt.  Ubrigens  besuche  er  wenig  Bekannte, 
denn  sein  Kleid  sei  nicht  mehr  schon,  und  in  Rom  beurteile  man 
mehr  denn  anderswo  die  Leute  nach  ihrem  AuBern.  ,,Dazu  glaube 
ich,"  fiigt  der  Dichter  boshaft  hinzu,  ,,daB  hier  alle  den  Papst  ko- 
pieren  und  kurzsichtig  geworden  sind." 

Ariost  muBte  darunter  leiden,  daB  der  neue  Papst  fur  die  Este 
und  fur  Ferrara  so  wenig  iibrig  hatte. 

Auf  der  Ruckreise  hielt  Ariost  sich  ziemlich  lange  in  Florenz 
auf,  besonders  da  die  Festlichkeiten,  die  am  S.  Giovannitage  statt- 
fanden,  heranriickten.  In  Florenz  lernte  er  Alessandra  Benucci 
kennen,  die  Witwe  von  Tito  Strozzi,  einem  ferraresischen  Hofmann. 
Sie  machte  ihm  einen  starken  Eindruck.  Sie  gehorte  nicht  zu  den 
gelehrten  Frauen  der  Renaissance,  sie  konnte  weder  lateinisch 
sprechen  noch  lesen,  aber  sie  hatte  wunderschones  blondes  Haar, 
das  sich  vom  schwarzen  Samt  ihres  Kleides  prachtvoll  abhob,  und 
bezauberte  ihn  durch  ihre  Reize. 

Ariost  besuchte  sie  zum  erstenmal,  als  sie  ,,una  sopraveste" 
fur  einen  ihrer  Sonne  stickte,  in  der  er  beim  bevorstehenden  Feste 


ARIOST 


217 


paradieren  sollte.  Sie  war  Meisterin  in  der  Kunst  des  Stickens, 
und  Ariost  preist  in  einem  seiner  Sonette  Seide  und  Gold  gliicklich, 
die  ihre  geschickte  Hand  beriihrt: 

Avventurosa  man,  beato  ingegno 
Beata  seta,  beatissimo  oro. 

Im  Pantheon  schdner  und  beriihmter  Frauen  in  Rinaldos  SchloB, 
die  er  in  seinem  „Furioso"  beschreibt,  stehen  die  Statuen  von 
Lucrezia  Borgia,  Isabella,  Elisabetta,  Eleonora  d'Este,  Lucrezia 
Bentivoglio  und  daneben  die  Statue  einer  ernsten,  giitigen,  be- 
scheidenen  Frau,  in  schwarzem  Gewand  mit  verschleiertem  Haupt. 
Weder  Gold  noch  Kleinodien  schmiicken  sie,  und  doch  strahlt  sie 
so  hell  zwischen  den  reichgekleideten  Frauen  wie  der  Stern  Venus 
unter  den  anderen  Sternen.  Bei  ihrem  Anblick  weiB  man  nicht, 
was  sie  am  meisten  schmiickt,  der  Ernst  ihrer  Ziige,  ihre  Bescheiden- 
heit  oder  die  Scharfe  ihres  Geistes  (Furioso,  Canto  42,  93,  94). 
Dieser  Statue  fehlt  der  Name.  Es  war  die  vom  Dichter  vergotterte 
Alessandra. 

Die  schone  Florentinerin  folgte  Ariost  nach  Ferrara,  einige  Jahre 
spater  liefien  sie  sich  heimlich  trauen.  Die  Ehe  durfte  nicht  offent- 
lich  vollzogen  werden,  da  der  Dichter  als  Presbyter  einige  geist- 
liche  Pfriinden  bezog,  die  er  eingebuBt  hatte,  wenn  seine  Ehe  be- 
kannt  worden  ware.  Alessandra  wohnte  der  Kirche  di  S.  Girolamo 
gegeniiber,  in  einem  andern  Hause  als  Ariost.  Der  Dichter  war 
mit  ihr  wahrhaft  gliicklich. 

Der  Dienst  beim  Kardinal  schien  das  eheliche  Gliick  zu  gefahrden. 
1517  riistete  sich  der  Kardinal  fur  einen  langeren  Aufenthalt  in 
Ungarn  und  wollte,  daB  ihn  der  Dichter  als  Sekretar  begleite. 
Ariost  lehnte  ab  und  nannte  seine  Griinde  in  einer  Satire  oder 
richtiger  in  einem  Brief,  den  er  an  seinen  Bruder  Alessandro  und 
an  seinen  Freund  Lodovico  da  Bagno  richtete,  die  als  Hoflinge 
des  Kardinals  mit  ihm  nach  Budapest  gingen.  Der  Dichter  klagt, 
wie  sehr  ihn  der  Dienst  bei  Ippolito  und  iiberhaupt  das  ganze 
hofische  Leben  qualten,  er  habe  genug  der  Reverenzen  und  der 
Sklaverei.  Er  konne  es  nicht  ertragen,  dem  ,,Herrn  auch  dann 
zustimmen  zu  mussen,  wenn  er  behauptet,  daB  er  um  Mitternacht 


2l8  NEUNTES  KAPITEL 

die  Sonne  am  Himmel  und  am  Tage  die  Sterne  gesehen  habe". 
Ubrigens  sei  er  schon  vierundvierzig  Jahre  alt  und  habe  seine  Ge- 
sundheit  im  Dienste  des  Kardinals  zugesetzt.  Darum  wolle  er 
sich  dem  nordischen  Frost  nicht  aussetzen  und  noch  weniger  dem 
geheizten  Zimmer,  denn  der  schwarze  Tod  sei  ihm  lieber  als  Ofen- 
hitze  und  die  stickige  Luft,  in  der  Kopfweh  und  Katarrh  entstiinden. 
Und  wie  erst,  wenn  er  an  den  schweren  Wein  denke,  den  die  Ungarn 
dem  Gast  vorsetzen,  an  die  mit  Pfeffer  und  Paprika  zubereiteten 
Gerichte,  die  das  Blut  schwer  machen.  Einen  eigenen  Koch  aber 
konne  er  sich  in  Ungarn  nicht  leisten,  denn  Reichtiimer  habe  er 
im  Dienste  des  Kardinals  nicht  gesammelt.  Und  wozu  solle  er  auch 
mitgehen?  Der  allein  habe  Gliick  bei  Ippolito,  der  es  verstiinde, 
das  Rebhuhn  auf  der  Gabel  zu  zerschneiden,  Hunde  und  Falken  zu 
dressieren,  geschickt  die  Sporen  zu  befestigen,  dem  Herrn  die  Stiefel 
auszuziehen  und  Wein  in  die  Glaser  zu  schenken.  Dazu  fehle  es 
ihm  an  Lust,  denn  zum  Mundschenk  sei  er  nicht  geboren.  Wer  dem 
Herrn  gefallen  wolle,  miisse  ihm  Schritt  fur  Schritt  auf  der  Strafie 
folgen,  den  Wein  zu  kiihlen  verstehen  und  nachts  nicht  schlafen. 
Lieber  wiirde  er  wie  die  ersten  Menschen  von  Eicheln  leben,  als  am 
Herrentische  niedersitzen.  Leicht  wiirde  er  die  Armut  ertragen, 
weil  er  die  Freiheit  so  hoch  schatze!  .  .  .  Gedachte  er  der  Qualen, 
die  er  in  den  letzten  funfzehn  Jahren  im  hofischen  Dienst  erlitten, 
der  Miihen,  deren  er  sich  unterzogen,  als  er  nach  Rom  geritten, 
um  den  Papst  zu  beruhigen,  gedachte  er  dessen,  wie  er  nach  der 
Laune  seines  Herrn  frieren  muBte  oder  schwitzen,  dann  wolle  er 
lieber  sterben,  als  ein  so  schweres  Joch  noch  einmal  auf  sich  nehmen. 
Und  wenn  der  ,,heilige"  Kardinal  glaube,  daB  er  ihn  fur  die  Ewig- 
keit  mit  seinen  Geschenken  erkauft  habe,  so  wolle  er  ihm  gem 
alles  wiedergeben,  um  nur  seine  Freiheit  zuruckzugewinnen.  Ariost 
nahrte  tiefen  Groll  und  nahm  sogar  das  Wappen  an,  das  auf  dem 
Revers  einer  Bronzemedaille  zu  sehen  ist:  einen  Bienenstock,  unter 
den  Feuer  angelegt  wird.  Die  Bienen  fliegen  davon,  und  Ariost 
kann  weder  Wachs  noch  Honig  ernten.  Auf  dem  Wappen  die 
Inschrift:  Pro  bono  malum. 

Per  esser  ape,  muoie 

Ho  mal  per  bene. 


ARIOST  219 

In  seinem  ,,Furioso"  gibt  Ariost  Rinaldo  das  gleiche  Wappen. 

Delia  schiera  di  mezzo  fu  maestro 
Rinaldo,  chi  quel  dl  molt'era  adorno 
D'un  ricco  drapo  di  color  cilestro 
Sparso  di  pecchie  d'or  dentro  e  d'attorno, 
Che  cacciate  parean  dal  natio  loco 
Dall'  ingrato  villan  con  fumo  e  foco. 

Der  Kardinal  lieB  den  Diener  seine  Halsstarrigkeit  entgelten. 
Als  Ariost  sich  ihm  vor  seiner  Reise  nach  Ungarn  empfehlen  wollte, 
wurde  er  nicht  angenommen,  zwei  Benefizien,  die  Ippolito  ihm 
erteilt  hatte,  wurden  ihm  wieder  genommen,  und  Ariost  aus  dem 
Dienst  entlassen.  Der  Dichter  muBte  sich  bald  iiberzeugen,  daB  er 
sich  aus  eigener  Kraft  nicht  erhalten  konne;  er  bemuhte  sich  um  ein 
Amt  beim  Herzog  Alfonso,  obgleich  er  auch  gegen  ihn  viel  Groll 
nahrte.  Ein  Verwandter  Lodovicos,  Rinaldo  Ariosto,  war  kurz 
vorher  gestorben,  ohne  ein  Testament  und  direkte  Erben  zu  hinter- 
lassen.  Trotzdem  Lodovico  und  seine  Briider  sich  berechtigte  Hoff- 
nungen  auf  den  NachlaB  machten,  der  aus  drei  schonen  Grund- 
stiicken  in  Bagnolo  bestand,  belegte  die  Camera  ducale  die  Giiter 
mit  Beschlag,  da  die  Familie  angeblich  ausgestorben  war.  Am 
15.  April  1519  schreibt  Ariost  emport  an  Maria  Equicoli  in  Mantua, 
il  Duca  und  il  Cardinale  hatten  ihm  einen  Besitz  im  Werte  von 
10  000  Dukaten  geraubt,  der  schon  seit  drei  Jahrhunderten  seiner 
Familie  gehore;  ihm  geben  sie  den  Rat,  sich  mit  Marchen  und 
Geschichten  die  Zeit  zu  vertreiben.  Die  Not  zwang  Ariost,  dieses 
Unrecht  zu  vergessen,  und  sich  um  eine  Anstellung  zu  bewerben. 
Lucrezia  Borgia  scheint  dem  Dichter  geholfen  zu  haben,  da  sie  sich 
gem  mit  beruhmten  Leuten  umgab.  Alfonso  ernannte  Ariost  am 
23.  April  1 51 8  zu  seinem  Cameriere  und  Familiaris  mit  einem  Ein- 
kommen  von  25  Lire  monatlich  und  freiem  Unterhalt  fiir  drei 
Diener  und  zwei  Pferde. 

So  hatte  es  der  Dichter  mit  dem  Wechsel  seines  ,,Dienstes" 
ganz  gut  getroffen,  aber  bald  fielen  ihm  mit  der  neuen  Stelle  schwere 
Pflichten  zu.  Die  monatliche  Bezahlung  scheint  nicht  gereicht 
zu  haben,  er  bat  daher  den  Herzog  um  ein  vorteilhafteres  Amt, 


220  NEUNTES  KAPITEL 

und  da  die  Provinz  Garfagnana  den  Este  wieder  zufiel,  schickte 
ihn  der  Herzog  im  Februar  des  Jahres  1522  als  Statthalter  an  der 
Spitze  einer  kleinen  Schar  von  Bogenschiitzen  nach  Castelnuovo, 
damit  er  in  der  dortigen  ,,Hauptstadt"  die  Regierung  iibernehme.  Die 
Garfagnana,  ein  Stuck  Gebirgsland,  in  den  Apenninen,  war  friiher 
estensischer  Besitz  gewesen,  unter  Julius  II.  und  Leo  X.  stand  sie 
unter  romischer  Herrschaft,  nach  Leos  Tod  ergab  sie  sich  wieder 
den  Este.  Aber  nicht  die  gesamte  Bevdlkerung  verlangte  nach 
ferraresischem  Schutz,  ein  Teil  pladierte  dafur,  daB  man  sich  der 
Florentiner  Republik  anschlieBe,  ein  anderer  war  fiir  Unterwerfung 
an  den  Papst.  Den  Raubertruppen  war  im  Gebirgsland  schwer 
beizukommen,  die  ruhigsten  Leute  wurden  aus  Angst  ihre  Ver- 
biindeten.  Die  alte  Sitte,  daB  Kirchen  und  Kloster  ein  sicherer 
Schlupfwinkel  fiir  Verbrecher  waren,  erschwerte  das  Aufgreifen 
der  Rauber  in  unerhorter  Weise,  weil  sie  einmal  iiber  der  Schwelle 
der  Kirche  jeder  Macht  spotteten. 

Pekuniar  ging  es  Ariost  nicht  schlecht,  sein  Einkommen  war 
dreimal  so  groB  wie  am  Hofe,  aber  er  trug  schwer  an  Regierungs- 
sorgen  und  an  der  Einsamkeit  in  dieser  unwirtlichen  Gegend. 
Die  Langeweile  in  Castelnuovo  war  furchtbar,  dem  Dichter  war  zu 
Mute,  als  ware  er  schon  tot. 

Da  si  noiosa  lontananza  domo 
Gia  sarei  morto  .  .  . 

Durch  Ferraras  Gassen  mochte  er  gehen,  am  Domplatz  vor 
den  Denkmalern  ,, seiner  Markgrafen"  stehen  bleiben,  und  er  neidet 
es  den  Freunden,  daB  sie  im  Gasthaus  ,,al  Moro"1)  fette  Tauben 
und  Kapaunen  essen  konnen. 

In  einer  Satire,  die  er  Sigismondo  Malaguzzi,  Annibales  Bruder, 
schickte,  schildert  er  seine  Not. 

Namentlich  lastet  ihm  die  Trennung  von  der  geliebten  Alessandra 
Benucci,  die  ihm  nicht  nach  Castelnuovo  folgen  konnte.  ,,Schnee 
und  Berge,  Walder  und  Abgriinde  trennen  mich  von  der,  die  mein 
Herz  besitzt,"  klagt  der  Dichter;   ,,mein  Wohnhaus  und  die  Um- 

a)  Bis  auf  den  heutigen  Tag  besteht  ein  Cafe  im  erzbischdflichen  Palast 
in  den  Arkaden  unter  diesem  Namen. 


ARIOST  221 

gebung  machen  mich  nicht  froh.  Mein  SchloB  steht  in  einem  tiefen 
Graben,  und  bei  jedem  Schritt  aus  dem  Gefangnis  gilt  es  im  un- 
wirtlichen  Apennin  zu  klettern.  Wo  immer  ich  bin,  im  Haus  oder 
unter  freiem  Himmel  nichts  als  Klagen,  Zank  und  Fluch,  iiberall 
dringen  Stimmen  zu  mir,  die  Kunde  bringen  von  Mord  und  Tot- 
schlag,  HaB,  Zorn  und  Vendetta." 

Quest'  e  una  fossa  ove  abito,  profonda, 
D'onde  non  muovo  pie  senza  salire 
Del  selvoso  Appenin  la  fiera  sponda; 
O  siami  in  Rocca,  o  voglia  all'  aria  uscire 
Accuse  e  liti  sempre  e  gride  ascolto, 
Furti,  omicidi,  odi,  vendette  ed  ire. 

Das  Land  sollte  beruhigt  werden,  und  Ariost  ist  diese  Aufgabe 
in  der  Hauptsache  gelungen.  Seine  Verfiigungen  gegen  die  Unter- 
stiitzung  des  Rauberwesens  sind  so  gut,daB  sieheute  nochin  einzelnen 
Gegenden  Siziliens  angewendet  werden  konnten.  Wer  einem  Ban- 
diten  Obdach  gegeben,  muBte  eine  Geldstrafe  von  fiinfzig  Dukaten 
entrichten  oder  eine  korperliche  Zuchtigung  erleiden.  Einer  ahn- 
lichen  Strafe  setzte  sich  aus,  wer  verborgene  Waffen  fuhrte.  Wer 
verdachtige  Leute  sah,  sollte  in  der  nachsten  Kirche  dreimal  Alarm 
schlagen.  Zwei  Drittel  der  Geldstrafen  flossen  der  herzoglichen 
Kasse  zu,  das  letzte  Drittel  bekam  der  Anklager.  Ein  volliges  Aus- 
rotten  des  Rauberwesens  wuBte  die  Geistlichkeit  zu  verhindern, 
die  die  Vereinigung  von  Garfagnana  mit  dem  Kirchenstaat  anstrebte 
und  der  daher  die  vollige  Beruhigung  der  Provinz  unter  estensischer 
Herrschaft  nicht  willkommen  war. 

Auch  die  Regierung  unterstiitzte  den  Statthalter  nicht  geniigend, 
man  glaubte  in  Ferrara  mit  der  bloBen  Entsendung  Ariosts  nach 
Castelnuovo  ein  iibriges  getan  zu  haben.  Ariost  klagt  in  seinen  Be- 
richten,  daB,  wenn  der  Herzog  ihm  nicht  helfe,  die  Ehre  der  Regie- 
rung  zu  wahren,  er  es  aus  eigenem  Vermogen  nicht  konne,  und 
wenn  in  Ferrara  jene  freigesprochen  werden,  die  er  bestrafen 
wolle,  so  untergrabe  dies  nur  sein  Ansehen.  Ein  Rauber,  Moro  del 
Silico,  war  aus  Ariosts  Gefangnis  in  das  herzogliche  Lager  gefluchtet 
und  wurde  dort  mit  offenen  Armen  als  Soldat  empfangen.    Der  arme 


222  NEUNTES  KAPITEL 

Statthalter  klagte  ferner  dariiber,  daB  die  Grenzen  zwischen  der 
administrativen  und  der  richterlichen  Gewalt  nicht  fest  umschrieben 
seien,  so  daB  man  haufig  nicht  wisse,  was  dem  Gouverneur  oder  was 
dem  Gericht  unterstande,  am  meisten  aber  leide  er  darunter,  daB 
die  weltliche  Gewalt  nichts  iiber  die  Geistlichkeit  vermoge,  die 
infolgedessen  selbst  bei  schweren  Verbrechen  straffrei  ausgehe. 
Ein  Geistlicher,  Job,  hatte  der  Mutter  seiner  Geliebten  den  Kopf  zer- 
spalten  und  verbreitet,  sie  ware  eines  friedlichen  Todes  gestorben. 
Der  Capitano  machte  ihm  einen  ProzeB  und  verurteilte  ihn  zu 
zehn  Lire  Geldstrafe,  aber  der  Bischof  von  Lucca  annullierte  das 
Urteil,  und  der  verbrecherische  Geistliche  verblieb  nach  wie  vor 
in  seinem  Kirchsprengel.  Sehr  viel  zu  schaffen  machte  Ariost  das 
SchloB  S.  Donnino,  das  der  Familie  de  Madalena  und  den  Grafen 
S.  Donnino  gehorte.  Die  Vendetta  schwebte  wie  ein  schwarzes  Ge- 
spenst  iiber  jenen  Mauern.  Ehe  Ariost  in  die  Garfagnana  gekommen 
war,  hatte  Genasio  de  Madalena  den  Grafen  Giovanni  di  S.  Don- 
nino ermordet  und  war  nach  Lucca  gefliichtet.  Die  wirtschaft- 
lichen  Zustande  zwangen  zu  irgendeinem  Einvernehmen,  daher 
schlossen  beide  Familien  Frieden;  wer  als  erster  die  Vertrage  brechen 
wiirde,  hatte  eine  hohe  Geldstrafe  zu  bezahlen.  Bald  nach  Ariosts 
Ankunft  totete  Genasio  Madalena,  der  Sohn  des  Familienober- 
hauptes  Piero,  die  Witwe  des  Grafen  Giovanni  di  S.  Donnino  und 
ihren  Sohn  Carlo.  Nachdem  er  ihr  Hab  und  Gut  an  sich  gerissen, 
fliichtete  er  ins  Lucchesische,  um  nach  einiger  Zeit,  als  wenn  nichts 
geschehen  ware,  ruhig  nach  S.  Donnino  zuriickzukehren. 

Damaligem  Gebrauch  gemaB  hatte  Ariost  das  Haus  des  Ver- 
brechers  Genasio  Madalena  vernichten  miissen,  das  tat  er  nicht 
und  erlieB  nur  einen  Haftbefehl  gegen  den  alten  Piero,  als  den 
moralischen  Urheber  des  Mordes.  Piero  ergab  sich  nicht,  sondern 
verteidigte  sich  in  seinen  wehrhaften  Mauern.  Die  Grafen  von 
S.  Donnino  bemachtigten  sich  Genasios  und  behielten  ihn  als 
Geisel,  bis  ihnen  Gerechtigkeit  widerfahren  ware.  Ariost  verlangte 
die  Herausgabe  Genasios,  aber  die  Donnino,  die  auf  die  Gunst  des 
Herzogs  pochten,  erwiderten,  daB  ihnen  das  Urteil  des  Gouverneurs 
wenig  vertrauenerweckend  erscheine,  und  behielten  ihren  Ge- 
fangenen.     Ariost  bat  den  Herzog,  ihn  nicht  im  Stich  zu  lassen 


ARIOST 


223 


und  auf  Genasios  Freilassung  zu  bestehen;  wolle  er  aber  seine  Bitte 
nicht  erfullen,  so  mdge  er  einen  anderen  Gouverneur  schicken, 
der  einen  gesiinderen  Magen  habe,  und  die  Beleidigungen  verdauen 
konne,  die  die  Regierung  ihren  Dienern  zufiige.  So  lange  er  diesen 
Posten  behaupte,  ware  er  niemandes  Freund  als  nur  der  der  Ge- 
rechtigkeit.  ,, Finch'  io  staro  in  questo  ufficio  non  sono  per  avervi 
amico  alcuno,  se  non  la  Giustizia". 

Ariosts  festes  Auftreten  blieb  nicht  ohne  Erfolg,  der  Herzog 
zwang  die  Donnino,  Genasio  herauszugeben ;  er  wurde  hingerichtet, 
die  Madalena  verlieBen  das  SchloB  und  fliichteten  ins  Florenti- 
nische. 

Angesichts  dieser  Verhaltnisse  fuhlte  Ariost  sich  immer  ungliick- 
licher.  In  einer  seiner  Satiren  vergleicht  er  sich  mit  jenem  Matrosen, 
dem  der  Konig  von  Portugal  ein  feuriges  maurisches  RoB  ge- 
schenkt  hat.  Dankbar  nahm  der  Matrose  das  Pferd  an,  aber  ge- 
wohnt,  das  Segel  und  nicht  die  Ziigel  zu  handhaben,  verstand  er  es 
nicht,  sich  im  Sattel  zu  halten,  und  lag  bald  mit  zerbrochenen  Glie- 
dern  am  Boden. 

Der  Herzog  lernte  zwar  Ariost  schatzen,  muBte  aber  zur  Uber- 
zeugung  kommen,  dafi  der  Dichter  nicht  zum  Gouverneur  eines 
wilden  Landes  geschaffen  sei.  Als  am  18.  November  1523  KlemensVII. 
zum  Papst  gewahlt  wurde,  lieB  der  Herzog  den  Dichter  durch 
seinen  Sekretar,  Bonaventura  Pistofilo,  fragen,  ob  er  ferraresischer 
Gesandter  beim  neuen  Papst  werden  wolle.  Alfonso  fiirchtete, 
daB  er  wie  Julius  II.  und  Leo  X.  einen  Ferrara  feindlichen  Stand- 
punkt  einnehmen  wiirde.  In  der  sechsten  Satire  antwortet  Ariost 
Pistofilo,  er  dankt  dem  Freunde,  daB  er  fur  sein  Fortkommen  be- 
dacht  sei,  aber  er  konne  in  Rom  nur  wenig  niitzen,  da  er  es  dank 
Leo  X.  verlernt  habe,  Hoffnungen  auf  die  Medici  zu  setzen.  Auch 
fehle  es  ihm  an  Mut,  seinen  Wohnsitz  so  fern  von  Ferrara  zu  neh- 
men.  Wenn  ihm  der  Herzog  eine  Gnade  erweisen  wolle,  so  moge  er 
ihn  wieder  in  die  Hauptstadt  berufen  oder  zum  mindesten  nicht 
weiter  als  nach  Bondeno  schicken,  das  nur  zwolf  Meilen  von  Ferrara 
entfernt  ist.  Zu  langen  Reisen  fehle  es  ihm  an  Lust  und  Kraft. 
Der  Herzog  drangte  nicht  langer,  lieB  Ariost  aber  in  Castelnuovo 
nur  bis  Mitte  Juni  1525.    Alfonso  scheint  Ariost  nicht  fur  energisch 


224 


NEUNTES  KAPITEL 


genug  gehalten  zu  haben,  um  die  Provinz  ganz  zur  Ruhe  zu  bringen, 
denn  an  seiner  Stelle  schickte  er  als  Gouverneur  eine  sogenannte 
,,eiserne  Hand".  Die  Rauber  scheinen  Ariosts  Gedichte  bewundert, 
aber  den  Dichter  wenig  gefiirchtet  zu  haben;  es  wird  erzahlt,  daB 
einige  Strauchdiebe  ihm  einst  begegnet  sind,  den  groBen  Dichter 
voller  Hochachtung  begriiBt  haben  und  ihn  ruhig  seines  Weges 
ziehen  lieBen. 

Ariost  wurde  endlich  die  so  heiB  ersehnte  Ruhe;  sein  Wohnort 
wurde  wieder  Ferrara,  wo  die  geliebte  Alessandra  lebte.  Ein  Jahr, 
nachdem  er  sich  dort  niedergelassen,  lieB  er  sich  ein  kleines  Haus- 
chen  bauen,  kaufte  Gartenland  dazu  und  schrieb  in  der  dort  er- 
richteten  Grotte  seine  Gedichte.  Uber  seiner  Tur  lieB  er  die  Inschrift 
anbringen. 

Parva  sed  apta  mihi,  sed  nulli  obnoxia,  sed  non 
Sordida,  parta  meo  sed  tamen  aere  domus. 

Und  da  ihm  das  Dichten  leicht  fiel,  wurde  gleich  noch  ein  zweiter 
Vers  angebracht: 

Piccola,  adatta,  e  d'  ogni  signoria 
Scevra,  e  redenta  sol  col  mio  denaro 
Non  sei  sordida  e  vile,  o  casa  mia! 

Ariosts  Sohn,  Virginio,  hat  schlieBlich  dem  vaterlichen  Hause 
eine  dritte  Inschrift  hinzugefugt: 

Sic  domus  haec  Areosta 
Propitios  habeat  Deos 
Olim  ut  Pindarica. 

Virginio  berichtet  in  den  Aufzeichnungen  iiber  seinen  Vater,  daB 
Ariost  jeden  iiberschussigen  Soldo  seines  Einkommens  dem  Bau 
geopfert  habe  und  immer  andern  und  erweitern  wollte.  Er  sagte, 
die  am  eigenen  Herd  mit  01  und  Essig  bereitete  Rube  sei  ihm  lieber 
als  das  Rebhuhn  oder  Wildschwein  am  fremden  Tisch,  und  ebenso 
gut  schlafe  er  unter  einer  Wolldecke  als  unter  einer  seidenen,  gold- 
gestickten. 

Ariosts  Haus  steht  heute  noch  und  gehort  seit  1815  der  ferrare- 
sischen    Gemeinde.      Es   entspricht   dem   Charakter   des   Dichters: 


ARIOST 


225 


bescheiden,  aber  bequem,  hell  mit  kleinem  Hofchen  und  Garten, 
nicht  viel  groBer  als  die  Behausung  eines  Kamaldulensermonchs. 
Platz  genug  gab  es,  um  Rosen  und  Jasmin  zu  pflanzen  und  die  Beete 
immer  umzugestalten.  Virginio  neckte  den  Vater:  wie  er  an  seinen 
Versen  feile,  sie  umarbeite,  so  gehe  er  auch  im  Garten  vor.  Keiner 
Pflanze  gestatte  er  langer  als  drei  Monate  am  gleichen  Platz  zu 
bleiben;  einmal  setze  er  Pfirsichkerne,  ein  andermal  Samen,  be- 
obachte  die  jungen  Keime,  gieBe,  jate,  grabe  um,  lockere  den 
Erdboden,  bis  die  armen  Pflanzen  inf olge  ubergroBer  Sorgf alt  welken. 
Da  er  den  Samen  zu  wenig  kenne,  erwarte  er  anderes  als  das,  was 
aufgegangen.  Einmal  habe  er  Kapern  gesetzt,  sie  taglich  beobachtet 
und  sich  gefreut,  daB  sie  so  uppig  wuchsen,  bis  sich  herausstellte, 
daB  die  vermeintlichen  Kapern  wilder  Flieder  gewesen  waren. 

Wahrend  der  Dichter  seine  Beete  begoB,  hatten  sich  in  Ferrara 
giinstige  politische  Veranderungen  vollzogen.  Der  Herzog,  der 
gewundene  Pfade  in  der  Politik  ging,  wurde  Karls  V.  Alliierter,  der 
ihm  Modena  und  Carpi  zusicherte.  Klemens  VII.  suchte  vergebens 
dies  zu  hintertreiben,  der  Marchese  del  Vasto  unterstutzte  den 
Herzog  gegen  den  Papst,  so  daB  die  den  Este  feindlichen  Plane  der 
romischen  Kurie  zerstort  wurden. 

Zu  diesem  Marchese,  der  in  Correggio  als  Veronica  Gambaras 
Gast  weilte,  schickte  Alfonso  Ariost  1531  als  Gesandten,  zwecks 
AbschluB  der  Vertrage  mit  Karl  V.  Der  Dichter  wurde  aufs  liebens- 
wiirdigste  empfangen,  und  da  der  Markgraf  ihn  fur  den  Kaiser 
einnehmen  wollte,  schenkte  er  ihm  einen  kostbaren  Lapis  Lazuli 
in  Gold  gefaBt,  mit  Kette  und  Kreuz,  ja  er  setzte  ihm  sogar  eine 
lebenslangliche  Pension  von  zweihundert  Dukaten  aus.  Als  Karl  V. 
im  Herbst  1532  einige  Tage  in  Mantua  weilte,  wurde  Ariost  von 
Alfonso  dem  Kaiser  vorgestellt.  Der  Dichter  iibergab  dem  Kaiser 
eine  neue,  umgearbeitete  Auflage  des  ,,Furioso'a),  und  Karl  V. 
kronte  ihn  eigenhandig,  im  Beisein  des  ganzen  Hofes,  mit  dem 
Lorbeer. 

Diese  Ehrungen  verrieten,  wie  es  zumeist  zu  gehen  pflegt,  daB  das 
Ende  des  groBen  Dichters  nahe  sei.  Ariost  krankelte  schon  lange,  und 
sein  Tod  ward  durch  die  Arzte  beschleunigt,  die  ihm  so  viel  Medi- 

x)  Erschienen  in  der  Druckerei  von  Francesco  Rossi    zu  Valenza    1532. 

15 


226  NEUNTES  KAPITEL 

kamente  verschrieben,  dafi  audi  eine  kraftigere,  jiingere  Kon- 
stitution  diese  langsam  wirkenden  Gifte  auf  die  Dauer  hatte  nicht 
aushalten  kdnnen. 

Ein  trauriges  Ereignis  machte  ihm  in  seinen  letzten  Tagen 
starken  Eindruck.  In  der  Silvesternacht  des  Jahres  1532  entstand 
im  ferraresischen  Kastell  ein  starkes  Feuer;  die  Loggia,  die  dem 
bischoflichen  Palast  gegeniiber  lag,  und  der  Saal  mit  der  pracht- 
vollen  Biihne,  die  Alfonso  I.  fur  Theaterauffuhrungen  hatte  errichten 
lassen,  brannten  vollkommen  ab.  Auf  der  Biihne  waren  Ariosts 
Lustspiele  aufgefuhrt  worden,  und  ihr  Untergang  erschien  ihm  als 
Todesbotschaft. 

Ariost  hatte  in  seinem  Testament  um  ein  bescheidenes  Begrabnis 
gebeten.  Dieser  Wunsch  wurde  erfiillt,  weder  die  Herzoge,  zu  deren 
Ruhm  er  nicht  wenig  beigetragen,  noch  die  Stadt,  die  er  besungen, 
erwiesen  ihm  die  letzte  Ehre.  Nachts,  beim  Licht  von  nur  zwei 
Fackeln,  ward  der  Korper  des  Dichters  von  vier  Mannern  aus  dem 
Hause  in  die  alte  Kirche  San  Benedetto  getragen,  wo  er  im  Beisein 
der  engsten  Familie  beigesetzt  wurde.  Weder  der  Hof,  noch  das 
Volk  von  Ferrara  waren  bei  der  traurigen  Feier  zugegen.  Lange 
dachte  man  nicht  einmal  daran,  dem  grdBten  Dichter  der  Renaissance 
ein  Denkmal  zu  setzen,  und  erst  Ariosts  Urenkel  errichtete  161 1 
jenes  banale  Grabdenkmal,  das  heute  im  langen  Saal  der  Stadt- 
bibliothek  in  Ferrara  steht.  Urspriinglich  befand  das  Denkmal  sich 
in  San  Benedetto,  aber  als  1801  unter  franzosischem  Regime  die 
Kirchen  in  Pferdestalle  verwandelt  wurden,  respektierte  der  General 
Miolis  wenigstens  das  Grabmal  und  lieB  es  in  die  Bibliothek 
iiberf  iihren  x) . 

Ariost  war  in  rangierten  Verhaltnissen  gestorben.  Er  hinterlieB 
zwei  Hauser  und  ziemlich  viel  Kostbarkeiten  und  Silber.  Zum 
Universalerben  ernannte  er  seinen  Sohn  Virginio;  seiner  Frau  ver- 

x)  Dem  Magistrat  von  Ferrara  erschien  es  im  XIX.  Jahrhundert  Ariosts 
nicht  ganz  wiirciig,  daB  dies  Denkmal  gegen  die  kahle  Bibliothekswand 
lehne.  Infolgedessen  wurde  um  das  Denkmal  eine  phantastische,  architek- 
tonische,  griinrote  Dekoration  gemalt,  —  eine  der  Verirrungen  im  Kunst- 
geschmack  des  vergangenen  Jahrhunderts.  Zum  Schmuck  des  alten  Denk- 
mals  wurde  eine  Dekoration  geschaffen,  die  hochstens  in  einer  Jahrmarkts- 
bude  angebracht  ware. 


ARIOST 


227 


machte  er  die  Einkunfte  aus  einem  Laden,  der  unter  dem  Portikus 
des  Palazzo  della  Ragione  lag  und  an  einen  Handschuhmacher 
vermietet  war,  ferner  alles  bewegliche  Hab  und  Gut,  unter  der 
Bedingung,  daB  sie  Virginio  zweihundert  Goldskudi  auszahle. 
Dem  zweiten  Sohn  Gian  Battista  sicherte  er  Kost  in  Virginios 
Hause  zu  und  zwei  Golddukaten  monatlich.  Fur  die  Armen  hinter- 
lieB  er  zehn  markgrafliche  Lire  in  Silber. 

Nur  soweit  der  Mensch  der  allgemeinen  Kultur  gedient  hat, 
hat  er  ein  Nachleben.  Ein  gleiches  gilt  fur  Lander  und  Stadte. 
Zu  Hunderten  sind  sie  untergegangen,  und  jegliche  Spur  ihres  Seins 
ist  verwischt;  nur  jene  bleiben  lebendig,  die  GroBes  geschaffen. 
Frsgen  wir,  wodurch  sich  Ferrara  seinen  Platz  fur  Jahrhunderte 
sicherte,  so  kann  die  Antwort  kurz  lauten:  es  ist  Ariosts  Werk.  Die 
hohe  Marmorsaule,  die  heute  auf  einem  der  grasbestandenen  Platze 
steht  als  Postament  fur  einen  lorbeergekronten  Mann,  ist  das 
Symbol  der  geistigen  Arbeit  der  Stadt,  das  sichtbare  Zeichen  ihrer 
Verdienste  urn  die  Zivilisation. 

Diese  Saule  hat  eine  interessante  Geschichte.  Um  Ercoles  I. 
Gedachtnis  durch  ein  kostbares  Denkmal  zu  ehren,  hat  die  Ge- 
meinde  von  Ferrara  noch  zu  seinen  Lebzeiten  zwei  groBe  Monolith- 
saulen  kommen  lassen.  Die  eine  wurde  durch  Unvorsichtigkeit 
zertriimmert,  die  andere  lag  lange  unbeniitzt  da,  da  es  nicht  zur 
Aufstellung  des  Monumentes  kam.  Erst  in  der  Mitte  des  XVII.  Jahr- 
hunderts  lieB  der  papstliche  Legat  sie  aufrichten  und  darauf  das 
Standbild  des  Papstes  Alexander  VII.  anbringen,  der  iibrigens 
keinerlei  Verdienste  um  Ferrara  hat.  Ein  Jahrhundert  spater, 
1796,  in  der  Revolutionsepoche,  haben  die  Republikaner  das  Denk- 
mal des  Papstes  gestiirzt  und  eine  Statue  der  Freiheit  —  aus  Gips  — 
auf  die  Saule  gesetzt.  Der  General  Bonaparte  war  bei  dieser  Feier- 
lichkeit  zugegen.  Als  Ferrara  1799  in  osterreichische  Hande  kam, 
wurde  das  zerbrechliche  Freiheitsgebilde  zertriimmert,  und  die 
Saule  blieb  leer.  1810,  als  die  Republikaner  wieder  an  der  Spitze 
der  Regierung  standen,  wurde  Napoleons  Marmorbild  dort  an- 
gebracht,  wo  einst  die  Statue  der  Freiheit  gestanden  hatte.  Auch 
Napoleon  war  nicht  lange  Zeuge  der  wechselnden  Schicksale  der 
Stadt,  da  die  Reaktion  1814  die  verhaBte  Statue  entfernen  lieB  und 

15* 


228  NEUNTES   KAPITEL 

wohl  nicht  sehr  glimpflich  mit  ihr  verfuhr.  SchlieBlich  besann  sich 
Ferrara  1833  auf  seinen  groBen  Dichter  und  setzte  auf  die  hohe  Saule 
den,  dem  dieser  Platz  zukam  —  Ariost. 


Ill 

Das  schone  Portrat  von  Ariost,  das  die  National  Gallery  in  London 
1904  aus  einer  Privatsammlung  erworben  hat,  hat  die  gesamte 
kunstlerische  und  literarische  Welt,  die  sich  fur  Italiens  Vergangen- 
heit  interessiert,  auBerordentlich  beschaftigt.  Die  Frage  nach  dem 
Urheber  dieses  auBerordentlichen  Werkes  wurde  laut:  Tizian  oder 
Giorgione?  sowie  die  zweite,  ist '  die  dargestellte  Personlichkeit 
wirklich  Ariost? 

Auf  die  kritischen  Erorterungen,  welchem  der  beiden  Maler 
dieses  Portrat  zuzuschreiben  ist,  kann  ich  hier  nicht  eingehen-;  nach 
meinem  Dafiirhalten  ist  es  ein  Werk  von  Tizian.  Anders  liegt  die 
Frage,  ob  der  Dargestellte,  der  etwa  in  den  DreiBigen  sein  diirfte, 
Ariost  ist  oder  nicht.  Meiner  Uberzeugung  nach:  Ja.  Es  wurde 
freilich  darauf  hingewiesen,  daB  Tizians  Bildnis  sich  unterscheidet 
von  dem  allgemein  als  authentisch  anerkannten  Portrat  des  Dichters, 
das  uns  im  Holzschnitt  in  der  Ausgabe  des  ,,Rasenden  Roland"  von 
1532  erhalten  ist,aber  es  ist  immer  eine  miBliche  Sache,  beiBildnissen, 
die  um  Jahre  auseinander  liegen,  die  Frage  nach  der  schlagenden 
Ahnlichkeit  zu  stellen.  Es  kann  sich  nur  darum  handeln,  ob  die 
Form  des  Kopfes,  die  Nase  und  die  allgemeinen  Ziige  beider  Mo- 
delle  solche  Verschiedenheiten  aufweisen,  daB  sie  nicht  nach  der 
gleichen  Personlichkeit  gemacht  sein  konnen.  Diese  Verschieden- 
heiten fehlen  hier,  ja  man  kann  sogar  im  verwitterten  Kopf  des 
fast  Sechsundsechzigjahrigen  leicht  die  Ziige  des  Tizianschen 
Jiinglings  erkennen.  Gliicklicherweise  besitzen  wir  ein  drittes 
Portrat  von  Ariost:  Domenico  Pogginis  Medaille,  der  Dichter  ist 
als  Vierzigjahriger  dargestellt,  als  er  aus  dem  Dienst  des  Kardinals 
Ippolito  ausschied.  In  diesem  Bronze-Ariost  ist  der  Tiziansche  Kopf 
vollig  wiederzuerkennen,  und  vom  Holzschnitt  laBt  sich  nur  sagen, 
daB  der  Dichter  friih  gealtert  ist  und  iiber  seine   Jahre  verfallen 


ARIOST 


229 


wirkt.  Pogginis  Medaille  zeigt  auf  dem  Revers  eine  ziingelnde 
Schlange,  der  eine  von  oben  hineinreichende  Hand  mit  der  Schere 
den  Kopf  abschneiden  will,  und  die  Aufschrift:  ,,Pro  bono  malum." 
Diese  Devise  bezog  sich  auf  die  Ungerechtigkeiten,  die  Ariost  von 
Ippolito  erfahren  hat. 

Auf  dem  Londoner  Portrat  sieht  Ariost  den  Beschauer  friedlich, 
wenn  auch  etwas  melancholisch  an,  und  eine  unsagbare  Giite  liegt 
iiber  seinem  Antlitz.  Es  ist  eins  der  schonsten  mannlichen  Portrats 
aus  der  Renaissance.  Dieser  melancholische  Ausdruck,  diese  groBen 
vertraumten  Augen,  ,, grand  occhi  di  sogni",  wie  sie  Ercole  Strozzi 
genannt  hat,  vergiBt  man  nicht  wieder.  Das  Portrat  mag  fur  uns 
um  so  wertvoller  sein,  als  es  Ariost  darstellt  urn  die  Zeit,  da  er  den 
,,Rasenden  Roland"  geschrieben  hat  und  im  Dienste  des  Kardinals 
stand.  Es  bestatigt  unsere  Vorstellung  vom  Dichter  vollstandig. 
Sanft  und  bescheiden,  ohne  groBe  Forderungen  an  Welt  und  Gesell- 
schaft,  nur  nach  Ruhe  verlangend.  ,,LaBt  mich  schreiben  und 
arbeiten,  stort  mich  nicht"  —  das  war  sein  Wunsch  in  jener  Zeit  der 
Feste  und  des  Glanzes.  Nur  ein  Gefiihl,  eine  leidenschaftliche  Liebe, 
vermochte  sein  Gleichgewicht  zu  storen;  unter  ihrem  EinfluB 
regte  sich  das  heiBe  Blut  des  Siidlanders,  er  war  eifersiichtig  und 
empfand  sogar  die  Freude  der  Vendetta. 

Ercole  Strozzi  beschreibt  in  einem  seiner  besten  Gedichte 
,,Venatio"  eine  Jagd,  die  1496  von  Karl  VIII.  veranstaltet  wurde, 
als  er  sich  zu  seiner  zweiten  Expedition  nach  Italien  riistete.  Gegen 
jede  Chronologie  und  Geschichte  beteiligen  sich  an  dieser  Jagd: 
Ippolito  d'Este,  Cesare  Borgia  und  die  beruhmtesten  damaligen 
Dichter:  Bembo,  Tebaldeo,  Pontano,  Tito  Strozzi  und  wahrschein- 
lich  auch  Ariost.  Jeder  der  Dichter  hat  schon  ein  Stuck  Wild  er- 
legt,  nur  der  letzte,  Ariost,  ist  nicht  bei  der  Sache;  anstatt  der  Fahrte 
des  Wildes  nachzugehen,  treibt  er  die  Hunde  leidenschaftlich  an: 

Divisusque  alio  mentem  committere  tristeis 
Intempestivis  elegis  meditaris  amores  .  .  . 

Dieser  Ariost  mit  der  hohen  Stirn  und  dem  vertraumten  Blick 
tritt  uns  im  Londoner  Portrat  entgegen.  Wahrend  der  Jagd  fesseln 
ihn  seine  Elegien. 


230  NEUNTES   KAPITEL 

All  seine  Bekannten  spotten  seiner  Zerstreutheit.  Bei  Pio  in 
Carpi  stent  er  friih  auf  und  geht  hinaus  in  die  Felder  in  Pantoffeln 
und  leichtem  Morgenkleid.  In  Gedanken  geht  er  immer  weiter, 
bis  er  miide  und  hungrig  in  Ferrara  ankommt.  Ein  andermal  kommt 
ein  Freund  zu  ihm  im  Augenblick,  wo  der  Dichter  sein  Mittagbrot 
verzehrt  hat.  Der  Wirt  laBt  zwar  eine  neue  Schiissel  auftragen, 
vergiBt  aber  ganz,  daB  das  Gericht  fur  den  Freund  bestimmt  war, 
und  macht  sich  noch  einmal  iiber  das  Essen  her,  ohne  dem  Gast 
etwas  anzubieten. 

Oder  er  erzahlt  seinen  Freunden  so  viel  phantastische  Ge- 
schichten,  daB  der  eine,  der  das  Gesprach  auf  den  nuchternen  Boden 
der  Wirklichkeit  bringen  will,  boshaft  unterbricht:  ,,Was  braucht 
man  notwendig  zu  gekochten  Eiern?"  Ariost  verstand  die  Frage 
nicht  und  sprach  ruhig  weiter,  aber  als  er  nach  einem  Jahre  dem 
Fragenden  begegnete,  begriiBte  er  ihn  mit  der  Antwort:  Salz  brauche 
man  an  erster  Stelle  zu  gekochten  Eiern. 

Melancholie  und  Schmerz  gehen  zumeist  mit  einem  vertraumten 
Wesen  zusammen.  Beim  jungen  Ariost  fehlt  diese  Note  nicht. 
Zwischen  1501 — 1503  schreibt  er  viel  Epitaphe  und  dichtet  auch 
sich  selbst  die  Grabschrift,  die  mit  den  Worten  beginnt: 

Lodovici  Ariosti  humantur  ossa 
Sub  hoc  marmore  .  .  . 

Fur  gewohnlich  schreibt  man  mit  dreiBig  Jahren  noch  nicht  an 
seiner  Grabschrift.  Ariost  empfand  jedes  Ereignis,  jeden  Schmerz 
tiefer  als  andere,  und  der  Dichter  sagt  selbst  von  sich,  daB  er  einen 
unsteten  Geist  habe,  ,,mens  impar".  Diese  Reizbarkeit  fiihrte 
spater  zu  einer  diistern  Auffassung  von  V/elt  und  Menschen,  zu 
der  iibrigens  die  damaligen  sozialen  Zustande  AnlaB  genug  boten. 

Ariost  faBte  schon  1503,  ehe  er  in  den  Dienst  des  Kardinals  trat, 
den  Plan  zu  einem  Gedicht,  das  ,,con  tromba  eterna"  das  Rittertum 
und  seine  Kampfe  verherrlichen  sollte.  Seine  Freunde  kannten 
diesen  Plan,  und  Bembo  riet  ihm,  seine  Dichtung  lateinisch  zu 
schreiben,  da  er,  der  in  seiner  Jugend  sich  nur  des  Lateinischen  in 
gebundener  Sprache  bedient  hatte,  im  Volgare  keine  Ubung  habe. 
Doch  Ariost  kummerte  sich  um  diesen  Rat  nicht.   Da  das  Italienische 


ARIOST 


231 


noch  ein  ungeschliffener  Edelstein  war,  glaubte  er,  daB  jener  Dichter 
dem  Volke  dienen  wiirde,  der  als  erster  wieder  anfinge,  im  Volgare 
zu  dichten.    Lateinisch  schreiben,  hieBe  Eulen  nach  Athen  tragen. 

Lodovico  war  schon  iiber  dreiBig  Jahre  alt,  als  er  1506  die  ersten 
Biicher  seines  ,,Rasenden  Roland"  vollendete.  Er  las  sie  seinem 
Kardinal  vor,  der  ihn  gefragt  haben  soil:  ,,Dove  avete  trovato, 
messer  Lodovico,  tante  corbellerie?".  Aus  dieser  Frage  folgerte 
man,  daB  Ippolito  Ariosts  Dichtung  wenig  geschatzt  habe.  Zwar 
kommt  es  der  Folgezeit  wenig  auf  die  Kritik  eines  Kardinals  an, 
den  Frauen,  Pferde  und  Politik  mehr  als  Literatur  interessiert  haben, 
aber  da  Ariosts  Biographen  Ippolitos  Worten  ein  gewisses 
Gewicht  beimessen,  lohnt  es,  sie  auf  das  MaB  zuruckzufiihren, 
das  ein  Urteil  dieser  Art  verdient.  Man  kann  etwas  Derartiges  sagen, 
ohne  die  Dichtung  im  geringsten  zu  miBachten.  DaB  der  Roland 
Marchen  aller  Art  enthalt,  ist  nicht  zu  leugnen,  doch  der  Kardinal 
hat  das  Ungewohnliche  dieser  Marchen  begriffen,  da  er  gleich  den 
Anfang  des  Gedichtes  fur  seine  Schwester,  die  Markgrafin  von 
Mantua,  hat  abschreiben  lassen.  Isabella  dankt  brieflich  fur  die 
Zusendung,  Ariosts  Gedicht  habe  ihr  groBe  Freude  bereitet,  und 
sie  habe  zwei  schone  Tage  bei  der  Lektiire  verbracht. 

Ariost  hatte  Bojardos  Plan  aufgegriffen  und  weiter  gesponnen. 
Der  Roman  des  Dichters  aus  Scandiano  hatte  groBen  Erfolg  gehabt, 
er  entsprach  dem  literarischen  Sehnen  der  Zeit,  und  da  Bojardo 
seine  Geschichte  nicht  zu  Ende  gefiihrt  hatte,  da  seine  Sprache 
veraltet  klang,  muBte  jeder  Dichter  von  groBerer  Begabung  da- 
nach  streben,  das  Ideal  des  Ritterromanes  zu  vollenden.  Schon 
Agostini  hatte  sein  Bestes  versucht,  aber  seine  Gestaltungskraft 
langte  nicht;  die  verfeinerte  Gesellschaft  der  Renaissance  verlangte 
nach  etwas  Besserem.  Die  Ritterromantik  eignete  sich  besonders 
fur  die  damalige  Epoche;  diese  Welt  stand  vor  dem  Auge  des  Dichters 
schon  als  geschlossenes  Ganzes,  sie  begann  allmahlich  neue 
For  men  anzunehmen,  andererseits  bestanden  die  Bedingungen 
noch,  die  es  moglich  machten,  sie  sich  in  ihrem  verflossenen  Glanz 
vorzustellen.  Zwar  verkiindeten  Alfonsos  Waffen  bei  Ravenna 
schon  eine  ganz  andere  politische  und  kriegerische  Ara,  aber  noch 
kampfte  dort  ein  junger  Fiihrer,  der  sich,  als  er  einer  schonen  Frau 


232  NEUNTES   KAPITEL 

denLiebesschwur  geleistet,  mit  entbloBtem  Arm  ins  Kampfgetiimmel 
geworfen,  und  niemand  wagte  dariiber  zu  lacheln. 

Noch  strahlte  das  Rittertum,  die  cavalleria,  in  einem  gewissen 
Glanz.  Als  Karl  V.  wahrend  seiner  Kronung  in  Bologna  den  Ritter- 
schlag  erteilte,  indem  er  die  Haupter  mit  dem  Schwert  beriihrte 
und  die  alte  Formel  sprach:  ,,Esto  miles"  —  umdrangte  die  Jugend, 
die  dieser  Ehre  teilhaftig  werden  wollte,  den  Kaiser  in  solchem 
MaBe,  daB  der  ermiidete  Monarch  sich  an  seine  Umgebung  mit 
den  Worten  wandte,  seine  Krafte  waren  erschopft,  ,,non  puedo 
mas",  und  da  er  sich  nicht  anders  zu  helfen  wuBte,  schwang  er  das 
Schwert  in  der  Luft  iiber  die  sich  drangende  Menge  und  rief: 
,,Estote  milites,  todos,  todos!"  ,,Seiet  Ritter,  alle,  alle."  Eine 
unbewuBte  Vorhersagung  Don  Quichottes!  Aretin,  der  damals  in 
Bologna  weilte,  sammelte  schon  Material,  um  die  Ritter  zu  ver- 
spotten,  obgleich  er  sich  wie  ein  Pfau  blahte,  als  ihm  Karl  V.  eine 
kostbare  Kette  um  den  Hals  legte. 

Ob  Ariost  mit  seiner  Dichtung  irgendeinen  politischen  oder 
moralischen  Z'weck  verfolgt  und  ob  die  gesamte  Komposition  eine 
innere  Einheit  habe  —  um  diese  beiden  Fragen  streiten  sich  seit 
jeher  seine  Kritiker:  Voltaire,  Guinguen6,  Settembrini,  de  Sanctis, 
Rajna,  Carducci,  Monnier.  Jeder  sucht  das  Ratsel  auf  seine  Weise 
zu  losen.  Die  Tatsache  allein,  daB  geistvolle  Manner,  die  tief  iiber 
Ariosts  Gedicht  nachgedacht,  diese  Frage  nicht  ohne  weiteres  zu 
losen  vermogen,  ist  der  beste  Beweis,  daB  der  ,,Rasende  Roland" 
kaum  eine  Einheit  hat,  und  daB  die  Ziele  der  Dichtung  nicht  klar 
sind.     Uber  Dinge,  die  klar  liegen,  entsteht  kein  Streit. 

Wenn  man  an  Ariosts  Epos  nicht  mit  dem  Gedanken  heran- 
tritt,  einen  bestimmten  politischen  oder  moralischen  Zweck  finden  zu 
miissen,  so  findet  man  das,  was  der  Dichter  in  seiner  schonen 
Anfangsstrophe  verspricht:  ,,Die  Schilderung  von  Frauen,  Rittern 
und  Waffentaten,  von  Liebe,  Cortesia  und  wichtigen  Begebenheiten." 

Le  Donne,  i  Cavalier,  l'arme,  gli  amori, 
Le  cortesie,  l'audaci  imprese  io  canto .  . . 

Er  will  ein  treues  Abbild  des  Rittertums  geben,  den  Leser  erfreuen. 
Der  Dichter  folgt  nur  seinem  kunstlerischen  Zwang,  er  will  schildern, 


ARIOST  233 

was  seine  Phantasie  beschaftigt,  was  seinen  Geist  genahrt  hat 
Noch  deutlicher  als  in  jenen  Versen  driickt  Ariost  seine  Absicht 
in  einem  Briefe  an  den  Dogen  von  Venedig  aus,  den  er  um  die  Er- 
laubnis  bittet,  den  ,,Rasenden  Roland"  drucken  zu  lassen.  Er 
versichert  den  Dogen,  daB  er  ,,in  langer  Arbeit  und  schlaflosen 
Nachten  seinen  Roman  geschrieben,  um  Herren  und  Damen  von 
edlem  Geist  zu  erfreuen  und  zu  erheitern",  ,,per  spasso  e  ri- 
creazione  de'  Signori  e  persone  di  animo  gentile  e  madonne", 
und  daB  er  ,,darin  mannigfache  Liebesgeschichten  und  krie- 
gerische  Begebenheiten  schildere,  damit  jeder  sie  mit  Vergniigen 
lesen  konne". 

Die  ritterliche  Welt  in  ihrer  Fiille  und  Schonheit  darzustellen, 
die  Gefuhle  zu  schildern,  die  diese  farbige  Welt  beherrschen,  Ehre 
und  Liebe  besonders,  und  die  Natur  in  ihrer  GroBartigkeit  zu  feiern  — 
das  war  Ariosts  eigentlicher  Zweck.  Weder  politische  noch  mora- 
lische  Ziele  haben  ihn  angefeuert,  er  gehorcht  nur  dem  innern 
Zwang,  unter  dessen  BotmaBigkeit  er  steht.  Und  da  Ariost  durch- 
drungen  war  vom  Kult  des  Schonen,  stromte  in  sein  Gedicht  seine 
ganze  Seele,  sein  innerstes  Sein,  und  seine  Auffassung  der  damaligen 
Verhaltnisse  von  Politik,  Familie  und  Frauen  fand  ihren  Niederschlag 
in  kostbaren  Versen,  obgleich  dies  nicht  in  der  ursprunglichen  Ab- 
sicht des  Dichters  lag.  Trotz  der  groBen  Objektivitat  im  Stil  und  in 
der  Darstellung  hat  sich  in  der  Dichtung  das  Ziel  von  selbst  durch- 
gesetzt;  die  Einheit  des  Empfindens  und  der  Phantasie  geben  dem 
Werk  seine  Geschlossenheit.  Ariosts  Gedanken  schweifen  zwar 
in  feme  Welten,  aber  er  war  trotzdem  eine  positive  Natur,  mit 
gesundem  Menschenverstand  und  klarem  Blick  fur  seine  Um- 
gebung.  Dafiir  sind  seine  Satiren  der  deutlichste  Beweis.  Auch 
der  ,,Furioso"  enthalt  eine  Fiille  gesunder  Grundsatze  und  An- 
schauungen,  und  trotz  seines  phantastischen  Anstriches  gibt  er 
ein  vorziigliches  Bild  der  Renaissance- Gesellschaft. 

Rajna  hat  auf  die  Anleihen  hingewiesen,  die  Ariost  bei  klassi- 
schen,  mittelalterlichen  und  selbst  zeitgenossischen  Verfassern  ge- 
macht  hat.  Er  hat  aus  Ovid,  Horaz,  Catull,  Tibull,  Properz  und  Statius 
geschopft;  Sallust,  Livius,  Cicero,  Valerius  Maximus,  Apulejus  haben 
ihm  Inhaltliches  geliefert.  Der  bretonische  Sagenzyklus  und  nament- 


234 


NEUNTES  KAPITEL 


lich  der  Roman  ,,Giron  le  courtois"  waren  ihm  reiche  Fundgruben, 
und  unter  seinen  unmittelbaren  Zeitgenossen  haben  ihn  Bojardo, 
Cieco  da  Ferrara  und  besonders  der  damals  vielverbreitete  Roman 
,,Tirante  el  bianco"  angeregt. 

Diese  Anleihen  nehmen  der  Dichtung  weder  ihren  Wert  noch 
ihren  Reiz,  so  wenig  wie  man  Shakespeare  Plagiate  vorwirft,  weil 
er  Stoffe,  die  von  anderen  behandelt  wurden,  dramatisiert  hat. 
Der  ,, Orlando  furioso"  laBt  sich  mit  dem  Dom  von  Pisa  vergleichen, 
auch  dort  wurden  Saulen  verschiedenster  Herkunft  zusammen- 
getragen,  und  doch  ist  ein  einheitliches  Werk  daraus  entstanden. 
Wie  das  Feuer  im  Hochofen,  so  schmilzt  auch  das  Genie  die  ver- 
schiedenartigsten  Metalle  zur  einheitlichen  Masse  zusammen. 
Jede  Geschichte,  jedes  entliehene  Faktum  nimmt  in  Ariosts  Phan- 
tasie  ,,ariostisches"  Geprage  an. 

Im  allgemeinen  ist  das  Kapital  der  Einfalle,  der  Imagination, 
der  Vorrat  an  Inhalt  in  der  Literatur  der  Volker  erstaunlich  klein, 
kleiner,  als  man  im  ersten  Augenblick  glaubt.  Von  der  Bibel,  dem 
Buch  der  Biicher,  von  Homer  bis  zu  Goethe  und  Dumas  gibt  es 
gewisse  Motive,  die  immer  wiederkehren,  nur  die  Aufmachung 
ist  jedesmal  eine  andere. 

Ariost  schrieb  zu  einer  Zeit,  da  der  Islam  das  Christentum  be- 
drangte  und  Karl  V.  die  Volker  des  westlichen  und  mittleren  Europa 
zusammenschloB,  in  der  Absicht,  ein  Reich  zu  begriinden,  das 
sich  der  im  Osten  drohenden  Gefahr  zu  widersetzen  vermochte. 
In  dieser  Beziehung  glichen  die  Zeiten  jener  Epoche,  da  Karl  der 
GroBe  unter  seinem  Szepter  halb  Europa  zusammenhielt  und  mit 
den  Sarazenen  kampfte.  Die  Themen  aus  Karls  Zyklus  waren 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  der  Gegenwart  angenahert,  und  der 
Dichter  konnte  sie  mit  neuem  Leben  fullen.  Daher  geht  der  Kampf 
gegen  die  Unglaubigen  als  politischer  Grundgedanke  durch  die 
Dichtung.  Daneben  steht  ein  engerer,  patriotisch-italienischer. 
Schon  Bojardos  Gedicht  schloB  mit  dem  Klage  iiber  Italiens  Un- 
gliick;  der  Einfall  der  Franzosen  hat  Bojardo  empfindlich  ge- 
troffen.  Italiens  politische  Lage  hatte  sich  seitdem  durchaus 
nicht  gebessert,  der  fremde  EinfluB  wurde  dem  Volke  immer  ge- 
fahrlicher.     Das   Geschlecht  der  Este  erscheint  dem  Dichter  als  der 


ARIOST 


235 


Felsen,  an  den  Italien  sich  halten  muB;  Ariost  verherrlicht  das 
Haus  von  Ferrara,  vielleicht  auch  deshalb,  weil  er  in  seinem  Dienst 
steht,  namentlich  aber,  weil  Alfonso  der  Vertreter  der  starksten 
und  altesten  italienischen  Dynastie  ist,  unter  deren  Standarte  das 
Volk  sich  sammeln  kann.  Wie  Vergil  das  £5>eschlecht  der  Julier 
gefeiert  hat,  so  preist  er  die  Este  als  das  von  der  Vorsehung 
erkorene  Herrscherhaus,  das  im  Kampf  mit  den  Feinden  der  Chri- 
stenheit  die  erste  Rolle  zu  spielen  berufen  ist.  Merlins  Grabes- 
stimme  verkiindet  Bradamanta,  daB  sie  die  Stammutter  dieses 
ritterlichen  Geschlechts  werden  wird. 

Rogier  totet  am  Tage  seiner  Hochzeit  mit  Bradamanta  Rodo- 
monte,  den  letzten  Feind  der  Christenheit,  und  die  Christenheit 
und  die  Familie  der  Este  triumphieren. 

Voltaires  Behauptung,  der  „Orlando  furioso"  sei  die  „Ilias" 
und  die  ,,Odyssee"  zugleich  — ,  ein  heroisch-religioses  Gedicht 
wie  die  ,,Ilias"  und  daneben  in  der  Schilderung  von  Rogiers  und 
Bradamantas  Zusammenleben  ein  Bild  aus  dem  Familienleben 
wie  die  ,,Odyssee"  —  besteht  zu  Recht.  Die  Elemente  des  offent- 
lichen  und  des  privaten  Lebens  der  Renaissance  schlieBen  sich  hier 
zu  einem  poetischen  Bild  zusammen.  Carducci  wundert  sich,  daB 
Ariost,  der  in  Ferrara  und  seiner  Umgebung  gelebt  und  nur 
einen  ganz  kleinen  Ausschnitt  der  Welt  gekannt  hat,  trotz  dieses 
begrenzten  Horizontes  kostliche  Schilderungen  einer  Natur,  die 
der  Dichter  so  nie  gesehen,  geben  konnte.  Carducci  pragt, 
um  diese  Tatsache  zu  erklaren,  das  schone  Wort,  daB  ahn- 
lich  wie  in  Karls  V.  Reich  die  Sonne  nicht  untergegangen  ist, 
auch  Ariosts  Seele  einen  unendlichen  lichtumflossenen  Horizont 
hatte. 

Ariost  hatte  ein  scharfes  Auge  fur  menschliche  Schwachen. 
Fur  ihn  ist  nicht  wie  fiir  Bojardo  die  Liebe  der  Ursprung  alles 
GroBen,  sie  ist  nicht  das  sieghafte,  allbezwingende  Gefiihl.  Sie  be- 
deutet  ihm  mehr,  sie  ist  die  Grundlage  der  Familie,  auf  ihr  baut 
sich  menschliche  Gemeinschaft  auf.  Dantes  gottliche,  Petrarcas 
platonische  Liebe  beginnen  menschlichere  Formen  anzunehmen. 
Der  vielhundertjahrige  Gesang  der  Troubadours  verstummt,  das 
individuelle    Empfinden    muB    sich    den    Pflichten    gegen    Familie 


236  NEUNTES  KAPITEL 

und  Vaterland  unterordnen,  damit  es  nicht  wie  die  Liane,  die 
Schlingpflanze  des  Sudens,  wuchere  und  den  starksten  Baumen 
ihr  Mark  entziehe.  Ein  italienischer  Schriftsteller  vermutet,  die 
Renaissance-Menschen  hatten  daran  gekrankt,  daB  sie  der  Liebe 
zuviel  Gewicht  beigelegt  haben;  wichtigere  politische  Ziele  traten 
in  den  Hintergrund,  und  die  Not  des  Volkes  fand  weibische 
Manner. 

Befreiend  wirkt  nach  den  Theorien  eines  verlogenen  Platonis- 
mus,  nach  Petrarcas  Klagen  und  Bembos  Sonetten  Ariosts  Satire 
auf  seinen  Vetter  Annibale  Maleguccio,  als  er  von  dessen  Absicht 
zu  heiraten  erfuhr.  Zum  erstenmal  finden  wir  in  der  Renaissance- 
Poesie  verstandige  Worte  iiber  Weib  und  Ehe. 

Nuchterne  Erwagungen  iiber  die  Frauen,  wie  in  dieser  Satire, 
fehlen  im  Roland,  aber  man  fiihlt  den  Wechsel  in  der  Auffassung 
der  Liebe.  Sie  ist  nicht  mehr  der  Quell  alles  Guten,  sie  kann  groBe 
Taten  hindern,  den  Mann  verweichlichen  und  zur  Raserei.  bringen. 

Che  non  pud  far  d'un  cor  ch'abbia  suggetto 

Questo  crudele  e  traditore  amore, 

Poi  ch'ad  Orlando  pud  levar  del  petto 

La  tanta  fe  che  debbe  al  suo  Signore? 

Gia  savio  e  pieno  fu  d'ogni  rispetto, 

E  della  santa  Chiesa  difensore: 

Or  per  un  vano  amor,  poco  del  zio, 

E  di  se  poco,  e  men  cura  di  Dio. 

(Orl.  fur.  IX,  I.) 

Rolandos  und  Rinaldos  Liebe  zur  Heidin  Angelica  hat  die  ge- 
samte  Christenheit  in  groBe  Gefahren  gestiirzt,  Rinaldos  Familien- 
gliick,  der  Frau  und  Kinder  hatte,  zerstort,  Schande  iiber  seinen 
guten  Namen  gebracht  und  seinen  klaren  Sinn  getriibt. 

La  gran  belta  che  al  gran  signor  d'Aglante 
Macchio  la  chiara  fama  e  Palto  ingegno. 

(Orl.  fur.  VIII,  63.) 

Ariosts  Dichtung  steht  an  der  Grenze  zweier  Jahrhunderte 
und  Auffassungen;  der  groBe  Ferrarese  beschlieBt  die  Periode  der 


ARIOST 


237 


Ritterpoesie,  den  Umkreis  der  Ideale  der  Signori  und  Capitani  di 
Ventura,  und  man  ahnt  den  Beginn  einer  neuen  Zeit  mit  neuen 
sittlichen  Idealen.  Ariost  ist  nicht  mehr  Ghibelline  wie  Dante, 
er  strebt  nicht  mehr  danach,  die  Macht  des  Kaisers  zu  erweitern, 
die  italienische  Dynastie  der  Este  mochte  er  an  der  Spitze  des 
Vblkes  wissen.  Als  Dichter  und  Asthet  liebt  er  die  Ritterwelt, 
die  dem  Untergang  geweiht  ist,  er  verehrt  ihre  Grofie,  ihre  Tugenden 
and  Vorziige.  In  einer  wunderschonen  Stanze  schildert  er,  wie  der 
Sarazene  Ferragu  und  Rinaldo  nach  einem  furchtbaren  Zwei- 
kampf,  der  unentschieden  geblieben  ist,  beschlieBen,  Angelica  zu 
folgen,  um  ihre  Spur  nicht  zu  verlieren.  Beide  steigen  voller  Ver- 
trauen,  als  Ritter  sonder  Furcht  und  Tadel,  auf  ein  RoB  —  damit 
yerleiht  er  seiner  Verehrung  ritterlicher  Tugenden  lebendigsten 
Ausdruck. 

O  gran  bonta  de'  Cavalieri  antiqui! 

Eran  rivali,  eran  di  fe  diversi, 

E  si  sentian  degli  aspri  colpi  iniqui 

Per  tutta  la  persona  anco  dolersi; 

E  pur  per  selve  oscure  e  calli  obliqui, 

Insieme  van  senza  sospetto  aversi. 

(Orl.  Fur.  I.  22.) 

Mit  wundervoller  Anschaulichkeit  schildert  Ariost  jede  Szene, 
jede  Landschaft.  In  hochstem  MaBe  ist  sein  Gefuhl  fiir  die  Natur 
entwickelt,  deshalb  sagt  auch  Galilei,  indem  er  ihn  mit  Tasso 
vrergleicht,  daB  Tasso  Worte  und  Ariost  Dinge  sage. 

Rogiers  Fahrt  auf  dem  Hippogryphen,  seine  Jagd  durch  die 
Liifte  auf  dem  gefliigelten  Renner  ist  so  phantastisch,  so  groB- 
artig  und  zugleich  so  anschaulich,  daB  wir  glauben,  an  diesem 
vvilden  Ritt  teilzunehmen.  Und  wie  farbig  sind  diese  paradiesischen 
Gegenden,  die  sich  vor  uns  entrollen,  wie  iippig  und  von  siidlicher 
Sonne  durchgluht!  Die  Beschreibung  von  Rogiers  Aufenthalt  auf 
der  Insel  Aretusa  ist  ein  Meisterwerk. 

Als  der  Roland  fertig  war,  im  Jahre  1515,  war  Ariost  ein- 
undvierzig  Jahre  alt,  aber  er  hat  sein  ganzes  Leben  weiter  daran 
gearbeitet.    Er  las  ihn  seinen  Freunden  vor,  bat,  daB  man  ihn  auf 


238  NEUNTES  KAPITEL 

Provinzialismen  oder  Holprigkeiten  im  Vers  aufmerksam  mache. 
Zu  diesen  vertrauten  Korrektoren  gehorten  Bembo,  Molza,  Na- 
vagero,  Sadoleto  und  Marc  Antonino  Magno.  Das  in  Florenz  ge- 
sprochene  Italienisch  erschien  Ariost  als  das  reinste,  er  hat  seine 
Sprache  dem  Toskanischen  immer  mehr  angegliedert,  norditalie- 
nische  Ausdriicke  durch  Florentiner  ersetzt,  gefeilt  und  jeden 
Vers  harmonisch  und  sangbar  gestaltet. 

Die  schone  Sprache,  die  farbigen,  so  plastischen  Bilder,  die 
scharfe  Beobachtung  der  Natur  bilden  den  Hauptreiz  von  Ariosts 
Dichtung.  Er  war  der  groBte  Dichter  der  Renaissance.  Italien  hat, 
von  Dante  abgesehen,  keinen  volkstiimlicheren  Dichter  als  Ariost, 
und  auf  der  gesamten  Halbinsel  gibt  es  kaum  einen  Landmann, 
kaum  einen  Schuler,  der  nicht  wenigstens  einige  Stanzen  des  ge- 
liebten  ,,Furioso"  auswendig  wiiBte.  In  Sizilien  sind  die  kleinen 
zierlichen  zweiradrigen  Wagen  zumeist  mit  Szenen  aus  Ariost 
oder  Tasso  bemalt,  in  Ariosts  Oktaven,  die  im  Gedachtnis  des  italie- 
nischen  Volkes  haften,  ist  das  Bild  der  ritterlichen  Vergangenheit 
des  Volkes  lebendig. 

Es  ist  seltsam  genug,  daB  in  dem  kleinen  Ferrara,  diesem  heute 
vergessenen  Landchen,  fiinfzig  Jahre  nach  Bojardo  das  groBte 
Rittergedicht  entstanden  ist,  und  daB  wieder  fiinfzig  Jahre  spater 
Tasso  dort  sein  ,,Befreites  Jerusalem"  geschrieben  hat.  Im  Jahre 
i486  war  ,, Orlando  Innamorato"  vollendet,  1532  ,, Orlando  Furioso", 
1581  ,,Gerusalemme  Liberata".  Es  wurde  darauf  hingewiesen,  daB 
es  im  Laufe  von  drei  Jahrtausenden  nur  fiinf  groBe  Epiker  gegeben 
hat,  und  davon  stammen  zwei  aus  Ferrara.  Griechenland  hat 
Homer,  Rom  Vergil,  England  Milton  und  Ferrara  Ariost  und 
Tasso  erzeugt. 

Ariosts  Epos  war  von  ungeheurem  EinfluB  auf  die  europaische 
Literatur  und  hat  befruchtend  auf  groBe  Talente  gewirkt.  Im 
XVI.  Jahrhundert  hat  Edmund  Spenser  seine  ,, Faerie  Queene"  ge- 
schrieben, im  XVIII.  Voltaire  seine  ,,Pucelle"  und  Wieland  seinen 
„Oberon",  im  XIX.  Byron  seinen  „Don  Juan".  Im  XVI.  Jahr- 
hundert gab  es  noch  eine  Reihe  spanischer  Nachahmungen  Ariosts. 
Nur  der  polnische  Dichter  Mickiewicz  ist  in  seinem  „Pan  Tadeusz" 
andere  Wege  gegangen. 


ARIOST 


239 


1515  erschien  die  erste  Ausgabe  des  ,,Furioso".     Leo  X.,  von 

dem  Ariost  so  viel  erhofft  und  der  ihm  so  wenig  gehalten  hat, 

erlieB   wenigstens   eine   Bulle,   um   das   literarische   Eigentum   des 

Dichters  zu  schiitzen.    Jedem,  der  das  Buch  nachdrucken  oder  ohne 

Erlaubnis  des  Verfassers  verkaufen  wurde,  war  der  papstliche  Bann 

angedroht.      Sadoleto    kontrasignierte    das    papstliche    Doku- 

ment,   und  in  Bibbienas  Bureau  wurde   es   auf  Kosten 

des   Dichters   ausgefertigt    und   verschickt.      Dies 

veranlaSte   ihn   zur   satirischen  Bemerkung: 

Mi  fu,  della  quale  ora  il  mio  Bibbiena 
Espedito  m'  ha  il  resto  alle  mie  spese. 


ZEHNTES  KAPITEL 

RENATA  DI  FRANCIA 


errara,  Ferrara,  corpo  di  Dio,  ti  avro!" 
„Beim  Leichnam  Christi,  du  wirst  mein,  Ferrara!"  — 
rief  Julius  II.  in  seiner  soldatischen  Ausdrucksweise, 
aber  die  Wiinsche  des  kriegerischen  Papstes  sollten 
nicht  in  Erfullung  gehen.  Alfonso  I.  verteidigte 
Ferrara  mit  den  Waffen  so  gut  wie  mit  seiner 
diplomatischen  Geschicklichkeit.  Leo  X.  hatte  keinen  anderen 
Wunsch  wie  sein  Vorganger,  Julius  II.,  wenn  er  ihn  auch  zahmer 
ausgedriickt  hat.  Aber  auch  dieser  Papst  starb,  ohne  seine  Plane 
verwirklichen  zu  konnen.  Da  lieB  Alfonso  in  seiner  Freude  eine 
Medaille  schlagen  mit  einem  Schafer,  der  ein  Lamm  den  Klauen 
des  Lowen,  Leone,  entriB,  darunter  stand  die  Aufschrift  aus  dem 
Buch  der  Konige:  De  manu  Leonis. 

Aus  diesen  Kampfen  mit  zwei  Papsten  ging  Ferrara  machtiger 
hervor,  als  es  je  gewesen  war.  Das  Land  erstreckte  sich  vom  Ufer 
des  Adriatischen  Meeres  fast  bis  zur  Bucht  von  Genua,  und  der 
Kaiser  sowie  der  Konig  von  Frankreich  bewarben  sich  um  Alfonsos 
Freundschaft.  Die  in  Cognac  geschlossene  heilige  Liga,  Franz  I., 
die  Florentiner  und  der  Kaiser  —  sie  alle  wollten  ihn  zu  ihrem 
'Heerfuhrer  wahlen.  Nach  Leos  X.  Tod  schickte  Alfonso  seinen 
funfzehnjahrigen  Sohn  Ercole  nach  Rom,  damit  er  dem  neuen 
Papst  Hadrian  huldige  und  seine  Gunst  gewinne.  Dem  Jiingling 
gefiel  es  in  Rom  auBerordentlich  gut,  der  Papst  umarmte  ihn, 
sagte,  daB  er  von  den  besten  Absichten  fur  Ferrara  erfiillt  sei,  und 
der    begluckte  Vater    rief:    ,,Mein   Gott,    ich    danke    dir,    daB    du 


RENATA  DI  FRANCIA 


241 


mir  solch  einen  Sohn  gegeben!"  Alfonso  hat  es  bei  der  Erziehung 
dieses  Sohnes  nicht  an  Sorgfalt  fehlen  lassen;  da  er  selbst  keine 
literarische  Bildung  hatte  und  haufig  diesen  Mangel  beklagt  hat, 
wollte  er  seinem  Sohne  ein  grundliches  Wissen  geben  und  hielt 
ihm  die  besten  Lehrer.  Der  Knabe  machte  lateinische  Gedichte, 
war  von  groBer  Beredsamkeit  und  in  alien  Wissenszweigen  erfahren. 
Auch  Musik  wurde  griindlich  geiibt,  da  Alfonso  einmal  gelesen 
hatte,  Themistokles  hatte  als  Mann  von  schlechter  Erziehung 
gegolten,  da  er  nicht  Zither  spielen  konnte.  So  wurde Ercole  nach  dem 
Bericht  eines  gleichzeitigen  Chronisten  in  alien  drei  Arten  der 
Musik  unterwiesen:  in  der  ,,enharmonischen,  diatonischen  und 
chromatischen"  —  nach  unseren  Begriffen  hatte  der  junge  Este 
wenn  nicht  Komponist,  so  doch  zum  mindesten  Dirigent  eines 
Orchesters  werden  konnen.  Bei  der  Erziehung  des  Jiinglings  wurde 
nicht  allein  auf  die  Bildung  des  Geistes  geachtet.  Keiner  seiner 
Gefahrten  tat  es  ihm  in  gymnastischen  Ubungen  gleich,  er  sprang 
iiber  die  breitesten  Graben,  ritt  die  wildesten  Pferde,  handhabte 
Lanze  und  Speer  glanzend,  und  war  Sieger  in  jedem  Turnier.  Dazu 
war  Ercole  ein  gutgewachsener,  schoner,  kraftiger  Mensch  von  sehr 
einnehmendem  Wesen.  Der  Vater  hatte  ihn  fruh  zur  Beratung  allge- 
meiner  Angelegenheiten  herangezogen,  so  daB  es  ihm  auch  in  dieser 
Beziehung  schon  als  Jiingling  an  der  notigen  Erfahrung  nicht  fehlte. 
Fur  einen  solchen  Sohn  war  es  nicht  schwer,  eine  Gattin  zu 
finden,  und  als  Ercole  kaum  siebzehn  Jahre  alt  war,  begann  man 
sich  nach  einer  passenden  Partie  fur  ihn  umzusehen.  Zwischen 
drei  Fiirstinnen  schwankte  die  Wahl:  Margarethe  von  Osterreich, 
Karls  V.  natiirliche  Tochter,  Katharina  von  Medici,  die  spatere 
Kdnigin  von  Frankreich,  und  Renata,  die  Tochter  Ludwigs  XII.  und 
der  Kdnigin  Anna,  standen  auf  der  engeren  Liste.  Alfons  fiihlte 
sich  stark  genug,  um  fur  seinen  Sohn  um  die  Hand  der  franzdsischen 
Konigstochter  anzuhalten.  Das  Geschlecht  der  Este  war  alter  als 
das  Konigsgeschlecht  von  Frankreich,  denn  wahrend  sich  dieses 
kaum  bis  zum  Jahre  862  zuruckverfolgen  lieB,  war  Bonifazio  Este, 
der  Graf  von  Lucca  und  Fiirst  von  Toskana,  schon  im  Anfang  des 
IX.  Jahrhunderts  eine  bekannte  Personlichkeit  gewesen.  Franz  I., 
der  in  Frankreich  regierte,  als  sich  Alfonso  um  Renatas  Hand  fur 

16 


242 


ZEKNTES  KAPITEL 


seinen  Sohn  bewarb,  nahm  diesen  Plan  sehr  gnadig  auf,  hoffte 
er  doch  in  den  Este  einen  machtigen  Bundesgenossen  in  seinem 
Kampfe  um  Mailand  zu  finden.  Dieses  Herzogtum  zu  erobern, 
gehdrte  zu  seinen  heiBesten  Wiinschen. 

Die  Verhandlungen  fuhrten  schnell  zum  gewunschten  Resultat, 
und  Ercole  brach  am  3.  April  1528  nach  Frankreich  auf,  um  seine 
Gemahlin  abzuholen.  In  seinem  Gefolge  waren  hundertfiinfund- 
fiinfzig  Menschen,  hundertneun  Pferde  und  siebenunddreiBig  Maul- 
tiere.  Unterwegs  vergroBerte  sich  der  Zug,  da  der  ferraresische 
Adel  sich  drangte,  den  jungen  Herzog  nach  Paris  zu  begleiten. 
Ercole  ging  uber  Spezzia,  Genua  und  Savona,  um  Mailand  zu  ver- 
meiden  und  dem  Kaiser  nicht  in  die  Hande  zu  fallen,  der,  unzufrieden 
uber  die  Vereinigung  der  Este  mit  dem  Hof  von  Frankreich,  Ercole 
unter  irgendeinem  Vorwand  hatte  aufhalten  und  gefangen  nehmen 
kdnnen. 

Am  22.  Mai  empfing  Franz  I.  den  jungen  ferraresischen  Erb- 
prinzen  in  Saint  Germain,  Ercole  hatte  zu  diesem  Feste  ein  kost- 
bares  Gev/and  angelegt  und  stand  an  der  Spitze  von  hundert- 
fiinfzig  vornehmen  Rittern.  Von  Renata,  die  er  noch  nicht  kannte, 
empfing  er  keinen  iibermaBig  angenehmen  Eindruck.  Der  ferrare- 
sische Gesandte  berichtet  Alfonso:  ,,Es  scheint,  daB  der  junge 
Herzog  eine  schonere  Braut  lieber  gesehen  hatte."  Renata  war 
klein  und  zart,  sie  hatte  ein  rundes  Gesicht,  kleine  blaue  Augen 
und  einen  sehr  kleinen  Mund,  ihre  FiiBe  waren  von  Kindheit  an 
infolge  rhachitischer  Leiden  krumm.  Ihre  groBten  Reize  waren 
langes  Haar,  ein  guter  Teint  und  ein  Busen  von  schneeiger  WeiBe; 
selbst  die  Hofpoeten  wuBten,  abgesehen  von  diesen  Vorziigen,  auBere 
Reize  an  ihr  nicht  zu  entdecken.  Francesco  Maria  della  Rovere,  der 
Herzog  von  Urbino,  nannte  sie  ,,un  mostro",  aber  der  Herzog  war  fur 
seine  bose  Zunge  bekannt  und  iibertrieb  gern.  ,,Eine  MiBgeburt"  war 
sie  nicht,  aber  ihre  Portrats  im  Musee  Conde  zu  Chantilly,  und 
in  den  Sammlungen  der  Fiirsten  Czartoryski  beweisen  zur  Ge- 
niige,  daB  Ercole,  der  die  schonen  Italienerinnen  gewohnt  war, 
eine  nicht  geringe  Enttauschung  beim  Anblick  seiner  kiinftigen 
Gemahlin  erleben  muBte.  Sie  war  aber  sehr  lebhaft,  ,,un  esprit  tout  de 
feu",  sehr  gut  erzogen  und  fiihrte  ein  Gesprach  nicht  ohne  Anmut. 


RENATA  DI  FRANCIA  243 

Der  ,,ritterliche"  Franz  I.,  der  seinen  kunftigen  ,, Cousin"  mit 
sehr  viel  Pracht  empfing  und  Renata  eine  groBe  Mitgift  versprochen 
hatte,  begann  unmittelbar  nach  der  Trauung  Geldanleihen  bei 
Ercole  zu  machen.  Zu  seiner  Expedition  gegen  die  Lombardei  wollte 
er  von  den  Este  ftinfzigtausend  Taler  haben.  Der  arme  Ercole 
erschrak,  als  er  an  Stelle  der  erhofften  Mitgift  fur  das  franzo- 
sische  „Monstrum"  auch  noch  bezahlen  muBte.  An  denVater  wagte 
er  sich  nicht  zu  wenden,  denn  ailein  die  Reise  nach  Paris  hatte 
dreiBigtausend  Taler  verschlungen  und  fur  hunderttausend  hatte 
er  seiner  Verlobten  Geschenke  gemacht.  Da  er  sich  nicht  anders 
helfen  konnte,  verkaufte  er  einen  Teil  der  Pferde,  mehrere  kost- 
bare  Gerate  und  Kleinodien,  anderes  wurde  versetzt,  bis  er  die 
dem  Konig  notige  Summe  zusammen  hatte.  Aber  nachdem  Franz  I. 
die  Nichte  verheiratet  und  das  Gold  der  Este  in  der  Tasche  hatte, 
begann  er  wegen  der  Mitgift  zu  handeln,  und  die  versprochene 
Summe  wurde  immer  kleiner.  Er  benahm  sich  wie  ein  Wucherer; 
zuerst  hatte  er  Renata  zweimalhunderttausend  Taler  versprochen 
und  einen  ebenso  groBen  Betrag  ausgesetzt,  um  sie  fur  den  Verzicht 
auf  die  Bretagne  zu  entschadigen,  auf  die  sie  durch  ihre  Mutter  Rechte 
hatte.  Nach  der  Hochzeit  bewilligte  er  nur  vierzigtausend  Taler 
Mitgift  und  ein  jahrliches  Fixum  von  zwolftausend,  obgleich  die 
Bretagne  ailein  jahrlich  iiber  zweimalhunderttausend  Taler  abwarf. 
Trotz  dieses  Handelns  und  des  groBen  Geldmangels  am  franzo- 
sischen  Hof  waren  die  Hochzeitsfeierlichkeiten  groBartig  und 
nahmen  kein  Ende.  Der  Konig  gab  ein  so  prachtiges  Bankett, 
daB  selbst  die  Hoflinge,  die  groBartige  Feste  gewohnt  waren,  nicht 
aus  dem  Staunen  kamen.  Die  anhaltenden  Feste  iiberstiegen  selbst 
die  Kraft  des  jungen  Paares,  Ercole  bekam  Fieber  und  Renata 
qualende  Kopfschmerzen.  Der  Hofpoet,  Clement  Marot,  trostete 
sie  in  einem  langen  Hochzeitskarmen  iiber  den  Verlust  des  jung- 
fraulichen  Kranzes,  der  Apfelbaum  gelte  mehr,  wenn  er  Fruchte, 
als  wenn  er  nur  Blumen  trage. 

Fille  de  roy,  adieu  ton  pucelage, 
Et  toutesfoys  tu  n'en  dois  faire  pleurs; 
Car  le  pommier  qui  porte  bon  fructage 
Vault  mieulx  que  s'il  ne  porte  que  fleurs. 

16* 


244 


ZEHNTES  KAPITEL 


Marot  schrieb  dieses  Gedicht  in  einer  gliicklichen  Stunde,  Re- 
natas  groBtes  Verdienst  waren  fiinf  gesunde  Kinder,  zwei  Sonne 
und  drei  Tdchter,  was  wohl  niemand  dieser  kleinen  rhachitischen 
Prinzessin  zugetraut  hatte. 

Einen  Monat  nach  der  Trauung  brach  das  junge  Paar  nach 
Ferrara  auf.  Renatas  franzosische  Umgebung  bestand  aus 
hundertfiinfzig  Personen,  Ercoles  Gefolge  aus  dreihundert.  Eine 
Abteilung  von  Fourieren  zog  voraus,  um  Lebensmittel  zu  be- 
schaffen  und  die  friedlichen  Einwohner  unterwegs  aus  ihren  Hausern 
zu  werfen,  damit  es  Platz  fur  den  Hof  gebe.  Es  war  eine  beschwer- 
liche  Reise,  es  ging  iiber  den  Mont  Cenis  und  durchs  Piemonte- 
sische,  und  erst  an  der  Grenze  des  estensischen  Reiches  erwartete 
Alfonso  die  Schwiegertochter,  deren  Wunsch,  den  Herzog  kennen 
zu  lernen,  so  lebhaft  war,  daB  sie  ohne  diese  Hoffnung  die  Strapazen 
nicht  iiberstanden  hatte.  Wenigstens  behauptet  dies  einer  der  esten- 
sischen Hoflinge  in  einem  an  den  Herzog  geschriebenen  Brief.  Wir 
wissen  nicht,  welchen  Eindruck  Renata  auf  Alfonso  gemacht  hat, 
spater  war  er  ihr  der  beste  Vater  und  Beschiitzer. 

In  Modena  erwarteten  die  junge  Frau  die  groBten  Anstrengungen. 
Dort  wurde  ihr  zu  Ehren  ein  feierlicher  Empfang  veranstaltet.  Der 
Statthalter  Giacomo  Alvarotti  hatte  ungewohnliche  Vorbereitungen 
getroffen:  den  Schmutz  und  die  Steine,  die  seit  Jahrhunderten  in  den 
StraBen  lagen,  hatte  er  fortschaffen  lassen  und  die  Figuren  zweier 
Engel  verbessern,  die  an  der  Stadtuhr  am  Turm  die  Stunde  zu 
schlagen  hatten,  aber  diese  Pflicht  seit  zwanzig  Jahren  nicht  mehr 
erfiillten;  Betten  fur  zweitausend  Menschen  wurden  aufgeschlagen 
und  Stalle  fur  fiinfzehnhundert  Pferde  hergerichtet,  ungeheure 
Quantitaten  von  Lebensmitteln  zusammengeschleppt,  darunter 
so  viel  Zucker  und  Wachs,  daB  zwolf  Maultiere  zum  Herbeischaffen 
dieser  Ladung  kaum  langten.  Diese  Vorbereitungen  waren  not- 
wendig,  da  man  in  Modena  auBer  dem  jungen  Paar,  dem  Herzog 
Alfonso  und  dem  ungeheuren  Gefolge  noch  den  Herzog  von 
Mailand,  den  Markgrafen  von  Mantua  und  den  Herzog  von  Urbino 
mit  Gemahlin  erwartete. 

Alfonso  wollte  seine  Schwiegertochter  aufs  festlichste  emp- 
fangen  und  all  ihre  Wiinsche  erfiillen.    Er  lieB  es  jedoch  auch  darin 


RENATA  DI  FRANCIA  245 

nicht  an  der  notigen  Vorsicht  fehlen.  In  Modena  hatte  er  einen  sehr 
gefahrlichen  Gefangenen,  Girolamo  Pio  di  Sassuolo,  der  auf  Ver- 
anlassung  des  Bischofs  von  Casale,  des  papstlichen  Kommissars 
in  Piacenza,  eine  Verschworung  gegen  sein  Leben  angezettelt  hatte. 
Rom  war  in  seinen  Mitteln  nicht  wahlerisch,  urn  Alfonso  aus  dem 
Wege  zu  raumen,  Ferrara  zu  annektieren  und  dem  Kirchenstaat 
einzuverleiben.  Der  Herzog  fiirchtete,  man  konne  Renata  iiber- 
reden,  ihn  um  das  Leben  des  Verbrechers  zu  bitten;  um  dem  vor- 
zubeugen,  machte  er  kurzen  ProzeB  und  lieB  den  Gefangenen  ent- 
haupten,  ehe  Renata  in  Modena  eintraf.  So  war  die  heikle  Frage 
aufs  einfachste  geldst,  und  Alfonso  kam  nicht  in  die  fatale  Situation, 
seiner  Schwiegertochter  eventuell  einen  Wunsch  abschlagen  zu 
mussen. 

Nach  alter,  nicht  gerade  schoner  Sitte  raubte  die  italienische 
Bevolkerung  nach  der  Abreise  beriihmter  Gaste  die  ganze  Ein- 
richtung,  samtliche  Gegenstande,  die  zu  ihrem  Empfang  gedient 
hatten.  Um  die  franzosischen  Gaste  nicht  durch  diesen  Brauch 
zu  argern,  erlieB  der  Statthalter  ein  Verbot,  das  Maultier,  auf  dem 
Madame  Renata  in  die  Stadt  kame,  anzuriihren,  ihre  Sanfte  fortzu- 
nehmen,  den  Baldachin  zu  zerreiBen  oder  sich  Waffen  anzueignen, 
die  ihren  Hoflingen  angehorten,  da  der  Herzog  selbst  die  Absicht 
habe,  diese  Dinge  unter  das  Volk  zu  verteilen,  um  sich  nicht  iibler 
Nachrede  auszusetzen. 

DieFestlichkeiten,Balle,Turniere  und  Pferderennen  dauerten  zehn 
Tage,  waren  aber  ohne  rechte  Freudigkeit,  denn  das  Land  hatte 
sich  kaum  von  einem  groBen  Ungliick  einer  pestilenzartigen  Seuche 
erholt,  und  das  Elend  in  der  Stadt  war  so  furchtbar,  daB  die  Armen 
wahrend  der  Feste  durch  die  StraBen  liefen  und  um  Erbarmen  flehten, 
da  sie  Hungers  stiirben;  es  gab  keinen  Tag,  an  dem  man  nicht  vor 
irgend  einem  Portikus  die  Leichen  Verhungerter  gefunden  hatte. 
AuBerdem  triibte  ein  erneuter  Anschlag  auf  Alfonsos  Leben  die 
Feste.  Rom  ruhte  nicht:  der  papstliche  Gesandte  in  Bologna  hatte 
schon  wahrend  der  Feste  in  Modena  mit  einem  gewissen  Paolo 
Luzzesco  verabredet,  den  nach  Ferrara  heimkehrenden  Fiirsten  zu 
iiberfallen  und  zu  toten.  Alfonso  blieb  jedoch  am  vorherbestimmten 
Tage  in  der  Stadt,  und  der  Anschlag  wurde  entdeckt. 


246  ZEHNTES  KAPITEL 

Die  beiden  Este,  Vater  und  Sohn,  waren  unablassig  bemiiht, 
Renata  einen  giinstigen  Eindruck  von  Italien  zu  verschaffen. 
Ferrara  gehdrte  damals  zu  den  groBten  Stadten  von  Europa,  es  hatte 
sechzigtausend  Einwohner,  soviel  wie  Rom  unter  Leo  X.,  doch 
war  es  freilich  mit  Paris,  das  anfing  sich  zur  glanzendsten  Residenz 
zu  entwickeln,  nicht  zu  vergleichen.  Die  Este  furchteten  deshalb, 
daB  ihre  Stadt  auf  Renata  und  ihre  Umgebung  einen  traurigen  Ein- 
druck machen  wiirde,  und  suchtcn  ihr  die  ersten  Tage  im  fremden 
Lande  durch  Feste  zu  verschdnern.  Alfonso  war  Witwer,  und  da 
dem  ferraresischen  Hof  die  Hausfrau  fehlte,  kam  die  Markgrafin 
Isabella  aus  Mantua  zum  Empfang  der  Franzosin.  Da  infolge  der 
Seuche  viele  Familien  in  Trauer  waren  und  die  Stadt  einen  traurigen 
Eindruck  machte,  befahl  Alfonso,  alien  ohne  Ausnahme  wahrend 
des  Karnevals  bunte  Kleider  anzuziehen  und  in  festlichen  Ge- 
wandern  zu  Renatas  BegriiBung  an  den  FluB  zu  kommen.  Wer  es 
beim  Anblick  der  kiinftigen  Thronfolgerin  an  Freudenrufen  fehlen 
lieB,  verfiel  einer  Geldstrafe  von  fiinf  Skudi.  Ohne  Zweifel  wird 
Renata  beim  Einzug  in  Ferrara  einen  besonders  starken  Eindruck 
von  der  Lungenkraft  der  Bevblkerung  erhalten  haben. 

Wahrend  der  ersten  Wochen,  die  Renata  in  Ferrara  verlebte, 
arrangierte  Alfonso  Kavalkaden,  Balle  und  verschiedene  andere 
Zerstreuungen.  Am  groBartigsten  fiel  jedoch  ein  Fest  aus,  das 
Ercole  gab,  urn  dem  Vater  fur  seine  Miihe  und  die  liebenswiirdige 
Aufnahme  Renatas  zu  danken.  Die  Feier  begann  mit  einer  Auf- 
fiihrung  von  Ariosts  ,,Cassaria";  da  die  junge  Herzogin  kein  Italie- 
nisch  verstand,  muB  die  Frage  of  fen  bleiben,  wie  weit  sie  sich  dabei 
unterhalten  hat.  Das  der  Vorstellung  folgende  Bankett  iibertraf 
alles,  was  man  in  Ferrara  je  gesehen.  Allein  der  Haupttisch  war 
eine  Sehenswiirdigkeit.  Fiinfundzwanzig  groBe  Zuckerfiguren, 
Herkules'  Taten,  zogen  schon  von  weitem  alle  Aufmerksamkeit 
auf  sich,  und  was  soil  man  von  den  silbernen  Tafelaufsatzen,  den 
ungeheuren  Kandelabern  mit  weiBen  Wachskerzen,  der  Fiille 
der  Schiisseln  mit  kalten  Gangen  sagen?  Als  ersten  Gang  trug 
man  bei  Trompetenklangen  zehn  Gerichte  auf  je  25  Schiisseln  auf, 
wahrend  sie  serviert  wurden,  sang  Madonna  Dalida,  von  einem 
vortrefflichen  Quartett  begleitet.     Dann  servierte  man  noch  sechs- 


RENATA  DI  FRANCIA 


247 


trial  je  zehn  verschiedene  Gerichte  auf  25  Schiisseln.  Es  wurden 
also  im  ganzen  siebzig  verschiedene  Gerichte  serviert,  und  zu  jeder 
Schiisselserie  gab  es  einen  andern  musikalischen  GenuB.  Dazu  war 
ein  beriihrnter  spanischer  Narr  auf  einem  Dromedar  gekommen, 
um  die  Gaste  durch  seine  Scherze  zu  erheitern. 

Nach  dem  Dessert,  das  in  diese  Kiichenstatistik  nicht  aufge- 
nommen  wurde,  wurde  eine  ungeheure  Pastete  aufgetragen,  in  der 
sich  Geschenke  fiir  die  Festteilnehmer  befanden:  Kalsketten,  Arm- 
bander,  Ohrringe,  Barettagraffen,  im  Wert  von  zweihundert- 
fiinfzig  Skudi. 

Auf  die  erschbpfte,  schwachliche  Renata  muBten  diese  an- 
haltenden  Feste  einen  niederdriickenden  Eindruck  machen.  Von 
den  Tischen,  die  sich  unter  der  Last  der  Speisen  bogen,  unter- 
schied  sich  der  Palast,  der  ihr  als  Wohnung  angewiesen  war, 
in  seltsamster  Weise.  Das  ganze  Gebaude  war  so  verwahrlost, 
daB  die  Herzogin  eines  Nachts  ihr  Schlafzimmer  in  Eile  raumen 
muBte,  da  die  Decke  einzustiirzen  drohte.  Die  Franzosinnen,  die 
mit  Renata  nach  Ferrara  gekommen  waren,  schildern  die  Stadt 
in  den  schwarzesten  Farben.  Die  eine  berichtet,  Ferrara  sei  ein 
groBer  Misthaufen,  ein  Nest  von  Flohen  und  Wanzen,  mit  einer 
Unzahl  von  Miicken  als  Beigabe,  und  das  Quaken  der  Frosche 
und  Krachzen  der  Raben  hore  man  die  ganze  Nacht.  Trotz  der 
vierzehn  Ehrendamen  und  der  vielen  franzoeischen  Dienstboten 
fiihlte  Renata  sich  sehr  einsam  und  so  fremd  in  ihrer  neuen  Urn- 
gebung,  daB  sie  nicht  einmal  Lust  hatte,  Italienisch  zu  lernen. 
Die  ganze  Pariser  Kolonie,  die  Herzogin  an  der  Spitze,  hielt  sich  in 
echt  franzosisch-eingebildeter  Art  fiir  etwas  Hoheres  als  die  Italiener 
und  fiir  ein  Opfer  der  Politik.  Ja  noch  mehr,  Renata  selbst  betrachtete 
sich  nicht  als  italienische  Herzogin,  sondern  als  diplomatische  Ab- 
gesandte  des  franzosischen  Konigs,  die  auf  ihrem  neuen  Posten 
die  Interessen  Frankreichs  zu  vertreten  hatte. 

Schrieben  ihr  diese  Interessen  vor,  gegen  den  Papst  zu  sein, 
so  war  Renata  Roms  Feindin,  war  der  Kbnig  von  Frankreich  mit 
dem  Herzog  von  Ferrara  unzufrieden,  so  wurde  Renata  fast  zur 
Feindin  des  eignen  Gatten,  konspirierte  mit  seinen  Gegnern 
und  unterstiitzte  sie,  wo  immer  sie  konnte.     Trotz  ihrer  Gegner- 


248  ZEHNTES  KAPITEL 

schaft  gegen  den  Papst  hielt  sie  sich  sehr  eng  an  alle  kirchlichen 
Vorschriften,  sie  war  aberglaubisch,  trug  unter  ihren  Kleidern  eine 
Schnur,  mit  der  sich  der  heilige  Francesco  a  Paolo  gegiirtet  haben 
soil,  und  lieB  sich  aus  Chartres  zwei  Hemden  schicken,  genaht 
nach  der  Form  des  Hemdes  der  Mutter  Gottes,  das  sich  im  dortigen 
Domschatz  befand.  Diese  Anhanglichkeit  an  die  romisch-katho- 
liche  Kirche  hinderte  sie  nicht,  unmittelbar  nach  ihrer  Ankunft 
in  Ferrara  die  franzosischen  Emigranten,  die  Hugenotten,  za 
unterstutzen  und  zu  protegieren.  So  wurde  ihr  Hof  zur  Zufluchts- 
statte  der  Emigranten,  ihre  Zahl  wuchs  mit  jedem  Tage.  1529 
unterhielt  sie  beinahe  zweihundert  Personen;  in  ihrer  Umgebung 
befanden  sich  vier  Sekretare,  sieben  Ehrendamen,  drei  Kaplane, 
drei  Kleriker,  zwei  Kirchensanger,  sechs  Zimmermadchen,  sechs 
Kammerdiener,  drei  Tapezierer,  ein  Arzt,  ein  Apotheker  und  ein 
ganzer  Stab  von  Stall-  und  Kuchendienerschaft.  Der  Unterhalt 
dieses  Stabes  hat  jahrlich  50  909  Lire  verschlungen.  Die  wichtigste 
Personlichkeit  in  der  franzosischen  Kolonie  war  Madame  de  Soubise, 
Renatas  Freundin.  Renata  hatte,  kaum  drei  Jahre  alt,  ihre  Mutter 
verloren,  auf  dem  Totenbette  hatte  Anna  de  Bretagne  ihr  Kind  Frau 
von  Soubise  anvertraut,  die  gleichfalls  aus  der  Bretagne  stammte. 
Die  Soubise  war  seitdem  die  unzertrennliche  Gefahrtin  der  Prin- 
zessin,  in  Ferrara  aber  war  sie  ihr  boser  Geist,  sie  gestattete  ihr 
nicht,  ihre  Interessen  mit  denen  des  Herzogtums  von  Ferrara 
zu  identifizieren,  und  wachte  streng  dariibsr,  dafl  Renata  bei  jedem 
Schritt  eingedenk  bleibe,  daB  sie  Pionierin  des  franzosischen  Ein- 
flusses  in  Italien  sei.  Sie  gestattete  ihr  nicht  einmal,  sich  auf  portu- 
giesische  Art  anzuziehen,  der  damals  in  Italien  herrschenden  Mode, 
sondern  iiberredete  sie,  bei  franzosischen  Kleidern  zu  bleiben, 
die  ,,anstandiger  und  fester  anschlieBend  waren". 

Die  jedes  MaB  iibersteigenden  Ausgaben  fur  den  Unterhalt  des 
Hofes  und  der  ,,armen  Franzosen",  die  sich  von  alien  Seiten  um 
Renata  scharten,  boten  den  ersten  AnlaB  zu  MiBverstandnissen 
zwischen  den  Gatten,  besonders  da  Frau  von  Soubise  die  Herzogin 
gegen  ihren  Mann  aufhetzte.  Als  Ercole  diesen  schadlichen  EinfluB 
erkannte,  wollte  er  die  franzosische  Hofmeisterin  nach  Frank- 
reich  zuriickschicken,  aber  das  war  nicht  so  einfach,  da  der  Hof 


RENATA  DI  FRANCIA 
B1LDNIS  VON  IK.  CLOUET(?).  SAMMLUNG  FURST  CZARTORYSK1   IN  GOLUCHOW 


RENATADI  FRANCIA 


249 


von  Paris  sie  als  seine  geheime  politische  Agentin  betrachtete 
und  der  alte  Alfonso  eine  Vorliebe  fur  die  amiisante  Franzosin 
hatte,  die  ihn  durch  ihren  Witz  und  ihre  Lebhaftigkeit  zerstreute. 

Ercole  muBte  sich  furs  erste  mit  Madame  de  Soubise  abfinden, 
namentlich  da  der  KongreB  von  Bologna,  der  auch  fur  Ferraras 
Zukunft  wichtig  war,  seine  Gedanken  und  seine  Tatigkeit  vollauf 
in  Anspruch  nahm.  Ferrara  hatte  in  Klemens  VII.  einen  nicht 
weniger  hartnackigen  Gegner  als  in  Julius  II.  oder  Leo  X.  Der 
Papst  machte  seinen  ganzen  EinfluB  auf  dem  KongreB  geltend, 
um  nicht  nur  Ferrara  an  sich  zu  reiBen,  sondern  auch  Modena  dem 
Kirchenstaat  einzuverleiben.  Karl  V.  bedurfte  jedoch  des  esten- 
sischen  Staates,  um  das  Gleichgewicht  in  Italien  zu  erhalten;  er 
veranlafite  daher  den  Papst,  Alfonso  nach  wie  vor  Ferrara 
als  Lehen  zu  iiberlassen,  unter  der  Bedingung,  daB  der  Herzog 
dem  Papst  auf  der  Stelle  hunderttausend  Dukaten  auszahle  und 
ihm  fur  die  Zukunft  einen  Tribut  von  siebentausend  verbiirge. 
Modena,  Reggio  und  Rubiera  sollten  den  Este  auch  in  Zukunft  als 
kaiserliches  Lehen  gehoren.  SchlieBlich  sollte  der  Papst  Alfonso 
AblaB  fur  alle  Siinden  erteilen,  die  er  gegeniiber  der  romischen 
Kurie  begehen  wiirde,  vorausgesetzt,  daB  der  Herzog  um  diese 
Entsiindigung  einreiche.  Alfonso  fiigte  sich  den  kaiserlichenBeschlus- 
sen,  der  Papst  nahm  das  Geld  zwar  als  ,, Depot",  schloB  aber  keinen 
KompromiB,  um  sich  die  Hande  nicht  fur  die  Zukunft  zu  binden. 
Tatsachlich  behielt  Alfonso  seinen  Besitz;  die  Freude  in  Ferrara 
war  dariiber  sehr  groB,  und  der  Hof  ward  wieder  lebendig.  Bankette, 
Maskeraden,  Komodien,  Moresken,  Turniere,  Konzerte  drangten 
einander,  und  Literaten  und  Gelehrte  versammelten  sich  im  Winter 
fast  jeden  Abend  bei  Ercole,  so  daB  Ferrara  Italiens  Salon  genannt 
wurde. 

Das  Verhaltnis  zu  Frau  von  Soubise  spitzte  sich  immer  mehr 
zu.  Sie  hatte  einen  Sohn  und  zwei  Tochter;  Anna  de  Parthenay,  die 
altere,  war  mit  Antonio  de  Pons,  dem  Grafen  de  Marennes,  einem 
Edelmann,  der  am  franzosischen  Hofe  lebte,  verlobt.  Anna  war  bei 
ihrer  Mutter  in  Ferrara,  de  Pons  in  Frankreich,  die  Hochzeit  wurde 
immer  wieder  hinausgeschoben,  weil  Ercole,  wie  Frau  von  Soubise 
behauptete,  de  Pons  nicht  in  Ferrara  haben  wollte.      Die   Sache 


250 


ZEHNTES  KAPITEL 


ging  bis  zu  Kbnig  und  Papst.  Klemens  war  damals  in  Marseille 
und  bekundete  in  ziemlich  ungewbhnlicher  Weise  seine  Sympathie 
fur  ,, seine  geliebte  Tochter,  Anna  de  Parthenay,  voller  Tugenden 
und  Wissen".  In  einem  besonderen  Breve  vom  10.  November  1533 
erteilte  der  Papst  ihr,  dem  Grafen  de  Pons  und  vier  anderen  Personen, 
die  sie  nach  Gutdiinken  zu  bestimmen  hatte,  das  Recht,  sich  einen 
Beichtiger  zu  wahlen,  der  die  Befugnis  hatte,  zu  entsiihnen  ,,Mord, 
Ehebruch,  Kirchenschandung,  geistlichen  Personlichkeiten  zu- 
gefiigte  Gewalt  (mit  Ausnahme  von  Bischdfen),  iiberhaupt  Ver- 
brechen  jeder  Art,  die  sie  begehen  konnten".  Der  Papst  setzte  also 
viel  voraus  und  verzieh  noch  mehr,  und  das  Ehepaar  de  Pons  durfte 
viel  siindigen  im  BewuBtsein,  Verzeihung  zu  erlangen.  Der  Papst 
wuBte  damals  nicht  und  hatte  diesem  Umstand  vielleicht  auch  nicht 
Gewicht  genug  beigelegt,  daB  Frau  von  Soubise  und  ihre  Tochter 
Anna  Calvins  Freundinnen  waren. 

Dieser  Gnadenbeweis  des  Papstes  raumte  alle  Hindernisse  aus  dem 
Wege,  und  der  Graf  Pons  begab  sich  unverzuglich  nach  Ferrara. 
Dort  war  alles  freudig  bewegt,  da  Renata  am  22.  November  1533 
einen  Sohn,  Alfonso  II.,  geboren  hatte,  der  Ferraras  letzter  Herzog 
sein  sollte.  Zur  Taufe  hielt  ihn  der  Erzbischof  Ippolito  d'Este, 
als  Vertreter  des  Konigs  von  Frankreich. 

Die  Trauung  von  de  Pons  und  von  Anna  de  Parthenay  fand  in  den 
ersten  Tagen  des  Jahres  1534  statt.  Ercole  wollte  dieser  Festlich- 
keit  nicht  beiwohnen  und  ging  fur  kurze  Zeit  nach  Venedig.  Das 
junge  Paar  blieb  in  Ferrara,  und  Frau  von  Soubise  erlebte  einen 
vollkommenen  Triumph,  besonders  da  ihr  Schwiegersohn  der  fast 
offizielle  Agent  des  Konigs  von  Frankreich  war. 

Alfonso  hatte  den  Wunsch,  ein  Biindnis  mit  Venedig  zu  schlieBen. 
Ercoles  Reise  in  die  Lagunenstadt  hatte  also  einen  bestimmten 
Zweck,  und  selbst  die  Herzogin  Renata  wurde  spater  in  Gesellschaft 
des  Erzbischofs  Ippolito  und  Francesco  d'Estes  hingeschickt,  um  der 
machtigen  Nachbarstadt  zu  schmeicheln.  Die  Republik  empfing 
die  franzosische  Konigstochter  aufs  groBartigste,  der  Doge,  Andrea 
Gritti,  entbloBte  sein  Haupt  vor  ihr,  was  eine  ungewohnliche  Aus- 
zeichnung  war;  der  Rat  der  Zehn  lieB  einen  Teil  der  Rialto-Briicke 
auseinandernehmen,   damit  der   Bucentaur,   der   Renata  trug,  vor 


RENATA  DI  FRANCIA  251 

dem  estensischen  Palast  anlegen  konne;  es  wurde  getanzt,  der  Canale 
grande  mit  Fackeln  beleuchtet,  Freudenschiisse  abgebrannt  —  aber 
die  venezianische  Regierung  wollte  nicht  verstehen,  dafi  es  den 
Este  urn  ein  Biindnis  zu  tun  war. 


II 

Etwa  gleichzeitig  starben  Klemens  VII.  und  Alfons  I.,  der  Papst 
am  25.  September,  Alfonso  am  28.  Oktober  1534.  Ferrara  verlor 
einen  seiner  tuchtigsten  und  tapfersten  Herrscher,  aber  auch  einen 
seiner  erbittertsten  Gegner.  Der  sterbende  Alfonso  hatte  noch  die 
Freude,  daB  sein  Freund,  der  Kardinal  Farnese,  als  Paul  III.  auf 
den  papstlichen  Stuhl  kam. 

Renata  vermachte  Alfonso  ,,als  Beweis  seiner  herzlichen  Zu- 
neigung"  ein  kostbares  Kleinod,  das  ihrer  wiirdig  war.  Die  Testa- 
mentsvollstrecker  sollten  es  unter  seinen  hinterlassenen  Schatzen 
nach  Gutdiinken  auswahlen. 

Unmittelbar  nach  Alfonsos  Tod  versammelte  Graf  Sacrato, 
der  Giudice  de1  savi,  den  groBen  Rat,  und  bei  Trompetenschall 
wurde  Ercole  zum  Nachfolger  ausgerufen.  Der  neu  erwahlte  Herzog 
trat  auf  die  Plattform  der  SchloBtreppe,  ganz  in  weiB  gekleidet, 
den  Mantel  uber  die  Schulter  geworfen,  mit  kostbaren  Juwelen 
am  Barett,  dann  bestieg  er  sein  Pferd  und  ritt  durch  die  ganze  Stadt; 
zu  seiner  Rechten  hielt  sich  sein  Oheim,  der  Erzbischof,  zu  seiner 
Linken  der  mailandische  Gesandte. 

Das  herzogliche  Pferd  trug  eine  weiBe  Schabracke,  und  ein 
weiBer  Federbusch  nickte  auf  seinem  Kopf.  Vor  der  Kathedrale 
machte  der  Herzog  Halt,  stieg  vom  Pferd,  trat  ins  Heiligtum  und 
empfing  dort  den  Treuschwur  vom  Richter  der  Savi,  als  Vertreter 
des  ferraresischen  Volkes.  Ins  SchloB  kam  er  zu  FuB  zuriick, 
da  das  Volk  alter  Sitte  gemaB  das  herzogliche  Pferd  fortgefiihrt 
und  den  Baldachin  in  Stiicke  gerissen  hatte,  alles  zum  Andenken. 

Diesmal  vergaB  Renata  Frankreichs,  sie  erwartete  ihren  Gatten 
in  einer  kostbaren,  golddurchwebten  Robe  mit  langen,  geschlitzten, 
zobelgefvitterten  Armeln.     Die  Herzogin  war  von  ihren  schonsten 


252  ZEHNTES  KAPITEL 

Damigellen  und  hundert  der  vornehmsten  Frauen  Ferraras  urn- 
geben.  Als  Ercole  in  den  Saal  trat,  warf  sie  sich  ihm  urn  den  Hals, 
sie  umarmten  sich  und  waren  so  geruhrt,  daB  sie  Tranen  in  den 
Augen  hatten.  Doch  waren  dies  nur  voriibergehende  Empfindungen, 
nach  dem  Begrabnis  des  Vaters,  bei  dem  eine  ungeheure  Pracht 
entfaltet  worden  war,  begann  Ercole,  den  jetzt  keinerlei  auBerer 
Zwang  hinderte,  einen  scharfen  Krieg  gegen  die  Franzosen,  die 
ihm  das  Leben  vergifteten.  Diesmal  ohne  Riicksichtnahme  auf 
Franz  I.,  der  ihn  immer  getauscht,  keine  seiner  Zusagen  gehalten 
und  ihn  mit  einer  Schar  franzosischer  Spione  umgeben  hatte. 
Namentlich  war  es  ihm  darum  zu  tun,  die  Soubise  los  zu  werden. 
Ercole  machte  ihr  zum  Vorwurf,  daB  sie  seinen  Ruf  durch  ihre 
Klatschereien  schadige,  und  nach  Frankreich  berichte,  daB  er  seine 
Frau  schlecht  behandle  und  keine  franzdsische  Dienerschaft  um 
sie  dulden  wolle.  Frau  von  Soubise  wieder  konnte  sich  bei  Franz  I. 
liber  Ercoles  schlechte  Behandlung  beklagen,  sie  miisse  sogar 
Zoll  fur  die  Kleider  bezahlen,  die  sie  aus  Frankreich  kommen  lasse. 
Tatsachlich  erhob  Ercole  Zoll  von  Frau  von  Soubise,  da  die  schlaue 
Franzosin  den  Schmuggel  in  groBem  MaBe  betrieb,  und  eine  Un- 
masse  von  Dingen  aus  Frankreich  zum  Verkauf  einfuhrte,  unter  der 
Vorspiegelung,  sie  fur  ihren  eigenen  Bedarf  zu  verwenden.  Frau 
von  Soubise  fiihlte  sich  durch  diese  Beschuldigung  verletzt,  sie  be- 
schloB,  Ferrara  zu  verlassen,  aber  als  der  Tag  ihrer  Abreise  ge- 
kommen  war,  blieb  sie  ruhig  in  Ferrara,  namentlich  da  Ercole  nach 
Rom  gehen  muBte,  um  sich  beim  neuen  Papst  um  die  Investitur 
von  Ferrara  zu  bemuhen,  die  Klemens  VII.  trotz  des  empfangenen 
Geldes  nicht  bewilligt  hatte.  Paul  III.  blieb  der  Politik  seines  Vor- 
gangers  treu,  er  wollte  Geld  haben,  aber  dachte  nicht  daran,  die 
Investitur  zu  verleihen.  Des  Handelns  mit  dem  Papst  mude,  verlieB 
Ercole  plotzlich  Rom  und  ging  nach  Neapel,  wo  Karl  V.  sich  auf- 
hielt.  Der  Kaiser,  der  gleichfalls  in  Geldnoten  war,  empfing  den 
Herzog  sehr  liebenswiirdig,  da  auch  er  Geld  brauchte,  und  nach 
kurzen  Verhandlungen  erteilte  er  ihm  die  Investitur  fur  alle  Lander, 
die  der  Herzog  besaB.  Ercole  wurde  ungeheure  Summen  los,  und 
ein  Teil  des  vaterlichen  Erbes  floB  diesmal  nicht  in  den  papstlichen, 
sondern  in  den  kaiserlichen   Sackel.      Rabelais,  der  am  Hofe  des 


RENATA  DI  FRANCIA 


253 


Kardinals  du  Bellay  in  Rom  war,  schrieb  damals  nach  Paris,  ,,der 
Herzog  miisse  die  Taler  hergeben,  die  er  von  seinem  seligen  Vater 
geerbt,  da  ihn  der  Papst  und  der  Kaiser  nach  Gutdiinken  rupfen", 
,,le  Pape  et  l'Empereur  le  plumeront  a  leur  vouloir".  Ercole  schloB 
sich  ganz  dem  Kaiser  an,  beschloB  dessen  Politik  zu  fordern  und 
mit  den  Franzosen  zu  brechen. 

Wahrend  der  Herzog  ins  kaiserliche  Lager  iibergegangen  war, 
trieb  Frau  von  Soubise  auf  eigne  Faust  Politik  in  Ferrara.  Um 
in  Frankreich  den  Eindruck  von  Ercoles  Reise  nach  Neapel  ab- 
zuschwachen,  kam  sie  auf  den  Einfall,  daB  Renata  nach  Lyon, 
wo  sich  Franz  I.  aufhielt,  reisen  sollte.  Als  Ercole  in  Rom  von  dieser 
Intrigue  erfuhr,  ging  er  sofort  nach  Ferrara  zuriick,  widersetzte 
sich  diesem  Plan  energisch,  und  selbst  Franz  I.  uberredende  Briefe 
niitzten  nichts.  Ercole  erwiderte  schroff:  ,,in  Italien  sei  es  Sitte, 
daB  die  Mutter  ihre  Kinder  hiite  und  sich  nicht  auf  Reisen  be- 
gebe,  auBerdem  konne  die  beschwerliche  Reise  nach  Frankreich 
iiber  Berge  und  durch  unruhige  Lander  Renatas  schwacher  Gesund- 
heit  schaden".  Ercole  zwang  Frau  von  Soubise  trotz  Renatas 
Widerspruch,  sofort  abzureisen;  die  intrigante  Franzosin  muBte 
am  20.  Marz  1536  die  Stadt  der  Frosche  und  Miicken  verlassen.  Die 
Herzogin  beschenkte  sie  reichlich  zum  Abschied,  lieB  ihr  eine  be- 
queme  Sanfte  bauen  und  schenkte  ihr  3500  Lire  in  Bargeld. 

Die  erzwungene  Trennung  von  der  Soubise  traf  Renata  tief, 
sie  ziirnte  ihrem  Manne,  verlieB  nach  der  Abreise  der  Gefahrtin 
langere  Zeit  ihre  Gemacher  nicht,  wollte  niemand  sehen,  und  lebte 
nur  in  der  Gesellschaft  der  franzosischen  Damen. 

Die  Abreise  der  Soubise  befreite  Ercole  von  den  gefahrlichen 
Franzosen  nicht,  es  war  nicht  so  leicht,  sie  los  zu  werden,  wie  er 
geglaubt  hatte.  Wahrend  der  letzten  Monate  ihres  Aufenthaltes 
in  Ferrara  hatte  Frau  von  Soubise  mit  Renatas  Einwilligung  den 
Dichter  C16ment  Marot  eingefiihrt,  der  wegen  der  sogenannten 
,, affaire  des  Placards"  aus  Frankreich  hatte  fliichten  miissen.  Im  Ok- 
tober  des  Jahres  1534  hatte  man  in  Paris  an  den  Mauern  des  Louvre 
Plakate  angebracht,  in  denen  die  Religion  und  die  Messe  verhohnt 
wurden;  die  Heretiker  hatten  sogar  gewagt,  diese  Plakate  in  die 
koniglichen   Zimmer  in   Blois  zu  werfen.      Marot,   der  die  Wiirde 


254 


ZEHNTES  KAPITEL 


eines  ,, valet  de  chambre  du  roi"  inne  hatte,  wurde  verdachtigt,  zu 
den  Urhebern  dieser  Religionslasterung  zu  gehoren,  und  da  der 
Dichter  dem  Tod  auf  dem  HolzstoB  entrinnen  wollte,  verlieB  er 
Paris  in  eiliger  Flucht  und  verbarg  sich  bei  der  Konigin  von  Navarra. 
Aber  Margaretha  fiirchtete,  ihren  Bruder  Franz  I.  zu  beleidigen  und 
gab  dem  Ketzer  nur  ungern  Obdach.  Gern  folgte  Marot  der  Ein- 
ladung  der  Soubise  und  kam  nach  Ferrara  mit  seinem  funfzehn- 
jahrigen  Sonne,  seinem  Freund  Lg'on  Jamet  und  einigen  anderen 
Literaten  und  Theologen,  die  als  Ketzer  aus  der  Heimat  verbannt 
war  en. 

Der  erzkatholische  estensische  Hof  wurde  der  Sammelpunkt 
franzosischer  Emigranten,  die  mit  Luther  im  Einvernehmen  standen, 
gegen  den  Papst  kampften  und  den  Unglauben  verbreiteten.  Ercole 
wuBte  nicht,  wer  Marot  sei;  er  hielt  ihn  fur  einen  Franzosen  wie  die 
vielen  anderen  auch,  die  ihn  argerten,  und  erst  der  ferraresische 
Gesandte  in  Venedig  warnte  ihn  im  August  1535  vor  Marot,  der 
zu  den  Anhangern  Luthers  gehore,  aus  Frankreich  verbannt  sei, 
und  ,,leicht  nach  Ferrara  jene  Seuche  einschleppen  konne,  die 
unser  Herrgott  nicht  wiinsche".  Aber  der  Herzog  fiirchtete  jene 
transalpine  Krankheit  nicht,  noch  hatte  er  keine  Vorstellung  von 
der  Bedeutung  der  reformatorischen  Bewegung,  und  so  beschrankte 
er  sich  darauf,  Marot  und  seinen  Gefahrten  das  Versprechen  ab- 
zufordern,  daB  sie  in  Ferrara  als  gute  Christen  leben  wiirden.  Der 
Dichter  versuchte  gleich,  sich  bei  der  Herzogin  und  bei  Ercole  durch 
Gedichte  einzuschmeicheln.  Renata  war  seine  gereimte  Lobes- 
epistel  auf  Ferrara  gewidmet: 

En  traversant  ton  pays  plantureux, 
Fertile  en  biens,  en  dames  bien  heureux, 
Et  bien  seme  de  peuple  obeyssant, 
Le  tien  Marot  (fille  de  Roy  puissant) 
S'est  enhardy,  voir  et  a  proteste, 
De  saluer  ta  noble  Majeste. 

Marot  war  in  Frankreich  als  Dichter  ziemlich  bekannt.  In  seinen 
Gedichten  sparte  er  den  Weihrauch  fur  die  hofischen  Schonen  nicht; 
er  war  klein  und  haBlich,  aber  fest  da  von  iiberzeugt,  daB  alle  Frauen 


RENATA  DI  FRANCIA  255 

ihn  lieben,  iibrigens  verstand  er  durch  sein  joviales  und  amiisantes 
Wesen  die  Menschen  fur  sich  einzunehmen.  In  seiner  Jugend  hatte 
er  in  Paris  die  Reize  von  Diane  de  Poitiers  besungen,  spater  hatte 
er  Margaretha,  der  Schwester  Franz  L,  gehuldigt,  die  ihn  am  Hofe 
untergebracht  hatte;  er  nahm  teil  am  italienischen  Feldzug  von 
1525,  geriet  bei  Pavia  in  Gefangenschaft  und  teilte  das  Los  seines 
Konigs.  In  Frankreich  wurde  er  nach  seiner  Riickkehr  der  Ketzerei 
verdachtigt  und  gefangen  genommen;  Diane  de  Poitiers,  die  seine 
Feindin  geworden  war,  soil  ihn  angegeben  haben;  seinem  Freunde, 
Lyon  Jamet,  gelang  es,  ihn  frei  zu  bekommen;  bald  schienen  beide 
dem  Hofe  gefahrlich  und  muBten  wegen  der  ,,Plakate"  aus  dem 
Lande  fliichten.  Renata  ernannte  Marot  zu  ihrem  Sekretar  mit 
einem  Einkommen  von  200  Lire  jahrlich.  Aus  Freude  dariiber, 
schrieb  er  ein  Epigramm.  Er  hatte  audi  alle  Ursache  zur  Freude, 
denn  dieses  Amt  legte  ihm  keinerlei  Pflichten  auf,  und  er  wird 
wohl  wahrend  seiner  ganzen  Dienstzeit  bei  Renata  keinen  einzigen 
Brief  fur  sie  geschrieben  haben.  Das  erschien  ihm  wie  den  meisten 
anderen  Hofdichtern  als  etwas  Selbstverstandliches,  denn  fur  die 
herzogliche  ,,nourriture"  zeigten  sie  sich  durch  ihre  ,,ecriture" 
erkenntlich.  Marot  verliebte  sich  in  Ferrara  in  Frau  de  Pons, 
und  da  er  wenig  Gegenliebe  fand,  wandte  er  seine  Gefiihle  der  ko- 
ketten  Renata  zu,  Frau  von  Soubises  jiingerer  Tochter.  Die  Frauen 
hatten  viel  Sympathie  fur  ihn,  und  er  beniitzte  diese  Gelegenheit, 
um  ihnen  seine  religiosen  Ideen  einzuimpfen,  deren  Verbreitung 
ihm  sehr  am  Herzen  lag.  Namentlich  bemiihte  er  sich,  die  Herzogin 
zu  seinem  Glauben  zu  bekehren,  was  ihm  nicht  schwer  fiel,  denn 
sie  glaubte  an  alles,  was  aus  Frankreich  kam,  und  die  Entfremdung, 
die  zwischen  ihr  und  Ercole  eingetreten  war,  fesselte  sie  noch  enger 
an  die  Heimat.  Renata  war  freier  erzogen  als  Ercole  und  seine  ganze 
Umgebung;  mit  ihrem  Mann  konnte  sie  nicht  iiber  religiose  Dinge 
sprechen,  wahrend  sie  Marot  und  den  anderen  Franzosen  von  ihren 
Zweifeln  sprach  und  den  Papst  und  kirchliche  Brauche  scharf 
kritisierte.  Sie  war  eine  ernste  Frau,  hat  sich  von  friih  auf  mit 
Wissenschaften,  namentlich  mit  Mathematik  und  Astrologie, 
beschaftigt  und  ihr  lebhafter  Geist  ergrif f  alle  neuen  Ideen  mit  groBem 
Eifer.     Brantome  erzahlt  in  seiner  ,,Vie  des  dames  illustres",  daB 


256  ZEHNTES  KAPITEL 

Renata  grundlich  iiber  alle  Wissenszweige,  selbst  iiber  Astrologie, 
sprechen  konnte.  In  Paris  hatte  sie  den  Ferraresen  Antonio  Bra- 
savola  kennen  gelernt,  der  dort  estensischer  Gesandter  war,  und  in 
einer  groBen  Versammlung  von  Gelehrten  und  anderem  Publikum 
hundert  Thesen  aus  den  ve'rschiedensten  Wissenszweigen  ver- 
teidigte.  Allmahlich  wurde  Renatas  Hof  ein  Mittelpunkt  fiir  die 
Gegner  des  Katholizismus,  und  Marot  fachte  immer  wieder  die 
Flamme  an.  Der  Dichter  war  nicht  Theologe  wie  Calvin  oder 
Luther,  und  es  war  ihm  weniger  um  philosophisch-theologische 
Grundsatze  als  um  Gewissensfreiheit  zu  tun.  Sein  Freiheits- 
drang  emporte  sich  gegen  den  Druck  der  Kirche,  gegen  die  Ge- 
lehrten der  Pariser  Sorbonne,  die  das  Studium  des  Griechischen 
und  Hebraischen  verboten,  aus  Angst,  die  Kritik  der  Bibel  und  der 
Kirchenvater  konne  zur  Heresie  fuhren. 

Est  deffendu  qu'on  ne  voyse  allegant 
Hebrieu  ny  Grec,  ny  Latin  elegant 
Disant  que  c'est  langage  d'heretiques. 

Unmittelbar  vor  der  Geburt  von  Renatas  drittem  Kind  (1535) 
widmet  ihr  Marot  ein  kiihnes  Gedicht,  indem  er  dem  kommenden 
Kinde  ein  schweres  Leben  prophezeit,  denn  es  wiirde  den  Kampf 
aufnehmen  miissen,  ,,contre  ignorance  et  sa  troupe  insensee". 
Der  Dichter  widersetzte  sich  zwar  dem  Biindnis  mit  den  deutschen 
Protestanten  und  fiihlte  sich  als  Gegner  Luthers,  aber  dafiir  war 
er  von  Calvins  Ideen  erfiillt,  die  alle  auBeren  Formen  der  katho- 
lischen  Kirche  bedrohten  und  die  Messe  als  heidnische  Institution 
verwarfen. 

Die  franzosischen  Ketzer  in  Ferrara:  Marot,  Jamet,  la  Planche, 
Cornilau,  Bouchefort,  Pons,  Boutiers  konnten  unmoglich  der  Auf- 
merksamkeit  der  Geistlichkeit  entgehen,  die  sowohl  aus  Ferrara 
wie  aus  Bologna  nach  Rom  von  den  beunruhigenden  Versamm- 
lungen  an  Renatas  Hof  berichtete.  Einige  Kardinale  schrieben 
an  Ercole,  er  miisse  diesem  Argernis  ein  Ende  machen,  da  der 
Papst  wohl  wisse,  was  in  Ferrara  vorgehe  und  nicht  dulden  konne, 
daB  gerade  in  dem  Lande,  das  der  romischen  Kurie  unterstiinde, 
der  Kirche  feindliche  Ideen  propagiert  wiirden. 


RENATA  DI  FRANCIA  257 

III 

Ferrara  war  seit  jeher,  soweit  sein  geistiges  Leben  in  Frage 
kam,  in  Rom  schlecht  angeschrieben.  Auf  der  dortigen  Universitat 
und  unter  den  dortigen  Gelehrten  herrschte  schon  unter  Ercole 
und  Alfonso  I.  ein  sehr  liberaler  Geist,  und  namentlich  mathema- 
tische  und  astrologische  Studien  standen  dort  in  hohem  Ansehen. 
Auch  aus  dem  Norden  kamen  viel  Schiiler;  so  war  der  Gedanken- 
austauscb  zwischen  Deutschland,  Frankreich  und  der  ferraresischen 
Universitat  ein  sehr  reger. 

Der  Kardinal  Ippolito  hatte  151 8  den  beriihmten  deutschen 
Astronom  Jakob  Ziegler  aus  Ungarn  mitgebracht,  und  im  Beginn 
des  Jahrhunderts  hatte  Kopernikus  seinen  Doktorgrad  in  Ferrara 
erworben,  damals  als  die  Gedankenfreiheit  der  Renaissance  all- 
mahlich  zu  Ende  ging.  Schon  im  Jahre  1521  befahl  Alfonso  in- 
folge  der  Vorstellungen  des  Inquisitors  von  Bologna  samtliche 
Druckereien  und  Buchhandlungen  Ferraras  daraufhin  zu  revidieren, 
ob  sie  ketzerische  Biicher  vertrieben,  und  etwa  zwanzig  Jahre  spater 
muBte  Cecco  d'Ascoli  sein  Forschen  nach  Naturgesetzen  auf  dem 
Scheiterhaufen  biiBen.  Wer  weiB,  ob  nicht  auch  Kopernikus  das 
gleiche  Schicksal  ereilt  hatte,  wenn  er  sein  Buch  nicht  Paul  III., 
dessen  Namen  Schutz  genug  war,  gewidmet  hatte.  Aber  in  diesen 
letzten  Augenblicken  der  Gedankenfreiheit  garte  es  gewaltig  unter 
den  Geistern;  Pietro  Pomponazzi,  ein  beruhmter  Philosoph,  der  erst 
in  Bologna,  dann  bis  1510  an  der  Universitat  in  Ferrara  gelesen 
hat,  leugnete  die  Unsterblichkeit  der  Seele.  Der  ferraresische 
Professor  und  bekannte  Gelehrte  Celio  Calcagnini  verteidigte  seine 
beruhmten  Thesen  von  der  Bewegung  der  Erde,  zu  denen  ihm,  wie 
es  scheint,  die  Kunde  von  Kopernikus'  Feststellung  verholfen  hat1). 

*)  Nach  der  Annahme  von  L.  A.  Birkenmajer  in  seinem  grundlegenden 
Werk  „Nikolaj  Kopemik"  hat  Calcagnini  entweder  151 8,  wahrend  seines 
Aufenthaltes  in  Ungarn  und  Krakau,  oder  151 9  auf  seiner  Riickreise  nach 
Italien  von  Kopernikus'  Entdeckungen  durch  den  gelehrten  Arzt  Solfa  er- 
fahren  und  spater  seine  Kenntnisse  in  seinen  Vortragen  in  Ferrara  ver- 
wertet,  sowie  in  der  Abhandlung,  die  er  Pistofilo  unter  dem  Titel  gewidmet 
hat:  „Quod  coelum  stet,  terra  autem  moveatur,  vel  de  perenni  motu 
terrae  commutatio". 

17 


258  ZEHNTES  KAPITEL 

Der  Ruhm  der  ferraresischen  Universitat,  als  Mittelpunkt  fiir 
mathematische  und  astronomische  Studien,  war  so  groB,  da8  Paul  III., 
als  er  die  Kalenderreform  begann,  die  erst  unter  Gregor  XIII. 
ihren  AbschluB  fand,  zu  den  Gelehrten,  die  sich  mit  der  Losung  dieser 
Frage  beschaftigten,  auch  einen  Ferraresen,  Insoni,  berief. 

Auch  Renata  beschaftigten  diese  Studien;  da  sie  ihre  astrolo- 
gischen  Kenntnisse  als  ungeniigend  empfand,  bat  sie  Lukas  Gaurico, 
einen  neapolitanischen  Gelehrten,  der  an  der  Universitat  in  Ferrara 
dozierte,  sie  in  die  geheimsten  Geheimnisse  seiner  Wis^senschaft 
einzufiihren.  Gauricos  astrologische  Prophezeiungen  vvaren  be- 
riihmt,  doch  muBte  er  gelegentlich  fur  seine  Kenntnisse  biiBen; 
so  hatte  Bentivoglio  ihm  fur  sein  ungiinstig  lautendes  Horoskop 
Rutenstreiche  verabreichen  lassen.  Auch  ein  anderer,  sehr  revo- 
lution^ gesinnter  Universitatsprofessor,  Palingenio  Stellato  (Man- 
zolli) ,  stand  in  Renatas  Gunst;  in  Rom  erregte  es  groBes  Argernis, 
als  dieser  Gelehrte  Renata  sein  Buch  ,,Zodiacus  vitae"  widmete, 
denn  er  sprach  uber  das  Monchstum  in  unflatigsten  Ausdriicken, 
nannte  den  Papst  einen  Heiden  und  Luther  den  Racher  des  Glaubens. 
DaB  Renata  Bucher  dieser  Art  mit  einer  gewissen  Vorliebe  durch- 
gesehen  hat,  beweist  ihre  ,,Livre  d'heures",  die  sich  heute  in  der 
Bibliothek  von  Modena  befindet.  Eine  der  Miniaturen  zeigt  einen 
Kardinal,  der  mit  dem  Papst  Karten  spielt,  wahrend  die  Monche 
sich  beim  Wurfelspiel  ergotzen.  Im  Hintergrund  ziingeln  Flammen 
aus  dem  Boden  und  ergreifen  eine  reich  geschmuckte  Kirche;  auf 
dem  Boden  liegt  eine  Uhr,  die  die  letzte  Stunde  zeigt:  das  Ende  der 
Zeiten. 

