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Aichitectuf
Library
CHLEDOWSKI / DER HOF VON FERRARA
ISABELLA D'ESTE
BILDNIS VON TIZIAN. WIEN, GALERIE
AUTORISIERTE ÜBERTRAGUNG
VON ROSA SCHAPIRE
FÜNFTES BIS SIEBENTES TAUSEND
COPYRIGHT 1921 BY GEORG MÜLLER VERLAG A.-G., MÜNCHEN
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INHALTSVERZEICHNIS
I. Land und Leute i
IL Niccolo III 19
IIL Lionello 38
IV. Borso 52
V. Ercole 1 70
VI. Matteo Maria Bojardo xio
VII. Das junge Ferrara 133
VIII. Lucrezia Borgia 158
IX. Ariosto 206
X. Renata di Francia 240
XL Alfonso II 310
XIL Torquato Tasso 336
XIII. Finis Ferrariae 393
XIV. Höfisches Leben 407
XV. Die Kunst wird weltlich 475
Literaturnachweis 527
Register 535
Verzeichnis der Abbildungen 543
Stammtafel der Este am Schlufi
Dieses Werk wurde im Auftrag des Verlages Georg Mfiller
in München bei Mänicke und Jahn in Rudolstadt im
Jahre 1921 gedruckt. Titelrahmen von Eugen Staib. Den
Einband besorgte die Buchbinderei Hfibel und Denck
in Leipzig nach Entwürfen von Professor Peter Halm
FRANCESCO COSSA: ALLEGORIE DES HERBSTES
BERLIN, KAISER- FRIEDRICH-MUSEUM
ERSTES KAPITEL
LAND UND LEUTE
I
Is bescheidener Fluß kommt der Po nach Pavia, aber
nachdem er sich dort am Tessin gesättigt, durch die
zahlreichen Zuflüsse aus Alpen und Apenninen ver-
gröBert, Adda imd Trebbia in der Gegend von Pia-
cenza und Cremona verschliuigen, wird er zum Herrn
der ganzen lombardischen Ebene, er verleiht ihr ein be-
sonderes Gepräge, gestaltet sie zum ungeheuren Fächer, zu einem
Stück fruchtbaren Landes, dem er neue Kräfte aus den Bergen zuträgt
Mailand, Bresda, Verona, Padua und Venedig auf der einen,
Piacenza, Parma, Modena, Bologna und Ravenna auf der anderen
Seite sind die Edelsteine, die diesen Fächer doppelt einfassen. In
der Mitte strahlen noch zwei Brillanten besonderer Art: Mantua
und Ferrara« Reist man im Frühling durch diese Ebene, so hat
man das eintönige Bild eines fast überschwemmten Landes. Überall
Wasser; aus den Sümpfen steigen kahle Erlen auf; auf den mit
Axt und Schere ziurechtgestutzten, zwergartigen Stämmen sitzen
seltsame Medusenhäupter, dazwischen stehen schlanke, bis auf die
Krone beschnittene Pappeln — Wandervögeln auf ihrer Reise gen
Norden eine beliebte Rast. Vertrocknete Weinranken, die sich
traurig an Bäumen festgeklammert, oder starrende Stengel von
blassem Mais verstärken den Eindruck der Verwahrlosung und Öde
an diesen verschlammten Teichen. Aber üppige, gelbe Blumen
und lächelnde Pfirsichbäume im Blütenschmuck verraten, daB das
Wasser des gesegneten Po nur vorübergehend die Gegend über-
schwemmt, daB eine reiche Reis- und Weizenemte bevorsteht,
2 ERSTES KAPITEL
daß dort, wo heute träges Wasser steht, im Herbst ein Quell
purpurnen Weines fließen wird. In (fer Sonne liegt die Zukunft, im
strahlenden Himmel, der der Landschaft einen heiteren, hoffnungs-
freudigen Zug gibt, trotz aller Einsamkeit und Verwahrlosimg.
Schon im nächsten Monat, im Mai, hat die Sonne über das
Wasser gesiegt; in der Luft feuchte, dufterfüllte Dünste, und das
Summen der Insekten klingt wie ein leises Spiel. Die Atmosphäre
zittert unter den Strahlen eines wechselnden Lichtes, das die feuchte,
schwüle Luft durchdringt.
Vielleicht ist die Landschaft im Herbst am schönsten: das
Wasser ist in das Flußbett des Po und in die Kanäle, die die ganze
Ebene durchschneiden, zurückgetreten; warme, gelbe und blutig-
bräunliche Farben decken das Gelände, zwischen Himmel und Erde
hängt ein ruhiges, rötliches Licht. Nach der Arbeit ruht die Natur,
lebt der Kontemplation. Von Baum zu Baum ranken sich Wein-
reben, dazwischen stehen Menschen in bunten Kleidern und weißen
Strohhüten, und ein melancholischer Esel rupft trockene Kräuter,
ohne seiner Umgebung zu achten. Hier und da li^en auf den
Ackern prachtvolle Melonen von seltsamen Formen, und schon
wirft der von vier oder sechs Ochsen gezogene Pflug die zur winter-
lichen Aussaat bestimmten fetten, schwarzen Schollen auf. Auf den
flachen Dächern der gemauerten, rot oder blau gestrichenen Häuser
hängen lange Maiskränze, um in der Sonne zu reifen. Auf den
Kanälen gleiten schwere Barken, mit Körben voll Weintrauben be-
laden, langsam treiben sie nach dem Po, den Lebensnerv des Landes.
Ackerland ohne Industrie; erst in der Gegend von Bologna,
Ravenna und Ferrara, dem Meere nahe, ragen Fabrikschlote.
Anders hat die Po-Ebene im KV. und XVI. Jahrhundert aus-
gesehen, sie war dicht bewaldet und reich an Wild. Im Dickicht
bargen sich Hirsche, Rehe und Hasen, im Gebüsch Rebhühner imd
Fasane, Wildschweine verheerten die Gegend, und Fuchs und Bär
waren nicht selten. Ein wirklicher Schmuck der Felder waren
wilde Pfauen. Benvenuto Cellini erzählt, daß er im Jahre 1540,
krank und angegriffen, über Felder in der Nähe der Estensischen
Paläste ging. Meilenweit kahle Strecken, dort nisteten wilde
Pfauen. Der Künstler lud seine Flinte mit Pulver, das nur wenig
LAND UND LEUTE 3
Linn machte, lauerte den jungen Vögeln auf und brachte täglich ein
Tier in die Küche. Er versichert, daB das Pfauenfleisch ausgezeichnet
geschmeckt und ihn von all seinen Schmerzen schnell befreit habe«
Damals, im Beginn des ZVL Jahrhunderts, konnte man
Italien noch nicht das Land nennen, wo „im dunkeln Laub die
Goldorangen glühen", denn die süße Orange (Citrus aurantium
dulds) wurde erst zu Anfang des XVI. Jahrhunderts aus Spanien
nach Italien eingeführt. Das Klima der Po-Ebene war ziemlich
rauh, hätifig fror der FluB im Winter zu, und über Schneestürme
in den Städten berichten die Chronisten nicht eben selten«
Es gibt eine Art von Fischadlern mit Raubtieraugen (Aquila
hettaca), die ihre Nahrung über dem Wasser suchen und in alten
Bäumen nisten. Rittergeschlechter, die diesen Adlern gleichen»
hatten sich damals in dem gesegneten Lande angesiedelt und vn*
geheure Nester gebaut; Schlösser, mit Gräben von faulendem
Wasser unostanden, wiirzelten tief im Boden. Nahrungsmittel gab
es im Überfluß, denn damals, als man nur wenig Getreide aus
fernen Ländern einführte, als Amerika noch nicht Europas Ge«
treidemarkt war, war die Po-Ebene Italiens unerschöpflicher Speicher,
und die kräftige imd umsichtige Bevölkerung ein zuverlässiges
Arbeitskapital. Ein tüchtiges Volk, dem der geniale Zug nicht
fehlte; eine nicht geringe Anzahl bedeutender Männer stammt aus
der Po-Ebene. Das Menschenmaterial neigt dort nach Carduccis
Wort zum Überschäumen.
Das größte Nest der Adlerritter am unteren Po war im XV.
und XVL Jahrhundert Ferrara, an jenem Punkte gelegen, wo der
Fluß anfängt sich in zahlreiche Arme zu spalten und ein morastiges
Delta zu bilden. Die Gonzaga siedelten sich über dem Mindosee
m Mantua an, die kleineren Geschlechter der Pio, Pico, Palla-
vidni, Correggio verschanzten sich hinter SchloBmauem in Carpi,
Mirandola, Corte Maggiore und Correggio, andere zogen bis auf
den Apennin, wie die Bojardo in Scandiano.
Wie überall in der Po-Ebene kämpften auch in Ferrara lange
Zeit die freien Gemeinden mit den übermütigen Rittergeschlechtem,
bis die Städte unterlagen. Die Ferraresen, friedfertig wie jede
ackerbautreibende Bevölkerung, wenig im Kampfe geübt, waren
4 ERSTES KAPITEL
nicht schwer zu besiegen. Frösche wurden sie in Italien genannt,
da sie sich zwischen Kanälen und Sümpfen angesiedelt hatten; der
dem Ohr geläufigste Klang war das Quaken der Frösche, und als
besonderer Leckerbissen galt ein Froschragout.
Quanto e felice dunque il ferrarcie
U' canton d' ogn' intomo in mille tempre
Botter rane e ranocchi alle sue spese.
Die Ferraresen pflegten zu antworten, daß nicht allein ihre
Frösche gut seien, auch ihr Wein sei berühmt, und Würste imd
Salami schmackhaft. Übrigens fing man in den Lagunen, in Co-
macchio, Aale in großer Zahl, die mariniert und nach ganz Italien
verschickt wurden. Als Eleonora von Aragon zu den Herren von
Rimini in freundschaftlichen Beziehungen stand, schickte sie ihnen
jährlich an himdert eingemachte Aale und bekam ausgezeichnete
getrocknete Feigen als Gegengabe. Die durch den Aalfang erzielte
Einnahme floß wahrscheinlich ursprünglich der Gemeinde zu, ^äter
eigneten die Markgrafen sie sich an; sie war so bedeutend, daß
es allgemein hieß, wer nur für ein Jahr von der Regierung das
Recht erlange, diesen begehrten Fisch zu fangen, werde zum reichen
Mann. Gegen Ende des XV. Jahrhunderts erzählte man von einem
Bartolommeo di Orlando, der dies Recht für kurze Zeit gepachtet
und 30000 Dukaten verdient hatte. Im Po wurden auch Störe
gefangen, imd ihr zu Kaviar verarbeiteter Rogen war ein bedeuten-
der Handelsartikel. Femer gehörten die Salzsiedereien zwischen
Comacchio und dem Städtchen Adria zu den Schätzen des Landes.
Unter Ercole I. berichtet der venezianische Gesandte seiner Regie-
rung, daß der Herzog eine jährliche Einnahme von 200000 Dukaten
aus seinen Salzwerken beziehe. Venedig hatte es noch nicht ver-
schmerzt, daß diese Lagunen an Ferrara gefallen waren, da diese
Stadt im Salzhandel ein nicht zu imterschätzender Rivale im Orient
geworden war. Überhaupt hat Comacchio, ein heute verfallenes
Städtchen, seine Epoche des Glanzes gehabt imd sich in byzan-
tinischer Zeit sogar mit Venedig messen können. Aus diesen
Tagen des Glanzes stanunt ein verfallener Dom und ein Campanile,
der fast Ruine ist.
LAND UND LEUTE 5
brachte der Po dem Lande: Reichtum imd Unglüdc.
Auf dem Architrav eines der Domportale ist die Inschrift ein-
gegraben, gleichsam als Schmerzensschrei der Bevölkerung!
„Ab aquis multis libera nos Domine'*
Vor den groBen Überschwemmimgen schütze uns, Herr.
Im Ferraresischen wurde Vieh gezüchtet, es gab viel Wiesen-
land, und Pflanzen zum Färben der Wolle wurden angebaut; wie
in den übrigen Hauptstädten des nördlichen und mittleren Italiens
gehörte das Verarbeiten der Wolle „l'arte della lana'' zu den ältesten
und den bedeutendsten Gewerbezweigen. Weben war die Haupt-
beschäftigung der Frauen, und auch in Ferrara war es der Ruhm
der Frau, das Haus zu hüten und Wolle zu spinnen „domum mansit,
Isnam fecit'^ Selbst nach England und Holland wurde Tuch ex-
portiert, und die Bevölkerung von Ferrara galt seit jeher als gewerbe-^
treibend und fleißig: Stecknadeln, Nadeln und Waffen wurden her-
gestellt, und im Gerben von Fellen hatte man es zu einer gewissen
Berühmtheit gebracht.
II
Wenn Ferrara am Horizont auftaucht, so sieht man schon aus der
Feme ein großes Gebäude, von vier breit ausladenden Türmen
flankiert, das sich über der Stadt erhebt und fast die ganze Ebene
beherrscht. Es ist das Kastell der Este, drohend imd finster, in
seiner Bauart verwandt den Schlössern der Visconti und Sforza
in Mailand imd Pavia, der Burg der Gonzaga in Mantua,
aber geschlossen, da nach einem einheitlichen Plan errichtet. Das
Gebäude tr^ das Gepräge der hier herrschenden despotischen
Regierung. Das Rathaus in Florenz und Siena oder der Palast
der Dogen zu Venedig offenbaren trotz ihrer Strenge die städtische
Republik, die nicht durch eine Mauer vom Volk geschieden war,
das Schloß zu Ferrara, das wie eine befestigte Burg von der Stadt
abgegrenzt ist, verkündet schon von weitem die rücksichtslose
Herrschaft des Schwertes. Das Schloß ist aus Backsteinen errichtet,
6 ERSTES KAPITEL
da das Land wenig Sandstein hergibt, umgeben ron Gräben mit
grünlich schimmelndem Wasser, das aus dem nahen Po stammt,
der die Gegend mit Fieberdünsten schwängert. Unmittelbar über
die Oberfläche des Wassers sehen winzige vergitterte Gefängnis-
fenster aus den Mauern; Schlangen und Ratten waren die alleinigen
Gefährten der hier Eingekerkerten. Hoch über diesen Tränen-
löchem ragen die schönen breiten Fenster der Fürstenzimmer,
dort wurden Feste imd Gastmähler gefeiert imd über den Köpfen
der Gefangenen getanzt.
Zugbrücken führten früher über die Gräben, heute verbinden ge-
wöhnliche Brücken die Stadt mit dem Sitz des Präfekten imd den
Gerichtsgebäuden. Auch die Schutzmauer, die die Gräben einfaßt,
existierte früher noch nicht; jetzt sitzen dort friedlich angelnde
Ferraresen über dem stehenden Wasser. Noch im Jahre Z506
waren diese fehlenden Mauern der Anlaß eines großen Unglücks. Im
eisernen Käfig hing ein Gefangener an der Außenmauer des Kastells;
als die Signora Turchi Sacrati mit vier Donzellen vorbeifuhr, fesselte
dieser seltsame Anblick den Kutscher so sehr, daß er mit Pferd
und Wagen in den Schloßgraben hineinfuhr — ein Teil der Ge-
sellschaft kam dabei ums Leben.
Die Kastellmauern sehen heute weniger finster aus als gegen
Ende des XV. Jahrhunderts, als sie nach den Plänen eines bekannten
Architekten, Bartolino da Novara (1385), errichtet wurden. Die
vordringende Renaissance hat ihnen ihre Strenge genommen,
zweimal wurden größere Veränderungen vorgenommen, einmal
nach der Feuersbrunst im Jahre 1554, dann nach dem Erdbeben
von 1570. Namentlich der letzte Architekt, Alberto Schiatti, hat
die alten Formen liebenswürdiger gestaltet, die Basteien wurden
niedriger, und Fenster und Türen durch Renaissanceornamente ab-
gerundet. Damals verschwanden die prachtvollen Treppenstufen,
die „cordonata'S auf denen die Este zu Pferde bis in den ersten
Stock des Schlosses gelangen konnten; selbst in die unterirdischen
Gelasse der Gefangenen drang seit 1592 ein Klang der Außenwelt,
da man aus Flandern eine Uhr einführte, die nach nordischer Art
jede Stunde mit Glockenmusik verkündete; sie fand ihren Platz
auf dem Schloßturm „di Rigobollo'^ Trotz dieser Änderungen
LAND UND LEUTE 7
▼erlor das Schloß nichts von seiner Wucht, es drückt in seltsamer
Weise das Wesen der Herzöge aus, denen es diente.
Dem alten Schloß der Este gegenüber steht der Dom, eines
der eigenartigsten Geb&ude Italiens. Namentlich die Fassade, an
der Jahrhunderte gearbeitet haben, hat etwas so Phantastisches imd
gleichzeitig so Harmonisches mit ihren leichten lombardischen
Galerien, daß die mittelalterliche religiöse Strenge angesichts dieser
Mauern zu schwinden scheint. Die Priester haben hier mehr von
christlicher Liebe und Mildtätigkeit gesprochen, als das Volk mit
den Qualen der Hölle geschreckt. Kein Maler h&tte gewagt, auf
diesem roten Marmor den Totentanz darzustellen, hier wäre höch-
stens für eine Verkündigung Platz gewesen. Heiterkeit spricht
aus dieser Fassade, namentlich wenn ihre rötlichen Töne in der
Sonne leuchten. Besonders reizvoll ist das Hauptportal. Die
Säulen ruhen nach romanischer Art auf zwei sitzenden Riesen,
denen als Sockel zwei große sanfte Löwen dienen, gleichsam
das Symbol des ruhigen, schweigenden imd starken Volkes von
Der Dom stammt aus dem Ende des XIL Jahrhimderts und
wurde schon 1135 dem heiligen Georg, dem Schutzpatron der Stadt,
geweiht. Ein Relief, das ihn im legendarischen Kampf mit dem
Drachen darstellt, zeigt, daß wir hier unter dem Zeichen jenes
Heiligen stehen, der gewissermaßen mit den Begriffen mittelalter-
lichen Rittertums verwachsen ist. II cavalier dei santi, il santo
dd cavalieri. Über dem Portal in streng romanischem Stil er-
heben sich drei Arkaden, die schon späteres gotisches Gepräge
tragen. In der Mittelnische verbirgt sich die Statue einer Ma-
donna. Über den Arkaden ein breiter, skulpierter Fries mit
Szenen aus dem Jüngsten Gericht, darüber ein dreieckiges Tympanon
mit dem segnenden Christus. Sehr interessant ist die Wand
rechts vom Hauptportal. Aus einem runden Medaillon taucht
die große Büste einer schönen, weltlichen Frau auf, imd dieses
rätselhafte Haupt hat keinen eigentlichen Zusammenhang mit
der Heiligkeit der Mauern. Die gedruckten Führer nennen sie
die Madonna von Ferrara imd halten sie für die Personi-
fikation der Stadt. Dieser Einfall ist jedoch am grünen Tisch
8 ERSTES KAPITEL
ersonnen, das Volk kennt die Bezeichnung Madonna von Ferrara
nicht, und wen der Kopf darstellt, ist unbekannt.
Der Dom hatte fünf Portale von s3rmbolischer Bedeutung.
Durch das Hauptportal trat Christus ein, um seine Lämmer zu
weiden, gemäB den Worten, daß er das Hinunelstor für seine Herde
sei. Die kleineren Seitentüren waren für das Volk bestimmt, die eine
für die Männer, die andere für die Frauen. Durch die vierte Tür
„delle guide^' kamen die Pilger, die ins Heilige Land oder nach
anderen wunderbaren Orten wallfahrten wollten; das letzte Tor, die
„porta del Giudico'S hatte den traurigsten Zweck: die Toten wurden
von hier aus auf den Friedhof getragen. Im Innern gleicht das
Heiligtum den Kathedralen von Modena imd Piacenza. Wie in
vielen anderen romanischen Domen beruht das Prinzip des Baues
von Ferrara auf dem ägyptischen Dreieck; den Hauptarm bildet
die untere Breite des Gebäudes, die beiden kleineren Arme ver-
einigen sich vor dem Gewölbe des Heiligtums. Die Basis der geo-
metrischen Figur verhält sich zu den zwei auf ihr ruhenden Armen
wie 8:5. Der Zweck dieses dreieckigen Verhältnisses ist unbekannt,
vielleicht haben die auf diese Weise auseinandergezogenen Mauern
die Kraft des Gebäudes verstärkt, jedenfalls stützt es sich auf die
architektonische Tradition der Komasken.
Ferrara war eine Palast- imd Gartenstadt, das ist noch heute
erkenntlich, aber die langen schnurgeraden StraBen machen einen
außerordentlich melancholischen Eindruck, namentlich im neueren
Teil, der nach der Regierung Ercoles I. im Ende des KV. Jahr-
himderts angelegt wurde. Zwischen den Pflastersteinen stehen
Grashalme; selten huscht eine verlorene menschliche Gestalt über
die Straße, oder eine Katze, aufgescheucht durch die Schritte des
Fremden, verschwindet hinter dem Pfeiler des nächsten Hauses.
In den wenigsten Straßen standen ansehnliche Gebäude« Hinter
dem Palast stehen kleine Häuser, dahinter ragt das Gitter des stolzen
Parkes mit seinen weitausgreifenden alten Baiunkronen, dann
kommt wieder ein Palast und wieder elende Mietshäuser. Ferrara
ist die Stadt stolzer, reicher Geschlechter imd einer armen Be-
völkerung. In jenen Palästen imd Gärten spielte sich einst ein
buntbewegtes Leben ab, am Abend Musik und Gesang, durch die
8BITENPORTAL DES DOMES ZU PERRARA
LAND UND LEUTE 9
langen StraBen drängte sich fröhliches Volk; die Este sorgten
', daß auch der gemeine Mann seine Freude habe.
Onde stagione fu di gloria» e corse
Con il tuo fiume, o fetontea Ferrara
Ampio, seren, perpetuo, sonante 1' italo canto.
(Carducd.)
Weder so groß noch so gewaltig wie in Rom und Florenz
sind Ferraras Paläste, aber durch das schimmernde Grün der Gärten
sind sie jenen überlegen. Der vorzüglich erhaltene »»Palazzo dei
Diamanti'S in dem die Gemäldegalerie imtergebracht ist, gehört
zu den allerschönsten. Nach einem seltsamen Einfall Ercoles I.
wurde die marmorbekleidete Fassade nach Art geschliffener
Diamanten bearbeitet. Zwölftausendsechshundert Harmorblöcke
wurden in diese „Diamant^'-Wände eingelassen; dieser Stein war
Ercoles Wahrzeichen. Die geschlossene Harmonie dieser stolzen
Fassade wiirde durch an sich gute, aber einen ganz anderen,
leichteren Charakter tragende Eckpilaster zerstört. Dagegen ist
der Hof des Palastes von großem Reiz, beim Anblick der schlanken
Säulen, die sich vom frischen Grün abheben, vergißt man den
Vnderspruch der Fassade.
Ein gemeinsames künstlerisches Gepräge eignet allen Palästen
in Ferrara: sie sind nicht so hoch aufstrebend wie in Rom, Genua
oder Siena und bestehen nur aus einem Parterre und ersten Geschoß;
harmonische Verhältnisse, große Fenster, schöne, strenge imd reiz-
voUe Höfe bilden ihren Schmuck. In seinen architektonischen Ver-
hältnissen steht dem „Palazzo dei Diamanti'' am nächsten der
Palazzo Sacrati Prosperi mit schönen Ornamenten. Das Portal ist von
zwei korinthischen Säulen eingefaßt, auf denen ein Balkon ruht.
Es ist ein kostbares Werk der Renaissance von wimdervoller Har-
monie imd Freiheit in der Komposition. Ich erinnere mich keines
zw^Un Tores in Italien, das ein so köstliches Dokument jener Zeit
ist. Der Palazzo Roverella, mit Terrakottapilastem und Friesen, ist
ein typisches Beispiel für die Häuser der reichen Geschlechter
Ferraras. Der Palazzo Naseli Crispi mit schönem Hof zeichnet sich
gleichfalls durch Harmonie der Verhältnisse aus; während die
10 ERSTES KAPITEL
sogenannte „Palazzina'S ein niedriges Gebäude, das letzte) das die
Este in Ferrara errichteten, in trostlos verfallenem Zustand ist.
Der Palazzo Bentivoglio dagegen ist schon der Typus des Barock«
hauses; aus der Renaissance haben sich zwar die Hauptformen er-
halten, aber die schweren, überladenen Ornamente der Fassade
atmen anderen Geist.
III
Die Este waren ein strenges, kriegerisches, begabtes Geschlecht,
Männer, die sich im Krieg und Rat bewährt und Italiens Ruhm
gemehrt haben, entstanmien diesem Hause.
I capitani e i cavalier robusti
Quindi uscivan che col ferro e col senno
Ricuperar tutti gli onor vetusti
Deir Arme invite alla sua Italia denno.
(Ariost.)
Ariosts Worte sind nicht übertrieben. Markante Gestalten sind
aus diesem Geschlecht, das Ferrara drei Jahrhunderte beherrscht
hat, hervorgegangen, imd wenn wir die sieben Fürsten, in deren
Händen die Herrschaft im XV. und XVI. Jahrhundert gelegen hat,
an ims vorbeiziehen lassen, es sind in sich geschlossene Charak-
tere, Männer aus Stahl und Eisen. Die Este haben ihre ausge-
sprochene Eigenart, in der Politik geschickt imd verschlagen, im
Kriege tapfer und kühn; die Gabe zu herrschen eignet ihnen trotz
ihres unbeugsamen Despotismus in hohem Maße, sie waren rach-
süchtig bis zur Grausamkeit, imd ging es um Macht oder um ein
Weib, so kannte ihr Zorn keine Grenze. Nach damaliger Auf-
fassiuig religiös, allen neuen Strömungen in Kunst und Literatur
zugängig, fanatische Verehrer von Musik imd Gesang, liebten sie
Luxus, glänzende Feste, grandiose Empfänge und waren leiden-
schaftliche Jäger.
Nach den Schmeichlern entstammte das Geschlecht der Este
den Helden aus Karls des Großen Kreis. Im XIV. Jahrhundert
LAND UND LEUTE II
erwetterten ihre Feinde die Überlieferung dahin, daB ihr Stammvater
der Treubrüchige aus Roncesvalles, Gano, der Verräter sei, der
Judas des Epos; nach dieser Tradition hätten sie ursprünglich im
Wappen nicht den Adler, sondern nur einen Falken geführt. Das
Geschlecht entstammt dem Städtchen Este.
Die Markgräfin Mathilde hatte Ferrara der römischen Kurte
▼erschrieben, aber da die Päpste ihre unmittelbare Gewalt dort nicht
behaupten konnten, mußten sie das Land als Lehen vergeben.
Neben den Fürsten von Savoyen gehörten die Este zu den ältesten
■
Geschlechtern' im Norden Italiens; ein Zweig der Familie hatte sich
in Ferrara niedergelassen, war zu großer Macht gelangt und hatte
dort mit nur geringen Unterbrechungen schon seit dem Beginn des
XIIL Jahrhunderts geherrscht. Ihr Hof war seit undenklichen
Zeiten von den Sitten und Legenden der westlichen Ritterschaft
durchsetzt. Die Este gefielen sich in Turnieren und lebten in fran-
zösischen Traditionen. Da die Lombardei Frankreich so nahe
liegt und zahlreiche vornehme Geschlechter dort ihren Wohnsitz
haben, war französischer Sitte und dem Ritterroman seit jeher im
Norden eine Stätte bereitet. Durch die Po*Ebene zogen die Kreuz-
ritter aus dem Westen ins Heilige Land, und ihre Erzählungen
gingen von Mund zu Mund. Zu Beginn der Kreuzzüge, als noch
heißes Feuer in der Ritterschaft brannte, bildeten sie ihr Ideal
nach den Gestalten aus dem Kreise Karls des Großen und dem
Rolandslied. Ihrer Stimmimg entsprachen die heldenhaft-patrio-
tischen Kriege und Taten der Gefährten des großen Kaisers; aber
als das Feuer erlosch und ihre Sitten sanfter wurden, geschah ein
gleiches mit ihren Romanen, an Stelle der ehernen Paladine Karls
des Großen traten Tristan und Lancelot, König Artus' Gefährten,
und die Losung der Ritter ward Mut, verbunden mit höfischer Sitte,
der cortesia. Das Ziel ihrer Kämpfe war nicht mehr Vernichtung
der Ungläubigen, eher Kampf zum Schutze einer geliebten oder
bedrängten Frau, nicht feindliche Heere beherrschten ihre Vor-
stelltmg, sondern Drachen, Riesen und Zauberer. Der neuen Sitte
und dem neuen Roman fehlte bereits der hohe Schwung der chanson
de geste. Der Helm wurde durch das Samtbarett verdrängt, und das
Turnier lockte mehr als der Krieg*
la ERSTES KAPITEL
Dieser Umschwung der Ritterschaft Tollzieht sich im XIII. Jahr-
hundert und wird in Norditalien so allgemein, daB er selbst in das
Volk dringt. Während der Feste, die 1267 in Venedig anläßlich der
Wahl des Dogen Lorenzo Tiepolo gefeiert wurden, huldigten alle
Handwerkerkorporationen dem neuen Machthaber. Die Barbiere,
die bekanntlich mit ihrer Zeit zu gehen wissen, hatten zwei Mit-
glieder ihrer Innimg als irrende Ritter Terkleidet, zu Pferde mit vier
Jungfrauen erschienen sie vor dem Dogen. Befragt erklärten sie,
daB sie diese Unschuldigen soeben aus den Händen der Ungläubigen
befreit hätten und bereit wären, ihre Ehre gegen jeden Verleumder
SU schützen.
Um jene Zeit erstarkte die Macht der Este, in der gesamten
Lombardei waren sie berühmt. Als erste führten sie die Trouba-
dours aus dem südlichen Frankreich ein und interessierten sich für
provenzalische Poesie, zur Zeit als in der Mark von Treviso —
Amorosa e gioiosa Marca Trevigiana — , dem Ziel der Troubadours,
diese Poesie noch ganz unbekannt war.
So war der kluge, schöne und beredte Azzo VI. Ton Este (gest.
1312) „pulcher, formosus, sapiens, eloquens, animosus*' im ersten
Jahrzehnt des XIII. Jahrhunderts bekannt als Verehrer proven-
zalischer Poesie. An seinen Hof kam der Troubadour Aimeric de
Peguilhan und besang die Reize seiner Tochter Beatrice, die er
die schönste Blüte ihrer Zeit nannte.
Na Beatrix d' Est, anc plus bella flor
De nostre tempo no trobei meillor;
Tan ez bona, cum plus lanzar vos voill,
Ades i trop plus de be qu* eu no soill.
Trotz all dieser weltlichen Vorzüge ging Beatrice ins Kloster,
vielleicht aus unglücklicher Liebe zu einem Troubadour. Sie gründete
das Kloster Johannes des Täufers in Padua und wurde nach ihrem
Tode heilig gesprochen. Die Herrschaft der Este steht von Anbeginn
an im Zeichen des Frauenkultus, der ritterlichen Tugenden von König
Artus und im Bilde des heiligen Georg, der die Jungfrau Tom Drachen
befreit hat. Der estensische Hof wird sehr bald zum Vorbild ritter-
licher Sitte, er ist der typische Renaissance-Hof im nördlichen Italien.
LAMD UMD LEUTE jj
dort herrschende Sprache war ein französierter venezia^
oischer Dialekt, toU firovenzalischer Ausdrücke und Wendungen»
die norditalienischen Ritter machten sich diese Ausdrucksweise zu
eigen. In der Bibliothek zu Mantua befindet sich ein außerordent-
lich wichtiger Kodex; der provenzalische Canzoniere, eine Art
Anthologie der Troubadours aus dem Jahre 1354 ist in den Kreisen
der Romanisten bekannt. Nach der Tradition soll er von Ferrarino
da Ferrara angelegt sein, einem der letzten italienischen Trouba-
dours, der am Ende des XIIL Jahrhunderts lebte und der Verfasser
des berühmten „Florilegio'S einer Sammlung provenzalischer
lyrischer Gedichte ist« Ferrarino sang am Hofe Azzos VII. und
Oluzzos II« „e fo giullar et intendez meill de trobar firoensal che
fos en Lombardia'^
Obizzo IL war der Enkel Azzos VII« und der gesetzmäßige
Begründer der Dynastie der Este in Ferrara. Vor ihm herrschten
die Este zwar tatsächlich in Ferrara, aber erst Obizzo II. hat seine
Macht auf legalen Unterlagen begründet« Am 17« Februar 1364
war der tote Azzo mit großem Pomp in der Kirche von S. Francesco
bestattet worden; man beeilte sich mit der Wahl des neuen Marchese,
da nach altem Brauch die Ratsglocke das Volk und die „banditore'*
berief und auf den Straßen verkündete, daß man sich zur neuen
Wahl rüste, ehe der tote Herrscher begraben war«
Zum Vormund seines minderjährigen Enkete, dessen Vater in
Süditalien vergiftet worden war, hatte Azzo VII« Aldingheri de
Fontana ernannt, einen einflußreichen Edlen und Freund der
Familie« Aldingheri tat auch sein möglichstes, damit Obizzo ge-
wählt werde. Den Platz, auf dem abgestimmt werden sollte, ließ
er Ton Bewaffneten lunstellen. Verdächtige und Männer mit Waffen
wurden nicht zugelassen. Der Vormund selbst sprach zu den Ver-
sammelten, pries die Vorzüge der Este und beschwor die Ver-
sammelten, für Obizzo zu stimmen, der, trotz seiner siebzehn Jahre,
schon ein Muster an Verstand und Umsicht sein sollte. Den An-
hängern des jungen Marchese wurden Vergünstigungen versprochen,
seinen Gegnern mit Vernichtung gedroht. Das Volk fügte sich der
Obermacht, wählte den Jüngling zimi Herrscher und übertrug
ihm, nach Aussage der Chronisten, mehr Gewalt als sie selbst
14 ERSTES KAPITEL
Gott eignet, denn Gott kann keine Ungerechtigkeiten begehen»
der Marchese aber durfte alles tun, was ihm beliebte, Bdses und
Gutes, „omnia possit, justa vel injusta pro suae arbitrio Tolun-
tatis'^
Die Este standen in Ferrara an der Spitze der Guelfen und
galten als einer der Pfeiler der römischen Kurie, daher hatte der
Papst Urban IL nichts gegen die Wahl und bestätigte Obizzo als
seinen Statthalter in temporalibus« Obizzo nannte sich durch die
Gnade Gottes und der apostolischen Kurie ewiger Herr von Ferrara,
Gouverneur, Rektor und „generalis et perpetuus Dominus civitatis
Ferrariae", verpflichtete sich angesichts des Volkes, die städtischen
Institutionen und Freiheiten zu schützen, und berief als Zeugen
dieses Vertrages die heilige Dreifaltigkeit, die Mutter Gottes und
den heiligen Georg, den Schutzheiligen der Stadt. Der Vertrag
wurde mit zwei Wachssiegeln versehen, mit dem Siegel der Stadt
in Gestalt des heiligen Georg und dem Siegel der Este mit dem
weifien einköpfigen Adler. Das Ansehen von Obizzos Vormimd
Aldingheri stieg jedoch im Laufe der Zeiten dermaßen, daB der
Marchese seine Macht und seinen Erfolg fürchten mußte, „gloriam
et magnitudinem tolerare non potuit*', so ließ er ihn auf die da-
mals übliche Weise, durch Gift, beseitigen und verbannte einen
Teil seiner Familie aus dem Bereich des Landes. Einer der Al-
dingheri nahm seinen Wohnsitz in Florenz und war mütterlicher-
seits ein Vorfahre Dantes. Seinen Namen und Adel trug der große
Dichter. Die Herkunft des Dichters erklärt auch, weshalb er die
Este leidenschaftlich haßte. Zu seinen persönlichen kamen auch
noch politische Gründe; für Dante galt der Kaiser als der Befreier
Italiens, während die Este sich als Guelfen auf das Papsttum
stützten. Deshalb setzt Dante Obizzo in die Hölle neben Ezzelino,
den Beherrscher der Mark Treviso und den größten Tyrannen des
mittelalterlichen Italiens, und befiehlt dem Kentauren Nessus, auf
denjenigen von ihnen, der sich aus dem mit kochendem Blut ge-
füllten Abgrund herauslehnen würde, den Pfeil abzudrücken. Der
Dichter weiß keinen anderen Unterschied zwischen ihnen zu finden
als den, daß Ezzelino schwarze Locken habe, während man Obizzo
an seinem blonden Haar erkennen könne.
LAND UND LEUTE 15
Obizzo hatte zwei Frauen, aber die Chronisten berichten
weniger von seinen Gattinnen als von seiner Geliebten, der schönen
von Dante besungenen Ghisolla. Dante verbannt Caccianimico
Venedico in die Hölle, weil er die Frau durch List bewogen hat,
sich dem Marchese hinzugeben*
Die Art, wie die Päpste die ferraresischen Herrscher mit ihrer
Würde belehnt haben, wurde der AnlaB vieler blutiger Tragödien.
Rom hielt sich nämlich nicht an den Erstgebornen unter den Söhnen
des verstorbenen Herrschers, betrachtete selbst die Nachfolge in
direkter Linie nicht als verbindlich, sondern bestätigte willkürlich
Je nach der momentanen Lage entweder den imehelichen Sohn
oder sogar die Brüder des verstorbenen Herrschers. Deshalb
entbrannte nach dem Tode eines jeden Markgrafen in der Familie
der Kampf um die Herrschaft. Später suchten die Este dem
zu entgehen, indem sie noch zu Lebzeiten ihrem geliebtesten
ehelichen oder unehelichen Sohn das päpstliche Lehen sicherten.
Das erste Opfer dieses unglücklichen Grundsatzes war Obizzo
selbst, da dem Vernehmen nach zwei seiner Söhne ihn im Bett
erwürgt haben, weil er den jüngsten dritten zum Nachfolger be-
stimmt hatte.
Diesen Kämpfen um die Nachfolge verdanken wir es, daB
Perrara Ariost erzeugt hat. Als Obizzo IIL (1294 — 1352) infolge
eines blutigen Streites mit seinen Brüdern das Vaterland verlassen
muSte und in Bologna Schutz suchte, lernte er die schöne Lippa
Ariosti, die Tochter einer dort ansässigen Patrizierfamilie, kennen.
Obizzo hatte ein Verhältnis mit Lippa, das zwanzig Jahre dauerte;
elf Kinder, sieben Söhne und vier Töchter, entstammten diesem
Bund. Als er den Thron von Ferrara bestieg, heiratete er die Frau
und legitimierte seine Nachkommen. Die Po-Ebene war nicht
nur reich an Getreide und Wein, auch die dortigen Familien er-
freuten sich einer besonderen Fruchtbarkeit. Bei den Este erreichten
die ehelichen und unehelichen Nachkommen bisweilen die stattliche
Zahl von zweihimdert, und einer der Würdenträger des Hofes
hatte es bis zu vierzig Söhnen gebracht. Noch mehr, der Arzt
Michele Savonarola versichert, daß Niccolo Pallavicini noch als
Hundertjähriger einen Sohn gezeugt hat.
Z6 ERSTSi KAPITEL
An die schöne Lippa aus Bologna erinnert Ariost stolz im
»»Roland'S als er von den berühmten und bedeutenden Frauen aus
dem Hause der Este spricht Lippas Vetter, Niccolo Ariosti, liefi
sich in Ferrara nieder und ward zum Begründer jener Linie der
Familie, aus der der Dichter stammt«
Schon diese ersten Este hatten einen Hang zu Luxus und Ver-
schwendung. Als Obizzo HL sich nach Venedig aufmachte, um mit
der Republik nach heißem Kampf seinen Frieden zu schlieBen, liefi
er sich eine besondere mehrstöckige Galeere erbauen, Ton der sein
Kammerherr Ser Dino eine Zeichnung gemacht hat. Die Galeere
war mit unerhörter Pracht ausgestattet, das kostbarste Material
wurde zu ihrer Ausschmückung verwandt. Zu den berühmten
Turnieren Ferraras kam die Ritterschaft aus dem gesamten ita-
lienischen Norden. An seinem Hofe unterhielt Obizzo den Narren
Gonella, den Franco Sacchetti in sieben Novellen verherrlicht hat.
Die Gutmütigkeit des Marchese tritt in der einen zutage« Gonella
hatte sich etwas zu schulden kommen lassen, Obizzo befahl ihm,
Ferrara unverzüglich zu verlassen, sollte der Narr jedoch wagen,
noch einmal auf seinem Boden zu stehen, so würde es ihn den
Kopf kosten. Gonella ging nach Bologna, kaufte einen Wagen,
liefi ihn mit bolognesischer Erde füllen und kehrte so nach Ferrara
zurück. Der Markgraf lachte und verzieh Gonella seine Schuld.
Der Luxus am Hofe gab Anlafi zu häufigen Unruhen, da die
Bevölkerung, durch Steuern und vielfache Abgaben bedrängt, den
finanziellen Druck nicht zu ertragen vermochte, um so weniger
als die Verwalter des Schatzes „Fattori generali*' ihre Stelle mifi-
brauchten, um sich zu bereichern. Unter Niccolo H., Obizzos IIL
Sohn (1338 — Z388), den man „II Zoppo'* nannte, kam es zu starken
Unruhen. Am 3. Mai 1385 warf sich das Volk, das infolge der
Übergriffe des Schatzmeisters Tommaso di Tortona zur Verzweiflung
gebracht war, auf das Haus, in dem die Steuerlisten aufgehoben
wurden, verbrannte sie und demolierte die Wohnimg des verhaßten
Beamten. An der Spitze des Aufstandes stand der Notar Francesco
Montelino, der die Losung ausgegeben hatte: „Es lebe der Mark-
grafl Tod dem Verräter Tommaso.'^ Aber Tommaso flüchtete
ins Schloß und versteckte sich dort. Niccolo H. versuchte die
PALAZZO DIAMANTI ZU FBRRARA
TOR DBS PALAZZO PROSFERI ZU PERRARA
LAND UND LEUTE xy
Menge, die gegen das Tor drängte, zu beruhigen; sein Bruder Alberto
ging sogar auf die Straße, um auf die Tumultuanten einzusprechen,
aber das Volk wollte nicht weichen und verlangte die Herausgabe
des Blutsaugers. ZufftUig kam einer der Söhne des Marchese
herzu, der nicht wufite, was hier vorging. Das Volk ei^ff ihn
als Geißel und bedrohte ihn mit dem Tode, falls der Marchese
Tommaso di Tortona nicht auslieferte. Niccolo II. hat den Günst-
ling dem eignen Sohn geopfert, er lieferte seinen Schatzmeister
aus, den das Volk in Stücke riß.
Dies war noch vor dem alten Schloß der Este geschehen,
vor dem heutigen Munizipalpalast, dem Dom gegenüber. Dieses
Schloß war nicht genügend befestigt; nach der gemachten Er-
fahrung beschloß der Mardiese ein Gebäude zu errichten, in dem er
der Menge trotzen könne. Auf diese Weise entstand das Kastell.
Am Tage des heiligen Michael 1385 l^e der Bruder des Marchese,
Alberto d'Este, den Grundstein, und man baute so rasch ^^ daß das
Schloß innerhalb x6 Monaten fertig war. Das Geld für den Bau,
25000 Dukaten, hatte Niccolo bei seinem Nachbar, Francesco I.
Gonzaga, aus Mantua, entliehen, und da er seine Schuld nicht zu
bezahlen vermochte, wurden die Abgaben noch unerträglicher als
jene waren, die das Volk unter Tommaso di Tortona zu leisten hatte.
Einen Platz, unmittelbar vor den BAauem Ferraras, hatte der
Marchese für das KasteU gewählt, damit im Falle der Not die Be-
wohner der Festung aus der Stadt flüchten könnten. Dem Schloß
wurden später großartige Gärten angebaut, die sich bis zum Po
hinzogen.
Niccolos Nachfolger war Alberto d'Este (1388—1393); er stand
hart an der Grenze zwischen Barbarei und Kultur und war aus
lauter WMersprüchen zusanunengesetzt. Diesem Markgrafen hat
das Kastell noch bessere Dienste als seinem Vorgänger geleistet.
Als der Tyrann, nachdem er einen Teil seiner Familie hatte
ermorden lassen, zur Herrschaft gelangt war, ließ er seinen
Neffen Obizzo Aldobrandino und dessen Mutter köpfen, unter dem
Vorwand, daß sie eine Verschwörung gegen ihn angestiftet hätten.
Giovanni von Bresda, der im Einverständnis war, ließ er von Pferden
durch die Straßen schleifen und dann aufknüpfen, dessen Gattin,
X8 BRSTBS KAPITBL
Costanza di Quintavalli, sowie seinen eignen Bruder, den Bastard
Alberto, der Abwechslung halber auf dem Scheiterhaufen ver-
brennen. Die übrigen Verschworenen wurden mit glühenden Zangen
geiwickt imd aufierhalb der Stadt, um des abschreckenden Bdspids
willen, aufgehängt,
Alberto d'Este heiratete im Jahre 1388 aus Liebe Gtovanna
de Roberti, die Tochter Cabrianos, seines Kammerdieners, doch
war er ihr nicht lange treu, da er sich bald darauf in ihre Mutter,
Margherita dal Säle, verliebte; sie galt als die schönste Frau ihrer
Zeit und hatte sich aus HaB gegen ihre Tochter dem Schwieger-
sohn hingegeben.
Derselbe Alberto war, als er sich seiner Herrschaft sicher
fühlte, einer der besten Fürsten Ferraras. Gegen Ende seiner
Regierung wallfahrte er nach Rom, legte das Büfiergewand an
und kleidete dreihundert Berittene*, die ihn begleiteten, in gleicher
Weise ein. In Rom kamen ihm fünf Kardin&le entgegen, der
Papst Bonifaz IX. verlieh ihm die goldne Rose, als Tugendpreis,
und gestattete die Gründung einer Universität in Ferrara, nach
dem Muster der Universitäten zu Paris und Bologna. Aus Rom
kam Alberto krank zurück; da er seine Schwäche Margherita zu-
schrieb und glaubte, daB die Geliebte ihn verzaubert habe, ließ er sie
ins Gefängnis im Castelvecchio werfen und dort erwürgen.
Das dankbare Ferrara hat seine Statue im Pilgergewand
an der Fassade der Kathedrale anbringen lassen»
wo man sie noch heute bewundem kann.
Solcher Art waren Ferraras
erste Markgrafen.
ZWEITES KAPITEL
NICCOLO IIL
n der Stadtbibliothek zu Ferrara befindet sich eine
Miniatur, auf der man den Platz vor dem Palazzo della
Ragione mit einer auSerordentlicfa treu dargestellten
Hinrichtungsszene sieht. Die Miniatur stammt aus dem
XV. Jahrhundert. Die damalige Welt war Anblidce
dieser Art gewohnt, so nahm niemand daran AnstoS,
daß blutige Exekutionen vor den Fenstern des Schlosses stattfanden,
in dem die fürstliche Familie lebte. Auf einem Gerüst, hoch genug,
damit das Publikum das letzte Zittern der Körper beobachten könne,
steht ein kräftiger Mann, die Hände auf den Rücken gefesselt. Vor
ihm ein Mönch mit erhobenem Kruzifix, hinter ihm holt der Henker
mit Wucht zum Schlage aus. Auf dem Gerüst stehen die Richter, be-
waf&iete Knechte und die Mitglieder einer frommen Brüderschaft
in Kapuzen mit schwelenden Kerzen in den Händen. Zwei ab-
gehauene bärtige Köpfe li^en bereits am Boden» und die Arme der
Leichen hängen herunter. So ward mehr oder weniger jede neue
Regierung im beginnenden XV. Jahrhundert eingeleitet, nicht allein
in Ferrara, sondern auch an den meisten anderen Renaissanceböfen.
Herzen und Sinne hatten sich verhärtet.
Hach Albertos Tode kam sein Sohn Niccolo III. auf den Thron ;
da er noch nicht volljährig war, wurde ihm ein Rat, „consiglio", an
die Seite gestellt, der die Regierungsgeschäfte bis zum vollendeten
neunzehnten Jahre des Markgrafen leiten sollte. In diesem Rat
wollte auch das Volk seine Vertreter haben, jede Innung für sich:
die Bäcker, Schmiede, Schneider, Goldarbeiter usw. schickten ihre
30 ZWEITES KAPITEL
Delegierten. Eine so geartete Versammlung konnte sich nicht be*
währen, und das Resultat war, daB vier Vormünder des Mark-
grafen die Macht an sich rissen und sie bis zu Niccolos Volljährig-
keit etwa in der Weise ausübten, wie die Biliniatur es darstellt.
Der Marchese jedoch war voll Feuer uad Energie, und es ver-
langte ihn nach Taten. Das heißeste Sehnen des jungen Burschen
war, einen Krieg zu sehen. Da sich jedoch eine Gelegenheit dazu
längere Zeit nicht bot, bat er Azzo, den Anführer seiner Heere,
ihm im SommerschloB Belfiore ein Kriegsschauspiel zu arrangieren.
Es nahm ein trauriges Ende, da Azzo, von einem Wurfspieß seines
Gegners verwundet, es mit seinem Leben bezahlte.
Aus • politischen Gründen verheirateten die Vormünder den
kaum 13 jährigen Niccolo 1397 mit der 15 jährigen Gigliola da
Carrara, der Tochter des Fürsten von Padua. Die Ehe war un-
glücklich, die kränkliche Gigliola hatte keine Kinder, der junge
Blarchese rächte sich an jenen, die ihn so früh in die Fesseln
der Ehe gezwungen und brachte es, nach Aussage des ChronisteOt
im Laufe der Jahre auf achthundert Liebesverhältnisse.
De le femene qui el dir se tase
Octocento donzele el signore habe in so vita«
(Caleffino Cronaca.)
Nur der Abt von Pomposa war ihm darin noch überlegen;
ihm wurden tausend Liebesverhältnisse nachgesagt, die schlecht
genug zum ernsthaften Mönchshabit passen.
Es hieB in Ferrara, daß sich auf beiden Seiten des Po nur
Niccolos Kinder herumtrieben, „Di qua e di la del Po, tutti flgli
di Niccolo'S aber die Geschichte hat uns nur die Namen von zwei-
undzwanzig unehelichen Kindern überliefert, abgesehen von jenen,
die Niccolo später mit zwei legitimen Gattinnen gezeugt hat
Gigliola starb im Jahre 1406; noch zu ihren Lebzeiten hatte
Niccolo ein Verhältnis mit der schönen Stella dell' Assassino, aus
der bekannten sienesischen Familie Tolomei. Ein Teil der Tolo-
mei war infolge brudermörderischer Kämpfe mit dem angesehenen
Geschlecht der Salimbeni nach Ferrara und später nach Assisi
übersiedelt. Nach dieser Stadt nannte man sie Assasini, woraus
NICCOLO III. 31
sich sp&ter der Name Assassini entwickelt liat. In einem alten
Vers heiBt es ron ihnen:
Mutantes patriam, mutabunt nomina: dicent
Namque Assassxnos Ptholomea stirpe creatos.
Die Zeitgenossen finden nicht Worte des Lobes genug für
Stellai sie schreiben ihr alle erdenklichen Vorzüge zu, sie war
der Trost der Armen, gerecht, umsichtig, sittsam, großmütig und
galt als Huster der Schamhaftigkeit, „pudidtiae flos'^ Der Dichter
Galeoto Marzio da Nami verfaBte ihr zu Ehren ein langes Gedicht,
in dem er auch ihren Vater, Giovanni Tolomei, preist; keinem
Geringeren als Niccolo IIL widmet er seine Verse. Aus diesem
Gedicht erfahren wir, daß Giacomo, einer der Assassini, Rechts-
gelehrter und Podestä in Perrara war und für seine Gerechtigkeit
bekannt. Der beste Beweis dafür, daB Stella eine ungewöhnliche
Frau war, ist der Umstand, daB der in seinen Liebesverhältnissen
so unbeständige Niccolo sie etwa achtzehn Jahre fast als seine
Gemahlin betrachtet hat. Er hatte drei Söhne mit ihr: Ugo Aldo-
brandini (geb. 1405), Uonello (geb. 1407) und Borso (geb. 1413).
Dies Verhältnis hinderte aber vorübergehende Liebeleien nicht;
Catarina degli Albersani, die Tochter eines Arztes in Perrara, gebar
ihm einen Sohn Meliadus (geb. 1406) und die Ehefrau Canoilla
deUa Tavola zwei Kinder, Alberto tmd Gurona Maria.
In Perrara und auch an den befreundeten norditalienischen
Höfen hielt man nach Gigliolas Tod (1406) Stella Assassini für die
kommende Gemahlin des Marchese; man glaubte, daS Niccolo sich
kirchlich mit ihr trauen würde. Stellas Söhne hat er wie seine recht-
mäfiigen Kinder behandelt; die Taufe des Erstgeborenen Ugo war in
Perrara feierlich begangen worden, der Kardinall^at aus Bologna
war gdcommen, die Herren aus Modena und Rimini hatten Abgesandte
geschickt. Trotzdem heiratete Niccolo Stella nicht; vielleicht haben
pofittsche Gründe den PünfunddreiBigjährigen bewogen, 14x8 die
junge und schöne Parisina de M alatesta zu ehelichen, die Tochter
Andreo de llalatestas und Lucrezia degli Ordelaffis aus Ravenna»
Ans Kummer starb Stella ein Jahr darauf, und Caleffini pries sie:
„Quanto fo beOa e bona! de ogni virtu la portd Corona.^'
22 ZWEITES KAPITEL
Niccolos Verhältnis zu Stellas Söhnen Änderte sich infolge
dieser Heirat kaum; den ältesten, Ugo, seinen Lieblingssohn, be«
trachtete er sogar als seinen Nachfolger auf dem Throne tmd zeich«
nete ihn als solchen vor Lionello und Borso aus. Ugo war immer
um ihn, während er die beiden jüngeren Söhne unter verschiedenen
Vorwänden aus dem Hause entfernte.
Parisina, erfüllt von Lebenslust imd Güte, hat sich die Liebe
ihrer Umgebung rasch erworben. Sie war eine leidenschaftlidie
Tierfreundin und liebte namentlich Pferde, sie brachte ihren eigenen
Rennstall mit, schickte ihre Pferde zum „Palio'' ron Verona,
Mantuä, Modena, Bologna und Mailand, und ihr Jokei, Giovanni da
Rimini, war überall Sieger. Ihre Farben, Weiß und Rot, wären
auf allen Bahnen bekannt. Seltene Vögel liefi sie in Venedig kaufen,
wie es damals an den groSen Höfen Brauch war. Teure Stoffe,
Kleinodien, wohlriechende öle und Essenzen bezog sie aus Mailand
tmd Venedig. Ihre Hoffräulein, die „damigelle^S waren ihr zu-
getan, da sie ihnen reiche Geschenke machte und sich gütig gegen
sie erwies. Namentlich Pelegrina, die Tochter Giacomo Rubinos,
eines vertrauten Höflings Niccolos, war ihr LiebUi^; als die Don-
zella heiratete, überschüttete sie sie mit Geschenken. Parisina las mfe
alle Damen der damaligen großen Welt Ritterromane, Tristans und
Isoldes Los war ihr wohlbekannt, sie las den Roman „Girone U
Cortese'S und gab sich leidenschaftlich der Musik, namentlich
Lautenspiel hin. Auch ging sie fleißig zur Kirche, ihr Hauskaplan,
Fra Maginardo, las ihr den Psalter, imd sie benützte ein schönes,
in schwarzen Samt gebundenes Gebetbuch.
Parisina hatte drei Kinder, doch starb ihr Sohn bald, und es
blieben nur zwei Töchter, Ginevra und Lucia, am Leben; sie gab
sich viel mit ihnen ab und ließ sie früh in der Musik imterweisen.
Von Stella del Assassinos Söhnen bevorzugte sie Ugo, den UebUng
des Vaters. Der Markgraf ließ Ugo im Luxus aufwachsen, schenkte,
ihm die kostbarsten Kleider, Pferde und Falken, während er Lio-
nello, Borso und Meliadus an Sparsamkeit gewöhnte. Als 1434
in Ferrara eine ansteckende Seuche ausbrach, schickte Niccolo
Meliadus nach Modena und Borso nach Argenta, indem er strenge
Vorschriften über die Anzahl der Diener, die sie halten durften,.
NICCOLO III.
»3
machte; ferner verbot er den jungen Herren» offene Tafel für ihre
Freunde zu halten. Parisina überraschte Ugo mit einer schönen
Harfe, so hat wohl auch er eine Vorliebe für Musik gehabt.
Nach den Chronisten war Ugo Parisina zuerst wenig sym-
pathisch; dies kränkte Niccolo so, dafi er ihr den Sohn, als sie nach
Loreto zu einer Wallfahrt aufbrach, zum Begleiter gab, damit er
Gelegenheit habe, ihre Gunst zu erwerben. Diese Annähenmg
hatte mehr Erfolg als der Markgraf wünschen konnte: Ugo kam
als Parisinas Geliebter von der Wallfahrt zurück, und dier Verhältnis
unterhielten sie auch in Ferrara. Ob der Liebesbimd auf diese Weise
entstand, bleibe dahingestellt. Es fehlt jeder positive Hinweis für
den HaB, der erst zwischen den beiden bestanden haben soll. Die
Frage, wie die Liebe zwischen ihnen entstanden ist, kann der Histo-
riker nicht beantworten. Alles, was bis jetzt über den Ursprung
dieser Liebe geschrieben wurde, entstammt der Phantasie der
Dichter tmd Romanschreiber. Genug, Ugo imd Parisina standen
in einem Liebesverhältnis zueinander; Ugos Vertrauter war Aldo-
brandino Rangoni, sein Höfling imd Fretuid, die Vertraute der
Markgräfin war eine ihrer Hofdamen, die das Geheimnis an Gia-
como Rubino, Niccolos treuesten Diener, verriet. Rubino ging
sofort zum Markgrafen imd erzählte ihm alles. Die Rache des
Tyrannen war unverzüglich imd furchtbar. In der Nacht vom so.
auf den ai. Mai 1425 liefi Niccolo beide ins Gefängnis werfen. Pari-
sina in den Turm, der noch heute „Torre Marchesana'' heiBt, Ugo
in den „Löwenturm^^ des Kastells. Das Urteil des Marchese lieB
nicht lange auf sich warten, nach wen^^en Stunden verurteilte er
den Lieblingssohn und seine Gattin, die Mutter zweier kleiner
Töchter, zum Tode. Einer seiner treuesten Ratgeber, Ugacdon
Contrario, von dem es hieß, dafi er alles über den Markgrafen ver-
möge» und ein alter bewährter Minister, Alberto dal Säle, be-
schworen Niccolo auf den Knien mit tränenden Augen, seinen
Urteilsspruch aufzuschieben. Niccolo lieB sich nicht erweichen, er
wollte weder den Sohn, noch die Gattin sehen, und schon in der
folgenden Nacht, vom ax. auf den aa. Mai, vollsog der Henker
sein blutiges Werk. Ugo starb zuerst, dann begab sich Rubino,
der Verräter, in Parisinas Gefängnis imd forderte sie auf, ihm zu
24
ZWEITES KAPITEL
folgen« Parisina glaubte, dafi er sie ins Trabocchetto, das unter-
irdische Gefängnis, führen woUe, und fragte, was mit Ugo ge-
schehen sei. Als man ihr sagte, er sei tot, antwortete sie, dafi auch
sie nicht mehr leben wolle. Im Gefängnis wartete der Henker
ihrer bereits; als sie ihn sah, nahm sie selbst ihren Schmuck ab
und legte den Kopf auf den Block.
In der gleichen Nacht wurden beide Körper in San Francesco
bestattet. Als man dem Markgrafen sagte, dafi sein Wille erfüllt
sei, geriet^er in Verzweiflung, zerbifi den Stock, den er in der Hand
hielt, weinte und schrie nach Ugo. Aber noch war der Rache
kein Ende gesetzt. Am nächsten Morgen erliefi er den Befehl,
Aldobrandino Rangoni zu verhaften; in Modena wurde er hin-
gerichtet. An die italienischen Höfe liefi er ein Ddam^nt aus-
fertigen, worin er seine Tat meldete. Als der yenezianische Doge,
Francesco Foscari, die Schrift erhielt, gab er Befehl, das Turnier
auf dem Markusplatz, an dem der Markgraf teilnehmen sollte, zu
vertagen. — Das fragliche Dokument war leider in keinem italie-
nischen Archiv auffindbar.
Niccolo raste in seinem Schmerz und Zorn, er beschlofi, dafi
alle Frauen Ferraras, die wie Parisina gesündigt hatten, dem Henker
verfallen sollten, „damit die Gerechtigkeit sich nicht nur an seiner
Gattin vollziehe''. Laudania Romei, die Gattin eines hohen Würden-
trägers am Hofe, war das erste Opfer dieser wilden Gerechtigkeit,
aber der Rausch verflog, und nach Laudanias Tod zog Niccolo seinen
Befehl zurück. Ferraras Ehefrauen konnten wieder nach Herzens-
lust sündigen, und der BSarkgraf selbst imterstützte sie ehrlich darin«
Der alternde Niccolo hatte nach Parisinas Tod noch eine An-
zahl unehelicher Kinder, Knaben und Bfädchen. Beatrice, die er
mit Anna de' Roberti gezeugt hatte, war um ihrer Schönheit willen
berühmt Sie war die Königin der Feste in Ferrara, und ein altes
Sprichwort sagt von ihr: „Wer das Paradies auf Erden sehen wolle,
möge Donna Beatrice betrachten.'' Nach dem Tode ihres Vaters
vermählte sie sich mit dem Grafen Niccolo da Correi^io; ihr zweiter
Gatte war Tristan Sforza. Ihr Sohn, Niccolo Correggio (geb. 1450),
hat in der Geschichte der italienischen Renaissance eine bedeutsame
Rolle gespielt.
PISAHELLO: PILGER INS GELOBTE LAND
VERONA, S. ANASTASIA
NiccoLO III. as
Z43Z heiratete Niccolo zum drittenmal, Parisinas Geschick
•chreckte die Tochter des Markgraien Sahino Ricdardi nicht ab,
ihm ihre Hand xa reidien. Im Ehekontrakt sah Niccolo jedoch
vor, daB, wenn Riccarda einen Sohn gebiren würde» die Nachfolge
in Ferrara nicht ihm anfallen sollte, sondern Uonello, den der
Pa|)6t Martin V. bereits 1429 legitimiert hatte. Im Jahre 143z gebar
Riccarda einen Sohn, jenen Ercole, der Lionello mid Borso auf dem
fetraresischen Thron folgte und einer der bedeutendsten italienischen
Fürsten am Ende des XV. Jahrhunderts war. Riccarda schenkte
Z433 einem zweiten Sohn, Sigismondo, tmd unmittelbar ror ihrem
Tode Z440 einer Tochter, Bianca Maria, das Leben; unter Borsos
Regierung heiratete die Tochter den Condottiere Galeotto Pico della
Mirandola.
II
Z4Z3, als Stella Assassini noch das Herz dea Markgrafen be-
herrschte, beschlofi er eine Wallfahrt ins Heilige Land. Die Feinde
der Dynastie waren unterworfen, im kleinen Reiche herrschte
Frieden, so ward es dem Despoten zu eng in der ferraresischen
Ebene, der Geist des fahrenden Ritters regte sich in der juzigen
Brust, und wie einst die Kreuzfahrer wollte er auf Christus Grabe
Bufie tun« Von fünfzig Freunden und Höflingen begleitet, rerlieB
Niccolo Ferrara am 6. Mai. Zur Expedition gehörten: der Ferra-
rete Alberto della Scala, mit zwei Geffthrten, Pietro Rosso, ein
Edelmann aus Parma, der auch zwei Leute Ton seinem Hof mit-
gebracht hatte, Feltrino Bojardo, der Großvater des grofien Dichters
aus Scandiano mit einem Diener, und mehrere Mitglieder bekannter
Familien. Als Sekretär diente dem Markgrafen Lucchino del Campo,
der uns eine sehr anschauliche Beschreibung dieser Reise hinter-
lassen hat. Die Wallfahrer trugen schwarze Mäntel mit rotem Kreuz
auf der Brust, tmd die Republik Venedig stellte ihnen eine ihrer
Galeeren zur Verfügung.
Der Mardiese wollte alle Sehenswürdigkeiten, die auf seinem
Wege lagen, besichtigen, und so machte man, unmittelbar nachdem
man den Hafen San Niccolo de Lido verlassen hatte, in Pola Station
26 ZWEITBS KAPITEL
wegen der dort vorhandenen römischen Altertümer. Die Arena
scheint den Markgrafen besonders interessiert zu haben, er hatte sich
in seiner Jugend oberflächlich mit humanistischen Studien befafit,
sein Lehrer war der berühmte Donato degli Albanzani aus Prota-
▼ecchio. Nicodo gehörte jedoch keineswegs zu Donatos besten
Schülern und hat es im Lateinischen trotz der Mühe des Huma-
nisten nicht weit gebracht. Die Galeere nahm ihren Weg an den
Ionischen Inseln, später am Archipel entlang, machte Halt in Corfu,
wo der renezianische Gouverneur den Reisenden ein Gastmahl in
einem Orangenhain gab, griechische Mönche sangen zu ihrem
großen Entzücken während der Tafel. Im weiteren Verlauf der
Reise besuchten die ferraresischen Pilger die Insel Rhodos, kamen
an Cypem vorbei, stiegen in Syrien am iz. Mai ans Land imd gingen
▼on dort aus nach Jerusalem. In Jerusalem blieb der BSarkgraf
vier Tage, vom 15. bis zum 19. Mai, und pilgerte zweimal zum
Heiligen Grab. Einmal lag er eine ganze Nacht mit ausgebreiteten
Armen wie am Kreuzesstamme da, ein anderes Mal verbrachte er
zwei Stunden dort in heifiem Gebet. Nach diesem Gebet gab er
Alberto della Scala, Feltrino Bojardo und Pietro Rossi den Ritter-
schlag, gürtete ihnen selbst das Schwert um und gab ihnen goldene
Sporen auf dem Kalvarienberge. Die Wallfahrer verdroß es sehr,
dafi sie im Gelobten Lande für jeden Schritt den „türkischen Hunden,''
wie sie sie nannten, zahlen mufiten, den Wächtern auf dem Berge
Zion gaben sie vier Dukaten, für das Betreten des Tales von Josaphat,
wo „Nostra Donna'' begraben ist, muBten sie einen halben und
für das Grab des Heilands anderthalb Dukaten entrichten.
Auf dem Rückweg hielt der BSarkgraf sich sechs Tage in Cjrpern
auf, um den dortigen König zu besuchen, und mußte als echter
Sohn der Renaissance auf der Insel Kythera die Stelle betrachten,
wo der Tradition nach die griechische Helena geraubt ward. Sechs-
unddreifiig Tage fuhren die Wallfahrer von C]rpem nach Venedig,
am 6. Juli kamen sie in Ferrara an, so dafi die ganze Reise drei
Monate gedauert hatte.
Die häufigen frommen Pilgerfahrten der Renaissance-Fürsten
waren zum groBen Teil nur ein Vorwand, um zu reisen und Aben-
teuer zu suchen, oder sie entsprangen dem Wunsch, fremde Ver-
NICCOLO HI. 37
bättnisse kennen zu lernen. Es schickte sich für den regierenden
Fürsten nicht, ohne einen gewichtigen Grund sein Land zu ver-
lassen, viel Geld auszugeben und den Schatz des Reidies zu be-
lasten» so fand sich denn inuner ein Vorwand für teure Pilger«
fahrten. Das eine Mal gelobte der Fürst ein goldenes Exrotusa
an heiliger Stelle niederzulegent damit eine Seuche erlösdie; ein
nächstes Mal bot ein beendeter Krieg den Vorwand zu einer fr«
I » M I .< i
Auch Niccolo hielt es nicht lange in seinem Schloß aus. Bin
Jahr nach der Reise naidtk Jerusalem pilgerte er nach Loreto tmd
legte dort das Modell des ferraresischen Doms» aus Silber gefertigt»
nieder. Die Berichte verschweigen» was für Gewänder sein Hofstaat
für diesen Zweck anlegen mußte, dagegen wissen wir, daß ihn» als
er noch im gleichen Jahre (am 19. Juni 14x4) zur Reliquie des
heiligen Antonius in Vienne in der Dauphin^ pilgerte» vierundzwanzig
Höflinge in lichtgrünen Gewändern begleiteten. In Frankreich
»»liebten die Frauen ihn mehr als ihre eigenen Männer'S wie der
Chronist hinzufügt. Von Vienne aus b^ab er sich nach Mont-Saint-
Michel in der Normandie» aber auf der Rückreise passierte ihm doch
ein ungewöhnliches Abenteuer. In den Fiononteser Bergen überfid
ihn Manfredo de Carreto» der Marches^ de Ceva» tmd nahm ihn und
seine Begleiter gefangen in Erwartung eines großen Lösegeldes.
Aber der Graf Ton Savoyen» ron diesem Überfall unterrichtet»
schickte eine Abteilung seines Heeres» das Niccolo befreite und
den Raubritter ins Gefängnis warf. Der Marchese de Gera be-
zahlte seinen Anschlag auf den Herrn von Ferrara mit dem Leben»
und sein Schloß ward dem Erdboden gleich gemächt. Als nach
diesem Ereignis Niccolo III. nach Ferrara kam» war» nach Caleffinis
Bericht» die Freude so groß» daß alle Kranken genasen.
Dieser Pilgerfahrt sollten noch weitere folgen: in Vienne hatte
es ihm so gut gefallen» daß er im Jahre 1434 wieder zum heiligen
Antonius wallfahrte; ein Jahr darauf pilgerte er in die S. Annun-
ziata nach Florenz» um ein Wachs-Exroto zu stiften. Es war ein
großes Pferd» für das er dem Künstler fünfzig Gulden bezahlt hat.
Der Marchese gehört zu jenen Renaissancemenschen» bei
denen sich Verbrechen und Zerknirsdiung seltsam eng berühren.
aS ZWEITES KAPITEL
Die Zerknirschung war nur von kurzer Dauer, die
Grausamkeit und das leidenschaftliche Ungestüm seines Charakters
brachen bei der erstbesten Gelegenheit wieder durch* Ethische
und moralische Begriffe fehlten vollkommen, Religion war eine
schdne Form, ein vererbter Brauch, sehr häufig der Deckmantel
fOr Verbrechen; in goldenen Rahmen wurde das Bild zügelloser
menschlichounmenschlicher Triebe eingefaBt. Eine Wallfahrt ins
Heilige Land, zum heiligen Jakobus von Compostella ^ und man
fühlte sich idl seiner Sünden quitt*
In Niccolo III. waren die Traditionen französischer Kultur
lebendig. Seine Kenntnis des Lateinischen war, wie schon er-
wihnt, nur mangelhaft, und Donato hat wohl endgültig die Hoff-
nung aufgegeben, seinem Schüler klassische Sprachen beizubringen;
denn er übersetzte für ihn zwei Werke ins Italienische: Petrarcas
Buch ,,Von berühmten Männern** und Boccaccios Abhandlung
„Von berühmten Frauen'^ Die Lieblingslektüre Niccolos und des
gesamten estensischen Hofes bildeten französische Romane, „Istorie
francesi'*, und der beste Beweis dafür, wie lebendig diese Ritter-
geschichten waren, ist der Umstand, dafi man den Kindern mit
Vorliebe Namen aus dem Kreise Karls des GroBen und König
Artus' Tafelrunde gab, wie Meliadus, Ginevra, Rinaldo, Isotta usw.
Niccolo hatte eine Vorliebe für schöne französische Bücher, die er
zum Teil von seinem Vater geerbt und zum anderen hatte ab-
schreiben und mit Miniaturen schmücken lassen. In seiner Bücher-
sammlung befanden sich „die Geschichte des heiligen Gral'*, „Merlins
Prophezeiungen**, „Meliadus**, „Lancilotto**, „Chronique de Saint
Denis** und viele andere. Der Katalog der estensischen Bibliothek
aus dem Jahre 1474 führt den „Lancilotto** in vier Exemplaren auf ,
den Roman „Gutifre de Boion** in zweien, und in ebenso vielen
„die Geschichte Alezanders**. Den Donzellen und der weniger ge-
Uldcten männlichen Jugend am Hofe waren diese französischen
Handschriften unzugänglich. Die Mdu«ülil der Ritter lauschte neu-
gierig den Berichten der Sänger, die die französischen Romane in
italienischer Sprache und italienischer Art angemessen vortrugen.
Niccolos Bibliothek war schon so umfangreich, daB der Fürst
einen eigenen Raum in der Torre di Rigobollo, wo sich auch daf
NICCOLO III.
»9
gdietme Archir der Este befand, dafür bestimmt hatte. Er UeB
das erste HandschrifteniiiTentar anl^^, das sich bis auf den heu«
tigen Tag erhalten hat. Giovanni Falconi und Jacopo d'Aresso
versahen die Bücher mit Miniaturen.
Auch französische Mode war maßgebend am Hofe,, und man
bezog nicht wenig Toiletten luid Einrichtungsstücke aus Paris oder
Flandern. In der französisdien Hauptstadt versah man sich mit
schdner Wäsche, in Brügge bestellte Niccolo Arazzi mit seinen
Wappen und seiner Devise, und Silber zum Schmucke der Tafel
wurde zumeist in Paris gekauft Da aber die flandrischen Arazzi
9Ar teuer waren, gründete Niccolo in Ferrara eine Teppichfabrik
nach flämischem Muster, die sich über ein Jahrhimdert erhalten
hat. Aus Flandern liefi er auch Kirchensänger kommen; sie wurden
die Begründer des berühmten Chores, auf den der ferraresische Hof
9ibr stolz war. Unter Niccolo erwarben die Este zwei neue Paläste,
Bebiguardo imd Consandolo, auBerdem liefi der Markgraf den
Palast der Este in Vened^ umbauen und restaurieren; der Senat
der Republik hatte ihn bereits 138a Niccolo IL für geleistete Dienste
geschenkt Dieser Palast hat die verschiedensten Schicksale durch«
gemadit. Von den Este hat ihn im XVII. Jahrhundert der Kardinal
Aldobrandini erworben, dann diente er unter dem Namen „Fondaco
dei Turchi^' den türkischen Kaufleuten, die nach Venedig kamen«
ab Wohn« und Lagerraum; z88o wurde er zur Aufnahme der
Sammlung Correr bestimmt, aus der das heutige Museo Civicp
sich entwickelt hat. Jenes Gebäude, das in jüngster Zeit in be-
scheidener Weise erneuert wurde und jedem Besucher Venedigs
bekannt ist, war im XIV. und XV. Jahrhundert der stolze Wohn-
sitz der Este. So oft ein Mitglied der Familie nach Venedig kam,
sei es, um mit der Republik zu unterhandeln oder um in der Stadt
der schönen Kurtisanen der Lust zu frönen, wohnte es in diesem
Palast. Niccolo III. war einigemal in Vened^ gewesen; mit dem
gröfiten Luxus trat er 14x5 auf, als er in Begleitung von zwei«
hundert Rittern kam und am groBartigen Turnier auf dem Markus-
platz trillnahm.
Zu den glorreidisten Augenblicken unter Niccolos Regierung
gehörte der Empfang des Kaisers Si^^und im Dezember des
so
ZWEITES KAPITEL
Jahres 1433» als der Monarch von aeiner Krönung zurückkam* Er
gab UonellOy Borso und Ercole den Ritterschlag und hielt Sigis-
mondo zur Taufe. Aber ein wichtigeres Ereignis war das be-
rühmte Konzil zu Perrara 1437. Seine Aufgabe war die Wieder^
Tereinigung der griechischen und rdmisdien Kirche, die sich 858,
seit den Tagen des Photius, gespalten hatte; femer galt es, Mittet
zur Bekämpfung der Türken zu finden, die das Ostliche Kaiserreich
bedrohten. Zu den Gründen, die den Papst bewogen hatten, Perrara
für das Konzil zu wählen, soll auch der gehört haben, daA das
Studium des Griechisdien damals dort blühte, und man sidi daher
leiditer als anderswo mit den östlichen Gelehrten verständigen
konnte.
Zum Konzil war selbst der Papst Eugen IV. gekommen, ferner
der Kaiser des Ostens Johannes Palaeologus, Demetrius, der Be-
herrscher Moreas, Joseph, der Patriarch von Konstantinopel, und
viele Gesandte und Prälaten. Aber weder der Papst noch Niccolo
waren imstande, längere Zeit die ungeheuren Kosten zu tragen, die
der Unterhalt der Gäste verursachte, so übersiedelte das Konzil
im nächsten Jahre nach Florenz, das sich erboten hatte, die er-
forderlichen Mittel aufzubringen. Dazu wurde Perrara von einer
Seuche heimgesucht, imd der plötzliche Tod eines der östlichen
Bischöfe verursachte einen panischen Schrecken imter den Ver-
sammelten, die Perrara um jeden Preis zu verlassen wünschten.
Auch Niccolo ging nach Plorenz. Drei Jahre darauf starb er
plötzlich in Mailand am 26. Dezember 1441 während seines Aufent-
haltes als Friedensvermittler zwischen Blailand imd Venedig. Zu
seinem Nachfolger hatte er Lionello bestimmt, bei dessen etwaigem
Tode Borso; erst nach ihrem Ableben sollte der Thron seinen legi-
ttmen Söhnen, Ercole und Sigismondo, zufallen. In seinem Testa-
ment bezeichnete der Markgraf Lionello als den der Herrschaft
würdigsten, „in quem praeclarissimum suum natum semper totam
suam mentem et totas cogitationes locavit et fizit'^
Die Leiche des Markgrafen wurde nach Perrara gebracht, dem
Wunsch des Toten entsprechend ward sie nackt in den Sarg gelegt
und In S. Maria di Belfiore ohne jedes Gepränge beigesetzt. In
tiefer Stille bewegte sich der Leichenzug nachts durch die Straßen
NICCOLO III.
31
der Stadt» und nur Tausende von llenscfa«! und Fadseln verrieten
die Bedeutung der Stunde. Am Hofe der Este trug man lange
tiefe Trauer nach dem Tode dieses ungewöhnlichen Herrschers,
noch ein Jalur darauf waren die Winde und Möbel des Schlosses
mit schwaraem Tuch ausgeschlagen, die Markgrafen und der ge-
samte Hofstaat trugen sdiwarze Samtanzüge und Hfite und Hand-
sdiuhe in gleicher Farbe. — Zahllose ^itaiihe entstanden an-
UBlidi des Todes des Fürsten, da jeder der ferrarestschen Huma-
nisten sidi ffir verpflichtet hielt mit Schmeicheleien hervorzutreten,
die den Söhnen des Verstorbenen angenehm sein konnten. Guarino
hatte nicht weniger als vier Inschriften für den Grabstein ent-
worfen«
Niccolo hatte große Vorzüge, sie entsprangen einem riditigen
Begreifen dessen, was seinem Geschlecht von Nutzen sein könnte.
Eine starke Dynastie ist ohne strenges Regiment unmöglich, dessen
war er stets eingedenk, imd in diesem Sinne hat er gehandelt. Ernst-
haft bemühte er sich, Kunst und Wissenschaft zu fördern. Es
galt. Gelehrte und Künstler nach Ferrara zu ziehen, um den Glanz
des Hofes zu erhöhen — , dies Streben beherrschte damals jeden
Fürsten. Namentlich lag Niccolo die Erziehimg seiner Söhne am
Herzen, deshalb berief er Guarini Guarino aus Verona, den be-
kanntesten Humanisten im damaligen Italien. Durch seine Wirk-
samkeit wurde der Hof von Ferrara zu einem der bedeutendsten
Mittelpunkte humanistischer Studien.
III
Guarino war der erste Italiener, der im Griechischen unter-
richtete. Längere Zeit war er in Konstantinopel gewesen, nach
seiner Rückkehr lehrte er in Florenz, Venedig, Verona und schliefi-
iich in Ferrara Lateinisdi und Griechisch. In Venedig war er 1414
wie ein regierender Fürst empfangen worden oder wie ein heim-
kehrender Triumphator. Einer seiner Lobredner schreibt, es scheine,
daB der Kaiser nach Venedig gekommen sei, soviel Menschen seien
dem berühmten Gelehrten entgegengezogen; xmd mag auch manches
32
ZWEITES KAPITEL
Übertriebene in diesen Worten liegen, so beweisen sie doch den all-
gemeinen Eifer, der der neuen Vinssenschaft galt Nach der Tra*
dition soll Guarino zwei StöSe ron Handschriften aus Griechenland
mitgebracht haben; als der eine beim Untergang des Schiffes im
Meer versank, soll der arme Gelehrte vor Kummer graue Haare
bekommen haben. Als Guarino infolge einer Seuche 1416 aus
Venedig nach Verona kam, rersuchte die Heimatstadt alles, um
ihn an sich zu fesseln, und da kein Mittel verfing, beschloB man
ihn dort zu verheiraten. Mit Hilfe von Guarinos Mutter, die in
Verona lebte, gelang die Intrige, er wurde mit Taddea Cendrata
di Niccoli zusammengetan, und der unglückliche Humanist klagt,
ihm sei so stark zugesetzt worden, dafi er nicht anders konnte,
„ita ut manus dederim'% Guarino begründete in Verona eine sehr
gut besuchte Privatschule, aber infolge einer wiederholt ausbrechen-
den Seuche muBte er dreimal nach Valpolioella flüchten, wo seine
Frau einen kleinen Besitz hatte« Niccolo d'Este benützte diesen
Anlaß, um ihn nadi Ferrara zu ziehen, mit veranlaßt von seinem
Ratgeber Giacomo Giglioli, der auch heranwachsende Söhne hatte
und ihnen eine bessere Erziehung zu geben wünschte. Verona
wollte aber Guarino nicht so leicht hergeben, erst nach längeren
Unterhandlungen gestattete man dem Gelehrten, mit seiner Familie
den neuen Wohnort zu beziehen.