Renatas  Beziehungen  zu  den  Feinden  der  Kirche  muBten- 
auffallen  und  bereiteten  Ercole  sicher  Sorge  genug. 


IV 

Frau  Soubise,  Frau  Pons  und  Marot  glaubten,  daB  Renata  bereits 
geniigend  vom  Geist  der  Reformation  erfiillt  und  daher  der  Zeit- 
punkt  gekommen  sei,  um  Calvin  nach  Ferrara  zu  rufen.  Sie  standen 
in  geheimer  Verbindung  mit  ihm  und  glaubten  seine  Wirksamkeit 


RENATA  DI  FRANCIA 


259 


in  Italien  jetzt  in  groBerem  Umfang  einleiten  zu  konnen.  Calvin 
hatte  seine  beriihmte  Abhandlung  ,,Christianae  religionis  insti- 
tutio"  soeben  veroffentlicht  und  sich  in  der  Einleitung  an  den  Konig 
von  Frankreich  gewandt,  den  er  davon  uberzeugen  wollte,  daB  er 
in  der  Verfolgung  der  kirchlichen  Reformatoren  Irrwege  gehe. 
Sein  EinfluB  in  der  Schweiz,  in  Savoyen  und  Frankreich  wuchs 
mit  jedem  Tage,  immer  mehr  Jiinger  scharten  sich  um  den  neuen 
Apostel.  Nach  Ferrara  kam  er  mit  einem  seiner  treuesten  An- 
hanger,  dem  Kanonikus  Tillet,  und  lebte  dort  unter  fremdem 
Namen,  um  in  der  Stille  wirken  zu  konnen.  Renata  empfing  ihn 
insgeheim,  nachts,  versah  ihn  mit  Geld  und  faBte  in  langeren 
Unterredungen  ein  solches  Vertrauen  zu  ihm,  daB  sie  seitdem  fur 
immer  unter  seinem  EinfluB  blieb. 

Calvins  Anhanger  befolgten  die  Taktik,  in  den  Ortschaften,  wo 
sie  mehrere  Freunde  zahlten,  wahrend  der  groBen  Kirchenfeste, 
namentlich  in  der  Charwoche  und  an  den  Ostertagen  in  die  Kirchen 
zu  dringen.  In  der  allgemeinen  Verwirrung  zertrummerten  sie  die 
Kirchengerate,  und  wenn  die  Bevolkerung,  die  in  der  Hauptsache 
schon  vorher  gewonnen  war,  keinen  Widerstand  leistete,  wurde 
der  neue  Kult  sofort  eingefiihrt. 

Gelang  der  Uberfall  nicht,  so  fluchteten  die  Sektierer,  haufig 
nicht  ohne  empfindliche  Verluste. 

Calvins  ferraresische  Freunde  scheinen  den  Augenblick  schon 
fur  geeignet  gehalten  zu  haben,  um  einen  Uberfall  in  der  Kirche 
zu  wagen  und  die  allgemeine  Verwirrung  zu  beniitzen.  Am  Charfrei- 
tag,  wahrend  die  ,,Passionen"  in  einer  der  Hauptkirchen  gesungen 
wurden  und  der  Priester  den  versammelten  Glaubigen  das  Kreuz 
zum  Kusse  reichte,  begann  ein  junger  Franzose,  Gianetto,  den 
Marot  mitgebracht  hatte,  laut  gegen  ,,ein  solches  Heidentum" 
zu  lastern.  Dann  verlieB  er  demonstrativ  die  Kirche.  Ob  es  infolge- 
dessen  zu  einem  weiteren  VorstoB  gekommen  ist,  wissen  wir  nicht. 
Gianetto  war  Hofsanger  und  fiihrte  ein  sehr  unsittliches  Leben,  so 
daB  man  ihn  schon  wiederholt  aus  Ferrara  hatte  entfernen  wollen, 
aber  auf  Renatas  Fiirsprache  war  er  im  Dienst  geblieben. 

Nach  dem  Argernis  in  der  Kirche  lieB  der  Herzog  Gianetto 
sofort  gefangen  nehmen,  und  da  sich  der  Inquisitor  in  die  An- 

17* 


260  ZEHNTES  KAPITEL 

gelegenheit  mischte,  wurde  er  am  zweiten  Ostertag  auf  die  Folter 
gelegt,  da  man  wissen  wollte,  ob  er  Mitschuldige  habe.  Gianetto 
nannte  einige  von  Renatas  Hoflingen;  als  man  sie  gefangen  nehmen 
wollte,  verschanzten  sie  sich  dahinter,  daB  sie  Untertanen  des  fran- 
zdsischen Konigs  seien,  aber  sie  erkannten  selbst,  daB  diese  Aus- 
rede  wenig  fruchten  wiirde  und  fliichteten  aus  Ferrara,  vermut- 
lich  auf  den  Rat  von  Personlichkeiten,  die  der  Herzogin  nahe 
standen.  Damit  war  der  Vorfall  nicht  erledigt,  Gianetto  bot  den 
AnlaB  zu  einer  sehr  lebhaften  diplomatischen  Aktion.  Renata 
nahm  sich  seiner  sehr  warm  an,  schickte  Boten  an  Franz  I.  nach 
Lyon,  an  die  Konigin  von  Navarra,  an  den  franzdsischen  Gesandten 
nach  Venedig  und  verlangte,  daB  man  sich  des  Gefangenen  an- 
nehme;  Ercole  dagegen  schickte  einen  Bericht  nach  Rom.  Infolge 
von  Renatas  Einmischung  verlangte  der  franzosische  Gesandte 
in  Venedig  die  Herausgabe  des  Gefangenen  als  eines  franzdsischen 
Untertanen,  aber  der  Herzog  lehnte  sehr  kiihl  ab  und  iibergab  die 
ganze  Angelegenheit  dem  Inquisitor.  Dem  Inquisitor  geniigte 
Gianettos  Gefangennahme  nicht;  er  verlangte,  daB  auch  Jean 
Bouchefort,  ein  Geistlicher  aus  Tournay,  einer  von  Renatas  treue- 
sten  Hoflingen  und  spaterer  Sekretar,  und  Jean  Cornilau,  ihr  Lieb- 
lingsdiener,  den  sie  nach  Ferrara  mitgebracht  hatte,  eingezogen 
wiirden. 

Infolge  dieser  Einsperrungen  kam  es  zum  offenen  Krieg  zwischen 
dem  Herzog  und  Renata.  Er  verlangte  die  Bestrafung  der  Schul- 
digen,  sie  setzte  mit  der  ganzen  Hartnackigkeit  und  Leidenschaft- 
lichkeit  der  Bretonin  Frankreich  und  Rom  in  Bewegung,  um  ihre 
Getreuen,  als  franzosische  Untertanen,  frei  zu  bekommen.  Ercole 
hatte  die  Gelegenheit  gern  benutzt,  um  Frau  Pons  in  die  ganze 
Sache  zu  verwickeln  und  sie  aus  Ferrara  fortzubekommen.  Er 
schrieb  dem  Konig,  ,,die  Tochter  ware  arger  als  die  Mutter,  die 
Soubise,  sie  habe  diesen  ganzen  Auftritt  in  der  Kirche  veranlaBt"; 
aber  alle  Klagen  waren  vergebens,  der  Konig  wiinschte,  daB  sie 
bei  Renata  bleibe.  Die  Intriguen  und  Schreibereien  zwischen  Frank- 
reich und  Ferrara  wahrten  lange  genug  und  hatten  das  Verhaltnis 
des  Herzogs  zu  Renata  noch  mehr  verscharft,  wenn  nicht  gliick- 
licherweise    der    Haupturheber,    auf   dem   wahrend    des    Prozesses 


RENATA  DI  FRANCIA  261 

die  ganze  Verantwortung  ruhte,  unterwegs  entflohen  ware,  als  er 
unter  militarischer  Eskorte  aus  Ferrara  vor  das  Inquisitionstribunal 
nach  Bologna  gebracht  wurde.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
haben  ihm  die  Soldaten  selbst  zur  Flucht  verholfen,  und  hinter 
den  Soldaten  stand  Renatas  Geld.  Der  Name  dieses  Radelsfiihrers 
der  Ketzer  wurde  in  den  Akten  der  Inquisition  so  durchgestrichen, 
daB  man  ihn  nicht  lesen  kann;  man  weiB  nur,  daB  es  eine  be- 
deutende  und  gefahrliche  Personlichkeit  war.  Die  Historiker,  die 
diese  ProzeBakten  durchforscht  haben,  nehmen  an,  der  Gefangene 
sei  entweder  Calvin  selbst  oder  Marot  oder  der  Kanonikus  Tillet 
gewesen;  wahrscheinlich  aber  Calvin. 

Nach  der  Flucht  des  Hauptschuldigen  verlor  der  ProzeB  viel 
von  seiner  Bedeutung,  und  da  Rom  mit  Riicksicht  auf  den  Konig 
von  Frankreich  milde  gegen  die  Gefangenen  verfahren  wollte, 
wurden  sie  dem  franzosischen  Gesandten  in  Venedig  unter  der 
Bedingung  ausgeliefert,  daB  sie  nicht  mehr  nach  Ferrara  kommen 
diirften.  Infolgedessen  blieb  an  Renatas  Hof  von  einfluBreichen 
Franzosen  nur  das  Ehepaar  de  Pons  zuriick  —  doch  gemigte  dies 
fur  weitere  Intriguen. 

Von  besonderem  Interesse  in  diesem  ProzeB  ist  das  Gestandnis 
eines  Franziskaners,  der  an  einer  nachtlichen  Zusammenkunft 
in  Renatas  Gemachern  teilgenommen  hat.  Ein  kleiner,  unschoner 
Franzose,  ,,un  Gallo  di  bassa  statura",  sei  leidenschaftlich  gegen 
die  papstliche  Ubermacht  aufgetreten  und  habe  an  verschiedenen 
Glaubenssatzen  Kritik  geiibt.  Der  Franziskaner  kannte  den 
Namen  jenes  Franzosen  nicht,  wahrscheinlich  war  es  Calvin  selbst, 
der  nach  der  Schilderung  der  Zeitgenossen  klein  und  mager  war, 
eine  olivenfarbene  Gesichtsfarbe  und  schwarzes  Haar  hatte. 
Er  soil  ungewohnlich  lebhaft,  schlagfertig  und  logisch  in  seinen 
Folgerungen  gewesen  sein;  hinter  einer  angenommenen  Ruhe  ver- 
suchte  er  die  leidenschaftlichen  Stiirme,  die  in  ihm  tobten,  zu 
verbergen. 

Unter  Renatas  Schutz  fanden  also  in  Ferrara,  am  herzog- 
lichen  Hofe,  Versammlungen  der  Reformierten  statt ;  wahrschein- 
lich versuchte  man  sogar  die  Kloster  zu  gewinnen,  wenn  selbst 
ein  Franziskaner  dazu  eingeladen  wurde. 


262  ZEHNTES  KAPITEL 


Um  jene  Zeit  kam  Vittoria  Colonna  nach  Ferrara.  Ihr  Gatte, 
der  Marchese  de  Pescara,  einer  der  besten  Heerfiihrer  Karls  V., 
der  Sieger  in  der  Schlacht  bei  Pavia,  war  1525  an  einer  in  dieser 
Schlacht  erhaltenen  Wunde  gestorben,  und  die  ungewohnliche 
Frail  gab  sich  seitdem  religiosen  Batrachtungen  hin.  Franz  von 
Assisi  war  ihr  Ideal,  ihre  poetische  Seele  wurde  von  dieser  schonsten 
Gestalt  der  religiosen  Renaissance  angezogen.  Die  Markgrafin  hatte 
sich  am  liebsten  in  ein  Kloster  zuriickgezogen,  aber  ihre  Familien- 
verhaltnisse,  ihre  Stellung  innerhalb  der  Gesellschaft  zwangen 
sie  an  der  groBen  religiosen  Bewegung  teilzunehmen,  die  nach  dem 
Sacco  di  Roma  ganz  Italien  ergriffen  hatte.  Sie  lebte  wie  eine 
Asketin  und  kasteite  sich  in  einem  solchen  Grade,  daB  ihre  Freunde 
um  ihre  Gesundheit  besorgt  waren.  Sie  hatte  sich  zuerst  in  das 
Kloster  S.  Silvestro  in  Capite  zu  Rom  zuriickgezogen,  aber  ihre 
Sehnsucht  nach  Ischia,  wo  sie  die  schonste  Zeit  ihrer  Jugend  ver- 
bracht  hatte,  war  zu  stark.  Der  Gedanke  einer  Kirchenreform  be- 
schaftigte  sie  unablassig.  Die  katholische  Kirche  war  damals  noch 
nicht  in  jenen  eisernen,  unbeweglichen  Rahmen  gespannt,  den  ihr 
bald  darauf  das  Tridentiner  Konzil  angelegt  hat,  und  Erorterungen 
iiber  Glaubensartikel  und  kirchliche  Institutionen  waren  nichts 
Ungewohnliches;  die  Kirche  war  schmiegsam  und  hatte  mehr 
als  eine  Reform  durchgemacht.  Die  Notwendigkeit  gewisser  Re- 
formen  in  der  Kirche  laut  zu  betonen,  gait  noch  nicht  als  hochste 
Ketzerei.  In  der  italienischen  Gesellschaft  kam  niemand  auf  den 
Gedanken,  das  Papsttum  zu  sturzen  und  den  Katholizismus  zu 
reformieren,  man  strebte  nur  nach  einer  Umgestaltung  der  Ver- 
haltnisse.  Das  gemeinsame  Interesse  fur  diese  Fragen  brachte  die 
Markgrafin  Menschen  naher,  die  aus  ganzer  Seele  nach  diesem 
Ziel  strebten;  es  war  jener  kleine  Kreis  von  Reformatoren,  der  sich 
um  Juan  de  Valdes  scharte.  Vittoria  Colonna  hat  wohl  kaum 
angenommen,  daB  Valdes  zu  Luthers  heiBesten  Anhangern  gehorte, 
und  seine  Lehren  nur  der  italienischen  Gesellschaft  wegen  in  milderer 
Form  bringen  muBte.  Valdes  war  Spanier,  ein  sehr  geschickter 
und   hochgebildeter   Mann,   der   Bruder   jenes   Alfonso   de   Valdes, 


RENATA  DI  FRANCIA 


263 


der  1530  als  Sekretar  Karls  V.  beim  Reichstag  in  Augsburg  Me- 
lanchthon  kennen  gelernt  hatte.  Nach  dem  Tode  des  Bruders  wurde 
Juan  zu  Karls  V.  Sekretar  ernannt,  er  begleitete  den  kaiserlichen 
Hof  nach  Bologna,  war  spater  der  politische  Korrespondent  des 
Kardinals   Gonzaga  und  in  der  gleichen  Mission  in  Neapel  tatig. 

AuBer  Vittoria  Colonna  gehdrten  zu  Valdes'  Anhangerinnen 
noch  ihre  Schwagerin  Costanza  d'Avalos,  die  Herzogin  von  Amalfi, 
und  die  schone  Giulia  Gonzaga,  die  der  beriichtigte  Korsare  Chai- 
reddin  Barbarossa  im  SchloB  zu  Fondi  iiberfallen  hatte,  um  sie  zu 
entfiihren.  Giulia  wurde  noch  rechtzeitig  von  ihrer  Dienerschaft 
gewarnt,  und  es  gelang  ihr,  sich  durch  die  Flucht  zu  retten.  Mit 
zweiundzwanzig  Jahren  war  sie  Schulerin  von  Valdes  und  ent- 
ziickte  alle  durch  ihre  Anmut  so  sehr,  daB  der  Reformator,  der  gegen 
Frauenschdnheit  nicht  unempfindlich  war,  bedauerte,  daB  nicht 
die  schone  Giulia  an  Stelle  von  Kaisern  und  Kdnigen  die  Welt 
beherrsche.  Fur  sie  schrieb  er  1536  das  ,,Alfabeto  christiano";  diese 
Abhandlung  gibt  eine  Vorstellung  vom  reformatorischen  Geist, 
der  in  dieser  neapolitanischen  Kolonie  herrschte.  Damals  predigte 
in  S.  Giovanni  Maggiore  der  Kapuziner  Bernardo  Ochino  aus  Siena, 
der  die  ganze  Stadt  so  sehr  durch  seine  Beredsamkeit  entflammte, 
daB  selbst  Karl  V.  seinen  Lehren  lauschte.  Ochinos  Predigt  hat 
Giulia  in  ihrem  Innersten  aufgewiihlt,  religiose  Zweifel  und  Fragen 
in  ihr  geweckt,  sie  bat  daher  Valdes,  ihr  einen  Weg  zu  zeigen, 
um  ihr  moralisches  Gleichgewicht  wiederzufinden.  Der  Spanier 
paBte  sich  seiner  schdnen  Schulerin  an;  er  schrieb  ihr  zehn  Regeln 
liber  Gottes-  und  Nachstenliebe  auf ,  die  nicht  von  den  Hauptpunkten 
der  katholischen  Religion  abwichen,  empfahl  ihr  fleiBig  zur  Messe 
zu  gehen,  die  heilige  Schrift  zu  lesen  und  sich  nicht  mit  jenen  Lehren 
zu  beschaftigen,  die  Unwesentliches  philosophisch  zergliedern. 

Zu  Valdes'  Freunden  gehdrte  ferner  Isabella  Manriquez  und 
einige  Monche  wie  der  Augustiner  Pietro  Vermigli,  der  Minorit 
Giovanni  Mollio  und  der  apostolische  Protonotar  Pietro  Carne- 
secchi;  ihre  Versammlungen  fanden  entweder  statt  in  Valdes' 
Wohnung  in  Neapel  oder  in  Caserta  oder  in  Vittoria  Colonnas  Villa 
auf  Ischia.  Die  Gruppe  dieser  neapolitanischen  Pietisten  stand 
den  rdmischen  Gefahrten  del  Divino  amore  nahe,  die  sich  auch  nur 


264 


ZEHNTES  KAPITEL 


nach  einer  Reform  der  Kirche  sehnten,  nach  wahrer  Religiositat 
strebten  und  nicht  an  der  Grundlage  der  romisch-katholischen 
Religion  riitteln  wollten. 

Valdes  und  Ochino  hatten  das  religiose  Leben  in  Neapel  bis 
zu  dem  Grade  erweckt,  dafi  Falengo,  ein  Benediktiner  aus  Monte 
Cassino,  der  sich  damals  dort  aufhielt,  seinen  Briidern  berichtete, 
er  sei  Zeuge  einer  wahrhaft  wunderbarenBewegung:  Frauen,die  mehr 
zu  Nichtigkeiten  als  zu  tiefem  Griibeln  neigen,  Manner  aus  dem 
Volke,  ja  selbst  Soldaten,  stiinden  in  dem  MaBe  unter  dem  Einflufl 
des  Erforschens  gottlicher  Geheimnisse,  daB  sie  von  nichts  anderem 
sprachen  als  nur  von  der  Reform  des  christlichen  Lebens.  Dermitig 
gestand  der  Benediktiner,  in  ganz  Kampanien  gabe  es  keinen 
Prediger,  der  nicht  von  neapolitanischen  Frauen  belehrt  werden 
konne. 

Diese  Kreise  waren  auf  einen  sehr  hohen  Ton  gestimmt,  die 
Frauen  gaben  ihm  einen  gewissen  mystisch-poetischen  Charakter; 
nicht  Kampf  mit  dem  Papsttum  war  ihr  Ziel,  sondern  eine  Reform 
des  christlichen  Geistes  und  eine  Verbesserung  der  Gesellschaft 
durch  die  wahre  Gottes-  und  Menschenliebe.  Catherina  Cibo, 
Innozenz'  VIII.  Enkelin,  lernte  Hebraisch,  um  die  heiligen  Biicher  im 
Original  lesen  und  tiefer  in  den  Geist  christlicher  Liebe  eindringen 
zu  konnen.  Diese  Stimmung  fand  ihren  Niederschlag  in  Vittoria 
Colonnas  moralischen  Gedichten. 

Ahnliche  Ideen  haben  die  kleine  Franziskaner-Gruppe  in  Ca- 
merino  beherrscht;  an  ihrer  Spitze  standen  zwei  Monche  Matteo 
di  Bascio  und  Lodovico  da  Fossombrone.  Wahrend  einer  Seuche, 
die  in  furchtbarster  Weise  in  dieser  kleinen  Stadt  um  sich  griff, 
gewissermaBen  angesichts  des  Todes,  griindeten  sie  einen  Kapu- 
zinerorden,  einen  Orden  reiner  Sitten,  der  sie  zu  den  Vorschriften 
von  San  Francesco  zuriickfuhren  sollte,  von  denen  sich  die  Kon- 
ventualen  so  gut  wie  die  Observanten  sehr  entfernt  hatten.  Die 
alten  Franziskaner- Orden  begannen  einen  gehassigen  Kampf 
gegen  die  neue  Verbruderung,  verf olgten  sie  wo  immer  sie  konnten 
und  intriguierten  gegen  sie  in  Rom.  Aber  den  Kapuzinern  kamen 
die  Frauen  zu  Hilfe,  namentlich  Catherina  Cibo  und  Vittoria  Co- 
lonna,  die  ihre  mystischen  Neigungen  hier  bestatigt  fiihlten.    Ohne 


RENATA  DI  FRANCIA  265 

ihre  Hilfe  hatte  sich  der  Orden  der  Kapuziner  nicht  entwickelt, 
denn  die  ihm  feindlichen  Kongregationen  hatten  ihn  schon  in  Rom 
als  schadliche  Sekte  angeschwarzt,  und  der  Papst  hatte  befohlen, 
ihn  aus  der  Hauptstadt  zu  verjagen.  Die  Cibo  und  die  Colonna  ver- 
teidigten  die  Kapuziner  so  energisch,  daB  der  Papst  ihnen  die  Riick- 
kehr  gestattete;  der  Kampf  war  hart,  denn  sie  hatten  einen  machtigen 
Gegner  im  Kardinal  Santa  Croce,  dem  energischen  Protektor  der 
Observanten.  Auch  Bernardo  Ochino,  der  zuerst  zu  den  Obser- 
vanten  gehort  hatte,  trat  1534  dem  neuen  Orden  bei  und  wurde 
zum  Generalvikar  ernannt. 

Als  Vittoria  Colonna  das  Schicksal  der  Kapuziner,  von  denen 
sie  sich  eine  segensreiche  Wirkung  auf  die  italienische  Gesellschaft 
versprach,  gesichert  sah,  beschloB  sie  einen  alten  Wunsch  aus- 
zufuhren  und  eine  Wallfahrt  ins  Gelobte  Land  oder  zum  mindesten 
zum  heiligen  Jakob  von  Compostella  anzutreten.  Zu  diesem  Zwecke 
erhielt  sie  von  Rom  die  Erlaubnis  mit  vierzehn  Gefahrtinnen  und 
dem  Kapuziner  Girolamo  da  Montepulciano  unterwegs  in  Klostern 
einzukehren,  dort  zu  wohnen  und  mit  Nonnen  zu  verkehren.  Eine 
solche  Erlaubnis  wurde  von  Rom  im  Anfang  des  XVI.  Jahrhunderts 
nur  sehr  bekannten  Personlichkeiten  gegeben.  Sie  nahm  nur  sechs 
Gefahrtinnen  mit  und  machte  auf  ihrer  Reise  nach  Venedig,  von 
Ercole  dringend  aufgefordert,  auch  in  Ferrara  Station;  in  Venedig 
wollte  sie  sich  nach  Jerusalem  einschiffen.  Anstatt  Girolamo 
da  Montepulcianos  schien  sie  Ochino  mitnehmen  zu  wollen,  da 
Bernardo  bald  nach  ihr  in  Ferrara  eintraf.  Vittorias  Gesundheit 
war  erschiittert,  und  die  weite  Wallfahrt  wurde  zur  Unmoglich- 
keit.  Sie  blieb  deshalb  langere  Zeit  in  Ferrara  und  schloB  sich 
an  Renata  an,  die  damals  ein  Kind  erwartete.  Haufig  besuchte 
sie  ohne  jegliche  Etikette  im  Morgenkleid,  ,,in  habitomolto  volgare", 
die  Herzogin  und  fiihrte  lange  Gesprache  mit  ihr.  Der  Alters- 
unterschied  der  beiden  Frauen  war  nicht  sehr  groB.  Vittoria  Colonna 
war  vierzig  Jahre  alt,  Renata  siebenundzwanzig,  ein  gegenseitiges 
sich  Verstehen  war  also  nicht  ausgeschlossen.  Ercole  befand  sich 
damals  in  Venedig;  er  war  schon  im  Januar  zum  Karneval  mit  sehr 
groBem  Gefolge  aufgebrochen,  und  hatte  nicht  weniger  als  acht- 
hundert  ferraresische  Adlige  mitgenommen.     Er  verlebte  eine  so 


266  ZEHNTES  KAPITEL 

genuEreiche  Zeit,  daB  er  erst  am  4.  Marz  wieder  in  Ferrara  war. 
Am  17.  Juni  schenkte  Renata  einer  Tochter  das  Leben.  Vittoria 
Colonna  hielt  sie  zur  Taufe.  Die  Gesellschaft  philosophierender 
Frauen,  wie  Renata  und  Vittoria,  hatte  wenig  Reiz  fur  Ercole. 
Er  verlieB  Ferrara  sehr  bald  wieder  und  ging  in  die  Romagna,  wo 
er  seinen  Freund  Pier  Luigi  Farnese  traf. 

Zwei  Frauen,  ihrer  Veranlagung  und  ihren  religiosen  Vor- 
stellungen  nach  so  verschieden  wie  Renata  und  Vittoria,  zwei 
verschiedene  reformat orische  Stromungen  vertretend,  standen  ein- 
ander  jetzt  in  Ferrara  gegeniiber.  Renata,  Calvins  Schiilerin,  die 
unter  dem  frischen  Eindruck  seiner  Lehre  stand,  war  die  scharf 
denkende,  wissenschaftlich  begabte  Nordlanderin,  die  an  die  Kirche 
eher  kritisch  als  glaubig  herantrat  —  fur  die  phantasiebegabte 
heiB  empfindende  Vittoria  entsprang  Religiositat  einem  Herzens- 
bedurfnis.  Diese  Frauen  konnten  eine  gewisse  Zeit  zueinander 
in  einem  naheren  Verhaltnis  stehen,  sie  konnten  sich  sogar  Freund- 
schaftsbeweise  geben,  aber  nur  solange  sie  sich  nicht  davon  iiber- 
zeugt  hatten,  daB  eine  Vereinigung  ihrer  Ideale  unmdglich  war. 

Vittoria  Colonna  scheint  sich  namentlich  deshalb  langere  Zeit 
in  Ferrara  aufgehalten  zu  haben,  um  eine  Zufluchtsstatte  fur  die 
Kapuziner  zu  finden.  Sie  erwirkte  Ochino  die  Erlaubnis,  im  Advent 
vor  dem  gesamten  Hof  zu  predigen.  Diese  Predigten  machten  einen 
groBen  Eindruck  im  Volk,  der  Kapuziner  riB  seine  Horer  durch 
seine  ungewohnliche  Beredsamkeit  fort;  er  erschiitterte  die  Gemuter, 
wenn  er  gegen  den  Luxus  der  Geistlichkeit  eiferte,  Reinheit  der 
Sitten  empfahl  und  die  prunkvolle  Zurschaustellung  im  Gottesdienst 
verurteilte. 

Unter  Ochinos  Horerinnen  befand  sich  auch  die  beriihmte  Hetare 
und  Dichterin,  Tullia  d'Aragona,  der  zwar  die  Beredsamkeit  des  groBen 
Kanzelredners  sehr  nahe  ging,  die  aber  ihren  lockeren  Lebens- 
wandel  deswegen  nicht  aufgab.  Glucklicher  in  der  Beziehung 
war  ein  anderer  Prediger,  ein  Monch  aus  Nuvolara,  der  einige 
Monate  nach  Ochino  in  Ferrara  predigte,  und  soviel  Kurtisanen 
auf  den  Weg  der  Tugend  brachte,  daB  er  am  1.  April  eine  fromme 
Prozession,  die  nur  aus  Magdalenen  bestand,  veranstalten  konnte. 
Es  erregte  dies  besondere  Heiterkeit  in  der  Stadt. 


RENATA  DI  FRANCIA  267 

Ercoles  Umgebung  war  jenen,  die  Bescheidenheit  und  Ein- 
fachheit  der  Sitten  predigten,  nicht  sehr  gewogen;  nur  mit  vieler 
Miihe  gelang  es  Vittoria,  den  Herzog  zu  bewegen,  Ochino  ein  kleines 
Hauschen  in  der  Vorstadt  anzuweisen,  damit  er  einen  Zufluchtsort 
fur  seine  Kapuziner-Kolonie  habe.  Nach  zehnmonatlichem  Aufent- 
halt  verlieB  Vittoria  Colonna  Ferrara  am  22.  Februar  1538;  sie 
scheint  Renatas  Uberzeugung  und  ihre  Ziele  richtig  erkannt  zu 
haben,  denn  ihr  Verhaltnis  zur  Herzogin  wurde  so  kiihl,  daB  sie  ihr 
nicht  einmal  geschrieben  hat. 

Ochino  begriindete  eine Kapuziner-Kolonie  in  Ferrara;  beseeltvom 
Verlangen,  seine  religiose  Uberzeugung  zu  verbreiten,  ging  er  1538 
nach  Pisa,  Florenz  und  Lucca  und  1539  nach  Venedig. 


VI 

Unterdessen  erregten  die  reformatorischen  Bestrebungen,  in 
deren  Zeichen  Italien  stand,  in  Rom  immer  starkere  Unruhe, 
trotzdem  war  die  dortige  Geistlichkeit  zu  sehr  die  alten  bequemen  Zu- 
stande  gewohnt  und  glaubte  auch  zu  sehr  an  die  Macht  der  Kirche, 
um  sich  zu  einer  energischen,  gut  organisierten  Aktion  aufzuraffen. 
Noch  unter  Hadrian  VI.  waren  1523  etwa  sechzig  ernsthafte  Pralaten 
wie  Giberti,  Sadoleto,  Luigi  Lippomano,  Caraffa,  Giuliano  Dati  u.  a. 
zusammengetreten  und  hatten  unter  demNamen  ,,  Oratorio  del Divino 
Amore"  eine  Vereinigung  begriindet,  um  kirchliche  Reformen  durch- 
zufiihren  und  das  sittliche  Niveau  der  Geistlichkeit  zu  heben.  Die 
Mitglieder  dieser  Vereinigung  verpflichteten  sich  zu  Gebeten  in 
der  Kirche,  zu  Wallfahrten  nach  heiligen  Orten,  zur  exakten  Er- 
fiillung  der  Pflichten,  die  die  Religion  den  Glaubigen  vorschreibt. 
Neben  dem  Kirchlein  Santa  Dorotea  di  Trastevere,  wo  der  Legende 
nach  der  Apostel  Petrus  seinen  Martyrertod  erlitten  haben  soil, 
hatten  sie  in  der  Pfarrei  ihre  Versammlungen.  Dieses  Oratorium 
diente  anderen  Stadten  als  Vorbild,  und  bald  entstanden  mehrere 
derartige  Vereinigungen  in  Italien.  Das  romische  Oratorium  be- 
stand  aber  nicht  lange,  es  scheint  im  Sacco  di  Roma  unter- 
gegangen    zu   sein.      AuBerdem   hatten    seine    Mitglieder   zu    per- 


268  ZEHNTES  KAPITEL 

sonliche  Ziele   im  Auge,   urn  eine   wirklich   erfolgreiche  Tatigkeit 
zu  entwickeln. 

Als  Paul  III.  1536  zum  Papst  ernannt  worden  war,  berief  er 
einige  beruhmte  Manner  wie  Contarini,  Caraffa,  Sadoleto,  Polo, 
damit  sie  eine  kirchliche  Reform  in  Angriff  nahmen.  Aber  Pauls  III. 
Reformen  bestanden  nur  auf  dem  Papier;  der  Papst  war  ein 
groBer  Diplomat,  dem  die  Interessen  seines  Geschlechtes  allein  am 
Herzen  lagen,  andererseits  bestand  unter  den  Kardinalen  zu  viel 
gegenseitiger  HaB,  als  daB  es  zu  einem  energischen,  wirksamen 
VorstoB  gekommen  ware.  Alle  Reformen  wurden  bis  zum 
nachsten  Konzil  verschoben,  und  das  Konzil  verlief  ergebnislos. 
Im  Kardinalskollegium  verlangte  es  nur  Giovanni  Pietro  Caraffa 
ernsthaft  nach  Taten,  mit  eisernem  Ziigel  wollte  er  das  kirchliche 
Regiment  leiten,  und  in  einem  riicksichtslosen,  despotischen 
Vorgehen  der  romischen  Kurie  sah  er  die  alleinige  Rettung.  Sein 
Ziel  war,  die  geistliche  Macht  zu  erweitern,  die  Ketzer  mit  den 
grausamsten  Mitteln  zu  vernichten,  die  kirchliche  Hierarchie  von 
unsittlichen  Elementen  zu  saubern  und  strenge  Zucht  unter  der 
Geistlichkeit  einzufuhren  —  ein  Wiederankniipfen  an  Gregors  VII. 
strenge  Reformen.  Caraffa  stammte  von  einem  erzkatholischen 
Adelsgeschlecht  in  Neapel  ab,  das  die  Reliquien  des  heiligen  Ja- 
nuarius  nach  Neapel  gebracht  und  die  kostbare  Kapelle,  Tesoro 
Vecchio,  errichtet  hatte,  die  bis  auf  den  heutigen  Tag  gewisser- 
maBen  das  Symbol  des  neapolitanischen  Glaubens  ist.  Das  Erz- 
bistum  Neapel  war  eine  fast  erbliche  Wiirde  in  der  Familie  Caraffa, 
und  Giovanni  Pietro  war  schon  als  Kind  fur  den  geistlichen  Stand 
bestimmt.  Die  geistige  Veranlagung  des  jungen  Neapolitaners 
stimmte  vollkommen  zum  Lebensziel,  das  ihm  vorgeschrieben  war. 
Mit  Energie  und  Leidenschaft  widmete  er  sich  der  Kirche  und  be- 
griindete  noch  in  jungen  Jahren  den  aristokratischen  Theatiner- 
orden,  der  gewissermaBen  ein  Biindnis  der  reformierten  Geistlichen 
sein  sollte.  Aber  Caraffas  Fahigkeiten  und  seine  Herkunft  be- 
riefen  ihn  zu  hoheren  Dingen.  Eine  Zeit  hindurch  nahm  er  teil 
am  lateranensischen  Konzil,  dann  schickte  ihn  die  romische  Kurie 
als  ihren  Legaten  nach  England,  spater  gehorte  er  dem  Rate  des 
spanischen   Ferdinand  an  und  wahrte  dort  durchaus  patriotisch- 


RENATA  DI  FRANCIA  269 

italienische,  besonders  neapolitanische  Interessen  gegeniiber  der 
fremden  Dynastie.  Seine  kirchliche  Wiirde  schatzte  er  so  hoch, 
daB,  als  man  ihm  einst  befahl,  mit  dem  Anfang  der  Messe  auf  den 
noch  jungen  Karl  V.  zu  warten,  er  schroff  zur  Antwort  gab,  im 
heiligen  Ornat  auf  niemand  warten  zu  konnen.  Er  haBte  die  Spanier 
als  echter  Sohn  des  von  ihnen  bedrangten  Neapels,  nannte  sie  ein 
heidnisches,  unchristliches  Volk,  ein  Mischprodukt  von  Mauren  und 
Juden,  was  iibrigens  gar  nicht  so  falsch  war,  da  die  hoheren 
spanischen  Klassen  zum  grofien  Teil  sogenannte  Maranen,  ge- 
taufte  Juden  oder  Nachkommen  der  siidlichen  Mauren  waren. 
Trotzdem  war  Caraffa  in  vielen  Dingen  von  spanischem  Geist  er- 
fiillt;  die  religiose  Intoleranz,  die  die  spanischen  Neophyten  cha- 
rakterisiert,  war  auch  ihm  eigen.  Aus  Spanien  hatte  Caraffa  den 
Glauben  an  die  Wirksamkeit  der  Inquisition  mitgebracht,  die  sich 
dort  zu  einer  Volksinstitution  ausgebildet  hatte,  zu  einer  zweiten 
Regierung  neben  der  koniglichen  —  vielleicht  machtiger  als  jene. 
Als  Caraffa  nach  Italien  zuruckkam  und  eine  hohe  kirchliche 
Stellung  einnahm,  ging  sein  Hauptstreben  danach,  die  italienische 
Inquisition  zu  reformieren.  Sie  war  in  den  Handen  der  Bettel- 
monche,  namentlich  in  denen  der  Franziskaner,  im  Laufe  des  XIV. 
und  XV.  Jahrhunderts  zu  einer  unbedeutenden  kirchlichen  In- 
stitution ohne  jeden  EinfluB  zusammengeschrumpft.  In  Venedig 
und  Neapel  war  sie  mehr  das  Werkzeug  der  Regierung  als  der  Kirche, 
in  Florenz  kummerte  sich  kein  Mensch  um  sie.  Trotzdem  beob- 
achtete  Klemens  VII.  Caraffas  Bestrebungen  mit  einem  gewissen 
MiBtrauen,  vielleicht  fiirchtete  er,  es  sei  dem  Kardinal  darum 
zu  tun,  die  papstliche  Macht  einzuschranken;  aber  a^ch  das  Kardinal- 
kollegium  traute  dem  einfluBgierigen  Neapolitaner  nicht  ganz. 
Nach  langen  Kampfen  innerhalb  der  romischen  Kurie  fiihrte  Caraffa 
seine  Absichten  schlieBlich  im  Jahre  1542  durch,  obgleich  auch 
der  damalige  Papst  Paul  III.  sich  lange  gegen  den  verstarkten 
EinfluB  der  Inquisition  gestraubt  hat,  aus  Furcht,  diese  Institution 
konne  allmahlich  selbst  dem  Papsttum  unbe  quern  werden.  Fast 
gegen  seine  Uberzeugung  gab  der  Papst  nach  und  unterschrieb  die 
Bulle  ,, Licet  ab  initio",  die  das  ,,Heilige  Officium  der  Inquisition" 
in   Rom  einfiihrte   und   dieser   Institution   eine   unerhorte   Macht- 


270 


ZEHNTES  KAPITEL 


befugnis  iibertrug.  Sie  durfte  nicht  nur  die  der  Haresie  Ober- 
fiihrten,  sondern  auch  die  Verdachtigen  gefangen  nehmen,  richten 
und  strafen,  ohne  Riicksicht  auf  die  Stellung  der  Schuldigen,  selbst 
wenn  es  die  hochsten  kirchlichen  Wurdentrager  waren.  Bekannt 
sind  Monforts  Worte,  der  nach  der  furchtbaren  Vernichtung  der 
Albigenser,  der  Schuldigen  und  Unschuldigen,  gesagt  hat:  ,,Alle 
sind  untergegangen,  Gott  wird  die  Seinen  wahlen."  Dieser  Grund- 
satz  bewufiter  Ungerechtigkeit  ward  aufs  neue  lebendig.  Der 
Inquisitor  war  durch  kein  Gesetz  gebunden,  er  durfte  in  guter  oder 
bdser  Absicht  menschliche  Herzen  durchforschen,  ohne  daB  ihm 
irgend  eine  Schranke  gesetzt  war,  ohne  irgendwelche  moralische 
Kontrolle.  Wenn  er  geirrt,  ein  ungerechtes  Urteil  gefallt  hatte  — 
,,Gott  wurde  die  Seinen  auserwahlen",  ihnen  im  Himmel  den  un- 
schuldigen Tod  auf  dem  Scheiterhaufen  lohnen.  Alle  im  Straf- 
verfahren  von  der  Antike  ererbten  Grundsatze,  Beschlusse  und  Vor- 
schriften  gerieten  angesichts  der  riicksichtslosen  Selbstherrlichkeit 
des  Inquisitors  ins  Schwanken,  die  Rechtsbegriffe  verwischten 
sich  fur  lange  Zeit. 

Das  Sant'  Officio  bestand  aus  sechs  Kardinalen,  die  dem 
Papst  unterstanden;  unter  den  Kardinalen  befanden  sich:  Caraffa, 
Cervino,  Ghisleri,  die  drei  spateren  Papste.  Das  furchtbare  Tribunal 
beschloB  die  Erorterung  religioser  Dinge  zu  verbieten  und  den 
bekannten  Predigern  die  iiber  die  Notwendigkeit  kirchlicher 
Reformen  sprachen,  den  Mund  zu  verschlieBen.  Das  erste  oder 
jedenfalls  eines  der  ersten  Opfer  der  Inquisition  sollte  Ochino 
werden,  der  unter  Berufung  auf  den  klosterlichen  Gehorsam  nach 
Rom  zitiert  wurde.  Ochino  hatte  gerade  seine  beruhmten  Predigten 
in  Venedig  gehalten,  die  dem  papstlichen  Nuntius  sehr  miBfallen 
hatten.  Der  Kapuziner  gehorcht  zuerst  der  Aufforderung,  aber 
auf  dem  Wege  nach  Rom,  in  Florenz,  widerrieten  ihm  die  Freunde 
entschieden  die  weitere  Reise,  da  sie  voraussahen,  daB  das  Sant' 
Officio  ihn  entweder  auf  dem  Scheiterhaufen  verbrennen  oder  zum 
mindesten  lebenslanglich  einkerkern  wurde.  Obgleich  Ochino 
fast  sechsundfiinfzig  Jahre  zahlte,  und  die  Trennung  von  der  Heimat 
ihm  schwer  fiel,  beschloB  er  sich  durch  die  Flucht  iiber  die  Alpen 
zu  retten.    Der  Monch  Don  Pietro  Martire  und  Caterina  Cibo  gaben 


RENATA  DI  FRANCIA 


271 


ihm  Geld,  und  Ascanio  Colonna,  Vittorias  Bruder,  schenkte  ihm 
ein  Pferd,  damit  er  moglichst  schnell  aus  Italien  fliichten  konne. 
Und  schon  war  es  hochste  Zeit,  denn  als  Ochino  Florenz  heimlich 
verlassen  hatte,  umstellten  die  Biittel  der  Inquisition  das  Kloster 
Osservanza  bei  Siena,  in  der  Annahme,  daS  er  sich  dort  aufhalte. 
Aber  Ochino  reiste  schon  nordwarts  und  machte  nur  in  Ferrara 
Halt,  wo  ihm  die  Herzogin  Renata  die  fur  die  Reise  erforderliche 
Ausriistung  gab.  Von  dort  aus  begab  er  sich  nach  Genf,  wo  er  sich 
der  Reformation  anschloB  und  den  Freunden  schrieb,  ,,in  Italien 
hatte  er  sich  zu  Christus  in  einer  Maske  bekennen  miissen,  hier  konne 
er  ihm  mit  offenem  Antlitz  dienen".  Er  rechtfertigte  seine  Flucht 
auch  Vittoria  Colonna  gegeniiber,  aber  die  ehemalige  Freundin 
iibergab  diesen  Brief  dem  Sant'  Officio,  anstatt  ihm  zu  antworten, 
wohl  aus  Angst  vor  der  Inquisition.  Ochinos  Beispiel  folgten  viele 
Kapuziner,  und  der  Nuntius  Mignanelli  berichtet  1542  dem  Kar- 
dinal  Farnese  nach  Rom,  man  hore  fortwahrend  von  Kapuzinern, 
die  die  Kutte  ablegen  und  ihrem  Meister  folgen. 

Nachdem  Ochino  Italien  verlassen  hatte,  zog  er  predigend 
von  Stadt  zu  Stadt  und  gab  Schriften  heraus,  die  in  den  Kreisen 
der  Reformierten  Aufsehen  erregten.  Er  heiratete  in  Genf,  da 
ihm  das  Monchsleben  unmoralisch  erschien,  hatte  einige  Kinder 
und  trieb  sich  mit  seiner  Familie  in  der  Welt  umher.  Aus  Genf  ging 
er  nach  Basel,  dann  forderte  ihn  der  Rat  der  Stadt  Augsburg  auf, 
dort  zu  predigen.  Doch  mufite  er  fliichten,  da  Karl  V.  seine  Aus- 
lieferung  verlangte.  Er  rettete  sich  nach  England,  hatte  dort  unter 
Heinrich  VIII.  und  Eduard  VI.  als  Theologe  einen  groBen  Namen, 
aber  als  die  katholische  Reaktion  siegte,  und  Maria  Tudor  das 
Heft  in  Handen  hatte,  drohten  ihm  der  Tower  oder  der  Tod  auf  dem 
Scheiterhaufen.  Ochino  war  sechsundsechzig  Jahre  alt,  und  seine 
Kraft  noch  unverbraucht;  er  ging  wieder  in  die  Schweiz  zuruck, 
lebte  in  Basel,  war  eine  kurze  Zeit  in  StraBburg  und  Genf  und 
iibersiedelte  1555  nach  Zurich.  Dort  scharten  sich  die  Italiener 
um  ihn,  die  ihr  Vaterland  ihrer  religiosen  Uberzeugung  wegen 
verlassen  hatten,  unter  anderen  Francesco  Lismanin,  der  gewesene 
Ordensprovinziale  der  Minoriten  in  Polen  und  die  Markgrafin 
Isabella  Manriquez,  die  in  Neapel  als  eine  der  heiBesten  Anhange- 


272 


ZEHNTES  KAPITEL 


rinnen  von  Valdes  gait.  In  Zurich  lernte  Ochino  auch  Lalius 
Socinus  kennen,  den  beriihmten,  aus  Siena  stammenden  Refor- 
mator;  er  ward  spater  sogar  verdachtigt,  dessen  Lehre  angenommen 
zu  haben. 

Je  alter  Ochino  wurde,  desto  mehr  und  desto  scharfer  schrieb 
er  und  packte  immer  gefahrlichere  Themen  an.  In  Zurich  lebend, 
gab  er  1563  in  Basel  sein  beriihmtes  Buch  ,,DreiBig  Dialoge"  heraus, 
das  unter  den  dortigen  Protestanten  viel  Argernis  erregte.  Nament- 
lich  emporte  man  sich  uber  die  in  diesem  Werk  angeschnittene 
Frage  der  Vielweiberei,  die  Ochino  zwar  nicht  entschied,  aber  er 
verhielt  sich  nicht  durchaus  ablehnend  gegen  Polygamic  und  lieB 
sie  besonders  in  jenen  Fallen  gelten,  wo  die  erste  Frau  keine  Kinder 
haben  konne.  Charakteristisch  ist  seine  Widmung  dieser  Abhand- 
lung  an  die  ,,Bruderschaft  der  ungliicklichen  und  leidenden  Ehe- 
manner".  Es  wurde  ihm  vorgeworfen,  daB  er  pro  domo  sua  schreibe, 
doch  halt  dies  zu  glauben  schwer,  da  Ochino  damals  siebenund- 
siebzig  Jahre  alt  war  und  selbst  nach  den  Aussagen  seiner  Feinde 
stets  ein  vorbildliches  Leben  gefiihrt  hat.  Ochino  wurde  auf  Grund 
dieser  Abhandlung  aus  Zurich  ausgewiesen;  der  erschopfte  Greis 
muBte  wieder  mit  vier  Kindern  Schutz  in  Basel  suchen,  wurde  dort 
aber  nicht  aufgenommen,  da  er  angeblich  durch  die  Drucklegung 
der  dreiBig  Dialoge  in  Basel*  Schande  uber  die  stille  Stadt  gebracht 
habe.  So  ging  er  weiter  nach  Nurnberg  und  versuchte  in  einer  neuen 
Abhandlung  die  Vorwiirfe  zuriickzuweisen,  die  die  Ziiricher  und 
Basler  Protestanten  gegen  ihn  erhoben  hatten.  Als  man  ihm 
auch  den  Aufenthalt  in  Nurnberg  nur  fur  kurze  Zeit  gestattete, 
beschloB  er  nach  Polen  zu  gehen,  wo  die  Verhaltnisse  fur  die  Glau- 
bensneuerer  augenblicklich  giinstig  lagen.  Ochino  scheint  diesen 
Plan  schon  langere  Zeit  erwogen  zu  haben,  da  er  seinen  Dialog 
„iiber  die  Dreifaltigkeit"  dem  Fiirsten  Nikolaus  Radziwill  gewidmet 
hat.  Der  Fiirst  hat  das  Exemplar  jedoch  nicht  erhalten,  da  er  sich 
in  einem  an  Calvin  geschriebenen  Brief  beklagt,  daB  das  Buch 
unterwegs  verloren  gegangen  sei.  Nach  Polen  brach  Ochino  im 
Friihling  1564  auf  und  nahm  ein  Empfehlungsschreiben  vom  Buch- 
handler  Perna  in  Basel  an  Martin  Czechowicz  mit.  Als  man  in  Rom 
erfuhr,  der  ehemalige  Kapuziner  habe  die  Absicht,  nach   Krakau 


PAPST  PAUL  III. 
BILDNIS  VON   PARIS  BORDONE.     FLORENZ,  PITT! 


RENATA  DI  FRANCIA 


273 


zu  gehen,  war  die  Unruhe  groB,  und  der  Kardinal  Borromeo  schrieb 
am  5.  Februar  1564  an  den  Kardinal  Commendoni,  den  damaligen 
apostolischen  Nuntius  in  Polen,  ,,aus  der  Schweiz  erreiche  ihn  die 
Nachricht,  daB  der  nichtswiirdige  Ochino  die  Absicht  habe,  nach 
Polen  zu  gehen.  Se.  Heiligkeit  erachte  es  fur  angemessen,  S.  K. 
Hoheit  vor  dem  anstoBigen  Leben  dieses  Menschen  zu  warnen  und 
bitte  den  Nuntius,  sich  dafiir  zu  verwenden,  daB  Ochino  keine 
Aufnahme  in  Polen  finde,  damit  er  die  gute  Saat,  die  in  jenem 
Lande  aufgegangen,  nicht  verderbe  und  dort  nicht  groBere  Unruhe 
stifte."  Trotz  dieser  Warnung  wurde  Ochino  gestattet,  nach 
Krakau  zu  kommen,  er  traf  Ende  Mai  oder  Juni  dort  ein  und  hielt 
offentliche  italienische  Predigten.  Der  Greis  sprach  so  schon  und 
hinreiBend,  daB  nach  dem  Urteil  der  Zeitgenossen  alle  Prediger 
neben  ihm  verblaBten,  und  die  Horer  sich  in  Scharen  zu  ihm 
drangten. 

Selbst  Sigmund  August  scheint  Ochinos  Auftreten  nicht  ungern 
gesehen  zu  haben,  denn  die  Ratschlage,  die  der  italienische  Kanzel- 
redner  ,,der  Briiderschaft  der  ungliicklichen  und  leidenden  Ehe- 
manner"  erteilte,  waren  ganz  nach  dem  Herzen  des  Konigs. 

Der  Konig  hat  seine  Gattin  Katharina  von  Osterreich,  die 
Tochter  des  Kaisers  Ferdinand,  nicht  geliebt  und  keine  Kinder  mit 
ihr  gehabt;  er  hatte  sich  gem  von  ihr  scheiden  lassen.  Die  Sympathie 
des  Konigs  fur  Ochino  blieb  von  der  Geistlichkeit  nicht  unbeachtet, 
darauf  beziehen  sich  zweifellos  Hosius'  Klagen  in  seinem  Brief 
an  Reszka,  ,,daB  die  Ketzer  den  Konig  gegen  die  Konigin  auf- 
hetzen,  namentlich  Ochino  ermutige  ihn  zu  einem  unerhorten 
Schritt,  der  die  ganze  Welt  emporen  wiirde  und  jeder  Moral  Hohn 
sprache".  Wie  sehr  dem  Konig  aus  personlichen  Griinden  Ochinos 
Ratschlage  gef alien  mochten,  so  hatte  er  doch  ,,den  ganzen  Weiber- 
haufen  gegen  sich",  um  so  mehr  als  anstoBige  Falle  des  Zusammen- 
lebens  mit  mehreren  Frauen  schon  die  Aufmerksamkeit  der  Geistlich- 
keit auf  sich  zogen ;  im  erzbischoflichen  Archiv  zu  Gnesen  befinden 
sich  aus  der  Zeit  zwischen  1520  und  1570  sechzehn  Scheidungs- 
akten  ex  occasione  polygamiae. 

Es  wurde  behauptet,  Ochino  habe  dem  polnischen  Konig  seine 
Abhandlung  iiber  Vielweiberei  gewidmet,  doch  ist  dies  nicht  wahr, 

18 


274 


ZEHNTES  KAPITEL 


da  die  konigliche  Kanzlei  eine  derartige  Dedikation  nicht  ange- 
nommen  hatte;  er  hat  jedoch  Sigmund  August  eine  andere  seiner 
Abhandlunge"n  gewidmet,  das  ,,Gesprach,  wie  man  mit  Ketzern 
umzugehen  habe",  er  fordert  darin  den  Monarchen  auf,  Toleranz 
gegen  Menschen  zu  iiben,  die  neue  religiose  Grundsatze  vertreten. 

Man  kann  es  sich  kaum  vorstellen,  auf  welche  Weise  der  niedere 
Klerus,  der  in  seinen  Ausdrucken  nicht  sehr  wahlerisch  war,  an- 
fing  Ochino  zu  beschimpfen,  besonders  als  der  Dominikaner  Melchior 
Moscicki,  der  um  seines  Eifers  und  seines  Wissens  willen  beriihmt 
war,  vergebliche  Bekehrungsversuche  bei  ihm  gemacht  hatte. 
Man  nannte  Ochino  einen  ,,schandlichen  Fbrderer  unmoralischer 
Grundsatze"  und  nicht  nur  die  Katholiken,  auch  die  Lutheraner 
gingen  gegen  ihn  vor,  da  er  nicht  an  die  heilige  Dreifaltigkeit  ge- 
glaubt  hat.  Von  zwei  Seiten  gab  es  Angriffe  gegen  den  Greis,  und 
seine  Anwesenheit  hat  sicherlich  nicht  wenig  zum  BeschluB  des 
Landtags  vom  7.  August  1564  beigetragen,  der  alien  auslandischen 
Ketzern  gebot,  das  Land  unverziiglich  zu  verlassen.  Ochino  muBte 
wieder  auf  die  Wanderschaft.  Mehrere  ihm  zugetane  Burger  ver- 
suchten  ihn  zu  iiberreden,  trotz  dieses  Beschlusses  im  Lande  zu 
bleiben  und  boten  ihm  in  ihren  Hausern  Schutz  an;  aber  der  Fliicht- 
ling  erwiderte,  man  habe  sich  der  Obrigkeit  zu  fiigen,  er  wiirde 
den  Befehl,  Polen  zu  verlassen,  befolgen,  ,,selbst  wenn  er  im  Walde 
oder  auf  dem  Felde  liegen  bliebe".  Er  verlieB  Krakau,  wandte  sich 
nach  dem  Westen  und  machte  halt  in  Pintschew,  jenem  Zufluchts- 
ort  der  Andersglaubigen,  um  von  seinen  Anhangern  Abschied  zu 
nehmen.  An  der  dort  herrschenden  Seuche  starben  drei  seiner  Kinder. 
Gebrochen  ging  er  weiter,  und  drei  Wochen  nachdem  er  Polen 
verlassen  hatte,  starb  er  einsam  in  Stychow  an  der  March,  1564. 
Zu  Lebzeiten  waren  alle  protestantischen  Sekten  gegen  ihn  vor- 
gegangen,  nach  seinem  Tode  stritten  um  ihn  Lutheraner,  Calvi- 
nisten,  Reformierte,  Socinianer,  Wiedertaufer:  jede  dieser  Sekten 
behauptete,  er  gehore  zu  ihr. 

Nach  Ochinos  Flucht  aus  Italien  hat  der  Kapuzinerorden 
aufgehort,  eine  bedeutende  Rolle  in  der  Gegenreformation  zu  spielen. 
Dieser  Orden  hat  namentlich  durch  seine  Predigten  dem  Papsttum 
allmahlich   bedeutende   Dienste  geleistet,   aber  noch  war  er  nicht 


RENATA  DI  FRANCIA 


275 


zu  jener  Macht  gelangt,  die  notig  war,  um  im  Kampf  mit  dem 
Protestantismus  eine  fiihrende  Stelle  einzunehmen.  Uberhaupt 
fehlte  es  der  italienischen  Gegenreformation,  diesen  Kongre- 
gationen  del  Divino  amore  und  anderen  ahnlichen  Vereinigungen 
an  einem  organisatorischen  Talent,  an  Energie  und  Einigkeit 
in  der  Durchfuhrung  eines  klar  erkannten  Zieles.  All  diese 
schonen  und  edlen  Bestrebungen  waren  mit  zuviel  religidser 
Romantik  durchsetzt,  die  wie  jede  Romantik  in  unklare  Formen 
zerfloB  und  nicht  geniigend  reife,  niitzliche  Friichte  trug.  Zum 
Kampf  mit  der  Reformation  bedurfte  es  eines  starken  Organi- 
sators,  eines  Menschen  mit  eisernem  Willen.  In  dem  fur  die  Kirche 
kritischsten  Augenblick  erstand  ein  solcher  Organisator,  ein  Mann, 
der  die  Seele  des  beginnenden  Kampfes  ward.  Pldtzlich  tauchte  in 
Venedig  ein  spanischer  Soldat  auf,  ein  genialer  Fiihrer  von  un- 
geheurer  Willenskraft,  der  eine  Wallfahrt  ins  Heilige  Land  an- 
treten  wollte.  Dieser  Mensch  hatte  sich  so  stark  in  der  Gewalt, 
daB  er,  trotzdem  er  seiner  Veranlagung  nach  Mystiker  war,  auch 
die  Mystik  in  einen  eisernen  Rahmen  zu  fassen  wuBte,  um 
sie  zur  Sprungfeder  irdischen,  eng  begrenzten  menschlichen  Tuns 
zu  machen.  Ignaz  Loyola  begann  in  Venedig  zu  organisieren 
und  seine  Gefahrten  zu  versenden;  dort  hat  ihn  auch  Ercole  II. 
kennen  gelernt,  der  sofort  begriff,  daB  dieser  asketische  Soldat 
berufen  sei,  eine  bedeutsame  Rolle  im  Kampf  mit  der  Reformation 
zu  spielen.  Einige  Jesuiten,  die  Loyola  1537  nach  Rom  schickte, 
um  Pauls  III.  Hilfe  zu  beanspruchen,  passierten  Ferrara  und  wurden 
dort  auf  Veranlassung  des  Herzogs  aufs  entgegenkommendste 
empfangen.  Vittoria  Colonna  war  damals  in  Ferrara,  auch  sie 
empfing  die  Durchreisenden  liebevoll,  ohne  zu  ahnen,  welche 
Rolle  diese  Glaubenskampfer  einst  spielen  wurden.  Sie  gingen  zu 
FuB  nach  Rom,  auf  spanische  Art  wie  Soldaten  angezogen,  so  daB 
man  sie  unterwegs  fur  Soldaten  hielt,  die  am  Sacco  di  Roma  teil- 
genommen  hatten  und  jetzt  als  reuige  Sunder  in  Demut  in  die  heilige 
Stadt  pilgerten,  um  ihr  schandliches  Tun  zu  biiBen.  Seine  geschick- 
testen  Gefahrten:  den  Franzosen  Claude  Jay,  Rodriguez  und  einige 
andere  schickte  Loyola  nach  Ferrara,  dort  predigten  sie  auf  offent- 
lichen  Platzen,  um   die  Bevolkerung  fur   ihre  Ziele  zu  gewinnen. 

18* 


276  ZEHNTES  KAPITEL 

In  Rom  stieB  die  ,,Compania  di  Jesus"  auf  groBes  MiBtrauen,  be- 
sonders  bei  Caraffa,  schon  deshalb,  weil  sie  unter  dem  Schutz  des 
Kardinals  Contarini  auftrat,  der  der  Vertreter  einer  milderen 
Richtung  in  der  Wiedergeburt  der  Kirche  war.  Caraffa  sah  voraus, 
daB  Loyola,  dieser  unbekannte  Spanier,  sehr  bald  eine  fiihrende 
Personlichkeit  in  der  katholischen  Welt  werden  wiirde,  sein  Rivale 
im  Kampf  mit  der  Reformation.  Die  Ahnungen  des  Kardinals 
sollten  in  Erfiillung  gehen:  der  spanische  asketische  Soldat  war 
ihm  iiberlegen  an  Erfahrung,  an  Kenntnis  menschlicher  Schwachen, 
an  langsamer,  erfolgreicher,  leidenschaftsloser  Arbeit.  Loyola 
schleppte  die  Menschen  nicht  zum  Scheiterhaufen,  aber  durch 
seine  subtile  Psychologie  und  durch  seine  Fahigkeit,  die  Jugend 
fur  seine  Plane  zu  gewinnen,  gestaltete  er  die  Gesellschaft  zu 
gunsten  der  Kirche  um.  Die  Gegenreformation  hat  der  Gesellschaft 
Jesu  ungeheuer  viel  zu  danken,  wahrend  die  Inquisition,  Ca- 
raffas  Lieblingswerk,  die  sich  durch  ihre  Grausamkeit  verhaBt 
gemacht  hat,  ihr  nur  geschadet  hat;  ihr  Vorgehen  widersprach 
italienischer  Tradition,  da  das  Volk  nicht  zu  religiosen  Kampfen 
neigt.  Die  Inquisition  vermochte  niemand  zu  iiberzeugen;  nach 
kurzer  Wirksamkeit  belustigte  sie  durch  ihre  Urteilsspriiche  oder 
schuf  Martyrer  eines  priifenden  skeptischen  Wissens.  Sie  hat 
Cecco  d'Ascoli  verbrannt,  weil  er  die  Wege  der  Naturforschung 
betrat,  Giordano  Bruno  zum  Tod  auf  dem  Scheiterhaufen  ver- 
urteilt,  da  er  eine  ebensolche  Revolution  in  der  Philosophie  wie 
Kopernikus  in  der  Astronomie  durchfiihren  wollte,  und  nur  die 
Angst  davor,  sich  lacherlich  zu  machen,  hat  sie  verhindert,  Galilei 
das  gleiche  Schicksal  zu  bereiten.  Mit  Galileis  Verurteilung  zum 
Gefangnis  und  zu  einem  dreijahrigen  Absingen  von  sieben 
Psalmen,  weil  er  in  seinem  ,,Dialogo  su  due  massimi  sistemi  del 
mondo  Tolemaico  e  Coperniciano"  bewiesen  hatte,  daB  die  Erde 
sich  um  die  Sonne  drehe,  hat  das  Sant'  Officio  das  Szepter  ver- 
loren,  unter  das  es  die  Kultur  der  Menschheit  zwingen  wollte.  Das 
Vorgehen  dieser  leidenschaftlichen,  gewaltsamen  Reaktion  hatte  die 
traurigsten  Folgen  fur  Kultur  und  Religion,  denn  es  hat  die  Geister 
gegen  die  Kirche  emport  und  Unglauben  geweckt.  Trummer  kenn- 
zeichnen  den  Sieg  dieser  Reaktion,  Italien  verschwand  fur  langere 


RENATADIFRANCIA 


277 


Zeit  als  bedeutungslos  vom  Schauplatz  der  Welt,  Spanien  erstarrte, 
und  Frankreich  versank  in  Unmoral  und  Luxus  nach  der  Unter- 
driickung  der  Hugenotten. 

Aber  weder  flammende  Scheiterhaufen,  noch  die  Fesseln,  in  die 
die  Gedankenfreiheit  gezwungen  wurde,  vermochten  die  von  der 
Renaissance  angeregte  Forschung  zu  unterdriicken,  und  man 
kann  ruhig  sagen,  da8  das  Urteil  iiber  Galilei1)  die  Scheidegrenze 
ward  zwischen  der  Kultur  des  Glaubens  und  der  Kultur  der  Skepsis, 
dem  charakteristischen  Merkmal  der  modernen  Gesellschaft. 
Die  furchtbare  Reaktion  hat  die  Kirche  gerettet,  aber  den  Glauben 
getotet.  Ware  Renata  eine  Zeitgenossin  von  Catherina  von  Siena 
gewesen,  so  ware  sie  in  ihrem  fanatischen  Verlangen,  die  Kirche 
zu  reformieren,  eine  der  kraftigsten  Stiitzen  der  rdmischen  Kurie 
geworden;  da  sie  aber  das  Ungluck  hatte,  unter  Paul  III.  und 
Paul  IV.  zu  leben,  wurde  sie  in  das  entgegengesetzte  Lager  ge- 
drangt.  Das  Sant'  Officio  hat  vor  sein  Inquisitions-Tribunal  die 
edelsten  Persdnlichkeiten,  die  an  der  religidsen  Bewegung  in  Italien 
teilnahmen,  zitiert,  die  ehemaligen  Mitglieder  der  Kongregation 
del  Divino  amore,  und  selbst  Vittoria  Colonna  hatte  die  Qual  eines 
Inquisitionsprozesses  erdulden  miissen  und  ware  vielleicht  im  Ge- 
fangnis  gestorben,  wenn  ihr  Tod  die  rdmischen  Terroristen  nicht  vor 
dieser  Schmach  bewahrt  hatte. 

Es  war  ein  nicht  wieder  gut  zu  machendes  Ungliick  fur  die 
katholische  Welt,  daB  die  Reform  der  rdmischen  Verhaltnisse  unter 
spanischem  und  nicht  unter  strikt  italienischem  EinfluB  gestanden 
hat.  Die  Spanier,  das  leidenschaftlichste  und  am  wenigsten  tolerante 
unter  den  romanischen  Volkern,  verraten  in  ihrem  Tun  eine  gewisse 
Brutalitat,  die  anstatt  zu  mildern  gereizt,  anstatt  zu  heilen  neue 
Wunden  geschlagen  hat.  Ohne  diese  spanische  Riicksichtslosigkeit 
ware  dem  Papsttum  so  manche  Spaltung  erspart  geblieben,  und  der 
Glaube  an  das  Mitleid  und  die  Humanitat  der  rdmischen   Kirche 

')  Es  lautet  wie  folgt:  ,,11  sostenere  essere  il  Sole  nel  cento  del  mondo 
e  immobile  e  proposizione  assurda  e  falsa  in  filosofia,  e  formalmente  ereticale, 
perche  espressamente  contraria  alia  Santa  Scrittura."  —  ,,La  Terra  non 
essere  nel  centro  del  mondo,  ma  molile  col  diurno  mo  to  e  proposizione 
egualmente  assurda  in  filosofia,  ed  erronea  in  materia  e  fede." 


278  ZEHNTES  KAPITEL 

ware  nicht  in  den  weitesten  Kreisen  erschiittert.  Die  Einsetzung 
der  Inquisition  auf  spanischer  Grundlage  und  der  weitgreifende 
EinfluB  Span! ens,  verstarkt  durch  Karls  V.  Macht,  hat  edle,  kirch- 
lich  gesinnte  Italiener  wie  Contarini,  Giberti  und  namentlich  Gio- 
vanni Morone,  der  in  hohem  MaBe  die  Eigenschaften  besaB,  um 
die  Gesundung  der  Kirche  herbeizufiihren,  so  terrorisiert,  daB  sie 
vom  Schlachtfeld  abtreten  oder  sich  spanischen  Stromungen  hin- 
geben  muBten.  Damit  hat  es  der  ganzen  Aktion  an  einigendem 
Geist  gefehlt;  die  katholische  Welt  zerfiel  in  Fanatiker  und  in  solche, 
die  nicht  paktieren  wo*llten.  Fur  ruhig  denkende,  vernunftige  Men- 
schen  gebrach  es  augenblicklich  an  Platz. 


VII 

Renata  hat  wahrend  ihres  zehnjahrigen  Zusammenlebens  mit 
ihrem  Gatten  fiinf  Kinder  geboren,  aber  allmahlich  begann 
Ercole  sein  ,,monstrum"  zu  vernachlassigen  und  ein  Liebesverhaltnis 
nach  dem  anderen  anzukniipfen.  Die  Franzosinnen  in  Renatas 
Umgebung  haben  tiber  die  Untreue  des  Herzogs  eifrig  nach  Frank- 
reich  berichtet,  am  meisten  verdroB  sie  Ercoles  Verhaltnis  mit 
ihrer  Landsmannin,  Frau  de  Noyant,  die  an  einen  Hofmann  ver- 
heiratet  war.  Uber  dieses  Verhaltnis  wurde  sogar  am  franzosischen 
Hofe  gesprochen,  und  Terruffini,  der  ferraresische  Gesandte  in 
Paris,  bekam  Bosheiten  genug  zu  horen.  Die  Hofdamen  der  Konigin 
Eleonora  gerieten  einst  in  seiner  Gegenwart  in  einen  solchen 
Zorn  uber  Frau  de  Noyant,  daB  sie  Strafen  fur  die  Verbrecherin 
ersannen,  falls  sie  je  in  ihre  Kande  fiele;  sie  wollten  sie  auf  lang- 
samem  Feuer  rosten,  in  Stiicke  hacken  und  ihr  die  Augen  ausstechen. 
Ercole  hatte  einige  uneheliche  Kinder,  auch  der  Literat  Lodovico 
Trotti  war  sein  Sohn.  Der  Ruhm  des  Herzogs  als  gefahrlicher  Ver- 
fiihrer  war  so  groB,  daB  er  ihn  einmal  beinahe  mit  seinem  Leben 
bezahlt  hat.  1546  veranlaBte  er  die  Sch wester  eines  venezianischen 
Patriziers  Gian  Paolo  Manfrone,  einen  Ferraresen  niedrigen  Standes 
zu  heiraten.  Manfrone  verdachtigte  den  Herzog,  daB  er  die  Ehe 
gestiftet  habe,  um  einen  bequemen  Deckmantel  fur  ein  unerlaubtes 


RENATA  DI  FRANCIA 


279 


Verhaltnis  zu  haben  und  wollte  ihn  aus  Rache  ermorden.  Der  An- 
schlag  miBlang,  der  Herzog  lieB  Manfrone  ins  Gefangnis  werfen, 
wo  der  ungliickliche  Venezianer  wahnsinnig  wurde. 

Die  franzdsischen  Autoren  heben  riihmend  hervor,  daB  Renata 
sehr  nachsichtig  gegen  die  Untreue  ihres  Gatten  gewesen  sei.  Sie 
speiste  sogar  zuweilen  in  Gesellschaft  von  Frau  Noyant,  die  von 
den  Hofdamen  so  sehr  gehafit  wurde.  Allmahlich  verschlechterte 
sich  das  Verhaltnis  zwischen  den  Gatten,  besonders  da  Ercole  ge- 
legentlich  brutal  und  schroff  gegen  die  Herzogin  war,  da  er  ihr  ihre 
Sympathie  fur  Menschen,  die  der  Ketzerei  verdachtigt  wurden, 
nachtrug.  Renata  fuhlte  sich  einsam  und  trostbediirftig.  Pons, 
der  Schwiegersohn  der  Mme.  de  Soubise,  war  das  Muster  eines 
liebenswiirdigen,  einnehmenden  franzdsischen  Hoflings,  sah  dazu 
gut  aus,  und  war  tonangebend  in  Fragen  der  Eleganz  in  Ferrara. 
Wahrend  seines  sechsjahrigen  Aufenthaltes  am  Hofe  bestand  ein 
sehr  herzliches  Verhaltnis  zwischen  ihm  und  der  Herzogin,  das 
freilich  die  Grenze  der  Freundschaft  nicht  uberschritten  hat.  Die 
Sache  blieb  lange  Geheimnis,  zuletzt  wurde  Ercole  durch  anonyme 
Briefe  auf  die   Gefiihle  seiner  Frau  aufmerksam  gemacht. 

1539  wurde  den  Este  von  Paul  III.  endlich  der  Besitz  von  Mo- 
dena  und  Reggio  bestatigt;  die  romische  Kurie  hatte  sich  auf  diese 
Stadte  gewisse  Rechte  angemaBt,  und  der  Papst  lieB  sich  fur  diese 
Bestatigung  achtzigtausend  Dukaten  in  bar  auszahlen,  sowie 
einen  jahrlichen  Tribut  von  siebentausend  Dukaten  und  zwanzig- 
tausend  Sack  Salz  aus  Comacchio.  Als  der  alte  Kassierer  der  Este, 
Girolamo  Giglioli,  von  diesen  Vertragen  erfuhr,  geriet  er  in  eine 
solche  Verzweiflung,  daB  er  sich  laut  iiber  Ercole  beklagte  und 
erklarte,  der  alte  Herzog  hatte  eher  Rom  bekriegt  und  erobert, 
als  eine  so  enorme  Summe  geopfert.  Er  weigerte  sich,  das  Geld 
herauszugeben.  Als  ihn  Ercole  zwang,  die  Kasse  zu  offnen,  er- 
krankte  der  Alte  schwer  aus  Kummer.  Dieser  Vertrag,  der  die  Este 
fester  als  bisher  an  die  romische  Kurie  band,  wurde  in  Frankreich 
ungern  gesehen;  Frankreich  wollte  die  Este  zum  Bundesgenossen 
haben,  ohne  ihnen  je  beizustehen.  Ercole,  der  nicht  mit  Franz  I. 
brechen  wollte,  beschloB  Pons  nach  Paris  zu  schicken,  damit  er 
den    Konig  umstimme.      Franz   I.   hatte   eine   Vorliebe   fur   Pons, 


280  ZEHNTES  KAPITEL 

infolgedessen  hielt  Ercole  ihn  fur  die  geeignete  Personlichkeit.  Pons 
entledigte  sich  seines  Auftrages  in  zufriedenstellender  Weise,  aber 
wahrend  seiner  Abwesenheit  entspann  sich  eine  Korrespondenz 
zwischen  ihm  und  Renata,  die  Ercole  zu  haufig  erschien.  Renata 
schrieb  ihre  Briefe  des  Morgens,  wenn  der  ganze  Hof  schlief,  und 
da  sie  die  Postmeister  der  nachstgelegenen  Stadte  erkauft  hatte, 
nahm  sie  nicht  an,  daB  ihre  Korrespondenz  je  in  unberufene  Hande 
kame.  Sie  schrieb  taglich  und  berichtete  eingehend  iiber  ihr  Leben. 
Ihre  Orthographie  laBt  zwar  so  manches  zu  wiinschen  iibrig,  aber 
dafiir  ist  ihre  Art  zu  schreiben  sehr  lebendig,  amusant  und  hiibsch. 
Aus  zweien  dieser  Briefe,  die  das  estensische  Archiv  bewahrt,  spricht 
ein  warmes  Empfinden.  Renata  nennt  Pons  immer  ,,mon  enfant", 
einige  Abschnitte  des  Briefes  sind  in  chiffrierter  Schrift.  Sie  erzahlt, 
sie  reite  mit  ihren  Hofdamen  beinahe  taglich,  ihr  Mann  habe  mit 
ihr  zusammen  Abendbrot  essen  wollen,  doch  habe  sie  sich  geweigert 
unter  demVorwand,daB  es  schon  spat  sei;  einmal  habe  sie  aus  Langer- 
weile  Laura  dei  Dianti,  die  Geliebte  des  verstorbenen  Herzogs 
Alfonso  besucht.  Sehr  anmutig  schildert  sie  ihm  das  Kind,  das  Frau 
Pons  wahrend  der  Abwesenheit  ihres  Gatten  geboren;  das  Sohnchen 
habe  einen  Mund  wie  der  Vater,  aber  so  winzig,  daB  eine  Erbse  kaum 
darin  Platz  fande,  und  ebenso  sanft  blickende  Augen  wie  der  Vater. 
Sie  habe  es  dreimal  auf  die  Augen  gekiiBt.  Renata  erstattet  Pons  auch 
sehr  genau  Bericht  iiber  seinen  kleinen  Hund,  ihren  besten  Freund  in 
Abwesenheit  seines  Herrn,  er  schlafe  in  ihren  Armen  und  lieBe  sie  aus 
Eifersucht  nicht  schreiben.  Pons  konne  beruhigt  iiber  ihn  sein.  Sie 
wache  ,,de  le  faire  etriller  et  epuceter  tous  les  soirs  et  matins". 
War  das  Hiindchen  auf  Renata  eifersiichtig,  so  scheint  sie  es  noch 
mehr  auf  seinen  Herrn  gewesen  zu  sein.  Es  schien  ihr,  und  wohl 
nicht  ganz  ohne  Grund,  daB  eine  ihrer  Hofdamen,  Diana  Ariosti, 
ihn  Hebe,  deshalb  fing  sie  einen  ihrer  Briefe  auf.  Die  schone  Ita- 
lienerin  beweist  in  diesem  herzlichen  und  fesselnden  Brief,  daB 
sie  von  Orthographie  keine  Ahnung  hat,  aber  daB  man  auch  ohne 
diese  Kunst  gelehrter  Leute  seine  Empfindungen  sehr  warm  aus- 
driicken  kann.  Sie  klagt,  ihr  Leben  sei  ohne  de  Pons  freudlos. 
Dieser  Brief  hat  Renata  zwar  beunruhigt,  aber  de  Pons'  gelegent- 
liche  Seitenspriinge  scheinen  ihr  Verhaltnis  nicht  getriibt  zu  haben. 


RENATA  DI  FRANCIA  "    28l 

Als  Ercole  aus  anonymen  Briefen  von  der  Zartlichkeit  seiner  Frau 
fur  den  schonen  Franzosen  erfuhr,  nahm  er  diese  Nachricht  ruhig 
genug  auf,  lieB  nichts  davon  merken,  daB  er  Renata  nachspiire, 
und  versuchte  nur  unter  den  verschiedensten  Vorwanden  de  Pons 
in  Paris  zuriickzuhalten.  Anderthalb  Jahre  blieb  er  fort,  und  als 
der  sentimentale  Hofmann  in  der  ersten  Halfte  des  Jahres  1540 
nach  Ferrara  zuriickkam,  traf  er  Renata  nicht  mehr.  Der  vorsichtige 
Ercole  hatte  sie  in  die  Verbannung  nach  Consandolo  geschickt,  in 
ein  SchloB  der  Este,  das  ungesund  iiber  den  faulenden  Wassern 
des  Comacchio  lag;  bis  auf  die  Vogel  im  Garten  und  die  Aale  im 
Wasser  gab  es  keinerlei  Gesellschaf t.  Der  Bediirf nisse  ihrer  Seele  hatte 
Ercole  wohl  gedacht,  er  gab  ihr  zum  Kaplan  den  sehr  geschickten 
Geistlichen  Francois  Richardot,  einen  Hofmann  von  einnehmendem 
AuBern,  der  zwar  in  Frankreich  ein  Anhanger  Calvins  gewesen 
war,  aber  jetzt  zu  den  eifrigsten  Katholiken  gehorte.  Richardot 
scheint  vom  Herzog  beauftragt  worden  zu  sein,  Renata  zum  streng 
katholischen  Glauben  zuruckzufiihren;  aber  als  er  erkannte, 
daB  es  Renata  mehr  nach  Genf  denn  nach  Rom  drange,  lieB  er  sie 
ihren  Weg  gehen,  befestigte  sie  in  Calvins  Lehre  und  nicht  im 
Katholizismus,  empfahl  ihr  jedoch  dringend,  mit  Riicksicht  auf 
den  Herzog  und  seine  Stellung  zur  romischen  Kurie,  die  Brauche 
und  Vorschriften  der  katholischen  Religion  zu  befolgen.  Er  drangte 
sie,  zur  Messe  und  zum  Abendmahl  zu  gehen,  ohne  an  die  Wirksam- 
keit  der  priesterlichen  Absolution  zu  glauben.  Calvin  scheint 
Richardot  gut  gekannt  zu  haben,  er  sagte  einmal  von  ihm,  seine 
Worte  hatten  nicht  mehr  Wert  als  das  Geschwatz  einer  Elster.  Die 
zweideutigen  Ratschlage  des  Kaplans  haben  Renatas  Gewissen 
nicht  beruhigt;  durch  Frau  de  Pons'  Vermittelung  wandte  sie  sich 
1 54 1  an  Calvin.  Er  schrieb  ihr  sehr  eindringlich,  warnte  sie  vor 
Richardot,  empfahl  ihr  Mut  und  Ausdauer,  denn  die  furchtsamen 
Menschen  glichen  geistigen  Kruppeln.  Er  schickte  ihr  seine  Ab- 
handlung  ,,De  la  Cene  de  notre  Seigneur",  die  seine  Lehre  knapp 
zusammenfaBt.  Calvins  Schrift  machte  Renata  groBen  Eindruck, 
sie  horte  auf,  in  die  Kirche  zu  gehen  und  zu  beichten. 

Als  Renata  am  tiefsten  von  Calvins  Lehre  durchdrungen  war,  er- 
schien  am  22.  April  1543  der  Papst  Paul  III.  in  Ferrara.    Er  reiste 


282    "  ZEHNTES  KAPITEL 

Karl  V.  entgegen,  der  in  Genua  gelandet  war.  Er  wollte  den  Kaiser 
veranlassen,  das  Herzogtum  Mailand  seinem  Sohn  Pier  Luigi  oder 
seinem  Enkel  Ottavio  zu  iibertragen.  Seine  Bemiihungen  hatten 
nicht  den  erwunschten  Erfolg,  aber  einmal  in  Bologna,  nahm  er 
Ercoles  Einladung  nach  Ferrara  um  so  lieber  an,  als  er  einen 
doppelten  Zweck  damit  verfolgte:  einmal  wollte  er  Ercole  zu  einer 
Anleihe  von  funfzigtausend  Scudi  veranlassen,  und  dann  Renatas 
Tochter  sehen,  da  er  eine  derselben  seinem  Enkel  Orazio  Farnese 
zugedacht  hatte. 

Zur  BegriiBung  des  Papstes  kam  Renata  nach  Ferrara;  in  einer 
kostbaren  Sanfte  begab  sie  sich  zu  Paul  III.,  begleitet  von  siebzig 
vornehmen  Ferraresinnen  in  schwarzen,  silbergestickten  Kleidern, 
auf  Pferden  mit  schwarz-silbernem  Zaumzeug.  Die  Calvinistin 
und  Ketzerin  kuBte  den  papstlichen  Pantoffel,  und  Paul  III.  schenkte 
ihr  einen  kostbaren  Diamanten  und  einen  Lilienzweig  aus  Dia- 
manten,  im  Werte  von  fiinfzehnhundert  Talern.  Der  Papst  ge- 
stattete  auf  ihre  Bitte,  daB  die  Nonne  Suranna  das  Augustinerinnen- 
kloster  verlasse  und  in  den  herzoglichen  Palast  ziehe,  um  die  jungen 
Prinzessinnen  im  Sticken  zu  unterweisen.  Paul  III.  erwies  Renata 
seine  Gunst  in  jeder  Beziehung;  um  sie  vor  den  Verfolgungen  der 
Inquisitoren  in  Ferrara  zu  schiitzen,  erlieB  er  ein  Breve,  worin  er  sie 
dem  unmittelbaren  Schutz  des  Papstes  und  der  GroBinquisitoren 
des  Sant'  Officio  unterstellte.  Renata  ward  also  eine  vollkommene 
Ausnahmestellung  der  Inquisition  gegeniiber  eingeraumt.  Infolge 
ihrer  besonderen  Frommigkeit  und  der  erprobten  Starke  ihres 
Glaubens  verdiene  sie  in  Frieden  zu  leben,  ohne  der  unnotigen 
Kontrolle  der  inquisitorischen  Gewalt  ausgesetzt  zu  sein,  wie  es  im 
Breve  hieB.  Weder  die  Inquisitoren  in  Ferrara  und  Bologna,  noch 
die  Bischofe  oder  pi'pstlichen  Gesandten  durften  bei  Strafe  des 
Bannes  in  ihr  religioses  Verhalten  eingreifen.  Dieses  Breve  wurde 
auf  die  Bitte  des  franzosischen  Gesandten  in  Rom  erlassen,  ohne 
Ercoles  Wissen,  ja,  es  war  gegen  ihn  gerichtet,  da  er  die  Tochter 
des  Konigs  von  Frankreich  nicht  rucksichtsvoll  genug  behandele. 
Der  Hauptgrund  war  jedoch,  daB  der  Papst  Renata  gewinnen 
wollte,  damit  sie  Orazio  Farnese  die  Hand  ihrer  Tochter  Anna 
gebe,  wahrend  Ercole  gegen  diese  Verbindung  war.     Der  Herzog 


RENATA  DI  FRANCIA  283 

wuBte,  daB  die  Verbindung  mit  den  Papsten,  selbst  zu  Lebzeiten  des 
Papstes,  mit  dem  man  das  Biindnis  geschlossen,  nicht  immer  Vor- 
teile  bringe,  nach  seinem  Tode  aber  geradezu  Nachteile.  AuBer- 
dem  war  Orazio  ein  papstlicher  Bastard,  also  kein  geniigend  vor- 
nehmer  Pratendent  fur  eine  estensische  Herzogstochter.  Als 
Paul  III.  eine  endgiiltige  Antwort  verlangte,  begann  Ercole  unter 
verschiedenen  Vorwanden  die  Entscheidung  hinauszuschieben  und 
wuBte  immer  neue  Hindernisse  ausfindig  zu  machen  —  bis  der 
Papst  starb. 

Wir  glauben  nicht,  daB  Renata,  als  sie  dem  Papst  ihre  Ergeben- 
heit  bewies  und  sich  um  das  Breve  bewarb,  Rom  betriigen  wollte 
und  unehrenhaft  vorgegangen  ist.  Alle  vornehmen  Damen  jener 
Zeit:  Renata,  eine  Zeit  hindurch  Vittoria  Colonna  oder  die  Konigin 
von  Navarra  nannten  sich  in  ihren  Brief  en  ,,Roms  sehr  gehorsame 
Tdchter",  und  versuchten  trotzdem  mit  alien  ihnen  zu  Gebote 
stehenden  Mitteln  Reformen  einzufuhren  ,,zum  Wohl  der  Religion 
und  der  Kirche".  Noch  waren  die  Grenzen  zwischen  Ketzerei  und 
dem,  was  die  Kirche  erlaubte,  flieBend. 

Nach  der  Auszeichnung,  die  der  Papst  der  Herzogin  erwiesen 
hatte,  gab  es  keinen  eigentlichen  Grund  mehr,  sie  gewissermaBen 
in  Verbannung  in  Consandolo  zu  behalten,  da  Rom  jeden  Verdacht 
der  Ketzerei  von  ihr  genommen  hatte.  Es  gehorte  sich  also,  daB  die 
Herzogin  wieder  ihren  Wohnsitz  in  Ferrara  nehme,  und  zu  diesem 
Zwecke  muBte  de  Pons  entfernt  werden.  Ercole  machte  sich  auch 
sehr  energisch  ans  Werk.  Er  hatte  ihn  bis  jetzt  aus  Riicksicht 
auf  Franz  I.  gelitt?n,  aber  schlieBlich  gingen  ihm  der  Hochmut 
und  die  Intriguen  des  franzosischen  Spions  zu  weit,  er  bat 'Renata, 
ihn  von  ihrem  Hof  zu  entfernen,  besonders  da  er  Klatschereien  iiber 
sie  verbreite.  Renata  lehnte  diese  Forderung  zwar  ab,  aber  da  dem 
Ehepaar  de  Pons  der  Boden  in  Ferrara  zu  heiB  geworden  war,  floh 
es  insgeheim  nach  Venedig.  Franz  I.  machte  dem  Herzog  zwar 
Vorstellungen,  weil  er  Pons  angeblich  schlecht  fur  seine  Dienste 
belohnt  habe,  aber  Ercole  lieB  statt  jeglicher  Antwort  auf  die  Briefe 
des  Konigs  die  Mobel  und  Kleider  des  Ehepaares  Pons  konfiszieren 
und  gab  vor,  daB  die  Juden,  die  Glaubiger  der  verhaBten  Franzosen 
Anspriiche  darauf  erheben.      Frau   Pons  starb   bald   nachdem  sie 


284  ZEHNTES  KAPITEL 

Italien  verlassen,  er  verheiratete  sich  zum  zweitenmal  mit  Maria 
de  Monchenu,  einer  eifrigen  Katholikin,  und  wurde  unter  ihrem 
EinfluB  ein  so  treuer  Sohn  der  Kirche,  daB  er  als  franzosischer 
Statthalter  in  Saintonge  die  Protestanten  aufs  grausamste  ver- 
folgt  hat. 

Renata  brauchte,  nachdem  Frau  de  Pons  sie  verlassen,  eine  neue 
Gesellschafterin,  sie  bat  die  Konigin  von  Navarra,  ihr  eine  Ver- 
treterin  zu  schicken.  Die  Konigin  wahlte  Frau  de  La  Roche,  die, 
wie  Brantome  sagt,  sehr  nach  Luther  roch.  Obgleich  man  sie  bei  ihrer 
Abreise  gewarnt  hatte,  in  Ferrara  weder  Mund  noch  Augen  und 
Ohren  zu  haben,  zettelte  die  La  Roche  sofort  Intriguen  an,  und  ver- 
feindete  sich  mit  dem  ganzen  Hof  in  dem  MaBe,  daB  Ercole  sie 
nach  sechsmonatlichem  Aufenthalt  nach  Frankreich  zuriick- 
schicken  muBte.  Nach  dieser  Enttauschung  verlangte  Renata  nicht 
mehr  nach  einer  franzosischen  Ehrendame,  sondern  wahlte  an  Frau 
de  La  Roches  Stelle  Olympia  Morato,  die  schon  seit  einigen  Jahren 
ihrem  Hof  angehorte.  Olympia  war  die  Tochter  des  ferraresischen 
Humanisten  Pellegrino  Morato,  der  nach  der  Sitte  der  damaligen 
Professoren,  den  lateinischen  Namen  Fulvio  angenommen  hatte. 
Unter  Alfonso  I.  war  er  der  Lehrer  seiner  jungeren  Sonne  Ippolito 
und  Alfonso  gewesen,  dann  muBte  er  auswandern,  da  er  es  mit 
Luther  hielt.  1534  gestattete  ihm  Ercole  zuriickzukommen,  aber 
Morato  verleugnete  seine  Vorliebe  fur  die  Reformation  durchaus 
nicht,  sein  Haus  in  Ferrara  war  der  Sammelpunkt  fur  die  Feinde 
des  Papsttums.  Einer  der  intimsten  Freunde  Moratos  war  Curione, 
Humanist,  Literat  und  Ketzer,  ein  sehr  begabter  Mensch  von 
besonders  angenehmen  Umgangsformen.  Er  war  an  Renatas 
Hof  gern  gesehen,  und  ihm  verdankte  Olympia,  ein  hochgebildetes 
Madchen,  die  Stellung  bei  der  Herzogin.  Mit  fiinfzehn  Jahren 
schrieb  sie  schon  ausgezeichnet  italienisch,  sprach  lateinisch  und 
griechisch,  iibersetzte  Homer  und  Vergil,  machte  Gedichte  und 
gewann  alle  Herzen  durch  ihre  Giite  und  Bescheidenheit.  Zuerst 
berief  Renata  sie  als  Gesellschafterin  fur  ihre  alteste  Tochter  Anna, 
spater  anvertraute  sie  ihr  die  Erziehung  ihrer  beiden  jungeren 
Tochter  Lucrezia  und  Leonora.  Die  jungen  Prinzessinnen  trieben 
klassische    Sprachen,    muBten    bisweilen    in    einem   kleinen    Kreis 


RENATA  DI  FRANCIA  285 

von  Gelehrten  philosophische  Thesen  verteidigen,  und  Olympia 
lieB  sie  Aristoteles'  Rhetorik,  Ptolemaus'  Schriften,  Cicero,  Ovid 
und  von  neueren  Verfassern  Erasmus  Rotterdamus  lesen,  auch 
bestellte  sie  aus  Venedig  Proklus'  Spharen  und  einen  Globus,  „un 
mappomondo".  Den  Unterricht  leiteten  auBer  Olympia  der  Huma- 
nist Sinapius;  spater  kam  noch  Francesco  Porto,  ein  Monch,  der  der 
Reformation  nahe  stand,  dazu. 

Olympia  blieb  trotz  ihrer  Heirat  mit  dem  deutschen  Gelehrten 
Grunthler  im  Hofdienst  und  befaBte  sich  nach  wie  vor  mit  der 
Erziehung  der  Prinzessinnen.  Ihre  eignen  Studien  durften  darunter 
nicht  leiden,  sie  las  die  antiken  Philosophen  und  war  Skeptikerin 
geworden.  In  ihrem  beruhmten  spateren  Werk,  den  ,,Dialogen", 
berichtet  sie,  sie  habe  allmahlich  angenommen,  der  Zufall  regiere 
die  Welt,  und  ihr  Glaube  an  Gott  sei  geschwunden.  Das  Studium 
der  Bibel  gab  ihr  zwar  den  Glauben  wieder,  brachte  sie  aber  der 
romischen  Kirche  noch  ferner.  1548  erkrankte  Olympias  Vater 
schwer,  sie  muBte  den  Hof  verlassen  und  kam  erst  wieder,  als  die 
Prinzessin  Anna  mit  dem  Herzog  von  Aumale  vermahlt  wurde. 
Nachdem  sie  den  Unterricht  von  Lucrezia  und  Leonora  wieder  auf- 
genommen  hatte,  wurde  sie  plotzlich  aus  dem  Hofdienst  entlassen, 
ohne  daB  jemand  auch  nur  im  entferntesten  den  Grund  dieser  Un- 
gnade  ahnte.  Renata,  die  sonst  sehr  mildtatig  war,  gestattete  Olym- 
pia nicht  einmal  die  Sachen  an  sich  zu  nehmen,  die  sie  ins  SchloB 
mitgebracht  hatte,  und  erst  nach  vielen  Bitten  und  nachdem  auch 
Lavinia  della  Rovere  ihre  Partei  ergriffen  hatte,  gab  sie  ihr  ein 
altes  Kleid  zuriick.  Diese  Herzensharte  wirft  ein  eigenes  Licht 
auf  Renatas  Charakter,  sie  muB  nicht  nur  eigensinnig,  sondern 
auch  rachsiichtig  gewesen  sein.  Man  nimmt  an,  Renata  habe 
im  Zorn  gehandelt,  als  sie  erkannte,  daB  Olympia  mehr  zu  Luther, 
als  zu  Calvin  neige,  doch  laBt  sich  dariiber  heute  nichts  Sicheres  aus- 
sagen.  Jedenfalls  war  Olympias  Stellung  in  Ferrara  unmoglich  ge- 
worden, sie  muBte  die  Stadt  verlassen,  infolge  der  Unannehmlich- 
keiten,  die  sie,  als  vom  Hof  entfernt,  iiberall  zu  gewartigen  hatte. 
Sie  folgte  ihrem  Gatten  in  seine  Heimat  nach  Schweinfurt,  doch 
wartete  ihrer  dort  ein  tragisches  Schicksal.  Sie  war  kaum  dort  an- 
gekommen,  als  die  Bischofe  von  Bamberg  und  Wurzburg  die  Stadt, 


286  ZEHNTES  KAPITEL 

in  der  sich  Albert  von  Brandenburg  eingeschlossen  hatte,  belagerten. 
Das  bischofliche  Heer  eroberte  die  Stadt  und  brandschatzte  sie  in 
furchtbarster  Weise;  Olympia  verlor  ihr  ganzes  Hab  und  Gut, 
entfloh  notdurftig  bekleidet  und  irrte  mit  ihrem  Mann  iiber  schnee- 
bedeckte  Felder,  bis  sie  das  Stadtchen  Hameln  erreichte,  das  drei 
Meilen  von  Schweinfurt  entfernt  ist.  In  einem  Brief  an  Curione 
berichtet  sie,  sie  sei  barfuB,  in  einem  zerrissenen  Mantel,  den  eine 
Frau  ihr  unterwegs  geliehen  hatte,  nach  Hameln  gekommen. 
Ihre  Gesundheit  war  diesen  Strapazen  nicht  gewachsen,  sie  starb 
am  7.  November  1555  in  Heidelberg. 


VIII 

Die  Reformbestrebungen  griffen  in  Norditalien  immer  mehr 
urn  sich;  Ferrara,  Modena  und  Mirandola  wurden  der  Hauptsitz 
der  neuen  Bewegung.  Die  Bewegung  kam  aus  dem  Norden,  aus 
Deutschland  und  Frankreich,  und  unterschied  sich  sehr  lebhaft 
von  den  reformatorischen  Tendenzen  der  Theatiner,  den  Idealen 
der  neapolitanischen  Frauen  und  den  Bestrebungen  der  Kapuziner. 
Aus  Deutschland  kamen  erst  Bucher,  spater  um  1520  Menschen. 
Die  Monche,  die  Rom  in  den  Norden  schickte,  damit  sie  gegen 
die  Reformation  auftraten,  kamen  zumeist  von  Luthers  Lehre 
erfiillt  zuriick.  In  Ferrara  trafen  die  Anhanger  des  deutschen  Re- 
formators  die  Jiinger  Calvins,  und  wahrend  die  ersteren  nur  eine 
Reform  der  Kirche  anstrebten,  ohne  die  politischen  Verhaltnisse 
antasten  zu  wollen,  hatten  die  letzteren  demokratische  Tendenzen 
und  hetzten  das  Volk  gegen  die  Fiirsten  auf.  Trotzdem  vermochten 
die  Calvinisten  nicht,  groBere  Volksmengen  zu  fesseln,  ihre  Dok- 
trinen  waren  zu  kalt  und  zu  pedantisch  und  haben  zu  wenig  auf  die 
Phantasie  gewirkt.  In  Italien  fanden  Luthers  Lehren  giinstigeren 
Boden,  da  sie  in  der  Hauptsache  gegen  die  Ubergriffe  der  Kirche  ge- 
richtet  waren,  aber  die  Grundlage  der  Gesellschaft  nicht  erschiit- 
terten.  Die  italienischen  Fiirsten  waren  zu  eng  durch  materielle 
Interessen  mit  Rom  verbunden,  um  den  Sturz  des  Papsttums  zu 
wiinschen,  und  das  Volk  lauschte  zwar  den  Angriffen  auf  Monche 


RENATA  DI  FRANCIA  287 

und  Bischofe  mit  reichlichem  Behagen,  kam  aber  nicht  im  ent- 
ferntesten  auf  den  Gedanken,  das  Papsttum  zu  bekampfen. 

Die  reformatorische  Bewegung  beschrankte  sich  in  Ferrara 
wie  in  den  iibrigen  norditalienischen  Stadten  auf  jene  Klasse,  die 
wir  heute  ,,die  Intelligenz"  nennen,  auf  Professoren,  Literaten, 
Monche,  die  ihr  Geliibde  gebrochen,  und  auf  gebildete  Frauen. 

Renata  war  von  ,,Ketzern"  umgeben.  Ihr  Hofarzt  Gian  Sinapius, 
der  Universitatsprofessor  Celio  Curione,  beides  Freunde  von  Olym- 
pia  Morato,  Chilian  Sinapius,  der  mit  einer  Hofdame  der  Herzogin, 
Francesca  Bucyronia,  verheiratet  war,  waren  samtlich  heifie  An- 
hanger  der  Reformation.  Celio,  Melanchthons  Schuler,  war  viel- 
leicht  die  fesselndste  Persdnlichkeit  unter  ihnen.  Er  war  der  drei- 
undzwanzigste  Sohn  von  Giacomo  di  Chieri  und  Carlotta  Montrolier, 
einer  Hofdame  der  Herzogin  Bian  ca  von  Savoyen.  Sehr  gebildet,  be- 
redt,  im  Umgang  sympathisch,  kam  er  schon  friih  in  Turin  ins 
Gefangnis,  da  er  in  der  Kirche  einen  Dominikaner,  der  unerhorte 
Dinge  iiber  Luther  vorbrachte,  laut  einen  Liigner  schalt.  Aus 
dem  Gefangnis  entfloh  er  bald,  hatte  noch  mancherlei  Abenteuer, 
und  als  er  in  Venedig  mit  Pellegrino  Morato  bekannt  wurde,  ging 
er  mit  ihm  zusammen  nach  Ferrara  und  war  bei  Renata  besonders 
gut  angeschrieben.  Doch  war  seines  Bleibens  nicht  lange,  vom 
Sant'  Officio  bedrangt,  muBte  er  in  die  Schweiz  fliichten  und  suchte 
Schutz  bei  Bullinger,  einem  der  Fiihrer  der  reformatorischen  Be- 
wegung in  Zurich.  Renata  war  mit  ihm  im  Briefwechsel  geblieben 
und  anvertraute  ihm  sogar  Gelder  zur  Unterstiitzung  bedrangter 
Calvinisten. 

Unter  dem  EinfluB  dieser  Renata  nahestehenden  Personlich- 
keiten  stand  selbst  Ercoles  Leibarzt,  Angelo  Manzollini,  der  Verfasser 
eines  satirischen  Gedichtes  gegen  den  Papst,  ferner  Lilio  Giraldi, 
der  Chronist  und  Schmeichler  des  estensischen  Hauses,  und  Marc- 
antonio  Flaminio,  ein  sehr  begabter  Mensch,  der  jedoch  seine 
religiosen  Anschauungen  beliebig  wechselte  und  Calvinist  oder 
eifriger  Katholik  war,  je  nachdem  es  ihm  am  besten  paBte.  Am 
Hofe  der  Herzogin  lebte  auch  der  franzosische  Dichter  L6on  Jamet, 
der  ein  uberzeugter  Anhanger  der  Reformation  war,  obgleich  er 
es  verstanden  hatte,   sich   Ercoles   Gunst  zu  erwerben.      Die  cal- 


288  ZEHNTES  KAPITEL 

vinistische  Bewegung  wurde  ferner  von  einigen  hervorragen- 
den  Frauen  unterstiitzt,  von  Lavinia  della  Rovere,  der  Enkelin 
Julius  II.,  und  der  Grafin  Giulia  Rangone  di  Bentivoglio.  Der  in 
Deutschland  verfolgte  Reformator  Alciatus  fliichtete  erst  nach 
Bologna,  dann  nach  Ferrara  und  schrieb  von  dort  aus  am  7.  Juli 
1540,  daB  er  in  ,,diesem  ferraresischen  Himmel"  eine  aufierst 
gebildete  Gesellschaft  gefunden  habe,  daB  man  dort  die  Neuerer  nicht 
verfolge,  und  er  sich  in  Ferrara  sehr  viel  wohler  als  in  Bologna  fuhle. 

Im  Vergleich  mit  Modena  war  Ferrara  ein  sehr  ruhiger  Refor- 
mationsherd.  In  Modena  hielt  Paolo  Ricci  dffentlich  heretische 
Predigten  und  hatte  groBen  EinfluB.  Auch  das  kleine  Mirandola, 
der  Stammsitz  der  Pico,  war  eine  Zufluchtsstatte  fur  Luthers 
und  Calvins  Anhanger,  da  der  Graf  Galeotto  sie  energisch  unter- 
stiitzte,  und  Renata  ihm  jene  franzosischen  Hugenotten  zuschickte, 
denen  in  Ferrara  Gefahr  drohte.  Allmahlich  beunruhigte  man  sich 
iiber  all  diese  Dinge  in  Rom,  namentlich  das  Vorgehen  der  Uni- 
versitatsprofessoren  in  Ferrara  erweckte  Argernis.  Der  dortigen 
Inquisition  wurde  ein  ,,Bekenntnis"-Formular  zugeschickt,  das 
die  der  Ketzerei  verdachtigen  Professoren  unterschreiben  sollten. 
In  diesem  Dokument  erklarten  sie  zwar  ausdriicklich,  mit  der  Re- 
formation in  keinerlei  Zusammenhang  zu  stehen,  aber  diese  Forma- 
litat  war  natiirlich  zwecklos,  da  religiose  Untersuchungen  und 
ketzerische  Agitation  nach  wie  vor  anhielten,  und  man  nament- 
lich in  zahlreichen  ,,Akademien"  die  heikelsten  religiosen  Fragen 
erorterte. 

SchlieBlich  forderte  Paul  III.  Ercole  auf,  energisch  gegen  dieses 
Argernis  einzuschreiten;  aber  der  Herzog  erklarte,  wohl  mit  Riick- 
sicht  auf  Renata,  die  Vorwiirfe  der  rdmischen  Kurie  seien  zu  all- 
gemein  gehalten,  und  die  ihm  gesandte  Schrift  fuhre  keine  Tatsachen 
an,  die  einer  strengeren  Untersuchung  als  Grundlage  dienen  konnten; 
er  bitte  daher,  ihm  die  Personen  namhaft  zu  machen,  gegen  die  er 
vorgehen  solle.  Infolgedessen  verlangte  der  Papst  nahere  Einzel- 
heiten  vom  ferraresischen  Inquisitor,  und  nach  einiger  Zeit  be- 
nachrichtigte  er  den  Herzog,  daB  Renata  selbst  beschuldigt  werde, 
zwei  Ketzer  an  ihrem  Hofe  zu  beherbergen,  Bruccioli,  den  Flo- 
rentiner  Literaten,  und  Francesco  Porto,  den  griechischen  Monch. 


RENATA  DI  FRANCIA  289 

Bruccioli  hatte  eine  sehr  verbreitete  Bibelausgabe  iibersetzt,  die 
man  offentlich  als  ketzerisch  verbrannt  hatte,  obgleich  sie  Franz  I. 
und  Renata  gewidmet  war.  Dcr  Obersetzer  wurde  zu  einer  Geld- 
strafe  von  fiinfzig  Scudi  verurteilt.  Als  Bruccioli  dem  Richter  er- 
klarte, eine  so  hohe  Geldstrafe  nicht  bezahlen  zu  konnen,  da  er 
nichts  besitze,  wurde  ihm  zur  Antwort,  er  wurde,  wenn  er  nur  wollte, 
Geld  finden  konnen.  ,,So  veranlaBt  nur,"  erwiderte  Bruccioli,  „daB 
Ich  hundert  Scudi  finde,  dann  bleiben  mir  fiinfzig,  die  ich  sehr 
notig  habe."  Der  Richter  hatte  schon  so  unrecht  nicht,  denn  Renata 
bezahlte  die  Geldstrafe  in  aller  Stille. 

Francesco  Porto,  ein  Grieche  aus  Kreta,  war  langere  Zeit  der 
Lehrer  der  jungenPrinzessinnen  gewesen,und  obgleich  er  in  religiosen 
Dingen  ziemlich  zuriickhaltend  war,  unterlag  es  keinem  Zweifel, 
daB  er  es  mit  der  Reformation  hielt.  Derselbe  Papst,  der  vor  gar  nicht 
langer  Zeit  Renata  vor  den  Belastigungen  des  Inquisitors  geschiitzt 
hatte,  forderte  jetzt  den  Herzog  sehr  energisch  auf,  seine  Ge- 
mahlin  zu  veranlassen,  ihre  Taktik  gegen  die  Ketzer  zu  andern. 
Aber  der'  Herzog,  der  augenblicklich  wohl  besser  mit  Renata 
stand,  erklarte  der  romischen  Kurie,  ein  gewaltsames  Einschreiten 
habe  gar  keinen  Sinn  und  wurde  die  Herzogin  nur  reizen,  einen 
Wechsel  musse  man  der  Zeit  und  ruhiger  Oberredung  iiberlassen. 
Der  Papst  konne  ihm,  der  in  seinem  Leben  schon  viel  fur  das 
Wohl  des  Apostolischen  Stuhles  geopfert  habe,  voll  vertrauen; 
er  wiirde  vorgehen,  wie  es  das  Interesse  der  Kirche  fordere.  Ercole 
hatte  recht;  als  namlich  der  Papst  den  franzosischen  Gesandten 
in  Rom,  Herrn  Gye,  veranlaflte,  nach  Ferrara  zu  reisen,  um  Renata 
im  Namen  der  romischen  Kurie  Vorstellungen  zu  machen,  empfing 
die  Herzogin  ihn  aufs  ungnadigste  und  erklarte,  daB  ihr  tugend- 
haftes  Leben  der  beste  Schutz  gegen  all  jene  sei,  die  es  wagten, 
sie  anzugreifen. 

Die  Jesuiten  in  Ferrara  nahmen  jedoch  an  Renatas  Leben 
AnstoB,  sie  schickten  unablassig  beunruhigende  Berichte  nach 
Rom:  die  Herzogin  ginge  weder  in  die  Kirche  noch  zur  Beichte, 
hielte  die  Fasten  nicht  ein  und  lieBe  auch  ihre  Hofleute  nicht  fasten. 
Ercole  hat  gewiB  bedauert,  die  Jesuiten  nach  Ferrara  berufen 
und  wirksam  unterstutzt  zu  haben,  denn  jetzt  gait  es,  ihr  allzu 

19 


290 


ZEHNTES  KAPITEL 


energisches  Vorgehen  einzudammen.  Er  bemiihte  sich,  in  Rom 
durchzusetzen,  daB  man  Fra  Girolamo  Pepina  aus  Lodi  zum  In- 
quisitor in  Ferrara  einsetze,  da  er  Reformbestrebungen  sympathised 
gegeniiberstand  und  die  Gewahr  fiir  ein  friedliches  Handeln  bot. 
Trotzdem  spitzten  die  Verhaltnisse  sich  immer  mehr  zu,  nament- 
lich  als  die  Inquisition  den  Ketzer  Fannio  in  Bagnacavallo  auf 
ferraresischem  Gebiet  gefangen  nahm  und  ihn  nach  Ferrara  iiber- 
fiihrte.  Fannio  Fannino  aus  Faenza  war  schon  in  seiner  Jugend 
gegen  die  romische  Kirche  aufgetreten,  indem  er  reformatorische 
Lehren  offentlich  verkiindigte.  Zur  Strafe  wurde  er  ins  Gefangnis 
geworfen.  Seine  verzweifelte,  arme  Familie  bemiihte  sich  um  seine 
Freilassung  und  veranlaBte  ihn,  dem  Willen  der  Inquisition  gemafl, 
seine  Ansichten  offentlich  zu  widerrufen.  Fannio  schamte  sich  jedoch 
dieser  Feigheit  so  sehr,  daB  er  ohne  Riicksicht  auf  Gefahr  nunmehr 
eine  neue  Agitation  gegen  Rom  begann  und  in  der  Romagna  viel 
Anhanger  gewann.  Er  war  ein  sehr  begabter,  ja  glanzender  Redner; 
die  Inquisition  hielt  ihn  deshalb  fiir  einen  der  gefahrlichsten  Neuerer 
und  beschloB  seinen  Tod  auf  dem  Scheiterhaufen.  Ercole  sollte  dieses 
Urteil  in  Ferrara  vollstrecken  lassen,  aber  Renata  tat  ihr  Bestes, 
um  im  Namen  der  christlichen  Liebe  den  Angeklagten,  dessen 
Familie  in  bitterster  Not  zuriickblieb,  zu  befreien.  Auf  Wunsch  der 
Herzogin  zogerte  Ercole  mit  der  Urteilsvollstreckung,  muBte  zu- 
letzt  aber  dem  sehr  energischen  Druck  der  Inquisition  nachgeben. 
Renata  war  in  einem  der  Schlosser  auBerhalb  Ferraras;  als  sie 
erfuhr,  daB  das  Urteil  vollzogen  werden  solle,  kam  sie  in  die  Stadt 
und  flehte  den  Herzog  aufs  neue  um  Fannios  Leben.  Ercole  war 
den  Befehlen  der  Inquisition  gegeniiber  machtlos,  er  anderte  den 
Urteilsspruch  nur  dahin,  daB  er  Fannio  im  Gefangnis  erwiirgen 
und  den  Korper  in  den  Po  werfen  lieB.  Als  man  dem  Verurteilten 
vor  der  Urteilsvollstreckung  das  Kreuz  in  die  Hand  geben  wollte, 
gab  er  ruhig  zur  Antwort,  da  er  den  lebenden  Christus  im  Herzen 
trage,  wiiBte  er  nicht,  was  er  mit  einem  holzernen  Christus  an- 
fangen  solle. 

Kaum  ein  Jahr  spater,  am  23.  Mai  1551,  wurde  am  Fenster- 
kreuz  des  herzoglichen  Palastes  Domenico  Giorgio  aufgehangt, 
ein  Geistlicher  aus  Sizilien,  der  der  Ketzerei  verdachtig  war.    Gleich- 


RENATA  DI  FRANCIA  2QI 

zeitig  verurteilte  die  Inquisition  Lodovico  Domenico  in  Florenz 
zu  zehn  Jahren  Gefangnis,  da  er  Calvins  ,,Nicommediana"  ins 
Italienische  iibersetzt  hatte.  Calvin  selbst  bat  Renata,  sich  fur 
Domenico  bei  Cosimo  Medici  zu  verwenden,  was  die  Herzogin 
auch  sofort  tat,  indem  sie  in  ihrem  Brief  besonders  betonte,  sie 
schreibe  auf  die  Bitte  eines  Mannes,  dem  sie  gern  dienen  mochte. 
Trotz  aller  Angebereien  der  Inquisition  und  der  Brief e  aus  Rom 
vertrat  Renata  die  Partei  der  Reformierten,  wo  immer  sie  konnte, 
und  unterstiitzte  sie  unablassig  mit  Geldmitteln. 

Die  fortwahrenden  Streitigkeiten  zwischen  Ercole  und  Renata, 
die  auf  religiose  Differenzen  zuriickgingen,  und  das  infolgedessen 
immer  stillere  Leben  am  Hofe  wirkten  niederdriickend  auf  Don 
Alfonso,  den  altesten  Sohn,  einen  energischen  Jungling,  den  es  nach 
Taten  und  Ruhm  diirstete.  Er  konnte  dieses  untatige  Leben  nicht 
langer  ertragen  und  erklarte,  lieber  unter  dem  Sultan  kampfen,  als 
langer  in  Ferrara  die  Hande  in  den  Schofi  legen  zu  wollen.  Der  Erb- 
prinz  wollte  nach  Frankreich  gehen,  da  die  kriegerische  Betatigungs- 
moglichkeit  dort  eine  sehr  viel  groBere  war;  aber  der  Vater  wollte 
nichts  von  diesem  Plan  wissen,  denn  Alfonso  hatte  in  diesem 
Falle  gegen  den  Kaiser  kampfen  miissen,  was  Ercole,  den  kaiser- 
lichen  Bundesgenossen,  in  die  fatalste  Situation  gebracht  hatte. 
Don  Alfonso  beschloB  daher,  seine  Absicht  gegen  den  Wunsch 
des  Vaters  auszufiihren,  und  floh  mit  fiinfzehn  Getreuen  im  Mai 
1552  aus  dem  Hause,  indem  er  vorgab,  auf  die  Jagd  zu  gehen. 
Der  Herzog  lieB  ihn  verfolgen,  doch  Alfonso  war  mit  seinem  Gefolge 
schon  zu  weit,  und  die  herzoglichen  Diener  kehrten  unverrichteter 
Sache  nach  Ferrara  zuriick.  In  seinem  Zorn  muBte  sich  Ercole  damit 
zufrieden  geben,  in  effigie  den  Freund  seines  Sohnes  Giovanni 
Lavezzuola  hangen  zu  lassen.  Er  war  Alfonso  bei  seiner  Flucht 
behilflich  gewesen;  gegen  den  Jungling  selbst,  der  darauf 
rechnen  durfte,  in  Frankreich  mit  offenen  Armen  empfangen  zu 
werden,  war  der  Herzog  machtlos.  Tasso  gedachte  dieses  Vor- 
falles  in  seinem  ,,Befreiten  Jerusalem"  bei  der  ,, Flucht"  des  jungen 
Rinaldo: 

Nobilissima  fuga,  e  che  l'imiti 

Ben  degna  alcun  magnanimo  nipote. 

19* 


292 


ZEHNTES  KAPITEL 


Heinrich  II.  nahm  den  Jiingling  sehr  gnadig  auf  und  iibertrug 
ihm  das  Oberkommando  iiber  eine  kleine  Heeresabteilung,  aber 
Ercole  begann  trotzdem  diplomatische  Unterhandlungen  mit  dem 
franzdsischen  Hof,  urn  den  Sohn  zur  Riickkehr  zu  veranlassen; 
sein  Trost  war,  Alfonso  wiirde  heimkehren,  wenn  sein  Geld  alle 
ware.  Unterdessen  nahm  Alfonso  zum  groBen  Kummer  seines 
Vaters  teil  an  Frankreichs  Krieg  gegen  den  Kaiser  und  zeichnete 
sich  durch  unvergleichliche  Tapferkeit  aus.  Wahrend  der  Belagerung 
einer  Festung  ging  Alfonso  mit  einigen  Gefahrten  auf  einen  ex- 
ponierten  Hiigel,  wo  ihn  die  feindlichen  Geschosse  erreichen 
konnten,  legte  sich  ins  Gras  und  erzahlte  ihnen  Liebesabenteuer. 
Allem  Anschein  nach  war  es  mit  der  SchuBfahigkeit  der  kaiser- 
lichen  Artillerie  nicht  weit  her,  da  die  jungen  Eisenfresser  mit  heiler 
Haut  aus  diesem  gefahrlichen  Abenteuer  davonkamen. 

Der  alte  Ercole  sollte  recht  behalten:  der  Sohn  kam  friiher 
wieder,  als  man  erwartet  hatte.  Im  Herbst  1554  war  er  in  Ferrara, 
da  sein  Geld  zu  Ende  und  sein  Kredit  erschopft  war.  Er  anvertraute 
sich  der  vaterlichen  Gnade,  lieB  aber  seine  Fluchtgefahrten  nicht 
im  Stich,  da  er  ihnen  vollstandige  Verzeihung  beim  Herzog  er- 
wirkte. 

Die  Riickkehr  des  Sohnes  verbesserte  das  Verhaltnis  der  Ehe- 
gatten  keineswegs,  und  Renata  bekannte  sich  immer  offener  zu 
Calvins  Lehre.  Als  einer  ihrer  beliebtesten  und  treuesten  Diener, 
Ippolito  Putti,  in  den  letzten  Ziigen  lag,  und  der  Herzog  den  Priester 
mit  dem  heiligen  Sakrament  zum  Sterbenden  schicken  wollte,  wider- 
setzte  sich  Renata  standhaft  und  veranlaBte  damit  einen  sehr  pein- 
lichen  Vorfall.  Die  Sorge  des  Herzogs  wuchs,  als  er  beobachtete, 
daB  Renata  beide  Tochter  in  Calvins  Lehre  erziehen  wollte.  Als 
er  ihr  Vorwurfe  machte  und  drohte,  ihr  die  Tochter  zu  nehmen, 
brach  sie  in  Tranen  aus  und  antwortete,  nicht  imstande  zu  sein, 
ihren  Kindern  Glaubenssatze  einzuimpfen,  die  sie  fur  falsch  halte. 
Ein  andermal  schickte  er  ihr  einen  Geistlichen,  damit  er  in  ihren 
Gemachern  eine  Messe  abhalte,  da  ,,verjagte  ihn  die  Herzogin 
wie  den  leibhaftigen  Teufel".  Aus  ihrer  Oberzeugung  machte  sie 
durchaus  kein  Hehl,  im  Gesprach  betonte  sie,  der  Katholizismus 
sei  eine   Gotzenreligion,   an  deren  Vorschriften  sie  nicht  glaube. 


RENATA  DI  FRANCIA 


293 


Gleichzeitig  unterstiitzte  sie  die  Hugenotten  mit  immer  groBeren 
Summen,  stand  in  regelmaBiger  Korrespondenz  mit  Calvin  und  bat 
ihn,  ihr  zwei  Lehrerinnen  zu  empfehlen,  ,,erzogen  in  Gottesfurcht 
und  Demut,  rein  in  ihrem  Leben  und  ihren  Worten,  die  als  Vorbild 
dienen  konnten  und  den  Frieden  liebten".  Ihr  Lehrerinnenideal 
schilderte  sie  Calvin  so  eingehend,  dafi  sie  selbst  an  die  Kleider 
dieser  Frauen,  die  aus  der  Schweiz  kommen  sollten,  dachte.  Sie 
brauchen  nicht  vkl  fur  ihren  Putz  auszugeben;  schrieb  sie,  schwarze, 
wollene  Kleider,  der  Witwentracht  ahnlich,  geniigen,  ,,avec  le 
chaperon  d'oreilles".  Dieser  mit  geheimer  Post  an  Calvin  gesandte 
Brief  ist  in  Ercoles  Hande  geraten;  er  hat  eine  Abschrift  danach 
machen  lassen,  die  sich  heute  im  estensischen  Archiv  befindet. 
Renata  war  unvorsichtig  genug,  ihre  Brief e  einem  jiidischen  Kauf- 
mann  aus  Ferrara  zur  Weiterbeforderung  nach  Genf  anzuvertrauen. 
Dieser  Kaufmann  hat  den  Empfangern  nur  einige  Brief e  iibergeben, 
um  das  Vertrauen  seiner  Klientin  nicht  zu  verlieren,  die  iibrigen 
handigte  er  Ercole  aus,  der  Abschriften  danach  machen  liefi, 
um  gegebenenfalls  eine  Waffe  gegen  seine  Frau  in  Handen  zu 
haben. 

Die  Jesuiten,  namentlich  Loyola,  waren  mit  den  Zustanden  in 
Ferrara  sehr  unzufrieden;  da  Pater  Jay  fur  Deutschland  notwendig 
war,  schickten  sie  erst  Pater  Broet,  dann  Lepelletier,  zu  Ercoles 
groBem  Arger,  da  er  zu  Jay  viel  Vertrauen  hatte.  Lepelletier  drangte 
den  Herzog,  gegen  die  Ketzer  mit  scharfsten  Mitteln  vorzugehen. 
Auf  seine  Veranlassung  erlieB  Ercole  ein  Dekret,  welches  alle  der 
Ketzerei  Verdachtigen  des  Landes  verwies,  darunter  waren  auch 
einige  Diener  der  Herzogin.  Das  geniigte  Loyola  nicht,  er  konnte 
nicht  fassen,  dafi  Lepelletiers  EinfluB  bei  Renata  abprallte.  Er 
schrieb  dem  Jesuitenpater  einen  sehr  scharfen  Brief  und  verlangte 
von  den  iibrigen  Jesuiten  in  Ferrara,  ihm  in  versiegelten  Briefen  ihre 
Ansicht  iiber  das  Vorgehen  ihres  Vorgesetzten  mitzuteilen.  Lepel- 
letier berief  sich  auf  den  Widerstand  der  Herzogin  und  ihrer  Hof- 
damen  und  beklagte  sich,  daB  diese  Hexen  in  tatsachlichem  Ein- 
vernehmen  mit  dem  Teufel  stiinden,  ,,fornicatio  cum  Daemonibus"; 
erst  1553  gelang  es  ihm,  eine  der  Hofdamen  mit  Hilfe  ihres  Gatten 
zu  bekehren.     t)ber  Renata  selbst  vermochte  er  nichts. 


294 


ZEHNTES  KAPITEL 


Die  Herzogin  verlieB  Ferrara,  bekiimmert  und  emport  daruber, 
daB  sie  ihre  Lieblingsdiener  verloren  hatte;  sie  zog  sich  nach  Con- 
sandolo  zuriick,  wo  sie  einer  weniger  strengen  Kontrolle  unter- 
stand  und  leichter  an  Calvin  schreiben  konnte.  Die  Nachrichten, 
die  der  Herzog  aus  Consandolo  bekam,  waren  sehr  beunruhigend, 
es  geniigte  Renata  nicht  mehr,  auf  ihren  Hof  reformierend  zu 
wirken,  sie  begann  ketzerische  Ideen  selbst  unter  der  Bevdlkerung 
des  nahe  gelegenen  Stadtchens  Argenta  zu  verbreiten. 

Ercoles  Geduld  war  zu  Ende.  In  einem  ausfiihrlichen  Briefe 
berichtet  er  Heinrich  II.,  daB  Renata  in  ihrem  Eigensinn  gegen  Gott 
siindige  und  das  Haus  der  Este  mit  Schande  bedecke;  man  konne 
ihr  in  keiner  Weise  die  „ketzerischen  Phantasien"  austreiben, 
selbst  Weihnachten  wollte  sie  nicht  in  die  Kirche  gehen.  Der 
Herzog  vergleicht  seine  Leiden  mit  den  LeMen  Hiobs  und  bittet 
den  Konig,  einen  gebildeten,  energischen  Kaplan  an  Renata  zu 
schicken,  damit  er  sie  von  der  Schadlichkeit  der  ketzerischen  Grund- 
satze  iiberzeuge  und  auf  den  Weg  der  Wahrheit  zuriickfuhre. 
Heinrichs  Antwort  an  Renata  klang  deutlich  genug:  so  lange  sie 
Ketzerin  bleibe,  diirfe  sie  auf  seinen  Schutz  nicht  zahlen.  Er  schickte 
ihr  den  fanatischen  franzosischen  Inquisitor  Matthias  Ory, 
der  seit  zwanzig  Jahren  die  GeiBel  der  Reformierten  war.  Ory 
hatte  eine  Vollmacht  des  Konigs,  gegen  die  Herzogin  mit  riicksichts- 
loser  Scharfe  vorzugehen;  wenn  es  ihm  nicht  gelange,  sie  ,,zur 
Herde  von  Jesus  Christus  zuriickzufiihren",  so  war  er  berechtigt 
ihr  mit  der  Einziehung  ihrer  Giiter  in  Frankreich  zu  drohen,  mit 
der  Entziehung  ihrer  Tochter  und  der  Entfernung  ihrer  franzo- 
sischen Dienerschaft.  Als-aber  der  Due  de  Guise  von  diesem  strengen 
koniglichen  Befehl  erfuhr,  schickte  er  seinen  Vertrauten  an  Renata, 
um  Orys  Vorgehen  zu  durchkreuzen.  Fur  diese  Mission  bestimmte 
er  den  Dichter  Jamet,  der  einst  Ercoles  Sekretar  gewesen  war, 
sich  dem  Herzog  in  keiner  Weise  verdachtig  gemacht  hatte  und 
sich  doch  insgeheim  treu  zu  Calvin  bekannte.  Jamet  holte  sich, 
ehe  er  nach   Ferrara  kam,   Instruktionen  beim  Meister  in    Genf. 

Ory  setzte  mit  Hilfe  des  Jesuiten  Jay  alle  Hebel  in  Bewegung, 
um  Renatas  Oberzeugung  zu  andern,  aber  auch  Calvin  lieB  nicht 
locker.    Da  er  Jamets  Geschicklichkeit  nicht  iibermaBig  hoch  ein- 


RENATA  DI  FRANCIA 


295 


schatzte,  sandte  er  seinen  tiichtigsten  Anhanger,  Francois  de  Morel, 
der  auch  unter  dem  Namen  de  Colonges  bekannt  ist,  schleunigst 
nach  Ferrara.  Calvins  Gesandter  kam  unter  fremdem  Namen 
nach  Ferrara;  obgleich  er  die  Herzogin  insgeheim  sah,  erfuhr 
Ercole  von  diesen  geheimen  Zusammenkiinften.  Da  Renata  nicht 
von  der  Verbindung  mit  den  Ketzern  abzubringen  war,  nahm  er 
ihr  die  Tochter  und  gab  sie  in  das  Kloster  Corpus  Domini,  das  seiner 
Schwester  Eleonora  d'Este  unterstand.  Gleichzeitig  entlieB  Ercole 
Renatas  Hofdamen  und  ihre  franzosische  Dienerschaft,  nur 
einige  ihm  absolut  ergebene  und  zuverlassige  Personen  blieben  in 
ihrem  Dienst.  Renata  trug  all  diese  MaBnahmen  auBerlich  ruhig, 
aber  energisch  wies  sie  die  Versuche  des  Inquisitors  zuriick,  sie 
von  Calvins  Lehre  abzubringen.  Ory  ergriff  in  seiner  Ungeduld 
ein  letztes  Mittel,  das  Heinrich  II.  sicherlich  nicht  vorausgesehen 
hatte:  er  verklagte  Renata  vor  dem  Tribunal  der  Inquisition.  Das 
Tribunal,  mit  Bischof  Rosetti  an  der  Spitze,  trat  in  Ferrara  zu- 
sammen,  die  Richter  waren  Bischof  Lodeve  und  Lepelletier,  der 
Rektor  des  Jesuitenkollegiums.  Ory  als  Anklager  warf  Renata 
vor,  daB  sie  sich  zu  Calvins  Ketzerlehre  bekenne,  nicht  zur  Messe 
gehe,  die  Wirksamkeit  der  Sakramente  bestreite,  nicht  beichte 
und  nicht  an  die  Fleischwerdung  Christi  glaube.  Aus  Riicksicht  auf 
den  Konig  von  Frankreich  und  Ercole  ging  das  Tribunal  sehr 
milde  vor,  verurteilte  Renata  nicht  zumTode,  sondern  nur  zu  lebens- 
langlichem  Gefangnis  und  zur  Konfiskation  all  ihrer  weltlichen 
Giiter.  Die  Bibliothek  der  Herzogin,  in  der  sich  Hunderte  von  ver- 
botenen  Buchern  befanden,  sollte  verbrannt  und  ihre  Dienerschaft 
aufs  schwerste  bestraft  werden,  aber  vierundzwanzig  der  Schul- 
digsten  warteten  den  Urteilsspruch  nicht  ab,  sondern  flohen  ins- 
geheim. 

Renata  nahm  den  Urteilsspruch  ganz  ruhig  auf  und  zeigte  keiner- 
lei  Furcht.  Am  7.  September,  einen  Tag,  nachdem  das  Urteil  ge- 
fallt  war,  hielt  bei  Tagesanbruch  ein  Wagen  vor  ihrem  Palast,  und 
unter  der  Eskorte  des  Bischofs  Rosetti  und  Ruggieros,  des  ehe- 
maligen  ferraresischen  Gesandten  in  Rom,  wurde  die  Herzogin 
in  das  alte  SchloB  uberfuhrt,  das  schon  lange  als  Gefangnis  diente. 
Renata  wurde  in  jenen  Raumen  untergebracht,  die  sie  unmittelbar 


296  ZEHNTES  KAPITEL 

nach  ihrer  Ankunft  in  Ferrara  als  junge  Frau  bewohnt  hatte,  vor 
ihrer  Tiir  wurde  eine  Wache  postiert,  und  zwei  zuverlassige  Frauen 
wurden  mit  ihrer  Bedienung  betraut.  Plotzlich,  im  Verlaufe  von 
noch  nicht  einer  Woche  gingen  Veranderungen  vor,  die  man  sich 
furs  erste  nicht  zu  erklaren  vermochte.  Renata  verlieB  das  Ge- 
fangnis,  und  Ory,  der  franzosische  GroBinquisitor,  war  aus  Ferrara 
verschwunden.  Aus  dem  Anklager  ward  ein  Angeklagter:  Renata, 
zum  AuBersten  gebracht,  legte  zu  ihrer  Verteidigung  jenes  Breve 
von  Paul  III.  vor,  in  dem  der  Papst  ihr  ausdrucklich  gestattet  hatte, 
selbst  GewaltmaBregeln  gegen  jeden  zu  ergreifen,  der  sie  der  Ketzerei 
bezichtige.  Kraft  dieses  Breve  unterstand  Ory  dem  Bann,  und  Re- 
nata war  berechtigt,  ihren  Gatten  aufzufordern,  ihn  ins  Gefangnis 
werfen  zu  lassen.  Der  franzosische  Monsignore  hielt  es  fur  das 
Kliigste,  das  Feld  zu  raumen.  Renata  hatte  sich  an  ihren  Feinden 
sehr  geschickt  geracht. 

Infolge  dieses  Breve,  von  dem  auch  Ercole  nichts  gewufit  zu 
haben  scheint,  wurde  sein  Verhalten  der  Herzogin  gegeniiber  ein 
anderes.  Da  ihr  mit  Gewalt  nicht  beizukommen  war,  lieB  sich  nur 
auf  giitlichem  Wege  Frieden  schlieBen.  Ercole  versuchte  es  auf  diese 
Weise,  und  schon  nach  einigen  Tagen  kam  es  wenigstens  zu  auBeren 
Zugestandnissen.  Infolge  des  politischen  Verhaltnisses  des  Herzogs 
zur  romischen  Kurie  und  der  Zukunft  ihrer  Kinder  gab  Renata  fin- 
den  Augenblick  nach;  sie  beschloB,  die  vom  katholischen  Kult  vor- 
geschriebenen  religiosen  Brauche  zu  wahren,  beichtete  sogar 
bei  Lepelletier  und  nahm  das  Abendmahl.  Ercole  erwies  sich  der 
Herzogin  dankbar  fiir  diesen  Wandel  in  ihrem  Benehmen,  gab  ihr 
die  Tochter  zuriick  und  gestaltete  ihren  Hofstaat  auf  die  alte  Art  um. 

Pater  Lepelletier  triumphierte,  er  riihmte  Renatas  wunder- 
bare  Bekehrung  laut  und  berichtete  Loyola  von  diesem  auBer- 
ordentlichen  Ereignis;  doch  Ercole  kannte  seine  Frau  besser  als 
ihr  Beichtvater;  er  wuBte,  daB  die  Herzogin  Calvinistin  geblieben 
war  und  sich  nur  fiir  den  Augenblick  der  auBeren  Notwendigkeit 
gefiigt  hatte.  Ercoles  MiBtrauen  ging  so  weit,  daB  er  sich  weigerte, 
ihr  ihre  Kleinodien  herauszugeben,  damit  sie  sie  nicht  verkaufe 
und  die  Ketzer  mit  diesem  Geld  unterstiitze.  AuBerdem  unter- 
stellte  er  sie  dem  besonderen   Schutze  zweier  Jesuiten,  die  er  zu 


RENATA  DI  FRANCIA  297 

ihrem  Hauskaplan  und  Beichtvater  ernannte.  Diesen  geistlichen 
Wachtern  konnte  es  nicht  lange  entgehen,  dafl  ihr  Triumph  ver- 
fruht  war;  sie  scheinen  die  Wahrheit  nach  Rom  berichtet  zu  haben, 
denn  der  neue  Papst,  Paul  IV.,  jener  furchtbare  Caraffa,  empfahl 
seinem  Auditor  Rota,  als  er  ihn  nach  Ferrara  entsandte,  Renata 
nicht  zu  besuchen. 

Trotzdem  beunruhigten  sich  Calvin  und  die  Sektierer,  als  sie 
erfuhren,  Renata  sei  in  den  SchoB  der  katholischen  Kirche  zuriick- 
gekehrt,  und  selbst  Olympia  Morato  schrieb  damals:  ,,daB  sie  die 
Herzogin  stets  fiir  unbestandig  gehalten  habe";  aber  Renata  sorgte 
dafiir,  dafl  Calvin  nicht  lange  an  ihren  Abfall  glaube.  Briefe  zwischen 
Ferrara  und  Genf  kamen  und  gingen  wie  friiher,  und  Calvin,  der 
Renata  in  ihren  Grundsatzen  befestigen  wollte,  schickte  einen  seiner 
originellsten  Apostel  Galeazzo  de  Vico  nach  Ferrara.  Galeazzo, 
ein  vornehmer  Neapolitaner,  hatte  im  OberfluB  mit  Frau  und  Kindern 
gelebt,  da  machten  ihm  Valdes'  und  Ochinos  Predigten  einen  solchen 
Eindruck,  daB  er  seine  Familie  verlieB,  auf  sein  Vermogen  ver- 
zichtete  und  sich  zu  Calvin  nach  Genf  begab.  Er  ward  zum  leiden- 
schaftlichen  Apostel  der  Reformation:  arm  und  elend  durchzog 
er  die  Schweiz,  Flandern,  das  nordliche  Italien  und  predigte  die 
Lehre  seines  Meisters.  Insgeheim,  wahrscheinlich  unter  fremdem 
Namen,  kam  er  nach  Ferrara,  hatte  Zusammenkunfte  mit  der 
Herzogin,  die  ihn  in  ihrem  eigenen  Wagen  bis  an  die  Grenze  be- 
forderte. 

Die  Inquisition  hatte  ein  hartes  Stuck  Arbeit  zu  leisten,  und 
viele  Scheiterhaufen  brannten,  ehe  Ferrara  und  namentlich  Modena 
als  weniger  „verdachtig"  galten.  Noch  unter  Alfonso  wurden  in  Mo- 
dena dreizehn  Manner  und  Frauen  verbrannt.  Paul  IV.  befahl  den 
Geistlichen  in  Ferrara  mit  Hilfe  weltlicher  Institutionen  Material 
zu  sammeln,  um  all  jenen,  die  man  der  Sympathie  mit  den  Ketzern 
verdachtigte,  den  ProzeB  zu  machen,  und  sie  auch  dann  nicht  zu 
schonen,  wenn  sie  zur  hochsten  Klasse  der  dortigen  Gesellschaft 
gehoren  sollten.  Um  das  Material  um  so  schneller  und  sicherer  zu- 
sammen  zu  bekommen,  empfahl  die  romische  Kurie,  gegebenen  Falles 
die  Folter  nicht  zu  schonen.  Die  Denunzianten  wurden  von  der 
Inquisition  reichlich  belohnt,  und  einer  ihrer  wichtigsten  Geheim- 


298  ZEHNTES  KAPITEL 

agenten  war  jener  Franzose  de  Noyant,  der  seiner  Zeit  das  Ver- 
haltnis  zwischen  seiner  eigenen  Frau  und  Ercole  ruhig  geduldet 
hatte. 

Ercole  und  besonders  sein  intoleranter  Nachfolger  Alfonso  II. 
leisteten  der  Inquisition  in  ihrem  Vernichtungswerk  Vorschub. 
Die  Reformation  wurde  unterdriickt,  aber  die  Arbeit  in  Italien 
war  weniger  schwer  als  in  Deutschland  oder  Frankreich.  Die 
Italiener  haben  wenig  Anlage  zum  religiosen  Fanatismus,  und  der 
Mehrzahl  erschien  es  toricht,  sich  foltern  und  einsperren  zu  lassen, 
wenn  es  doch  geniigte,  die  auBeren  Formen  der  Kirche  zu  erfiillen 
und  man  im  stillen  glauben  konnte,  was  man  wollte.  Die  Zahl 
jener,  die  fur  ihre  religiose  Uberzeugung  sterben  wollten,  war 
in  Italien  ganz  gering. 


IX 

Italiens  politische  Verhaltnisse  waren  gegen  das  Ende  von 
Ercoles  Regierung  so  kompliziert,  daB  es  viel  diplomatischer 
Geschicklichkeit  bedurfte,  um  im  allgemeinen  Chaos  nicht  unter- 
zugehen.  Die  kleinen  Tyrannen  und  Republiken  vermochten  sich 
gegen  die  drei  groBen  Gewalten:  Spanien,  Frankreich  und  das 
Papsttum  nicht  zu  behaupten,  nur  dem  Herzog  von  Ferrara  gelang  es, 
sein  Land  vor  fremden  Einfetllen  zu  schutzen.  Um  seine  Stellung 
zu  befestigen  und  sich  dem  Kaiser  wieder  zu  nahern,  beschloB 
Ercole  seinen  Sohn  Alfonso  mit  Cosimo  Medicis  Tochter  zu  ver- 
heiraten.  Renata  war  gegen  diese  Verbindung,  sie  wunschte,  daB 
Alfonso  sich  mit  Marguerite,  der  Herzogin  von  Berry,  der  Schwester 
des  Konigs  von  Frankreich,  die  etwas  alter  als  er  war,  vermahle; 
aber  Ercole  hatte  bereits  mit  einer  franzosischen  Prinzessin  so  bose 
Erfahrungen  gemacht,  daB  er  seine  Zustimmung  verweigerte. 
Da  die  Florentinerin  erst  vierzehn  Jahre  alt  war,  entschloB  man 
sich  zwar  zur  sofortigen  Trauung,  jedoch  mit  der  Klausel,  daB  Al- 
fonso fur  langere  Zeit  nach  Frankreich  gehe. 