Im Mai des Jahres 1429 kam der damals schon sechzigjihrige
Guarino nach Ferrara; da auch dort eine Seuche herrschte, entfloh
er der Stadt so schnell als möglich und führte acht Monate hin-
durch in umliegenden Dörfern ein trauriges Leben in Begleitung
von elf Kindern, seiner Frau, die wieder Mutterfreuden entgegen-
sah, und einigen Dienstboten. Daran nicht genug, anvertraute ihm
auch Giacomo Giglioli seine Söhne, da er für deren Gesundheit in
Ferrara fürchtete; so hatte der unglückliche P&dagoge ein voll-
stindiges Pensionat und Spital, da stets ein Teil der Gesellschaft
kränkelte. Als im Winter die Gefahr endlidi vorüber war, er-
schien Guarino in Ferraras stillen Straßen (1429) und wie es bei
seinem Lobredner heißt:
Mansurum pladda statione recepit
Pads et aligeri Ferraria mater amoris.
NICCOLO III. 33
Wir begründete er ein Privatinstitut; sehr tmld übertrug ihm
der Ihrkgraf Lionellos Erziehung und liefi ihm dafür 350 Du-
katen jihrttch überweisen, eine für damalige Zeiten fürstliche Be«
lohnung« Er war ein berühmter Pädagoge imd Lehrer; seine
Schriften sind jedoch trocken und langweilig, und seine Briefe und
Reden gleichen in dieser Beziehung allen übrigen literarischen Er*
leugnbsen der Humanisten^ Aus seinem berühmten an Lionello
nach dem Tode des Markgrafen gerichteten Brief spricht jene
kriecherische Gesinnung vor dem neuenFürsten, die alle höfischen
Schriftsteller der Renaissance kennzeichnet. Guarinos sjrmpathische
Züge sind dagegen das Sehnen nach griechischer Kultur, nach
jenem Ideal der Menschheit, um dessen Wiedereroberung es zu
kämpfen galt, wie einst die Kreuzfahrer um Christi Grab gekämpft
hatten« Für Guarino und die ersten Humanisten war Griechen-
land das heilige, das gelobte Land.
Die griechischen Pädagogen begründeten damals in Italien
PdTatschulen und hatten damit viel Erfolg, denn die Eltern waren
nicht länger gezwui^en, ihre Söhne in die Klosterschulen zu schicken,
die immer mehr verfielen. In Padua eröffnete im Jahre 1408 der
Grieche Barzizza eine Schule nebst einer Privaterziehirngsanstalt;
er beschäftigte tüchtige Lehrer, und die venezianischen Patrizier«
söhne strömten in dies Institut. Die Schüler bezahlten jährlich
für Unterricht und Unterhalt vierzig SkudL Nach dem Muster
dieser Anstalt begründete Guarino seine Schule in Ferrara, an der
er selbst unterrichtete; außerdem hatte er öffentliche Vorlesungen
an der dortigen Universität Die Abende widmete er den jungen
Leuten, die bei ihm wohnten, imd der Wissensdurst war so groB,
daS, wie einer seiner Schüler berichtet, er und seine jungen
Freunde, die im gleichen Zimmer schliefen, zumeist bis um
Mitt^nacht lernten und um drei Uhr morgens schon wieder vor
den Büchern saßen. Selbst im Sommer am Lande war der Lern*
eifer nicht zu stillen. Wir besitzen einen Brief eines anderen
Schülers von Guarino, in dem der Jüngling schildert, mit welcher
Freude „incredibili voluptate'^ er sich auf dem Lande humanistischen
Studien hingebe; selbst während körperlicher Übungen können sich
die Schüler nicht vom Buche trennen, bei jeder Gelegenheit sprechen
34 ZWEITBS KAPITEL
sie mit den Lehrern ron Griechen und Römern» so daA jeder Spuier-
gang ihr VHssen bereichert«. Grollen Eindruck machte den PIf»
dagogen das Buch von Pierpaolo Vergerio, das 1404 unter dem Titel
erschien »»De ingenuis moribus ac liberalibus studüs ad Ubertinum
Carrariensem" und Vorschriften über Erziehung und Unterricht
enthielt. Dieser Traktat sollte als Grundlage für die Erziehung
des jungen Ubertino dienen, des Sohnes Francesco Novellos II.» des
Herrn ron Carrara. Pierpaolo stützte sich auf Theorien, die er
griechischen imd römischen Autoren, wie Plato, Aristoteles, Plu-
tarch, Cicero (De oficiis) und Quintüian entnonmien hatte. Ver-
gerio legte das Hauptgewicht auf Literatur, Musik, Zeichnen und
Fechten. Guarino gliederte diesem System weitere körperliche
Übungen an: Jagen, Schwinunen und Tanzen waren Vorschrift,
während der Tanz gegen Vergerios Grunds&tze war. Hauptsächlich
lag es Guarino daran, seinen Schülern gesunde moralische Grund-
Sätze einzuimpfen, — gerade darin war man damals sehr lax. Er
hielt an den Satzungen der Kirche fest und führte im Gegensatz
zu vielen Humanisten seine Schüler täglich ror dem Unterricht
in die Kirche. DaB er ein guter Pädagoge war, bewies er an seiner
e^;enen Familie, denn elf von seinen dreizehn Kindern hat er zu
brauchbaren Menschen erzogen. Guarinos Schule besuchten Fran-
zosen, Deutsche, Engländer, Polen imd Ungarn ; als Knaben schon
kamen sie nach Ferrara, so Giovanni di Cisinge, mit dem Bei-
namen Pannonius, der als dreizehnjähriger gekommen war tmd bis
zu seinem vierundzwanzigsten Jahr bei Guarino verblieb. Auch
ältere Leute besuchten seine Vorträge, darunter Ferraras einfluß-
reichste Männer.
Die Schule zerfiel in drei Abteilungen; auf einen Elementar-
kursus baute sich das Studium von Grammatik tmd Rhetorik auf.
Das Ziel dieser Kurse war: gründliche Unterweisung im Latei-
nischen und Griechischen tmd Kenntnis der alten Schriftsteller;
femer war es dem Lehrer tun eine gewisse Gewandtheit zu tun,
so mußten die Schüler täglich über die verschiedensten Gegenstände
debattieren. Beredsamkeit wurde von der Jugend verlangt; sie
sollte in gewählter Sprache jede These verteidigen können, ein-
fache, ja bizarre so gut wie streng philosophische. Eine beliebte
NICCOLO III. 35
Auigabe war unter anderen der Streit über die Jungfräulichkeit
der Dido» über die es in Poesie und Geschichte der Alten wider-
sprechende Berichte gibt.
Den Pädagogen war es im Beginn der Renaissance darum zu
tun, dafi sich die Jugend in ihren Instituten wohl fühle, heiter und
witzig sei; die Anfänge humanistischer Erziehung standen noch
nicht im Zeichen der Pedanterie. Unter den Schülern trieb die
Satire üppige Blüten. Nicht wenig AnlaB dazu boten die Pro-
fetsocenfrauen, die sich gern einen der Studenten als künftigen
Gatten für ihre Töchter geködert hätten; auch die ferraresischen
Mädchen, jene Lelien und Luden» gingen so wenig leer aus wie-
die „Griechin'^ Guarino selbst wuBte seine Würde zu wahren*
Als die Schüler ihn zu einem Bankett einluden, weigerte er sich
zu kommen» da ein alter Mann wie er die Ausgelassenheit ihrer
Feste nicht stören solle.
Um 1425 hatte Vittorino da Feltre seine berühmte Schule in
Mantua eröffnet, die „Casa gioiosa'S das fröhliche Haus, so genannt
wtgta des heiteren Tones, der dort unter der Jugend herrschte«
Gianfrancesco IL, der Markgraf von Mantua, hatte Vittorino be*
rufen; er unterrichtete nicht nur die Söhne und Töchter der fürst-
Ucfaen Familien, sondern auch die Kinder Unbemittelter, und selbst
aus der Fremde strömten ihm Schüler zu*
Dies waren die glücklichsten Zeiten des einsetzenden Huma-
nismus, und in den Schulen dieser beiden Männer zeitigte er seine
besten Früchte. Das humanistische Schulwesen trug aber den
Keim des Verderbens schon in sich, denn es wurde auf den Stamm
scholastischer Schulweisheit gepfropft; die neuen Säfte klassischen
Wissens, die diesem morschen Stamm zugeführt wurden, belebten
ihn nur für einen Augenblick. Kaum waren die beiden Pädagogen
aus Ferrara und BCantua tot, so wurde ihr System von der furcht-
barsten Pedanterie durchsetzt, und der Beiname eines Pedanten,
eines Menschen, der an der schwersten Dtunmheit trug — ,hatte er
sie sich doch durch langjähriges Grübeln über Bücher angeeignet — ,
ward in den folgenden Jahrhunderten der Schrecken aller ver-
nünftigen Menschen. Von den Pedanten erzählte man sich folgende
Anekdote: Eines Tages war ein großer Streit unter ihnen auf dem
3*
36 ZWEITES KAPITEL
PamaB entstanden; die einen behaupteten, daB sich das Wort
consumptum mit p schreibe, die anderen wollten des p entraten.
Da wollte der erzürnte Apoll alle Pedanten aus seinem Reich Ter«
bannen, und nur auf die Bitten Ciceros und Quintilians, die ihnen
nicht den geringsten Teil ihres Ruhmes verdankten, lieB er sidi
erweichen«
Der berühmteste Humanist in Perrara neben Guarino war
Giovanni Aurispa, er war etwas früher an den Hof der Bste ab
Meliadus „precettore'' gekonunen. Ein ganz anders gearteter
Mensch als Guarino, gehört 'er zu jenem unter den Humanisten
▼erbreiteten Tjrpus, der Karriere machen wollte, für den die neue
Wissenschaft nur ein Mittel war, um Beziehungen zu den Höfen
anzuknüpfen und sich möglichst vorteilhafte geistliche Pfründen
zu sichern. Aus diesem Grunde hatte Aurispa auch die geistlidien
Weihen genommen, doch hinderte ihn dies durchaus nicht, welt-
lichen Preuden nachzugehen. Sein Preund war Beccadelli Panor«
mita, der sich eine Zeitlang in Perrara aufhielt. Sie stimmten in
ihren Anschauungen überein, nur war Panormita begabter und
ehrgeiziger. Als Beccadelli einst von Neapel aus Aiuispa vor-
stellte, dafi er dort Bischof werden könne, wenn er sein Sybariten-
leben in Perrara aufgeben wolle, erklärte Aurispa, dafi er sein be-
quemes Dasein in Perrara den Mühen vorzöge, die mit hohen
Ämtern verknüpft seien. Aurispa hat sehr wenig geschrieben,
sein ganzer Uterarischer Nachlafi besteht aus sieben kurzen Ge-
dichten und einigen kleineren aus dem Griechischen übersetzten
Schriften. Er war träge und bequem; sein Versprechen, eine
kurze Biographie Homers innerhalb vierzehn Tagen zu übersetzen,
hat er selbst im Laufe eines Jahres nicht erfüllt, obgleich er nach
Panormitas Aussage nichts anderes zu tun hatte, als „seine
Nägel zu putzen und seinen fetten Bauch zu kratzen'^
Seiner gründlichen Kenntnis des Griechischen und seiner be-
deutenden griechischen Bibliothek hatte Aurispa seine Stellimg unter
den Humanisten zu danken. Es war für ihn leichter als für
andere Gelehrte, kostbare Bücher zu sammeln, da er groBe Ein-
künfte hatte; aufierdem vermehrte er seine Sammlung durch ent-
liehene Handschriften, die er nicht wiedergab. Pilelfo hat es ihm
NICCOLO III. 37
nie Terziehen, da0 er ein von ihm entliehenes Buch trotz nicht
übermlBig höflicher Mahnungen dreiundzwanzig Jahre behalten
hat. Wahrscheinlich hat er als echter Humanist auch Handel in
Handschriften getrieben, und er verstand es, gelegentlich für seine
Bücher wirkliche ,,Liebhaber^'-Preise zu erzielen*
Ein anderer ernsthafterer Vertreter imter den damaligen Ge-*
lehrten war Ugo Benzi, Arzt, Phsrsiker, Philosoph und Literat;
Niccolo HL hat ihn nach Ferrara berufen, damit er an der dortigen
Universität lese. Benzi konnte auf eine berühmte Dozentenver-
gangenheit zurückblicken. Er hatte in Padua, Bologna, Pavia,
Florenz, ja selbst in Paris an der Universität gelesen „ubi im-
mortafi cum laude docuit'^ Überall war er der Fürst unter den
Ärzten und Philosophen genannt worden.
Während des ferraresischen Konzils hatten diese Humanisten
eine glänzende Gelegenheit, sich durch ihr Wissen hervorzutun.
Damals gab Benzi den griechischen Gelehrten ein Fest, an dem selbst
lüccolo ni. teilnahm. Nach dem Essen wurden dieTische auseinander
gerttd rt und Aristoteles' und Piatos Anhänger begannen die Debatte.
Der Wirt bat seine Gäste, ihm Fragen über philosophische Probleme,
die damab im Mittelpunkt des Interesses standen, zu stellen; ohne
v orb e r e i tet zu sein beantwortete er jede einzelne mit überraschender
Belesenheit, obgleich das Gespräch bis tief in die Nacht dauerte. Prak-
üadier als Ugo gewann Aurispa zwar nicht luisterblichen Ruhm bei
gelehrten Versammlungen, wurde aber dafür vom Papst zum
Sekretär der rtauschen Kurie ernannt. Niccolo hat auch
Michele SavonarolaausPaduanachFerraraberufen;
er war ein berühmter Arzt und Schrift-
steller und der Grofivater des Flo-
rentiner Kanzelredners
und Reformators.
DRITTES KAPITEL
LIONELLO
wei Tage nach Niccolos Tod trat der Adel im Kastell
im Saal der „zwei Kamine" zusammen und ernannte
Lionello zum Herrn vonFerrara, Modena, Reggio und
sämtlichen dazu gehörigen Ortschaften und SchUssem.
Dann durchzog die Versammlimg, Lionello an der
Spitzt, die Straßen der Stadt zu Pferde, und das
▼ersammelte Volk rief: „Viva lo lllustrissimo messer Leonello
signore n&strol"
Ein Porträt von Giovanni Oriolo in der National Gallery zu
London, ein zweites von Pisan^o in der Sammlung Morelli zu
Bergamo, sowie einige Medaillen sind von Lionello erhalten. Br
hat einen eigenartigen Kopf mit lockigem Haar, einer seltsam ab-
geschrägten Stirn, kleinen aber scharfen Augen, einer schmalen,
langen Hase, sinnlichen Lippen — der Gesamteindruck ist nicht
unsympathisch. Besonders das Londoner Bildnis, das Lionello in
jugendlichem Alter darstellt, nimmt für diese Persönlichkeit ein,
von der die Zeitgenossen so viel edle Züge überliefert haben. Auf
dem Revers zweier Medaillen Pisanellos befindet sich ein Mast
mit stark geschwelltem Segel. Es scheint dies ein Zeichen von
Beständigkeit zu sein, die jedem Sturm trotzt: Lionellos Symbol.
Niccolo hat diesem Sohn eine besonders sorgfältige Er^hung
angedeihen lassen. Guarino war fünf Jahre hindurch sein Lehrer,
bis zur Heirat des jungen Markgrafen mit Hargherita Gonzaga.
Vergil, Cicero, Valerius Ma^dmus, Justinian, Ovid und Terenz hat
er mit sünem Schüler gelesen und ihn in allen körperlichen
LIONELLO 39
Fertigkeiten tinterwiesen. Lionello konnte reiten, schwimmen, laufen,
springen, tanzen und mit dem Schwert fechten^ Damit der Thron-
folger auch in der lEriegskunst erfahren sei, schickte ihn der Vater
1422 nach Perugia, in das Lager des berühmten Condottiere Bracdo
dei conti di Montone. Zwei Jahre lernte Uonello das Kriegshand-
werk und blieb bis zum Tode des Führers im Lager. Damals hatte
er ein Verhältnis mit Braccios schöner Tochter, das seine um die
Tugend ihres Helden aUzu &ngstiich besorgten Biographen nicht
zugeben wollen. Trotz dieses Romanes vergafi Lionello in der
Feme seines Lehrers nicht, vielmehr berichtete er ihm regelmäßig
über seine Reisen« Diese Briefe beweisen seine Anhänglichkeit an
Giiarino» Br meldet ihm einmal, dafi er keinen geringen Anteil
am Siege habe, den Braccio errungen, ein andermal schickte er ihm
Rehböcke tmd Fasanen, oder ein eben erworbenes Buch, oder
bittet ihn> ihm einen Passus in einem alten Autor auszulegen,
den er nicht verstanden. Er beschreibt seine Zeiteinteilung auf dem
Lande: auf Jagdfreuden folgen Lektüre, Musik und Gesang. Auch
Guarino kargt mit Beweisen seiner Sympathie für den ehemaligen
Schüler nicht. Er wollte, dafi man ihn in Zukunft Guarino Lionelli
nenne, imd auf eines seiner Bücher schrieb er stolz: „Hoc libello
me Guarinum Veronesem donavit Leonellus Estensis.^' Guarino
imd anderen Gelehrten, so PierCandido Decembrio, schrieb Lionello
lateinisch, seinen übrigen Bekannten italienisch, im ferraresischen
Dialekt, und als echter Sohn seiner Zeit machte er natürlich auch
Gedichte. Er hinterliefi einen Band lateinischer und italienischer
Gedichte, aber nur zwei Liebessonette sind auf uns gekommen.
In dem einen beklagt sich der Dichter, dafi Amor ihn, der Seh-
kraft beraubt, blind am Wege irren lasse und höhnisch zu ihm
spreche: „Gehe nur hin. Übermütiger, der seiner Kraft vertraut."
Und der Dichter sucht seinen Weg und harrt eines Mitieidigen,
der ihn an der Hand fassen und leiten würde. Aber vergebens
wartet er, er muB Amors Spott, der ihm auflauert, tragen und ihn
beschämt bitten, ihm wieder Führer zu sein. In einem anderen
Sonett schildert Lionello eine wunderbare Quelle, die am Helikon
entspringt, wer Stirn imd Hände in sie taucht, verhärtet sich gegen
die Glut der Liebe* Auch der Dichter ist hingepilgert, aber Amor
40 DRITTES KAPITEL
wartet seiner dort mit gesfianntem Bogen, und als er am Quefl
sehöpfen will» vergiftet der Gott das Wasser mit seinem Pfeil. So
entzündet die Quelle die Wunde, die sie heilen sollte, zu neuem
Brand. Petrarcas EinfluB, der die damalige italienische Lyrik be-
herrschte, ist in diesen Sonetten unverkennbar.
Nach seiner Rückkehr aus Perugia war Uonello Zeuge der
furchtbaren Tragödie: des Todes von Parisina und Ugo, an dem
er sehr hing. Dieser Vorfall scheint eine leise Schwermut erzeugt
zu haben, die immer mehr in seinem Wesen durchbrach. Uonello
blieb aber dem Vater zugetan, auch Niccolo hatte den Sohn auf
Reisen inmier um sich und erwies ihm viel Liebe.
Noch zu Lebzeiten des Vaters verm&hlte sich Uonello 1435
mit Margherita Gonzaga aus BCantua. Sie stand ihm geistig nahe,
war Vittorino da Feltres gelehrte Schülerin und träumte gleidi
ihrem Gatten von Griechen imd Römern. Guarino freute sich
dieser Heirat so sehr, dafi er zwei Biographien TonPlutarch für Uonello
als Hochzeitsgeschenk übersetzte; brieflich sprach er ihm seine
Freude darüber aus, dafi er eine so gebildete Fürstin eheliche.
Sehern im Verlobungsrertrag, den Niccolo IIL und Gonzaga
schlössen, ward, wie Niccolo dem venezianischen Senat berichtet,
Uonello die Nachfolge in Ferrara gesichert. Die freimdschaf tUchen
Beziehungen, die schon seit längerer Zeit zwischen den Este und
Gonzaga bestanden, befestigen sich vermöge dieser Heirat, und
zwei Jahre später fand Carlo Gonzagas Trauung mit Ludlla, Uo*
nellos Schwester, statt.
Margherita war keine Schönheit, aber die Chronisten finden
nicht Worte genug, um ihre gute Erziehung, ihre Bescheidenheit
und Güte zu preisen. In Ferrara zog sie am 6. Februar 1435 ein,
alter Sitte gemäß, wie alle jungen Markgräfinnen, auf weifiem
Zelter, doch der Tag war kalt und die Felder mit Schnee bedeckt.
Sie trug einen sdiarlachroten, hermelinyerbrämten Samtmantel,
und wirkte wahrhaft königlich unter dem Baldachin.
Die Feste dauerten drei Tage und verschlangen ein Vermögen;
die Stadt, die höheren Beamten, selbst Privatpersonen beteiligten
sich mit bedeutenden Beträgen an den Kosten für die Hochzeits-
feierlichketten, um sich die Gunst des Markgrafen zu sichern. So
LIONBLLO D'ESTB
BILDNIS VON PiSANBLLO. BERGAMO, AKADEMIE (GALLERIA MORELLI)
UPNBLLO 4X
schickten unter anderen 4ie Stadt Modena Nkcolo für diesen Zweck
20OO Lire, der Bischof T<m Modena 359» Ugo Bed» ein bekannter
Hwnanist tind . Gelehrter in Ferrara» x66, tind der Hofarchitekt
Qioiranni da Stena zoo. Es war allgemein bekannt, da0 Niccolo
kein Banrermocen hatte, bei Gianfranoesco von llantua hatte er
44000 Pukaten geborgt, zum Teil waren sie schcm zurüdcgezahlt,
während sie zum andern Teil in Margheritas Mitgift yerrechnet
wurden.
Für das junge Paar wurde im SchloB eine Wohnung her-
gerichtet« Ein Schlafzimmer für den Winter nach Süden, ein
zweites für den Sommer nach Norden gel^^. Im Winterschlaf-
Zimmer, der Camera des payoni, stand ein grosses Himmelbeet,
ein neuer Nußbaumtisch, zwei Bänke, eine Truhe mit Samtbehang
und Ornamenten aus vergoldetem Zinn und ein Wandleuchter; der
größte Schmuck dieses Raumes waren zwei Bänkchen mit schwarz-
grüner Atlasdecke, darauf Lionellos Vfapptn und sein Wahlspruch
in Diamanten. Schwarz und Grün überwogen in der Einrichtung,
die firächtig, aber nach heutigen Begriffen nicht übermäßig be-
quem war* Doch war das Bett mit weichen, mit Wolle gestopften
Matratzen versehen, die Kissen aus Daunen, und das Deckbett
hatte einen gestreiften Überzug. Tagsüber lag eine schwarz-grüne
Atlasdecke auf dem Bett, die mit Ornamenten und nguren reich
bestickt war, darunter befand sich eine musizierende Frau. An
den Wänden hingen wahrscheinlich Bilder venezianischer, ferra-
fesischer und mantuanischer Maler. Die Guardacamera und die
Guardaroba stießen an das Schlafzimmer; in der ersten wurden
Kleider und Hausgerät aufbewahrt; so befand sich dort eine Uhr
mit Zifferblatt aus vergoldetem Zinn und einem schwebenden
Engel, außerdem ein Schachbrett mit Lionellos Wappen; Schach
war des jungen Markgrafen Lieblingsspiel, In der Guardaroba
stand ein zweites Schachbrett in schwarz mit weißem Elfenbein
und einem dazugehörigen Tischchen. Außerdem standen dort
Truhen, Bänke, ein Tisch aus Nußbamnholz, Kupferkrüge und
Schüsseln. Der Humanismus hatte der Antike alles abs^lemt —
bis auf die Sauberkeit der Römer. Während das kleine Pompeji
CroBartige Badeanstalten hat und Bleiröliren das Wasser in die
43 DRITTES KAPITEL
Hiuser leitenf sind Badevorrichtungen In der Renaissanee eine
seltene Ausnähmet und die Ferraresen muBten den Sommer ab»
warten, um im Po baden zu. können« Zu Ehren des Markgrafen
soll nicht verschwiegen werden, da0 sich in der Guardaroba ein
groBes Becken mit seinem Wappen zum Pufiwaschen befand«
Das Speisezimmer, ein langer Saal mit zwei Kaminen, wurde
auch bei grofien Empfingen benützt. Sechs Bänke, zwei BOfetts
und zwei Tische, der eine aus Zjrpressenholz, bildeten die Ein*
richtung. Vier groBe Leuchter erhellten den Raum» Wahrschein-
lich waren die Wandbehinge und Teppiche der Hauptschmuck des
Speisesaals und der Schlafzimmer. Über die Wanddekoration in
Lionellos Rftumen sind wir nicht unterrichtet, aber nach damaliger
Sitte hatte der Spdsesaal wohl eine Holztäfelung, darüber Fresken
oder aus Flandern importierte Arazzi. Den SteinfuBboden deckten
orientalische Teppiche, die venezianische Kaufleute nach Buropa
gebracht hatten. Lionellos Hofstaat speiste in einem kleineren
Raum, in der »,Sala dei lincomi'S so genannt, da der Blarkgraf das
Einhorn in seinem Wappen hatte« Am schönsten scheint jedoch
die „Camera dei dmieri'' eingerichtet gewesen zu sein, Lionellos
Studio, Dort war ein Bücherschrank aufgestellt, der früher Paolo
Guinigi, dem Fürsten von Lucca, gehört hatte. Niccolo hatte ihn
erworben, als das Eigentum des Tjrrannen nach seinem Sturz ver-
kauft worden war. Es mufi ein mit künstlerischem Schnitzwerk
versehener Schrank gewesen sein, sonst hätte der Transport von
Lucca nach Ferrara nicht gelohnt. Lionellos Kammerdiener und
vier andere Bediente hatten bescheidene Kammern, ebenso war die
weibliche Dienerschaft in zwei Räumen untergebracht: in der
„stanza delle donne vecchie'^ und in der „stanza delle donne vedove'*,
Margherita kränkelte häufig, sie scheint von ihrem Vater ein
schweres Magenleiden geerbt zu haben. Da sie während der ersten
zwei Jahre ihrer Ehe kinderlos blieb, gelobte sie der Kirche von
S. Francesco in Assisi ein Exvotum, für den Fall, da0 sie Kinder
bekäme. Nach der Geburt ihres Sohnes am 28. Juni 1438 schickte
sie, tun ihr Gelöbnis zu erfüllen, ein Wachsbild nach Assiri. Aber
ihre Gesundheit verschlimmerte sich. In den Briefen an ihren
Vater beklagte sie sich über ein „anhaltendes Kältegefühl im Kopf'S
LIOIIBLLO 43
sie habe einen verdorbenen Magen, vertrüge Fleisch überhaupt
nicht mehr und könne sich allein von weichen Biem und Suppen
emAhren. Die Luft in Ferrara bekam ihr schlecht, so ging sie im
Sommer 1439 nach GovemolOi der Sommerrestdenz der Gonzaga,
aber dort verschlimmerte sich ihr Zustand; nach vierjähriger Ehe
starb sie am 7. Juli. Auch ihr Vater starb an einem Magenleiden
im neunundvierzigsten Lebensjahre.
Lionello hat Marg^erita sehr geliebt, ihr Tod ging ihm so nahe,
daB er sein Leben für zerstört hielt. Seine neu aufgenommenen
Devisen bezeugen diesen Kummer: ein Schwert mit zerbrochenem
WurfspieB, ein AmboB mit geborstenem Hammer, ein Schild, in
dem einige Pfeile stecken, während die übrigen zerbrochen am
Boden liegen. ^
Fünf Jahre blieb Lionello \mtwer; politische Gründe, be-
sonders die Notwendigkeit sich einen Bundesgenossen gegen die
drohend angewachsene Macht Venedigs zu sichern, veranlaBten ihn
eine zweite Ehe einzugehen. Die künftige Markgräfin von Ferrara
war Maria von Aragon, die uneheliche Tochter Alfonsos und einer
spanischen Maurin. In Lionellos Namen leitete Agostino Villa
Z443 die Verhandlungen. Alfonso versprach seiner Tochter eine
Mitgift von 30000 Dukaten, Lionello sicherte seiner Gattin die
Hälfte dieser Summe als ihr Eigentum zu „propter ejus virgini-
tatem'^
Für die Kosten der Übersiedlung der Markgräfin und der Feste
anl&fiUch der Hochzeit muBten wieder die ferraresischen Stadt-
gemeinden, die Bischöfe und die übrigen Würdenträger des Reiches
aufkommen. Es war ein drückender Brauch, der die Freude der
Bevölkerung über die Verbindung der Dynastie mit dem Königs-
haus von Neapel nicht wenig schmälerte.
Die Vorbereitungen zum Empfang der Neapolitanerin ver-
schlangen ein Vermögen. Die verstorbene Markgräfin war ^Htto-
rino da Feltres bescheidene Schülerin, — für die königstochter,
die den Luxus des väterlichen Hofes gewohnt war, galt es, das
SchloB anders herzurichten. Übrigens sollte Maria von Aragon
nicht mehr die bescheidenen Räume der Thronnachfolgerin be-
ziehen, sondern jenes Appartamento, das mccolo früher mit seinem
44 DRITTES KAPITEL
Hofstaat bewohnt hatte, $o wurdan groBe Neuanschaffungen ge*
macht: silberne und emaillierte Tafelferäte, figürliche Teppiche aus
Flandern» seidene WandbehAngCi silberne Stickereient vier Schilde
mit dem Wappen „di Uadama'S zierliche Ketten zur Befestigung
der Falken, Pferdegeschirr» eine künstlerische Kassette für das
p&pstUche Agnus dei» silberne Spiegel- und Bilderrahmeni Wische
und kostbare Möbel. Nicht allein der Palast sollte neu eingerichtet
werden» die junge ICarkgräfin sollte in Ferrara eine große Anzahl
▼on Toilettegegenstftnden» ja fast eine ganze Ausstattung Torfinden«
Ein kostbarer Rubinring und andere Kleinodien wurden für sie
bestellt» ganze StoBe von Seidenstoff und Brokat aufgestapelt» selbst
der Handschuhe wurde gedacht: Handschuhe aus Alpenziegen*
leder» mit Gold und Silber gestick^ Handschuhe zum Pallospiel,
sowie acht Kämme aus Elfenbein. Bei dieser Griegenheit bekam
4as Hofgesinde karmoisinrote Handschuhe» damit wivden auch die
Universit&tsprofessoren beglückt» die den Baldachin über der ein-
ziehenden jungen Frau tragen sollten. Für sich selbst lieB Lionello
einen gelben Anzug anfertigen.
Der Markgraf lieS die Verlobte Ton seinem Bruder Borso und
mehreren Adeligen abholen. Zwei bewaffnete Sdiiffe wurden aus-
gerüstet» das für die Braut bestimmte hatte Purpursegel und war
inwendig mit flandrischen Arazzi ausgeschlagen. Die venezia-
nische Signoria UeB einige ihrer Schiffe und Capitani dazustofien»
und die gesamte Flotte verließ Venedig am 24. März des Jahres
Z444. Fast einen Monat später» am ao. April» zog Maria von
Aragon in Venedig ein» der Doge» die Dogaressa und vornehme
Venezianerinnen in kostbar geschmückten Barken empfingen die
Braut und geleiteten sie in den estensischen Palast. Am Ponte
Rialto war das Gedränge so groB» daS die Brücke zerbrach» zwei-
hundert Personen fielen ins Wasser» zwanzig davon ertranken» und
es gab über vierzig Verwundete.
Damit Felraras künftige Markgräfin einen günstigen Ein-
druck von Venedig bekomme» verehrte ihr die Signoria ein kost-
bares Kleinod im Werte von 300 Dukaten. Als die Neapolitanerin
einige Tage später sich Ferrara von der Seeseite näherte» kam ihr
Meliadus» der Bruder ihres Verlobten» zu Schiff entgegen» mit ihm
LIONBLLO 45
die ferraresische Ritterschaft und die schönsten Frauen der Stadt,
deren Barken Meliadus* Schiff wie ein Kranz umgaben. Allgemeine
Aufmerksamkeit erregte ein grofier Kahn, in dem festlich ge-
sdunOdcte, schöne Landmidchen aus Polesina saBen. Bei Glodken-
geläute, Gesang und Böllerschüssen zog die Aragonierin am 24. Mai
ins Castel nuoYO ein, in den Palast der ehemaligen Geliebten Nic-
colos III., PhUippa della Tayola. Dort ruhte sie drei Ti^ aus,
dann fand der feierliche Einzug in Ferrara am 27. Mal statt. Die
Braut safi auf einem weiBen Zelter unter dem Brokatbaldachin,
den die Universitätsprofessoren in ihren neuen karmoisinroten
Handschuhen trugen. Bei MusikkUngen bewegte sich die Kaval-
kaide durch die Straßen der Stadt, die Feste währten fünfzehn Tage:
Bfille, Lanzenstechen und Turniere folgten einander. Der Hatz
▼ox dem SchloB war in Wald und W^ese Terwandelt, Jagden auf
wilde Tiere, die man dort ausgesetzt hatte, fanden statt, und die
/leapolitanerin konnte sich dieses Spiels vom Fenster aus erfreuen.
Aan nächsten Tage wurde der Platz vor der Kathedrale in einen
Eichenhain verwandelt, und S. Giorgio, Ferraras Schutzheiliger, er-
legte dort einen furchtbaren Drachen.
Das Festmahl nach der Trauung war eines der großartigsten,
dessen man sich in Ferrara entsann. Es gab soviel Lichter,
daß der Saal zu brennen schien, und die Gerichte ließen sich nicht
mehr zählen. Die markgräfliche Küche ezzellierte besonders durch
Hure große Anzahl von Fleischspeisen. Schüssel folgte auf Schüssel,
Fasanen, Rebhühner, Pfauen wurden aufgetragen, ganz abgesehen
von Ochsen, Kälbern tmd Hühnern.
Während der Hochzeitsfeste wurden etwa tausend Ochsen und
Kälber, 40000 Hühner, 15000 Pfund Zucker und zahlloses Ge-
flügel verzehrt und allein 12000 Pfund Wachs verbraucht.
Maria von Ari^on erwarb sich die Herzen der Bevölkerung
schnell, auch ihren Mann verstand sie zu fesseln, sie glänzte jedoch
trotz ihres lebhaften Geistes mehr durch ihre Schönheit imd Liebens-
würdigkeit als durch ihr Wissen. Sie lebte nicht lange, Ferraras
ungesunde Li^e scheint ungünstig auf sie gewirkt zu haben; sie
starb nach fünfjähriger Ehe, am 9. Dezember 1449. Fast ein Jahr
später, am x. November 1450, starb Lionello, er litt seit längerer
46 DRITTES KAPITEL
Zeit an starken Kopfschmerzen. Nadi dem Chronisten Caleffini
waren diese Schmerzen die Ursache seines Todes. ,,£1 male de
la testa el condusse a morte.^' Er hinterließ zwei Söhne, Fran-
cesco» einen illegitimen Sohn» der am burgundischen Hofe erzogen
wurde, und Niccolo, das noch unmündige Kind der Margherita
Gonzaga.
Lionello war vielleicht der erste wirklich menschliche Herrscher
imter den Renaissancefürsten. Eine Art Vorrede zu dem von ihm
für Ferrara erlassenen Gesetz ist für ihn bezeichnend. Er sagt»
alles Bfenschenwerk zerfalle in Staub, die Weisheit allein sei ewig
und sie allein beherrsche, die Welt. Darum müsse der Fürst sich
von ihr leiten lassen» auf das Wohl seiner Untertanen bedach^
sein» unter Hintansetziug seines eigenen Vorteils.
Der Dichter Janus Panonius feiert ihn:
. . .cultam studüs Leonellus cultior alma
^c in pace regit patriam» sie iure quieto ^
Temperat» ut» reliquis late cum ferrea volvat
Urbibus, huic uni vehat aurea tempora Titan.
(I. Panonis Paneg. p. 35.)
11
Nach Niccolos III. Tode begann für die Humanisten das goldene
Zeitalter in Ferrara. Lionello hatte zwar in seiner Jugend italie*
nische Gedichte gemacht» doch beschäftigten ihn später haupt-
sächlich philosophische und theologische Studien; in der klassischen
Literatur brachte er es so weit» daß er als erster die Aufmerksam-
keit der Gelehrten darauf richtete» dafi die Korrespondenz zwischen
Petrus und Seneca» mit der sich die Humanisten damals abgaben»
nicht authentisch sei. Die alten Autoren sammelte er mit Leiden-
schaft tmd war auf die VergröBerung der väterlichen Bibliothek
sehr bedacht. In seinen Diensten stand ein Bibliothekar» der
imter anderen das Buch »»De re uxoria" für ihn abschrieb; das
Einbinden von Büchern wurde eifrig betrieben» das Leder dazu
lieferte der Introligator Nigrisolo dei Nigrisoli.
LI0NELI.0 47
lionello bereicherte seine Bibliothek auch durch Abschriften
von Plautus' Komödien, die kurz vorher in Deutschland gefunden
worden waren; sie sollten später in Ferraras höfischer Kultur eine
groBe Rotte spielen. Selbst in den offiziellen Verfügungen des
Markgrafen brach seine Vorliebe für das klassische Altertum durch,
so in jenem Dekret, in dem er dem Arzt Sayonarola die Einkünfte
einer Liegenschaft schenkte« Er sucht seine Freigebigkeit ge-
Wissermafien zu rechtfertigen, indem er sich auf das Beispiel der
berühmtesten Minner des Altertums beruft; seit Alezander dem
Großen h&tten bei allen Herrschern Arzte und Gelehrte in hohem
Ansehen gestanden.
Die Humanisten drängten sich an den Markgrafen, so wurde
unter seiner Herrschaft die Universität in Ferrara zu einer der
bedeutendsten Italiens. Lionello berief berühmte Männer: Teodor
Gaza aus Saloniki als Lehrer des Griechischen, Basinio di Parma,
Francesco d'Arezzo, LioneUo und Lodovico Lardi. Den Huma-
nisten Angelo Decembrio zeichnete er in einem solchen Mafie aus^
dafi er ihm aus Dankbarkeit ein Denkmal in seinem Werke „Politia
fitteraria'' gesetzt hat« Auch Leon Battista Alberti, der zu jenen
gehörte, die das gesamte Wissen ihrer Zeit beherrschen, war ihm
befreundet« Alberti kam 1438 zum berühmten Konzil nach Ferrara,
als Übersetzer aus dem Griechischen und Sekretär Eugens IV«; er
erkannte bei näherem Verkehr, dafi es Lionello Ernst damit war,
seine Untergebenen zu beglücken. Er widmete ihm X44^ seine
„Teogenia'S in der er sich darüber verbreitet, was dem Lande
mehr schade, Niederlagen oder beständiger Wohlstand, die Schlechtig-
keit der Menschen oder politische Revolutionen. Die „Teogenia"
war gewissermafien das Versprechen Albertis, sich längere Zeit in
Ferrara aufzuhalten, da er sich in Lionellos Staat sehr wohl ge-
fühlt hatte« „Dort begriff ich'' — schreibt er nach jenem Be-
such — „welches Glück es ist in einem Staate zu leben, in dem
nichts den Frieden des Geistes trübt, imter der Herrschaft des
besten Vaters, der Gesetz und Gewohnheiten respektiert.'' Zwei
Modelle ferraresischer Künstler für Niccolos HL Reiterdenkmal
wurden von Alberti begutachtet; der Gelehrte benützte diesen An-
lafi, um seine Abhandlung zu schreiben „De equo animante", übet
48 DRITTES KAPITEL
Pferdezucht und Rastenkreuzung, das Material dazu ergab der
reichbesetzte llarstall des Markgrafen. Aus den Gesprächen mit
Lionello entstand ein weiteres Werk Albertis, jener berOhmt^
Traktat über Baukunst »»L'arte d'edificare'^ Selbst einen Mann
▼on Albertb Bedeutung regte die Atmosphäre an Lionellos Hof an.
Ferrara ward zum wichtigsten literarischen Sammelpunkt im
damaligen nördlichen Italien. Im Schloß versammelten sich die
Gelehrten und Literaten nach Tische oder »hinter potandum*', zu«
weilen lud der Markgraf sie in seine Schlösser Belfiore oder Beilos-
guardo ein, wo sie im Schatten von Eiche und Lorbeer über wissen*
schaftliche und literarische Fragen debattierten, oder er arrangierte
Jagdfeste, wohl weniger für Guarino und Gaza als für ihre jugend-
lichen Begleiter. Diese Zusammenkünfte waren durch Flatos
Dialoge anger^. Die Humanisten glaubten die Gepflogenheiten
der alten Weisen in Ferraras schatt^e Gärten verpflanzen zu
können. Eine der markantesten Persönlichkeiten dieses Kreises
war Ugucdone Contrari, ein Mensch von scharfem Verstand und
grofier Erfahrung, dem Markgrafen sehr zugetan und in politischen
Dingen so geschickt, daB zuweilen nicht nur das Schicksal Ferraras,
sondern das ganz Italiens von seinen Plänen abhing. Der Mark-
graf unternahm keinen entscheidenden Schritt ohne seinen Rat.
Feltrino Bojardo aus Scandiano, der aus einer den Este sehr zu-
getanen Familie stammte, Alberto Costabili, Giovanni Gualengo, die
meisten der Universitätsprofessoren gehörten zu den regelmäfiigen
Besuchern dieses Kreises; unter den jüngeren zeichneten sieh
namentlich aus die Brüder Niccolo und Tito Strozzi und Alberto
Pio aus Carpi.
Die Strozzi, denen wir noch wiederholt am estensischen Hofe
begegnen werden, waren Flcventiner Verbannte, „fuorusdti''.
Carlo Strozzi und sein Sohn Giovanni waren als Führer der gud-
fischen Partd gezwungen, die Vaterstadt zu verlassen, als die
Ghibellinen für kurze Zdt die Macht hatten; unter Niccolo HI.
hatten die Strozzi sich in Ferrara niedergelassen. Die L^ende
will wissen, dafi einer ihrer Vorfahren seinen Gegner, einen Riesen,
erwürgt habe (strozzare), daher bekam ihre Familie den Beinamen
„Würger^S „Strozza'S woraus sich der Name Strozzi entwickelt hat.
LIOMELLO 49
Giovmnni mr mit CosUnsa de CostabiU verheifatet, eiiier Frau
aus angtsehencni fenraresiscfaem Geschledit» ihre vier Söhsie haben
den Bsie gute Dienste geleistet. Der jüngste Tito Veiyasiano
(geb..X4S5) war wie lionello Ouarines Schüler, eio leidenschaft-
licher Latinist, der früh begann lateinisdie Verse za nuu^en. Er
war der begabteste unter den Jungen, die sich um Lionello sam-
alelten. Alberto Pio stammte aus der Condottiere-Familie aus
Carpi in der Po-Bbene, den Nadibam der Carpi aus Biirandohu
Er ist nicht identisch mit Alberto III. Pio, einem berühmten Ge-
lehrten und D^omaten, dem wir an Ercoles L Hof begegnen
werden« Zu dieser kunstbeilissenen Jugend gehörte auch Francesco
Aricsto aus derselben Familie, aus der später der gro0e Dichter
hei vorging«
Die Zusammenkünfte bei Lionello waren zwanglos und heiter.
Stä:rker als aller Klassisismus war die Jugend; neben Debatten
wiassenschafdidier Natur erzählte man sich die im XV. und ZVI.
Jahrhundert beliebten, oft reichlich gepfefferten „Faoetien", zu-
weilen, selbst am Abend, spielten Flötenspieler, „tibidnes'S auf,
was Gtuffino in einem seiner Briefe damit rechtfertigt, daB es auch
im Altertum nicht anders war. Beschönigend fügt der Pädagoge
hinzu, daB die Musik nicht sinnlich sondern schlicht und ernst
gewesen sei, „non lascivientem sed sobriam convivis solebant ad-
hibere musicam". Der Tisch war nur einfaidi besetzt, das Essen
wurde. durch Witz und Scherz gewürzt, indem man es auch darin
S<derates gleich tun wollte.
Die Geselligkeit stand im Zeichen der „urbanites^', einer in
sehr gesuchten Formen sich bewegenden Höflichkeit, die später, be-
sonders bei Spaniern und Franzosen, zu lächerlichen Übertreibungen
führte. Guarino lehrte, daB der Mensch nicht nur geschaffen sei,
um zu leben, „vivere'S sondern um mit anderen leben zu können«
„convivere". Außerdem legte man groBes Gewicht auf die Fähig-
keit sich gut, ja elegsnt äuszudrüdcen, da nach Guarino der Mensch
nicht nur die Pflicht habe, verständig zu sein, sondern auch seine
Gedanken verständig und klar zu äufiem.
Die Antike hat diese Menschen gänzlich h3rpnotisiert, sie ver-
locen die Fähigkeit, unbefangen zu denken« Guarino schreibt aus
4
50 DRITTES KAPITEL
Vaipolicella aa dnen Freund^ wie sehr ihn die Natur beglttcke,
sofort fügt er quasi als Rechtfertigung hinsu, daB auch Fahritius
und Cato sich des Landlebens erbeut h&ttsn. Beim Spasieren-
gehen, Reiten, Jagen, selbst beim Fischen hatte er seinen Vergil
in der Tasche, er hielt es für seiner unwürdig, über die Felder ohne
diesen Führer am gehen, der Ackerland und Vieh so poetisch ge»
schildert hat. Die Beschreibung seines Landhauses in ValpoUcella
ist fast wörtlich PUnius entlehnt, der uns die Schilderung seines
großen Landsitzes in Toskana hinterlassen hat*
Selbstverstftndlidi haben die Humanisten die französischen
Ritterromane verachtet; ihnen galten jene, am Hof der Este so
▼iel gelesenen Bücher als unmoralisch, sie betrachteten es als
unter ihrer Würde, sich mit diesen Dingen abzugeben angesichts
der Werke von Ovid. Darin stimmten sie vollkommen mit der
Geistlichkeit überein, die auch in den Erzählungen der StraBen»
sAnger den Quell des Übels fand. So kämpfte man gemeinsam
gegen die Romane, und es ist schon seltsam genug, daB der hitzigste
Gegner der Ritterliteratur ein Arzt in Perrara war, Michele Savona^
rola, den die Merlin und Rinaldo so erbosten, daB er in seiner
Abhandlung „Confessionale'* den Priestern riet, jenen ihrer Beicht»
kinder keine Absolution zu erteilen, „die sich vergnügen mit dem
Hören und Lesen überflüssiger Liebesgeschichten, zuviel Zeit für
Musik tmd weltlichen Gesang verschwenden und an den Feiertagen»
anstatt zur Vesper zu gehen, den StraBensängem lauschten". Aber
weder die Vorstellungen der Humanisten noch die Ermahnungen
der Geistlichkeit schufen Wandel, das Volk wuBte mit den neu-
modischen Gelehrten, die seine Phantasie nicht befriedigten, nichts
anzufangen und zog die Geschichten heldenmütiger Ritter Platoa
Lehren vor.
Infolge des Einflusses der Humanisten war selbst Petrarcas Kult
in Perrara geringer als anderswo, mit Florenz, z. B. das zum eigent-
lichen Sitz der Petrarkisten wurde, gar nicht zu vergleichen. Unter
Lionello herrschten die Latinisten in Ferrara unumschränkt, mit
geringen Ausnahmen machte man nur lateinische Verse, das Ideal
der Dichter war Ovid, den man in Form und Inhalt kopierte. Und
dieser Latinisten gab es so viele, daB in Italien der Spottvers zirku»
LIONELLO 51
Berte» in Ferrara gäbe es so viel Reimschmiede wie Frösche in den
Sün^fen. Bartolommto Prignano Paganelli (gest. 1493) schrieb:
• • • • tot Ferraria vates
Quot ranas tellus Ferrariensis habet.
Def bekannteste dieser Dichter war Giovanni Cesinge» Janns
PannoniuSy und der klügste wohl jener Arzt, Girolamo
Castelliy auch er ein Schüler Guarinos, der
selbst noch in seinem Testament
▼erbot, seine Verse je
zu drucken.
VIERTES KAPITEL
BORSO
h gloria d'Estel nennt Annunzlo in seinem Roman
,,I1 Piacere" den Pftlazzo Schifanoja In Perror«, Von
auBen betrachtet zeichnet sich der Palast weder durch
seinen Umfang noch durch seine architektonischen
Verhältnisse aus, nur das Hauptportal mit dem großen
Wappen der Este macht einen durchaus eigenartigen
Eindruck. Das Gebäude, das schon von Alberto Este errichtet worden
war, hat durch Borsos Umbau sein heutiges Gesicht erhalten. Den
„Ruhm der Este" roufi man innerhalb der bescheidenen Wände,
im ersten Stock des grofien Saales suchen, wo die berühmten Fresken
mit Szenen aus Borsos Leben steh befinden.
Die Fresken gehören zu den kostbarsten Dokumenten höfischer
Kunst aus der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts, und es ist sehr
zu beklagen, daB nur ein Teil erhalten ist. Im XVIII. Jahrhundiert,
in der Zeit von Tünche und Kalkbewurf, wurden sie überstrichen, und
erst zwischen 1830 und 1839 teilweise aufgedeckt, als man Vor-
bilder zu einem Kostümfest, einer Jagd zu Borsos Zeiten, brauchte.
Da erst überzeugte man sich vom großen Wert der Malereien,
und zwei Jahre später reinigte der Bolognese Alessandro Compa-
gnoni das, was noch nicht ganz verdorben war.
1450, nach Uonellos Tod, übernahm Bcrso die Regierung; jet
hat bis 147t in Ferrara geherrscht. Seine Regierung war dna
Ppoche des Friedens, da das Reich dank dem glücklidien Lauf der
Ereignisse und der Umsicht des Herrschers keine Kriege zu führen
hatte. Ferrara wurde damals die „Terra della pace" genannt. Borso
.BORSO ijj
bemühte atch» in «Ikn pditischen Verwickhingen seine Neutralitfti
SU wahfeo, und die italienischen Nachbarlinder haben ihn mehr-
isch sum Riditer ernannt in Fällen, die zu kriegerischen Vcr-
wi^hmgen hlAfen führen künnen. Ohne Blutverlust vergrdBerte
er sein Reich, obgleidi infolge des Erlöschens der Dynastie der
l^sconti in Miiland und der Feindsel^keiten der Venezianer, di^
Fecraras wachsende Macht nur ungern sahen, die Verhältnisse
scfawierilK genug waren. Borso verstand es, die Feinde unter«
einander zu veruneinigen und Nutzen aus ihrem Streit zu ziehen.
Der Plipst Paul IV. hat einmal gesagt, Borso führe ohne Schwert-
streich und Geldy wenn er mit seinen Falken auf die Jagd ginge,
Kri^ mit wem er wolle und dazu vorteilhafter als irgendein
anderer mit fünftausend Berittenen. Borso hatte, auf Herrschaft
und Ruhm bedacht, viele Vorzüge, aber diese Vorzüge resul-
tiertte in der Hauptsache aus dem ^oismus des Herrschers. Darin
war er den lledid verwandt: war Gerechtigkeit nicht mit Nach-
teilen für ihn verbunden, so übte er sie gern, aber mehr als um
Recht ging es ihm um den Ruhm des Gerechten. Er stand sehr
früh auf; nachdem er mit seinem Hauskaplan gebetet hatte, ging
er in die Stadt, umgeben von Räten und Sekretären, um die Streitig«
besten unter der Bevölkerung zu schlichten und in patriarchalischer
Weise Gerechti|^t in jenen Fällen zu üben, die man nicht erst
dem Gericht vorlegen mufite. Für gewöhnlich begleiteten ihn
Teofil Calcagninif den er 1465 zum Ritter des goldenen Sporn mit
dem Stern ernannt hatte, und die geheimen Räte Lorenzo Strozzi,
Agjostino de Bonfranceschi da Rimini und Prisciano de PrisdanL
Die Bevölkerung drängte sich an ihn, auf der StraBe konnte sich
jed^ bei ihm beklagen imd seine Bitte vortragen. So sehr geizte
er mn den Ruhm des „Gerechten^', daB er gelegentlich das Theatra-
Bsche nicht scheute. So wird folgendes Geschichtchen von ihm
erzählt: Als der Hofmarschall eines Tages Handwerker für von
9men ins Schloß gelieferte Dinge nicht bezahlt hatte, wandten sie
sich an Borso; er selbst übergab die Sache dem Gericht, liefi sich
ver ur te i len, bezahlte den Handwerkern was ihnen zukam und
madite dem Hofmarschall Vorwürfe, daB er ihn in eine solche
Lage erbracht habe. Ein andermal hatte sich ein begüterter Ferrarese
54 VIERTES KAPITEL
in Venedig eine boshafte Bemerkung über Borso gestattet. Als
er zurückkam, forderte ihn der Markgraf vor das Gericht der
«»Zwölf''; der Urteilsspruch lautete: Verbannung und Einaiehung
seiner Güter. Einer von Borsos Schmeichlern geriet während der
Gerichtsverhandlung in solchen Zorn, daB er auf den Angeklagten
beinahe mit dem Dolch losging. Der Markgraf begnadigte den
Verurteilten zwar, doch mufite der arme Teufel mit dem Strick
lun den Hals zu ihnä gehen und um Gnade bitten. Es wtre ein-
facher gewesen, von vornherein zu verzeihen, ohne die ganze Ge-
richtskomödie zu inszenieren, aber Borso hatte eine Schwäche für
fürstliche Reklame. Die Ebene von Ferrara erschien ihm zu
flach, so ließ er, um seiner Phantasie Genüge zu tun, einen Hügel
in Montesanto aufschütten. Der künstliche Hügel verschlai^^ un-
nütze Arbeit und Geld, und die Bevölkerung murrte.
Er unterstützte Dichter und Gelehrte, um von ihnen gepriesen
zu werden. Obgleich er nicht gelehrt war wie Lionello, gab er
doch nicht unbedeutende Sunmien für die Universität und seltene
Bücher aus, außerdem interessierte er sich angelegentlichst für die
Einführung der Buchdruckerkunst. Tito Strozzi, der die Eitelkeit
des Markgrafen kannte, verfaBte eine lateinische Dichtui^ „Bor-
siada^S die ihn verherrlichte, doch braucht die Menschheit nidit
darüber zu klagen, daB nur Bruchstücke dieses Epos erhalten sind.
Borso verstand es glänzend, seinen Ruhm zu mehren. „Tüxken
und Inder'' — versichert ein Chronist — „haben ihn für den
alleinigen Beherrscher Italiens gehalten und ihm Geschenke ge-
macht.'' Überall galt er als der Klügste unter den Herrsdienden
in der z?reiten Hälfte des XV. Jahrhunderts.
Luxus imd Jagd waren seine Hauptpassionen, er teilt sie frei-
lich mit allen Angehörigen seines Geschlechts. Von den übrigen
Este unterschied ihn eine seltsame Gleichgültigkeit den Frauen
gegenüber, die in seinem Leben keine RoUe spielen. Einer seiner
Biographen, der von grofier Bewunderung für ihn erfüllt ist, legt
ihm diese Eigenheit als Vorzug aus.
Am meisten wurde Borsos groBe Gastfreundschaft gerühmt.
Sein Haus stand allen bekannten Persönlichkeiten offen, das SchloB
war mit besonderem Prunk ausgestattet, er selbst trug sMs
BORSO 55
Goldbrokat Gtraldi sagt, daß Borso in seinem Anzug ,,i>iu amUtioso,
che non conTeniva" sei, selbst seine Beinkleider waren aus Brokat
oder Atlas, und den Kopf deckte eine hohe, spitze Mütze, die mit
Gold und Edelsteinen ausgenäht war* Der Markgraf hatte die
berühmtesten Hofnarren, die schönsten Pferde, Hunde tuid Falken,
und in ganz Italien las man die Beschreibungen der von ihm ver-
anstalteten Vtste. Überdies war er sehr baulustig, er legte den
Grundstein der berühmten Certosa von Ferrara, befestigte die
Mauern der Stadt und erneuerte den Palazzo Schifanoja. Frei-
gebig gegen seine Freunde, ließ er für Teofilo Calcagnini einen
Palast bauen und schenkte ihm außerdem einige Häuser. Von
seinen Höflingen zeichnete er Casella aus, den er sein rechtes Auge
nannte, und Lodovico Carbone, von dem noch die Rede sein wird.
An Casellas Begräbnis nahm er in Trauerkleideni teil, was den
bisherigen Gepflogenheiten der Este widersprach.
In Borsos Leben haben zwei Tatsachen oder richtiger zwei
Feste die Historiker am meisten beschäftigt: der Empfang des
Kaisers Friedrich III. in Ferrara und Borsos Aufenthalt in Rom*
Beide Ereignisse beweisen, daß der Herrscher, der sich einen gut-
mütigto Anstrich gab, ein sehr geschickter Diplomat war. Fried-
rich III. kam Aaiaxtg des Jahres 1452 mit einem Gefolge von zwei-
tausend Mann, dem Erzherzc^ Albrecht und dem König Ladislas
zur Krönung nach Rom; in Siena sollte er seine Braut Eleonora
von Portugal treffen. Das Geld war knapp am kaiserlichen Hofe,
und so verteilte Friedrich gern Titel unterwegs, um als Gegengabe
seinen Schatz zu füllen. Borso begehrte den Herzogstitel seit langer
Zeit, er wollte auch den Kaiser durch einen prächtigen Empfang
und reiche Geschenke für sich einnehmen. So ritt er ihm entgegen,
umgeben von den Fürsten der kleineren norditalienischen Höfe,
den Edelleuten und der Geistlichkeit; drei Standarten wurden ihm
Toran getragen: eine grüne mit schwarzem und weißem Adler trug
Francesco Sforzatello di Rovigo, die zweite, die auch grün war,
trug Venceslao Rangoni da Modena, eine dritte, rote, Pietro Maro-
cello di Ferrara. Ein kostbarer Baldachin wurde über dem Platz
errichtet, auf dem der Kaiser und der Markgraf sich trafen* Friedrich
war sehr gnädig; Borso bewirtete ihn und sein zahlreiches Gefolge
56 VIERTES KAPITEL
während voller zehn Tage, suchte ihn durdi Banketts und Lansen-
stechen zu zerstreuen, und die Musikklänge vefstununten kaum
während des Aufenthalts des Monarchen in Ferrara. In der Um-
gebung des Kaisers befanden sich auch die Gesandten der Stadt
Strasburg mit ihrem Gefolge. Ihnen verdanken wir eine Be-
schreibung des Enqpfanges in Ferrara, sie finden nicht Worte ge*
nug für Borsos Gastlichkeit. In ihre Wohnung hatte ihnen der
Markgraf sechzehn verschiedene Weinsorten geschickt, so viel Brot
wie zwei Knechte schleppen konnten, zehn Konfektkisten, dreierlei
Wachäkerzen, dreiflig Kapaiuie, zwei lebendige Kälber, und Hafer
für ihre Pferde im Übermafi. Ja noch mehr, der Führer des Zuges
und sein Sohn bekamen goldene Ringe und jeder der Gefährten
einen kostbaren Rosenkranz. Dem Kaiser schenkte Borso die
schönsten fünfzig Pferde aus seinen Stallimgen und fünbig der
besten Falken. Damit nahm Borso den Kaiser so sehr für sich
ein, daB er auf der Rückreise aus Rom in Ferrara wieder Halt
machte und dem Markgrafen den heifibegehrten Titel eines Herzogs
.von Modena und Reg^o verlieh. Zum Herzog von Ferrara konnte
er ihn nicht ernennen, da dieser Titel vom Papst abhing, dessen
Lehnsvasall der Markgraf war. Die Päpste beobachteten aber die
Machterweiterung der Este, die den Interessen der römischen
Kurie entgegen war, mit scheelem Auge.
Am Himmelfahrtstage fand die Feier zu Ehren der Verleihung
des Herzogstitels statt. Am Vorabend des Feiertages gab es ein
grofies Fest im Schloß, selbst der Kaiser tanzte, die ganze Stadt
war illuminiert und Pechfässer brannten auf den freien Plätzen.
Vor dem Dome, an der RigoboUoturmseite, stand ein mit ver-
schiedenen „Historien'' bemaltes Leinenzelt, darin ein Thron mit
Goldbrokatdecke. Über die übrigen Sitze waren ägyptische Teppiche
gebreitet. Der Kaiser zog einen mit Gold und Kleinodien bestickten
Mantel an und setzte die mit kostbaren Edelsteinen geschmückte
Krone auf, ihr Wert soll 150 000 Gulden betragen haben. Auf den
Tribünen, an den Fenstern des bischöflichen Palastes und des
Palazzo della Ragione waren so viele Edelleute, so viel schöne
Frauen in kostbaren Gewändern und solche Volksmassen, daB selbst
der Kaiser sich dieser Pracht gewundert und gesagt haben, soll, das
Vi
2 ^
BORSO 57
Reich würde auf eine Stadt wie Ferrara stob sein. Über den
BorgonuoTo kam Borso auf den Platz vom Castello Veccfaio her,
in einem Goldbrokatanzug, starrend von Kostbarkeiten, um den
Hab trug er eine Kette, die allein ao ooo Gulden wert war« Nament-
lich Tier seiner Edelsteine erregten allgemeine Bewunderung,
zwei auf dem linken Ärmel und zwei auf dem Hute: es waren Steine
▼on nie gesehener Schönheit. Dem lAarkgrafen voran ritten vier-
hundert Edelleute auf wundervollen Pferden, mit dem Herzog-
schwert folgte einer der bekanntesten Bürger Perraras: Cristiano
Prancesco Bevilacqua. Als Borso auf dem Platz erschien, erscholl
es von allen Seiten: Borsol Borsol Ducal Ducal Vor dem kaiser-
lichen Zelt machte Borso Halt und stieg die Stufen der Tribüne
zum Monarchen heran, während die Ritterschaft sich im Halb-
kreis aufstellte. Der lAarkgraf kniete vor Priedrich nieder, der
ihn zu|n Herzog von Modena und Reggio und Grafen von Rovigo
ernannte. Dann wurde dem neuen Herzog ein langer scharlach-
roter, hermelint>esetzter Mantel umgelegt, .in die Hände gab man
ihm ein goldenes Zepter und ein bloBes Schwert, zu seinen Püfien
legte man die Pahnen der drei Städte, über die er herrschen sollte,
dann küfite der Kaiser Borso und setzte ihn an seine Seite. Nach
beendeter Zeremonie gab der Kaiser noch einigen der Anwesenden
den Ritterschlag, darunter auch Niccolo da Correggio, Borsos Neffen,
einem einjährigen Khide, und dem vierzehnjährigen Gakotto della
Mirandola.
Dann begab sich der ganze Zug in den Dom; vor dem Haupt-
altar gelobte der Herzog dem Kaiser Treue imd verehrte dem
Monarchen als Zeichen seiner Ergebenheit ein Kleinod aus sieben
Steinen, das einen Wert von 40 000 Gulden hatte. Borso durfte
den kaiserlidien Adler in seinem Wappen führen und erhielt den
Titel „Principe del S. R. J.*^ und „Duca con suprema giurisdizionc '•
Dann sprach auf kaiserlichen Befehl Aeneas Sylvius Picco-
lomini, der Bischof von Siena, zum versammelten Volk, indem er
die Bedeutung der neuen, Borso verliehenen Würde erklärte und die
Tugenden und Verdienste der Este beleuchtete. Dies war der
BeschluB des für die Geschichte von Perrära denkwürdigen Tages.
Am 19. Mai fuhr der Kaiser nach Venedig, wo er im Palast der
58 VIERTBS KAPITEL
Este residierte. Borso, umgeben von der Rittecschaft und einer
bewaffneten, etwa tausend Mann xfthlenden Eskorte, unternahm
eine Triumphreise im neuen Hersogtum. Unterwegs berauschte
er sich an den Zurufen: Duca! Ducal, am GlockengeUute, an Ge-
sang, Musik und festlichen Ansfirachen. In Modena und Reggio
wurde er feierlichst empfangoi, Tausende von Kindern kamen ihm
mit Blumen entgegen, die berühmtesten Redner priesen seinen Ruhm,
und Triumphwagen durchzogen die StraBen. Der Verfasser und
Regisseur des allegorischen Festspiek in Reggio war Malatesta
Ariosto, ein Notar aus Ferrara, Mitglied des Rates und Gelegen-
heitsdichter.
Borso kopierte AUonso von Neapel, der auch ähnliche Triumph-
züge durch sein Reich liebte. Diese Ansprachen und Huldigungen,
die dem neuen Herzog wurden, fanden ihren Niederschlag in einem
Verse Bojardos, in dem ihn der große Dichter feiert: „Sei gegrüßt,
Zier der Este, Borso, Ruhm der Weltl^'
Borsos Traum war, . auch Herzog von Ferrara zu werden, und
als Pius II. nach Mantua reiste, um den Feldzug gegen die Türken
vorzubereiten, glaubte der Markgraf, daß der geeignete Augenblick
gekommen sei, um diesen Wunsch zu verwirklichen. Er ver-
sprach denn auch dem Papst, der am 17. Mai 1459 in Ferrara auf
der Durchreise weilte, 300 000 Gulden für die türkische Expedition,
ohne im entferntesten daran zu denken, diese große Summe zu
zahlen. Den Papst empfing er mit dem größten Aufwand, den er
aufzubringen vermochte. Begleitet von den Herren von Forli,
Cesena, Rimini, Mirandola, Correggio und Carpi, fuhr er ihm ent-
gegen; im Gefolge befanden sich unter anderen sieben estensische
Bastarde, drei Brüder von Borso, Francesco, Lionellos unehelicher
Sohn, imd drei Söhne von Meliadus. Vor der Porta di San Pietro saß
der Herzog vom Pferde ab, kniete vor dem Papst nieder, küßte ihm
den Fuß und übergab ihm die Schlüssel der Stadt. Bei Glocken-
gel&ute zog der Papst durch die Straßen, die mit Tausenden von
Fackeln erleuchtet waren. In Ferrara blieb Pius II. elf Tage und
beging dort <Ue Fronleichnamsprozession. Zum Abschied schenkte
Borso dem. Papst noch einen silbemen Tafelaufsatz im Werte von
8000 Dukaten.
BORSO
S*
Dem heimkehrenden Papst bereitete der Markgraf wieder einen
großartigen Empfang. Er war ihm auf dem Po entg^^engefahren,
erwartete ihn in einem prachtvollen Bucentaur, mit Fahnen und
Musik, umgeben von tausend Barken, die die gesamte Breite des
Flusses einnahmen. Am Ufer erwarteten den Piqpst weiBgekleidete
Kinder, die ihm Blumen imd Krinse zuwarfen. Die StraBen der
Stadt, durch die der Papst fuhr, waren mit Blumen und Grfin ge-
schmückt, und bunte Stoffe waren zwischen den HAusem gespannt
Mit einer künstlichen Brücke wurden Schloß und Dom verbunden,
damit der Papst die iOrche unbehelligt betreten könne. Aber die
vielen Vorbereitungen und Kosten waren vergebens, Pius blieb nur
einen Tag in Ferrara, schlug Borso den erbetenen Herzogstitel ab,
und erst sein Nachfolger, Paul II., der den Este wohlgesinnt war,
entschied die Frage im Sinne des Herrschers von Ferrara.
II
Im Besitz der neuen Würde brach Borso im Frühling 1471 nach
Rom auf mit einem wahrhaft königlichen Gefolge. Ihn be-
gleiteten Alberto d'Este, die Herren von Carpi, Correggio, Mirandola,
Scandiano und Teofil Calcagnini, sein treuer Ratgeber, außerdem
gehörten etwa fünfhundert Ritter und Höflinge in Samt- und
Brokatgewändem zum Zuge. Am 13. MArz verließen sie Ferrara
auf siebenhundert Pferden in kostbarem Geschirr, zweihundert-
fünfzig Mauleseln mit purpurnen Samt- oder Tuchdecken mit dem
Wappen der Este. Die silbernen Glocken der Maulesel stimmten
lustig zur Musik der. Trompeter und Pif ferari. Neben den Maul-
eseln schritten achtzig Knechte in Wetß-rot-grün, mit dem ge-
stickten Zeichen „di Sua Eccellenza'S jeder von ihnen führte zwei
Koppeln Jagdhunde vornehmster Rasse.
Siebzehn Tage dauerte die Reise über Ravenna, Rimini, Pesaro,
Perugia, Todi und Narnt, und als sich der Zug der PorU dd Popolo
näherte, kam ihm ganz Rom entgegen. Den neuen Herzog be-
grüßten siebzehn Kardin≤ die Straßen, durch die der Gast ein-
zog, waren mit frischen, eigens zu diesem Zweck verpflanzten
tfO VIERTES KAPITEL
BäunMui dngef aBt; Girianden aus Laub und Biumen waren da-
xwiscfaan gespannt. Aus den Fenstern der H&user Ungen Tepfuche
und kostbare Stoffe, dazwischen Schilde mit Bocsos und des Papstes
Welpen. Triumphbogen mit entspredienden' Inschriften fehlten
nicht» und zur Freude des Volkes schenkten die ^iringbrunnen an
jenem Tage nidit Wasser sondern Wein. Niemals war der Kaiser
in Rom so feierlich empfangen worden. Der dankbare Herzog von
Perrara liefi SUbergeld unter das Volk werfen*
Als Wohnung hatte der Papst seinem Gast den schönen Palast
in der N&he des Vatikans bestimmt» der für den Kardinal Longueil
gebaut worden war. Die feierliche Verleihung der Hetzogswürde
fand am Ostertage in der Peterskirche statt. Seine Eindrüdce be*
schreibt Borso am 15. April 1471 in einem an seinen treuen Sekretär
Giovanni di Compagno in Perrara gerichteten Brief. Er ist httdist
bezeichnend für den aufgeblasenen, um Ruhm und Namen geizen-
den Fürsten; aus jeder Zeile spricht das Glück über den großartigen
Empfang» die Freude darüber» daB Tausende seine Gewänder» seine
Pracht» seine Schätze bewundem und Zeugen seiner Triumphe
sind. Besonders stolz ist er darauf» daB er die Würde eines Herzogs
Ton Perrara von jenem empfängt» der der Nachfolger Christi auf
Erden ist» eine gröBere Ehre kann ihm also nicht mehr zuteil
weiden. Da ihm der Herzogstitel durch Gottes Gnaden geworden
ist, wird Gott seine Stellung bestätigen und ihm und seinen Unter-
gebenen seinen Segen schenken. Zur Feier» daB er zum Ritter
der Kirche geschlagen und mit dem Herzogstitel in der Peters-
basilika belehnt wurde» legte Borso ein purpurnes, golddurch-
webtes Ehrenkleid an» das bis an die FüBe reichte. Sein ganzes
Gefidge begleitete ihn und bewunderte» wie er» um Ruhm und Ehre
zu mehren» »»per nostra honorificentia et gloria'S die Schleppe des
päpstlichen Pluriale trug.
Kopf an Kopf drängten sich in der Basilika Römer und Fremde»
kein Apfel hätte zur Erde falkn können. Nach verschiedenen
einleitenden Zeremonien begann die groBe Messe mit dem Chor
4er päpstHchen Sänger. Der Piqpst trat nach dem »»Kyrie eleison^'
an den Altar» um Borso zum Ritter zu schlagen; nach den Evan-
gelien» die lateinisch und griechisc|i gelesen wurden» kniete der
BORSO 6l
Henog ^or dem Papst nieder und leistete den Treuscfawur nadi
vocgeechriebener Formelt dann sprach der Papst feierlich su ümi
„acdpe gladium'S gleichaeitig umgUrtete ihn Thomas» der Tyrann
TOn Morea imd Bruder des letalen Kaisers von Byzana, mit dsm
Schwert, und die Generile der heiligen Kirche, Costantino Sfona
und N^qndeone Orsini, legten ihm die goldenen Sporen an als Zeichen
wahren Rittertums, „in Signum Terae militiae". Zuletzt drfidrte
ihm der Fmpat den FriedenskuB auf die Stirn „oscultun pacisV,
und Borso umarmte alle Kardinile der Reihe nach, ihrer Würde
entsprechend. Borso engend die Weihe der Stunde so stark, daS
er auch spiter diese Pder als etwas AuSerordentlidies betrachtete,
dessen Erinnerung Ms su seinem Tode nachwirken würde« Nadi
der Zeremonie eoqifing Borso das Abendmahl aus den Händen des
Papstes und jetzt erst erfolgte der eigetftlidie Akt der TitelOber*
traauha. Man leate ihm einen sehr we i te n Dunumen Damast«
mantel tun, der nur auf der rediten Seite geöffnet war, „mit be-
sonders langer Schleppe'' — fügt Borso hinzu — „der fflrstlidien
Würde entsprechend*'. Über die Arme hing man ihm einen breiten
Hermelinkragen, auf den Kopf setzte ihm der Papst sdbst eine
IDtra „ovete'* von spitzer Form, mit auf die Ohren fallenden
Kla|>pen, mit Perlen und einem außergewöhnlich schönen Rubin ge-
schmfickt. Ab der Papst ihn mit diesem Attribut der Herzogswürde
bddeidete, sprach er die in diesen FiUen To^geschriebene Formel
„acdpe insigne ducalis proemineiitiae'S und bei der Übergabe des
künstlerischen Zepters fügte er die Worte hinzu:* „directionis et
justitiae". SdiUeSUch l^;te ihm Paul H. eine kostbare Kette um den
Hals, so daS der neue Fürst „aussah wie ein Kardinal".
Nach deni Gottesdienst erteilte der Papst dem Volk den Segen,
schwang das Sdiweifituch der heiligen Veronika und vericündete
einen allgemeinen AblaB. Der Chronist berichtet, daB. sich zwei-
maBiundertteusend Menschen auf dem Plate angesammelt hatten,
was jedenfalls übertrieben ist. Es genügt, daS die StraBen, Fensler
imd Dächer der umliegenden Häuser bis zum Kastell S. Angelo
von Neugi^rigett belagert waren, und als Borso Ton sämtlichen
Kardinälen gdeitet in seinen Palast zurückkehrte, konnte er sidi
des Zurufs erfreuen, der ihm von allen Seiten entg^^enschlug:
62 VIERTES KAPITEL
Duca! Duca! Borso! Borsol Trotz all seines düdces bekennt der
neue Herzog» daB die Feieriiclikeit zu laiige gedauert habe und
er müde und hungrig nach Hause gdcommen sei. Am meisten
faettte ihn, d«8 man weder einem König noch einem Kaiser zu
Ehren je solche Feste in Rom gefeiert hatte«
Nachdem er g^chlafen und ausgeruht, muSte Borso sich zu
einer neuen Feier rüsten: die Ehrungen, die ihn in Rom erwarteten,
fanden kein Ende. Der Papst verlieh ihm am zweiten Ostertag
die goldene Tugendrose, „per nostra gloria et exaltatimie'S wie
Borso sich ausdrüdct. In seinem hermdinbesetsten Mantel, der
ihm anscheinend groBe Ftoude machte, mit der llttra auf dem
Haupty dem Zepter in der Hand und der kostbaren Kette um den
Hals, begab sich der Herzog nach S. Peter zu dieser neuen Ehrung.
In der Kirche eridärte der Papst nach vollzogenem Gottesdienst
die Bedeutung der goldenen Rose. „Eine soldie Rose'* — schreibt
Borso seinem Sekretär — ,»wird nur dem würdigsten Herrscher auf
Erden verliehen.*' Die Rose war mit Edelsteinen im Werte von
fünfhundert Dukaten geschmüdct, und als Borso sich aus der
Kirche in den Palazzo di S. Marco begab, wo der Papst ein gro8*
artiges Festmahl ihm zu Ehren gab, hielt er den neuen Beweis der
pipstlichen Gunst in der Hand, und wieder begrüfite ihn das Volk
mit lauten Ovationen. Zu diesem Mahl waren fünfzehn Kardin&le
geladen, und die Kirchenfürsten ergingen sich in lebhaften Ver-
mutungen darüber, weshalb Paul II. Borso in dem Maße feiere.
Die Neugier wuchs, als der Papst Borso in geheimer Audienz emp-
fing und der Inhalt der Unterredung nicht bekannt ward. Sp&ter
erst kombinierte man, daB ein neues Konzil nach Ferrara berufen
werden sollte. Dort sollte man über Änderungen innerhalb der
kirchlichen Hierarchie und die Vernichtung der türkischen Macht
verhandeln. Der Papst sah voraus, daß die KardinAle sich der
Einberufung dieses Konzils energisch widersetzen würden, deshalb
wollte er sein Geheimnis wahren. In seinen Plänen sollte Borso
ihn unterstützen.
Borso hatte nicht vorausgesehen, daB dieser vom Papst emp-
fangene Herzogstitel einst die rechtliche Grundlage werden würde,
um den Este Ferrara zu nehmen. Aufs neue war er LehnsvasaU
BORSO 63
der Kirche geworden, hatte seine Abhängigkeit yrom Papste an-
ertuusat, die Bande zwischen Perrara und Rom enger geknüpft,
w&hrend sie unter Obizzo IL, der 1264 ,4urGh den Willen des
Volkes'* gewählt worden war, sich sehr gelockert hatten. Als Rom
etwa ein Jahrhundert ^ter (1598) Don Cesare d'Este Perrara
nahm, stützte es sich in der Hauptsache darauf, daB Paul II. Borso
zum Herzog yon perrara ernannt habe.
Past einen Monat blieb der Herzog in Rom; vor seiner Abreise
ließ er viertausend Dukaten unter die päpstliche Dienerschaft ver-
teilen. Während seines Aufenthalts in der Hauptstadt der Welt
war sein Palast der Mittelpunkt des diplomatischen tmd gesell-
schaftlichen Lebens. Hocherfreut darüber schreibt der Herzog dem
treuen Giovanni, er würde sich wundern, sähe er, wieviel Kardinäle
und Prälaten ihn besuchen, wieviel Menschen beiderlei Geschlechts
ihn au sprechen vrünschen, wie man ihn feiere, obgleich man in
Rom den Anblidc von Kaisern und Können gewohnt sei. Auch
Pranoesco Aricsto schrieb, daB Borsos Triumph in Rom dem
Triumph der römischen Cäsaren gleiche«
Wie hätte der estensische Herzog ahnen können, daB er sich
in Rom den Todeskeim geholt hat? Er holte sich dort das Pieber,
dem er einige Monate später erlag. Noch konnte er auf der Rück-
reise in Loreto haltmadien, aber krank schon kam er nach Perrara,
der Kräfteverfall war schnell, und am 19. Augtist war der Purst
tot. Paul IL war noch vor ihm gestorben, er erlag einem apo-
pkktischen Anfall am 26. Juli X47x.
Borso hatte alle möglichen Vorkehrungen getroffen, damit
Ercole, den er sehr liebte, ihm ohne Hindemisse auf dem Thron
folge.
Den Tod fast eines jeden Herrschers glaubte man damals auf
Gift zurückführen zu können; so hieB es auch von Borso, er sei
an einem langsam wirkenden Gift, das man ihm in Rom verabreicht
habe, gestorben. Diese Gerüchte entbehren jeder Grundlage, Pieber
war eine der häufigsten und furchtbarsten damals herrschenden
Krankheiten.
In der Certosa, wo sein Sarg heute noch steht, wurde Borso bei-
gesetzt. Noch zu seinen Lebzeiten hatte Perrara ihm 1451 ein
64 VIERTSS KAPITEL
Marmordenkmal tor dem Dom errichtet Auf der SAulOt auf der
der erste ferrareatsdie Heraoe stand, war in goldenen Leitcim
Tfto Stronis Vienwiler zu lesen:
Hanc tibi Tiventi Ferraria grata columnam
Ob merita in patriam» Princeps justissime Borsi
Dedidat» Estensi qui Dux a sanguine primus
Exdpis imperium» et pladda regis omnia paoe.
Denkmal wurde später vor den Haupteingang des esten-
sischen Palastes gesetzt imd während der Revolution im Jahre 1796
zertrümmert.
III
Unter Borsos Regierung ging der ßinfluS der Humanisten zu-
rück. Mit der Herrschaft des Lateinischen war es zu Ende; poli-
tische Intrigen» Jagden und Feste beschäftigten den Fürsten; er
kümmerte sich weder ums Lateinische noch ums Griechische, die
Universität jedoch unterstützte er, so daS sie in dem von Uonello
festgelegten Umfang weiterbestand. Guarino behielt sein Lehramt,
und da Aurispa seine Pfründen bezog, hatte er keinen AnlaS, Ferrara
zu verlassen, aber allmählich starben Lionelloe Schützlinge aus oder
suchten ihr Glfldc an anderen Höfen. Jene, die sich bei Borso in
Gunst setzen wollten, übersetzten lateinische Werke ins Italienische.
Tonangebend wurde der „sermon mMerno^.. Carlo di San 2^orto
übersetzte für Borso die Bücher, die man damals gelesen haben
muBte» wie ,»Vita di Nicoolo Piccinino'', oder Decembrios „Le laudi
della dtta di Milano'^ In der dem Fürsten gewidmeten Vorrede
heißt es, es bedeute keinesw^^ eine ZurücksetzuD^, daS ».Fortuna, die
jedem wahrhaft Tugendhaften entgegenwirke, dem Fürsten zu seinen
vielen Vorzügennichtauch das Interesse für Literatur geschenkt habe.'*
Eine groBe Anzahl italienisch schreibender Autoren schickte
Borso ihre Werke, in der Annahme, dafi ihre Arbeit in Ferrära gut
aufgenommen werden würde. So brachte ihm Lorenzi Spirito di
Perugia seine Dichtung „L' Altro Marte^' dar, Candido de' Bontempi
mdmete ihm sein poetisches Elaborat „II Salvador''. Ob. Borso
BORSO 65
all diese umfangreichen und langwei]^;en Machwerke auch ge-
lesen hat| bleibe dahingestellt, aber die Literaten hatten die Absicht,
seine Kenntnis der klassischen Literatur zu f Srdem und übersetzten
für ihn Plutarchs „Biographien", Ciceros „Briefe" und rerschiedene
andere antike Autoren, wie Appian, Ptokopios, Herodot, Xenophon,
Plautus, Apiilejus usw. Auch Borsos Günstlingen, Teofilo Cal-
cagnini, Alberto und Ercole d' Bste wurden Übersetzungen aus
dem Griechischen und Lateinischen gewidmet; das scheint die
Humanisten strenger Obsenranz nicht wenig ge&rgert zu haben,
und Messer Teofilo machte Carlo da San Zorzo Vorwürfe, daS er
Unrecht an der Menschheit tue, indem er italienisch und nicht latei-
nisch schreibe. Die Sprache dieser Übersetzer war nicht gerade
korrekt, sie winunelte von ferraresischen Provinzialismen, aber die
Ferraresen waren arrogant genug zu behaupten, daB ihr Dialdct
dem Toskanischen nicht nachstände, „non ha manche elegantia da
alzuno altro Italiano parlare''. Stolz schreibt Polizmagna einmal
an den Fürsten: „Ferrarra, Italiens Kleinod, hat ims beide geboren
und erzogen, darum sollen wir auch nicht anders denn ferraresisch
sprechen«'* Da es sehr bequem war, sich nicht mit dem Lateinischen
zu quälen, folgte das gesamte Ferrara dem Vorbild seines Fürst^i.