Der  alte  Ercole  sollte  seinen   Sohn  nicht  wiedersehen,   er  er- 
krankte  am  26.   September  1558  schwer  und  war  am  3.   Oktober 


RENATA  DI  FRANCIA  299 

tot.  Vor  seinem  Tode  versuchte  er  Renata  zu  bewegen,  als  Regentin, 
bis  zu  Alfonsos  Riickkehr  aus  Frankreich,  ihre  Beziehungen  zu 
den  Heretikern  abzubrechen  und  ihre  geheime  Korrespondenz 
mit  Calvin  aufzugeben.  Der  Vermittler  dieser  Briefe  war  der  Post- 
meister  des  Stadtchens  Luna  in  der  Romagna.  Renata  versprach 
dem  Sterbenden,  seine  Wiinsche  zu  erfiillen,  bald  reute  sie  ihre 
Schwache,  und  sie  versuchte  sich  vor  Calvin  zu  rechtfertigen. 
Der  geschickte  Reformator  sprach  ihr  Trost  zu,  Mda  sie  Gott  durch 
diesen  Schwur  beleidigt  habe,  sei  sie  nicht  gezwungen,  ihn  zu  halten". 

Renatas  Regentschaft  war  nur  von  kurzer  Dauer.  Alfonso 
traf  am  26.  Oktober  1559  in  Ferrara  ein  und  iibernahm  die  Regie- 
rung  in  gewohnter  Weise.  Auf  Bitten  der  Mutter  gab  er  seinem  alten 
Oheim  Giulio  d'Este  die  Freiheit  wieder;  er  hatte  dreiBig  Jahre 
im  unterirdischen  Kerker  geschmachtet.  Als  der  alte  Mann  den 
Lebenden  wiedergegeben  ward,  betrachtete  ihn  ganz  Ferrara  als 
eine  Merkwiirdigkeit,  denn  er  war  noch  a  la  francese  gekleidet  wie  zu 
Zeiten  Alfonsos  I.  Seinen  Kopf  deckte  ein  Hut  mit  ungeheuren 
Krausen,  der  Rock  reichte  bis  an  die  Knie,  die  Armel,  bauschig 
nach  oben,  umschlossen  das  Handgelenk  fest,  der  Mantel  war  pelz- 
gefiittert,  die  weiten  Strumpfe  dienten  gleichzeitig  als  Taschen, 
und  an  den  Stiefeln  prangte  eine  seidene  Franse.  Der  arme  Giulio 
sollte  sich  seiner  Freiheit  nicht  lange  freuen,  er  starb  zwei  Jahre, 
nachdem  er  aus  dem  Gefangnis  freigekommen  war. 

Alfonso  II.  war  gegen  die  Ketzer  viel  intoleranter  als  sein  Vater; 
er  erklarte,  lieber  unter  Aussatzigen  als  unter  Hugenotten  leben 
zu  wollen,  und  in  Frankreich  hatte  er  dem  Konig  empfohlen,  die 
gewaltsamsten  MaBregeln  gegen  die  Reformatoren  zu  ergreifen 
und  nicht  die  Fiihrer  allein  zum  Tode  zu  verurteilen.  Zwischen  der 
calvinistischen  Mutter  und  dem  fanatischen  Sohn  konnte  es  keinen 
Frieden  geben,  das  Verhaltnis  spitzte  sich  immer  mehr  zu,  besonders 
als  Alfonso  1560  nach  Rom  fuhr,  um  Pius  IV.  zu  huldigen.  Dort 
verlangte  man  vom  Herzog,  seine  Mutter  zu  zwingen,  die  Be- 
ziehungen zu  den  Ketzern  abzubrechen.  Alfonso  stellte  nach  seiner 
Riickkehr  die  Herzogin  vor  die  Alternative:  ihr  Vorgehen  vollig 
zu  andern  oder  Italien  zu  verlassen.  Alfonsos  Harte  verletzte  Re- 
nata   aufs    empfindlichste;    sie    beschloB,    in    kvirzester    Zeit    nach 


300 


ZEHNTES  KAPITEL 


Frankreich  zuriickzugehen.  Die  Abreise  fand  mit  all  den  Ehrungen 
statt,  die  man  der  Herzogin-Mutter  und  friiheren  Regentin  schuldig 
war;  Alfonso  begleitete  Renata  bis  an  die  Grenze  des  Reiches. 
Am  2.  September  verlieB  Renata  Ferrara,  begleitet  von  drei- 
hundert  Menschen  und  ihrem  jiingeren  Sohne,  Don  Luigi,  der 
sie  nach  Frankreich  brachte. 

Renata  war  die  markanteste  Personlichkeit  unter  den  refor- 
mierten  Frauen  Italiens,  aber  ihr  Vorgehen  war  anders  als  das 
einer  Vollblutitalienerin,  einer  Colonna  oder  Giulia  Gonzaga; 
ihrem  Temperament  nach  blieb  sie  stets  die  Franzosin  und  Frau 
des  Nordens.  Eine  groBe  Rechtlichkeit  und  Charakterfestigkeit, 
unendliche  Giite  und  Mitleid  waren  ihre  hervorragendsten  Eigen- 
schaften.  Als  ehrliche  Katholikin  war  sie  nach  Italien  gekommen, 
und  sie  ware  sicherlich  dem  Katholizismus  treu  geblieben,  wenn 
man  ihr  rucksichts-  und  liebevoller  begegnet  ware,  und  wenn  der 
religiose  Terrorismus  nicht  seinen  Hohepunkt  erreicht  hatte.  Es 
emporte  sie,  daB  man  von  ihr  verlangte,  Dinge  zu  glauben,  die 
sie  nicht  glauben  konnte,  daB  sie  anstatt  verniinftiger  Belehrung 
auf  einen  strikten  Befehl  stieB.  Ihr  koniglicher  Stolz  revoltierte, 
und  die  eigensinnige,  leidenschaftliche  Bretonin  erwachte.  Sie 
gehort  zu  jener  groBen  Zahl,  die  die  Brutalitat  der  Gegenreformation 
mit  Gewalt  in  das  feindliche  Lager  gestoBen  hat. 

Sie  war  so  sehr  von  religiosen  Ideen  erfiillt,  daB  im  Gegen- 
satz  zu  den  beriihmten  italienischen  Frauen  die  Kunst  keinen  Platz 
in  ihrem  Leben  fand.  Wahrend  Ercole  als  wahrer  Macen  die  ferra- 
resischen  Maler  Girolamo  da  Carpi,  die  beiden  Dossi  und  Garofalo 
um  sich  scharte,  Pordenone,  Cellini,  Sansovino  und  einige  Flamen 
kommen  lieB,  interessierte  sich  Renata  als  echte  Calvinistin  kaum 
fur  Kunst  und  unterstiitzte  nur  einige  unbedeutende  franzosische 
Kiinstler  um  ihrer  Nationalitat  willen.  Dagegen  hatte  sie  eine  Vor- 
liebe  fur  Musik,  sah  Seiltanzern  gem  zu  und  hatte  eine  Schwache 
fiir  Hofnarren.  Sie  besaB  ihrer  eine  groBe  Anzahl  und  kleidete  sie 
besonders  sorgfaltig  in  Samt  und  kostbares  Pelzwerk.  Diese 
Schwache  der  Herzogin  war  wohl  bekannt;  als  sie  nach  Frankreich 
ging,  schickte  ihr  der  Marchese  Pescara  seinen  Hofnarren,  damit 
er  sie  wahrend  der  Reise  erheitere. 


RENATA  DI  FRANCIA  301 

X 

Renata  ging  direkt  nach  Orleans,  wo  damals  der  junge  Konig 
Franz  II.  voriibergehend  weilte  mit  seiner  Mutter  Katharina  von 
Medici,  die  in  seinem  Namen  regierte.  Die  damaligen  religiosen 
und  politischen  Verhaltnisse  in  Frankreich  waren  die  denkbar 
traurigsten.  Katharina  hielt  es  weder  mit  den  Katholiken  noch  mit 
den  Hugenotten,  aber  durch  ihre  Intriguen  versuchte  sie  beide 
Parteien  gegeneinander  zu  gunsten  des  Thrones  zu  verhetzen. 
Renata  trat  als  ehrliche  Calvinistin  auf,  als  Protektorin  der  Huge- 
notten, aber  als  Frau  von  koniglichem  Gebliit,  als  „fille  de  France" 
betrachtete  sie  es  als  ihre  Pflicht,  die  Dynastie  zu  stutzen  und  die 
leidenschaftlichen  Kampfe  zu  mildern.  In  Frankreich  fielen  jene 
Riicksichten  fort,  die  ihre  Bewegungsfreiheit  in  Ferrara  gehemmt 
hatten:  das  Verhaltnis  zu  Rom,  die  Notwendigkeit,  ihre  Kinder  im 
romisch-katholischen  Glauben  zu  erziehen  —  das  war  kein  Hemm- 
schuh  mehr,  sie  konnte  jetzt  ruhig  ihren  t)berzeugungen  gemaB  leben 
und  ihre  Glaubensgenossen  unterstiitzen.  Der  Konig  starb  bald 
nach  ihrer  Ankunft,  am  5.  Dezember  1560,  doch  anderte  dies  die 
Verhaltnisse  keineswegs,  da  sein  Bruder,  Karl  IX.,  ein  zehn- 
jahriger  Knabe,  ihm  auf  dem  Thron  folgte  und  Katharina  Regentin 
blieb. 

Nach  kurzem  Aufenthalt  in  Orleans  siedelte  Renata  nach  Mont- 
argis  iiber,  das  ihr  Erbteil  neben  Chartres  bildete.  In  Montargis 
stand  ein  seit  langem  unbewohntes,  verfallenes  SchloB;  Renata 
machte  sich  sofort  daran,  diese  Residenz  umzubauen  und  zu  be- 
festigen  und  iibertrug  diese  Arbeit  einem  bekannten  Baumeister, 
Du  Cerceau,  einem  Anhanger  Calvins.  Die  Kosten  dieses  Unter- 
nehmens  waren  ungeheuer  und  trugen  nicht  wenig  dazu  bei,  Re- 
natas  Budget  zu  erschiittern. 

Die  Herzogin  unterhielt  nach  wie  vor  Beziehungen  zu  Calvin, 
fragte  ihn  in  wichtigen  Dingen  um  Rat,  und  der  letzte  Brief,  den 
der  Genfer  Reformator  geschrieben  hat,  ist  an  Renata,  die  Pro- 
tektorin des  neuen  Glaubens,  gerichtet.  Die  ganze  Umgebung  der 
Herzogin  bekannte  sich  zu  £alvin,  und  die  Hofgeistlichen,  fana- 
tische  Hugenotten,  machten  ihr  nicht  wenig  Sorge,  da  sie  die  katho- 


302  ZEHNTES  KAPITEL 

lische  Bevolkerung  in  Montargis  und  Chartres  bekehren  wollten 
und  damit  unwillkiirlich  gegen  Renata  aufhetzten. 

Renatas  Lage  war  von  der  wechselnden  Stellung  des  fran- 
zosischen  Hofes  den  Hugenotten  gegeniiber  abhangig.  Jeder  Sturm 
der  furchtbaren  religiosen  Kampfe  fand  seinen  Widerhall  in  Mont- 
argis, nach  jeder  Verfolgung  fluchteten  Hugenotten  unter  Renatas 
schutzendes  Dach;  es  haben  haufig  Hunderte  von  Vertriebenen 
an  ihrem  Tisch  Platz  gefunden.  Montargis  hieB  bald  ,,Nichee  des 
Huguenots". 

Trotzdem  Renata  zum  Frieden  mahnte,  konnte  der  kleine  Ort 
nicht  zur  Ruhe  kommen,  und  als  an  der  unteren  Loire  jene  furcht- 
baren Kampfe  begannen,  kam  es  auch  in  Montargis  zur  Revolution, 
da  die  katholische  Bevolkerung  dort  starker  als  die  protestantische 
war.  Der  katholische  Waldhiiter  Michel  Bareau,  ein  roher  Kerl, 
der  sehr  viel  EinfluB  hatte,  wollte  die  ganze  calvinistische  Rotte 
ermorden.  Die  erschrockene  Renata  bat  den  Prinzen  Conde,  der 
in  Orleans  mit  seiner  protestantischen  Armee  stand,  ihr  einen  Trupp 
Soldaten  zur  Aufrechterhaltung  der  Ordnung  zu  schicken.  Aber 
Condes  Soldaten  waren  fanatische  Calvinisten;  als  sie  nach  Mont- 
argis kamen,  warfen  sie  etwa  zwanzig  Geistliche  und  Monche  in 
den  Brunnen,  zerstorten  Heiligenbilder,  raubten  Kelche,  Mon- 
stranzen,  Ornate,  zerrissen  Kirchenbucher  und  zertrummerten 
Glocken.  Naturlich  iibten  Michel  Bareau  und  seine  Soldaten  Rache 
an  den  Eindringlingen,  und  nur  mit  groBter  Muhe  gelang  es  Renata, 
Cond6s  Heer  zu  entfernen  und  die  Ruhe  wiederherzustellen. 

Nach  dem  Sieg  der  Katholiken  bei  Dreux  am  19.  Dezember 
1562  suchte  Renatas  Schwiegersohn,  der  Due  de  Guise,  den  Konig 
zu  veranlassen,  die  Herzogin  zu  zwingen,  Montargis  zu  verlassen 
und  eines  der  koniglichen  Schlosser  in  Fontainebleau  Saint- Germain 
en  Laye  oder  im  Bois  de  Vincennes  zu  beziehen.  Auf  diesen  Befehl 
gab  Renata  zur  Antwort,  daB  sie  in  Montargis  bleiben  und  sich  im 
Notfall  verteidigen  wiirde.  Guise,  der  Orleans  besetzte,  schickte 
infolge  dieser  Weigerung  eine  Abteilung  seines  Heeres  unter  General 
Malicorne,  damit  er  gegen  das  verhaBte  Hugenottennest  vorgehe. 
Als  Malicorne  nach  Montargis  kam,  lieB  Renata  ihn  auffordefn, 
sich  wohl  zu  iiberlegen,  was  er  zu  tun  beabsichtige,  in  Frankreich 


RENATA  DI  FRANCIA 


303 


gabe  es  niemand  als  den  Konig  allein,  der  ihr  befehlen  diirfe,  und 
wenn  er  es  wagen  wiirde,  das  SchloB  zu  belagern,  so  wiirde  sie 
selbst  die  Mauern  besteigen,  und  den  Tollkuhnen  erwarten,  der 
die  Tochter  des  Kdnigs  ermorden  wolle.  Nach  dieser  Meldung 
wagte  Malicorne  nicht  vorzugehen  und  bat  um  die  Ordre  des  Kdnigs 
aus  Paris.  In  der  Zwischenzeit  waren  wichtige  Dinge  vorgegangen, 
am  18.  Februar  1563  war  der  Herzog  von  Guise  ermordet  worden. 
Er  war  der  grdBte  Feind  der  Hugenotten  und  hatte  den  Einwohnern 
von  Orleans  gedroht,  sie  wie  Katzen  zu  vertilgen.  Nach  seinem 
Tode  war  die  katholische  Partei  bereit,  friedlich  zu  unterhandeln. 
Der  Konig  befahl  Malicorne,  von  der  Belagerung  des  Schlosses  ab- 
zusehen,  und  Renata  triumphierte  fur  den  Augenblick.  Aber  diesen 
Triumph  sollte  sie  bitter  bezahlen.  Der  Due  de  Guise  war  ihr 
Schwiegersohn  gewesen,  und  der  Jubel  im  hugenottischen  Lager, 
die  Lieder,  die  das  Gedachtnis  des  katholischen  Fiihrers  beschimpften 
und  von  alien  Seiten  an  ihr  Ohr  drangen,  beleidigten  sie.  In  Renata 
machte  sich  eine  gewisse  Opposition  geltend,  sie  begann  Guise 
zu  verteidigen  und  da  sie  seine  unerhorte  Grausamkeit  gegen  die 
Hugenotten  nicht  zu  rechtfertigen  vermochte,  behauptete  sie, 
alles  sei  nur  auf  Befehl  des  Kdnigs  geschehen;  im  Innersten  sei  er 
kein  iiberzeugter  Katholik  gewesen,  sondern  habe  der  Reformation 
nahe  gestanden.  Der  Priester  Morel,  Renatas  Freund,  berichtete 
damals  Calvin,  die  Herzogin  gehe  durch  schwere  Kampfe;  das 
Verlangen,der  wahren  Religion  Christi  zu  niitzen,  kampfte  in  ihr  mit 
der  Liebe  zur  Tochter  und  dem  Gefuhl  des  Unrechts,  das  ihrer  Familie 
geschehen.  Der  in  Amboise  geschlossene  Traktat,  der  den  Pro- 
testanten  Gewissensfreiheit  sicherte  und  die  Erlaubnis,  ihre  Re- 
ligion offentlich  auszuiiben,  gab  Renata  fur  kurze  Zeit  ihre  Ruhe 
wieder,  ihr  Leben  gestaltete  sich  weniger  schwer,  sie  begann  wieder 
haufiger  Laute  zu  spielen,  belustigte  sich  mit  ihrer  Zwergin  Agnes, 
ihrem  geliebten  SchoBhundchen  und  ihrem  Papagei,  fur  den  sie 
einen  sechs  Stockwerk  hohen  Kafig  bauen  lieB.  Die  Zugestandnisse 
an  die  Hugenotten  fachten  ihren  Mut  an;  ihr  Verlangen  stieg,  fur 
Calvins  Lehre  neue  Anhanger  zu  gewinnen,  sie  wollte  die  gesamte 
Bevdlkerung  Montargis'  zu  ihrem  Glauben  bekehren.  Calvin 
empfahl  ihr  eine  religiose  Polizei  einzufuhren,  mit  anderen  Worten, 


304  ZEHNTES  KAPITEL 

eine  gemaBigte  Inquisition,  wie  er  sie  in  Genf  eingesetzt  hatte, 
aber  dieser  hinterlistige  religiose  Terrorismus  widersprach  ihrer 
Gemiitsart. 

Der  Friede  zwischen  den  streitenden  Parteien  in  Frankreich 
wahrte  nur  sehr  kurze  Zeit.  Katharina  von  Medici  wandte  sich 
immer  mehr  von  den  Hugenotten  ab  und  wurde  ihre  immer  aus- 
gesprochenere  Feindin;  auch  die  Bevolkerung  wollte  die  den  Huge- 
notten zugestandenen  Rechte  nicht  anerkennen  und  emporte  sich 
gegen  die  Ketzer. 

Nach  Calvins  Tod  am  4.  April  1564  hielt  Alfonso  von  Ferrara 
den  Augenblick  fur  gekommen,  um  in  katholischem  Geist  auf  die 
Mutter  einzuwirken.  Er  kam  nach  Frankreich,  im  Glauben,  die 
Herzogin  iiberreden  zu  konnen,  auBerdem  wollte  er  im  Einverstand- 
nis  mit  Emanuel  Filibert,  dem  Herzog  von  Savoyen,  den  Konig 
und  seine  Umgebung  veranlassen,  mit  aller  Strenge  gegen  die 
Protestanten  vorzugehen.  Er  riet  dem  Konig,  unverziiglich  fiinf 
oder  sechs  Fuhrer  der  ketzerischen  Bewegung  zu  ermorden,  um 
den  Hugenotten  Furcht  einzujagen.  Noch  wurden  diese  Gewalt- 
maBregeln  nicht  angewandt,  Katharina  glaubte,  der  Reformation 
allmahlich  und  mit  weniger  BlutvergieBen  Herr  werden  zu  konnen, 
gleichzeitig  bereitete  sie  einen  Schlag  vor,  um  Renatas  EinfluB 
auf  ihre  Glaubensgenossen  abzuschwachen.  Sie  wollte  Anna  d'Este, 
die  Witwe  des  ermordeten  Guise,  mit  Jacques,  dem  Herzog  von 
Nemours,  dem  fanatischsten  Feind  der  Hugenotten,  verheiraten. 
Katharina  leitete  die  Intrigue  so  geschickt,  daB  Renata  von  der 
beabsichtigten  Verbindung  erst  Wind  bekam,  als  die  Sache  schon 
ganz  perfekt  und  der  Ehekontrakt  beinahe  unterschrieben  war. 
Das  Vorgehen  der  Konigin  emporte  Renata  noch  mehr  gegen  ihre 
katholischen  Gegner;  sie  schloB  sich  in  Montargis  ein  und  begann 
eine  protestantische  Agitation  mit  erneuter  Energie.  Umgeben 
von  ihrem  friiheren  Hofstaat,  dem  sich  auch  Leon  Jamet  ange- 
schlossen  hatte,  gestaltete  sie  mit  Hilfe  einiger  Priester  Montargis 
zum  protestantischen  Herzogtum  um,  ohne  der  koniglichen 
Befehle  zu  achten.  Sie  begriindete  dort  sogar  ein  Priesterkolleg, 
mit  der  Absicht,  protestantische  Pastoren  auszubilden.  Die  Huge- 
notten  bewunderten  Renatas  Energie,    ihr   Ruhm  verbreitete   sich 


RENATA  DI  FRANCIA  305 

weit  ixber  Frankreich  hinaus,  und  in  Deutschland  wurde  sie  als 
Heldin  der  Reformation  gefeiert.  Zur  Beliebtheit  der  Herzogin 
trug  ihre  schrankenlose  Wohltatigkeit  bei;  wahrer  Armut  gegen- 
iiber  kannte  Renata  keinen  Glaubensunterschied  und  unterstutzte 
franzosische  Monche  und  Schweizer  Pastoren  in  gleicher  Weise. 
Den  franzdsischen  Hof  beunruhigte  Renatas  Wirksamkeit  in 
solchem  MaBe,  daB  Karl  IX.  den  alten  Befehl  erneuerte,  die  Herzogin 
moge  Montargis  verlassen  und  nach  Fontainebleau  oder  Vin- 
cennes  ubersiedeln.  Da  Renata  Widerstand  leistete,  entzog  ihr 
der  Konig  vermittels  eines  Dekrets  die  Verwaltung  ihrer  Erbgiiter 
und  iibertrug  sie  d'Entragues,  dem  Statthalter  von  Orleans.  Man 
nahm  ihr  all  ihre  Einkiinfte  und  verurteilte  sie,  von  der  Wohl- 
tatigkeit ihrer  Kinder  zu  leben.  Renata  legte  Protest  gegen  dieses 
Dekret  ein,  und  die  Einwohner  der  Stadt  Chartres,  obgleich  selbst 
Katholiken,  unterstutzten  ihren  Protest  aufs  warmste.  Uberall 
hielt  man  das  Vorgehen  des  Konigs  fur  ein  groBes  an  der  Tochter 
Ludwigs  XII.  begangenes  Unrecht.  Ludwig  XII.  lebte  noch  als  guter 
Konig  im  Gedachtnis  aller.  Der  Konig  muBte  sich  der  offentlichen 
Meinung  fugen  und  seinen  ErlaB  zuriickziehen,  er  lieB  der  Herzogin 
wenigstens  den  Schein  der  Macht  in  ihren  Erbgiitern. 

Die  Kampfe  zwischen  Katholiken  und  Hugenotten  wurden 
mit  immer  groBerer  Bitterkeit  gefiihrt;  Leidenschaften  machten 
Menschen  zu  reiBenden  Tieren;  im  ganzen  Lande  floB  Blut,  und  es 
kam  zu  den  furchtbarsten  Grausamkeiten.  In  Auxerre  briet  die 
katholische  Bevolkerung  das  Herz  eines  Hugenotten  auf  Kohlen 
und  zerlegte  es  in  Stiicke  zum  Essen.  Die  Hugenotten  flohen  nach 
Deutschland  und  in  die  Schweiz,  und  Montargis  wurde  wieder  eine 
Zufluchtsstatte  hungriger,  elender,  verzweifelter  Calvinisten.  Re- 
nata nahm  auch  diesmal  auf  niemand  Rticksicht  und  offnete  den 
Bediirftigen  ihr  gastliches  Haus.  Aber  die  Regierung  wollte  nichts 
von  Mitleid  wissen,  aus  Paris  kam  der  Befehl  an  die  Herzogin, 
die  schutzsuchenden  Hugenotten  sofort  zu  entfernen.  Renata 
hatte  weder  ein  Heer  noch  die  Macht,  sich  dem  Willen  des  Konigs 
zu  widersetzen ;  am  26.  September  1569  muBten  vierhundertsechzig 
Menschen  ihr  SchloB  verlassen.  Sie  stellte  den  Fliehenden  hundert- 
fiinfzig  Dienstfuhren,  acht  Wagen  und  mehrere  Pferde  zur  Ver- 


3o6  ZEHNTES  KAPITEL 

fiigung,  aber  kaum  hatte  die  Kara  wane,  die  Frankreichs  Grenze 
zustrebte,  Montargis  verlassen,  so  vertrat  ihr  ein  Trupp  des  kdnig- 
lichen  Heeres  den  Weg  und  wollte  die  Fliichtenden  ermorden. 
Der  eine  von  ihnen,  Pierre  Beaumont,  hielt  eine  Ansprache  an  seine 
Gefahrten,  forderte  sie  auf,  sich  zu  ergeben  und  demutig  wie  Christus 
am  Kreuz  zu  sterben.  Im  letzten  Augenblick,  ehe  das  Verbrechen 
begangen  wurde,  kam  ein  Trupp  protestantischer  Soldaten,  und  nach 
kurzem  Kampf  mit  den  Kdniglichen  wurden  die  Fluchtlinge  befreit. 

Nur  einen  Augenblick  durfte  Renata  sich  dieses  Sieges  freuen; 
sie  wurde  sehr  bald  gezwungen,  all  ihre  Hofleute  ,,unsicheren  Glau- 
bens"  zu  entlassen.  Das  war  ein  schwerer  Schlag  fur  sie;  als  sie 
sich  von  ihren  alten  Dienern  trennte,  war  ihr  nach  ihren  Worten 
zu  Mute,  als  wenn  sie  selbst  auseinanderginge.  Unterdessen  ver- 
nichteten  beide  Parteien  sich  gegenseitig  mitleidslos  in  furchtbarem 
Kampf;  in  beiden  Lagern  begann  es  an  Geldmitteln  zu  fehlen, 
um  den  Vernichtungskrieg  fortzusetzen.  So  muBte  es  zum  Frieden 
kommen  oder  rich  tiger  zum  Waffenstillstand,  der  im  August  1570 
geschlossen  wurde.  Renata  war  so  gliicklich  dariiber,  daB,  als  ihr 
um  zehn  Uhr  abends  ein  Diener  diese  Nachricht  brachte,  sie  ihm  fiinf 
Pfund  fur  die  gute  Botschaft  schenkte.  Doch  sollte  sie  trotz  des 
augenblicklichen  religidsen  Friedens  nicht  zur  Ruhe  kommen,  da 
ihr  andere  Sorgen  drohten.  Die  letzten  Ereignisse,  die  groBe  Hof- 
haltung  und  ihre  schrankenlose  Wohltatigkeit  verschlangen  mehr  als 
ihre  Einnahmen  betrugen.  Um  ihre  pekuniaren  Verhaltnisse  zu 
ordnen,  hatte  sie  gegen  den  kdniglichen  Schatz  einen  ProzeB  an- 
gestrengt,  damit  ihr  ein  Teil  aus  dem  NachlaB  Ludwigs  XII.,  der 
ihr  nach  Ansicht  ihrer  Berater  zustand,  ausgezahlt  werde.  Die  Forde- 
rung  war  nicht  absolut  sicher,  und  der  Ausgang  des  Prozesses  zum 
mindesten  zweifelhaft;  erst  durch  Vermittlung  der  Kdnigin-Mutter 
kam  es  zwischen  der  Krone  und  Renata  zu  einem  Vertrag,  wonach 
die  Herzogin  jahrlich  60  000  Pfund  bezog.  Zu  dieser  giinstigen  Er- 
ledigung  hatte  in  Paris  namentlich  die  Riicksicht  auf  ihre  Tochter, 
die  Herzogin  von  Nemours,  beigetragen,  deren  Mann  einer  der 
bekanntesten  Generate  der  kdniglichen  Armee  war. 

Das  Schicksal  hat  Renata  gegen  Ende  ihres  Lebens  nicht  das 
Furchtbarste  vorenthalten,  das  sie  treffen  konnte.     Hinfallig  und 


RENATA  DI  FRANCIA  307 

kranklich  reiste  sie  im  Februar  1572  zu  ihrer  Tochter  nach  Paris, 
und  das  Ungliick  wollte,  daB  sie  dort  das  Blutbad  der  Bartholomaus- 
nacht  miterleben  sollte.  Am  Mittwoch,  den  20.  August,  gab  es  ein 
groBes  Fest  bei  Hofe,  im  Theater  wurde  ein  Marchen  aufgefiihrt, 
das  gut  gefiel.  Aber  es  fehlte  nicht  an  Stimmen,  die  den  Inhalt  des 
Stuckes  fur  eine  bose  Vorbedeutung  hielten.  Auf  der  Biihne  war 
rechts  das  Paradies,  links  die  Holle;  den  Zugang  zum  Paradies 
verteidigten  drei  Ritter,  in  der  Holle  wimmelte  es  von  Teufeln  und 
Teufelchen,  die  sich  unter  Feuer  und  Schwefel  zu  schaffen  machten. 
Mitten  auf  der  Biihne  fiihrte  Charon  seinen  Nachen  iiber  einen 
FluB  und  setzte  die  Erlosten  im  Himmel,  die  Verdammten  in  der 
Holle  ab.  Gruppen  irrender  Ritter  in  verschiedenfarbigem  Schmuck 
kamen  ins  Paradies  und  baten  um  Aufnahme,  aber  die  bewaffneten 
Wachter  wehrten  ihnen  den  Zutritt  und  verjagten  sie  in  die  Holle. 
Merkur  kam  auf  einem  Hahn  und  begliickwiinschte  die  Paradieses- 
wachter  ob  ihrer  Wachsamkeit.  Die  Zuschauer  begriffen,  daB  die 
Verteidiger  des  Himmels,  die  Hiiter  der  katholischen  Kirche,  niemand 
anders  als  der  Konig  und  seine  Briider  waren,  und  daB  man 
die  Hugenotten,  mit  dem  Konig  von  Navarra  an  der  Spitze,  in 
die  Holle  verbanne. 

Renata  hat  in  Paris  nicht  bei  ihrer  Tochter  im  Louvre  gewohnt, 
sondern  im  Kloster  Notre-Dame,  und  diesem  Umstand  hat  sie  es 
zu  danken,  daB  sie  in  der  Nacht  des  23.  August  nicht  Augenzeuge 
des  Blutbades  war,  das  im  Umkreis  des  koniglichen  Palastes  statt- 
fand.  Als  in  den  folgenden  Tagen  die  Morder  auch  in  den  iibrigen 
Stadtteilen  wiiteten,  fiirchtete  der  Konig  fur  Renatas  Leben  und 
schickte  eine  Abteilung  treuer  Soldaten  ins  Kloster,  um  sie  vor 
den  Uberfallen  der  fanatischen  Bevolkerung  zu  schutzen.  Acht 
Tage  wahrte  das  Gemetzel;  als  sich  Paris  zu  beruhigen  anfing 
und  die  Tore  der  Stadt  geoffnet  wurden,  reiste  Renata  ab  unter  dem 
Schutz  Bewaffneter,  die  ihr  der  Due  de  Guise,  Colignys  Morder, 
stellte.  Und  es  war  gut,  daB  sie  fortreisen  konnte,  denn  die  ver- 
tierte  Menge  hat  Colignys  Leiche  noch  aus  der  Seine  herausgefischt, 
da  sie  ,,unwiirdig  sei,  selbst  von  den  Fischen  gefressen  zu  werden". 

Renata  kam  ohne  Zwischenfall  nach  Montargis,  aber  diese  Vor- 
falle  haben  sie  gebrochen;  sie  war  alt  und  mager  geworden  und 


3o8  ZEHNTES  KAPITEL 

glaubte,  daB  die  Reformation  sich  von  diesem  Schlag  nicht  erholen 
wiirde  und  ihre  religiosen  Ideale  fur  immer  vernichtet  seien. 
Sie,  die  bis  jetzt  in  ihrer  Oberzeugung  unerschiitterlich  gewesen 
war,  begann  der  t)bermacht  zu  erliegen,  aus  Furcht,  daB  ihren 
calvinistischen  Untertanen  ein  gleiches  Schicksal  wie  in  Paris 
drohe.  Sie  unterlieB  jegliche  religiose  Agitation,  um  so  mehr  als 
ihre  Tochter  aus  Paris  berichtete,  daB  die  Hugenotten  mit  Gewalt 
gezwungen  werden  wiirden,  in  den  SchoB  der  katholischen  Kirche 
zuriickzukehren,  und  der  Kdnig  ein  Edikt  erlassen  habe,  wonach 
alle  ohne  Unterschied  zur  Messe  gehen  miiBten;  selbst  der  Kdnig 
von  Navarra  und  der  Prinz  von  Cond6  hatten  sich  dem  nicht  ent- 
ziehen  konnen.  Falls  sich  Renata  den  neuen  Vorschriften  nicht 
fiigen  wolle,  miisse  sie  gewartigen,  daB  ihre  Dienerschaft  und 
ihre  ganze  Umgebung  fur  sie  biiBen  wiirden.  In  milderer,  aber  nicht 
weniger  bestimmter  Form  schrieb  die  Kdnigin-Mutter;  sie  ermahnte 
sie,  offen  mit  der  Reformation  zu  brechen,  was  nach  ihren  Ver- 
sicherungen  dem  Konig  eine  groBe  Freude  ware.  Dieser  Brief  machte 
auf  Renata  den  erhofften  Eindruck  nicht,  da  sie  fast  gleichzeitig 
von  den  furchtbaren  in  Orleans  begangenen  Grausamkeiten  und 
der  schrecklichen  Lage  der  Hugenotten  hdrte.  Renatas  Seele 
wandte  sich  den  Verfolgten  zu,  zum  letzten  Male  offnete  sie  den 
Vertriebenen  die  Tore  ihres  Schlosses,  zum  groBen  Arger  des  Kbnigs 
und  seiner  Umgebung. 

Ihre  Krafte  waren  erschopft.  Gebrochen  durch  die  furchtbaren 
Eindriicke  der  letzten  Monate,  fern  von  ihren  Freunden,  die  in  die 
Schweiz,  nach  Deutschland  und  England  geflohen  waren,  ohne 
Stiitze,  in  ihrer  Familie  —  Alfonso  war  einer  der  groBten  Gegner 
der  Reformation  und  Anna  an  einen  der  Fiihrer  der  katholischen 
Partei  verheiratet  — ,  verlor  sie  die  Hoffnung,  jemals  ihren  Glaubens- 
genossen  helfen  zu  konnen.     Trost  fand  sie  nur  noch  im  Gebet. 

Um  das  MaB  ihres  Ungliicks  voll  zu  machen,  erkrankte  1574 
in  Paris  ihr  geliebter  Sohn,  der  Kardinal  Luigi,  lebensgefahrlich. 
Die  Arzte  gaben  ihn  auf.  Trotz  ihrer  eigenen  Schwache  eilte  Renata 
zum  Kranken,  aber  diese  Reise  gab  ihr  den  Rest:  in  Paris  erkrankte 
sie  an  einem  hartnackigen  Fieber.  Als  es  dem  Kardinal  etwas  besser 
ging,  lieB  sie  sich  in  ihr  geliebtes  Montargis  schaffen;  dort,  wo  sie 


RENATA  DI  FRANCIA  309 

gewirkt,  wollte  sie  ihr  Leben  beschlieBen.    In  Montargis  erreichte  sie 
die  Nachricht  vom  Tode  des  Konigs  und  der  Flucht  Heinrichs  III. 
aus    Krakau,    iiber   die   ihr   der    Kardinal   Luigi   nahere   Angaben 
machte.    Sie  starb  ganzHch  entkraftet  am  15.  Juni  1574;  von  ihren 
Kindern  mogen  allein  der  Kardinal  und  ihre  Tochter  Anna  ihren 
Tod  ehrlich  betrauert  haben.     Alfonso  schamte  sich  beinahe  des 
Andenkens   der   Mutter,    er   verbot   jede   Trauerfeier,   und   lieB   in 
Rom  anfragen,  ob  man  die  Glocken  lauten  und  fur  ihre  Seele  beten 
diirfe.    Die  apostolische  Residenz  gab  zur  Antwort,  daB,  da  Renata 
als     Ketzerin    gestorben    sei,    von    einer     religiosen    Feier    nicht 
die    Rede   sein    konne.      Ebensowenig  gestattete  der   Konig,   trotz 
der     nachdriicklichsten     Bitten     des     Kardinals,      daB     in     Paris 
eine    Trauerfeier    stattfinde    und   Renata    in    den    Konigsgrabern 
zu    Saint    Denis    bestattet    werde.      Die   Tochter    lieB    die   Mutter 
in    der     Kapelle    des    Schlosses    von    Montargis    beisetzen;     dem 
Wunsche  der  Verstorbenen  gemaB  trugen  sechs  Arme  den   Sarg. 
Einige  Tage   spater  wurde   auf  Befehl  des  Herzogs  von  Ne- 
mours ein  katholischer  Gottesdienst  fur  Renatas    Seele 
angeordnet.     Die  Herzogin   hat  ihrem  Testament 
einen  kurzen  LebensabriB  vorangesetzt.     Sie 
dankt  Gott  dafiir,  von  einem  Konig  ab- 
zustammen,  den  man  den  ,,Vater 
des    Volkes"    genannt,    und 
legt    ihr    Glaubensbe- 
kenntnis  im  Sinne 
Calvins  ab. 


ELFTES  KAPITEL 

ALFONSO  II. 


esonders  in  seiner  Art  war  Alfonso,  der  neue  Herrscher: 
von  Kraft  und  Leben  uberschaumend,  hatte  er  viel- 
faltige  Interessen  und  wollte  uber  alles  orientiert  sein. 
Fiir  diese  herkulische  Natur  war  Ferrara  zu  eng.  Hauf  ig 
fuhr  er  im  stromenden  Regen,  beim  starksten  Ge- 
witter  ins  Freie,  gleichsam  um  mit  den  Elementen  zu 
kampfen;  einmal  riB  ihm  bei  einer  solchen  Expedition  der  Sturm 
den  oberen  Teil  des  Wagens  ab  und  fegte  ihn  in  den  Po.  Er  ritt, 
kutschierte  einen  Vierer-  ja  Sechserzug  mit  spielender  Geschick- 
lichkeit  und  war  ein  leidenschaftlicher  Jager.  Allmahlich  erregte 
diese  Jagdpassion  allgemeine  Emporung,  da  das  Jagen  auf  dem 
gesamten  ferraresischen  Territorium  alien,  bis  auf  den  Herzog 
und  seine  Gefahrten,  strengstens  untersagt  war.  Einmal  lieB  er 
sechs  Menschen  aufhangen,  da  sie  trotz  dieses  Gebotes  gejagt 
hatten.  Neben  den  groBen  Jagden  arrangierte  der  Herzog  Theater- 
auffiihrungen,  Turniere,  Balle,  Bankette  und  Konzerte,  spielte 
Palla  und  leitete  die  Feste  im  Karneval;  gab  es  gar  nichts  anderes 
zu  tun,  so  schloB  er  sich  in  seinem  Laboratorium  ein,  machte  wie 
die  Mediceer  chemische  Experimente  und  kombinierte  Gifte  zu 
medizinischen  Zwecken.  AuBerdem  war  er  ein  enragierter  Mecha- 
niker  und  Baumeister,  lud  Alchimisten,  Ingenieure  und  Hand- 
werker  aller  Art  an  seinen  Hof,  fiihrte  neue  Industrien  in  Ferrara 
ein,  wie  Teppichweberei  und  Ledergerberei  auf  korduanische  Art, 
ja  er  verarbeitete  in  seinen  Majolikafabriken  sogar  eine  neue 
Porzellan masse.    Er  war  ein  ausgezeichneter  Organisator  und  hatte 


ALFONSO  II. 


3" 


einen  so  gut  organisierten  diplomatischen  Dienst,  daB  er  stets  die 
besten  politischen  Informationen  erhielt. 

Die  Gesandten  und  Korrespondenten  schickten  dem  Herzog 
und  seiner  Kanzlei  ganze  StoBe  von  Gutachten,  die  sogenannten 
,,Avvisi  e  notizie";  auf  diese  Weise  wurde  das  diplomatische 
estensische  Archiv  ,,la  gemma  piu  preziosa  della  Serenissima  sua 
Casa",  wie  sich  Francesco  III.,  der  vorletzte  Herzog  von  Modena, 
ausdriickte;  diese  Dokumente  befinden  sich  heute  in  Modena. 

Alfonso  interessierte  sich  auch  fur  Literatur  und  Kunst.  Gleich 
nachdem  er  die  Regierung  ubernommen  hatte,  liefl  er  die  estensische, 
damals  schon  sehr  kostbare  Bibliothek  vergroBern;  er  wollte  eine 
groBe  Druckerei  begriinden  und  lieB  zu  diesem  Zwecke  einen  be- 
riihmten  Drucker  aus  Venedig,  Giolito,  kommen,  aber  dieses  Unter- 
nehmen  hat  sich  nicht  bewahrt.  Er  unterstiitzte  die  Universitat, 
lebte  in  einem  Kreis  von  Literaten  wie  Patriccio,  Guarini,  Monte- 
catini,  Salviati,  Borghesi,  vertraute  ihnen  Professuren  und  Gesandt- 
schaften  an,  und  es  geniigt  darauf  hinzuweisen,  daB  unter  seiner 
Regierung  die  Literatur,  nicht  die  italienische  allein,  sondern  die 
Weltliteratur,  um  ein  Epos  wie  ,,Gerusalemme"  und  um  Theater- 
stiicke  wie  ,,Aminto"  und  ,, Pastor  fido"  bereichert  wurde. 

Alfonso  war  ein  glanzender  Redner  und  lieB  auch  keine  Gelegen- 
heit  unbeniitzt,  um  seine  Beredsamkeit  zu  zeigen;  er  beherrschte 
auBer  dem  Italienischen  vier  Sprachen:  Franzosisch,  Lateinisch, 
Spanisch  und  Deutsch. 

In  seinen  Fehlern  hat  er  manchen  an  Borso  erinnernden  Zug: 
er  war  maBlos  hochmutig  und  eingebildet,  und  tat  sich  auf  seine 
Tapferkeit,  Klugheit  und  sein  altes  Geschlecht  viel  zu  gute.  Dazu 
war  er  rachsiichtig  und  zur  Vendetta  bereit.  Als  er  sich  zu  einer  Ex- 
pedition nach  Ungarn  riistete  und  Pier  Gentile  Varano  aufforderte, 
daran  teilzunehmen,  Varano  diesen  Wunsch  jedoch,  da  es  ihm  an 
Geldmitteln  fehlte,  nicht  erfiillen  konnte,  lieB  er  seinen  Vasallen 
seinen  Unwillen  zwar  furs  erste  nicht  merken,  warf  ihn  jedoch 
aus  einem  nichtigen  Vorwand  nach  Jahren  ins  Gefangnis.  Des 
Prunkes  und  der  Sicherheit  wegen  ging  Alfonso  stets  mit  einer 
Eskorte  auf  die  StraBe,  die  aus  fiinfzig  Schweizern  und  Deutschen, 
hundert    Kavalleristen    und    zweihundertfunfzig    FuBsoldaten    be- 


312 


ELFTES  KAPITEL 


stand.  Die  Kavallerie  fiihrten  Graf  Ercole  Bevilacqua  und  Graf 
Aeneas  Montecuculi  an. 

Alfonso  suchte  namentlich  gute  Beziehungen  zum  Kaiser  und 
zu  den  Erzherzogen  aufrecht  zu  erhalten;  um  sich  ihnen  gefallig 
zu  erweisen,  schickte  er  jedes  Jahr  seltene  Pflanzen,  Fruchte,  ein- 
gemachte  Fische,  Mortadella  und  Salami  nach  Wien.  Da  diese 
Leckerbissen  aufs  beste  bereitet  sein  und  doch  nichts  kosten  sollten, 
lieB  er  sie  sich  von  den  Damen  der  ferraresischen  Aristokratie 
schenken.  Um  den  Kaiser  zu  gewinnen  und  die  Moglichkeit  kriege- 
rischer  Betatigung  zu  haben,  beschloB  er  1566  an  der  Spitze  eines 
ansehnlichen  Heeres  nach  Ungarn  zu  gehen,  und  mit  der  kaiser- 
lichen  Armee  gegen  die  Tiirken  zu  kampfen.  In  Ferrara  war  man 
iiber  diese  Expedition  sehr  ungehalten;  sie  verschlang  Unsummen 
und  brachte  keinen  unmittelbaren  Nutzen;  gliicklicherweise  ging 
die  tiirkische  Gefahr  diesmal  schnell  voriiber,  und  da  Alfonso  den 
Feind  am  Ufer  der  Donau  nicht  vorfand,  war  er  bald  wieder  in  Italien. 

Nach  dem  Tode  seiner  ersten  Gattin  Lucrezia  de*  Medici  ver- 
mahlte  sich  Alfonso  mit  Barbara  von  Osterreich;  sie  starb  bald 
darauf,  und  er  heiratete  Margherita  Gonzaga  in  der  Hoffnung  auf 
den  Thronerben,  da  seine  beiden  ersten  Ehen  kinderlos  waren. 
Bis  in  sein  spates  Alter  hoffte  er  auf  diesen  Sohn,  da  ihm  Philipp 
Nostradamus  in  Frankreich  in  seiner  Jugend  prophezeit  hatte, 
er  wiirde  drei  Frauen  haben  und  erst  von  der  dritten  im  achtund- 
fiinfzigsten  Lebensjahre  einen  Sohn  bekommen.  In  dieser  Hoffnung 
bestarkte  ihn  sein  Freund  und  Kriegsgefahrte,  Cornelio  Benti- 
voglio,  der  als  Fiinfundsechzigjahriger  noch  Kinder  zeugte. 

Das  Verlangen  nach  Taten  und  Kriegen,  das  Alfonso  niemals  zur 
Ruhe  kommen  liefi,  veranlaBte  ihn,  sich  nach  der  Flucht  von  Henri 
Valois  aus  Krakau,  um  den  polnischen  Thron  zu  bewerben.  Seit 
der  Herrschaft  der  Konigin  Bona  bestanden  enge  Beziehungen 
zwischen  den  Este  und  dem  polnischen  Hof.  Bonas  Mutter,  Isabella 
von  Aragon,  hatte  gewiinscht,  daB  Kardinal  Ippolito  d'Este,  der 
mit  den  Aragon  verwandt  und  auBerdem,  wie  es  hieB,  ihrem  Herzen 
sehr  nahe  stand,  ihre  Tochter  nach  Krakau  begleite.  Isabella  lag 
um  so  mehr  daran,  als  Ippolito  zu  Sigmund  I.,  dem  er  noch  unter 
Ladislas    Jagiello    nahe    getreten    war,    gute    Beziehungen   hatte. 


KONIGIN  BONA  SFORZA  UND  RENATA  D'ESTE, 

GRAFIN  VON  MIRANDOLA 

KRAKAU,  MUSEUM  GRAF  CZAPSKI 


ALFONSO  II. 


313 


Sigmund  war  von  1498  bis  1501  bei  seinem  Bruder  Ladislas 
in  Budapest  gewesen,  dort  hatte  er  Ippolito,  der  damals  Erzbischof 
von  Gran  war,  kennen  gelernt.  Ippolito  riistete  im  Herbst  15 17 
zur  Reise  nach  seinem  neuen  ungarischen  Bistum  im  Erlau,  Isabella 
hoffte,  der  Kardinal  wiirde  seine  Reise  nach  dem  Norden  bis  zum 
Friihling  des  Jahres  151 8  aufschieben  und  die  kiinftige  polnische 
Konigin  nach  Krakau  geleiten.  Ippolito  konnte  seine  Reise  nicht 
bis  zum  Fruhjahr  aufschieben  und  infogedessen  anvertraute 
Isabella  ihre  Tochter  auf  ihrer  Reise  nach  Rom  Prosper  Colonnas 
Schutz. 

Ippolito  kam  zu  Bonas  Trauung  nach  Krakau,  doch  verlieB  err 
wie  bereits  erwahnt,  die  Stadt  sehr  bald  infolge  der  zwischen  ihm 
und  Colonna  eingetretenen  MiBverstandnisse.  Zum  Konig  und  zur 
Konigin  stand  er  in  einem  sehr  guten  Verhaltnis,  besonders  da 
Bona  sich  um  die  Freundschaft  der  Este  bemuhte,  als  der  mach- 
tigsten  und  aristokratischsten  der  italienischen  Herrscherfamilien. 
Briefe  und  Geschenke  wurden  zwischen  Erlau  und  Krakau  ge- 
wechselt,  Konig  Sigmund  schenkte  Ippolito  Hunde  und  Falken, 
Bona  sogar  zwei  Kamele,  die  sie  wahrscheinlich  aus  der  Tiirkei 
bekommen  hat.  Kamele  waren  nicht  nur  in  Polen,  sondern  auch 
in  Italien  eine  so  groBe  Seltenheit,  daB  Ippolito,  als  er  Alfonso 
dariiber  berichtete,  versprach,  sie  fiir  ihn  malen  zu  lassen.  Im 
folgenden  Jahre  bat  die  Konigin,  die  sich  nicht  wohl  fiihlte  und  an 
Schwindel  litt,  Ippolito,  ihr  aus  Erlau  seinen  Leibarzt  zu  schicken,  den 
Priester  Andrea  Valentini,  der  auch  unverzuglich  nach  Krakau  kam. 

Valentini  nahm  an,  daB  die  Leiden  der  Konigin  auf  ,,vapore"  be- 
ruhten,  die  vom  Magen  kamen;  ihr  Zustand  lieB  sich  aber  leicht 
durch  die  zu  erwartende  Niederkunft  erklaren.  Am  1.  August  1520 
gebar  sie  einen  Sohn,  Sigmund  August;  Valentini  war  bei  der  Ent- 
bindung  zugegen. 

Die  Nachricht,  daB  die  italienische  Prinzessin  den  Polen  einen 
Thronerben  geschenkt  habe,  wurde  in  Neapel  und  Ferrara  mit  groBer 
Freude  aufgenommen,  und  Alfonso  I.,  der  stets  bereit  war,  Feste  zu 
veranstalten,  gab  aus  diesem  AnlaB  ein  glanzendes  Turnier.  Ippolito 
hat  diesen  Freudentag  nicht  lange  iiberlebt;  er  starb  einen  Monat 
darauf,  am  2.  September  1520. 


3i4 


ELFTES  KAPITEL 


Die  Beziehungen  zwischen  den  ferraresischen  Herzogen  und 
dem  polnischen  Hofe  brachen  nach  Ippolitos1)  Tode  nicht  ab,  be- 
schrankten  sich  aber  auf  zeremonielle  Brief e.  Erst  Alfonso  II. 
suchte  eine  Annaherung  an  Polen  auf  seiner  Expedition  nach 
Ungarn,  er  hat  einige  polnische  Edelleute  dort  kennen  gelernt 
und  vielleicht  hat  ihn  dies  auch  auf  den  Einfall  gebracht,  sich  um 
den  polnischen  Thron  zu  bemuhen. 

Heinrich  von  Valois'  Bruder,  Karl  IX.,  der  Konig  von  Frank- 
reich,  begann  schon  1573  zu  krankeln;  sein  Tod  war  vorauszusehen. 
Heinrich  von  Valois  versuchte  einige  Polen  zu  gewinnen,  ihm, 
wenn  er  franzdsischer  Konig  wiirde,  entweder  die  polnische  Krone 
zu  belassen,  oder  wenigstens  das  Szepter  seinem  Kandidaten  zu 
iibertragen.  Alfonso  II.,  der  dem  franzosischen  Hofe  nahe  stand, 
hielt  die  Vereinigung  der  polnischen  und  franzosischen  Krone  fur 
eine  Unmoglichkeit,  nahm  aber  an,  daB  Heinrich  von  Valois' 
Partei  auch  nach  seiner  Abreise  stark  genug  ware,  um  die  Wahl 
eines  von  ihm  empfohlenen  Kandidaten  durchzusetzen.  Infolge- 
dessen  beschloB  Alfonso,  sich  unter  alien  Umstanden  die  Zuneigung 
und  Unterstiitzung  des  Konigs  zu  sichern,  und  eine  starke  Partei 
in  Polen  fur  sich  zu  gewinnen,  die  ihn  als  Kandidaten  fur  den  frei 
werdenden  Thron  aufstellen  sollte. 

Da  der  Cavaliere  Bottone,  der  gewohnliche  Gesandte  Ferraras 
in  Polen,  dem  Herzog  nicht  geeignet  erschien,  um  ihn  in  einer  so 
wichtigen  Angelegenheit  zu  vertreten,  schickte  Alfonso  Ascanio  Giral- 
dini  als  auBerordentlichen  Abgesandten  nach  Polen  mit  einem 
ganzen  Stab  von  Beamten  und  Hofleuten  und  gab  ihm  eine  bis  auf 
den  heutigen  Tag  erhaltene  genaue  Instruktion2),  wie  er  die  Aktion 

*)  Bona  stand  auch  gut  mit  dem  Kardinal  Ippolito  II.  (1509  —  1572), 
Alfonsos  I.  und  Lucrezias  Sohn;  eine  interessante  Erinnerung  an  die  Be- 
ziehungen der  Konigin  zur  Familie  des  Kardinals  ist  eine  Medaille,  die  sich 
heute  im  Museum  Czapski  in  Krakau  befindet.  Auf  dem  Avers  ist  die 
alte  Bona  treffend  ahnlich  dargestellt,  auf  dem  Revers  Renata,  Ippolitos  II. 
naturliche  Tochter,  die  1553  Lodovico  Pico,  den  Graf  en  von  Mirandola,  ge- 
heiratet  hat  und  zwei  Jahre  spater,  am  29.  November  1555  gestorben  ist.  Diese 
beiden  Frauenkopfe  auf  der  gleichen  Medaille  lassen  auf  nahere  Beziehungen 
schlieCen.    Vielleicht  war  Bona  Renatas  Patin.  • 

»)  Cod.  Marc.  Ital.  CI.  X,  Nr.  LXXVI. 


ALFONSO  II.  315 

einzuleiten  habe.  Der  neue  Gesandte  so  lite  Beziehungen  zu  den 
einfluBreichsten  Personlichkeiten  ankniipfen  und  mit  offener  Hand 
darauf  aus  sein,  dem  Herzog  Freunde  zu  erwerben.  Giraldini  hatte 
eingehend  zu  berichten,  wen  er  gewonnen  habe  und  auf  wen  man 
gegebenenfalls  mit  Sicherheit  rechnen  konne.  Fur  den  sichersten 
hielt  der  Gesandte  Andreas  Zborowski,  den  Hofmarschall,  der  den 
letzten  ungarischen  Krieg  mitgemacht  und  sich  Alfonso  ange- 
schlossen  hatte.  Auch  Peter  Zborowski,  Krakaus  Wojwode,  schien 
Giraldini  schon  deshalb  sicher,  weil  er  die  Wahl  des  osterreichischen 
Kandidaten  unter  alien  Umstanden  hintertreiben  wollte.  Zu  Alfonsos 
Freunden  zahlte  der  Gesandte  auch  den  Unterkanzler  Peter  Dunin 
Wolski,  Szafraniec,  einen  bekannten  rvithenischen  Magnaten,  den 
Kastellan  Stanislas  Krzycki  und  einige  andere.  Bei  diesen  Unterhand- 
lungen,  die  zumeist  an  wohlbesetzterTafel  stattfanden,  spielte  das  Geld 
eine  groBe  Rolle.  Das  Friihstiick  dauerte  so  lange,  daB  es  sich  bis 
zum  Mittag-  und  Abendbrot  ausdehnte,  ja  bis  in  die  spate  Nacht 
wahrte,  und  da  Giraldini  eine  schwache  Konstitution  hatte,  klagte 
er  uber  die  unertragliche  Hitze  in  den  Raumen,  das  unmaBige  Trin- 
ken,  und  hielt  diese  Art  zu  unterhandeln  fur  seine  schwierigste 
Aufgabe  in  Polen. 

Karl  IX.  starb  Ende  Mai  1574;  Alfonso  war  schon  zwei  Wochen 
spater  davon  unterrichtet  und  schickte  sofort  eine  zweite  Gesandt- 
schaft  nach  Polen,  um  seine  Angelegenheit  nicht  zu  verzogern. 
Er  anvertraute  sie  Camillo  Gualengo  und  Battista  Guarini,  die  er 
wiederholt  in  wichtigen  diplomatischen  Missionen  nach  Turin 
und  Rom  geschickt  hatte. 

Zu  Battistas  Ahnen  gehorte  der  beriihmte  Humanist  Guarino 
da  Verona.  Er  hat  die  Universitat  in  Padua  besucht,  wurde  spater 
an  Stelle  seines  verdienten  Oheims,  des  Rhetorikers,  zum  Univer- 
sitatsprofessor  in  Ferrara  ernannt  (1557),  heiratete  Taddea  Bandidio, 
die  aus  einer  bekannten  ferraresischen  Familie  stammt  und  die 
Schwester  jener  schonen  Lucrezia,  der  Grafin  Machiavelli  ist, 
von  der  noch  die  Rede  sein  wird.  Guarini  bemiihte  sich,  den  Tra- 
ditionen  seiner  Familie  gemaB,  in  Alfonsos  II.  Dienst  zu  treten; 
1567  figuriert  sein  Name  auf  der  Liste  der  Hofleute.  Er  bezog 
damals  zwanzig  Scudi  monatlich. 


3i6  ELFTES  KAPITEL 

Guarinis  poetisches  Talent  hatte  sich  friih  geregt;  schon  ehe  er 
durch  sein  Schaferdrama  ,, Pastor  fido"  beruhmt  geworden  war, 
war  er  als  Schriftsteller  geschatzt.  Aber  trotz  seiner  groBen  Be- 
gabung  war  er  nicht  nur  am  Hofe,  sondern  auch  in  seiner  eignen 
Familie  unbeliebt.  AuBerordentlich  habgierig,  prozessierte  er  sein 
ganzes  Leben  hindurch,  und  setzte  die  Gerichtshdfe  in  Ferrara, 
Venedig,  Padua  und  Rom  fortwahrend  in  Tatigkeit.  Niemals  zu- 
frieden,  hielt  er  es  an  keinem  Hof  lange  aus,  und  konnte  doch  auf 
das  hofische  Leben  nicht  verzichten.  Als  seine  Stellung  in  Ferrara 
unmoglich  geworden  war,  zog  er  sich  auf  seinen  Landsitz  Guarina, 
in  der  Nahe  von  Padua,  zuriick.  Bald  war  es  ihm  dort  zu  einsam, 
und  er  ging  an  den  Hof  Karl  Emanuels  I.  nach  Turin;  da  ihm  die 
Verhaltnisse  dort  nicht  zusagten,  ging  er  als  Alfonsos  II.  Sekretar 
nach  Ferrara  zuriick.  Auch  diese  Stelle  gab  er  bald  auf,  fuhr  zum 
groBen  Arger  des  Herzogs  nach  Venedig  und  iibernahm,  aufs  neue 
von  Sehnsucht  nach  dem  Hofleben  ergriffen,  eine  Ratsherrnstelle 
in  Turin.  Dort  hielt  er  es  nicht  lange  aus,  bemuhte  sich  um 
verschiedene  andere  Anstellungen  und  war  eine  Zeit  hindurch 
Sekretar  des  Herzogs  von  Toskana  in  Florenz,  bis  er  bei  den  Rovere 
in  Urbino  Schutz  suchte.  Als  es  ihm  dort  zu  einformig  wurde, 
kam  er  nach  Ferrara  zuriick  und  starb  zuletzt  in  Venedig  am 
7.  Oktober  1612.  In  seinem  Familienleben  war  er  der  furchtbarste 
Geizhals  und  Tyrann,  seine  Frau  hat  er  zu  Tode  geargert,  mit  seinen 
Sohnen  prozessiert  und  als  Mensch  die  peinlichsten  Erinnerungen 
hinterlassen. 

Diesen  Guarini  betraute  Alfonso  mit  der  wichtigsten  Mission 
in  Polen;  der  Herzog  hatte  es  so  eilig,  daB  sich  schon  am  17.  Juni, 
kaum  drei  Tage,  nachdem  er  die  Nachricht  vom  Tode  des  franzo- 
sischen  Konigs  erhalten  hatte,  die  ferraresische  Gesandtschaft  auf 
dem  Wege  nach  dem  Norden  befand.  Guarini  begleitete  Camillo 
Gualengo,  ein  bekannter  Fechtmeister  und  Duellant;  sie  sollten 
zusammen  bis  nach  Innsbruck  gehen  und  sich  dort  trennen,  der 
eine  mit  dem  Schiff  iiber  den  Inn  und  die  Donau,  der  andere  auf 
gewohnlichem  Wege  nach  Wien  reisen.  In  Wien  sollten  sie  den 
Kaiser  von  Alfonsos  Absicht,  sich  um  den  polnischen  Thron  zu 
bawerben,   benachrichtigen.      Die   Gesandten  hatten  den  Auftrag, 


ALFONSO  II.  317 

dem  Kaiser  zu  erklaren,  daB,  falls  Erzherzog  Ernst,  Maximilians 
Sohn,  um  die  polnische  Krone  kandidieren  wiirde,  Alfonso  bereit  sei, 
seine  Absichten  sofort  aufzugeben.  Von  Wien  aus  sollte  Guarini  nach 
Krakau  und  Warschau  gehen,  um  Informationen  liber  Heinrichs  III. 
Plane  einzuholen,  die  Gunst  der  Schwester  des  verstorbenen  Konigs, 
der  Infantin,  zu  gewinnen  und  ihr  einen  sehr  schmeichelhaft 
abgefaBten  Brief  iibergeben.  In  Krakau  hieB  es,  daB  Guarini  wegen 
der  Heirat  des  Herzogs  von  Ferrara  mit  der  Infantin  unterhandeln 
solle;  Hieronymus  Lipoman  berichtet  in  diesem  Sinne  am  20.  Sep- 
tember 1574  an  Mocenigo,  den  Dogen  von  Venedig.  Guarini  brachte 
glanzende  Zusagen  mit,  der  Herzog  sicherte  dem  Adel  noch  groBere 
Freiheiten  zu,  versprach  im  Laufe  zweier  Monate  300  000  Gulden 
nach  Polen  zu  schicken,  und  ,,da  er  kinderlos  sei,  wiirden  die  Polen 
seine  Kinder  werden".  AuBerdem  sollte  „die  Schule  von  Krakau 
mit  gelehrten  Mannern  besetzt  und  verschiedene  Kiinstler  nach 
Polen  berufen  werden". 

Je  naher  der  Termin  der  Wahl  heranriickte,  desto  groBer  wurden 
die  Zusagen  des  Herzogs.  Alfonso  versprach  schlieBlich,  das  Heer 
auf  seine  Kosten  zu  erhalten,  die  Schulden  der  Jagellonen  zu 
bezahlen  und  dem  Schatz  der  Republik  zwei  Millionen  Dukaten 
zu  iiberweisen.  Einigen  polnischen  Edelleuten  hatte  er  sich  ver- 
pflichtet,  vierzigtausend  Scudi  und  mehr  auszuzahlen,  falls  sie 
seine  Kandidatur  unterstiitzen  wurden. 

Gleichzeitig  schickte  Alfonso  Giraldini,  der  unterdessen  von 
seiner  ersten  Gesandtschaft  zuruckgekommen  war,  auf  schnellstem 
Wege  nach  Krakau,  damit  er  noch  vor  Guarini  dort  eintreffe,  und 
als  ein  in  Polen  bekannter  Diplomat,  der  den  maBgebenden  Kreisen 
nahe  stand,  ihm  einen  guten  Empfang  bereite.  Heinrichs  III. 
fluchtahnliche  Abreise  aus  Krakau  durchkreuzte  Alfonsos  Plane, 
seine  Gesandten  haben  den  Valois  nicht  mehr  erreicht.  Der  Konig 
war  am  18.  Juni  aus  Krakau  entflohen  und  traf  mit  Guarini  in 
Wien  zusammen.  Der  ferraresische  Gesandte  wuBte  nicht,  wie  er 
sich  unter  diesen  Umstanden  zu  verhalten  habe;  ohne  Heinrich  III. 
auch  nur  aufzusuchen,  lieB  er  sich  schleunigst  von  Alfonso  weitere 
Instruktionen  geben.  Mit  erneuten  Instruktionen  versehen,  fuhr 
er  nach    Krakau,    um  dort   zu  erfahren,   daB   die  Wahl   bis   aufs 


3i8  ELFTES  KAPITEL 

nachste  Jahr  vertagt  sei.  Er  scheint  in  Krakau  bei  Zborowski 
gewohnt  zu  haben,  und  seine  Absichten  wurden  namentlich  von 
Krzycki,  Lanckoronski  und  Niemsta  unterstiitzt.  Guarini  hatte 
gehofft,  am  Nuntius  eine  Stiitze  zu  finden,  aber  Laureo  war  Alfonsos 
Gegner  und  soil  dem  Ferraresen  ausdrucklich  erklart  haben,  ange- 
sichts  der  Kandidatur  eines  Mitgliedes  des  osterreichischen  Hauses 
habe  Alfonso  keine  Aussichten.  Es  heiBt,  daB  Gregor  XIII.  dem 
Nuntius  25  000  Dukaten  fur  die  Wahl  des  Erzherzogs  geschickt 
habe,  aber  an  diese  GroBmut  der  romischen  Kurie  zu  glauben, 
fallt  schwer. 

Infolge  der  Verlegung  der  Wahl  war  es  fur  Guarini  zwecklos, 
in  Polen  zu  bleiben,  besonders  da  er  dem  Herzog  mundlichen  Be- 
richt  erstatten  wollte.  Am  25.  September  traf  er  wieder  in  Ferrara 
ein.  Das  Ergebnis  seiner  Reise  war  fur  ihn  insofern  befriedigend,  als 
er,  wie  er  einem  Freunde  berichtet,  den  nordischen  Himmel  und  nor- 
dische  Brauche  gesehen  und  sich  gefreut  habe,  Dinge  kennen 
zu  lernen,  von  denen  er  bis  dahin  keine  Vorstellung  gehabt  hatte. 


II 

Alfonso  war  alles  darum  zu  tun,  Heinrich  III.  fur  sich  zu  ge- 
winnen.  Als  er  erfuhr,  daB  der  Konig  iiber  Tirol  und  Norditalien 
nach  Frankreich  gehen  und  nach  Venedig  kommen  wiirde,  beschloB 
er  ihm  entgegen  zu  reisen  und  ihn  nach  Ferrara  einzuladen.  Schon 
vor  dieser  Einladung  hatte  er  eine  Gelegenheit,  sich  dem  Konig 
gefallig  zu  erweisen.  Heinrich  war  in  der  peinlichsten  Geldverlegen- 
heit,  und  der  Weg  nach  Paris  erforderte  bedeutende  Ausgaben. 
Du  Ferrier,  der  franzosische  Gesandte  in  Venedig,  sollte  sich  um 
eine  Anleihe  bemiihen;  er  fragte  erst  die  vier  Florentiner  Bankiers, 
die  ihre  Filialen  in  Venedig  hatten,  die  Strozzi,  Capponi,  Cran- 
secchi  und  Baglioni,  aber  die  vorsichtigen  Florentiner  glaubten 
an  Heinrichs  Zukunft  nicht  recht  und  wollten  keinen  Soldo  be- 
willigen.  Sich  an  die  venezianischen  Banken  zu  wenden,  war  nicht 
angangig,  infolge  dessen  wandte  sich  Du  Ferrier  an  Claudio  Ariosti, 
den  ferraresischen  Gesandten  in  Venedig,  damit  er  sich  bei  Alfonso, 


ALFONSO  II. 


319 


der  als  sehr  vermogend  gait,  bemiihe  um  ,,qualche  buona  somma 
di  danari".  Alfonso  half  dem  Konig  aus,  aber  mit  einem  geringeren 
Betrag,  als  Du  Ferrier  erwartet  hatte;  schlieBlich  verbiirgte  sich 
der  GroBherzog  von  Florenz  fur  Heinrich,  so  daB  sich  die  Reisekasse 
des  fliehenden  Konigs  einigermaBen  fiillte.  Trotzdem  war  das  Geld 
sehr  knapp,  und  der  Konig  bezahlte  unterwegs  die  Edeln,  die  ihn 
in  ihren  Schlossern  aufnahmen,  reichlich  mit  Titeln,  aber  die  kost- 
baren  Geschenke  blieben  aus.  Gleich  nach  dem  ersten  Nachtlager 
gab  er  dem  Neffen  des  Signore  Brancone,  bei  dem  er  wohnte,  den 
Ritterschlag ;  in  Piave  erwies  er  seinem  Wirt,  Giovanni  Sarcedeni, 
dieselbe  Ehre;  in  Treviso  zeichnete  er  Bartolommeo  Lipoman  mit 
der  gleichen  Wiirde  aus ;  Ragazzoni  in  Sacile  gestattete  er,  die  f ran- 
zosischen  Lilien  in  seinem  Wappen  zu  fiihren,  und  bezeichnete 
so  seinen  Weg  nach  Venedig  mit  dem  Kreieren  neuer  Adels- 
geschlechter. 

Die  venezianische  Signoria  schickte  ihm  eine  Gesandtschaft  bis 
an  die  Grenze  der  Republik,  nach  Pontebba,  die  ihm  einen  Geleit- 
brief  und  PaB  iibergab,  kostbar  in  roten  Stoff  gebunden  und  mit 
goldnen  Ornamenten  versehen.  Der  Herzog  von  Ferrara  kam 
Heinrich  mit  einem  Sechserzug  bis  nach  San  Daniele  entgegen,  sein 
Gefolge  hatte  er  in  Venedig  gelassen.  Als  er  den  Konig  sah,  ritt  er 
an  seinen  Wagen  heran  und  verneigte  sich  tief;  da  Heinrich  den 
Herzog  nicht  erkannte,  kehrte  Alfonso  um  und  griiBte  den  Konig 
abermals.  Wieder  betrachtete  Heinrich  den  Reiter  verwundert, 
als  er  jedoch  erfuhr,  daB  es  der  Herzog  von  Ferrara  sei,  begriiBte  er 
ihn  aufs  liebenswiirdigste  und  lieB  den  Wagen  halten.  Alfonso 
wollte  dem  Konig  die  Knie  kussen,  aber  Heinrich  wehrte  diesem 
ObermaB  von  Respekt,  hob  den  Herzog  auf  und  lud  ihn  ein,  in 
seinen  Wagen  zu  steigen. 

In  Venedig  hatte  man  groBe  Vorbereitungen  zum  Empfang  des 
jungen  Herrschers  getroffen,  und  mit  Recht  schrieb  Du  Ferrier 
dem  Konig,  es  gabe  niemand,  der  nicht  darauf  bedacht  sei,  ihn  zu 
ehren,  ja  Greise  furchteten  zu  sterben,  ehe  sie  ihn  gesehen.  Hein- 
richs  III.  Empfang  war  vielleicht  der  groBartigste,  den  die  Re- 
publik im  XVI.  Jahrhundert  einem  fremden  Gast  hatte  zuteil 
werden  lassen.     In  Murano  machte  der  Konig  seine  erste  Rast  im 


320 


ELFTES  KAPITEL 


Palast  von  Bartolommeo  Capello,  in  Venedig  wohnte  er  im  Palast 
der  Foscari;  der  Bucentaur  war  erneuert  und  auf  dem  Lido  ein  von 
Paolo  Veronese  und  Tintoretto  bemalter  Triumphbogen  errichtet 
worden.  Tausende  von  kleinen  Schiffen  und  Gondeln  nahmen  an 
der  Einfahrt  am  18.  Juli  1574  teil,  in  alien  Kirchen  lauteten  die 
Glocken,  Chorgesang  wurde  angestimmt,  Freudenschiisse  abge- 
brannt,  dazu  strahlte  der  Himmel  in  leuchtendem  Blau,  und  der 
junge  Monarch  sagte,  wie  berauscht  von  der  Schonheit  des  Bildes, 
das  sich  ihm  darbot,  enthusiastisch  zu  seiner  Umgebung:  ,,Wie 
gliicklich  ware  ich,  wenn  die  Konigin  Mutter  das  alles  gesehen 
hatte."  Heinrich  sprach  gut  und  flieBend,  die  kurze  Ansprache  des 
Dogen  beantwortete  er  mit  einer  vielleicht  zu  langen  franzosischen 
Rede;  spater  verlangte  es  ihn  nicht  mehr  nach  oratorischen  Er- 
folgen. 

Am  Abend  legte  die  Barke  des  Konigs,  von  lauten  Zurufen  be- 
griiBt,  vor  dem  Palazzo  Foscari  an.  Mit  grofiem  Prunk  war  die 
Wohnung  hergerichtet  und  in  goldenen  Buchstaben  im  Hauptsaal 
als  Motto  zu  lesen:  ,,Omnipotens  virtus".  Der  Konig  hat  sich  nicht 
zu  streng  an  diese  Worte  gehalten ;  kaum  war  er  mit  seinen  intimeren 
Freunden  allein  im  Palast,  als  er  durch  einen  Seitenausgang  mit  dem 
Herzog  von  Ferrara  in  eine  bereit  stehende,  unansehnliche  Gondel 
schliipfte,  erst  an  einem  Gelage  teilnahm,  und  dann  in  Alfonsos 
Palast,  dem  spateren  Fondaco  dei  Turchi,  landete.  Dort  hatte 
Alfonso  einen  wahrhaft  iibermiitigen  Abend  veranstaltet :  Theater- 
auffuhrungen,  schone  Frauen  und  ein  iippiges  Mahl.  Den  glan- 
zendsten  Schmuck  des  Festes  bildeten  die  Auffuhrungen  der  Thea- 
tergesellschaft  Gelosi,  der  damals  beriihmtesten  Komikertruppe 
in  Norditalien.  Diese  Auffiihrung  hat  die  Signoria  schwer  beleidigt. 
Die  venezianische  Regierung  hatte  sich  die  groBte  Miihe  gegeben, 
um  die  Gelosi  aus  Mailand  nach  Venedig  zu  bekommen,  da  sie 
durch  den  franzosischen  Gesandten  erfahren  hatte,  daB  der  Konig 
sie  zu  sehen  wiinsche  und  besonders  auf  das  Spiel  der  Vittoria 
Piissima,  der  beriihmtesten  Kiinstlerin  der  Truppe,  neugierig  sei. 
Die  Gelosi  waren  eigens  nach  Mailand  gekommen  —  dreiBig  Per- 
sonen  —  um  wahrend  der  Feste,  die  zu  Ehren  von  Don  Juan  d'Au- 
stria,  des  Siegers  bei  Lepanto,  veranstaltet  wurden,  aufzutreten;  es 


BATTISTA  GUARINI 
LITHOGRAPHIE  NACH  „VITE  E  RITRATTI  DI   XXX  ILLUSTRI   FERRARESI" 


ALFONSO  II. 


321 


war  also  nicht  leicht  gewesen,  sie  zur  Ruckkehr  zu  bewegen.  Den 
Wunsch  der  Signoria,  ihrem  vornehmen  Gast  eine  miihsam  veran- 
staltete  Oberraschung  zu  bereiten,  hat  der  Herzog  von  Ferrara  durch- 
kreuzt,  indem  er  in  aller  Stille  mit  den  Kiinstlern  verabredet  hatte, 
daB  sie  vor  der  offiziellen  Auffuhrung  in  der  ersten  Nacht  bei  ihm 
spielen  sollten.  Die  Signoria  war  emport  iiber  Alfonso:  er  hatte 
den  Ehrenplatz  der  venezianischen  Wiirdentrager  bei  den  Festlich- 
keiten  ohne  weiteres  eingenommen  und  sich  erdreistet,  bei  der  Ab- 
fahrt  vom  festen  Land  nach  Murano  in  die  konigliche  Gondel  ein- 
zusteigen,  so  dafl  die  Gesandten  der  Republik,  die  doch  hier  Herr 
im  Hause  waren,  die  nachstfolgende  Gondel  beniitzen  muBten.  Damit 
war  sein  Sundenregister  noch  nicht  beschlossen:  am  Vorabend  der 
feierlichen  Einfahrt  nach  Venedig  war  Alfonso  inkognito  mit  dem 
Konig  aus  Murano  iiber  den  Canale  Grande  gefahren  und  hatte 
ihm  die  kostbarsten  Palaste  der  Stadt  gezeigt,  so  daB  der  offizielle 
Einzug  fur  Heinrich  nicht  mehr  den  iiberwaltigenden  Reiz  des 
Neuen  haben  konnte,  mit  dem  ihn  die  Republik  blenden  wollte. 
In  Alfonsos  Palazzo  hatte  sich  der  Konig  ausgezeichnet  unter- 
halten,  namentlich  hatte  ihm  die  Piissima  einen  starken  Eindruck 
gemacht,  ,,jene  gottliche  Vittoria,  die  Zauberin  der  Liebe,  der  en 
Worte  Flammen  in  den  Herzen  Tausender  entfachen,  deren  har- 
monische,  siiBe  Stimme  die  Zuschauer  entziickt  und  deren  sanfte 
oder  getragene  Bewegungen  musikalischen  Rhythmus  haben." 

Heinrich  III.  war  erst  am  hellen  Morgen  in  seinem  Palazzo, 
und  trotz  seiner  dreiundzwanzig  Jahre  hat  er  wohl  nicht  wenig 
iiber  Kbnigspflichten  gescholten,  da  er,  ohne  auszuruhen,  schon 
in  den  Morgenstunden  Audienz  zu  erteilen  hatte.  Aber  Venedigs 
Freuden  lieBen  ihn  keinen  Augenblick  zur  Ruhe  kommen;  am 
Abend  ging  er  vermutlich  zu  FuB  durch  HintergaBchen  in  die 
Gegend  von  San  Giovanni  Crisostomo,  wo  Veronica  Franco  wohnte, 
die  beriihmte  Dichterin  und  Kurtisane,  eine  der  reizvollsten  Frauen 
Venedigs,  obgleich  sie  unter  Nummer  204  im  ,,Cataloge  delle  prin- 
cipali  et  piu  honorate  cortigiane  di  Venetia"  eingetragen  war.  Die 
Franco  stand  unter  Venedigs  leichtlebigen  Frauen  an  erster  Stelle, 
wegen  ihrer  Schonheit  und  des  Luxus,  den  sie  entfaltete;  auBer- 
dem  strahlt  ihr  Name,   neben  dem   der  Tullia  d'Aragona,    in  der 


322 


ELFTES  KAPITEL 


Geschichte  der  italienischen  Literatur  des  XVI.  Jahrhunderts. 
Veronika  hat  gute  Sonette  gemacht  und  wie  die  beriihmte  romische 
Kurtisane  Porzia  den  ganzen  Petrarca  und  Boccaccio  im  Kopf 
gehabt  und  aus  dem  Gedachtnis  eine  Unzahl  von  Gedichten  von 
Vergil,  Horaz,  Ovid  und  von  tausend  anderen  Autoren  rezitiert. 
Mit  dem  Reiz  der  Jugend  verband  sie  die  Klugheit  der  erfahrenen 
Frau: 

E  di  costumi  adorna,  e  di  virtude, 
Con  senil  senno  in  giovenil  etade. 

Da  sie  jung  war,  hatte  sie  noch  keine  Zeit  gehabt,  groBe  Reich- 
turner  zu  sammeln;  sie  gehorte  nicht  zu  jenen  verdienten  Kurti- 
sanen,  die  der  venezianische  Senat  in  seinen  dffentlichen  Akten 
,,le  nostre  benemerite  meritrici"  nannte.  Der  Himmel  hat  ihr  nach 
den  Worten  eines  heiBen  Bewunderers  Reize  sondergleichen  ge- 
schenkt,  goldblondes  Haar,  gottliche  Augen,  deren  Glanz  die  Sonne 
iiberstrahlt,  und  Hande  von  schneeiger  WeiBe.  Tintoretto  hat  sie 
gemalt,  doch  ist  ihr  Portrat  leider  untergegangen.  In  Gambas 
,,Alcuni  ritratti  di  donne  illustri  delle  provincie  veneziane"  besitzen 
wir  zwar  ihr  Bildnis;  da  sie  aber  dort  ein  kostbares  Diadem  im 
Haar  tragt  und  mit  Schmuck  und  Goldbrokat  iiberladen  ist,  gleicht 
sie  eher  einer  steifen  englischen  Konigin,  als  der  liebenswiirdigen 
Dichterin  ,,Terrena  Dea,  alto  e  novo  miracolo,  luce  impressa  del 
raggio  della  divinita,  paradiso".  Veronica  hat  langere  Zeit  ein  Ver- 
haltnis  mit  einem  sehr  ernsten  Pralaten  gehabt,  der  als  Kanzel- 
redner  beruhmt  war;  sie  war  so  eifersiichtig,  daB,  wenn  ihr  Geliebter 
fortfuhr  und  sie  allein  zuriickblieb,  ,,sola  in  solitario  tetto",  sie  aus 
Furcht,  er  konne  ihr  untreu  werden,  sich  das  Leben  nehmen  wollte. 
Spater  hatte  Veronica  zwei  Kinder,  deren  Vater  sich  gewissenhaft 
in  das  Kirchenbuch  eingetragen  haben;  zu  ihren  Verehrern  ge- 
horten  auch  Wilhelm,  der  Herzog  von  Mantua,  und  der  Kardinal 
Luigi  d'Este,  Renatas  Lieblingssohn.  Dem  Kardinal  hat  sie 
,, Brief e"  gewidmet  und  in  der  Vorrede  seine  groBe  Cortesia  und  seine 
iiberirdische  Gentilezza  gepriesen;  sie  hat  vor  ihm  gekniet  und  die 
engelhafte  Gute  dieses  Dieners  des  Himmels,  der  ein  groBer  Welt- 
mann  war,  angebetet. 


ALFONSO  II. 


323 


Veronicas  Haus  war  der  Mittelpunkt  des  literarischen  und 
kiinstlerischen  Venedigs,  der  seinerzeit  beriihmte  Dichter  Domenico 
Veniero,  Tintoretto,  der  ernste  Sperone  Speroni,  Girolamo  Muzio, 
selbst  der  alte  Bernardo  Tasso  haben  bei  ihr  verkehrt.  Man  sprach 
iiber  Philosophic  und  Poesie,  und  die  Frau  des  Hauses  hat  die  Abende 
durch  Musik  und  Gesang  verschont.  In  einem  Briefe  bittet  sie  einen 
Freund,  zu  einem  musikalischen  Abend  zu  kommen  „alle  venti  ore 
in  occasione  ch'  io  faccio  musica".  In  einem  anderen  ladet  sie 
einen  Freund  zu  einem  zwanglosen  Friihstiick  ein,  ,,sine  fuco  et  cere- 
moniis,  more  majorum".  Jeder  fremde  Literat,  der  nach  Venedig 
kam,  hat  sie  besucht,  selbst  Montaigne,  der  sie  ,,janti  fame  vene- 
tiane"  nennt,  war  am  6.  November  1580  zum  Abendbrot  bei  ihr, 
und  die  Dichterin  hat  ihm  ein  Exemplar  ihrer  soeben  erschienenen 
Briefe  geschenkt.  Am  nachstfolgenden  Tage  hatte  der  arme  Mon- 
taigne ,,une  colique  qui  lui  dura  deux  ou  trois  heures"  —  ob  ihm 
Veronicas  Kiiche  nicht  behagt  hat?  Die  Franco  fiihrte  ein  offenes 
Haus  auf  groBem  FuBe  und  muB  die  Eifersucht  der  iibrigen  Kur- 
tisanen  erweckt  haben,  denn  die  eine  hat  sie  vor  dem  Tribunal  des 
Sant'  Officio  verklagt.  Die  Beschuldigung  war  furchtbar:  als  Vero- 
nica eine  Schere  mit  silbernem  Griff  und  eine  andere  Kleinigkeit 
gestohlen  worden  war,  habe  sie  den  Teufel  zu  Hilfe  gerufen  und  sich 
dabei  eines  geweihten  Ringes  und  Weihwassers  bedient;  sie  ginge 
nicht  zur  Messe  und  hatte  mit  schwarzen  Kiinsten  zwei  durch- 
reisende  Deutsche  in  sich  verliebt  gemacht.  Aber  Veronica  hatte 
in  geistlichen  Kreisen  einfluBreiche  Protektoren,  und  es  gelang  ihr, 
die  torichten  Vorwiirfe  zuriickzuweisen.  Allmahlich  begann  sie 
ein  vorbildliches  Leben  zu  fiihren,  schrieb  fromme  Sonette,  und 
1580  begriindete  sie  ein  Asyl  fiir  Frauen,  die  gleich  ihr  das  lockere 
Leben  aufgeben  wollten.  In  der  Kirche  ,,del  Soccorso",  wo  jene 
Magdalenen  beteten,  befand  sich  ein  Bild  von  Carletta  Caliari  (heute 
in  der  Akademie  in  Venedig) ,  die  Griindung  dieses  Asyls  darstellend. 
Die  eine  der  vier  zu  Maria  betenden  Frauen  soil  Veronica  Franco 
sein.  Unsere  fromme  Siinderin  starb,  fiinfundvierzig  Jahre  alt,  am 
Fieber.  Zu  ihren  schonsten  Erinnerungen  gehorte  der  Besuch 
Heinrichs  III.;  jenes  Augenblicks  gedenkt  sie  im  Brief,  den  sie 
,,all  invitissimo  e  cristianissimo  Re  Enrico  III"  gerichtet  hat;  sie 


324 


ELFTES  KAPITEL 


sei  stolz  und  gliicklich,  daB  der  Konig  geruht  habe,  ihre  bescheidene 
Wohnung  zu  beehren.  Sie  schickt  ihm  zwei  Sonette  und  verspricht 
ihm  einen  Gedichtband  zu  widmen,  indem  sie  ihn  feiert  als  den 
Helden. 

In  armi,  e  in  pace,  a  mille  prove  esperto. 

Veronica  hat  dem  Konig  ihr  Bildnis,  wahrscheinlich  auf  Email 
gemalt,  zum  Andenken  geschenkt,  doch  wissen  wir  nichts  von  der 
Gegengabe  des  Konigs. 

Acht  Tage  war  Heinrich  in  Venedig;  es  hieB  allgemein,  er  habe 
nicht  eine  Nacht  in  seinem  Palast  verbracht,  obgleich  er  tagsiiber 
durch  Empfange  und  Feste  gerade  gequalt  genug  war;  der  Doge 
und  die  Senatoren  furchteten  fur  seine  Gesundheit.  Als  spater  die 
Nachricht  kam,  der  Konig  sei  unterwegs  in  Cremona  erkrankt, 
ging  der  Doge  zum  Gesandten  Du  Ferrier,  damit  er  Catherina  von 
Medici  flehentlich  bitte,  ihren  Sohn  vom  unmaBigen  Leben  zuriick- 
zuhalten,  namentlich  von  den  ,,iibermutigen  korperlichen  Obun- 
gen"  und  ihm  empfehle  mehr  Fleisch  zu  essen.  Man  hatte  in 
Venedig  beobachtet,  daB  der  Konig  sich  nur  von  Gemiise,  Obst 
und  Brot,  das  er  ins  Wasser  tauchte,  ernahre,  also  von  Dingen,  die 
dem  Korper  nicht  Kraft  genug  zufiihrten.  Der  Konig  kummerte 
sich  durchaus  nicht  urn  den  vaterlichen  Rat  der  venezianischen 
Signoria,  sondern  fiihrte  auch  in  Frankreich  ein  ausschweifendes 
Leben,  das  seinen  schwachen  Organismus  zerstort  hat. 

Balle,  Illuminationen,  Feste,  Regatten  jagten  einander  wah- 
rend  Heinrichs  Aufenthalt  in  Venedig,  vielleicht  hat  ihm  der  Em- 
pfang  bei  Monsignor  Giovanni  Grimani,  dem  Patriarchen  von 
Aquileja,  mehr  Freude  gemacht  als  der  groBe  Ball  im  Dogenpalast. 
Der  Konig  wollte  Grimanis  kostbare  Sammlungen  sehen,  seine 
Bronze-  und  Marmorplastik,  seine  Bilder  und  Miniaturen,  unter 
denen  das  beruhmte  Brevier  sich  befand,  das  die  Biblioteca  Mar- 
ciana  heute  besitzt.  Der  erfahrene  Patriarch  zweifelte  nicht  daran, 
Heinrich  eine  groBere  Freude  durch  einen  Kreis  schoner  Vene- 
zianerinnen  zu  bereiten  als  durch  seine  ,,anticaglie",  infolgedessen 
lud  er  dreiBig  der  schonsten  vornehmsten  Gentildonne  Venedigs  ein, 
die  den  Konig  nicht  durch  ihre  Reize  allein,  sondern  auch  durch 
ihre   Toiletten   blendeten.    Anstatt  die  Sammlung   zu   besichtigen, 


ALFONSO  II. 


325 


begann  man  zu  tanzen,  ein  Tanz  der  Frauen  ,,alla  gagliarda"  wurde 
arrangiert,  den  Heinrich  noch  nicht  kannte  und  zu  sehn  wiinschte. 
Die  Tanzerinnen  fiihrten  eine  Art  Ballett  auf,  die  Manner  nahmen 
daran  nur  insofern  Anteil,  als  sie  einen  Kreis  um  die  Damen  schlos- 
sen,  den  Takt  schlugen  und  durch  Zurufe  und  Scherz  ihre  Heiter- 
keit  steigerten.  Es  wurde  auch  der  ,,ballo  del  cappello"  getanzt, 
die  Damen  wahlen  dabei  die  Tanzer  durch  Oberreichen  ihrer  Hiite. 
Der  erwahlte  Jiingling  legt  sein  Barett  auf  den  Kopf  der  Tanzerin, 
indem  er  sie  artig  kiiBt,  und  sie  gibt  ihm  mit  einem  KuB  sein  Eigen- 
tum  zuriick.  Dieser  Austausch  der  Hiite  mit  begleitendem  KuB 
gefiel  dem  Konig  sehr;  eine  sehr  kiihne  Dame  trat  auch  an  ihn 
heran,  indem  sie  ihm  ihren  Hut  anbot.  Da  Heinrich  in  Trauer  um 
Karl  IX.  war,  konnte  er  der  Aufforderung  nicht  nachkommen 
und  stellte  der  schonen  Tanzerin  einen  seiner  Begleiter  als  Vertreter 
vor.  Die  Nachmittags-Unterhaltung  bei  Grimani  dauerte  bis  zum 
Abend;  der  Konig  ging  zwar  in  den  Palazzo  Foscari  zuriick,  aber 
nur  um  durch  ein  Seitenpfortchen  zu  seinen  Freundinnen  zu  ent- 
schliipfen. 

Man  muB  dem  Konig  jedoch  das  Zugestandnis  machen,  daB  er 
auch  in  Tizians  Atelier  war,  wo  er  die  ,,Allegorie  dec  Sieges  von 
Lepanto"  fur  den  Konig  von  Spanien  sehen  konnte. 

Unterdessen  kamen  Briefe,  die  Heinrich  zu  schleunigster  Riick- 
kehr  aufforderten;  seine  verniinftigeren  Gefahrten,  besonders  der 
Herzog  von  Savoyen,  Emanuele  Filiberto,  begannen  um  den  Konig 
besorgt  zu  werden  und  rieten  zur  Abreise.  Am  letzten  Tage  kaufte 
der  Konig  Geschenke  fur  seine  Freunde  in  Venedig.  Fur  Kleinodien 
allein  gab  er  zweiunddreiBigtausend  Scudi  aus,  er  blieb  aber  einen 
bedeutenden  Teil  dieser  Summe  schuldig  und  sollte  sie  spater  durch 
Vermittlung  des  franzosischen  Gesandten  bezahlen.  Dem  Dogen 
bot  er  einen  Ring  mit  einem  kostbaren  Diamanten  an,  aber  Mo- 
cenigo  muBte  dieses  Kleinod  dem  Schatz  der  Republik  verschreiben, 
da  das  Oberhaupt  der  Regierung  Geschenke  nicht  annehmen  durfte. 

Am  27.  Juli  fuhr  Heinrich  iiber  den  Po  nach  Ferrara,  die  Vene- 
zianer,  besonders  die  Hausbesitzer  am  Canale  Grande,  waren  ganz 
froh,  daB  die  Feste  ein  Ende  hatten,  da  infolge  der  konstanten 
Illuminationen   das   01   fur   die   Lampen   zu    teuer    war.      Alfonso 


326 


ELFTES  KAPITEL 


schlug  mit  dem  Konig  den  weiteren  Weg  iiber  Capparo  in  seine 
Hauptstadt  ein,  damit,  wie  der  Florentiner  Gesandte  boshaft 
bemerkte,  das  Herzogtum  von  Ferrara  dem  Gaste  groBer  erscheine. 
Bei  fiirchterlicher  Hitze  zog  am  29.  Juli  der  Konig  mit  seinem 
ganzen  Hofstaat  in  Ferrara  ein  bei  Musikklangen,  Glockengelaute 
und  Freudenschiissen.  Vor  dem  Stadttor  iibergab  Cornelio  Benti- 
voglio  dem  Konig  die  Schliissel,  die  dieser  liebenswiirdig  zuriickgab. 
Im  Palast  an  der  Treppe  erwarteten  den  Konig  die  Prinzessinnen 
Lucrezia  und  Leonora;  Heinrich  kiiBte  ihnen  die  Hand  nicht,  was 
der  Florentiner  Gesandte  mit  boshafter  Freude  konstatierte. 
Alfonso  hatte  die  koniglichen  Gemacher  mit  den  schdnsten  Teppichen 
und  Kunstwerken  schmucken  lassen,  es  gab  eine  groBe  Theaterauf- 
fiihrung  und  einen  Ball,  aber  der  Empfang  war  nicht  ganz  gelungen. 
Der  Konig  muBte  infolge  wichtiger  Briefe  aus  Paris  friiher  als  be- 
absichtigt,  verreisen,  der  Ball  fand  denn  auch  einen  Tag  eher  statt, 
und  mehrereDamen  trugen  weniger  kostbareGewander,  da  die  Schnei- 
derinnen  ihre  Kunstwerke  nicht  vollenden  konnten.  Schlimmer 
war's,  daB  am  zweiten  Tage  der  Anwesenheit  des  Konigs  ein  leichtes 
Erdbeben,  das  Ferrara  damals  haufiger  heimsuchte,  einen  gewissen 
Schrecken  unter  den  Gasten  verbreitete.  Der  Konig  war  sehr  ab- 
gespannt  und  nahm  daher  den  Wasser-  und  nicht  den  Land- 
weg  nach  Mantua.  Er  wurde  dort  mit  auBerordentlicher  Pracht 
empfangen:  es  gait  Ferrara  zu  uberbieten.  Fur  Alfonso  als  Zu- 
schauer  war  dies  auch  nicht  gerade  angenehm. 


Ill 

In   Polen   beschaftigte   sich    unterdessen    Ascanio    Giraldini    mit 
Alfonsos  Angelegenheiten,  aus  Ferrara  kam  ihm  noch  Alessandro 
Baranzono  zu  Hilfe. 

Die  Gesandten  gewannen  den  Adel,  besonders  in  der  Gegend 
von  Plock;  sie  zeigten  Alfonsos  Bildnis  in  Waff  en,  mit  der  Muskete 
in  der  Hand,  damit  die  Polen  Vertrauen  zu  dieser  ansehnlichen 
Personlichkeit  gewannen,  aber  sie  glaubten  selbst  nicht  ganz  an 
einen  gliicklichen  Ausgang  und  wollten  die  Verantwortung  mit  einer 


ALFONSO  II.  327 

einfluBreichen  ferraresischen  Persdnlichkeit  teilen,  denn  Geraldini 
bat,  Alfonso  moge  ihm  noch  einen  guten  Redner  schicken,  ,,un 
huomo  di  gran  portata."  Wieder  muBte  Guarini  nach  Polen  auf- 
brechen;  er  ging  in  den  ersten  Oktobertagen  des  Jahres  1575  iiber 
Saravalle  und  Ampezzo  fort  und  hatte  nicht  wenig  Schwierigkeiten 
zu  iiberwinden.  Guarini  schildert  seiner  Frau  einige  Tage  nach 
seiner  Ankunft  in  Polen  die  Reise.  Er  beklagt  sich,  nicht  imstande 
zu  sein,  die  doppelte  Qual  des  Kdrpers  und  der  Seele  zu  ertragen. 
Unmittelbar  nachdem  er  die  Alpen  uberschritten,  sei  er  am  Fieber 
erkrankt,  das  ihn  wahrend  seiner  Reise  bis  an  die  Donau  gequalt 
habe.  In  Wien  habe  er  seiner  Krankheit  wegen  rasten  mussen; 
da  die  Zeit  drangte,  hatte  er  die  Rede,  die  er  auf  dem  Wahlfelde 
halten  sollte,  nach  Warschau  geschickt,  damit  sie  dort  verlesen  werde. 
Nachdem  er  etwas  zu  Kraften  gekommen,  hat  er.  trotz  seiner  Krank- 
heit, seine  Reise  fortgesetzt  und  rechtfertigt  sich  seiner  Frau  gegen- 
iiber  damit:  die  Ehre  verlange,  daB  er,  an  der  Spitze  einer  so  wich- 
tigen  Gesandtschaft  stehend,  die  Pflichten  gegen  seinen  Herrn  hoher 
schatze  als  seine  Gesundheit.  Unter  den  groBten  Miihen  und  Ge- 
fahren,  jeden  Augenblick  eines  Oberfalls  gewartig,  habe  er  seinen 
weiteren  Weg  zuriickgelegt.  Krank,halb  erfrorenkam  er  in  Warschau 
am  19.  Dezember  an,  mehr  tot  als  lebendig.  Es  war  zu  spat,  die 
Gesandten  der  iibrigen  Kandidaten  hatten  ihre  Saohen  bereits  er- 
ledigt,  und  der  Adel  war  schon  zur  Abstimmung  auf  dem  Wahl- 
feld  geschritten. 

Der  kranke  Gesandte  sollte  endlich  in  Warschau  etwas  zur  Ruhe 
kommen.  Gesund  hat  ihn  weniger  die  nordliche  Landschaft  ge- 
macht  als  die  Nachricht,  daB  Alfonsos  vielvermdgender  Minister 
Pigna  gestorben  sei.  Guarini  betrachtete  ihn  als  seinen  groBten 
Feind  am  Hofe  und  schrieb  es  ihm  zu,  daB  derHerzog  ihn  zum  zweiten 
Mai  mit  dieser  Gesandtschaft  betraut  hatte,  ,,non  gia  legazione, 
ma  relegazione  di  Pologna",  und  ihn  zur  Reise  gezwungen,  die  er 
kaum  lebend  uberstanden  infolge  von  Krankheit,  Seuche,  Unbe- 
quemlichkeiten,  Mordern,  Raubern  und  Qualen  aller  Art,  die  er 
hatte  erdulden  mussen. 

Die  ferraresischen  Gesandten  hatten  Stefan  Batory's  Wahl  zum 
Kdnig    von  Polen   in  Warschau   abgewartet,    dann   reisten   sie  ab, 


328  ELFTES  KAPITEL 

wahrend  Guarini  noch  in  Polen  blieb,  in  der  Annahme,  daB  Ba- 
tory  die  Wahl  nicht  annehmen  wiirde.  Da  sich  diese  Hoffnung 
nicht  erfiillte,  ging  auch  er  nach  Ferrara  zuriick  und  legte  Alfonso 
einen  langeren  Bericht  vor,  der  heute  noch  die  interessanteste  Quelle 
fur  die  ferraresisch-polnischen  Beziehungen  ist.  Die  Hoflinge  in 
Ferrara  schrieben  Alfonsos  miBlungene  Bewerbung  um  die  pol- 
nische  Krone  namentlich  den  beiden  Gesandten  zu,  die  zuerst  nach 
Warschau  gegangen  waren.  Von  Giraldini  hieB  es,  er  sei  als  Jude  in 
Siena  geboren  und  als  Esel  in  Ferrara  getauft;  von  Guarini  wurde 
angenommen,  seine  unausstehliche  Pedanterie  habe  ihn  in  Polen 
unmoglich  gemacht,  und  er  sei  keine  geniigend  representative  Per- 
sonlichkeit,  um  eine  Vorstellung  vom  Glanz  und  der  Wurde  der 
Este  zu  geben. 

Alfonsos  Bewerbungen  um  die  polnische  Krone  entbehrten  eines 
komischen  Epiloges  in  Ferrara  nicht.  Ein  Betruger,  ein  Tiirke  oder 
Armenier,  wollte  sich  die  Ambitionen  des  Herzogs  nach  fremden 
Thronen  zu  nutze  machen.  Er  kam  insgeheim  nach  Ferrara  und 
bot  Alfonso  im  Namen  der  Bevolkerung  des  heiligen  Landes  das 
Kdnigreich  Jerusalem  an.  Fur  den  Herzog,  der  mit  Bojardos  und 
Ariosts  Gedichten  aufgewachsen  war,  konnte  es  keinen  passenderen 
Thron  geben.  Alfonso  nahm  die  geheimnisvolle  Personlichkeit 
aufs  beste  auf,  als  er  den  Betrug  erkannte,  steckte  er  den  Turken 
ins  Gefangnis,  doch  gelang  es  jenem,  aus  der  Haft  zu  entfliehen. 

Alfonso  wurde,  da  auch  die  Ehe  mit  seiner  dritten  Frau  kinder- 
los  geblieben  war,  in  seinem  Alter  verschlossen  und  gereizt.  Da 
das  Geschlecht  der  Este  auszusterben  drohte,  iiberlieB  er  die  Re- 
gierung  den  Ministern,  die  die  Macht  miBbrauchten  und  dem  Volk 
immer  groBere  Lasten  auferlegten.  Die  schlechten  Beamten  wurden 
nicht  abgesetzt,  da  der  Herzog  nicht  zugestehen  wollte,  sich  in  der 
Wahl  der  Manner  geirrt  zu  haben;  die  drei  Fattori  generali  ver- 
fiigten  iiber  alle  Einkiinfte,  bereicherten  sich  und  zwangen  die 
Bevolkerung  zu  immer  groBeren  Abgaben,  die  in  ihre  Taschen 
flossen.  Statthalter  kleiner  Stadte,  die  fiinfundzwanzig  Scudi  mo- 
natlich  bezogen,  muBten  jahrlich  dreitausend  und  mehr  als  Tribut 
entrichten.  Um  die  Einkiinfte  machte  sich  der  Herzog  keine  Sorge, 
da  die  Gelder  reichlich  in  seine  Kasse  flossen;  er  bezog  eine  jahr- 


ALFONSO  II. 


329 


liche  Einnahme  von  viermalhundertfiinfzigtausend  Scudi;  allein 
die  Salinen  und  der  Fischfang  in  Comacchio  warfen  funfzigtausend  ab. 
Alfonso  trug,  als  er  alter  wurde,  immer  schwarz,  war  aber  mit 
groBer  Sorgfalt  angezogen,  seine  Kragen  und  Manschetten  waren 
so  kunstvoll  gearbeitet,  daB  sich  auch  die  eleganteste  Frau  ihrer 
nicht  hatte  zu  schamen  brauchen.  Fast  immer  hatte  er  ein  Samt- 
barett  auf  und  trug  den  Degen  an  der  Seite.  Gegen  seine  Unter- 
tanen  war  er  von  ausgesuchter  Hdflichkeit;  die  Bittsteller  verlieBen 
die  Audienz  entziickt  von  der  Liebenswiirdigkeit  des  Herzogs;  erst 
spater,  wenn  sie  nichts  von  dem  erreichten,  was  sie  erbeten  hatten, 
pflegten  sie  ihre  Ansicht  zu  andern. 


IV 

Eine  sehr  interessante  Personlichkeit  war  Alfonsos  jiingerer 
Bruder,  der  Kardinal  Luigi  d'  Este.  Erwar  gegen seinenWillen 
Geistlicher  geworden,  sah  besonders  gut  aus,  war  stets  in  ein  Laby- 
rinth von  Liebesverhaltnissen  verwickelt  und  fuhrte  bestandig 
irgend  etwas  gegen  seinen  Bruder  im  Schild. 

Es  war  fast  Grundsatz  bei  den  damaligen  Fiirstenfamilien 
Italiens,  daB  ein  Mitglied  der  Familie  Kardinal  wurde,  urn  auf 
diese  Weise  das  Geschlecht  politisch  und  materiell  zu  heben.  Diese 
Tradition  hatte  sich  namentlich  bei  den  Gonzaga  und  Este  ein- 
?eburgert,  und  da  der  Kardinal  Ippolito  (der  jiingere),  Ercoles  II. 
Bruder,  ein  alter  Mann  war,  als  Luigi  heranwuchs,  bestimmte 
Ercole  den  Sohn  zu  Ippolitos  Nachfolger  und  Erben  der  ungeheuren 
Einkunfte  des  Kardinals.  Ippolito  hatte  durch  die  Protektion  des 
Konigs  von  Frankreich  einen  sehr  groBen  EinfluB  im  Heiligen 
Kollegium,  dieser  EinfluB  sollte  jetzt  auf  Luigi  iibergehen. 

Luigi  hatte  keine  Lust  zum  geistlichen  Stand,  aber  er  wurde 
nicht  gefragt,  und  Paul  III.,  der  Ercole  II.  und  dem  Kardinal  Ippolito 
zu  Willen  sein  wollte,  ernannte  den  funfzehnjahrigen  Knaben 
zum  Bischof  von  Ferrara.  Es  war  nicht  der  erste  Fall  in  der  Fa- 
milie der  Este,  daB  ein  halbwuchsiger  Knabe  ein  hohes  kirchliches 
Amt  inne    hatte;    Ippolito  d'  Este   (der  altere)    war  ja  kaum  acht 


330 


ELFTES  KAPITEL 


Jahre  alt  gewesen,  als  er  zum  Bischof  von  Gran  ernannt  worden 
war,  und  mit  fiinfzehn  Jahren  war  er  schon  Kardinal.  Um  den 
jungen  Luigi,  den  Bischof  von  Ferrara,  fur  den  geistlichen  Stand  vor- 
zubereiten,  wurde  ihm  der  franzosische  Jesuit  Lepelletier  zum  Mentor 
gegeben,  den  Loyola  selbst  fur  diesen  Zweck  ausersehen  hatte.  Aber 
die  Lehren  des  geschickten  Jesuiten  nutzten  wenig.  Luigi  gefiel  es 
in  Ferrara  nicht,  er  beschloB,  dem  Beispiel  des  alteren  Bruders 
zu  folgen  und  aus  Ferrara  zu  fliehen. 

Das  Studium  fand  er  langweilig,  dazu  litt  er  unter  dem  Geiz  des 
Vaters,  der  ihm  nur  eine  ganz  kleine  Pension  bewilligte,  die  der 
bischoflichen  Wurde  nicht  entsprach.  Luigi  wollte  nicht  nach 
Frankreich,  sondern  nach  Spanien  fliehen;  der  Bischof  von  Trient, 
der  Kardinal  Madruzzi,  hatte,  als  Anhanger  des  osterreichischen 
Kaiserhauses,  ihn  dazu  beredet  und  Antonio  Maria  di  Collegna, 
Ercoles  diplomatischer  Agent,  ihn  mit  Geld  unterstiitzt.  Der  Her- 
zog  entdeckte  die  Verschworung  rechtzeitig,  er  lieB  den  jungen 
Bischof  fur  einige  Tage  einsperren  und  Collegna  in  sffigie  hangen, 
da  er  seiner  nicht  habhaft  werden  konnte. 

Luigi  gab  seine  Fluchtplane  nicht  auf ,  kaum  hatte  sich  der  Vater 
beruhigt,  so  beschloB  er  mit  Wissen  und  Hilfe  der  Mutter  nach 
Paris  zu  fliehen.  Er  lieh  Geld  beim  Juden  Jsaak,  versetzte  seinen 
gesamten  Besitz  und  stahl  sich  1558  in  aller  Stille  mit  einem 
Diener  aus  der  Stadt,  um  seinen  Bruder  einzuholen,  der  tags  zuvor 
mit  Erlaubnis  des  Vaters  nach  Frankreich  aufgebrochen  war.  Falls 
der  Konig  von  Frankreich  ihm  kein  Asyl  geben  wollte,  war  Luigi 
sogar  bereit,  in  die  Tiirkei  zu  fliehen,  nur  um  dem  langweiligen 
Ferrara  zu  entgehen.  Aber  der  Konig,  von  Renata  brieflich  unter- 
richtet,  nahm  Luigi  freundlich  auf,  und  der  junge  Bischof  beniitzte 
die  Gelegenheit,  um  ein  lustiges  Leben  zu  fuhren  und  Geld  zu  borgen, 
wo  er  konnte. 

Unterdessen  starb  der  alte  Ercole,  Alfonso  ging  eilig  nach  Ferrara 
zuriick,  um  die  Regierung  zu  ubernehmen,  Luigi  dagegen  gefiel 
es  am  lockeren  franzosischen  Hof  so  gut,  daB  er  durchaus  nicht  an 
Ferrara  dachte.  Vergebens  forderte  ihn  der  Bruder  in  sehr  scharfen 
Briefen  auf,  der  Pflichten  eingedenk  zu  sein,  die  er  gegeniiber  Kirche 
und  Familie  habe,  vergebens  berichtete  er  von  der  Bereitwilligkeit 


ALFONSO  II. 


331 


des  Papstes,  ihm  die  Kardinalswiirde  zu  iibertragen,  vergebens 
ziirnte  der  alte  Kardinal  dem  unfolgsamen  Neffen  —  Luigi  wollte 
weder  vom  Bistum  noch  von  der  Kardinalswiirde  etwas  horen 
und  gab  vor,  soviel  Schulden  zu  haben,  daB  er  nicht  imstande  sei, 
das  Amt,  das  ihm  der  Papst  iibertragen  wolle,  entsprechend  aus- 
zufiillen.  Der  eigentliche  Grund  von  Luigis  Weigerung  war,  daB 
er  am  Hofe  der  Konigin  sein  Herz  an  eine  Italienerin,  Livia.  die 
Tochter  Galeottos  Pico  della  Mirandola,  verloren  und  sie  zu  heiraten 
versprochen  hatte.  Dieser  Roman  miBfiel  Luigis  franzosischer 
Familie  griindlich,  da  Livia  ein  unvermogendes  Madchen  aus  ein- 
fachem  Hause  war,  und  durchaus  keine  standesgemaBe  Gattin  fiir 
einen  Este.  Um  ihn  von  Livia  freizumachen,  wurde  ihm  der  Ge- 
danke  an  eine  andere  Heirat  nahegelegt,  die  dem  Ansehen  seiner 
Familie  entsprach.  Unterhandlungen  wurden  angekniipft  zwischen 
ihm  und  Maria  de  Bourbon,  der  Grafin  von  Saint-Paul,  der  jungen 
Witwe  Jeans  d'  Enghien,  die  ein  Einkommen  von  40  000  Scudi 
jahrlich  hatte.  Renata  hat  dieses  Eheprojekt  sehr  unterstiitzt,  da 
sie  nicht  wunschte,  daB  ihr  Sohn  der  romischen  Kirche  angehore. 
Dieser  Plan  hat  Alfonso  und  den  Oheim  Kardinal  nicht  wenig 
erschreckt;  sie  wiinschten  im  Interesse  der  estensischen  Dynastie, 
daB  Luigi  eine  bedeutende  Stelle  in  der  romischen  Kurie  einnehme, 
nicht  aber  in  Frankreich  mit  einem  Jahreseinkommen  von  vierzig- 
tausend  Scudi  lebe.  Alfonso  schickte  einen  ihm  ergebenen  Hof- 
mann  nach  Paris,  damit  er  Luigi  von  diesen  Planen  abbringe.  Auch 
wurde  ihm  die  Bezahlung  seiner  Schulden  in  Aussicht  gestellt, 
wenn  er  nach  Italien  zuruckzukommen  bereit  sei.  So  lief  in  Al- 
fonsos  Sinn  alles  giinstig  ab,  da  die  Grafin  de  Saint-Paul  keine  Lust 
hatte,  sich  mit  dem  leichtsinnigen  Luigi  einzulassen  und  einige 
Monate  spater  den  Herzog  de  Nemours  geheiratet  hat.  Emport  uber 
dies  Vorgehen  der  Grafin,  war  Luigi  nach  ihrer  Trauung  cher  bereit 
nachzugeben,  um  so  mehr  als  der  franzosische  Hof,  dem  es  sehr 
darum  zu  tun  war,  seinen  Parteiganger  im  Heiligen  Kollegium  zu 
haben,  auch  den  jungen  Prinzen  drangte,  die  Kardinalswiirde  anzu- 
nehmen.  Der  verliebte  Bischof  kapitulierte  und  wurde  einige  Mo- 
nate spater,  am  26.  Februar  1561,  zum  Kardinal  ernannt.  Er  war 
damals  dreiundzwanzig  Jahre  alt,  aber  es  ist  ihm  wahrend  seines 


332 


ELFTES  KAPITEL 


ganzen  Lebens  nicht  gelungen,  sich  mit  seinem  Stand  zu  versbhnen. 
Er  hat  es  Alfonso  nicht  verziehen,  ihn  gewissermaBen  zum  geist- 
lichen  Stand  gezwungen  zu  haben,  und  den  Onkel  Ippolito  stets 
aus  diesem  Grunde  gehaflt.  Auch  den  Papsten,  Pius  IV.,  der  ihn 
zum  Kardinal  ernannt,  und  Sixtus  V.,  dem  er  viel  zu  danken  hatte, 
hat  er  die  unerbetene  Protektion  im  stillen  nicht  verziehen  und 
bei  jeder  Gelegenheit  seine  Unabhangigkeit  und  seine  MiBstimmung 
Rom  gegemiber  bekundet.  So  wollte  er,  als  es  1563  zu  einer 
Schlagerei  zwischen  den  papstlichen  Sbirren  und  den  Knechten  des 
Kardinals  kam,  die  einen  Gastwirt  erschlagen  hatten,  unter  keinen 
Umstanden  die  Schuldigen  herausgeben;  der  Papst  muBte  den  Fall 
dem  Kardinalskollegium  unterbreiten  und  den  halsstarrigen  Este 
mit  Hausarrest  bestrafen.  Erst  infolge  der  Vermittlung  des  Herzogs 
von  Ferrara  und  des  Kardinals  Borromeo,  dem  der  sturmische 
Kollege  sympathisch  war,  hat  ihn  der  Papst  aus  dem  unfreiwilligen 
Aufenthalt  im  Palazzo  auf  dem  Monte  Giordano  befreit. 

Einige  Jahre  spater  unter  Gregor  XIII.,  dem  Freunde  der 
Este,  hatte  Luigi  wieder  einen  Zwist  mit  dem  Vatikan  wegen  seiner 
zuchtlosen  Dienerschaf t ;  der  empdrte  Papst  befahl  ihm,  Rom  sofort 
zu  verlassen,  da  sonst  eine  Haft  in  Tivoli  seiner  warte.  Es  v/ar  aber 
nicht  so  leicht,  gegen  den  Kardinal,  der  den  Konig  von  Frankreich 
hinter  sich  hatte,  vorzugehen;  Luigi  verlieB  Rom  zwar  fur  einige 
Zeit,  aber  Heinrich  III.  nahm  sich  seiner  so  warm  an,  daB  der 
Papst  seinen  Befehl  zuriickziehen  muBte;  und  der  Kardinal,  der 
infolge  seiner  Verschwendung  beim  Volk  beliebt  war,  kam  wie  ein 
Triumphator,  von  jubelnden  Zurufen  begriiBt,  nach  Rom  zuriick. 

Wahrend  die  Familie  eine  Ehe  Luigis  in  seiner  Pariser  Zeit 
unter  alien  Umstanden  hatte  verhindern  wollen,  suchte  Alfonso 
um  1 58 1,  als  der  Kardinal  vierundvierzig  Jahre  alt  war  und  eine 
so  hohe  kirchliche  Wurde  hatte,  ihn  zu  bewegen,  zu  heiraten.  Da 
der  Herzog  kinderlos  war,  hoffte  er  auf  diese  Weise  den  Este  den 
Thron  von  Ferrara  zu  erhalten.  Zur  Braut  hatte  er  Luigi  eine 
Tochter  von  Eleonora  d'  Este  bestimmt,  und  von  diesem  Plan  war 
sogar  in  Rom  die  Rede.  Aber  jetzt  hatte  der  Kardinal  keine  Lust, 
sein  Leben  nochmals  aufs  neue  zu  beginnen.  Er  schrieb,  er  sei  zu 
krank  und  leidend,  um  eheliche  Pflichten  einzugehen;  da  er  auBer- 


ALFONSO  II. 


333 


dem  bereits  ,,in  sacris"  sei,  wiirde  er  vom  Papst  nur  mit  Miihe  den 
zur  Heirat  notwendigen  Dispens  erhalten.  Diese  Griinde  scheinen 
nichts  als  eine  Ausrede  gewesen  zu  sein.  Luigi  hatte  gem  sein 
Gliick  als  Ehemann  versucht,  wenn  er  nicht  den  Verlust  der  unge- 
heuren  Einkiinfte  befiirchtet  hatte,  die  mit  der  geistlichen  Wiirde 
verbunden  waren.  Sein  Einkommen  betrug  damals  120  000  Scudi; 
wenn  er  seine  kirchlichen  Amter  aufgegeben  hatte,  so  waren  ihm 
hochstens  zweiundzwanzig  bis  dreiundzwanzigtausend  Scudi  jahr- 
lich  verblieben.  Der  Kardinal  gab  dem  Bruder  zu  verstehen,  daQ 
er  eventuell  bereit  ware,  auf  den  Kardinalspurpur  zu  verzichten 
und  die  vorgeschlagene  Ehe  einzugehen,  wenn  er  ihm  einen  Teil 
seiner  Einkiinfte  zusichern  wiirde.  Der  Herzog  hatte  aber  keine 
Lust,  ihm  eine  so  ungeheure  Pension  auszusetzen,  auBerdem  war 
Sixtus  V.  gegen  diesen  Plan,  der  seiner  Ansicht  nach  zuviel  Argec- 
nis  gegeben  hatte. 

So  blieb  Luigi  Kardinal  und  gait  als  der  ,,glanzendste",  da  er  auf 
sehr  groBem  FuB  lebte,  das  Haus  stets  voller  Gaste  hatte,  auf  Reisen 
das  Geld  zum  Fenster  hinauswarf  und  Unsummen  im  Kartenspiel 
und  in  Geschenken  fur  gekronte  Haupter  verschwendete,  um  sich 
deren  Gunst  zu  sichern.  Schone  und  bekannte  Frauen  in  Rom, 
Ferrara  und  Frankreich  iiberschiittete  er  mit  Kostbarkeiten,  unter- 
stiitzte  Dichter,  schmiickte  seinen  Palast  Diamanti  in  Ferrara  und 
vollendete  den  Bau  der  groBartigen  Villa  der  Este  in  Tivoli. 

Wahrend  seines  romischen  Aufenthaltes  1577  und  1578  hatte 
er  einen  Hofstaat  von  dreihundertneunundvierzig  Hoflingen  und 
Dienern  und  erwarb  zwei  Drittel  des  Palazzo  Orsini  in  Monte  gior- 
dano.  Die  ungeheuren  Einkiinfte,  die  ihm  so  mancher  gekronte 
Fiirst  neiden  konnte,  geniigten  nicht  fur  alle  Passionen  des  ver- 
schwenderischen  Pralaten;  in  seinen  letzten  Lebensjahren  wuBte 
er  sich  vor  seinen  Glaubigern  nicht  zu  retten,  die  ihm  mit  der  Be- 
schlagnahme  seiner  Giiter  drohten,  und  seine  Jugendgewohnheit: 
Kleinodien  bei  jiidischen  Bankiers  zu  versetzen,  hat  er  bis  in 
sein  spates  Alter  behalten. 

Durch  sein  unmaBiges  Leben  hat  er  seine  Gesundheit  friih  unter- 
graben  und  da  er  die  Ratschlage  der  Arzte  oder  seiner  Freunde  nicht 
befolgen  wollte,  starb  er  im  Januar  1586.    Die  Schmeichler  der  Este 


334 


ELFTES  KAPITEL 


wahnten,  ganz  Europa  wiirde  ihn  betrauern;  Sebastian  Ardesi  gab 
in  Padua  eine  Sammlung  von  Klageliedern  unter  dem  Titel  heraus 
,,Vari  lamenti  d'  Europa  nella  morte  di  Luigi  d'  Este".  Sein  Ver- 
mogen  oder  richtiger  seine  Schulden  im  Betrage  von  200  000  Scudi 
vermachte  der  Kardinal  Cesare  d'  Este,  der  die  Erbschaft  nur  urn 
der  Ehre  der  Familie  willen  annahm;  nachdem  er  eine  Unmenge 
von  Schulden  bezahlt  und  zahllose  Prozesse  gefiihrt  hatte,  hat  er 
kaum  einige  Triimmer  aus  dieser  Kardinalsherrlichkeit  gerettet. 

Im  NachlaB  befand  sich  eine  groBe  Anzahl  schoner  Masken,  die 
auch  im  NachlaB  der  beiden  alteren  estensischen  Kardinale  nicht 
gefehlt  haben,  da  sie  den  Karneval  leidenschaftlich  liebten.  Einer 
der  Zeitgenossen  hat  den  Kardinal  Luigi  ,,Ghiotto  di  maschere" 
genannt  und  berichtet,  daB  der  Kirchenfiirst  und  Don  Francesco 
d'-Este  sich  1565  als  Facchini  verkleidet  wahrend  des  Karnevals 
in  den  StraBen  herumgetrieben  hatten.  Dagegen  gab  es  in  seinem 
Palast  kaum  ein  Buch,  da  er  sich  weder  mit  Literatur  noch  mit  irgend 
einer  Wissenschaft  beschaftigt  hat.  Wenn  er  Literaten  an  seinem 
Hof  versammelt  und  eine  Zeit  hindurch  beiden  Tasso,  Vater  und 
Sohn,  Unterhalt  gegeben  hat,  so  geschah  es  nur,  um  den  Glanz 
seines  Hauses  zu  mehren.  Von  Tassos  Verhaltnis  zum  Kardinal 
wird  noch  die  Rede  sein. 

Doch  soil  nicht  verschwiegen  werden,  daB  zwei  estensische  Kardi- 
nale, Ippolito  II.,  Alfonsos  und  Lucrezias  Sohn,  und  Luigi  die  wunder- 
volle  Villa  d'  Este  in  Tivoli  bei  Rom  erbaut  haben,  den  Typus  des 
landlichenBarockpalastes,  ein  ,,luogo  di  delizie",  wie  die  Renaissance- 
menschen  bezeichnenderweise  Wohnsitze  dieser  Art  nannten. 

Ippolito  II.  war  1550  zum  ,,governatore  di  Tivoli"  ernannt 
worden  und  begann  sofort  den  Bau  der  groBartigen  Villa,  indem 
er  Felsen  sprengen  lieB  und  Aquadukte  legen,  um  durch  Wasser- 
falle  und  Teiche  das  Terrain  zu  beleben.  Der  Baumeister,  Piero 
Ligorio,  entwarf  die  Plane  zu  diesem  in  groBem  MaBstab  erdachten 
Werk,  das  1569,  also  neunzehn  Jahre  nachdem  die  Arbeit  in  ihren 
Hauptzvigen  festgelegt  war,  fertig  war.  Ippolito  starb  1572;  nach 
seinem  Tode  hat  Luigi  an  der  weiteren  Ausschmuckung  der  Villa 
und  der  Garten  gearbeitet,  aber  auch  bei  ihm  reichten  weder  Zeit 
noch  Mittel,  um  Ligorios  Plane  ganz  durchzufiihren.     Die  Fassade 


ALFONSO  II.  335 

der  Villa  ist  niemals  vollendet  worden,  und  deshalb  erscheinen  die 
Dimensionen  der  Frontmauern  unverhaltnismaBig  ausgedehnt, 
verglichen  mit  dem  breiten  Mittelrisalit.  Die  Villa  hat  mannigfache 
Schicksale  erlebt,  sie  war  im  Besitz  der  Herzdge  von  Modena,  des 
Kardinals  Hohenlohe  und  des  Erzherzogs  Franz  Ferdinand  d'Este. 
Der  Kardinal  Ippolito  hat,  ehe  er  mit  dem  Bau  des  Palastes  in 
Tivoli  begann,  die  Garten  anlegen  lassen,  die  an  die  Villa  d'  Este  in 
Rom,  den  heutigen  Quirinal,  grenzten.  Er  residierte  dort  und  gab 
Beweise  eines  ungewohnlich  ausgepragten  asthetischen  Geschmackes. 
In  Tivoli  wollte  er  alle  beriihmten  Villen  Italiens  iiberholen,  er  wollte 
seinen  Wohnsitz  prachtiger  gestalten  als  die  Villa  Lanti  in  Bagnaja 
bei  Viterbo  oder  den  Palazetto  Farnese  in  Caprarola  und  soil  unge- 
fahr  eine  Million  Scudi  verbaut  haben. 

Auch  fur  die  Gartenanlage  hat  Luigi  ungeheure  Summen  ver- 

ausgabt;  einige  Jahre  nach  Ippolitos  Tod  hat  er  fur  die  Arbeiten  in 

Tivoli  tiirkische  Sklaven  fur  3492  Scudi  gekauft,  der  Preis  fur  den 

einzelnen  betrug  36  Scudi ;  das  ,,luogo  di  delizie"  hat  nicht  wenig  zum 

Ruin  seiner  Finanzen  beigetragen.    Namentlich  war  es  ihm  um  eine 

harmonische  Vielgestaltigkeit  von  Baumen  und  Strauchern  zu  tun, 

und  in  der  Tat  verbinden  sich  in  wundervoller  Art  die  dunklen  Tone 

der  Zypressen  und  siidlichen  Eichen  mit  dem  leuchtenden   Blatt- 

werk  des  Lorbeers,  dem  ruhigen  Griin  der  Pinien  und  den  archi- 

tektonisch-strengen   Buchsbaumwanden.      Der   Park  in   Tivoli   ist 

der    Idealgarten,    in    dem   die    antike    gartnerische    Tradition    sich 

mit  Renaissancemotiven  zur  Einheit  verschmolzen  hat.    Durch 

die    Vereinigung   von   Architektur,    Plastik   und    Garten- 

kunst   wurde    ein    iiberaus    kunstlerischer  Naturaus- 

schnitt     geschaffen;     seine     Komponenten    sind 

das    tiefe    Griin    der    Bau  me,    Marmor   und 

Wasserfalle,     das     Ganze     zusammen- 

gefafit  in  die  strengen  Formen  der 

Renaissance,  aber  lebendig  und 

iiberraschend  durch  dasViel- 

faltige  und  Wechselnde 

seiner     Bilder. 


zwOlftes  kapitel 
TORQUATO  TASSO 


i 


asso,  der  groBe  Dichter,  der  mit  den  Schwachen  seiner 
Zeit  belastet  ist  und  am  meisten  fur  die  Siinden  der  Re- 
naissance gelitten  hat,  ist  zugleichauchderkranklichste 
Vertreter  des  beginnenden  geistigen  Druckes.  Ein 
schwacher  Charakter  und  schwachlicher  Mensch,  eine 
Gestalt,  die  unser  Mitleid  erregt,  aber  unsere  Sym- 
pathie  nicht  zu  erringen  vermag.  Der  schadliche  EinfluB  des 
hofischen  Wesens,  der  Cortigianeria,  tritt  bei  keinem  der  be- 
riihmten  Zeitgenossen  so  scharf  wie  bei  Tasso  zu  Tage;  keiner  war 
so  widerstandslos  gegen  die  neue,  jedes  personliche  Wollen  ver- 
nichtende  Stromung  wie  er.  Er  vermochte  die  Widerspriiche,  die 
ihn  verzehrten,  nicht  zu  losen;  der  Reaktion  hat  er  den  Flug  seiner 
Seele  und  die  Freiheit  seines  Geistes  geopfert,  aber  der  Korper  war 
diesem  Gewaltakt  nicht  gewachsen,  der  arme  Dichter  verfiel  in 
geistige  Umnachtung,  in  jene  ,,fiera  malinconia",  wie  er  selbst  sie 
genannt  hat. 

Torquato  gehort  einer  bekannten  Familie  an,  die  in  Almeno, 
im  Bergamaskischen  zu  Hause  ist;  Mitglieder  dieser  Familie  sind 
im  XV.  Jahrhundert  nach  Deutschland,  Flandern  und  Spanien  aus- 
gewandert  und  haben  das  machtige  Geschlecht  der  Fiirsten  Taxis 
begriindet.  Torquatos  Vater,  Bernardo,  arm,  aber  auf  seine  vor- 
nehme  Herkunft  pochend,  war  in  jungen  Jahren  Sekretar  beim 
Grafen  Guido  Rangoni,  aus  Modena,  dem  General  der  romischen 
Kurie;  er  hat  die  diplomatische  Laufbahn  eingeschlagen  und  Re- 
nata   di    Francia    und    dem    Herzog   von    Salerno,    Ferrante    San- 


TORQUATO  TASSO 
BILDNIS  VON  ALESSANDRO  ALI.ORI.  FLORENZ,  UFFIZIEN 


TORQUATO  TASSO  337 

severino,  einem  der  groBten  neapolitanischen  Magnaten,  gedient. 
Bernardos  Beschaftigung  hinderte  ihn,  sich  an  einem  Ort  anzu- 
siedeln,  er  muBte  seinem  Herrn  in  der  Suite  des  Kaisers  nach  Tunis, 
Spanien,  Frankreich  und  Flandern  folgen;  er  heiratete  daher  erst 
in  spateren  Jahren,  1539,  Porcia,  die  Tochter  Giacomo  de  Rossis 
aus  Pistoja.  Sie  brachte  ihm  eine  ganz  bedeutende  Mitgift  mit, 
funftaurend  Scudi,  und  er  kaufte  dafiir  Land  in  Sorrent,  da  er 
giaubte,  sich  dort  ruhig  niederlassen  zu  konnen.  Porcia  war  trotz 
ihrer  Schonheit  eine  stille,  hausliche  Frau;  Bernardo  lebte  mit  ihr 
in  einer  gliicklichen  Ehe,  doch  war  das  Gliick  nicht  von  Dauer,  da 
ihn  seine  dienstlichen  Pflichten  aus  dem  Hause  trieben.  Um  jene 
Zeit,  am  II.  Marz  1544,  wurde  Torquato  geboren,  in  Sorrent;  die 
Villa  Pignatelli  Strongoli  steht  heute  auf  jener  Stelle,  wo  einst  sein 
Geburtshaus  stand. 

Bernardo  hat  in  seiner  Jugend  lyrische  Gedichte  gemacht;  in 
Sorrent  schrieb  er  ein  groBeres  Rittergedicht  ,,Amadigi"  voll  von  qua- 
lendem  Pathos  und  torichten  Obertreibungen ;  den  Inhalt  hat  er 
dem  franzosischen  Roman  ,,Amadis  de  Gaule"  entlehnt.  Doch 
konnte  er  sein  Epos  nicht  in  Ruhe  beenden,  da  er  Neapel  schleunigst 
verlassen  muBte.  Der  Herzog  von  Salerno  war,  als  Anhanger  von 
Franz  I.,  beim  Kaiser  in  Ungnade  gefallen,  der  Vizekonig  von 
Neapel,  Don  Pedro  di  Toledo,  nannte  ihn  einen  Verrater  und  nahm 
ihm  die  ihm  iibertragenen  Lehnsgiiter;  da  Bernardo  in  der  Poliiik 
des  Herzogs  eine  bedeutende  Rolle  gespielt  hatte,  wurde  auch  sein 
Vermogen  konfisziert,  und  der  arme  Diplomat  und  Dichter  sah  sich 
plotzlich  verbannt,  fast  in  Not,  bis  ihm  1554  gestattet  wurde,  sich  in 
Rom  niederzulassen. 

Porcia  Tasso  verblieb  in  Neapel,  ihre  Briider  und  ihre  Mutter 
nahmen  in  der  richtigen  Voraussetzung,  daB  die  verlassene  Frau 
beim  Vizekonig  weder  Schutz  noch  Recht  finden  wurde,  ihr  Stiick- 
chen  Land  in  Sorrent  fort,  so  daB  Porcia  gezwungen  war,  den 
siebenjahrigen  Knaben  in  die  frisch  begriindete  Jesuitenschule  in 
Neapel  zu  tun  und  selbst  mit  ihrer  Tochter  Cornelia  ein  Kloster 
aufzusuchen.  Bernardo  blieb  in  Rom,  um  den  Vizekonig  zu  veran- 
lassen,  ihm  sein  eingezogenes  Vermogen  Iierauszugeben;  er  nahm 
den  zehnjahrigen  Torquato  zu  sich,  um  ihn  in  Rom  zu  erziehen. 


338  ZWOLFTES  KAPITEL 

Aber  von  der  Wiedergabe  des  Vermogens  war  gar  nicht  die  Rede, 
Bernardo  muBte  sogar  aus  Rom  fliichten,  da  es  zum  Krieg  zwischen 
Spanien  und  Paul  IV.  kam,  der  Vizekdnig  von  Neapel  in  den  Kirchen- 
staat  einriickte  und  Tasso  fiirchtete  in  die  Hande  seiner  Feincie 
zu  fallen. 

Zum  UbermaB  des  Ungliicks  starb  Porcia  in  Neapel;  die  schutz- 
losen  kleinen  Kinder  v/aren  sich  selbst  iiberlassen,  bis  sich  Gio- 
vanna  von  Aragon  ihrer  erbarmte  und  sie  ins  Kloster  San-Festo 
brachte.  Tasso  selbst  fand  eine  Zufluchtsstatte  beim  Herzog  Guido- 
baldo  von  Urbino,  den  Sohn  schickte  er  zu  seiner  Familie  nach 
Bergamo  zuriick,  spater  lieB  Guidobaldo  ihn  an  seinen  Hof  kommen, 
als  Spiel-  und  Lerngefahrten  fiir  den  achtjahrigen  Francesco  Maria, 
den  spateren  Herzog.  Als  Torquato  im  Mai  1557  nach  Urbino  kam, 
war  er  d.reizehn  Jahre  alt;  die  dort  verlebten  Jahre  waren  wohl  die 
gliicklichsten  seines  Lebens.  Der  Hof  von  Urbino,  an  dem  Gelehrte 
und  Kiinstler  lebten,  die  schone  Lage  der  Stadt  —  all  das  wirkte  auf 
die  Phantasie  des  Jiinglings.  Im  Sommer  lebte  der  Hof  in  Pesaro 
oder  in  der  Villa  Imperiale,  dem  nahe  gelegenen  SchloB;  weit  dehnt 
sich  der  Blick  von  dort  iiber  Pesaro,  Fano,  Sinigaglia,  Ancona  bis 
nich  Loreto,  im  Westen  tauchen  die  Hiigel  der  Romagna  auf.  Die 
Weite  dieses  Blickes  und  die  Schonheit  des  Schlosses  machten  auf 
Torquatos  jugendliche  Phantasie  einen  solchen  Eindruck,  daB  er 
die  Villa  Imperiale  als  Schauplatz  fur  seine  erste  groBere  Dichtung 
MRinaldo"  wahlte  und  sie  zum  ,, Palazzo  della  Cortesia"  umgestaltete. 
Torquato  lernte  in  Urbino  zum  erstenmal  hdfisches  Leben  kennen, 
hier  eignete  er  sich  die  Cortesia  und  Creanza  an,  die  keinem  Hof- 
mann  fehlen  durften,  und  iibte  sich  selbst  in  der  Musik,  da  der  Herzog 
eine  Hofkapelle  hatte,  die  ihn  sehr  beschaftigte.  In  Urbino  schrieb 
Torquato  auch  seine  ersten  lyrischen  Gedichte. 

Unterdessen  war  Bernardos  Roman  „Amadigi"  fertig,  und  im 
Friihling  1559  ging  er  nach  Venedig,  um  ihn  dort  drucken  zu  lassen. 
Die  ,,Dedikation"  eines  Buches  war  damals  eine  sehr  wichtige 
Frage,  eine  Frage  der  Karriere.  Ursprunglich  wollte  Bernardo  sein 
Gedicht  Philipp  II.  von  Spanien  widmen,  da  ihm  aber  von  den 
Spaniern  soviel  Unrecht  geschehen  war,  beschloB  er,  das  Buch  dem 
Konig  von  Frankreich,  auf  den  er  Hoffnungen  setzte,  anzubieten. 


TORQUATO  TASSO  339 

Als  er  sah,  daB  er  auch  von  den  Franzosen  nichts  zu  erwarten  habe, 
hielt  er  sich  wieder  an  Philipp  II.,  in  der  Hoffnung,  den  Konig 
veranlassen  zu  konnen,  ihm  seinen  Besitz  zuriickzuerstatten.  Die 
Schmeichelei  war  jedoch  erfolglos. 

Mit  dem  Vater  ging  auch  Torquato  nach  Venedig,  er  lebte  dort 
in  einem  Kreis  beriihmter  Literaten  und  Dichter.  Den  geistigen 
Mittelpunkt  bildete  die  ,,Accademia  Veneziana",  auch  ,,della  Fama" 
benannt;  ihr  gehorten  Veniero,  Gradenigo,  Girolamo  Ruscelli. 
Patricio  und  Aldo  Manuzio  an,  in  dessen  Verlag  die  Werke  der  Aka- 
demiker  erschienen.  Aldo  war  damals  ein  hochbetagter  Mann,  dem 
Verlag  stand  sein  Sohn  Paolo  vor,  der  Gedichte  machte  und  mit 
Torquato  befreundet  war.  In  diesem  literarischen  Kreise  begann 
Tasso,  trotz  seiner  Jugend,  an  ein  groBes  Epos  zu  denken.  Alle 
Dichter  hatten  damals  mehr  oder  weniger  ein  Ziel  vor  Augen:  die 
Regeln  von  Aristoteles'  Poetik  mit  dem  Geist  der  Zeit  zu  vereinigen. 
Ariost  schien  ihnen  bereits  veraltet,  Trissino  entsprach  zu  wenig 
den  Vorschriften  der  Poetik,  die  besonders  der  Professor  Sigonia 
in  Padua  vortrug.  Er  war  der  Liebling  der  Jugend  und  wollte  ,,zu 
eigenem  Ruhm  und  zum  Neid  der  ubrigen  Gelehrten"  eine  neue 
Einheit  zwischen  der  antiken  Philosophic  und  dem  neuen  Roman 
begriinden.  Tasso  wahlte,  von  dieser  Vorstellung  erfiillt,  Rinaldo, 
Karls  des  GroBen  Paladin,  zu  seinem  Helden  und  schrieb  im  Lauf 
von  zehn  Monaten  ein  Gedicht,  das  ein  deutlicher  Beweis  der 
auBerordentlichen  Begabung  des  jungen  Kiinstlers  ist.  Abenteuer, 
die  mehr  oder  weniger  der  alten  Ritterpoesie  entlehnt  sind,  wurden 
vorn  Dichter  in  erschreckender  Monotonie  aneinander  gereiht; 
dennoch  verrat  sich  auch  hier  schon  im  Naturgefiihl  die  Begabung 
des  Kiinstlers  furs  Idyll,  die  spater  in  seinem  Schaferdrama  ,,Aminto" 
zur  Bliite  gelangte. 

Die  literarischen  Anfange  des  Sohnes  haben  dem  Vater  griind- 
lich  miBfallen;  er  hatte  Grund  genug,  eine  auf  die  Gunst  des  Hofes 
gestellte  Existenz  zu  fiirchten  und  wollte  dem  jungen  Torquato  ein 
von  der  Laune  der  Machtigen  unabhangiges  Leben  sichern.  Zu 
diesem  Zwecke  schickte  er  ihn  anderthalb  Jahre  nach  seiner  An- 
kunft  in  Venedig,  im  November  1560,  auf  die  Universitat  nach 
Padua,  damit  er  dort  Rechtswissenschaften  studiere.    Aber  Torquato 


340  zwOlftes  kapitel 

interessierten  Guido  Pancirolis  trockne  Vortrage  nicht,  viel  lieber 
las  er  die  alten  Ritterromane  auf  der  Bibliothek,  auch  war  er  ein 
haufiger  Gast  des  alten  Literaten  Sperone  Speroni,  bei  deni  man 
sich  zu  wissenschaftlichen  Disputationen  traf.  Tasso  verkehrte 
auch  viel  bei  Giovanni  Vincenzo  Pinelli,  einem  vermogenden 
Genueser  Patrizier,  der  in  Padua  lebte,  seltene  Biicher  und 
Antiquitaten  sammelte  und  ein  offenes  Haus  fur  Dichter  und 
Gelehrte  hatte. 

Bernardo,  dem  es  pekuniar  sehr  schlecht  ging,  fehlten  die. 
Mittel,  um  seinen  Sohn  in  Padua  zu  erhalten;  es  gelang  ihm  jedoch, 
den  jungen  Annibale  di  Capua  zu  veranlassen,  Torquato  unter 
seinen  Schutz  zu  nehmen.  Der  Protektor,  der  gleichfalls  in  Padua 
studierte,  gehorte  einem  vornehmen  neapolitanischen  Geschlecht 
an.  Die  vornehme  Jugend  hatte  schon  auf  der  Universitat  ihren 
Hofstaat,  der  aus  den  armeren  Kollegen  bestand;  sie  wurden  unter- 
stutzt  und  auf  diese  Weise  die  spateren  Klienten  herangeziichtet. 
Der  arme  Torquato  trat  somit  schon  mit  achtzehn  Jahren  seinen 
Hofdienst  an;  er  begann  es  fruh  zu  lernen  zu  schmeicheln  und* 
sich  in  die  Launen  der  GroBen  zu  schicken.  Annibale  di  Capua 
war  spater  als  Erzbischof  von  Neapel  bekannt  und  wurde,  ver- 
mutlich  infolge  seiner  Beziehungen  zu  den  polnischen  Edelleuten 
auf  der  Universitat  in  Padua,  papstlicher  Gesandter  in  Polen. 
Torquato  konnte  sich  nicht  an  den  Gedanken  gewohnen,  Rechts- 
gelehrter  zu  werden;  nach  einem  Jahre  gestattete  ihm  der  Vater, 
sich  auf  der  philosophischen  Fakultat  zu  inskribieren  und  die 
Vortrage  von  Francesco  Piccolomini  aus  Siena,  Marc  Antonio 
Passery  und  Sigonio  zu  besuchen,  ja  er  lieB  ihn  sogar  seinen  ,,Ri- 
naldo"  veroffentlichen. 

Damit  dieses  Jugendwerk  dem  Verfasser  die  Gunst  und  Unter- 
stiitzung  eines  machtigen  Magnaten  einbringe,  empfahl  er  ihm, 
den  ,,Rinaldo"  dem  Kardinal  Luigi  d'  Este  zu  widmen,  der  schon 
damals  fur  seine  Freigebigkeit  bekannt  war.  Der  Kardinal  nahm 
die  Dedikation  an,  und  Torquato  fiigte  seinem  Gedicht  jene  Stanzen 
hinzu,  in  denen  er  seinern  kiinftigen  Protektor  eine  dreifache  Krone 
verspricht,  den  Ruhm,  die  Ketzer  auszurotten  und  einen  neuen 
Kreuzzug  zu  predigen. 


TORQUATO  TASSO  341 

Ma  quando,  il  crin  di  tre  corone  cinto, 
V  avrem  1'  empia  Eresia  domar  gia  visto, 
E  spinger  pria,  da  santo  amor  sospinto 
Contra  1'  Egitto  i  Principi  di  Cristo; 
Onde  il  fiero  Ottomano  oppresso  e  vinto 
Vi  ceda  a  forza  il  suo  mal  fatto  acquisto; 
Cangiar  la  lira  in  tromba  e  in  maggior  carme 
Dir  tentero  le  vostre  imprese  e  l'arme. 

(Rinaldo  I,  5.) 

Wie  wenig  Tassos  Schmeicheleien  der  Wirklichkeit  entsprachen, 
haben  wir  bereits  gesehen. 

Auch  Annibale  di  Capua,  seinem  Kollegen  und  Protektor  auf 
der  Universitat  zu  Padua,  hat  Torquato  seinen  Dank  im  ,, Rinaldo" 
entrichtet  und  ihm  und  dem  Grafen  Stanislas  Tarnowski  die  schone 
Ottave  gewidmet: 

De'  duo  quindi  lontan,  giovani  in  vista, 
La  sacra  mitra  ha  Tun,  l'altro  la  spada; 
Un,  Annibal  di  Capua,  onde  di  trista 
Convien  che  lieta  Roma  un  tempo  vada; 
L'altro,  che  la  fortezza  al  senno  mista 
Avendo  al  Ciel  si  fara  larga  strada, 
E'Stanislavo,  di  Tarnovio  Conte 
Che  star  potra  co'  piu  famosi  a  fronte. 

(Rinaldo  VIII,  10.) 

Tasso  hat  diese  beiden  Kollegen  wohl  deshalb  in  einer  Ottave 
verherrlicht,  weil  Tarnowski  als  Annibales  Freund  gait ;  ihre  Freund- 
schaft  hat  sich  spater  in  Polen  bewahrt. 

Wahrend  Tassos  Universitatszeit  in  Padua  stieg  die  Zahl  der 
fremden  Studenten,  besonders  der  Polen  und  Deutschen,  mit  jedem 
Jahr.  Die  venezianische  Republik  hat  nach  dem  Krieg  mit  der  Liga 
von  Cambrai  die  Universitat  in  Padua  neugestaltet  und  sich  bemiiht, 
die  beriihmtesten  Lehrer  zu  gewinnen.  Von  1562  an  kamen  immer 
mehr  fremde  Studenten.  Wahrend  ihre  Gesamtzahl  1561  nur 
138  betrug,  gab  es  1562  schon  470  Horer,  1563  541  und  1565 
sogar  720. 


342 


ZWOLFTES  KAPITEL 


,,Rinaldo"  erschien  im  Sommer  des  Jahres  1562  in  Venedig  und 
hat  den  jungen  Verfasser  in  ganz  Italien  beriihmt  gemacht.  Eine 
Auflage  folgte  der  anderen,  und  erst  die  so  viel  gelesene  ,,Gerusa- 
lemme"  hat  dazu  beigetragen,  daB  Tassos  Erstlingswerk  in  Ver- 
gessenheit  geraten  ist. 

Wahrend  Tasso  am  Rinaldo  schrieb,  begann  er  iiber  eine  groBe 
religiose  Dichtung  nachzudenken,  die  der  damaligen  Geistesrichtung 
entsprochen  hatte.  Die  Welt  hatte  sich  geandert,  die  Zeit  des  Froh- 
sinns  in  der  Renaissance  war  unwiederbringlich  dahin,  das  Tridentiner 
Konzil  hatte  der  Christenheit  eiserne  Fesseln  angelegt,  und  iiber 
funfzig  neue  Orden,  an  ihrer  Spitze  die  Gesellschaft  Jesu,  wachten 
dariiber,  daB  der  menschliche  Gedanke  nicht  die  Grenzen  iiber- 
schreite,  die  ihm  in  Trient  gezogen  worden  waren.  Die  ganze 
Christenheit  ward  neu  organisiert,  die  Fahne,  auf  die  die  Renais- 
sance mit  Feuerlettern  die  Befreiung  des  Individuums  aus  den 
Fesseln  der  scholastischen  Tradition  geschrieben  hatte,  ward  zer- 
rissen;  an  Stelle  kleiner  Tyrannenstaaten,  die  von  kiihnen  und  ge- 
schickten  Condottieren  begriindet  worden  waren,  erstanden  groBe 
Reiche;  nicht  mehr  die  personliche  Tapferkeit  des  eisengepanzerten 
Ritters,sondern  die  Starke  der  Geschutzewar  im  Kampf  entscheidend. 
Die  Liebe  fur  das  eigne  Land  und  das  Verstandnis  fur  seine  Sonder- 
art  ward  in  Italien  durch  Karls  V.  Macht  vernichtet,  und  in  den 
jungen  Geistern  entstand  unter  dem  EinfluB  von  Trient  das  Ideal 
eines  einheitlichen  machtigen  rdmischen  Katholizismus.  Ritter- 
poesie  im  Sinne  eines  Bojardo  oder  Ariost  war  nicht  mehr  am  Platze ; 
der  kampfenden,  siegenden  Kirche  unterstand  jede  geistige  Regung. 
Die  Dichter  muBten  mit  der  Inquisition  rechnen,  wenn  sie  nicht  ins 
Gefangnis  geworfen  oder  auf  dem  Scheiterhaufen  verbrannt  werden 
wollten.  Religiose  Dichtungen  wurden  immer  haufiger;  Tansillo 
verfaBte  eine  „Cristiade"  und  ,,Lagrime  di  San  Pietro",  Armicio 
Agnifilo  die  ,,Casa  di  Lucifero",  Benedetto  dell'  Uva  ,,Le  Vergini". 
Die  Phantasie  der  jungen  Dichter  ward  durch  die  Angst  vor  den 
Unglaubigen  gestachelt,  die  Tiirken  bedrohten  die  venezianischen 
Besitzungen,  Ungarn  und  Polen,  und  Siiditalien  war  infolge  der 
Einfalle  der  nordafrikanischenVolker  in  bestandiger  Gefahr.  Wieder 
tauchte  der   Gedanke  der   Kreuzziige  auf;   der  alte  Wunsch,   das 


TORQUATO  TASSO  343 

Heilige  Grab  zu  befreien,  ward  lebendig,  die  ritterlichen  Kampfe 
Karls  des  GroBen  und  Rolands  kiihne  Taten  wirkten  befruchtend 
auf  die  dichterische  Phantasie:  Michele  Bonsignoris  „Liberazione 
di  Terra  Santa"  und  ,,Gerusalemme",  Bargis  ,,Siriada"  und  Brac- 
ciolinis  ,,Croce  racquista"  sind  deutliche  Zeichen  der  neuen  Ge- 
sinnung. 

Tasso  zogen  seine  Kindheitserinnerungen  in  diesen  Kreis;  als 
Knabe  hatte  er  in  Sorrent  im  Benediktinerkloster  La  Cava  de'Tir- 
reni  mit  dem  phantastischen  Blick  auf  Val  Meteliana  gelebt,  und 
die  Monche  hatten  ihm  von  den  Kreuzziigen  und  dem  Papst  Urban  II. 
erzahlt,  der  die  Kutte  genommen  und  in  ihrem  Kloster  gestcrben 
war.  Ein  trauriges  Ereignis  in  seiner  eignen  Familie  weckte  seinen 
Zorn  gegen  die  Unglaubigen.  In  der  Nacht  vom  15.  Juni  1558  war 
plotzlich  die  tiirkische  Flotte  bei  Sorrent  erschienen,  Tassos  jung- 
verheiratete  Schwester  Cornelia  weilte  dort  mit  ihrem  Gatten.  Die 
Tiirken  kamen  unvermutet  ans  Land,  fuhrten  einen  groBen  Teil  der 
Bevolkerung  in  die  Sklaverei,  und  nur  durch  einen  gliicklichen  Zu- 
fall  gelang  es  dem  jungen  Paar,  sich  durch  die  Flucht  zu  retten; 
es  irrte  in  den  Bergen  herum,  bis  die  Gefahr  voriiber  war. 

Tasso  las  in  franzosischen  Chroniken  iiber  die  Kreuzziige  und 
muB  auch  die  alten  chansons  de  geste,  die  den  Zug  ins  Heilige  Land 
schildern,  gekannt  haben.  Obgleich  die  urspriinglichen  franzosischen 
und  provenzalischen  Texte  dieser  Gedichte  damals  bereits  ver- 
schwunden  waren,  so  existierten  doch  Bearbeitungen  wie  ,,La 
Croisade",  und  .Jerusalem"  von  Grandidoro  di  Donai,  oder  der 
,,Gutifre  de  Buione".  Die  Kreuzziige  waren  das  Lieblingsthema  der 
nordfranzosischen  Dichter,  und  schon  im  XII.  Jahrhundert  hatte 
Riccardo,  ,,11  Pellegrino"  benannt,  eine  Geschichte  von  ,,Buglione's" 
Expedition  geschrieben.  Spater  wurden  einige  dieser  Ritterromane 
,,Elia",  ,,L'infanzia  di  Goffredo",  „Antiochia",  ,,I  Cattivi"  und 
,,Gerusalemme"  zu  einer  einzigen  Geschichte  unter  dem  Titel  ,,Ca- 
valiere  dal  Cigno"  zusammengefaBt.  Die  Schicksale  und  Begeben- 
heiten  von  Elias,  Goffreds  GroBvater,  der  in  einen  Schwan  ver- 
wandelt  wurde,  sind  darin  beschrieben. 

In  Venedig  hatte  Giovanni  Maria  Verdizotti,  der  Geistlicher  und 
Literat,  ein  elender  Dichter  und  schwacher  Maler  war,   aber  ein 


344  ZWOLFTES  KAPITEL 

Mensch  voll  warmer  Begeisterung  fur  Kunst,  viel  Sympathie  fur 
Tasso.  Er  suchte  Torquato  zu  einer  groBen  religiosen  Dichtung 
anzueifern,  deren  Inhalt  die  Befreiung  des  Heiligen  Landes  sein 
sollte,  und  in  demselben  Geist  suchte  auf  den  Dichter  Danese  Cataneo 
einzuwirken,  ein  Bildhauer  und  Verseschmied,  in  dessen  Haus 
Tasso  seinen  Rinaldo  geschrieben  hat.  Dem  Rat  der  Freunde  ge- 
maB,  begann  Torquato  vom  Mai  1559  bis  zum  November  1560,  vor 
seiner  Abreise  nach  Padua,  ein  umfangreiches  Werk  ,,Liberazione 
di  Gerusalemme"  anzulegen.  In  Padua  jedoch  fehlte  es  ihm  an  Zeit 
zur  Weiterarbeit;  die  Studenten  fuhrten  ein  ausgelassenes  Leben, 
und  Tasso  beherrschten,  nach  eigenem  Gestandnis,  „die  Rechte 
der  Liebe".  Der  Kardinal  Luigi  und  die  Principessa  Leonora  d'Este, 
waren  damals  in  der  Universitatsstadt;  in  ihrer  Gesellschaft  befand 
sich  eine  schone  funfzehnjahrige  Damigella  Lucrezia  Bendidio, 
deren  Gesang  den  ganzen  Hof  und  namentlich  Tasso  bezauberte. 
Lucrezia  war  nur  einen  Monat  in  Padua,  aber  sie  machte  dem 
Dichter  einen  so  tiefen  Eindruck,  daB,  als  sie  bald  darauf  den  Grafen 
Paolo  Machiavelli  heiratete,  Tasso  seinen  Schmerz  in  Liebes- 
gedichten  ausstrdmen  lieB. 

Es  war  schon  damals  Sitte,  die  Universitat  zu  wechseln,  um 
verschiedene  beruhmte  Professoren  zu  horen;  so  finden  wir  Tasso 
im  November  1562  in  Bologna;  sein  Ruhm  als  Verfasser  des  ,, Rinaldo" 
war  ihm  vorausgegangen.  In  Bologna  wurde  ein  noch  lustigeres 
Leben  als  in  Padua  gefuhrt,  Torquato  zahlte  zur  ,,jeunesse  doree", 
der  auch  seine  Vettern  Ercole  und  Cristoforo,  Bonaventura  Maffetti 
aus  Bergamo,  der  Conte  Capra  und  mehrere  andere  angehorten. 
Tasso  wurde  dem  Monsignore  Cessi  vorgestellt,  dem  papstlichen 
Vizelegat,  der  in  Vertretung  von  Carlo  Borromeo  die  Regierungs- 
geschafte  fuhrte;  er  wurde  auch  in  das  Haus  von  Francesco  und 
Daniele  Spinoli  eingefuhrt;  es  waren  junge  reiche  Genueser,  die  sich 
studienhalber  in  Bologna  aufhielten  und  in  ihrem  eigenen  Hause 
eine  Art  studentischer  Akademie  begriindet  hatten.  Die  verschie- 
densten  literarischen  und  philosophischen  Fragen  wurden  bei  diesen 
Versammlungen  erortert,  und  Tasso  hielt  dort  einmal  einen  Vortrag 
iiber  die  Grundsatze  der  Dichtkunst.  Nach  den  Debatten  wurde 
gegessen,  und  es  ging  dann  noch  lustig  her;  aber  diese  Versamm- 


TORQUATO  TASSO  345 

lungen  fanden  ein  trauriges  Ende:  Francesco  Spinola  muflte  aus 
Bologna  fliehen,  da  man  ihn  verdachtigte,  da8  er  seinen  Rivalen  bei 
einer  von  ihm  geliebten  Kurtisane  hatte  ermorden  lassen.  Erst 
zwei  Jahre  spater  erlieB  Pius  IV.  dem  stiirmischen  Liebhaber  seine 
Strafe,  aber  er  durfte  nicht  wieder  nach  Bologna  kommen,  sondern 
muBte  seine  Studien  in  Padua  fortsetzen. 

Auch  in  Bologna  fing  Torquato  Feuer;  seine  Liebe  gait  Virginia 
Ercolani,  der  verheirateten  Grafin  Bianchi;  ihr  zu  Ehren  lieB  er 
ein  Gedicht  drucken,  in  dem  er  sie  feierte  als  ,,La  Virginia  overo 
della  Dea  de'  nostri  rempi".  Diese  lyrischen  Ergiisse  taten  niemand 
etwas  zu  Leide,  anders  verhielt  es  sich  mit  einem  Pas  quill  auf  einige 
Professoren,  das  viel  boses  Blut  machte.  Man  wollte  ihm  einen 
ProzeB  machen,  aber  der  Dichter,  der  Angst  vor  dem  Gefangnis 
hatte,  entfloh  nach  Mantua  und  richtete  von  dort  aus  einen  langen 
Brief  an  Monsignore  Cessi,  in  dem  er  versuchte,  seine  Unschuld  zu 
beweisen;  aber  seine  Erklarungen  klangen  nicht  iiberzeugend  ge- 
nug,  urn  den  Verdacht  zu  zerstreuen.  Aus  Mantua  ging  Tasso  wieder 
nach  Padua,  urn  seine  Studien  abzuschlieBen,  er  folgte  der  Ein- 
ladung  Scipione  Gonzagas  in  sein  Haus.  Gonzaga  war  sehr  begabt, 
in  klassischen  Studien  erfahren,  dazu  malte  und  sang  er;  seine 
Familie  hatte  ihn  fur  den  geistlichen  Stand  bestimmt,  als  Nach- 
folger  des  Kardinals  Ercole  Gonzaga.  Dem  Beispiel  anderer  vor- 
nehmer  Jiinglinge  folgend,  begriindete  er  in  Padua  die  Akademie 
,,degli  Eterei"  und  hoffte  durch  Tasso  den  akademischen  Ver- 
sammlungen  einen  besonderen  Glanz  zu  verleihen.  Die  Jugend 
stand  damals  unter  dem  EinfluB  des  beruhmten  Kanzelredners 
Panigarola,  der  im  Geist  des  Tridentiner  Konzils  predigte  und  der 
neuen  religiosen  Stromung  viel  Anhanger  gewonnen  hat.  Torquato 
kampfte  mit  sich,  religiose  Zweifel  hatten  sich  seiner  bemachtigt, 
und  Panigarolas  Worte  vermochten  ihn  nicht  zu  iiberzeugen.  Er 
gestand  spater  selbst,  er  habe  in  seiner  Jugend  gezweifelt,  daB  die 
Seele  unsterblich  sei,  und  Gott  die  Welt  erschaffen  habe;  er  habe 
nicht  geglaubt,  daB  Christus  gekommen  sei,  um  die  Menschheit  zu 
entsiihnen,  und  den  Jesuiten  geziirnt,  weil  sie  ihn  gezwungen  hatten, 
mit  neun  Jahren  zur  Kommunion  zu  gehen,  ehe  er  die  Geheimnisse 
der  katholischen  Religion  auch  nur  ahnen  konnte.      Sein  ganzes 


346  zwOlftes  kapitel 

Leben  hat  Tasso  an  diesem  Zwiespalt  getragen,  Frieden  fand  er  erst, 
als  sein  muder,  kranker  Geist  die  groBen  philosophischen  Fragen 
nicht  mehr  zu  erfassen  imstande  war. 

Nachdem  das  Universitatsjahr  beendet  war,  ging  Torquato 
nach  Mantua,  wo  er  seinen  Vater  traf,  einen  verbitterten  Hofmann, 
der  vergebens  nach  Brot  und  einem  gastlichen  Dach  suchte. 

Der  langere  Aufenthalt  in  Mantua  hat  sich  tief  in  Tassos  Herz 
eingeschrieben;  er  hat  dort  Laura  Peperara  kennen  gelernt,  die 
spater  am  Hof  von  Ferrara  eine  Rolle  spielen  sollte.  Sie  war  die 
Tochter  eines  vermogenden  Kaufmanns,  blendend  schon  und  sang 
vorziiglich.  Der  Dichter  scheint  die  Absicht  gehabt  zu  haben,  sich 
um  ihre  Hand  zu  bewerben,  wie  aus  einem  der  zahlreichen  an  sie 
gerichteten  Sonette  hervorgeht,  aber  seine  Armut  und  die  fehlende 
soziale  Position  waren  in  den  Augen  ihrer  Familie  alles  andere 
eher  als  eine  gute  Empfehlung.  Laura  ist  spater  eine  glanzende 
Ehe  eingegangen,  und  Tasso  hat  sie   wiederholt  besungen. 


II 

Das  Jahr  1565  war  entscheidend  in  Torquatos  Leben;  sein  Vater 
hat  den  Kardinal  Luigi  d'Este  veranlaBt,  ihn  an  seinen  Hof  zu 
ziehen.  ImOktoberging  der  junge  Dichter  nach  Ferrara,  um  das  unge- 
bundene  Studentenleben  gegen  ein  Hoflingsdasein  einzutauschen. 
Der  Kardinal  lebte  im  SchloB,  in  den  sogenannten  Camerini 
dorati,  die  Alfonso  fur  seinen  Bruder  hatte  erneuern  und  ver- 
schonern  lassen.  Luigi  hatte  seinen  besonderen  Hofstaat,  der  zwar 
noch  nicht  so  glanzend  war  wie  in  seiner  rdmischen  Zeit,  aber  er 
hatte  schon  damals  ein  groBes  Gefolge.  Sein  Maggiordomo  war  dei 
Graf  Belisario  Tassoni,  sein  Sekretar  Benedetto  Manzuoli  aus 
Modena,  und  diesem  hochsten  Hofbeamten  unterstanden  der  Kas- 
sierer,  der  Cameriere  segreto,  acht  Camerieri  vornehmer  Ab- 
stammung,  der  Chef  der  Kanzlei,  selbst  der  am  Hof  amtierende 
Theologe.  Als  letzter  wurde  Torquato  Tasso  in  die  Liste  eingetragen, 
als  Hofmann  ohne  festes  Amt,  der  fur  seinen  Patron  Verse  zu 
schreiben  versprochen  hatte.     Er  hat  dem  Kardinal  drei  Themen 


TORQUATO  TASSO  347 

fur  heroische  Dichtungen  vorgelegt,  Luigi  scheint  die  ,,Gerusa- 
lemrae"  gewahlt  zu  haben,  und  so  erhielt  das  Epos,  das  Torquato 
schon  seit  langerer  Zeit  beschaftigte,  von  Anfang  an  die  Sanktion 
des  Kardinals. 

Tasso  war  an  Luigis  Hof  keine  feste  Pension  ausgesetzt  worden, 
nur  von  Zeit  zu  Zeit  je  nach  der  Laune  des  Kardinals  wurden  ihm 
dreiBig  Scudi  gegeben.  Als  Wohnung  waren  ihm  zwei  kleine  Zimmer 
im  Kastell  angewiesen  worden,  das  eine  diente  dem  Dichter,  das 
andere  seinem  Diener;  einige  Einrichtungsstticke,  Bettzeug  und 
Leinwand  wurden  aus  der  Guardaroba  des  Kardinals  herbeigeschafft. 
Man  muB  sich  darunter  freilich  nicht  Dutzende  von  Leintiichern, 
Kissenbeziigen  und  Handtiichern  vorstellen;  der  ganze  Vorrat  be- 
stand  aus  einer  Decke,  zwei  Leintiichern  und  einem  Strohsack. 
Das  war  fur  einen  Hofmann  ,,ohne  Pflichten"  genug.  Das  Essen 
wurde  Tasso  aus  der  Kardinalskiiche  in  die  Wohnung  gebracht,  da 
der  Dichter  sich  geweigert  hatte,  in  der  Gesindestube  zu  essen; 
dazu  bekam  er  taglich  ein  Fiasko  reinen  Wein,  ein  Fiasko  ver- 
diinnten  Wein  fur  den  Diener,  im  Sommer  ein  Pfund  Lichter 
monatlich,  im  Winter  anderthalb.  Es  demiitigte  den  Dichter,  daB 
er  nicht  zum  Kardinalstisch  herangezogen  wurde,  an  dem  die  an- 
geseheneren  Hofleute  speisten;  auBerdem  emporte  ihn  das  schlechte 
Essen,  das  er  nach  Haus  geschickt  bekam;  so  bat  er  durch  Ver- 
mittlung  der  Principessa  Lucrezia  am  Tisch  der  Gentiluomini 
sitzen  zu  diirfen.  Diese  Vergiinstigung  scheint  man  ihm  abgeschla- 
gen  zu  haben,  und  erst  nach  geraumer  Zeit  wurde  ihm  eine  feste 
Bezahlung  von  vier  Scudi  monatlich  zugestanden;  das  gleiche  Ein- 
kommen  hatte  der  Theologe,  wahrend  der  Hofarzt  acht  Scudi  bezog. 
Die  karge  Pension  geniigte  Torquato  nicht,  er  begann  friih  Schulden 
zu  machen,  allmahlich  warteten  seine  Glaubiger  bereits  am  Tage 
der  Auszahlung  vor  der  Wohnung,  um  sofort  die  armseligen  Gro- 
schen  mit  Beschlag  zu  belegen. 

Als  Tasso  nach  Ferrara  kam,  hatte  Alfonso  II.  einen  glanzen- 
den  Hofstaat,  aber  die  groBen  dortigen  Geschlechter  gingen  ihrem 
pekuniaren  Ruin  entgegen.  Die  Este  haben  durch  ihren  Luxus  den 
gesamten  Adel  zu  ungeheuren  Ausgaben  veranlaBt  und  infolgedessen 
seinen   materiellen   Ruin   bewirkt.      Noch   fiihrten  die   Bentivoglio, 


348  ZWOLFTES  KAPITEL 

Bevilacqua,  Tassoni,  Bendidio  und  mehrere  andere  Familien  ein 
offenes  Haus.  Giovanni  Battista  Pigna  war  der  allvermdgende 
Minister;  ein  durchtriebener,  geschickter  Beamter  von  niedriger 
Herkunft,  zugleich  Dichter  und  Philosoph.  Tasso  schloB  sich  ihm 
und  den  Literaten  an  wie  Ercole  Cato,  Agostino,  Borso  degli 
Arienti  und  dem  Grafen  Annibale  Romei.  Er  war  ein  haufiger  Gast 
bei  der  Principessa  Lucrezia,  ,,der  Schdnsten  unter  den  Schonen", 
und  bei  Leonora,  von  der  Francesco  Zini,  der  Dichter  aus  Brescia, 
sang,  es  gabe  kein  Herz,  das  nicht  bei  ihrem  Anblick  in  Flammen 
stiinde: 

Te  visu  qui  non  accensas  pectore  flammas 
Sentit  hie  humani  nil  sibi  cordis  habet. 

Um  Leonora  und  Tasso  wurde  spater  ein  Roman  gesponnen, 
dessen  tragischer  SchluB  in  Tassos  Gefangennahme  gipfelt.  Wir 
werden  sehen,  daB  der  Dichter  aus  ganz  anderen  Grunden  im  Spital 
der  heiligen  Anna  festgehalten  wurde. 

Im  Salon  der  Prinzessinnen,  wie  auch  in  den  anderen  Hausern 
der  vornehmen  Welt  in  Ferrara  war  Tasso  bald  ein  begehrter  Gast; 
er  war  der  Liebling  der  Frauen,  und  jede  ferraresische  Schone 
wiinschte  ihren  Namen  in  einem  Sonett  des  Dichters  wiederzu- 
finden.  Aber  nicht  in  den  Salons  allein,  auch  in  Gelehrtenkreisen 
war  der  Verfasser  des  ,,Rinaldo"  begehrt,  und  als  im  Jahre  1568  die 
,,Accademia  Ferrarese"  begriindet  wurde,  deren  Zusammenkiinfte 
in  Ercole  Varanos  Hause  stattfanden,  hielt  Torquato  eine  An- 
sprache  bei  der  Eroffnungsfeier  im  Beisein  des  Herzogs  und  der 
bekanntesten  Hofleute.  Einer  der  eingeladenen  Gaste  berichtete 
einige  Tage  spater  in  einem  Privatbrief,  daB  Tasso  gut  aber  mit 
bergamaskischem  Akzent  gesprochen  habe.  Das  war  gerade  kein 
Vorzug,  da  man  die  Bergamasken  wegen  ihres  Dialektes  damals 
allgemein  verspottete.  Auch  sei  erwahnt,  daB  Tasso  ein  schlechter 
Redner  war,  er  stotterte  die  Worte  hervor  und  hatte  Schwierigkeiten 
im  Ausdruck,  doch  hinderte  ihn  dies  nicht,  regen  Anteil  an  den 
Arbeiten  der  Akademie  zu  nehmen  und  bei  den  Sitzungen  seine 
,,Discorsi  de  l'arte  poetica"  vorzutragen,  in  denen  er  die  Grundsatze 
der  epischen  Dichtung  auseinandersetzte.     Er  betonte  die  Einheit 


TORQUATO  TASSO  349 

der  Handlung  in  der  Mannigfaltigkeit  des  Stoffes  und  verglich  das 
Epos  mit  der  Welt,  die  ein  einheitliches  Ganzes  bildet,  trotzdem  sie 
aus  wunderbaren  oberen  und  niedrigen  unteren  Faktoren,  aus 
Gliick  und  Schmerz  besteht.  Seine  glanzendste  Leistung  in  der 
Accademia  war  die  Verteidigung  der  fiinfzig  Thesen  iiber  die  Liebe, 
die  zum  groBen  literarischen  Ereignis  ward.  Diese  Thesen  stiitzten 
sich  in  der  Hauptsache  auf  Platos  Philosophic,  der  damals  noch  die 
,,Herzens"theorien  beherrschte.  Die  Disputation  interessierte  die 
Gesellschaft  um  so  intensiver,  als  die  Gegnerin,  die  die  Ansichten 
des  Dichters  bekampfte,  Orsina  Bertolaja  Cavaletti  war,  eine  sehr 
schone  und  gelehrte  Dichterin.  Sie  trat  namentlich  gegen  Tassos 
Grundsatz  auf,  daB  der  Mann  heiBer  und  bestandiger  liebe  als 
die  Frau.  Soweit  der  Dichter  und  nicht  die  Theorie  in  Frage 
kam,  hatte  Orsina  schon  ganz  recht,  denn  Tasso  gehorte  durch- 
aus  nicht  zu  den  Menschen  mit  dem  heiBen  Herzen  und  den 
groBen  Leidenschaften,  er  liebte  nur,  wenn  er  Gegenliebe  fand, 
und  trbstete  sich  in  seinem  Liebesschmerz  stets  durch  ein  elegantes 
Sonett.  Die  Liebe  gait  ihm  nur  so  viel,  als  sie  ihn  zu  einem  schonen 
Gedicht  begeisterte.  Vielleicht  das  Gleichgultigste,  das  man  einer 
Frau  sagen  kann,  findet  sich  bei  ihm: 

Si  vuoi  pur  ch'ami,  ama  tu  me,  facciamo 
L'amor  d'accordo  .... 

Im  Winter  1568  reiste  Tasso  nach  Mantua,  da  sein  Vater  schwer 
erkrankt  war,  unterwegs  erfror  ihm  sein  Gesicht,  und  zwei  Zahne 
muBten  entfernt  werden.  Wahrend  seines  Aufenthaltes  in  Mantua 
hatte  Tasso  einen  unangenehmen  Zwischenfall:  er  las  im  Bett 
und  vergaB  das  Licht  auszuloschen.  An  der  brennenden  Kerze  ent- 
ziindeten  sich  Biicher  und  Kleider,  und  der  Dichter  schlief  so  fest, 
daB  er  erst  erwachte,  als  sein  Bart  zu  glimmen  begann.  Da  sprang 
er  zum  Fenster  hinaus,  verletzte  sich  den  FuB  und  rief  Menschen  zu- 
sammen,  damit  sie  das  Feuer  loschten,  aber  seine  ganze  Wasche 
war  verbrannt,  was  fur  den  armen  Teufel  keine  kleine  Katastrophe 
war.  Gliicklicherweise  erbarmte  sich  Eleonora  d'Austria,  die  Her- 
zogin  von  Mantua,  seiner  in  dieser  kritischen  Lage,  schenkte  ihm 
zwolf  Scudi  und  Leinwand,  damit  er  den  erlittenen  Schaden  wenig- 


350 


zwClftes  kapitel 


stens  teilweise  wettmachen  konne.  Es  ging  ihm  schlecht  in  Mantua, 
im  Herbst  erkrankte  er  schwer  am  Fieber,  eine  gewisse  Gedachtnis- 
schwache,  an  der  er  sein  ganzes  Leben  gelitten  hat,  verblieb  ihm 
nach  dieser  Krankheit. 

Der  alte  Bernardo  Tasso,  der  als  Fiinfundsiebzigjahriger  schon 
seiner  erschiitterten  Gesundheit  wegen  nicht  mehr  imstande  war, 
in  diplomatischen  Missionen  zu  reisen,  bat  den  Herzog  von  Mantua, 
ihm  ein  ruhiges  Amt  am  Platze  zu  iibertragen.  Der  Herzog  er- 
nannte  ihn  zum  Podesta  von  Ostilia,  einem  kleinen  Nest  am  Po, 
wo  er  bei  elender  Bezahlung  Malarialuft  einatmen  muBte.  Dem 
konnte  er  nicht  lange  Stand  halten  und  starb  in  der  Nacht  des  4.  Ok- 
tober  1569.  Sein  Leben  hat  er  im  Hofdienst  aufgerieben.  Als  Tor- 
quato  von  Bernard os  Krankheit  erfuhr,  eilte  er  nach  Ostilia,  aber 
er  fand  weder  seinen  Vater  am  Leben,  noch  auch  nur  einen  Stuhl 
in  der  Wohnung.  da  die  Dienerschaft  alles  gestohlen  hatte,  was 
nicht  niet-  und  nagelfest  war.  Tasso  hatte  keine  Mittel,  um  den 
Toten  begraben  zu  lassen;  der  Duca  Guglielmo  wollte  den  fatalen 
Eindruck,  den  der  Tod  des  Hofmanns  und  Diplomaten  im  Elend  ver- 
ursacht  hatte,  verwischen  und  lieB  ihn  feierlich  und  mit  viel  Pomp 
bestatten.  Der  Korper  wurde  nach  Mantua  gebracht  und  in  der 
Kirche  S.  Egidio  beigesetzt. 

Bei  Bernardos  Tod,  der  sein  Leben  dem  Dienst  groBer  Herren 
gewidmet,  war  nichts  zuriickgeblieben  als  betrachtliche  Schulden, 
einige  flandrische  Arazzi,  die  noch  aus  guten  Tagen  stammten,  und 
eine  arabische  Vase,  Kriegsbeute  von  der  Expedition  nach  Tunis. 
Fur  Torquato  war  also  nichts  iibrig  geblieben,  er  hatte  sich  sogar 
durch  die  Reise  zum  Sterbenden  in  Schulden  gestiirzt,  seine  Kleider 
und  anderes  versetzt,  und  der  Kardinal  befreite  ihn  aus  groBen 
Sorgen,  als  er  anordnete,  daB  ihm  zwanzig  Skudi  ausgezahlt  werden 
solHen.  Auf  Wunsch  des  Kardinals  sollte  dieser  Betrag  nicht  dem 
Dichter  selbst  ausgehandigt,  sondern  seinem  Glaubiger,  dem  Juden 
Isachino  da  Fano,  direkt  bezahlt  werden.  Bose  Zungen  behaup- 
teten,  Luigi  sei  nur  deshalb  bereit  gewesen,  Tassos  versetzte 
Kleider  auszulosen,  damit  er  zur  Hochzeit  der  Prinzessin  Lucrezia 
mit  Francesco  Maria  della  Rovere  am  18.  Januar  1570  kommen 
konne 


TORQUATO  TASSO  351 

III 

Der  Kardinal  Luigi  traf  im  Jahre  1570  Vorbereitungen  zu  einer 
Reisenach  Paris,  mit  der  Absicht,  sich  die  franzdsischenPfrunden 
cies  Kardinals  Ippolito  zu  sichern.  Der  unruhige  Pralat  hatte 
die  Absicht,  falls  dieser  Plan  fehlschlagen  wiirde,  Purpur  und 
Kardinalswiirde  abzutun,  ,,scardinalarsi"  wie  man  sagte.  Esdauerte 
lange,  ehe  die  beabsichtigte  Reise  zustande  kam,  denn  Luigi  fehlte 
es  an  Geld,  er  wollte  unbedingt  mit  groBem  Hofstaat  reisen,  und  einen 
Teil  seiner  Familiares,  zu  denen  auch  Tasso  gehdrte,  mitnehmen. 

Torquato  freute  sich  auf  diese  Reise;  da  der  Weg  weit  war, 
machte  er  vorher  sein  Testament,  in  dem  er  iiber  seinen  litera- 
rischen  NachlaB  verfiigte,  er  anvertraute  ihn  seinem  Freund  Ercole 
Rondinelli,  der  gleichfalls  dem  Hof  des  Kardinals  angehorte.  Um  das 
Gedachtnis  seines  Vaters  zu  ehren,  empfahl  er  die  Arazzi  zu  verkaufen, 
die  bei  einem  Juden  versetzt  waren,  und  ihm  ein  Grabdenkmal  zu 
errichten.  Sollte  das  vorhandene  Geld  fur  diesen  Zvveck  nicht 
reichen,  so  mdge  Rondinelli  versuchen,  die  groBmiitige  Prinzessin 
Leonora  zu  veranlassen,  den  fehlenden  Betrag  zu  erganzen. 

In  drei  Abteilungen  fuhr  der  Hofstaat  des  Kardinals  nach 
Frankreich.  Die  zwei  ersten  brachen  im  September  1570  aus 
Ferrara  auf,  die  dritte,  zu  der  Tasso  gehdrte,  erst  im  Oktober.  Zu 
dieser  Gruppe  gehorten  auch  zwei  Geistliche,  der  Theologe  und 
Kaplan  des  Kardinals,  der  Arzt,  zwei  Stallmeister,  einige  Kammer- 
diener  und  ein  groBer  Stab  von  Kochen  und  Knechten,  samtlich 
zu  Pferde.  Pas  quale  Angeluccio  war  der  Kassierer  und  Rechen- 
rneister  dieser  Expedition  und  trug  sehr  gewissenhaft  alle  Aus- 
gaben  in  ein  Buch  ein,  das  sich  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhalten 
hat.  Alle  drei  Abteilungen  traf  en  sich,  nachdem  sie  Italien  und 
das  siidliche  Frankreich  passiert  hatten,  in  der  Abtei  Chalis,  wo 
sie  auf  die  Ankunft  des  Kardinals  warteten.  Unterdessen  wurde 
Ferrara  von  furchtbaren  Erdbeben  heimgesucht,  die  Este  muBten 
wahrend  eines  ganzen  Monats  in  Zelten  unter  freiem  Himmel  kam- 
pieren,  und  infolge  des  allgemeinen  Ungliicks  verzogerte  sich  auch 
die  Abreise  des  Kardinals.  Erst  am  19.  Januar  1571  machte  sich 
Luigi,  von  sechsundzwanzig  vornehmen  Ferraresen  begleitet,  nach 


352 


zwOlftes  kapitel 


Frankreich  auf  und  erreichte  Paris  am  20.  Februar,  an  einem  sehr 
kalten  Wintertag.  Frankreich  stand  im  Zeichen  von  Festen  in- 
folje  der  Vermahlung  Karls  IX.  mit  Elisabeth  von  Osterreich,  das 
Konigspaar  weilte  in  Villers  Cotterets  und  hielt  erst  im  Marz  seinen 
Einzug  in  die  Hauptstadt.  Tasso  war  damals  noch  nicht  der  be- 
ruhmte  Dichter  des  ,,Befreiten  Jerusalem",  das  erst  zehn  Jahre 
spater  erschien,  aber  er  fand  in  den  dortigen  literarischen  Kreisen 
den  freundlichsten  Empfang,  da  alles  Italienische  in  Frankreich 
damals  als  modern  gait.  Im  Zeichen  italienischer  Kultur  stand  bereits 
die  Regierung  Karls  VIII.  und  Ludwigs  XII.,  und  der  fremde  Ein- 
fluB  steigerte  sich  unter  Katharina  von  Medici.  Zur  Feier  von 
Karls  VIII.  Hochzeit  hatte  man  die  italienische  Theatergesell- 
schaft  der  ,,Gelosi"  kommen  lassen,  und  franzosische  Literaten  be- 
trachteten  die  Italiener  als  ihre  Lehrer  im  Humanismus,  der  frei- 
lich  in  Italien  um  hundert  Jahre  friiher  als  in  Frankreich  aufge- 
taucht  ist.  Wenn  auch  der  EinfluB  italienischer  Kultur  in  Frank- 
reich Tasso  einen  sympathischen  Eindruck  gemacht  hat,  so  er- 
bitterten  ihn  die  religiosen  Verfolgungen,  die  gerade  damals  ihren 
Hohepunkt  erreicht  hatten,  aufs  auBerste  und  verscharften  die 
Zweifel,  die  seine  Seele  seit  langem  beunruhigten.  Gerade  da- 
mals war  in  Frankreich  dar  Umfang  der  kirchlichen  Gerichtsbar- 
keit  erweitert  und  eine  unerhort  strenge  Zensur  eingefiihrt  worden, 
in  Rouen  und  Orange  hatte  man  ein  furchtbares  Blutbad  unter 
den  Hugenotten  veranstaltet. 

Wahrend  seines  mehrmonatlichen  Aufenthaltes  in  Frankreich 
hat  Tasso  viel  gesehen  und  gelernt,  wie  aus  einem  auBerordentlich 
interessanten  Brief  an  den  Grafen  Ercole  Contrari,  in  dem  er  seine 
Eindriicke  schildert,  hervorgeht.  Er  hat  Burgund,  Lyon,  die  Nor- 
mandie,  Picardie  und  Lothringen  kennen  gelernt,  doch  gefiel  ihm 
im  allgemeinen  Frankreich  weniger  als  Italien.  Die  Bavolkerung 
erschien  ihm  sehr  arm  und  elend,  die  Hauser,  die  zumeist  aus 
Holz  gebaut  waren,  haBlich  und  verwahrlost,  nur  die  Kirchen 
hoben  sich  groBartig  von  der  sie  umgebenden  Armut  ab.  Die 
gotische  Architektur  der  franzosischen  Kathedralen  machte  ihm 
einen  starken  Eindruck.  Die  franzosischen  Frauen  haben  ihm 
infolge  ihrer   Schonheit,   Liebenswurdigkeit  und  Lebhaftigkeit  be- 


TORQUATO  TASSO  353 

sonders  gut  gefallen,  wahrend  er  die  Manner  durch  die  krummen 
Beine,  die  sie  sich  beim  konstanten  Reiten  geholt  hatten,  verun- 
staltet  fand.  Dreierlei  war  Tasso  besonders  aufgefallen  und  er- 
schien  ihm  von  nachteiligsten  Folgen:  die  Mutter  nahren  ihre  Kinder 
nicht  selbst,  sondern  Ziehen  sie  mit  Kuhmilch  auf,  der  Adel  lebt 
zuriickgezogen  auf  seinen  Schlossern  am  Lande,  verkehrt  hochstens 
mit  Bauern  und  ist  ungebildet,  ja  flegelhaft,  die  Wissenschaften 
stehen  ihm  ganz  fern,  und  die  Gelehrten  rekrutieren  sich  nur  aus 
Mannern  von  niedrigem  Stand.  Die  Philosophic,  diese  konigliche 
Wissenschaft,  muBte  sich  in  Frankreich  einem  Bauern  vermahlen 
und  hat  dabei  viel  von  ihrer  Vornehmheit  eingebuBt. 

Eindringlichere  Beobachtungen  als  dieser  Brief  enthalt  Tassos 
spatere  Abhandlung  ,,Discorso  intorno  alia  sedizione  nata  nel  regno 
di  Francia  l'anno  1585";  sie  bekundet  viel  Beobachtungsgabe,  die 
man  dem  Dichter  nicht  ohne  weiteres  zugetraut  hatte. 

Das  franzosische  Konigspaar  hatte  die  Absicht,  den  April  in 
der  Bretagne  zu  verleben  und  lud  den  Kardinal  ein,  mitzureisen; 
er  befand  sich  damals  schon  in  groBer  Geldverlegenheit,  und  da 
er  nicht  das  ganze  Gefolge,  mit  dem  er  nach  Frankreich  gekommen 
war,  zu  erhalten  vermochte,  beschloB  er  nur  einen  Teil  mitzu- 
nehmen  und  die  iibrigen  aus  Paris  nach  Italien  zuriickzuschicken. 
Zu  diesen  letzteren  gehorte  auch  Tasso,  den  diese  Zuriicksetzung 
gegeniiber  den  vornehmeren  Hoflingen  tief  schmerzte,  um  so  mehr, 
als  er  auch  noch  so  manchen  AnlaB  hatte,  sich  iiber  den  Dienst 
beim  Kardinal  zu  beklagen.  Er  glaubte,  von  Luigi  zu  schlecht 
entlohnt  zu  werden  und  eine  zu  untergeordnete  Rolle  am  Hofe 
zu  spielen.  Die  Klagen  waren  unbegriindet,  da  Tasso  nach  da- 
maligen  Anschauungen  durchaus  nicht  schlecht  bezahlt  wurde,  da 
er  keinerlei  Pflichten  zu  erfiillen  hatte,  auBerdem  war  der  Kar- 
dinal ein  bekannter  Verschwender  und  seine  Hoflinge  hatten  keinen 
AnlaB,  sich  iiber  den  Geiz  ihres  Herrn  zu  beklagen.  Tasso  be- 
schloB, den  Dienst  beim  Kardinal  aufzugeben;  seine  wahren  Be- 
weggriinde  waren  seine  verletzte  Eigenliebe  und  seine  groBe  Un- 
bestandigkeit,  die  spater  noch  gewachsen  ist.  Die  innere  Unruhe 
hat  ihn  von  Ort  zu  Ort  getrieben,  Tasso  war  niemals  und  mit  nichts 
zufrieden.      Er  scheint    um   so  weniger  AnlaB  gehabt   zu  haben, 

23 


354 


ZWOLFTES  KAPITEL 


sich  iiber  den  Geiz  des  Kardinals  zu  beklagen,  als  er  sich  bei 
ihm  viel  Geld  erspart  hat.  In  Italien  konnte  er  nachher  fast 
ein  ganzes  Jahr  reisen,  ohne  eine  feste  Beschaftigung,  die  ihm 
auch  nur  die  geringste  Einnahme  gesichert  hatte. 


IV 

Im  Glauben,  an  Alfonsos  II.  Hofe  ein  Unterkommen  zu  finden, 
kam  Tasso  nach  Ferrara,  aber  als  er  sah,  daB  es  dort  auf  bloBe 
Versprechungen  hinauslief,  ging  er  nach  einigen  Wochen  nach 
Rom,  in  der  Erwartung,  der  Kardinal  Ippolito  d'Este,  der  fiir  seine 
Freigebigkeit  gegen  Dichter  und  Literaten  bekannt  war,  wiirde  ihn 
in  seinen  Dienst  nehmen.  Der  vom  Alter  mitgenommene  Kardinal 
empfing  Tasso  zwar  einige  Male  in  seiner  schonen  Villa  in  Tivoli, 
gab  ihm  aber  die  erhoffte  Anstellung  nicht. 

Tasso  blieb  noch  einige  Monate  in  Rom;  es  war  im  Jahre  1571 
wahrend  der  beriihmten  Schlacht  bei  Lepanto,  und  die  papstliche 
Hauptstadt  zitterte  unter  dem  Eindruck  der  politischen  und  kriege- 
rischen  Nachrichten.  Tasso  bat  Gott,  wie  er  seinem  Freunde 
schrieb,  den  Christen  den  Sieg  zu  verleihen,  und  zahlte  nicht  zu 
den  letzten,  die  daftir  gedankt  haben.  Unter  den  Kampfenden 
befand  sich  auch  ein  Verwandter  von  Torquato,  Antonio  Tasso,  von 
der  flamischen  Linie;  er  zeichnete  sich  durch  seine  Tapferkeit  in 
der  Schlacht  bei  Curzolari  aus,  so  daB  Philipp  II.  ihn  zur  Beloh- 
nung  zum  Gesandten  in  Paris  ernannte.  Torquato  stand  zwar 
zu  seinen  flandrischen  und  spanischen  Verwandten  in  keinerlei 
Beziehung,  aber  stolz  auf  sein  Geschlecht  freute  er  sich  iiber  An- 
tonios  Ehrung;  dieses  Ereignis  und  der  Zusammenbruch  der  tiir- 
kischen  Macht  veranlaBten  ihn  zur  Weiterarbeit  an  seiner  Dichtung 
von  Jerusalems  Befreiung,  die  durchaus  zeitgemaB  war  und  die 
Geister  beschaftigen  konnte. 

Tassos  Geldmittel  waren  erschdpft,  ohne  einfluBreiche  Pro- 
tektion  vermochte  er  sich  nicht  langer  zu  erhalten,  so  wandte  er 
sich  durch  Vermittlung  seiner  romischen  Freunde  an  den  Herzog 


TORQUATO  TASSO  355 

von  Ferrara  und  bat,  an  seinem  Hof  aufgenommen  zu  werden. 
Auch  die  Herzogin  Lucrezia,  auf  deren  Unterstutzung  er  stets 
rechnete,  suchte  er  zu  diesem  Zwecke  in  Urbino  auf.  Er  hatte 
sich  nicht  getauscht;  die  Herzogin  war  im  Begriffe,  aus  Castel- 
durante  nach  Ferrara  zu  reisen,  sie  nahm  den  Dichter  mit  und  bat 
ihren  Bruder,  Alfonso  II.,  ihm  an  seinem  Hof  eine  Anstellung  zu 
geben.  Der  Herzog  ging  ins  Moorbad  Sant  Elena  bei  Padua, 
wegen  der  rheumatischen  Schmerzen  im  Knie,  die  er  sich  in 
seiner  Jugend  wahrend  der  Kriege  in  Frankreich  geholt  hatte; 
zu  seiner  Gesellschaft  nahm  er  einige  Hofleute  mit,  darunter  auch 
Tasso.  Der  Dichter  muB  dem  Herzog  einen  guten  Eindruck  ge- 
macht  haben,  da  er  ihn  spater  auch  nach  Comacchio  zum  Fisch- 
fang,  der  im  Herbst  stattfand,  mitnahm.  Im  Januar  1572  wurde 
Tasso  in  die  Liste  der  bezahlten  Hofleute  aufgenommen  mit  einer 
Pension  von  achtundfiinfzig  markgraflichen  Lire,  nach  unserem 
heutigen  Geld  etwa  no  Lire.  Der  Betrag  ist  gering  genug,  aber  der 
Geldwert  war  damals  groBer  als  heute,  auBerdem  hatte  Tasso 
Essen  und  Wohnung  frei,  so  daB  das  bare  Geld  fur  seine  Kleidung 
und  andere  Bediirfnisse  dienen  konnte.  Der  Dichter  hatte  keinerlei 
Pflichten,  der  Herzog  hatte  nur  den  Wunsch  geauBert,  Tasso  moge 
neben  seinem  groBen  Werk  auch  Gelegenheitsgedichte  verfassen, 
wozu  Torquato  gern  bereit  war.  Sein  ,,ozio  letterato"  befriedigte 
ihn  sehr,  und  sein  Einkommen  betrug  viermal  soviel  wie  beim 
Kardinal.  Nachdem  er  dem  Herzog  seine  Dankbarkeit  in  einem 
flieBenden  Gedicht  ausgesprochen  und  sich  vom  zweijahrigen 
Herumvagabondieren  erholt  hatte,  begann  er  an  seiner  ,,Gerusa- 
lemme"  zu  arbeiten. 

Natiirlich  fehlte  es  ihm  an  Neidern  nicht,  besonders  Alfonsos  II. 
allmachtiger  Minister,  Giovan  Battista  Pigna,  war  ihm  wenig  ge- 
wogen.  Er  machte  selbst  elende  Gedichte  und  war  in  Lucrezia 
Bendidio  verliebt,  fur  die  sich  Tasso  bereits  in  Padua  interessiert 
hatte  und  um  deren  Gunst  er  aufs  neue  warb.  Lucrezia  lebte  am 
Hofe  zu  Ferrara  und  entfachte  wahre  Liebesbrande.  AuBer  Pigna 
und  Tasso  hatte  auch  Battista  Guarini  sein  Herz  an  sie  verloren 
und  schickte  ihr  gereimte  Liebesseufzer.  Obgleich  Guarini  und 
Tasso   als   Dichter  nicht  gut  zueinander  standen,   so  verband   sie 

23* 


356 


ZWOLFTES  KAPITEL 


gemeinsamer  HaB  gegen  Pigna.  Beide  wollten  den  machtigen 
Rivalen  lacherlich  machen,  und  als  Pigna  fur  einige  Monate  mit 
dem  Herzog  nach  Osterreich  reiste,  lieBen  sie  seine  Liebes-Can- 
zonen  drucken.  Pigna  durfte  sich  nicht  einmal  beklagen,  da  Tasso 
den  Gedichten  einen  fur  den  Verfasser  sehr  schmeichelhaften  Kom- 
mentar  hinzugefiigt  hatte.  Die  Bendidio  verspottete  ihren  alten 
Verehrer  so  gut  wie  die  jungen  Dichter.  Pigna  nannte  sie  bos- 
hafterweise  ,,lo  sposo  della  barba  bianca",  und  von  den  jungen 
Dichtern  lieB  sie  sich  zwar  gem  huldigen,  aber  als  praktische  Frau 
kniipfte  sie  Beziehungen  zu  dem  an,  der  zwar  keine  Gedichte 
machte,  sie  aber  dafiir  mit  kostbaren  Geschenken  iiberschuttete: 
zum  Kardinal  Luigi.  In  ihren  Briefen  an  den  Kardinal  verspottete 
sie  den  alten  Pigna,  der  sie  mit  seinen  Zartlichkeiten  verfolgt  hat. 
1573  ging  Alfonso  nach  Rom,  um  dem  neuen  Papst  Gregor  XIII. 
zu  huldigen  und  die  Frage  der  Nachfolge  im  Herzogtum  Ferrara 
zu  sichern.  Ein  zahlreiches  Gefolge  begleitete  ihn,  darunter  be- 
fanden  sich  Tasso,  Guarini  und  der  beriihmte  Altertumskenner 
Piero  Ligorio;  der  Herzog  hoffte  mit  seiner  Hilfe  in  Rom  seine 
beriihmte  Anticagliensammlung  vermehren  zu  konnen.  Alfonso 
war  nur  einen  Monat  in  Rom  und  einige  Tage  in  Tivoli;  Tasso 
fand  zur  Arbeit  keine  Zeit,  kniipfte  aber  viel  Beziehungen  an  und 
sah  namentlich  zum  erstenmal  die  groBe  Schonheit,  von  der  ganz 
Rom  sprach,  Barbara  Sanseverino,  die  Grafin  di  Sala,  die  mit  ihrer 
Schwiegertochter  Leonora  di  Scandiano  dort  weilte.  Von  Barbara, 
der  die  romischen  Damen  ihre  Triumphe  neideten,  hieB  es,  sie 
habe  die  Schonheitspalme  davongetragen: 

Tolse  Barbara  gente  il  pregio  a  Roma. 

Im  Friihling  machte  sich  Tasso  in  Ferrara  wieder  an  die  Arbeit 
und  lieB  sein  Schaferdrama  ,,Aminta"  drucken,  das  der  Herzog 
im  Sommer  im  Belvedere  auffiihren  lieB.  Zu  diesem  Zwecke  lieB 
man  die  Theatergesellschaft  ,,Gelosi"  kommen,  die  damals  in 
Venedig  auftrat  und  gem  an  norditalienischen  Hdfen  spielte.  Tasso 
selbst  unterwies  die  Schauspieler;  die  Auffiihrungen,  die  einige  Mai 
wiederholt  wurden,  sind  glanzend  ausgefallen,  und  haben  ganz 
Ferrara  beschaftigt,  um  so  mehr  als  man  hinter  einigen  Gestalten 


TORQUATO  TASSO  357 

des  Dramas  bekannte  ferraresische  Personlichkeiten  zu  erkennen 
vermeinte.  Alfonso  gab  seiner  Zufriedenheit  Ausdruck,  indem  er 
Tasso  zum  Professor  —  der  Geometrie  und  der  Himmelskorper  an 
der  Universitat  in  Ferrara  ernannte.  Der  Dichter  hatte  nur  an 
Feiertagen  die  Pflicht,  vorzutragen,  und  bezog  dafiir  ein  Ein- 
kommen  von  150  markgraf lichen  Lire  (in  heutigem  Geld  etwa  283). 
,,Aminta"  wurde  spater  in  Pesaro  aufgefiihrt,  Tasso  ging  hin,  um 
die  Inszenierung  zu  leiten,  und  allmahlich  errang  dieses  Schafer- 
drama  in  alien  italienischen  Stadten  groBe  Erfolge. 

Als  die  Nachricht  von  Karls  IX.  Tod  nach  Ferrara  kam,  emp- 
fahl  der  Herzog  dem  Dichter,  eine  Trauerrede  zu  verfassen  und  sie 
im  Dom  beim  Trauergottesdienst  zu  verlesen. 

Zur  BegriiBung  Heinrichs  III.  in  Venedig  nahm  er  Tasso  mit, 
der  die  Gelegenheit  beniitzte,  um  zwei  Sonette  zu  Ehren  des  Valois 
zu  verfassen,  worin  er  seine  GroBe  und  seine  Tugenden  pries.  Der 
Dichter  verubelte  dem  Konig  spater  sein  lockeres  Leben  in  Venedig, 
zu  dem  ihn  iibrigens,  wie  wir  gesehen  haben,  Alfonso  selbst  ver- 
leitet  hat. 


1574  erkrankte  Tasso  an  einem  sehr  hartnackigen  Fieber,  das 
ihn  lange  gequalt  und  ungiinstig  auf  seinen  physischen  und  mora- 
lischen  Zustand  eingewirkt  hat.  Trotzdem  arbeitete  er  an  der 
Vollendung  des  ,,Befreiten  Jerusalem",  da  der  Herzog  sehr  un- 
geduldig  war  und  den  Ruhm  kaum  erwarten  konnte,  der  seinem 
Geschlecht  durch  das  Erscheinen  dieses  Epos  werden  sollte.  Seit 
zehn  Jahren  war  Tasso  am  Hof  der  Este;  der  Herzog  hatte  ihm 
seine  Gunst  geschenkt,  ihn  auf  Reisen,  auf  die  Jagd,  zum  Fisch- 
fang  mitgenommen,  ihm  vollige  Freiheit  in  seiner  Arbeit  gelassen, 
und  trotzdem  hatte  der  Dichter  seine  Aufgabe  noch  nicht  gelost. 
Endlich  im  April  des  Jahres  1575  war  das  Gedicht  fertig,  aber  da 
Tasso  die  drei  letzten  Biicher  wahrend  seiner  Krankheit  geschrieben 
hat,  waren  sie  schwacher  als  die  vorhergehenden  ausgefallen. 
Obrigens  war  das  Gedicht  noch  nicht  druckreif,  einige  Abschnitte 


358  ZWOLFTES  KAPITEL 

geniigten  dem  Dichter  noch  nicht,  und  der  Zwiespalt  in  seiner 
Seele  unterband  seine  schopferische  Kraft. 

Luftveranderung  sollte  Tasso  vom  Fieber  heilen;  er  fuhr  fur 
einige  Zeit  nach  Padua  und  Vicenza,  aber  diese  Reise  half  ihm 
nicht;  Ferraras  uberdriissig,  begann  er  sich  in  aller  Stille  zu  be- 
miihen,  an  einem  andern  Hof  Unterkunft  zu  finden,  beim  GroB- 
herzog  Francesco  in  Florenz  oder  beim  Kardinal  de'  Medici.  Es 
war  dies  ein  fur  ihn  sehr  verhangnisvoller  Schritt,  da  der  Hof  von 
Florenz  und  Ferrara  in  den  denkbar  schlechtesten  Beziehungen 
zueinander  standen;  sie  kampften  um  den  ,,Vorrang"  —  dieser 
Frage  wurde  damals  groBe  Bedeutung  beigemessen.  Alfonso  be- 
anspruchte  den  Titel  ,,Altezza",  sehr  zum  Arger  des  GroBherzogs, 
der  behauptete,  daB  dieser  Titel  nur  ihm  zukomme.  Die  Rivalitat 
zwischen  beiden  Hofen  hatte  dazu  gefiihrt,  daB  der  Herzog  schon 
1573  seinen  Untertanen  unter  Androhung  sehr  empfindlicher 
Strafen  verboten  hatte,  fremde  Dienste  anzunehmen;  dies  Verbot 
war  in  der  Hauptsache  gegen  Florenz  gerichtet. 

Da  Tassos  Bemiihungen,  in  den  Dienst  der  Medici  zu  treten, 
vergeblich  waren,  veranderte  der  Dichter  seinen  Plan;  er  wollte 
nach  Rom  gehen,  um  dort  sein  Werk  dem  Urteil  beriihmter  Lite- 
raten  und  dem  Spruch  der  Inquisition  zu  unterbreiten,  und  die 
Arbeit  so  vieler  Jahre  endlich  drucken  lassen.  Da  es  ihm  an 
Mitteln  fur  diese  Reise  fehlte,  wandte  er  sich  schriftlich  an  seinen 
Universitatskollegen  und  Freund,  Scipione  Gonzaga,  der  in  Rom 
lebte,  damit  er  die  Durchsicht  seines  Werkes  ubernehme.  Gonzaga 
fiirchtete  die  groBe  Verantwortung  der  Kritik  wie  der  Inquisition 
gegeniiber,  er  bat  daher  Pier  Angelo  da  Braga,  einen  beriihmten 
lateinischen  Dichter,  Flaminio  de'  Nobili,  den  Philosophen  und 
bekannten  Hellenisten,  Sperone  Speroni,  den  Verfasser  des  Buches 
,,La  Cenace"  und  schlieBlich  ein  Mitglied  der  Inquisition  Silvio 
Antoniano,  den  Schiiler  Filippos  da  Neri  und  spateren  Kardinal 
unter  Sixtus  V.,  einen  Menschen  von  strengen  Sitten,  aber  engem 
Horizont,  ihm  bei  dieser  Arbeit  zu  helfen.  Tasso  fiirchtete  die 
Einwande  des  Inquisitors  in  Bologna,  deshalb  begab  er  sich  auch 
zu  ihm,  damit  er  die  Dichtung  vom  Standpunkt  der  romisch-katho- 
lischen   Kirche  priife.     Uberhaupt  beherrschte  die  Angst  vor  der 


TORQUATO  TASSO  359 

Inquisition  Tasso  in  hohem  MaBe,  er  war  nicht  einmal  sicher,  ob 
er  in  seinem  Gedicht  die  alten  Gotter  Mars  und  Jupiter  anfiihren 
diirfe,  und  erst  als  er  sich  darauf  besann,  daB  auch  Dante  in  seinem 
,,Paradies"  keinen  AnstoB  genommen  habe,  Jupiter  zu  erwahnen, 
beruhigte  er  sich  und  faBte  den  Vorsatz,  sich  der  Inquisition  gegen- 
iiber  auf  das  Beispiel  des  groBen  Dichters  zu  berufen.  Tassos 
Furcht  war  nicht  unbegriindet.  Gregor  XIII.,  der  Freund  und  Pro- 
tektor  der  Jesuiten,  saB  auf  dem  papstlichen  Stuhl,  Antoniano  war 
damals  schon  eine  sehr  einfluBreiche  Personlichkeit,  und  durch 
seinen  Mund  sprach  die  Inquisition.  Ihm  erschien  die  ganze 
Dichtung  als  ein  gefahrliches  Werk,  das  in  Rom  nicht  gem  gesehen 
werden  wiirde,  als  ein  Erzeugnis,  das  dem  Geist  der  Zeit  nicht  ent- 
sprach.  Um  jedoch  seine  Versohnlichkeit  zu  beweisen,  besonders 
da  er  sich  selbst,  als  Verfasser  einiger  frommer  Lieder,  fur  einen 
Dichter  hielt,  verlangte  Antoniano  zwar  nicht,  daB  das  ganze  Manu- 
skript  zerstort  werde,  aber  er  erachtete  es  als  notwendig,  daB  Tasso 
es  zu  einer  ,,rein"  religiosen  Dichtung  umarbeite,  die  weniger  fur 
weltliche  Menschen  als  fur  Mdnche  und  Nonnen  bestimmt  sei, 
,,desiderarebbe  ch'l  poema  fosse  letto  non  tanto  da  cavalieri  quanto 
da  religiosi  e  da  monache";  er  wiinschte  ferner,  daB  die  Handschrift 
vor  Drucklegung  einer  ernsthaften  Nonne  zur  Zensur  vorgelegt 
werde,  aber  zu  diesem  AuBersten  kam  es  nicht.  Von  der  ganzen 
Dichtung  gefiel  ihm  eigentlich  nichts,  weder  die  Gesamtanlage, 
noch  die  Hauptcharaktere,  oder  die  poetischen  Episoden.  Er 
verlangte  von  Tasso,  jedes  Wort  zu  streichen,  das  ein  geistliches 
Ohr  beleidigen  konnte  und  die  Liebesepisoden  und  alle  Wunder 
auszulassen.  Nur  Gott  allein  kann  Wunder  wirken,  deshalb  ist  es 
dem  Dichter  nicht  gestattet,  einen  Zauberer  einzufiihren,  der  mit 
seiner  Rute  Ritter  in  Fische  verwandelt  oder  andere  ,,Metamor- 
phosen"  bewirkt. 

Tasso  war  verzweifelt,  man  zerstorte  ihm  sein  ganzes  Werk, 
und  seine  Briefe  an  Antoniano  zeigen  das  wahrhaft  tragische 
Ringen  des  Renaissancegeistes,  des  Dichters,  der  von  Jugend  auf 
gewohnt  war,  seine  Gedanken  frei  zu  auBern,  mit  dem  dumpfen 
Fanatismus  eines  Menschen  der  brutalen  Reaktion.  Verzweifelt 
fragte  Tasso  einst,  ob  die  Liebesszenen  wirklich  gestrichen  werden 


360  zwOlftes  kapitel 

miiCten  ,,gli  amori  saranno  condemnati?"  da  ein  solcher  Urteils- 
spruch  den  Tod  seiner  Dichtung  bedeutete.  Trotz  seiner  Em- 
porung  entschuldigt  Tasso  seine  ,,Fehler"  demiitig  vor  dem  all- 
vermogenden  Zensor,  er  bedenkt  die  verschiedensten  Moglichkeiten, 
um  den  Zensor  zufrieden  zu  stellen,  den  Forderungen  der  Zeit  zu 
entsprechen  ,,come  comanda  la  necessita  de'  tempi"  und  den  engen 
Seelen  der  Mitmenschen  gerecht  zu  werden;  er  uberlegt,  wie  er  allem 
Wunderbaren  eine  ,,moralische"  Bedeutung  beilegen  und  die  beiden 
Biicher  von  der  Zauberin  Armida  auslassen  konnte.  Er  wollte 
sie  gesondert  drucken,  um  wenigstens  auf  diese  Weise  eine  der 
schonsten  Gestalten  seiner  Phantasie  zu  retten.  Sein  Werk  be- 
trachtet  er  als  ,,la  somma  de  la  sua  vita",  daher  marterten  ihn 
die  Schwierigkeiten,  diese  unerwarteten  Hindernisse,  dieser  Kampf 
mit  der  kirchlichen  Pedanterie,  die  schon  zwei  Jahre  dauerten. 
Er  war  ein  zu  schwacher  Charakter,  um  sich  auf  irgend  eine  Weise 
von  der  inquisitorischen  Ubermacht  frei  zu  machen;  er  furchtete 
den  Kampf  mit  der  Kirche,  wollte  nicht  zum  Abtriinnigen  werden, 
bemiihte  sich,  zu  glauben  und  wollte  wenigstens  fur  den  Druck 
seines  Buches  die  Erlaubnis  der  romischen  Kirche  bekommen. 
Und  wenn  sich  sein  skeptischer  Geist  von  Zeit  zu  Zeit  empdrte, 
so  unterwarf  er  sich  zur  Siihne  religiosen  Ubungen,  ging  in  die 
Kirche  und  betete  im  Hause,  um  auf  diese  Weise  den  Renaissance- 
Satan  zu  iiberwinden.  Haufig  stand  ihm,  wie  er  selbst  gestanden 
hat,  das  Bild  des  Jiingsten  Tages  vor  Augen,  er  glaubte  den  Klang 
der  Posaunen  zu  horen,  die  am  Tage  der  groBen  Abrechnung  er- 
klingen  werden,  und  den  Heiland  in  den  Wolken  zu  sehen,  wie  er 
mit  durchdringender  Stimme  ruft:  geht  hin,  Verfluchte,  ins  ewige 
Feuer.  Dann  packte  ihn  furchtbare  Angst,  er  muBte  beichten 
und  das  Abendmahl  nehmen.  Er  beichtete,  daB  er  an  der  Unsterb- 
lichkeit  der  Seele  zweifle,  und  an  den  gottlichen  Ursprung  der 
Welt,  an  die  Wirksamkeit  der  Sakramente,  an  die  gottliche  Mission 
des  Papstes  auf  Erden,  an  die  Erlosung  des  Menschen  nicht  glaube. 
All  das  meldete  er  dem  Inquisitor  in  Bologna,  und  klagte  sich 
selbst  an,  doch  der  Inquisitor  begriff,  daB  er  es  mit  einem  Dichter 
zu  tun  habe,  der  sein  seelisches  Gleichgewicht  verloren,  und  nahm 
diese    Gestandnisse   eines   kranken    Menschen   nicht   ungiitig   auf. 


TORQUATO  TASSO  36! 

Aber  diese  Sanftmut  beangstigte  Tasso  anstatt  ihn  zu  beruhigen, 
er  fand  das  Vorgehen  des  Inquisitors  leichtsinnig,  oberflachlich, 
und  hielt  sich  fur  schuldig. 

Wenn  Antonianos  Kritik  in  religiosen  Dingen  ihn  zur  Ver- 
zweiflung  brachte,  so  haben  ihn  die  Bemerkungen  des  Pedanten 
Speroni  iiber  den  Aufbau  der  Dichtung,  die  Regeln  der  Poetik,  die 
angeblich  falsch  befolgt  waren,  im  hochsten  Grade  emport.  Zur 
Verwirrung  seines  kranken  Geistes  trug  noch  bei,  daB  er  im  Glau- 
ben  befangen  war,  seine  Feinde  an  Alfonsos  Hof  wiinschten,  daB 
sein  Werk  entweder  nicht  erscheine  oder  mit  den  Verbesserungen 
der  Pedanten  und  Inquisitoren,  jeder  poetischen  Schonheit  bar, 
herausgegeben  werde.  Uberall  witterte  er  Verfolgung,  Intrigue, 
Hinterlist. 

Diese  Kampfe  und  diese  Unruhe  zerstorten  ihn  seelisch  und 
physisch  so  sehr,  daB  er  im  Juli  1575  schwer  erkrankte,  an  furcht- 
baren  Kopfschmerzen  litt,  und  mit  dem  Herzog  nicht  aufs  Land 
gehen  konnte;  er  blieb  in  Ferrara  zuriick  und  pflegte,  wenn  seine 
Schmerzen  nachlieBen,  der  Prinzessin  Lucrezia  sein  Gedicht  vor- 
zulesen.  Damals  begannen  ihn  krankhafte  Ahnungen  zu  verfolgen, 
er  glaubte  sich  von  Damonen,  die  auf  sein  Schicksal  einwirken, 
umgeben;  aus  diesem  Grunde  studierte  er  Magie  und  Astrologie 
und  verfaBte  sogar  einen  Dialog  ,,Messagiero"  iiber  Damonologie, 
in  dem  er  auf  philosophischem  Wege  die  Existenz  gottlicher  Boten 
nachzuweisen  sucht.  Obrigens  haben  auch  Gelehrte  wie  Ficino, 
Patrizzi  und  Pico  della  Mirandola  an  diese  Dinge  geglaubt.  Dazu 
war  Tasso  vom  Verlangen  beherrscht,  seinen  Wohnsitz  zu  andern; 
er  traumte  davon,  nach  Rom  zu  reisen,  Antoniano  zu  sprechen 
und  die  Zensur  seines  Werkes  zu  beschleunigen.  Lucrezia  wider- 
riet  ihm  diese  Reise,  sie  kannte  den  Wunsch  des  Herzogs,  die  ,,Ge- 
rusalemme"  unter  seiner  Agide  erscheinen  zu  lassen,  und  seine 
Befiirchtungen,  Tasso  konne  die  Dichtung  den  Medici  widmen, 
um  an  ihren  Hof  zu  gelangen.  Die  Vorstellungen  der  Prinzessin 
halfen  nicht.  Tasso  ging  im  November  nach  Rom  und  suchte  seine 
Reise  durch  den  Hinweis  auf  die  religiosen  Gnaden  des  groBen 
Jubilaums  zu  rechtfertigen.  Diese  Abreise  war  ein  um  so  groBerer 
Fehler,   als  am  4.   November  Pigna,   der  hofische   Philosoph,   Mi- 


362 


ZWOLFTES  KAPITEL 


nister,  Historiograph  und  bezahlte  Dichter,  gestorben  war,  und 
man  allgemein  annahm,  daB  Tasso  sein  Amt  als  Historiograph 
und  Dichter  antreten  wiirde. 

In  Rom  suchte  Tasso  auf  Antoniano  einzuwirken,  was  fast  un- 
moglich  war,  und  Speronis  Gunst  zu  gewinnen,  der  damals  eine 
literarische  Macht  war.  Speroni  warf  ihm  Weichlichkeit  vor,  man- 
gelnden  Ernst  im  Ausdruck,  unpassende  Scherze,  mit  anderen 
Worten,  er  vermiBte  jene  poetische  Pose,  die  der  pedantische  Literat 
so  hoch  einschatzte.  Tassos  Demut  schien  Speroni  zu  entwaffnen, 
denn  er  erwies  sich  dem  Dichter  etwas  gnadiger. 

Schon  begann  eine  innere  Unruhe  Tassos  Handlungen  und  Be- 
nehmen  zu  beherrschen;  nach  kurzem  Aufenthalt  in  Rom  ging  er 
nach  Siena,  um  den  Rat  von  Monsignore  Piccolomini,  des  Ver- 
fassers  eines  neuen  Kommentars  zu  Aristoteles  Poetik,  einzuholen. 
Unbefriedigt  von  dessen  Ratschlagen  reiste  er  nach  Florenz  zu 
Vincenzo  Borghini,  iiberall  auf  der  Suche  nach  kritischen  Ein- 
wanden,  die  seinem  Werk  hochstens  schaden  konnten.  Im  Januar 
war  er  wieder  in  Ferrara  und  begann  sich  um  das  Privileg  fur  die 
Herausgabe  seines  Buches  zu  bemiihen.  Seine  Geisteskrankheit 
nahm  rapid  zu,  ein  ihm  unbekanntes  Etwas  zerriB  seinen  Geist. 
,,Mi  si  volge  un  non  so  che  per  1'  animo."  Maffeo  Veniero,  der 
Florentiner  Gesandte  in  Ferrara,  schrieb  am  17.  Juni  1577  an  den 
GroBherzog  Francesco,  ,, Tasso  leide  an  einer  seltsamen  Geistes- 
krankheit: er  glaubt,  daB  er  der  Ketzerei  schuldig  sei  und  daB  man 
ihn  vergiften  wolle  .  .  ." 


VI 

In  Ferrara  traf  Tasso  die  Grafin  Barbara  Sanseverino  und  ihre 
Schwiegertochter  Leonora,  die  Gattin  des  Graf  en  Giulio  di  Scan- 
diano,  die  er  bereits  in  Rom  kennen  gelernt  hatte.  Die  ganze 
Stadt  sprach  von  nichts  anderem  als  von  dem  Geist,  der  Liebens- 
wiirdigkeit  und  dem  Reiz  dieser  Frauen,  alle  Herren  am  Hofe 
waren  in  sie  verliebt,  selbst  Alfonso;  auch  der  Duca  di  Parma  und 
Vincenzo  Gonzaga  begingen  nicht  wenig  Torheiten,  um  ihnen  zu 


TORQUATO  TASSO  363 

gefallen.  Tasso  hatte  Gelegenheit,  Sonette  ihnen  zu  Ehren  zu 
verfassen,  sogar  die  hangende  Unterlippe  der  Grafin  Scandiano 
wurde  poetisch  verklart! 

Einer  der  heiBesten  Verehrer  der  schonen  Leonora  war  Guarini, 
der  zusammen  mit  Ascanio  Giraldini  aus  Polen  zuriickgekehrt 
war;  aber  Guarini  und  Tasso  iiberzeugten  sich  bald,  daB  sie  die 
Grafin  Scandiano  nur  in  Gedichten  feiern  diirften,  da  sie  einen  zu 
gefahrlichen  Rivalen  hatten,  um  sich  allzu  kiihn  um  ihre  Gunst 
zu  bewerben.  Dieser  Rivale  war  kein  Geringerer  als  Alfonso  selbst. 
Tasso  trostete  sich  bald,  da  die  Herzogin  eine  sehr  schone  Dami- 
gella  Olympia  hatte,  ,,bella  e  vaga  brunetta",  ihr  weihte  er  seine 
Gefiihle  und  spendete  der  Grafin  nur  Weihrauch.  Er  neidete  aber 
der  Damigelle,  der  zu  dienen,  die  einer  Gottheit  gleicht. 

O  con  le  Grazie  eletta  e  con  gli  Amori, 

Fanciulla  avventurosa, 

A  servir  a  colei  che  a  Dea  somiglia. 

Als  die  Grafin  spater  ein  Tochterchen  zur  Welt  brachte,  auBerte 
Tasso  seine  Freude  in  Versen. 

Trotz  der  Liebelei  mit  Olympia  und  der  Verehrung  fur  die 
Grafin  Scandiano  ging  es  dem  Dichter  immer  schlechter,  immer 
haufiger  trat  sein  Verfolgungswahnsinn  auf  und  unter  den  Hof- 
leuten  gait  er  als  jemand,  ,,dem  etwas  fehle".  Einen  der  niederen 
Hofbeamten,  Ercole  Fucci,  hatte  er  ohne  Grund  ins  Gesicht  ge- 
schlagen;  emport  dariiber  holte  Fucci  seinen  Bruder  zu  Hilfe  und 
priigelte  Tasso  mit  dem  Stock  auf  der  StraBe  durch.  Der  er- 
schrockene  Tasso  verlieB  langere  Zeit  sein  Zimmer  nur,  wenn  er 
zusammen  mit  den  anderen  Hdflingen  den  Herzog  auf  seinen  Aus- 
flugen  begleiten  muBte. 

Im  Februar  1577  ging  der  ganze  Hof  nach  Comacchio,  wo  ein 
Teil  des  Karnevals  verbracht  werden  sollte.  Die  lustige  Gesell- 
schaft,  die  aus  den  Contessen  di  Sala  und  Scandiano,  mehreren 
anderen  Damen  und  Hofleuten,  darunter  auch  unserem  Dichter, 
bestand,  dachte  nur  daran,  Feste  zu  feiern.  Tasso  schrieb  ein 
Lustspiel,  das  einzige,  das  er  jc  verfaBt  hat,  und  die  Hofgesell- 
schaft  fuhrte  es  auf.      Der  Herzog  selbst  gab  einen   Kellner,  die 


364  ZWOLFTES  KAPITEL 

Contessa  di  Sala  hatte  die  Rolle  eines  jungen  Madchens  Lucilla 
iibernommen,  die  Scandiano  verkleidete  sich  als  Mann,  und  Tasso 
sprach  den  Prolog.  Das  Lustspiel  gait  als  sehr  gelungen,  ist  aber 
leider  untergegangen;  wir  hatten  den  ,,Karnevals"-Tasso  daraus 
kennen  gelernt,  mit  iibermiitigen  Ziigen,  die  wir  sonst  nicht  an 
ihm  kennen.  Tassos  heitere  Stimmung  hielt  nicht  lange  vor;  un- 
mittelbar  nach  seiner  Riickkehr  in  Ferrara  klagte  er  wieder,  daB 
man  ihn  verfolge,  er  litt  an  diisteren  Ahnungen  und  schrieb  dem 
Gefahrten  seiner  Kindertage  Guidobaldo,  dem  Markgrafen  von 
Mantua,  daB  er  seit  acht  Monaten  in  bestandiger  Angst  lebe,  weil 
die  Hoflinge  und  Feinde  ihm  seine  Handschriften  fortnahmen;  er 
bat  den  Markgrafen,  ihm  einen  Diener  zu  schicken,  der  gar  keine 
Beziehungen  zu  Ferrara  habe  und  dem  er  absolut  trauen  konne. 
In  der  zweiten  Aprilhalfte  beherrschten  Visionen  und  Angstzustande 
den  Dichter  in  noch  starkerem  Grade,  er  beschuldigte  verschiedene 
Personlichkeiten  beim  Herzog,  daB  sie  ihn  verfolgten  und  Be- 
ziehungen zu  den  Ketzern  hatten.  Aus  Furcht,  selbst  zum  Ketzer  zu 
werden,  ging  er  haufig  zur  Beichte  und  verriet  dem  Inquisitor  die 
Namen  jener  Hoflinge,  die  er  des  Abfalls  beschuldigte.  Der  Herzog 
schickte  ihm  den  Arzt,  der  ihm  blutreinigende  Mittel  verschrieb, 
aber  alles  war  vergebens.  Tasso  verblieb  in  seinen  religiosen  Angst- 
zustanden,  er  glaubte,  daB  der  Inquisitor  in  Ferrara  seine  Pflich- 
ten  nicht  gewissenhaft  erfulle  und  begann  sich  zu  einer  Reise  nach 
Rom  zu  rusten,  um  ihn  dort  vor  dem  Inquisitionstribunal  zu 
verklagen.  Man  glaubte,  der  Inquisitor  selbst  konne  ihn  in  diesem 
seelischen  Zwiespalt  beruhigen,  da  er,  verniinftig  und  menschlich 
denkend,  wuBte,  daB  Tassos  vermeintliche  Ketzer  und  Ketzereien 
nur  in  seiner  kranken  Phantasie  bestanden.  Auf  die  Bitte  des 
Herzogs  nahm  er  Tasso  fur  einige  Tage  zur  geistlichen  Einkehr 
ins  Kloster  Degli  Angeli  und  suchte  dort  durch  Sanftmut  und 
Uberredung  auf  sein  allzu  empfindliches  Gewissen  einzuwirken. 
Der  Monch  gab  sich  Miihe,  um  dem  Dichter  das  verlorene  Gleich- 
gewicht  wiederzugeben,  er  lieB  ihn  beichten,  erteilte  ihm  voll- 
kommene  Absolution,  aber  all  das  niitzte  nichts,  Tasso  fand,  daB 
man  ihn  fur  seine  Siinden  foltern  miisse;  er  verdachtigte  den  In- 
quisitor, seine  Pflichten  nicht  streng  genug  einzuhalten  und  wollte 


TORQUATO  TASSO  365 

ohne  Wissen  des  Herzogs  nach  Bologna  gehen,  urn  vor  dem 
dortigen  Inquisitor,  den  er  fur  besonders  berufen  hielt,  zu  beichten. 
Der  Herzog  konnte  nicht  ohne  weiteres  zustimmen;  seit  den  Tagen 
der  Renata  verdachtigte  Rom  Ferrara  wegen  religioser  Neue- 
rungen,  und  die  romische  Kurie  ging  diesem  Verdacht  urn  so  lieber 
nach,  als  sie  nach  Griinden  suchte,  urn  Ferrara  den  Este  zu  neh- 
men;  der  Herzog  dagegen  bemiihte  sich,  die  Nachfolge  seinem 
Vetter,  Cesare  d'Este,  zu  sichern. 

Tasso  konnte  ihm  also  groBen  Schaden  zufiigen;  ware  er  nach 
Bologna  gegangen  und  hatte  vor  dem  dortigen  Inquisitor  ferrare- 
sische  Hoflinge  der  Ketzerei  bezichtigt,  so  hatte  der  Inquisitor 
sicherlich  die  ganze  Angelegenheit  nach  Rom  berichtet,  und  es 
ware  dies  ein  erwiinschter  AnlaB,  um  gegen  die  Este  vorzugehen. 

Im  Interesse  des  Staates  und  der  Dynastie  befahl  Alfonso,  ein 
Auge  auf  Tasso  zu  haben,  damit  der  geisteskranke  Dichter  nicht 
aus  Ferrara  entfliehe,  im  iibrigen  gab  er  ihm  in  der  Stadt  vollige 
Bewegungsfreiheit.  Man  muBte  jedoch  bald  strengere  Vorsichts- 
maBregeln  ergreifen.  Am  Abend  des  17.  Juni  1577  ging  Tasso  zur 
Prinsessin  Lucrezia,  um  ihr  wieder  von  seinen  Angsten  und  Ver- 
dachtsgriinden  zu  sprechen;  als  er  einen  Diener,  den  er  verdach- 
tigte, ihn  zu  bewachen,  im  Zimmer  bemerkte,  ergriff  er  ein  Messer 
und  warf  sich  auf  ihn.  Der  Diener  verteidigte  sich,  aber  dieser 
Wutanfall  hatte  eine  strenge  Verfiigung  zur  Folge:  der  Herzog 
lieB  Tasso  in  den  kleinen  Zimmern  der  Corte  vecchia  einsperren, 
wahrend  er  gleichzeitig  empfahl,  so  sanft  wie  moglich  mit  ihm 
umzugehen;  er  stellte  den  Dichter  auch  unter  den  besonderen 
Schutz  des  Hofmannes  Guidone  Cocappani.  Cocappani  hatte  die 
Aufgabe,  Tasso  freundschaftlich  von  der  Notwendigkeit,  bewacht  zu 
werden,  zu  iiberzeugen,  und  ihn  zu  iiberreden,  sich  in  arztliche 
Behandlung  zu  begeben.  Nach  einigen  Tagen  beruhigte  der  Dichter 
sich,  er  bat,  aus  dem  Gefangnis  entlassen  zu  werden  und  in  seine 
alte  Wohnung  zuriickkehren  zu  diirfen,  im  iibrigen  war  er  bereit, 
sich  stets  von  einem  Diener  begleiten  zu  lassen.  Seine  alte  Woh- 
nung wurde  ihm  wieder  angewiesen,  nur  die  Fenster  wurden  ver- 
gittert,  und  nach  einiger  Zeit  erlaubte  ihm  der  Herzog  sogar,  zu 
seiner  Zerstreuung  nach  Belriguardo  zu  kommen,  wo  damals  der 


366 


zwOlftes  kapitel 


Hof  weilte.  Die  zahlreiche  Gesellschaft,  die  sich  dort  befand,  wirkte 
nicht  gunstig  auf  den  Dichter;  er  bat  den  Herzog,  ihn  nach  Ferrara 
zuriickkehren  und  bei  den  Franziskanern  wohnen  zu  lassen.  Al- 
fonso hatte  nichts  dagegen,  aber  die  Franziskaner  und  Karthauser, 
zu  denen  man  sich  gleichfalls  begab,  hatten  wenig  Lust,  sich  um 
die  Pflege  eines  Geisteskranken  zu  kummern,  daher  zogen  sich  die 
Unterhandlungen  mit  ihnen  in  die  Lange.  Unterdessen  verschlim- 
merte  sich  Tassos  Zustand  bedeutend,  der  Dichter  glaubte  sich  von 
seinen  angeblichen  Feinden  bedroht  und  fiirchtete  sich  vor  Gift 
und  der  Inquisition.  In  seinen  Gewissensnoten  schrieb  er  an  das 
Inquisitionstribunal  nach  Rom:  der  ferraresische  Inquisitor  habe 
ihn  als  einen  Wahnsinnigen  und  nicht  als  einen  Ketzer  behandelt, 
infolgedessen  fande  er  den  Frieden  des  Gewissens  nicht;  er  bat, 
einen  ProzeB  gegen  ihn  anzustrengen  und  ihm  die  Moglichkeit  zu 
geben,  sich  zu  verteidigen.  Gleichzeitig  setzte  er  Scipione  Gonzaga 
von  dieser  Supplik  in  Kenntnis  und  flehte  um  seine  Unterstiitzung 
in  Rom.  Diese  Briefe  gerieten  in  Alfonsos  Hande,  der  taktvoll 
genug,  sie  nach  Rom  schickte  und  den  Kardinal  d'Albano  bitten 
lieB,  das  Tribunal  zu  veranlassen,  Tasso  mitzuteilen,  daB  es  ihn  fur 
vollkommen  unschuldig  halte.  Ein  solcher  Urteilsspruch  wiirde 
den  Kranken  beruhigen  und  ihn  von  den  Skrupeln  und  Angsten 
befreien,  die  ihn  qualten.  Man  schien  in  Rom  genau  dariiber 
unterrichtet  zu  sein,  daB  Tasso  kein  Ketzer  war. 

Die  Franziskaner  erklarten  sich  endlich  bereit,  Tasso  in  ihr 
Kloster  aufzunehmen,  aber  obgleich  der  Pater  Agostino  Righini, 
ein  sehr  vernunf tiger  und  guter  Mensch,  sich  gewissenhaft  mit  ihm 
beschaftigt  hatte,  verdusterte  sich  der  Geist  des  Dichters  immer  mehr, 
seine  Verfolgungsmanie  steigerte  sich,  das  Gespenst  der  Inquisition 
lieB  ihm  keine  Ruhe,  so  daB  die  Franziskaner  die  Verantwortung 
fur  den  Kranken  nicht  langer  tragen  konnten  und  den  Herzog 
baten,  ihn  irgendwo  anders  unterzubringen.  So  wurde  der  Dichter 
wieder  in  jene  Zimmer  im  Kastell  uberfiihrt,  die  urspriinglich  fur 
ihn  bestimmt  waren;  zwei  Diener  hatten  fur  seine  Pflege  und 
Bewachung  zu  sorgen. 

Aber  Tasso  war  wie  viele  Geisteskranke,  listig  genug,  um  seine 
Wachter  zu  betrugen;  er  durchbrach  die  Tiir,  die  in  die  Nachbar- 


TORQUATO  TASSO  367 

zimmer  fiihrte,  und  obgleich  man  seine  Abwesenheit  sofort  be- 
merkte,  gelang  es  ihm,  aus  Ferrara  zu  entfliehen;  er  irrte  in  den 
Feldern  umher,  suchte  schlieBlich  erschopft  Schutz  in  Poggio 
beim  Grafen  Lamberti  und  ging  von  dort  aus  nach  Bologna. 

Berittene  wurden  ihm  aus  Ferrara  nachgeschickt,  aber  Tasso 
hielt  sich  im  Feld  verborgen  und  entging  auf  diese  Weise  seinen 
Verfolgern.  Die  Flucht  des  kranken  Dichters  beunruhigte  den 
Herzog  und  den  Inquisitor  von  Ferrara  aufs  lebhaf teste;  man 
ahnte,  daB  Tasso  nach  Bologna  gehen  und  dort  gegen  den  Inqui- 
sitor Klage  wegen  seiner  lassigen  Verfolgung  der  Ketzer  erheben 
und  den  gesamten  ferraresischen  Hof  der  Ketzerei  bezichtigen 
wiirde.     Unannehmlichkeiten  mit  Rom  wurden  vorausgesehen. 


VII 

Die  Angst  des  Herzogs  war  diesmal  unbegriindet.  Tasso  gelangte 
am  Ufer  des  Adriatischen  Meeres  entlang,  liber  den  Apennin 
nach  Gaeta  und  fuhr  von  dort  aus  mit  dem  Schiff  nach  Sorrent, 
wo  seine  verheiratete  Schwester  Cornelia  wohnte.  Es  wird  erzahlt, 
daB  er  erschopft  von  der  Reise,  die  er  unter  groBten  Beschwerden 
zuriicklegen  muBte,  da  er  kein  Geld  hatte,  als  fremder  Pilger 
zur  Schwester  kam,  ohne  seinen  Namen  zu  nennen.  Er  iiber- 
gab  ihr  einen  Brief  des  Bruders:  er  befande  sich  in  der  furcht- 
barsten  Lage  und  brauche  unbedingt  Hilfe;  erst  als  er  sah,  daB 
die  Schwester  den  Brief  mit  Tranen  las  und  bereit  war,  den 
Armsten  aufzunehmen,  gab  er  sich  zu  erkennen. 

Die  vertraute  Umgebung  und  die  veranderten  Verhaltnisse 
wirkten  zuerst  giinstig  auf  den  Geist  des  Dichters,  aber  bald  trat 
der  Verfolgungswahn  aufs  neue  auf.  Er  schrieb  an  Scipione  Gon- 
zaga  und  den  Kardinal  d'Albano  und  bat,  sich  fur  ihn  bei  Al- 
fonso II.  zu  verwenden,  damit  er  ihm  die  gegen  seinen  Willen  er- 
folgte  Flucht  aus  Ferrara  vergebe,  ihn  vor  seinen  Feinden  schiitze 
und  ihm  das  Manuskript  zuriickerstatte,  da  er  die  Durchsicht 
seines  Werkes  nunmehr  vollenden  wolle.  Alfonso  war  zu  allem 
bereit,  aber  Tasso,  von  Unruhe  gejagt,  wartete  das  Resultat  nicht  ab, 


368  ZWOLFTES  KAPITEL 

sondern  beschloB,  nach  Ferrara  zu  gehen.  Zu  diesem  Zwecke  fuhr 
er  von  Sorrent  nach  Rom,  dort  suchte  er  den  Gesandten  von  Ferrara 
auf,  auBerte  sein  Bedauern  iiber  seine  iibereilte  Flucht  aus  Ferrara, 
bat  um  Verzeihung  und  schrieb  gleichzeitig  einen  demutigen  Brief 
an  den  Herzog  voll  Vertrauen  in  seine  Gnade.  Alfonso  hatte 
wenig  Lust,  in  Tassos  Riickkehr  nach  Ferrara  einzuwilligen;  er 
fiirchtete,  daB  neue  Verwicklungen  daraus  entstehen  wiirden,  und 
antwortete  seinem  Gesandten,  er  sei  bereit,  fur  Tassos  Unterhalt 
zu  sorgen,  wenn  er  in  Rom  bliebe.  Damit  war  der  Dichter  nicht 
zufrieden,  er  war  das  hofische  Leben  schon  zu  sehr  gewohnt,  um 
auf  die  glanzende  Umgebung  verzichten  zu  konnen;  er  bat  und 
drangte  deshalb,  wieder  in  den  Hofdienst  aufgenommen  zu  wer- 
den.  Alfonso  war  endlich  bereit,  in  Tassos  Riickkehr  nach  Ferrara 
einzuwilligen,  aber  er  stellte  seine  Bedingungen:  der  Dichter  musse 
einsehen,  da3  er  krank  sei  und  begreifen,  daB  seine  Annahme,erwerde 
verfolgt,  nichts  als  der  AusfluB  seiner  kranken  Phantasie  sei  und 
ebenso  grundlos  wie  seine  Furcht,  der  Herzog  wolle  ihn  vergiften; 
wenn  dem  so  ware,  hatte  man  sich  seiner  langst  entledigen  konnen. 
Alfonso  verlangte  Tassos  Versprechen,  sich  in  arztliche  Behand- 
lung  zu  begeben;  wiirde  er  dem  Arzt  nicht  gehorchen  und  die  alten 
Szenen  wiederholen,  so  musse  er  Ferrara  verlassen.  Tasso  unter- 
warf  sich  alien  Bedingungen,  ja  er  versprach,  wie  der  Gesandte 
berichtet,  mehr,  als  von  ihm  verlangt  wurde,  um  nur  wieder  nach 
Ferrara  zurtickkehren  zu  diirfen.  Der  Herzog  lieB  ihn  unter  der 
groBtmoglichen  Riicksichtnahme  auf  seinen  kranken  Zustand  nach 
Ferrara  schaffen,  und  ein  Bekannter  Tassos,  der  diese  Reise  mit- 
machte,  berichtet  dem  GroBherzog  von  Toskana,  dem  Dichter  fehle 
nichts,  als  Gehirn  im  Kopfe. 

In  Ferrara  wurde  Tasso  im  Hause  eines  Hofmannes  unter- 
gebracht,  sein  Essen  bekam  er  aus  der  herzoglichen  Kiiche.  Der 
Herzog  befahl  dem  Dichter,  sich  einer  Kur  zu  unterwerfen,  die 
einige  Monate  dauern  sollte,  aber  Tasso  wurde  ungeduldig,  wollte 
die  Vorschriften  der  Arzte  nicht  befolgen  und  fuhr  nach  Mantua, 
um  sich  in  aller  Stille  um  den  Dienst  am  toskanischen  Hofe  zu 
bewerben;  er  glaubte,  daB  Vincenzo  von  Mantua  ihm  darin  helfen 
wiirde.      Da  seine  Bemiihungen  vergeblich  waren,   verschleuderte 


TORQUATO  TASSO  369 

er  seinen  Rubinring  und  seine  goldene  Halskette,  die  einzigen 
Kleinodien,  die  er  besaB,  fur  ein  Spottgeld  und  ging  nach  Padua, 
wo  ihn  ein  friiherer  Bekannter,  Niccolo  degli  Oddi,  der  Prior  des 
Klosters  S.  Benedetto  novello,  aufnahm.  Sein  Verlangen,  an  den 
toskanischen  Hof  zu  gehen,  steigerte  sich  ins  Krankhafte;  da  er 
in  Padua  niemand  fand,  der  ihn  darin  fordern  konnte,  ging  er  nach 
Venedig,  in  der  Hoffnung,  sein  Freund  Venier,  ein  elender,  aber 
beim  Florentiner  Hof  gut  angeschriebener  Dichterling,  wiirde  ihm 
darin  behilflich  sein  konnen.  Um  dem  GroBherzog  zu  schmei- 
cheln,  schrieb  Tasso  eine  Kanzone  anlaBlich  der  Geburt  eines  Kin- 
des  in  der  Familie  Medici,  aber  alle  Bemuhungen  waren  umsonst, 
der  GroBherzog  gab  Venier  schroff  genug  zur  Antwort,  ,,er  hielte 
es  fur  uberfliissig,  Wahnsinnige  an  seinen  Hof  zu  Ziehen".  Als  die 
Absage  eintraf,  fuhr  Tasso  nach  Pesaro,  zum  Herzog  von  Urbino, 
aber  auch  dort  blieb  er  nur  kurze  Zeit  und  machte  sich  nach  Turin 
auf,  ohne  Geld,  zu  FuB,  ,,durch  Moraste  und  Fliisse".  Aus  Turin 
schrieb  er  an  den  Kardinal  d'Este  und  an  andere  Bekannte  und 
flehte  den  Kardinal,  ihn  in  seinen  Dienst  zu  nehmen;  ohne  das 
Resultat  seiner  Bitte  abzuwarten,  tauchte  er  plotzlich  in  Ferrara 
auf  und  begab  sich  zum  Kardinal,  der  ihn  mitleidig  und  giitig  auf- 
nahm. Tasso  begniigte  sich  mit  der  Gunst  seines  friiheren  Pro- 
tektors  nicht,  er  wiinschte  aufs  neue,  zum  Hof  des  Herzogs  zuge- 
zogen  zu  werden,  im  SchloB  zu  wohnen  und  die  gleiche  Pension 
wie  friiher  zu  beziehen.  Ehe  er  jedoch  in  dieser  Beziehung  irgend- 
eine  Zusicherung  erlangen  konnte,  verlieB  er  am  Abend  des  11.  Marz 
1579  seine  Wohnung  und  lief  in  groBter  Aufregung  direkt  in  den 
Palast  der  Cornelia  Bentivoglio,  wo  er  nur  Damen,  darunter  Isa- 
bella Bendidio  mit  ihrer  Schwester  Lucrezia  und  ihren  Tochtern 
fand.  In  ihrer  Gegenwart  beschimpfte  er  den  Herzog,  die  Prin- 
zessin  und  die  ganze  estensische  Familie  in  ordinarster  Weise, 
dann  verlieB  er  die  erschrockenen  Frauen,  stiirmte  ins  SchloB, 
wollte  die  Prinzessin  sprechen,  verlangte  sein  Manuskript  und 
Schutz  vor  seinen  Feinden,  die  ihn  verfolgen  und  der  Ketzerei  be- 
zichtigen.  Als  man  ihm  den  Zutritt  zur  Prinzessin  weigerte,  ver- 
fiel  er  in  noch  groBere  Raserei  und  stieB  die  argsten  Beleidigungen 
gegen   die   Este   aus.      Bei  dem  ungewohnlichen   Larm  liefen   die 

24 


370 


ZWOLFTES  KAPITEL 


Hofleute  zusammen,  und  der  Herzog  befahl,  den  Dichter  ins 
St.  Annenspital  zu  bringen,  wo  man  den  armen  Teufel  fesselte,  da 
man  den  Gebrauch  von  Zwangsjacken  noch  nicht  kannte  und  Tob- 
siichtige  in  Ketten  schloB. 

Der  Spitalshiiter  Agostino  Mosti,  der  in  seiner  Jugend  an  Lucre- 
zia  Borgias  Hof  gelebt  hatte  und  als  SpaBmacher  von  angenehmen 
Manieren  bekannt  war,  war  ein  hochanstandiger  Mensch;  er  war 
sehr  fromm,  ,,amator  de  la  religione",  selbst  von  den  Ideen  der 
Inquisition  durchdrungen  und  verfolgte,  wie  berichtet  wird,  die 
Ketzer  mit  dem  Eifer  eines  Katholiken,  ,,der  in  Christus  verliebt 
ist".  Agostino  war  von  edler  Cortesia,  er  zahlte  sich  zu  den  Lite- 
raten  und  hat  sogar  interessante  Erinnerungen  hinterlassen,  die  die 
damaligen  Sitten  charakterisieren.  Mosti  hat  sich  Tassos  ehrlich 
angenommen,  aber  furs  erste  war  dem  unglucklichen  Dichter  nicht 
zu  helfen ;  er  warf  sich  auf  seinen  Wachter,  schlug  um  sich,  und  erst  im 
Mai  1 579,  als  er  sich  etwas  beruhigt  hatte,  konnte  man  ihmzweiZimmer 
im  Spital  anweisen,  die  zum  Teil  mit  seinen  eigenen  Geraten,  zum 
Teil  mit  Mdbeln  aus  der  herzoglichen  Guardaroba  ausgestattet  waren. 

Aus  der  herzoglichen  Speisekammer  scheint  man  ihm  auch 
Lebensmittel  geschickt  zu  haben,  da  in  den  Rechnungsbuchern  aus 
den  Jahren  1580  und  1581  wiederholt  der  Posten  vorkommt:  ein 
Pfund  Butter  ,,per  il  Signore  Tasso  ammalato";  von  1582  ab  erhielt 
er  sein  Essen  ganz  aus  der  herzoglichen  Kiiche.  Der  Spitalswein 
scheint  ihm  nicht  geschmeckt  zu  haben,  er  fand  ihn  zu  schwach 
und  wendet  sich  an  Mosti: 

Ditemi  '1  ver:  cotesto  vostro  vino 
E  forse  quel  che  date  a  gli  ammalati 
Perche  da'  fumi  non  siano  aggravati. 

Auch  Salat  und  anderes  Gemiise  scheint  er  nicht  geniigend  be- 
kommen  zu  haben,  obgleich  alles  im  Spitalsgarten  hinreichend 
vorhanden  war: 

Signor  Mosto,  il  vostr'orto  e  cosi  grande 
Che  debbe  aver  raponzoli  e  lattuca, 
Radichi,  indivia  e  quante  erbe  manduca 
Roma  e  condisse  ne  le  sue  vivande. 


TORQUATO  TASSO  37! 

Trotz  der  Klagen  iiber  Wein  und  Salat  war  Mosti  Tassos  ehrlicher 
Freund,  er  suchte  ihm  den  unfreiwilligen  Aufenthalt  im  Spital  auf 
alle  Weise  ertraglich  zu  gestalten;  auch  Mostis  Sohn  Giulio  hat  die 
Manuskripte  des  Dichters  abgeschrieben  und  seine  Kommissionen 
besorgt.  Tassos  Lage  im  Spital  war  vielleicht  besser  als  die  so 
manches  Kranken  in  einem  heutigen  Privatsanatorium.  Aber  der 
Dichter  wurde  nicht  mehr  gesund  und  beklagt  sich  in  einem  Brief 
an  Gonzaga,  ,,sein  Geist  sei  des  Denkens  unfahig,  seine  Phantasie 
erlahmt,  seine  Sinne  abgestumpft,  und  seine  Feder  wolle  ihre 
Pflichten  nicht  mehr  tun".  Trotzdem  schrieb  Tasso  viel,  doch  lassen 
sich  seine  Verse  den  fruheren  nicht  vergleichen.  Zeitweilig  ist  es 
ihm  wohl  besser  gegangen,  so  durfte  er  1580  in  Gesellschaft  eines 
Freundes  maskiert  am  Karneval  in  den  StraBen  teilnehmen.  um 
sich  zu  zerstreuen. 

Wahrend  der  Dichter  in  seinen  Zimmerchen  im  Spital  einge- 
sperrt  war,  gingen  viele  seiner  Abhandlungen  und  Gedichte,  darunter 
auch  die  ,,Gerusalemme",  in  Abschrift  von  Hand  zu  Hand.  Er  selbst 
hat  dazu  beigetragen,  da  er  verschiedene  Exemplare  an  Kritiker 
versandt  hat.  Literarische  Spekulanten  begannen  das  Eigentum  des 
Dichters  zu  pliindern;  schon  1579  erschien  eine  Sammlung  seiner 
Gedichte  in  Genua,  darunter  befanden  sich  vier  Gesange  von  ,,Gof- 
fredo",  und  einige  Monate  spater  gab  Celio  Malespina  in  Venedig 
vierzehn  Gesange  der  ,,Gerusalemme"  unter  dem  Titel  ,,11  Goffredo" 
heraus. 

Dies  veranlaBte  einen  anderen  Literaten,  Angelo  Ingegnere,  einen 
Freund  von  Tasso,  wahrend  seines  Aufenthaltes  in  Ferrara  im  Winter 
1579 — 1580,  im  Laufe  von  sechs  Nachten  die  ganze  Dichtung  ab- 
zuschreiben  und  sie  in  Casalmaggiore  1581  drucken  zu  lassen, 
indem  er  ihr  ihren  eigentlichen  Titel  gab:  ,,Gerusalemme  liberata", 
gegen  den  Willen  des  Dichters,  der  diesen  Titel  fur  wenig  geeignet 
hielt.  Im  selben  Jahre  gab  ein  anderer  Freund  Tassos,  Febo  Bonna, 
eine  zweite  Ausgabe  der  ,,Gerusalemme"  in  Ferrara  heraus,  die  sich 
auf  Tassos  eigenes  Manuskript  stiitzte.  All  diese  Ausgaben  erschienen 
ohne  Genehmigung  des  Dichters,  ja  die  gewissenlosen  Rauber 
seines  literarischen  Eigentums  iiberlieBen  dem  Kranken  nicht  ein- 
mal  einen  Pfennig  aus  ihrem  Gewinn.    Trotzdem  kann  die  Nachwelt 

24» 


372 


ZWOLFTES  KAPITEL 


den  literarischen  Freibeutern  nur  dankbar  sein,  ohne  sie  hatten  wir 
die  Dichtung  nicht  in  ihrer  urspriinglichen  Fassung,  unverdorben 
durch  die  spateren  Uberarbeitungen  und  Zutaten,  die  Tasso  auf 
Antonianos  Veranlassung  gemacht  hat. 

Tasso  wuBte  von  diesen  Diebstahlen,  die  ihn  sehr  emporten; 
iiberzeugt,  daB  er  in  seiner  Freiheit  dies  hatte  hindern  konnen, 
klagte  er  iiber  sein  ,,  Gefangnis",  schrieb  an  all  seine  einfluBreichen 
Bekannten  und  bat  sie,  sich  beim  Herzog  daf;:r  einzusetzen,  daB  er 
ihn  aus  seinem  Schutz  entlasse.  In  der  Stille  des  Spitals  beschaftigten 
ihn  jedoch  die  Vorkommnisse  bei  Hof,  und  er  verfaBte  fortwahrend 
Gelegenheitsgedichte.  Er  bekam  viel  Besuch  von  Bekannten  und 
von  verschiedenen  Beruhmtheiten,  so  von  Aldo  Manuzio,  seinem 
Jugendfreund,  den  Tasso  mit  einem  Sonett  bedacht  hatte,  und  von 
Muzio  Manfredi,  der  den  Dichter  ziemlich  ruhig  ,,assai  in  cervello" 
befunden  hatte.  Das  einformige  Leben  schien  allmahlich  auf  Tassos 
Gesundheit  giinstig  einzuwirken,  da  der  Herzog  ihm  1582  erlaubte, 
bei  groBeren  Festen  zu  Hof  zu  kommen  und  die  Prinzessin  Lucrezia 
sich  ein  Jahr  spater  bemuhte,  Tasso  die  Erlaubnis  zu  erwirken  drei- 
mal  wochentlich,  von  einem  Freund  begleitet,  in  der  Stadt  spazieren 
zu  gehen.  Die  Besserung  hielt  aber  nicht  an,  eines  Tages  entriB  Tasso 
einem  ihn  besuchenden  Freund  den  Degen,  wohl  in  der  Annahme,  daB 
er  ihn  ermorden  wolle,  ein  andermal  schrieb  er  Scipione  Gonzaga,  er 
moge  ihm  mit  einem  absolut  zuverlassigen  Menschen  eine  Arznei 
schicken,  da  er  befiirchte,  daB  man  ihm  in  Ferrara  Gift  in  die  Schach- 
tel  streue. 

Einen  aufrichtigen  Freund  fand  Tasso  im  Monch  Angelo  Grillo, 
der  einer  bekannten  genuesischen  Familie  angehorte  und  sich  eine 
Zeit  hindurch  in  Ferrara  aufhielt.  Grillo  verstand  das  Vertrauen  des 
Dichters  zu  gewinnen,  und  durch  ihn  versuchte  Tasso  bei  den  Gonzaga 
wie  beim  Kardinal  d'Albano  seine  Befreiung  aus  dem  Gefangnis  zu 
erwirken.  Grillo  schrieb  nach  Mantua  und  Rom,  um  Tasso  zu  helfen, 
doch  niemals  machte  er  Alfonso  einen  Vorwurf  daraus,  daB  er  Tasso 
im  Spital  festhielt,  er  war  im  Gegenteil  iiberzeugt,  daB  Tasso  sein  ver- 
meintliches  Gefangnis  mehr  dem  Mitleid  als  der  Strenge  des  Herzogs 
zu  danken  habe.  Tasso  hoffte  gesund  zu  werden,  ,, durch  Luft,  — Kost 
— jaselbstWeinveranderung,  dieseinem  Geschmackmehrentsprache". 


TORQUATO  TASSO  373 

Der  Kardinal  d'  Albano  setzte  sich  fiir  Tasso  bei  Alfonso  ein, 
der  Herzog  antwortete  sehr  liebenswiirdig,  daB  er  nur  zu  gern  bereit 
ware,  den  Dichter  aus  dem  Spital  zu  entlassen,  vorausgesetzt,  daB 
er  eine  andere  Unterkunft  fande;  einen  Kranken  aber  konne  er 
nicht  schutzlos  aus  der  Stadt  entlassen. 

Wahrend  man  sich  mit  dem  kiinftigen  Schicksal  des  Dichters  be- 
schaftigte,  hatte  dessen  Zustand  sich  wieder  verschlechtert ;  in  einem 
seiner  Briefe  beklagt  er  sich,  daB  er  nachts  nicht  schlafen  konne, 
nicht  wisse,  was  mit  ihm  vorgehe,  daB  der  Teufel  im  selben  Zimmer 
schlafen  miisse,  denn  er  offne  seine  Schranke  und  stehle  sein  Geld. 
In  diesem  Zustand  konnte  er  nicht  aus  dem  Spital  entlassen  werden. 


VIII 

Der  kinderlose  Alfonso  versuchte  alles,  um  den  Este  nach  seinem 
Tod  die  Herrschaft  in  Ferrara  zu  sichern;  zu  diesem  Zwecke 
stiftete  er  die  Ehe  seines  Neffen  Don  Cesare  mit  Virginia  de'  Medici, 
Cosimos  I.  Tochter.  Er  hoffte,  die  beiden  machtigen  Geschlechter 
wiirden  sich  vereint  der  Absicht  der  romischen  Kurie,  Ferrara  als 
Kirchengut  einzuziehen,  leichter  widersetzen  konnen.  Die  Trauung 
des  jungen  Paares  wurde  in  Florenz  am  6.  Februar  1586  festlich 
begangen,  und  Tasso  beniitzte  die  allgemeine  Freude,  um  Don 
Cesare  zu  bitten,  sich  fiir  seine  ,,Entlassung  aus  dem  Gefangnis" 
beim  Herzog  einzusetzen.  Er  hatte  jedoch  das  Ungliick,  jedesmal, 
wenn  er  sich  um  seine  Freiheit  bemuhte,  etwas  zu  begehen,  das 
diese  Freiheit  vereitelte.  Am  16.  Februar  warf  er  sich  mit  dem  Dolch 
auf  seinen  Freund  Constantini,  der  kaum  durch  die  Tiir  zu  ent- 
kommen  vermochte. 

Und  doch  gab  es  im  Jahre  1586  eine  Gelegenheit,  ihn  aus  dem 
Spital  zu  entlassen  und  anderem  Schutz  anzuvertrauen.  Im  Juli 
kam  Vincenzo  Gonzaga  nach  Ferrara  und  bat  den  Herzog,  Tasso 
fiir  einige  Zeit  nach  Mantua  mitnehmen  zu  diirfen,  da  die  Luft- 
und  Ortsveranderung  giinstig  auf  seinen  Geisteszustand  einwirken 
konne.  Alfonso  gab  seine  Einwilligung,  und  Tasso  beschloB  frohen 
Herzens  zur  Madonna  delle   Grazie,   bei   Mantua,   zu  pilgern,   um 


374 


ZWOLFTES  KAPITEL 


seiner  Beschiitzerin  fur  die  ihm  zuteil  gewordene  Gnade  zu  danken. 
Er  hatte  es  so  eilig,  Ferrara  zu  verlassen,  daB  er  weder  Biicher  noch 
Manuskripte  mitnahm,  und  sofort  den  Bucentaur  bestieg,  mit  dem 
Vincenzo  Gonzaga  nach  Mantua  reisen  sollte.  Nach  mehr  als  sieben 
Jahren  zum  erstenmal  in  Freiheit! 

Gonzaga  nahm  sich  seiner  ernsthaft  an.  Er  gab  ihm  ein  Zimmer 
im  SchloB,  lieB  ihm  neue  Kleider  machen  und  erlaubte  ihm,  ihn 
jeden  Morgen  zu  besuchen.  Tasso  war  gliicklich,  er  berichtet 
einem  Freunde,  er  habe  ein  wunderschones  Zimmer,  und  der  Herzog 
sei  sehr  liebenswiirdig  gegen  ihn,  nur  die  in  Ferrara  verbliebenen 
Manuskripte  und  Biicher  beunruhigten  ihn.  Er  bat  die  Herzogin 
Margherita,  sein  Eigentum  einzufordern,  doch  war  nichts  mehr 
vorhanden,  seine  Freunde  und  Verehrer  hatten  alles  zum  ,,Anden- 
ken"  mitgenommen. 

Einige  Monate  ging  es  Tasso  in  Mantua  besser,  die  neue  Um- 
gebung  und  haufige  Ausfluge  ins  Freie  wirkten  zerstreuend  auf 
ihn,  aber  diese  Besserung  dauerte  wie  immer  nur  kurze  Zeit;  der 
Dichter  begann  wieder  iiber  Melancholie  und  Verlust  seines  Ge- 
dachtnisses  zu  klagen.  Es  schmerzte  ihn  tief,  daB  seine  Altersge- 
nossen  es  in  Ferrara  zu  etwas  gebracht  hatten,  wahrend  seine  Ge- 
sundheit  ihn  stets  gehindert  hatte,  auch  nur  die  bescheidenste  Po- 
sition zu  erringen;  seltsamerweise  hat  diese  Position  ihn  gelegentlich 
mehr  beschaftigt,  als  sein  literarischer  Ruhm.  Sein  Streben  war 
jetzt  darauf  gerichtet,  an  seinem  Werk  zu  feilen,  einige  Abschnitte 
auszulassen  und  seine  religiosen  Skrupel  zu  iiberwinden. 

Nach  einiger  Zeit  hatte  Tasso  auch  in  Mantua  keine  Ruhe  mehr, 
er  wollte  so  schnell  als  moglich  fort,  entweder  nach  Genua,  wo  ihm 
Pater  Grillo  eine  Professur  fur  Ethik  verschaffen  sollte,  oder  nach 
Neapel,  um  einen  ProzeB  wegen  der  Mitgift  seiner  Mutter  —  eine 
Forderung  von  zweimalhundertfiinfzigtausend  Scudi  —  anzu- 
strengen.  Wieder  argerte  es  ihn,  daB  er  nicht  ganz  frei  war,  denn 
auf  Wunsch  des  Herzogs  muBte  er  sich  stets  von  einem  Diener  be- 
gleiten  lassen,  auBerdem  fiirchtete  er  in  demfeuchten  Klima  von  Man- 
tua krank  zu  werden.  Er  ging  nach  Genua  und  machte  unterwegs  in 
Borgo  Pignolo  im  Bergamaskischen  Halt,  um  seine  Verwandten 
zu  besuchen.    Aber  dieser  ,,fabbricatore  della propria infelicita",  wie 


TORQUATO  TASSO  375 

ihn  mit  Recht  einer  seiner  Biographen  genannt  hat,  hatte  das  Ziel 
seiner  Reise  noch  nicht  erreicht,  und  schon  packte  ihn  die  Sehn- 
sucht  nach  dem  Leben  am  Hofe;  er  ging  nach  Mantua  zuriick,  ,,da 
er  es  nicht  abwarten  konnte,  die  Hand  des  neuen  Herzogs  Vin- 
cenzo  zu  kiissen",  der  die  Regierung  nach  dem  Tode  des  Vaters 
angetreten  hatte.  Unmittelbar  nach  seiner  Ruckkehr  nach  Mantua 
war  er  tief  verletzt,  daB  der  Herzog  ihn  noch  nicht  empfangen  hatte, 
,,che  no  ha  bacciato  ancora  le  mani  al  serenissimo  signor  Duca", 
aber  bald  trostete  er  sich  und  verfaBte  eine  Kanzone  zur  Kronung 
des  zweiundzwanzigjahrigen  Herrschers.  Tasso  wollte  iiberall  ver- 
wohnt  und  geehrt  werden,  ein  gut  bezahlter  Hofmann,  ohne  jeg- 
liche  Verpflichtung  sein,  und  stets  fuhlte  er  sich  verletzt  und  in  seiner 
Ehre  gekrankt. 

Als  es  sich  herumsprach,  daB  der  Herzog  von  Ferrara  und  seine 
Gattin  in  Mantua  erwartet  wurden,  fuhlte  sich  Tasso  nicht  mehr 
sicher,  er  furchtete,  Alfonso  wurde  ihn  mitnehmen  und  ins  Spital 
stecken;  ohne  jemand  ein  Wort  zu  sagen,  ohne  sich  selbst  vom 
jungen  Herzog  zu  verabschieden,  floh  er  nach  Rom.  Der  verletzte 
Gonzaga  wollte  ihn  durch  seinen  Gesandten  zuriickholen  lassen, 
da  er  sich  Alfonso  gegeniiber  fur  den  Dichter  gewissermaBen  ver- 
antwortlich  fuhlte,  auBerdem  furchtete  er,  dem  Herzog  von  Ferrara 
wurde  Tassos  Aufenthalt  in  Rom  unangenehm  sein.  Der  damalige 
Papst  Sixtus  V.  war  gegen  die  Fremden  in  Rom  auBerordentlich 
streng.  Er  befahl,  Tasso  keinerlei  Schwierigkeiten  zu  machen,  ver- 
sagte  ihm  jedoch  jede  materielle  Unterstiitzung.  Tasso  kam  dies- 
mal  als  gebrochener  Sunder,  als  der  gehorsame  Dichter  der  Inqui- 
sition nach  Rom;  er  bereute  sogar,  der  Verfasser  des  ,,Befreiten 
Jerusalem"  zu  sein,  und  versuchte  die  Irrtumer  seines  Lebens 
durch  Gedichte  wieder  gutzumachen,  die  dem  Geist  der  Jesuiten 
entsprachen. 

Mit  Tassos  Aufenthalt  in  Rom  im  Jahre  1587  beginnt  der  letzte 
Akt  in  der  Tragodie  seines  Lebens,  der  Akt,  in  dem  der  Mensch  sich 
der  groBen  Gaben,  die  ihm  geworden,  unwiirdig  erweist.  Er  erklart 
ausdrucklich,  seine  Bestimmung  sei  ,,piacere  e  onore"  gewesen, 
und  er  wiinsche  nichts  anderes,  als  ,, be  quern  unter  den  groBten 
Wurdentragern"  niederzusitzen.    Unter  dem  EinfluB  der  romischen 


376  ZWOLFTES  KAPITEL 

Umgebung  traumt  er  von  geistlichen  Wurden  und  Pfrunden  und 
bekennt,  daB  er,  da  er  ,,nicht  imstande  sei,  ein  eheliches  Biindnis 
einzugehen,  nur  an  geistliche  Ehren  denke."  Zuweilen  kommen 
ihm  Zweifel,  an  der  Moglichkeit  diese  Ehren  zu  erreichen,  in  solchen 
Augenblicken  spielt  er  mit  dem  Gedanken  an  eine  reiche  Ehe,  durch 
die  er  eine  materiell  gesicherte  Existenz  erreichen  wollte.  Als  er 
erfahrt,  daB  die  Herzogin  von  Mantua  ihm  zwei  Tiirkisen  schenken 
will,  bittet  er  schleunigst,  ihm  an  Stelle  der  Tiirkisen  einen  Rubin 
und  eine  in  Gold  gefaBte  Perle  zu  schenken,  damit  er  im  Falle  einer 
Heirat  den  Verlobungsring  bereit  habe.  Die  friiheren  Wahnsinns- 
ausbriiche  kehren  nicht  wieder,  er  wird  ein  ruhiger,  nicht  von  Idea- 
len  beschwerter  Mensch,  dessen  Geist  durch  ein  widriges  Geschick 
gebrochen  ist,  ein  Dichter  ohne  hoheren  Flug  und  Feuer.  Er  ist 
fast  bis  an  den  Bettelstab  gebracht,  borgt  von  Freunden  und  Be- 
kannten  Geld,  Biicher,  selbst  Hemden.  Er  schreibt  Gelegenheits- 
gedichte,  um  Geschenke  zu  ergattern  und  gesteht  selbst,  daB  er 
,,gezwungen  sei  zu  liigen  und  Menschen  zu  loben,  die  dessen  nicht 
wert  seien",  schlieBlich  packt  ihn  der  Ekel  vor  sich  selbst.  ,,Nichts 
bin  ich,"  schreibt  er,  ,,nichts  kann  ich,  ja  ich  habe  nicht  einmal 
Wunsche."  Gelegentlich  fiihlt  er  seine  elendeErniedrigung,klagt  iiber 
seinen  tiefen  Fall  und  schreibt  der  GroBherzogin  von  Toskana,  sein 
Ungliick  sei  beispiellos  und  lieBe  sich  mit  niemandes  Geschick  ver- 
gleichen,  ,,senza  antico  esempio  e  senza  nuovo  paragone,  grande, 
inaudita,  insolita,  miserabile  e  maravigliosa". 

Viele  seiner  Freunde  waren  durch  seine  fortwahrenden  Belasti- 
gungen  und  sein  Kriechen  vor  den  GroBen  verletzt;  als  er  sah, 
daB  man  sich  in  Rom  von  ihm  zuriickzuziehen  anfing,  iibersiedelte 
er  nach  Neapel,  wo  er  krank  und  gebrochen  eine  Zufluchtsstatte 
im  Kloster  Monte  Oliveto  fand.  Um  sich  den  Monchen  dankbar  zu 
erweisen,  verfaBte  er  ein  Gedicht ,, Monte  Oliveto",  das  die  Anfange 
des  Ordens  und  die  Grundsatze  der  Monche  verherrlichte.  Dieses 
Gedicht  sollte  seinen  heiBen  Glauben  bezeugen,  aber  es  ist  nur  ein 
unreiner  Ton  auf  einer  verstimmten  Harfe.  Der  Dichter  hat  es  dem 
Kardinal  Antonio  Caraffa,  dem  Protektor  der  Monche  von  Monte 
Oliveto,  gewidmet,  und  diese  Widmung  beweist,  wie  fern  Tasso  jenen 
Tagen  steht,  da  er  seinen  ,,Rinaldo"  dem  Kardinal  Luigi  d*  Este 


TORQUATO  TASSO  377 

widmete,  jenem  Kardinal,  der  so  ganz  anders  geartet  war,  als  die 
Mitgli^der  der  Familie  des  furchtbaren  Reformators  der  Inquisition. 

In  Neapel  lebte  Tasso  etwas  auf,  da  er  dort  viele  Beziehungen 
aus  seiner  Jugend  hatte ;  auBerdem  suchte  die  gesamte  dortige  vor- 
nehme  Welt  den  Dichter  der  „Gerusalemme"  kennen  zu  lernen;  er 
wurde  besucht  und  von  den  aristokratischen  Familien  eingeladen; 
dann  zerstreute  und  beschaftigte  ihn  die  Hoffnung,  den  ProzeB  mit 
der  Regierung  um  sein  miitterliches  Erbteil  zu  gewinnen.  Der  arme 
Teufel  mufite  sich  bald  iiberzeugen,  ,,daB  jeder  ProzeB  ein  groBes 
Obel  sei,  und  das  allergroBte,  wenn  man  die  Regierung  zum  Gegner 
habe".  Die  Hoffnung,  die  von  den  Spaniern  annektierten  Giiter  der 
Mutter  zuriickzuerlangen,  erwies  sich  als  aussichtslos. 

Unbestandig  wie  immer,  kam  Tasso  nach  Rom  zuriick  und  war 
von  jetzt  ab  abwechselnd  in  Rom,  Bologna,  Florenz,  Mantua  und 
Neapel,  er  ging  von  Kloster  zu  Kloster,  von  Spital  zu  Spital,  haufig 
schwer  krank,  bettelnd  und  seinen  Bekannten  so  sehr  zur  Last 
fallend,  daB  der  eine  ihn  verachtlich  ,,questo  semiuomo"  nannte. 

Trotz  des  vermeintlichen  Unrechts,  das  ihm  in  Ferrara  ge- 
schehen  war,  versuchte  er  wieder  hinzugehen  und  wandte  sich 
wiederholt  an  den  Herzog.  Er  schrieb  ihm  im  Dezember  1594: 
wenn  man  Vergangenes  ausloschen  konne,  so  wiirde  er  nichts  so 
sehr  wiinschen  als  einen  Dienst  an  seinem  Hof.  Er  fleht  den  Herzog 
an,  sich  seiner  zu  erbarmen,  und  bittet  Gott,  Alfonso  moge  ihm  ver- 
zeihen.  Aber  der  Herzog  wollte  sich  nicht  neuen  Unannehmlich- 
keiten  durch  den  Dichter  aussetzen. 


IX 

Auf  Tassos  letzte  Lebensjahre  fiel  noch  ein  Schimmer  von  Gliick, 
wenn  man  in  seiner  traurigen  Lage  von  Gliick  sprechenkann.  Nach 
langen  Kampfen  hat  er  sich  der  neuen  Gesellschaft  angepaBt  und 
nicht  langer  unter  dem  geistig  engen  Horizont  gelitten;  er  schrieb 
ein  zweites  ,,frommes"  Jerusalem  und  verfaBte  Monchsgedichte 
wie  die  ,,Vita  di  S.  Benedetto".  Sein  Dichterruhm  begann  ihm  die 
Tore  der  Palaste  zu  offnen,  in  denen  man  sich  im  Glanz  der  Wissen- 


378 


ZWOLFTES  KAPITEL 


schaft  und  Poesie  sonnen  wollte.  So  lud  ihn  in  Neapel  der  Principe 
di  Conca  zu  sich  ein.  Tasso  sah  fiir  einen  Augenblick  seine  Wlinsche 
erfullt:  er  wohnte  in  stolzen  Gemachern,  geschmiickt  mit  Bildern 
von  Raffael,  Tizian,  Battista  Dossi  und  Sebastiano  del  Piombo;  er 
hatte  eine  reiche  Bibliothek  und  eine  Dienerschaft  in  kostbarer 
Livree  zu  seiner  Verfugung.  Um  seine  Freundschaft  bewarb  sich 
auch  ein  anderer  vermogender  Neapolitaner  Manso,  der  spater  seine 
Biographie  verfaBt  hat  und  jeden  Augenblick  bereit  war,  ihn  in  seine 
schon  gelegene  Villa  aufzunehmen.  Der  mangelnde  Takt  des  Fiirsten 
Conca  trug  dazu  bei,  die  Wiinsche  des  gelehrten  Macens  schnell  zu 
verwirklichen.  Der  Furst  verlangte  zu  heiB  und  hartnackig,  daB  die 
,,Gerusalemme  conquistata"  unter  seinem  Patronat  erscheine,  damit 
dieser  Ruhm  seinem  Haus  zufalle.  Da  er  Tassos  unbestandigen 
Charakter  kannte,  fiirchtete  er,  der  Dichter  konne  trotz  der  ihm 
gebotenen  Bequemlichkeiten  Neapel  mit  seinem  Manuskript  ver- 
lassen  oder  sich  um  eine  andere  Protektion  bemiihen.  Er  teilte  ihm 
einen  Diener  zu,  der  moglichst  unauffallig  daniber  zu  wachen  hatte, 
daB  der  Dichter  seinen  Schatz,  die  ,,Gerusalemme",  die  schon  zu 
einem  umfangreichen  Buch  angewachsen  war,  nicht  aus  dem  Pa- 
last  entferne.  Der  Diener  hat  seine  Pflicht  allzu  eifrig  erfullt,  so  daB 
der  miBtrauische  Tasso  der  besonderen  Obhut  gewahr  wurde,  unter 
der  er  stand,  und  Manso  davon  in  Kenntnis  setzte.  Die  Freunde 
beschlossen,  dem  Fiirsten  das  Ungehorige  seines  Benehmens  zu 
zeigen;  eines  Tages  kam  Manso  zu  Tasso,  nahm  die  Handschrift 
in  die  eine  Hand,  die  andere  gab  er  dem  Dichter  und  geleitete  ihn 
in  seine  Villa.  Der  Diener,  vor  Schrecken  starr,  berichtete  seinem 
Herrn,  was  geschehen  war,  aber  Furst  Conca  gab  vor,  daB  ihn  die 
Ubersiedlung  des  Dichters  mit  dem  Manuskript  zu  Manso  nichts 
angehe.  Bei  Manso  verbrachte  der  Dichter  die  angenehmste  Zeit 
seines  Lebens,  seine  Wiinsche  waren  erfullt:  ,,sedere  con  nobilis- 
simi  cavalierie",  da  in  Mansos  Haus  alle  Beriihmtheiten  Neapels 
verkehrten.  Er  begann  damals  den  ,,Mondo  Creato"  zu  schreiben, 
eine  Dichtung  von  der  Schdpfung  der  Welt,  mit  der  er  die  in  der 
,,Liberata"  begangenen  Fehler  gutmachen,  sich  von  den  ketzerischen 
Siinden  seiner  Jugend  reinwaschen,  und  das  Bekenntnis  eines  unver- 
bruchlichen  Glaubens  niederlegen  wollte.    Die  an  Heinrichs  III.  Hof 


TORQUATO  TASSO  379 

viel  gelesene  franzosische  Dichtung  ,,La  sepmaine  ou  creation  du 
monde"  von  Wilhelm  de  Saluste  Du  Bartas,  hat  ihn  sicherlich  zu 
diesem  Werk  angeregt.  Tassos  umfangreiche  Dichtung  in  fliefienden 
Versen,  voll  philosophischer  Betrachtungen,  erkaltet  durch  ihre 
niichternen  Erwagungen  und  entspringt  keinem  inneren  Bediirfnis, 
ex  abundantia  cordis.  Trotzdem  fand  er  eine  Reihe  von  Nach- 
ahmern  im  Italien  des  XVI.  und  XVII.  Jahrhunderts  und  hat  Milton 
zu  seinem  „Verlorenen  Paradies"  angeregt.  Milton  war  als  DreiBig- 
jahriger  in  Neapel,  und  ein  Einsiedler  hat  ihn  mit  Manso  bekannt 
gemacht.  Der  junge  Englander  und  der  alte  Neapolitaner  haben 
sich  gut  verstanden,  sie  haben  lateinische  Verse,  von  gemeinsamer 
Bewunderung  iiberflieBend,  ausgetauscht,  und  Milton  hat  in  seinem 
Epos  Manso  als  Freund  und  Biographen  Tassos  gefeiert: 

Te  pridem  magno  felix  concordia  Tasso 
Iunxit  et  aeternis  inscripsit  nomina  chartis. 

Wahrend  Torquatos  Aufenthalt  in  Neapel  wurde  der  Kardinal 
Ippolito  Aldobrandini  zum  Papst  als  Klemens  VIII.  gewahlt.  Diese 
Nachricht  erfullte  den  Dichter  mit  neuer  Hoffnung,  er  kannte  Aldo- 
brandini und  rechnete  darauf,  daB  der  Papst  sich  seiner  annehmen 
wurde.  Es  duldete  ihn  nicht  langer  in  Neapel,  er  ging  am  26.  April 
1592  nach  Rom,  wo  ihn  der  papstliche  Neffe  Cincio  Passeri  Aldo- 
brandini mit  viel  Wohlwollen  empfing.  Cincio  hatte  in  seinem  Hause 
eine  Akademie  begriindet,  die  Mitglieder  wohnten  und  aBen  bei  ihm, 
und  man  kann  sich  vorstellen,  wie  begliickt  die  Literaten  iiber  diesen 
neuen  Macen  waren  und  wieviel  Abhandlungen  und  Gedichte  ihm 
gewidmet  wurden.  Cincio  lud  auch  Tasso  zu  sich  ein,  doch  war 
seine  Gastfreundschaft  nicht  ganz  selbstlos,  da  der  ruhmsuchtige 
papstliche  Nepote  ebenso  wie  der  Fiirst  Conca  und  der  Marchese 
Manso  wiinschte,  daB  die  ,,Conquistata"  unter  seinen  Auspizien 
und  in  seinem  Haus  beendet  und  gedruckt  wiirde. 

Wahrend  Tasso  sein  Epos  iiberarbeitete,  schrieb  er  ein 
kurzes  Gedicht  ,,Le  lagrime  di  Maria  Vergine",  zu  dem  ihn 
ein  schones  Madonnenbild,  vermutlich  von  Diirer,  angeregt  hat: 
Eine  Mutter  Gottes  in  heiBem  Gebet,  deren  Augen  Tranen  ent- 
stromen. 


380  ZWOLFTES  KAPITEL 

Obgleich  Torquato  im  Vatikan  ein  schones  Zimmer  mit  Ausblick 
auf  den  Garten  hatte,  krankelte  er  fOrtwahrend  und  war  unzu- 
frieden.  Aber  seine  Eitelkeit  war  befriedigt,  da  er  haufig  mit  Kar- 
dinalen und  romischen  Beriihmtheiten  speiste.  In  einem  Briefe  an 
Fabio  Gonzaga  gesteht  er,  der  einzige  Trost  im  Fieber,  das  ihn 
kaum  verlasse,  seien  die  Ehrenbezeugungen,  die  man  ihm  im  Va- 
tikan erweise  und  die  man  ihm  anderwarts,  in  Mantua  z.  B.,  vor- 
enthalten  habe.  So  nahm  er  an  einem  Mittagbrot  mit  mehreren 
Kardinalen  teil,  und  war  der  einzige  Hofmann  im  ganzen  Palast, 
den  man  dieser  Ehre  fur  wiirdig  befunden  hatte.  Ahnliche  Riick- 
sichten  wurden  ihm  zuteil  in  den  Hausern  der  romischen  Magnaten: 
der  Colonna,  Orsini  und  Gaetani.  Stets  unzufrieden,  sehnte  er  sich 
aus  dem  Vatikan  nach  Neapel,  wo  er  durch  Seebader  zu  gesunden 
hoffte.  Er  verschob  seine  Abreise  nur,  da  er  auf  die  Ernennung 
Cincio  Aldobrandinis  zum  Kardinal  wartete;  diese  Feier  wollte  er 
durch  seine  Dichtung,  die  dem  kiinftigen  Kirchenfiirsten  gewidmet 
war,  verherrlichen.  Cincio  sejnerseits  hatteTasso  versprochen,  ihn  auf 
dem  Kapitol  mit  dem  Dichterlorbeer  kronen  zu  lassen.  Tasso  war  in 
Erwartung  dieser  Ehre  so  sehr  vom  Gefiihl  seiner  GroBedurchdrungen, 
daB  er  nur  mit  goldner  Halskette  und  dem  Degen  an  der  Seite  auf 
die  StraBe  ging  und  sich  dem  allgemeinen  Spott  aussetzte. 