Als ein PodestA den Befehl erhielt, „accipitrem bene legatum
in sacculo'S einen in einen Sack verschnürten Falken zu schicken,
lieB der gewissenhafte Beamte einen Geistlichen aufgreifen und
schickte ihn im Sack an die aufgegebene Adresse« Vielleicht ist
das Ganze nur eine boshafte Anekdote, jedenfalls ist sie bezeichnend
für den Verfall der lateinischen Kultur in Ferrara.
Mit der Entwicklung des „sermon modemo*' wuchs auch die
Vorliebe für französische Romane. Aus den Büchern der herzog-
lichen Kammer, in die genau eingetragen wurde, wer Bücher aus
der höfischen Bibliothek entliehen bat, ergibt sich, daB Ritter-
romane am meisten gelesen wturden. Bianca d' Este las „Gothofred
de Boion", der Conte Lodovico da Canno entlieh „Galooth le Brun*',
Jaoopo Ariosti und Gian Francesco della Mirandola „Lancelof,
Meliadus „Tristan in lingua Gallica'S Francesco d' Arezzo „Gral'S
„Merlin'S „Meliadus" und „Lancilof*. Eifrige Leser der Romane
aus dem bretonischen Zyklus waren Galeotto di Campo Fregoso,
5
66 VIERTES KAPITEL
Sigismondo d' Este und Alberto della Scala. Auch Borso scheint
viel französische Bücher gelesen und französische Handschriften
gern gesammelt zu haben. „Merlin'* imd ,|Lancilot'S ins Volgare
übersetzt, lieB er mit Miniaturen ▼ersehen, Giovanni di Niccolo
Biondo und Sdpio Fortuna empfahl er, Abschriften der „Storia di
Franda*' zu beschaffen, und erwarb ins Italienische übersetzte
Bücher wie ,»Spagna'S „L* Aspromonte*', „Merchino".
Man konnte den Markgrafen keine größere Freude bereiten,
als indem man sie den Paladinen aus König Artus' Tafelrunde
▼erglich. Die Panegyriker und Schmeichler des Hauses, wie Ugo
Caleffini, ▼ers&umten nie zu betonen, wenn sie ▼on den jungen
Markgrafen sprachen, ▼on Ercole, Sigismondo, Lionello, Rinaldo,
daB sie „▼ollendete Paladine*' seien, „che sono paladini perfetti**.
Der einzige berühmte Humanist, der Borso nahe stand, war
sein Günstling Lodo^ico Carbone (1435 — 1482), der über ▼ier Ge-
dichtbände veröffentlicht hat; beide Strozzi feiern ihn als be-
rühmten Dichter tmd Gelehrten. Tatsächlich war Carbone der
Typus des humanistischen Scharlatans, ein eingebildeter, miB-
günstiger Neidhammel, der keine literarische Größe neben sich
gelten ließ. Seine ganze Kirnst bestand, wie bei der Mehrzahl der
Humanisten, in der glatten Form^des Verses; er galt als Autorität
in der Metrik und hieß der „Magister s7Uabarum'^ Liebesge-
schichten erfüllten sein Leben; als ihn die Ungarn zum Professor
berieten, konnte er sich nicht entschließen, Ferrara zu ▼erlassen,
da ihn Francesca Fontana fesselte, der seine Gedichte galten. Fran-
cescas Lippen schienen ihm begehrenswerter als kaiserliche und
fürstliche Ehrenbezeugungen.
Fontanina ▼etat insita pectori
Quae fixa est animo et risceribus meis
Magnis principibus hanc ego praefero
Regum delitiis regnaque persica
Frandscae superant oscula dulcia
Ludentes oculi, risus aureus ....
Der Francesca folgte eine Lucia, die ihn so in Anspruch
nahm, daß er kaum' zu seinen in der Universität angekündigten
BORSO 67
Vorlesungen kam. Die Schüler kannten den Abhaltungsgrund und
▼erfaßten ein Epigramm ,,An die schönste Luda, Lodovico Carbones
künftige Gattin, die ihm den Besuch der Universität untersagt''.
Die Studenten bitten die Geliebte des Professors, ihn nicht mit
ihren 2Uürtlichkeiten im Hause zurückzuhalten, sondern mit ihm
in die Vorträge zu kommen imd sie durch ihre schönen Augen
für seine Faulheit zu entschädigen.
Als Piu8 11. in Ferrara war, hielt Carbone in der Kirche der
lAadonna degli Angeli eine so großartige Ansprache, daß der Papst
ihm den Titel „conte palatino'' beilegte. Der Dichter war so stolz
auf seine Werke und seine Bedeutung, daß er glaubte, ganz Ferrara
sei von seinem Ruhm erfüllt.
lam mea Ferrariam celebratur fama per urbem
Cantatur tota nomen in urbe meum.
Als er nach einem einjährigen Aufenthalt in Bologna nach
Ferrara zurückkam, verglich er sich in einer öffentlichen Rede mit
Achill, der sich auf sein Schiff zurückgezogen hatte, und die ferrare-
sische Universität mit dem griechischen Heer, sie sei führerlos wie
jenes, wenn sie nicht wiedergewänne ,^1 suo ardente Carbone''.
X469 kam Friedrich HI. nach Ferrara. Wieder hielt Carbone eine
feierliche Ansprache, diesnud dem Kaiser zu Ehren und nicht
weniger zu eigenem Lob. Er rühmte sich, er habe loooo Gedichte
gemacht, und während seines Lebens sei kein berühmter Mann ge-
storben, keine Tochter aus vornehmem Hause habe geheiratet, ohne
daß er sie besungen hätte. Seiner Beredsamkeit vertrauend, bat
er den Kaiser, ihm den Grafentitel zu bestätigen und den Lorbeet
zu verleihen. Der Schmeichler erreichte alles. Lionello wünschte^
daß Carbone der Lehrer seiner beiden für den geistlichen Stand
bestimmten Brüder werde. Nach dem Tode des Markgrafen haben
die Minister aber einen Notar aus Ferrara dazu ernannt. Der
Professor rächte sich; bei der Wahl des neuen Universitätsrektors,
hielt er eine große Rede im Beisein Borsos, des gesamten Hofes,,
der Professoren tuid Studenten, in der er den anwesenden Ministem
die unglaublichsten Beleidigungen ins Gesicht warf, er nannte zwei
unter ihnen „monstra turpissima", Verräter, Vemichter der
5*
68 VIERTES KAPITEL
Republik, da sie Lionellos Willen, der Carbone zu schAtien ge-
wußt, gefälscht hätten.
Sehr bezeichnend für ihn ist sein Dial<^ zwischen Ferrara und
Bologna, wohl um 1460 während seines Aufenthaltes in Bologna
geschrieben. Ferrara klagt, daB Giacomo Grati, der bolognesiscfae
Gesandte in Ferrara, den geliebten Rhetor entführt habe, Bologna
antwortet, da Ferrara soviel berühmte Redner besäße, ktane es
ihm doch den groBen Professor leihen, aber Ferrara verteidigt sich:
gewiB gäbe es Literaten genug, aber das wären zum größten Teil
eingebildete Streithäbne oder Flegel und Esel von so schlechten
Manieren, daß die Stadt sich ihrer schämen müsse. Carbone je-
doch, der höfliche, liebenswürdige, zuvorkommende, gütige sei
Ferrara entrissen. Sicher habe die Natur ihn geschaffen, damit er
des großen Börse gewaltige Tugenden besinge imd feiere. Bologna
stimmt in den Ruhm des Fürsten ein, ja es wäre glücklich, käme
es los vom Joch der „gesegneten Kirche", die auf weltliche
Macht nicht verzichten will. Wäre nicht die Furcht vor Rom»
mit Freuden würfe sich Bologna in die Arme Borsos, dieses edlen,
gesetzten, frommen und gerechten Herrschers.
Carbone veröffentlichte auch scherzhafte Geschichtchen in Art
der Facezien des Poggio Bracciolini imter dem Titel „Le Cento
trento novelle o facetie de Lodo^co Carbone". Es ist die erste
italienische Nachahmung lateinischer Schriften dieser Art; das Genre
war in der Renaissance sehr beliebt.
Eine der interessantesten Persönlichkeiten aus Borsos Um-
gebimg war 4er Hofmedikus und Universitätsprofessor Michde
Savonarola, den noch Niccolo III. nach Ferrara berufen hatte. Er
war ein sehr streng denkender Mensch und wurde in späteren Jahren
zum Asketen; da ihm die Verbreitung seiner medizinischen Theorien
am Herzen lag, schrieb er mehrere Abhandlungen. Die Este haben
ihn für seine Dienste glänzend entlohnt, Lionello gab ihm den
Zehnten der sanctae Helenae, Börse das feudum Madelane und
Papst Nikolaus V. ematmte ihn zum Ritter von Jerusalem. Savo-
narolas berühmtestes Buch war die „Practica major'S eine
Enzyklopädie des damaligen medizinischen Wissens: er gibt
hygienische Vorschriften, empfiehlt eine vernunftgemäße Ernährung,
BORSO 69
1
: \
lehrt die Zubereitung von Speisen, gibt . einzelne Rezepte und
beschäftigt sich mit sämtlichen möglichen Krankheiten vom Kopf
bis zu den Füßen y,de Omnibus aegritudinibus partictüaribus a capite
usque ad pedes et earum curis". Er schrieb auch über Balneologie
y,De balneis'S für die es in Italien stets viel Verständnis gab, war
man doch selbst in Zeiten gröSter Barbarei nach Abano» Poretta
und in viele andere Badeorte in Toskana gereist. Savonarola hatte
den bekannten Condottiere Gattamelata nach Abano begleitet»
Ißccolos III. Gicht durch Bäder geheilt, Bäder galten ihm als wesent-
licher Faktor in der Medizin, tmd zwar nicht allein kalte und warme
Bäder, sondern auch Bäder in Wein, Ol, lililch usw. Sein Buch
enthält auch Rezepte zum Destillieren des Aquavit, der ihm alt
wichtige Medizin gilt, „medicanun calidarum magistra ac parens'S
/ mäfiig gebraucht ist er „sanitatis humanae conservatrix optima ac
deperditae mirabiliter restaurativa^'. Savonarola beherrschte die ge«
samte damalige griechische und lateinische medizinische Literatur,
am meisten aber huldigte er den Arabern, tmd Avicenna stellte er
hdher als Galenos.
/ • Seltsam genug ist es, daB dieser Arzt und Gelehrte, der die
Natur zu erforschen suchte, imter seinen Schriften zwei Bücher
über die Beichte hinterlassen hat, „Confessionale'' und „Della
Cocifessione". Das erste enthält Vorschriften, wie man sich
fiür die Beichte vorzubereiten und wie man zu beichten
habe, das zweite Lehren, auf welche Weise Gott tun
Vergebung der Sünden zu bitten ist. Savona-
rola schrieb noch verschiedene Bücher
moralischen und politischen In-
halts, die aber für uns be-
deutungslos sind.
FÜNFTES KAPITEL
ERCOLE L
I
I~ it Blut mußte auch Ercole wie viele seiner Vorginger
den ferraresisclien Thron erkaufen. Lionellos Sohn
Niccolo hielt sich für Borsos rechtniKBigen Nachfolger
und wollte steh mit Hilfe seiner Anhalter der Herr-
schaft und des Kastells bemächtigen. Zwei Parteien
standen einander gegenüber: das Segel ,,Vela", mccolos
Zeichen, und der „Diamant", Ercoles Wappen. Der Diamant er-
freute sich beim Volke größerer Beliebtheit. Ercole, liebenswürdig,
gewinnend, heiter, von stattlichem Aussehen, den noch dazu die
in Neapel verbrachte Jugend und seine Beziehui^fen zum Hofe Ton
Aragon mit einer gewissen Glorie für die Volksphantasie umgaben,
trug den Sieg leicht davon. Siebzigtausend Menschen sollen sieh
für ihn au^esprochen haben, und das Volk war dieses Sieges so
froh, daS es alter Sitte gemäS den PaUzzo della Ragione gestürmt,
die Sitze der Gerichtspersonen zertrümmert imd die vorhandenen
Papiere verbrannt hat. Die danudigen Gerichtshöfe seheinen sieh
nicht übermäBiger Sjrmpathie erfreut zu haben.
Niccola zog sein ,, Segel" ein und suchte Schutz in Mantua bei
seinem Verwandten Lodovico II. Gonzaga. Ercole schickte ihm
zum Beweise, daS er das Vergangene vergessen habe, ein schönes
Trauergewand, das Niccolo nach dem Tode des Oheims brauchte.
Dies Geschenk verbesserte jedoch die Beziehungen zwischen dem
Hnzog und dem Kronprätendenten nicht; da Ercole einen plötz>
liehen Überfall fürchtete, schickte er den Grafen Niccolo di Rinaldo
Ariosti nach Mantua, damit er Niccolo zu vergiften versuche. Für
ERCOLE I. ^X
diesen „Dienst" versprach der Herzog Ariosti zwei Schlösser, einen
Palast in Perrara und eine jährliche Pension. Unter dem Vor-
wand, der Markgräfin Geschenke von Ercole zu bringen, kam
Ariost; es gelang ihm, Niccolos Hofmarschall Cesare Pirandoli
zu gewinnen, der seinem Herrn ein vergiftetes Gericht vorsetzen
sollte. Durch einen seltsamen Zufall erkrankte Pirandoli an jenem
Abend, an dem er seinen verbrecherischen Plan ausführen wollte;
in der Annahme, daB auch er vergiftet sei, gestand er Niccolo und
Federigo Gonzaga alles. Ariost gelang es, aus Mantua zu ent-
fliehen tmd Perrara zu erreichen; Pirandoli wurde öffentlich hin-
gerichtet.
Natürlich trug dies Ereignis nicht dazu bei, das Verhältnis
zwischen Niccolo tmd Ercole zu verbessern. Der Prätendent lauerte
«uf einen geeigneten Augenblick, um sich zu rächen und Perraras
zu bemächtigen.
Nachdem Ercole seine Herrschaft befestigt hatte, dachte er
seiner in Neapel verbrachten Jugend und beschloß, Eleonora von
Aragon, Perrantes Tochter, zur Gattin zu wählen. Er war damab
eintmdvierzig Jahre alt. Eleonora war die Braut des Pursten Sforza
von Bari, aber Sixtus IV. hob diesen Vertrag durch eine besondere
Bulle im Jahre 1472 auf. So war Eleonoras Hand frei, und das
Bündnis mit dem Aragon bot, abgesehen von allem anderen, nament-
lich deshalb für Ercole viele Vorteile, weil es Perraras ISacht gegen
Venedig, seine gefährlichste Nachbarin, stärkte. Eleonora wurde
eine Mitgift von 80000 Dukaten versprochen.
Der Hof von Neapel war wegen seiner spanischen Pracht und
seines großen Luxus bekannt. Auch Ercole hatte Sinn für Ptacht-
entfaltung, tmä so wurden die glänzendst^i Vorbereitungen zum
Empfang der Braut in Perrara getroffen. Um Eleonora nach
Perrara zu geleiten, gingen im Juni 1473 Sigismondo und Alberto,
Ercoles Brüder, nach Neapel; in ihrer Gesellschaft befanden sich
Galeotto Pico della Mirandola, Niccolo da Correg^o, Marco Pio
aus Carpi, der Dichter Maria Bojardo, Nino Contrari und Lodovico
Carbone, dem die feierlichen Ansprachen bei der Begrüßung zu-
fielen. Der Zug bestand, abgesehen von der Dienerschaft, aus
fünfhundert Berittenen. In Neapel wurden die Perraresen aufs
72 FÜNFTES KAPITEL
glitizendste empMngen; zweihtindert bekannte Persönlichkeiten
Neapels, Fürsten, Ritter und Hofdamen, gaben der scheidenden
Fürstin das Geleite.
Eleonora zu Ehren wurden in Rom Feste gegeben, die zu den
glänzendsten der Renaissance gehören. Der Arrangeur war der junge
Kardinal S. Sisto, Pietro Riario, der Nepote Siztus IV., der aus einem
armen Mönch ein groBer Kirchenfürst geworden war imd als einer
der größten Verschwender der ganzen Epoche galt. Er war der Typus
des hochmütigen Prälaten, erpicht auf Macht und Ruhm, und
riß mit Hilfe des Papstes die reichsten Pfründen an sich. Seine
Einkünfte betrugen nach heutigem Gelde etwa zwei tmd eine halbe
Million Franken. Sie flössen ihm zu aus dem Erzbistum von Florenz,
dem Patriarchat von Konstantinopel, der Abtei S. Ambrogio und
einer Reihe anderer Bistümer, die ihm der Papst, sein Vetter, über-
wiesen hatte.
Die gesamte Palasteinrichtung des Kardinals, seine Wagen
und die Anzüge der Dienerschaft waren aus Samt und Brokat, reich
mit Gold gestickt. Der ehemalige Franziskaner besaß die schönsten
Pferde in Rom, kleidete seine Dienerschaft in Scharlach und um-
gab sich mit einer Schar von Verseschmieden, die ihn in den Hinunel
hoben. Seine berorzugte Kurtisane, Teresa, überschüttete er mit
Perlen und Edelsteinen; er gab Turniere und Bankette, wie sie das
Rom der Päpste noch nicht geschaut hatte.
Sein Gast war Eleonora.
Perraras Herzogin näherte sich am 5. Juni 1473 den Toren
der ewigen Stadt. Die Kardinäle Caraffa und Anzias de Podio
kamen ihr mit einem großen Gefolge Ton Prälaten entgegen und
geleiteten sie in den Lateran, wo ein Frühstück bereitet war. Dort
erwarteten sie die beiden päpstlichen Nepoten: die Kardinäle Riario
und Giuliano della Rovere, der nachmalige Julius II. In ihrer
Gesellschaft begab sich Eleonora zu S. Sisto. Da der Palast des
Kardinals zu eng war, um die ferraresischen und neap<ditanischen
Gäste aufzunehmen, ließ Riario auf dem Platz vor der Kirche ein
großartiges Holzgebäude errichten, versehen mit offenem Atrium.
Auf der einen Seite des Platzes hatte er eine Bühne, die für öffent-
liche Aufführungen bestimmt war, aufschlagen lassen. Vor dem
ERCOLE I. D'ESTB
KOPIE DOSSIS NACH TIZIAN. MODENA, GALERIE
ERCOLE I.
73
Palast stand ein Springbninnen, der sein Wasser aus einer Zisterne
auf dem Dach der Basilika empfing. Der provisorische Palast
wirkte wie ein Gebäude aus Stein; Wände, Decken und Fußböden der
großen Zimmer waren mit golddurchwirkten Tapeten und flan-
drischen Teppichen gedeckt. Ein großartiger Teppich mit der Er-
schaffung der Welt, der Ton Nikolaus V. bestellt worden war, er-
regte allgemeine Bewunderung. Es wurde behauptet, daß in der
gesamten christlichen Welt kein schönerer Arazzo vorhanden
sei; leider ist dieser kostbare Schatz nicht auf uns gekommen.
Diese provisorischen Räume waren mit einem derartigen Lusnis
ausgestattet, daß selbst die Zeitgenossen, die den Pomp der Kirchen-
fürsten gewohnt waren, Anstoß an dieser Verschwendung nahmen.
Um Eleonoras Räume kühl zu erhalten, waren drei große, ver-
steckt angebrachte Blasebälge in Tätigkeit.
Am Pfingstsonntag wurde die Geschichte der „Susanna^' am
Nachmittag auf dem Platz vor dem Palast aufgeführt, und am Mon-
tag gab der Kardinal ein Festessen, das sich den raffiniertesten der
römischen Kaiserzeit vergleichen ließ. Von Trommeln und Pfeifen
begrüßt, betraten die Gäste den Saal. Die Dienerschaft in seidner
Livree gab eine Vorahnung des zu erwartenden Luxus. Am Haupt-
saßen außer der Fürstin nur noch neun Personen, acht aus
Gefolge, und der Kardinal Riario, der Gastgeber, war der
Zehnte. Allgemeine Bewundenmg erregte das Buffett mit den
Meisterwerken der Kochkunst, mit zwölf äußerst wertvollen Tafel-
aufsätzen aufgeziert. Zuerst wurden Süßigkeiten gereicht, kandierte
Orangen mit Malvasierwein und Rosenwasser zum Waschen.
Es gab vierundvierzig Gerichte, danmter in einem Stück gebratene
Rehe, Hirsche, Hasen, Kälber, während das Geflügel: Kraniche,
Fasanen, Pfauen in seinem Federkleid gleichsam lebendig serviert
wurde. Das seltsamste Gericht war ein Bär in seinem Fell, mit
einem Stock im Maul, „damit er nicht beiße'^ Die Schuppen der
Fische waren versilbert, das Brot vergoldet, und die Kuchen, Torten
und Süßigkeiten, die in ungeheuren Mengen gebracht wurden,
hatten die seltsamsten künstlichen Formen. Die Meisterwerke
der Zuckerbäckerkunst waren ein Herkules, fast lebensgroß, im
Kampf mit Ungeheuern begriffen, und eine große Schlange, die
74 FÜNFTES KAPITEL
sich auf einem Zuckerberg wälzt und den Gästen ihren auf-
gesperrten Rachen zukehrt. Auch ein reichbeflaggtes Konfekt-
schloB wurde hineingebracht, dann schleppte man zwölf große,
mit Zucker-Eicheln beladene Schiffe herbei, als der Frucht der
Rovere, die eine Eiche im Wappen führen. Den Schiffen folgte
Venus in stolzem, von ausgestopften Schwänen gezogenem Ge-
fährt, schließlich zeigte sich in der Tür ein bewaldeter Berg, daraus
schritt ein lebend^er Zwerg heraus und drückte in Versen seine
Verwunderung darüber aus, sich unvermutet in so erlesener Ge-
sellschaft zu befinden. Die Einförmigkeit des sechs Stunden
währenden Mahles unterbrachen allegorische Gestalten, die durch
Rezitation von Gelegenheitsgedichten und Gesang das Bankett
verschönten. Unter anderen trat ein Jüngling auf und sang mit
schöner Stimme ein lateinisches Gedicht, in dem er den Gästen
vorhielt, daß sie von solchen Herrlichkeiten umgeben selbst den
Göttern den Oljrmp nicht zu neiden brauchten, um so weniger
als Jupiter selbst unter ihnen weile.
Wer sollte dieser Jupiter sein? Der Gastgeber und Kardinal,
der Franziskaner?
Ein Ballett beschloß das Fest. Auf der Bühne tanzten antike Helden
mit ihren Geliebten. Den wollüstigen Tanz unterbrachen Kentauren,
die die schönen Balletteusen rauben wollten, aber Herkules ergriff ihre
Partei und verjagte die wilden Kraftmenschen. Dem Ballett folgten
noch einige Aufführungen, deren Inhalt ausdemMythus geschöpft war.
Die Feste der Renaissance kannten kein Maß, es galt den Becher
bis zur Neige zu leeren, bis die Teilnehmer der Feste vor Müdig-
keit fast umsanken.
Die Herzogin blieb fünf Tage in Rom, und es ist mehr als zweifel-
haft, ob sie während dieses Empfanges sich von den Reisestrapazen
zu erholen vermochte. Ein Trost in ihrer Abspanntmg mögen die
reichen Geschenke gewesen sein, mit denen Siztus IV. und die Kar-
dinäle sie überschütteten.
In Ferra» traf man großartige Vorbereitungen zum Empfang
der Herzogin. Fünf der berühmtesten Maler und Bildhauer arbeiteten
an einem für sie bestimmten Caroccio, über den Po wurde eine
neue Brücke geschlagen, und eine Künstlerschar schmückte die Stadt.
BRCOLB I. 75
Zu Pferde zog Eleonora unter dem Baldachin ein» in einem
Kleid aus Goldbrokat mit kostbaren Edelsteinen und einer stolxen
Krone auf dem Haupt In den StraBen Grfln, Blumen, bunte
Stoffe — so daS die Herzogin durch unabsehbare Zelte einzuziehen
schien. Triumphbogen waren errichtet, und auf Estraden suditen
T&nzer bei Musikklängen die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Am nächsten Tage traute der Kardinal Bartolommeo RoTerello
das herzogliche Paar im Dom, dann begannen die acht Tage
währenden Feste« Die städtischen Korporationen machten Eleonora
reiche Geschenke, deren Wert auf Z8444 Lire berechnet wurde,
außerdem brachte ihr jede vornehme Familie und jeder grttBere
Würdenträger des Landes seine Huldigung in Form eines Ge-
schenkes dar.
Eleonora war eine tmgewöhnliche Frau von groBen Verdiensten
und großer Energie. Sie war sehr musikalisch, spielte selbst Harfe,
las viel und sammelte die Werke der berühmtesten damaligen
Maler. Sie besaß Bilder von Mantegna und Bellini; in ihrer Hand-
bibliothek befanden sich Cäsars Kommentare in italienischer Ober-
setzung, Plinius' Schriften, die „noretti'' des heiligen Franziskus,
eine große Anzahl spanischer Geschichten und imter anderem der
damals viel gelesene Roman „U Carcer d'Amore'^
In schweren Tagen bewies Eleonora viel Mut tmd Geistes-
gegenwart, namentlich als Niccolo, um den an ihm versuchten
Mord zu rächen, in Ferrara einfiel. Ercole war in Belriguardo,
und Niccolo hielt den Augenblick für geeignet, um durch einen
kühnen Streich Ferrara zu erobern, wo Eleonora mit den kleinen
Kindern allein verblieben war. Im Einverständnis mit dem Mark-
grafen von Mantua und Giovanni Maria, dem Fürsten von Mai-
land, hatte der Prätendent siebenhimdert Bewaffnete in Kähnen,
die mit Stroh bedeckt waren, verborgen und landete mit dieser Schar
in Ferrara. Ehe die Kunde des Überfalls ins Kastell gedrungen war,
erklang schon Niccolos Kriegsruf: vela! velal durch Ferraras
Gassen. Aber diese Losung fand auch diesmal bei der Bevölkerung
keinen Widerhall, Eleonora sammelte, unterstützt von ihren
Schwägern Ercole, Sigismondo, Alberto und Rinaldo, ein Heer;
Niccolo wurde aus der Stadt vertrieben, mit seinen Begleitern in
f6 FÜNFTES KAPITEL
die Sümpfe gedrAngt und dort gefangen. Niccolos Haupt fiel unter
dem Beil; zweihundert seiner Anhänger ließ Ercole zur Warnung
unter den Fenstern des Palazzo della Ragione aufhängen, fünf
an den Zinnen des Castell Vecchio, den übrigen schenkte er das
Leben unter der Bedingung, daB sie ihm den Treueid leisteten.
Alle waren damit einverstanden, nur ein alter Koch, Lucca, wollte
seinen Herrn nicht verleugnen; als man ihm sagte, er müsse, um
seine Freiheit zu erlangen, „diamante'' rufen, schrie er „velaP'
und büBte seine Treue mit dem Leben«
In den beiden ersten Jahren ihrer Ehe hatte Eleonora zwei
Töchter: Isabella (geb. am i8. Mai 1474) und Beatrice (geb. am
29. Juni 1475)» später kamen vier Söhne dazu, von denen der
älteste, Don Alfonso, als Alfonso L dem Vater auf dem Throne folgte,
Ippolito wurde später Kardinal.
Ercole und Eleonora lebten in einer Musterehe, nach den Be-
griffen der Renaissance. Der Herzog galt als treuer Ehemann,
imd nur einmal, um den Traditionen seines Geschlechtes treu zu
Ueiben, hat er seiner Frau die Treue gebrochen. Als Eleonora
im Mai des Jahres 1477 für einige Monate zu ihren Eltern nach
Neapel reiste, knüpfte der Herzog ein Verhältnis mit einer Hof-
dame an, Isabella Arduino, die ihm im März 1478 einen Sohn
Gtulio geboren hat. Drei Monate später wurde Isabella an einen
Giacomo Mainente in Ferrara verheiratet, und Ercoles einmalige
Eheirrung hat sein gutes Verhältnis zu Eleonora nicht getrübt.
In dieser Beziehung waren die damaligen Frauen übrigens sehr
nachsichtig. Wenn z. B. der Markgraf Gonzaga von Mantua,
der Gatte Isabellas und Schwiegersohi» Ercoles, sich für eine längere
kriegerische Expedition rüstete, wählte ihm die sorgende Gattin
selbst eine schöne, gesunde Mantuanerin zur Reisegefährtin.
Vor seiner Heirat mit Eleonora hatte Ercole mit Lodovica
Condolmieri eine Tochter Lucrezia d'Este. Sie heiratete 1487
den Grafen Annibale Bentivoglio, den Sohn des Tyrannen von
Bologna, und war eine ungewöhnliche Frau.
Eleonora war eine gute Mutter und gab ihren Kindern eine sorg«
fältige Erziehung. Battista Guarino unterrichtete die Mädchen
im Lateinischen, nach ihm Jacopo Gallino, der es so gut verstand,
ERCOLE I. 77
die jungen Herzoginnen für die trockenen Studien zu interessieren,
daB Isabella auch später als Markgrftfin ron llantua sich gern der
Zeiten entsann, wo sie nach Chrysoloras Grammatik gelernt
und Vergils Eklogen, Ciceros Briefe oder die Aenels aus dem Ge-
dächtnis rezitiert hatte. Bin sehr von ihr verehrter Lehrer war auch
Mario Bquicola d'Alreto, der Verfasser der 152z in Ferrara er-
schienenen „Geschichte von Mantua^' und der Abhandlung „Della
natura d'amore*'. Die jüngere, wenig begabte Beatrice konnte diesen
Stunden nicht viel Reiz abgewinnen, sie ritt lieber oder fütterte
die Tiere im Park. Isabella dagegen galt als ungewöhnliches IQnd,
„deliziosa creatura'S und man gab sich stets viel mit ihr ab.
Ein wesentlicher Faktor in der Erziehimg war der Musik-
unterricht. Aus Konstanz ließ der Fürst einen deutschen Geist-
lichen und berühmten Musiker, Don Giovanni Martin, kommen,
damit er seine Kinder unterrichte und gleichzeitig die Sänger
der fürstlichen Kapelle ausbilde. Isabella hatte eine gute Stimme und
sang gern zur Laute. Die jungen Damen spielten auch Klavier und
waren so musikalisch, daß Trissino, einer der Hofdichter, Isabellas
Stimme mit Sirenengesang verglich, ja, er ging noch weiter: sie
vermöge vrie einst Orpheus vrilde Tiere mit ihrer Stimme zu zähmen.
Auch Baldassare Castiglione pries ihre Talente. Vor fremden Gästen
rühmte sich der Fürst gern des Gesanges seiner Töchter, und bei
einem Feste, das zu Ehren des Gesandten Ludvrigs XII. gegeben
wurde, entzückte Isabella durch ihr Lautenspiel die ganze Gesellschaft.
Auch in körperlichen Übungen wurden die jtmgen Mädchen unter-
wiesen, sie mußten reiten und tanzen, daneben auch handarbeiten,
besonders kunstvolle Stickereien in Gold und Seide ausführen.
n
Nach Burckhardt war Ferrara der erste moderne Staat; diesen
Satz müßte man dahin korrigieren, daß Ferrara am deutlichsten
zeigt, vrie ein Staat in der Renaissance organisiert war. Die admi-
nistrativen Grundsätze der damaligen despotischen Staaten waren
in ganz Italien fast die gleichen, in Ferrara treten sie besonders
78 FÜNFTES KAPITEL
hervor, weil eine Dynastie sich drei Jahrhunderte hindurch be-
hauptet hat. Infolgedessen hatten alle politischen Einrichtungen dort
mehr Bestand und bekamen allmählich eine festgeschlossene Form.
Überall, in Ferrara, llantua, Bologna oder Verona, bildeten die
früheren Gemeindestatuten die Grundlagen der Regierung und des
richterlichen Verfahrens. Die Kommune bestand weiter, aber sie
bestand unter dem Schwerte des herrschenden Fürsten oder Con-
dottiere, der ihr so viel Ton der frilheren Autonomie beliefi, als es
mit Rücksicht auf seine Finanzen und Ziele notwendig war. Der
Fürst veränderte im allgemeinen die Institutionen der Gemeinde
nicht, aber er kontrollierte sie und beschränkte ihre Tätigkeit durch
seine BSacht. In Ferrara regierten noch im XIIL Jahrhundert
zwdlf „weise Männer'', „Savi'S an ihrer Spitze stand der „aller-
wdseste'S „Giudice de' Savi'S er war der Präsident des Städtischen
Rates und Vertreter des Volkes. Das Statut der Stadt nennt ihn
„Pater moderatorque patriae et praefectus universitaüs''. Der
Giudice de' Savi hatte dieselben Obliegenheiten zu erfüllen wie die
früheren Konsuln, die noch unter Friedrich I. der Republik Ferrara
vorgestanden hatten. Zuerst bekleidete ein fremder Redits-
gelehrter diese Stelle, seit dem XV. Jahrhundert ein Mitglied eines
der aristokratischen Geschlechter Ferraras. Die zwölf Savi wurden
aus den Bürgom der Stadt, ohne Unterschied des Standes, gewählt,
ihnen halfen in ihrer Arbeit Beamte, Aggiunti. Den Vorsitzenden
der Savi ernannte der Herzog oder setzte ihn nach Gutdünken ab;
obgleich der Giudice der höchste Beamte im Staate war, übertrug
er dem neuen Thronfolger den Oberbefehl über das Heer und über-
gab ihm die Herrsdiaft über das Volk.
Dem Kollegium der Savi unterstand die zivile, wirtschaftliche
und finanzielle Verwaltung der Gemeinde sowie die Gerichtsbarkeit
in Zivil- und Strafsachen, soweit sie durch die Macht des Podestä
nicht beschränkt war. Die Savi erlieBen Gesetze, die ihre Rechts-
kraft erst erhielten, wenn der Herzog sie bestätigte, auferlegten
städtische Abgaben, sorgten für die öffentliche Sicherheit, die Er-
haltung der StraBen, Kanäle und Brücken; zum Bereich ihrer
Tätigkeit gehörte femer höheres imd niederes Schulwesen, Ge-
simdheitspolizei, selbst das Prägen der Münzen.
BRCOLEI. 79
Aus früherer Zeit hatte sich die Würde eines Podesti erhalten.
Während in freien Gemeinden der Podesti der höchste, für eine
bestimmte Zeit gewählte Beamte war, dem die Volksversammlung
eine fast diktatorische Gewalt übertragen hatte, war der Podestä
in Ferrara zu Zeiten der Este ein festangestellter, rom Herzog
ernannter Beamter, Er war Gerichtsrorsitzender in einzelnen
wichtigen Strafsachen, die dem Rechtsspruch der Savi entzogen
waren, und führte die Befehle des Herzogs aus. Über jene Dinge,
auf die es dem Herzog wenig ankam, saBen die Savi zu Gericht
und f&llten ihr Urteil. Der Giudice konnte sich daran freuen, in
Wachs sein großes Siegel con San Giorgio prägen zu lassen, aber
wehe dem Richter, der sich dem Willen des Herrschenden wider-
setzt hätte« Dann trat der Podesti, der exekutive Gewalt besaB,
in Wnrksamkeit, und der verdächtige oder hartnäckige Giudice
wurde im besten Falle in das Verließ unterhalb des Kastells ge-
worfen, wenn ihn seine Halsstarrigkeit nicht den Kopf kostete.
Und in diesen italienischen Tyrannenstaaten herrschte eine rührende
Vielfältigkeit in der Art, sich der der Regienmg unbequemen
Menschen zu entledigen. Gewöhnliche Verbrecher wurden gehängt
oder der Kopf wurde ihnen mit einer der französischen Guillotine
verwandten Vorrichtung abgeschlagen. Die Franzosen haben näm-
lich keinen AnlaB, sich ihres Doktors Guillotin, als des Erfinders
dieses Mordinstrumentes, zu rühmen, es war schon in Ferrara
unter dem Namen „mannaia'' bekannt — fehlte die „mannaia'S
so wurde der Kopf mit dem Schwert abgeschlagen oder der Delin-
quent im Gefängnis erwürgt. WoUte man sich jemandes in aller
Stille entledigen, so bediente man sich des Dolches, für Ver-
wandte und Freunde jedoch hatte man Gift im Vorrat. Übrigens
gehörte auch das Einmauern eines Menschen in eine enge
Zelle nicht zu den Seltenheiten; noch im Jahre 1507 ward
Madonna Laura disonesta auf diese Weise unschädlich ge-
macht. Sie wurde in der Biscbofskirche, an der linken Seite
des Hauptaltars eingemauert; die Nische war so klein, daB sie
sich kaum in ihr umdrehen konnte, und nur durch einen
schmalen Spalt in der Mauer wurde ihr die notwendigste Nah-
rung zugeführt.
8o FÜNFTES KAPITEL
Ferrara war wegen seines ausgezeichnet rerwalteten Staats-
schatzes berühmt, und seine finanziellen Institutionen waren
vorbildlich für die übrigen Staaten. Die ferraresischen Herzöge
galten als vermögend, „danarosi'S und trieben neben Venedig und
Florenz, deren Finanzwirtschaft ebenfalls ausgezeichnet war,
die beste Finanzpolitik. Unter Borso und Ercole I. war das ferra-
resische Finanzsystem schon rollkommen ausge{>ildet. An der
Spitze der Verwaltung für die Einnahmen und Ausgaben des Reiches
standen zwei „Generalfaktoren'S denen der gesamte Beamten-
stab unterstand. Die Paktoren ernannte der Herzog; dem einen
unterstand das Finanzwesen der Hauptstadt, dem andern das
der Provinz. Die Reichseinkünfte flössen in die allgemeine herzog-
liche Kasse, in die „Bank'S und bestanden in der Hauptsache aus
den Zinsen, die die zum größten Teil verpachteten herzoglichen
Güter abwarfen, aus Zöllen, Monopolen, dem Verkauf der Amter,
den Einkünften der herzoglichen Fabriken (Tuch, Teppiche,
Majolika), ja selbst aus dem Erlös für Getreide. Die Gemeinden
stellten jährlich zur Bestreitung ihrer eigenen Ausgaben eine
sogenannte „Kollekte'' auf, eine Abgabe, die nach Maßgabe der
vorhandenen Vermögen erhoben wurde. Wenn die Gemeinden
ungewöhnlich große Ausgaben hatten infolge von Überschwem-
mungen, Seuchen und Erdbeben, oder selbst infolge öffentlicher Feste,
so kam die herzogliche Kasse, „camera ducale'S ihnen hftufig zu
Hilfe, um sie zu entlasten. Aus dem herzoglichen Schatz wurde
das große Söldnerheer der Este entlohnt, die Anführer jedoch,
die zumeist aus der begütertsten Ritterschaft gewählt wurden,
erhielten keine Bezahlung und dienten nur um der Ehre willen.
Die Erhaltung der Festungen, der Ankauf von Waffen, Schiffen
imd sämtlichen Kriegsausrüstungen lastete gleichfalls auf dem
herzoglichen Schatze.
Die Rechenbücher wurden in den Generalfaktoreien mit er-
staunlicher Übersicht und Ausführlichkeit geführt; es gab getrennte
Bücher für die öffentlichen Ausgaben, „Spese publiche dello Stato'',
und für die Ausgaben des herzoglichen Hofes, „della corte ducale''.
Nicht nur die bedeutenden Summen, die die Bezahlung der Diener-
schaft, der Bau von Schlössern, Kirchen, die Instandhaltung der
BlICOLE L SX
PldAste, die Pfihniitg der Küche, der StäOe, die herzoglichen Reisen
usw. verschlangen, wurden in diese Bücher eingetragen, sondern
selbst die geringfügigsten Posten wurden aufgeführt, wie z. B.
Reparaturen der Beinkleider des Herzogs und des Hofgesindes:
„raperrature di abiti e di calzi per uso del signore et della corte''.
Das Budget war sehr genau und scharf ausgearbeitet, und wurde
in ruhigen Jahren vielleicht weniger überschritten als heutzutage.