Am  17.  September  1593  ernannte  der  Papst  endlich  den  Sohn 
seines  Bruders  Pietro  Aldobrandini  und  Cincio,  den  Sohn  seiner 
Schwester,  zu  Kardinalen.  Der  letztere  nannte  sich  Kardinal  di 
San  Giorgio,  um  sich  von  Pietro,  der  den  Familiennamen  Aldo- 
brandini behalten  hatte,  zu  unterscheiden.  Tasso  veroffentlichte 
seine  Dichtung  ,,Gerusalemme  conquistata",  doch  machte  sie  den 
erwarteten  Eindruck  nicht,  sie  war  zu  sehr  Antonianos  einstigen 
Wiinschen  entsprechend  auf  Monche  und  Nonnen  zugeschnitten. 
Die  Dichtung  hat  viel  boses  Blut  in  Ferrara  gemacht,  da  Tasso  die 
an  die  Adresse  der  Este  gerichteten  Komplimente  wieder  ge- 
strichen  hat.  Alf onsos  Geiz  war  nach  Tassos  eigener  Aussage  daran 
schuld,  da  er  sich  geweigert  hat,  dem  Dichter  fur  sein  Lob  klingen- 
den  Lohn  zu  bezahlen. 

1593,  nach  dem  Erscheinen  der  „Gerusalemme",  ging  Tasso 
nach  Neapel  zu  den  Benediktinern  ins  Kloster  San  Severino.    Er 


TORQUATO  TASSO  381 

schrieb  dort  viel  Gedichte  von  geringer  Bedeutung,  besuchte  alte 
Bekannte  und  ging  haufig  in  Gesellschaft.  Sehr  befreundet  war  er 
mit  Monsignore  Stanislas  Reszka,  dem  Gesandten  der  polnischen 
Kdnige  Stefan  Batory  und  Sigmund  III.  am  neapolitanischen  Hofe. 
Tasso  muBte  Reszka  schon  friiher  in  Rom  oder  Neapel  kennen 
gelernt  haben  und  hat  ein  Sonett  an  ihn  gerichtet,  das  zu  Beginn 
des  XIX.  Jahrhunderts  vom  Marchese  Gian  Giacomo  Trivulzio 
veroffentlicht  wurde.  Sebastian  Ciampi,  der  polnisch-italienischen 
Beziehungen  nachgegangen  ist,  hat  es  in  seinem  am  2.  Juni  1828 
an  Visconti  gerichteten  Brief  nachgedruckt.     Es  lautet: 

Napoli  mia,  che  a  peregrini  egregi 
Cedesti  la  corona  e'l  proprio  regno, 
E  fermasti  a  gran  sede  alto  sostegno 
Del  gelato  aquilon  traslati  i  regi; 

Par  non  avesti  con  piu  eccelsi  fregi 
D'  eterna  fama  e  d'onorato  pegno 
Di  vera  pace  o  pur  d'arte  e  d'ingegno 
Di  sermo  e  di  valor,  si  rari  pregi; 

Mentre  il  buon  Rescio  e  teco  e  in  te  s'accoglie 
Ah!  la  gloria  d'  Europa  in  lue  ci  serba, 
Se  del  publico  cuor  hai  cura  e  zelo. 

Onda  salubre,  e  caldo  fonte,  ed  erba 

Sgombri  al  saggio  signor  le  ingiuste  doglie; 
Ch'ei  ti  placa  la  terra  e  placa  il  cielo. 

Reszka  empfing  viel  literarische  Beriihmtheiten  in  seinem 
Hause,  auch  Tasso  war  ein  haufig  gesehener  Gast  und  las  dort  seine 
Gedichte  vor.  Ein  Exemplar  seiner  ,,Gerusalemme  conquistata" 
hat  er  Reszka  in  sehr  schmeichelhafter  Form  gewidmet: 

Al  sig.  Stanislao  Rescio  nuncio  illustrissimo 
Rescio,  s'io  passero  l'alpestre  monte 
Portato  a  vola  da'  toscani  carmi 
Giunto,  diro  con  vergognosa  fronte, 


382  ZWOLFTES  KAPITEL 

Dove  ha  tanti  il  tuo  re  cavalli  et  armi 
Altri  di  Voi  gia  scrive  altri  racconte 
Le  altere  imprese  e  le  scolpisca  in  marmi; 
Ne'  taccia  a  tanti  pregi  onde  rimbomba 
Non  minor  fama  la  gia  stanca  tromba. 

Das  Exemplar  der  ,,Conquistata"  mit  dieser  Widmung  befand 
sich  im  Jahr  1828  im  Besitz  der  Buchhandlung  Giovanni  Battista 
Petrucci  in  Rom;  der  Englander  Graf  Guilford  hat  es  dort  erworben. 
Der  jetzige  Aufenthaltsort  des  kostbaren  Exemplars  ist  unbekannt, 
wahrscheinlich  ist  es  in  einer  englischen  Privatsammlung  zu  finden. 

Der  erste  Vers  der  oben  angefiihrten  Ottave  brachte  Ciampi  auf 
den  Gedanken,  Tasso  habe  die  Absicht  gehabt,  nach  Polen  zu  reisen 
und  dort  das  Gliick  zu  suchen,  das  er  in  der  Heimat  nicht  finden 
konnte.  Aber  schon  Guasti  hat  in  seinen  Briefen  darauf  hingewiesen, 
daB  sich  dieser  Vers  nicht  auf  Tasso  selbst,  sondern  auf  seine  Werke 
bezieht,  die  iiber  die  Alpen  nach  Polen  dringen  wiirden;  Guasti  hat 
wohl  recht,  denn  die  Annahme,  der  kranke,  dem  Grabe  so  nahe 
Tasso  konne  im  Ernst  den  Gedanken  erwogen  haben,  in  das  so  feme 
Polen  zu  gehen,  ist  wenig  iiberzeugend.  Wahrscheinlich  war  dieser 
Vers  nur  eine  der  vielen  Hdflichkeitsphrasen,  von  denen  die  da- 
malige  Poesie  wimmelt. 

Tassos  wartete  ein  naheres  Ziel:  seine  letzte  Reise  nach  Rom. 
Der  Kardinal  Cincio  war  urn  seine  Gesundheit  besorgt,  er  glaubte, 
der  Dichter  konne  im  Vatikan  mehr  Bequemlichkeiten,  als  bei  den 
Benediktinern  in  Neapel  finden,  er  lud  ihn  daher  nach  Rom  ein 
und  schickte  ihm  fiinfzig  Scudi  fur  die  Reise.  Tasso  traumte  von 
der  Kronung  auf  dem  Kapitol  in  Rom,  er  machte  eine  Reihe  wert- 
loser  Gedichte,  wohl  mehr  aus  Gewohnheit,  als  aus  innerem 
Drang,  und  erkrankte  im  Marz  1594  sehr  schwer.  Er  wiinschte  aus 
dem  Vatikan  in  das  Kloster  S.  Onofrio  in  Gianicolo  gebracht  zu 
werden,  da  die  Arzte  ihm  die  dortige  Luft  empfohlen  hatten.  ,,Dort 
an  diesem  hochgelegenen  Ort  werde  ich",  sagte  Tasso,  ,,Gesprache 
mit  den  Monchen  von  St.  Onofrio  fiihren,  die  im  Himmel  enden 
werden."  Er  hatte  sich  fiir  jenes  Kloster  auch  deshalb  entschieden, 
weil  seine  Mutter  von  der  Familie  Gambacorta,  den  friiheren  Des- 


TORQUATO  TASSO  383 

poten  Pisas,  abstammte,  und  Pietro  Gambacorta  der  Griinder  des 
Eremitenklosters  des  heiligen  Girolamo  gewesen  war. 

Der  Zustand  des  Dichters  verbesserte  sich  im  Kloster  nicht,  er 
war  Fieber-  und  Wahnsinnsanfallen  unterworfen,  schlug  mit  dem 
Pantoffel  nach  dem  Arzt  und  zwang  den  Diener,  die  Medizin  aus- 
zutrinken,  im  Glauben,  daB  sie  vergiftet  sei.  Der  Kardinal  Cincio 
erwies  ihm  viel  Freundlichkeit,  gab  ihm  zwei  Diener,  schickte 
seinen  Arzt  und  kam  fur  alle  Wunsche  des  Dichters  auf.  In  seinen 
letzten  Tagen  war  Tasso  sehr  verandert,  er  wurde  sanft,  be- 
reitete  sich  fur  den  Tod  vor  und  bat,  im  Kloster  S.  Onofrio 
beigesetzt  zu  werden.  Am  25.  Marz  1594  starb  er  mit  den 
Worten:  ,,In  manus  tuas  Domine"...  die  er  nur  noch  stammeln 
konnte. 

Tasso  war  groB,  mager,  und  dunkelblond;  er  hatte  sparliches 
Barthaar,  eine  groBe  Nase,  groBe  Augen  und  blasse  Lippen;  seine 
langen  Hande  und  FiiBe  machten  ihn  ungeschickt.  Er  sprach 
langsam,  stotternd  und  wiederholte  die  letzten  Worte  eines  Satzes 
haufig.  Er  hat  nicht  leicht  geschrieben,  viel  gestrichen  und  seine 
Verse  zehnmal  und  noch  mehr  durchgefeilt.  In  seinem  Dialog 
iiber  ,,die  Liebe"  gesteht  er  Marfisa  d'  Este,  die  um  ein  Sonett  ge- 
beten  hatte,  seine  Gedichte  kosteten  ihn  SchweiB.  Manso  erzahlt, 
Tasso  habe  voller  Neid  in  Neapel  den  Improvisatoren  auf  der  StraBe 
gelauscht  und  sich  gewundert,  daB  ihnen  die  Verse  so  leicht  zu- 
flossen.  Dennoch  war  er  der  fruchtbarste  Dichter  des  XVI.  Jahr- 
hunderts. 

Tasso  hatte  eine  Vorliebe  fur  Luxus,  Glanz  und  rauschende  Feste, 
er  war  ein  groBer  Feinschmecker  und  ein  leidenschaftlicher  Be- 
wunderer  kostbarer  Steine,  iiberhaupt  iibten  Kleinodien  einen 
magischen  EinfluB  auf  ihn  aus.  Wahrend  einer  schweren  Krank- 
heit  hat  er  seine  Freunde  angefleht,  ihm  einen  Smaragd  zu  schenken, 
da  er  der  Oberzeugung  war,  daB  ihn  der  EinfluB  dieses  Steines  ge- 
sund  machen  wiirde.  Am  ferraresischen  Hof  hat  er  eine  gewisse 
Wurde  angenommen  und  beobachtete  eine  Etikette,  die  zu  seinem 
kriecherischen  Wesen  den  Vornehmen  gegenuber  nicht  immer 
paBte.  Der  Meister  vollendeter  Form  in  der  Poesie  hatte  nur  wenig 
ehrliches,  tiefes  Empfinden,  und  man  kann  von  ihm  sagen,  daB  er 


384  ZWOLFTES  KAPITEL 

zwar  haufig  aus  Liebe  gestorben  ist,  aber  immer  nur  in  seiner  Ein- 
bildung.     Seine  Devise  konnte  Boileaus  Wort  sein: 

Et  toujours  bien  mangeant  mourir  par  metaphore. 

Als  die  fiinfzigjahrige  Catherina  de'  Medici  ihm  1571  ihr  Por- 
trait geschenkt  hat,  hat  er  ein  gliihendes  Sonett  an  sie  gerichtet,  und 
solche  Sonette  mit  kiinstlichen  Empfindungen  sind  nicht  eben  selten 
bei  ihm. 

Tassos  Geisteskrankheit  begann,  wahrend  er  an  seinem  ,,Be- 
freiten  Jerusalem"  gearbeitet  hat,  damals  als  er  den  ungleichen 
Kampf  mit  der  Inquisition  aufnahm.  Bis  in  den  Anfang  des  XVII. 
Jahrhunderts  hatte  die  gesamte  literarische  Welt  die  Ursache  seiner 
religiosen  und  Verfolgungsmanie  gekannt,  die  sich  infolge  phy- 
sischer  Erschdpfung  und  geistiger  Uberanstrengung  steigerte.  Zum 
Verfall  seiner  Hrafte  trug  noch  bei,  daB  er,  Gift  in  den  ihm  vorge- 
setzten  Speisen  argwohnend,  haufig  sehr  starke  Mittel  als  Gegen- 
gift  gebrauchte,  die  zerstorend  wie  Gifte  wirkten.  So  vergiftete  er 
sich  allmahlich. 

Die  neue  Generation  im  XVII.  Jahrhundert,  die  Tasso  nicht 
mehr  gekannt  hat,  wollte  nicht  glauben,  der  Verfasser  des  ,,Be- 
freiten  Jerusalem"  und  der  ,,Aminta"  sei  geisteskrank  gewesen,  des- 
halb  begann  man  nach  Griinden  zu  forschen,  die  das  Ungluck 
seines  Lebens  hatten  verschulden  konnen.  Man  ersann  einen  Ro- 
man, der  sich  zwischen  ihm  und  der  Prinzessin  Leonora  d'Este 
abgespielt  und  Alfonso  veranlaBt  haben  sollte,  ihn  im  Gefangnis 
und  spater  im  Annenspital  unschadlich  zu  machen.  Tassos  erster 
Biograph,  Manso,  hat  diese  Erzahlung  der  Nachwelt  iiberliefert,  und 
zwei  Jahrhunderte  hindurch  wurde  sie  von  den  verschiedensten 
Biographen  des  Dichters,  von  Italienern,  Franzosen,  Deutschen 
und  Englandern  kritiklos  ubernommen.  Erst  gegen  Ende  des 
XVIII.  Jahrhunderts,  als  man  die  estensischen  Archive  zu  erforschen 
begann,  iiberzeugte  man  sich,  daB  Tassos  Geisteskrankheit  und 
nicht  irgend  ein  Roman  der  Grund  seiner  Uberfiihrung  ins 
Spital  gewesen  war.  Der  italienische  Literarhistoriker  Tiraboschi 
hat  die  Dinge  auf  ihr  wirkliches  MaB  zuriickgefuhrt;  aber  der 
Roman  zwischen  Tasso  und  Leonora  war  schdner  als  die  Wirk- 


TORQUATO  TASSO  385 

lichkeit,  Goethe  hat  ihn  als  Grundlage  fur  sein  Drama  benutzt, 
und  angesichts  dieses  Meisterwerks  ist  die  Kritik  aufs  neue  ver- 
stummt,  besonders  da  man  sich  auch  in  Italien  nicht  beeilt  hat, 
die  Legende  richtig  zu  stellen,  die  Tassos  poetisch  verklarter  Gestalt 
besser  als  die  Wirklichkeit  entsprach. 

Erst  Victor  Cherbuliez  hat  1863  in  seinem  Roman  „Le  prince 
Vitale"  Tasso  so  aufgefaBt,  wie  er  aufgefaBt  werden  soil.  Tasso  hat, 
nach  der  Schilderung  des  franzosischen  Novellisten,  zu  seiner  Ver- 
zweiflung  entdeckt,  daB  er  nicht  der  Mann  seiner  Zeit  sei,  und  diese 
tragische  Entdeckung  hat  seinen  Charakter  gebrochen  und  seinen 
Geist  getriibt.  Der  Mensch  der  Hochrenaissance  war  verurteilt,  in 
jenem  Italien  zu  leben  und  zu  schreiben,  das  unter  dem  Einflufl 
des  tridentinischen  Konzils,  der  Inquisition  und  der  Jesuiten  der 
Hort  der  Reaktion  geworden  war.  Tassos  Mutter,  die  Kultur  der 
Renaissance,  hat  in  ihrer  Todesstunde  ihm,  ihrem  letzten  Sohn,  das 
Leben  geschenkt;  der  Nachgeborene  traumt  von  ihr,  hofft  sie  noch 
am  Leben  zu  finden,  bis  er  in  Rom  auf  den  Stufen  des  Vatikans  an 
Stelle  der  Renaissance,  eine  furchtbare,  erhabene  Gestalt  sieht, 
die  ihm  zuruft:   ,,ich  bin  die  Inquisition". 

Tasso  gehort  zu  den  Genies  der  Cbergangszeiten,  die  die  Gegen- 
wart  nicht  begreifen  und  nicht  mit  ihrem  eigenen  Ich  vereinen 
konnen.  Durch  sein  Leben  geht  wie  durch  das  Byrons  oder  Leo- 
pardis  ein  tragischer  Bruch. 


X 

1585  und  in  den  folgenden  Jahren,  wahrend  Tasso  im  Spital 
eingesperrt  war,  gab  es  eine  lebhafte  Polemik  unter  den  Literaten 
Italiens  iiber  den  Wert  des  ,,Befreiten  Jerusalem".  Es  wurde  mit 
Ariosts  ,, Orlando"  verglichen;  man  stritt,  welches  Werk  schoner 
sei,  welchem  der  beiden  Dichter  der  hohere  Rang  in  der  Geschichte 
der  epischen  Poesie  gebiihre;  es  gab  ,,Apologien",  ,,Repliken"  und 
,,Contrarepliken";  in  Broschiiren,  die  mit  der  Leidenschaft  der 
Renaissance  geschrieben  wurden,  beschimpfte  und  beleidigte  man 
sich  in  einem  solchen  MaBe,  daB  es  zwischen  Florenz  und  Ferrara 

*5 


386  zwOlftes  kapitel 

beinahe  zu  einer  diplomatischen  Aktion  gekommen  ist.  Die  kiirzlich 
begriindete  florentinische  Akademie  ,, Delia  Crusca"  warf  sich  zu 
Ariosts  Verteidigerin  auf,  gab  eine  „Difesa  del  Orlando  Furioso" 
heraus  und  beschuldigte  die  Gegner,  Tassos  Werk  nur  deshalb  hoher 
zu  stellen,  weil  sie  von  Alfonso  II.  erkauft  seien  und  ihm  nach  dem 
Mund  reden  wollten. 

Diese  Polemik  hat  den  eingesperrten  Dichter  aufs  auBerste  ge- 
reizt,  um  so  mehr,  als  er  von  seinen  Gegnern  recht  unangenehme 
Bemerkungen  zu  horen  bekam;  sie  behaupteten,  die  ,,Gerusalemme" 
ware  ein  trockenes,  schlecht  aufgebautes  Werk,  dem  es  an  dichte- 
rischem  Schwung  fehle,  ein  langweiliges,  geschmackloses  Epos. 
Es  war  dies  iibrigens  nicht  die  Ansicht  boshafter  Kritiker  allein, 
Galilei,  der  sich  auch  lebhaft  fur  Literatur  interessierte,  hat  be- 
hauptet:  ,,Tasso  sage  Worte,  Ariost  Dinge".  Uberhaupt  hat  die 
,,Liberata"  zu  Beginn  mehr  scharfe  Kritik  als  Lob  gefunden,  trotz- 
dem  sie  sehr  viel  gelesen  wurde  und  vielen  Dichtern  als  Vorbild 
gedient  hat.  Allmahlich  wurde  sie  neben  dem  ,,Furioso"  Italiens 
popularste  Dichtung,  und  es  gibt  kaum  einen  Winkel  in  Italien, 
wo  man  nicht  Abschnitte  daraus  aus  dem  Gedachtnis  rezitiert. 
Das  Ratsel  dieser  Popularitat  lost  die  Musik  der  Verse,  die  Schonheit 
der  Ottaven,  deren  Wohllaut  jeden  Italiener  durchdringt,  denn  er 
hort  seine  Muttersprache  in  ihren  melodischsten  Klangen.  Eine 
lyfisch-sentimentale  Note,  eine  krankhafte  Sinnlichkeit,  die  der 
Stimmung  des  Modernen  entspricht,  klingt  in  den  Versen  an.  Tasso 
schrieb,  als  sich  der  Geist  der  modernen  Gesellschaft  zu  regen  begann; 
in  der  ,,Gerusalemme"  spurt  man  das  erste  Zittern  neuer  Gedan- 
kenschwingungen,  und  so  wurde  sie  gewissermafien  zur  sehnsiich- 
tigen  Wiege  der  heutigen  Kultur.  Sie  wurde  dies  namentlich  des- 
halb, weil  Tasso  trotz  seines  Verlangens  episch  zu  bleiben  und  Homer 
nahe  zu  kommen,  seinen  personlichen  Empfindungen  und  Vorstel- 
lungen  Worte  leiht.  Tassos  Geist  war  blendend,  schillernd,  mit 
einem  Hang  zur  Mystik,  und  sein  Gedicht  wirkt  wie  ein  im  Licht 
bewegter  Opal,  es  zieht  an  und  verbreitet  eine  Art  magischer  At- 
mosphare.  Was  uns  heute  in  der  ,,Gerusalemme"  stbrt,  ist  ihr 
Mangel  an  Einfachheit,  man  empfindet  das  nahende  Barock  mit 
seinen    Obertreibungen.      Tasso   stand   unter    dem    Einflufi    dieser 


TORQUATO  TASSO  387 

Zeitstromung,  und  so  enthalt  sein  Gedicht  viel  leere  Deklamation, 
rhetorische  Phrasen  und  iiberfliissige  Zutaten. 

Vergleicht  man  Tassos  und  Ariosts  politische  Anschauungen, 
so  ergibt  sich  bei  Ariost  das  Kaisertum  als  einigende  Macht;  das 
ganze  christliche  Europa  schart  sich  unter  der  Flagge  des  Impe- 
rators,  um  die  Oberfalle  der  Sarazenen  zuriickzuschlagen,  wahrend 
das  Kaisertum  bei  Tasso  als  weltverbindende  Gewalt  bereits  schwin- 
det  und  dafiir  die  christliche  Ritterschaft  im  Namen  der  Religion 
mit  den  Unglaubigen  kampft.  An  Stelle  des  Kaisertums  ist  die 
Kirche  das  einigende  Band  der  Volker.  Rinaldo  driickt  das  Emp- 
finden  der  estensischen  Guelfen  aus: 

S'oppone  aU'empio  Augusto  e'l  doma: 
E  sotto  l'ombra  degli  argentei  vanni 
L'aquila  sua  copre  la  chiesa  e  Roma. 

Diese  Anschauung  ist  das  natiirliche  Ergebnis  des  Druckes, 
der  auf  Italien  unter  der  schweren  kaiserlich-spanischen  Faust 
lastete.     Rom  allein  scheint  berufen,  die  Volker  zu  sammeln. 

AuBer  dem  ,,Befreiten  Jerusalem"  hat  kein  Werk  Tassos  einen 
solchen  Erfolg  wie  das  Schaferidyll  ,,Aminta"  gehabt,  das  zu  den 
grbBten  Schatzen  der  italienischen  Literatur  des  XVI.  Jahrhunderts 
gehort.  Die  Renaissance  hat  die  antike  Bukolik  wieder  zu  Ehren 
gebracht,  man  begann  Theokrits  Idyllen  und  Eklogen  nachzu- 
ahmen;  schon  Boccaccio  hat  den  Schaferroman  in  seinem  ,,Ameto" 
eingefiihrt  und  bekannte  Personlichkeiten  im  Hirtengewand  auf- 
treten  lassen.  Diese  Form  der  Poesie  war  der  Kritik  und  der  Schmei- 
chelei  gleich  willkommen,  antike  Hirten  traten  auf,  aber  sie  sprachen 
wie  moderne  Menschen,  um  deren  Anschauungen  es  dem  Dichter 
zu  tun  war.  Die  Schmeichelei  im  Munde  dieser  Idealgestalten 
wirkte  nicht  zu  plump,  die  Kritik  nicht  zu  personlich.  Was  Wunder 
also,  wenn  sich  diese  Art  der  Poesie  schnell  eingebiirgert  hat,  und 
wenn  namentlich  gegen  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  eine  Tendenz 
zum  Dialog,  zum  Drama  sich  geltend  macht.  Schon  Serafino 
Aquilano  hat  in  einer  Ekloge  die  Verderbnis  und  den  Geiz  der 
romischen  Kurie  gegeiBelt;  sie  war  gegen  Innocenz  VIII.  gerichtet 
und  erschien  unter  dem  Patronat  des  Kardinals  Giovanni  Colonna. 

*5* 


388  zwOlftes  kapitel 

Um  1506  hat  eine  dramatisierte  Ekloge  ,,Tirsi"  am  Hof  von  Urbino 
viel  von  sich  reden  gemacht;  ihre  Verfasser  waren  zwei  bekannte 
Hofleute  Baldassare  Castiglione  und  Cesare  Gonzaga.  Castiglione 
hat  sich  selbst  in  der  Gestalt  Jolis  und  Gonzaga  in  der  Gestalt  Da- 
metos  geschildert;  iiber  den  Hof  von  Urbino  und  die  Hofleute  er- 
gossen  die  Verfasser  ein  Fiillhorn  geschickter  Komplimente.  Na- 
mentlich  die  als  Galatea  gefeierte  Herzogin  Elisabetta  durfte  zu- 
frieden  sein,  auch  der  in  Urbino  anwesende  Bembo  brauchte  sich 
nicht  zu  beklagen.  In  Ferrara  wurden  im  Februar  1508  drei  Eklogen 
aufgefiihrt,  ihre  Verfasser  waren  Ercole  Pio,  Antonio  dell'Organo 
und  Tebaldeo.  Diese  Art  der  Poesie  gliederte  sich  dem  Drama 
immer  mehr  an;  trotz  ihrer  pastoralen  Anfange  wurde  sie  immer 
aristokratischer  und  hofischer,  da  sich  diese  Auffuhrungen  be- 
sonders  fur  kostbare  Dekorationen  und  gewahlte  Diktion  eigneten. 
Auf  diese  Weise  entstand  eine  neue  Art  theatralischer  Auffiih- 
rungen,  besonders  geeignet  zur  Verherrlichung  der  Feste  in  Ferrara, 
Urbino  und  Mantua,  wo  ein  literarisches  Feinschmeckertum  bliihte. 
In  Hirtengewandern  traten  diese  Gestalten  auf  die  Biihne,  die  in 
gedrechselten  Redensarten  miteinander  verkehrten;  ernsthafte  po- 
litische  Elemente  wurden  mit  Humor  und  Ausgelassenheit  ver- 
quickt,  Szenen  ergaben  sich,  die  Castigliones  ,,Hofmann"  nicht 
unahnlich  waren.  Die  Fiirsten  belustigten  sich  an  diesen  Dramen, 
die  Gelegenheit  genug  boten,  um  ihrer  Eitelkeit  zu  schmeicheln 
und  sie  auf  der  Biihne  gleich  Gottern  zu  feiern. 

Das  Stuck  bestand  zumeist  aus  fiinf  Akten  und  einem  Prolog, 
auch  fehlte  der  in  die  Handlung  eingreifende  Chor  von  Hirten, 
Jagern  und  Nymphen  nicht.  Eine  gewisse  Empfindsamkeit,  die  die 
Gesellschaft  der  ausgehenden  Renaissance  kennzeichnet,  ein  gewisser 
widerwartiger  Klang  gemachter  Liebe,  wie  in  den  Sonetten  der  Petrar- 
kisten,  fand  sich  in  den  Schaferspielen  und  sprach  die  hofische  Gesell- 
schaft besonders  an.  Es  war  so  suB,  den  Klagen  der  Hirten  zuzuhoren: 

El  dulce  lamentar  de  los  pastores 

wie  bei  einem  Nachahmer  von  Sannazaros  ,,  Arcadia"  zu 
lesen  ist,  einem  der  Hauptvertreter  des  Idylls  im  XVI.  Jahr- 
hundert.      Schon    bei    ihrem    Beginn    enthielt    diese    Art    drama- 


TORQUATO  TASSO  385 

tischer  Poesie  in  ihren  Klagen,  ihrer  Empfindsamkeit  und  Ein- 
tonigkeit  die  Zeichen  des  Verfalls.  Namentlich  der  ferraresische 
Hof  hatte  eine  Vorliebe  fur  das  Schaferspiel ;  die  Auffiihrungen 
wurden  ebenso  sorgfaltig  vorbereitet  wie  einst  die  klassische 
Komddie  unter  Ercole.  Epoche  machte  die  Auffiihrung  von  Giovan 
Battista  Giraldis  Schaferspiel  „L'  Egle",  das  weder  Tragodie  noch 
Lustspiel,  sondern  Drama  sein  sollte;  infolge  der  vielen  einge- 
flochtenen  Satiren  nannte  es  der  Dichter  ,, Satire".  Giraldi  wollte 
Euripides'  satirisches  Drama  neu  beleben,  aber  er  kam  zu  etwas 
anderem,  indem  er  Arkadiens  Gotter  und  Halbgotter  einfiihrte. 
„Egle"  wurde  im  Winter  1545  im  Hause  des  Verfassers  aufgefiihrt, 
im  Beisein  Ercoles  II.  und  des  Kardinals  Ippolito.  Die  Musik  hatte 
Antonio  del  Cornetto  verfaBt,  die  Dekorationen  Girolamo  Carpi 
gemalt.  Neun  Jahre  spater,  am  4.  Marz  1554,  wurde  eine  ahnliche 
Novitat  aufgefiihrt:  ,,11  sacrificio,  favola  pastorale"  von  Agostino 
de'  Beccari,  und  1563  wurde  im  Palazzo  Schifanoja  die  „Aretusa" 
gespielt,  eine  pastorale  Komddie  von  Alberto  Lellio  mit  Musik.  Es 
folgten  Auffiihrungen  verwandter  Komodien,  wie  z.  B.  Agostino 
Argentis  ,,Sfortunato",  aber  sie  wirken  alle  wie  Vorstudien  fur 
Tassos  ,,Aminta",  das  bedeutendste  Werk  dieser  Gattung.  ,,Aminta" 
wurde  zum  erstenmal  im  SchloB  Belvedere  in  Alfonsos  II.  Gegen- 
wart  und  im  Beisein  des  gesamten  Hofes  aufgefiihrt  und  fand  all- 
gemeinen  Beifall.  Verschiedene  Einzelheiten,  die  sich  auf  allbe- 
kannte  Personlichkeiten  bezogen,  fesselten  aufs  lebhafteste,  so  die 
Anmerkungen  gegen  Speroni,  gegen  jenen  gelehrten,  aber  sehr 
hochmutigen  und  scharfen  Kritiker,  der  dem  Verfasser  des  ,,Be- 
freiten  Jerusalem"  durch  seine  pedantischen  Bemerkungen  nicht 
wenig  Arger  bereitet  hatte.  Tasso  nannte  Speroni  Mopso,  und  Aminta 
charakterisiert  ihn  folgendermaBen:  „Sie  hat  Grund  genug,  iiber 
ihr  Schicksal  zu  verzweifeln,  denn  der  kluge  Mopso  hat  ihr  eine 
diistere  Zukunft  prophezeit,  jener  Mopso,  der  die  Sprache  der 
Vogel  versteht,  die  Heilkraft  der  Krauter  und  Quellen  kennt,  der 
alles  weiB,  was  in  der  Vergangenheit  und  Gegenwart  geschehen  und 
womit  die  Zukunft  schwanger  ist." 

,,Von  welchem  Mopso  sprichst  du?"  antwortet  Tirsi,  ,,von  jenem, 
der  Honig  im  Mund,  Verrat  im  Herzen  und  ein  Messer  unter  dem 


390  zwOlftes  kapitel 

Mantel  fiihrt?  Fiirchte  dich  nicht,  denn  jene  falschen,  unheil- 
kiindenden  Prophezeiungen,  mit  denen  er  schreckt,  gehen,  wie  aus 
Erfahrung  bekannt,  in  den  seltensten  Fallen  in  Erfiillung." 

Der  letzte  Satz  bezieht  sich  auf  Tassos  personliche  Erfahrungen. 
Als  der  Dichter  zum  erstenmal  einige  Gesange  seines  ,,Befreiten 
Jerusalem"  am  ferraresischen  Hof  1571  in  Speronis  Gegenwart  vor- 
las,  beurteilte  der  alte,  reiche,  eingebildete  Kritiker  den  jungen 
Dichter  streng  und  prophezeite  ihm  nur  geringen  Erfolg.  Tassos 
Ruhm  verbreitete  sich  iiber  ganz  Italien,  und  der  Dichter  durfte, 
ohne  zu  iibertreiben,  sagen,  Speroni  sei  ein  falscher  Prophet. 

Nur  mit  Speroni  hat  Tasso  so  streng  in  ,,Aminta"  abgerechnet; 
fur  Alfonso  II.,  die  Prinzessinnen  Lucrezia  und  Leonora,  fur  die 
Grafin  Scandiano  und  viele  andere  gab  es  nichts  als  Schmeiche- 
leien,  selbst  fur  den  Sekretar  Pigna,  der  als  Elpin  auftritt,  wurde 
Weihrauch  abgebrannt,  obgleich  der  Dichter  ihm  nicht  ehrlich 
zugetan  war. 

MAminta"  wurde  in  Pesaro,  Urbino  und  Mantua  aufgefiihrt, 
in  Buchform  erschien  es  erst  im  Dezember  1580  bei  Aldo  Manuzio, 
und  bis  1891  hat  es  in  Italien  allein  hundertfiinfundsiebzig  Ausgaben 
erlebt.  Das  Buch  zirkulierte  bereits  vor  seinem  Erscheinen  in  ganz 
Italien  in  Abschriften  und  fand  viel  Nachahmer.  Spater  wurde  es 
ins  Franzosische,  Spanische,  Englische,  Hollandische,  Danische, 
Deutsche,  Polnische,  Neugriechische,  Ungarische  und  selbst  La- 
teinische  iibersetzt. 

Zur  Popularitat  von  ,,Aminta"  und  von  alien  dramatischen 
Stiicken  dieser  Art  trug  nicht  wenig  die  melancholisch-lyrische 
Musik  bei.  Fur  ,,Aminta"  hatte  sie  ein  Jesuit  aus  Sizilien  Erasmo 
Marotta  (gest.  in  Palermo  1641)  komponiert.  Der  verliebte  Hirte 
singt  seine  Liebesklagen  funfmal  auf  der  Biihne,  Daphnes  und  Silvias 
Gesang  entziickte  die  Horer,  und  der  Chor  im  ersten  Akt  entfesselte 
Beifallssturme. 

Guarini  hat  Tasso  ,,Amintas"  Ruhm  geneidet,  er  beschloB  ein 
schoneres,  sorgfaltiger  durchgefeiltes  Schaferdrama  zu  schreiben. 
Neun  Janre,  von  1581  bis  1590,  hat  er  daran  gearbeitet  und  ihm 
den  Titel  ,, Pastor  fido"  gegeben.  Guarinis  Werk  war  bis  in  die 
kleinsten  Einzelheiten  durchgefeilt  und  geglattet,  und  als  der  Ver- 


TORQUATO  TASSO  391 

fasser  einige  Abschnitte  an  Alfonsos  Hof  vorlas,  durfte  er  mit  der 
Aufnahme,  die  seine  Arbeit  fand,  zufrieden  sein.  Guarini  war  ein 
vorsichtiger  Mann;  ehe  er  sein  Drama  drucken  lieB,  wollte  er  sich 
nach  den  verschiedensten  Seiten  hin  vergewissern,  daB  er  Lob  ernten 
wurde.  Er  riihmte  sich,  gewissermaBen  um  Tasso  damit  zu  schlagen, 
sein  Drama  sei  nicht  von  einem  Dichter  von  Beruf  verfaBt,  sondern 
von  einem  Menschen,  der  zu  seinem  Vergniigen  schreibe.  Er  fuhr 
zu  Ferrante  Gonzaga  nach  Guastalla,  wo  sich  stets  ein  groBer  Kreis 
von  Literaten  und  gebildeten  Frauen  zusammenfand,  um  dort  sein 
Schaferspiel  vorzulesen.  Guastalla  wurde  ,,Vaso  delle  Muse"  ge- 
nannt,  weil  sich  dort  so  viel  Dichter  zu  versammeln  pflegten.  Unter 
Guarinis  Horern  befand  sich  auch  Barbara  Sanseverino.  Zum  ersten- 
mal  sollte  der  „Pastor  fido"  in  Ferrara  1584  aufgefiihrt  werden;  der 
Herzog  befahl  seinen  Statthaltern,  Jiinglinge  mit  schauspielerischem 
Talent  ausfindig  zu  machen;  erwachsene  Schauspieler  gab  es 
genug,  wahrend  es  schwierig  war,  einen  Knaben  fur  die  Rolle  der 
Nymphe  zu  finden.  SchlieBlich  war  auch  diese  Rolle  besetzt,  aber 
trotz  der  langen  Vorbereitungen  kam  die  Vorstellung  aus  uns  un- 
bekannten  Griinden  nicht  zustande,  und  erst  1591*  nachdem  das 
Drama  im  Druck  erschienen  war,  sollte  es  an  Vincenzo  Gonzagas 
Hof  aufgefiihrt  werden.  Diese  Auffiihrung  wurde  wegen  ihrer 
kostbaren  Inszenierung  und  der  sorgfaltigen  Regie,  die  der  Grafin 
Agnese  Argotta  unterstand,  zu  einem  epochemachenden  Ereignis. 
Zwischen  den  Akten  wurden  eingestreute  Intermezzi  mit  viel  Pomp 
aufgefiihrt.  Nach  dem  ersten  Akt  wurde  ein  Ballett  mit  Gesang, 
,,Musica  della  Terra",  aufgefiihrt;  zwischen  Baumen  und  Felsen 
tanzten  Nymphen  und  sangen  Hymnen  an  die  Erde.  Im  zweiten 
Intermezzo  verwandelte  sich  die  Biihne  in  einen  groBen  See,  Venus 
in  der  Muschel  tauchte  auf,  umgeben  von  Nymphen,  Amorinen  und 
Sirenen,  die  einen  Hymnus  aufs  Meer  sangen.  Das  dritte  Intermezzo 
stellte  die  ,,Musica  dell'  Aria"  dar,  die  acht  Winde  auf  kiinstlichen 
Wolken  ausfiihrten.  Im  letzten  Intermezzo  sangen  sieben  Gott- 
heiten,  die  die  Planeten  darstellten,  die  ,,Musica  del  Cielo".  Un- 
gliicklicherweise  verhinderte  der  plotzliche  Tod  des  Kardinals 
Giovanni  Gonzaga  die  Hauptauffiihrung,  sie  kam  erst  im  Jahre  1598 
zustande,   und  war  so  groBartig,   daB  in  ganz   Italien  davon  ge- 


392  zwOlftes  kapitel 

sprochen  wurde.  Die  Musik  zum  ,, Pastor  fido"  haben  Giacomo  de 
West,  Francesco  Rovigo  und  der  Jude  Isacchino  aus  Mantua  kom- 
poniert;  von  letzterem  stammt  die  Arie  zum  Tanz  der  ,,Dunkeln". 
Guarini  konnte  bei  dieser  Auffiihrung,  bei  „seiner  Hochzeit",  wie 
er  sie  nannte,  nicht  zugegen  sein;  1598  wurde  das  Stuck  wiederholt 
aufgefuhrt,  zuletzt  auch  in  Ferrara. 

Nach  dem  Erscheinen  von  ,,Aminta"  und  ,, Pastor  fido"  ergoB 
sich  eine  wahre  Flut  von  Schaferdramen  iiber  Europa,  und  es  gibt 
wenig  Beispiele  in  der  Geschichte  der  Literatur,  daB  eine  poetische 
Form  die  Herzen  des  Publikums  in  dem  MaBe  erobert  hat.  Diese 
verliebten  philosophierenden  Hirten,  die  die  Horer  mit  ihren  zwei- 
deutigen  Ausdriicken  belustigt  haben,  diese  leichtsinnigen  Nym- 
phen,  die  sich  niemals  zierten,  die  gemeinsten  Dinge  in  scherzhafter 
Form  vorzubringen,  haben  dem  lockeren  Geist  des  XVI.,  XVII. 
und  XVIII.  Jahrhunderts  in  merkwiirdiger  Weise  entsprochen.  Die 
prunkvollen  Auffiihrungen,  die  glanzenden  szenischen  Bilder,  die 
melodischen  Verse  —  all  das  trug  dazu  bei,  den  Schaferdramen 
eine  lange  Herrschaft  zu  sichern.  Im  XVII.  und  XVIII.  Jahrhundert 
gab  es  von  Neapel  und  Gibraltar  bis  nach  England  und  Danemark 
keinen    gebildeten    Menschen,    der    nicht    ,,Aminta"    und    ,, Pastor 

fido"  gelesen  hatte,   und  in  einer  venezianischen   Satire  des 

XVIII.  Jahrhunderts  werden  die  Frauen  verspottet,  die 

ganze  StoBe  von  Gebetbiichern  in  die  Kirche  tragen, 

da  sie  trotz  dieser  mitgebrachten  Bibliothek 

mehr  an  den  ,, Pastor  fido"  als  an  Lita- 

neien  und  fromme  Hymnen  denken. 

Montre  ascolta  messa,  col  cervello 
Le  medita  l'amor  del  dio  Cupido, 
E  i  versi  in  bocca  tien  del ,, Pastor  fido" 
Per     recitarli     al     caro     pastorale. 


DREIZEHNTES  KAPITEL 

FINIS  FERRARIAE 


i 


matas  und  Ercoles  Tochtern,  Anna,  Lucrezia  und 
Leonora,  wurde,wie  erwahnt,  eine  besonders  sorgfaltige 
Erziehung  zuteil.  Ihre  Lehrer  waren  Humanisten  alten 
Zuschnitts,  und  die  jungen  Damen  beherrschten  das 
Lateinische  so  gut,  daB  sie  1543,  zurFeier  von  Pauls  III. 
Besuch  in  Ferrara,  eine  Komodie  von  Terenz  im 
Originaltext  aufgefuhrt  haben.  Annas  Schicksal,  die  den  Herzog 
von  Guise  geheiratet  hat  und  nicht  wieder  nach  Italien  zuriickge- 
kehrt  ist,  ist  uns  bekannt,  Leonora,  die  jungste,  ein  vornehmes, 
gutes,  krankliches  Geschopf  hat  an  den  Hofintriguen  keinen  Anteil 
genommen,  Lucrezia  dagegen,  die  sehr  schon,  leidenschaftlich  und 
rachsiichtig  war,  haben  offentliche  Angelegenheiten  lebhaft  be- 
schaftigt,  gelegentlich  hat  sie  sie  im  geheimen  gelenkt,  und  gegen 
Ende  ihresLebens  hat  sie  wie  ein  bdser  Geist  iiber  Ferrara  geherrscht; 
sie  hat  mit  dazu  beigetragen,  das  Reich  zu  Fall  zu  bringen. 

Battista  Giraldi  Cintio  hat  Lucrezia  in  seiner  Dichtung  ,,L'Ercole" 
die  Schonste  unter  den  Schonen  genannt,  und  die  Hofpoeten,  Tasso 
an  erster  Stelle,  fanden  nicht  Vergleiche  und  zierliche  Wendungen 
genug,  urn  ihre  Reize  und  ihr  Wissen  zu  preisen. 

Nach  Ercoles  Tod  und  Renatas  Abreise  nach  Frankreich  blieben 
beide  Prinzessinnen  Leonora  und  Lucrezia  in  Ferrara  unter  Alfonsos 
Schutz.  Der  Vater  hat  ihnen  eine  sehr  knappe  Mitgift  ausgesetzt, 
ja  sie  zugunsten  des  Bruders  benachteiligt.  Er  hatte  ihnen 
60000  Scudi  vermacht  (etwa  150000  Francs),  davon  bekamen 
sie  aber  nur  40  000  Scudi  in  bar  ausbezahlt,  der  Rest  bestand  in 


394 


DREIZEHNTES  KAPITEL 


Schmuck  und  kostbaren  Geraten.  Das  Testament  enthielt  auBerdem 
die  Klausel,  daB,  falls  diese  beiden  Tochter  nicht  heiraten  sollten, 
Alfonso  fiir  ihre  Nahrung  und  Kleidung  und  die  ihrer  Dienerschaft 
zu  sorgen  habe.  Es  war  dies  natiirlich  keine  geringe  Ausgabe  fiir 
Alfonso,  sie  betrug  an  zweihundert  Scudi  monatlich  fiir  jede  der 
Sch western,  auBerdem  gait  es  fiir  den  Unterhalt  von  achtund- 
zwanzig  Personen,  die  ihren  Hofstaat  bildeten,  zu  sorgen. 

Der  Herzog  hatte  seinen  Schwestern  besondere  Wohnungen  im 
SchloB  angewiesen,  wo  sie  Gaste  empfangen,  Gesellschaften  geben 
und  musikalische  Abende  veranstalten  konnten;  beide  liebten  Musik 
iiber  alles,  Lucrezia  hatte  eine  schone  Stimme  und  entziickte  den 
ganzen  Hof  durch  ihren  Gesang.  Die  Prinzessinnen  blieben  unver- 
mahlt;  der  franzosische  Hof  hatte  zwar  schon  1547  um  Lucrezias 
Hand  fur  den  Herzog  von  Lothringen  angehalten,  aber  Ercole  trug 
ihm  damals  Anna  an,  da  Lucrezia  erst  elf  Jahre  alt  war.  Unter- 
handlungen  wegen  Lucrezias  Heirat  mit  dem  Herzog  von  Nemours 
wurden  gleichfalls  gepflogen,  1560  wurde  ihr  Pius'  IV.  Nepote, 
Federigo  Borromeo,  angetragen,  aber  all  diese  Plane  haben  sich 
aus  uns  unbekannten  Griinden  nicht  realisiert.  Erst  1565,  als 
Lucrezia  dreiBig  Jahre  alt  war,  begann  der  alte  Herzog  Guido- 
baldo  von  Urbino  an  ihre  Heirat  mit  seinem  Nachfolger  Francesco 
Maria  della  Rovere,  einem  sechzehnjahrigen  Knaben,  zu  denken. 
Dieser  Plan  scheint  vom  Kardinal  Luigi  ausgegangen  zu  sein,  als 
dem  einzigen  der  Familie,  mit  dem  die  Schwester  gut  stand. 

Francesco  Maria  hat  die  groBten  Hoffnungen  erweckt,  er  war 
hiibsch,  gebildet,  geistreich,  begabt  und  ehrgeizig.  Der  Vater  hatte 
ihn  an  den  spanischen  Hof  geschickt,  damit  er  den  Kaiser  fiir  sich 
einnehme  und  fiir  die  Zukunft  niitzliche  Beziehungen  ankniipfe. 
1565  fuhr  Francesco  nach  Spanien,  er  hielt  sich  unterwegs  in  Ferrara 
auf,  und  blieb  zwei  und  ein  halbes  Jahr  am  kaiserlichen  Hof.  Als 
Guidobaldo  erfuhr,  daB  Francesco  sich  in  eine  Spanierin,  in  die 
Schwester  des  Herzogs  von  Ossuna,  verliebt  habe,  lieB  er  ihn  sofort 
zuruckkommen,  aus  Furcht,  der  Jiingling  konne  eine  Ehe,  die 
unter  seinem  Range,  dem  eines  regierenden  Herzogs  war,  eingehen. 
Erst  in  Italien  erfuhr  Francesco  Maria  Guidobaldos  Absicht,  ihn 
mit  Lucrezia  zu  verheiraten;  er  erschrak  aufs  auBerste,  da  die  Prin- 


FINIS  FERRARIAE  395 

zessin  dem  Alter  nach  fast  seine  Mutter  hatte  sein  konnen  und  ihm 
in  Ferrara  nicht  ubermaBig  gefallen  hatte.  Dagegen  war  Lucrezia, 
die  zusammen  mit  dem  Kardinal  in  aller  Stille  an  der  Verwirklichung 
dieses  Planes  gearbeitet  hatte,  von  Guidobaldos  EntschluB  begluckt, 
sie  glaubte  mit  ihrem  Verstand  und  ihrer  Geschicklichkeit  allmah- 
lich  das  Herz  des  jungen  Gatten  gewinnen  und  ihn  nach  ihrem 
Willen  lenken  zu  konnen.  Die  Umgebung  der  Prinzessin  schien  am 
gliicklichen  Ausgang  dieser  Ehe  zu  zweifeln,  da  in  den  Ehekontrakt 
die  Klausel  gesetzt  wurde,  daB  ihre  Mitgift  ihr  auszuzahlen  sei, 
falls  sie  sich  von  ihrem  Gatten  trennen  oder  wieder  nach  Ferrara 
zuriickkehren  sollte.  Alfonso  verlangte,  daB  Lucrezia,  ehe  sie  die 
Ehe  einging,  auf  ihre  Anspriiche  auf  das  Vermogen  ihrer  Eltern 
in  Ferrara  verzichte,  was  die  Prinzessin  peinlich  beriihrt  hat.  Sie 
setzte  sich  mit  Guidobaldo  ins  Einverstandnis,  auf  seinen  Rat  unter- 
schrieb  sie  zwar  das  von  ihr  verlangte  Schriftstuck,  aber  gleich- 
zeitig  legte  sie  im  geheimen,  durch  Vermittlung  eines  ihr  vertrauten 
Notars  Protest  gegen  den  Kontrakt  ein,  ferner  protestierte  sie  gegen 
die  ihr  von  Alfonso  ausgesetzte  Mitgift,  die  dem  Vermogen  ihrer 
Familie  nicht  entsprach.  Dieser  Protest  befindet  sich  bei  den  No- 
tariatsakten  in  Pesaro. 

Am  8.  Februar  1570  wurde  der  Ehekontrakt  vollzogen,  der 
Brautigam  wurde  von  Cesare  Gonzaga  aus  Guastalla  vertreten. 
Francesco  Maria  kam  erst  zehn  Tage  nach  dieser  Formalitat  nach 
Ferrara;  der  Herzog  empfing  ihn  aufs  prachtigste,  arrangierte  ihm 
zu  Ehren  Balle,  Maskeraden,  Theaterauffuhrungen  und  ein  groB- 
artiges  Turnier  ,,11  mago  rilucente". 

Francesco  Maria  lieB  sich  all  diese  Feste  gefallen,  aber  nach 
einigen  Tagen,  am  13.  Februar  1570,  verlieB  er  Ferrara  plotzlich 
ohne  seine  Gattin,  indem  er  wichtige  Geschafte  vorschiitzte.  Von 
diesem  Tage  an  lieB  er  ein  ganzes  Jahr  nichts  von  sich  horen,  ob- 
gleich  Ferrara  wiederholt  von  Erdbeben  heimgesucht  wurde,  und 
Lucrezia  sogar  in  Lebensgefahr  geriet.  Erst  nach  Verlauf  dieses 
Jahres  schrieb  er  an  die  Prinzessin,  sie  moge  nach  Pesaro  kommen, 
wo  er  sie  erwarten  wiirde.  Trotz  des  ungezogenen  Benehmens  des 
jungen  Gatten,  das  jedem  Brauch  widersprach,  traf  Lucrezia  mit 
zahlreichem  Gefolge  am  9.  Januar  1571  in  Pesaro  ein.    Sie  wurde 


396  DREIZEHNTES  KAPITEL 

aufs  prachtigste  empfangen,  und  Guidobaldo  gab  sich  alle  erdenk- 
liche  Miihe,  den  fatalen  Eindruck  zu  verwischen,  den  Francesco 
Marias  schandliche  Flucht  aus  Ferrara  gemacht  haben  mufite.  Lu- 
crezia  gefiel  iibrigens  auBerordentlich,  und  Lazaro  Mocenigo,  der 
venezianische  Gesandte,  berichtet  dem  Dogen  aus  Pesaro,  Lucrezia 
sehe  gut  aus,  sei  voller  Grazie  und  Majestat,  aber  mit  ihren 
dreiBig  Jahren  sei  sie  nicht  die  geeignete  Gattin  fur  den  jungen 
Erbprinzen.  Den  Herzog  und  den  gesamten  Hof  interessierte  die 
Frage,  ob  sie  Kinder  haben  wurde,  auch  Mocenigo  schlieBt  seinen 
Brief  ,,gebe  Gott,  daB  sie  Kinder  habe,  doch  zweifle  ich  sehr  daran." 

Lucrezia  gelang  es  auch  diesmal  nicht,  ihren  Gatten  zu  fesseln. 
Da  bot  sich  ihm  eine  sehr  giinstige  Gelegenheit,  Lucrezia  zu  ver- 
lassen.  Die  christlichen  Machte  bereiteten  eine  groBe  Expedition 
gegen  die  Turken  vor.  Francesco  Maria  beschloB  daran  teilzuneh- 
men  und  verlieB  Pesaro  kaum  ein  halbes  Jahr  nach  Lucrezias 
Ankunft.  Die  ungluckliche  Prinzessin  suchte  ihn  vergebens  von 
diesem  Plan  abzubringen,  ihre  Oberredungskunst  vermochte  nichts 
iiber  den  Jiingling,  den  es  nach  Ruhm  diirstete  und  der  der  altlichen 
Gattin  miide  war.  Es  gelang  ihr  nur,  ihre  Riickkehr  nach  Ferrara 
bei  Guidobaldo  zu  erwirken,  doch  muBte  sie  versprechen,  nach 
zwanzig  Tagen  zuruckzukommen.  Guidobaldo  brachte  ihr  viel 
Sympathie  entgegen  und  verlangte  in  seiner  despotischen  Art,  daB 
sein  Wille  respektiert  werde  und  Lucrezia  sich  an  die  Bevolkerung 
Urbinos  gewohne.  Aus  den  zwanzig  Tagen  wurden  zwei  Monate, 
Lucrezia  kam  erst  im  November  zuriick,  und  einige  Tage  nach  ihr 
kam  auch  Francesco  Maria  von  seiner  Expedition  heim. 

Das  ungliicklichste  eheliche  Zusammenleben  begann,  voll 
Streit  und  Zank,  unterbrochen  von  Lucrezias  Reisen  nach  Ferrara, 
verscharft  durch  Geldsorgen,  da  die  mageren  Einkiinfte  der  Prin- 
zessin ihre  notwendigsten  Bedurfnisse  nicht  deckten.  Sie  war  bei 
den  jiidischen  Kaufleuten  in  Urbino  verschuldet,  und  aus  den 
Handen  der  Wucherer  befreite  sie  erst  der  Tod  der  Mutter,  die  ihr 
50  000  Lire  in  bar  vermacht  hat.  Einige  Monate  nach  Renatas 
Tod,  am  28.  September  1574,  starb  auch  der  alte  Guidobaldo,  Lucre- 
zias treuer  Anhanger.  Infolgedessen  spitzte  sich  das  Verhaltnis 
zwischen  den  Gatten  noch  scharfer  zu.    Lucrezia  lebte  nun  in  der 


FINIS  FERRARIAE 


397 


Hauptsache  beim  Bruder:  eine  Magen-  und  Augenerkrankung  ver- 
anlaBte  sie  im  Friihling  1575  Pesaro  zu  verlassen  und  Ferrara  auf- 
zusuchen,  das  wegen  seiner  tiichtigen  Arzte  beriihmt  war.  Von  Kind- 
heit  auf  an  Feste,  Zerstreuungen  und  Geselligkeit  groBen  Stils  ge- 
wohnt,  offnete  sie  wieder  ihfe  Salons  im  ferraresischen  Kastell;  damals 
verkehrte  Tasso  viel  bei  ihr.  Der  Dichter  las  ihr  seine  „Gerusalemme" 
vor  und  riihmte  sich  in  seiner  eitlen  Art  in  einem  Brief  an  seinen 
Freund,  er  verbringe  viele  Stunden  bei  ihr  ,,in  secretis".  Das  sollte 
bedeuten,  daB  er  zeitweilig  allein  von  ihr  empfangen  wurde,  denn 
wahrhaft  ,,in  secretis"  empfing  sie  jemand  anderes,  den  Marchese 
Ercole  Contrari,  den  sie  noch  vor  ihrer  Hochzeit  geliebt  hat.  Die 
Contrari  gehorten  zu  den  bekanntesten  Familien  von  Ferrara  und 
waren  selbst  mit  den  Este  verwandt,  da  der  GroBvater  Ercole  mit 
Diana,  Sigismondo  d'Estes  natiirlicher  Tochter,  verheiratet  war. 
Ercole  Contrari  besaB  mit  den  groBten  Feudalbesitz  in  Ferrara,  das 
Marquisat  Vignola,  zahlreiche  Schlosser  und  Dorfer.  Er  scheint 
schon  in  den  Fiinfzigen  gewesen  zu  sein,  war  aber  ein  ansehnlicher, 
stattlicher  Mann,  der  noch  bei  alien  Turnieren  den  Preis  gewann. 
Am  Hofe  nahm  er  als  Fiihrer  der  herzoglichen  Garde  eine  wichtige 
Stelle  ein  und  besaB  des  Herzogs  absolutes  Vertrauen.  Lucrezia 
sah  trotz  ihrer  vierzig  Jahre  noch  gut  aus,  und  da  sie  in  ihrer  Ehe 
soviel  Enttauschungen  erlebt  hatte,  wandte  sie  sich  mit  um  so 
heiBerem  Herzen  ihrer  friiheren  Liebe  zu.  Sie  kniipfte  ein  Liebes- 
verhaltnis  mit  Contrari  an,  von  dem  auch  am  Hof  gesprochen  wurde. 
Lucrezias  Vetter  Alfonso  d'Este,  Alfonsos  I.  natiirlicher  Sohn 
und  der  Vater  Cesares,  des  vermutlichen  Thronfolgers,  erfuhr  da- 
von;  allzu  besorgt  um  die  Ehre  der  Familie,  benachrichtigte  er  den 
Herzog  von  allem.  Alfonsos  Vorgehen  entsprach  der  Tradition  der 
furstlichen  Tyrannengeschlechter. 

Am  Nachmittag  des  2.  August  1575  lieB  er  Contrari  zu  sich  bitten; 
der  Marchese  kam  ahnungslos  ins  SchloB,  im  Glauben,  der  Herzog 
habe  einen  Auftrag  fur  ihn.  Alfonso  kam  ihm  entgegen  und  bat 
ihn  in  ein  Privatgemach.  Dort  warteten  bereits  Cornelio  Bentivoglio, 
Pigna,  der  Sekretar  des  Herzogs,  der  Graf  Palla  Strozzi  und  Burrino, 
der  Henker.  Anwesend  waren  ferner  Curzio  Trotti,  der  Freund  des 
Marchese    und  Borso  Trotti,  Lucrezias  Milchbruder,   der  ihr  Ver- 


398  DREIZEHNTES  KAPITEL 

trauter  gewesen  war.  Die  beiden  letzteren  hatte  der  Herzog  am 
Morgen  des  gleichen  Tages  zu  sich  gebeten  und  ihnen  durch  Dro- 
hungen  das  Geheimnis  entrissen.  Sie  kannten  den  Ausgang  nicht, 
aber  die  Anwesenheit  des  Henkers  war  eine  furchtbare  Drohung. 
Als  Contrari  ins  Zimmer  trat,  warf  ihm  Bentivoglio  plotzlich  eine 
Decke  iiber  den  Kopf,  Strozzi  packte  ihn  bei  den  Armen,  damit  er 
sich  nicht  wehren  konne,  Burrino  preBte  ihm  die  Schlafen  mit 
einer  groBen  Zange  zusammen,  dann  warf  er  ihm  mit  ungeheurer 
Schnelligkeit  und  Geschicklichkeit  einen  Strick  urn  den  Hals,  so 
daB  der  Marchese  lautlos  zusammenbrach.  Die  Zeugen  verlieBen 
auf  Alfonsos  Befehl  das  SchloB  unverziiglich,  um  einen  Arzt  zu 
holen;  das  Gerucht  wurde  ausgesprengt,  daB  Contrari  einen 
Schlaganfall  bekommen  habe;  als  der  Arzt  seinen  Tod  kon- 
statiert  hatte,  wurde  er  in  einem  herzoglichen  Wagen  in  den 
Palast  der  Contrari  uberfuhrt.  Zwei  Tage  spater  lieB  Alfonso 
den  Marchese  mit  all  dem  Pomp  begraben,  der  ihm  seiner  Stellung 
nach  gebiihrte  und  in  der  Familienkapelle  bei  den  Dominikanern 
beisetzen. 

Als  man  Lucrezia  vom  Unfall  des  Marchese  benachrichtigte, 
glaubte  sie  erst,  er  ware  noch  am  Leben  und  schickte  in  seinen 
Palast,  um  sich  nach  seinem  Befinden  zu  erkundigen.  Als  sie  je- 
doch  erfuhr,  wer  der  Morder  war,  blieb  sie  auBerlich  ganz  ruhig, 
aber  sie  schwor  Rache  nicht  den  Urhebern  des  Mordes  allein,  sondern 
ihrem  ganzen  Geschlecht.  Ihr  HaB  richtete  sich  namentlich  gegen 
ihren  Vetter,  Don  Alfonso  d'Este,  den  sie  fur  den  moralischen  Ur- 
heber  des  Verbrechens  hielt,  und  gegen  seinen  Sohn  Don  Cesare.  Sie 
wurde  die  furchtbarste  Feindin  ihrer  eignen  Familie  und  hatte  dafur 
Griinde  genug.  Ihr  eigener  Vater  hatte  ihr  Unrecht  getan,  indem  er 
ihr  im  Testament  eine  unverhaltnismaBig  kleine  Mitgift  ausgesetzt 
hatte,  ihr  Bruder  hatte  sie  geschadigt,  als  er  sie  zwang,  in  den  Ehe- 
akten  auf  ihre  Anspriiche  auf  den  Familienbesitz  zu  verzichten  und 
derselbe  Bruder  hatte  ihr  Herz  zerrissen,  da  er  ihr  auf  hinterlistige, 
verbrecherische  Art  den  einzigen  Menschen  nahm,  den  sie  geliebt  hat. 
Nach  Contraris  Tod  blieb  ihr  Verlangen  nach  Rache  zweiundzwanzig 
Jahre  ungestillt,  zweiundzwanzig  Jahre  lang  intrigierte  sie,  lebte 
erfiillt  vom  HaB  gegen  alles,  was  mit  ihrem  Geschlecht  in  Zusammen- 


FINIS  FERRARIAE  399 

hang  stand,  bis  sie  sich  einige  Tage  vor  ihrem  Tode  hohnlachend 
gestehen  konnte,  den  Este  Ferrara  entrissen  zu  haben. 

Kurze  Zeit,  nachdem  ihr  Geliebter  ermordet  worden  war,  verlieB 
Lucrezia  Ferrara,  sie  ging  zu  ihrem  Manne  zuriick,  legte  auf  ihrer 
Reise  nach  Urbino  in  Loreto  ein  Gelubde  ab,  und  flehte  wohl  die 
Madonna  um  Beistand  in  der  Durchfuhrung  ihrer  Rache  an. 

Beim  Gatten  blieb  sie  nur  kurze  Zeit,  sie  hatte  sich  bei  ihm  eine 
damals  sehr  verbreitete  Krankheit  geholt,  die  bei  ihr  in  ihrer  ganzen 
Furchtbarkeit  auftrat.  Verzweifelt  beschloB  sie  Urbino  fur  immer 
zu  verlassen  und  ging  nach  Ferrara  zuriick.  Dort  lieB  sie  sich  vom 
beriihmten  Arzt  Brasevoli  behandeln,aberSpuren  der  Krankheit  blieben 
fur  immer.  Die  offentliche  Meinung  in  Urbino  wandte  sich  bald  gegen 
den  Herzog,  der  jetzt  alle  moglichen  Mittel  anwandte,  um  sich  mit  seiner 
Frau  zu  versohnen  und  sie  zu  bewegen,  wieder  zuriickzukehren.  Die 
italienischen  Tyrannen  pflegten  eheliche  Konflikte  in  aller  Stille  zu 
losen,  mit  Gift  oder  Gefangnis;  die  Flucht  der  Gattin  war  etwas  an  da- 
maligen  Ho  fen  Beispielloses.  Francesco  Maria  fiihlte  sich  in  seinem 
Stolz  tief  verletzt  und  seinen  Untergebenen  gegeniiber  gedemiitigt,  er 
schrieb  und  schickte  Boten  nach  Ferrara,  um  Lucrezia  zur  Ruckkehr 
zu  bewegen,  aber  alles  war  umsonst.  Selbst  Alfonso  ergriff  die  Partei 
seiner  Schwester  und  seines  Hauses  und  holte  den  Rat  derDoktoren  der 
Sorbonne  ein,  um  Lucrezias  EntschluB,  nicht  mehr  zum  Gatten,  der 
ihr  soviel  Unrecht  zugefiigt  hatte,  zuriickzukehren,  rechtlich  zu 
stiitzen.  Francesco  begab  sich  zu  Gregor  XIII.,  damit  er  Lucrezia  be- 
fehle,  zu  ihm  zuriickzukehren,  aber  weder  das  papstliche  Breve,  noch 
die  Versuche  der  Kirchenfursten  vermochten  sie  in  ihrem  EntschluB 
wankend  zu  machen.  So  blieb  nichts  anderes  iibrig,  als  wenigstens 
die  Vermdgensverhaltnisse  der  Gatten  einem  schiedsrichterlichen 
Spruch  zu  unterwerfen.  Die  Kardinale,  Farnese,  Este  und  Sforza, 
haben  diesen  Vertrag  beraten,  der  in  Rom  am  31.  August  1578  ge- 
schlossen  wurde.  Es  wurde  beschlossen,  Lucrezia  ihre  Freiheit  zu 
lassen,  sie  konne  wohnen,  wo  sie  wolle,  und  der  Herzog  von  Urbino 
habe  die  Pflicht,  ihr  jahrlich  6000  Scudi  auszuzahlen,  die  Halfte 
jener  Summe,  zu  deren  Auszahlung  er  sich  im  Ehekontrakt  ver- 
pflichtet  hatte.  AuBerdem  bestimmte  Francesco  Maria  Lucrezia 
das  SchloB  in  Novillara  nebst  dem  dazu  gehorigen  Landbesitz. 


400  DREIZEHNTES  KAPITEL 

II 

Lucrezia  hatte  keine  Lust,  einsam  in  Novillara  zu  leben,  es  ver- 
langte  sie,  ein  Mittelpunkt  zu  sein  und  von  zahlreichen  Menschen 
umgeben  und  verehrt  zu  werden.  Sie  wahlte  Ferrara  zu  ihrem  Wohn- 
sitz,  besonders  da  sie  dort  Gelegenheit  hatte,  ihre  Intriguen  weiter- 
zuspinnen. 

Alfonso,  der  nach  Barbaras  Tod  einige  Zeit  als  Witwer  gelebt 
hatte,  verheiratete  sich  1579  zum  dritten  Mai  mit  der  funfzehn- 
jahrigen  Margherita,  der  Tochter  des  Herzogs  von  Mantua;  sie  war 
trotz  ihrer  Jugend  eine  selbstandige,  unabhangige  Natur.  Natiirlich 
begann  nach  Margheritas  Einzug  in  Ferrara  ein  Wettkampf  zwischen 
den  beiden  Frauen,  welcher  von  beiden  die  erste  Rolle  am  Hofe  ge- 
biihre  —  Lucrezia  hatte  geglaubt,  Margherita  vollkommen  be- 
herrschen  zu  konnen,  aber  die  junge  Mantuanerin  war  sich  ihrer 
Wiirde  als  Herzogin  von  Ferrara  bewuBt  und  lieB  sich  von  der  ge- 
schiedenen  Frau  mit  bewegter  Vergangenheit  nicht  in  eine  unter- 
geordnete  Position  drangen.  Bald  standen  sich  diese  beiden  Frauen 
nach  dem  Ausdruck  eines  Zeitgenossen  ,,wie  Schlangen  gegeniiber, 
die  sich  beiBen  wollen".  Margherita  fiihlte  sich  um  so  sicherer, 
als  am  Hof  von  Lucrezias  Verhaltnis  mit  dem  Grafen  Monte- 
cuculi,  einem  Cameriere  des  Herzogs,  geflustert  wurde.  Lucrezia 
soil  trotz  aller  Stiirme,  durch  die  sie  gegangen,  auch  in  ihrem 
spateren  Leben  einen  groBen  Teil  ihrer  friiheren  Schonheit  bewahrt 
haben.  Dies  moge  zur  Rechtfertigung  von  Montecuculi  dienen,  der 
ihr  letztes  Opfer  gewesen  zu  sein  scheint.  Mit  zunehmendem  Alter 
stieg  auch  die  Frommigkeit  der  Herzogin,  sie  verbrachte  ganze  Tage 
im  Kloster,  lieB  beriihmte  Kanzelredner  kommen,  was  sie  jedoch 
nicht  hinderte,  glanzende  Feste  zu  geben,  Gaste  von  fernher  einzu- 
laden  und  auf  sehr  groBem  FuB  zu  leben.  Sie  hatte  sogar 
einen  beruhmten  Koch,  Rosetti,  der  ein  Buch  unter  dem  Titel 
,,La  scalco",  1582  in  Venedig  herausgegeben  hat,  worin  er 
einige  von  seiner  Herrin  veranstaltete  Banketts  beschreibt.  Auf 
dem  einen  traten  wahrend  des  Desserts  zwei  Hofnarren  auf,  Le- 
dardino  und  Francatrippa,  die  die  ganze  Gesellschaft  zum  Lachen 
brachten. 


FINIS    FERRARIAE 


401 


Feste  und  Gebete  hinderten  Lucrezia  nicht,  gegen  ihre  eigne 
Familie  zu  arbeiten.  Alfonso  behielt  sie  streng  im  Auge,  liefi  sie  durch 
ihm  ergebene  Diener  beobachten  und  fing  oft  sogar  ihre  Briefe  auf. 
1587,  nach  Alfonso  d'Estes,  des  Vetters  Tod,  richtete  die  Herzogin  ihr 
ganzes  Augenmerk  darauf,  zu  verhindern,  daB  sein  Sohn  Cesare 
auf  den  Thron  von  Ferrara  komme.  Ihr  Vorgehen  war  nicht  frei  von 
der  Furcht,  daB  Cesare,  der  iiber  ihre  Geiiihle  nicht  im  Zweifel  war, 
sich  einst  an  ihr  rachen  wurde.  Um  dem  vorzubeugen,  richtete  die 
Herzogin  1591  ein  Memorial  an  ihren  Bruder  und  bat,  ihre  Zukunft 
sicherzustellen,  damit  sie  nicht,  ,, falls  Ferrara  einst  in  Gott  weiB 
wessen  Hande  iibergehe,  das  Opfer  der  furchtbarsten  Behandlung 
werde".  Sie  machte  sogar  einen  neuen  Pratendenten  ausfindig, 
Cesare  Trotti,  Ercoles  II.  unehelichen  Sohn,  um  Cesares  mogliche 
Thronfolge  zu  verhindern.  Als  sie  erfuhr,  daB  Rom  nach  Alfonsos  II. 
Tod  Ferrara  zu  annektieren  beabsichtige,  beschaftigte  sie  die  Sorge 
um  den  zukiinftigen  Herrscher  nicht  langer,  sie  stellte  ihre  ganze 
Kraft  in  den  Dienst  der  romischen  Kurie  und  war  vom  Wunsche 
erfiillt,  daB  das  Reich,  das  drei  Jahrhunderte  lang  unter  der  Herr- 
schaft  ihres  Geschlechtes  gestanden,  der  Kirche  anheimfalle.  Sie 
empfing  papstliche  Gesandte  im  geheimen,  gab  der  Kurie  Rat- 
schlage,  auf  welche  Weise  sie  sich  nach  Alfonsos  Tod  Ferraras  am 
sichersten  bemachtigen  konne,  und  wuBte  Parteigenossen  um  sich 
zu  sammeln.  Noch  vor  dem  Tode  des  Oheims  Don  Alfonso  berichtete 
Rafaele  Medici,  der  Florentiner  Geschaftstrager  in  Ferrara,  im 
August  1587  seinem  Herzog,  Lucrezia  widersetze  sich  Don  Alfonsos 
Nachfolge  nicht  nur  infolge  des  Hasses,  den  sie  fur  ihn  nahre,  sondern 
auch  aus  Furcht,  nach  Pesaro  zuriickzukehren  und  sich  dem  Oheim 
unterwerfen  zu  mussen  oder,  was  vielleicht  noch  schlimmer  sei, 
seiner  Frau,  die  aus  einer  Apothekerfamilie  stammte.  Don  Alfonso 
furchtete  mit  Recht,  Lucrezia  wurde  sich  nach  dem  Tode  des  Herzogs 
des  Kronschatzes,  der  etwa  eine  Million  Scudi  enthielt,  bemachtigen 
und  Cesares  Gegner  um  sich  scharen,  um  ihn  vom  Thron  fernzu- 
halten.  Rafaele  Medici  empfahl  Cesare  einen  Versuch,  die  Herzogin 
fur  sich  zu  gewinnen  und  gemeinsame  Sache  mit  ihr  zu  machen, 
da  der  GroBherzog  von  Florenz  Ferrara  lieber  nach  wie  vor  in  der 
Hand  derEste  und  nicht  unter  der  Herrschaf t  der  Kirche  gesehenhatte. 

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402  DREIZEHNTES  KAPITEL 

Lucrezia  wollte  von  einer  Annaherung  Cesares  nichts  wissen; 
sie  hatte  alles  so  sorgfaltig  eingefadelt,  daB  der  Erfolg  so  gut  wie 
sicher  war.  Sie  war  im  Oktober  1597  in  Reggio  zur  wunder- 
tatigen  Madonna  della  Ghiara  gepilgert,  als  ihr  gemeldet  wurde, 
ihr  Bruder  sei  schwer  am  Fieber  erkrankt.  Sofort  lieB  sie  sich  in 
einer  Sanfte  nach  Ferrara  bringen;  sie  fand  Alfonso  noch  am  Leben, 
konnte  ihn  aber  nicht  mehr  sprechen,  da  Alfonso  sich  weigerte,  sie 
zu  empfangen.  Alfonso  starb  am  27.  Oktober;  vor  seinem  Tode 
hatte  er  die  adligen  Wiirdentrager  und  die  Altesten  der  Stadt  an  sein 
Lager  berufen  und  den  Versammelten  sein  Testament  verlesen, 
in  dem  er  Cesare  d'Este  als  seinen  Nachfolger  bestimmte.  Gleich- 
zeitig  teilte  er  den  Anwesenden  mit,  daB  er  sich  beim  Kaiser  um  die 
Investitur  von  Modena  an  Cesare  bemuht  habe.  Dem  zukiinftigen 
Herzog  hatte  er  in  seinem  Testament  die  Pflicht  auferlegt,  Lucrezia 
die  gleiche  Summe  auszuzahlen,  die  sie  bis  jetzt  erhalten  hatte, 
auch  vermachte  er  ihr  4000  Scudi  in  bar. 

Cesare  kam  unmittelbar  nach  Alfonsos  Tod  nach  Ferrara;  nach 
alter  Sitte  bestieg  er  seinen  Schimmel  und  zog  im  Herzogsmantel 
durch  die  StraBen  der  Stadt,  indem  er  das  ferraresische  Reich  in 
Besitz  nahm.  Der  Papst,  Klemens  VIII.  Aldobrandini,  beantwortete 
den  Umzug  mit  einem  Edikt  am  Domportal,  worin  er  Cesare  einen 
Usurpator  nannte,  und  verkiindete,  daB  Ferrara  als  Kirchengut  der 
Kirche  anheimfalle.  Gleichzeitig  lieB  der  Papst  unter  der  Anfuhrung 
seines  jungen  Nepoten,  des  Kardinals  Pietro  Aldobrandini,  ein 
Heer  von  dreiBigtausend  Mann  vor  Ferraras  Grenzen  sammeln.  Da 
Cesare  trotz  des  Ediktes  und  des  papstlichen  Heeres  nicht  gutwillig 
zuriicktrat,  erlieB  der  Papst  am  23.  Dezember  eine  Bulle,  die  ihn 
und  seine  Anhanger  in  den  Bann  tat,  auBerdem  belegte  er  Ferrara 
und  das  gesamte  Landgebiet  mit  dem  Interdikt.  Die  Lage  des  jungen 
Herzogs  war  hoffnungslos,  die  ferraresische  Bevolkerung  hatte  nicht 
die  geringste  Lust,  ihn  zu  beschiitzen,  da  er  es  nicht  verstanden 
hatte,  sich  Sympathien  zu  erwerben.  Niemand  vertraute  dem  un- 
erfahrenen,  schwankenden  Fiihrer,  niemand  glaubte,  daB  er  sich 
auf  dem  Thron  wurde  behaupten  konnen.  Die  Bevolkerung  war 
auBerdem  durch  Abgaben  viel  zu  erschopft,  um  die  weitere  Herr- 
schaft  der  Este  zu  begehren;  auf  alien  lastete  Druck  und  Apathie. 


FINIS  FERRARIAE  403 

Unter  solchen  Umstanden  blieb  Cesare  nichts  iibrig,  als  Verhand- 
lungen  mit  Rom  anzukniipfen.  Aber  wer  sollte  sie  fiihren?  Der 
Herzog  begab  sich  zur  verhaBten  Lucrezia,  zu  seiner  erbittertsten 
Feindin. 

Nach  Ercole  Mostis  Berichten,  der  in  die  geheimsten  Plane  des 
verstorbenen  Herzogs  eingeweiht  war,  hat  Alfonso  II.  die  Absicht 
gehabt,  Lucrezia  zu  vergiften,  aus  Furcht,  daB  sie  Cesares  Plane 
durchkreuzen  wiirde,  dem  Kranken  gebrach  es  jedoch  an  Energie, 
um  diesen  Befehl  ausfiihren  zu  lassen.  Mosti  empfahl  Cesare,  den 
Wunsch  des  Toten  zu  vollstrecken,  aber  den  bei  dieser  Unterredung 
anwesenden  Sekretar  Loderchi  emporte  dieser  Plan  und  er  hintertrieb 
seine  Ausfiihrung.  Don  Cesare  war  Mostis  Rat  nicht  unzuganglich, 
schon  war  er  im  Begriff,  Lucrezia  erwiirgen  zu  lassen,  als  weitere 
Ereignisse  die  Durchfuhrung  dieses  furchtbaren  Planes  unmoglich 
machten.  Cesare  war  von  den  freundschaftlichen  Beziehungen  seiner 
Tante  zu  Rom  unterrichtet,  er  glaubte  an  ihre  Geschicklichkeit  und 
nahm  an,  daB  sie  in  einem  so  kritischen  Augenblicke  den  Fall  der 
estensischen  Dynastie  in  Ferrara  nicht  wiinschen,  sondern  unter 
entsprechenden  Vorteilen  die  Rolle  der  Retterin  des  Geschlechts 
spielen  wiirde.  Aus  diesem  Grunde  bat  er  sie,  mit  dem  Kardinal 
zu  unterhandeln  und  riistete  sie  mit  absoluter  Vollmacht  aus. 

Aber  Cesare  hatte  sich  getauscht,  nichts  verband  Lucrezia  mehr 
mit  den  Este;  seit  dem  Augenblicke,  da  Alfonso  ihren  Geliebten 
hatte  ermorden  lassen,  brutete  sie  Rache.  Triumphierend  ubernahm 
sie  den  Auftrag:  der  Augenblick  der  Rache  war  gekommen. 

Der  Winter  war  kalt,  Schnee  deckte  die  StraBen,  die  schwachliche 
Herzogin  lieB  sich  in  der  Sanfte  nach  Solarolo  zu  Aldobrandini 
tragen.  Der  Legat  empfing  sie  mit  groBen  Ehren,  doch  wollte  er 
sich  in  Verhandlungen  nicht  eher  einlassen,  als  bis  Cesare  die  Waffen 
niedergelegt,  seinen  kleinen  Sohn  als  Geisel  geschickt  und  auf  das 
Herzogtum  Ferrara  verzichtet  habe.  Lucrezia  wurde  als  Belohnung 
fur  ihre  Miihe  und  das  Zustandekommen  des  Traktates  das  unab- 
hangige  Herzogtum  Bertinoro  in  der  Romagna  zugesprochen.  Mit 
diesem  Ultimatum  kam  Lucrezia  nach  Ferrara;  Cesare  empfand  die 
Unmoglichkeit,  das  Herzogtum  zu  halten,  er  berief  am  10.  Januar 
1598  die  zwolf  Savi  und  die  Vertreter  des  Adels,  ubergab  nach  einer 

a6* 


404 


DREIZEHNTES   KAPITEL 


ergreifenden  Ansprache  die  Oberherrschaft  dem  Anfuhrer  der  Savi, 
verzichtete  auf  den  Thron  von  Ferrara  und  schickte  gleichzeitig 
seinen  altesten  Sohn,  Don  Alfonso,  einen  sechsjahrigen  Knaben, 
unter  dem  Schutze  zweier  Edelleute,  in  Aldobrandinis  Hauptquartier 
nach  Faenza. 

Der  Traktat,  der  den  Este  alle  Rechte  auf  Ferrara  nahm,  wurde 
in  Faenza  am  15.  Januar  1598  unterzeichnet  und  nennt  sich  in  der 
italienischen  Geschichte  Transazione  di  Faenza.  Am  29.  Januar 
brachte  einer  der  papstlichen  Condottiere  den  kleinen  Alfonso  d'Este 
nach  Modena,  und  Cesare  verlieB  das  ferraresische  Kastell.  Zum 
letzten  Mai  horte  er  des  Morgens  mit  seinem  Gefolge  die  Friihmesse 
im  Dom.  Unmittelbar  nach  dem  Gottesdienst  setzte  sich  der 
ganze  Zug  in  Bewegung  unter  dem  Schutz  von  sechshundert  be- 
waffneten  Reitern,  zweihundert  Bogenschiitzen  zu  Pferde  und  drei- 
hundert  FuBsoldaten.  Dieser  Zug  sah  einem  Begrabnis  nicht  un- 
ahnlich,  im  Volke  tiefes  Schweigen,  der  Herzog  saB  allein  im  Wagen 
mit  gesenktem  Haupt,  und  als  er  am  Garten  del  Padiglione  vorbei- 
kam,  hielt  er  einen  Brief  vors  Gesicht,  um  seine  Tranen  zu  ver- 
bergen.  Bei  der  Kirche  degli  Angeli  erinnerte  er  sich  der  Gefangenen 
und  schickte  eine  Abteilung  Bogenschiitzen  unter  der  Fiihrung 
eines  Cameriere,  um  die  Unglucklichen  zu  befreien,  die  in  den  unter- 
irdischen  Gefangnissen  des  Schlosses  und  des  Palazzo  della  Ragione 
schmachteten. 

Es  gab  in  Ferrara  einige  herrscherlose  Stunden,  ehe  das  papst- 
liche  Heer  einzog,  und  diese  wenigen  Stunden  der  Freiheit  machte 
sich  der  Pobel  zunutze,  um  sich  auf  die  Wohnungen  der  Juden  zu 
stiirzen,  die  die  Este,  die  stets  Geld  brauchten,  beschiitzt  hatten. 
Die  Emporung  gegen  die  Juden  wegen  des  von  ihnen  betriebenen 
Wuchers  war  so  groB,  daB  schon  Alfonso  II.  einen  Teil  des  Heeres 
in  der  Nahe  des  Ghettos  einquartiert  hatte,  um  sie  vor  den  Ober- 
fallen  des  Volkes  zu  schutzen. 

In  jenen  letzten  Tagen  der  estensischen  Herrschaft  in  Ferrara 
lag  Lucrezia  schwer  krank  im  SchloB,  den  Strapazen  der  Reise  nach 
Faenza  war  sie  nicht  gewachsen,  und  dem  Tode  nahe  wollte  sie  an 
ihrem  Geschlecht  noch  die  letzte  Rache  nehmen.  Sie  machte  ihr 
Testament  und  verschrieb  all  ihren  Besitz  in  Italien,  darunter  den 


FINIS   FERRARIAE 


405 


groBartigen  Palazzo  Belvedere  auf  einer  Po-Insel  in  der  Nahe  von 
Ferrara,  dem  Feind  der  Este,  dem  Kardinal  Aldobrandini,  zu  dem 
sie  bis  dahin  keinerlei  Beziehungen  gehabt  hatte.  Um  ihrem  Ent- 
schluB  noch  groBere  Bedeutung  beizulegen,  richtete  sie  im  Testament 
die  Bitte  an  den  Kardinal,  er  moge  das  Vermachtnis  annehmen 
als  Beweis  der  Dankbarkeit  fur  seine  ungeheuren  Verdienste.  In 
Ferrara  rief  dieses  Testament  helle  Emporung  hervor,  man  hielt 
es  fur  den  teuflischen  Einfall  einer  von  satanischem  Geist  erfullten 
Frau,  und  iiber  Aldobrandini  wurden  nicht  gerade  schmeichelhafte 
Geriichte  verbreitet.  Ein  unbekannter  ferraresischer  Patriot  ver- 
faBte  auf  Lucrezias  Tod,  die  zum  Untergang  des  Vaterlandes  bei- 
getragen  habe,  folgendes  Epitaph: 

Inimica  alia  patria  e  al  proprio  sangue, 
Sotto  finto  color  di  dare  aita 
Precipitando  altrui  perde  la  vita 
Lucrezia  estense,  che  qui  giace  essangue. 

Nach  dem  Einzug  des  papstlichen  Heeres  in  Ferrara  begann  auch 
dort  jene  niederdriickende  Herrschaft,  die  in  den  folgenden  Jahr- 
hunderten  halb  Italien  zum  moralischen  und  materiellen  Untergang 
gefiihrt  hat.  Klemens  VIII.  brach  am  13.  April  aus  Rom  nach  Fer- 
rara auf,  von  einem  groBen  Stab  von  Kardinalen,  Bischofen  und 
Pralaten  umgeben,  um  die  neue  Herrschaft  anzutreten.  Ihm  voran 
trug  ein  weiBes  Maultier  eine  groBartige  goldene  Schatulle  mit  dem 
Sakrament.  Dieses  Zeichen  der  Liebe  und  des  Friedens  stand  in 
keinerlei  Einklang  mit  dem  HaB,  den  der  Papst  gegen  Ferrara 
nahrte.  Klemens  VIII.  wollte  es  in  Wahrheit  an  diesem  ungliick- 
lichen  Land  rachen,  daB  es  sich  einige  Jahrhunderte  hindurch  der 
romischen  Kurie  nicht  unterworfen  hatte.  Sein  Hauptbestreben  war, 
in  Ferrara  eine  Festung  zu  errichten,  um  die  ganze  Stadt  zu  be- 
drohen.  In  Pietro  Aldobrandini  fand  der  Papst  einen  nur  zu  treuen 
Vollstrecker  seiner  Rache;  und  dieser  Kardinal  sollte  fur  immer  in  der 
Geschichte  als  einer  der  groBten  Barbaren,  die  je  die  Macht  der  Kirche 
miBbraucht  haben,  gekennzeichnet  sein.  Er  befahl  die  Zerstorung 
des  Kastell  Tebaldo,  eines  Schlosses,  das  der  Markgrafin  Mathilde 
gehort  hatte,  und  des  Sommerschlosses  Belvedere,  das  mit  den  kost- 


406 


DREIZEHNTES  KAPITEL 


barsten  Fresken  geschmiickt  war.  Ferner  liefi  er  die  Palaste  Costabili 
und  Veranno  sowie  einen  ganzen  Stadtteil  des  Borgo  und  Colle  di 
San  Giacomo,  wo  iiber  sechstausend  Menschen  wohnten,  dem  Erd- 
boden  gleich  machen.  Auch  die  dort  befindlichen  Kirchen,  darunter 
S.  Agata  und  S.  Giovanni  vecchio  wurden  zerstort.  Und  das  alles, 
damit  die  neue  Regierung  Platz  fiir  eine  Zitadelle  finde,  die  Mario 
Farnese  nach  den  Planen  der  Festung  in  Antwerpen  erbaute.  Da  der 
Palazzo  Belvedere  infolge  von  Lucrezias  Testament  in  den  Besitz  des 
Kardinals  iibergegangen  war,  hatte  der  auf  seinen  Vorteil  bedachte 
Kirchenfurst  den  prachtvollen  Wohnsitz  der  Este  dem  papstlichen 
Schatz  fur  fiinfzehntausend  Scudi  verkauft.  Die  schonsten  Bilder 
aus  dem  Kastell  hatte  Aldobrandini  fiir  sich  gerettet,  alles  iibrige 
raubte  sein  Nachfolger,  der  Kardinal-Legat  Borghese.  Aus  dem 
reichen  Schatz  ferraresischer  Kunst  blieben  kaum  sparliche  Uber- 
reste  an  Ort  und  Stelle. 

Ferrara  hatte  als  Reich  zu  bestehen  aufgehort,  die  Zeiten  der 
Este,  eines  Bojardo,  Ariost,  Tasso  waren  fiir  immer  vorbei.     Eine 
Seitenlinie  des  beriihmten   Geschlechtes  herrschte  zwar  noch  bis 
zum  Ende  des  XVIII.  Jahrhunderts  in  Modena,  aber  es  war  nur  ein 
schwacher  Zweig  des  einst  machtigen  Stammes,  das  Herrscher  vom 
Schlage  eines  Alfonso  undErcole  nicht  mehr  hervorgebracht  hat.  1803, 
nach  dem  Tode  vonCesares  letztem Nachfolger,  ErcoleRinaldoIII.,fiel 
Modena  seiner  Tochter  Maria  Beatrice  Ricarda  zu,  die  mit  Ferdi- 
nand III.,  Franz  I.  Sohn,  verheiratet  war.  Ferdinand  wurde 
auf  diese  Weise  der  Begriinder  der  osterreichisch- 
estensischen    Linie,    die    sich    mit    geringen 
Unterbrechungen    auf   Modenas    Thron 
bis    zum    Jahre    1859    behauptet 
hat,  bis  das  Herzogtum  von 
den  Soldaten  des  eini- 
gen    Italien    ein- 
genommen 
wurde. 


VIERZEHNTES  KAPITEL 

HOFISCHES  LEBEN 


i 


1  orditaliens  Fiirstenhofe  bilden  in  der  Renaissance  eine 
Gruppe  fiir  sich;  ihre  Kultur  setzt  sich  aus  anderen 
Komponenten  zusammen  als  die  der  burgerlich  ge- 
farbten  Florentiner  Gesellschaft,  auch  unterschei- 
den  sie  sich  in  vielen  Beziehungen  von  der  Kultur 
des  Hofes  von  Neapel,  und  mit  dem  papstlich-romischen 
Hof  lassen  sie  sich  naturgemaB  nicht  vergleichen. 

An  der  Spitze  der  nordischen  Hofe  standen  Ferrara,  Mantua 
und  Mailand.  Nach  dem  Beispiel  von  Ferrara  und  Mantua  modelten 
sich  die  weniger  glanzenden  Hofe  von  Bologna,  Urbino,  Carpi, 
Sabionetta,  Scandiano.  Einige  darunter  haben  eine  gewisse  Zeit 
hindurch  unter  der  Herrschaft  des  einen  oder  anderen  hervorragen- 
den  Tyrannen  eine  glanzende  Rolle  gespielt,  um  bald  vom  Schau- 
platz  abzutreten,  sei  es  aus  politischen  oder  aus  (inanziellen  Griinden. 
Die  kleineren  Signori  sonnten  sich  zumeist  in  der  Gunst 
groBerer  Hofe ;  da  sie  sich  auf  ihrem  kleinen  Landsitz  langweilten, 
blieben  sie  Monate,  selbst  Jahre  im  Dunstkreis  des  Hofes.  Unter 
diesen  Herrschern  und  dem  noch  niedrigeren  Adel  herrschte,  um 
ein  modernes  Wort  zu  gebrauchen,  ein  gewisser  Snobismus,  eine 
gewisse  Befriedigung  der  Eitelkeit,  wenn  ein  leiser  Abglanz  vom 
Hofe  der  Este  oder  Gonzaga  auf  sie  fiel. 

Die  geographische  Lage  trug  dazu  bei,  diesen  norditalienischen 
Partikularismus  zu  fordern.  Rom  und  Venedig  waren  die  Zentren 
der  groBen  Welt.  Nach  Rom  kam  man  nur  ein-  oder  zweimal  im 
Leben;  die  Reise  war  zu  teuer,  haufig  gefahrlich,  man  sprach  und 


4o8  VIERZEHNTES  KAPITEL 

traumte  Jahre  davon.  Nach  Venedig  fuhr  man  haufiger  und  pflegte 
mit  leeren  Taschen  zuriickzukehren.  Um  Einkaufe  zu  machen  oder 
um  sich  zu  amiisieren,  ging  man  in  dieLagunenstadt,  aber  manwahlte 
sie  nicht  zu  seinem  dauernden  Wohnsitz,  denn  das  kaufman- 
nische,  reiche  Venedig  entsprach  dem  ritterlich-kondottieren  Ge- 
schmack  nicht  in  allem.  Der  Hof  von  Ferrara  trug  das  aristo- 
kratischste  Geprage,  die  Este  konnten  das  meiste  Geld  ausgeben 
und  den  groBten  Luxus  entfalten.  Mailand  hatte  auBerordentlich 
glanzende  Augenblicke,  aber  der  haufige  politische  Wechsel  war 
der  Entwicklung  einer  hofischen  Tradition  hinderlich;  sie  lieh 
gerade  den  estensischen  Herzogen  ihren  groBten  Glanz.  Das  Leben 
in  den  ferraresischen  Schldssern  und  Sommerpalasten  gait  als  Vor- 
bild  hofischen  Lebens  schlechthin;  von  dort  drang  ein  Abglanz 
ritterlicher  Kultur  in  die  kleinen  norditalienischen  Hofe,  von  Fer- 
rara und  den  Este  wurde  am  meisten  gesprochen,  ihre  Sitten  galten 
als  Muster. 

Abgesehen  von  den  beiden  Residenzen  in  Ferrara  und  den  zahl- 
reichen  dortigen  Palasten,  erbauten  die  Este  sieben  groBere  Sommer- 
palaste:  Belfiore,  Belriguardo,  Belvedere,  Coppara,  Masola,  Con- 
sandolo  und  Sabioncello,  aufierdem  hatten  sie,  wie  schon  erwahnt, 
ihren  Palast  in  Venedig.  Ferrara  lag  in  einer  reizlosen  Ebene,  es 
gait  also  prachtige  Gartenanlagen  mit  kunstlichen  Kanalen  und 
Seen  zu  schaffen,  um  die  Sommerresidenzen  wohnlich  zu  gestalten 
und  ein  moglichst  abwechslungsreiches  Bild  zu  schaffen.  Auf  den 
Kanalen  schwammen  Schwane;  zahme  Tiere,  die  in  den  Hainen 
frei  umherliefen,  oder  wilde  in  Zwinger  gesperrte,  belebten  das 
Gartenbild.  Die  Wande  der  Palaste  wurden  mit  Fresken  geschmiickt 
oder  mit  Arazzi  behangt,  die  die  Este  in  groBer  Zahl  besaBen.  Schon 
unter  Niccolo  III.  hatte  der  ferraresische  Hof  iiber  dreihundert 
flandrische  Teppiche  und  eine  groBe  Anzahl  prachtiger  Vorhange 
aus  Tuch  und  Samt  mit  Blumen,  Drachen  und  anderen  phan- 
tastischen  Tieren  in  Gold  und  Silber  gestickt. 

Im  Parke  Barca,  der  unter  Ercole  I.  angelegt  wurde,  hielt  man 
Kaninchen,  Hasen,  Rehe,  Damhirsche  und  Wildschweine,  im 
Belvedere  ziichtete  man  unter  Alfonso  I.  Truthiihner,  StrauBe, 
Tauben,   sehr  seltene  kleine  Adler,  selbst  Elefanten.     Ariost  hat 


hOfisches  leben 


409 


dieses  stolze  Schlofi  mit  seinen  Garten  in  seinem  Orlando  beschrieben. 
Im  Park  Barchetto  hatte  Ercole  II.  vier  Giraffen,  die  ihm  der  dani- 
sche  Konig  Christian  VII.  geschenkt  hatte.  Die  Garten  und  der 
Tierpark  im  SchloB  zu  Mansola  waren  von  so  groBer  Ausdehnung, 
daB  die  umfassende  Mauer  zwolf  Meilen  lang  war. 

Uberseeische  Tiere,  namentlich  Vogel,  interessierten  die  Fiirsten 
auBerordentlich,  man  machte  sie  sich  gegenseitig  zum  Ge- 
schenk.  Als  in  der  ersten  Halfte  des  XVI.  Jahrhunderts  die  Portu- 
giesen  auf  der  Insel  Mauritius  einen  unbekannten  Vogel  in  der 
GroBe  eines  Schwans  entdeckten,  strebten  alle  europaischen  Hofe 
nach  seinem  Besitz.  Dieser  Vogel  wurde  auf  hollandisch  Dront,  ,,der 
Geschwollene",  oder  verstiimmelt  Dontgenannt;  die  Hofe  verschenkten 
ihn  sich  untereinander  als  groBte  Seltenheit,  und  das  Wundertier 
wurde  sogar  portratiert.  Alfonso  I.  sah  den  Vogel  im  Tiergarten 
von  Franz  I.  von  Frankreich,  lieB  ihn  portratieren  und  schickte  das 
Bild  seinem  Bruder,  dem  Kardinal  Ippolito,  nach  Erlau.  Im  Wiener 
Hofmuseum  befindet  sich  ein  Bild  von  Roland  Savery,  auf  dem  dieser 
Vogel  dargestellt  ist.  Lebendige  Donte  gab  es  noch  im  XVII.  Jahr- 
hundert  in  den  Menagerien  zu  London  und  Oxford,  es  waren  die 
letzten  Exemplare  dieser  Art. 

Als  Alfonso  erfuhr,  daB  in  Venedig  in  Giovanni  Cornaros  Palast 
eine  sehr  schone  Gazelle  aus  Afrika  eingetroffen  sei,  —  ein  Tier,  das 
er  noch  nicht  kannte  —  beauftragte  er  seinen  Gesandten  Tebaldi, 
Tizian  zu  bitten,  sie  zu  malen.  Leider  war  die  Gazelle  schon  tot 
und  sogar  in  den  Kanal  geworfen  worden,  so  daB  Tizian  den  herzog- 
lichen  Auftrag  nicht  erfullen  konnte. 

Der  Hof  und  das  Reich  waren  identisch.  Alles  drangte  zum  Hof, 
fur  den  Hof  arbeitete  der  Landmann,  der  hinter  dem  von  sechs 
Ochsen  gezogenen  Pflug  einherschritt;  auf  das  SchloB  stiitzten  sich 
Handel  und  Gewerbe,  in  Ferrara  so  gut  wie  in  Modena.  Und  eine 
der  Triebfedern  jeglichen  Geschehens  am  Hof  war  Prachtentfaltung, 
die  Lust  sich  zu  zeigen,  Glanz  zu  verbreiten,  andere  durch  Reichtum, 
Luxus,  prachtvolle  Pferde,  Hofnarren,  Zwerge,  goldne  Gewander 
zu  blenden,  mit  einem  Worte,  Aufmerksamkeit  zu  erwecken  und  zur 
Bewunderung  zu  reizen.  Das  Verlangen  nach  Luxus  war  ein  Erb- 
stiick  der  mittelalterlich-ritterlichen  Hofe  und  die  groBe  Rolle,  die 


4io 


VIERZEHNTES   KAPITEL 


die  Kunst  in  der  Renaissance  spielte,  trug  dazu  bei,  dieses  Verlangen 
zu  steigern.  Man  brauchte  Luxus  und  verstand  ihn  zu  entfalten. 

Wenn  man  Privatbriefe  aus  dem  XV.  und  XVI.  Jahrhundert 
liest,  die  gleichzeitigen  Chroniken  durchblattert,  so  drangt  sich  einem 
der  SchluB  auf,  Feste,  iippige  Hochzeitsfeierlichkeiten,  Empfange 
von  Kaiser  und  Papst,  das  Bewirten  einfluBreicher  Nachbarn  haben 
den  eigentlichen  Lebensinhalt  der  herrschenden  Klasse  ausgemacht. 
Um  sich  zu  zeigen,  groBartig  aufzutreten,  borgten  die  Fiirsten  be- 
deutende  Summen  bei  Wucherern,  versetzten  Familienkleinodien 
und  schropften  die  Untertanen  bis  zum  auBersten.  Luxus  scheint 
der  Daseinszweck  dieser  Hofe  und  Dynastien  gewesen  zu  sein. 
Selbst  die  Pflege  der  Literatur  und  Kunst,  von  der  soviel  die  Rede 
ist,  die  Unterstiitzung  der  Kiinstler  entsprang  bei  den  Renaissance- 
fiirsten  selten  einem  geistigen  Bediirfnis,  sie  war  in  der  Hauptsache 
der  AusfluB  der  Ehrbegier  und  des  Ruhmes.  Von  den  sieben  esten- 
sischen  Herzogen  in  Ferrara  im  XV.  und  XVI.  Jahrhundert  hatten 
nur  Lionello  und  Alfonso  I.  ein  inneres  Verhaltnis  zu  Poesie  und 
Kunst,  die  anderen,  selbst  Borso  und  Ercole  I.,  folgten  in  ihrer  Unter- 
stiitzung von  Kiinstlern  und  Gelehrten  nur  der  Mode  der  damaligen 
Zeit,  sie  wollten  es  den  Medici  gleich  tun,  einer  kunstlerisch  be- 
sonders  begabten  Familie.  Wie  gewohnlich,  standen  die  Frauen  in 
dieser  Beziehung  hoher  und  brachten  Literatur  und  Kunst  wirkliches 
Interesse  entgegen;  genannt  seien  nur  Isabella  Este  Gonzaga, 
Lucrezia  Borgia  und  Elisabetta  Gonzaga.  Die  Architektur  fand 
unter  den  Fiirsten  die  meisten  Verehrer,  mit  ihrer  Hilfe  konnten  sie 
ihre  GroBe  und  Macht  am  besten  nach  auBen  bekunden. 

Diese  ,,gewaltigen  Naturen,  diese  Menschen  mit  despotischen 
Instinkten",  die  mit  Ausnahme  der  Este  fast  samtlich  von  Con- 
dottieren  abstammten,  verlangten  nach  Ruhm  und  Ehre  und  wollten 
eine  Rolle  in  Italien  spielen.  Nicht  jedem  war  die  Moglichkeit  zu 
kriegerischer  Betatigung  verliehen;  um  das  Gliick  des  Volkes  war 
man  wenig  besorgt,  und  da  es  noch  keine  Zeitungen  gab,  fielen  all- 
tagliche  Begebenheiten  schnell  der  Vergessenheit  anheim.  Die 
Despoten  warteten  mit  Ungeduld  auf  den  Augenblick  sich  zu  zeigen, 
sie  sehnten  sich  danach,  daB  von  ihnen  gesprochen,  daB  nach  Rom 
und  Neapel,  selbst  an  den  franzosischen  und  kaiserlichen  Hof  von 


H&FISCHES   LEBEN  411 

ihren  Reichtiimern  und  dem  Glanz  ihrer  Hofhaltung  berichtet  werde. 
Wenn  sie  auf  Reisen  gingen,  was  stets  ungeheure  Summen  ver- 
schlang,  so  wollten  sie  die  Bewunderung  der  Gleichstehenden  und 
das  sich  Demutigen  der  Massen  spiiren. 

Dieser  Wunsch,  Bewunderung  zu  erwecken,  beherrscht  die  Aus- 
gestaltung  des  Hofes,  die  Reisen  der  Fiirsten,  ihre  Hochzeiten  und 
Begrabnisse,  iiberall  Glanz  und  Zurschaustellung.  Ferrara  war  ein 
in  dieser  Beziehung  typischer  Hof.  Kunstgewerbe,  soweit  es  sich 
auf  die  Einrichtung  des  Hauses,  die  Kleidung,  das  Zaumzeug  der 
Pferde  und  Saumtiere  bezieht,  erreichte  dort  eine  hohere  Stufe  als 
anderswo,  da  die  Herzoge  auf  jeden  Gegenstand  achteten  und  auch 
die  geringste  Kleinigkeit  kiinstlerisch  ausgestaltet  haben  wollten. 
Sie  befolgten  darin  die  Zeitstromung,  die  in  freien  Vereinigungen, 
in  Handwerkerziinften  aufgekommen  war,  indem  sie  danach  streb- 
ten,  daB  alles  von  ihnen  Geschaffene  ein  kleines  Meisterwerk  sei. 
Der  Schdnheitssinn  war  in  der  Renaissance  lebendig,  der  Verfall 
des  Geschmackes  machte  sich  erst  spater  geltend  in  den  Zeiten 
kirchlicher  Reaktion  und  protestantischen  Puritanertums  im  XVII. 
und  XVIII.  Jahrhundert  und  noch  spater,  als  die  fabrikmaBige  Her- 
stellung  aller  Dinge  begann. 

Neben  Pomp  und  Luxus  herrschte  am  Hofe  im  taglichen  Leben 
eine  unerhorte  Einfachheit.  Von  irgendwelchen  Bequemlichkeiten 
in  der  Einrichtung  der  Hauser  war  nicht  die  Rede,  die  kostbarsten 
Kleinodien  auf  der  einen,  der  unglaublichste  Schmutz  auf  der  andern 
Seite.  Nur  wenn  fremde  Gaste  erwartet  wurden,  wurden  die  Locher 
in  den  Dachern  geflickt  und  die  gesprungenen  Zimmerwande  mit 
Teppichen  behangen.  Als  man  Friedrich  III.  in  Ferrara  erwartete, 
wurden  in  aller  Eile  die  Balkons  im  SchloB  angestrichen  und  die 
Marmorsaulen  gescheuert;  da  es  aber  keine  Scheuerlappen  gab, 
muBten  schleunigst  vier  Schwamme  gekauft  werden.  Die  Korridore 
und  Loggien  waren  nachts  nicht  beleuchtet;  damit  sich  die  Deutschen 
nicht  die  Kopfe  einstieBen,  wurden  eiserne  Haken  angebracht,  um 
Laternen  aufzuhangen  und  fiinfzehnhundert  Pfund  Talglichter 
gekauft.  Nach  der  Abreise  des  Kaisers  nach  Rom  fand  es  die  Diener- 
schaft  iiberflussig,  die  Raume,  die  er  bewohnt  hatte,  in  Stand  zu 
halten,  und  bei  seiner  Ruckkehr  muBte  man  sie  wieder  in  Ordnung 


412 


VIERZEHNTES   KAPITEL 


bringen,  da  sich  Unrat  darin  angesammelt  hatte.  Und  dabei  waren 
die  Wande  mit  flandrischen  Arazzi  ausgeschlagen  und  die  Betten 
mit  Seide,  Samt  und  Brokat  bedeckt.  Ob  der  Kaiser  auf  goldge- 
stickten  Kissen  bequem  schlafe,  daran  scheint  niemand  gedacht 
zu  haben,  es  ging  nur  darum,  durch  Pracht  zu  blenden.  In  gewohn- 
lichen  Zeiten  waren  die  markgraflichen  Betten  mit  Leintiichern  be- 
deckt, in  die  die  Mause  Locher  genagt  hatten,  oder  mit  Decken,  die 
in  Fetzen  zerfielen.  Die  Marchesana  Ricciarda  hatte  ein  Schlaf- 
zimmer,  das  mit  den  teuersten  Teppichen  behangen  war,  aber  das 
Bett  war  mit  ganz  grobem  Leinen  gedeckt,  und  Madonna  Lucia, 
eine  von  Parisinas  Tochtern,  lag  unter  einer  zerfetzten  Decke. 
Borso,  der  Brokatbeinkleider  trug  und  Schmuck  von  unschatz- 
barem  Wert  an  seinem  Barett,  schlief  auf  einem  Strohsack  und 
hatte  zumeist  ein  schmutziges  Kissen  unter  seinem  Kopf.  In 
den  Garderoben  wurden  die  kostbarsten  Pelze  und  Gewander  auf- 
gespeichert,  aber  selbst  die  Markgrafen  trugen  geflickte  Kleider. 
Sehr  haufig  flickten  sie  sie  selbst,  und  zu  den  Toilettenutensilien 
jedes  Signore  und  Edelmannes  gehorte  eine  Schachtel  mit  Nadeln 
und  vielfarbigem  Zwirn.  Erst  Ercole  I.  weigerte  sich,  seine  Knopfe 
selbst  anzunahen,  und  gab  einem  Schneider  sein  Warns  zum  Flicken. 
Die  Hofpagen  trugen  silbergestickte  Kleider,  aber  sie  schliefen  der 
Lange  nach  auf  dem  Stroh  hingestreckt;  1474  wurde  zum  erstenmal 
Leinen  gekauft,  um  Strohsacke  fur  sie  herzustellen,  und  auch  das 
geschah  nur,  weil  sie  an  ihren  Stiefeln  und  Kleidern  Strohhalme 
durch  das  ganze  SchloB  trugen.  Die  Knaben  trugen  ihr  Haar  lang 
bis  liber  die  Schultern  fallend,  aber  sie  besaflen  keine  Biirsten,  man 
gab  ihnen  nur  Holzkamme,  und  ihr  einziges  Toilettengerat  bestand 
in  einem  kupfernen  Wasserkrug. 

Der  ganze  Hofstaat  wurde  auf  herzogliche  Kosten  gekleidet, 
selbst  die  Hofleute  aus  den  ersten  Familien,  die  Donzellen,  die  Dichter 
bekamen  die  ,,Radchen-Livr6e".  Jeder,  der  aus  dem  Dienste  schied, 
muBte  seine  Kleider  zuriickgeben.  Wir  haben  gesehen,  wie  der 
armen  Morata,  Renatas  Gesellschafterin  und  der  Lehrerin  ihrer 
Tochter,  kaum  das  Hemd  belassen  wurde,  das  sie  am  Leibe  trug. 
Die  niedere  Dienerschaft  bekam  auBerordentlich  selten  neue  Anziige, 
daher  sahen  diese  Kiichenjungen  und  die  Knechte,  die  das  Wasser 


hOfisches  LEBEN  413 

herbeiholten,  schmutzig  und  zerrissen  aus;  selbst  die  Padagogen  am 
Hofe  sah  man  selten  in  halbwegs  anstandigen  Kleidern.  Meliadus, 
Nicolaus  III.  Sohn,  hatte  Messer  Prosdocimo  zum  Lehrer.  Dieser 
arme  Humanist  war  so  sparlich  mit  Wasche  versehen,  daB  er  zu  all- 
gemeinem  Argernis  fast  nackt  einherlief.  Meliadus  selbst  schrieb,  als 
er  die  Universitat  in  Padua  besuchte,  einen  verzweifelten  Brief  nach 
Hause,  die  Fattori  generali  mogen  ihm  fiinf  Ellen  Tuch  schicken, 
da  er  sich  sonst  ohne  Hosen  auf  der  StraBe  zetgen  muflte.  Auch 
das  Schuhwerk  fur  den  gesamten  Hofstaat,  ,,per  tutta  la  famiglia", 
wurde  von  der  herzoglichen  Kasse  bestritten,  aber  die  Stiefel  waren 
wohl  sehr  schlecht  gearbeitet,  da  die  Herzoge  und  die  ersten  Hofleute 
achtzig  Paar  jahrlich  -a  Person  verbrauchten;  die  iibrigen  bekamen 
drei,  die  Donzellen  zwei  Paar  Stiefel  und  ein  Paar  Schuhe  monatlich. 
Aus  den  Hofrechnungen  unter  Ercole  I.  geht  hervor,  daB  Isabella 
d'Este  als  junges  Madchen  im  Verlauf  von  anderthalb  Jahren 
dreiunddreiBig  Paar  Stiefel  verbraucht  hat.  Fur  ihre  schlechten 
Stiefel  wurden  die  Schuster  schlecht  entlohnt,  oder  mufiten  zum 
mindesten  wie  die  iibrigen  Handwerker  Jahre  lang  auf  Bezahlung 
warten.  1422  faBte  ein  Schuster  Mut  und  folgte  dem  Markgrafen 
nach  Venedig,  indem  er  ihn  fuBfallig  bat,  seine  Rechnung  zu 
bezahlen;  die  Beamten  in  Ferrara  hatten  ihm  gesagt,  daB  sie  kein 
Geld  hatten. 

Erst  unter  Ercole  I.  begann  man  etwas  mehr  auf  Bequemlich- 
keit  zu  achten  und  den  Hofstaat  besser  zu  fiihren;  die  Herzogin,  die 
neapolitanischen  Luxus  gewohnt  war,  wollte  auch  in  Ferrara  etwas 
zivilisiertere  Brauche  einfuhren. 

Eine  der  Hauptsorgen  der  Este  war,  gute  Informationen  iiber 
alles  zu  erhalten,  was  in  der  Welt  vorging;  hauptsachlich  aus  diesem 
Grund  hatten  die  Herzoge  auch  an  kleinen  Hofen  Gesandte  und 
Geschaftstrager.  In  den  Berichten  ist  aber  haufig  von  Politik  gar 
nicht  die  Rede,  dafvir  wird  selbst  die  geringste  Klatschgeschichte, 
die  Ferrara  interessieren  konnte,  nicht  umgangen.  Mit  auBer- 
ordentlicher  Ausfiihrlichkeit  werden  Balle,  Feste  und  Jagden  be- 
schrieben,  selbst  die  Toiletten  der  Frauen  nicht  ubersehen.  Privat- 
briefe  und  derartige  Berichte  traten  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
an    die    Stelle    von   Tageszeitungen,    wenn    sie   aber   langere    Zeit 


4M 


VIERZEHNTES   KAPITEL 


ausblieben  und  die  Neugierde  stieg,  suchte  man  sie  durch  astrolo- 
gische  Prophezeiungen  zu  stillen. 

Gegen  Ende  des  XV.  und  zu  Beginn  des  XVI.  Jahrhunderts 
beginnen  die  italienischen  Astrologen,  Zeitungen  in  bescheidenstem 
Umfang  zu  begriinden,  indem  sie  sogenannte  ,,giudici",  Prognosen, 
herausgeben.  Die  beriihrnteren  unter  ihnen  erlieBen  von  Zeit  zu 
Zeit,  besonders  zum  i.  Januar,  politische  Prophezeiungen.  Diese 
kleinen  Schriften,  die  zumeist  ganz  inhaltsreich  und  kurz  sind,  er- 
schienen  in  sehr  viel  Exemplaren  und  wirkten  stark  auf  die  offent- 
liche  Meinung.  In  Ferrara  spielten  die  Astrologen  eine  geringere 
Rolle  als  in  Mantua  oder  Mailand,  da  die  niichternen  Este  weniger 
zum  Aberglauben  neigten  als  die  Gonzaga  oder  Sforza,  Isabella 
d'Estes  Gatte  vertraute  den  Astrologen  so  sehr,  daB  er  fast  immer 
ihre  Ansicht  liber  Menschen,  die  er  sehen,  und  uber  Dinge,  die  er 
tun  sollte,  einholte.  Die  Visconti  und  unter  den  Sforza  nament- 
lich  Lodovico  Moro  unternahmen  nicht  das  geringste,  ohne  den 
Hofastrologen  um  Rat  zu  befragen.  In  Ferrara  wurden  Ungliicks- 
tage  sehr  beachtet,  die  Astrologen  machten  dem  Herzog  ein  genaues 
Verzeichnis  der  Tage,  an  denen  er  nichts  Wichtiges  unternehmen 
sollte.  Jeder  groBere  Hof  muBte  seinen  Astrologen  haben,  und  selbst 
einzelne  Kardinale,  wie  unter  anderen  Ippolito  d'Este,  Ariostos  Pro- 
tektor,  konnten  ohne  den  gelehrten  Sterndeuter  nicht  auskommen. 
Niccolo  III.  und  Borso  hatten  ihre  Astrologen  und  unter  Ercole  I. 
begegnen  wir  schon  1468  ,, Prognosen".  Ercole  beschaftigte  sich 
iiberhaupt  in  ungewohnlichen  MaBe  mit  allem,  was  in  der  Welt  vor- 
ging;  iiber  die  Expeditionen  nach  Amerika  wollte  er  auf  dem  Lau- 
fenden  gehalten  werden  und  lieB  sich  die  Prognosen  fremder  Astro- 
logen schicken.  1478  bekam  er  ein  Schriftchen,  das  der  benihmte 
Astrologe  Robert  de  Monteregio  in  Niirnberg  herausgegeben  hatte. 
Es  war  eine  traurige  Prognose:  furchtbare  Kriege  und  Seuchen 
wurden  Italien  prophezeit,  einigen  italienischen  Fursten  ohne 
Nennung  ihres  Namens  mit  dem  Tode  gedroht,  auBerdem  lieB 
Monteregio  durchblicken,  daB  ein  groBer  Konig  plotzlich  an  Gift 
sterben  wiirde.  Fiir  den  Herzog  von  Ferrara  fand  sich  ein  ange- 
nehmes  Wort,  er  wiirde  sich  durch  seine  Tapferkeit  besonders  aus- 
zeichnen  und  im  Krieg  wie  im  Frieden  schienen  ihm  giinstige  Sterne 


hOfisches  LEBEN  415 

zu  leuchten.  Im  Archiv  zu  Modena  befindet  sich  auch  eine  Prognose 
aus  dem  Jahr  1502,  ihr  Verfasser  war  Domenico  Maria  Novara, 
Kopernikus'  Protektor.  Ferraras  beriihmtester  Astrologe  im  15.  Jahr- 
hundert  war  Avogario  oder  Avogardo;  er  unterrichtete  an  der 
dortigen  Universitat  von  1455  bis  1475  und  hat  zahlreiche  Schriften 
verfafit.  Die  Este  haben  ihn  auBerordentlich  geschatzt  und  groB- 
artig  beschenkt,  doch  hinderte  sie  dies  nicht,  ihn  zu  bestrafen,  als  er 
einst  in  seinem  ,,giudizio"  Prophezeiungen  brachte,  die  dem  ferra- 
resischen  Hof  nicht  giinstig  schienen.  Von  diesem  Augenblick  an 
muBte  er  dem  Herzog  seine  Prognosen  vor  der  Drucklegung  vor- 
legen;  es  ist  das  erste  Beispiel  einer  an  Zeitungen  geiibten  Zensur. 
Alles,  was  dem  Herzog  mififiel,  wurde  ausgestrichen,  damit  die 
offentliche  Meinung  nicht  in  einer  ihm  unsympathischen  Weise 
beeinfluBt  werde. 

Avogarios  Nachfolger,  Pietro  Bono,  legte  gleichfalls  dem  Herzog 
seine  Prognosen  zur  Zensur  vor;  einmal  jedoch,  im  Jahre  1508, 
hatte  er  ohne  Wissen  des  Herzogs  Dinge  verkiindet,  die  dem  Konig 
von  Frankreich  unangenehm  waren,  infolge  dessen  muBte  er  sich 
hiiten,  nicht  in  die  Hande  der  koniglichen  Agenten  zu  fallen. 

Die  Astrologen  haben  ihre  Herren  sehr  haufig  zu  irgend  einer 
Expedition  oder  Tatigkeit  angeregt,  wenn  ihnen  die  Konstellation 
der  Sterne  giinstig  schien,  sie  rieten  ihnen  im  richtigen  Augenblick 
zuzugreifen,  „a  tempo  pigliar  la  fortuna".  So  gut  wie  in  wichtigen 
Dingen  war  der  Rat  des  Astrologen  auch  in  den  geringsten  Vor- 
kommnissen  des  taglichen  Lebens  notwendig;  man  holte  seinen  Rat 
ein,  wenn  es  sich  darum  handelte,  eine  Medizin,  ein  Pulver,  eine 
Mixtur  einzunehmen;  man  fragte  die  Sterne,  ob  die  Stunde  giinstig 
sei.  War  Borso  krank,  so  fragte  Gonzaga  seinen  Astrologen,  wann 
der  Herzog  von  Ferrara  sterben  wiirde;  der  Sterndeuter  hatte  sich 
nur  um  einen  Monat  verrechnet,  er  hatte  den  kritischen  Augenblick 
auf  den  17.  Juli  verlegt,  und  Borso  starb  am  20.  August.  Einen  un- 
geheuren  Eindruck  machte  es  der  italienischen  Gesellschaft,  als  der 
Florentiner  Astrologe,  Cristoforo  Landino,  die  Geburt  eines  fiir 
die  Kirche  gefahrlichen  Reformators  in  Deutschland  vorhersagte, 
man  bezog  diese  Prophezeiung  spater  auf  Luther.  Zu  dieser 
Prophezeiung    bedurfte  es    einer  Frage  an    die   Sterne    nicht,   der 


4l6  VIERZEHNTES   KAPITEL 

Niedergang  der  Kirche  berechtigte  zur  Annahme,  daB  Menschen 
auftreten  wiirden,  um  den  Kampf  mit  der  romischen  Verderbnis 
aufzunehmen.  Am  beruhmtesten  waren  Aretins  Prophezeiungen, 
die  der  geschickte  Pamphletist  von  Venedig  aus  versandte.  Er  kannte 
mehrere  unter  den  Herrschenden,  hatte  Beziehungen  zu  sehr  viel 
Menschen,  die  eine  hervorragende  Stelle  einnahmen,  und  bekam  von 
uberallher  Briefe;  so  konnte  er  die  besten  Informationen  iiber  alles 
haben,  was  in  Italien  vorging.  Auf  diesen  Nachrichten  fufiend,  ver- 
faBte  er  seine  Prognosen  und  prophezeite  Dinge,  an  die  niemand 
sonst  dachte. 

II 

Bernardo  Bellincioni,  Lodovico  Moros  Hofdichter,  schrieb  einst, 
die  Herren  verbergen  soviel  Geheimnisse  und  soviel  Boses  in 
ihrem  Herzen,  daB  man  sie  nach  dem  Schein  nicht  beurteilen  konne: 

Quanti  segreti  in  petto 

E  malizie  e  rispetto  hanno  e'  signori 

Che  non  si  posson  giudicar  di  fuori. 

Keiner  von  ihnen  sprache  viel,  sie  verbergen  ihre  Gedanken, 
beherrschen  ihren  Zorn,  aber  sie  warten  auf  die  Gelegenheit,  um 
sich  zu  rachen.  So  steigt  auch  der  Falke  ruhig  in  die  Luft,  bis  er 
im  gegebenen  Augenblick  wie  der  Blitz  auf  sein  Opfer  niederfallt. 

Herrschsucht,  Liebe  und  Vendetta  waren  die  drei  Haupttrieb- 
federn  der  Renaissance-Tyrannen.  Man  sprach  und  schrieb  da- 
mals  viel  von  Ritterlichkeit,  Ehre  und  den  Vorzugen  der  Tugend, 
und  Castiglione  gehorte  zur  Zahl  der  Moralisten,  die  ihre  Gesell- 
schaftsklasse  durch  den  Hinweis  auf  die  Antike  zu  idealisieren  ver- 
suchten.  Auch  Ferrara  fehlte  es  an  einem  solchen  Moralisten  unter 
Alfonso  II.  nicht.  Es  war  der  Graf  Annibale  Romei,  der  in  seiner 
Abhandlung  ,,Discorsi"  der  Contessa  di  Scandiano,  der  Signora 
Isabella  Bentivoglio  und  der  gesamten  Damen-  und  Herrenwelt,  die 
im  estensischen  SchloB  in  Masoli  versammelt  waren,  empfiehlt, 
iiber  Schonheit,  Ehre,  Edelmut  und  Reichtum  nachzudenken.  Wenn 
man  diese  gelehrten  Abhandlungen  liest,  so  konnte  es  scheinen, 


HOFISCHES  LEBEN  417 

als  ware  die  Gesellschaft  an  italienischen  Hofen  vor  allem  darauf 
bedacht  gewesen,  Seele,  Geist  und  Herz  zu  bilden.  Hinter  all  dem 
steckt  aber  wenig  Wahrheit,  jene  Abhandlungen  und  Gesprache 
iiber  Liebe  und  Ehre  waren  eine  Art  gesellschaftHchen  Turniers, 
die  Herren  und  Damen  der  groBen  Welt  kopierten  gelegentlich  die 
Disputationen  der  Professoren,  sie  iibten  sich  in  der  Kunst  der 
Beredsamkeit,  aber  alles  blieb  fur  sie  Theorie,  und  ungezahmte 
menschliche  Leidenschaften  bahnten  sich  ihre  eigenen  Wege.  Das 
Moralisieren  hatte  nur  den  Zweck,  daB  man  seine  finsteren  Leiden- 
schaften hinter  einer  glatten  auBeren  Schale  verbarg.  Machiavelli 
verlangt  vom  Fursten,  daB  er  Fuchs  und  Lowe  sei,  ,,il  principe 
della  bestia  deve  pigliare  la  volpa  e  il  Hone";  Fiichse  waren  sie  alle, 
aber  bis  zum  Lowen  brachten  es  nur  wenige.  Den  Dynastien  ging 
es  in  der  Hauptsache  um  den  auBeren  Glanz  des  Geschlechtes  und 
die  Terrorisierung  der  Gesellschaft.  Jeder  der  Untertanen  sollte 
davon  durchdrungen  sein,  daB  die  Vendetta  seiner  harre,  falls  er 
sich  etwas  gegen  die  herrschende  Familie  zu  Schulden  kommen 
lasse.  Ehre  und  edler  Ruhm  waren  etwas  Untergeordnetes.  Der  Fiirst 
durfte  ungescheut  die  groBten  Missetaten  begehen,  ohne  seinen  guten 
Namen  zu  gefahrden,  aber  ein  ihm  zugefiigtes  Unrecht  oder  eine 
Beleidigung  durfte  er  nicht  vergessen.  Eine  solche  VergeBlichkeit 
hatte  die  Macht  der  Dynastie  untergraben.  Der  Terrorismus  der 
Despoten  brachte  es  mit  sich,  daB  die  Mitglieder  der  groBten  Ge- 
schlechter  sich  als  gemeine  Mordbuben  brauchen  lieBen.  Ariosts 
Vater  fuhr  nach  Mantua,  um  den  Feind  seines  Herzogs  zu  vergiften; 
bei  Contraris  Ermordung  haben  Leute  wie  Bentivoglio  und  Strozzi, 
die  Vertreter  der  vornehmsten  Familien,  Henkersdienste  geleistet.  Das 
Werkzeug  des  Tyrannen  beim  gemeinsten  Verbrechen  zu  sein,  tat  nie- 
mand  Abbruch,  aber  gegen  die  Regeln  des  Turniers  oderZweikampfes 
zu  verstoBen,  bedeckte  den  Namen  mit  unausloschlicher  Schmach. 
Die  Tyrannengeschlechter  standen  auBerhalb  aller  Maorlge- 
setze,  sie  durften  die  groBten  Verbrechen  begehen,  denn  die  Macht 
war  in  ihren  Handen.  Selbst  die  Papste  taten  die  Fursten  fur  ge- 
wbhnliche  Verbrechen  nicht  in  den  Bann,  nur  fur  politische  Ver- 
gehen,  die  gegen  die  Macht  und  die  Herrschaft  der  Kirche  verstieBen. 
Rom  hatte  die  herrschenden  Familien  stets  als  Ausnahmegeschlechter 

27 


4i8  VIERZEHNTES  KAPITEL 

betrachtet,  fiir  die  die  bestehenden  Moralgesetze  nicht  galten.  Mit 
der  Tugendrose  haben  die  Papste  Niccolo  III.  bedacht,  der  Parisina 
hatte  ermorden  lassen,  ebenso  viele  andere  Verbrecher  unter  den 
Tyrannen,  wenn  es  darum  ging,  sie  fiir  die  Politik  der  romischen 
Kurie  zu  gewinnen.  Als  Vincenzo  Gonzaga  1537  den  Thron  von 
Mantua  bestieg,  war  er  fiinfundzwanzig  Jahre  alt  und  bereits  von 
seiner  ersten  Gattin,  einer  Farnese,  geschieden.  Man  erzahlte  sich, 
die  Ehe  sei  auseinandergegangen,  da  Vincenzo  seinen  ehelichen 
Pflichten  nicht  geniigen  konnte.  Als  der  Markgraf  sich  um  die  Hand 
der  Tochter  des  toskanischen  GroBherzogs  Francesco  bewarb, 
stellte  der  GroBherzog  zur  Bedingung,  daB  Gonzaga  den  Beweis 
seiner  mannlichen  Kraft  erbringe.  In  Venedig  sollte  diese  eigen- 
artige  Priifung  stattfinden.  Man  wahlte  ein  schones  Madchen, 
eine  Bastardtochter  der  Albizzi,  die  eine  sorgfaltige  Erziehung 
in  Florenz  erhalten  hatte.  Mit  Genehmigung  der  Bischofe  und 
Kardinale,  da  Francesco  ein  frommer  Herrscher  war,  wurde  sie  in 
Gesellschaft  vertrauenswiirdiger  Frauen  nach  Venedig  geschickt. 
An  der  Spitze  dieser  Expedition  stand  der  Cavaliere  Belisario  Vinto, 
der  Sekretar  des  Geliebten  von  Bianca  Capello,  ein  Mann,  in  den  man 
Vertrauen  setzen  durfte  und  der  in  delikaten  hofischen  Angelegen- 
heiten  wohl  bewandert  war.  Die  Expedition  verlief  zu  allgemeiner 
Zufriedenheit,  und  der  GroBherzog  hatte  die  Sicherheit,  seine  Tochter 
ruhig  dem  zu  Unrecht  verleumdeten  Gonzaga  anvertrauen  zu  konnen. 
Man  muB  sich  wundern,  daB  die  Renaissance-Herrscher  nicht 
blutgierige  Tyrannen  gewesen  sind,  es  waren  aber  zum  grdBten 
Teil  nuchterne,  scharf  denkende  Naturen,  die  nur  gerade  soviel 
Boses  taten,  als  unbedingt  geschehen  muBte.  Sie  rechneten  mit 
der  Bevolkerung  und  wollten  sie  nicht  zum  AuBersten  treiben.  AuBer- 
dem  verstanden  sie  das  Leben  zu  genieBen,  sie  waren  Feinschmecker 
des  Lebens  —  das  trat  in  alien  hofischen  Einrichtungen  zu  Tage. 

Ill 

Wer  das  Verhaltnis  der  Geschlechter  zueinander  im  XVI.  Jahr- 
hundert  nach  den  Deklamationen  Castigliones  im   „Corte- 
giano",  Bembos  in  den  „Asolani",  Sperone  Speronis  in  den  „Dia- 


HOFISCHES  LEBEN 


419 


loghi",  Tassos  in  den  verschiedensten  Abhandlungen  beurteilen 
wollte,  und  die  Flut  der  Sonette  fur  ein  Abbild  dessen  hielte,  was  sich 
in  der  Wirklichkeit  abgespielt  hat,  wiirde  sich  die  denkbar  ver- 
kehrteste  Vorstellung  der  damaligen  Zustande  machen.  Ein  Abbild 
der  tatsachlichen  Zustande  findet  man  eher  in  den  charakteri- 
stischen  damaligen  Sitten,  in  Privatbriefen,  Novellen  oder  in  jenen 
,,Capitoli"  benannten  politischen  Erzeugnissen,  in  denen  Satiriker,wie 
Berni,  Delia  Casa,  Varchi,  Molza,  Bembo,  Firenzuola,  Aretino  die 
oft  heikelsten  Themen  in  einer  witzigen,  anziehenden,  glanzenden, 
poetischen  Form  behandelt  haben. 

Als  die  Epoche  des  eigentlichen  Ritterromans  mit  Ariost  zu 
Ende  war,  kam  die  Zeit  der  Novelle.  Gelegentlich  hat  sie  die  Literatur 
mit  Unkraut  iiberwuchert,  aber  die  Novelle  hat  sich  ans  Leben  ge- 
halten,  aus  der  vorhandenen  Tradition  geschopft,  und  deshalb  ist 
sie  ein  unerschopflicher  Schatz  fin*  den  Kulturhistoriker. 

Fast  jede  Stadt  und  jedes  Kulturzentrum  hatten  ihre  Novel- 
listen:  Florenz  Firenzuola,  Lasca,  Machiavelli,  Rom  Molza,  der 
zwar  aus  Modena  stammte,  aber  allmahlich  zum  Romer  geworden 
war,  Venedig  Straparola,  Parabosco  Erizzo,  Ferrara  den  beruhmten 
Battista  Giraldi,  dessen  hundert  Novellen  ,,Hecatommiti"  zu 
groBem  Ruhm  gelangt  sind;  sie  alle  iiberragt  Bandello,  der  ganz 
Norditalien  angehort.  Jeder  seiner  zweihundertneunzehn  Novel- 
len ist  eine  Widmung  vorangestellt,  eine  Art  Brief  an  die  verschie- 
densten Personen  gerichtet,  der  vielleicht  noch  farbiger  und  fur  die 
Zeit  aufschluBreicher  ist  als  die  Novellen  selbst.  Bandello  lebte 
von  1480  bis  1542  in  Italien,  spater  in  Frankreich,  wo  er  1560  als 
Achtzigjahriger  gestorben  ist.  Die  beruhmten  Frauen  seiner  Zeit 
hat  er  samtlich  gekannt:  Beatrice  d'Este,  die  Markgrafin  von 
Mantua,  Giulia  Gonzaga,  Vittoria  Colonna,  Costanza  Rangone 
Fregcso,  Ippolita  Torelli;  er  hat  bei  den  Geliebten  von  Lodovico  Moro 
verkehrt,  bei  Lucrezia  Crivelli  und  Cecilia  Gallerani,  und  seine  be- 
sondere  Gonnerin  war  Ippolita  Sforza,  die  zweite  Frau  von  Alessandro 
Bentivoglio,  den  Julius  II.  aus  Bologna  vertrieben  hat.  In  seinen 
Erzahlungen  hat  er  sie  alle  gefeiert,  ,,Eroine  Bandelliane",  wie  sie 
Scaligeri,  ein  unbedeutender  Dichter,  genannt  hat.  Aber  Bandello 
hatte    auch    unbekannte    Heldinnen,    denen    zwar    der    historische 

27* 


420 


VIERZEHNTES  KAPITEL 


Name  fehlt,  nicht  aber  das  leidenschaftliche  Herz;  er  schildert 
Frauen  aus  alien  Gesellschaftsstanden;  auch  Kurtisanen,  wie  eine 
Imperia,  eine  Tullia  d'Aragona,  eine  Isabella  de  Luna,  die  zuweilen 
Herzensparoxysmen  unterlagen,  fehlen  nicht.  Bandello  ist  nicht 
mehr  der  Epiker  des  Rittertums  allein,  er  schildert  die  gesamte 
Bevolkerung,  die  herrschende  Kaste  wird  nicht  allein  als  dar- 
stellungswert  befunden,  der  Horizont  des  Schriftstellers  hat  sich 
erweitert.  Er  wirkt  weder  allzu  tragisch  noch  allzu  komisch,  er 
schildert  das  Leben  in  seinen  verschiedensten  Formen,  und  infolge 
dessen  kommt  er  von  alien  Schriftstellern  des  Cinquecento  dem  mo- 
dernen  Empfinden  am  nachsten.  Den  Inhalt  seiner  Novellen  bildet 
in  der  Hauptsache  Ehebruch;  die  Novellisten  des  XV.  und  XVI. 
Jahrhunderts  haben  ihr  Thema  aus  dem  Leben  geschopft,  so  gut 
wie  die  modernen  franzosischen  Romanschriftsteller.  Der  Eng- 
lander  Aschau,  der  im  XVI.  Jahrhundert  nach  Italien  kam,  dankte 
dem  Himmel,  daS  er  dort  nur  zehn  Tage  geblieben  ist,  da  er  in 
dieser  kurzen  Zeit  dort  mehr  Ziigellosigkeit  gesehen  habe  als  in 
London  im  Verlauf  von  neun  Jahren.  Der  Englander  hatte  schon 
so  unrecht  nicht,  der  Verkehr  der  Geschlechter  war  in  Italien  frei, 
ja  ziigellos  genug,  aber  in  den  hoheren  Klassen  gab  es  Grenzen 
fur  diese  Freiheit,  es  gait  den  Schein,  ,,decoro",  zu  wahren.  Der 
Schein  wurde  der  Tugend  gleich  geachtet,  die  ,,onesta"  der  Ehe- 
frau  war  durch  ihn  bedingt.  Alles  sollte  in  der  Renaissance  seine 
schone  geschlossene  Form  haben;  was  dieser  Form  widersprach, 
gait  als  unmoralisch.  Darauf  beruhte  die  Ethik  der  Renaissance. 
Auf  die  italienischen  Sitten,  namentlich  auf  die  Sinnlichkeit  hat 
die  Beriihrung  mit  den  Spaniern  auBerordentlich  ungiinstig  einge- 
wirkt;  die  Kriege  mit  Spanien  und  das  Eindringen  spanischer  Art 
im  Frieden  war  vielleicht  das  groBte  Unheil  fur  die  italienische 
Renaissance.  Die  Spanier,  die  sinnlichsten  und  grausamsten  aller 
siidlichen  Volker,  haben  der  italienischen  Gesellschaft  ihr  Gift  ein- 
geimpft.  Mit  den  Borgia  kamen  ziigellose  spanische  Kurtisanen 
und  iippige  Pralaten,  ihnen  folgten  die  brutal-leidenschaftlichen 
spanischen  Romane.  Die  spanische  Ritterschaft  hat  jeder  guten 
Sitte  Hohn  gesprochen.  Selbst  an  der  italienischen  Kunst  ist  die 
spanische    Seuche  nicht  spurlos  vorbeigegangen.      Giulio  Romano 


HOFISCHES  LEBEN  42i 

(1492 — 1546)  und  Benvenuto  Cellini  (1500 — 1570)  eroffnen  die 
Schar  der  Kiinstler,  die  der  spanischen  Sinnlichkeit  erlegen  sind; 
Ribera,  Spagnuola,  Caravaggio  und  die  ganze  bolognesische  Schule 
haben  sich  auf  dieser  Grundlage  weiter  entwickelt. 

Die  brutale  Sinnlichkeit  erzeugte  eine  uneheliche  Reaktion 
in  der  Gesellschaft,  eine  verlogene  Sentimentalitat,  die  sich  aus- 
gezeichnet  auf  dem  Stamme  des  Petrarkismus  entwickeln  konnte. 
Dieses  unechte  Gefiihl  begann  um  die  60  er  Jahre  des  XVI.  Jahr- 
hunderts  das  Verhaltnis  der  Geschlechter  zu  beherrschen  und  in 
der  Literatur  durchzubrechen.  Es  tritt  gleichzeitig  mit  dem  Barock 
in  der  bildenden  Kunst  auf,  und  man  konnte,  soweit  Novelle  und 
Dichtkunst  in  Frage  kommen,  von  einem  Barock  in  der  Literatur 
sprechen.  Das  glanzendste  Beispiel  dieser  barocken  Romantik  ist 
Bandellos  hubsch  erzahlte  Novelle  von  dem  Veroneser  Liebes- 
paar.  Shakespeare  hat  den  Stoff  aufgegriffen,  entwickelt,  ver- 
tieft  und  daraus  jene  einzige,  starkste  Liebestragodie  der  Welt 
geschaffen,  die  Geschichte  von  Romeo  und  Julia1). 


IV 

Die  elegante  Frau  der  Renaissance  sah  wie  ein  lebendiger  Rebus 
aus,  dessen  Losung  allein  dem  Gatten  Schwierigkeiten  bereitete. 
Alles  in  ihrer  Kleidung  hatte  eine  besondere  Bedeutung.  Die  auf 
ihr  Kleid  gestickte  oder  in  den  Stoff  verarbeitete  Devise  charakte- 
risierte  ihren  momentanen  Seelenzustand;  verschiedene  Zeichen 
in  ihrer  Toilette  oder  in  der  Art,  wie  sie  ihren  Schmuck  gefaBt  hatte, 
standen  mit  ihrem  Glauben  an  den  EinfluB  der  Planeten  auf  mensch- 
liche  Schicksale  in  Zusammenhang;  die  Farbe  ihrer  Kleider  oder 
Wappenzeichen  richtete  sich  nach  der  Tradition  ihrer  Familie; 
selbst  das  Parfiim,  das  sie  beniitzte,  hatte  eine  gewisse  Bedeutung. 
Um  das  Herz  ihres  Geliebten  warb  sie  mit  der  Sprache  von  Seiden- 
stoffen,    Saphiren,    Smaragden,    mit    dem    Duft    von    Ambra    und 

*)    Shakespeare  hat  auch  die  inhaltlich  verwandte  Novelle  Lodovicos  da 
Port  „Giulietta  e  Romeo"  1524  benutzt. 