Unter den Gemeindeausgaben figurieren bereits ganz beträcht-
liche Posten für wohlt&tige Zwecke; unter Ercole I. wurde in
Perrara eine „Wohlt&tigkeits-Gesellschaft'' begründet, „Assoda-
ziotie dei poTeri di Christo", und sogar eine Vereinigung zur Unter-
stützung verschämter Armer, „Scuola o regola dei poveri ver-
gognosi^\ Die Stadtverwaltung suchte der Bettelei auf der StraSe
zu steuern und ging so streng vor, daS es in der zweiten Hälfte
des XVI. Jahrhunderts g^^ eine Geldstrafe von zwei Scudi ver-
boten war, den Bettlern Almosen auf der StraBe zu geben. Vielleicht
dankt man es diesem Verbot, daS man selbst heute in Ferraras
StraBe n weniger Bettler als im übrigen Italien sieht.
Auch für ein anderes sehr zweifelhaftes Verdienst muB man Per-
rara den Vorrang einräumen; es war eine der Brutstätten der heutigen
Bureaukratie. Zur Politik der Este gehörte es, sich mit einfluB-
reichen und ihnen eigebenen Pamilien zu umgeben. Durch Gunst-
beweise, freigebige Stiftui^en fesselten sie bedeutende Menschen
an sich, deren Nachkommen mit dem Herrscherhause verwuchsen.
Selbstverständlich übertrugen die Herzöge am liebsten den Söhnen
jener Pamilien die zu vergebenden Amter, da sie ihnen mehr als
ganz Premden vertrauten. Im Laufe der Zeit entstand eine Phalanx
von Würdenträgem und Beamten, die den Este verbunden waren,
aUe gröBeren Amter an sich rissen, sich bereicherten und eine un-
durchdringliche Mauer um die Dynastie bildeten. So entwickelte
sidi eine Beamtenhierarchie, die dem Staat teuer zu stehen kam.
Eine amüsante Illustration dieser Zustände geben uns Ausweise
über Rsche, die unter die Beamten zu Weihnachten verteilt wurden.
Der Giudice dei Savi bekam vierundsechzig verschiedene Pische,
während die Savi nur zweiunddreiBig erhielten, den städtischen
Advokaten wurden zwölf Pische geschickt, den S]mdici zehn, den
6
8a FÜNFTES KAPITEL
Notaren sechzehn, und die luiteren Beamten, wie die Kanzlisten,
Unterkanzlisten, Buchhalter, Rechnungsbeamten bis hinunter zu
den Portiers, Kutschern und Tronmilem, mußten sich mit einigen
Karpfen oder Hechten begnügen.
Der Schrecken der ganzen Stadt war der Capitano dt giustizia,
eine Art Polizeidirektor, umgeben von einem Stabe von Geheim-
polizisten. „Un amicho sechreto'' war eine Persönlichkeit, durch
die der Herzog von allen Geschehnissen in der Stadt unterrichtet
wurde. Der Capitano di giustizia legte dem Herzog täglich die
Liste der Durchreisenden vor, und Ferrara gebührt das zweite
„Verdienstes daß dort das Paßwesen vervollkommnet wurde. Jeder
Fremde mußte eine Taxe entrichten für die Erlaubnis, sich in
Ferrara aufzuhalten, v^ließ man den Umkreis der Mauern, so
war eine besondere Erlaubnis von der Stadtverwaltung erforder-
lich und auch dafür mußte eine kleine Taxe bezahlt werden. Einem
anderen städtischen Departement dem „Uffizio deUe Bollete'S
unterstanden sanitäre Dinge, wie zu treffende Einrichtungen
während einer Seuche; zu seinem Ressort gehörte auch „maresdallo
delle meretrid'S ein Beamter, der die Aufsicht über die Kurti-
sanen führte, deren es in Ferrara unzählige gab.
Der bestgehaßte Polizeidirektor war unter Ercoles Herrschaft
Gregorio Zampante aus Lucca. Im allgemeinen hielten die Este
es für richtig, dieses Amt Fremden zu übertragen, die zur Be-
völkerung in keinerlei Beziehimg standen. Unter Zampante ging,
nach Aussage der Chronisten, den großen Spitzbuben alles unge-
straft durch, während er bei den kleinen auch die geringfügigste
Übertretung grausam bestrafte. Mit Torturen setzten seine Nach-
forschungen ein, und die Strafgelder flössen in seine Tasche. Er
hatte eine solche Machtstellung, daß selbst die Söhne des Herzogs
vor ihm zitterten. Zampante wagte sich nur von Bewaffneten
umgeben auf die Str€Ü)e; in seinem eignen Garten gezüchtete Tauben
waren das einzige Fleischgericht, das er aß, so groß war seineAngst vor
Gift. Die Empörung über ihn war allgemein, schließlich fanden sich
drei junge Leute, die sich am x8. Jtmi 1490 in seine Wohnung
einschlichen, den Tyrannen, der nach Tisch schlummerte, töteten,
auf bereitstehende Pferde sprangen und jubelnd durch die Straßen
BRCOLE I. 83
aofen: „Freut euch, wir haben 2#ampante erschlagenl'^ Als der
Herzog von diesem Vorfall erfuhr, waren die Mörder, die die öffent«
Udie Dankbarkeit schützte, schon außerhalb der Reichsgrenzen.
Die Übergriffe der Beamten waren bisweilen so unerhört, daß, als
Ercole einst aus eigener Initiative einen dieser Blutegel aufhängen
lieB, das Volk die Glocken läutete und am Abend Freudenfeuer zu
Ehren des Herzogs abbrannte. AuBer den Polizeidirektoren be-
drückten das Volk namentlich die „fattori generali'S von denen
schon die Rede war. Als einer von ihnen, Bonvidno della Corte,
mit dem Beinamen Lupo BCalvagia, ein Günstling Borsos, 1475
setnes Amtes entsetzt wurde, feierte die ganze Stadt den Tag durch
Glodcengeläute und abendliche Illumination. Selbst der strenge
Strozzi verfaSte damals ein Festgedicht, worin er sich rühmt, dazu
beigetragen zu haben, den „grausamen Wolf" zu entfernen«
Perniciosa tamen rabies latronis iniqui,
Laesa Malum quem turba Lupum cognomine dixit,
Sermoms nostri gladio iugulata repente
Corruit aetemum stygiis damnata tenebris.
igens gab Ercole das schlechte Beispiel selbst, er verkaufte
öffentliche Amter an Männer, die unter mannigfachen Vorwänden
der Gesellschaft dreifach das dem Herzog bezahlte Geld abpreBten«
Der Verkauf der Amter war eine der wichtigsten Einnahme-
quellen des herzoglichen Schatzes.
Der öffentliche Kredit litt ungeheuer infolge der Übergriffe
des Fiskus und der Habgier der Beamten. Das Geld verbarg sich^
um Leuteschinder wie Malvagia nicht zu reizen, da sie mit be*
sonderem Behagen den Reichen ihre Schrauben anlegten. Der
ZinsfuB sti^ enorm, die Gemeinde berechtigte die KapitalisteUr
bis ZU vierzig vom Himdert zu fordern, und dreißig vom Hundert
galt als ein absolut fairer, legaler Satz. Da infolge derartiger Zu*
stände die Bevölkerung unter Geldknappheit litt, bemühte man
sich in Ferrara wie in anderen Stadtgemeinden im XV. Jahr-
hundert, jüdische Bankiers zur Ansiedlung zu gewinnen, da sie
kühner als die Christen im Geldverleihen waren. Im XV. und
XVI. Jahrhundert lebte fast in jedem italienischen Nest ein Jude^
6*
84 FÜNFTES KAPITEL
der gegen Pfftnder Geld Uefa, und in gröBeren SUdten gab es ihiec
mehrere. Die Regierung übertrug ihnen die Führung der B«nk-
gesch&fte, häufig in der Form eines absoluten Monopols, sioherte
ihnen religiöse Toleranz zu und gestattete ihnen zu wohnen» wo
es ihnen gefiel, ohne sie auf bestimmte Straßen zu beschränken.
Diese jüdischen Bankiers in Ferrara waren nicht gezwungen, auf
ihrem Mantel das Zeichen „O'* zu tragen, das all^i übrigen Juden
vorgeschrieben war. Der Bankier wurde in der Stadt zur privi-
legierten Persönlichkeit, „tamquam dvis habeatur^S und dem-
zufolge zum Beschützer der übrigen Juden, die allein in bestimmten
Stadtteilen wohnen durften. Unter Ercole gab es im gesamten
Herzogtum zwölf- und in Ferrara allein sechstausend Juden.
Die unredlichen Gläubiger wurden zusammen mit den ge-
meinen Verbrechern eingesperrt, erst Ercole I. liefi einen besonderen
Schuldturm für sie bauen. Bankerott galt seit jeher als groBe
Schande. Auf einem der Plätze Ferraras lag seit undenklichen
Zeiten ein groBer Marmorblock „pietra'' genannt, ein formloses
Denkmal auf einem Unterbau, der aus einigen Stufen bestand«
Von diesem Stein aus verkündete der Gerichtsdiener neue Ge-
setze, später bekam der Block eine sonderbare Bestimmung,
da dem Volke die Bankerotteure darauf vorgeführt wurden. Diese
Sitte scheint etruskischen Ursprungs zu sein und hat sidi unter
verschiedenen Formen in italienischen Städten erhalten. Der
Bankerotteiu* wiurde aus seinem Haus geholt, ein leerer Sack wurde
vorangetragen, eine neugierig gaffende Menge folgte, dann mußte
der arme Teufel auf jenen Stein steigen, und ein grüner Hut wurde
ihm als Zeichen der Schande aufgestülpt. Von diesem eiiiöhten
Standpunkt mußte er dem Volke verkünden, daß er auf alles, was
sein Besitz gewesen war, verzichte, und so wurden ihm für den
Preis der Schande all seine Schulden erlassen« Nahm man auf
demselben Platz dem ehemaligen Bankerotteur den grünen Hui
„il cappel verde" ab und setzte ihm einen schwarzen auf, so be-
deutete es, daß er seine Schulden bezahlt und aufs neue Anleihen
machen könnte.
Unter Ercole erreichte Ferrara seine größte Entwicklung« Die
Stadt zählte einmalhunderttausend Einwohner, und obgleich neue
ERCOLE I. 85
Strafien angdegt und Häuser und Paläste im Bau b^gnifen waren,
war der W<rfmungsiiiangel groB. Borso hat die alte Stadt bedeutend
nadi Süden erwettert, aber erst Brcole wurde Ferraras Baumeister«
Da Bauen seine Leidenschaft war, widmete er sich dieser Aufgabe
mit Liebe. Unter Ercole entstand ein ganzer Stadtteil, von der
Hanfitstraße, der Strada della Giudecca, nach Norden, der gröBer
war als das gesamte ältere Ferrara. Lange, breite, einfache StraBen
entstanden, und damit gab Ercole das erste Beispiel einer modernen
Stadtanlage, in der es im Winter sehr kalt und im Sommer unerträg-
Uch heiB ist.
Ercole hatte auch schwere Zeiten zu überstehen; die Haupt-
ursache seines Unglücks war das Seesalz, das man seit langer
Zeit am ferraresischen Ufer gewann. Neidisch blickten die Vene-
zianer auf den Aufschwung der estensischen Salinen, sie wollten
Ferrara zwingen, Salz aus den Salzbergwerken der Republik zu
kaufen. Der Streit um das Salz und wegen des Fischfanges am
Uier des Adriatischen Heeres bot den äuBeren Anlaß zu einem
iEri^^ zwischen Ercole I. und Venedig. Die Franzosen und der
Papst haben zwar Ferraras Untergang verhindert, aber der Krieg
mit der gewaltigen Republik hat den Wohlstand des Herzogtums
ffir lange Zeit vernichtet.
Auf Ercoles Seite stand Frankreich und die von Frankreich
beeinfhiBte Lombardei, daher sah man in Ferrara erst mit sehr
viel Gelassenheit dem Ausgang des Kampfes entgegen. Die Dichter
schilderten bereits den Tod der Republik: der Papst komme, um
ihr die letzte Ölung zu geben, der König von Frankreich und der
Kaiser Maximilian wollen Zeugen dieses Sterbens sein, der König
von Spanien halte die Ezequien. Der Herzog von Ferrara bereite
der verhaBten Nachbarin das Grab, und der Markgraf von Mantua
ofdne einen feierlichen Gottesdienst für ihre Seele an. Jubelnd
ver b reit e te man ein Gedicht über Venedig, das mit dem Vierzeiler
begann:
O Venezia, o Venezia pingua e grassa
Ogli altru' regni or la tua fama abassal
La tua superbia non ha fin ne* fondo:
San Marco tuo non e* maggior di Christo,
86 FÜNFTES KAPITEL
Venezianer dagegen rerspotteten das schwache Perrara
und sangen: ,,0 guerra, o nonguerra, Ferrara andera' per terra • • ." —
ja mehr noch, sie warfen Ercole L yor» Italien verraten zu haben,
da er zusammen mit Lodovico Moro Karl IIL in die Lombardei
gerufen habe. Auch die durch Tradition überlieferte Herkunft vom
Geschlecht der Maganza wurde ihm yorgehalten, das, wie sdion
früher erwähnt, den Ursprung alles Bösen in Ritterromanen
repräsentiert.
Marchese di Ferrara di la casa di Maganza,
tu perdera '1 stado al dispetto di re di Franza.
San Marco, auf seine Macht pochend, warf sich in die Brust
und tat, als wenn er neben Jupiter im Himmel die Erde beherrsche:
Joye & in del e Marco sol in guerra,
Tuno guberna il del, Taltro la terra.
Ercole war ein Diplomat, kein Heerführer; er folgte .Borsos
Traditionen« veruneinigte seine Gegner und zog Nutzen aus ihren
Fehlern. Niemand traute ihm, aber der allgemeine HaS gegen
Venedig war die beste Hilfe. Dieser Haß wurde seine Rettung,
trotzdem er wiederholt zuviel auf eine Karte gesetzt hat.
Aus dem Krieg mit Venedig resultierten furchtbare wirtschaft-
liche Niederlagen. Die Heere der siegreichen Republik belagerten
Ferrara längere Zeit, die Po-Überschwemmungen fügten unermeß-
lichen Schaden zu, zu Hunderten erlagen die Ferraresen der Seuche,
zuletzt erkrankte Ercole. Als es schien, daß die Macht der Este
für inuner vernichtet sei, übernahm Eleonora mit starker Hand
die Zügel der Regierung. Sie schickte ihre Kinder nach Modena,
brachte den kranken Gatten an einen sichern Ort, stachelte das Volk
zur Verteidigung des Vaterlandes an und rettete das Reich vor
dem Untergang durch ihre Energie und die spätere Intervention
des Papstes. Es waren Ferraras schwerste Zeiten, der estensiache
Hof versetzte fast all seine Kostbarkeiten: goldene Ketten, Rubinen
und Diamanten, man war gezwungen, das größte Kldnod des
Pamilienschatzes zu verkaufen, „gran Zolielo del diamante tri-
angolare'^ Als 148 1 die Ernte mißriet, fehlte es sdbst dem Hof
an Brot, tmd das Volk starb Hungers.
BRCOLBI. 87
Die Pehfef in der Verwaltung, die alle damaligen Tyrannen-
staaten begingen, zeigten sich in solchen Zeiten in ihrer ganzen
Furchtbarkeit. Die Einrichtungen zielten mehr darauf ab, die
Macht des herrschenden Geschlechtes zu verstärken als dem ganzen
Volke eine auch nur erträgliche Existenz zu schaffen.
Der Kxieg mit Venedig hat insofern die wirtschaftlichen Ver-
hältnisse des ferraresischen Hofes umgestaltet, als Brcoles Nach-
folger einen kriegerisdien Reservefonds anlegten. Er muBte jedoch,
wie wir sehen werden, zumeist als Anleihe für die Päpste verausgabt
werden«
III
In den Jahren 1487, X490 und 1491 verheiratete Brcole drei
Töchter und einen Sohn, es galt vier Ausstattungen anzuschaffen,
und so gab es Gelegenheit genug, um den Glanz des Hofes zu ent-
falten. Lucrezia wurde als erste verheiratet, als uneheliche Tochter
bekam sie die relativ bescheidenste Mitgift von nur 10 000 Dukaten.
Auch wurde ihre Hochzeit durch weniger glänzende Feste gefeiert
Doch erzählte man sich viel von den kostbaren silbernen imd
goldenen Tafelaufsätzen beim Hochzeitsbankett. Der berühmte
Franda, der sich damals mehr mit Goldschmiedekunst als mit
Malerei beschäftigte, hat sie geschaffen. Glänzender waren die
Vorbereitungen zu Isabellas Hochzeit, die, noch nicht sechzehn-
jährig, Francesco Gonzaga, dem Sohn des herrschenden Mark-
grafen von Mantua, einem zweiundzwanzigjährigen Jüngling,
vermählt wurde. Diese Heirat schuf für viele Jahre eine große
Annäherung zwischen den Djrnastien der benachbarten beiden
Ländchen und wurde in Venedig nicht übermäßig gern gesehen.
Schon 1480 hatte Pederigo Gonzaga Beltramino Cusastro nach
Ferrara geschickt und um die Hand der damals sechsjährigen
Isabella für seinen zwölfjährigen Sohn angehalten. Cusastro
berichtete seinem Herrn begeistert von der ungewöhnlichen
Intelligenz der kleinen babella. Gleichzeitig schickte er das von
Cosimo Tura gemalte Bild der jugendlichen Braut, das aber leider
untergegangen ist» nach Mantua. Einen nicht weniger günstigen
88 FÜNFTES KAPITEL
Eindruck als Cusastro empfing spftter ein anderer mantoaniacher
Gesandter, der Iladonna Isabella mit ihrem Tanzlehrer, Messer
Ambrogio, tanzen sah, einem Juden, der in den Diensten des
Herzogs von Urbino war. Er konnte ihre graziösen Bewegungen
nicht genug rahmen.
Um Isabellas Hand hatte auch die Fürstin Bona Sforza aus
Mailand für ihren Sohn Lodovico Sforza gebeten« Da IsabeUa
schon verlobt war, trug Ercole Lodovico seine jüngere Tochter
Beatrice an; sie wurde am Hofe des Grofivaters in Neapel erzenen,
zusammen mit den Kindern der Ippolita Sforza, der Fürstin von
Kalabrien, einer der gebildetsten Frauen ihrer Zeit. Lodovico Sforza,
mit dem Beinamen II Moro, kam 1479 nach Neapel, und da auch
der König von Neapel für diese Verbindung war, übertrug er ihm
das Fürstentum Bari, das durch den Tod des älteren Sforza frei
geworden war. Am 22. Mai des Jahres 1483 wurde Isabellas und
Beatrices Verlobung in Ferrara auf dem Platz vor dem Kastell
verkündet.
Im Frühling des Jahres 1484 kam der Markgraf von Mantua
mit seinem Sohn Francesco zum San Georgstag nach Ferrara.
Mit sechshundert Rittern und Höflingen war er über den Po ge-
kommen, und der Herzog feierte ihn während seines viertägigen
Aiifenthaltes mit allem Prunk, den der ferraresische Hof ttif*
bringen konnte. Die Verlobten lernten sich kennen, traten ein-
ander näher, und von diesem Zeitpunkt an stand Isabella mit
Francesco in regelmäBiger Korrespondenz, machte ihm sogar Ge-
schenke und schickte ihm Vtrse^ die die Hofpoeten ihm zu Ehren
gemacht hatten.
Isabellas Hochzeit sollte im Frühling des Jahres 1490 statt-
finden. Ein ganzes Heer von Malern, Bildhauem, Gold-
schmieden, ferraresischen und spanischen Stickem wurde für
die Ausstattung aufgeboten. Eleonora schickte den bekannten
Maler Ercole Roberti nach Venedig, um Einkäufe zu machen.
In Venedig wurden auch die meisten Tapezierarbeiten bestellt,
und bei Fra Rocca, einem bekannten Goldschmied in Mailand,
wurden Gebetbucheinbände gekauft und ein tragbares, silbernes
Altärchen im Werte von sechshundert Dukaten. Isabella bekam
BEATRICE D'ESTE
DETAII- AUS ZENALES „LA VERGINE IN' TRONO". MAILAND, BRERA
ERCOLB I. 89
35 000 Didcaten in bar als Mitgift, ihre Aussteuer war 2000, ihre
Juifelen 3000 Dukaten wert. Es war dies keine aufiergewöbnlich
grofie Mitgift, Eleonora hatte ihrem Gatten 80 000 Gulden mit-
gebracht.
Die Trauung fand in Ferrara am xi. Februar 1490 in der Schloß-
kapelle statt. Nach der Zeremonie ritt die junge Braut, mit der
Krone geschmückt, von einem zahlreichen Gefolge umgeben, durch
die Stadt. Zu ihrer Rechten ritt der Herzog von Urbino, zu ihrer
Linken der neapolitanische Gesandte. Am Abend fand das Fest-
mahl statt im grofien Saale des Kastells, der mit flandrischen Tep-
pichen, die Eleonora aus Neapel mitgebracht hatte, ausgestattet
war. Die silbernen Tafelaufsätze waren von erlesener Pracht, ein
venezianisdier Goldschmied, Giorgio da Ragusa, hatte sie nach
Cosimo Turas Zeichnungen ausgeführt. Zur Tisdidekoration ge-
hörten audi zweihundertfünfzig Fihnchen, die Giovanni Bian-
chini, Torello genannt, gemalt hatte. Was auf diesen Fahnen
dargesteflt war, ist tmbekannt.
Am nächsten Tage fuhr die Braut mit ihren Eltern und Prüdem:
Alf onso, Ferrante und Ippolito über den Po in ihre künftige Haupt-
stadt. Trotz des V^nters (am 15. Februar) waren alle Strafien mit
frischen Blumen geschmückt und die Häuser mit Girlanden
frfihlingsmäBig angeputzt. Die Markgräfin Elisabetta Gonzaga
empfing die Schwiegertochter, umgeben von Nachbarn imd Ver-
wandten. Kostbare Geschenke wurden ihr überreicht, Gobelins
mit der Darstellung des trojanischen Krieges, die Gabe des Herzogs
von UrUno, err e gten allgemeine Bewunderung. Bis zum Schlufi
des Karnevals währten die Feste und Feierlichkeiten, und Isabella
war wohl, trotz ihrer Jugend, froh, als sie sich ruhig in ihrer neuen
Hauptstadt umschauen konnte.
Beatrices und Isabellas Trauungen sollten am gleichen Tage
stattfinden, aber Sforza schob die Zeremonie imter verschiedenen
Vorwänden hinaus. Er entschuldigte sein Zögern, weil er angeblich
auf den venezianischen Senat, der gegen diese für die Republik ge-
fUurliche Vereinigung der Häuser Este und Sforza war, Rüdesicht
nehmen müsse. Der Hauptgrund war sdn Verhältnis zur schönen
Cedlia Galleram; mit allen Mitteln suchte sie die Heirat ihres
90 FÜNFTES KAPITEL
Geliebten ZU Terhindem. Fast schienen die Beziehungen su den Este
endgültig abgebrochen« Schliefilich besann sich Moro, und im August
des Jahres 1490 schickte er Francesco da Casate nach Ferrara mit
großartigen Geschenken für seine Verlobte, er brachte ein Hals-
band mit aus großen Perlen und stilisierten Blumen von meister-
hafter Arbeit, sowie Ohrringe aus Rubinen» Perlen und Smaragden«
Die Trauung wurde auf den x6. Januar 1491 im Kastell zu Pavia
festgesetzt. Unmittelbar vor Beatrices Abreise aus dem Eltern-
hause kam auf Moros Veranlassung ein junger Bildhauer, Christo-
f oro Romano, nach Ferrara, um ihre Büste in Marmor zu fertigen«
Romano war ein ebenso begabter Künstler als geschidcter Hof-
mann, der Günstling Moros, auch in Mantua und Urbino war er
wohl gelitten. Der Kardinal Ascanio Sforza hatte ihn in Rom kennen
gelernt und nach Mailand empfohlen. Beatrices Büste, die damals
entstand, befindet sich heute im Louvre, das Werk, das Qualitäten
hat, galt früher als Arbeit Leonardo da Vincis.
Auch Beatrice war nicht schön so wenig wie Isabella, da
sie aber lebhaft und gut gewachsen war, gefiel sie überall. Sie war
eine passionierte Jftgerin und Reiterin. Stolz tmd ehrgeizig, litt
sie keine Nebenbuhlerin neben sich; so entstand auch ihre Eifer-
sucht, zu der sie nur Grund genug hatte.
Die Jahreszeit war für den Hochzeitszug nicht günstig. Der
Winter des Jahres 1490/91 war ungewöhnlich streng, Weih-
nachten lag der Schnee drei Fuß hoch in Ferraras Straßen. Der
Po war fest gefroren, das Eis begann erst Ende Februar aufzutauen,
so daß der Hochzeitszug den Landweg nach Pavia einschlagen
mußte. Die Braut begleiteten die Mutter, Messer Sigismondo, der
Kardinal Ippolito und ihr Bruder Alfonso. Moro hatte Vorkehrungen
getroffen, damit die ferraresischen Gäste unterwegs gutes Quartier
und Essen und Trinken vorfänden. Am 29. Dezember kamen sie
nach Mailand, von dort aus ging es erst nach Pavia« Infolge der
schlechten Wege fuhren die Frauen im Wagen nach Bresoello,
während die Männer es zu Pferde erreichten; dort war der Po
schiffbar. Die Hochzeitsgesellschaft bestieg das Schiff; in Piaoenza
machte man eine kurze Rast, und erst am nächsten Tage, um vier
Uhr nachmittags, erreichte man Pavia. Lodovico hatte einen anderen
BRCOLB L 9t
Weg am Tidno entlang gewählt und traf seine Braut erst in PJacenaa.
Die Strecke von Mailand nach Pavia, die heute in kaum einer Stunde
zurückgelegt wird, erforderte damals fast drei Tage.
Die Trauung wurde mit grofiem Pomp in Pavia am 17* Januar
1491 begangen; am 22. begab sich die ganze Gesellschaft nach
Mailand zur Hochzeit von Alf onso d* Bste und Anna Sforza« Alfonso,
der im Palazzo Schifanoja am 2Z. Juni 1471 geboren war» war
damals 14 Jahre alt, aber schon ein Jahr nach seiner Geburt war
seine Heirat mit der mailändischen^erzogstochter eine beschlossene
Sache. In Perrara war der Ehekontrakt ratifiziert worden» im
Beisein des iOndes» das Manuele Bollaia während dieser Zeremonie
auf den Armen trug.
Anna Sf orzas Ankunft in Perrara war der AnlaB prächtiger Peste.
Schon der Einzug der Gattin des Thronerben gestaltete sich sehr
groBartig. Ercole erwartete sie mit zahlreichem Gefolge am Ufer
des Po. Die Herzogin kam im Buoentaur; in den gefrorenen FluB
hatte man einen Kanal gehauen» um der jungen Prau die Stri^Mzen
zu ersparen» die Eleonora und Beatrice kürzlich zu überstehen
hatten. Am X2. Pebruar zog Anna zu Pferde unter dem Baldadun
in die Stadt ein» vier Tctumphbdgen» nach Zeichnungen des Archi-
tekten Biagio Rosetti» waren zu ihrem Empfange errichtet worden.
Auf dem Triumphbogen in der Nähe des Palazzo Schifanoja stand
Apoll auf einem von stattlichen Pferden gezogenen Wagen. Eine
erlauchte Versammlung erwartete sie in Perrara; Gesandte aus
Plorenz» Lucca und Neapel waren erschienen» um das junge Paar
zu beglückwünschen. Die venezianischen Gesandten hatten ein
Gefolge Ton fünfzig Berittenen; die gesamte Ritterschaft des ferrare«
sischen Landes war in die Hauptstadt gekommen» so daB die Hof-
küche während der Hochzeitstage fünfundvierzigtausend hundert
und elf Pfund Fleisch verbraucht hat.
Die Herzogin-Mutter empfing die Schwiegertochter vor dem
SdüoBportal und geleitete sie in die für sie bestimmten Gemächer.
Am nächsten Morgen hielt der f erraresische Bischof den Gottesdienst
in der Schlofikapelle ab» und am Abend gab Ercole zu Ehren Anna
Sforzas einen groBen Ball» darauf folgte die Aufführung von Plautus*
,,Menaechmi'' in italienischer Bearbeitung. Die Dekorationen zur
92 FÜNFTES KAPITEL
Komödie hatte Nicoletto del Cogo geoialt, ab Sohn des Hof-
koches trug er diesen Spitznamen. An den beiden folgenden Abenden
wurden wieder zwei KomMien Yon Plautus aufgeführt» in den
Zwischenakten führte man Moreaken auf, die mit dem Inhalt der
Stücke in gar keinem Zusammenhang standen. In einer der Moresken
stürzten beim Klang idyllisdier Musik etwa zehn junge Leute
tanzend mit Efeuzweigen in den Hftnden auf die Bühne, sie ver-
schlangen die Girlanden zu einer Art Altan. Dann erschien Apoll
im Gefolge der Musen, er griff in die Saiten seiner Leier und sang
eine Ode zu Bhren des jungen Paares, des estensischen Hauses und
der versammelten Gäste. Als er Ercoles Tugenden und Verdienste
pries, entzog sich der Fürst durch eine leichte Handbewegimg
gewissermaBen den ihm gespendeten Schmeichelreden. Ein anderes
„Intermezzo'' war eine lindliche Szene mit Ballett: verkleidete
Bauern stellten tanzend dar das Bestellen der Felder, Aussaat
und Ernte. Mythologische Szenen mit Chören antiker Götter
fehlten nicht. Juno, Venus, Apoll, Bacchus imd sdn Gefolge sangen
zum Klang der Musik. Damit war die Reihe der Moresken noch
lange nicht erschöpft, doch wäre ein weiteres Aufzählen nur ermüdend.
Anna Sforza hatte eine grofie Zahl von Kleinodien imd kost-
baren Geräten mitgebracht, vergoldete und bemalte Truhen,
Sdiatullen aus Elfenbein und Zypressenholz. Das Verhältnis
schien ein gutes zu wenlen, aber Anna war leidend, und Don Alf onso
zu jung, zu sehr auf neue Liebesgenüsse bedacht und zu zügellos,
um ein ruhiges Leben führen zu können. So blieb das Glück aus,
besonders da Anna kinderlos war; 1497 starb sie nach sechs-
jähriger Ehe. An peinlichen Vorfällen war ihre Ehe reich genug;
einige Monate vor ihrem Tode verzeichnet der bekannte venezianische
Chronist M. Sanuto einen kecken Jugendstreich Don Alfonsos:
fast nackt habe er mit den Gefährten seiner Ausscfav^eifungen
Ferraras Strafien durchzogen. In seinem Ausgabebuch sind überdies
sorgsam die Posten gebucht „per Venere lasdva'S und in seinem
„Studio'' hingen von Cosimo Tura gemalte lüsterne Bilder nackter
Weiber. Er unterschied sich übrigens in seinen Lebensgewohn-
heiten durchaus nicht von den übrigen gekrönten Häuptern, deren
Dasein an Ausschweifungen reich war.
BRCOLE I.
93
Zwei Jahre nach Alfotisos und Anna Sforzas Hochzeit starb
Eleonora von Aragon 1493. Infolge ihres plötzlichen Todes ent-
standen unwahrscheinliche Gerüchte: ihr Gatte habe sie ver-
giften lassen, da sie sich seiner auf ähnliche Weise hätte entledigen
wollen. Vefgiftungen waren bei Pürstengeschlechtem damals
etwas so Alltägliches, däS das Volk fast bei jedem plötzlichen Todes-
fall ein Verbrechen gewittert hat. Die Geschichte des f erraresischen
Hofes bietet aber nicht den mindesten Anlaß, um an Eleonoras
gewaltsamen Tod zu glauben; im Gegenteil, die Fürstin lebte in
einer nach damaligen Begriffen besonders glücklichen Ehe und
war allgemein geachtet. Von allen Dichtem wurden ihre Tugenden
besungen, und unter den Elaboraten der Hofpoeten zu Ehren der
Verstorbenen gebührt Tito Strozzis Gedicht das größte Interesse,
denn ehrliche Trauer um die Herzogin spricht daraus.
IV
Ercole war zwar nicht so gebfldet wie Lionello, aber die litera-
rische Bewegung interessierte ihn bedeutend mehr als Borso, der
nur auf seine Titel, Pferde und Jagden bedacht war. Schon seine
leidenschaftliche Vorliebe für Musik und Theater und sein Be-
streben, in Perrara eine erstklassige Bühne zu schaffen, schlug
Brücken zur Literatur. Selbst als er alt und krank war, ließ er sich
von Vincenzo aus üodena, einem damals berühmten Musiker, auf
dem Klavier vorspielen. Mehr noch als Ercole interessierte sich
Eleonora für Literatur, außerdem entsprach es den Traditionen
ihres Geschlechtes, Dichter und Künstler an den Pürstenhof zu
ziehen. Unter Ercoles imd Eleonoras Herrschaft war der ferrare-
sische Hof ein Mittelpunkt für Italiens literarisches Leben und von
größtem Einfluß auf die Entwicklung der Ideen der Hochrenaissance.
Eine ganze Reihe interessanter Persönlichkeiten war in Perrara
zu finden. So Tito Vespasiano Strozzi (1422 — 1505), dem wir
bereits als Jüngling in Lionellos Umgebung begegnet sind. Auch
Borso liebte imd schätzte ihn sehr und suchte ihn bei jeder Ge-
legenheit auszuzeichnen. Er hat ihm Domiceila zur Prau gegeben.
94 FÜNFTES KAPITEL
die vermögende Tochter des Grafen Guido Rangone» des General-
kapitäns seiner Armee, 1470 verlieh er ihm einen goldenen Ritter-
degen und nahm ihn ein Jahr später nach Rom mit» dort hat das
Kardinalkollegium Strozzi mit dem Dichterlorbeer gekrönt, um
die Gunst des neuen Herzogs zu gewinnen. Wie die übrigen Ty-
rannen der Renaissance suchten auch die Este Emigranten an sich
zu fesseln, da sie ihnen» aus Dankbarkeit für die gewährte Zufluchts-
stätte, treuer dienten als die angesessenen Geschlechter. Die Strozzi
waren besonders begabt, so waren im Jahre 1422 allein drei Mit-
glieder dieser Familie als Gesandte verschiedener Fürsten bei der
Signoria in Venedig tätig: Palla Strozzi als Vertreter der Floren-
tiner Republik, Uberto hatte der Blarkgraf von Mantua und
Giovanni, Vespasians Vater, der Markgraf von Ferrara entsandt.
Gemeinsame Jugenderinnerungen bestanden zwischen Titus,
Borso und Ercole. Sie waren sämtlich Guarinos Schüler, Titus
war um neun Jahre älter als Ercole, und sie hatten tolle Jugend-
streiche begangen. In einem seiner Gedichte wendet sich Strozzi
an den Herzog:
Cujus ego tecum viridi nutritus in aevo.
Ercole hat wie Borso Strozzi sehr geschätzt und ihn auch
im Staatsdienst beschäftigt. So gehörte Titus dem Gefolge an,
das X473 Eleonore aus Neapel abholte, später wurde er Gouverneur
von Rovigo und der Provinz Polesine und stand im Krieg mit
Venedig auf bedeutendem Posten. Er war auch Gesandter bei In-
nocenz VIII. und gegen Ende seines Lebens, als Sechsundsiebzig-
jähriger, Vorsitzender der Savi. Abgesehen von Jugenderinnerungen
verbanden auch gemeinsame Passionen Titus mit Borso und Ercole.
Er war wie die beiden Herzöge ein leidenschaftlicher Jäger. Die
Wälder neben Racano, wo sich Titus häufig im Sonuner aufhielt,
waren reich an Hirschen, Wildschweinen und Hasen. Seine Jagd-
hunde, die er aus Thrakien kommen ließ, waren um ihrer Ge-
schicklichkeit willen bekannt, imd Falken und Habichte ver-
stand er selbst vortrefflich abzurichten. Bagarino, den einen Falken,
liefi er von Cosimo Tura malen und besang den Lieblingsvogel
in lateinischen Versen. Titus hatte eine Vorliebe für das Landleben;
auBer Racaao besaB er noch drei Villen auf dem Lande, Borsohatte ihm
zwei davon geschenkt. In der Villa Quartisano befand sich seine
Bibliothek« Titus Sohn, Ercole, der auch dichtete, schildert in einem
lateinischen Gedicht das Landleben des Vaters, wie er für Pferde
und Ochsen sorgen in der Wirtschaft nach dem Rechten sehe und
dabei eifrigst dichte imd studiere«
Sub lucemque toro exurgit dumque aspera mollit
Pectora, nunc libros versat, nunc carmina condit,
Nee sinit in cessum labi irrevocabile tempus.
Htus gehört zu den bekanntesten lateinischen Dichtem seiner
Zeit, h&tte er italienisch geschrieben, so stünde er an erster Stelle
unter den Renaissancedichtem« Seine Sprache ist weniger rein
ab die Pontanos und Polizians, die das Lateinische wie eine lebende
Sprache beherrschten. Höfisches Wesen imd das fremde Idiom
haben sein Talent erstickt« Es fehlt ihm weder an starkem Natur-
sinn, noch an Beobachtungsgabe, so schildert er die damaligen
Zustinde anschaulich, hat Schwung und Leidenschaft, was selbst
in den Epigrammen, die er als Achtzigjähriger an Lucrezia Borgia
richtet, durchbricht«
Nach Guarinos Tod stand er an der Spitze der Humanisten
in Ferrara; leidenschaftlich nahm er Partei gegen das Italienische
als Schriftsprache, selbst seine Liebesgeschichten wurden nur in
lateinischen Versen besungen. Er hat in der Hauptsache Uebeslieder
verfaßt, aber sie sollten den Beifall ihm verwandter Humanisten
finden und waren nicht für die Frauen bestimmt, die er geliebt hat
Kein leidenschaftlicher Erguß heißer Empfindungen, eher ein
Kokettieren mit der Liebe«
Auf einem Wettrennen in Ferrara, im Frühling des Jahres
1441, lernte er, als Neunsehn jAhriger, ein reizendes lUldchen mit
goldblondem Haar kennen, das er Anthia nannte« An sie richtet
er einen Zyklus von Elegien, die unter dem Titel „Erotica'' er-
schienen und zu seinen bekanntesten Werken gehören« Aber
seine eigenen Empfindungen in Worte zu fassen, hielt der Schüler
Gviarinos nicht mit seiner Würde vereinbar, so entlieh er einem
griechischen Roman des Kenophontes aus Bphesos Bilder und
96 FÜNFTES KAPITEL
Wendungen und gab selbst seiner Perrarestn» die wahrscheinlich
Maria oder Bettina hiefi» den Namen einer antiken Heldin. Bin
anderer, dem der Jüngling im Wege stand und der lAacht und Ein-
flufi hatte, scheint gleichfalls Anthia^Bettina geliebt zu haben;
so wurde der Yerliebte Latinist aufgefordert, Perrara zu verlassen.
Da Anthia nach Florenz tibersiedelt zu sein scheint, durfte Titus
nach geraumer Zeit wieder nach Perrara zurückkehren. Nur Elegien
waren die Prucht dieser Jünglingsliebe. Anthia scheint sich für
Strozzis Verse, die sie sicherlich nicht verstanden, nicht erkennt-
lich gezeigt zu haben. Über sehr sinnliche, ja lüsterne Abschnitte
hat das Lateinische seinen schützenden Mantel gebreitet. Diese
Gedichte erschienen spftter in einem Lucrezia Borgia gewidmeten
Bande. Strozzi durfte die Widmimg riskieren, ohne die Herzogin
zu verletzen, da auch sie so wenig wie Anthia die Gedichte zu lesen
imstande war.
Strozzi gehdrt zu jenen Höflingen, die stets bereit sind, Weih-
rauch abzubrennen. Mit Freuden ergriff er jede Gelegenheit, um
Lobesh3rmnen an den Herzog und die herzogliche Familie loszulassen.
Alfonsos Trauung mit Anna Sforza, Eleonoras Tod, Lucrezia
Borgias Einzug in Perrara, ja selbst der seltene Anblick des ge*
frorenen Pos (im Jahre 1443) begeisterten ihn zu Gedichten. Zu
Borsos BegrüBtmg schreibt er: Bei der Ankunft des Fürsten er«
hellt sich der Himmel, das Gewitter verzieht sich, und frisches
Crrün deckt die Erde. Brauchte man Gelegenheitsgedichte, so
wandte man sich an Strozzi, selbst wenn es sich darum handelte,
Aufschriften für die von den Herzögen errichteten Gebäude zu ver*
fassen, war er zur Hand. Selbstverständlich sind seine Schmeiche-
leien nicht frei von den seltsamsten Vergleichen und Bildern. Der
afrikanische Löwe in Borsos T1eri>ark folgt dem Beispiel seines
Herrn, er wirft sich nicht auf schwächere Geschöpfe, wie Hunde
oder Hasen, sondern mifit seine Kraft mit Büffel, Bär und Wild-
schwein. Leider hat der Löwe sehr bald die Behauptungen des
Dichters Lügen gestraft, indem er das Töchterchen des Park-
wächters, das ihm Fütter brachte, zerrifi. Um Ercole zu ehren, gab
Titus seinem ältesten Sohne den gleichen Namen, doch werden wir
noch sehen, däS die herzogliche Familie ihm diese Schmeichelei
ERCOLE L 97
ebenso Tergalt, wie der Löwe dem Töchterchen des Parkwächters
das Futter«
Titus heiratete erst als Fünfundvierzigjähriger, er hatte also
Zeit genug, um eine SEweite Blondine zu besingen, der er den klas-
sischen Namen Phylloroö beilegte. Strozzi hat diese Frau sehr
geliebt, sie hat in einer Villa am Po gewohnt, die er gleichfalls
besang. Nach seiner Schilderung war es ein altes, efeuumranktes
Häuschen, mit verblichenen, halb vom Regen verwaschenen
Heilsgenfresken. Es verbarg sich hinter Bäiunen, daneben stand
eine verfallene Kapelle, imd in der Nähe pflügte der Kaplan seine
dürftigen Felder mit geliehenen Pferden^ Phylloro& Tage waren
gezählt, sie fiel einer Seuche zum Opfer, und der Dichter hat ihren
Tod bitter beklagt.