422 


VIERZEHNTES  KAPITEL 


Krautern   des    Ostens,   die   sie   selbst   nach    geheimem    Rezept    zu 
mischen  verstand. 

Tonangebend  fur  die  Mode  in  Norditalien  war  mehrere  Jahre 
Isabella  Gonzaga,  diese  ungewohnliche,  hochbegabte  Frau,  iiber 
die  die  Zeitgenossen,  mit  Ausnahme  Aretins,  sich  in  iiberschwang- 
lichen  Worten  ergehen.  Die  Markgrafin  anderte  ihre  Devise  haufig, 
ihr  beliebtestes  Zeichen  war  ein  goldener  Leuchter,  den  sie  in  den 
verschiedensten  Formen  auf  ihre  Kleider  sticken  lieB.  Der  in  sie 
verliebte  Giovio,  der  joviale,  scharfe  Historiker,  fiigte  diesem  Zeichen 
die  Devise  hinzu:  ,,sufficit  unum  in  tenebris".  Diese  Worte  ent- 
hielten  die  Schmeichelei,  daB  ein  Licht  wie  sie  die  Dunkelheit  zu 
erhellen  vermoge.  Isabella  hatte  eine  Art  von  Periicke  aus  seidenen 
Faden  und  Bandern  aufgebracht,  die  ,,capigliara",  die  sie  auf  dem 
Bild  der  Wiener  Galerie  tragt.  Diesen  nicht  gerade  schonen  Schmuck 
neideten  ihr  die  Damen  der  benachbarten  Hofe,  und  die  eine,  Eleo- 
nora  Rusca,  bat  urn  die  Erlaubnis,  diese  ,,notabile  invenzione" 
tragen  zu  diarfen.  Aus  Krakau  schrieb  die  Konigin  Bona  am  15.  Juni 
1522  an  Isabella,  nannte  sie  ,,fonte  et  origine  di  tucte  le  belle 
foggie  d'ltalia"  und  bat  um  Bericht  iiber  die  neueste  Mode.  Selbst 
die  Konigin  von  Frankreich  lieO  sich  ein  Paar  Kandschuhe  von 
ihr  zuschicken,  die  bcsonders  fur  die  Pflege  der  Hande  geeignet 
sein  sollten.  Isabella  erfiillte  den  Wunsch  der  Konigin,  aber  als  die 
Handschuhe  nach  Paris  kamen  und  der  ferraresische  Gesandte, 
Alfonso  Ariosto,  ein  Verwandter  des  Dichters,  sie  aus  der  Schachtel 
herausnahm,  verbreiteten  sie  einen  so  schlechten  Geruch,  daB  der 
arme  ,, orator"  in  der  groBten  Verlegenheit  war,  ob  er  sie  der  Koni- 
gin bringen  oder  verbrennen  sollte.  Die  Handschuhe  enthielten 
eine  Fettigkeit,  die  unterwegs  verdorben  war.  Die  Konigin  freute 
sich  des  Geschenkes  sehr  und  versicherte,  daB  der  schlechte  Ge- 
ruch der  Handschuhe  ihre  Brauchbarkeit  in  keiner  Weise  beein- 
trachtige.  Pietro  Bembo  war  gliicklicher;  Isabella  hatte  ihm  nach 
Rom  ein  Biichschen  duftender  Pomade  geschickt,  die  unversehrt 
ankam,  und  Bembo  riihmte  sich,  ein  wichtiges  Toilettenmittel  zu 
besitzen,  das  die  Markgrafin  allein  zubereiten  konne.  Isabella  be- 
stimmte  nicht  nur  die  Mode,  der  sich  natiirlich  die  Damen  in  Fer- 
rara  unterwarfen,  auch  die  meisten  literarischen  Neuheiten  tauchten 


HOFISCHES  LEBEN 


423 


zum  erstenmal  an  ihrem  Hof  auf.  Wenn  die  Markgrafin  erfuhr, 
daB  der  eine  oder  andere  Dichter  ein  neues  Buch  oder  nur  ein  neues 
Sonett  verfaBt  habe,  schrieb  sie  unzahlige  Briefe,  um  in  den  Besitz 
dieses  literarischen  Erzeugnisses  zu  kommen.  In  ihrer  Bibliothek 
befanden  sich  alle  Neuerscheinungen:  Bembos  ,,Asolani"  so  gut 
wie  Sannazaros  , .Arcadia"  oder  die  Sonette  der  venezianischen 
Petrarkisten.  Alles  Neue  fesselte  sie,  und  sie  nahm  keinen  AnstoB, 
in  ihren  Gemachern  neben  dem  Bildnis  Leos  X.  die  Portrats  von 
Erasmus  Rotterdamus  und  von  Luther  aufzuhangen.  Sie  wollte 
in  jeder  Beziehung  die  erste  unter  den  Damen  der  norditalienischen 
Hofe  sein,  und  so  war  es  ihr  auch  darum  zu  tun,  soviel  Kunstwerke 
und  Bilder  zusammen  zu  bekommen,  wie  nur  irgend  moglich, 
namentlich  war  sie  ,,avida  di  anticaglie".  Die  Este  hatten  eine 
Vorliebe  fur  antike  Medaillen  und  Miinzen;  die  Mode,  ,, anticaglie" 
zu  sammeln,  war  so  allgemein,  daB  man  sogar  anfing,  dariiber  zu 
spotten,  und  Sadoleto  klagte  einst,  ,,die  antike  Krankheit"  sei  in 
Wahrheit  zum  Wahnsinn  ausgeartet,  den  man  ,,heilen  miisse". 
Isabella  war  um  ihrer  Reize  willen  so  beriihmt,  daB  Giangiorgio 
Trissino,  der  bereits  erwahnte  Humanist  aus  Vicenza,  sie  als  Typus 
der  Renaissance- Schonheit  aufgestellt  hat,  ahnlich  wie  Helena  als 
Urbild  weiblicher  Schonheit  in  Griechenland  gegolten  hat.  Als  der 
antike  Schriftsteller  Celsius  den  Bewohnern  Krotons  ein  Bild 
der  beriihmten  Helena  entwerfen  wollte,  wahlte  er  fiinf  der  schon- 
sten  Madchen,  beschrieb  die  charakteristischsten  Ziige  jeder  einzelnen, 
verband  diese  Teile  zur  Einheit  und  bildete  ein  Frauenideal:  Helena. 
Trissino  hielt  sich  an  dieses  Vorbild,  er  wollte  die  Markgrafin  auf 
ahnliche  Weise  schildern  und  wahlte  zu  diesem  Zweck  fiinf  Frauen, 
die  in  Italien  um  ihrer  Schonheit  willen  beriihmt  waren:  Spinola 
aus  Genua,  Ericina  und  Bianca  Trissino  aus  Vicenza,  die  Contessa 
di  Caiazzo  aus  Mailand,  die  Heldin  mehrere  Novellen  Bandellos, 
und  Clemenza  de'  Pazzi  aus  Florenz.  Unter  diesen  fiinf  wahlte 
Trissino  dasjenige,  was  ihn  an  der  einzelnen  am  meisten  gefesselt 
hatte:  Stirn,  Augen,  Brauen,  Haare,  Hande,  den  UmriB  der  ganzen 
Gestalt  usw.;  auf  diese  Weise  bildete  er  das  ideale  Portrat  der  Mark- 
grafin. Ahnlich  ging  auch  Tizian  bei  einem  seiner  Venusbilder  vor, 
dem  schonsten  Korper  irgendeiner  venezianischen  Kurtisane  gab  er 


424  VIERZEHNTES  KAPITEL 

Isabellas  idealisierte  Ziige;  die  Markgrafin  war  in  Wirklichkeit 
durchaus  keine  Schonheit,  sie  bezauberte  nur  durch  ihre  Anmut 
und  ihre  lebhaften  Augen.  Man  kann  wohl  sagen,  daB  die  ganze 
Generation  um  die  Wende  des  XV.  und  XVI.  Jahrhunderts  unter 
ihrem  Zauber  stand.  Bezeichnungen,  wie  ,,die  geliebte",  ,,gute" 
usw.  sind  in  den  Briefen  der  Zeitgenossen  und  in  den  Chroniken 
von  ihrem  Namen  unzertrennlich.  Wir  besitzen  einige  Bildnisse 
von  Isabella,  an  deren  Authentizitat  nicht  zu  zweifeln  ist.  Im  Louvre 
ist  ihr  Portrat  von  Leonardo  da  Vinci  erhalten,  al  carbone  vor  dem 
Jahre  1500  gezeichnet,  auf  dem  sie  als  fiinfundzwanzigjahrige  Frau 
dargestellt  ist.  Die  Replik  dieses  Bildes  befindet  sich  in  den  Uffizien, 
und  Isabella  erscheint  darauf  noch  lebendiger  und  intensiver  er- 
faBt  als  auf  dem  Pariser  Portrat.  In  Obereinstimmung  mit  diesem 
Bilde  beschreibt  sie  Maria  Equicola,  der  viele  Jahre  in  ihrem  Dienst 
in  Mantua  gestanden  hat;  er  schildert  ihre  dunkeln  glanzenden 
Augen,  ihren  weiBen  Teint  und  ihr  iippiges  blondes  Haar.  Ein 
anderer  Zeitgenosse  berichtet,  sie  sei  von  mittlerer  GroBe,  habe 
schone  Arme,  eine  wohlgebildete  Hand,  sehr  anmutige  Bewegungen 
und  sei  im  allgemeinen  ,,una  donna  piu  bella  assai  che  '1   sole". 

Wesentlich  spater  als  Leonardos  Zeichnung  ist  Isabellas  Portrat 
in  Wien  entstanden,  eine  Rubensche  Kopie  nach  einem  Original 
von  Tizian.  Das  Bild  stammt  aus  der  Zeit,  da  die  Markgrafin  anfing 
stark  zu  werden  und  den  Reiz  der  ersten  Jugend  verloren  hatte. 

In  Zeiten,  wo  man  soviel  iiber  Schonheit  sprach  und  schrieb, 
—  die  gesamte  Renaissance  stand  ja  gewissermaBen  im  Zeichen 
des  Schonheitskults  —  bemiihten  sich  die  groBen  Hofe  natiirlich 
nach  Kraften,  ihrer  Herzogin  oder  Markgrafin  einen  Kreis  schoner 
Frauen  auszuwahlen,  als  besonderen  Anziehungspunkt  fur  den 
Hof.  Die  ,,Damigelle"  wurden  gewohnlich  aus  den  Damen  der  vor- 
nehmen  oder  stadtischen  Geschlechter  gewahlt,  und  da  sie  viel  Ver- 
suchungen  ausgesetzt  waren,  wurde  iiber  ihre  Tugend  verschieden 
geurteilt.  Ein  Schriftsteller  nannte  sie  ,,ministre  di  Venere",  doch 
muB  man  dem  ferraresischen  Hof  zugestehen,  daB  die  Damigellen 
dort  strenger  als  anderswo  gehalten  wurden.  Die  ungluckliche 
Parisina  hatte  elf  Ehrendamen,  wenn  eine  von  ihnen  heiratete, 
schenkte  ihr  die  Markgrafin  eine  schon  gemalte  Truhe,  die  die  Aus- 


SCHULE  VON  FERRARA:  EINE  VERLOBUNG 
BERLIN,  KAISER-FRIEDRICH-MUSEUM 


hOfisches  leben  425 

stattung  enthielt,  und  sechshundert  Lire  als  Mitgift  Zuweilen 
traten  ganz  junge  Madchen  in  den  Hofdienst,  die  selbst  ihre  Kleider 
und  Pelze  noch  muBten  verlangern  lassen.  Am  Alltag  waren  die 
Donzellen  auBerordentlich  bescheiden  angezogen,  sie  trugen  grune 
oder  rote  wollene  Kleider  mit  schwarzen  oder  bronzefarbenen 
Armeln,  an  Festtagen  dagegen  trugen  sie  Samt-  und  Brokatge- 
wander.  Natiirlich  herrschte  auch  in  diesem  Madchenkreis  in  Fer- 
rara  nicht  immer  musterhafte  Moral;  wir  kennen  Angela  Borgias 
Geschichte,  die  sich  sehr  bemiiht  haben  muB,  das  Herz  des  Kar- 
dinals  d'Este  zu  erwerben,  wenn  er  aus  Eifersucht  seinem  Bruder 
die  Augen  hat  ausstechen  lassen,  oder  die  von  Diana  d'Ariosti, 
die  zartliche  Briefe  an  Pons  gerichtet  hat.  Die  groBte  Sorge  mit 
ihren  Damigellen  hatte  Isabella  von  Mantua,  die  freidenkend  genug 
in  Liebesdingen  war  und  ihren  Hofdamen  viel  Freiheit  gewahrt  hat. 
15 1 3  fuhr  Isabella  zum  Karneval  nach  Mailand,  von  ihren 
hiibschesten  und  liebenswiirdigsten  Damigellen  begleitet,  darunter 
befand  sich  die  schdne  Brognina.  Der  Erzbischof  von  Gurk,  Mon- 
signore  Matteo  Lang,  der  kaiserliche  Vertraute,  der  damals  in  Mai- 
land weilte,  verliebte  sich  wie  ein  Jungling  in  die  kokette  Mantua- 
nerin.  Er  unterhielt  sich  lateinisch  mit  ihr,  indem  er  italienische 
Brocken  dazwischen  flocht,  da  er  Dantes  und  Ariostos  Sprache  kaum 
kannte;  die  mailandischen  Hoflinge  haben  sich  diesen  Mangel  in 
der  Bildung  des  Kirchenfiirsten  zu  Nutzen  gemacht  und  ihm  in 
Brogninas  Gegenwart  die  komischsten  und  unpassendsten  Ausdriicke 
untergeschoben.  Aber  die  Leidenschaft  des  Monsignore  erkaltete 
nicht;  Isabella  berichtet  ihrem  Gatten  brieflich,  der  Erzbischof 
habe  sich  ohne  Riicksicht  auf  seine  Wiirde  und  seine  soziale  Stel- 
lung  vor  Brognina  auf  die  Knie  geworfen,  ,,et  cum  lei  fece  l'amor 
quanto  gli  pare".  Aber  der  Erzbischof  hatte  einen  gefahrlichen 
Nebenbuhler,  es  war  kein  Geringerer  als  der  spanische  Vizekonig  in 
Mailand,  Raimondo  di  Cardone,  und  beide  Rivalen  benahmen  sich 
auf  einem  Festmahl  im  Palast  des  Grafen  Brunovo  komisch  genug. 
Als  Isabella  mit  ihren  Damigellen  in  den  Saal  trat,  drangten  sich 
der  Vizekonig  und  der  Erzbischof  heran,  um  Brognina  zu  umarmen, 
und  beide  scheinen  ihr  viel  Kiisse  geraubt  zu  haben.  Der  Vizekonig 
hat  sich   artig  aus  der  Affaire  gezogen,  er  schickte  der  schonen 


426  VIERZEHNTES  KAPITEL 

Mantuanerin  am  nachsten  Tage  25  Ellen  karmoisinroten  und  25 
Ellen  schwarzen  Samt  und  lieB  ihr  melden,  den  karmoisinroten  Samt 
schicke  er  ihr  aus  Dankbarkeit  fur  die  Freude,  die  er  gestern  emp- 
funden,  den  schwarzen  als  Belohnung  fiir  die  Scham,  die  ihr  Antlitz 
iibergossen.  Einer  von  Isabellas  Hoflingen  berichtet  einem  Be- 
kannten,  Brogninas  Mantuaner  Verehrer,  die  Zeuge  der  Bewer- 
bungen  des  Vizekonigs  und  des  Bischofs  waren,  seien  vor  Neid  fast 
gestorben  und  hatten  den  machtigen  Rivalen  gegenuber  doch 
nichts  anfangen  konnen,  besonders  da  diese  schamlosen,  einge- 
bildeten  und  elenden  Spanier  nicht  mit  sich  scherzen  lieBen.  Der 
Mantuaner  hatte  schon  so  unrecht  nicht;  wahrend  der  Vizekonig 
den  Damigellen  Herz  und  Kiisse  raubte,  stahlen  seine  Hoflinge  auf 
Ballen  und  Empfangen  alle  Kostbarkeiten,  die  sie  erreichen  konnten. 
Im  Ballgedrange  war  die  Devise  vom  Kleid  der  Markgrafin,  ihre 
goldenen  Leuchter,  verschwunden;  die  spanischen  Adeligen  hatten 
sie  mit  der  Geschicklichkeit  von  Beutelschneidern  abgeschnitten. 
Selbst  in  den  Salons  des  Vizekonigs  haben  die  stolzen  Spanier  den 
mailandischen  Herren  ihre  goldnen  Knopfe  abgeschnitten;  da- 
gegen  konnte  man  sich  nicht  wehren,  da  die  Spanier  bei  der  leisesten 
Bemerkung  zum  Duell  herausgefordert  haben. 

Isabella  sah  bei  der  Liebschaft  des  Vizekonigs  und  des  Erzbischofs 
mit  Brognina  durch  die  Finger,  ja,  sie  begiinstigte  sie  bis  zu  einem 
gewissen  Grade,  da  sie  die  Herren  gewinnen  wollte,  um  fiir  Mantua 
und  fiir  Alfonso  d'Este  verschiedene  politische  Vorteile  herauszu- 
schlagen.  Namentlich  war  es  ihr  darum  zu  tun,  Peschiera  fiir 
Mantua  zu  erwerben,  um  Zutritt  zum  Gardasee  zu  haben.  Als  der 
maskierte  Erzbischof  auf  einem  Balle  viel  mit  Brognina  tanzte 
und  ihr  von  Liebe  sprach,  beniitzte  Isabella  die  Gelegenheit,  um 
ihn  Peschieras  wegen  zu  interpellieren.  Brognina  war  dem  Erz- 
bischof nicht  gnadig,  da  Cardone  mit  seinem  Samt  und  seiner 
spanischen  Galanterie  ihr  Herz  gewonnen  hatte.  Nicht  Brognina 
allein,  auch  die  iibrigen  mantuanischen  Damigellen  erlebten  Liebes- 
abenteuer  in  Mailand;  ihr  Benehmen  und  die  Nachsicht  der  Mark- 
grafin erregten  Gonzagas  MiBfallen  in  hohem  Grade,  er  warf  seiner 
Frau  brieflich  vor,  all  diese  Zugellosigkeiten  zu  dulden,  und  sich 
in  Mailand  zur  ,,favola  del  vulgo"  zu  machen.    Isabella  fiihlte  sich 


HOFISCHES  LEBEN  427 

durch  diese  Vorwurfe  empfindlich  verletzt,  sie  antwortete  ihremGatten, 
sie  verdiene  an  Stelle  desTadels  groBes  Lob,  da  sie  fiir  Mantuas  Nutzen 
arbeite  und  den  Gonzaga  tausend  Freunde  wahrend  ihres  Aufenthalts 
in  Mailand  gewonnen  habe.  Damals  begann  die  Macht  der  Spanier 
in  Italien  ins  Wanken  zu  geraten,  und  dafiir  ging  Franz'  I.  Stern 
nach  der  Schlacht  bei  Marignano  glanzend  auf.  Die  geschickte 
Markgrafin  bemiihte  sich,  Beziehungen  zu  dem  jungen  Kdnig  an- 
zuknupfen,  der  neugierig  war,  die  beriihmte  Frau  kennen  zu  lernen 
und  vielleicht  noch  mehr  wiinschte,  Brognina  zu  sehen,  von  deren 
Schonheit  er  schon  viel  gehort  hatte.  Der  Besieger  der  spanischen 
Armee  beschloB  die  Spanier  auch  in  Herzenssachen  zu  schlagen, 
und  schon  ehe  er  die  Damigella  gesehen  hatte,  hatte  er  den  Plan 
gefaBt,  sie  Cardone  abspenstig  zu  machen.  Aber  ihre  Beziehungen 
zum  Vizekonig  waren  nicht  folgenlos  geblieben.  Brognina  war  ge- 
zwungen,  den  Hof  der  Markgrafin  zu  verlassen  und  sich  fiir  einige 
Zeit  in  ein  Kloster,  in  der  Nahe  von  Goito,  zuriickzuziehen.  Dieser 
Zwischenfall  und  Aufschub  hat  Franz'  I.  Eifer  in  keiner  Weise 
abgekiihlt;  er  befahl,  die  Damigella  aus  dem  Kloster,  das  auf  man- 
tuanischem  Boden  lag,  zu  stehlen,  und  hat  Monsignore  Galeotto, 
den  Bischof  von  Nizza,  der  in  Liebessachen  erfahren  war,  mit 
dieser  Mission  betraut.  Der  Bischof  fuhr  sofort  nach  Mantua,  um 
dem  Markgrafen  den  Fall  vorzutragen  und  ihn  zu  bitten,  das  Unter- 
nehmen  nicht  zu  stdren.  Gonzaga  ergriff  gern  die  Gelegenheit,  sich 
Franz  I.  gefallig  zu  erweisen;  er  befahl  dem  Kommandanten  in 
Goito,  den  Bischof  in  seinen  Absichten  zu  unterstiitzen.  Der  An- 
schlag  konnte  schon  fast  als  gelungen  betrachtet  werden,  der 
Bischof  hatte  Brognina  aus  den  Klostermauern  geholt,  auf  ein 
Pferd  gesetzt,  mit  seinem  Mantel  bedeckt  und  geleitete  sie  im 
Schutz  einiger  Bewaffneter  ins  konigliche  Lager.  Ungliicklicher- 
weise  stieB  die  Kavalkade  unterwegs  auf  eine  Abteilung  spanischer 
Reiter.  Brognina,  die  sich  nur  widerwillig  gefiigt  hatte,  warf  den 
Mantel  beim  Anblick  der  Spanier  ab,  gab  sich  ihnen  als  la  bella  di 
Cardone  zu  erkennen  und  bat  um  ihre  Befreiung.  Die  Spanier  warfen 
sich  auf  den  Bischof,  priigelten  ihn  durch,  und  der  seinem  Konig 
gehorsame  Monsignore  hatte  es  bei  dieser  Begegnung  nur  seinem 
Pferd  zu  danken,  daB  er  mit  dem  Leben  davonkam.   In  der  Schatulle, 


428  VIERZEHNTES  KAPITEL 

die  die  Spanier  dem  Bischof  raubten,  befand  sich  ein  gefalschtes 
Breve,  in  dem  der  Papst  Brognina  empfahl,  vom  spanischen  Vize- 
konig  zum  franzosischen  Monarchen  iiberzugehen  und  sie  von 
vornherein  wegen  ihres  Leichtsinns  entsiindigte. 

Franz  I.  war  gerade  im  Begriff,  von  Mailand  nach  Bologna  auf- 
zubrechen,  wo  er  mit  Leo  X.  zusammentreffen  sollte,  als  ihn  die 
Nachricht  von  der  miBlungenen  Expedition  und  vom  Triumph  des 
spanischen  Vizekonigs  erreichte.  Sein  Zorn  ergoB  sich  auf  den 
Bischof  von  Nizza.  Der  Monsignore  bekam  einen  geniigend  strengen 
Denkzettel,  urn  sich  in  Zukunft  nicht  in  Dinge  einzulassen,  die  ihn 
nichts  angingen,  er  suchte  mit  zerblautem  Riicken  Schutz  in  Mantua, 
wo  er  langere  Zeit  in  Furcht  vor  der  Rache  des  Konigs  und  Car- 
dones  lebte.  Ganze  Tage  verbrachte  er  im  Boot  auf  dem  Mantua- 
ner  See,  da  er  sich  dort  vor  spanischen  oder  franzosischen 
Dolchen  am  sichersten  fiihlte.  Dem  ganzen  Hof  gait  er  als  Ziel- 
scheibe  des  Witzes,  und  ein  lustiger  Frate  aus  dem  Kloster  delle 
Grazie  riet,  der  Markgraf  moge  Leo  X.  empfehlen,  den  Bischof  von 
Nizza  als  geeignetste  Personlichkeit  fur  das  Konzil  zu  bestimmen, 
um  zu  giinstigen  Ergebnissen  in  der  Reform  der  Heiligen  Kirche 
zu  kommen. 

Diese  Begebenheit  hat  Isabella  durchaus  nicht  entmutigt,  die 
allerschonsten  Damigellen  um  sich  zu  versammeln.  Die  eine  von 
ihnen,  Alda,  eine  Verwandte  von  Matteo  Bojardo,  hat  die  Markgrafin 
in  dem  MaBe  beherrscht,  daB  sie  allmahlich  zur  Vertrauten  ihrer 
ehelichen  Geheimnisse  wurde,  auBerdem  hat  sie  ihren  Sohn,  den 
jungen  Federigo  Gonzaga,  betort.  Der  Marchese  Francesco  muBte 
1515  das  kokette  Madchen  fortschicken,  da  sie  in  Mantua  durch 
ihre  Intriguen  wahre  Feuerbrande  zusammengetragen  hat.  Am 
schlimmsten  ist  es  der  Markgrafin  mit  ihren  Donzellen  wahrend 
Karls  V.  Aufenthalt  in  Bologna  ergangen. 

Isabella  hat  wahrend  des  Karnevals  in  dem  von  ihr  bewohnten 
Palast  Tag  und  Nacht  Balle,  Maskeraden  und  andere  Festlichkeiten 
arrangiert,  an  denen  die  italienische  und  spanische  Jugend  teilnahm. 
Die  Damigellen  haben  sich  sehr  frei  benommen  und  boten  AnlaB 
zu  verschiedenen  Reibereien,  da  die  leidenschaftlichen,  eifersiich- 
tigen   Spanier    die    Italiener,    die    auch   zum   groBten  Teil    in    die 


H5FISCHES  leben 


429 


schonen  Gefahrtinnen  der  Markgrafin  verliebt  waren,  gereizt  und 
herausgefordert  haben.  Die  Skandale  nahmen  kein  Ende,  auf  den 
Mauern  und  Saulen  des  Palastes  konnte  man  Kreide-  und  Kohle- 
zeichnungen  sehen  und  unanstandige  Aufschriften  lesen,  die  sich 
auf  die  Damigellen  bezogen  und  von  der  Dienerschaft  entfernt 
werden  muBten.  Das  eigentliche  Drama,  zu  dem  die  Damigellen 
beitrugen,  spielte  sich  am  17.  Marz  beim  Ball  der  Herzogin  von 
Savoyen  ab.  Es  war  ein  auBerordentlich  prachtiger  Abend,  an  dem 
Karl  V.,  die  Herzdge  von  Ferrara,  Mailand  und  Urbino  teilnahmen. 
Der  Kaiser  blieb  zwei  Stunden,  sprach  und  scherzte  mit  den  Damen; 
die  gute  Laune  des  Monarchen  teilte  sich  der  ganzen  Gesellschaft 
mit,  und  es  schien,  als  sollte  die  Gesellschaft  ohne  einen  jener  un- 
angenehmen  Zwischenfalle,  die  damals  an  der  Tagesordnung  waren, 
verlaufen.  Nachdem  Karl  V.  gegangen  war,  begannen  sich  einige 
Spanier  Isabellas  Damigellen  gegeniiber  so  unanstandig  zu  be- 
nehmen,  daB  die  Italiener  die  Ehre  des  Hauses  wahren  wollten,  nach 
den  Waffen  griffen  und  die  Spanier  aufforderten,  den  Saal  zu  ver- 
lassen.  Die  Spanier  blieben  natiirlich,  zogen  gleichfalls  und  es 
kam  zum  Kampfe,  bei  dem  drei  der  kecken  Fremden  ihr  Leben 
lieBen.  Von  den  Dienern  des  Hauses,  die  die  Kampfenden  trennen 
wollten,  waren  sieben  verwundet. 

Der  Markgrafin  blieb  nichts  anderes  iibrig,  als  Bologna  zu  ver- 
lassen;  sie  empfahl  sich  dem  Kaiser,  der  sich  ihr  trotz  der  getoteten 
Spanier  sehr  gnadig  erwies,  empfing  den  papstlichen  Segen  und 
kam  am  21.  Marz  mit  ihren  unruhigen  Damen  nach  Mantua  zuriick. 

Natiirlich  war  dieser  weibliche  Hofstaat  an  den  italienischen 
Hofen  der  Mittelpunkt  aller  Vorurteile  und  alles  Aberglaubens; 
dort  suchten  die  verschiedensten  Charlatans  nach  ihren  Opfern, 
dort  fanden  Schonheitsrezepte  und  Geheimmittel  ihre  Abnehmer. 
In  Ferrara  gab  es  zwar  infolge  der  Universitat  bessere  Arzte,  als 
in  den  meisten  iibrigen  italienischen  Stadten,  aber  die  Arzte  waren 
namentlich  bei  den  Frauen  der  Renaissance  sehr  unbeliebt. 

Dieser  traurigen  Gestalt  in  schwarzer  Cimarra,  schwarzem 
Samtbarett  und  Trauerhandschuhen  traute  niemand  so  recht, 
und  in  den  meisten  Fallen  behandelte  man  sie  als  „jumentum 
insipiens"  und  rief  ,,portate  fieno",  wenn  sie  naherkam.    Nichts  war 


430 


VIERZEHNTES  KAPITEL 


so  verbreitet,  wie  Anekdoten  von  Arzten;  man  erzahlte  sich,  irgend 
ein  Arzt  habe  selbst  den  Puis  des  Campanile,  als  die  Glocken 
schlugen,  nicht  finden  konnen  und  wiederholte  mit  Plato,  daB  es 
dem  Arzt  allein  gestattet  sei,  die  Menschen  straflos  zu  toten.  Der 
Arzt,  namentlich  ,,medicus  urinarius"  wurde  neben  dem  Monch 
zur  beliebtesten  komischen  Figur  der  Novellisten  und  Lustspiel- 
dichter.  Sogar  in  den  mittelalterlichen  kirchlichen  Auf  f  iihrungen  in  den 
,,Rappresentazioni  sacre"  tritt  der  Arzt  schon  ah  komische  Figur  auf. 
In  jenen  Frauengemachern  miBtraute  man  dem  Arzt,  glaubte 
aber  fest  an  die  Wirksamkeit  der  verschiedensten  Rezepte,  von 
denen  sich  noch  ganze  StoBe  in  Bibliotheken  verbergen.  Nament- 
lich schrieb  man  gewissen  Beschworungsformeln  und  kostbaren 
Steinen  eine  geheimnisvolle  Bedeutung  zu  und  schatzte  die  Wirk- 
samkeit heilender  Krauter.  Noch  im  XIII.  Jahrhundert  gab  der 
portugiesische  Arzt  Pietro  di  Giuliano  da  Lisbona,  der  spatere 
Papst  Johannes  XXL,  ein  populares  medizinisches  Buch  ,,Tesoro 
di  poveri"  heraus.  Dieses  Buch  war  fur  einige  Jahrhunderte  das 
Rezept-Schatzkastlein1),  auch  die  medizinischen  Vorschriften  eines 
andern  Papstes,  Innocenz  III.,  erfreuten  sich  groBer  Beliebtheit. 
Innocenz  war  der  Erfinder  eines  Pulvers,  das  das  Augenlicht  wieder- 
gab,  der  Kardinal  Bianco  war  ein  noch  groBerer  Wundertater, 
sein  Pulver  erhielt  die  Sehkraft,  hielt  den  Magen  in  Ordnung,  zer- 
streute  die  bose  Laune  und  wirkte  giinstig  auf  die  Brust.  In  diesen 
Rezeptbuchern,  die  in  keinem  groBern  Hause  fehlten,  sind  auch 
Beschworungsformeln,  scongiuri,  eingetragen.  Es  gab  scongiuri 
gegen  Fieber,  Zahnschmerz  und  viele  andere  Krankheiten;  wenn 
man  sie  sprach,  muBte  man  ein  Kreuz  iiber  die  schmerzende  Stelle 
schlagen,  auBerdem  fasten,  beten  und  Almosen  geben.  So  wurde  z.  B. 
die  Rose  geheilt,  wenn  man  iiber  den  Kranken  den  Vers  sprach: 

Nui  tre  fratre  simo:  iamo,  a  monte  Albano, 
A  piglia  noglio  pe'  resibela  e  anti  mali. 

Als  Universalmittel  gait  der  Rosmarin,  dem  man  zweiundsiebzig 
,, virtu"  zuschrieb,  d.  h.  man  glaubte,  daB  er  sich  in  zweiundsiebzig 

x)   Sehr  verbreitet  waren  auch  die  Biicher  ,, Regime  de  corps"  von  Aldo- 
brandini  di  Siena  und  „De  regimine  sanitatis"  von  Taddeo  Alderotti. 


hOfisches  leben  431 

Fallen  erfolgreich  anwenden  lieBe.  Rheumatismus  und  Katarrh, 
samtliche  Geschwiire,  selbst  Krebs  wurden  mit  Rosmarin  geheilt. 
Auch  Sancho  Pansa  hat  Don  Quixote  Rosmarin  und  Salz  auf  die 
Ohrwunde  gelegt,  die  sich  der  baruhmte  Ritter  im  Kampf  geholt 
hatte.  Rosmarin  machte  die  Alten  wieder  jung,  gab  den  Frauen 
einen  weiBen,  glatten  Teint,  mit  diesem  wunderbaren  Kraut  ver- 
trieb  man  Schlangen  und  wilde  Tiere,  Rosmarin  brachte  Gliick  und 
OberfluB  und  heilte  sogar  Geisteskrankheiten.  Man  erzahlte  sich, 
ein  englischer  Monch  habe  diese  Eigenschafte-n  des  Rosmarin  in 
Indien  beobachtet  und  das  Wunderkraut  nach  Europa  gebracht. 
Diese  tJberlieferung  war  schon  deshalb  unwahrscheinlich,  da 
bereits  die  Romer  Rosmarin  in  verschiedenen  Fallen  beniitzt 
haben. 

Besondere  Eigenheiten  hatten  einige  kostbare  Steine  wie  Sma- 
ragden,  Rubine  u.  a.,  auBerdem  gab  es  zehn  Steine,  pietre  virtuose 
benannt,  die  mit  geheimer  Kraft  begabt  waren.  Namentlich  Frauen 
suchten  nach  dem  Adlerstein,  pietra  dell'aquila,  die  die  Adler  in 
ihren  Nestern  zusammentragen  sollten.  Dieser  Stein  sollte  die 
schmerzvollsten  Vorgange  im  Leben  der  Frau  erleichtern,  und  der 
Glaube  an  seine  Heilsamkeit  hat  sich  bis  auf  den  heutigen  Tag  er- 
halten,  so  weit,  daB  haufig  noch  Frauen  in  Pariser  Apotheken 
kommen  und  nach  dem  Adlerstein  verlangen1). 

Sehr  gesucht  war  besonders  der  Smaragd,  denn  er  gab  dem,  der 
ihn  trug,  Gesundheit  und  Heiterkeit.  Freilich  muBte  man  ihn  in 
Wein  und  01  waschen.     Am  starksten  waren  die  Wirkungen  der 

x)  Im  Pariser  .Journal  de  la  Beaute"  vom  11.  Juni  1905  lese  ich,  daB 
die  „pierre  du  soleil"  als  Berloque  gefafit,  Liebe  erwecke  und  den  Geliebten 
binde.  Dieselbe  Zeitung  empfiehlt  am  19.  Dezember  1905  ihren  Leserinnen 
als  besonders  wirksam  in  Liebesdingen  die  „magische  Pflanze"  Mandragola, 
die  zu  den  groBen  Seltenheiten  gehort,  an  einsamen,  wilden  Platzen  wachst, 
zufallig  auftaucht  und  wieder  verschwindet  und  sich  nicht  durch  Samen 
wie  andere  Pflanzen  vermehrt.  Wer  Mandragola  besitzt,  kann  sicher  sein, 
wiedergeliebt  zu  werden.  So  lebt  Machiavellis  „Mandragola"  denn  bis  auf 
den  heutigen  Tag.  In  Galizien  wissen  die  Bauernmadchen  von  dieser  Pflanze 
und  ihren  Vorziigen,  nennen  sie  jedoch  anders.  Nach  ihren  Beschreibungen 
stimmt  die  Wurzel  vollkommen  mit  der  Mandragola -Wurzel  tiberein  die 
sich  in  der  kaiserlichen  Bibliothek  in  Wien  befindet  und  die  Gestalt  eines 
zusammengeschrumpften  Puppchens  hat. 


432  VIERZEHNTES  KAPITEL 

Koralle,  die  ahnlich  wie  der  Rosmarin  unzahlige  Vorzuge  hatte.  In 
pulverisiertem  Zustand  wurde  sie  zusammen  mit  eingemachten 
Friichten  gegen  Herzkrankheiten  eingenommen,  da  corallo  ,,cor 
alens"  bedeutete,  der  Stein  also  als  herzernahrend  gait. 

Conforte  al  riguardar  la  vista  e  '1  core: 
Averne  seco  quande  il  folgor  cade, 
Pietra  non  e  piu  util  ne  migliore. 

Im  Buch  ,,Segreto  de  Segreti",  das  Aristoteles  zugeschrieben 
wurde  und  in  Albertus  Magnus  beruhmtem  Werk  ,,De  Mineralibus" 
las  man  iiber  die  geheimen  Eigenschaften  kostbarer  Steine.  Nicht 
der  Stein  allein  war  von  geheimem  EinfluB  auf  den  Geist  und  die 
Gesundheit  des  Menschen,  die  eingeschnittenen  Figuren  erhohten 
seinen  magischen  Wert.  Eine  Kamee  mit  einer  menschlichen 
Figur,  die  eine  Schlange  am  Kopf  hielt,  vermehrte  den  Reich- 
turn;  ein  Lowe  oder  Ziegenbock  in  Stein  schiitzte  vor  taglichem 
oder  dreitagigem  Fieber,  Lowe  und  Hund  zusammen  heilten 
Tollwut. 

Die  Monche,  die  sich  den  groBen  Damen  gefallig  erweisen 
wollten,  schrieben  ihnen  die  verschiedensten  Rezepte  ab,  so  erhielt 
Chiara  di  Correggio,  die  im  XVI.  Jahrhundert  lebte,  von  einem 
Franziskaner  einige  unerhort  seltene  Schonheitsrezepte  ,,Ricette 
da  fare  bella".  Unter  anderem  sind  die  Substanzen  eines  Pulvers 
aufgefiihrt,  die  der  Kardinal-Protektor  jenes  Monchs,  ,,il  mio  car- 
dinale",  beniitzt  hat  und  denen  er  seine  schone  weiBe  Hand  zu 
danken  hat.  Das  Buch  enthalt  auch  Rezepte  fur  Puder,  fur  das 
Parfiimieren  von  Handschuhen  und  verschiedene  andere  wertvolle 
Winke  fur  Frauen. 

Zu  einer  Frauenbibliothek  gehorte  auch  eine  Sammlung  von 
Gebeten  gegen  gewisse  Krankheiten,  und  damals  schon  wandte 
man  sich  an  die  heilige  Apollonia  von  Alexandrien,  wenn  man  an 
Zahnschmerzen  litt. 

In  der  sehr  zum  Aberglauben  neigenden  Renaissance  bestand 
neben  der  wirklichen  Welt  eine  Welt  der  Symbole,  in  der  die  Phan- 
tasie  frei  schalten  konnte.  Alles,  was  den  Sinnen  unterstand,  hatte 
seine  geheime  Bedeutung;  mit  den  Sternen  und  den  Himmelskorpern 


HOFISCHES  LEBEN  433 

beschaftigten  sich  die  Astrologen,  fur  die  Phantasie  gewohnlicher 
Menschen  bot  die  Flamme  im  Kamin,  Rauch,  Kohle,  Asche,Wolken, 
Regen,  Schnee  und  der  Regenbogen  Ziindstoff  genug.  Jedes 
elementare  Ereignis,  jeder  Gegenstand,  der  damit  in  Verbindung 
stand,  war  fiir  gute  oder  bose  Prophezeiungen  geeignet.  Die  Welt 
der  Symbole  stand  in  engem  Zusammenhang  mit  den  Devisen  und 
Wappen,  die  sich  ein  jeder  wahlte,  der  auf  irgendeine  Stellung  in 
der  Gesellschaft  ein  Anrecht  hatte.  Zur  Imprese  fiigte  sich  die  Figur 
und  ein  entsprechendes  Motto.  Alle  klugen,  feinsinnigen  Menschen 
beschaftigte  diese  Kombination.  Es  gibt  keinen  VierfiiBier,  Vogel, 
Fisch,  keine  Schlange  und  kein  Insekt,  keine  Pflanze  und  keine 
Frucht,  die  damals  nicht  als  Thema  fiir  eine  Imprese  gedient 
hatten.  Ganze  Biicher  wurden  dariiber  geschrieben,  die  ernst- 
haftesten  Menschen  beschaftigten  sich  mit  dieser  von  ihnen 
erschaffenen  Wissenschaft.  Natiirlich  haben  sich  die  F.rauen 
am  meisten  dieser  Symbolik  gewidmet,  und  wie  alles  andere 
unterlagen  auch  die  Devisen  der  Mode.  Die  Donzellen  stickten 
unter  Niccolo  III.  franzosische  Devisen  auf  ihre  Armel,  da 
Norditalien  damals  im  Zeichen  franzosischer  Sitte  und  fran- 
zosischer Romane  stand;  unter  Ercole  I.  wurden  die  franzosischen 
durch  spanische  Devisen  verdrangt,  und  unter  Renata  herrschte 
wieder  das  franzosische  Wappen  vor.  Eine  ihrer  Damen  war  so 
tugendhaft,  daB  sie  die  Devise  trug:  ,,Ehrlich  will  ich  mein  Leben 
vollenden!" 

Eine  sehr  charakteristische  Personlichkeit,  die  etwas  vom 
Arzt,  vom  Astrologen  und  vom  Naturforscher  hatte,  war  der  Nea- 
politaner  Giovan  Battista'  della  Porta,  den  der  Kardinal  Luigi 
d'Este  haufig  bei  sich  zu  Gaste  sah.  Delia  Porta  gab  dem  Kardinal 
gegen  seine  Gicht  ein  Ol,  das  er  aus  Bucheckern  gewann,  die  Mixtur 
war  mit  Hdllenstein  und  geheimen  Beschworungsformeln  gebraut; 
in  seinen  freien  Augenblicken  schrieb  er  wertlose  Komodien.  Sein 
wichtigstes  Werk  war  jedoch  das  Buch  ,,Fisonomia  delle  erbe",  in 
dem  er  zweitausend  Geheimmittel  herausgab;  es  waren  Geheim- 
nisse,  die  er  der  Natur  abgelauscht  hatte,  und  er  glaubte,  niemand 
konne  in  seinem  Wissen  weitergehen,  als  er  gedrungen  sei.  Dem 
gelehrten  Charlatan  geniigte  das  Offenbaren  der  geheimen  Eigen- 

28 


434 


VIERZEHNTES  KAPITEL 


schaften  der  Pflanzen  nicht,  er  gab  noch  ein  anderes  Werk  ,,Ma- 
gnalia  naturae"  oder  ,,Magia  naturale"  heraus,  in  dem  er  die  Schleier 
von  alien  Zweigen  menschlichen  Wissens  hob.  Unter  alchymisti- 
schen  Seltsamkeiten  befanden  sich  merkwiirdige  Entdeckungen, 
Ergebnisse  ernsthaften  Forschens,  und  manche  wichtige  spatere 
Erkenntnis  wurden  vorausgeahnt.  So  sprach  er  viel  von  Perspek- 
tive,  von  Spiegeln,  die  eine  Feuersbrunst  aus  der  Feme  zu  ent- 
ziinden  vermogen,  von  der  Art  mit  Menschen  auf  Tausende  von 
Meilen  mittels  des  Mondes  zu  sprechen,  von  Brillen,  durch  die  man 
ungeahnte  Entfernungen  iibersehen  konne.  Er  widmete  sich  auch 
agronomischen  Forschungen,  lehrte  Methoden,  um  aus  einem 
Samenkorn  dreiBigfaltige  Frucht  zu  ernten,  Getreide  hundert  Jahre 
gut  aufzubewahren,  bisher  unbekannte  Blumen  und  Friichte  zu 
ziichten,  Brot  und  Mehl  zu  backen.  Diese  wirtschaftlichen  Vor- 
schriften  haben  den  Kardinal  sehr  interessiert,  er  hat  den  Neapoli- 
taner  in  seine  Villa  nach  Tivoli  mitgenommen  und  ihm  Geldmittel 
zur  Verfugung  gestellt,  damit  er  in  seinem  Haus  Versuche  anstelle, 
Andere  „Gelehrte",  die  Delia  Porta  seinen  Erfolg  neideten,  haben 
ihn  bei  der  Inquisition  verklagt,  er  verbreite  irreligiose  Kenntnisse 
und  verkiinde  zukiinftige  Dinge,  aber  mit  Hilfe  seiner  einfluBreichen 
Beschiitzer  gelang  es  dem  Alchymisten  sich  zu  rechtfertigen.  Sicher- 
lich  war  es  ihm  um  ein  ehrliches  Erforschen  der  Natur  zu  tun,  zu 
diesem  Zwecke  griindete  er  sogar  eine  ,,Accademia  dei  Segreti",  in 
der  die  verschiedensten  Erfahrungen  gesammelt  wurden.  Nach  dem 
Muster  dieser  Akademie  entstanden  spater  Verbindungen,  wie  die 
,,Accademia  delCimento"  und  die  ,,AccademiadellaTraccia",diezur 
Erweiterung  naturwissenschaftlicher  Forschungen  beitrugen.  Delia 
Porta  war  auch  Lavaters  Vorganger,  er  verfaBte  eine  Abhandlung 
,,De  humana  Physiognomia",  in  der  er  bewies,  daB  die  Gesichts- 
ziige  und  gewisse  Linien  im  Bau  des  menschlichen  Korpers  zur  Be- 
wertung  und  Feststellung  geistiger  Eigenschaften  des  Menschen 
dienen  konnen.  Das  groBte  Verdienst  des  Neapolitaners  besteht 
darin,  daB  er  als  erster  auf  das  Teleskop  hingewiesen  hat,  an  diesem 
Problem  hat  er  in  venezianischen  Glasfabriken  gearbeitet.  Ihm  wird 
auch  die  Erfindung  der  Camera  obscura  zugeschrieben,  die  spater 
fur  Kepler  und  Newton  wertvoll  war. 


HOFISCHES  LEBEN  435 

V 

DerHof  vonFerrarawar  einerderheitersten  geselligen  Mittelpunkte 
Italiens.  Fast  ununterbrochen  gab  es  Musik,  Gesang  und  Tanz, 
und  die  Keiterkeit  des  Kastells  hat  sich  der  ganzen  Stadt  mitgeteilt. 
Wenn  die  Zeitgenossen  Ferrara  beschreiben,  so  heben  sie  immer 
hervor,  daB  die  ganze  Stadt  am  Abend  von  Musik  und  Gesang  wieder- 
halle.  Die  Este  haben  Musik  mit  viel  Hingabe  getrieben  und  selbst 
ihre  Pagen  in  mehreren  Instrumenten  unterweisen  lassen.  Musik 
wurde  zur  Leidenschaft  der  Renaissancehofe.  Es  wurde  bereits  er- 
wahnt,  daB  die  Este  Musiker  aus  Flandern  und  Frankreich  haben 
kommen  lassen  und  ihr  eigenes  Orchester  hatten.  Unter  Alfonso  II. 
hat  die  Pflege  der  Musik  in  Ferrara  ihren  Hohepunkt  erreicht. 
Fast  alle  beruhmten  Musiker  Europas  kamen  damals  fur  einige  Zeit 
nach  Ferrara  und  haben  dem  Hofe  ihre  neuesten  Werke  geschickt. 
Der  Franzose  Giovanni  Alessandro  di  Melleville  war  Musiklehrer 
der  Prinzessinnen  Anna,  Lucrezia  und  Leonora;  namentlich 
Lucrezia  hat  wahrend  ihres  ganzen  Lebens  Musik  eifrig  betrieben. 
Eine  Zeit  hindurch  beschaftigte  sie  an  ihrem  Hof  die  drei  Schwestern 
Avogari,  die  zusammen  mit  dem  Organisten  ein  ausgezeichnetes 
Quartett  gebildet  haben.  Leonora  hatte  eine  sehr  schone  Stimme, 
aber  die  Arzte  haben  ihr  infolge  ihrer  schwachen  Konstitution  friih- 
zeitig  das  Singen  verboten.  Der  beruhmte  Pier  Luigi  Palestrina  wurde, 
nachdem  er  seine  ,,Messe  di  Papa  Marcello"  komponiert  hatte,  nach 
Ferrara  als  Kapellmeister  berufen  und  nahm  vier  Jahre  von  1567  bis 
1571  diese  Stelle  ein.  Vorher  war  er  kurze  Zeit  Mitglied  des  Chores  der 
Sixtina  gewesen,  aber  Paul  IV.  Caraffa  hatte  ihn  entlassen,  da  der 
leichtsinnige  Pier  Luigi  weltliche  ,,Madrigale"  komponiert  und  sie 
x555  in  Rom  herausgegeben  hatte.  Infolgedessen  suchte  der  be- 
ruhmte Musiker  Beschaftigung  bei  anderen  Kirchen,  bis  er  nach 
Ferrara  kam.  Fur  Caraffa  war  seine  Musik  zu  weltlich,  fur  Alfonso 
zu  ernst.  Palestrinas  kiinstlerische  Richtung  entsprach  dem  Ge- 
schmack  desHerzogs  nicht,  infolgedessen  verlieB  der  Kiinstler  Ferrara 
und  ging  1571  nach  Rom  zuriick,  wo  er  wieder  in  San  Peter  ange- 
stellt  wurde.  Alfonso  war  selbst  Komponist,  er  hat  die  Musik  zu 
den  ersten  Schaferspielen,  die  am  Hofe  aufgefiihrt  worden  waren, 

28* 


436  VIERZEHNTES  KAPITEL 

verfaBt  und  beschaftigte  sich  auch  mit  dem  Arrangement  der 
SchloBkonzerte.  Da  es  viel  Schwierigkeiten  kostete,  die  entspre- 
chende  Sangeranzahl  zusammenzubringen,  bemiihte  er  sich  von 
den  Prioren  der  dortigen  Kloster  die  Erlaubnis  zu  erhalten,  die 
musikalischen  Monche  an  den  Hofkonzerten  teilnehmen  zu  lassen. 
Die  Monche  muBten,  wenn  sie  offentlich  auftraten,  einen  schwarzen 
Mantel  iiber  ihre  Kutte  ziehen. 

Zu  Ferraras  beruhmtesten  Kapellmeistern  gehort  Luzzasco 
Luzzaschi,  der  dem  SchloBorchester  von  1561  bis  1592  vorstand. 
Er  hatte  einen  groBartigen  Chor  von  Damen  und  Herren  der  ersten 
Gesellschaft  gegrundet,  iiber  den  die  Zeitgenossen  voll  Lobes  sind. 
Zu  diesem  Chor  gehorten:  Tarquinia  Molza,  Lucrezia  Bendidio, 
die  Contessa  Leonora  di  Scandiano,  Vittoria  Bentivoglio  und 
Laura  Peperara;  unter  den  Mannern  hatte  der  Neapolitaner  Giulio 
Cesare  Brancaccio  die  schonste  BaBstimme.  Militarische  Studien 
haben  ihn  jedoch  mehr  als  Musik  interessiert,  und  er  hat  den  Herzog 
mit  seiner  Abhandlung  iiber  Strategic,  von  der  er  nicht  ubermaBig 
viel  verstanden  zu  haben  scheint,  sehr  gelangweilt.  Der  Herzog  hat 
Brancaccio  vierhundert  Scudi  jahrlich  angewiesen,  ihm  Pferde  ge- 
halten  und  ihm  vollig  freien  Unterhalt  gewahrt,  doch  dies  geniigte 
dem  verschwenderischen  Neapolitaner  keineswegs,  er  traumte  stets 
davon,  sein  Schicksal  zu  verbessern.  Nachdem  er  den  Hof  von  Fer- 
rara  verlassen  hatte,  trieb  er  sich  in  Frankreich  und  Spanien  herum, 
bis  er  zuletzt  in  Neapel  von  der  Barmherzigkeit  der  Menschen  lebte, 
denen  er  amiisante  Anekdoten  erzahlte. 

Die  bedeutendste  Rolle  in  der  musikalischen  Welt  hat  Tarquinia 
Molza  gespielt;  die  Gesandten  unterlassen  es  nie,  sie  in  ihren  Be- 
richten  iiber  Ferrara  zu  erwahnen,  und  die  Dichter  haben  sie  be- 
sungen.  Tarquinia  Molza,  aus  einer  bekannten  Familie  Modenas 
stammend,  trieb  auBer  Musik  auch  klassische  Sprachen  und  Astro- 
nomic Einer  der  Hofpoeten  hat  ihr  ein  Madrigal  gewidmet:  ,,A 
la  signora  Tarquinia  Molza  la  qual  studiando  la  sfera  andava  la 
sera  contemplar  le  stelle".  Tarquinia  hat  auch  gedichtet  und  nimmt 
unter  den  Dichterinnen  des  XVI.  Jahrhunderts  in  Italien  durchaus 
keine  untergeordnete  Stelle  ein.  Alfonso  II.  hat  sie  so  heiB  verehrt, 
daB  er  einst  ihr  zu  Ehren  in  einem  Turnier  gekampft  hat;  Tasso 


HOFISCHES  LEBEN  437 

hat  diese  Begebenheit  in  einem  elegantei;  Sonett  besungen.  Die 
Molza  kam  als  junge  Witwe  1583  nach  Ferrara,  sie  gefiel  dem  Dichter 
auBerordentlich,  aber  der  flandrische  Musiker  Giacomo  West,  der 
im  Dienst  der  Grafen  von  Novellara  stand  und  sehr  haufig  nach 
Ferrara  kam,  fand  vor  ihren  Augen  mehr  Gnade.  Man  wollte  Kiisse 
zwischen  Tarquinia  und  dem  Flamen  belauscht  haben,  und  der 
Herzog,  der  vielleicht  nicht  ganz  frei  von  Eifersucht  war,  fing  Briefe 
des  verliebten  Paares  auf.  Infolgedessen  mufite  die  Molza,  nachdem 
sie  einige  Jahre  in  Ferrara  gelebt  hatte,  1589  nach  Modena  zuriick- 
kehren;  in  ihrem  Haus  fand  sich  ein  Kreis  von  Literaten  und  Mu- 
sikern  zusammen. 

Von  Lucrezia  Bendidio,  einer  der  Sangerinnen  des  Hofes,  und 
ihrem  Verhaltnis  zum  Kardinal  Luigi,  war  schon  die  Rede.  Von 
Laura  Peperara,  der  jiingsten  dieser  Damen,  ware  zu  erwahnen, 
daB  sie  durch  ihren  Gesang  Annibale  Turchi  besiegt  hat,  einen  Jung- 
ling,  der  zu  den  ersten  Familien  von  Ferrara  gehort  und  sich  mit  ihr 
vermahlt  hat.  Der  Herzog  zeigte  sich  sehr  freigebig  und  hat  der 
armen  Sangerin  zehntausend  Scudi  als  Mitgift  geschenkt. 

Von  Zeit  zu  Zeit  wurden  am  ferraresischen  Hof  ganz  groBe 
Konzerte  veranstaltet,  so  brachte  Alfonso  1583  zum  Empfang  eines 
beriihmten  Gastes  siebenundfiinfzig  Sanger  zusammen.  Zwei 
Zimmer  im  SchloB  wurden  fur  die  Proben  bestimmt,  und  der  Herzog 
lieB  zur  Beniitzung  der  Kiinstler  die  verschiedensten  Instrumente 
zurechtlegen,  wie  Posaunen,  Bratschen,  Floten,  Zithern,  Harfen, 
Klaviere  usw. 

Bezeichnend  fur  die  Musik  am  ferraresischen  Hofe  im  ausgehen- 
den  16.  Jahrhundert  war  ihr  Zusammengehen  mit  der  gleich- 
zeitigen  Poesie.  Jedes  Madrigal,  jede  Ballade  und  Kanzone,  die 
Tasso,  Guarini  oder  Pigna  verfaBt  hatten,  wurde  von  Agostini, 
Fiorini,  Luzzasco  oder  haufig  vom  Herzog  selbst  in  Musik  gesetzt. 
Selbst  einzelne  Abschnitte  aus  dem  Furioso  oder  der  Gerusalemme 
wurden  vertont.  Es  wird  erzahlt,  daB  Ariost  sich  in  ein  junges 
Madchen  verliebt  hat,  das  mit  unbeschreiblichem  Reiz  seinen  Or- 
lando gesungen  hat.  Die  Musik  wurde  allmahlich  weich  und  sen- 
timental, die  Zeitgenossen  klagen,  daB  es  ihr  an  Kraft  fehle,  und 
selbst  Tasso  spricht  in  seinem  Dialog  ,,La  Cavaletta"  vom  Verfall 


438  VIERZEHNTES  KAPITEL 

des  musikalischen  Gefiihls  und  fordert  Meister  wie  Luzzasco  auf, 
den  alten  Ernst,  die  gravita  wiederzubeleben. 

Ohne  Musik,  ohne  Intermezzi,  in  den  meisten  Fallen  komischer 
Art  mit  sehr  anstoBigen  Versen  und  entsprechend  sinnlicher  Musik, 
ging  es  bei  keiner  Theaterauffiihrung  ab.  Die  Intermezzi  nahmen 
dermaBen  uberhand,  daB  einer  der  Kunstler  sich  beklagt  hat,  er 
schreibe  eine  Komodie  fiir  Intermezzi  und  nicht  mehr  Intermezzi 
fur  eine  Komodie.  Lasca  klagt  in  seinem  Prolog  zu  ,, Strega"  iiber 
die  musikalischen  Einlagen,  die  die  Aufmerksamkeit  der  Zuhdrer 
vom  Drama  ablenken.  Um  dem  Geschmack  des  Publikums  zu 
schmeicheln,  flocht  jeder  Lustspieldichter  Madrigale  in  seine  Ko- 
modie ein,  die  fiir  Musik  und  Gesang  verfaBt  waren,  und  in  den 
wenigsten  Fallen  mit  dem  Inhalt  des  Stiickes  in  Zusammenhang 
standen.  Diese  Intermezzi  bilden  im  Zusammenhang  mit  der  Ko- 
modie den  Anfang  des  Melodramas,  das  sich  im  XVII.  Jahrhundert 
entwickelt  hat. 

Die  Klagen  iiber  die  Sinnlichkeit  und  Verweichlichung  der 
Musik  haben  also  wenig  geniitzt,  und  trotz  des  einsetzenden  Ver- 
falls  ist  die  Vorliebe  fiir  Musik  nicht  in  Ferrara  allein,  sondern  in 
ganz  Italien  ungeheuer  gestiegen;  musikalische  Akademien  wurden 
gegriindet,  um  gemeinsame  Konzerte  zu  veranstalten.  Die  ferra- 
resische  Akademie  sollte  ihren  Statuten  gemaB  alle  drei  Monate 
ein  groBes  Konzert  geben,  die  Jugend  ausbilden  und  aus  ihrem 
Kreise  Zensoren  in  musikalischen  Dingen  wahlen. 

In  unmittelbarem  Zusammenhang  mit  der  Musik  stand  der 
Tanz,  der  erst  in  der  Renaissance  zum  weltlichen  Spiel  wurde,  wah- 
rend  er  im  Mittelalter  mit  religiosen  Brauchen  eng  verkniipft  war. 
Der  Tanz  in  der  Kirche  war  ein  heidnischer  Brauch.  Die  romische 
Kirche  hat  diese  Sitte  seit  dem  XII.  Jahrhundert  bekampft,  und 
bis  gegen  Ende  des  XVI.  Jahrhunderts  erlieBen  die  Konzile  ein 
Verbot  nach  dem  andern,  in  den  Kirchen  und  auf  den  Friedhofen 
zu  tanzen.  In  Piemont  wurde  noch  im  XVI.  Jahrhundert  in  der 
Kirche  getanzt,  wenn  der  junge  Kaplan  die  erste  Messe  las,  und 
heute  tanzt  man  noch  in  einzelnen  spanischen  Gemeinden  zu  Ehren 
der  Mutter  Gottes,  nicht  nur  wahrend  der  Prozession  auBerhalb  der 
Kirche,  sondern  auch  in  der  Kirche  selbst.    In  Sevilla  hat  sich  der 


HOFISCHES  LEBEN  439 

Tanz  der  Kinder  vor  dem  heiligen  Sakrament  als  Brauch  einge- 
biirgert1).  In  Italien  hat  man  erst  in  der  Renaissance  den  Tanz 
vollkommen  von  kirchlichen  Brauchen  getrennt.  Zuerst  hat  auch 
der  Renaissancetanz  etwas  vom  kirchlichen  Ernst  bewahrt,  er  war 
langsam  und  getragen,  eine  Art  begleitender  Bewegung  zum  reli- 
giosen Lied.  Es  wurde  zumeist  singend  getanzt,  und  tiefe  Ver- 
beugungen  gehorten  zu  den  wesentlichen  Bestandteilen  des  Tanzes. 
Wahrscheinlich  war  die  erste  dem  Tanz  angepaBte  Gedichtform 
die  Ballade,  spater  wurden  im  Takt  Kanzonen,  Madrigale  und  ver- 
schiedene  andere  Gedichte  gesungen. 

Da  der  Tanz  in  Italien  sich  aus  kirchlichen  Brauchen  entwickelt 
hat,  war  er  bis  ins  XV.  Jahrhundert  eine  bloBe  Volksbelustigung, 
erst  allmahlich  ging  er  vom  offentlichen  Platz,  von  der  StraBe  in 
den  geschlossenen  Raum  iiber.  Die  Volkstanze  wurden  damals  zu 
Tanzen    umgewandelt,    wurdig    ,,da   esser    dangati    per   dignissime 

x)  Nicht  nur  in  Sevilla,  sondern  auch  in  entlegeneren  Stadtchen  Anda- 
lusiens  bestehen  bis  auf  den  heutigen  Tag  religiose  Tanze  in  der  Fastenzeit 
zu  Ehren  der  Mutter  Gottes.  Sie  haben  neben  der  religiosen  auch  eine 
historische  Bedeutung;  denn  sie  stellen  die  Freude  iiber  den  Untergang  der 
Mauren  dar.  Diese  Tanze  gleichen  einer  amusanten  Maskerade  mehr  als 
einer  religiosen  Zeremonie.  Die  Tanzer,  zumeist  Leute  aus  dem  Volk, 
Ziehen  sich  wie  Harlekins  an,  tragen  ein  rotes  Warns,  ein  kurzes,  weiBes, 
gesticktes  Beinkleid,  stecken  farbige  Bander  an  und  gurten  sich  mit  bunten 
Scharpen.  Auf  dem  Kopf  tragen  sie  eine  Art  Helm  oder  Pyramide  aus 
rotem  Stoff  mit  kunstlichen  Blumen,  unter  dem  Kinn  gebunden.  Kleine 
Spiegelchen,  die  an  diesem  seltsamen  Kopfputz  befestigt  sind,  erhohen  das 
Grelle  der  Kostume.  Diese  Ballettanzer  mit  einem  Alkalden  an  der  Spitze 
gehen  tanzend  der  Prozession  voran  und  teilen  sich  auf  ein  gegebenes  Zeichen 
in  zwei  Gruppen,  von  denen  die  eine  die  Christen,  die  andere  die  Mauren 
darstellt.  Beide  Gruppen  veranstalten  einen  Kriegstanz,  schlagen  sich  mit 
Stocken  beim  Klang  der  Kastagnetten  und  Tamburine,  dann  erliegt  die 
Gruppe  der  Mauren  der  Ubermacht,  erklart  sich  geschlagen,  sinkt  vor  Marias 
Bild  in  die  Knie  und  bittet  urn  die  Taufe.  Es  folgt  ein  Freudentanz  iiber 
die  Belehrung  der  Unglaubigen,  die  Prozession  tritt  in  die  Kirche,  die  Orgel 
spielt  lustige  Melodien,  die  Tanzer  setzen  ihre  schwingenden  Bewegungen 
fort,  und  der  Ball  in  der  Kirche  wahrt  bis  zum  Abend.  Niemand  lacht, 
niemand  empfindet  die  Komik  der  Szene,  im  Gegenteil,  das  versammelte 
Volk  ist  vom  religiosen  Charakter  dieser  Sitte  durchdrungen,  und  die  Frauen 
knieen  und  beten  wahrend  des  Hollenlarms. 


440 


VIERZEHNTES  KAPITEL 


madonne  et  non  plebeie".  In  der  Benennung  ,,contradanse"  hat  sich 
die  Herkunft  eines  der  verbreitetsten  Salontanze  vom  Volkstanz  er- 
halten,  da  contradanse  urspriinglich  nichts  anderes  war  als  danza 
della  contrada,  Dorftanz. 

Musik  und  Tanz  wurden  Bedingungen  guter  Erziehung.  Tanz- 
lehrer,  —  die  beriihmtesten  darunter  waren  in  Ferrara  Domenico 
da  Ferrara,  der  Verfasser  des  Buches  ,, Liber  Ballorum",  und  sein 
Schiiler  der  Jude  Guglielmo  hebreo  Pisauriensis,  der  einen  ,,Trat- 
tato  dell'Arte  del  Ballo"  herausgab  —  erdachten  immer  neue  Tanze, 
und  selbst  Lorenzo  de'  Medici  hielt  es  nicht  unter  seiner  Wiirde, 
Tanzfiguren  zusammenzustellen.  Die  Duchessa  Margherita,  Al- 
fonsos  II.  Gattin,  hat  neue  Tanze  erdacht,  und  am  20.  Januar  1582 
haben  auf  dem  Hofball  die  Herzogin  selbst,  Donna  Marfisa  und  noch 
sechs  Damen  einen  vollkommen  neuen  Tanz  aufgefiihrt.  Einige 
unter  ihnen  stellten  in  hochgeschiirzten  Kleidern  Manner  dar. 
Vielleicht  waren  Tanzschulen  in  keiner  Epoche  so  verbreitet,  wie 
in  der  zweiten  Halfte  des  XVI.  Jahrhunderts;  die  beste  Gesellschaft 
fand  sich  dort  zusammen,  und  diese  Anstalten  standen  in  ebenso 
hohem  Ansehen  wie  die  Fechtschulen.  Die  vornehme  Jugend  ritt 
morgens  und  iibte  sich  in  der  Verfertigung  von  Waffen,  am  Nach- 
mittag  wurde  in  der  Tanzschule  getanzt.  Da  man  sich  in  allem  be- 
miihte,  die  Antike  nachzuahmen,  wurden  auch  pantomimische, 
sehr  indezente  Tanze  eingefiihrt. 

Die  verbreitetsten  Tanze  in  der  zweiten  Halfte  des  XV.  und  im 
beginnenden   XVI.    Jahrhundert  waren   ,,la  piva",    ,,il  saltarello", 
aber  es  gab  daneben  auch  eine  Menge  provinzialer  Tanze  wie  ,,ve- 
neziana",  ,,bergamasca",  „florentina",  ,,polesina",  ,,friulana".  Gugli- 
elmo hebreo  hat  mehr  als  zehn  neue  Tanze  ersonnen  und  eingefiihrt. 
Haufig  trug  der  Tanz  den  Namen  der  Kanzone,  von  der  er  stammte, 
wie  „Mezzacrocca",  die  am  Hof  zu  Mantua  viel  getanzt  wurde.    An 
mehreren  der  Kanzonen,  die  zum  Tanz  gesungen  wurden,  wiirde  man 
heuteAnstoB  nehmen,  aber  damals  war  man weniger  heikel.  Zudenbe- 
kanntesten  gehorte  die  Kanzone  ,, Rosina",  die  folgendermaBen begann : 
Che  bella  chioma  ch'ha  la  mia  Rosina, 
Rosina  bella  fa  li  la  la  la 
Viva  l'amore  e  chi  morir  mi  fa. 


hOfisches  leben  441 

In  den  weiteren  Strophen  wurden  die  Reize  der  Rosina  sehr 
eingehend  geschildert.  Heute  noch  wird  das  Lied  auf  den  Dorfern 
mit  den  verschiedensten  Zusatzen  gesungen,  indem  anstelle  der 
Rosina  eine   Marianna  getreten  ist: 

Che  bel  capelli  ch'ha  la  mia  Marianna  .  .  . 

Im  SchloB  zu  Ferrara  wurde  der  Ball  zumeist  mit  einem  Fackel- 
tanz,  ,,ballo  della  torcia",  und  dem  Loschen  der  Fackeln  beschlossen. 
Die  Tanze  bestanden  zumeist  aus  verschiedenen  Figuren,  die  man 
noch  in  manchen  heutigen  Tanzen,  besonders  auch  im  polnischen 
Mazur,  entdecken  konnte.  So  faBte  man  z.  B.  im  ,,ballo  della 
catena"  die  Tanzerinnen  der  Reihe  nach  unter  den  Arm  und  tanzte 
eine  Tour  mit  ihnen: 

II  ballo  s'intreccia 

Braccia  con  braccia: 

Mentr'un  s'allaccia 

L'altro  si  streccia. 

Es  gab  auch  Figuren,  in  denen  der  Tanzer  der  von  ihm  er- 
wahlten  Dame  ein  Tuch  zuwarf,  ,,ballo  della  pezzuola",  eine  andere 
,,il  brando",  war  noch  deutlicher,  da  man  die  Tanzerinnen  der  Reihe 
nach  abkiissen  durfte.  Bei  besonders  festlichen  Ballen  suchte  man 
durch  graziose  und  anmutige  Tanze  zu  glanzen.  Ein  venezianischer 
Schriftsteller  lobt  die  ferraresischen  Damen,  sie  hatten  im  Tanz  Mil 
misurato  passo"  und  beschrieben  leichte  und  anmutige  Wendungen. 


VI 

Ferrara  war  nachst  Rom  die  wegen  ihres  Karnevals  beriihm- 
teste  Stadt,  und  als  in  der  zweiten  Halfte  des  XVI.  Jahrhunderts 
die  Papste  den  Karnevaleifer  zu  dampfen  begannen,  gait  der  fer- 
raresische  Fasching  als  der  erste  in  ganz  Italien.  Besonders  die 
letzten  Este  haben  sich  fur  Karnevalsfeste  interessiert,  unter  ihrer 
Herrschaft  wurde  der  Karneval  fast  zu  einer  staatlichen  Institution. 
Sehr  charakteristisch  sind  in  dieser  Beziehung  die  Berichte  der  fer- 
raresischen Gesandten  bei  der  romischen  Kurie;  sie  beweisen,  bis  zu 


442 


VIERZEHNTES  KAPITEL 


welchem  Grade  die  Este  alles  interessiert  hat,  was  mit  Faschings- 
freuden  in  Zusammenhang  stand.  Die  Gesandten  haben  den  romi- 
schen  Karneval  aufs  ausfiihrlichste  geschildert,  und  ihre  Briefe  sind 
ein  ausgezeichneter  Beitrag  zur  Sittengeschichte  von  Rom.  Ferrara 
war  fur  seine  schonen  Masken  beruhmt,  sie  wurden  ein  wichtiger 
Handelsartikel  der  Stadt.  Am  13.  Februar  1508  berichtet  der  ferra- 
resische  Gesandte  seinem  Herzog  aus  Rom,  der  Kardinal  d'Auch  sei 
mit  den  Masken  sehr  zufrieden,  sie  gehorten  zu  den  schonsten,  die 
man  in  Rom  je  gesehen  habe.  Auch  die  fur  den  Bischof  von  Orvieto 
bestimmten  Masken  seien  zur  groBten  Freude  desPralaten  ausgef alien, 
,,le  ebbe  carissime".  Aus  Ferrara  scheinen  auch  Masken  fur  die  Kar- 
dinale  S.  Pietro  in  Vincoli  und  d'Aragon  gekommen  zu  sein,  die 
wahrend  des  Karnevals  ,,vestiti  alia  mammeluca"  waren.  Unter 
Leo  X.  wartete  der  beriihmte  papstliche  Bankier,  Agostino  Chigi,  im 
Januar  151 8  auf  drei  Dutzend  Masken,  die  ihm  der  Herzog  von 
Ferrara  schicken  sollte.  In  seinem  Dialog  ,,Delle  maschere"  hat 
schlieBlich  auch  Tasso  die  ferraresischen  Masken  weit  hoher  als  z.  B. 
die  mailandischen  geschatzt. 

All  dies  beweist,  wie  sehr  der  Fasching  in  das  Leben  der  Stadt 
eingriff.  Von  den  Herzogen  hat  namentlich  Alfonso  II.,  selbst  als 
er  nicht  mehr  jung  war,  den  Karneval  bis  zum  auBersten  ausge- 
kostet,  im  Kostiim  eines  Hofnarren  pflegte  er  sich  auf  der  StraBe 
unter  die  Menge  zu  mischen.  Dies  wurde  einem  Franziskanermonch 
zuviel,  im  Beisein  des  Herzogs  legte  er  seiner  Predigt  den  Text  zu- 
grunde:  drei  Dinge  haBt  meine  Seele:  einen  armen  Hochmiitigen, 
einen  reichen  Geizhals,  einen  wolliistigen  Alten.  Im  Verlauf  der 
Predigt  bekam  der  Herzog  so  manche  unangenehme  Wahrheit  zu 
horen;  der  Franziskaner  betonte  das  Argernis,  das  ein  alter  Narr 
gebe,  der  in  der  Maske  Tanze  anfuhre.  Der  Herzog  hat  die  bittere 
Pille  in  aller  Stille  heruntergeschluckt,  und  als  der  Kardinal  Carlo 
Borromeo  fur  drei  Tage  nach  Ferrara  kam,  befahl  er  der  gesamten 
Bevolkerung,   die  Masken  abzulegen,  und  tat  selbst  ein  Gleiches. 

Wahrend  des  Karnevals  jagten  Giostren,  Balle,  Konzerte, 
Theaterauffiihrungen  einander,  so  daB  die  vornehme  Gesellschaft, 
die  an  diesen  Vergniigungen  teilnahm,  kaum  einen  Augenblick  der 
Ruhe  hatte.     Zu  den  beliebtesten  Vergniigungen   gehorten  Wett- 


HOFISCHES  LEBEN  443 

laufe  aller  Art;  bis  zum  Giirtel  entbloBte  Jiinglinge  und  Greise 
liefen  urn  die  Wette,  auch  Madchen  nahmen  an  Wettlaufen  teil; 
selbst  fiir  Tiere  veranstaltete  man  Wettrennen,  so  fur  Esel,  Schweine, 
und  Biiffel,  auch  Stierkampfe  waren  sehr  beliebt.  Ein  ErlaB  der 
herzoglichen  Kanzlei  ist  auf  uns  gekommen,  worin  anstandige 
Madchen,  von  gutem  Betragen,  uber  zwolf  Jahre  alt,  aufgefordert 
werden,  sich  zum  Wettlauf  am  Georgstag  zu  melden.  Als  erster 
Preis  gait  das  Palio,  die  weiteren  Preise  bestanden  in  Seidenstoff 
fiir  einen  Rock.  Das  Publikum  betrachtete  es  als  sein  Recht,  wahrend 
der  Wettlaufe  das  erste  beste  voriibergehende  Madchen  zu  packen 
und  auf  Decken  so  hoch  zu  werfen,  bis  es  —  Venedig  sahe. 
Einmal  nahm  der  Ubermut  dermaBen  uberhand,  daB  man  zuletzt 
die  Verwundeten  wie  vom  Schlachtfeld  vom  Spielplatz  tragen 
muBte.  Wie  viele  andere  Karnevalsitten,  kam  auch  dieses  ,, Spiel" 
aus  Rom  nach  Ferrara.  Hatte  doch  Leo  X.  am  letzten  Dienstag  des 
Jahres  151 9  den  Monch,  dessen  Stuck  keinen  Beifall  bei  der  Auf- 
fiihrung  fand,  auf  Decken  hochwerfen  lassen.  Dieses  seltsame 
,, Spiel"  war  im  Zwischenakt  an  Stelle  einer  Moreske  eingeschoben 
worden.  Die  mit  diesem  Spiel  verbundene  Gefahr  war  nicht  minder 
groB,  als  jene  die  beim  ,,Eierkrieg",  einer  gleichfalls  sehr  beliebten 
Karnevalsnummer,  zutage  trat.  Die  Kampfenden  waren  zuletzt 
so  aufgeregt,  daB  sie  nicht  langer  mit  Eiern,  sondern  mit  Stocken 
fochten,  und  so  mancher  ging  direkt  nach  der  Schlacht  ins  Spital. 

Zu  den  hubschesten  ritterlichen  Spielen  gehorte  der  Ringlauf; 
dem  Sieger  war  eine  kostbare  Belohnung  zugedacht:  ein  reichge- 
schmiicktes  Barett,  ein  Stuck  Brokat  oder  Samt. 

Nach  Ferrara  kamen  zum  Karneval  Seiltanzer,  Athleten  oder 
Prestidigitateure  in  groBer  Zahl.  Beliebt  waren  Ringkampfe  von 
Kraftmenschen.  Weihnachten  1564  kampften  wahrend  eines  Fest- 
essens  im  SchloB  ein  Spanier  und  ein  Italiener  Cola  aus  den  Abruzzen. 
Mit  Leichtigkeit  hob  der  letztere  einen  dreihundert  Pfund  wiegenden 
Menschen  auf  und  zerbrach  Hufeisen,  er  hat  auch  im  Kampfe  gesiegt. 

Die  Studenten  haben  an  den  Karnevalfesten  regsten  Anteil 
genommen,  so  haben  die  Juristen  am  2.  Februar  i486  im  Palazzo 
Schifanoja  ein  groBartiges  Fest  gegeben,  zu  dem  sie  die  Herren  und 
Damen  der  herzoglichen  Familie  und  Ferraras  elegante  Welt  ein- 


444 


VIERZEHNTES  KAPITEL 


luden.  Man  amiisierte  sich  glanzend  und  tanzte  den  ganzen  Tag  in 
der  Gartenloggia.  Mehr  noch  als  in  den  Salons  machten  sich  die 
Studenten  auf  der  StraBe  bemerkbar.  Gruppen  Maskierter  trieben 
sich  in  der  Stadt  herum,  neckten  die  vorbeikommenden  Frauen, 
und  ihre  Freude  war  vollkommen,  wenn  es  schneite,  und  man  mit 
Schneeballen  die  Fenster  der  Bekannten  bombardieren  konnte. 
Zuweilen  kam  es  aus  diesem  AnlaB  zu  wirklichen  Kampfen.  Im 
Januar  148 1  griffen  einige  maskierte  Hoflinge  eine  Studenten- 
gruppe  mit  Schneeballen  an.  Am  nachsten  Tage  kamen  dreihundert 
maskierte  Studenten  vor  das  SchloB  und  forderten  die  Cortegiani 
zu  einem  Schneeduell  auf,  ,,a  fare  alia  neve";  an  ihrer  Spitze  stand 
der  junge  Niccolo  Maria  Este.  Natiirlich  blieben  die  Studenten 
Sieger,  denn  soviel  Hofleute  wie  Studenten  gab  es  sicher  nicht.  Eine 
je  groBere  Seltenheit  der  Schnee  war,  eine  um  so  bedeutsamere 
Rolle  spielte  er  bei  Festen,  in  Literatur  und  Kunst.  Lascas  Novellen- 
cyklus  ,,Le  Cene"  wird  durch  eine  grimmige  Schneeschlacht  zwischen 
ausgelassenen  verheirateten  Frauen  und  jungen  Leuten  eingeleitet; 
den  BeschluB  dieser  ,,guerra  terribile"  bildet  ein  freundschaftliches 
Zusammensitzen  vor  dem  Kaminfeuer  und  das  Erzahlen  von  zu- 
weilen sehr  lockeren  Geschichten.  Die  Legende  der  Santa  Maria 
della  Neve  ist  in  Rom  entstanden,  wo  es  selten  schneit,  und  auf  dem 
beruhmten  Bild  der  Madonna  della  Neve  in  Siena  bringen  Engel- 
kinder  dem  Jesusknaben  Schneeballe  zum  Spiel  dar. 

Die  Studenten  wurden  allmahlich  so  ubermiitig,  daB  sie  in  der 
zweiten  Halfte  des  XV.  Jahrhunderts  wahrend  des  Karnevals  ihre 
Donzellen  maskiert  in  die  Schulsale  mitbrachten,  selbst  in  Masken 
erschienen  und  dort  Tanze  auffiihrten;  erst  Ercole  I.  verbot 
1478  maskierten  Frauen  den  Zugang  zu  den  Gymnasien.  Die  Stu- 
denten haben  sich  fur  dies  Verbot  schadlos  gehalten,  indem  sie  sich 
als  Monche  und  ihre  Freundinnen  als  Nonnen  verkleideten,  sich 
in  Scharen  liber  die  StraBen  walzten  und  alle  Voriibergehenden 
belastigten.  Das  war  selbst  der  milden  Franziskaner-Inquisition 
ein  zu  starkes  Stuck,  der  Herzog  muBte  eingreifen  und  die  Jugend 
auffordern,  das  Klosterhabit  zu  respektieren. 

Die  Studenten  haben  den  Karneval  haufig  bis  zum  Fasten- 
sonntag   ausgedehnt,    die   Professoren   in   ihren   Vortragen   gestort 


HOFISCHES  LEBEN  445 

und  die  fleiBigen  Kollegen  verspottet,  bis  der  Rektor  ein  Machtwort 
sprach  und  die  alte  Ordnung  wieder  einsetzte. 

Das  Ende  des  Karnevals,  der  rapide  Ubergang  von  Tanz,  Lust- 
barkeit,  Bankett  zu  Gebeten  und  Kasteiung  war  seit  jeher  der  Vor- 
wurf  einer  besonderen  Art  von  Poesie,  der  Poesie  der  Karneval- 
kontraste,  ,,il  contrasto  di  Carnevale  e  della  Quaresima".  Im  Mittel- 
alter  waren  diese  Gedichte  in  Spanien,  Italien,  Frankreich  und 
Deutschland  sehr  verbreitet:  der  Kampf  des  Faschings  mit  dem 
Fasten,  aus  dem  der  letztere  als  Sieger  hervorgeht,  ist  das  vielfach 
variierte  Thema.  Die  Dichter,  die  zum  groBten  Teil  dem  geistlichen 
Stand  angehoren,  stehen  auf  der  Seite  des  Fastens  und  fiihren  zahl- 
reiche  Griinde  an,  die  fur  die  Kasteiung  des  Korpers  sprechen.  Be- 
riihmt  war  im  XV.  Jahrhundert  neben  vielen  lateinischen  Erzeug- 
nissen  das  Gedicht  des  Erzbischofs  Hita  ,,der  Triumph  des  groBen 
Fastens  iiber  den  Fasching". 

Der  Sieg  des  Fastens  und  die  Abtotung  des  Fleisches  entsprach 
den  Anschauungen  der  Renaissancedichter  nicht  mehr.  In  den 
Gedichten  des  ausgehenden  XV.  und  beginnenden  XVI.  Jahrhunderts 
behauptet  sich  der  Karneval  als  Sieger.  Der  Fasten  wird  als  eine 
diistere,  widerwartige,  ausgemergelte  Gestalt  dargestellt,  wahrend 
der  Karneval  ein  lustiger,  ubermiitiger  Geselle  ist.  Besonders  in 
Italien  wird  die  ,,Monna  Quaresima"  zur  komischen  Figur,  die 
haufig  auf  die  Biihne  zitiert  wird.  Zu  den  amiisantesten  Gedichten 
dieser  Gattung  gehbrt  ,,11  contrasto  del  Carnevale  colla  Quaresima", 
das  im  XVI.  Jahrhundert  auBerordentlich  verbreitet  war  und  in 
amiisanter  Weise  den  Kampf  dieser  beiden  Machthaber  schildert. 
Der  Karneval,  ein  iibermiitiger,  kiihner  Geselle,  mit  Wurstkette 
um  den  Hals  und  Sporen  an  den  nackten  FiiBen  reitet  gewohnlich 
auf  einem  FaB  Malvasier,  mit  prachtvoller  Schabracke.  Gegen 
diesen  ausgelassenen  Kerl  riistet  sich  die  Quaresima,  ein  altes,  haB- 
liches  Weib,  in  einer  mit  Zwiebeln  und  Knoblauch  gestickten 
Tunika,  an  der  Spitze  eines  Heeres  von  Sardellen,  Aalen,  Zwiebeln, 
Sellerie  und  Petersilie.  Der  Karneval  ruft  seine  Wald-  und  Luft- 
armee  zusammen,  die  aus  Lowen,  Hirschen,  Luchsen,  Hammeln, 
Fasanen,  Pfauen  und  Tauben  besteht;  er  selbst  besteigt  sein  Pferd, 
von  dem  zu  beiden  Seiten  etwa  hundert  gebackene  Hiihner  herunter- 


446  VIERZEHNTES  KAPITEL 

baumeln,  und  rtistet  sich  zum  Kampf.  Sein  Gesandter  ist  der  Hahn 
in  stolzem,  weiBgelben  Federkleid,  der  Anfiihrer  der  Armee  ein 
gemastetes  Schwein,  vier  FuB  lang  mit  schwarzen  Borsten  und 
rollenden  Augen.  Die  Heere  stoBen  wiitend  aufeinander,  der  Sieg 
scheint  der  Quaresima  sicher,  ein  ganzes  Heer  von  Kapaunen  sucht 
seine  Rettung  in  der  Fluent  und  was  noch  schlimmer,  das  Schwein 
stirbt  den  Tod  der  Tapfern  auf  dem  Schlachtfelde.  Als  der  Karne- 
val  die  Gefahr  erkennt,  stiirzt  er  sich  in  das  Kampfgewiihl,  rollt 
wie  der  Donner,  bis  er  zuletzt,  nachdem  er  die  groBten  Schwierig- 
keiten  iiberwunden,  die  Madonna  Quaresima  gefangen  nimmt. 
Die  Megare  wird  gebunden,  und  der  Kriegsrat  und  die  gesamte 
Baronie  des  Karnevals  versammeln  sich,  um  iiber  ihr  Schicksal  zu 
bestimmen.  Die  Mehrheit  der  Versammlung,  der  auch  der  Fasching 
angehort,  ist  dafiir,  die  grausame  Feindin  zu  Tode  zu  verurteilen, 
da  halt  der  Ziegenbock  eine  sehr  geschickte  Rede,  er  erinnert  den 
Karneval,  daB  er  sich  stets  durch  Giite  ausgezeichnet  und  niemandem 
etwas  Boses  zugefiigt  habe,  und  bittet  schlieBlich  um  Begnadigung 
der  Quaresima.  Der  geriihrte  Karneval  schenkt  der  Megare  die 
Freiheit  und  gestattet  ihr  sogar,  vierzehn  Tage  im  Jahr  zu  machen, 
was  ihr  gefallt.  Sollte  sie  jedoch  wagen,  sich  groBere  Rechte  anzu- 
maBen  oder  sich  aufs  neue  gegen  den  Karneval  zu  emporen,  so 
wiirde  sie  zu  Tode  verurteilt  und  den  Kapaunen  zum  FraB 
vorgeworfen  werden.  Der  groBe  Sieg  wird  prachtvoll  gefeiert, 
auf  einem  Triumphwagen,  den  acht  Elefanten  Ziehen,  fahrt 
Prinz  Fasching  durch  sein  Reich,  und  der  Wein  flieBt  in 
Stromen. 

Aber  das  Schicksal  des  Karnevals  ist  nicht  immer  so  gliicklich, 
Im  Theaterstiick  ,,Rappresentazione  et  Festa  di  Carnevale  et 
della  Quaresima",  in  dem  der  Koch  eine  der  Hauptpersonen  ist, 
siegt  die  Quaresima  und  verurteilt  den  Karneval  zum  Tod  auf  dem 
Scheiterhaufen.  Der  arme  Karneval  bittet  all  seine  Heiligen  um 
Beistand,  er  betet  zum  heiligen  Kapaun,  zum  marinierten  Hasen 
und  zu  vielen  andern  Beschiitzern  im  Walde,  aber  Klagen  und 
Tranen  sind  vergebens,  gegen  Ende  der  Vorstellung  wird  er  auf  den 
Scheiterhaufen  geworfen,  Satan  erscheint  und  nimmt  die  Seele  des 
Konigs  der  Sunder,  ,,il  Re  de  peccatori",  mit  sich.    Aber  die  Sym- 


hGfisches  LEBEN  447 

pathie  des  Verfassers  und  des  Publikums  steht  auf  Seiten  des  Karne- 
vals,  dem  man  in  der  Hclle  viel  Malvasier  und  fette  Kapaunen 
wiinscht. 

VII 

Der  hochste  Wiirdentrager  des  herzoglichen  Magens,  eine  Art  Hof- 
marschall,  war  der  Senescalco,  der  die  Reihenfolge  der  Speisen 
.bei  Tisch  anzuordnen  hatte  und  die  schwere  Kunst  verstand,  ge- 
bratene  Pfauen,  Kapaune  und  Fasane  zu  tranchieren.  Ihrn  unter- 
stand  eine  ganze  Beamtenschar,  die  Apparechiatori,  Imbandilori 
oder  Credenzieri,  Silber  und  Geschirr  war  in  ihrer  Obhut  und  das 
Tischdecken  gehorte  zu  ihren  Pflichten.  Als  Borso  1471  nach  Rom 
ging,  nahm  er  seinen  Senescalco  Gatamelata  und  mehrere  Creden- 
zieri mit. 

Die  Rechnungsbucher  wurden  mit  groBter  Sorgfalt  gefuhrt,  im 
estensischen  Archiv  befinden  sich  bis  auf  den  heutigen  Tag  Garde- 
robe-  und  Kiichenbucher,  die  ,,Libri  di  Spendaria"  und  die  ,,Libri 
della  Grassa". 

Tischwasche  und  besseres  Leinen  lieB  man  aus  Holland  und 
Flandern,  seibst  aus  Rennes  in  der  Bretagne  kommen,  einfache 
Wasche  wurde  in  Venedig  oder  in  der  Schweiz  gekauft.  Die  groBen 
Tischtiicher  waren  sehr  teuer  und  wurden  nur  bei  besonderen  Ge- 
legenheiten  beniitzt.  (Jberhaupt  wurde  Tischwasche  wegen  ihres 
groBen  Wertes  sehr  geschont.  Neben  jedem  Gedeck  lagen  Servietten, 
die  man  wahrend  des  Essens  unter  dem  Kinn  befestigte,  um  die 
kostbaren  Gewander  nicht  zu  beschmutzen.  Kunstvoll  ziseliertes, 
haufig  vergoldetes  Silber,  das  auch  mit  Email  und  Edelsteinen  ver- 
ziert  war,  bildete  den  Hauptschmuck  der  Tafel.  Es  sind  das  jene 
Tafelaufsatze  in  Gestalt  von  Turmen,  Vogeln,  Schiffen  usw.,  die 
heute  in  den  Museen  und  furstlichen  Schatzkammern  einmagaziniert 
sind.  In  den  zahlreichen  Beschreibungen  des  Tischsilbers  der  Este 
ist  auch  ein  Geschirr  aus  vergoldetem  Silber  erwahnt,  in  Form  von 
Schiffen,  mit  Einhornern  und  dem  Wappen  der  Este  geschmiickt, 
das  auf  vier  emaillierten  Radern  ruht.  Es  gab  Vasen  in  Form  von 
Wblfen    oder    Delphinen,    mit    Schlangen    und    Fischen    verziert. 


448 


VIERZEHNTES  KAPITEL 


Prasentierteller,  Kelche,  Salzfasser,  Leuchter,  Konfitiirenschalen 
waren  aufs  sorgfaltigste  gearbeitet  und  ornamentiert,  besonders  Mai- 
land  und  Venedig  waren  fur  ihre  kiinstlerische  Goldarbeit  bekannt. 
Zu  den  TischgefaBen,  die  heute  aus  dem  Gebrauch  gekommen  sind, 
gehorten  in  Italien  aus  dem  Osten  eingefiihrte  GefaBe  fiir  Rosen- 
wasser,  das  in  groBen  Quantitaten  verbraucht  wurde,  zum  Hande- 
waschen  vor  und  nach  Tische  so  gut  wie  zur  Bereitung  verschiedener 
Speisen.  Rosenwasser  wurde  in  Pavia  gekauft,  bei  Maestro  Battisto 
degli  Barbareschi,  der  dort  einen  Laden  mit  seltenen  Geriichen  und 
Spezereien  aus  dem  Osten  hatte.  Huhnergerichte  wurden  mit  Zucker 
bereitet  und  mit  Rosenwasser  parfumiert!  Auch  zu  anderen  Gerichten 
scheinen  die  Koche  Rosenwasser  gebraucht  zu  haben,  da  bei  einem 
Festessen,  das  in  Ferrara  am  4.  Juli  1473  gegeben  wurde,  48  Pfund 
in  der  Kiiche  und  nur  24  bei  Tisch  verbraucht  wurden. 

Die  Kiiche  hat  zu  den  besonderen  Sehenswiirdigkeiten  des  Hofes 
gehort.  Sie  hat  einen  ganzen  Stab  von  Kochen  und  eine  groBe  An- 
zahl  von  Kiichenjungen  beschaftigt.  Gute  Koche  waren  auBer- 
ordentlich  gesucht,  die  Hofe  haben  sie  sich  ebenso  wie  die  beruhmten 
Konditoren  gegenseitig  abspenstig  zu  machen  gesucht.  In  der 
herzoglichen  Hofkuche  in  Ferrara  trugen  die  Koche  schwarze 
Baretts,  Hosen  aus  rotem  Stoff  und  vermutlich  weiBe  Leinenjacken. 
Sie  haben  verschiedenen  Kategorien  angehort,  es  gab  Backer, 
Konditoren  und  Fleischkoche;  mit  Borso  fuhr  auch  der  Backer 
Angiola  nach  Rom.  Eine  besondere  Personlichkeit  in  der  Kiiche 
hat  die  Fleischspeisen  vergoldet,  bei  feierlichen  Anlassen  wurde  der 
groBte  Teil  der  gebratenen  Speisen  vergoldet  und  auf  seltsamste 
Weise  verziert.  Die  Pfauen  gehorten  zum  gesuchtesten  Gefliigel, 
so  sehr  daB  wir  im  XV.  Jahrhundert  am  estensischen  Hofe  sogar 
einen  ,,indoratore  de  paoni"  finden.  Selbst  der  Name  dieses  maestro 
Bernardino  di  Pasti  ist  unvergessen  geblieben. 

Seltsame  Dinge  wurden  damals  gegessen.  Die  hochste  Kiichen- 
kunst  bestand  darin,  einen  ganzen  Pfau  vergoldet  oder  in  vollem 
Federkleid,  den  Schwanz  zum  Rad  geschlagen,  feuerspriihend,  auf 
einer  ungeheuren  silbernen  Schiissel  aufzutragen.  Zu  diesem  Zwecke 
steckte  man  dem  Pfau  mit  Kampher  oder  Spiritus  getrankte  Watte  in 
den   Schnabel,  ziindete  sie  an  und  servierte  das  brennende  Tier. 


HOFISCHES  LEBEN 


449 


Unter  Ercole  I.  wurden  in  der  Kiiche  fur  ein  Festessen  sieben  Pfund 
Kampher  verbraucht,  und  da  auf  einen  Pfau  eine  Unze  entfiel,  muB 
man  achtzig  Pfauen  den  Gasten  vorgesetzt  haben.  Der  gebratene 
Vogel  wurde  auf  eiserne  Stiitzen  gestellt,  damit  er  sich  auf  den 
Beinen  halte,  der  Schlossermeister  oder  Schmied  Maestro  Martino 
verstand  ein  kunstvolles  Geriist  fur  diesen  Zweck  zu  verfertigen. 
Man  stelle  sich  etwa  fiinfzehn  Diener  vor,  die  in  den  Speisesaal  mit 
radschlagenden  Pfauen  auf  groBen  Schiisseln  eintraten.  Die  Gaste 
gerieten  in  helle  Bewunderung  und  ein  Kamphergeruch,  etwa  wie 
in  einem  Pelzwarengeschaft,  erfiillte  die  Luft.  Beim  Hochzeits- 
bankett  der  neapolitanischen  Eleonora  wurde  als  besondere  Ober- 
raschung  ein  lebendiges  Spanferkel  in  einer  Pastete  serviert.  In  den 
Kiichenrechnungen  der  Este  figurieren  auch  Posten  fur  das  Ver- 
silbern  von  Fisch-  und  Wildsiilzen,  die  haufig  in  Muscheln  oder  auf 
groBen  Schiisseln  serviert  wurden.  Da  zu  diesen  Siilzen  auch  Wachs 
verwandt  wurde,  miissen  Wachs  und  Silber  wohl  nur  als  Schmuck 
fur  solche  Gerichte  gedient  haben. 

Im  Speisesaal  roch  es  nicht  nur  nach  Rosenwasser  und  Kampher, 
auch  Bisam  stieg  den  Gasten  in  die  Nase.  Besonders  dem  Zucker- 
werk  wurden  Bisam  und  andere  ostliche  Geruche  beigemischt. 
Venezianische  Kaufleute  haben  sie  von  ihren  Reisen  mitgebracht, 
namentlich  aus  Trapezunt  iiber  Konstantinopel. 

AuBer  Fischspeisen  wurde  auch  Backwerk  und  Marzipan  ver- 
goldet.  Das  Vergolden  der  Speisen  war  in  dem  MaBe  Sitte,  daB  bei 
Ercoles  I.  Hochzeitsfeier  27  629  Goldblattchen  zum  Verzieren  von 
Marzipan  und  anderem  Konfekt  verwendet  wurden.  Schon  damals 
herrschte  die  Sitte,  den  Gasten  Schachteln  mit  Zuckerwerk  zu 
verehren,  es  waren  dies  aber  nicht  etwa  kleine  Bonbonnieren,  die 
beim  Dessert  zur  Erinnerung  verteilt  werden,  sondern  groBe  Kasten, 
die  zwei  Pfund  StiBigkeiten  enthielten.  Wahrend  Friedrichs  III. 
Aufenthalt  in  Ferrara  sind  nicht  weniger  als  zweitausendsechs- 
hundert  solcher  Eichenkasten  verteilt  worden. 

Das  Festessen,  das  am  4.  Juli  1473  zu  Ehren  von  Ercoles  I. 
Hochzeit  gegeben  wurde,  war  einer  der  glanzendsten  kulinarischen 
Erfolge  von  Ferrara;  zur  Beleuchtung  des  Saales  waren  allein  1882 
Pfund  Wachs  erforderlich.    Am  folgenden  Tage  wurde  ein  Bankett 

29 


450  VIERZEHNTES  KAPITEL 

fur  vierzehn  Hofdamen  arrangiert,  daran  nahmen  Eleonoras  Dami- 
gellen  teil,  von  denen  drei  aus  Neapel  stammten:  Sylvia,  Diana  und 
Colonna,  und  Frauen  aus  Ferraras  und  Modenas  beriihmtesten  Ge- 
schlechtern.  Zu  dieser  Hochzeit  waren  so  viel  auswarttge  Gaste  ge- 
kommen,  daB  man  nicht  alien  Wohnung  im  herzog'ichen  Palaste 
anweisen  konnte,  viele  der  Angekommenen  muBten  in  den  Patri- 
zierhausern  untergebracht  werden.  Jeden  Morgen  wurden  den 
Gasten,  die  mit  zahlreichem  Gefolge  gekommen  waren,  Lebens- 
mittel  fur  den  ganzen  Tag  geschickt.  Die  Sitte  verbot  zu  sparen,  die 
Gaste  bekamen  bedeutend  mehr,  als  sie  aufzuessen  imstande  waren. 
So  erhielt  z.  B.  der  Kardinal  Roverelli,  der  mit  einem  Gefolge  von 
dreiBig  Personen  gekommen  war,  taglich  360  Pfund  Fleisch:  auch 
wenn  die  Dienerschaft  des  Kirchenfiirster.  noch  so  gefraBig  ge- 
wesen  ware,  so  hatte  sie  diese  Massen  beim  besten  Willen  nicht  ver- 
tilgen  konnen.  Die  iibriggebliebenen  Lebensmittel  haben  die  Gaste 
unter  die  Armen  verteilt  oder  in  die  Kldster  geschickt.  Der  Kardinal 
bekam  wahrend  seines  Aufenthaltes  in  Ferrara  (vom  29  Jani  bis 
zum  12.  Juli)  5040  Pfund  Fleisch.  Die  Gastfreundschaft  des  Hofes 
nahm  ungeheure  Dimensionen  an,  nicht  nur  den  Hochzeitsgasten 
wurden  Lebensmittel  zugeschickt,  auch  das  Volk,  das  zu  den  Tur- 
nieren  gekommen  war:  Musikanten,  Sanger,  Handwerker,  Gaukler, 
Taschenspieler,  iiberhaupt  alle,  die  in  irgendeinem  Zusammenhang 
mit  dem  Fest  standen,  wurden  gespeist.  Selbst  jedem  Mdnch  und 
jeder  Nonne  in  der  Stadt  wurden  zwei  Pfund  Fleisch  taglich  be- 
willigt.  Die  Gemeinden  des  gesamten  Herzogtums  hatten  diese 
Vorrate  zu  liefern,  und  es  laBt  sich  denken,  daB  nicht  immer  alles 
von  bester  Qualitat  war.  Bei  solchen  Festen  iloB  der  Wein  in  Stro- 
men.  Als  Borso  den  Kaiser  mit  einem  Gefolge  von  zweitausend 
Deutschen  empfing,  wurde  der  Wein  in  Venedig  und  in  der  Romagna 
zusammengekauft,  auBerdem  muBte  jedes  Stadtchen,  ja  jedes  Dorf 
im  Herzogtum  ein  bestimmtes  Quantum  Wein  liefern.  Die  ferra- 
resischen  Weine  gehorten  iibrigens  zu  den  besten  in  Italien. 

Man  gab  sich  die  groBte  Miihe,  die  Gaste  bei  den  Festen  durch 
mythologische  Auffuhrungen,  Gesang  und  Deklamation  zu  zer- 
streuen  und  die  beriihmtesten  Kiinstler  entwarfen  das  Programm 
fur  Zerstreuungen  dieser  Art.   Die  ausfuhrlichsten  ,, Menus"  aus  dem 


hOfisches  leben  451 

XV.  Jahrhundert  sind  uns  von  Festessen  iiberliefert,  die  Galeazzo 
Visconti,  der  Kardinal  Riario  und  der  Marschall  Trivulzio  in  Mai- 
land  gegeben  haben.  Das  erste  dieser  Festessen  bestand  aus  sechs- 
zehn  Gangen,  abgesehen  von  Zuckerwerk,  Wein  und  Obst.  Vor 
Tisch  wurde  vergoldetes  Zuckerwerk  und  Malvasier  gereicht,  dann 
wusch  man  sich  die  Hande  in  Rosenwasser  und  setzte  sich  zur  Tafel. 
Ein  feierlicher  Augenblick  kam:  vergoldete  Ferkel,  aus  deren  Maul 
Flammen  spriihten,  und  vergoldete  Fische  wurden  aufgetragen. 
Die  Reihenfolge  der  Schiisseln  widersprach  heutigen  kulinarischen 
Begriffen,  das  zweite  Gericht  bestand  aus  gebratenen  Hasen  und 
vergoldeten  Hechten.  Das  dritte  Gericht  war  eine  groBe  Uber- 
raschung :  ein  groBes  gebratenes  Kalb  wurde  aufgetragen,  das 
aufrecht  auf  seinen  Beinen  stand  und  kunstlich  vergoldet  war.  Die 
Gaste  erfreuten  sich  eines  guten  Appetits,  dem  Kalb  folgten  Wachteln, 
Rebhiihner,  Enten  und  Reiher.  Jeder  Gang  bestand  aus  einem 
Fleisch-  und  einem  Fischgericht;  als  man  nach  den  Rebhiihnern  eine 
neue  Serie  von  Schiisseln  mit  Ochsenbraten  und  Kapaunen,  die 
mit  Zwiebelpuree  garniert  waren,  hineinbrachte,  fehlte  auch  ein 
ungeheurer  Stor  nicht.  Die  Gerichte  nahmen  kein  Ende;  wieder 
folgten  Kapaune  und  anderes  Gefliigel,  Fische  mit  Zitronensauce, 
dazwischen  wurden  Pasteten  mit  Kalbsbraten  und  Aalen  gereicht, 
Siilzen  aus  Wild  und  Fischen  und  wieder  Kapaune;  Hasen,  Rehe 
in  anderer  Zubereitung.  Noch  war  man  nicht  beim  SchluB:  es 
kam  eine  dritte  Serie  von  Gebratenem,  Hirschwildpret,  Huhner  in 
roter  und  griiner  Sauce,  Pfauen  mit  Salat  und  Erbsen,  geraucherte 
Zungen,  Karpfen  usw. 

Es  gab  eine  solche  Menge  von  Schiisseln,  daB  die  Tierwelt  nicht 
geniigend  verschiedene  Gattungen  von  Fleisch  und  Fisch  bot,  um 
wahrend  des  Mittagessens  stets  Neues  zu  liefern.  Daher  wiederholten 
sich  Kalbs-  und  Rinderbraten  oder  Kapaune  allzu  haufig  im 
Menu,  doch  war  fur  Abwechslung  gesorgt,  indem  diese  Fleisch- 
speisen  auf  die  verschiedenste  Art  zubereitet  waren.  Wie  frucht- 
bar  die  damalige  Kuchenphantasie  war,  geht  zur  Geniige  daraus 
hervor,  daB  bei  einem  Mittagessen  bei  Gherardo  Bevilacqua  in 
Ferrara  Eier  auf  fiinfundfiinfzig  verschiedene  Arten  zubereitet 
serviert  wurden. 

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452  VIERZEHNTES  KAPITEL 

Diese  Herrlichkeiten  und  dieser  Luxus  waren  jedoch  nur  auBere 
Vergoldung,  so  gut  wie  jene,  die  Pfauen  und  Ferkeln  zuteil  ward, 
man  tat  besser,  in  die  Kredenzschranke  und  in  die  Kiiche  nicht  erst 
hineinzusehen.  Bei  dem  Bankett,  das  man  1574  in  Ferrara  zu  Ehren 
des  durchreisenden  Heinrich  von  Valois  gab,  bog  sich  der  konigliche 
Tisch  unter  der  Last  von  Gold,  Silber  und  Majolika.  Scalchi  und 
Camerieri  suchten  sich  in  guter  Bedienung  zu  iiberbieten,  aber  an 
den  Tischen,  an  denen  die  Damen  saBen,  aB  man  von  sehr  gewohn- 
lichem  Tongeschirr,  es  gab  weder  Messer  noch  Gabeln  und  an  Stelle 
von  Lakaien  bediente  ein  zusammengelaufenes  Gesindel,  das  die 
Gaste  mit  den  Ellbogen  stieB  und  bestahl. 


VIII 

A  Is  die  Reise  von  Florenz  nach  Bologna  noch  zwei  Tage  dauerte 
und  Wagen  ein  ungewohnliches  Vehikel  waren,  spielten  Pferde 
und  Maulesel  eine  bedeutsame  Rolle  im  Haushalt  der  italienischen 
Hofe.  Wagen  (carrette)  kannte  man  schon  lange,  aber  es  waren 
Luxuswagen,  die  infolge  der  schlechten  Wege  nur  auf  kurzen 
Strecken  beniitzt  werden  konnten;  niemand  fiel  es  ein,  einen 
langeren  Weg  im  Wagen  zuriickzulegen,  zu  diesem  Zwecke  wurden 
Sanften  beniitzt.  In  Florenz  und  wahrscheinlich  in  ganz  Italien 
beniitzte  1534  die  Markgrafin  Cybo  aus  Massa  als  erste  einen  Wagen, 
um  sich  aus  dem  Palazzo  Pazzi,  in  dem  sie  wohnte,  in  die  Stadt  zu 
begeben.  Der  Wagen  gab  erst  Argernis,  Dekrete  gegen  Luxus  wurden 
erlassen  und  suchten  der  Verbreitung  von  Gefahrten  zu  steuern. 
Noch  unter  Heinrich  III.  Valois  durften  die  Pariserinnen  zu  den 
Empfangen  bei  Hofe  nicht  anders  als  zu  Pferde  kommen.  Franz  I. 
hatte  nur  zwei  Wagen,  einen  fur  sich,  und  einen  fur  die  Konigin. 
In  Ferrara  machte  es  groBen  Eindruck,  als  Beatrice,  die  Tochter 
Ferdinands  von  Aragon  und  Braut  von  Matthias  Corvinus  im  Hof- 
wagen,  den  man  ,,Vehiculum  feminarum"  nannte,  durch  die  Stadt 
fuhr.  Den  Wagen  wurden  besonders  schwere  Pferde  vorgespannt. 
Im  Laufe  des  XVI.  Jahrhunderts  wurde  das  Wagenfahren  Mode 
in  Italien,  die  Fiirsten  bemiihten  sich,  die  besten  Kutscher  zu  be- 


hGfisches  leben  453 

kommen,  man  fuhr  mit  Viererzugen,  und  Isabella  von  Aragon  fuhr 
in  Neapel  sogar  mit  sechs  schwarz  und  weiB  gescheckten  Pferden. 
Der  Kardinal  Ippolito  d'Este  hatte  einen  Kutscher,  der  acht  Pferde 
ausgezeichnet  zu  lenken  verstand,  und  Modenino,  der  Stallmeister 
des  Markgrafen  von  Mantua,  fiihrte  zwischen  1540  und  1550  auf 
dem  S.  Peter-Platz  in  Mantua  mit  einem  stolzen  Schimmel-Vierer- 
zug  „cose  da  non  credere"  aus. 

Aber  trotz  dieser  Vorfiihrungen  war  das  ganze  XVI.  Jahrhundert 
noch  das  Jahrhundert  der  Reitpferde  und  stolzen  Kavalkaden,  die 
zu  den  groBartigsten  Zurschaustellungen  hofischen  Reichtums  ge- 
horten.  Der  Einzug  von  Galeazzo  Maria  Sforza  und  seiner  Gemahlin 
Bona  di  Savoia  im  Friihling  1471  nach  Florenz  hat  den  Chronisten 
groBen  Eindruck  gemacht.  Die  Abreise  wurde  bis  zum  Mai  ver- 
schoben,  um  unterwegs  geniigend  frische  Weide  fiir  die  Pferde  zu 
finden,  da  man  nicht  soviel  Heu  mitschleppen  konnte.  Das  Gefolge 
der  Sforza  bestand  aus  der  vornehmsten  Ritterschaft,  den  Ministern, 
einem  Trupp  Soldaten,  Pagen,  Reitknechten,  Hofnarren  und  Tromm- 
lern;  es  waren  im  ganzen  uber  zweitausend  Pferde,  funfhundert 
Hundekoppeln,  und  Falken  und  Habichte  ohne  Zahl.  Zu  dieser 
Karawane  gehorten  bereits  zwanzig  mit  Goldbrokat  ausgeschlagene 
Karossen,  denen  Maulesel  vorgespannt  waren.  Aber  diese  Wagen 
machten  den  Dienern  nicht  wenig  Arbeit,  da  sie  die  engen  steinigen 
Wege  in  den  Apenninen  kaum  zu  passieren  vermochten.  Die  Vor- 
bereitungen  zur  Reise  hatten  200  000  Dukaten  in  Gold,  also  iiber 
zwei  Millionen  Francs  gekostet.  Als  Vorwand  gait  die  Erfiillung 
eines  frommen  Gelubdes,  tatsachlich  kam  es  nur  darauf  an,  der  Welt 
den  Reichtum  und  die  Macht  des  mailandischen  Herzogs  zu  zeigen. 
Naturlich  riickte  eine  solche  Kavalkade  nur  langsam  von  der  Stelle, 
und  die  Landbezirke,  durch  die  sie  kam,  wurden  rechtzeitig  be- 
nachrichtigt,  damit  Futter  fur  die  Pferde  und  Lebensmittel  fiir  die 
Menschen  vorhanden  sei.  Den  Pferden  wurde  in  der  Hauptsache 
Gerste  oder  eine  Futterschlempe  aus  Gerste  und  Hacksel  gegeben, 
nur  die  edlen  Rosse  bekamen  besseres  Futter:  Gerstenmehl  mit  Wasser 
angeruhrt  und  Heu  mit  Hacksel  oder  Streu.  Nach  Ariost  befand 
sich  in  den  Kammern  beim  Eingang  der  Stalle  stets  Gerste  und 
Stroh: 


454 


VIERZEHNTES  KAPITEL 


In  una  stanza  che,  presso  all'uscita, 
D'orzo  e  di  paglia  sempre  era  fornita. 

(Orlando  XII.  32.) 

Hafer  wird  in  den  estensischen  Registern  kaum  erwahnt,  ob- 
gleich  in  Frankreich  und  England  Hafer  damals  bereits  das  ge- 
wohnte  Pferdefutter  war. 

Borsos  Expedition  nach  Rom  gehorte  zu  den  prachtigsten,  die 
im  XV.  Jahrhundert  stattgefunden  haben.  Monate  vorher  wurden 
Gold-  und  Silberbrokate  bei  Giuliano  Gondi,  Pietro  Francesco  und 
Giuliano  de  Medici  in  Florenz  fur  einen  so  hohen  Betrag  gekauft, 
daB  die  Bezahlung  in  zwei  Raten,  im  Herbst  und  zu  Weihnachten, 
vor  sich  ging,  aufierdem  lieB  man  auch  aus  Venedig  Stoffe  kommen. 
Borso  lieB  149  Personen  aus  seiner  Umgebung,  die  sogenannte 
,,Famiglia"  einkleiden,  aufierdem  Anziige  fur  mehrere  Diener  an- 
fertigen  und  schwarzsamtnes  Zaumzeug  fur  den  Maulesel,  den 
Alberto  d'Este  ritt.  Obgleich  Borso  an  siebenhundert  Pferde  in  seinen 
Stallen  hielt,  gab  es  fur  den  ganzen  Zug  nicht  Pferde  und  Maulesel 
genug,  man  muBte  bei  den  benachbarten  Hofen  und  in  Toskana 
noch  Pferde  dazu  mieten.  Einige  Monate  vor  der  Abreise  wurde 
ein  groBer  Stab  von  Stalldienern  aufgenommen,  und  Maestro  Guar- 
niero  aus  Modena,  einer  der  Stallmeister  des  estensischen  Hofes, 
brachte  den  neuangenommen  Knechten  bei,  wie  sie  die  Pferde  zu 
behandeln  hatten.  Unterwegs  entsandten  die  Stadte  ihre  Trompeter 
zur  BegriiBung  des  Herzogs,  und  zur  Erhohung  der  Feierlichkeit 
wurden  iiberall  die  Glocken  gelautet.  Borso  war  freigebig;  als  sie 
nach  Brescia  kamen,  um  den  beruhmten  Condottiere  Bartolommeo 
Colleoni  zu  besuchen,  schenkte  er  dem  Glockner  der  dortigen  Kathe- 
drale  einen  Dukaten  fur  seinen  lustigen  WillkommensgruB. 

Im  Winter  erhohten  die  Pelze  die  Pracht  der  ganzen  Kalvalkade 
nicht  wenig,  die  Herren  trugen  Mantel,  die  mit  schwarzem  Fuchs, 
Zobel  oder  Marder  ausgeschlagen  waren,  die  Dienerschaft  trug 
gewohnliche  Fuchs-  oder  Schafpelze.  Die  Frauen  hatten  die  FiiBe 
mit  langen  schweren  Fransen  bedeckt.  Im  Sommer  trugen  die 
Reisenden  Strohhiite,  die  zumeist  aus  Cremona  kamen.  Das  Zaum- 
zeug wurde  aus  rotem  Leder  oder  aus  mit  Tuch  verkleideten  Riemen 
verarbeitet  und  mit  vergoldetem  Zink  oder  selbst  echtem  Gold  ver- 


hOfisches  leben 


455 


ziert.  Derartiges  Zaumzeug  kostete  Unsummen.  Borso  bezahlte 
1465  liber  sechshundert  Dukaten  fiir  vergoldetes  Zaumzeug,  auch 
Ercole  I.  hatte  groBartiges  Pferdegeschirr.  Seiner  Verlobten  schickte 
er  nach  Neapel  Zaumzeug  aus  karmoisinrotem  Samt  mit  goldenen 
Schniiren  und  Knopfen,  dazu  eine  zweite  Garnitur  aus  griinem  Bro- 
kat,  die  gleichfalls  mit  goldenen  Ornamenten  versehen  war.  Lu- 
crezia  Borgia  hatte  Zaumzeug  ,,a  la  turchesca"  aus  karmoisin- 
rotem Samt  mit  Gold  und  Silber  gestickt. 

Die  Este  hatten  eine  Vorliebe  fiir  schone  Pferde,  und  ihre  Stalle 
waren  voll  der  edelsten  Tiere.  Selbst  in  fremden  Landern  wurden 
sie  zusammengekauft.  Im  Friihling  wurden  die  Pferde  stets  fiir 
zwanzig  Tage  auf  die  Weide  geschickt,  und  im  September  haben  sie 
ein  zweites  Mai  im  Freien  gegrast.  Niccolo  III.  hatte  einen  groBen, 
reichbesetzten  Stall,  er  bezahlte  gelegentlich  hundert  Dukaten  fiir 
ein  Tier,  den  hdchsten  Preis,  der  damals  fiir  Pferde  gegeben  wurde. 
Da  der  Wert  eines  damaligen  Dukaten  ungefahr  elf  Franken  heutiger 
Wahrung  entspricht,  so  kostete  ein  Pferd  ungefahr  tausend  Franken. 
Borso  bezog  seine  Pferde  aus  Frankreich,  Ungarn,  Deutschland, 
England,  selbst  aus  Afrika,  schwere  Zugpferde  und  Berberrosse 
lieB  er  dort  einkaufen.  Die  Pferde  waren  damals  schon  teurer  als 
zu  Niccolos  Zeiten,  fiir  ein  gutes  Jagdpferd  wurden  fiinfzig  bis 
sechzig  Dukaten,  fiir  ein  Luxuspferd  und  einen  Renner  iiber  hundert- 
zwanzig  Dukaten  bezahlt.  Fiir  seinen  Hofnarren  Scocola  kaufte 
Borso  ein  kleines  Pferd  fiir  acht  Dukaten,  und  da  Scocola  ein  kleiner 
dicker  Kerl  war,  muB  er  drollig  genug  im  Sattel  gewirkt  haben. 
Viel  teurer  als  Pferde  waren  Maulesel,  die  man  aus  Toskana  oder 
Spanien  kommen  lieB.  Borso  hat  im  Jahre  1470  und  1479  seinen 
Stallmeister  zweimal  nach  England  zum  Pferdekauf  geschickt,  und 
dieser  maestro  de  stalla  hatte  nicht  wenig  Schwierigkeiten  zu  iiber- 
winden,  ehe  er  die  schonen  Tiere  iibers  Meer  nach  Ferrara  brachte. 
Er  hat  sehr  interessante  Reiseberichte  geschickt:  infolge  des  Krieges 
hatte  er  nicht  nach  Paris  und  von  dort  aus  nach  Dieppe  gehen 
konnen,  Rauber  hatten  ihn  bis  aufs  Hemd  ausgepliindert,  auf  dem 
Meer  hat  ihn  ein  Gewitter  uberrascht  und  die  Oberfahrt  von  Dieppe 
nach  England  hat  etwa  acht  Stunden  gedauert.  Auf  dem  Schiff 
ging  es  ihm  so  schlecht,  daB  er  sich  dem  Schutze  aller  Heiligen,  und 


456  VIERZEHNTES  KAPITEL 

aller  wundertatigen  Madonnen,  von  deren  Existenz  er  wuBte,  emp- 
fahl.  Von  London  aus  ging  er  nach  Irland  und  war  uberzeugt,  daB 
die  schonen  Pferde,  die  er  dort  erstanden  hatte,  den  Beifall  des 
Herzogs  finden  wiirden.  In  seinen  letzten  Briefen  aus  Basel  berichtet 
er,  daB  er  zwolf  Pferde  gekauft  habe,  klagt  jedoch  iiber  das  teure 
Leben;  die  taglichen  Ausgaben  in  der  Osteria  betragen  vier  Dukaten 
und  jede  Stunde  unterwegs  scheint  ihm  hundert  Jahre  zu  wahren, 
so  sehr  wiinscht  er  Seine  Exzellenz  begriiBen  zu  konnen. 

Wettrennen  war  eine  Leidenschaft  der  Este;  die  ungliickliche 
Parisina  hat  Schulden  gemacht,  um  ein  edles  Pferd  zu  erwerben. 
Jockeys,  ,,pagi  a  correre",  lieB  man  aus  der  Fremde  kommen,  sie 
trugen  die  seltsamsten  Namen,  wie  ,,Tempesta",  ,,Golfo",  ,,Mos- 
catello",  ,,Villano"  usw.  Auf  den  Meierhofen  in  Belfiore  wurden 
die  Pferde  dressiert,  und  vor  den  Wettrennen  wurden  sie  ohne  Sattel 
geritten.  Die  Jockeys  trugen  einen  Schild  auf  der  Brust  mit  den 
Farben  der  Este:  weiB,  rot  und  griin.  Arm-  und  Beinbruche  kamen 
haufig  bei  ihnen  vor,  aber  Maestro  Antonio  verstand  sie  zu  heilen, 
er  ist  auch  in  den  Hofrechnungen  eingetragen  als  ,, Antonio  da 
Soprano,  maestro  in  cuntare  le  ossa". 

AuBerordentlich  friih  wurden  die  Kinder  des  herzoglichen 
Hauses  aufs  Pferd  gesetzt.  Don  Alfonso  I.  war  kaum  drei  Jahre  alt, 
und  schon  standen  fur  ihn  zwei  Pferde  bereit:  ein  Fuchs  und  ein 
dunkelbraunes  Pferd.  In  den  Rechnungen  aus  dem  Jahre  1475  ist 
ein  Posten  von  einer  Lire  und  zehn  Soldi  verzeichnet  fur  ein  holzernes 
Tischchen,  das  fur  den  Sattel  bestimmt  war,  auf  den  die  kleine,  damals 
etwa  anderthalbjahrige  Isabella,  die  spatere  Markgrafin  von  Mantua, 
gesetzt  wurde.  Ercole  hielt  fur  seinen  eignen  Gebrauch  achtzig 
Pferde,  darunter  waren  die  graugesprenkelten  am  zahlreichsten  ver- 
treten;  fur  die  Herzogin  standen  stets  funfzehn  Pferde  bereit,  aber  sie 
ritt  am  haufigsten  auf  ihrem  Fuchs,  ,,il  buono"  benannt.  Zum  Jagen 
hatte  Eleonora  ein  Pferd,  das  gewohnt  war,  auf  seinem  Sattel  einen 
Leoparden  zu  tragen.  Leoparden  standen  bei  den  Frauen  der  Renais- 
sance sehr  in  Gunsten,  die  eine  hat  sich  sogar  von  Francesco  Ubertini 
mit  einer  kleinengelbbraunenPantherkatze  auf  dem  Arm  malen  lassen. 
Das  kleine  Raubtier  blickt  nicht  iibermaBig  sanft  auf  jenem  Portrat, 
das  sich  heute  im  Kaiser-Friedrich-Museum  zu  Berlin  befindet.  Neben 


REITER 
DETAIL  AUS  DEN   FRESKEN   IM  PALAZZO  SCH1FANOJA  ZU   FERRARA 


H&FISCHES  LEBEN  457 

den  aus  Nubien  eingefiihrten  Berberrossen,  den  schweren  Stuten  aus 
Barco,  den  Pferden  fur  Hofdamen,  Falkner  und  Kuriere  galten  die  bei 
Giostren  undTurnieren  beniitzten  Tiere  als  die  wichtigsten;  sie  wurden 
,,fazionarii"  genannt,  da  die  Ritter  bei  den  Turnieren  in  einzelne  Par- 
teien,  fazioni,  zerfielen.  Eine  graue  Stute,  die  taglich  in  die  Meierei 
nach  Stienta  fuhr,  um  frische  Butter  und  Buttermilch  fur  die  Kiiche  zu 
holen,  nahm  den  geringsten  Rang  unter  den  Pferden  am  herzoglichen 
Hofe  ein.  Naturlich  gab  es  in  so  groBen  Stallen  auch  Pferde,  die  ihr 
Gnadenbrot  oder  richtiger  ihre  Gnadenstreu  erhielten.  Am  geach- 
tetsten  unter  jenen  Pensionaren  war  das  Maultier,  auf  dem  die 
Herzogin  Eleonora  aus  Neapel  nach  Ferrara  gekommen  war.  Jedes 
Pferd  hatte  seinen  Namen;  im  Stall  wurden  ihnen  griine  Bander  in 
die  Mahnen  geflochten  und  sie  wurden  mit  roten  Tuchdecken  zu- 
gedeckt,  wie  sie  die  Fuhrleute  in  Toskana  noch  heute  beniitzen. 
Unter  Ercole  I.  waren  die  Pferdepreise  auBerordentlich  gestiegen, 
und  Filippo  Maria  Visconti  hatte  Rennpferde,  die  tausend  Gold- 
dukaten  kosteten.  Die  Gonzaga  in  Mantua  ziichteten  eine  beriihmte 
Rasse,  sie  lieBen  Stuten  aus  Spanien,  Irland,  Thrakien  und  Cilicien 
kommen.  Die  Mantuanischen  Pferde  waren  so  geschatzt,  daB  man 
sich  die  groBte  Miihe  gab,  um  ein  Pferd  von  den  Gonzaga  zu  be- 
kommen. 

Eine  ungeheure  Ausgabe  war  das  Erhalten  der  Gastpferde; 
ihre  Zahl  schwankte  in  den  Stallen  zwischen  hundertzwanzig  und 
vierhundert.  Als  Bentivoglio  im  Dezember  1478  nach  Ferrara  kam, 
brachte  er  hundertacht  Pferde  mit,  und  jeden  Tag  kam  ein  Gast  mit 
zehn  oder  zwanzig  Pferden. 

Den  Stallen  stand  der  Marescalco  vor,  der  zugleich  Tierarzt  war 
und  die  Herzoge  stets  auf  ihren  Reisen  begleitete.  Aretino  hat  diesen 
Typus  in  seinem  Lustspiel  ,, Marescalco"  verewigt;  die  Komodie 
spielt  am  Hof  zu  Mantua.  Zu  den  Pflichten  des  Marescalco  gehorte 
das  Arrangement  von  Wettrennen,  Giostren  und  Jagden.  Wenn 
Pferderennen  stattfanden,  so  wurden  auch  die  benachbarten  Hofe 
in  Kenntnis  gesetzt;  so  versandte  Ercole  I.  am  27.  April  1499  fol- 
gende  Bekanntmachung:  ,,Hiermit  zur  Kenntnis,  daB  Se.  Exzellenz 
beschlossen  hat,  zu  ihrem  eigenen  Vergniigen  und  zur  Unterhaltung 
aller,  die  kommen  wollen,  am  1.  Mai  zwischen  der  21.  und  22.  Stunde 


458  VIERZEHNTES  KAPITEL 

in  Terra  nuova  (wo  es  eine  Bahn  in  der  Art  eines  Hippodroms  gab) , 
folgende  Wettrennen  stattfinden  zu  lassen: 

Das  erste  Wettrennen  fur  Berber  und  andere  edle  Pferde,  die 
zweimal  um  das  Hippodrom  laufen  sollen.  Erster  Preis:  ein  Stuck 
karmoisinroten  Samt.  Das  zweite  Wettrennen  fur  zweiradrige 
Wagen  (baroccio)  mit  vorgespannten  Ochsen.  Preis:  zehn  Ellen 
rotes  Tuch."  Auch  das  dritte,  vierte  und  fiinfte  Wettrennen  war 
fur  Ochsen  vorgesehen. 

Auch  in  kleinen  Stadten,  an  Festtagen  und  Jahrmarkten,  selbst 
auf  Dorfern  fanden  Turniere  statt,  natiirlich  weniger  glanzend  als 
am  herzoglichen  Hofe.  An  Vergniigungen  dieser  Art  beteiligte  sich 
jedoch  der  Adel  nicht,  nur  junge  Leute  aus  den  niedrigeren  Volks- 
klassen,  selbst  Stallknechte  und  Diener  der  Este  traten  auf,  aber  stets 
mit  der  auf  den  Schild  gemalten  Devise  ihrer  Herren.  Alberto  d'Este 
bezahlte  einem  Maler,  Maestro  Gerardo,  fiinfundvierzig  Lire  fur  das 
Bemalen  der  Schilde  und  Lanzen  dreier  Leute  aus  seiner  ,,Familie", 
die  an  der  Giostra  in  Mirandola  teilnehmen  sollten. 

Das  Hauptinteresse  des  Hofes  konzentrierte  sich  im  Herbst  auf 
die  Jagd,  die  Ebene  von  Ferrara  war  aufierordentlich  fur  die  Jagd 
mit  Falken  und  Habichten  geeignet.  Annibale  Romei  bewundert 
in  seinen  ,,Dicsorsi"  die  herzogliche  Reiterkavalkade,  die  auf  die 
Wiesen  Belriguardos  ausriickt.  Alfonso  und  der  gesamte  Adel  auf 
prachtvollen  Pferden,  hinter  ihnen  eine  stolze  Reihe  von  Karossen 
mit  der  Herzogin  und  den  ubrigen  Damen.  Wenn  man  die  Reiher 
aufscheuchte,  die  Falken  loslieB,  und  in  den  Liiften  ein  Kampf  auf 
Leben  und  Tod  zwischen  den  gefliigelten  Feinden  entbrannte, 
schienen  alle  Zuschauer  den  Atem  vor  Spannung  anzuhalten. 

Unter  Alfonso  I.  fanden  viel  gefahrlichere  Jagden  statt.  Bona- 
ventura  Pistofilo,  der  Sekretar  und  Biograph  des  Herzogs,  erzahlt, 
Alfonso  habe  ihn  im  Herbst  1520  zu  den  Jagden  und  Fischfangen 
in  Comacchio  beordert.  Der  Literat  war  kein  Jager  und  durchaus 
nicht  willens,  sein  Leben,  die  Launen  seines  Herrn  befolgend,  aufs 
Spiel  zu  setzen;  er  verzeichnet  mit  einer  gewissen  Genugtuung,  der 
Herzog  habe  am  26.  November  ein  Wildschwein  mit  eigner  Hand 
erlegt  und  beim  Fall  eines  zweiten  geholfen,  er  selbst  aber  fiirchtete 
das  Wild  wie  den  Teufel.    Wahrend  der  Jagd  fliichtete  er  voll  Angst 


HOFISCHES  LEBEN  459 

auf  eine  hohe  Eiche,  die  er  fur  den  sichersten  Platz  hielt,  um  gefahr- 
los  zuzusehen.  Trotz  dieser  VorsichtsmaBregel  klopfte  ihm  das 
Herz  gewaltig,  als  er  einen  vorbeilaufenden  Wolf  sah,  und  er  verlor 
fast  das  BewuBtsein,  als  ein  Biiffel  im  Gebiisch  erschien.  Am 
nachsten  Tage  veranderte  Pistofilo  seinen  Standpunkt,  er  hielt  es 
fur  ratsam,  dort  zu  bleiben,  wo  das  erlegte  Wild  zusammengetragen 
wurde  und  sein  Schwert  in  das  Blut  eines  erlegten  Wildschweins  zu 
tauchen.  Die  Jagdeindriicke  haben  seine  literarischen  Nerven  so 
sehr  erschiittert,  daB  er  sich  dasFieber  in  den  Sumpfen  vonComacchio 
holte  und  nicht  begriff,  daB  der  Herzog  bis  um  zwei  Uhr  nachts  dem 
Vogelfang  im  Netz  zusehen  konnte. 

Naturlich  waren  Hunde  und  Falken  ein  wesentlicber  Faktor 
in  der  Jagdausriistung.  Borso  hatte  hundert  Falkner  und  schenkte 
Kaiser  Friedrich  III.  1452  funfzig  glanzend  abgerichtete  Falken. 
Es  wurde  damals  viel  iiber  die  Dressur  und  Pflege  der  Vogel  ge- 
schrieben  und  Borso  selbst  besaB  in  seiner  Bibliothek  Dantes  Buch 
,,De  natura  falconum  et  de  remediis  avium". 


IX 

Perugias  beruhmter  Chronist,  Matarazzo,  schreibt  am  Ende  des 
XV.  Jahrhunderts,  zur  Hofhaltung  eines  groBen  Herrn  gehoren 
neben  Pferden,  Hunden,  Falken,  wilden  Tieren,  auch  Hofnarren. 
Der  Reihenfolge  des  ehrlichen  Chronisten  folgend,  wollen  auch  wir, 
nachdem  von  den  Stallungen  und  Menagerien  des  estensischen 
Hofes  die  Rede  war,  zu  den  Hofnarren  iibergehen.  Ihr  Vorhanden- 
sein  war  ein  Erbteil  des  Mittelalters,  das  eine  Vorliebe  fur  rohe 
Scherze  und  ordinare,  ja  gemeine  Witze  hatte.  Oberdies  bedurfte 
der  mittelalterliche  ritterliche  Despot  eines  Wesens,  das  ihm  die 
Wahrheit  sagte  und  gewissermaBen  die  offentliche  Meinung  re- 
prasentierte.  Die  kleinen  und  groBen  Fiirsten  waren  von  Schmeichlern 
umgeben;  schon  aus  dem  Verlangen  nach  Abwechslung  wollten 
sie  von  Zeit  zu  Zeit  etwas  anderes  horen  als  bloBe  Huldigungen, 
besonders  von  einem  Menschen,  der  mit  seinem  Herrn  verglichen 
ein  zu  elendes  Geschopf  war,  um  beleidigen  zu  kdnnen.    Man  konnte 


460  VIERZEHNTES  KAPITEL 

diesen  Menschen  ohne  weiteres  in  Ketten  legen,  durchpriigeln  oder 
ins  Gefangnis  werfen,  falls  er  sich  zuviel  herausgenommen  hatte. 

Die  Renaissance  hat  den  Hofnarren  auf  eine  etwas  hdhere  Stufe 
gehoben,  sie  verlieh  ihm  einen  gewissen  poetischen  Glanz,  da  das 
XV.  und  XVI.  Jahrhundert  literarisch  zu  empfindsam  war,  um 
nicht  selbst  der  Institution  des  Hofnarren  eine  gewisse  artistische 
Note  zu  verleihen.  Die  Umwandlung  des  mittelalterlichen  SpaB- 
machers  in  den  humanistischen  Hofnarren  trat  rein  auBerlich 
schon  darin  zutage,  daB  der  Hofnarr  der  Renaissance  nur  ganz  selten 
das  Kleid  des  Harlekins  und  seine  Gldckchenmutze  anlegte,  er  trug 
sich  wie  jeder  andere  Hofmann  und  unterschied  sich  von  den  iibrigen 
nur  durch  seine  Witze,  seine  schlagfertigen  Antworten  und  seinen 
belebenden  EinfluB  auf  die  Gesellschaft.  Da  man  an  die  Hofnarren 
groBe  geistige  Anspriiche  stellte,  geschah  es  haufiger,  daB  ver- 
kommene,  herumgestoBene  Dichter,  Menschen  von  hoherer  Be- 
gabung,  die  Rolle  eines  Hofnarren  ubernahmen,  und  es  fiel  schwer, 
sie  von  den  eigentlichen  Hofnarren  zu  unterscheiden.  Der  bereits 
erwahnte  Pistoia  war  in  Ferrara,  so  gut  wie  in  Mantua  und  Rom 
bekannt,  er  war  durch  den  EinfluB  des  hofischen  Lebens  vollkommen 
heruntergekommen.  Als  er  einsah,  daB  sich  das  Narrentum  am 
Hofe  besser  als  der  Verstand  bezahlt  mache,  wurde  er  zum  dichten- 
den  Hofnarren,  der  seinen  Herren  neben  platter  Schmeichelei 
manch  bittere  Wahrheit  gesagt  hat. 

Er  hat  sich  in  den  Vorzimmern  herumgetrieben  und  gemein 
gemacht.  In  einem  seiner  Sonette  beklagte  er  sich,  er  miisse  Tafel- 
beamter,  Mundschenk,  Portier,  Lakai,  Kiichenjunge  und  Schlim- 
meres  sein.  Bernardo  Bellincioni,  Lodovico  Moros  Hofpoet,  gehorte 
eigentlich  auch  zu  den  Hofnarren;  seine  Gedichte,  die  Talent  ver- 
raten,  waren  den  Launen  seines  Herrn  angepaBt.  Er  verstand  zu 
schmeicheln  und  die  Wahrheit  zu  sagen,  sich  zu  erniedrigen  und 
wie  eine  getretene  Schlange  zu  zischen,  wenn  es  nottat. 

Dieses  Herunterdriicken  witziger,  lustiger  Menschen,  die  eine 
Zufluchtstatte  am  Hof  gesucht  haben,  in  die  Kaste  von  Hofnarren 
oder  anders  ausgedriickt,  dieses  Erheben  des  Hofnarren  zum  Rang 
von  Menschen  hoherer  sozialer  Stellung,  hat  dazu  gefiihrt,  daB 
niemand   daran   AnstoB   nahm,   wenn   selbst   Monche   diese   Rolle 


HOFISCHES  LEBEN  461 

iibernahmen.  War  doch  jener  Fra  Mariano,  Leos  X.  belieb- 
tester  Hofnarr,  der  Capo  di  matti,  wie  man  ihn  nannte,  der  auf 
einen  Sitz  zwanzig  Kapaunen,  vierhundert  Eier  und  eine  ganze 
Pyramide  anderer  Speisen  vertilgte,  und  einen  hanfnen  Stride,  in 
Sauce  als  Stor  zubereitet,  gegessen  hat,  ein  Franziskanermonch, 
der  seine  Kaplanwohnung  und  seine  Kirche  in  Rom  hatte  und 
es  bis  zum  papstlichen  Piombator  brachte.  Ein  anderer  Monch, 
Fra  Martino,  war  gleichfalls  Hofnarr  bei  Leo  X.,  und  der  Domini- 
kaner  Fra  Serafino  war  Hofnarr  in  Urbino.  Nur  die  Geringschat- 
zung  der  damaligen  Gesellschaft  fur  die  Bettelmonchorden  macht 
diese  Tatsache  begreiflich,  aber  zugleich  erhellt  daraus,  dafi  die 
Renaissance  einen  andern  Begriff  vom  Wesen  eines  Hofnarren 
hatte  als  das  Mittelalter  und  ihn  hoher  eingeschatzt  hat.  Im  Norden, 
in  Frankreich  und  Deutschland,  hat  sich  der  Narr  mit  Glockchen 
und  Eselsohren  an  der  Miitze  sehr  viel  langer  als  in  Italien  erhalten. 

Die  Este  liebten  es  wie  die  anderen  Fiirsten,  sich  mit  Hofnarren 
zu  umgeben,  ihre  Witze  und  komischen  Einfalle  waren  ihnen  zum 
Lebensbediirfnis  geworden.  In  den  Fresken  des  Palazzo  Schifanoja 
strecRt  eine  fette  Gestalt  die  Hand  nach  Borso  aus,  um  ihm  Geld 
abzubetteln.  Es  ist  der  beriihmte  Scocola,  der  soavissimo  istrione, 
der  in  bestandiger  Geldnot  war.  Der  Kiinstler  hat  ihn  in  der  ihm 
ublichen  Pose  dargestellt,  was  die  Bewunderung  und  Heiterkeit  der 
Zeitgenossen  erweckte.  Scocola  saB  zu  haufig  in  der  Osteria  beim 
Wein,  er  muBte  Borso  einst  versprechen,  nicht  wieder  hinzugehen 
und  seine  bei  den  ,,barbari  Judei"  versetzten  Kleider  einzulosen. 
Er  selbst  war  ein  getaufter  Jude.  Beriihmter  war  Gonella,  Nicco- 
los  und  Borsos  Hofnarr,  von  dem  Bandello  viel  zu  erzahlen  weiB. 
Er  verstand  es  besser  als  Scocola  mit  Geld  umzugehen  und  hat 
auch  einen  kleinen  Laden  in  Ferrara  aufgemacht,  in  dem  er  selbst- 
verfertigte  Handschuhe,  Ledertaschen  und  Giirtel  verkaufte. 

In  der  estensischen  Pinakothek  zu  Modena  befindet  sich  ein  aus- 
gezeichnetes  Portrat  Dossis  von  einem  ferraresischen  Hofnarren, 
der  ein  Schaf  im  Arm  halt.  Auf  dem  Cartellino  steht  der  Name 
Sir  Gerius,  vermutlich  ist  es  der  Dargestellte. 

Die  Hofe  von  Ferrara.  Mantua,  Mailand  und  Florenz  haben  ihre 
Hofnarren   haufig   untereinander  ausgetauscht;    wurde    man   eines 


462 


VIERZEHNTES  KAPITEL 


Hofnarren  uberdrussig,  so  lieh  man  ihn  dem  Nachbarhof,  und  zu- 
weilen  wurde  urn  die  Ausleihung  eines  Hofnarren  wie  urn  eine 
groBe  Gunst  gebeten.  So  war  der  mantuanische  Hofnarr  Fran- 
cesco 1462  langere  Zeit  in  Ferrara;  er  brachte  seinem  Pferd  ver- 
schiedene  Kunststucke  bei,  so  ,,daB  das  Pferd  alles  tat,  was  ihm 
Francesco  befahl,  ganz  als  wenn  das  Tier  Verstand  hatte".  Lo- 
renzo de'  Medici  empfahl  1489  Isabella  d'Este  seinen  griechischen 
Hofnarren,  indem  er  ihn  als  einen  fur  seinen  Witz  in  der  ganzen 
Welt  bekannten  Menschen  hinstellte  und  als  ,, einen  alten  Freund 
des  Hauses  Medici".  Als  Alfonso  d'Este  1498  krankelte,  schickte 
ihm  seine  Schwester  aus  Mantua  den  beriihmten  Narren  Mattello. 
Seine  Spezialitat  bestand  darin,  Monche  und  religiose  Zeremonien 
zu  verulken,  was  fur  damalige  Anschauungen  bezeichnend  genug 
ist.  Mattello  hielt  eine  Messe  ab,  indem  er  den  einen  oder  anderen 
Kleriker  kopierte.  Sein  Publikum  bestand  nicht  etwa  nur  aus  welt- 
lichen  Menschen,  auch  Geistliche  verschmahten  nicht,  sich  den 
SpaB  mitanzusehen  und  in  das  allgemeine  Gelachter  einzustimmen. 
Alfonso  war  des  Lobes  voll  iiber  Mattello  und  schrieb  seiner  Schwes- 
ter, sie  habe  ihm  eine  groBe  Freude  durch  den  Narren  bereifet,  er 
habe  all  seine  Schmerzen  vergessen,  wenn  er  ihm  zuhorte.  Da 
Alfonso  Mattello  so  freundlich  aufgenommen  hatte,  schickte  ihm 
der  Schwager  auch  noch  einen  zweiten  Hofnarren,  l'Estense  genannt, 
und  dieses  Paar  hat  den  Kranken  so  begliickt,  ,,daB,  wenn  man  ihm 
ein  kostbares  SchloB  geschenkt  hatte,  er  sich  kaum  so  sehr  wie  iiber 
diese  beiden  Hofnarren  gefreut  hatte."  Pistoia  besang  Estense  nach 
seinem  Tod:  falls  der  Schalknarr  in  den  Himmel  kame,  so  wurde 
das  ganze  Paradies  auBer  sich  vor  Lachen  geraten,  falls  er  aber  in 
die  Holle  kame,  so  wurde  selbst  Cerberus  verstummen. 

Se  '1  corpo  exanimato  requia  in  pace, 
Lo  spirto,  credo,  che  da  lui  diviso 
Tutto  rider  faccia  ora  il  paradiso; 
S'egli  e  al  inferno,  Cerber  gode  e  tace. 

tjber  seinen  Tod  haben  Isabella  und  ihr  Gatte  wie  iiber  ein  groBes 
Ungliick  berichtet,  doch  hat  dies  den  Markgrafen  nicht  gehindert, 
Mattello,    ,,wenn   er   iiber   die    Schnur   haute",    zu   unfreiwilligem 


hOfisches  leben  463 

Fasten  oder  zu  Rutenstreichen  zu  verurteilen.  Als  der  Arzt,  Maestro 
Luca,  ihn  einen  Tag  vor  seinem  Tod  zur  Ader  lassen  wollte,  fand  er 
keine  Stelle  auf  dem  Kdrper  des  a/men  Teufels,  die  nicht  Spuren  von 
Schlagen  trug,  die  ihm  sein  Ubermut  eingetragen  hatte. 

Alfonso  d'Este  hat  sich  1498,  wahrend  seiner  Krankheit,  von 
einer  ganzen  Reihe  von  Hofnarren  belustigen  lassen,  darunter  be- 
fand  sich  auch  Diodato,  ein  groBer  Taugenichts,  den  die  Este 
einige  Jahre  vorher  entlassen  hatten.  Diodato  war  nach  Man- 
tua zur  Markgrafin  Isabella  gefluchtet,  die  eine  Vorliebe  fur 
ihn  hatte.  Der  Lump  hatte  Frau  und  Kinder,  aber  alles,  was  er 
verdiente,  gab  er  seiner  Geliebten  und  lieB  die  Familie  darben.  Der 
kranke  Alfonso  bat  seine  Schwester,  ihm  Diodato  zu  schicken;  aus 
Furcht,  daB  die  Dulcinea  ihn  nicht  wiirde  reisen  lassen,  gestattete 
er  ihm  sogar,  sie  nach  Ferrara  mitzubringen.  Aber  der  Narr  konnte 
nicht  kommen,  da  er  an  einem  widerwartigen  Leiden  erkrankt  war. 

Zwei  Hofnarren,  dem  Franzosen  Galasso  und  dem  Italiener 
Fristella,  begegnet  man  gegen  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  ab- 
wechselnd  in  Ferrara  und  Mantua.  1490  ist  von  Fristella  viel  die 
Rede:  er  pflegte  den  Adligen  den  Ritterschlag  zu  geben,  und  dieser 
Scherz  fand  bei  Hofe  Anklang.  Zu  Rittern,  Hofnarren  oder  Hof- 
lingen  wurden  jene  geschlagen,  die  der  Herzog  dazu  bestimmt  hatte. 
Bei  dieser  Zeremonie  wurden  ihnen  Giirtel  und  Sporen  angelegt  und 
Fristella  taufte  die  neuen  Wurdentrager  mit  Wein.  Auf  diese  Weise 
wurde  auch  Bartolommeo  del  Palazzo,  mit  dem  Spitznamen  Rive- 
renza,  zum  Ritter  geschlagen;  er  war  der  Hofnarr  der  Este  und 
malte  und  bildhauerte  in  freien  Augenblicken.  Eleonora  von 
Aragon  und  Ercole  I.  hatten  eine  Vorliebe  fur  Fristella;  als  er  sich 
einmal  in  Mantua  iiber  Erwarten  lange  aufhielt,  wurde  um  ihn  wie 
um  einen  kostbaren  Schatz  gemahnt. 

Auch  Lucrezia  Borgia  brachte  1502  einige  Hofnarren  nach  Ferrara 
mit,  darunter  waren  drei  Spanier.  Sie  priesen  in  spanischen  Versen 
unter  allerlei  Scherz  und  Kurzweil  auBer  ihrer  Herrin  die  Markgrafin 
Isabella,  die  sie  infolgedessenbeschenkte:  dem  einen  gab  sie  eineWeste 
den  andern  ein  Stuck  Goldbrokat,  den  dritten  einige  Ellen  Atlas. 
Die  ferraresischen  Narren  suchten  es  den  Fremden  zuvorzutun  und 
sich  in  die  Gunst  der  neuen  Herzogin  einzuschmeicheln,  was  na- 


464  VIERZEHNTES  KAPITEL 

mentlich  dem  einen,  Barone,  gelang.  Obrigens  waxen  spanische 
Lustigmacher  nicht  zum  ersten  Mai  am  ferraresischen  Hof.  Ercole 
hatte  bereits  1498  ,,un  Spagniolo  pjacevole",  den  man  sehr  schatzte, 
da  er  immer  guter  Dinge  war,  amiisante  Lieder  sang,  tanzte  und 
drollige  Geschichten  vortrug. 

Ein  anderer  spanischer  Narr,  wahrscheinlich  Gianicho  spagnole, 
hat  1508  in  Rom  einen  Hymnus  zu  Ehren  des  Kardinals  Ippolito 
d'Este  improvisiert.  Eine  Zeit  hindurch  war  in  Italien  alles  modern, 
was  aus  Spanien  kam.  Als  die  franzosische  Renata  in  Ferrara  einzog, 
ritt  an  der  Spitze  des  Brautzuges  ein  spanischer  Narr  auf  einem 
Dromedar  in  seltsamer  Tracht. 

Neben  den  mannlichen  wurden  auch  weibliche  SpaBmacher 
an  den  Hofen  gehalten.  Oberhaupt  war  alles  begehrt,  was  dem 
Hofe  einen  originellen  Anstrich  geben  konnte.  Lucrezia  Borgia 
hatte  eine  Vorliebe  fur  eine  arme  blode  Person,  Catarina  matta, 
die  ihrer  Herrin  so  zugetan  war,  daB  sie  nach  ihrem  Tod  untrostlich 
blieb  und  aus  Ferrara  nach  Mantua  zu  Isabella  geschickt  werden 
muBte.  Catarina  wurde  gelegentlich  zum  allgemeinen  Gaudium 
als  Mann  verkleidet.  Sie  konnte  keinen  Wein  vertragen,  verfiel 
nach  dem  ersten  Glas  in  eine  tolle  Laune  und  brachte  zur  Freude 
des  ganzen  Hofes  die  unglaublichsten  Dinge  fertig.  Der  iibliche 
Scherz  war,  ihr  zu  befehlen,  durch  einen  FluB  zu  waten;  die  arme 
Narrin  hob  ihre  Rocke  hoch  und  ohne  nach  rechts  oder  links  zu 
sehen,  gab  sie  vor,  durchs  Wasser  zu  gehen.  Sie  stahl  wie  ein  Rabe, 
redete  man  ihr  aber  sanft  zu  und  bat  sie,  die  gestohlenen  Sachen 
zu  zeigen,  so  fuhrte  sie  ohne  weiteres  zum  Versteck.  Catarina  war 
wohl  blode  und  alles  andere  eher  als  eine  witzige  Hofnarrin.  Das 
Halten  von  Hofnarrinnen  gehorte  nicht  zu  den  Ausnahmen.  Viel 
genannt  wurde  im  XV.  Jahrhundert  Paoletta,  die  Hofnarrin  der 
Konigin  von  Neapel,  und  Marguerite  de  Valois,  Franz'  I.  Schwester, 
hielt  an  ihrem  Hofe  die  Savin,  die  unter  dem  Namen  ,,la  folle 
de  la  reyne  de  Navarre"  bekannt  war.  Als  Alberto  Pio  Carpi  Isa- 
bella Gonzaga  einen  Dienst  erweisen  wollte,  schickte  er  ihr  1502 
die  „dumme"  Giovanna  und  schrieb,  die  Markgrafin  moge  sie  ihm 
zuriickschicken,  falls  sie  ihr  nicht  gefiele.  Aber  Giovanna  ent- 
sprach  Isabellas  Geschmack  durchaus,  sie  dankte  Alberto  mit  der 


DOSSO  DOSSI:  HOFNARR 
MODENA,  GAT, ERIE 


HOFISCHES  LEBEN  465 

artigen  Wendung,  es  sei  nur  natiirlich,  daB  jemand,  der  in  wichtigen 
Dingen  ein  so  treffendes  Urteil  habe,  auch  Kleinigkeiten  richtig  zu 
beurteilen  verstande.  Isabella,  die  eine  bedeutende  Portratsammlung 
beriihmter  Zeitgenossen  hatte,  wollte  auch  das  Portrat  von  Triboulet 
besitzen,  des  bekannten  Hofnarren  Ludwigs  XII.  und  Franz'  I.  Der 
Konig  schickte  ihr  eine  Biiste  Triboulets  aus  Terrakotta,  die  sehr 
ahnlich  gewesen  sein  soil.  Victor  Hugo  hat  in  seinem  Drama  ,,Le 
roi  s'amuse"  Triboulet  als  auBerordentlich  edle  Gestalt  verherrlicht, 
iiberhaupt  haben  die  Romantiker  die  Hofnarren  idealisiert  und  sie 
zu  ganz  unmoglichen  Gestalten  erhoben. 


X 

Nach  alter  Sitte  haben  auch  Zwerge  zum  Hofstaat  gehort. 
Schon  die  Romer  pflegten  Zwerge  in  Patrizierhausern  zu  halten, 
und  arme  kleine  Kinder  wurden  kiinstlich  verkriippelt,  urn  spater 
teuer  als  Zwerge  verkauft  zu  werden.  Noch  in  der  zweiten  Halfte 
des  XVI.  Jahrhunderts,  im  Jahre  1566  bedienten  in  Rom  vierund- 
dreiBig  Zwerge  beim  Tisch  des  Kardinals  Viteli,  und  die  Gaste 
bewunderten,  daB  alle  verschiedene  MiBbildungen  aufwiesen. 
Auf  Mantegnas  Fresko  in  der  Camera  degli  Sposi  zu  Mantua  be- 
findet  sich  die  Zwergin  unmittelbar  neben  der  Markgvafin.  Die 
Besucher  des  Schlosses  von  Mantua  kennen  auch  die  fur  die  Zwerge 
bestimmten  Zimmer,  kleine  Kammerchen  mit  breiten  und  niedrigen 
Stufen,  und  eine  winzige  Kapelle;  alles  war  der  GroBe  der  armen 
Bewohner  angemessen.  Dieser  Teil  des  Schlosses  beweist,  welche 
wichtige  Rolle  Zwerge  an  Renaissancehofen  gespielt  haben  und 
wie  sehr  sie  dem  hofischen  Pomp  angepaBt  wurden.  Haufig  flossen 
die  Pflichten  eines  Zwerges  und  Hofnarren  ineinander.  Als  der 
Herzog  von  Mailand  1512  nach  Mantua  kam,  kam  ihm  der  Zwerg 
Nanino  als  Bischof  verkleidet  entgegen;  er  wuBte  soviel  Wiirde  in 
seinem  pontifikalen  Gewand  an  den  Tag  zu  legen,  daB  er  allgemeine 
Heiterkeit  erregte.  Nach  Tisch  wurde  er  als  venezianischer  Pa- 
trizier  verkleidet,  und  andere  als  Ritter  bewaffnete  Zwerge  voll- 
fiihrten  die  verschiedensten  Waffenkunststucke.     Es  war  Naninos 

30 


466  VIERZEHNTES  KAPITEL 

wie  Mattellos  Spezialitat,  Geistliche  zu  kopieren,  und  da  der  Mark- 
graf  sich  seiner  riihmen  wollte,  lieB  er  ihn  das  Ornat  anlegen  und 
vor  einem  zu  diesem  Zwecke  errichteten  Altar  eine  Messe  zele- 
brieren.  An  Stelle  des  Evangeliums  las  Nanino  seine  Genealogie 
vor  und  blickte  so  ernsthaft  drein,  daB  einer  der  Anwesenden  seinem 
Freunde  schrieb,  er  habe  keinen  Geistlichen  gesehen,  der  die  Messe 
so  genau  und  feierlich  abzuhalten  verstanden  hatte  wie  dieser  Zwerg. 

All  das  geschah  an  erzkatholischen  Hofen. 

Nanino  war  zuweilen  ungezogen  und  schlug  und  beschimpfte 
seine  Gefahrten;  als  der  Markgraf  von  einem  solchen  Zwischenfall 
horte,  lieB  er  ihm  sagen,  er  moge  dessen  eingedenk  sein,  daB  es  noch 
Fesseln  gabe,  Reifen  fur  die  Hande  und  Zangen,  um  den  Mund  zu 
schlieBen.  Diese  Drohung  wirkte,  und  Nanino  hat  sich  spater  vor 
dem  jungen  Federigo,  der  damals  in  Rom  weilte,  geriihmt,  er, 
Nanino,  ware  jetzt  des  Markgrafen  erstgeborener  Sohn  und  hatte 
infolge  seiner  guten  Auffuhrung  selbst  Federigo  aus  dem  vaterlichen 
Herzen  verdrangt.  Der  Zwerg  unterschrieb  seinen  Brief:  ,, Nanino, 
frater  vester,  Illmi  Principis  primogenitus." 

1522  war  Nanino  in  Ferrara;  da  er  mit  einer  Zwergin  verheiratet 
war,  bat  Renata,  daB  ihr  das  erste  Kind  des  kleinen  Paares  geschenkt 
werde.  1530  wurde  den  Nanino  ein  kleines  Zwergenkind  geboren, 
aber  ob  das  Kind  normal  gewachsen  war  oder  starb  —  kurz,  das 
Geschenk  unterblieb. 

Selbst  die  Begrabnisse  der  Zwerge  waren  den  Herren  ein  Fest. 
1 514  starb  ein  Zwerg  am  mailandischen  Hofe,  und  Maximilian 
Sforza  bat  die  Gonzaga,  eine  Deputation  der  dortigen  Zwerge  zum 
feierlichen  Begrabnis  zu  schicken  und  einen  von  den  kleinen  Man- 
tuanern  die  Begrabnisrede  halten  zu  lassen.  Das  geschah  auch, 
trotz  einer  unvermeidlichen  Verzogerung,  da  die  mantuanischen 
Zwerge  damals  in  Ferrara  waren,  wo  einer  der  beliebtesten  Hofnarren 
der  Markgrafin  sich  abwechselnd  als  venezianischer  Patrizier  oder 
Franziskaner  prasentierte. 

Selbst  die  ernsthafte  Vittoria  Colonna  hat  man  wahrend 
ihres  Aufenthaltes  in  Ferrara,  als  religiose  Reformen  sie  be- 
schaftigten,  durch  die  Possen  der  Zwerge  zu  amiisieren  ver- 
sucht.     Ihr  zu  Ehren  haben  mitten  im  Saal  der  Zwerg  Morgan- 


HOFISCHES  LEBEN  467 

tino  und  die  Zwergin  Delia  getanzt;  das  kleine  Paar  fand   allge- 
meinen  Beifall. 

Neben  den  Zwergen  haben  Sklaven  und  Sklavinnen  eine  wichtige 
Rolle  unter  dem  Hofgesinde  gespielt.  Je  schwarzer  der  Afrikaner, 
desto  hoher  war  er  im  Preis,  und  eine  junge  Negerin  bestellte  man 
sich  nicht  anders  wie  einen  jungen  Hund.  Ercoles  I.  Gattin  hat  bei 
einem  schwarzen  Gondoliere  in  Venedig  einen  sehr  schwarzen 
Knaben  und  ein  ebensolches  Madchen  gekauft.  Isabella,  ihre 
Tochter,  wollte  eine  noch  schwarzere  Mohrin  haben;  sie  schrieb 
an  Brognolo,  den  mantuanischen  Agenten  in  Venedig,  er  moge  eine 
etwa  vierjahrige,  gesunde,  gutgewachsene  kleine  Negerin,  so  schwarz 
als  nur  moglich,  fur  sie  besorgen;  aber  der  Agent  konnte  trotz  der 
groBten  Miihe  den  Wunsch  der  Markgrafin  nicht  erfullen,  er  ver- 
sicherte  jedoch,  daB  die  Frau  des  Gondoliere,  von  dem  die  dunkeln 
Geschwister  erworben  worden  waren,  in  drei  Monaten  einen  neuen 
SproBling  erwarte.  Die  Frau  brachte  das  schwarzeste  Madchen, 
das  man  sich  wiinschen  konnte,  zur  Welt,  und  die  Signora  Brognolo 
ist  in  hochsteigener  Person  mit  dem  Kinde  nach  Mantua  gefahren, 
damit  ihm  unterwegs  nichts  geschehe.  Die  Markgrafin  war  sehr 
zufrieden,  aber  das  Madchen  allein  geniigte  nicht,  sie  wollte  sich 
jetzt  schon  einen  Mann  fur  sie  sichern,  um  in  Zukunft  eine 
schwarze  Rasse  ziichten  zu  konnen.  Sie  erfuhr  von  Signora  Bro- 
gnolo, daB  sich  in  einem  Hause  in  Venedig  ein  kleiner  schwarzer 
Saugling  befande,  und  beauftragte  den  Agenten,  diesen  Knaben 
unbedingt  fur  sie  zu  erwerben.  Brognolo  besah  das  Kind,  fand  es 
gesund  und  hiibsch  und  kaufte  es  fur  zehn  Dukaten  beim  Besitzer' 
der  Sklavin,  da  die  Mutter  kein  Recht  hatte,  iiber  ihr  Kind  zu  ver- 
fiigen.  Der  Padrone  besann  sich  aber  sehr  bald,  da  ihm  von  anderer 
Seite  fiinfzehn  Dukaten  fur  das  Negerkind  versprochen  waren. 
Brognolo  war  in  Verzweiflung,  er  wandte  sich  bis  an  den  Rat  der 
Zehn,  damit  man  den  wortbruchigen  Padrone  zwinge,  den  Vertrag 
einzuhalten.  Der  Rat  entschied  den  Fall  zugunsten  des  mantua- 
nischen Agenten,  der  das  Mohrenkind  sofort  mitnahm  und  der 
Markgrafin  mit  Genugtuung  berichtete,  der  Kleine  sei  gesund, 
habe  guten  Appetit,  er  habe  ihn  bereits  taufen  lassen  und  das  Kind 
unterstiinde  der  besonderen  Obhut  seiner  Gattin  Cecilia.    Das  Kind 

30* 


468  VIERZEHNTES  KAPITEL 

wurde  spater  zu  Isabellas  groBer  Freude  von  einer  zuverlassigen 
Frau  nach  Mantua  gebracht.  Ob  das  Mohrenpaar  groB  geworden 
ist  und  dem  Hof  von  Mantua  die  erhoffte  Mohrenrasse  geschenkt 
hat,  wissen  wir  nicht. 

Isabella  gab  sich  mit  dem  einen  Paar  nicht  zufrieden.  1499  kaufte 
sie  wieder  durch  Vermittlung  von  Donato  de'  Preti  einen  jungen 
Mohren  in  Venedig  fiir  dreiBig  Dukaten,  und  1533  meldete  ihr 
Sigismondo  Cantalmos  Witwe  Margherita,  daB  eine  schwarze  Skla- 
vin,  die  erst  kiirzlich  ,,aus  der  Berberei"  gekommen  sei,  in  Venedig 
zu  verkaufen  ware,  ein  sechzehnjahriges,  hubsches,  gutgewachsenes 
Madchen,  nur  sei  ihre  Unterlippe  zu  dick.  Sie  trinke  keinen  Wein, 
und  es  hieB,  daB  sie  noch  nicht  mit  Mannern  verkehrt  habe.  Es 
wurden  fiinfzig  Dukaten  fiir  sie  gefordert. 

Es  war  also  gar  nicht  so  leicht,  Neger  in  Venedig  zu  erwerben, 
da  die  Venezianer  in  der  Hauptsache  weiBe  Sklaven  mitbrachten, 
namentlich  Slawen,  Tataren,  Tscherkessenmadchen  und  nur 
ganz  vereinzelt  Afrikaner.  Luzio  und  Renier  berichten  von 
einem  sehr  unanstandigen  Sonett  Pistoias,  das  sich  heute  noch 
in  den  Bibliotheksakten  befindet,  worin  eine  slawische  Sklavin 
einige  Worte  in  ihrer  Sprache  sagt.  Als  schwarze  Sklaven  nach 
Venedig  kamen,  bemiihten  sich  namentlich  die  Kurtisanen,  sie  zu 
erwerben,  da  es  zum  guten  Ton  gehorte,  sich  von  Negern  bedienen 
zu  lassen.  In  dieser  Beziehung  hatten  die  vornehmen  Damen  die 
gleichen  Geliiste  wie  die  Kurtisanen.  In  der  Sammlung  Cook  be- 
findet sich  ein  angebliches  Portrat  von  Lucrezia  Borgia:  eine  reich  ge- 
schmiickte  Frau  stiitzt  sich  mit  der  rechten  Hand  auf  den  Arm 
eines  Mohren,  der  seine  Herrin  verliebt  betrachtet.  Dieses  Portrat 
bildet  keine  Ausnahme,  die  vornehmen  Frauen  der  Renaissance 
haben  sich  gem  mit  einem  Hund  oder  einem  Mohren  malen  lassen. 
In  Lucrezia  Borgias  Gefolge  scheinen  sich  bei  ihrem  Einzug  in 
Ferrara  zwei  weiBe  Sklavinnen  befunden  zu  haben:  die  Griechinnen 
Samaritana  und  Camilla.  Um  die  Mitte  des  XVI.  Jahrhunderts 
hatte  der  Kardinal  Ippolito  d'Este  noch  eine  ganze  Schar  von 
Sklaven  und  Sklavinnen  aus  Numidien,  Athiopien,  Indien,  der  Tiirkei, 
die  in  zwanzig  verschiedenen  Sprachen  sprachen.  Einer  der  Tiirken 
des  Kardinals  fluchtete  1533  aus  Rom  nach  Mantua,  der  Markgraf 


hOfisches  leben  469 

lieB  ihn  festnehmen  und  in  Ketten  schlieBen,  wofiir  Ippolito  sich 
brief lich  becankt  hat. 

In  der  zweiten  Halfte  des  XVI.  Jahrhunderts  bestand  also  noch 
in  Ferrara  und  Mantua  der  Brauch,  Sklaven  zu  kaufen,  die  die 
lebendige  ,,Dekoration"  der  groBen  Hofe  vervollstandigten. 


XI 

Die  Hofleute  und  die  Dienerschaft  wurden  ,,famiglia"  genannt, 
damit  ist  das  patriarchalische  Verhaltnis  umschrleben,  das  an 
italienischen  Hofen  geherrscht  hat;  die  gewohnliche  Erscheinung, 
daB  bei  patriarchalischem  Zuschnitt  nur  der  Patriarch  zu  seinem 
Rechte  kommt  und  die  Familie  den  Despotismus  und  die  Launen 
ihres  Herrn  zu  tragen  hat,  trifft  auch  fur  die  italienischen  ,,Fa- 
milien"  zu.  Den  Schmeichlern  ging  es  natiirlich  weitaus  am  besten, 
Fiirsten  neigen  stets  dazu,  ernste  Menschen  von  wirklichem  Ver- 
dienst  schlecht  zu  behandeln,  und  ihrem  Beispiel  pflegt  dann  der 
gesamte  Hofstaat  zu  folgen.  Die  Zustande  waren  zuweilen  furcht- 
bar,  und  zu  alien  Zeiten  stdBt  man  auf  die  Klagen  verzweifelter 
Hoflinge.  In  der  Renaissance,  als  das  Gefiihl  fur  menschliche  Wiirde 
in  immer  weiteren  Kreisen  zu  erwachen  begann,  hort  man  immer 
haufiger  den  Aufschrei  von  Menschen,  die  sich  durch  das  Hofleben 
gedemiitigt  fiihlen,  und  am  estensischen  Hof  haben  wohl  schon 
unter  Niccolo  III.  sehr  traurige  Zustande  in  dieser  Beziehung  be- 
standen,  wenn  selbst  ein  so  ernster  und  gesetzter  Mann  wie  der  Arzt 
Michele  Savonarola  eine  lange  Satire  iiber  das  hofische  Joch  ver- 
faBt  hat.  Die  Satire  tragt  den  Namen:  ,,De  nuptiis  Battibocco  et 
Serrabocca"  und  ist  gegen  die  Schmeichler,  MiiBigganger  und  Ver- 
leumder  gerichtet,  sowie  gegen  jene,  die  es  verstehen,  sich  unter 
die  Machtigen  und  die  einfluBreiche  Geistlichkeit  zu  drangen,  und 
stets  etwas  fiir  sich  auf  Kosten  ihrer  Gefahrten  erbitten.  Solch  ein 
Mensch  ist  Savonarolas  Battibocco,  sein  Gegenstiick  ist  Serrabocca, 
ein  schweigsamer  ernster  Mensch,  der  sich  gerade  infolge  seiner 
Vorziige  die  allgemeine  Sympathie  am  Hof  verscherzt.  Battibocco 
heiratet  seine  Schwester  Loquacita,  die  sich  dank  ihrer  Geschwatzig- 


470 


VIERZEHNTES  KAPITEL 


keit  bei  alien  einzuschmeicheln  versteht  und  sogar  ohne  weiteres 
vom  Papst  einen  Dispens  erhalten  hat,  urn  ihren  Bruder  zu  heiraten. 
Gevattern  und  Kranzelherren  bei  dieser  Hochzeit  sind  ,,Schmeiche- 
lei",  „Oble  Nachrede",  „Luge",  ,,Unfrieden",  ,,Tauschung",  ,,Ver- 
schwendung"  usw.  Zum  Hochzeitsbankett  gibt  es  Frosche,  Moven 
und  Reiher,  die  so  gut  zubereitet  sind,  daB  sie  zuerst  ausgezeichnet 
schmecken,  und  erst  nach  einer  Weile  einen  sauren,  bitteren, 
beiBenden  Geschmack  hinterlassen.  Jedes  Gericht  wird  unter 
lautem  Geschrei  und  Glockengelaute  aufgetragen;  die  Glanznummern 
der  Tafel  bilden  Stdrche,  die,  obgleich  sie  gebraten  auf  den  Tisch 
kommen,  Larm  mit  ihren  Schnabeln  schlagen.  Zu  den  besonderen 
Delikatessen  des  Mahles  gehoren  Zungen  von  Otterngeziicht,  eine 
Zuspeise  aus  Schlangen  und  ein  Fuchsbraten. 

Fast  alle  Schriftsteller  und  Dichter  des  XV.  und  XVI.  Jahr- 
hunderts  haben  im  Herzen  bittern  Groll  gegen  die  hofischen  Zu- 
stande  genahrt,  denn  abgesehen  von  den  fortwahrend  zu  erdulden- 
den  Unannehmlichkeiten  und  Ungerechtigkeiten  haben  sie  deut- 
lich  empfunden,  daB  der  Hof  ihr  Talent  ruiniert,  indem  sie  gezwun- 
gen  wurden,  auf  Kommando  zu  schreiben  und  zu  schmeicheln 
In  Satiren  hat  Ariost  sich  Luft  gemacht  und  im  Orlando  hat  er  die 
hofischen  Zustande  in  zwei  charakteristischen  Ottaven  gegeiBelt 
Pistoia  und  selbst  Battista  Guarini,  der  nicht  ohne  hofische  Art 
leben  konnte,  haben  bitter  iiber  ihren  Dienst  am  Hofe  geklagt 
Guarini  hat  das  Zwiespaltige  seiner  Lage  empfunden:  zu  unfrei, 
um  frei  zu  sein,  und  nicht  unfrei  genug,  um  Furstenknecht  zu  sein, 
,,per  servidore  troppo  libero,  per  libero  troppo  schiavo".  In  all 
seinen  Briefen  klagt  er,  man  miisse  sich  bei  Hofe  seines  eignen 
Willens,  seiner  eignen  Ansicht  iiber  die  Dinge  entauBern,  auf  Be- 
fehl  schreiben,  und  sein  ganzes  Leben  hore  man  die  Kette  klirren, 
an  die  man  gefesselt  sei.  Im  herzoglichen  Dienst  habe  ihn  die 
Muse  verlassen,  die  sich  nicht  in  Knechtschaft  begeben  wolle. 

Ausfiihrlich  schildert  er  in  einem  seiner  Briefe  diese  hofische 
Not  und  den  Zwang,  sich  nach  dem  Willen  des  Herzogs  zu  richten; 
selbst  der  Reiche  miisse  sich  bei  Hofe  gleich  den  Hofschranzen  und 
Dienern  herumstoBen  lassen,  wenn  er  aber  kiihn  genug  ist,  um  ein  un- 
abhangiges  Leben  zu  fiihren,  so  wird  er  als  Geizhals  und  Sonder- 


hOfisches  leben  471 

ling  verschrien,  und  die  Fiirsten  zermalmen  ihn  bei  gegebener 
Gelegenheit  dank  ihrer  Ubermacht.  Jeder  schiffbriichige  Hofling, 
jeder  elende  SpieBbiirger,  jeder  Lump  empfindet  es  als  sein  Recht, 
ihn  zu  beleidigen;  sucht  der  mit  FiiBen  Getretene  nach  Gerechtig- 
keit  —  er  wird  sie  nicht  finden  und  das  Ende  seines  Prozesses  nicht 
erleben.  Was  dieser  Unabhangige  auch  Gutes  tun  oder  sagen  moge, 
—  alles  wird  ihm  als  Siinde  oder  Verleumdung  ausgelegt  werden, 
alles  zu  seinem  Unheil  ausschlagen.  Die  Regierung  wird  ihm  die 
schwersten  Steuern  auferlegen,  ihm  immer  Gaste  fur  die  Nacht 
ins  Haus  schicken  und  seine  Leute  fur  alle  Arbeiten  stets  zuerst  in 
Anspruch  nehmen.  Wenn  die  furstlichen  Sbirren  ihren  Raubzug 
antreten,  um  die  Bevolkerung  auszusaugen,  so  werden  sie  zuerst  bei 
ihm  anklopfen  und  wehe,  wenn  er  ihnen  seine  Tur  nicht  auftut. 
Dann  werden  sie  das  Tor  einschlagen,  sein  Haus  pliindern,  seine 
Diener  durchpriigeln,  da  sie  wissen,  daB  sie  gegen  jenen,  der  beim 
Fiirsten  in  Ungnade  ist,  ungestraft  vorgehen  konnen. 

Aber  auch  abseits  vom  Hofe  kann  man  nicht  leben,  denn  dann 
gleicht  man  einem  Segelschiffer  wahrend  eines  Gewitters,  der  an 
Felsen  zerschellt.  Wahrend  sich  der  Schiffer  noch  mutig  aus  der 
Gefahr  retten  kann,  kommt  bei  Hofe  nur  der  zum  Ziel,  der  be- 
reit  ist,  niedrig  und  gemein  zu  handeln.  Alles  ist  dort  Luge  und 
Betrug,  und  in  diesem  elenden  Leben,  in  dem  der  blinde  Zufall 
herrscht,  geschieht  stets  das  Unerwartete.  Man  muB  ein  kluger 
Steuermann  sein,  stets  Weihrauch,  Verleumdung  und  Tauschung 
in  Bereitschaft  haben  und  niemals  blinden  Gehorsam  verweigern. 
Dazu  als  erster  Grundsatz,  man  darf  niemals  auf  Bestechung  ver- 
zichten,  wenn  man  zur  Gerechtigkeit  gelangen  will.  Wer  sich  einmal 
den  Zorn  des  Fiirsten  zuzieht,  moge  fur  immer  vom  Leben  Abschied 
nehmen. 

Der  Fiirst  und  die  hofische  Clique  sind  allmachtig,  nur  der  ver- 
mag  innerhalb  dieser  Gesellschaft  Brot  und  Ansehen  zu  finden,  der 
sich  beiden  unterwirft;  jeder  von  ihnen  bedarf  eines  Herrn  und 
eines  Dieners,  un  padrone,  una  servitu. 

Einer  der  Hoflinge  klagt  uber  sein  schweres  Geschick.  Im  Vor- 
zimmer  Stunden  hindurch  antichambrieren,  bis  der  Herr  seine  Be- 
fehle  erteilt,  ihm  Tag  und  Nacht  Gesellschaft  leisten,  ihm  zu  FuB 


472  VIERZEHNTES  KAPITEL 

oder  zu  Pferde  folgen,  wohin  es  ihm  zu  gehen  beliebt,  dem  leisesten 
Wink  folgen,  nicht  essen,  ehe  er  gegessen,  sich  nicht  zur  Ruhe  be- 
geben,  ehe  er  schlaft,  jedes  Wort  auf  die  Wagschale  legen,  nicht 
zu  viel  noch  zu  wenig  sprechen,  im  Gehen,  Stehen,  Sitzen  stets  dar- 
auf  bedacht  sein,  ob  es  dem  Herrn  auch  gefallt,  Tausende  von  Be- 
leidigungen  herunterschlucken,  sich  mit  Intrigue  gegen  Intrigue 
schiitzen,  mit  Verleumdung  gegen  Verleumdung,  keine  Stunde  der 
Ruhe  und  Sicherheit  haben,  und  als  Entgelt  fur  all  das  die  bose 
Laune  des  Despoten  ertragen,  ohne  Grund  in  seine  Ungnade  ver- 
fallen,  an  einem  Tage  all  seine  Hoffnungen  zerstort  sehen  —  dies 
das  Schicksal  eines  Cortegiano. 

Ein  anderer  schildert  ,,la  corte"  als  die  Statte  alles  Unheils,  als 
eine  Kloake,  in  der  die  Not  nistet,  wo  die  Armen  sich  als  SpaB- 
macher  hergeben  mussen,  die  Ehrlichen  verfolgt  und  die  Spitz- 
buben  erhoht  werden,  wo  es  den  Spionen  und  Verleumdern  und  jenen, 
die  von  Betrug  leben,  gut  geht,  wo  man  hinterlistig  sein  mufJ,  ein 
Rauber  und  Ehebrecher,  um  nur  existieren  zu  konnen. 

Lodovico  Domenichi  klagt  in  einem  seiner  Dialoge,  so  oft  er  an 
seine  Lage  denke,  komme  es  ihm  vor,  als  ware  er  kein  Mensch,  kein 
freies  Geschopf,  sondern  der  elendeste  Sdldling.  Gabriello  Simoni 
nennt  den  Hof  ein  Gefangnis  und  Grab,  in  das  sie  den  Menschen 
bei  lebendigem  Leibe  bergen. 

Sepoltura  e  prigion  dell'  uomo  vivo. 

Selbst  Vittoria  Colonna  bemitleidet  die  Menschen,  die  die  schonsten 
Jahre  ihres  Lebens  am  Hof  verlieren,  dort  Ehren  und  eine  Ver- 
besserung  ihres  Schicksals  suchen,  aber  was  sie  finden,  sind  Be- 
leidigungen  und  Unrecht. 

.  .  .  ne  le  gran  corti  consumando 
II  piu  bel  fior  de'  lor  giovenil  anni, 
Mentre  utile  ed  onor  van  ricercando, 
Sol  ritrovano  insidie,  oltraggi  e  danni. 

GewiB,  Baldassare  Castigliones  ,,Hofmann"  zeigt  ein  anderes 
Bild,  aber  Castiglione  schrieb  fur  die  Herrschenden  und  nicht  fur 
jene,  die  Tage  hindurch  in  den  Vorzimmern  auf  Befehle  warten 


hOfisches  leben  473 

mufiten.  Literaten  und  Gelehrte  beurteilt  er  von  der  Hohe  seines 
Standpunkts  als  mantuanischer  Gesandter  in  Rom  und  Freund 
des  Herzogs  Guidobaldo  aus  Urbino.  AuBerdem  entwirft  Baldassare 
das  Bild  eines  Hofmanns,  wie  es  sein  sollte,  und  idealisiert  den 
Herzog  Guidobaldo,  an  dessen  Hof  er  denkt.  Fur  ihn  ist  der  ,,Hof" 
gewissermaBen  eine  Hochschule  der  Bildung  und  feinen  Sitte.  DaB 
diese  auBere  Kultur  an  italienischen  Renaissancehofen  erreicht 
wurde,  unterliegt  keinem  Zweifel.  Salonkultur  und  vornehme 
Sitte  haben  sich  dort  entwickelt.  Aber  unter  der  schonen  Schale 
verbarg  sich  eine  grenzenlose  Verderbnis.  Erasmus  Rotterdamus 
ist  dies  nicht  entgangen;  der  Widerspruch  zwischen  der  gese!l- 
schaftlichen  Form  und  dem  Wesen  der  Dinge  hat  ihn  in  Italien  so 
frappiert,  daB  er,  als  er  1509  aus  Rom  nach  London  zuriickkam, 
sein  ,,Lob  der  Dummheit"  schrieb. 

Auch  die  Literatur  litt  unter  dem  hofischen  Wesen,  sie  wurde 
zur  Sklavin  der  Machtigen  und  Reichen.  Die  Erfindung  der  Buch- 
druckerkunst  hat  in  dieser  Beziehung  keinen  Wandel  geschaffen, 
da  der  Druck  der  Biicher  sehr  teuer,  der  Verkauf  nicht  genugend 
geregelt  war  und  im  allgemeinen  dem  Verfasser  keinen  materiellen 
Nutzen  brachte.  Der  Verfasser  muBte  nach  einem  vermogenden 
Protektor  suchen,  da  es  Buchhandler,  die  zugleich  Verleger  waren, 
nicht  gab.  Wollte  er  seine  Arbeiten  drucken  lassen,  so  muBte  er 
zum  Schmeichler  und  Hdfling  werden,  und  ob  er  Dichter,  Historiker 
oder  Philosoph  war,  wenn  er  kein  Vermogen  hatte,  war  er  nicht 
mehr  als  ein  Bettler. 

Diese  okonomische  Abhangigkeit  der  Literatur  von  den  Reichen 
muBte  in  ganzen  Generationen  von  Literaten  Erbitterung  und  einen 
versteckten  HaB  gegen  die  Herrschenden  erzeugen.  Es  bedurfte 
eines  mutigen,  begabten  und  riicksichtslosen  Menschen,  um  die 
Fesseln  zu  zerreiBen  und  aus  einem  Ausgesaugten  ein  Aussauger 
zu  werden.  Moralisch  waren  diese  Grundsatze  nicht  gerade,  aber 
Ethik  stand  damals  nicht  eben  hoch  im  Kurs:  Egoismus  und 
Eigennutz  war  die  Losung  der  Epoche.  Wenn  ein  Cesare  Borgia 
sich  mit  Dolch  und  Gift  ein  Reich  schaffen,  Sforza  mit  List  und 
Macht  eine  Dynastie  begriinden,  ja  wenn  ein  gewohnlicher  Rauber 
wie  Piccolomini  Stadte  zur  Unterwurfigkeit  zwingen  und  aus  groBen 


474 


VIERZEHNTES  KAPITEL 


Landgebieten  ungeheure  Summen  erpressen  konnte  —  dann  durfte 

auch   Aretino    sagen,    daB    er    sich    mittels    seines    Talents    zum 

mindesten  Unabhangigkeit  erwerben  miisse.      Jene  beriefen  sich, 

wenn  sie  ihre  Grausamkeiten  und  ihren  Despotismus  rechtfertigen 

und    sich    mit   den   erbeingesessenen    Dynastien    Frankreichs   und 

Spaniens  vergleichen  wollten,  auf  Gottes  Gnade  als  den  Ursprung 

alles  Rechtes,  ein  Aretino  war  froh,  zum  mindesten  ein  freier  Mensch 

aus  Gottes  Gnade  zu  werden  und  nannte  sich  uomo  libero  per  la 

grazia  di  Dio.    Aretino  schwang  das  revolutionare  Banner  gegen  die 

Hofe  und  das  Hof  lings  wesen,sein  Manifest  istseinBuch  ,,Dialogo 

delle  Corti",  in  dem  er  gegen  die  Sklaverei  der  Literaten 

kampft.    Es   war   eine  beiBende    Satire   auf  hofi- 

sches  Wesen,  ein  flammender  Protest  gegen 

hofische    Art,    der    Beginn    der    „anti- 

cortegiana"-Literatur,  die  im  XVI. 

Jahrhundert    entstand    und 

allmahlich  das  gesamte 

Hof  lingstum  unter- 

graben  hat. 


FtTNFZEHNTES  KAPITEL 

DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH 


i 

on  starkstem  EinfluB  auf  die  Malerei  im  Sinne  ihrer 
Verweltlichung  waren  die  norditalienischen  Fiirsten- 
hofe.  Allmahlich  zog  die  Kunst  aus  der  Kirche  in 
Palaste  und  Schlosser  ein  und  entnahm  dem  Alltag 
ihre  Motive.  Selbstverstandlich  haben  die  Maler  seit 
jeher  den  strengen  Inhalt  religioser  Tafelbilder  und 
Fresken  durch  Szenen  aus  der  Natur  und  der  sie  umgebenden  Ge- 
sellschaft  zu  beleben  gesucht,  aber  es  waren  schiichterne,  von  den 
Stiftern  nicht  immer  gern  gesehene  Versuche.  Eine  beriihmte  Aus- 
nahme  bilden  die  Fresken  von  Ambrogio  Lorenzetti  (zwischen  1337 
und  1339)  im  Palazzo  Pubblico  in  Siena,  die,  weltlichen  Inhalts,  die 
Folgen  guter  und  boser  Regierung  darstellen.  Auch  in  die  Fresken 
im  Campo  Santo  zu  Pisa  haben  die  Kunstler  eine  ganze  Reihe  aufier- 
biblischer  und  auBerkirchlicher  Themen  einzufuhren  gesucht,  aber 
all  diese  Neuerungen  muBten  sich  in  sehr  engen  Grenzen  bewegen, 
da  das  Tafelbild  oder  Fresko  fur  eine  Kirche,  den  Kreuzgang  eines 
Klosters  oder  Friedhofs  bestimmt  war  und  religiose  Szenen  oder  die 
frommen  Taten  eines  Heiligen  zu  verherrlichen  hatte.  Solange 
die  Forderer  der  Malerei  Geistliche  und  Monche  waren  oder  welt- 
liche  Stifter,  die  sich  vermittels  der  Kunst  einen  Weg  in  den  Himmel 
bahnen  wollten,  konnte  sie  dem  engen  Kreis,  den  ihr  die  Heilige 
Schrift,  das  Leben  der  Martyrer  und  Kirchenheiligen  gezogen  hatte, 
nur  entschliipfen,  indem  sie  ihre  eigentliche  Mission  uberschritt. 
Die  Papste  hatten  naturgemaB  weder  die  Absicht  noch  den 
Wunsch,  der  Malerei  das  Tor  in  die  Umwelt  zu  of  men;  das  Bildnis 


476  FUNFZEHNTES  KAPITEL 

allein  schien  ihnen,  vom  religiosen  Thema  abgesehen,  ein  der  Kunst 
wiirdiger  Gegenstand,  und  es  hat  seit  jeher  bei  der  Kirche  in  hohem 
Ansehen  gestanden.  Auch  die  Gemeinden  hatten  weder  Lust  noch 
Gelegenheit,  den  Malern  weltliche  Themen  in  Auftrag  zu  geben; 
wenn  die  Kommune  ein  Tafelbild  oder  Fresko  bestellte,  so  geschah 
es  fur  offentliche  Mittel,  zu  Ehren  Gottes  oder  um  die  Schutzpatrone 
der  Stadt  zu  verherrlichen ;  die  ritterlichen  Taten  eines  beruhmten 
Mitbiirgers  oder  siegreichen  Condottiere  der  Nachwelt  zu  erhalten, 
war  schon  deshalb  nicht  angangig,  da  man  befurchtete,  auf  diese 
Weise  einer  einzelnen  Personlichkeit  oder  ganzen  Familie  einen 
iibermachtigen  EinfluB  in  der  Gesellschaft  einzuraumen  und  der 
Tyrannei  Tiir  und  Tor  zu  offnen.  So  haben  erst  die  Fiirstenge- 
schlechter  und  Condottieri,  die  ein  eignes  Reich  begriindet  hatten 
und  sich  ihrer  Taten  ruhmen  durften,  die  biblischen  Helden  und 
Heiligen  des  Herrn  allmahlich  aus  dem  Bereich  der  Kunst  verdrangt 
und  sich  selbst  und  ihre  eigenen  Taten  und  Schicksale  vom  Maler 
preisen  lassen.  Es  lag  in  ihrem  dynastischen  Interesse,  auBer 
ihren  eigenen,  nach  Moglichkeit  idealisierten  Portrats  auch  Epi- 
soden  aus  ihrer  Regierung  verherrlichen  zu  lassen,  um  kommenden 
Geschlechtern  den  sichtbaren  Beweis  ihres  Edelmuts  und  ihrer 
Tapferkeit  zu  erbringen. 

Die  Renaissance  hat,  wie  in  alien  Zweigen  menschlichen  Wissens 
und  menschlicher  Tatigkeit,  auch  in  der  Malerei  weltliche  Ten- 
denzen  begiinstigt.  Mythologie  und  Allegorie  fanden  ihren  Platz, 
und  der  groBe  Kiinstler-Archaologe  Mantegna  war  unter  den  ersten, 
die  der  Malerei  diese  Richtung  gewiesen  haben.  Wenn  der  Paduaner 
Meister  ,,Casars  Triumphzug"  gemalt  hat,  warum  sollten  nicht  auch 
die  Gonzaga  auf  den  Einfall  kommen,  ihr  Kastell  mit  Szenen  aus 
ihrem  Leben  zu  schmiicken,  warum  nicht  auch  Borso  zur  Ober- 
zeugung  gelangen,  daB  seine  Regierung  glorreich  genug  sei,  um 
an  den  Mauern  des  Palazzo  Schifanoja  dem  Enkel  seinen  Ruhm  zu 
kiinden  ?  Da  der  Einfall,  die  eignen  Taten  im  Bilde  darzustellen,  fur 
damalige  Begriffe  sehr  kiihn  war,  haben  Kiinstler  und  Despoten 
mit  besonderem  Eifer  nach  allegorischen  Themen  gegriffen,  da  auf 
diese  Weise  die  grobsten  Schmeicheleien  auf  die  Leinwand  zu  bringen 
waren,  ohne  scheinbar  die  Grenzen  der  Ruhmsucht  zu  uberschreiten. 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH  477 

Im  Bestreben,  den  Condottieri  und  Fiirsten  in  wenigst  anstoBiger 
Weise  zu  schmeicheln,  sind  sich  Malerei  und  dramatisches  Schafer- 
spiel  begegnet.  Hier  wie  dort  konnte  man  die  Este,  Gonzaga  oder 
die  Herren  von  Urbino  als  Halbgotter,  Nymphen,  Satyrn  und  Hirten 
verherrlichen,  Vorteil  fur  den  Kiinstler  und  Ruhm  fur  den  Besteller 
herausschlagen.  Was  Wunder,  wenn  die  mantuanische  Isabella 
eine  so  groBe  Vorliebe  fur  gemalte  Allegorien  hatte,  daB  sie  ungefahr 
das  ganze  SchloB  damit  gefiillt  hat? 

Auch  die  Verbreitung  der  Novelle  in  der  Literatur  hat  nicht 
wenig  zur  Modernisierung  der  Malerei  beigetragen,  die  Kunstler, 
die  nach  dem  Beispiel  der  Literaten  gingen,  haben  fromme  Legenden 
novellistisch  behandelt;  Carpaccios  Ursula-Zyklus  in  Venedig, 
Gozzolis  Augustin-Fresken  in  San  Gimigniano,  Sodomas  Benedikt- 
Legende  in  Monte  Oliveto,  Fra  Filippo  Lippis  Szenen  aus  dem  Leben 
Johannes  des  Taufers  im  Prato  sind  die  deutlichsten  Beispiele  dafiir. 

Erst  unter  Niccolo  III.  kann  von  den  Anfangen  ferraresischer 
Malerei  und  einem  groBern  Bedarf  an  Fresken  und  Tafelbildern 
die  Rede  sein.  Ferrara  hatte  zwar  schon  im  XIII.  Jahrhundert  seine 
Maler,  aber  aus  dieser  Epoche  haben  sich  kaum  Spuren  erhalten. 
Auch  Giotto  hat  in  Ferrara  gearbeitet  und  hat  dort  seine  Nach- 
ahmer  gefunden,  aber  diese  Namen  bleiben,  da  die  Werke  nicht 
erhalten  sind,  totes  Buchwissen  ohne  lebendigen  Inhalt. 

Nur  Antonio  Alberti,  der  sogenannte  Antonio  da  Ferrara,  der 
zwischen  1438  und  1464  gemalt  hat,  zum  Teil  von  Giottos  Werken 
beeinfluBt,  zum  Teil  die  Umbrer  nachahmend,  ist  fur  uns  eine  greif- 
bare  kiinstlerische  Personlichkeit.  Erhalten  sind  seine  Fresken  in 
San  Petronio  zu  Bologna,  in  der  Kirche  S.  Antonio  in  Polesina 
bei  Ferrara,  drei  Bilder  in  Urbino  und  Fresken  in  der  Friedhofs- 
kapelle  in  Talamello  bei  Pesaro.  Als  sein  bedeutendstes  Werk 
galten  den  Zeitgenossen  Fresken,  die  er  in  der  heutigen  Stadtbibliothek 
zu  Ferrara  geschaffen  hat  und  die  nicht  auf  uns  gekommen  sind. 
Das  bereits  erwahnte  Verlangen,  die  Taten  des  regierenden  Fiirsten 
—  Niccolos  III.  -r-  zu  verherrlichen,  sprach  daraus,  auf  dem  Haupt- 
bild  war  das  dkumenische  Konzil  dargestellt,  das  Eugen  1438  nach 
Ferrara  berufen  hat.  Dieses  Fresko  wies  bereits  den  Weg,  den  die 
Malerei  in  Ferrara  spater  einschlagen  sollte.    Niccolo,  stolz  darauf, 


478  FUNFZEHNTES  KAPITEL 

daB  ein  so  wichtiges  Konzil  in  Ferrara  stattgefunden  hat,  wollte 
diesen  Augenblick  im  Bilde  festhalten  und  der  Nachwelt  die  Teil- 
nehmer  des  Konzils  vorfiihren.  Es  genugte  den  Fursten  nicht,  sich 
portratieren  zu  lassen,  auch  Bildnis-Medaillen  wurden  gepragt; 
sie  waren  um  so  begehrter,  als  sie  Briicken  von  der  Moderne  zur 
Antike  schlugen  und  Niccolo  und  Lionello  d'Este  mit  Casar,  Ti- 
berius und  Marc  Aurel  verbanden.  Neben  der  Malerei  wird  die 
Medaille  zum  wichtigsten  Zweig  ferraresischer  Kunst,  wahrend  die 
monumentale  Plastik,  da  es  an  Marmor  fehlte,  sich  dort  nicht  ent- 
wickeln  konnte. 

In  diesen  kleinen  Staaten  hat  die  Personlichkeit  des  Fursten  so 
sehr  auf  der  Entwicklung  jedes  Zweiges  der  Wissenschaft,  der  Kunst 
und  der  Industrie  gelastet,  daB  er  allem  die  Richtung  gewiesen  und 
allem  seinen  Stempel  aufgedriickt  hat.  In  Florenz  und  Venedig  hat 
die  Biirgerschaft  auf  die  Entwicklung  der  Kunst  miteingewirkt,  in 
Ferrara  ausschliefilich  der  Hof.  Wenn  dem  Fursten  die  Kiinstler 
am  Ort  nicht  gefielen,  wenn  sie  denvenezianischenundflorentinischen 
Meistern  an  Begabung  und  Technik  nachstanden,  so  bezog  er 
fremde  Kiinstler  nach  Ferrara  oder  kaufte  fremde  Kunstwerke. 
Der  Fiirst  besaB  den  kurzsichtigen  Patriotismus  der  Stadtgemeinden 
nicht,  die  nur  die  ortsangesessenen  Kiinstler  forderten  mit  Riick- 
sicht  auf  die  Ehre  der  Kommune  und  den  Verdienst  am  Ort.  Der 
Fiirst  bereiste  fremde  Hofe,  sah  die  verschiedensten  Kunstwerke,  er 
wollte  es  den  anderen  gleichtun,  auch  wenn  es  nicht  ohne  erhebliche 
pekuniare  Opfer  ging. 

Unter  Lionellos  Regierung  gab  es  bereits  eine  groBe  Anzahl 
ortsangesessener  Maler  in  Ferrara;  der  bedeutendste  darunter  war 
Giovanni  Oriola,  der  auch  ein  Bildnis  der  Markgrafin  geschaffen  hat. 
Pietro  de'  Bonsignori,  Angiolo  da  Foligno,  Daniele  Agresti,  Do- 
menico  Costa  und  viele  andere  haben  sich  in  Ferrara  niedergelassen, 
gelockt  von  der  Aussicht  auf  Verdienst  in  der  sich  stetig  vergroBern- 
den  Stadt;  es  waren  jedoch  keine  Talente  von  irgendwelcher  Be- 
deutung,  eher  Handwerker,  die  sich  mit  Dekorationsmalerei  be- 
schaftigten.  Zu  den  bekanntesten  unter  ihnen  gehorte  Niccolo 
d'Alemagna  oder  Niccolo  Teutonico,  der  einige  Zeit  in  Padua  war 
und  sich  1445  in  Ferrara  niedergelassen  hat.    Er  scheint  das  Portrat 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH 


479 


von  Beatrice,  der  unehelichen  Tochter  von  Niccolo  III.,  gemalt  zu 
haben  und  hat  spater  Borso  ein  Diptychon  angeboten,  mit  den 
Portrats  des  Herzogs  Galeazzo  von  Mailand  und  seiner  Gemahlin. 

Wie  in  anderen  Stadten,  ist  auch  in  Ferrara  das  Malerhandwerk 
vom  Vater  auf  den  Sohn  iibergegangen ;  am  langsten  hat  es  sich  bei 
den  Bonacossi  und  Turoli  erhalten,  die  anderthalb  Jahrhunderte  den 
Pinsel  gehandhabt  haben.  Der  alteste  Bonacossi,  Bartolommeo, 
hat  1379  gelebt  und  der  letzte,  Giacomo,  noch  1504  gemalt  Jacopo 
Turola,  der  unter  dem  Spitznamen  Jacopo  dei  Belli  bekannter  ist, 
hat  1434  den  estensischen  Palast  in  Venedig  sowie  das  SchloB  in 
Belriguardo,  das  Kloster  in  Belfiore  .und  Zimmer  im  herzoglichen 
Palast  in  Ferrara  geschmiickt.  Als  der  Kaiser  in  Ferrara  erwartet 
wurde,  hat  er  Fahnen  gemalt,  die  mit  zehn  Dukaten  fur  das  Stuck 
bezahlt  wurden  Sie  miissen  kunstlerischen  Wert  gehabt  haben, 
da  sie  einen  so  hohen  Preis  erzielt  haben 

Ein  bekannter  Dekorationsmaler  war  unter  Niccolo  III  und 
Lionello  Jacopo  da  Soncino,  genannt  Sagramoro,  der  einer  groBen 
Werkstatt  vorstand  und  alle  Dekorationsarbeiten  ubernommen  hat. 
Er  hat  Schatullen  gemalt,  Standarten  fur  den  Bucentaur,  Kastchen, 
die  zum  Aufbewahren  von  Silber  bestimmt  waren  und  haufig  als 
Hochzeitsgeschenk  beniitzt  wurden,  und  Papierfiguren  zu  Illumi- 
nationszwecken  verfertigt.  Bei  ihm  wurden  Schilde  mit  gemalten 
Wappen  und  Devisen  gekauft,  er  hat  Decken  und  Karnine  bemalt 
und  Kartons  fur  Arazzi  entworfen,  die  in  Flandern  gewebt  wurden. 
Sagramoros  in  Olfarben  gemalte  Tarockkarten,  die  der  ferraresische 
Hof  in  groBen  Mengen  gebraucht  hat,  waren  sehr  beruhmt.  Die 
Technik  der  Olmalerei  ist  aus  Flandern  nach  Ferrara  gekommen; 
ehe  diese  Technik  fur  Tafelbilder  verwandt  wurde,  wurden  Spiel- 
karten,  Fahnen  und  andere  Gebrauchsgegenstande,  die  dem  Ver- 
schleifl  unterlagen,  mit  Olfarben  bemalt.  ,, Maria  Himmelfahrt", 
ein  Bild  auf  Seide,  das  1442  als  Preis  in  einem  Pferdewettrennen 
angesetzt  war,  ist  vermutlich  schon  in  Olfarben  gemalt  worden. 

In  Ferrara  bestand  noch  im  XV.  Jahrhundert  die  Sitte,  die  wir 
schon  im  XIII.  in  Italien  finden,  an  offentlicher  Stelle  die  Portrats 
der  in  ihrer  Abwesenheit  verurteilten  Verbrecher  anzubringen.  So 
hat  Sagramoro  das  Portrat  des  bekannten  bolognesischen  Rechts- 


480  FUNFZEHNTES   KAPITEL 

gelehrten  Andrea  Barbazza  (gest.  1480)  gemalt,  das  an  der  Mauer 
des  Amtes  delle  bollette  angeschlagen  wurde.  Der  bekannte  Ge- 
lebrte  war  nur  deshalb  zum  Galgen  verurteilt  und  in  effigie  ge- 
hangen  worden,  weil  er  trotz  seines  Versprechens  nicht  gekommen 
war,  um  an  der  Universitat  in  Ferrara  zu  lesen. 

In  Sagramoros  Bottega  hat  Niccolo  Panizzato  gearbeitet,  der 
spater  auf  eigne  Hand  Bestellungen  von  religiosen  Bildern  so  gut 
wie  von  dekorativen  Arbeiten  annahm.  Panizzato  muB  ein  begabter 
Landschafter  gewesen  sein,  wir  wissen  von  einer  von  ihm  gemalten 
Verkiindigung,  einem  Doppelbild  mit  landschaftlichem  Hintergrund, 
und  in  einem  von  Borsos  Palasten  hat  er  in  den  Loggien  Garten 
gemalt.  ,,Verduren"  dieser  Art  waren  sehr  beliebt;  auch  ein  anderer 
zeitgenossischer  Maler,  Andrea  Costa  da  Vicenza,  hat  1449  eine 
Krdnung  Maria  fur  Beatrice  d'Este,  anlaBlich  ihrer  Trauung  mit 
Niccolo  da  Correggio,  gemalt,  auch  dies  war  ein  mehrteiliges  Ma  ver- 
dure" gemaltes  Altarbild.  Zur  Feier  von  Friedrichs  III.  Ankunft 
(1452)  hat  Costa  die  mit  Papier  beklebte  Decke  und  die  Wande  eines 
Gemaches  bemalt;  da  die  Zeit  drangte,  wurden  ihm  ,,samtliche 
Maler",  die  sich  zur  Zeit  in  Ferrara  befanden,  zur  Verfiigung  ge- 
stellt.  Es  ist  dies  einer  der  ersten  Versuche,  Papiertapeten  einzu- 
fiihren.  Costa  hat  die  verschiedensten  Gegenstande  bemalt,  1455 
hat  er  eine  Wiege  bemalt,  die  der  Herzog  von  Ferrara  Isotta,  der 
Gemahlin  des  Grafen  Frangipani  auf  Segni,  verehrt  hat.  Selbst  die 
Kiste,  in  der  die  Wiege  verschickt  wurde,  war  bemalt.  1454  hat  er 
fur  den  Herzog  Devisen  und  Wappen  auf  weiBen  Atlas  gemalt,  die 
als  Fahnen  beniitzt  werden  sollten. 

II 

Der  Umschwung  in  der  ferraresischen  Malerei,  die  bis  dahin 
keinen  einheitlichen  Charakter  hatte  und  mehr  dekorativen 
Zwecken  gedient  hat,  datiert  seit  dem  Auftreten  von  einigen  be- 
deutenden  fremden  Kiinstlern  in  Ferrara.  Am  starksten  hat  Vittore 
Pisano,  Pisanello  benannt,  auf  die  Ferraresen  gewirkt. 

Pisanello  ist  einer  der  interessantesten  Kiinstler  aus  der  ersten 
Halfte   des    XV.  Jahrhunderts,    ein    strenger   Realist  und   scharfer 


COSIMO  TURA:  MADONNA 
VENEDIG,  AKADEMIE 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH  481 

Beobachter,  der  der  Natur  liebevoll  nachgeht.  Ihm  erscheint 
nicht  die  menschliche  Gestalt  allein  eines  ernsten  Studiums  wiirdig, 
jedes  Tier,  jeder  Baum,  jede  Pflanze,  jeder  Gegenstand,  der  ihn 
frappiert,  wird  zum  begehrten  Modell.  Den  scharfen  UmriB  der 
Medaille  hat  er  auch  auf  die  Zeichnung  und  das  Gemalde  iiber- 
tragen  und  hat  jeder  Erscheinung  ihre  charakteristischste  Seite 
abzulauschen  gesucht. 

Pisanello  kam  um  1435  zum  erstenmal  aus  Rom  nach  Ferrara, 
wo  sein  Freund,  der  Humanist  Guarino,  an  der  Universitat  las. 
Von  diesem  Zeitpunkt  an  kam  er  haufiger  nach  Ferrara;  Lionello 
hat  ihn  auBerordentlich  hoch  geschatzt  und  mit  Bestellungen  iiber- 
hauft.  1 441,  wahrend  er  Lionellos  Portrat  gemacht  hat,  kam  Jacopo 
Bellini;  auch  bei  ihm  wurde  ein  Portrat  des  jungen  Prinzen  bestellt. 
Das  Bildnis  des  Venezianers  hat  Niccolo  III.  besser  gefallen,  doch 
tat  das  Pisanellos  Beziehungen  zum  ferraresischen  Hof  keinen 
Abbruch.  Er  hat  mehrere  Bilder  fur  die  Este  geschaffen,  auf 
dem  einen  sind  Antonius  und  Georg  an  der  Waldgrenze  dar- 
gestellt,  in  Anbetung  der  Madonna,  die  mit  dem  Jesuskind  auf 
den  Armen  in  den  Wolken  erscheint.  Der  h.  Georg  im  Panzer 
und  Florentiner  Strohhut  mit  breitem  Rand,  wie  ihn  die  Ritter  da- 
mals  im  Sommer  zu  tragen  pflegten,  tragt  Lionellos  Ziige,  auch 
der  h.  Antonius  mit  seinen  ausgepragten  energischen  Ziigen,  dem 
langen  Bart  und  der  Kapuze  auf  dem  Kopf  stellt  wohl  eine  bekannte 
Personlichkeit  dar.  Zu  den  Fiifien  des  h.  Georg  liegt  ein  erschlagener 
Drache,  hinter  ihm  tauchen  zwei  Pferdekopfe  auf.  In  der  ganzen 
Komposition  ist  Maria  gewissermaBen  als  nebensachliche  Zu- 
gabe  behandelt,  wahrend  es  dem  Kunstler  hauptsachlich  darauf 
ankam,  die  beiden  Heiligen  darzustellen;  vielleicht  war  es  ihm  be- 
sonders  um  ein  treues  Abbild  von  Lionello  mit  Waf fen  und  Pferden  zu 
tun.  Pisanello  hat  auch  ein  Einzelbildnis  von  Lionello  gemalt,  das  sich 
heute  in  der  Galerie  Morelli  in  Bergamo  befindet. 

Das  schone  Frauenbildnis  von  Pisanello,  das  sich  heute  im  Louvre 
befindet,  soil  ein  Portrat  von  Margherita  Gonzaga  sein,  die  Lionello 
am  2.  Februar  1435  geheiratet  und  am  2.  Juli  1439  verloren  hat. 
Den  Hintergrund  bilden  griine  Zweige,  Bluten  und  flatternde 
Schmetterlinge;  das  Kolorit  ist  lebendig  und  von  groBer  Harmonic 

31 


482  FUNFZEHNTES  KAPITEL 

Pisanello  war  kurz  vor  seinem  Tode,  der  um  1451  eingetreten 
sein  muB,  in  Ferrara,  er  starb  ungefahr  ein  Jahr  nach  Lionello. 
Wie  hoch  der  Kiinstler  in  Ferrara  geschatzt  worden  ist,  beweisen 
die  Lobreden,  die  die  Dichter  ihm  zu  Ehren  verfaBt  haben  und 
die  nichts  anderes  als  ein  Abglanz  der  Lobreden  am  Hofe  sind. 
Guarino  aus  Verona  und  Tito  Vespasiano  Strozzi  haben  den 
Kiinstler  in  schwungvollen  Versen  gefeiert. 

Jacopo  Bellinis  Beziehungen  zum  ferraresischen  Hof  haben,. 
wie  erwahnt,  unter  Niccolo  III.  eingesetzt.  Die  Bezahlung  war  ein- 
fach  genug,  da  der  Kiinstler  gelegentlich  durch  Lieferung  von  Natu- 
ralien  befriedigt  wurde.  So  lieB  Lionello  Bellini  1441  zwei  Scheffel 
Getreide  auszahlen;  diese  Art  der  Bezahlung  muB  aber  dem  Kunstler 
nicht  unerwunscht  gewesen  sein,  da  er  viel  fur  die  Este  geschaffen 
hat;  leider  ist  kein  einziges  dieser  Bilder  erhalten.  Auch  Mantegna, 
der  damals  noch  Squarciones  Schiiler  war,  war  unter  Lionello  kurze 
Zeit  in  Ferrara.  Sein  EinfluB  war  ein  auBerordentlich  wichtiger 
Faktor  in  der  Entwicklung  der  ferraresischen  Kunst,  und  die  engen 
Beziehungen  der  Este  zu  den  Gonzaga  haben  es  den  Ferraresen 
erleichtert,  die  Werke  des  gro3en  Mantuaner  Meisters  kennen  zu 
lernen. 

Rogier  van  der  Weydens  Ankunft  in  Ferrara  war  eines  der 
wichtigsten  kiinstlerischen  Ereignisse  jener  Epoche.  Rogier  kam 
1450  nach  Italien,  wahrscheinlich  zum  groBen  Kirchenjubilaum, 
das  viel  flandrische  Pilger  nach  Rom  gelockt  hat,  auch  mag  er  nach 
einem  Markt  fur  seine  Bilder  gesucht  haben.  Die  erste  italienische 
Stadt,  in  der  er  sich  langere  Zeit  aufhielt,  war  Ferrara;  der  Glanz 
des  dortigen  Hofes,  vielleicht  auch  Empfehlungen  flandrischer 
Kaufleute,  die  zu  den  Este  in  Beziehungen  standen,  mdgen  ihn 
hingelockt  haben.  Der  Enthusiasmus,  mit  dem  man  Rogiers  Bilder 
in  Ferrara  aufgenommen  hat,  laBt  sich  nur  der  Bewunderung  ver- 
gleichen,  die  Hugo  van  der  Goes'  Portinari-Altar  in  Florenz  erweckt 
hat.  Als  Rogier  seine  Bilder  nach  Ferrara  brachte,  war  die  Olmalerei 
dort  noch  fast  unbekannt.  Man  bediente  sich  dieser  Technik  zwar 
fur  Spielkarten,  Fahnen,  zum  Bemalen  plastischer  Figuren  usw., 
aber  die  ersten  Olgemalde  hat  erst  Cosimo  Tura  1469  aus- 
gefiihrt. 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH  483 

Der  starke  Realismus  des  flandrischen  Kunstlers  einerseits, 
seine  tiefen,  glanzenden,  leuchtenden,  lebendigen  Farben  anderer- 
seits  mufiten  Ferraras  gesamte  kiinstlerische  Welt  aufregen. 
Lionello  hat  ein  Triptychon  von  Rogier  mit  einer  Kreuzabnahme  er- 
worben.  Die  Gestalten  waren  nach  der  Versicherung  eines  Zeit- 
genossen  der  Ausdruck  gottlicher,  nicht  menschlicher  Kunst,  von 
der  Allmacht  der  Natur,  nicht  von  der  Hand  eines  Kunstlers  ge- 
schaffen. 

Lionello  starb  zu  friih,  als  daB  sich  die  Folgen  dieser  neuen  Ein- 
fliisse  noch  unter  seiner  Regierung  in  der  Malerei  von  Ferrara  hatteri 
zeigen  konnen.  Erst  unter  Borso  (1450 — 1471)  entsteht  eine  Maler- 
schule  auf  ferraresischem  Boden  mit  bestimmten  charakteristischen 
Kennzeichen,  die  sie  von  den  iibrigen  kiinstlerischen  Tendenzen 
in  Mittelitalien  unterscheiden.  Unter  Borso  hort  der  starke  EinfluQ 
fremder  Maler  in  Ferrara  auf,  mit  Ausnahme  von  Piero  della  Fran- 
cesca,  dieses  Licht-  und  Luftmalers  der  Renaissance,  den  der  Herzog 
um  1 45 1  fur  einige  Zeit  nach  Ferrara  berufen  hat. 

Der  Hauptvertreter  des  kiinstlerischen  Prozesses,  der  sich  nun 
vollzogen  hat:  der  Bildung  einer  eignen  ferraresischen  Schule,  die 
sich  fremde  Elemente  assimiliert  hat,  ist  Cosimo  Tura  (geboren  um 
1432  bis  1495)  eine  ausgepragte  kiinstlerische  Personlichkeit,  fern 
von  allem  Banalen,  die  die  Natur  eifrig  erforscht  und  sie  mit  einer 
gewissen  Riicksichtslosigkeit  und  Brutalitat  wiedergibt.  Squarciones 
Grundsatze  mogen  auch  auf  ihn  eingewirkt  haben,  jedenfalls  aber 
hat  er  Piero  della  Francescas  EinfluB  erfahren.  Glucklicherweise 
sind  Turas  Hauptwerke  erhalten,  so  daB  er  nicht  der  Geschichte  allein 
angehort,  sondern  eine  greifbare  Personlichkeit  ist,  die  durch  die 
Kuhnheit  ihres  Pinsels  und  das  Derbe  ihrer  knochigen  Gestalten  zu 
uns  spricht.  Tura  war  der  Sohn  von  Domenico  aus  Guardo,  einem 
kleinen  Ortchen  im  Ferraresischen.  Er  hat  in  Padua  gelernt  und 
mag  sich  dort  wie  Mantegna  seine  Vorliebe  fur  die  Antike 
geholt  haben.  Gem  bringt  er  auf  seinen  Bildern  antike  Triimmer 
an,  Fragmente  griechischer  Statuen  oder  romischer  Bauten.  Er  war 
eine  Zeit  hindurch  in  Venedig;  nach  dem  Tode  von  Angiolo  da  Siena, 
des  Hofmalers  der  Este,  ging  er  nach  Ferrara,  um  dort  die  Stelle 
eines  „Malers  fur  alles"  zu  ubernehmen,  und  wurde  bald  Borsos 

31* 


484  FUNFZEHNTES   KAPITEL 

Lieblingskiinstler.  Er  hat  Kartons  fur  Teppiche  entworfen,  die  auf 
flandrische  Art  gewebt  wurden,  und  Stoffe  fiir  Bankdecken,  Riicken- 
lehnen  und  Tiirvorhange  gezeichnet.  Diese  Kartons,  auf  denen  sich 
Tiere  im  Griinen  tummelten,  wurden  vom  ,,arazziere"  Livino  aus- 
gefiihrt.  Er  hat  Kisten  bemalt,  Zaumzeug  fiir  Pferde  zu  einemTurnier 
gezeichnet,  selbst  Vorbilder  fiir  die  Jacken  entworfen,  die  die  Ritter 
wahrend  der  Giostren  iiber  ihre  Riistung  anlegten.  Als  1459  Galeazzo 
Sforza  in  Ferrara  erwartet  wurde,  schmuckte  Tura  den  Bucentaur, 
auf  dem  Borso  seinem  Gast  auf  dem  Po  entgegenkam;  er  war  auch 
der  Regisseur  der  Feste,  die  zu  Ehren  des  mailandischen  Herzogs 
gegeben  wurden.  Fiir  das  Turnier,  das  1462  Niccolo  und  Alberto 
Maria  d'Este  gaben,  und  an  dem  Sigismondo  Malatesta  aus  Rimini 
und  Astorre  aus  Faenza  teilnahmen,  entwarf  Tura  Zeichnungen  fiir 
Pferdedecken  und  Modelle  fiir  die  Kostiime  der  Ritter.  Neben  diesen 
Gelegenheitsarbeiten  vollendete  er  die  von  Angiolo  da  Siena  begon- 
nenen  Fresken  in  Lionellos  SchloB  zu  Belfiore;  spater  hat  er  in 
Borsos  Studio  die  Wande  und  selbst  die  Mobel,  die  dort  unterge- 
bracht  werden  sollten,  bemalt. 

Als  Entgelt  fiir  seine  Arbeit  bekam  er  eine  Freiwohnung  in  der 
Casa  de'  Forestieri  und  von  1460  an  wurden  ihm  dreiBig  Lire  monat- 
lich  ausgezahlt,  auBerdem  hat  ihm  die  Camera  ducale  1464  ein  Haus 
geschenkt,  das  fiir  vierhundertfiinfzig  markgrafliche  Lire  fiir  ihn 
erworben  wurde.  Seine  Bezahlung  war  nach  damaligen  Anschau- 
ungen  sehr  hoch.  Bald  nach  diesem  Kauf  verschwindet  Turas  Name 
aus  den  herzoglichen  Registem;  er  ist  damals  —  zwischen  1465  und 
1467  —  vermutlich  mit  Borsos  Einwilligung,  nach  Mirandola  ge- 
gangen  und  hat  in  Picos  beriihmter  Bibliothek  gemalt.  Die  Poesie, 
neun  Musen,  eine  Sibylle  und  viele  andere  Gestalten  aus  der  klassi- 
schen  Welt  sollen  die  Wande  dieses  Saales  geschmiickt  haben. 

Gegen  Ende  des  Jahres  1467  kam  Tura  ruhmbedeckt  nach  Ferrara 
zuriick;  jetzt  beginnt  die  glanzendste  Periode  seiner  Kiinstlerlauf- 
bahn,  er  war  Ferraras  meistbeschaftigter  und  gefeierter  Maler.  Zwei 
Jahre  spater  fallt  wohl  der  Begin n  seiner  Tatigkeit  im  groBen  Saal 
des  Palazzo  Schifanoja,  auch  die  SchloBkapelle  in  Belriguardo 
wurde  von  ihm  gemalt,  doch  hat  sich  keine  Spur  davon  erhalten. 
Vorbild   oder  zum  mindesten   Anregung  fiir  diese   Fresken  sollen 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH  485 

ihm  Gentile  da  Fabrianos  Fresken  im  Broletto  zu  Brescia  gewesen 
sein.  Der  Palazzo  in  Belriguardo  hatte  ebensoviel  Sale  und  Zimmer, 
als  es  Tage  im  Jahre  gibt  und  befand  sich  stets  im  Umbau.  Al- 
fonso II.  haben  Turas  Bilder  in  der  Kapelle  nicht  mehr  gefallen,  er 
lieB  sie  herunterschlagen  und  neue  Bilder,  die  seinem  Geschmack 
entsprachen,  anbringen.  Im  XVII.  Jahrhundert  war  der  stolze  Sitz 
der  Este  bereits  Ruine.  Ehe  Tura  sein  Werk  in  Belriguardo  be- 
endet  hatte,  starb  Borso;  der  Kiinstler  hat  seinem  Protektor  den 
letzten  Dienst  geleistet  und  den  Katafalk,  auf  dem  der  Leichnam  des 
Herzogs  in  der  Certosa  wahrend  der  Leichenfeier  ausgestelit  war, 
geschmiickt. 

Tura  malte  wahrend  seiner  Tatigkeit  in  der  Kapelle  in  Belriguardo 
an  der  Stirnseite  der  grofien  Orgeln  in  der  Kathedrale  zu  Ferrara  zwei 
seiner  beruhmtesten  Bilder:  einen  h.  Georg  und  eine  Verkiindigung. 
Sie  befinden  sich  heute,  von  der  Orgel  losgelost,  im  Chor  des  Heilig- 
tums.  Der  h.  Georg,  der  seine  Lanze  in  den  Drachen  einbohrt,  ist 
sehr  lebendig  erfaBt,  und  die  fliehende  Prinzessin  verleiht  der  ganzen 
Komposition  einen  dramatischen  Zug.  In  der  Verkiindigung  liegt 
dem  Kiinstler  ein  Idealisieren  der  Gestalten  fern,  die  Maria  ist  eine 
Frau  aus  dem  ferraresischen  Volk,  auch  der  Engel  unterscheidet  sich 
nicht  von  den  Menschen,  die  den  Kiinstler  umgaben.  Trotz  der 
etwas  zu  groBen  Kopfe  und  der  iibermaBig  energischen  Bewegungen 
aller  Gestalten,  machen  diese  Bilder  durch  ihre  Einfachheit  und 
Starke  einen  groBen  Eindruck  und  sichern  Tura  seinen  Platz  neben 
den  groBten  italienischen  Realisten,  neben  Fra  Filippo  Lippi,  Man- 
tegna  und  Foppa. 

Unter  Ercole  I.  hat  der  Hof  bei  Tura  fast  ausschlie31ich  Portrats 
bestellt  und  ihm  auBerdem  einige  dekorative  Arbeiten  anvertraut. 
1472,  vor  seiner  Trauung  mit  Eleonora  von  Aragon,  hat  ihm  der 
Herzog  Entwiirfe  bestellt  fiir  das  Ehebett,  den  Betthimmel  und  die 
Bettdecke,  die  von  Maestro  Rubinetto  di  Francia  nach  Art  flandrischer 
Arazzi  aus  Wolle  und  Seide  hergestellt  werden  sollten.  Der  Herzog 
hat  ihn  auch  nach  Venedig  geschickt,  damit  er  ein  Tafelservice  bei 
dem  dortigen  Goldschmied  Giorgio  Alegretto  da  Ragusa  bestelle. 
Es  war  ein  kostbarer  Tafelaufsatz,  zu  dem  auch  emaillierte,  mit 
plastischen    Gestalten    versehene   Vasen   gehorten;    Satyrn,    Adler, 


486 


FUNFZEHNTES  KAPITEL 


Schlangen,  Delphine  und  das  Horn  der  Fruchtbarkeit  befanden  sich 
darauf.  Fast  die  gesamte  Einrichtung  der  Zimmer  der  jungen  Frau 
wurde  nach  Turas  Entwiirfen  und  Angaben  hergestellt,  die  Aus- 
fiihrung  war  einheimischen  Handwerkern  und  dem  Goldschmied 
Amadio  in  Mailand  anvertraut  worden.  Ercoles  Studio  sollte  auf 
Wunsch  des  Herzogs  einen  moglichst  heitern  Eindruck  machen, 
der  Kiinstler  schmiickte  es  mit  den  Gestalten  schoner,  halbnackter 
Frauen,  die  der  Antike  entlehnt  waren.  Uber  ihre  Bedeutung  und 
den  Verbleib  der  Bilder  wissen  wir  nichts. 

Vor  der  Hochzeit  muBte  Tura  die  Neugierde  der  Verlobten  be- 
friedigen  und  ihr  ein  getreues  Bildnis  ihres  kiinftigen  Gatten  und 
seiner  natiirlichen  Tochter  Lucrezia,  die  am  Hof  erzogen  werden 
sollte,  schicken.  Als  Ercoles  erster  Sohn  geboren  wurde,  war  man 
sofort  darauf  bedacht,  eine  entsprechende  Gattin  fur  ihn  zu  wahlen. 
So  portratierte  1477  Tura  das  einjahrige  Kind  fur  Anna  Sforza, 
Gian  Galeazzos  Schwester,  die  Alfonso  1491  tatsachlich  geheiratet 
hat.  Zwischen  1480  und  1485  hat  der  Kiinstler  Isabella  und  Beatrice 
d'Este  gemalt,  er  kam  als  Portratmaler  in  Mode,  und  jede  bekannte 
Personlichkeit  am  ferraresischen  Hofe  wollte  von  ihm  gemalt  werden. 
Auch  Tito  Strozzi  hat  sich  von  ihm  malen  lassen,  aber  leider  ist  von 
all  diesen  Bildnissen  nur  ein  einziges  auf  uns  gekommen,  und  auch 
dies  laBt  sich  nicht  mit  absoluter  Sicherheit  identifizieren.  Es  ist  das 
Portrat  von  Uberto  Sacrati  mit  Frau  und  Sohn,  das  sich  heute  in  der 
Galerie  Strozzi  in  Ferrara  befindet.  Die  Signora  Sacrati  von  nur 
geringem  Reiz,  in  sehr  kostbarer  Toilette,  stiitzt  beide  Hande  auf 
den  Arm  eines  blonden  Kindes,  wahrend  Uberto  einen  Falken  halt. 
Die  kleine  Familie  sitzt  vor  einer  Balustrade  und  hebt  sich  rechts 
von  einem  blaugriinen  Vorhang  ab,  mit  davorhangender  Korallen- 
schnur,  links  ein  Ausblick  auf  die  Landschaft. 

Da  die  in  Ferrara  ausgefiihrten  Portrats  von  Tura  untergegangen 
sind,  kann  man  ihn  nur  nach  den  religiosen  Bildern,  die  sich  heute 
in  den  verschiedensten  Galerien  befinden,  beurteilen.  In  Frage 
kommen  namentlich  einige  Teile  eines  vielfliigeligen  Altarbildes,  das 
der  Kardinal  Roverella  fur  S.  Giorgio  fuori  le  mura  in  Ferrara  be- 
stellt  hat,  fur  jene  verlassene  Kirche,  vor  der  heute  Pferde  grasen 
Das    Mittelbild    dieses   Altars,    eine   thronende    Madonna,    die    das 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH  487 

schlafende  Christuskind  auf  d^m  SchoB  halt,  von  sechs  musizieren- 
den  Engeln  umgeben,  befindet  sich  in  der  National  Gallery  in  London. 
Ein  arcnitektonischer  Bogen,  uberreich  mit  Ornamenten  versehen, 
halt  das  Bild  zusammen.  Auf  einem  der  Seitenfliigel,  der  sich  in 
der  Galerie  Colonna  zu  Rom  befindet,  ist  der  Stifter  Roverella  vor 
Maria  kniend  dargestellt.  Hinter  ihm  stehen  zwei  Schutzheilige 
der  h.  Maurelius  und  der  h.  Paulus,  zwei  realistisch  behandelte,  aus- 
drucksvolle,  kraftige  Gestalten.  Ein  zweiter  Seitenfliigel,  eine 
Pieta,  ist  im  Louvre.  Maria  halt  den  Korper  ihres  Sohnes  auf  den 
Knien,  zu  beiden  Seiten  stehen  Magdalena,  zwei  andere  heilige 
Frauen,  Johannes  und  Joseph  von  Arimathia.  Maria  und  Christus 
sind  von  auffallender  HaBlichkeit,  dagegen  haben  die  Heiligen  den 
Ernst  und  die  GroBe,  die  Turas  Gestalten  so  haufig  eignet.  Auf- 
fallend  wirken  in  diesem  Bilde  wie  in  so  vielen  anderen  unseres 
Meisters  der  Reichtum  der  Ornamente  und  die  Pracht  der  Gewander ; 
der  Kiinstler  hat  sich  den  auBeren  Glanz  des  ferraresischen  Hofes 
zu  eigen  gemacht  und  kann  selbst  bei  einem  so  tragischen  Motiv 
wie  einer  Pieta  nicht  davon  absehen.  Magdalena  ist  zu  einer  vor- 
nehmen  Dame  des  estensischen  Hofes  geworden,  mit  einem  Perlen- 
diadem  auf  dem  Kopf,  einem  scharlachroten,  goldgestickten  Kleid 
mit  blauen  Armeln  und  einem  tiefgriinen  Mantel. 

Im  Kaiser  Friedrich-Museum  in  Berlin  befindet  sich  eine  der 
groBartigsten  Madonnen  von  Tura.  Das  Bild  stand  auf  dem  Hoch- 
altar  der  Kirche  San  Lazzaro  in  Ferrara.  Auf  den  Stufen  des  Thrones 
stehen  links  die  h.  Apollonia,  rechts  die  h.  Katherina  von  Alexan- 
drien,  Augustinus  und  Hieronymus  bilden  gewissermaBen  Mariens 
Ehrengarde.  Auf  der  Mauer  sitzt  ein  lautespielender  Engel;  zwei 
schwebende  Engel  sind  im  Begriff,  Maria  zu  kronen. 

Cosimo  hat  mehrere  Hieronymusbilder  geschaffen,  das  eine 
dieser  Bilder  befindet  sich  in  der  Pinakothek  zu  Ferrara,  ein  zweites 
in  der  National  Gallery  zu  London.  Der  ferraresische  Hieronymus 
steht  kunstlerisch  hoher  als  der  Londoner:  der  Kirchenvater,  lebens- 
groB  im  Kardinalsgewand,  stiitzt  sich  auf  eine  antike  Saulentrommel. 
Der  treue  Lowe  liegt  zu  seinen  FiiBen.  Den  machtigen  Kopf  des 
Greises  umgibt  ein  breiter,  goldner  Heiligenschein,  der  sich  pracht- 
voll  vom  hellen  Himmel  abhebt.     Sehr  kraftig  wirkt  der  violette, 


488  fOnfzehntes  kapitel 

griingefiitterte  Mantel,  der  phantastisch  iiber  den  Kopf  gezogen  ist. 
Auch  hier  fehlen  nicht  interessante  ornamentale  Details,  fur  die  der 
Kiinstler  augenscheinlich  eine  Vorliebe  gehabt  hat,  namentlich 
fallen  schone  Arabesken,  die  die  Pilaster  schmucken,  und  Delphine, 
grau  in  grau  gemalt,  auf. 

Die  Zeitgenossen  haben  Tura  auBerordentlich  hoch  geschatzt. 
Giovanni  Santi  hat  ihn  neben  Antonello  da  Messina,  Giovanni 
Bellini  und  Melozzo  genannt.  Tito  Strozzi  hat  Tura  in  einer  Elegie 
gefeiert,  eine  Frau  bittet  den  Kiinstler  sie  zu  malen: 

Nunc  cupit  externis  pingi  velata  capillos 
Cultibus,  et  nudo  nunc  libet  esse  coma. 

Turas  pekuniare  Verhaltnisse  waren  so  giinstig,  daB  er  1471  in 
seinem  Testament  einen  groBen  Betrag  fur  den  Bau  der  Kirche  der 
Heiligen  Cosmas  und  Damian  aussetzen  konnte.  Der  Kiinstler  ver- 
stand  sein  Geld  anzulegen  und  war  unablassig  mit  Spekulationen 
beschaftigt;  er  hat  Hauser  zum  Verkauf  gebaut  und  hat  mit  Gold- 
schmieden,  Tuchfabrikanten,  Holzhandlern  und  Backern  Kom- 
pagniegeschafte  gemacht.  Die  ferraresische  Bevolkerung  war  da- 
mals  auBerordentlich  unternehmend,  und  die  Verhaltnisse  des  Landes 
begiinstigten  diesen  Trieb.  Tura  folgte  nur  dem  Beispiel  der  anderen. 
Er  starb  1495  und  hinterlieB  einen  Sohn  Damian,  den  ihm  seine 
Dienerin  Ossolina  geboren  hat. 


Ill 

Ein  unter  Borso  und  Ercole  I.  viel  genannter  Maler  war  Baldassare 
d'Este,  von  dem  leider  kein  einziges  authentisches  Bild  auf  uns 
gekommen  ist.  Er  war  eine  bekannte  Personlichkeit  am  ferrare- 
sischen  Hof ,  und  deshalb  soil  hier  von  ihm  die  Rede  sein.  Baldassare 
hat  zur  groBen  Schar  der  naturlichen  Sonne  von  Niccolo  III.  gehort, 
war  also  ein  Halbbruder  der  regierenden  Herzoge,  seine  Mutter 
Anna  Roberti  stammte  aus  Reggio.  Er  hat  seine  Bilder  Baldassare 
Estense  gezeichnet,  das  herzogliche  Wappen  beniitzt  und  neben 
seinen  Namen  den  Diamantring,  Ercoles  I.  Lieblingszeichen,  ange- 


COSIMO  TURA:  MADONNA  IN  TRONO 
T.oNDoN,   NATIONAL  GALLERY 


STICKENDE  FRAUEN 
DETAIL  AUS   DEN   FRESKEN   1M  PALAZZO  SCHIFANOJA  ZU  FERRARA 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH  489 

bracht.  Er  ging  friihzeitig  in  die  Lombardei  und  muB  in  Mailand 
gelernt  haben;  sein  Name  hatte  dort  einen  guten  Klang,  da  er  im 
Kastell  zu  Pavia  die  Portrats  von  Galeazzo  Maria  Sforza  und  seiner 
Gattin  Bona  di  Savoia  gemalt  hat.  Galeazzo  hat  ihn  in  einem  Brief 
an  denHerzog  vonFerrara  sehr  gelobt:  er  sei  ein  ehrenwerter  Mensch, 
ein  beriihmter  Kunstler,  und  ihm  aus  vielerlei  Grunden  teuer. 
1469  hat  sich  Baldassare  in  Ferrara  niedergelassen,  und  Borso  hat 
die  Habe  des  Kiinstlers  aus  Pavia  m;t  dem  Schiff  holen  lassen.  Er 
war  damals  etwa  dreiBig  Jahre  alt  und  wurde  zum  Hofmaler  der  Este 
ernannt.  Borso  hat  ihm  eine  monatliche  Pension  von  zehn  mark- 
graflichen  Lire  ausgesetzt  und  ihm  auBerdem  sechs  FaB  Weintrauben 
und  sechs  Scheffel  Getreide  jahrlich  gegeben.  Als  Wohnung  wurde 
ihm  der  Palazzo  Paradiso  angewiesen,  den  man  den  Pio  infolge 
ihrer  Verschwdrung  gegen  den  Herzog  genommen  hatte;  auch  die 
gesamte  dort  befindliche  Einrichtung  stand  zu  Baldassares  Ver- 
fiigung.  Baldassares  groBere  Bilder  wurden  besonders  bezahlt, 
iiberhaupt  wurde  er  bei  jeder  Gelegenheit  sehr  ausgezeichnet,  ein- 
mal  muBte  er  sogar  Arbeiten,  die  Tura  in  der  Kapelle  in  Belriguardo 
ausgefuhrt  hatte,  abschatzen.  Bei  Borsos  Begrabnis  gehdrte  der 
Kunstler  zu  jenen,  die  schwarz  gekleidet  dem  Sarge  bis  zur  Certosa 
folgten. 

Da  Galeazzo  Maria  Sforza  das  Portrat  des  toten  Herzogs  zu  be- 
sitzen  wiinschte,  wurde  es  von  Ercole  bei  Baldassare  bestellt,  es 
gelang  so  vortrefflich,  daB  der  Herzog  von  Mailand,  fur  das  Geschenk 
dankend,  erklarte,  er  glaube  Borso  lebend  vor  sich  zu  sehen,  wenn 
er  das  Bild  betrachte.  Baldassare  hat  das  Bild  selbst  nach  Mailand 
gebracht,  da  Galeazzo  cusdriicklich  gebeten  hatte,  das  kostbare 
Werk  sorgfaltig  zu  verpacken. 

Nach  seiner  Ruckkehr  aus  Mailand  hat  Baldassare  eine  Zeit 
hindurch  in  Reggio  gewohnt,  wo  ihm  der  Herzog  eine  Sinekure  iiber- 
trug  und  zum  Kapitan  della  Porta  Castello  ernannte.  Dort  heiratete 
der  Kunstler  Giovanna  Fogliani  und  wurde  der  Vater  einiger  sehr 
hubscher  Tochter.  Die  eine  Tochter  wurde  1490  von  drei  Jiing- 
lingen,  die  zum  dortigen  Adel  gehdrten,  geschandet;  dieser  em- 
porende  Vorfall  machte  viel  von  sich  reden.  Baldassare  fuhr  sofort 
nach  Ferrara,  um  sein  Recht  beim  Herzog  zu  suchen;  der  Herzog 


49o  fOnfzehntes  kapitel 

befahl  dem  Gouverneur  und  Podesta  von  Reggio,  die  Verbrecher  aufs 
strengste  zu  bestrafen,  aber  es  war  umsonst,  da  die  Zeugen  infolge 
der  hohen  Stellung  der  Angeklagten  die  Aussage  verweigerten.  Der 
ungliickliche  Vater  wandte  sich  wieder  an  den  Herzog,  flehte,  daB 
man  die  Schuldigen  dem  fiir  seine  Strenge  bekannten  Gregor  Zam- 
pante  iibergebe,  aber  alles  war  vergebens,  die  Ehre  des  Madchens 
blieb  ungeracht.  Da  Baldassare  infolge  dieses  Vorkommnisses 
nicht  langer  in  Reggio  bleiben  konnte,  iibersiedelte  er  nach  Ferrara, 
und  der  Herzog  bemiihte  sich,  ihn  wenigstens  einigermaBen  zu 
entschadigen,  indem  er  ihn  zum  Gouverneur  von  Castel  Tebaldo 
ernannte.  Wir  wissen  noch,  daB  der  Herzog  ihm  1497  ein  Stuck  Tuch 
und  Striimpfe,  die  mit  dem  diamantgeschmiickten  Ring  versehen 
waren,  geschenkt  hat.  Vielleicht  sollte  dieses  Geschenk  gewisser- 
maBen  Schmerzensgeld  fiir  die  erlittene  Unbill  sein. 

Die  Protektion  des  Herzogs  war  nicht  immer  Schutz  genug 
vor  der  Habsucht  und  den  Schikanen  der  iibrigen  Hoflinge  und  Be- 
amten  des  Reiches.  1502  beschwerte  sich  Baldassare  beim  Herzog, 
daB  er  kleinere  FaBchen  mit  Weintrauben  bekame,  als  ihm  zustanden, 
und  dumpfes  Getreide.  Er  klagte  bitter  liber  seine  Not  und  bat,  daB 
ihm  der  Herzog  aus  seiner  Garderobe  einen  getragenen  Anzug 
schenke,  ein  Paar  Striimpfe,  Rock  und  Mantel,  damit  er  sich  wenig- 
stens zuweilen  bei  Hof  zeigen  konne.  Dieser  Brief  schlieBt  wie  andere 
Schreiben  dieser  Art  mit  der  Versicherung,  daB,  auch  wenn  der  Her- 
zog ihm  nichts  zugestehen  wiirde,  er  stets  sein  treuer  Diener  bliebe. 
Es  war  dies  die  ubliche  Formel  der  Bittsteller,  um  der  schlechten 
Laune  des  Herrschenden  vorzubeugen.  Obgleich  sich  Baldassare  mit 
den  Bettlern,  denen  man  abgetragene  Kleider  schenkt,  auf  eine 
Stufe  stellt,  hatte  er  Geld  genug,  um  in  seinem  Testament  hundert 
Messen  fiir  den  Frieden  seiner  Seele  auszusetzen  und  seiner  Frau 
hundert  Lire  in  Gold,  verschiedene  Kostbarkeiten,  Leinen,  Seide, 
und  goldgewebten  Brokat  zu  vermachen.  AuBerdem  hinterlieB  er 
ein  Giitchen  in  der  Nahe  von  Reggio.  Es  schien  also  damals  vor- 
teilhafter  zu  sein,  als  Bettler  und  nicht  als  Gutsbesitzer  aufzutreten. 

Baldassares  beriihmtestes  Werk  scheint  ein  groBes  Gruppenbild 
von  Borso,  Alberto  d'Este,  Lorenzo  Strozzi  und  Teofilo  Calcagnini 
gewesen  zu  sein,  samtlich  zu  Pferde.  Dieses  Bild,  fiir  das  der  Kiinst- 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH 


491 


ler  zweihundert  Dukaten  bekommen  hat,  hat  er  zu  Borsos  Leb- 
zeiten  begonnen,  aber  erst  nach  dessen  Tode  vollendet. 

Baldassare  scheint  ein  guter  Portratmaler  gewesen  zu  sein,  da 
Borso  seinen  eigenen  Kopf  und  die  Gesichter  einiger  Hoflinge  in  den 
Fresken  im  Palazzo  Schifanoja  von  ihm  hat  iibermalen  lassen,  als 
sie  ihm  nicht  ahnlich  genug  schienen.  AuBerdem  hat  Baldassare 
Marietta,  Teofilo  Calagninis  Frau,  Tito  Strozzi  und  viele  andere 
Personlichkeiten  des  ferraresischen  Hofes  gemalt,  und  seine 
Portrats  wurden  dreimal  teurer  als  die  von  Cosimo  Tura  bezahlt. 
Strozzis  Portrat,  das  sich  vor  nicht  langer  Zeit  in  der  Galerie  Costabili 
befunden  hat  und  spater  (nach  Morelli)  in  der  Sammlung  des  be- 
riihmten  Antiquars  Gugenheim  gewesen  sein  soil,  ist  heute  ver- 
schollen.  Ein  danach  gemachter  Stich  befindet  sich  in  Rosinis 
Werk:  Storia  della  pittura  italiana. 

IV 

Neun  Jahre  j linger  als  Cosimo  Tura,  aber  wie  er  von  Squarciones 
Schule  und  Piero  della  Francesca  beeinfluBt,  war  der  bertihmte 
Francesco  Cossa  (um  1435 — 1477)  •  Er  war  wie  Tura  Realist  und  hatte 
eine  Vorliebe  fur  Typen  aus  dem*"Volk.  Cossa  steht  jedoch  starker 
unter  Piero  della  Francescas  verfeinerndem  EinfluB,  er  hat  eine 
gewisse  Vorliebe  fur  schlanke  Gestalten,  farbige  Tone  im  Kolorit 
und  geht  perspektivischen  Problemen  nach.  Sein  beriihmtestes  Werk 
sind  die  Fresken  im  Palazzo  Schifanoja,  auch  kulturgeschichtlich 
von  ungeheurer  Bedeutung;  gut  erhalten  aus  dem  ganzen  Cyklus 
sind  allein  jene  Kompositionen,  in  denen  Borsos  Beschaftigung  im 
Marz,  April  und  Mai  dargestellt  ist.  Der  Kiinstler  hat  die  Wand  in 
drei  Zonen  geteilt,  die  verschiedenen  Zwecken  dienen.  Die  hochste 
an  der  Decke  ist  den  Gottern  gewidmet,  die  mittlere  steht  im  Zeichen 
des  Tierkreises  und  anderer  symbolischen  Figuren,  auf  der  untersten 
und  breitesten  spielen  sich  Szenen  aus  Borsos  Leben  ab.  Auf  einer 
der  hochsten  Zonen  der  Wand  sitzt  Minerva  im  Triumphwagen, 
dem  Einhorner,  die  symbolischen  Tiere  der  Jungfraulichkeit  und 
Klugheit,  vorgespannt  sind.  Die  Gottin  halt  eine  Lanze  in  der  rechten 
und  ein  geschlossenes  Buch  in  der  linken  Hand.    Neben  ihr  haben 


492 


fOnfzehntes  kapitel 


sich  einige  nackte  Kinder  auf  dem  Wagen  niedergelassen.  Zwei 
Gruppen  bewegen  sich  im  Bilde:  Gelehrte,  vielleicht  ferraresische 
Universitatsprofessoren,  disputieren  untereinander,  und  sitzende 
Frauen,  denen  Kofdamen  zusehen,  sticken  und  weben.  Samtlich 
ausgesprochene  ferraresische  Typen.  Auf  der  mittleren  Zone  be- 
findet  sich  ein  schwer  zu  deutendes  symbolisches  Bild:  neben  dem 
Tierkreiswidder  sitzt  eine  Frau,  die  nach  dem  Himmel  weist;  sie 
personifiziert  den  Friihling,  den  Beginn  des  astronomischen  Jahres; 
zu  beiden  Seiten  befinden  sich  symbolische  Gestalten,  deren  Be- 
deutung  unklar  ist.  Vielleicht  die  bedeutsamste,  jedenfalls  die  fur 
uns  verstandlichste  Zone,  ist  die  unterste.  Borso  in  prachtigem 
Kostiim  nimmt  Bitten,  Wiinsche  und  Klagen  seiner  Untergebenen 
entgegen.  Die  treuesten  Hoflinge  umgeben  ihn,  selbst  der  geliebte 
Affe,  den  ein  Page  in  seinem  besonderen  Schutz  hat,  fehlt  nicht. 
Rechts  mehrere  charakteristische  Gestalten,  sicherlich  wieder  vor- 
ziigliche  Portrats  aus  der  Umgebung  des  Herzogs;  links  erscheint 
wieder  Borso  zu  RoB,  im  Begriff  in  Calcagninis  Gesellschaft,  von 
Adligen  und  Falknern  begleitet,  zur  Jagd  zu  gehen.  Den  Hinter- 
grund  bilden  Landschaft  und  Architektur.  Es  ist  unmoglich,  alle 
Einzelheiten  dieser  Fresken  aufzufiihren,  sie  geben  einen  ausge- 
zeichneten  Einblick  in  Ferraras  Leben  in  der  zweiten  Halfte  des 
XV.  Jahrhunderts.  Auf  einem  Fresko  bewegt  sich  Scocola,  der 
,,soavissimo  istrione",  der  sich  sehr  viel  in  Gegenwart  des  Herzogs 
herausnehmen  durfte,  neben  seinem  Herrn.  Auch  Calcagnini, 
Borsos  beliebter  Ratgeber,  kommt  mehrere  Mai  vor. 

Cossa  hat  diese  Fresken  zwischen  1467  und  1470  gemalt  und  sich 
in  einer  schriftlichen  Supplik  bitter  beim  Herzog  iiber  die  elende  Be- 
zahlung  beklagt,  die  fur  diese  groCe  Arbeit  ausgesetzt  werde.  Er 
bekam  wie  die  iibrigen  Maler  zehn  Bolognini  fur  den  QuadratfuS 
des  Freskos  bezahlt,  ihn  emporte  nicht  nur  die  schlechte  Bezahlung, 
mehr  noch  der  Umstand,  dafJ  er  mit  Kunstlern,  die  ihm  an  Konnen 
und  Ruhm  durchaus  nicht  zu  vergleichen  waren,  auf  eine  Stufe 
gestellt  wurde.  Borso  lieB  seine  Bitte  unberiicksichtigt  und  hat  sogar, 
wie  schon  erwahnt,  einige  der  Dargestellten  von  Baldassare  iiber- 
arbeiten  lassen,  was  den  Kiinstler  sehr  gekrankt  hat.  Er  verlieB 
deshalb  Ferrara,  obgleich  er  einem  Architektengeschlecht  angehorte, 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH 


493 


das  seit  langem  dort  ansassig  war,  und  siedelte  nach  Bologna  iiber, 
wo  er  am  langsten  gewirkt  hat. 

Abgesehen  von  den  Fresken  im  Palazzo  Schifanoja  hat  er  in 
Ferrara  noch  ein  mehrteiliges  Altarbild  geschaffen.  Sein  urspriing- 
licher  Aufbewahrungsort  ist  unbekannt,  einige  Flugel  befinden  sich 
heute  in  London,  Rom  und  Mailand.  Der  Heilige  auf  dem  Londoner 
Bild  ist  wohl  Kyazinth,  der  ein  Buch  in  der  Linken  halt  und  mit  der 
Rechten  segnet.  Es  ist  eine  sehr  charakteristische  Gestalt,  die  sich 
plastisch  von  Felsen  und  einer  Ruine  abhebt.  Einige  kleinere  Ge- 
stagen tauchen  zwischen  den  Felsen  auf,  in  den  Liiften  thront 
Christus  von  Engeln  umgeben,  die  die  Marterwerkzeuge  halten. 
Zwei  zu  diesem  Altar  gehorige  Flugel  sind  1895  aus  der  Sammlung 
Barbi  Cinti  in  Ferrara  in  die  Brera  nach  Mailand  gekommen.  Dar- 
auf  die  Gestalten  von  Petrus  und  Johannes  dem  Taufer;  Petrus 
sieht  ernst  und  giitig  aus,  Johannes  wirkt  streng,  fast  abstoBend. 
Hande,  Haare  und  alle  iibrigen  Details  sind  mit  sehr  groBer  Sorgfalt 
ausgefuhrt,  das  Kolorit  saftig  und  von  schonem  Klang.  Sehr  interes- 
sant  ist  die  Predella  dieses  Altars  in  den  Vatikanischen  Sammlungen, 
die  dort  den  Namen  Benozzo  Gozzoli  tragt.  Auf  der  vierteiligen 
Predella  sind  vier  Szenen  aus  dem  Leben  des  h.  Hyazinth  dar- 
gestellt.  Die  Typen  entsprechen  jenen  im  Palazzo  Schifanoja, 
besonders  die  Frauen  scheinen  dem  ferraresischen  Volk  anzu- 
gehoren. 

Wahrend  Cossas  Aufenthalt  in  Ferrara  ist  wohl  das  Bild  ent- 
standen,  das  heute  im  Kaiser  Friedrich-Museum  hangt:  ein  junges, 
von  der  Arbeit  heimkehrendes  Landmadchen.  Sie  halt  eine  Schaufel 
in  der  rechten  Hand  und  Weinranken  in  der  linken.  Ihr  Ge- 
sicht  atmet  jene  Ruhe,  die  allein  die  Beriihrung  mit  der  Natur 
gibt.  Eine  norditalienische  Landschaft:  bestellte  Felder,  ragende 
Zypressen  und  ein  kleines  Stadtchen  in  der  Feme  bilden  den  Hinter- 
grund.  Wahrscheinlich  handelt  es  sich  um  eine  Allegorie  des 
Herbstes:  Weinlese.  Das  Bild  befand  sich  urspninglich  im  Kloster 
des  h.  Domenicus  in  Ferrara,  wo  es  im  Saal  der  Inquisitionssitzungen 
hing.     Ein  Idyll  im  Saal  der  Inquisitoren! 

In  Bologna  hat  Cossa  sehr  viel  gearbeitet,  er  hatte  einen  starken 
EinfluB  auf  die  dortige  Malerei,  so  daB  man  ihn  fast  den  Begrunder 


494 


FUNFZEHNTES  KAPITEL 


der  Bologneser  Malerschule  nennen  kann.  Er  hatte  viel  Schiiler, 
audi  Francesco  Francia,  der  bekannteste  bolognesische  Maler,  hat 
sich  in  seiner  Werkstatt  vom  Goldschmied  zum  Maler  gewandelt. 

Einige  Bilder  von  Cossa,  die  aus  seiner  Bologneser  Periode 
stammen,  befinden  sich  in  auBeritalienischen  Galerien  und  Privat- 
sammlungen,  darunter  die  reizvolle  ,,Verkiindigung"  in  der  Dresdener 
Galerie,  die  die  besten  Kenner  ferraresischer  Kunst:  Morelli,  Ven- 
turi,  Harck  und  Frizzoni  unserm  Meister  zugeschrieben  haben. 
Cossa  ist  dem  ferraresischen  Typus  auch  spater  treu  geblieben,  die 
Verkiindigung  fiihrt  in  die  Nahe  der  Schifanoja-Fresken. 

In  Bologna  haben  sich  verschiedene  Werke  von  Cossa  erhalten. 
Zu  den  bekanntesten  gehort  die  Madonna  del  Baracano  in  der  Kirche, 
die  einer  frommen  Vereinigung  des  gleichen  Namens  gehort.  Dies 
Bild  ist  urspriinglich  von  einem  alteren  Maler  ausgefiihrt  worden, 
Cossa  hat  es  auf  Giovanni  Bentivoglios  II.  Wunsch  iibermalt  und 
restauriert.  Abgesehen  von  einem  gewissen  Archaismus  im  Gesicht 
der  Maria  und  des  Kindes,  hat  er  dem  ganzen  Bild  seinen  person- 
lichen  Stempel  aufgepragt.  Mariens  Ausdruck  muBte  unverandert 
bleiben,  da  man  sich  von  dem  wundertatigen  Bild  folgende  Legende 
erzahlte:  1402,  unter  Giovanni  Bentivoglios  I.  Regierung  hat 
Giangaleazzo,  der  Herzog  von  Mailand,  Bologna  belagert.  Bento 
Bentivoglio,  der  Kommandant  der  Stadt,  sah  wahrend  der  Belage- 
rung  in  der  Nahe  der  Kirche  San  Stefano  eine  vor  dem  Marienbild 
betende  Frau,  die  er  der  Spionage  bezichtigte.  Er  lieB  sie  verhoren 
und  obgleich  sich  aus  ihren  Worten  ergab,  daB  sie  unschuldig  war, 
schien  es  Bentivoglio  ratsamer,  das  Bild  einmauern  zu  lassen, 
damit  sich  nicht  Verrater  betend  naherten  und  dem  feindlichen 
Heere  Zeichen  machten.  Als  man  versuchte,  das  Bild  einzumauern, 
fielen  die  Ziegel  auseinander  und  die  Mauer  stiirzte  ein.  Bentivoglio 
machte  einen  erneuten  Versuch  mit  einer  starkeren  Mauer,  aber 
auch  diese  stiirzte  ohne  einen  sichtbaren  auBeren  Grund  sofort  ein. 
Ja  noch  mehr,  nachts  sah  man  auf  jener  Stelle,  wo  sich  das  Bild  be- 
fand,  geisterhafte  Gestalten  sich  regen;  der  erschrockene  Bentivoglio 
betrachtete  diese  Erscheinung  als  ein  ihm  gegebenes  ubernatiirliches 
Zeichen,  das  wundertatige  Madonnenbild  nicht  zu  verbergen. 
Giovanni  II.  lieB  dieses  Bild  von  Cossa  iibermalen,  da  es  sehr  ruiniert 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH  495 

war.  Ehe  sich  der  Kunstler  an  dies  fromme  Werk  machte,  beichtete 
er,  nahm  das  Abendmahl  und  bat  den  Bischof  um  seinen  Segen. 
So  gestarkt,  nahm  er  den  Pinsel  zur  Hand. 

Zwei  Jahre  spater  hat  Cossa  ein  Temperabild  auf  Leinwand  fur 
das  Foro  dei  Mercanti  gemalt,  das  Bild  befindet  sich  heute  in  der 
Pinakothek  zu  Bologna.  Es  ist  dies  eines  seiner  bezeichnendsten 
Werke.  Die  Madonna  mit  dem  Kind  auf  dem  SchoB  sitzt  auf  einem, 
mit  zwei  Kandelabern  und  Fruchtkdrben  geschmiickten  Thron.  tJber 
dem  Thron  breitet  sich  ein  schoner  architektonischer  Bogen  aus. 
Rechts  sitzt  Johannes  lesend,  links  befindet  sich  Petronius  im 
Bischofsmantel  und  im  Hintergrund  der  Stifter,  der  Notar  Antonio 
degli  Amorini. 

Cossa  fand  in  Bologna  und  Modena  zahlreiche  Nachahmer. 


Unter  Ercole  I.  bat  sich  die  Stadt  sehr  vergroBert,  viel  neue  Pa- 
laste  wurden  von  den  dort  angesessenenPatrizierfamilien  erbaut, 
und  der  Herzog  hat  sich  an  der  allgemeinen  Baulust  rege  beteiligt. 
Ferrara  hat  damals  sehr  viel  Kunstler  beschaftigt,  es  sind  nicht 
weniger  als  siebzig  Malernamen  aus  jener  Zeit  auf  uns  gekommen. 
Wahrscheinlich  waren  es  in  der  Hauptsache  Dekorationsmaler,  die 
die  Zimmer  oder  AuBenwande  der  Palaste  und  die  Tausende  von 
Geraten,  die  im  Gebrauch  waren,  mit  Farben  verziert  haben.  Neben 
diesen  handwerkartigen  Malern  gibt  es  einige  bedeutende  Talente, 
deren  Werken  das  Charakteristikum  jener  Epoche,  das  jugendlich 
Uberschaumende,  kraftig  Energische  eignet. 

Zu  ihnen  gehort  Ercole  di  Antonio  de'  Roberti,  der  Sohn  eines 
estensischen  Portiers  (geb.  zwischen  1450  und  1460,  gest.  1496). 
Er  hat  sich  unter  Jacopo  Bellinis  EinfluB  entwickelt,  aber  auch 
Mantegna  und  Piero  della  Francesca  haben  auf  ihn  gewirkt.  Von 
dem  letzteren  hat  er  die  helle,  durchsichtige  und  doch  warme 
Farbe  ubernommen,  so  daB  er  zum  bedeutendsten  Koloristen  der 
alteren  ferraresischen  Schule  wurde.  Mit  besonderer  Sorgfalt  hat 
er  die  landschaftlichen  Hintergriinde  seiner  Bilder  behandelt,  und 


496  fOnfzehntes  kapitel 

es  verstanden,  den  empfangenen  Eindruck  mit  groBer  Treue  zum 
Bild  zu  verarbeiten. 

Ercoles  Anfange  standen  im  Zeichen  schwerer  auBerer  Kampfe; 
da  er  nicht  imstande  war,  Miete  fiir  ein  eigenes  Lokal  zu  bezahlen, 
hatte  er  eine  Bottega  zusammen  mit  seinem  Bruder,  dem  Tischler 
Polidoro;  um  den  Betrag  fiir  die  Miete  zu  verringern,  haben  sie  die 
Halfte  des  Lokales  Giovanni  di  Giuliano  aus  Piacenza  abgetreten, 
der  Vergoldungen  aus  reinem  Metall  fiir  Maler  gemacht  hat.  Die 
Bruder,  der  Maler  und  der  Tischler,  haben  Kompagniegeschafte  mit 
dem  Vergolder  gemacht,  der  wohl  ein  noch  armerer  Teufel  war  als 
sie  selbst,  da  sie  ihm  Handwerkszeug  und  die  Halfte  des  Metalls 
liefern  muBten,  wahrend  er  sich  verpflichtete,  seine  Einkaufe  mit 
ihnen  zu  teilen.  Trotz  der  billigen  Wohnung  und  der  Gemeinschaft 
mit  dem  Vergolder  ist  es  Ercole  in  Ferrara  schlecht  ergangen;  er 
siedelte  nach  Bologna  iiber,  und  wir  finden  ihn  1482  mit  tatig  an 
der  Ausschmiickung  der  Kapelle  von  Domenico  Garganelli  im  Dom. 
Er  hat  dort  zwei  Fresken,  eine  Kreuzigung  und  einen  Tod  Maria, 
geschaffen;  der  Ausdruck  der  Kbpfe  soil  ergreifend  gewesen  sein. 
Michelangelo  und  Vasari  haben  dieses  Meisterwerk  sehr  bewundert; 
nach  Vasari  soil  Roberti  zwolf  Jahre  daran  gearbeitet  haben,  indem 
er  sieben  Jahre  al  fresco  daran  gemalt  und  funf  Jahre  korrigiert  hat. 
Vasari  hat  sich  geirrt,  da  Ercole  schon  i486  nach  Ferrara  zuriickging; 
jedenfalls  beweisen  Vasaris  Berichte,  daB  die  Fresken  in  Bologna  mit 
besonderer  Sorgfalt  und  groBer  Gewissenhaftigkeit  ausgefiihrt  waren. 
Die  Fresken  sind  leider  langst  untergegangen,nur  eine  Federzeichnung 
der  Kreuzigung  befindet  sich  im  Kupferstichkabinett  in  Berlin. 

Wahrend  seines  Aufenthaltes  in  Bologna  hat  Ercole  auch  eine 
Predella  fur  das  Altarbild  in  der  Kirche  San  Giovanni  in  Monte  ge- 
malt, auf  der  er  einige  Szenen  aus  den  Fresken  der  Kapelle  Garga- 
nelli wiederholt  hat.  Zwei  Teile  dieser  Predella:  Der  Zug  nach 
Golgatha  und  eine  Gefangennahme  Christi  befinden  sich  heute  in 
der  Dresdner  Galerie,  wahrend  eine  Pieta  in  die  Royal  Institution 
zu  Liverpool  verschlagen  wurde.  In  diesen  Werken  ist  der  Ein- 
fluB  von  Mantegna  und  Jacopo  Bellini  unverkennbar,  die  energisch 
aufgefaBten  Gestalten  haben  eine  grcQe  Kiihnheit  in  ihren  Be- 
wegungen  —  Robertis  bezeichnende  Eigenschaften. 


FRANCESCO  COSSA:   VERKUNDIGUNG 
DRESDEN.   GALERIE 


FRANCESCO  COSSA:  MADONNA  ZWISCHEN  PETRONIUS  UND  JOHANNES 

BOLOGNA.  PINAKOTHEK 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH  497 

Von  i486  bis  zu  seinem  Lebensende  hat  Ercole  in  Ferrara  gear- 
beitet,  da  er  nach  Turas  Tod  zum  Hofmaler  ernannt  wurde.  Er 
wurde  gut  bezahlt,  sein  Einkommen  betrug  zweihundertvierzig 
markgrafliche  Lire;  ebenso  hoch  war  der  Sold  der  Kapitane  der 
wichtigsten  Festungen  und  der  „Fattori  generali".  AuBerdem  sind 
in  die  Rechnungsbiicher  des  Hofes  groBe  Posten  als  Geschenke  fur 
den  bildenden  Kiinstler  eingetragen;  so  bekommt  er  einmal  ein 
Stuck  schwarzen  Damast,  ein  andermal  zwanzig  Ellen  Atlas  in 
Farbe  nach  seiner  Wahl,  abgesehen  von  Purpuratlas,  der  zu  den 
kostbarsten  Stoffen  gehorte.  Bei  den  Vorbereitungen  zu  Isabellas 
Ausstattung  fielen  Ercole  wichtige  Aufgaben  zu,  er  fuhr  nach 
Venedig,  um  Gold  zum  Schmuck  von  dreiBig  Truhen  zu  kaufen  — 
elftausend  Blattchen  Edelmetall  wurden  verbraucht  — ,  und  die 
besten  Farben  zu  wahlen,  zu  denen  in  der  Hauptsache  Lack  und 
Ultramarin  gehort  haben.  Unter  Robertis  Anleitung  wurde  das 
Ehebett  gebaut  und  dekoriert  sowie  der  Triumphwagen,  in  dem 
Isabella  sich  zum  letztenmal  in  Ferraras  StraBen  gezeigt  hat,  ehe 
sie  nach  Mantua  ging.  Er  hat  auch  zu  jenen  gehort,  die  ihr  das  Ge- 
leite  in  die  neue  Hauptstadt  gegeben  haben;  die  Vorbereitungen  fur 
die  Festlichkeiten  und  die  Reise  haben  ihn  so  angestrengt,  daB  er 
aus  Riicksicht  auf  seine  Gesundheit  Mantua  schleunigst  verlassen 
muBte. 

Arbeit  gab  es  genug,  aber  die  Bezahlung  verzogerte  sich  unge- 
biihrlich  lange.  Der  Hof  hatte  infolge  der  Hochzeit  so  groBe  Aus- 
gaben,  daB  die  herzogliche  Kasse  sich  mit  der  Entlohnung  des  Kiinst- 
lers  nicht  eben  beeilte.  1491  waren  Ercoles  Forderungen  noch  immer 
nicht  beglichen,  in  einem  verzweifelten  Brief  wandte  er  sich  direkt 
an  den  Herzog  und  bat  um  Geld;  er  betonte,  daB  er  auch  seine  not- 
wendigsten  Ausgaben  nicht  mehr  bestreiten  konne.  Dieser  Brief 
hatte  kein  Resultat,  da  dem  Kiinstler  erst  1495  der  Rest  seines 
Guthabens  ausgezahlt  wurde.  Die  herzoglichen  Bestellungen  liefen 
ununterbrochen  fort,  der  Kiinstler  machte  alles,  was  von  ihm  ver- 
langt  wurde,  er  bemalte  Kamine  und  Friese,  zeichnete  eine  topo- 
graphische  Karte  von  Neapel,  die  die  Herzogin  einem  der  benach- 
barten  Hofe  schenken  wollte,  und  lieB  es  sich  nicht  verdrieBen. 
Eleonoras  Papageienkafig  zu  vergolden. 

3a 


498  FtJNFZEHNTES  KAPITEL 

Roberti  muB  ein  guterzogener  Mensch  von  angenehmen  Ma- 
nieren  gewesen  sein,  da  ihn  der  Herzog  mit  dem  jungen  Don  Alfonso 
nach  Rom  schickte,  um  den  neuen  Papst  Alexander  VI.  zu  begrufien. 
Allmahlich  wurde  der  Kiinstler  der  Liebling  des  Herzogs;  als  er  Kar- 
tons  fur  die  Fresken  in  Belriguardo  zeichnete,  weilte  Ercole  ganze 
Tage  in  seiner  Werkstatt  und  sah  den  Fortschritten  mit  groBem 
Vergniigen  zu.  Die  Arbeit  hat  den  Herzog  so  gefesselt,  daB  er  das 
Schachspielen  und  Reiten  ganz  aufgab  und  seinem  Sekretar  verbot, 
in  die  Malerwerkstatt  zu  kommen,  um  ihn  beim  Vergniigen  des 
Zusehens  nicht  zu  storen.  Auch  Don  Alfonso  war  stets  beim  Maler 
zu  finden,  so  daB  er  das  fur  Isabella  bestimmte  Portrat  von  Ercole 
nicht  rechtzeitig  vollenden  konnte,  da  ihn  der  Thronnachfolger  zu 
sehr  storte. 

Roberti  ging  fur  kurze  Zeit  nach  Ungarn,  von  Mathias  Cor- 
vinus  berufen;  in  der  Galerie  zu  Budapest  befindet  sich  die  Zeich- 
nung  eines  Mannes,  die  der  Tradition  nach  wahrend  seines  Aufent- 
halts  in  Ungarn  entstanden  ist. 

In  verschiedenen  offentlichen  und  privaten  Sammlungen  werden 
Ercole  mit  mehr  oder  weniger  Wahrscheinlichkeit  Bilder  zuge- 
schrieben,  am  besten  beglaubigt  ist  ein  Altarbild  in  de*  Brera  zu 
Mailand,  das  vom  Kiinstler  fur  die  Kirche  Santa  Maria  in  Porto  in 
der  Nahe  von  Ravenna  geschaffen  wurde.  Es  ist  eine  thronende 
Maria  mit  dem  Kind  auf  dem  SchoB,  in  der  Feme  schimmert  eine 
Stadt  am  Meeresufer  und  blaue  Hugel.  Links  reicht  eine  Heilige  dem 
Kind  einen  Vogel,  das  sich  vorbeugt,  um  ihn  zu  erhaschen;  der 
h.  Augustin  und  der  Stifter  Pietro  Onesti  sind  Zeugen  dieser  Szene. 
Auf  der  Predella  befinden  sich  der  Bethlehemitische  Kindermord, 
die  Anbetung  der  Konige  und  die  Darstellung  im  Tempel,  die  in 
Komposition  und  Ausfiihrung  an  Mantegna  und  Cossa  anklingen. 

Die  gleichen  Wege  wie  Ercole  Roberti  ist  sein  Zeitgenosse 
Bianchi  oder  Bianco  Ferrari  (gest.  1510)  gegangen;  er  soil  Cor- 
reggios  erster  Lehrer  gewesen  sein.  Nur  ein  beglaubigtes  Bild  in 
der  Galerie  zu  Modena  ist  bekannt,  es  wurde  von  einem  Schiiler 
Giovanni  Scaccieri  vollendet.  Dargestellt  ist  eine  Verkiindigung; 
die  schlanken  Gestalten  sind  von  der  Weihe  des  Augenblicks  er- 
fiillt,    im    Hintergrund    eine    Landschaft    mit    poetischen    Ruinen* 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH 


499 


Ferrari  starb,  wahrend  er  an  diesem  Bilde  arbeitete;  zwei  Jahre 
spater  wurde  es  von  Scaccieri  zu  Ende  gemalt.  Das  Wesentliche  des 
schonen  Bildes  scheint  schon  ausgeftihrt  gewesen  zu  sein. 

Etwas  jiinger  als  die  beiden  genannten  Kunstler  war  Domenico 
Panetti,  Turas  Schiiler  (geb.  um  1460,  gest.  ura  1512).  Einige  seiner 
Bilder  befinden  sich  in  der  Pinakothek  zu  Ferrara,  das  beste  darunter 
ist  ein  Altarbild  mit  dem  h.  Andreas,  eine  majestatische  Gestalt  mit 
edlen  Ziigen,  die  sich  von  einer  heitern  Landschaft  abhebt. 

Panetti  hat  namentlich  fur  Kirchen  gemalt,  in  der  Pinakothek 
zu  Ferrara  befinden  sich  eine  sehr  charakteristische  Heimsuchung, 
eine  Verkiindigung  und  ein  toter  Christus;  unter  den  Trauernden 
fallt  besonders  ein  alter  Mann  im  Turban  durch  seinen  groBen  Ernst 
auf.  Eine  schone  Landschaft  im  Hintergrund  beweist  wieder,  da8 
die  ferraresischen  Kunstler  viel  Gefiihl  fur  Landschaftsmalerei 
gehabt  haben. 

VI 

Wer  Bologna  auch  nur  fliichtig  gesehen  hat,  muB  sich  des  Fres- 
kos  der  Familie  Bentivoglio  in  der  Kapelle  gleichen  Namens 
in  San  Giacomo  Maggiore  entsinnen.  Giovanni  Bentivoglio  II.,  der 
Tyrann  von  Bologna,  und  seine  Gemahlin  Ginevra  Sforza  knien  mit 
gefalteten  Handen  vor  der  thronenden  Madonna,  die  Kinder  sind 
ihrem  Alter  nach  zu  beiden  Seiten  aufgestellt,  vier  Sonne  neben  dem 
Vater,  sieben  Tochter  neben  der  Mutter.  Die  Gesichter  sind  weder 
anziehend  noch  hiibsch,  aber  voll  verwegener  Kiihnheit,  selbst  bei 
den  Madchen  erkennt  man  die  Zugehorigkeit  zu  einem  Geschlecht 
riicksichtsloser  Tyrannen,  das  noch  nicht  durch  Luxus  und  Sitten- 
verderbnis  gebrochen  ist.  Die  Portrats  sind  ausgezeichnet,  in  jedem 
Gesicht  tritt  der  Familientypus  unverkennbar  zutage.  Alle  Gestalten 
unterscheiden  sich  durch  ihren  Realismus  von  dem  sanften,  milden 
Madonnenantlitz,  dem  reizenden  Bambino  und  den  beiden  Engel- 
chen,  die  zu  Haupten  des  Thrones  Flote  spielen.  Auffallend  wirkt 
das  Zwiespaltige,  mit  dem  der  Kunstler  seinen  Gegenstand  behandelt 
hat:  die  Bentivoglio  und  die  gottlichen  Gestalten  sind  ganz  ver- 
schieden  aufgefaBt.    Bei  den  ersten  zeigt  er  sich  als  der  unverkenn- 

32* 


500  FUNFZEHNTES   KAPITEL 

bare  Abkommling  der  ferraresischen  Schule,  bei  den  zweiten  macht 
sich  der  EinfluB  der  Bolognesen,  namentlich  Francesco  Francias, 
geltend.  Ubrigens  ist  im  ganzen  Bild,  in  dem  kostbaren  mit  Schnitz- 
werk,  Ornament  und  Statuetten  verzierten  Thron,  in  den  stolzen 
Brokatgewandern  der  Bentivoglio  der  Hofmaler  der  Este  unver- 
kennbar. 

Dieses  Fresko  ist  das  Werk  des  Ferraresen  Lorenzo  Costa,  eines 
der  markantesten  Vertreter  der  ferraresischen  Schule  aus  dem  Ende 
des  XV.  Jahrhunderts.  Lorenzo  ist  1460  in  Ferrara  geboren  und 
1535  in  Mantua  als  Fiinfundsiebzigjahriger  gestorben.  Er  hat  sich 
unter  dem  EinfluB  von  Tura,  Francesco  Cossa  und  Ercole  Roberti  ent- 
wickelt,  aber  noch  als  Knabe  ist  er  nach  Florenz  gegangen,  wo  be- 
sonders  Benozzo  Gozzoli  auf  ihn  eingewirkt  haben  soil.  Nach  seiner 
Ruckkehr  in  Ferrara  begann  er  wie  die  meisten  dortigen  Maler  da- 
mit,  Portrats  der  Este  und  der  hofischen  Beriihmtheiten  zu  malen, 
darunter  war  auch  Tito  Strozzi. 

Leider  befindet  sich  heute  kein  einzigesWerk  von  Costa  in  Ferrara, 
sie  sind  in  den  verschiedensten  Museen  und  Sammlungen  verstreut. 
Die  groBeren  Freskenwerke  des  Kiinstlers  sind,  abgesehen  von  jenen 
in  San  Giacomo  Maggiore,  fast  samtlich  untergegangen.  Namentlich 
erlagen  diesemGeschick  die  Fresken,  die  Costa  zusammen  mit  einigen 
anderen  Kiinstlern  in  den  Parterrezimmern  des  Palazzo  Bentivoglio 
geschaffen  hat,  Szenen  aus  den  Perserkriegen  und  dem  Brand  von 
Troja.  Diese  Kompositionen  haben  nur  kurze  Zeit  bestanden,  sie 
wurden  vom  Volk  zerstort,  als  es  1506  das  Tyrannennest  ausgehoben 
hat,  damals  als  Bologna  in  Julius'  II.  Hande  gefallen  war.  In  der  Ka- 
pelle  der  Bentivoglio  haben  sich  dagegen  noch  zwei  Fresken  von  1490 
erhalten,  es  sind  die  damals  beliebten  ,,Trionfi",  dekorative  Fest- 
zuge  mit  prachtvollen  Wagen,  Pferden,  schon  gekleideten  Gestalten, 
in  denen  rdmische  Reminiszenzen  lebendig  sind.  Im  ,, Triumph  des 
Ruhmes"  ziehen  Elefanten  den  Triumphwagen,  im  ,, Triumph  des 
Todes"  sind  Biif  fel  vorgespannt.  Der  gut  gruppierte  Zug  hat  interessante 
Einzelheiten,  wirkt  aber  etwas  steif  und  kalt ;  das  war  bei  diesem Moti v, 
das  den  Kiinstler  durch  seine  klassischen  Formeln  gebunden  hat,  frei- 
lich  kaum  zu  vermeiden.  In  derselben  Kapelle  befindet  sich  auch  eine 
durch  Restaurierung  sehr  verdorbene  Landschaft  von  Costa,  die  einer 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH  501 

Terracotta  von  Niccolo  dell'Arca  —  Bentivoglio  I.  zu  Pferde  —  als 
Hintergrund  dient.  Auch  die  Liinetten  enthalten  iibermalte  Bilder 
des  Kiinstlers,  die  nur  wenig  uber  seine  Bedeutung  aussagen. 

In  der  Pinakothek  zu  Bologna  gibt  es  noch  einige  schwachere 
Bilder  von  Costa,  die  aus  verschiedenen  Kirchen  stammen,  seine  be- 
ruhmtesten  Altarbilder  befinden  sich  in  San  Petronio  und  in  San 
Giovanni  in  Monte.  Das  Bild  in  San  Petronio,  in  der  Kapelle  Bac- 
ciochi  stammt  aus  dem  Jahre  1492  und  zeigt  auf  goldenem  Hinter- 
grund eine  Madonna  mit  dem  Jesuskind.  Zu  den  FiiBen  des  Thrones 
sitzen  die  h.  Jacobus  und  Hieronymus,  zu  beiden  Seiten  stehen  Se- 
bastian und  Georg.  In  der  Kapelle  Vazelli  zu  San  Petronio  befindet 
sich  eineVerkundigung  von  Costa,  die  vielleicht  noch  deutlicher  als  die 
Madonna  Bacciochi  Cosimo  Turas  EinfluB  verrat.  Die  Maria  wirkt 
wie  ein  ferraresisches  Landmadchen,  der  Engel  ist  von  feierlicher 
Strenge,  ohne  idealisiert  zu  sein.  Ich  schlieBe  mich  dem  Urteil 
Gruyers  an,  der  das  Bild  Costa  zuschreibt,  wahrend  es  nach  Friz- 
zoni  ein  Werk  von  Francia  ist.  Die  Spuren  von  Francias  EinfluB  sind 
in  Costas  Bildern  nicht  eben  seiten.  Als  sich  Costa  1483  in  Bologna 
niederlieB,  war  Francia  fast  ausschlieBlich  als  Goldschmied  tatig 
und  gait  auch  in  den  ersten  Jahren  von  Costas  Wirksamkeit  in 
Bologna  noch  in  der  Hauptsache  als  solcher.  Die  beiden  Kiinstler 
traten  einander  naher  und  haben  1490  eine  Schule  begriindet,  in  der 
Francia  im  Parterre  im  Goldschmiedehandwerk  und  im  Schlagen 
von  Medaillen  unterwies,  wahrend  Costa  im  ersten  Stock  die  Maler 
ausgebildet  hat.  Die  Schule  hatte  groBen  Erfolg  und  brachte  es 
bis  zu  zweihundertzwanzig  Schiilern.  Obgleich  sich  Francia  zu- 
erst  hauptsachlich  als  Goldschmied  betatigt  hat,  hat  er  Costa,  als 
er  sich  der  Malerei  zuwandte,  sehr  bald  uberfliigelt,  und  Costa  geriet 
bald  unter  seinen  EinfluB. 

Costa  hat  zusammen  mit  Francia  an  einem  von  Antonio  Galeazzo 
Bentivoglio  bestellten  Altarbild  in  der  Kirche  della  Misericordia  in 
Bologna  gearbeitet.  Francia  hat  das  Hauptbild,  die  Anbetung  des 
Christkindes,  gemait  (in  der  Pinakothek  zu  Bologna)  und  Costa  die 
Predella  mit  der  Anbetung  der  Konige  abgetreten,  die  gegenwartig 
in  der  Brera  zu  Mailand  hangt.  Bentivoglio  hat  diesen  Altar  so  hoch 
geschatzt,  daB  er  ihn  bei  seiner  Flucht  aus  Bologna  1506  mitnahm. 


502  FUNFZEHNTES  KAPITEL 

Erst  1816  ist  das  Hauptbild  nach  Bologna  zuriickgekommen, 
wahrend  die  Predella  in  Mailand  verblieb. 

Auch  im  Oratorium  der  Cecilia  zu  Bologna,  mit  den  beriihmten 
Fresken  aus  dem  Leben  der  Heiligen  und  des  h.  Valerian,  be- 
finden  sich  zwei  Kompositionen  von  Costa:  die  Bekehrung  des 
Valerian  und  Cecilia  Almosen  verteilend.  Diese  Bilder  sind  zwar 
an  Qualitat  mit  den  Fresken  von  Francia  nicht  zu  vergleichen, 
zeichnen  sich  aber  durch  den  landschaftlichen  Hintergrund  aus. 

In  der  Kirche  San  Giovanni  in  Monte  befinden  sich  zwei  Bilder 
des  Kiinstlers,  eine  Marienkronung  und  eine  Madonna  mit  vier 
Heiligen;  die  letztere  gehort  zu  Costas  schonsten  Bildern. 