AuBer diesen Liebesliedem begann Titus ein Gedicht zu Ehren
Borsos, doch blieb es imvoUendet, da er nach dem Tode dieses
Beschützers schleunigst ein Gedicht auf seinen Nachfolger machte«
Erst im späteren Alter bekleidete Titus öffentliche Ämter. Als
Statthalter von Polesina holte er sich ein hartnäckiges Fieber; da alle
Mittel vergebens waren, diktierte er seinem Diener ein demütiges
Gedicht an den heiligen Bellino, den Schutzpatron der Diözese
S und bat ihn flehentlich, ihn von dieser schweren
zu befreien. Nach seiner Genesung stiftete er aus Dank-
barkeit eine Gedenktafel auf dem Grabe des heiligen Bischofs.
In den schwersten Zeiten, im Jahre 1497, war er Vorsitzender der
Savi, während venezianische Söldner das ferraresische Land ver-
wüsteten, wiederholte Erdbeben die Bevölkerung an Schrecken
versetzten tmd eine Seuche furchtbare Verheerungen anrichtete.
Kaum war das Unglück abgewandt, so verschwendete der Herzag
trotz des herrschenden Elendes ein Vermögen für luxuriöse Ge-
bäude, glänzende Feste und Jagden. In sozialer Beziehung geschah
gar nichts, um die Wunden, die der Krieg dem Lande geschlagen,
zu heilen, da der alternde Herzog sich auf die Vorsehimg verließ
und nur Andachten für das Wohlergehen des Volkes anordnete.
Im Jahre 1500, als man einen Überfall der Türken befürchtete, liefi
er täglich Prozessionen veranstalten und für das Abwenden der
drohenden Gefahr beten, anstatt die Mündung des Po zu befestigen.
7
98 FÜNFTES KAPITEL
Da die Bevölkerung infolge der schweren Abgaben und der
konstanten Durchmärsche des französischen Heeres zu erschöpft
war, um neue Lasten tragen zu können, wandte sich der HaB gegen
die Regierung. Strozzi, der als höchster Beamter mehr das Interesse
des Herzogs und des Hofes als des gesamten Landes im Auge hatte,
wurde zur bestgehaßten Persönlichkeit. Man nannte ihn den
„Menschenfresser'^ und es hieB, daB Messer Tito schlimmer sei
als selbst der Teufel, „i peggio voluto dal Popolo, che non i il
Diavolo^'« Vielleicht trug zu diesem HaB der Glaube bei, Titus
habe den Herzog zur Gründung eines neuen Stadtteils „Terra
nuova^', „Addizione Ercblea", der unerhörte Summen verschlang,
veranlaßt.
Titus hat den Herzog überredet, seinen noch jungen Sohn
Ercole 1498 zum richterlichen Beirat der dodid savi zu ernennen,
sehr bald sogar zum Vertreter des Vaters. Die Bevölkerung von
Perrara nahm an diesem Protektionswesen AnstoB, auf diese Weise
wurde das wichtigste Amt im Reiche beinahe erblich.
Titus überlebte Ercole L und starb ein halbes Jahr nach dem
Herzog, am 30. August 1505, an einer pestilenzartigen Seuche.
Noch am 20. Januar des gleichen Jahres war er von seiner Besitzung
Rocano nach Perrara gekommen, um seine Amtspflichten zu er*
füllen; er fehlte bei Ercoles Sterbelager nicht, ernannte Alfonso
zum rechtmäBigen Nachfolger und belehnte ihn mit dem Herzogs-
stab und Schwert.
Wir besitzen kein Porträt von Titus; in der Brera zu Mailand
hat sich nur eine Medaille erhalten mit der Aufschrift „Titus
Strozzius''. Sie zeigt die harten und gewöhnlichen Züge eines
kräftigen Mannes.
Am estensischen Hofe gehörte Strozzi zu den Literaten „in
floribus'', wahrscheinlich aber gab es mehr Dichter „in herbis^',
die sich mit einem viel kümmerlicheren, häufig sogar traurigen
Schicksal bescheiden muBten. Darunter wäre zu nennen Pandolfo*
CoUenuccio (1449 — 1504), der sich an den verschiedensten Höfen
herumtrieb: in Bologna, Pesaro, Florenz und am längsten in Perrara..
Für Ercole L übersetzte er „Amphitryon'S der 1487 in Perrara
aufgeführt wurde, ihm widmete er auch seine berühmte Verteidigung;
ERCOLE I.
99
des Plinius gegen die brutalen Angriffe Niccolo Leonicenos, des^
Lektors für Ifathematik und Philosophie in Perrara. Der Herzog
schickte ihn als Gesandten zu Ifaadmilian und zum Papst Alexan-
der. VI. Auch andere italienische Pursten vertrauten ihm als einem
gewandten Mann diplomatische Missionen an, aber der hagere
Poet führte diese Unterhandlungen nicht immer zu einem günstigen
Ende. X488 liefi ihn Sforza wegen irgendeines politischen Ver-
gehens für fünfzehn Monate ins Gefängnis werfen und dann des
Landes verweisen. 1504 gestattete ihm der Tyrann zwar nach
Pesaro zurückzukehren, aber nur um ihn aufs neue gefangen zu
nehmen und wegen seiner Sympathie für den Fürsten Valentino
zu ermorden.
Collenucdo hat verschiedenes veröffentlicht, unter anderem
ein religiöses Stück „Commedia de- Jacob et de Joseph'', sowie ein
histmsches Buch „Compendio deUa storia del regno di Napoli".
Aber sein bestes Werk ist die „Canzone alla morte''* Der Schmerz
eines Menschen, der von Hof zu Hof wandert, nirgends Ruhe findet
und im Tod den alleinigen Ausweg des ihm drohenden Schicksals
sieht, ist ergreifend zum Ausdruck gebracht. Viel poetische Kraft,
viel echter Schmerz spricht aus diesem Gedicht; nicht in der Ver-
derbtheit der Gesellschaft sieht der Dichter den Grund seines Kummers^
sondern in der Natur, die den Menschen geschaffen, um ihn zu quälen
von der Wiege bis zum Grabe.
Questa acerba matrigna
Natura, in tanti mal questo sol bene
Pose per pace, libertade e porto:
A' piü savi diporto.
Che '1 fine attendon delle mortal pene.
le sehr charakteristische Persönlichkeit, die dem Hofe
rcoles L sein eigentliches Gepräge verlieh, war der
Kardinal Ippolito d'Este, ein Renaissance- Kirchenfürst in der
7*
lOO FÜNFTES KAPITEX.
▼oUen Bedeutung dieses Wortes, umgeben von einem zahl-
reichen Gefolge von Höflingen und Gelehrten« Zu seinem lite-
rarischen „Hofgesinde'' hat eine Z^t hindurch auch Ariost gehört.
Als dritter Sohn Ercoles und Eleonoras yon Aragon war
Ippolito am 20. Februar 1479 geboren. Der Vater hatte ihn von
früh auf zum Kardinal, wenn nicht zum Pi^t bestimmt. Schon
der siebenjährige Knabe erhielt die Tonsur und das geistliche Ge-
wand in Ferrara; kaum ein Jahr nach dieser Zeremonie ward das
Kind zum Erzbischof von Gran und Primas von Ungarn ernannt.
Seine Tante, Beatrice von Aragon, war die Gemahlin des imgarischen
Königs Matthias Corvinus, daher diese Protektion, Innozenz VIII.
machte zwar erst seine Einwände gegen diese in der Kirchen-
geschichte unerhörte ^nennung, aber trotz alledem bestätigte er
sie ein Jahr darauf imter der Bedingung, daß die Weihen erst später
vollzogen werden sollten« So ging der achtjährige Ippolito nadb
Ungarn, begleitet von einem Gefolge von hundertfün&ng Höflingen
und Rittern; in seinem Reisesack befand sich Vergils Aneis, und
es fehlten ihm, als einem echten Este, auch Plautus' Komödien
nicht.
Sieben Jahre blieb der junge Kirchenfürst in Ungarn, und
während die älteren Geistlichen die kirchlichen Pflichten für ihn
erfüllten, jagte er Wildschwein imd Hirsch und las in seinen freien
Stimden Vergil und Ritterromane. Das hinderte ihn jedoch nicht,
die Stufenleiter der römischen Hierarchie schnell zu erklimmen,
schon 1493 ernannte der Papst Alexander VI. den Vierzehnjähr^;en
ziun Kardinal.
Das Erzbistum in Gran warf freilich dreißigtausend Dukaten
jährlich ab, aber der Unterhalt der bischöflichen Miliz verschlang
die Hälfte dieser Summe, außerdem mußte Ippolito als Primas
von Ungarn im adoptierten Vaterlande residieren. Dazu schien
er keine Lust zu haben, er sehnte sich nach dem heimatlichen
Italien. Freudig tauschte er daher das ungarische Erzbistum
gegen die gleiche Würde in Mailand ein, die nur fünftausend
Dukaten abwarf. Lodovico Moro hat ihn damit belehnt. 1496 kam
er nach Italien zurück imd blieb nur noch Titularbischof von
Gran. Sein ganzes Leben war er Sforza dankbar, daß er ihm
ERCOLE h XOI
die Rüdekehr in die Heimat ermöglicht hatte, wie das Ariost in
seinem Roland bezeugt:
• • • Ora in pace a consiglio con lui siede,
Or armato con lui spiega i colubri,
E sempre par d' ima medesima fede,
O ne'felid tempi o nei lugubri:
Nella fuga lo seque, lo conforta
NeU' afflizion gli h nel periglio scorta«
(XLVL 94)
Mach Corvinus Tode mußte Beatrice von Aragon Ungarn ver-
lassen, sie kam nach Perrara, und Ippolito begleitete seine Tante
und Protektorin nach Neapel. Diese frühzeitige Gewöhnung an
hohe Würden und die Sorge um öffentliche Angelegenheiten war
auf Ippolito von großem Einfluß, ihm eignete sehr bald die Würde
seines Standes; an Ercoles Regierungsangelegenheiten nahm er
beratend teil, und der Herzog bediente sich seiner wiederholt bei
diplomatisdien Missionen« Er stand an der Spitze der Gesandt-
sdiaft, die nach Rom ging, um Lucrezia Borgia abzuholen, und
übergab ihr kostbare Geschenke im Namen seines Bruders. Alez-
ander VI. zeigte sich ihm für diese Liebenswürdigkeit und Mühe
ericenntlidi, schenkte ihm einen Palast in Rom und übertrug
ihm audi das Erzbistum von Capua. Unter Julius II., dem
eingefleischten Gegner der Este, war seine Stellimg als Kardinal
sehr schwierig, deshalb ging er zeitweilig nach Ungarn zurüdk.
Er wollte Ariost mitnehmen, doch der Dichter konnte sich,
wie wir noch sehen werden, nicht entschließen, ihn zu be-
gleiten. Im Jahre 15x8 kam der Kardinal aus Ungarn zu
Bonas Trauung nach Krakau, an der Spitze eines großartigen
Gefolges von Klerikern und Höflingen mit insgesamt dreihundert-
siebenundsedizig Pferden. Er kam als päpstlicher Gesandter
nadi Polen und überbrachte dem König Sigismund Leos X. Wünsche
in Form eines Breve« Infolge von Mißverständnissen wegen des
Zeremoniells, die sich zwischen ihm und Prosper Colonna, Bonas
Vormund und Hofmeister, auf der Reise ergeben hatten, nahm er
an den Krönimgsfeierlichkeiten nicht teil und kehrte ziemlich ver-
SOa FÜNFTES KAPITEL
stimmt nach zweiwöchentlichem Aufenthalt in Krakau nadi
Ungarn zurück.
Nach Castigliones Berichten hat der Kardinal zu den an-
ziehendsten Persönlichkeiten seiner Zeit gehört. Benehmen, Sprache,
Gebärden waren edel; trotz seiner Jugend machte er einen so ernsten
Eindruck, daB er selbst unter den ältesten Kirchenfürsten auffiel«
Im Verkehr mit Männern imd Frauen jedes Standes hatte er so vki
Einnehmendes, daB jeder, der mit ihm in Berührung kam, seinem
Zauber erlag. Es gebrach ihm weder an Umsicht, noch an Mut,
und in allen geschäftlichen Dingen bekimdete er eine ungewöhnliche
Geschicklichkeit. Wie alle Este war auch Ippolito ein groBer Musik-
freund; er spielte Violine, imd an seinem Hofe hielten sich immer
die bekanntesten Künstler auf. Auch Literaten scharten sich um
ihn, vielleicht berief er sie mehr, um den Glanz seines Hauses zu
steigern, als aus persönlichem Interesse an Literatur, wenigstens
drängt sich dieser SchluB auf auf Grund seiner Beziehungoi zu
Ariost, von denen noch die Rede sein wird. Er galt als sehr gebildet,
und daB er gerne las, beweisen die vielen Bücher, die er auf Reisen
mit sich zu führen pflegte.
Dies waren die Vorzüge des geschickten Kardinals, aber er
hatte auch Fehler genug. Er war gewalttätig, hochmütig, rach-
süchtig — so lieB er den päpstlichen Gesandten in Ferrara wegen
irgendeiner ihm zugefügten Beleidigung durchprügein, dann floh
er aus Angst vor seinem Vater nach Mantua zu seinem Schwager
Francesco Gonzaga. Trotzdem die ihm übertragenen Bistümer
tmd Abteien eine jährliche Einnahme von über 47000 Talern ab-
warfen, kümmerte er sich um kirchliche Dinge gar nicht. Da er
nicht aus eigenem Willen Geistlicher gewordeni führte er ein voll-
kommen weltliches Leben, und seine Liebeshändel waren be-
rühmt. So sein Roman mit Sanzia, Joffro Borgias Frau; man
erzählte sich von seiner Schwäche für Veronika, eine einfache
Frau aus Bresda; in Ferrara war Dalila Putti eine seiner zahlreichen
Geliebten. Seine natürliche Tochter, Elisabetta, verheiratete er
mit Giberto Pio und gab ihr eine Mitgift von zo 000 Gulden.
Der Kardinal starb in Ferrara im Jahre 1520 imd wurde im
dortigen Dome beigesetzt.
ERCOLE !• XO3
VI
Je älter Ercole L wurde, desto mehr trat sein Hang zur Fröm-
migkeit zutage» häufig unternahm er Wallfahrten und schickte
Ezvota an heilige Stätten: nach Loreto, an San Niccolo in Bari, an
Santa Maria dell' isola di Eremiti, ja er wollte sogar zu San Gia^
como* di Galizia pilgern, doch der Papst war gegen diese Reise.
In dem neuen Stadtteil lieB er mehrere Kirchen erdichten, sehr
ztmi Schaden der Kunst, denn die Fonds wurden für Gebäude zer-
splittert, die in den meisten Fällen weder künstlerisch ausge«-
schmückt, noch selbst zu Ende geführt werden konnten. Dem
Vorbild des Herzogs folgten die privaten Stifter, sie bauten kleine,
imansehnliche, schlecht fundierte Kirchen, die später der armen
Bevölkerung nur zur Last fielen. Die Zahl der Klöster stieg fort-
während, und auch daraus erwuchsen der Bevölkerung neue Lasten«
Das relativ kleine Ferrara hatte über hundert Kirchen, zu ver-
schiedenen gehörten Klöster. Soviel Mönche zu ernähren war die
Bevölkerung nicht imstande; Neid und Mißgunst zwischen den ver-
schiedenen Orden einerseits, zwischen den Mönchen und den welt-
lichen Klerikern andererseits, sowie der Kampf um das tägliche
Brot schädigte das Ansehen der Geistlichkeit und tat der Reli-
giosität Abbruch.
Bis zu welchem Grade Ercoles Wünsche in dieser Beziehung
sich verstiegen hatten, beweisen seine amüsanten Bemühungen
um die Dominikanerin, die Schwester Lucia da Narni, die, da sie
in ihrer Ehe unglücklich war, Nonne geworden und um ihrer Fröm-
migkeit willen berühmt war. Wie Katharina von Siena sollte audi
sie seit ihrem zwanzigsten Jahre Stigmata auf ihren Händen haben,
die jeden Donnerstag bluteten. Die Nonne lebte in einem Kloster
zu Viterbo, imd Ercole neidete dem Städtchen den Besitz dieser
heiligen Frau« AuBerdem nahm er in seinem Aberglauben an,
Ludas Anwesenheit in Ferrara würde dem Lande und seiner
Familie Segen bringen, Ludas Mutter, Gentilina, und ihr Onkel
Antonio Mei, die in Narni lebten, wurden vom Herzog gewonnen»
und der Nonne versprach er ein eigenes Kloster in Ferrara zu er-
richten, wenn sie hinzidcommen sich entschlösse. Lucia hatte grofie
104 FÜNFTES KAPITEL
Lust, nach Ferrara zu kommen, aber Viterbos gesamte Bevölkerung
war dagegen aus Furcht, die Abreise der Nonne könne der Stadt
Unglüdc' bringen. Antonio Mei, der die Intrige leitete, überzeugte
sich bald, daB er Luda gutwillig nicht aus Viterbo frei bekäme, daher
beschloB er, sie heimlich zu entführen. Die Nonne war im Komplott,
er kam als Abgesandter aus Nami zu ihr, mit einem Brief,
Gentilina liege im Sterben imd wünsche ihre Tochter noch dnmal
▼or dem Tode zu sehen. Um Mittemacht war er im Kloster, um
die Flucht mit Lucia zu besprechen; unglücklicherweise belauschte
eine zweite Nonne die Unterredung imd alarmierte sofort die städtische
Obrigkeit. Die Signori führten Antonio als Gefangenen aufs Rat-
haus, und der arme Teufel hatte Mühe genug, um wieder frei-
zukommen. Der geschickte Onkel hatte unterdessen Lucias
Beichtvater gewonnen, er vertraute ihm seine Pläne an, und der
Nonne wurde empfohlen, wie bisher zum Gottesdienst nach S. Maria
della Quercia zu gehen, einem Kirchlein außerhalb der Mauern der
Stadt. An Ercole schrieb er, ihm nach Nami vierundzwanzig
berittene Bogenschützen und ein ruhiges Pferd für die Nonne zu
schicken. Diesen Brief brachte Giannino, der Diener des Herzogs,
der von Anfang an im Geheimnis war, nach Ferrara. Brcole erfüllte
Antonios Wünsche und am Stephanstage des Jahres 1498 brach
unter Alezander da Fioranos Leitung eine kleine Schar von Arm-
hrustschützen aus Modena auf ; sie erreichten Orte, sollten von dort
aus nachts bis in die Nähe ^terbos gehen und im Walde versteckt
bis um zwei Uhr nach Mittemacht warten. Fiorano hielt sich an
seine Vorschriften; von Orte aus schickte er in die Nähe von
S. Maria della Quercia vier tapfere Männer imd zwei Frauen zur Ge-
sellschaft für die Nonne, während er selbst an der Spitze der Arm-
hrustschützen in einer gewissen Entfemimg wartete. Aber der
Anschlag mißlang; die Boten fanden in der Nähe des Kirchleins
nur Lucias Beichtiger, der ihnen sagte, daB man im Magistrat Wind
von den Absichten der Nonne bekonunen haben müsse, da sie
nicht aus den lAauem der Stadt gelassen werde. Aber es sollte noch
schlimmer kommen: als ein Hirte die fremden Bewaffneten neben
S« Maria della Quercia sah, lief er in die Stadt, schlug Lärm und er-
schreckte die Bevölkerung in dem XAaSe, daß Sturm geläutet wurde.
ERCOLEI.
XOS
Die Einwohner» die um den beabsichtigten Anschlag der Ferra-
resen wußten und gerüstet waren, waren sofort zur Stelle, machten
einen Ausfall und zweihundert Berittene tungaben Fiorano und
seine Handvoll Leute. Nicht leicht war es dem Ferraresen, seinen
Angreifem klar zu machen, daß ihm jede böse Absicht fem sei,
er kehre aus Rom heim und einige seiner Soldaten imd zwei Frauen,
die zum Gefolge gehörten, hätten in S. lularia della Quercia beten
wollen. Zwar glaubten die Männer aus Viterbo kein Wort von alle*
dem, aber sie ließen Fiorano weiterziehen und dem Herzog melden,
daß, was ihm anscheinend gefalle, auch ihnen lieb wäre, deshalb
empfehlen sie ihm, seine phantastischen Pläne aufzugeben,' da sie
ihn anderenfalls als Feind der Stadt behandeln würden.
Da es auf diese Weise nicht geglüdct war, ging Fiorano nach
Rom, um mit Hufe des Kardinals von Este das Ziel zu erreichen,
das dem Herzog so sehr am Herzen lag. Der Kardinal wandte sich
an Monsignore Felino, den Sekretär Alezanders VI., der sich der
Sache warm annahm. Er veranlaßte den Papst zu einem Breve an
die Prioren der Stadt Viterbo, das ihnen die höchste Ungnade an-
drohte, wenn sie die Schwester Luda nicht nach Ferrara ziehen
ließen. Auch dem Prokurator der Dominikaner wurde von Alex-
ander VI. empfohlen, alle Hindemisse aus dem Wege zu räumen.
Dodi diese päpstlichen Befehle nützten nichts; die Bewohner er-
klärten kurz, daß sie die Nonne nicht herausgeben würden. Diese
Widersetzlichkeit ärgerte die Herren in Rom, und der Kardinal
d'Este veranlaßte den Papst, den Prioren von Viterbo mit dem
Bann zu drohen, wenn sie es wagen sollten, Lucia zurückzubehalten.
Aber mit der Bevölkerung einer abergläubischen Stadt läßt es sich
nicht so leicht verhandeln; einige der Prioren kamen nach Rom
und erklärten dem Kardinal, daß das Volk von Viterbo unter gar
keinen Umständen die Nonne herausgeben und mit Gewalt gegen
alle Maßnahmen vorgehen würde, um so mehr, da Luda selbst
in Viterbo bleiben wolle. So spitzte sich diese Angelegenheit immer
mehr zu, besonders da Ercole I. Brief auf Brief schrieb, daß sich der
Kardinal und der päpstliche Sekretär Felino Sandei der Sache an-
nehmen sollten, „sino alla desiderata expeditione". Brcole ward
tnmier verbissener; um den Papst zu seinen Gunsten zu stimmen,
I06 FÜNFTES KAPITEL
schickte er ihm den jährlichen Tribut aus Ferrara und befahl, das
Geld in Rom nicht zu sparen, da Fiorano sich beklagte, daß man
dort für alles zahlen müsse, „perchi ogni cosa val danari qua".
Fiorano brachte dem Papst den Tribut, Alexander empfing ihn sehr
liebenswürdig, freute sich des Geldes imd sagte: „Quantunque
tardi, sempre bene''.
Unterdessen beschloß Frate Timoteo aus Modena, den Herz(^
zu überraschen imd auf eigene Faust Luda aus Viterbo zu stehlen,
in der Annahme, daß ihr Beichtvater bei diesem Plane helfen
würde. Aber der Mönch verdarb in seinem Eifer alles, der Beicht-
vater wollte nichts mehr von diesem gefährlichen Unternehmen
wissen, und der neue Anschlag des Herzogs von Ferrara sprach
sich herum. Darum ließ auch Ercole mit Hilfe des ferraresischen
Inquisitors den Bruder Timoteus bei seiner Rückkehr ins Gefängnis
werfen, da er Schritte in seinem Namen imtemommen habe, zu
denen er nicht ermächtigt war.
Lucia aber wurde imgeduldig, es verlangte sie nach einer Ab-
wechslimg, imd so verließ sie zusammen mit vier befreimdeten
Nonnen das Kloster imd zog in die Stadt zu ihren Verwandten.
Sie erklärte, daß sie unter gar keinen Umständen in Viterbo bleiben
würde und lieber sterben wolle, als ins bisherige Kloster zurück-
kehren; der Mutter und dem Onkel empfahl sie, dem Herzog zu
versichern, daß sie in ihrem Entschluß, nach Ferrara zu kommen,
beharre, ja in einem sehr unorthographischen Briefe erklärte sie
Ercole, bis jetzt sei sie zwar gezwungen in Viterbo, aber ihr heißestes
Sehnen sei, dieses dunune Volk zu verlassen, „separarsi da questo
populo ignorante^'. Dagegen wurde im Rat beschlossen, die eigen-
sinnige Nonne eher zu töten als fortzulassen. Fiorano gab jedoch
in Rom die Hoffnung nicht auf, den Wunsch des Herzogs zu er-
füllen; es reizte die Prälaten, daß sie in Sachen der Kirche nicht
Festigkeit und Einfluß genug hätten, um sich ein elendes Weib zu
sichern, „ad avere una femminuccia". Doch wurde es dadurch nicht
besser; der Papst, des Kampfes um die Nonne müde, erklärte, das Volk
in Viterbo nicht mit Gewalt zvdngen zu wollen, sie herauszugeben«
Unverhofft gewann der Herzog in Viterbo selbst einen sehr
nützlichen und einflußreichen Bundesgenossen. Antonio, der dortige
ERCOL£ L Z07
Podesti liefi insgeheim Ercole erklären, er sei bereit, dahiil zu
wirken, daS Luda in absehbarer Zeit aus Viterbo freikäme, voraus-
gesetzt, daß er Podestä von Ferrara würde. Der vorsichtige Würden-
träger bat jedoch, daS Ercole ihm das Dekret seiner Ernennung
mit der entsprechenden Klausel im voraus schicke. Der Herzog
war bereit imd ließ ihm das gewünschte Papier übermitteln. Nun i
ging die Intrige rasch ihren Lauf. In einem Weinberg hatten ;
Lucia imd ihr Onkel aus Nami eine geheime Zusanmienkunft, es
wurde beschlossen, daß sie sich am 13. April bereit halten solle, um
aus der Stadt entführt zu werden. Die Verschwörung leitete der päpst- ,
liehe Sekretär, Felino Sandei, der nach Viterbo gekommen war,
um im Einverständnis mit dem Podestä die Vorkehrungen für Ludas
Flucht zu treffen. Es ging auch alles glatt vonstatten. Die Nonne
wurde unter Wäsche imd Gemüse in einem Korb versteckt. Der
kostbare Schatz wurde einer Mauleselin umgebunden und einem I
erkauften Führer anvertraut, der ihn in Nami im Hause von Ludas
Mutter ablieferte. Als der Herzog erfuhr, daß Luda in Nami sd,
schickte er eine bewaffnete Eskorte, tmd so kam sie endlich nach
Ferrara. Vielleicht war Frate Timoteo am glücklichsten über den
Ausgang, der Herzog setzte ihn in Freiheit imd als Entschädigung
für die erlittene Unbill bekam er ein Zeiignis, daß er sich im Ge-
fängnis so geführt, wie es sich für einen guten Kleriker schicke.
Luda wurde, wie ihr von Ercole versprochen, die Oberin des
neuen Klosters, sie ließ ihren Bdchtvater, Christopho da Viterbo,
nach Ferrara kommen, aber glücklich war sie in ihrer neuen Würde
nidit, sie sehnte sich sogar, wie wir noch sehen werden, ins alte
Kloster zurück.
Ercole genügte der mystische Glanz, der von Schwester Luda
über Ferrara ausging, nicht, ihn verlangte auch nach der berühmten
Schwester Colomba, die von der „Eucharistie lebte, die ihr ein Engel
vom Hinunel bringt'S auch diese „wunderbare'^ Frau gewann er
für Ferrara. Ercole beschäftigte sich namentlich damit, die geist-
lichen Orden zu vergrößem, und die erhaltenen Rechnungen zeigen,
weich stattliche Summen für diesen Zweck verausgabt wurden.
Beinahe täglich wurden aus der herzoglichen Speisekammer
große Posten von Lebensmitteln in die Klöster geschickt: Fisch,
X08 FÜNFTES KAPITEL
Gemüse, geräuchertes Fleisch, Käse, Konfekt und marinierte Sachen.
Während der Hochzeitsfeierlichkeiten von Alfonso und Anna Sforza
wandten sich die Frati di Santo Spirito an die herzogliche Ver-
waltimg, damit auch sie ihren Karneval feiern könnten, „ad cio
possiamo etiam nui fare lo nostro camevale'S
In schreiendem BCiß Verhältnis zu dieser Freigebigkeit den
Klöstern gegenüber stand die Rücksichtslosigkeit, mit der man
der wirklichen Not im Volk begegnete. Konnten die Abgaben nicht
entrichtet werden, so pfändete die herzogliche Kammer selbst
Bettstelle und Kissen. Am Tage von Isabellas Trauung lieB man um
der allgemeinen Freude willen einen armen Teufel frei, der wegen
rückständiger Abgaben eingesperrt war; auch das mit Besdilag
belegte Bett wurde ihm wiedergegeben, aber nach den Festen
mußte das Bett wieder ins fiskalische Magazin zurückwandern.
Die Geistlichkeit stand bei Ercole in einem gewissen aber-
gläubischen Ansehen, namentlich jene Menschen, von denen er
der Oberzeugung war, daß sie übernatürliche Gaben hätten und
mit prophetischem Geist begabt seien. Auch die zwischen ihm und
Savonarola herrschenden freundschaftlichen Beziehungen sind
auf diese Ehrfurcht zurückzuführen, obgleich der Jüngling seiner
Zeit das ferraresische Schloß mit Flüchen und den Worten ver-
lassen: „Heu fuge crudeles terras, fuge litus avarum.^' Damals,
X472, schrieb er seine berühmte Kanzone „De ruina mimdi", aus
der am deutlichsten seine Empörung über die Verderbnis der dortigen
Hofkreise spricht. „Glücklich, wer vom Raub lebt imd sich von
fremdem Blute nährt'' — dies sein Urteil über die Welt, die ihn umgab:
Felioe ormai chi vive di rapinal
E Chi dell' altrui sangue piü si pasce.
Angesichts dieser Erinnerungen, die der junge Savonarola aus
Ferrara mitbrachte, sind die herzlichen Beziehungen zwischen dem
allvermögenden Mönch in Florenz und Ercole um so überraschender.
Aber der Herzog von Ferrara brauchte Savonarolas politische
Unterstützimg wiederholt, überdies wollte er sich das Wohlwollen
des im Himmel in besonderer Gunst stehenden Mönches sichern.
Eifrig las Ercole jede neue Schrift Savonarolas, und als er erfuhr,
£RCOLE I. XO9
dafi der finstere Dominikaner sein ,,Compendium Revelationum''
geschrieben» bemühte er sich, die Abhandlung handschriftlich zu
bekonuneni ehe sie im Druck erschienen war. Der Herzog stand
zuletzt in dem Maße unter dem BtnfluB des DominikanerSi dafi er
1496 Ferrara in einen religiösen Staat nach Savonarolas Ideal
umwandeln wollte. Bfit grofier Strenge ordnete er allwöchentlich
ein zweitägiges Fasten für die Bevölkerung an, liefi zur Entscheidung
politischer Fragen Prozessionen veranstalten und betrachtete es
als seine Pflicht, religiöse Bräuche einzuführen« Um auf die Sitt-
lichkeit der Bevölkerung zu wirken, erliefi er vom Balkon des
Palazzo della Ragione ein Edikt, dafi Gotteslästerungen, Sodomie,
aufiereheliches Zusammenleben und andere Übertretungen der
guten Sitte hart bestraft werden sollten. Den Juden gegenüber ver-
schärfte er die früheren Vorschrifteui er erinnerte sie der Pflicht,
ein gelbes Zeichen auf dem Mantel zu tragen, zwang sie, Predigten
ixnDom beizuwohnen, und war sehr b^lückt, als der eine nach solch
einer stürmischen Kirchenlehre bat, zum Katholizismus übertreten
zu dürfen«
Savonarola war mit Ercole sehr zufrieden; als er ihm sein
Buch „De simplidtate Christianae ^tae'' schickte, äußerte er die
Hoffnung, dafi „die darin enthaltenen Lehren dem Herzog infolge
seiner groBen Tugenden unschätzbare geistige Vorteile bringen
würden''. Dem ferraresischoi Gesandten erklärte Savonarola, dafi
er Gott bitte, er möge dem Herzog stets seine Gnade zuteil werden
lassen. Eroole blieb seiner Verehrung für den Mönch treu, auch
als sein Stern schon im Sinken war und Rom ihn mit dem Bann
belegte. Er ergriff leidenschaftlich die Partei des Angeklagten und
' veranlafite seinen Verwandten, Gian Francesco della Bfiran-
dola, die Verteidigung zu schreiben, die gedruckt
unter dem Titel erschien „Joannis Frandsd
Pid Bfirandolae Opusculum de sen-
tentia excommunicationis injusta
pro Hieronymi Savone-
rolae viri prophetae
innocentia''«
SECHSTES KAPITEL
MATTEO MARIA BOJARDO
II ie Bojardo lebten im XIV. Jahrhundert In RubUera,
einem zwischen Modena und Re^o gelegenen Gut; erst
Hiccoto III. d* Este verlieh ihnen das Bei^tädtchen
Scandlano nebst den dazu gehörigen Ländereien an
Stelle von Rubbiera. Sdilecht fuhren sie bei diesem
J Tausche nicht, Scandlano war eine der gröBten Be-
sitzungen im Ferraresischen. Der Chronist Salimbene, ein Franzis-
kaner aus dem XIII. Jahrhimdert, erz&hlt, daß Bonifazio Bojardo
bewaffnet das Zisterzienserklostef S. Prospero di Reggio über-
fallen habe. Dem Kloster stand damals ein außerordentlich geiziger
Abt TOT, der seine Mönche hungern ließ. Daher empörten sich einige
unter ihnen, wollten den Geizkragen los werden imd an seiner
Stelle einen anderen Abt w&hlen. Die Unzufriedenen setzten sich mit
Bojardo, ihrem Nachbar, ins Einverständnis, er überfiel tm Jahre
1286 das Kloster, verjagte den Abt, nahm die Gelegenheit wahr
und raubte, was sich nur rauben ließ. Kaum war Bojardo fort,
als auch der Abt wieder auf der Bildfläche erschien, vor die Kloster-
pforte postierte er vierzig ihm zugetane Bürger aus R^gio, die das
Kloster Tag und Nacht bewachen sollten. Aber der Geizhals gab der
Wache nichts zu essen, und als sie hungrig in die Stadt zogen,
um einen wannen Bissen zu kriegen, erschien Bojardo abermals
und half den rebellischen Mönchen bei der Wahl eines neuen Abtes.
Den Este war das Geschlecht der Bojardo ergeben, es hat
dem Herzogtum eine stattliche Anzahl verdienstvoller Kondottiere,
PodestA und Bischöfe gesteht, und Feltrino Bojardo gehörte zu
MATTEO MARIA BOJARDO m
Lionellos literarischem Kreise. Fast bei allen größeren Gescmdt-
schaften der Este waren die Grafen von Scandiano vertreten und
galten als Zierde des Hofes. Titus Vespasianus Strozzis Schwester
ward die Gattin Giovanni Bojardos; dieser Ehe entstammte im .
Jahre 1434 Matteo Maria Bojardo, Italiens größter Dichter im
XV. Jahrhundert. Sein Ritterroman ,,Orlando Innamorato'^ spiegelt
den Geist höfischer Kultur in der Po-Ebene am deutlichsten. Matteo
Maria bildete sich in Ferrara unter dem Einfluß seines Oheims
Strozzi, so ward er ein tüchtiger Latinist und verbrachte seine Jugend
im Kreise ferraresischer Humanisten. Seine Kenntnisse im Grie-
chischen waren unbedeutend.
Scandiano hatte damals zwei Besitzer: Matteo Marias Vater,
Giovanni, und den Oheim Giulio Ascanio, der mit Cornelia Taddea
Pio aus Carpi vermählt war. 1452 starb Giovanni, da auch seine
Gattin tot war und XXatteo Maria erst achtzehn Jahre zählte, über-
nahm Giulio Ascanio die Verwaltung des gesamten Vermögens.
Als auch Giulio Ascanio zwei Jalire darauf starb, mußte lAatteo
BAaria Bojardo Ferrara verlassen und sich mit der Landwirtschaft
beschäftigen. Er blieb elf Jahre in Scandiano, es war wohl die
glücklichste Zdt seines Lebens. Ercole d'Este, der aus Neapel,
wo er aufgewachsen war, nach Ferrara zurückkam, wurde 1462 zum
Statthalter des Herzogtums von Modena eingesetzt. In Modena
hatte er einen außerordentlich glänzenden Hof, auch sein Bruder
Sigismondo d' Este, der in Reggio residierte, versanmielte einen großen
Kreis um sich. An beiden Höfen war Bojardo ein häufig gesehener
Gast, besonders schloß er sich an Ercole an, der ihm sehr zugetan war.
Wahrscheinlich hat Bojardo schon in Ferrara Verse gemacht,
aber erst in Scandiano wurde er als Dichter berühmt. Noch stand
er unter Strozzis Einfluß, daher begann er mit lateinischen Nach-
ahmungen Vergils und mit „Pastoralien", in denen er Borso imd
Ercole pries. Glücklicherweise ging er weder im Lateinischen noch
in höfischen Schmeicheleien imter: der Neffe ward dem Oheim
imtreu, verliebte sich, und die Liebe war seine Rettung.
Am 4. April des Jahres 1469 gab es in Reggio Wettrennen imd
Turniere. Dabei lernte Bojardo die achtzehnjährige Antonia Caprara
kennen in jenem Augenblick, „wo die Liebe gleich einem
112 SECHSTES KAPITSL
Gewitterregen vom Himmel fiel, um die Kerzen der Edlen zu erfreuen
und süße Flammen zu schüren • • • als Frauei^ in festlichen Ge-
wändern sich durch Spiel, Tanz imd Gesang verjüngten, als man
überall nur heiter Liebende sah und fröhlichesVolk im FestesgenuB''^.
Bojardo entbrannte in einem Augenblick des Rausches in
leidenschaftlicher Liebe. Für die Italiener der Renaissance bot eine
solche Liebe den Anlaß zu einem ganzen „Canzoniere'' oder we-
nigstens zu einigen Sonetten. Bojardo goiügte das Sonett nicht.
Sein Gefühl für Caprara hielt einige Jahre an, er sang der Geliebten
einen umfangreichen „Canzoniere'S der die ganze Skala einer
heißen Leidenschaft begreift. Heiße Wünsche wurden laut, es kom-
men Augenblicke des Glückes und ToUständiger Gemeinsamkeit,
dann das Weh der Enttäuschung, da Caprara einen anderen liebt, den
sie wohl geheiratet hat. Auch äußere Umstände scheinen das Ende
dieses schönen Traiunes herbeigeführt zu haben. Mit Borso ging
Bojardo nach Rom, während dieser Trennung scheint Antonia
ihr Herz einem andern geschenkt zu haben, vielleicht einem
jüngeren, da Bojardo damals schon siebenunddreißig Jahre alt war.
Die italienischen Kritiker sind sich darüber uneinig, ob der
„Canzoniere'' Caprara allein gewidmet ist oder ob auch andere
jugendliche Liebesabenteuer Bojardos darin besimgen wurden.
Ich neige zu der ersten Annahme, da Bojardo wiederholt bekennt, daß
Caprara seine größte Liebe war, ja er sagt sogar, daß nur zwei starke
Gefühle ihn beherrscht haben: seine Anhänglichkrit an Ercole
und seine Liebe für Caprara.
Doe cose för mia spene e sono ancora:
Ercule Ttma, il mio Signor zentile
L'altra il bei volto ove ancor il cor se posa.
^) Biovea da tittti e cieli Amoie in tenm
E ral^prava i' anime gentili
Spirando in ogni parte dolcie f ooo
Le donne in festa, in allegrezza, in gioco,
In danze* peregrine, in dold canti;
Per tutto leti amanti
Zcnte lezadre, e festigiar giocoodo.
r
MATTEO MARIA BOJARDO 1x3
Ein seltsames Zusammenstellen von Empf indungeni bezeichnend
genug für den Höfling.
Der Canzoniere besteht aus Sonetten, Kanzonen, Madrigalen
und Gedichten in anderer Form, die sich durch Einfachheit der
Sprache und Aufrichtigkeit der Empfindung auszeichnen. An-
lehnungen an Petrarca kommen selten vor, die Selbständigkeit des
Verfassers und eine männliche Kraft, frei von jeder Sentimen-
talität, geben dem Canzoniere sein charakteristisches Gepräge.
Klar, deutlich imd plastisch spiegelt sich jeder Eindruck wider, nichts
nebelhaft Verschwommenes, Unsicheres in diesen Versen. Überall
weht gesunde, kräftige Landluft. Der Dichter freut sich seiner Liebe.