Lorenzo  war  in  Bologna  eine  so  einfluBreiche  Personlichkeit, 
daB  er  1503  in  die  acht  Mitglieder  zahlende  Deputation  gewahlt 
wurde,  die  nach  Rom  ging,  um  den  neu  gewahlten  Papst  Pius  III. 
zu  begriiBen.  Anstatt  der  BegriiBung  konnte  die  Gesandtschaft  am 
Begrabnis  des  eben  verstorbenen  Papstes  teilnehmen,  und  blieb  in 
Rom  bis  zur  Wahl  Julius'  II.,  um  dem  neuen  Papst  zu  huldigen. 

Von  den  Bildern,  die  Costa  wahrend  seines  Aufenthalts  in  Bo- 
logna geschaffen  hat,  sind  heute  nur  noch  wenige  mit  absoluter 
Sicherheit  zu  bestimmen.  In  Bologna  hat  er  bis  1506,  spatestens 
1507,  gelebt;  nach  Mantegnas  Tod  wurde  er  von  Isabella  d'Este  nach 
Mantua  berufen.  Da  Mantegna  einen  Monat  vor  der  Vertreibung 
der  Bentivoglio  aus  Bologna  gestorben  war,  muBte  es  Costa 
sehr  daran  liegen,  an  einen  anderen  Hof  berufen  zu  werden,  da  er 
in  Bologna  seine  Protektoren  verloren  hatte  und  Julius  II.  natur- 
gemaB  andere  Absichten  hatte,  als  die  Kiinstler  der  eroberten  Stadt 
zu  beschaftigen. 

Costa  muB  damals  ein  sehr  angesehener  Kiinstler  gewesen 
sein,  da  Gonzaga  ihm  eine  Pension  von  sechshundert  neunund- 
sechzig  Lire  bewilligte,  und  ihm  ein  Haus  in  Mantua  zu  eigen  gab; 
im  Dekret,  in  dem  er  ihn  zu  seinem  Hofmaler  ernennt,  heiBt  es  mit 
der  damals  iiblichen  Ubertreibung,  es  gabe  in  Italien  keinen  ihm  zu 
vergleichenden  Kiinstler.  Spater  hat  der  Herzog  ihm  in  einer  da- 
mals selten  vorkommenden,  groBmutigen  Anwandlung  zwolf- 
tausend  Taler  und  zweihundert  Morgen  Land  geschenkt;  es  ist  dies 
vielleicht  weniger  dem  Talent  des  Kiinstlers  als  seinen  gesellschaft- 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH  503 

lichen  Vorziigen  zuzuschreiben,  Costa  hatte  auBerordentlich  ange- 
nehrne  Umgangsformen  und  erfreute  sich  vieler  Sympathien  bei 
Hofe. 

Unmittelbar  nach  seiner  Ankunft  in  Mantua  hat  Costa  zu 
Mantegnas  Triumphziigen  zwei  neue  Bilder  hinzugefugt.  Wahrend 
Mantegna  streng  sachlich  nur  den  antiken  Helden  gefeiert  hat, 
hat  Costa  auf  das  hofische  Kompliment  nicht  verzichtet.  Neben 
dem  Triumph  des  antiken  Helden  sollten  die  Triumphe  der  Gon- 
zaga  angebracht  werden.  Um  die  groBe  Vergangenheit  mit  der 
sehr  bescheidenen  Gegenwart  zu  verbinden,  hat  er  zur  Ver- 
lierrlichung  des  Markgrafen  ein  heidniF.ches  Fest  zu  Ehren  von 
Herkules  gewahlt;  Francesco  Gonzaga  und  seine  drei  Sonne  Fede- 
rigo,  Ercole  und  Ferdinando  spielten,  von  Hoflingen  umgeben, 
darin  eine  bedeutsame  Rolle.  Im  zweiten,  viel  spater  entstandenen 
Bilde,  war  Federigo  im  Kreise  von  Freunden  und  Hoflingen  dar- 
gestellt,  als  Anfiihrer  der  kirchlichen  Armee  mit  dem  Feldherrn- 
stab  in  der  Hand,  den  ihm  Leo  X.  1521  anvrtraut  hat.  Auch  in 
Costas  Fresken,  im  Palazzo  Pusterla,  gingen  Gegenwart  und 
Reminiszenzen  aus  der  klassischen  Welt  eine  seltsame  Verbindung 
eiri.  So  sah  man  auf  der  einen  Wand  die  Markgrafin  Isabella, 
Laute  spielend,  von  Hofdamen  umgeben,  wohl  ihr  musikalischer 
,,Triumph",  auf  der  gegeniiberliegenden  Wand  eine  mythologische 
Szene:  Latona,  die  Bauern,  die  ihr  die  Quelle  triibten,  in  Frosche 
verwandelnd,  daneben  Francesco  Gonzaga,  von  Herkules  auf 
dornigem  Pfad  zur  Ewigkeit  geleitet.  Damit  auch  die  Gegenwart 
zu  ihrem  Rechte  komme,  lieB  sich  der  Markgraf  auf  einer  anderen 
Wand  mit  dem  Feldherrnstab  der  romischen  Kirche  malen,  auf  einem 
Piedestal  stehend,  damit  die  Hoflinge  ihn  um  so  besser  bewundern 
konnten.  In  den  iibrigen  Fresken  muBte  sich  Coriolan  mit  dem 
h.  Sebastian  und  Johannes  vertragen.  Leider  sind  all  die  Fresken,  die 
fur  die  damalige  Auffassung  so  bezeichnend  sind  und  die  Bild- 
nisse  der  wesentlichsten  Personlichkeiten  des  mantuanischen 
Hofes  enthielten,  1630  wahrend  der  Belagerung  von  Mantua  unter- 
gegangen. 

Aus  Isabellas  kleinen  mit  raffiniertem  Geschmack  eingerich- 
teten  Zimmern,  die  sie  ihr  ,,Paradiso"   nannte,   hat  sich  ein  Bild 


504 


FUNFZEHNTES  KAPITEL 


von  Costa  erhalten,  das  sich  heute  im  Louvre  befindet.  Costa  hat 
es  jedenfalls  nach  den  Vorschriften  der  Markgrafin  fur  das  ,,Studiolo" 
geschaffen,  das  Isabella  mit  besonderer  Sorgfalt  eingerichtet  hat 
und  das  sie  mit  Bildern  von  Mantegna,  Perugino  und  Giovanni 
Bellini  schmucken  wollte.  Fiinf  dieser  Bilder  befinden  sich  heute 
im  Louvre,  darunter  zwei  allegorische  Kompositionen  von  Costa; 
die  eine  davon  ist  vcn  geringerem  Wert  und  sehr  zerstdrt.  Das 
Hauptbild  soil  nach  den  Deutungen  von  Yriarte  und  Gustave 
Gruyer  Isabellas  Hof  allegorisieren.  Im  Hintergrund  eine  durch 
einen  FluB  belebte  Landschaft,  prachtvolle  Baume  beschatten  die 
Hauptgruppe  der  Frauen,  hinter  dem  FluB  ragen  Hiigel  und 
Felsen.  Yriarte  und  Gruyer  wollten  zwei  Portrats  in  diesem  Bild 
erkennen:  Isabella  in  der  von  Amor  gekronten  Frau,  wahrend 
Baldassare  Castiglione  der  Ritter  sein  soil,  der  die  Hydra  erlegt. 
Gegen  diese  allzu  kiihne  Deutung  hat  sich  A.  Lucio1)  gewandt, 
er  beweist,  daB  dieses  Bild  ein  Gegenstuck  zu  Mantegnas  ParnaB, 
zu  seinem  Sieg  der  Tugend  uber  die  Laster  und  zu  Peruginos 
Kampf  der  Liebe  und  der  Keuschheit  bildet,  zu  Kompositionen,  die 
auf  Isabellas  Bestellung  entstanden  sind,  fur  die  den  Kiinstlern  auBer 
dem  von  Isabellas  Humanisten  ausgekliigelten  Thema  auch  die  MaBe 
vorgeschrieben  waren,  damit  sie  in  die  Wande  des  Studiolo  ein- 
gelassen  werden  konnten.  Die  Bilder  waren  durchaus  allegorisch, 
das  in  Frage  stehende  gehorte  zu  den  damals  modernen  ,,Trionfi" 
und  konnte  ein  ,, Triumph  der  Liebe"  sein.  Die  von  Amor  gekronte 
Gestalt  befindet  sich  auf  dem  zweiten  Plan  und  tragt  durchaus 
keine  individuellen  Ziige;  Isabellas  Portrat  auf  diesem  Bilde  stande 
an  erster  Stelle,  und  der  Kunstler  hatte  sein  Bestes  getan,  um 
sie  so  ahnlich  wie  moglich  zu  machen.  Auch  der  Ritter  kann 
nicht  Castiglione  sein,  da  gerade  wahrend  Costa  sein  Bild  malte, 
der  Verfasser  des  ,,Cortegiano"  in  Ungnade  bei  Gonzaga  war  und 
selbst  nicht  ohne  Lebensgefahr  die  mantuanische  Grenze  iiber- 
schreiten  durfte.  Lucios  Beweise  sind  so  iiberzeugend,  daB  man 
das  Bild,  das  offiziell  ,,La  Cour  d'Isabelle  d'Este"  benannt  wird, 
durchaus  nicht  als  Portrat  betrachten  darf,  da  es  zu  den  streng  alle- 
gorischen  Bildern  gehort. 

*)  A.  Lucio,  I  Ritratti  d'  Isabella  d'  Este.   Emporium,  maggio  1900. 


LORENZO  COSTA:  S.  S.  PETRONIO,  FRANCESCO  E  TOMMASO 
BOLOGNA,  PINAKOTHEK 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH  505 

In  Mantua  hat  sich  nur  in  der  Kirche  S.  Andrea  ein  Bild  von 
Costa  erhalten.  Es  stammt  aus  der  heute  zerstdrten  Sylvesterkirche, 
in  der  auch  Costa  beigesetzt  war.  Auf  diesem  sehr  restaurierten 
Bild  empfehlen  der  h.  Sylvester  und  einige  andere  Heilige  der  Ma- 
donna die  Bevolkerung  von  Mantua.  Das  Bild  ist  1525  entstanden 
und  soil  Costas  letztes  Werk  sein. 

Weitere  Bilder  von  Costa  befinden  sich  im  Pitti  in  Florenz:  das 
Portrat  eines  etwa  fiinfzigjahrigen  Mannes,  und  im  Kaiser  Friedrich- 
Museum  zu  Berlin:  ein  toter  Christus,  von  Maria,  Johannes  und 
Nikodemus  beweint.  1535  starb  Costa  zu  Mantua,  er  hat  infolge  einer 
schweren  Krankheit  etwa  zehn  Jahre  vor  seinem  Tode  zu  malen 
aufgehcrt.  Seine  bekanntesten  Schiiler  sind  Dossi  und  Garofalo, 
auch  Lodovico  Mazzolini  und  Michele  Coltellini  haben  wahrschein- 
lich  bei  ihm  gelernt. 

Man  erzahlt  von  einem  seiner  Schiiler  Niccoluccio  aus  Kala- 
brien,  daB  er  den  Meister  habe  ermorden  wollen.  Costa  hat  auf 
einem  seiner  Bilder  dem  Hofnarrn  von  Francesco  II.  Niccoluccios 
Ziige  gegeben.  Fur  diesen  Spott  hat  Niccoluccio  Rache  nehmen  wollen. 
Als  er  zusammen  mit  dem  Lehrer  auf  einem  Geriist  gemalt  hat, 
warf  er  sich  plotzlich  mit  dem  Dolch  auf  Costa,  die  schwachen 
Bretter  gaben  bei  dieser  Erschiitterung  nach,  das  Geriist  brach  zu- 
sammen und  die  Gegner  stiirzten  herunter.  Von  alien  Seiten  kamen 
Menschen  bei  dem  furchtbaren  Gepolter;  Niccoluccio  fliichtete  un- 
bemerkt  und  kam  nicht  wieder  nach  Mantua,  aus  Furcht  vor  der 
Strafe  des  Markgrafen. 

VII 

Von  einem  andern,  Costa  in  manchem  verwandten  Kiinstler, 
dessen  Werke  sich  durch  ihre  schonen  Farben  und  eine  gewisse 
idyllische  Note  auszeichnen,  haben  sich  mehrere  Bilder  in  Ferrara 
erhalten.  Es  ist  Ercole  Grandi  di  Giulio  Cesare  (geb.  um  1462,  gest. 
1535),  ein  Ferrarese  und  Freund  von  Costa,  mit  dem  er  haufig  zusam- 
men gearbeitet  hat.  Er  war  eine  Zeit  hindurch  in  Bologna,  hat  aber 
zumeist  in  Ferrara  gelebt.  In  den  Jahren  1495  und  1496  erhielt  er 
als  Anzahlung  auf  seine  Arbeiten  von  der  groBherzoglichen  Kammer 


5o6  fOnfzehntes  kapitel 

acht  Ellen  griinen,  zwei  Ellen  blauen  Atlas,  fiinf  Ellen  schwarzen 
Damast  und  fiinf  Ellen  schwarzes  Tuch.  Er  verstand  zu  reprasen- 
tieren  und  bei  den  Hoffestlichkeiten  eine  Rolle  zu  spielen.  Er  war 
auch  als  Architekt  tatig,  und  Ferrara  besitzt  einige  nach  seinem 
Entwurf  ausgefiihrte  Kirchen  und  Profanbauten.  Die  Pilaster  am 
Palazzo  de'  Diamanti  gehen  wahrscheinlich  auf  ihn  zuriick. 

In  der  Pinakothek  zu  Ferrara  befinden  sich  eine  Grablegung 
und  eine  Geburt  Christi,  die  ebenso  wie  das  Martyrium  des  h.  Se- 
bastian und  Maria  von  Agypten,  in  der  gleichen  Galerie,  Erco'ie  init 
Unrecht  zugeschrieben  werden.  Dagegen  sind  sowohl  Morelli  als 
auch  Venturi  der  Ansicht,  daB  die  Fresken  in  Palazzo  Scrofa  Cal- 
cagnini  zu  Ferrara,  die  bisher  Garofalo  zugeschrieben  wurden, 
Grandis  Werk  sind.  Eines  der  besten  Werke  von  Ercole  hangt 
in  der  National- Galery  in  London:  eine  thronende  Maria  mit 
dem  Kind,  das  den  Beschauer  segnet.  Den  Thron  umgeben  der 
h.  Wilhelm  und  Johannes  der  Taufer.  Vom  durchdringenden 
Ernst  dieser  Gestalten  hebt  sich  der  kleine  Jesusknabe  in  seinem 
Liebreiz  ab;  es  ist  eine  auBerordentlich  gelungene  Schoofung.  Das 
Bild  ist  reich  mit  Ornamenten  geschmiickt. 

Zu  Grandis  beglaubigten  Bildern  gehoren  ferner  ein  Georg  als 
Drachentoter  in  der  Galerie  Corsini  in  Rom,  das  Portrat  einer  hiib- 
schen  jungen  Frau  in  der  Capitolinischen  Sammlung,  friiher  Gio- 
vanni Bellini  zugeschrieben  und  einige  zusammengehorige  biblische 
Darstellungen  in  Bergamo,  bei  Lady  Layard  in  Venedig  usw. 

Grandi  in  seiner  Malweise  verwandt  war  Pellegrino  Aretusi  da 
Modena,  Pellegrino  Munari  benannt  (gest.  1523).  Er  gait  in  seiner 
Jugend  in  Modena  als  ,,giovane  bello  e  degno  in  la  pictura"  und 
war  der  Verlobte  der  schdnen  Cassandra  Calori.  Er  hat  unter  Rafr 
faels  Leitung  in  den  Loggien  des  Vatikans  gearbeitet;  nach  seiner 
Riickkehr  in  Modena  hat  ihn  ein  trauriges  Geschick  ereilt.  Sein  Sohn 
hat  auf  der  StraBe  mit  der  Hellebarde  den  jungen  Giuliano  di  Bastardi 
erschlagen.  Der  Kiinstler  lief,  als  sich  diese  Nachricht  verbreitete, 
auf  die  StraBe;  da  die  Verwandten  des  Getdteten  den  Morder,  der  die 
Flucht  ergriffen  hatte,  nicht  sahen,  warfen  sie  sich  auf  den  un- 
schuldigen  Pellegrino;  einige  Stunden  spater  erlag  er  den  ihm  zu- 
gefiigten  Wunden. 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH  507 

Zu  Lorenzo  Costas  Schiilern  soil  auch  ein  eigenartiger  Kiinstler, 
Lodovico  Mazzolini  (geb.  um  1478,  gest.  um  1528),  gehort  haben. 
Fiir  den  ferraresischen  Hof  war  er  viel  beschaftigt.  Er  hat  Lu- 
crezia  Borgias  Raume  im  Kastell  geschmiickt,  fiir  den  Kardinal 
Ippolito  II.  und  in  der  SchloBkapelle  gemalt.  Eines  seiner  besten 
Werke:  Christus  im  Tempel  lehrend,  befindet  sich  im  Kaiser- 
Friedrich-Museum  zu  Berlin.  Die  Manner,  die  sich  um  den  Knaben 
drangen,  und  die  Zuschauer  auf  der  Galerie  sind  auBerordent- 
lich  charakteristische  Gestalten.  Sein  Dresdner  Bild:  eine  Schau- 
stellung  Christi,  verrat  viel  Kraft,  die  Volkstypen  sind  sehr  ener- 
gisch  aufgefaBt.  In  der  Galerie  zu  Wien  befindet  sich  seine  Be- 
schneidung  und  in  der  dortigen  Akademie  seine  Madonna  mit  dem 
Christuskind  und  dem  h.  Hieronymus. 

Auch  die  Anbetung  des  Kindes  in  der  Pinakothek  zu  Ferrara 
ist  der  Erwahnung  wert.  In  der  Mitte  des  Bildes  stiitzen  zwei 
Engel  das  Jesuskind,  wahrend  Maria  mit  gefalteten  Handen  da- 
vor  kniet.  Auch  die  Heiligen  Alberic,  Bernhard  und  Joseph  nehmen 
an  der  Anbetung  teil;  Ochs  und  Esel,  die  legendarischen  Tiere, 
fehlen  nicht,  im  Hintergrund  wird  eine  hiibsche  Landschaft  sichtbar. 
In  Rom  in  den  Galerien  Borghese,  Doria  und  Chigi  befinden  sich 
mehrere  Bilder  von  Mazzolini. 


VIII 

Wahrend  unter  Borso  und  Ercole  I.  die  ferraresische  Malerei 
unter  dem  EinfluB  von  Mantegna,  Bellini  und  Piero  della 
Francesca  stand,  erlag  sie  in  der  ersten  Halfte  des  XVI.  Jahrhunderts 
dem  Reiz  von  Giorgione  und  Tizian.  Zwar  verlor  sie  ihr  individuelles 
Geprage  nicht,  aber  sie  suchte  sich  besonders  die  Farbenwirkungen 
der  venezianischen  GroBmeister  anzueignen. 

Tizian  war  viermal  in  Ferrara,  zum  erstenmal  unter  Alfonso  I., 
vom  13.  Februar  bis  Ende  Marz  151 6.  Er  und  seine  beiden  Gehilfen 
wurden  im  SchloB  untergebracht,  aus  der  herzoglichen  Kiiche 
wurden  ihnen  Lebensmittel  geschickt:  gesalzenes  Fleisch,  Salat, 
Ol,   Kastanien,   Orangen,    Kase  und  fiinf  MaB  Wein  wochentlich. 


5o8  fUnfzehntes  kapitel 

Alfonso  hatte  den  Kiinstler  nach  Ferrara  berufen,  damit  er  das 
Bacchanal  beende,  ein  von  Bellini  angefangenes  Bild,  das  er  infolge 
seines  hohen  Alters  nicht  mehr  hatte  vollenden  konnen.  Es  war 
fur  das  herzogliche  Studio  bestimmt.  Die  Figuren  waren  samtlich 
fertig,  Tizian  hatte  nur  noch  die  Landschaft  im  Hintergrund  zu 
malen  und  wahlte  eine  Ansicht  seines  geliebten  Cadore.  Alfonso 
wollte  sich  mit  dem  einen  Bild  nicht  zufrieden  geben,  er  bestellte 
ihm  noch  mehrere  andere,  die  Tizian  jedoch  nicht  mehr  in  Ferrara 
ausfiihren  konnte,  da  er  in  Venedig  erwartet  wurde.  Der  Herzog  lieB 
ihn  fort,  empfahl  aber  seinem  Gesandten  Thebaldi,  ein  Auge  auf  den 
jungen  Kiinstler  zu  haben,  da  er  sein  Talent  sehr  schatze  und  die 
Bilder  moglichst  schnell  haben  wolle.  Tizian  war  damals  nicht  so 
beriihmt  wie  zwei  Jahre  darauf  nach  der  Fertigstellung  seiner  As- 
sunta  fiir  Santa  Maria  dei  Frari;  Alfonso  belastigte  ihn  mit  den  ver- 
schiedensten  Auftragen,  er  befahl  ihm  antike  Statuen  fiir  ihn  zu 
besorgen,  —  ein  Bronzepferd  wird  besonders  erwahnt  —  lieB  ihn 
Modelle  fiir  Glasgegenstande  zeichnen,  den  GuB  in  Murano  beauf- 
sichtigen,  ja  er  muBte  selbst  bei  der  Verpackung  zugegen  sein,  damit 
die  Sachen  in  gutem  Zustand  ankamen.  Tizian  sollte  dem  Herzog 
tiichtige  Arbeiter  fiir  seine  Fayencefabrik  besorgen,  mit  den  Rahmen- 
verfertigern  und  Vergoldern  verhandeln  und  der  kiinstlerische  Ver- 
mittler  des  Herzogs  in  Venedig  sein.  Auch  als  Maler  sollte  er  sich 
fiir  den  Herzog  betatigen;  Alfonso  bestellte  ihm  drei  Bilder  fiir  sein 
Studio,  das  er  mit  Gestalten,  die  von  Lebenslust  iiberschaumten, 
geschmiickt  haben  wollte.  Namentlich  um  das  Bacchanal,  fiir 
das  Tizian  ein  bis  in  alle  Einzelheiten  ausgearbeitetes  Programm 
bekommen  hatte,  war  es  dem  Herzog  zu  tun.  Tizian  war  jedoch 
seit  der  Assunta  so  sehr  mit  Auftragen  iiberhauft,  daB  er  nicht  alien 
Wiinschen  gerecht  werden  konnte.  Der  Rat  der  Zehn  drohte  ihm 
sogar  mit  schweren  Geldstrafen,  da  sein  Bild  in  der  Sala  del  Maggior 
Consiglio  nicht  fertig  wurde,  und  Alfonso  ziirnte  ihm  in  an  Thebaldi 
gerichteten  Briefen  und  sparte  mit  unangenehmen  Worten  nicht. 
Mit  dem  wachsenden  Ruhm  des  Meisters  stieg  das  Verlangen  des 
Herzogs  nach  seinen  Bildern,  und  als  ihm  der  Kiinstler  1525  das 
Bacchanal  und  Bacchus  und  Ariadne  schickte,  war  die  Freude  in 
Ferrara  sehr  groB.     Gerade  damals  waren  Philostrats  Werke  bei 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH 


509 


Aldo  Manuzio  erschienen.  Die  Gelehrten,  in  deren  Gesellschaft 
Tizian  verkehrte,  iiberredeten  ihn,  eine  der  farbigen  und  reizvollen 
Schilderungen  des  alten  Verfassers  als  Motiv  fur  ein  Bild  zu  wahlen. 
So  entstand  das  dritte  Bild  fur  Alfonsos  Studio:  das  Venusfest  — 
ein  Kranz  entziickender  Kindergestalten,  die  von  Leben  und 
Kraft  iiberschaumen.  Als  die  Spanier  dies  Bild  spater  aus  Ita- 
lien  fortschleppten,  hat  Domenichino  den  Vizekonig  von  Neapel 
gebeten,  es  noch  einmal  betrachten  zu  diirfen;  als  ihm  beim  An- 
blick  des  Bildes  zum  BewuBtsein  kam,  daB  Italien  es  fur  immer  ver- 
liere,  brach  er  in  Tranen  aus.  Tizians  Werke  wurden  spater  von 
Karl  V.  so  sehr  geschatzt,  daB  der  Kaiser  den  italienischen  Fiirsten 
Gnadenbeweise  dafiir  verkaufte.  Damals  muBte  Alfonso  schweren 
Herzens  sein  Studio  pliindern,  um  die  Laune  des  spanischen  Des- 
poten  zu  befriedigen.  Alles,  was  dem  kaiserlichen  Agenten  gefiel, 
wurde  nach  Spanien  geschickt,  Ferrara  muBte  mehrere  Werke 
von  Tizian  hergeben:  die  prachtvollen  Portrats  von  Alfonso  I., 
Karl  V.,  Ercole  II.,  eine  Judith,  eine  Madonna,  einen  h.  Michael. 
Alfonso  trauerte  seinem  eignen  Bildnis  am  meisten  nach,  da  es 
zu  den  Meisterwerken  des  groBen  Venezianers  gehorte. 

Ehe  die  Spanier  das  herzogliche  Studio  gepliindert  hatten,  gait 
es  den  dortigen  Malern  als  kostbarstes  Museum;  dort  konnten  sie 
Tizians  Farben  und  seinen  malerischen  Elan  studieren,  und  die  neue 
Richtung  der  ferraresischen  Schule  hat  dort  ihren  Ursprung  ge- 
nommen.  An  der  Spitze  jener,  die  am  meisten  bei  den  Venezianern 
gelernt  haben,  standen  die  beiden  Bruder  Lutero,  Dossi  benannt. 
Der  altere  Giovanni  (1479? — 1542)  war  das  starkere  Talent,  aber 
auch  der  jiingere  Battista  (gest.  1549)  war  sehr  begabt.  Sie  arbei- 
teten  meist  zusammen,  trotz  des  intensiven  Hasses,  der  zwischen 
ihnen  herrschte.  Der  jiingere,  ein  eifersiichtiger,  neidischer  Cha- 
rakter,  neidete  Giovanni  seine  starkere  Begabung  und  seine  groBeren 
Erfolge,  dazu  kam  sein  Zorn,  daB  der  Vater  testamentarisch  Gio- 
vanni mehr  als  ihm  vermacht  hatte.  Wenn  die  Bruder  zusammen 
arbeiteten,  sprachen  sie  nicht  zueinander,  sondern  verstandigten  sich 
durch  Zeichen  oder  schrieben  mit  Kohle  an  die  Wand,  was  sie  einan- 
der  zu  sagen  hatten.  Giovanni  gait  als  ein  heiterer,  liebenswurdiger 
Mensch  und  war  bei  Alfonso  gut  angeschrieben,  ,,per  essere  uomo 


5io 


fOnfzehntes  kapitel 


affabile  molto  e  piacevole".  Die  Dossi  scheinen  bei  Lorenzo  Costa 
gelernt  zu  haben ;  allmahlich  malte  Giovanni  in  der  Hauptsache  Figu- 
ren  und  Battista  Landschaften,  so  kam  es,  daB  sie  sich  in  ihren  Fres- 
ken  vorzuglich  erganzten  und  zusammen  arbeiteten.  Battista  malte 
auch  Figurliches,  besonders  auf  Bestellung  von  Laura  Dianti,  mit  der 
Alfonso  nach  Lucrezia  Borgias  Tod  ein  Liebesverhaltnis  unterhielt. 
Der  Herzog  lieB  fur  Laura  den  Palazzo  degli  Angeli  bauen,  und 
Battista  hat  ihn  wahrend  mehrerer  Jahre  von  innen  und  auBen  mit 
Fresken  geschmiickt.  In  einem  der  Sale  hat  er  auf  dem  Fries  die 
Inschrift  angebracht:  ,,unica  spes  m(ei)  n(ominis)",  jedenfalls 
auf  Alfonsos  Befehl,  der  sehr  an  Laura  hing.  Laura  ha.t  Battistas 
Talent  sehr  geschatzt,  und  als  sie  ihren  Sohn  Don  Alfonso  d'Este  mit 
Giulia  della  Rovere  verheiratete,  bestellte  sie  bei  Dcssi  vier  Bilder, 
die  fur  die  Raume  des  jungen  Paares  bestimmt  waren:  eine  Kleo- 
patra,  Venus  mit  sechs  Amorinen,  eine  Fortuna  und  einen  h.  Hiero- 
nymus  in  der  Wuste.  Battista  hatte  Motive  gewahlt,  die  einen  land- 
schaftlichen  Hintergrund  erforderten.  Doch  hat  er  auch  Portrats 
gemalt,  und  Laura  hat  ihm  nach  dem  Tode  des  Herzogs  ein  Bildnis 
von  Alfonso  I.  bestellt,  das  vorzuglich  gelungen  sein  soil.  Allmahlich 
wurde  Battista  der  Maler  Lauras,  ihres  Sohnes  Don  Alfonso  und 
ihres  Enkels  Alfonsino.  Gleich  den  alteren  ferraresischen  Kimstlern 
hat  er  auch  alle  dekorativen  Arbeiten  fur  sie  gemalt:  Lauras  Em- 
bleme  gezeichnet  —  Trompeten  und  eine  Sonne  auf  einem  Wagen 
ruhend,  —  so  gut  wie  Zaumzeug  fur  Pferde,  er  hat  Kartons  fiir 
Teppiche  entworfen  und  wahrend  des  Karnevals  Triumphwagen 
arrangiert.  Er  wurde  nicht  immer  mit  barem  Geld,  sondern  haufig 
auch  mit  Lebensmitteln  bezahlt,  bekam  Getreide,  Wein,  Bohnen, 
Weintrauben,  selbst  Schweine,  einmal  schenkte  ihm  Alfonsino 
einen  kunstlerisch  ausgefiihrten  Degengriff  aus  Elfenbein.  Auch 
bei  Ercole  II.  stand  Giovanni  in  Gunsten;  zum  feierlichen  Empfang 
von  Paul  III.  bemalte  er  einige  Triumphbogen,  das  Tor  San  Giorgio 
und  den  Ausgang  zum  Cortile  nuovo.  Als  der  Kiinstler  im  Jahre  1545 
schwer  erkrankte,  bewilligte  ihm  der  Herzog  eine  Unterstiitzung 
von  zehn  Dukaten  ,,per  puro  amore". 

Giovanni  Dossi,  gewohnlich  Dosso  Dossi  genannt,  ist  eine  viel 
ausgesprochenere  Personlichkeit.  Er  ist  so  sehr  vom  ritterlichen  Geist 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH  511 

des  estensischen  Hofes  und  namentlich  von  Ariosts  Dichtung  er- 
fiillt,  daB  er  in  vieler  Beziehung  gewissermaBen  die  Ideen  des  groBen 
Dichters  malerisch  umgesetzt  hat.  Einzelne  seiner  Bilder  wirken 
wie  Illustrationen  zum  Rasenden  Roland,  seine  Circe,  sein  David  mit 
dem  Haupt  Goliaths,  seine  diademgeschmuckte  Frau  in  rotem 
Mantel1)  in  den  Galerien  Borghese  und  Doria  zu  Rom  atmen  eine 
phantastisch-ritterliche  Atmosphare. 

Neben  weltlichen  hat  Giovanni  auch  viel  religiose  Bilder  gemalt, 
darunter  zeichnen  sich  besonders  zwei  Altarbilder  aus,  von  denen 
sich  das  eine  in  der  Pinakothek  zu  Ferrara,  das  andere  in  der  esten- 
sischen Galerie  zu  Modena  befindet.  Der  sechsteilige  Altar  in  Ferrara 
wurde  von  Antonio  Costabili  fur  die  Kirche  San  Andrea  bestellt. 
Auf  dem  Mittelbild  thront  die  Maria  mit  dem  Christuskind,  dem  sich 
der  Johannesknabe  anbetend  naht.  In  den  Wolken  schwingen 
Engel  einen  roten,  goldgestickten  Vorhang  iiber  dem  Thron.  Zu 
den  FiiBen  des  Thrones  sitzt  Johannes  d.  E.  mit  einem  Buch  auf  den 
Knien  und  betrachtet  die  Gruppe  der  rechts  stehenden  Andreas  und 
Hieronymus,  zu  denen  sich  ein  Mann  in  zeitgenossischer  Tracht 
mit  dem  Turban  auf  dem  Haupt  gesellt  hat.  Im  Hintergrund  eine 
Berglandschaft  mit  leuchtend  blauem  Himmel.  Der  Altar  hat  trotz 
zahlreicher  Restaurierungen  seine  schone,  an  Venedig  erinnernde 
Farbe  behalten.  Die  Gestalten  sind  von  ferraresischer  Energie.  Dies 
Werk  stammt  aus  Dossis  letzten  Lebensjahren;  nach  Aussage  des 
Chronisten  hat  sich  Battista  Dossi  beim  Anblick  des  prachtvollen 
Bildes  vor  Neid  nicht  zu  fassen  gewuBt  und  mit  Macht  versucht, 
die  Vollendung  zu  hintertreiben,  er  schrieb  dem  Bruder  auch  ano- 
nyme  Briefe,  die  ihn  veranlassen  sollten,  Ferrara  zu  verlassen  und 
seine  Arbeit  zu  unterbrechen. 

Ein  groBes  Altarbild  mit  einer  von  Engeln  umgebenen  Maria 
in  Wolken  hat  Dossi  fur  den  Dom  in  Modena  geschaffen.  In 
dieser  Kirche  befindet  sich  noch  Giovannis  ,,Geburt  Christi", 
die  Venturi  Battista  Dossi  zuschreibt.  Dieses  Bild  gait  stets  als 
Giovannis  Werk,  und  die  Abweichungen  im  Stil  und  in  der  Farbe 

*)  Im  alten  Katalog  der  Galerie  Doria  ist  dieses  Bild  als  Vanozza  Catanei 
▼erzeichnet,  was  ausgeschlossen  ist,  da  Dossi  zur  Zeit  ihres  Glanzes  noch 
nicht  gelebt  hat. 


512  FtlNFZEHNTES  KAPITEL 

sind  nicht  groB  genug,  um  ihm  dies  Bild  zu  nehmen.  Der  Tradition 
nach  sollen  die  vor  dem  Christuskind  knieenden  Manner  Alfonsos  I. 
und  Ercoles  II.  Zuge  tragen. 

Dossi  hat  wie  alle  ferraresischen  Maler  viel  Portrats  gemalt, 
einige  davon  befinden  sich  heute  in  Modena.  Besonders  gut  ist  ein 
Bildnis  von  Ercole  I.  im  Panzer,  die  Ahnlichkeit  mit  den  gleichzeitig 
geschlagenen  Medaillen  ist  unverkennbar.  Alfonsos  I.  Bildnis  in  der 
gleichen  Galerie  ist  unter  dem  EinfluB  des  Tizianschen,  das  Karl  V. 
nach  Spanien  mitgenommen  hat,  entstanden.  Alfonso  in  Wehr  und 
Waffen  stiitzt  sich  auf  eines  seiner  Geschiitze,  auf  die  er  so  stolz 
war;  der  Herzog  ist  wahrscheinlich  nach  der  Einnahme  von  Bastia 
dargestellt.  Links  sieht  man  eine  Festungsbriicke  mit  der  Fahne  der 
venezianischen  Republik,  rechts  den  Po  mit  venezianischen  Galeeren. 
Dossis  bestes  Werk  in  Modena  ist  das  Bild  eines  estensischen  Hof- 
narren,  dem  etwas  von  Velasquez'  Wucht  eignet.  An  Stelle  der 
Narrenschelle  hangt  ein  Goldstiick  an  der  Kappe,  die  Haare  fallen 
lang  auf  den  roten  Mantel  herunter,  in  den  Armen  halt  er  ein  Schaf. 
Im  Hintergrund  eine  Landschaft. 

Dossis  Ruhm  wuchs  schnell,  und  von  alien  Seiten  bemuhte  man 
sich  um  seine  Bilder.  Isabella  hat  ihn  1532  nach  Mantua  berufen, 
der  Kiinstler  hat  ihr  fur  den  Palazzo  San  Sebastiano  ein  Bild  mit 
elf  Gestalten  geschaffen,  das  leider  nicht  auf  uns  gekommen  ist. 
Auch  der  Herzog  von  Urbino,  Francesco  Maria  della  Rovere,  hat 
sein  SchloB  bei  Pesaro,  die  Villa  Imperiale,  die  als  eine  der  schonsten 
in  Italien  gegolten  hat,  von  Dossi  ausmalen  lassen.  Pietro  Bembo  hat 
sich  begeistert  dariiber  ausgesprochen ;  Bernardo  Tasso  hat  in  der  Villa 
Imperiale  als  Gast  Guidobaldos  II.  gelebt  und  dort  seinen  Amadigi 
vollendet.  An  den  Fresken  in  der  Villa  waren  tatig :  Girolamo  Genga, 
Francesco  Manzachi  da  Forli,  Raffaelino  del  Colle,  Bronzino,  Ca- 
millo  Mantovano  und  die  Dossi.  Vasari,  der  fur  die  Dossi  wenig 
iibrig  hat,  berichtet  ausfuhrlich  iiber  ihren  MiBerfolg  in  Pesaro. 
Nach  ihm  haben  beide  Briider  in  der  Villa  Imperiale  damit  be- 
gonnen,  alle  iibrigen  Bilder  schlecht  zu  machen,  ohne  jedoch  Bes- 
seres  zu  schaffen,  denn  ihre  Fresken  waren  so  schlecht,  daB  der 
Herzog  sie  ubermalen  lieB,  und  die  ganze  Arbeit  aufs  neue  Giro- 
lamo  Genga  iibertragen  hat.     Diese  Darstellung  ist  wenig  wahr- 


DOSSO  DOSSI:  VISION  DER  VIER  KIRCHENVATER 
DRESDEN,  GALERIE 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH 


513 


scheinlich,  denn  in  der  Villa  Imperiale  bef indent  sich  bis  auf  den  heu- 
tigen  Tag  Fresken,  die  den  Dossi  zugeschrieben  werden,  so  das  Bild 
des  Herzogs  Francesco  Maria,  der  vor  dem  venezianischen  Dogen 
kniet  und  von  ihm  angesichts  des  versammelten  Volkes  den  Herzogs- 
stab  entgegennimmt,  und  einige  von  Girlanden  iiberhangene  Land- 
schaften  im  gleichen  Saal.  Henry  Thode  schreibt  auch  die  Land- 
schaft  im  Hintergrund  der  Kronung  Karls  V.  dem  jiingeren  Dossi 
zu,  wahrend  die  Kronung  selbst  von  Genga  geschaffen  wurde.  Dossis 
Spuren  kann  man  auch  im  Saal  verfolgen,  dessen  Decke  mit  Ver- 
diiren  und  verstreuten  musikalischen  Instrumenten  versehen  ist, 
die  ein  Mittelbild  historischen  Inhalts  einfassen.  Schone  Frauen 
mit  nackten  Armen  tragen  das  Gewolbe,  in  den  Ecken  drangen  sich 
Putten,  die  Kronen  und  Eichenzweige  halten  oder  auf  Tafeln  die 
Namen  von  Francesco  und  Eleonora  schreiben.  Nur  die  Dossi, 
sagt  Gruyer,  die  Zeitgenossen  Ariosts,  konnten  diese  phantasti- 
schen  Zierate  ersinnen.  Der  Betrachtende  wird  an  die  Circe 
der  Galerie  Borghese  erinnert,  an  die  Teppiche  mit  den  Metamor- 
phosen  Ovids  und  die  Gobelins  in  Madrid  mit  den  Geschichten 
Vertumnus'  und  Pomonas,  die  sicherlich  nach  Zeichnungen  der  Dossi 
hergestellt  sind. 

Das  letzte  groBe  dekorative  Werk  der  Dossi  waren  die  Fresken 
im  bischof  lichen  Palast  zu  Trient.  1535  war  der  Bau  vollendet, 
die  Dossi  haben  bis  1539  dort  gearbeitet.  Die  Zimmer  im  ersten  Stock- 
werk  hat  Battista  mit  den  Ansichten  der  bedeutendsten  Stadte  und 
Schlosser  geschmiickt,  die  sich  im  Besitz  des  Bischofs  von  Trient 
befanden.  Als  das  Fiirstentum  Trient  aufgehoben  wurde,  wurde 
das  dortige  SchloB  zur  Kaserne  umgewandelt,  die  Fresken  sind 
untergegangen  und  nur  eine  kleine  Spur,  ein  Fresko  von  Giovanni 
hat  sich  erhalten.  Es  ist  eine  thronende  Maria,  der  ein  Heiliger  den 
Kardinal  Bernardo  Clesio  empfiehlt.  Clesio  hat  die  Dossi  nach 
Trient  berufen.  Der  bischofliche  Palast  hat  im  XVI.  Jahrhundert 
allgemeine  Bewunderung  erweckt.  Pier  Andrea  Mattioli  hat  ihn 
in  einem  Gedicht  besungen,  das  1539  in  Venedig  erschienen  ist: 
,,11  magno  palazzo  del  cardinale  di  Trento".  Battista  hat  noch  ein 
anderes  SchloB  an  der  Etsch  fur  die  Madrazzi  ausgemalt,  aber  diese 
Fresken  sind  samtlich  untergegangen. 

33 


514 


fOnfzehntes  kapitel 


Im  herzoglichen  Palast  zu  Ferrara  befinden  sich  noch  drei 
Fresken  von  Dossi:  eine  Ariadne  auf  einem  von  Tigern  gezogenen 
Wagen,  eine  Weinlese  und  der  Triumph  von  Bacchus  und  Ariadne. 
Die  nackten  Gestalten  sind  von  iibertriebenem  Realismus,  allein 
die  dekorativen  Zwecken  dienenden  Putten  haben  ihren  friiheren 
Reiz  behalten.  Am  besten  unter  all  diesen  Kompositionen  wirkt 
der  Fries  im  groBen  Saal  und  die  Fresken  im  kleinen  Raum,  der  auf 
die  Terrasse  miindet.  Im  Mittelbild  ist  eine  Weinlese  dargestellt. 
In  einer  norditalienischen,  bergigen  Herbstlandschaft  mit  leuchten- 
den  Weinreben,  die  sich  von  Baum  zu  Baum  ranken,  sitzt  eine  ein- 
fache  Frau  und  halt  einen  Becher,  nach  dem  ein  Kind  die  Arme 
ausstreckt.  Im  Bilde  herrscht  viel  Leben:  Frauen,  Kinder,  Satyrn 
und  Panisken  lesen  Weintrauben,  tragen  die  Frucht  zur  Kelter  und 
schleppen  Bottiche  herbei.  Die  meisten  Kunsthistoriker  schreiben 
die  Weinlese  Dossi  zu,  wahrend  man  uber  den  Urheber  der  iibrigen 
Fresken  im  Zwtifel  ist.  Diese  Frage  ist  heute  noch  ungelost,  wiirde 
jedoch  zur  Charakteristik  Dossis  nur  wenig  beitragen. 

Die  Briider  Dossi  haben  auch  Entwiirfe  fur  Teppiche  und  Ma  jo- 
liken  gemalt,  und  einige  Kriige  in  der  herzoglichen  Apotheke  waren 
nach  ihren  Angaben  gefertigt.  Aus  dem  Rechnungsbuch  des  Hofes 
geht  hervor,  daB  Battista  Vorlagen  fur  Majolikavasen  gezeichnet 
und  Giovanni  wahrend  zweier  Tage  Muster  fur  den  Topfer  ent- 
worfen  hat. 

Giovanni  Dossi  wurden  die  Illustrationen  zur  Ausgabe  des 
,, Orlando"  zugeschrieben,  die  1556  bei  Valgrisio  in  Venedig  erschie- 
nen  ist.  Obgleich  die  Wiedergabe  dieser  Holzschnitte  schwach  und 
undeutlich  ist,  frappieren  sie  durch  die  Kiihnheit  der  Komposttion 
und  Zeichnung  und  sind  Giovannis  nicht  unwiirdig.  Gruyer  spricht 
sie  ihm  nur  deshalb  ab,  weil  sie  vierzehn  Jahre  nach  seinem  Tode  er- 
schienen  sind.  Dieses  Argument  ist  nicht  ganz  iiberzeugend;  wie 
haufig  geschieht  es,  daB  ein  Werk  lange  im  NachlaB  eines  Kiinstlers 
liegen  bleibt,  namentlich  wenn  sich  die  Erben  iiber  den  von  ihnen 
uberschatzten  Besitz  nicht  einigen  konnen.  Dossis  Erben  waren 
drei  Schwiegersohne,  da  er  nur  Tdchter  hatte;  es  ist  also  nicht  ganz 
ausgeschlossen,  daB  infolge  der  unter  ihnen  eingetretenen  Streitisr- 
keiten  die  Herausgabe  der  Zeichnungen  sich  verzogert  hat.     Gio- 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH  515 

vanni  war  mit  Ariost  befreundet,  es  liegt  also  nahe,  daB  er  sich  darum 
beworben  hat,  die  bedeutendste  Dichtung  seiner  Zeit  zu  illustrieren. 

Battista  Dossi  starb  kinderlos  und  hat  keinen  Geringeren  als  den 
Herzog  von  Ferrara  zu  seinem  Erben  eingesetzt,  indem  er  im  Testa- 
ment urn  ein  wiirdiges  Begrabnis  bat.  Jedenfalls  ist  dies  ein  Be- 
weis  fur  das  gute  Verhaltnis,  das  zwischen  dem  Herzog  und  dem 
Kiinstler  bestanden,  und  fur  die  Dankbarkeit,  die  Dossi  ihm  bis  an 
sein  Lebensende  bewahrt  hat. 

Die  Dossi  hatten  viele  Schuler,  so  Jacopo  Paniccioti,  Gabriele 
Capellino,  Camillo  Filippi,  Giuseppe  Mazzuoli  usw.,  aber  keiner 
von  ihnen  hat  Bedeutendes  geleistet.  Nur  der  bekannte  Bildhauer 
Alfonso  Lombardi  hat  die  kiinstlerischen  Ideen  der  Dossi  iiber- 
nommen,  wie  die  Medaillonkbpfe  beweisen,  die  die  Fassade  des 
Palazzo  Bolognini  in  Bologna  schrmicken. 


IX 

Ein  Zeitgenosse  der  Dossi  und  ein  sehr  geschatzter  Kiinstler 
war  Benvenuto  Tisi,  Garofalo  genannt  (geb.  urn  1481,  gest.  am 
6.  Sept.  1559),  aus  dem  Dorfe  Polesina  im  Ferraresischen.  Benve- 
nutos  Vater  war  Schuster  und  hatte  es  jedenfalls  vorgezogen, 
wenn  sein  Sohn  einen  anderen  Beruf  erwahlt  hatl^e,  aber  der  Knabe 
bestand  auf  seinen  Willen  und  ging  nach  Cremona  in  die  Lehre 
zum  Maler  und  Sticker  Boccaccino,  der  spater  fur  den  estensischen 
Hof  tatig  war.  Dieser  Lehrer  geniigte  dem  lernbegierigen  jungen 
Kiinstler  nicht,  er  beschloB  nach  zweijahrigem  Aufenthalt  in  Cre- 
mona nach  Rom  zu  gehen.  Aus  Furcht,  auf  Hindernisse  zu  stoBen, 
entfloh  er  heimlich  im  Winter  aus  Boccaccinos  Haus  und  kam 
hungrig  und  zahneklappernd  in  Rom  an;  selbst  seine  armselige 
Garderobe  hatte  er  in  Cremona  gelassen.  Zu  diesem  EntschluB  wird 
ihn  auch  die  schlechte  Behandlung  bewogen  haben,  die  der  Sticker 
seinen  Schiilern  angedeihen  lieB.  Boccaccino  war  ein  heftiger  Mensch 
und  hat  im  Jahre  1499  seine  Frau,  die  ihn  betrogen,  erschlagen. 

In  Rom  fand  Garofalo  eine  Zufluchtsstatte  bei  dem  florentiner 
Kiinstler    Giovanni    Baldini,   den   Milanesi   Bussini   oder    Sollazini 

33* 


516  fOnfzehntes  kapitel 

nennt,  da  nichts  von  der  Existenz  eines  Malers  Baldini  bekannt  ist. 
Benvenuto  ist  nur  kurze  Zeit,  kaum  einige  Monate,  in  Rom  ge- 
blieben,  dann  ging  er  nach  Bologna,  wo  Costa  sehr  anerkannt  war. 
Der  junge  Kiinstler  erleg  dem  EinfluB  des  beriihmten  Ferraresen, 
wie  an  vielen  seiner  Bilder  ersichtlich.  Ober  Benvenutos  Aufenthalt 
in  Bologna  wissen  wir  nichts  Naheres  und  begegnen  ihm  erst  1506 
als  einem  fertigen  Kiinstler  in  Ferrara,  wo  er  verschiedene  Auftrage 
fur  Lucrezia  Borgia  ausgefiihrt  hat.  Er  hat  zusammen  mit  Gio- 
vanni Dossi  gearbeitet,  aber  ohne  den  Schwung  und  die  Phantasie, 
die  Ariosts  Freund  ausgezeichnet  haben;  seine  Bilder  kennzeichnet 
vielmehr  eine  gewisse  kiihle  Niichternheit.  Dossis  EinfluB  tritt 
natiirlich  in  Garofalos  beriihmter  Pieta  in  der  Galerie  Borghese, 
sowie  im  h.  Nikolaus  aus  Bari  und  im  h.  Sebastian  in  den  kapito- 
linischen  Sammlungen  zutage.  Auch  Christi  Geburt  in  der  Galerie 
Doria,  die  dort  Ortolano  zugeschrieben  wird,  die  Madonna  mit  dem 
h.  Rochus  und  Sebastian  in  Bergamo  sind  unter  Dossis  EinfluB  ent- 
standen.  Garofalo  lockten  bald  andre  Ziele,  Rom  und  der  Ruhm  der 
dortigen  Meister  haben  es  ihm  angetan.  1508  oder  1509  ging  er  zum 
zweitenmal  an  den  Tiber  und  wurde  dort  der  Schuler  des  um  etwa 
zwei  Jahre  jiingeren  Raffael.  Der  EinfluB  des  Urbinaten  auf  den 
Ferraresen  war  wenig  glucklich;  nach  diesem  abermaligen  Aufent- 
halt in  Rom  wird  Benvenuto  konventionell,  er  stellt  zartliche  oder 
leidenschaftliche  Szenen  ohne  Leidenschaft  dar  und  kopiert  Raffael 
so  sklavisch,  daB  man  seine  Bilder  spater  wiederholt  Raffael  zuge- 
schrieben hat.  Raffael  war  damals  tonangebend,  die  Einfachheit 
und  der  gesunde  Realismus  der  alteren  ferraresischen  Schule  hatten 
sich  iiberlebt,  und  die  Fiirsten  begannen  der  neuen  Richtung  in  der 
Malerei  zu  huldigen.  Nach  Garofalos  Riickkehr  aus  Rom  lieB  Al- 
fonso die  Kapelle  im  Kastell  und  die  Fassade  des  Palazzino  della 
Montagnola  von  ihm  mit  Fresken  schmucken.  Diese  Werke  sind 
samtlich  untergegangen,  wahrend  sich  die  Fresken  im  friiheren 
Palazzo  Trotti,  dem  heutigen  Seminar,  erhalten  haben.  Es  sind  dies 
Decken  in  zwei  Parterrezimmern,  frostige  Malereien  ohne  jeglichen 
Schwung,  etwas  langweilige  Nachahmungen  antiker  Ornamentik. 
Ein  groBes  Fresko,  aus  dem  friiheren  Refektorium  des  Andreas- 
klosters,  befindet  sich  in  der  Pinakothek  zu  Ferrara.     Es  ist  eine 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH  517 

ziemlich  verwickelte  symbolische  Komposition,  die  Verherrlichung 
des  Christentums  und  der  Fall  der  jiidischen  Welt.  Einige  durchaus 
gelungene  Gestalten  bewegen  sich  im  Bild,  so  der  Geistliche,  der 
den  Graubartigen  tauft,  oder  zwei  Manner  in  ostlichen  Gewandern 
auf  dem  ersten  Plan,  aber  das  Ganze  ist  zu  unubersichtlich  kom- 
poniert,  ura  einen  reinen  Genufi  zu  ermoglichen.  Aus  der  Franzis- 
kanerkirche  ist  gleichfalls  ein  Fresko  in  die  Pinakothek  iiber- 
fuhrt  worden,  ein  Bethlehemitischer  Kindermord,  der  den  Kiinstler 
unter  Raffaels  EinfluB  zeigt.  Erwahnt  seien  noch  die  Aufer- 
weckung  des  Lazarus  und  die  Anbetung  der  Konige,  gleichfalls  in 
der  Pinakothek.  Vasari  schatzt  von  alien  Bildern  Garofalos  das 
letztere  am  hochsten. 

Es  liegtmir  fern,  alleBilder von  Garofalo  inModena,  Bologna,  Dres- 
den usw.  aufzuzahlen.  Der  ferraresische  Kiinstler  wurde  friiher  als 
Nachahmer Raf  f  aels  sehr  geschatzt,  und  seine  Bilder  waren  sehr  gesucht. 

Garofalo  hat  spat,  als  Neunundvierzigjahriger,  geheiratet  und 
verlor  bald  darauf  infolge  einer  schweren  Krankheit  ein  Auge.  Da 
er  den  Verlust  des  zweiten  Auges  befiirchtete,  weihte  er  sich  der 
heiligen  Lucia  und  gelobte,  wenn  ihm  sein  zweites  Auge  erhalten 
bliebe,  stets  nur  aschgraue  Kittel  zu  tragen.  Zur  Erinnerung  stiftete 
er  ein  kleines  Bild  in  die  Kapelle  Sta.  Trinita,  er  hatte  sich  vor  der 
h.  Lucia  kniend  dargestellt  und  brachte  ihr  seine  beiden  Augen  dar. 
Das  Bild,  das  einzige  gut  beglaubigte  Selbstbildnis  des  Kiinstlers, 
ist  leider  untergegangen.  Nach  Baruffaldi  hat  Garofalo  sein  Selbst- 
bildnis auch  auf  dem  Abendmahl  in  San  Spirito  angebracht. 

Trotz  des  Verlustes  des  einen  Auges  hat  der  Kiinstler  noch  sehr 
viel  gemalt,  und  all  seine  Arbeiten  zeichnen.  sich  durch  sichere 
Zeichnung  und  Harmonie  der  Farben  aus.  Da  er  sehr  fromm  war, 
beschloB  er,  nach  seiner  teilweise  erfolgten  Erblindung,  stets  an 
Sonn-  und  Feiertagen  im  Kloster  San  Bernardino  ,,zur  Ehre 
Gottes"  ohne  Bezahlung  zu  malen.  Einige  dieser  Bilder  befinden 
sich  in  Rom,  die  drei  besten  besitzt  die  kapitolinische  Sammlung, 
zwei  die  Eremitage  in  Petersburg. 

Zeichnungen  fur  acht  groBe  Teppiche  waren  eine  seiner  letzten 
Arbeiten,  das  ferraresische  Domkapitel  hatte  sie  1550  teils  bei  ihm 
und  teils  beim  Maler  Camillo  Filippi  bestellt.    Auf  diesen  Teppichen 


518  fOnfzehntes  kapitel 

sind  die  Taten  und  das  Martyrium  der  h.  Maurelius  und  Georg,  der 
Schutzpatrone  von  Ferrara,  dargestellt.  Zwischen  dem  23.  April  und 
dem  7.  Mai,  den  Tagen,  die  diesen  beiden  Heiligen  geweiht  sind, 
werden  die  Teppiche  heute  noch  offentlich  ausgestellt.  Garofalo  ist  in 
Ferrara  zu  Sta.  Maria  in  Vado  begraben.  Sein  bekanntester  Schuler 
ist  Girolamo  da  Carpi  (1501 — 1568),  ein  ziemlich  schwacher 
Kiinstler,  der  auch  unter  demEinfluB  von  denDossi  und  vonCorreggio 
stand.  Carpi  war  unter  Ercole  II.  Hofmaler  und  hat  viel  Portrats 
und  Teppichkartons  geschaffen.  Unter  Alfonso  II.  hat  Bartolommeo 
Faccini  am  estensischen  Hofe  gewirkt  und  die  Wande  des  Kastells 
mit  den  Bildnissen  der  Vorfahren  des  Herzogs  in  natiirlicher  GroBe 
bemalt;  aber  all  die  Maler  des  untergehenden  Ferrara  waren 
schwache  Nachahmer  Correggios  und  der  romischen  Kiinstler. 
Erwahnt  sei  noch  Sebastiano  Filippi,  Bastianini  genannt  (geb.  1535, 
gest.  1585?),  ein  Nachahmer  von  Michelangelo,  den  er  namentlich  in 
seinem  Jiingsten  Gericht,  einem  Fresko  im  Dom,  zu  kopieren  gesucht 
hat.  Eine  der  darauf  befindlichen  Gestalten  soil  der  Kiinstler  aus 
Rache  angebracht  haben.  Die  Frau,  die  von  Teufeln  gepackt  wird, 
soil  Stefano  Carregiaris  Witwe  sein,  die  schone  und  reiche  Livia 
Grazioli,  die  Bastianini  ihre  Hand  versprochen  und  doch  einen 
andern  geheiratet  hat. 

X 

Gegen  Ende  des  XIV.  und  XV.  Jahrhunderts  hat  die  Miniatur- 
malerei  ihren  Hohepunkt  erreicht;  jeder  der  groBen  und  kleinen 
Potentaten  wollte  eine  Bibel,  ein  Gebetbuch  oder  einen  Psalter 
mit  Miniaturen  geschmiickt  haben  und  unter  Heiligen  und  Propheten 
zum  mindesten  in  einer  Initiale  sein  eigenes  Bild  finden.  Uber- 
all  wurden  Bibliotheken  gegriindet:  von  den  Medici  in  Florenz,  den 
Aragon  in  Neapel,  den  Montefeltro  in  Urbino,  den  Visconti  und 
Sforza  im  Kastell  zu  Pavia,  den  Gonzaga  in  Mantua,  den  Este 
in  Ferrara  und  von  Papsten  und  Kardinalen  in  Rom.  Im  Norden 
war  der  Eifer  nicht  minder  rege,  die  franzosischen  Konige,  die 
Herzoge  von  Burgund,  der  Herzog  von  Berry  haben  zu  den  leiden- 
schaftlichsten  Sammlern  schoner  und  seltener  Biicher  gehort.    Auch 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH 


519 


hier  scheint  es  bei  der  allgemeinen  Rivalitat  in  der  Hauptsache 
darum  zu  tun  gewesen  zu  sein,  Biicher  mit  den  schonsten  und  kost- 
barsten  Miniaturen  zu  sammeln  und  selbst  Mathias  Corvinus,  der 
ungarische  Konig,  brachte  es  zu  einer  beruhmten  Miniaturen- 
sammlung. x) 

Miniatuimalerei  lag  damals  nicht  mehr  in  den  Handen  der 
Monche  allein  und  war  schon  eine  durchaus  weltliche  Kunst  ge- 
worden.  In  Nord-  und  Mittelitalien  hat  man  diese  schone  Kunst 
namentlich  in  Florenz,  Siena,  Bologna,  Padua  und  Verona  gepflegt, 
in  Ferrara  begann  man  sich  erst  unter  Niccolo  III.  damit  zu  be- 
schaftigen.  Dieser  Fiirst  hatte  bereits  zweihundertneunundsiebzig 
Handschriften,  von  denen  mehrere  mit  Miniaturen  geschmucktwaren. 

Die  Miniaturmalerei  auf  dieser  Seite  der  Apenninen  unter- 
schied  sich  wesentlich  von  der  in  Florenz  und  Siena  geiibten.  Wah- 
rend  am  Arno  ein  gewisses  Idealisieren  iiberwog  —  Fra  Angelico 
stand  dort  an  der  Spitze  der  Bewegung  — ,  waren  die  norditalienischen 
Kiinstler  Realisten.  Franzosischer  und  deutscher  EinfluB  mag 
mitgesprochen  haben,  mehr  noch  die  Veranlagung  der  Kiinstler 
aus  der  lombardischen  Ebene. 

Gegen  Ende  des  XIV.  Jahrhunderts  hatte  Altichiero  di  Verona 
den  starksten  EinfluB  auf  die  Miniaturmalerei  in  Norditalien.  Er 
hat  mehr  als  die  meisten  seiner  Zeitgenossen  gesucht,  aus  der  Natur 
zu  schopfen.  Die  Miniaturisten,  die  Niccolo  III.  aus  Florenz  hatte 
kommen  lassen:  Franceschino,  Francesco  da  Codegoro  und  Gia- 
como  Bussoli  haben  seiner  Richtung  entgegengearbeitet,  aber  als 
Vittore  Pisanello  1435  nach  Ferrara  kam,  erwies  sich  die  natura- 
listische  Richtung  als  die  starkere.  Schon  im  Kodex,  der  Bernardo 
di  Monsellis  Gedichte  enthalt,  befand  sich  ein  Portrat  von  Niccolo  III. 
nach  der  Natur  gemacht.  Pisanellos  Vorliebe  fur  Tierstudien  hat 
den  Miniaturisten  einen  unerschopflichen,  eifrig  beniitzten  Schatz 
ornamentaler  Motive  gebracht. 

Die  Blutezeit  der  Miniaturmalerei  in  Ferrara  hat  etwa  achtzig 
Jahre  gedauert  und  umfaBt  die  Zeit  von  1440  bis  1520.    Damals  ent- 

x)  Corvins  Sammlungen  haben  die  Tiirken  nach  der  Einnahme  von 
Budapest  geraubt;  einen  Teil  hat  der  letzte  Sultan  dem  Kaiser  Franz  Joseph 
geschenkt,  der  sie  der  Pester  Bibliothek  iiberwiesen  hat. 


520 


FUNFZEHNTES  KAPITEL 


standen  Lionellos  Breviarium,  das  leider  untergegangene  Werk 
von  Giorgio  Tedesco,  Borsos  zweibandige  Bibel,  die  sich  heute 
in  den  Sammlungen  des  Erzherzogs  Franz  Ferdinand  in  Wien 
befindet,  Ercoles  I.  Breviarium,  das  Missale  des  Kardinals 
Ippolito  I.  und  Alfonsos  I.  Officium.  Auch  im  Dom  und  in  der 
Certosa  von  Ferrara  befinden  sich  kostbare  Choralbucher  aus 
jener  Zeit. 

Die  ferraresische  Miniaturmalerei  stand  unter  dem  EinfluB  von 
Pisanello,  Piero  della  Francesca  und  Cosimo  Tura.  Borsos  Bibel, 
eines  der  bedeutendsten  Dokumente  dieser  Kunst  aus  ihrem  Beginn, 
enthalt  iiber  tausend  Miniaturen  und  ungefahr  ebensoviel  gemalte 
Embleme  und  Tiere;  Borso  hat  fur  dieses  umfangreiche  Werk 
1375  Dukaten  bezahlt.  Namentlich  zwei  Kiinstler  waren  dabei  tatig: 
Taddeo  Crivelli,  der  wahrscheinlich  aus  Mailand  stammt,  aber  in 
Ferrara  von  1452  bis  1476  tatig  war,  und  Francesco  Russi.  Borsos 
Kammerer,  Galeotto  dell'Assassino,  hat  mit  diesen  Kiinstlern 
einen  Vertrag  in  Mantua  geschlossen,  auf  Grund  dessen  beide  sich 
verpflichtet  haben,  im  Verlauf  von  sechs  Jahren,  vom  8.  Juli  1455 
angefangen,  diese  schone  Bibel  auszumalen.  Die  Kiinstler  haben 
ihre  Aufgabe  glanzend  gelost,  ihr  Werk  ist  eines  der  schonsten 
Renaissancedenkmaler;  der  Reichtum  ihrer  Ornamentik  ist  uner- 
schopflich,  sie  haben  nicht  allein  die  Tier-  und  Pflanzenwelt,  sondern 
auch  Borsos  zahlreiche  Embleme  kiinstlerisch  verwertet.  Borso 
hatte  eine  besondere  Vorliebe  fur  Embleme,  besonders  haufig  hat 
er  das  Einhorn  unter  der  Dattelpalme,  das  beliebteste  Zeichen  der 
Este,  oder  ein  goldenes  Gitter  im  Wasser  mit  der  Unterschrift 
,,Fido",  das  sogenannte  ,,Paraduro",  verwendet.  Dieses  Gitter  sollte 
einen  Damm  im  FluB  bedeuten,  und  gewissermafien  die  Bemiihungen 
des  Herrschers  um  die  Regulierung  des  Po,  den  Reichtum  des 
Landes,  symbolisieren.  Zu  den  haufig  verwandten  Symbolen  ge- 
horte  auch  ein  geflochtener  Zaun,  ,,Siepe",  und  einige  andere 
Zeichen,  deren  Deutung  uns  heute  schv/er  fallt. 

Borsos  ,, Missale",  das  zusammen  mit  der  Bibel  1859  nach  Wien 
gekommen  ist,  lafit  sich  ihr  zwar  an  kunstlerischem  Wert  nicht  ver- 
gleichen,  gehort  aber  immerhin  zu  den  bedeutenden  Erzeugnissen 
ferraresischer  Miniaturmalerei. 


G.  MAZZONI:  NICODEMUS  AUS  DER  GRABLEGUNG 
MODENA,  S.  GIOVANNI  DECOLLATO 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH 


521 


Gleichzeitig  entstanden  die  Choralbiicher,  „Corali",  in  derCertosa; 
die  Verfertiger  dieser  Miniaturen  standen  starker  unter  Piero  della 
Francescas  und  Mantegnas  als  unter  Pisanellos  EinfluB.  Zu  dieser 
Gruppe  gehoren  Guglielmo  Giraldi,  Marco  dell'Avogaro  und  Martino 
da  Modena. 

Unter  Ercole  I.  stand  die  ferraresische  Miniaturmalerei  sehr  stark 
unter  dem  EinfluB  von  Cosimo  Tura,  und  die  Miniaturen  aus  dieser 
Periode  mogen  ein  spezifischer  ferraresisches  Geprage  tragen  als  jene, 
die  zur  Zeit  von  Lionello  und  Borso  entstanden  sind.  Zu  dieser  jiin- 
geren  Schule  gehoren  Jacopo  Filippo  d'Argenta  und  seine  Gehilfen; 
ihre  Hauptwerke  sind  die  Choralbiicher  im  Dom  zu  Ferrara,  die  von 
Jacopo  und  Fra  Evangelista  da  Reggio  mit  Miniaturen  versehen 
wurden,  und  das  Brevier  Ercoles  I.  aus  dem  beginnenden  XVI.  Jahr- 
hundert.  Diese  neuere  ferraresische  Schule  umgibt  ihre  Miniaturen 
mit  prachtvollen  Ranken,  fast  die  gesamte  damals  bekannte  Tierwelt: 
Pferde,  Hunde,  Katzen,  Ochsen,  Hirsche,  Rehe,  Hasen,  Kaninchen, 
Lowen,  Leoparden,  Baren,  Wildschweine,  Elefanten,  Kamele  und 
Affen  tummeln  sich  in  diesem  Rankenwerk.  Die  Kiinstler  ver- 
standen  es,  die  Tiere  mit  auBerordentlichem  Geschmack  in  ein 
stilisiertes  oder  naturalistisch  behandeltes  Blattwerk  zu  verweben. 
Auch  die  herzoglichen  Embleme:  der  von  Nelkenblattern  umgebene 
Diamantring,  der  gefliigelte  Leopard  mit  Fischschweif,  die  dem  Feuer 
entsteigende  Hydra  usw.,  spielen  eine  bedeutsame  Rolle  im  Ornament. 

Das  ,,Missale"  des  Kardinals  Ippolito  I.  in  der  Universitats- 
bibliothek  in  Innsbruck  gehort  auch  zu  den  schonsten  Miniaturen- 
Handschriften  aus  jener  Zeit.  Das  Titelblatt  zeigt  eine  auBerordent- 
lich  reizvolle  Landschaft  aus  der  Po-Ebene  mit  den  Apenninen 
im  Hintergrund. 

Die  Einfiihrung  der  Buchdruckerkunst  in  Ferrara  im  Jahr  1492 
hat  der  Miniaturmalerei  den  ersten  schweren  Schlag  versetzt.  Kost- 
bare  Handschriften  wurden  durch  Druck  und  Holzschnitt  verdrangt. 
Unter  Alfonso  I.  setzt  bereits  der  Verfail  ein,  und  das  ,,Officium" 
dieses  Herzogs  war  das  letzte  bedeutende  Erzeugnis  der  Miniatur- 
malerei in  Ferrara.  Das  „Officium"  befindet  sich  in  den  Samm- 
lungen  des  Erzherzogs  Franz  Ferdinand.  Unter  anderem  enthalt  das 
Buch  auch  das  Bildnis  des  Herzogs  in  Waffen,  wie  er  mit  gefalteten 


522 


fOnfzehntes  kapitel 


Handen  vor  Gottvater  kniet,  der  ihm  in  den  Wolken  erscheint. 
Alfonso  ist  als  junger  Mensch  mit  spitzem  Bart  und  langem  Haar 
dargestellt,  seinem  spatern  Portrat  mit  aufgedunsenen  Ziigen 
durchaus  unahnlich. 

Unter  Ercole  II.  hat  die  Miniaturmalerei  bereits  der  Vergangen- 
heit  angehort. 

XI 

Das  untere  Po-Tal  besitzt  keinen  Marmor,  einer  Bildhauerschule 
in  hartem  Stein  fehlte  es  also  am  wichtigsten  Material,  und  so 
konnte  die  Skulptur  in  jener  Gegend  nicht  zu  einem  Monumentalstil 
kommen.  Wenn  Ferrara  Monumentalauftrage  zu  vergeben  hatte, 
so  berief  es  fremde  Kiinstler,  besonders  Florentines  und  Antonio 
di  Cristoforo  und  Niccolo  di  Giovanni  Baroncelli,  den  Schiilern 
Brunellescos,  verdankt  die  Stadt  eines  der  friihesten  Reitermonu- 
mente,  das  in  Italien  in  der  Renaissance  entstanden  ist.  Es  war  das 
Denkmal  von  Niccolo  III.,  das  in  Borsos  Gegenwart  im  Jahre  1451,  am 
Himmelfahrtstage,  auf  dem  Platz  zwischen  Dom  und  Kastell  ent- 
hiillt  wurde.  Alter  als  dieses  Denkmal  sind,  von  der  Antike  abge- 
sehen,  nur  zwei  Reiterstatuen  aus  dem  XIII.  Jahrhundert,  die  des 
Lucchesen  Tommaso  und  Bonifazio  Offizzi  errichtet  haben  und 
jener  strenge  Sarkophag  von  Barnabo  Visconti,  der  sich  heute  im 
archaologischen  Museum  in  den  Kreuzgangen  des  Kastells  von  Mai- 
land  befindet.  Er  stammt  aus  dem  Jahr  1370.  Ein  Reiterdenkmal 
war  damals  noch  etwas  Ungewohntes,  und  die  ferraresische  Be- 
volkerung  hat  daher  Baroncelli  auch  den  Spitznamen  Niccolo 
,,da  Cavallo"  gegeben.  Der  Kiinstler  hat  den  Markgrafen  im  Mantel, 
mit  dem  Barett  auf  dem  Kopf  und  dem  Feldherrnstab  in  der  Hand 
dargestellt.  Das  ferraresische  Denkmal  ist  friiher  entstanden  all 
Donatellos  Gattamelata  in  Padua  (1453)  und  Verrocchios  Colleom 
in  Venedig  (Modell  1481,  Aufstellung  erst  1493).  Ferrara  bestellte, 
stolz  auf  sein  Reiterdenkmal,  1451  bei  Baroncelli  ein  Denkmal  von 
Borso  in  Bronze,  auf  dem  Throne  sitzend,  in  reichen  Gewandern,  wie 
es  sich  fur  einen  stolzen  Herrscher  ziemt.  Niccolo  Baroncelli  starb 
wahrend  der  Arbeit,  und  sein  Sohn  Giovanni  hat  mit  Hilfe  einiger 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH 


523 


Florentiner  das  Denkmal  vollendet.  Die  Stadt,  gewohnt  ihre  Herrscher 
durch  Denkmaler  zu  feiern,  beschloB  1499  auch  Ercole  I.  ein  Reiter- 
standbild  zu  errichten.  Ercole  gefiel  das  Pferd,  das  Lionardo  in  Mai- 
land  fur  Francesco  Sforza  entworfen  hatte,  auBerordentlich;  er  bat  die 
mailandische  Regierung,  ihm  das  Modell  zu  iiberlassen.  Die  Sache 
zog  sich  aus  verschiedenen  Griinden  in  die  Lange,  unterdessen  zer- 
fiel  Lionardos  Gipsmodell,  und  das  Reiterdenkmal  fur  Ercole  blieb 
unausgefiihrt. 

Der  beriihmteste  der  ferraresischen  Bildhauer  war  in  der  ersten 
Halfte  des  XVI.  Jahrhunderts  Alfonso  Lombardi,  dessen  Werke 
sich  zum  Teil  noch  in  Ferrara,  in  der  Hauptsache  aber  in 
Bologna  befinden.  Lombardi  wurde  im  Jahre  1479  nicht  in 
Lucca,  wie  man  annahm,  sondern  in  Ferrara  geboren.  Die  Chro- 
nisten  berichten,  dafJ  Tizian,  als  er  in  Bologna  Karl  V.  gemalt  hat, 
den  jungen  Kiinstler  zum  Farbenreiben  mitnahm.  Als  sich  der 
Meister  ans  Werk  machte,  gelang  es  Lombardi  unbemerkt,  den 
Kaiser  in  Ton  za  modellieren.  Karl  V.  bemerkte  den  heimlich  ar- 
beitenden  Bildhauer,  lieB  sich  Lombardis  Skizze  zeigen  und  war  von 
der  Arbeit  so  entziickt,  daB  er  Lombardi  die  Halfte  von  den  tausend 
Talern  anweisen  lieB,  die  er  fur  Tizians  Portrat  bestimmt  hatte; 
auBerdem  bestellte  er  ihm  seine  Biiste  in  Marmor.  Nach  Vasaris 
Schilderung  ist  die  Biiste  sehr  gelungen,  ,,una  cosa  rarissima". 
Lombardi  war  ein  beliebter  Bildhauer,  aber  kein  sehr  bedeuten- 
der  Kiinstler;  auch  sein  Zusammenhang  mit  Ferrara  war  nur 
locker,  da  er  schon  als  junger  Mensch  die  Heimat  verlassen  hat  und 
nicht  wieder  zu  langerem  Aufenthalt  zuriickgekommen  ist. 

Wenn  nun  Ferrara  und  die  untere  Po-Ebene  keine  groBen  Bronze- 
und  Marmorbildhauer  hervorgebracht  haben,  so  haben  doch  dortige 
Plastiker  in  anderem  Material  Bedeutendes  geschaffen.  Sie  griffen 
nach  dem  Material,  das  sie  zur  Hand  hatten,  nach  Ton,  und  haben 
die  Terrakotta-Plastik  iai  ihrer  hochsten  Bliite  gebracht.  Modena, 
Ferrara,  Bologna  und  Mailand  waren  der  Sitz  dieser  Kunst  und 
Guido  Mazzoni  ihr  Meister.  Gebrannter  Ton  eignet  sich  auBer- 
ordentlich fur  Polychromie,  zur  Durcharbeitung  menschlicher 
Kopfe  mit  den  charakteristischsten  Details  und  zu  einer  sehr  rea- 
listischen  Behandlung.     Vielleicht  gibt  es,  von  Wachs  abgesehen, 


524  fOnfzehntes  kapitel 

kein  Material,  das  naturalistischen  Tendenzen  so  sehr  entgegen- 
kommt  wie  gemalter  Ton. 

Die  realistischen  norditalienischen  Kiinstler  fanden  das  ent- 
sprechende  Material,  um  ihre  kunstlerischen  Absichten  zu  verwirk- 
lichen,  und  in  den  sogenannten  ,,Mortoria",  in  Beweinungen  des  toten 
Chris tus  in  natiirlicher  GroBe,  mogen  sie  ihr  Bestes  geleistet  haben. 
Diese  realistischen  Gruppen  scheinen  den  mittelalterlichen  Mysterien 
nahe  zu  stehen,  sie  haben  alle  etwas  vom  ,,lebenden  Bild"  behalten. 
Die  Kiinstler  haben  die  Szenen,  die  sie  in  den  Kirchen  haufig  sahen, 
in  Ton  modelliert;  die  dramatischen  Posen  der  Schauspieler  bei 
den  Passionsdarstellungen  in  der  Charwoche  haben  den  Kiinstlern 
einen  so  starken  Eindruck  gemacht,  daB  sie  sie  zum  Gestalten 
zwangen.  Auch  ist  es  nicht  ausgeschlossen,  daB  in  der  Gesellschaft 
das  Verlangen  erwachte,  diese  Vorgange  zum  mindesten  in  der  Plastik 
zu  erhalten,  als  die  Mysterien  allmahlich  aus  den  Kirchen  ver- 
schwanden  und  sich  in  eine  weltliche  Biihne  umzuwandeln  begannen. 
Auch  Szenen  aus  dem  Leben  haben  auf  die  ,,Mortoria"  eingewirkt, 
so  die  Sitte,  Klageweiber  am  Sarg  des  Verstorbenen  wahre  Ver- 
zweiflungsorgien  auffiihren  zu  lassen.  Die  Klageweiber  sind  ja 
auch  auf  franzosischen  Grabdenkmalern  zu  finden;  das  Motiv  hat 
zu  stark  auf  die  Phantasie  gewirkt  und  stand  auch  mit  dem  Leben 
der  Bevolkerung  in  zu  engem  Zusammenhang,  um  von  der  Kunst 
unbeachtet  zu  bleiben.  Die  norditalienischen  Mortoria,  namentlich 
jene,  in  denen  Frauen  sich  mit  hysterischer  Gebarde  iiber  Christus 
werfen,  haben  sicherlich  ihren  Ursprung  in  der  Sitte  des  offiziellen 
Beweinens  der  Verstorbenen. 

Uber  Guido  Mazzonis  Jugend  sind  wir  nur  ungeniigend  unter- 
richtet;  er  stammt  aus  Modena  und  wird  deshalb  auch  Modanino 
genannt;  er  begann  damit,  Theater-  und  Karnevalsmasken  zu  ver- 
fertigen,  und  war  der  Impresario  der  Feste  zu  Ehren  Eleonoras  von 
Aragon  in  Ferrara.  In  Busseto  befand  sich  eines  seiner  friihesten 
groBeren  Terrakottawerke,  eine  Geburt  Christi,  die  heute  der  Samm- 
lung  des  Grafen  Callori  in  Modena  angehort.  Mazzonis  Grablegung, 
eines  seiner  schwacheren  Werke,  befindet  sich  in  Busseto.  Ferrara 
bewahrt  nur  eine  seiner  Gruppen,  aus  dem  Jahre  1485,  in  Sta.  Maria 
della  Rosa.    Sein  bestes,  vielleicht  nicht  geniigend  gewiirdigtes  Werk 


DIE  KUNST  WIRD  WELTLICH  525 

befindet  sich  in  S.  Giovanni  Decollate*  in  Modena,  eine  unvergleich- 
liche  Gruppe;  die  Maria,  die  sich  uber  Christus  neigt,  gehort  zu  den 
gewaltigsten  Figuren  eines  edlen  Realismus.  Auch  die  Domkrypta 
in  Modena  bewahrt  eine  schone  Gruppe  des  Kiinstlers,  eine  An- 
betung  des  Kindes.  Diese  Gruppe  befand  sich  fruher  in  der 
Kirche  ,,Osservanza"  und  wurde  erst  neuerdings  in  den  Dom 
uberfuhrt. 

1489  ging  Mazzoni  fur  einige  Jahre  nach  Neapel  und  hat  dort 
eine  beruhmte  Kreuzabnahme  fur  Monteoliveto  ausgefiihrt.  Die 
Gruppe  setzt  sich  aus  sieben  sehr  realistisch  erfaBten  Gestalten  zu- 
sammen,  der  Tradition  nach  sollen  einige  der  bekannten  damaligen 
Personlichkeiten  Modell  dafiir  gewesen  sein.  Johannes  soil  die 
Ziige  Alfonsos  II.  von  Aragon,  Nicodemus  die  des  Historikers 
Pontano  und  Joseph  von  Arimathia  die  des  Dichters  Sannazaro 
tragen. 

Karl  VIII.  hat  Mazzoni  nach  Frankreich  mitgenommen  und  ihm 
eine  sehr  hohe  Pension,  fiinfzig  Dukaten  monatlich,  bewilligt.  1496 
hat  er  den  sehr  von  ihm  geschatzten  Kiinstler  zum  Ritter  geschlagen. 
Der  Bildhauer  hat  sich  seinem  Konig  durch  ein  groBartiges  Grab- 
denkmal  in  Saint  Denis  erkenntlich  gezeigt;  es  ist  leider  1793  *n 
den  Stiirmen  der  Revolution  untergegangen.  Bei  Franz  I.  Thron- 
besteigung  ist  Mazzoni  nach  einem  zwanzigjahrigen  Aufenthalt 
in  Frankreich  nach  Modena  zuriickgegangen  und  ist  dort  zwei  Jahre 
spater,   1518,  gestorben. 

Bekannt  fur  seine  Mortoria  war  auch  Antonio  Begarelli  (geb. 
I479?»  gest-  I565),  der  stark  unter  Correggios  EinfluB  stand.  Seine 
Kreuzabnahme  befindet  sich  in  San  Francesco  zu  Modena.  Die 
Gruppe  umfaBt  dreizehn  Personen,  besonders  die  Frauen  sind  von 
groBer  Schonheit.  In  S.  Agostino,  diesem  Pantheon  der  modene- 
sischen  Este,  befindet  sich  eine  Pieta  von  Begarelli,  in  San  Pietro  sein 
toter  Christus  und  eine  Gruppe  der  Madonna  in  den  Wolken,  von  vier 
auf  dem  Boden  stehenden  Heiligen  verehrt.  Die  von  ihm  angelegten 
Gestalten  wurden  von.  seinem  Neffen  Lodovico  Begarelli  vollendet. 
In  San  Satiro  zu  Mailand  befindet  sich  auch  eine  bekannte  Be- 
weinung  Christi  von  Cristoforo  Foppa,  Caradosso  genannt,  mit  einer 
sehr  intensiv  und  edel  erfaBten  Maria.    Foppa  ist  1452  in  Mudonio, 


526  FUNFZEHNTES  KAPITEL 

einem  Dorf  an  der  Adda  geboren;  er  hat  im  Hause  seines  Vaters, 
eines  Goldschmieds,  gelernt  und  ist  im  Jahr  1487  nach  Rom  ge- 
gangen.   Von  dort  aus  hat  ihn  Lodovico  Moro  nach  Mailand  berufen. 
Caradosso  hat  dort  viel  gearbeitet  und  Beziehungen  zu  Bernardo  Bellin- 
cioni,  Leonardo  da  Vinci  und  Bramante  angekniipft.    Die  Beweinung 
Christi  von  Niccolo  dell' Area,  dem  bekannten  Bildhauer,  der  einen 
groBen  Teil  des  Grabmals  des  S.  Dominicus  in  Bologna  ausgefuhrt 
hat,    zeigt   einen   gewaltsam   gesteigerten    Realismus.      Diese 
Gruppe  in  S.  Maria  della  Vita  zu  Bologna  macht  einen  fast 
abstoBenden    Eindruck,    die    verzweifelten    Frauen 
wirken  wie  mittelalterliche  Klageweiber  mit 
weit  aufgerissenem  Mund,  nervos  ver- 
zerrten  Gesichtern  und  wild  wehen- 
den  Gewandern.     Der  Realis- 
mus in  der  neueren  Kunst 
hat   seinen   starksten 
Niederschlag     in 
den  Mortoria 
gefunden. 


LITERATUR-NACHWEIS 


Agnelli,    Giuseppe.     Ferrara  e  Pomposa.     Bergamo  1902. 
Albrecht,    Dr.    Reinhard.      Tito  Vespasiano   Strozzi.     Abdruck  aus 

dem  Programm  des  kgl.   Gymnasiums  in  Dresden   1891.      Leipzig, 

B.  G.  Teubner,  1891. 
Alvisi,  E.     Cesare  Borgia,  Duca  di  Romagna.     Imola  1878. 
Amante,  Dr.  Bruto.      Julia    Gonzaga    contessa   di    Fonti   e  il  movi- 
•     mento  religioso  femminile  nel  secolo  XVI.    Bologna,  Zanichelli  1896. 
Antonelli,  G.   Saggio  di  una  bibliografia  storica  ferrarese.  Ferrara  185 1. 
Appunti   intorno   agli   Ariosti   di   Ferrara.    Ferrara,  Tip.  Sociale 

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—  Lettere,  con  prefazione  storica-critica,  documenti  e  note,  per  cura 
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Balan,  P.     Storia  d' Italia.     Zweite  Auflage.     Modena  1895,  l896. 
Balduzzi,    Luigi.     L'  istrumento  finale  della  Transazione  di  Faenza 

del  passaggio  di  Ferrara  degli  Estensi  alia  S.  Sede.    Atti  e  memorie 

della    R.   Deput.  di   Storia    Patria    per    le    provincie    di    Romagna. 

Ser.  Ill,  vol.  9.     Bologna  1891. 
Barbi-Cinti,  F.       Vita   di   Lodovico   Ariosto.       Ferrara    1874.       Tip. 

Dell'  Eridano. 
Barotti,    Gianandrea.    Memorie  istoriche  di  letterati  ferraresi.   Zwei 

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Barotti,    G.     Continuazione  delle  memorie  etc.     Ferrara  1792 — 181 1. 
Baruffaldi,    G.     Istoria  di  Ferrara  in  quali  si  narrano  le  cose  avve- 

nute  in  essa  dal  1655  al  1700.    Ferrara  1700. 

—  La  vita  di  Lodovico  Ariosto.     Ferrara  1807. 

—  Notizie  istoriche  delle  Accademie  letterarie  Ferraresi.    Ferrara  1787. 


528  LITERATUR-NACHWEIS 

Bello,    Francesco.      Libro  d'  Arme  e  d'  Amore  nomato  Mambriano, 

composto  per  Francesco  Ciecco  da  Ferrara,  1509. 
Bern  bo,  P.     Le  Prose.     Fiorenza,  L.  Torrentino,  1548. 

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Bendedei,  N.     Lettera   al   pontifice   Alessandro   VI.   per   gli   sponsali 

di   Lucrezia  Borgia    con  Alfonso    d'   Este.     Ferrara,    Taddei    1888. 

Per  nozze. 
Benrath,    Karl.    Bernardino  Ochino.    Braunschweig,  Schwetschke  & 

Sohn,   1892. 
Bertoni,    Giulio.      La  Biblioteca  Estense  e  la  coltura  Ferrarese  in 

tempi  del  Duca  Ercole  I.     Torino  1903. 

—  Nuovi  studi  su  Matteo  Maria  Boiardo.     Bologna,  Zanichelli,   1904. 
Bilancini,  P.  G.  B.      Giraldi  e  la  tragedia  italiana  nel  secolo  XVI. 

Aquila  1890. 
Boiardo,   Matteo   Maria.    Le  poesie  volgari  e  latine,  riscontrate  sui 
manoscritti  e  su  le  prime  stampe  da  Angelo  Solerti.    Bologna  1894. 

—  Lettere  edite  et  inedite.     Edit.  Campanini. 

—  Studi  su  M.  M.  B.     Edit.  Campanini,  Bologna  1894. 

Borsa,   Mario.    Pier  Candido  Decembri  e  1*  Umanesimo  in  Lombardia. 

Milano  1893. 
Borsetti.    Historia  almi  Ferrariae  Gymnasii.  Ferrara,  Pomatelli,  1735. 
Bottoni  Antonio.   Cinque  secoli  d'Universita  a  Ferrara.  Bologna  1892. 
Callegaris,  F.     La  devoluzione  di  Ferrara  alia  S.  Sede.    Nella  Rivista 

storica  Italiana.     Vol.  XII.     1895. 
Campori,   G.     Bibliografia  del  Marchese  Giuseppe  Campori.     Ges.  von 

Angelo  Namias.     Modena  1893. 

—  Notizie  per  la  Vita  di  Lodovico  Ariosto.     Firenze  1896. 

—  Gli  artisti  italiani  e  stranieri  negli  stati  Estensi.     Modena  1855. 

—  Gli  architetti  e  gli  ingegneri  civili  e  militari  degli  Estensi  dal 
secolo  XIII  al  XVI.  Atti  e  Mem.  d.  R.  Deputazione  di  Storia 
Patr.  dell'  Emilia.     Vol.  VIII.     Modena,  Vicenzi  1882. 

—  Notizie  storiche  e  artistiche  della  maiolica  e  della  porcellana  di 
Ferrara  nei  secoli  XV    e  XVI.     Pesaro   1879,   Stabilimento  Nobili. 

—  Gio.  Battista  Delia  Porta  e  il  Cardinale  Luigi  d'  Este.  Modena, 
Vicenzi  1872. 

Cantu,    Cesar e.     Gli  Eretici  d'  Italia.     3  Bde.     Torino,  Unione  tipo- 

grafico-editrice,   1865. 
Cape  Hi,  A.     Poesie   musicali   dei   secoli   XIV,   XV   e   XVI.     Bologna, 

Romagnoli  1868. 


LITERATUR-NACHWEIS 


529 


Capelli,  A.  La  Congiura  dei  Pio  contra  Borso  d'Este.  Atti  e  memorie  delle 
R.  R.  Deputazioni  di  Storia  Patria  per  le  Provincie  Modenesi  e  Par- 
menesi.     Serie  I,  Bd.  3.     Modena  1868. 

—  La  Biblioteca  Estense  nella  prima  meta  del  secolo  XV.  Giornale 
storico  della  Letteratura  Italiana.    Vol.  14.    Torino  1886. 

—  Antonio.  Niccolo  di  Leonello  d'  Este.  Atti  e  memorie  delle 
R.  R.  Deput.  di  Stor.  Patr.  per  le  prov.  Moden.  e  Parm.    Ser.  I,  V.  5. 

—  Notizie  di  Ugo  Caleffini  notaro  ferrarese  del  sec.  XV  con  la  sua 
cronaca  in  rima  di  Casa  d'  Este.  Atti  e  mem.  d.  R.  R.  Deput.  di 
Stor.  Patr.  per  le  prov.  Modena  e  Parma.     Vol.  2.     Modena  1867. 

Carbone,    Lodovico.     Facezie  di . Edite  da  Abd-El-Kader  Salza. 

Livorno,  Raffaelo  Giusti,   1900. 

Carducci,    Giosue.     Opere.     Bologna,  Zanichelli,   1905.     Vol.  XV. 

Cartwright,  Julia  (Mrs.  Ady).  Isabella  d'  Este  marchioness  of  Man- 
tua.   In  two  volums.    London,  John  Murray,  1903. 

—  Beatrice  d'Este.    Duchess  of  Milan.    London  1903.    J.  M.  Dent  &  Co. 
Cavedoni,   D.   Celestino.     Delle  accoglienze  e  degli  onori  ch'  ebbero 

i  Trovatori  Provensali  alia  Corte  dei  Marchesi  d'Este  nel  secolo  XIII. 
Memorie  della  reale  academia  di  scienze,  lettere  e  d'  arti  di  Modena. 
Vol.  II.  Modena  1857. 
Cieszkowski,  Graf  August.  Don  Alfonso  d'  Este,  der  polnische 
Kandidat,  und  sein  Gesandter,  der  Dichter  Guarini.  Przeglad 
polski  (Polnische  Revue).     Krakau,  Mai  1877. 

—  Fontes  Rerum  Polonicarum  e  tabulario  Reipublicae  Venetae. 
Venetiis,  Typis  L.  Merlo,  1892 — 1902. 

Citadella,  L.  N.  Documenti  et  Illustrazioni  riguardanti  la  Storia 
artistica  ferrarese.     Ferrara,  Domenico  Taddei,   1868. 

—  Benvenuto  Tisi  da  Garofalo,  pittore  ferrarese  del  secolo  XVI.  Ferrara, 
Domenico  Taddei,   1872. 

—  La  Famiglia  degli  Alighieri  in  Ferrara.  Ferrara,  Domenico 
Taddei,   1865. 

—  II  Castello  di  Ferrara.     Ferrara  1875. 

—  Notizie  relative  a  Ferrara.     Ferrara,  D.  Taddei,   1868. 

—  Cesar e.  Catalogo  istorico  de'  pittori  e  scultori  ferraresi.  Ferrara, 
Fr.  Pomatelli,   1782.     2  Bde. 

Correggio,  Niccolo  da.  Opere  intitulate  la  Psyche  e  la  Aurora, 
stampate  novamente  e  ben  corrette.     Vinegia  1507. 

Corvisieri,  C.  II  trionfo  Romano  di  Eleonora  d'  Aragona.  Archivio 
della  societa  Romano  di  Storia  Patria.     Roma  1877/8. 

34 


530  LITERATUR-NACHWEIS 

D'Ancona,    Alessandro.     Origini  del  Teatro  Italiano.     Zweite  Aufl. 

2  Bde.     Turin  1891. 

Darowski,    Adam.       Krakau  und  Ferrara  in  der   Gazeta   Lwowska 

(Lemberger  Zeitung),  Nr.   149  u.   150,   1906. 
Diario   Ferrarese    dall'   anno    1409   fino   al    1502   di   autori   incerti. 

Muratori,  Rerum  Italicorum  Scriptores.     Vol.  24. 
Fontana,   Bartolommeo.    Renata  di  Francia.    Roma,  Forzani,  1893. 

3  Bde. 

Frizzi,    Antonio.     Memorie  per  la  storia  di  Ferrara.     Seconda  edi- 

zione,  Ferrara  1850.     5  Bde. 
Gandini,  L.  A.     Saggio  degli  usi  e  delle  costumanze  della  Corte  di 

Ferrara     al     tempo     di     Niccolo     III.        Atti    e    memor.    della    R. 

Deput.    di    Stor.    Patr.    per    Romagna.    Ser.    Ill,    vol.    9.     Bologna 

1898. 

—  Sulla  venuta  in  Ferrara  della  beata  Suor  Lucia  da  Narni.  Modena, 
Societa  tipogr.,   1901. 

—  Lucrezia  Borgia  nell'  imminenza  delle  sue  nozze  con  Alfonso 
d'  Este.  Atti  e  memor.  d.  R.  Deput.  di  Storia  Patria  per  la  Ro- 
magna 1902. 

Gardner,    Edmund   G.    Dukes  and  poets  in  Ferrara.    London,  Archi- 
bald Constable  &  Co.,  1904. 
Giordani,    Gaetano.      Della  venuta  e  dimora  in  Bologna  del  Cle- 

mente  VII.    per    la    coronazione    di    Carlo  V.    Bologna,    Tip.    alia 

Volpe,   1842. 
Giovio,    Paolo.      Ragionamenti   sopra  motti    et  desegni    d'   arme    et 

d'  amore.     Venetia,   Giordano  Ziletti,   1560. 
Giraldi,     Giovanbattista.      Commentario   delle   cose   di   Ferrara   et 

de'  Principi  da  Este.    Tradotte  per  M.  Lodovico  Domenichi.    Venetia, 

Giovanni  Rossi,  1556. 
Gregorovius,    Ferdinand.    Lucrezia  Borgia.     Stuttgart,  Cotta,  1874. 
Gruyer,    Gustave.    Vittore  Pisano.    Gazette  des  Beaux  Arts.    Vol.  X, 

XI,   1893—94. 

—  L'Art  ferrarais  a  l'Epoque  des  Princes  d'Este.  Paris,  Plon,  1897. 
2  Bde. 

Guarini,   B.     II  Pastor  fido.     Venetia,  Ciotti,  1602. 

—  Lett^re  del  Signor  Battista  Guarini.  Venetia  presso  Giov.  Battista 
Ciotti,   1615. 

Guglielmo,  Ebreo.  Trattato  del  Arte  del  Ballo.  Testo  inedito  del 
secolo  XV.     Bologna,  Romagnoli,   ^873. 


LITER  ATUR-NACHWEIS 


531 


Hermann,  Julius.  Zur  Geschichte  der  Miniaturmalerei  am  Hofe 
der  Este  in  Ferrara.  Stilkritische  Studien.  Jahrbuch  der  kunst- 
histor.  Sammlungen  des  Allerh.  Kaiserhauses.  Bd.  XXI.  Wien, 
F.  Tempsky,   1900. 

Ippolito  d'  Este.  Vita  del  cardinale  I.  d'E.  scritta  da  un  anonimo. 
Milano   1843. 

Laderchi,  C.     La  pittura  ferrarese,  Memorie.     Ferrara  1856. 

Luzio,  A.  e  Renier,  R.  Commedie  classiche  in  Ferrara  nel  1499. 
Giornale  storico  della  Letteratura  Italiana.     Vol.   11.     Torino  1888. 

—  Niccolo  da  Correggio.  Giornale  Storico  della  Letteratura  Italiana. 
Vol.  21  e  22.     Torino  1893. 

—  Federico  Gonzaga  ostaggio  alia  Corte  di  Giulio  II.  Archivio  della 
R.  Societa  Romana  di  storia  patria.     Vol.  IX.     Roma  1866. 

—  I  precettori  di  Isabella  d'  Este.    Ancona  1878. 

—  Delle  relazioni  di  Isabella  d'  Este  Gonzaga  con  Ludovico  e 
Beatrice  Sforza.  Archivio  storico  Lombardo.  Serie  II,  vol.  VII. 
Milano  1890. 

—  La  coltura  e  le  relazioni  letterarie  di  Isabella  d'  Este  Gonzaga. 
Torino,  Loescher,   1903. 

—  Mantova  e  Urbino.     Torino-Roma,  L.  Roux  e  Co.,   1893. 
Malmusi,    Gagagni,    Valdrighi.    Le   opere  di  Guido  Mazzoni  e  di 

Antonio  Begarelli.     Modena  1823. 
Manzoni,    Luigi.     Libro  di  Carnevale  dei  secoli  XV  e  XVI.    Bologna, 

Gaetano  Romagnoli,   1881. 
Masi,    Ernesto.      I    Burlamachi    e    di    alcuni    documenti    intorno    a 

Renata  d'  Este.     Bologna,  Zanichelli,   1876. 
Marot,    Clement.     QEuvres.     La  Haye,  Gosse,  1731.     4  Bde. 
Montaigne,    Michele   de.    L'  Italia  alia  fine  del  secolo  XVI,  Giornale 

del  viaggio.    Herausgeg.  von  Prof.  A.  D*  Ancona.    Citta  di  Castello, 

S.  Lapi,   1895. 
Morsolin,    Bernardo.    Pietro  Bembo  e  Lucrezia  Borgia.     Nuova  An- 

tologia  Fasc.  XV  1.  Agosto  1885. 

—  Giangiorgio  Trissino.  Seconda  ediz.  Firenze,  successori  Le  Monnier, 
1894. 

Miillner,    Karl  Dr.    Reden  und  Briefe  italienischer  Humanisten,  ver- 

offentlicht  von  Karl  Miillner.     Wien  1899,  A.  Holder. 
Munch.   Renata  von  Este  und  ihre  Tdchter.  Aachen  und  Leipzig  1831. 
Muratori,   L.  A.    Delle  Antichita  Estensi.     2  Bde.   Modena  171 1 — 40. 
Nani,    Ant.     Medaglioni  Estensi.     Ferrara  1902. 

34* 


532  LITERATUR-NACHWEIS 

Nolhac,  Pier  de  e  Angelo  Solerti.   II  viaggio  in  Italia  di  Enrico  III, 

Re  di  Francia.    Torino,  L.  Roux  &  Co.,  1890. 
Ognibene,    Giovanni.     Le  Relazioni  della  Casa  d'  Este  coll'   Estero. 

Modena,  Vicenzi  e  Nepoti,   1903. 
Olivi,  L.     Delle  nozze  di  Ercole  I  con  Eleonora  d' Aragona.     Memorie 

della  R.  Accademia  di  Scienze,  Lettere  et  Arti  in  Modena.     Ser.  II, 

vol.  5.    Modena  1887. 
Oltrocchi.     Sopra  i  primi  amori  di  Pietro  Bembo,  nella  nuova  raccolta 

di  opuscoli  dell'  Ab.  Calogera.    Vol.  IV. 
Oreglia  di  S.  Stefano,  Padre  Giuseppe.  Giovanni  Pico  della  Miran- 

dola  e  la  Cabala.     Mirandola,  Tip.  Gaetano  Cagarelli,  1894. 
Ossolinski,    Maksymilian.      Wiadomosci   historyczno-krytyczne   do 

dziejow   literatury   polskiej.      (Historisch-kritische   Nachrichten    zur 

Geschichte  der  polnischen  Literatur.)     Krakau  1819.    4  Bde. 
Pannonius,    Janus.    Poemata.    Utrecht  1784. 
Pardi,    Giuseppe.    Lo  studio  di  Ferrara  nei  secoli  XV  e  XVI.    Ferrara 

G.  Zuffi,   1903. 
—  Leonello  d'  Este,  Marchese  di  Ferrara.     Bologna,  Ditta  Nicolo  Zani- 

chelli,   1904. 
Paris,    Gaston.    Poemes  et  Legendes  du  Moyen-Age.     Paris  1900. 
Pastor,    Ludwig.    Geschichte  der  Papste  im  Zeitalter  der  Renaissance. 

Freiburg  i.  Br.   1891 — 1896. 
Picinelli,   D.   Filippo   Abbate.    Mondo  Simbolico.    Milano,  Stampa- 

tore  Archiepiscopale,   1653. 
Piccioni,    Luigi.     Di  Francesco  Uberti,  umanista  cesanese.     Bologna, 

Zanichelli,   1903. 
Pigna,   G.  B.    Historia  de'  Principi  d'  Este.    Ferrara  1570. 
Pistofilo,     Bonaventura.      Vita    di    Alfonso    I.   d'    Este,     Duca    di 

Ferrara.     Edit.    A.    Capelli.      Atti   e   mem.    delle    R.    R.    Deput.    di 

Stor.    Patr.    per    le  Prov.   Moden.   e  Parm.    Ser.  I,  vol.  3.     Modena 

1868. 
Pistoia,    Antonio    Camelli.     I  sonetti  del  Pistoia  giusta  1'  apografo 

Trivulziano  a  cura  di  Rodolfo  Renier.  Torino  1888. 
Piva,  E.  La  guerra  di  Ferrara  del  1482.  Padua  1893/4. 
Porro,    Giulio.    Nozze  di  Beatrice  d'  Este  e  di  Anna  Sforza.    Archivio 

storico  Lombardo.     Anno  IX,  Milano  1882. 
Prinzivalli,  V.     La  devoluzione  di  Ferrara  alia  S.  Sede  secondo  una 

relazione  inedita  di  Camillo  Capilupi.     Atti  della  Deput.  Ferrar.  di 

St.  Patria.    Vol.  X.  1898. 


LITERATUR-NACHWEIS  533 

Raina,  Pio.    Le  fonti  dell'  Orlando  furioso.    Ricerche  e  studi.    Seconda 

ediz.    Firenze,  G.  C.  Sansoni,   1900. 
Ramazzini,  A.     I  musici  fiamminghi  alia  Corte  di  Ferrara.     Archiv. 

stor.  Lomb.  Vol.  VI. 
Rodoconachi,  E.    Renee  de  France.    Paris,  Ollendorf,  1896. 
Ronchini,  Cav.  Amadio.    Jacopo  Caviceo. 
Rosmini,    Carlo.      Vita  e  disciplina  di   Guarino  Veronese  e  de'  suoi 

discepoli.    Brescia  1806. 
Rossi,  Vittorio.  Battista  Guarini  ed  il Pastor  fido.  Torino, Loescher,  1886. 
Rossi,    Vittorio.    II  Quattrocento.    Milano,  Vallardi  1900. 
Sabbadini,  R.     Vita  documentata  di  Giovanni  Aurispa.     Noto  1892. 

—  La  scuola  e  gli  studi  di  Guarino  Guarini  Veronese.  Catania,  N.  Gian- 
notta  1896. 

—  Guarino  Veronese  e  il  suo  epistolario  edito  et  inedito,  Salerno,  Tip. 
Nazionale  1885. 

Sandonnini,   Tommaso.    Dante  e  gli  Estensi.    Atti  e  Memorie  della 

R.  Deputaz.    di  Storia  Patria  per  le  Provinc.  Moden.    Serie  IV,  vol  IV, 

Modena  1893. 
Santi,  V.    La  Precedenza  tra  gli  Estensi  e  i  Medici.    Ferrara  1897. 
Sanudo,  Marino.  Commentarii  della  Guerra  di  Ferrara  tra  li  Veneziani 

ed  il  Duca  Ercole  d'  Este  nel  1482.    Venezia  1852.  L.  Manin. 
Sardi,    Gasparo.    Historie  Ferraresi.    Ferrara  1556. 
Sartori,    Borotto     Gaetano.      Trovatori   provenzali   alia   carte   dei 

Marchesi  in  Este.     Este,  tipi  A.  Stratico,  1889. 
Secco,    SuardoG.     Lo  studio  di  Ferrara  a  tutto  il  secolo  XV.    Atti  e 

mem.  S.  Deput.  Ferrarese  di  Storia  Patria  Vol.  6.    Ferrara  1894. 
Segarizzi,   Arnold o.    Delia  vita  e  delle  opere  di  Michele  Savonarola, 

medico  padovano  del  secolo  XV.   Padova.    Tip.  Fratelli  Gallina,  1900. 
Semper,  H.     Carpi,  ein  Fiirstensitz  der  Renaissance.     Dresden,   1882, 

Gilbers'sche  Hofbuchhandlung. 
Seni,  F.  S.    La  Villa  d'Este  in  Tivoli,  Memorie  storiche  tratte  da  docu- 
ment inediti  con  illustrazioni.    Roma  1902. 
Sitta,    P.      Saggio   sulle  istituzioni   finanziere  del   ducato   Estense  nei 

secoli  XV    e  XVI.     Atti  e  Memorie  d.  Deput.  Ferrar.  di  Stor.  Patr. 

Vol.  3.    Ferrara  1891. 
Solerti,  A.     Ferrara  e  la  Corte  Estense  nella  seconda  meta  del  secolo 

decimosesto.    Zweite  Aufl.    Citta  di  Castello.    Borgatti  1900. 
Solerti,  A.    La  vita  ferrarese  nella  prima  meta  del  secolo  decimosesto, 

descritta  da  Agostino  Mosti.    Bologna,  Fava  1892. 


534  LITERATUR-NACHWEIS 

Solerti,  A.  e  Campori,  G.  Luigi,  Lucrezia  e  Leonora  d'Este.    Torino. 

Loescher  1888. 
Solerti,   A.     Ugo  e  Parisina.     Storia  e  leggenda  secondo  nuovi  docu- 

menti.    Nuova  Antologia  Ser.  III.  vol.  45  e  46.    Roma  1893. 

—  Gli  albori  del  Melodramma.  3  Bde.  Remo  Sandron,  Milano,  Pa- 
lermo, Napoli  1904. 

—  Vita  di  Torquato  Tasso.    Torino,  Loescher  1895.    3  B(*e. 
Strozzi,    Lorenzo.     Le  vite  degli  uomini  illustri  della  Casa  Strozzi. 

Firenze,  Stromboli  1892. 
Strozzi.    Titus  Vespasianus  et  Hercules,  poetae  pater  et  filius.    Venetiis. 

Edit.  Aldina  1513  2  vol. 
Tasso,    Torquato.     Gerusalemme  liberata,  edizione  critica  a  cura  di 

Angelo  Solerti.    Firenze,  G.  Barbera  1896.    3  Bde. 

Le  Rime.    Ediz.  critica  Bologna.    Romagnoli  1896.    6  Bde. 

—  Opere  minori  in  versi.  Ediz.  critica  a  cura  di  Angelo  Solerti.  Bologna. 
Zanichelli   1895.    3  Bde. 

Tebaldeo,    Antonio.     Soneti  e  capitoli  de  Messer  Antonio  Tebaldeo. 

Jacopo  Tebaldi.    Modena  1500. 
Tiraboschi,   Girolamo.   Storia  della  letteratura  Italiana.   Milano  1833. 

Bettoni. 
Valdrighi,  L.  F.   Capelle,  concerti  e  musiche  di  casa  d'Este  dal  sec.  XV. 

al  XVIII.    Modena,  Vicenzi  1884. 
Venturi,  A.    II  Pisanello  a  Ferrara.    Archivio  Veneto  vol.  XXX.    1885. 

—  Cosma  Tura  mit  einem  Verzeichnis  der  Werke  v.  Fr.  Harck.  Jahr- 
buch  der  preuBischen  Kunstsammlungen.   Bd.  IX. 

—  Les  arts  a  la  cour  de  Ferrare.    Francesco  Cossa.    L'Art  1888. 

—  G.  B.  Relazioni  di  Governatori  di  Reggio  al  Duca  Ercole  I  di  Ferrara. 
Atti  e  mem.  d.  R.  R.  Deput.  di  Stor.  Patr.  per  le  Prov.  Modenesi 
e  Parmensi.   Ser.  III.  vol.  2.  Modena  1884. 

Vite  e  Ritratti  di  XXX  Illustri  Ferraresi.    Bologna.    Zannoli  1833. 
Windakiewicz,    Dr.    Stanislaw.     Guarini  i  jego  poselstwo  (Guarini 

und  seine  Gesandtschaft)  Przeglad  polski  (Polnische  Revue).  Krakau. 

Juli  1889. 
Yriarte,  Charles.    Isabelle  d' Este  et  les  artistes  de  son  temps.   Gazette 

des  Beaux- Arts.    Vol.  XIII.    1895. 

—  Autour  des  Borgia.    Paris.    I.  Rothschild,  editeur  1891. 
Zambotto,    Bernardino.     Lucrezia  Borgia  in  Ferrara,  sposa  a  Don 

Alfonso  d'Este.  Mem.  stor.  estratte  dalla  cronaca  ferrarese  di  B.  Zam- 
botto, Ferrara,  Domenico  Taddei  1867. 


REGISTER 


Agresti  Daniele  478 
degli  Albanzani  Donato  26,  28 
Alberti  (da  Ferrara)  Antonio  477 
Alberti  Leon  Battista  47,  48 
Alberto  d'  Este  17,  18 
Alberto  d*  Este  65,  71,  75 
Aldingheri  de  Fontana  13 
Aldobrandini  Cincio  379,  380,  382, 

383 
Aldobrandini  Pietro  380,  402,  403, 

405 

d'  Alemagna  (Teutonico)  Niccolo 
478 

Alexander  VI.  105,  158 — 170,  190, 
191,  227 

Don  Alfonso  d'  Este  401 

Alfonso  I.  d'  Este  75,  91 — 93,  166, 
167,  176,  177,  181— 185,  193  bis 
197,  214,  215,  219—226,  231, 
235,    240—242,    244—246,    251, 

257,  313,  458 
Alfonso  II.  d'  Este  250,  291,  292. 
298,  299,  304,  308—335,  354  bis 
358,  362—375,  394—403,  435  bis 

437.  442 
Altichiero  di  Verona  519 
Anna  d'  Este  284,   307 — 309,   393 


Antoniano  Silvio  358 — 362 

Aquilano  Serafino  387 

dell'  Area  Niccolo  526 

Aretino  Pietro  143,  232,  457,  474 

Aretusi  da  Modena  Pellegrino  506 

d'  Arezzo  Francesco  47,  65 

d'  Arezzo  Jacopo  29 

d'  Argenta  Jacopo  Filippo  521 

Argenti  Agostino  389 

Argotta  Agnese  391 

Ariosti  Jacopo  65 

Ariosti  Lippa  15 

Ariosti  Malatesta  58 

Ariosto  Francesco  49 

Ariosto  Lodovico  145,  200,  206  bis 

239,  385»  387»  453.  454.  470 
AriostoNiccolo  70,71,206 — 209,212 
Ariosto  Virginio  210,  213,  224 — 226 
d'  Ascoli  Cecco  257,  276 
dell'  Assassino  Stella  20 — 22 
Aurispa  Giovanni  36,  37 
d'  Avalos  Costanza  263 
Aversa  160,   161 
Avogario  (Avogardo)   415 
Avogaro  dell'  Marco  521 
Azzo  VI.  d'  Este  12 
Azzo  VII.  d'  Este  13 


536 


REGISTER 


Baldassare  d'  Este  488 — 491 
Bandello  419,  420 
Barbazza  Andrea  480 
Baroncelli  Niccolo  di  Giovanni  522, 

523 

Baroncelli   Giovanni  523 

Barzizza  33 

di  Bascio  Matteo  264 

Bastianini  (Filippi)   Sebastiano  518 

Beatrice  d'Este  (Azzos  VI.  Tochter) 
12 

Beatrice  d'Este  (Niccolos  III.  Toch- 
ter)  24,   155 

Beatrice  d'Este  (Ercoles  I.  Tochter) 
76,  77,  88,  89 

Beatrice  von  Aragon   ioo,    101 

Beccadelli  Panormita  36 

de'  Beccari  Agostino  389 

Begarelli  Antonio  525 

Begarelli  Lodovico  525 

dei  Belli  (Turola)  Jacopo  479 

Bellini  Jacopo  481,  482 

Bellincioni  Bernardo  132,  149, 
416,  460 

Bello  (Cieco)  Francesco  132 

Bembo  Pietro  140 — 145,  187  bis 
193,  197.  203,  230,  422 

Bendidio   Lucrezia  344,   355,   356, 

436,  437 
Bendidio  Taddea  315 
Bentivoglio  Annibale  76 
Bentivoglio  Antonio  Galeazzo  500 
Bentivoglio  Bento  494 
Bentivoglio  Cornelio  312,  326,  397 
Bentivoglio  II.   Giovanni  494,  499 
Benucci  Alessandra  216,  217,  220 
Benzi  Ugo  37 
Berengario  Jacopo  139 
Bianca  d'  Este  65 


Bianchini  (Torello)  Giovanni  89 
Biondo  di  Niccolo  Giovanni  66 
Bisceglia  Alfonso  164 — 166 
Bisceglia  Rodrigo  204 
Boccaccino  Boccaccio  515,  516 
Boione  Simone  114,   115 
Bojardo  Feltrino  48,   no 
Bojardo   Matteo    Maria    no — 132, 

153,  231,  234,  235 
Bona  101,  312,  313,  422 
Bonacossi  Bartolommeo  479 
Bonacossi    Giacomo  479 
Bonna  Febo  371 
Bono  Pietro  415 
de'  Bonsignori  Pietro  478 
de'  Bontempi  Candido  64 
Borgia  Angela  171,  193,  194 
Borgia  Cesare  159 — 169,  195 
Borgia  Lucrezia  158 — 205 
Borso  d'Este  21,  22,   30,   52 — 69, 

454,  455,  49*,  492,  520 
Boschetti  Albertino  194 
Bracciolini  Poggio  68 
Braga  Pier  Angelo  358 
Brancaccio  Giulio  Cesare  436 
Bresciani  Bartolommeo  172,  173 
Brognina  425 — 428 
Bruccioli  288,  289 
Bruno  Giordano  276 
Bussoli  Giacomo  520 

Calcagnini    Celio    145,     146,     199, 

201,  257 
Calcagnini  Teofil  53 
Calleffini  Ugo  66 
Calvin    256,    259 — 261,    281,    291, 

293,  294,  297,  30i,  303,  304 
Cammelli    (Pistoja)     Antonio     149 
bis  152,  207 


REGISTER 


537 


di  Campo  Fregoso  Galeotto  66 
da  Canno  Lodovico  65 
Capellino  Gabriele  515 
Caprara  Antonia  111 — 113 
di  Capua  Annibale  340,  341 
Caraffa  Giovanni  Pietro  268 — 270, 

276 
Carbone  Lodovico  55,  66 — 68 
Cardone  Raimondo  425 — 428 
da  Carpi  Girolamo  518 
da  Carrara  Gigliola  20 
del  Carreto  Manfredo  27 
Castelmo  Ercole  200 
Castiglione  Baldassare  388,  472,  473 
Cataneo  Danese  345 
Cavaletti  Orsina  Bertolaja  348 
Caviceo  Jacopo  202,  203 
Cellini  Benvenuto  2 
de  Centelles  Cherubin  160 
Cesare   d'Este   63,   334,   365,   373, 

401 — 404 
Cesinge  (Pannonius)  Giovanni34,5i 
Cessi  344 

di  Chieri  Celio  287 
Cibo  Caterina  264,  265,  270 
Cintio  Giraldi  Battista  394 
Clesio  Bernardo  514 
da  Codegoro  Francesco  519 
Colle  del  Rafaellino  513 
Collenuccio  Pandolfo  98,  99,  157 
Colleoni  Bartolommeo  154 
Colocci  Angelo   145 
Colonna  Prosper  101 
Colonna    Vittoria    262 — 267,   275, 

283,  466,  472 
di  Conca  378 

Contrari  Ercole  352,  397,  398 
Contrari  Uguccione  48 
Cornaro  Caterina  142 


da  Correggio  Gian  Galeazzo   157 
da  Correggio  Niccolo  57,  153 — 157 
da  Correggio  Prete  157 
della  Corte  Bonvicino  83 
Corvinus  Mathias  100,   ioi,  519 
Cossa  Francesco  491 — 495 
Costa  da  Vicenza  Andrea  480 
Costa  Domenico  478 
Costa  Lorenzo  500 — 505 
Costabili  Alberto  48 
Cristoforo  di  Antonio  522 
Crivelli  Taddeo  520 
Curione  Celio  284,  287 
Cusastro  Beltramino  87 

Dante  14,   143 
Decembrio  Angelo  47 
Decembrio  Pier  Candido  39,  64 
Diana  d'  Este  201 
Dianti  Laura  280,  510 
Diodato  463 

Domenichi  Lodovico  132,  472 
Dossi  Battista  509,  510 
Dossi   Giovanni  509 — 515 

Eleonora   von   Aragon   4,   71 — 76, 

86,  88,  91,  93 
Elisabetta  d'  Este  102,   194 
Equicola  d'  Alveto  Maria  77 
Erasmus  Rotterdamus  133 
Ercolani  Virginia  345 
Ercole  I.  d'  Este  25,  30,  70 — 109, 

in,  153, 154,  166—182,  191, 193, 

227.  457 
Ercole  II.  d'Este  241  — 267, 275 — 299 
Ercole  Rinaldo  III.  d'  Este  406 
Este  Abstammung  und   Charakte- 

ristik   10 — 12 
Eugen  IV.  30 


538 


REGISTER 


da  Fabriano  Gentile  485 

Faccini  Bartolommeo  518 

Falconi  Giovanni  29 

Falengo  264 

Fannino  Fanio  290 

Farnese  Giulia  158 — 160,  204 

Farnese  Orazio  282,  283 

da  Feltre  Vittorino  55 

Ferrante  d'  Este  170,   194 

da  Ferrara  (Alberti)  Antonio  477 

da  Ferrara  Domenico  440 

Ferrari  Bianchi  498,  499 

Ferrarino  da  Ferrara  13 

Filelfo  36,   134 

Filippi  Camillo  515,  518 

da  Foligno  Angiolo  478 

Foppa  (Caradossa)  Cristoforo  526 

Fortuno  Scipio  66 

da  Fossombrone  Lodovico  264 

Franceschino  519 

della  Francesca  Piero  483 

Francia  Francesco  501 

Franz  I.  240 — 243,  252,  260,  279, 

427,  428 
Franz  II.  301 
Franco  Veronica  321 — 324 
FristeJla  463 
Friedrich  III.  55—57 

Galeotto  427,  428 

Galilei  276,  277,  385 

Gallerani  Cecilia  89,   199,  200 

Gallino  Jacopo  76 

Gambacorta  Pietro  383 

Garofalo  (Tisi)  Benvenuto  515—518 

Gaurico  Lukas  258 

Gaza  Teodoro  47 

Gelosi,  Theatergesellschaft  320,352, 

356 


Genga  Girolamo  512,  513 

Gianetto  259,  260 

Giglioli  Giacomo  32 

Giraldi  Giovan  Battista  389 

Giraldi  Guglielmo  521 

Giraldi  Lelio  287 

Giraldini  Ascanio  314,  315,  317, 

326,  328 
Giulio  d'  Este  193 — 195,  299 
Gonella  16,  461 
Gonzaga  Cesare  388,  395 
Gonzaga  Elisabetta  89 
Gonzaga  di  Giorgio  Taddea  114 
Gonzaga  Federigo  87 
Gonzaga   Francesco   88,   147,  148, 

428,  503 
Gonzaga  Giulia  263 
Gonzaga  Gulielmo  350 
Gonzaga  Margherita  (Alfonsos  II. 

Gemahlin)   312,  400,  440 
Gonzaga  Margherita  (Lionellos  Ge- 
mahlin) 40,  42,  43 
Gonzaga  Scipione  345,  358,  366,372 
Gonzaga  Vincenzo  373 — 375,  391, 

418 
Grandi  di  Giulio  Cesare  Ercole  505, 

506 
Grazioli  Livia  518 
Gregor  XIII.  332,  356,  359 
Grillo  Angelo  372,  374 
Grimani  Giovanni  324 
Gualengo  Giovanni  48 
Gualengo  Camillo  315,  316 
Guarini    Battista    315 — 318,    327, 

328,    355.    356,    362,    390—392, 

470—472 
Guarino  Battista  76,   134 
Guarino    Guarini   31 — 35,   39,   40, 

49,  50 


REGISTER 


539 


Heinrich  II.   von  Frankreich  292, 

294,  295 
Heinrich  III.  Valois  309,  312,  314, 
317—326,  332,  357 


Ingegnero  Angelo  371 
Innocenz  III.  430 
Ippolito  I.  d'  Este  76,  99 — 102,  146, 
169,  193,  213—219,  231,  312,  313 
Ippolito  II.  d'  Este  314,  329,  334, 

335 
Isabella  d'Aragon  211,  312 

Isabella  d'  Este-Gonzaga  76,  77, 
87,  88,  131,  132,  M7»  MS,  156, 
i57>  176— 181,  191,  214,  231, 
246,  422—429,  467,  468,  503 
bis  595 

Isacchino  di  Mantua  392 

Jamet  Leon  254,  256,  287,  294,  304 
Jay  Claude  275,  293,  294 
Johannes  XXI.  430 
Julius  II.   184,  204,  214 — 216,  240 

Karl  V.  225,  232,  234,  249—253, 

342,  428,  429,  523 
Karl  IX.  von  Frankreich  301,  305, 

3M»  315,  352,  357 
Klemens  VII.    184,   223,   225,   249 

bis  252,  269 
Klemens  VIII.  379,  380,  402,  405 
Kopernikus  257 

Landino  Cristoforo  415 
Lang  Matteo  425,  426 
Lardi  Lionello  47 
Lardi  Lodovico  47 
Lasca  438,  444 


Lellio  Alberto  389 

Leo   X.    148,    184,   203,   205,   216, 

241,  443 
Leonora  d'  Este  284,  348,  384,  393, 

394.  435 
Leoniceno  Niccolo  99,  145,  201,  202 
Lepelletier  293,  296,  330 
Ligorio  Piero  334,  356 
Lionello  d'  Este  21,  25,  30,  38 — 51 
Lombardi  Alfonso  515,  523 
Lorenzetti  Ambrogio  475 
de  Lorgna  Ramiro   167 
Loyola  Ignaz  275,  276,  293,  330 
Lucrezia  d'  Este  (Ercoles  I.  Toch- 

ter)  76,  87 
Lucrezia  d'  Este  (Ercoles  II.  Toch- 

ter)  284,  348,  355,  361,  372,  393 

bis  405,  435 
Luigi  d'  Este  300,  329~ 335.    34°, 

34i,    346,    347.    35i—  354>    356, 

369,  433,  434 
Luzzaschi  Luzzasco  436 

Maggi  Graciosa  201 

dei  Magnabotti  Andrea  119 

Malaguzzi  Daria  207,  208,  212,  213 

Malespina  Celio  371 

Manfrone  Gian  Paolo  278,  279 

Manso  Giovan   Battista   378,    379, 

383,  384 
Mantegna  476,  482,  503 
Mantovano  Giovanni  137 — 140 
Mantovano  Camillo  513 
Manuzio  Aldo  137 — 140,  339,  372 
Manzachi  Francesco  513 
Manzollini  Angelo  287 
Marcantonio  Flaminio  287 
Margherita  von  Navarra  254,   255 
Maria  d'Aragon  43,  45 


540 


REGISTER 


Marot  Clement  243,  253 — 256,  259 

Marotta  Erasmo  391 

Martin   Giovanni  77 

Matello  462 

Mazzolini  Lodovico  507 

Mazzoni  Guido  524,  525 

Mazzuoli  Giuseppe  515 

Medici  Francesco  358 

Medici  Katharina  301,  304 

Medici  Virginia  373 

Meliadus  d'  Este  22,  44,  65 

Milton  379 

della  Mirandola  Gian  Francesco  65 

della  Mirandola  Pico  Galeotto  25, 

33i 
della  Mirandola  Pico  Giovanni  135 

bis  138 
della  Mirandola  Pico  Li  via  331 
Modena  da  Martino  521 
Molza  Tarquinia  436,  437 
Montecuculi  Luigi  400 
Montefeltro  Elisabetta  174 
da  Montepulciano  Girolamo  265 
da  Monteregio  Roberto  414 
di  Montone  Braccio  39 
Morato  Olympia  284 — 286,  297 
Morato  Pellegrino  284 
Morel  (de  Colonges)  Francesco  295 
Mosti  Agostino  370,  371 
Mosti  Ercole  403 

Nanino  465,  466 
da  Narni  Lucia  103 — 107 
Niccolo  II.  d'  Este  16,  455 
Niccolo  III.  d'  Este  19 — 37 
Niccolo  d'  Este  (Lionellos  Sohn)  70, 

7i,  75,  76 
Niccoluccio  di  Calabria  505 
dei  Nobili  Flaminio  358 


da  Novara  Bartolino  6 
Novara  Domenico  Maria  415 
de  Noyant  278,  279 

Obizzo  II.  d'  Este  13 — 15 

Obizzo  III.  d'  Este  15 

Ochino    Bernardo    263 — 267,    270 

bis  274 
Oriola  Giovanni  478 
Orsini  Adriana  158 — 160,  172,  183 
Ory  Mathias  294 — 296 

Palestrino  Pier  Luigi  435 
Panetti  Domenico  499 
Panicciati  Jacopo  515 
Panizzata  Niccolo  480 
Parisina  de  Malatesta  21 — 24 
di  Parma  Basinio  47 
de  Parthenay  Anna  249,  250 
Paul  II.  59 — 63 

Paul  III.  252,  257,  258,  268,  269, 
277,    279,    281 — 283,    288,    296, 

329 
de  Peguilhan  Aimeric  12 
di  Perugia  Spirito  Lorenzi  64 
Peperara  Laura  346,  436 
Petrarca  142 — 144 
Pigna  Giovan  Battista  355,  356,  361 
Piissima  Vittoria  320,  321 
Pio  di  Carpi  Alberto  49,  137 — 140, 

210,  211 
Pio  di  Carpi  Enea  200,  201 
Pirandoli  Cesare  71 
Pisanello  (Pisano)  Vittore  480 — 482 
Pisauriensis  Guglielmo  440 
Pistoja  (Cammeli)  Antonio  149  bis 

152,  207,  460,  462,  470 
Pistofilo  Bonaventura  182,  458,  459 
Pius  IV.  299,  332 


REGISTER 


541 


Pius  II.   58,   59 

Poggini  Domenico  228,  229 

Pomponazzo  Pietro  257 

de  Pons  Antonio  249,  250,  279  bis 

281,  283,  284 
della  Porta  Giovan  Battista  433, 

434 
Porto  Francesco  288,  289 
Pucci  Lorenzo  158,   159 
Pulci  Luigi   120 

da  Ragusa  Giorgio  89 

da  Reggio  Fra  Evangelista  521 

Renata  d'  Este  314 

Renata  di  Francia  240 — 309 

Reszka  Stanislas  381 

Riario  Pietro  72 — 74 

Riccardo  Saluzzo  25 

Richardot  Francois  281 

Rinaldo  d'  Este  75,  210 

Roberti  di  Antonio  Ercole  495  bis 

498 
de  Roberti  Giovanna  18 
Romano  Christoforo  90 
Romei  Annibale  416 
Rondinelli  Ercole  351 
della  Rovere  Francesco  Maria  394 

bis  396,  399 
della  Rovere  Giuliano  72 
della  Rovere  Guidobaldo  338,  394 

bis  396 
Roverella  Lorenzo  486 
Rovigo  Francesco  392 
Rubinetto  di  Francia  485 
Rucellai  Bernardo  133 
Russi  Francesco  520 

Sacrati  Uberto  486 
Sadoleto  Jacopo   145 


Sagramoro    (da    Sancino)     Jacopo 
479,  480 

dal  Sale  Margherita  18 

Sanseverino  Barbara  356,  362 

Sanseverino  Ferrante  337 

Sanzio  Raffael  516 

Savelli  Silvio  169 

Savonarola  Hieronymus  108,   109 

Savonarola  Michele  37,  50,  68,  69, 
469,  470 

Scaccieri  Giovanni  498 

della  Scala  Alberto  66 

di    Scandiano    Leonora    356,    362, 
363.  390,  436 

Schiatti  Alberto  6 

Scocola  461 

Sforza  Anna  91 — 93 

Sforza  Ascanio  90,   160 

Sforza  Galeazzo  Maria  453 

Sforza  Giovanni  160 — 163 

Sforza  Lodovico  il  Moro  88,  89  bis 

91,   100 
da  Siena  Angiolo  483 
Sigismondo  d'  Este  25,  30,  66,  71, 

75,   m,   170 
Sigmund  I.  von  Polen  312,  313 
Sigmund  August  von  Polen  273, 274 
Simoni  Gabriello  472 
Sinapius  Chilian  287 
Sinapius  Giovanni  287 
Sixtus  V.  332,  333,  375 
de  Soubise  248,  249,  252,  253,  259 
Speroni  Sperone  340,  358,  361,  362, 

389,  390 
Spinola  Daniele  344 
Spinola  Francesco  345 
de  Spoleto  Gregor  210,  211 
Stellato  (Manzolli)   Palingenio  259 


542 


REGISTER 


Strozzi  Ercole  95,  98,  134,  135,  186, 

195—197,  211,  229 
Strozzi   Giovanni  48,  49 
Strozzi  Niccolo  48 
Strozzi  Tito  Vespasiano  49,  54,  83, 

93—98,  133,  186,  192,  193 


Tarnowski  Stanislas  341 

Tasso  Antonio  354 

Tasso  Bernardo  336 — 340,  350 

Tasso  Cornelia  343,  367 

Tasso  Porcia  337,  338 

Tasso     Torquato     336—392,     437> 

442 
Tebaldi  (Tebaldeo)  Antonio  147  bis 

149,  199 
Tedesco   Giorgio  520 
Tizian  228,  229,  508,  509,  523 
di  Toledo  Pedro  337 
Torelli  Barbara  196,  197 
di  Tortona  Tommaso   16 
Triboulet  465 
Trissino  Giangiorgio  77,   199,  200, 

423 
Trotti  Cesare  401 


Tura  Cosimo  483 — 488 
Turola  (dei  Belli)   Jacopo  479 

Uberti  Francesco  175 
Ugo  d'  Este  21 — 24 

Valdes  Alfons  262,  263 
Valdes  Juan  262,  263 
Valentini  Andrea  313 
Vanozza  Catanei   158,  204 
Varano  Ercole  348 
Varano  Piero  311 
Venier  Domenico  144 
Verdizzotti  Giovan  Maria  343 
Vergerio  Pierpaolo  34 
de  Vico  Galeazzo  297 
da  Vinci  Leonardo  523 
Visconti   Galeazzo  131,  132 

van  der  Weyden  Rogier  482 
West  Giacomo  392 

Zampante  Giegorio  82,  83,  153 
Ziegler  Jakob  257 
Zini  Francesco  348 
di  San  Zozzo  Carlo  65 


VERZEICHNIS  DER 
ABBILDUNGEN 


i.  Isabella  d'Este.    Bildnis  von  Tizian.    Wien, 

Galerie Titelbild 

2.  Francesco  Cossa:  Allegoriedes  Herbstes 

Berlin,  Kaiser-Friedrich -Museum gegeniiber   Seite  IV 

3.  Kastell  zu  Ferrara      ,,  ,,         8 

4.  Dom  zu  Ferrara       ,,  ,,         8 

5.  Seitenportal     des    Domes    zu     Ferrara         ,,  ,,         8 

6.  Palazzo  Diamanti   zu   Ferrara     ,,  ,,       16 

7.  Tor    des   Palazzo    Prosperi    zu   Ferrara         ,,  ,,       16 

8.  Pisanello:     Pilger     ins     gelobte     Land. 

Verona,  S.  Anastasia    ,,  ,,       24 

9.  Lionello    d'Este.       Bildnis    von    Pisanello. 

Bergamo,  Akademie  (Galeria  Morelli)     ....  ,,  „       40 

10.  Borso  und  seine  Umgebung.     Detail  aus 

den  Fresken  im  Palazzo  Schifanoja  zu  Ferrara         ,,  ,,       56 

11.  Ercole  I.  d'Este.  Kopie  Dossis  nach  Tizian. 

Modena,  Galerie       ,,  ,,       72 

12.  Beatrice  d'Este.     Detail  aus  Zenales  ,,La 

Vergine  in  Trono".    Mailand,  Brera ,,  ,,       88 

13.  Pinturicchio:  Die  heilige  Katharina 
von  Alexandrien.  Angebliches  Portrat  von 
Lucrezia  Borgia.     Detail  aus  dem  Apparta- 

mento  Borgia  im  Vatikan     ,,  ,,     160 

14.  Alfonso  I.  d'Este.  Kopie  Dossis  nach  Tizian. 

Modena,  Galerie       ,,  ,,     184 

15.  Ariost.  Bildnis  von  Tizian.  London,  National- 

Gallery      ,,  ,,    208 


544  VERZEICHNIS   DER   ABBILDUNGEN 

16.  RenatadiFrancia.  BildnisvonFr.Clouet(?). 

Sammlung  Fiirst  Czartoryski  in  Goluchow  . .  gegeniiber  Seite  248 

17.  Papst  Paul  III.    Bildnis  von  Paris  Bordone. 

Florenz,   Pitti    „          ,,       272 

18.  KdniginBonaSforzaundRenatad'Este, 
Grafin  von  Mirandola.  Krakau,  Museum 

Graf  Czapski    „         ,,       312 

19.  Battista  Guarini.  Lithographie  nach  ,,Vite 

e  ritratti  di  XXX  illustri  Ferraresi"    „         ,,       320 

20.  Torquato  Tasso.    Bildnis  von  Alessandro 

Allori.    Florenz,  Uffizien    ,,         ,,       336 

21.  Schule  von  Ferrara:  Eine  Verlobung. 

Berlin,   Kaiser -Friedrich-Museum     ,,         „       424 

22.  Reiter.    Detail  aus  den  Fresken  im  Palazzo 

Schifanoja  zu  Ferrara    ,,  ,,  456 

23.  DossoDossi:  Hofnarr.  Modena,  Galerie  ..  ,,  ,,  464 

24.  CosimoTura: Madonna. Venedig,Akademie  ,,  ,,  480 

25.  Cosimo  Tura:  Madonna  in  Trono.  Lon- 
don, National- Gallery ,,  ,,  488 

26.  Stickende  Frauen.  Detail  aus  den  Fresken 

im  Palazzo  Schifanoja  zu  Ferrara ,,         ,,       488 

27.  Francesco  Cossa:  Verkiindigung.  Dres- 
den,  Galerie ,,         ,,       496 

28.  Francesco  Cossa:  Madonna   zwischen 
Petronius  und  Johannes.  Bologna,  Pina- 

kothek   ,,         ,,       496 

29.  Lorenzo  Costa:  S.  S.  Petronio,    Fran- 
cesco e  To mmaso.  Bologna,  Pinakothek  ..  „         „       504 

30.  Dosso  Dossi:  Vision  der  vier  Kirchen- 

vater.     Dresden,  Galerie  ,,         ,,      512 

31.  Garofalo:  Bacchanal.  Dresden,  Galerie  ..         ,,         ,,       512 

32.  G.  Mazzoni:  Nicodemus  aus  der  Grab- 

legung.     Modena,  S.  Giovanni  Decollato..         ,,         ,,       520 


Ugo      irgherita 
Aldobrand  ijnehelich) 
(unehelich  erh.  mit 
1405— i42  =  eazzo  Pio 


Ercole  I. 

1431— 1505 

zweiter  Herzog 

von  Ferrara 

und   Modena 

verh.  mit 

Eleonora 

d'Aragon 


Sigismondo    BiancaMaria 

1433 — 1507  (unehelich) 

1440 — 1506 

verh.  mit 

Galeotto  Pico 

della 

Mirandola 


B  3.  ldassar  •: 

(unehelich) 

und  mehrere 

andere  Bastarde 


I 

Ercole 

verh.  mit 

Angela 

Sforza 


Bianca  Diana 

verh.  mit  verh.  mit 

Alberigi  da  San    Uguccione  di 
Severino  Ambrogio  de' 

Contrari 


1 


Ippolito  I. 
M79— 1520 

Kardinal 


Elisabetta 

(unehelich) 

verh.  mit 

Giberto  Pio 


Sigismondo 
1480— 1524 


e 

628 
von 


lit 
Medici 


STAMMTAFEL    DER    ESTE 

Niccolo  III.  —  I.  Gigliola  da  Carrara  1397 

1383  —  1441         2.  Parisina  Malatesta  1418 

3.  Riccarda    Saluzzo    1431 


Ugo              Meliadus 
Aldobrandino    (unehelich) 
(unehelich)        1406  — 1452 
1405— 1425 

LioneMo  = 
(unehelich) 
1407—1450 

.  Margherita  Gonzaga 
z.  Maria  d'Aragon 

1 

Borso 

(unehelich) 

1413  — 1471 

der  ersteHerzog 

Modena 

Ginevra              Lucia 
1419— 1440        1419— 1437 

Sigismondo    Carlo  Gonzaga 
Malatesta 

Isotta 
(unehelich) 
verh. mit 

1.  Oddone 
Montefeltro 

2.  Stefano 
Frangipani 

(unehelich)        (unehelich) 
1427— 1497          verh.  mit 

verh.  mit        Galeazzo  Pio 
1.  Niccolo  da 
Correggio 
2. Tristan  Sforza 

Ercole  I. 
1431— 1505 

1 
Fiancesc 

1 
0            Niccolo 

verh.  mit 
Eleonora 

ondo 

BiancaMaria 

Baldasslt* 

1507 

(unehelich) 

(unehelich) 

1440 — 1506 

und  mehrere 

verh.  mit 

andereBastarde 

Galeotto  Pico 


Angela 


verh.  mit  verh.  mit 

Alberigi  da  San    Uguccione  di 
Severino  Ambrogio  de' 

Contrari 


(unehelich) 

1473— 1518 

Annibale 

Bentivoglio 

Ippolito  I. 

1479— 1520 

Kardinal 


(unehelich) 

verh.  mit 

Giberto  Pio 


und  Modena 
Renata  di  Franc 


I  GiuliadelleRov 
Marfiza       . 
(unehelich) 


verh  mit 

funfter   Herzog         ve 

h.  mit 

Francois 

von  Ferrara      FrancescoMaria 

e  Lorraine 

und    Modena         von 

Urbino 

ade'  Medici  1560 

2.  Barbara 

von  Oesterreich  1565 

3.  Marghe 

nta  Gonzaga  1579 

Virginia  de'  Medic; 


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