Qualimque piü de amar fu schiffo in pria,
E del camin de Amor piü dilungato,
Cognosca V alegrezza del mio stato,
E tomarese ala amorosa via.
Qualunque in terra ha piü quelch' ei disia.
Di forza, senno, e di bellezza omato;
Qualunque sia nel mondo piü beato,
Non se pareggia a la fortiuia .mia.
Bojardo bedarf als offene, aufrichtige Natur des Vertrauten
und Freundes. Von seiner Liebe imd seiner Caprara muB er er-
zählen, und da er wie jeder Verliebte den Frauen das größte Ver-
trauen en^egenbringt, gesteht er seinen Kusinen, Marietta imd
Ginevra Strozzi, all seine Freuden und Leiden.
Aber nicht Liebe allein, alles, was schön tmd groB ist, erhebt
seine Seele, trifft seines Wesens innersten Kern. Als er zum ersten-
mal in Borsos Gefolge nach Rom kommt, erfüllt ihn die ewige
Stadt mit Entzücken. Der gewaltige Eindruck findet seinen Nieder-
schlag im Gedicht „In prospectu Romae^S den er gleichfalls in den
Canzoniere aufgenommen hat.
Ecco Talma cittä che fu regina
Da r unde Caspe a la terra Sabea;
La triomfal dttä che impero avea
DoTe il Sol se alza insin lä dove inchina.
8
XX4 SECHSTES KAPITEL
147z bestieg Ercole Perraras Thron, ein Jahr darauf heiratete
Bojardo seinem Stande tind seiner gesellschaftlichen Stellung
gemäfi. Die Erwählte war Taddea di Giorgio aus dem Hause der
Grafen von Gonzaga in Novellara, einer Seitenlinie der in Mantua
herrschenden Gonzaga. Taddea hat nicht durch Schönheit geglänzt,
sie hatte zwar hübsche, aber sehr kleine Augen, einen sanften Ge-
sichtsausdruck und im übrigen war sie „moribus et forma feliz'^
Bojardo hat glücklich mit ihr gelebt, tmd ihr Haus war seiner Gast-
lichkeit und Wohltätigkeit wegen berühmt. „Möge dir Gott die
Bojardo ins Haus schicken, mit ihnen wird das Glück einkehren/'
,,Iddio ti mandi a casa i Boiardi'' hieB es in Scandiano und Reggio.
Trotz alledem gab es im Schlosse zu Scandiano Sorgen genug.
Nur zur Hälfte gehörten die Güter Matteo Maria, der Besitzer der
anderen Hälfte war sein Vetter Giovanni Bojardo, Giulio Ascanios
unmündiger Sohn. Im Namen des Knaben herrschte seine Mutter
Cornelia Taddea, die den Dichter imd seine junge Frau offenbar
gehaßt hat. Verwickelimgen aller Art haben den Hafi geschürt»
Cornelia Taddea stammte, wie erwähnt, Ton den Pio aus Carpi;
diese Familie war seit tmdenklichen Zeiten mit der Gemeinde von
Reggio im Streite wegen des Wassers aus dem Kanal des Flusses
Secchia. Im Sommer stand das Wasser sehr niedrig, Reggio wollte
.den AbfluB des Wassers in einen Nebenkanal, der nach Carpi ging^
nicht gestatten, für Carpi war aber das Wasser der Secchia beinahe
eine Lebensfrage. 1473 überfielen plötzlich etwa zweihtmdert
Männer aus Carpi das Gebiet von Reggio, schnitten den nach Reggio
fließenden Kanal ab, und ließen das Wasser in ihren Kanal ein-
strömen. Matteo Maria, der sich den Traditionen seines Geschlechts
gemäß fühlte als „defensor et propugnator Reipublicae Reginae'%
Tückte an der Spitze seiner Leute aus tmd gab Reggio sein Wasser
wieder. Daher der Zorn der Tante, die das Interesse ihrer Familie^
der Pio aus Carpi, gewahrt wissen wollte. Die rachsüchtige Frau
beschloß im Einverständnis mit ihrem Bruder, Marco Pio, Bojardo
zu vergiften. Der Notar Simone Boione aus Reggio war mit im
Komplott, auch Bojardos vertrauter Diener wurde gewonnen,
der unter einem Vorwand nach Carpi ging und von dort aus Gift
mitbrachte. Diesen Diener verließ aber im entscheidenden Augen«^
MATTEO MARIA BOJARDO 1x5
•
blick der Mut, das Verbrechen auszuführen, er gestand seinem Herrn
aOes und zerstörte den Anschlag. Bojardo bemächtigte sich Boiones
sofort und führte ihn samt dem Zeugen nach Perrara zum Herzog.
Ercole lieB das Gift imtersuchen imd gleichzeitig Marco Pio aus
Carpi gefangen nehmen. Da es sich jedoch um die mächtige
Familie der Pio handelte und gar um Bojardos Tante, wurde die
ganze Sache vertuscht, nur Simone Boione aus dem Perraresischen
ausgelesen, imd auch das für nicht gar zu lange Zeit. Simones
Bruder gehörte zu den Altesten Reggios, so erwirkte er ein Jahr
darauf dem Giftmörder die Rückkehr ins Vaterland.
Der Dichter hatte seinen Glauben an Richter, Notare imd an
Gerechtigkeit eingebüßt:
Attendi ala giustizia,
E ben ti guarda da procuratori,
E giudizi e notai: chö han gran tristizia,
E pongono la gente in molti errori.
Stimato assai i quel ch'ha piü malizia,
E gli ayvocati sono anche peggiori,
Che voltano le leggi a lor parere:
Da lor ti guarda, e ferai tuo dovere.
(OrLIn. II. XXVni, 5z)
Nach diesem Anschlag auf sein Leben war ein weiteres Zu«
samnoenwirtschaften mit der Tante in Scandiano fast immöglich.
Pur seine Hälfte Scandianos bot ihm Ercole entsprechende Güter
auf dem Territorium von Perrara an, aber lAatteo Maria wollte sich
des Familienbesitzes nicht entäuBem und bat den Herzog, die
Güter zwischen ihm und dem jungen Giovanni Bojardo zu teilen.
Der Herzog willigte ein, und 1475 wurde das Dominium den beiden
Linien zugesprochen, wobei Scandiano im Besitze des Dichters
blieb. Trotzdem war der Aufenthalt im elterlichen Schlosse Xllattea
verleidet, er übersiedelte noch im gleichen Jahre mit seiner Pamilie
nach Perrara, bewohnte einen Palazzo auf der via Ripa Grande bis
zum Jahre 1478 imd konnte in Ruhe seiner Arbeit nachgehen,
Vl^eder lebte er im Kreise der Humanisten, und ihrem Einflüsse ist
es wohl zuzuschreiben, daß er Herodot und auch Xenophons
8»
1X6 SECHSTES KAPITEL
yyCyropedie" übersetzte, wahrscheinlich aus dem Lateinischen, da
seine Kenntnisse für den griechischen Originaltext nicht reichten.
Auch gab er in gekürzter Form Apulejus ,,Asino d' oro'^ heraus.
Gleichzeitig begann er sein bedeutendstes Werk, den „Orlando
Innamorato'^ ; Abschnitte daraus las er an Ercoles Hof vor.
1478 entschloß sich Bojardo nach Scandiano zurückzukehren.
Doch war sein Aufenthalt von nur kurzer Dauer, denn Ercole er-
nannte ihn 1481 ziun „Kapitän'S nach unserer Terminologie zum
Gouverneur von Modena; dort residierte er über zwei Jahre.
Die Verhältnisse waren schwierig, Bojardo scheint nicht energisch
genug gewesen zu sein, um die Parteien in Schach zu halten, deshalb
hieß es später, daß Modena schlecht regiert werde, „che era male
conducta^'. Auch der Herzog scheint mit dem Dichter nicht zu-
frieden gewesen zu sein, so nahm Bojardo gegen Ende des Jahres
Z482 mit Ercoles Zustimmimg seinen Abschied. Roberto Strozzi
wurde an seiner Stelle ernannt. Bojardo lebte in Scandiano wieder
seiner Poesie.
Aber nach fünf Jahren trat er wieder in den Dienst der Regie-
rung. Im Januar des Jahres 1487 ernannte ihn Ercole zum Kapitän
von Reggio, dort waren die Bojardo beliebt, und die Verhältnisse
lagen einfacher als in Modena. Bis zu seinem Tode blieb der Dichter
dort. Doch waren es für ihn traurige Tage. Von Anbeginn klagte er
darüber, daß er in einer alten Zitadelle wohnen müsse, in einem
düstem Hause, „ima trista casa^'. In Reggio mußte der neue Ka-
pitän im Beisein eines herzoglichen Delegierten schwören, indem
er die Hand aufs Evangelium legte, daß er seines Amtes walten
würde ohne Furcht, ohne den Wunsch sich zu bereichem, ohne
Vendetta-Gelüste, imd daß er bereit sei, für die Macht tmd die
Ehre des Herzogs sein Leben einzusetzen. Nach dem Schwur
wurde er in die Sala del Consiglio geleitet, hier begrüßten ihn die
Anziani mit dem Prior Bartolonuneo de' Cartari an der Spitze,
angesichts des versammelten Volkes. Bojardo hielt bei diesem
Anlaß eine kiu-ze Ansprache, die einen sehr guten Eindruck machte
Er selbst fühlte sich in dieser neuen Stellung gar nicht wohl. Sein
Gehalt war viel zu klein, er hatte ein Einkommen von nur fünf-
undsiebzig Lire monatlich, war gezwungen, fünf Pferde imd ebenso-
MATTEO MARIA BOJARDO ZI7
yiel Diener zu halten, von denen drei imstande sein mußten, Kriegs-
fienst zu tun, atißerdem mußte er auch für den Unterhalt seines
Sekretärs, des Cancelliere del Reggimento sorgen. Bei ihm wurden
die Schlüssel der Stadttore deponiert, ihm unterstanden die Tor«
Wächter und das Heer, das die Mauern Tag und Nacht bewacht,
auBerdem standen die Besatzungen der Schlösser des gesamten Um-
kreises tmter seinem Kommando. Er war der Vertreter des Herzogs,
wachte über die öffentliche Ordnimg in der Stadt und in dem zur
Stadt gehörigen Territorium, mit ihm muBten sich der Podesti
und die städtische Verwaltung, die Anziani, ins Einvernehmen
setzen. Aber gemäfi der herrschenden Sitte schickte der Herzog
von Zeit zu 2^it außerordentliche Kommissare aus Ferrara, die für
den Augenblick die höchste Gewalt inne hatten und sich in poli-
tische, militärische imd richterliche Angelegenheiten einzumischen
berechtigt waren. Es war dies gewissermaßen eine Kontrolle der
städtischen Obrigkeit, und die Kommission war sehr wohl in der
Lage, ihr Mandat zu mißbrauchen und die Kapitäne zu quälen*
Zwei Mitglieder der Kommission, Beltramino tmd Lodovico Orsini,
machten Bojardo genug zu schaffen. Wenn Beltramino, ein ferrare-
sischer Notar, erwartet wurde, so war die ganze Stadt in Aufruhr,
die allerbeste Wohnimg wurde für ihn vorbereitet, ausgestattet
mit Möbeln, die bei den wohlhabenden Bürgern zusammengeliehen
wurden, denn man fürchtete ihn mehr als den Herzog.
Bojardo, ein gerechter, ritterlicher, sanfter, vornehmer Mensch,
„mehr zum Dichten, als zum Strafen geeignet", mußte sich fort-
während in langen Briefen vor dem Herzog wegen der gegen ihn
erhobenen Vorwürfe rechtfertigen. Einmal wurde er verdächtigt,
daß er Räuber beschütze, die sich in seinen Gütern in Scandiano
verborgen hatten, ein andermal beklagte sich Venedig, daß in Reggio
eine Pälscherbande venezianisches Geld nachmache. So schreibt
Bojardo Brief auf Brief an seinen Herzog, befördert sie bald mit der
Post, bald mit einem Boten, „sehr wichtig'', „per posta, cito, cito'S
und nennt ihn seinen „einzigen'', seinen „besten Herrn", „meo
unico'S „meo singularissimo Domino'^ Der Herzog bleibt ihm
auch gnädig und bewahrt ihm sein Vertrauen, da er ihm während
des Krieges mit Venedig aufträgt, einige Festungen zu besichtigen.
1X8 SECHSTES KAPITEL
um den Bestand der Waffen und den Zustand der Mauern zu prüfen.
Nach dem Kriege erteilt er ihm sogar das von Bojardo sehr er-
wünschte Privileg, in Scandiano w&hrend der Ostertage zehntägige
Jahrmärkte abzuhalten.
Aber die Tage des Glückes waren für immer vorbei. Seit 1494
begann Bojardo zu kränkeln, dazu erlitt Italien eine Niederlage
nach der anderen, die er vielleicht stärker als jeder andere empfand.
In jenem denkwürdigen Jahre hat Lodovico Sforza Karl VIII. nach
Italien gerufen. Ercole I., Sforzas Schwager, gestattete den Durch-
gang des französischen Heeres durch Reggio und versprach, für
einen sehr mäßigen Preis Sorge für den Unterhalt zu tragen. Die
ganze Last des Durchmarsches der Franzosen fiel auf Bojardo.
Er klagt über diesen Durchmarsch, schildert dem Herzog das fran-
zösische Heer eingehend : die Leute seien zwar gut bewaffnet und be-
ritten, doch müBten sie mit dem Teufel im Bimde sein, so häufig
wie Ercoles Heer „diamante'* rief, schrien sie |,diable". Das
französische Heer habe früher sogar eine Fahne mit einem ge-
hörnten Dämon „Demonio comuto'' gehabt, erst jetzt, wohl um in
Italien kein Ärgernis zu erwecken, sei der heilige BSartin darauf
gemalt worden. All das schmerzte den Dichter. Italiens Unglück be-
nahm ihm die Lust ztun Dichten imd drängte ihn doch wieder dazu.
Mit zerrissener Seele gibt er seinem Orlando den berühmten Schluß:
Mentre che io canto, o i>io Redentore,
Vedo r Italia tutta a fiamma e foco
Per questi Galli, che con gran valore
Vengon, per disertar non so che loco,
Pero vi lasdo in questo vano errore
Di Plordespina ardente a poco a poco:
Un' altra fiata, se mi fia concesso,
Raccontervovi il tutto per espresso.
(III, IX, 26.)
Indes ich dieses sing — o Gott der Gütel
Seh ich Italien rings in Flamm und Brand
Durch diese Gallier, deren Kriegsgewüte
Verheeren will, ich weiß nicht welches Land.
MATTEO MARIA BOJARDO 1x9
Dnim laB ich Flordespinen, die erglühte
Von eitler Liebe, nach und nach entbrannt.
Ein andermal — begünstigt Gott mein Streben —
Hoff ich von allem Euch Bericht zu geben.
Das Schicksal seiner Heldin konnte er nicht weiter besingen«
Er war den ganzen Herbst schwer krank, ,,graviter aegrotans'S
und starb am 19. Dezember 1494.
II
Zwischen 1475 imd 1478, während seines Aufenthaltes in Ferrara,
schrieb Bojardo die beiden ersten Bücher seines Ritterromanes
I, Orlando Innamorato'^ Die höfische Atmosphäre hat ihn sicher«
lieh mit beeinflufit. Damals wie heute war der Roman eine der
beliebtesten literarischen Formen» deren man sich bediente, um
zu einem großen Leserkreis zu sprechen, zu Höflingen, schönen
Frauen, taptem Rittern: „signori e dame e bella baronia". Noch
über das XVI. Jahrhimdert hinaus beherrschen Italien Erzählui^en
aus dem Sagenkreis Karls des Großen, aus König Artus' Tafelrunde
und dem bretonischen Zyklus. Diese Themen, in verschiedenster
Weise bearbeitet und mit den seltsamsten Zutaten ausgeschmückt,
lebten im Munde der Straßensänger, die sie dem Geschmack, den
Ansprüchen und der Phantasie ihrer Hörer anpaßten. Um die
Wende des XV. Jahrhunderts hatte Italien seinen berühmten
maestro di canto, Andrea dei Magnabotti, aus Barberino im Val
d' Elsa, eine Art Alezander Dumas. Von ihm stammen die berühm-
testen Ritterromane „Reali di Francia'' und „Guerino il Meschino'S
die Jahrhunderte überdauert und bis auf den heutigen Tag ihre Leser
haben, ähnlich wie „Der Graf von Monte Christo" und „Die drei
Musketiere". In^en ,^Reali di Franda" leitet dieser südUche Barde
in phantastischer Weise die Abstammung der fränkischen Könige
von den Römern ab, berichtet von ihren ritterlichen Taten bis zu
Karl dem Großen, indem, er die französische Lkeratur aufs grau-
samste plündert. Seine Geschichte von Guerino, dem angeblichen
X30 SECHSTES KAPITEL
Sohn Milons von Tarent, zeichnet sich durch eine besonders kühne
Phantasie aus. Als Milon seinen Thron verloren tind von Feinden
ins Gefängnis geworfen wurde, rettete die Amme seinen kleinen
Sohn tmd nahm sich des Kindes an. Aber die Korsaren raubten
tmd verkauften ihn als Sklaven nach Konstantinopel. Hier erwarb
er sich die Gunst des byzantinischen Kaisers und ward zu einem
im ganzen Osten berühmten Ritter. Schrankenlos war sein Mut,
er befreite Griechenland vom Joche der Türken, und auf der Suche
nach seinem gefangenen Vater kam er in die verschiedensten
Länder und gab überall Proben seiner Tapferkeit. Er bekämpfte
die Araber und rüstete sogar zu einer Reise nach Sonne und Mond,
um Apoll und Diana zu befragen. Nachdem er dies Abenteuer
bestanden, ging er nach Irland, um einen berühmten, wunder-
tätigen Ort, das Purgatorium des heiligen Patridus aufzusuchen.
Nach einer dreiBig Jahre währenden Wanderschaft, nach Nach-
f orschtmgen mannigfachster Art, bei denen er sogar bis in die Hölle
gedrungen, fand er seinen Vater imd gab ihm die so lange entbehrte
Freiheit wieder.
Dieser Art waren die Geschichten der Cantastorie, Abenteuer,
die in nur sehr losem Zusanmienhange standen, ohne jede künst-*
lerische Form. In den Romanen des XV. Jahrhunderts spielen
namentlich zwei Geschlechter eine groBe Rolle: die Chiaramonti
und die Maganzesi; der ersten Familie entstammen die tapferen,
großmütigen Helden, während jeder Maganzese ein Feigling,
Betrüger und Lump ist imd das komische Element im Roman
repräsentiert. Diese Romane wurden im XIV. und XV. Jahr-
hundert zumeist in Stanzen geschrieben, doch war der nicht durch-
gefeilte Vers fast barbarisch in seiner Form. Erst Luigi Pulci, der
Florentiner (geb. 1432), gab diesen Romanen gewissermafien die
literarische Weihe. In seiner Dichtung „II Morgante'S die 1481
erschien, benützte er zum größten Teil den Roman „Orlando**
eines unbekannten Verfassers, den die StraBensähger dem Volke
sangen. In diesem Roman überwogen Episoden aus Karls des
Großen Sagenkreis, die am meisten zur Phantasie des Volkes
sprachen. Die Helden sind grausam und wild, der Begriff ritter-
licher Ehre fehlt noch. Kriege, Heldentaten, Kämpfe mit dta
MATTEO MARIA BOJARDO 12z
Ungläubigen — bilden den Hauptinhalt. Puld schrieb für die Floren-
tiner Bürger, nicht für Höfe und Ritter, deshalb lag ihm dieses
Thema näher als die Gestalten aus König Artus' Kreis, die damals
in den französischen und norditalienischen Romanen dem Ideal
fahrender Ritter immer ähnlicher wurden. Ja, Pulci entging das
Lächerliche dieses Rittertums nicht, er trieb seinen Spott mit Land-
lottos edlen Nachkommen, imd sein Morgante ward so gewisser-
maSen zum Vorläufer Don Quichottes imd Sancho Pansas. Wenn
der Riese Morgante und sein Gefährte, der Riese Margutto, die
gefesselte Prinzessin befreien, so glaubt man schon den spanischen
irrenden Ritter mit seinem Knappen zu sehen:
Disse Morgante: amedue siam giganti.
Da te a me vantaggio veggo poco:
Noi andiam pel mondo cavalieri erranti
Per amor combattendo in ogni loco.
(XIX, 37.)
Jener Margutto ist eine die Volksphantasie fesselnde Gestalt:
ein verschlagener Halimke, der sich zu den sieben Todsünden
bekennt und sich freut, wenn es ihm gelungen, jemand geschickt
zu bestehlen oder zu betrügen, dabei ist er gdegentlidi ganz gut-
mütig. Beide sind gefräfiig wie Rabelais' Gargantua. Auf einen
Satz verschlingt Morgante einen Büffel, ein Einhorn, einen Basi-
lisken, ein Kamel und einen Elefanten, eine zersplitterte Fichte be-
nützt er als Zahnstocher ; er ist so stark, dafi er Mauern mit seiner
Faust zertrümmert, ein eisernes Tor als Schild benützt, imd wenn er
auf dem Schiffe stranun auf dem Verdeck steht, kann er im Not-
fall als Mast dienen. Margutto stirbt den T6<1 eines VielfraBes:
nachdem er sich vollgefressen, sieht er einen Affen, der in seine
gelben Stiefel fährt — er lacht aus Ldbeskräften tmd platzt.
Für die Markgrafen und Damen des estensisdien Hofes war
ein solcher Roman zu wild imd urwüchsig, zu wenig knüpfte er an
die glorrdche Vergangenhdt der groBen Geschlechter, zu niedrig
stellte er die Frau tmd die Liebe, zu wenig wurden schöne Königs-
töditer tmd ritterliche Hddentaten gefeiert. Solchen Wünschen
entsprach Matteo Bojardo schon besser, er, der Dichter, der am
122 SECHSTES KAPITEL
Hofe in ritterlichen Traditionen groß geworden» von den Gesängen
der Troubadours gewiegt. Er begann seinen Roman etwas später
als Puld seinen Morgante, aber ganz unabhängig vom Florentiner.
Bojardos Phantasie standen, wie dem estensischen Hofe, die
Gestalten des bretonischen Sagenkreises, die Helden von König
Artus' Tafelrunde näher als die wilden Recken aus Karls des
Großen Umkreis. Der Hof des großen Kaisers verschloß der
Liebe seine Pforten, seine Ideale waren nur Glauben und
Vaterland:
Perchd tenne ad Amor chiuse le porte
E sol si dette alle battaglie sante.
(Orl. In. II. XVIII, 2.)
Je verfeinerter Sitten und Bräuche wurden, desto mehr erwarb
die Liebe sich Heimatrecht in der Literatur. Der bretonische Zyklus
siegte. Das Eindringen des Liebeselementes und des Abenteuers
in den Kreis Karls des Großen begann in Frankreich eher als in
Italien, was sich an französischen Romanen aus dem Ende des
XII. Jahrhunderts wie „Huon de Bordeaux^' oder „ Jehan de Lanson'*
beobachten läßt.
Zwei Elemente, zwei Zyklen, die Jahrhimderte hindurch die
Phantasie der nördlichen und südlichen Völker beschäftigt haben,
begannen sich gegenseitig zu durchdringen, eine organische Ein-
heit zu bilden. Seltsam genug, die Liebe als allgewaltige Herr-
scherin im Ritterronuui hat ihren Urspnuig im Norden, in König
Artus' Kreis, nicht im Süden. Das Ideal der späteren Ritterschaft
ist Tristan, sein Leitstern die Liebe, seine Waffen Mut, Kühnheit
imd Frauenverehrung. Die Welt, in der Matteo lebte, hat die
Tugend der Keuschheit, die den früheren Roland zierte, nicht
begriffen; Bojardo wählt ihn zwar zu seinem Helden, doch der
treue Kämpe Karls des Großen, der Streiter des bedrohten Christen-
tiuns, schmachtet in Liebesfesseln.
Bojardo nennt sein Gedicht den „Verliebten Roland'S „Orlando
Innamorato'S und fühlt sich gewissermaßen verpflichtet, sich vor sei-
nen Lesern zu rechtfertigen, weil er siel) dem bretonischen Kreise zu-
gewandt imd Roland zum Liebeshelden gemacht hat. Aus der Bretagne
If ATTEO MARIA BOJARDO 123
holt er den Inhalt seines Gedichtes, denn dort ist der Ursprung
des LiebeskultuSy dort leben Ritter, die die Ehre der Frauen schützen:
Fu gloriosa Bretagna la grande
Una stagion per V arme e per V amore,
Onde ancor oggi il nome suo ai spande
Si che al re Artuse fa portare onore,
Quando i buon cavalieri a quelle bände
Mostramo in piü battaglie il suo valore»
Andando con lor dama in awentura
Ed or sua fama al nostro tempo dura.
(Orl. In. IL XVIII, z.)
Daß er vom „Verliebten'' Roland erzählt, ist nur selbstverständ-
lich. Turpin, jener Chronist und Bischof, der von Karls des Großen
Heldentaten berichtet, verschweigt Rolands Liebesgeschichten, „um
seiner Ehre nicht Abbruch zu tun''. Aber selbst diese Ritter ver-
mögen sich der Liebe nicht zu erwehren, jeden zieht sie in ihren
Taumel, jung imd alt, vornehm und gering, gegen den Tod und
gegen die Liebe ist kein Kraut gewachsen.
Gioveni e vecchi vanno alla sua danza,
La bassa plebe col signore altiero:
Non ha rimedio amor e non la morte;
Ciascun prende ogni gente, e d'ogni sorte.
(Orl. In. I. XXVIII, 2.)
Im „Verliebten Roland" würde man vergebens nach einer ein*
heitlichen Handltmg, die einem bestimmten Ziele zustrebt, suchen.
Es ist ein Bukett seltsamer Kriegs« und Liebesgeschichten. Liebe
ist die Triebfeder, die die phantastischen Gestalten dieser erdachten
Welt bewegt, und wenn der Dichter auch seine Helden aus alten,
verstaubten Rittergeschichten holt, das Gefühl, das sie eint und
bindet, quillt aus seinem eigenen Herzen, aus der Erinnerung an
seine erste starke Leidenschaft. Nicht wendet er sich nach dem
Vorbild antiker Schriftsteller an die olympischen Götter vaa Bei-
stand, aber die Heldin seiner, Jugendträume, Caprara, beschwört
er, seine Begeisterung anzufachen. „Licht meiner Augen'S
124
SECHSTES KAPITEL
ruft er, ,,Leben mdnes Herzens, dem ich einst anmutige Reime
gesungen imd schöne Liebeslieder gedichtet, begeistere mich, daB
ich die Geschichte künde'':
Luce degli occhi miei, spirito del core,
Per cui cantar solea si dolcemente
Rime leggiadre e bei versi d' amore
Spirami aiuto alla storia presente.
(Orl. In. IL IV, i.)
Die Heldin, der dieses Übermaß von Enq>finden gilt, ist in Bo-
jardos Dichtung Angelika, die Tochter Galafrones, des Königs
der Tataren; am Hofe Karls des Großen, und wo immer sie auf-
taucht, erobert sie alle Herzen im Sturm. So wird hier zum ersten-
mal die Frau zur wichtigsten Gestalt des Ritterromanes«
Im Mai „a la Pas qua rosata'' hat Karl der Große die gesamte
Ritterschaft zu einem großen Turnier nach Paris berufen. Christen
und Ungl&ubige kamen in Scharen. Der mächtige Monarch saß
auf seinem goldenen Throne, um ihn tafeln zweiundzwanzig-
tausenddreißig Gäste: die Christen an den Tischen, die Sarazenen,
die Heiden, wie Hunde am Boden auf Teppichen. Während des
Mahles betritt den Saal eine Jimgfrau von wunderbarer Schönheit,
„wie der Morgenstern, wie die Lilie im Garten, wie die Rose im Hain'':
La quäl sembrava mattutina Stella
E giglio d' orto e rosa de verzieri.
(OrLIn,!, 2Z.)
Viee gewaltige Recken tmd ein junger Ritter in kostbarer
Rüstung begleiten sie. Angelika stellt den Ritter dem Kaiser als
ihren Bruder, Uberto del Lione, vor und bittet, daß er am Turnier
teilnehmen dürfe. Der Sieger würde zum Lohn ihre Hand erhalten..
Die ganze Ritterschaft entbrennt vor Verlangen, die schöne
Frau zu besitzen. Ferragu, ein wilder Sarazene, springt als erster
auf, ihm folgen die Paladine, der feurige Rinaldo und Roland,
sein Verwandter, der Neffe Karls des Großen, der erste Ritter der
Christenheit, tmd viele andere. Das Los entscheidet, in welcher
Folge sie in die Schranken treten dürfen. Ferragu ist der glück-
MATTEO MARIA BO JARDO 125
Uchste, als erster soll er mit dem fremden Ritter kämpfen; Roland
ist leider erst der dreißigste. Aber Ferragu wird bezwungen» denn er
hat einen unüberwindlichen Gegner vor sich. Der Zauberer Malagise
entdeckt das Geheimnis des fremden Paares. Angelika ist Galafronea
Tochter, des Königs der Tataren auf Catajo, und ihr Bruder heiSt
Argalia. Im Auftrag ihres Vaters sind sie nach Frankreich ge-
kommen, um Karls des Grofien kühnste Ritter in den Osten zu ent-
führen und dem Kaisertum seine stärkste Stütze zu nehmen. Argalia
kämpft mit verzauberten Waffen, Angelika besitzt einen Ring,
der sie im Notfall unsichtbar macht. Der schwarzhaarige Ferragu
mißfällt Angelika, denn die launische Königstochter liebt die
Blonden. Ohne den Ausgang des Kampfes abzuwarten, entzieht
sie sich vermöge ihres Ringes den Blicken der Ritter, besteigt ihr
Roß und zieht heimwärts in den Osten. Ihren Spuren folgen Ferragu,
Roland und Rinaldo; der Weg. führt durch den Ardenner Wald.
Dort stillt die müde Angelika ihren Durst an einer Quelle, die die
Liebe anfacht, während sich Rinaldo an einer andern Quelle stärkt,
die die Liebe löscht. Angelika verliebt sich in Rinaldo, doch sein
Feuer für sie erkaltet. Roland dagegen brennt wie ein Vulkan für
Angelika, er jagt ihr nach, besteht die seltsamsten Abenteuer,
erreicht sie endlich, findet sie schlafend am Flusse, imd während er
die Schlafende bewundert, sieht er den heranstürmenden Ferragu«
Ein furchtbarer Zweikampf beginnt, doch während des Kampfes
erfährt der Sarazene, seine Herrschaft in Spanien sei bedroht, der
indische König Gradasso am Ufer der Halbinsel gelandet, das
Reich Karls des Großen in Gefahr, Valencia eingeäschert, Aragon
zerstört, Barcelona belagert. Als treuer Vasall kehrt Ferragu auf
schnellstem Wege in die Heimat zurück, der verliebte Roland
jedoch läßt nicht ab in seiner Verfolgung der tatarischen Königs-
tochter. Auch Rinaldo kehrt nach verschiedenen Abenteuern
nach Frankreich zurück, um sich an die Spitze von Karls Heer
zu stellen.
Seltsame Verwicklungen, eigenartige Zufälle spielen sich nun
im fernen Osten ab; irrende Ritter, verlassene, hilfesuchende Frauen
ziehen am Leser vorbei. Eine der interessantesten Gestalten ist
der tatarische König Agricano, der natürlich gleichfalls in heißer
126 SECHSTES KAPITEL
Liebe für Angelika entbrannt ist; er will sie mit Gewalt gewinnen
und belagert die Festung Albracca, in die sich die verfolgte Jungfrau
vor ihm geflüchtet hat. Zu ihrem Verteidiger erwählt Angelika
Roland, der rettungslos in ihren Schlingen zappelt* Der nächtliche
Zweikampf zwischen Agricano imd Roland ist vielleicht die schönste
Episode des Romans, Angelika liebt Rinaldo, sehnt sich nach ihm
und beschließt, nach Frankreich zu gehen, van ihn wiederzusehen.
Der naive Roland begleitet, schützt, verteidigt sie in allen Gefahren,
kämpft für ihre Ehre. V^eder führt ims der Dichter in den Ardenner
Wald und läBt Angelika und Rinaldo abennals aus den Zauber-
quellen trinken, aber diesmal stärkt Angelika sich am Quell des
Vei^essens, Rinaldo am Liebesquell. So wird Rinaldo Rolands
leidenschaftlicher Rivale; die Paladine, die dem Geschlecht, dessen
Stammvater der trojanische Hektor ist, angehören, werden er-
bitterte Feinde. Da Karl der Grofie seiner beiden tapfersten Ritter
nicht entraten will, ersinnt er einen Ausweg: dem Sieger im Kampf
t mit den Sarazenen verspricht er Angelikas Hand. Mit diesem
Schicksalsspruch des großen Kaisers bricht Bojardo seine Erzählimg
ab; hier hat Ariost später mit seinem Rasenden Roland eingesetzt.
Am meisten weichen in Bojardos Dichtung von den früheren fran-
zösischen Romanen ab Roland selbst imd die vielen neuen Frauen-
gestalten, die die Erzählimg beherrschen. Dieser veränderte Roland ist
das Symbol des veränderten Rittertums um die Wende zwischen dem
XIV. tmd XV. Jahrhundert. Es ist nicht länger jener starke Held,
der bereit ist, sein Vaterland Frankreich und den Kaiser zu schützen,
der im Engpaß von Roncesvalles mit seiner letzten Kraft Karls
Durchgang von Spanien nach Frankreich verteidigt. Nicht jener
Roland, der die Liebe nur als weibische Schwäche imd Krankheit
estimiert und keusch lebt, sondern ein liebestoller Ritter, der Gott
anfleht, die heiligen heimatlichen Standarten, Frankreichs goldene
Lilien zu zerstören, Karl den Großen und sein Heer zu vernichten,
denn nur auf Frankreichs Trümmern und den Leichen seines er-
lauchten Geschlechtes kann Angelika sein werden. Der große
Roland ist klein geworden — aus dem Helden der irrende Ritter.
Aber er ist auch nicht der höfische liebenswürdige, galante
Frauenverehrer und Ritter des estensischen Hofes, sondern ein
If ATTEO MARIA BOJARDO 227
zügelloser Held des Lagers, aus dessen Herz Flammen schlagen,
ein unverdorbenes, seltsam naives Kind, das nichts von Frauenlisten
ahnt. Im Zorn zittern seine Lippen, und sein Mund sprüht Feuer;
nach dem Zweikampf mit Rinaldo erregen seine haßverzerrten
Züge, selbst da er schläft, noch Grausen.
Frauen gegenüber, imd namentlich, wenn es eine so raffinierte
Kokette ist wie Angelika, ist er schüchtern, tmgeschickt imd begeht
eine Albernheit nach der andern. Nach seiner Rückkehr aus dem
Gefängnis in Dragontino löst ihm Angelika selbst den Panzer,
richtet ihm das Bad, salbt seinen Körper, küßt ihn voller Zärtlich-
keit, Roland ist beschämt, schüchtern, beherrscht seine Leiden-
schaft — imd geht zu Bett. In Angelikas Händen ist er nichts als
ein gutwilliges Werkzeug ihrer Eitelkeit imd ihrer egoistischen
Pläne.
Und doch ist dieser Roland, der sich selbst seiner Liebe wimdert,
trotz seiner Naivität imd brutalen Kraft schon ein Renaissance-
Mensch, der absolut „fortschrittliche'^ Begriffe von ritterlichen
Tugenden hat. Sehr bezeichnend dafür ist seine Unterhaltung
mit Agricano, der behauptet, es sei eines Ritters unwürdig, sich
mit Wissenschaften abzugeben« Der tatarische König berichtet,
er habe in seiner Jugend seinem Lehrer den Kopf zerspalten und sich
auf diese Weise der Zudringlichen entledigt, die ihm die Kunst des
Schreibens und Lesens beibringen wollten. Ein Ritter müsse reiten,
jagen, fechten, aber es stehe ihm schlecht, über Büchern zu brüten:
Ui mi par che convenga a gentilezza
Star tutto il giomo ne' libri a pensare.
(OrL In. I. XVIII, 43.)
Roland dagegen erklärt zu unserer großen Überraschung,
Wissen schmücke den Ritter wie die Blume die Wiese, Wissen
allein erhebe Herz und Sinn zum Schöpfer aller Dinge, und wer es
verachte, gleiche einem Stein, einem Stück Holz, einem Ochsen.
Ed i simile a un bove, a un sasso, a un legno,
Chi non pensa a V eterno Creatore ;
Nd ben si pud pensar, senza dottrina.
(Ibid. 44.)
128 SECHSTES KAPITEL
Trotz dieses neiizeitlichen Anstriches ist Roland von italienischer
Kultur gänzlich unberührt. Er sieht furchtbar aus; schielt auf
einem Auge, seine dichten, gestr&ubten Brauen starren wie bei
einem Luchs; im Schlafe schnarcht er, daß die Mauern zittern,
benagt seine Nägel mit den Zähnen, und sein Geruch verrät ihn
schon von weitem. Was Wimder, daB die schöne, leichte, launische
Angelika sich nicht in ihn verlieben kann?
In Angelika personifiziert Bojardo eine jener koketten, verdor-
benen Salonlöwinnen, wie er sie an italienischen Höfen häufig
genug gesehen haben wird. In der Schilderung ihres Charakters
rächt er sich für Capraras Untreue, die ihm ihr ganzes Geschlecht
verleidet hat. Von der Treue der Frau hat er einen sehr schlechten
Begriff, er glaubt, daß ihre Liebe kaum einen Tag währe.
lo non credo apena,
Che un giomo intiero amore in donna dura
heißt es in einer seiner Kanzonen.
Das Bild, das er von Angelika entwirft, entspricht ihrem Cha-
rakter vollkommen:
Candido ha il viso e la bocca vermiglia,
Suave guardatura et affalata,
Tal che dascun mirando il cor gV impiglia
La chioma bionda al capo rivoltata,
Un parlar tanto dolce e mansueto
Ch' ogni triste pensier tomava lieto.
(Ori. In. I. ZXVII, 60.)
Trotz ihrer süßen, einnehmenden Blicke schickt Angelika
Roland im Augenblicke, wo sie ihn nicht mehr braucht, zur Zauberin
Morgana, in der Hoffnung, daß er dort seinen Tod finden wird.
Angelikas Gegenstück im Gedicht ist die Königin Marfisa, eine
heldische, schöne, kühne, mutige, stolze Frau, kräftig wie ein Mann,
ein Typus, wie man ihn bisweilen im Mittelalter und in der Renais-
sance findet. Sie kämpft mit wirklichen Waffen, nicht mit List und
Koketterie, imd als sie Roland mit der Faust ins Gesicht schlägt, spritzt
ihm das Blut aus Nase und Ohren. Sie hat einen Eid geschworen, ihren
MATTEO MARIA BOJARDO 129
eisernen Panzer nicht eher abztüegen» als bis der groSe Kaiser ihr
Gefangener geworden. Deutlich, plastisch schildert sie Bojardo:
. Vom Helm entblößt zeigt sie ihr Antlitz hier,
Nichts Schöneres sah man auf dem Erdenrunde.
Das Haupt lunflicht der blonden Locken Zier,
Ihr Auge gibt von Stemenklarheit Kunde.
Und diesem Reiz ist alles gleich an ihr;
Gewandt in jeder Regimg, kühn von Munde,
Groß von Person, ein wenig braun von Haut,
So stellt Turpin sie dar, der sie geschaut.
(Orl. In. XXVII, 59.)
Bojardos ritterliches Ideal ist nicht Roland, sondern der Sarazene
Brandimarte. Mit besonderer Liebe hat der Dichter diese Gestalt
gezeichnet, ein kühner, gewandter Ritter, voller Gentilezza, den
Roland im Gefängnis zum Christentum bekehrt* Es ist für die
damaligen Anschauui^en von Ritterlichkeit sehr bezeichnend,
daß der Sarazene eine der sympathischsten Gestalten des Gedichtes
ist. „La Cavalleria", die Ritterlichkeit, stand fast höher als die
Religion, dank ihr wurden Christ imd Mohammedaner gleich, und
der wahre Ritter hatte ein Anrecht auf religiöse Toleranz. Ge-
wissermaßen zwischen Roland imd Brandimarte stehen: der Paladin
Rinaldo, ein Riese von unerhörter Kraft, der im Zweikampf mit
Roland solche Streiche führt, daß er ihm ohne den Stahlhelm
tmfehlbar „das Gehirn ins Maul geschlagen hätte'S sowie Rogier,
ein Jüngling edelster Abstammung, in dem väterlicherseits das Blut
Alezanders des Großen und mütterlicherseits das des trojanischen
Hektor fließt* Rogier liebt Rinaldos Schwester, heiratet sie und wird
zum Ahnherrn des estensischen Geschlechtes. Es war Brauch am
ferraresischen Hof, Rogier als Stammvater der Este zu feiern, schon
Tito Strozzi imd Prisdanus in seinen „Annales f errarienses'' kennen
diese Genealogie. Schon sie haben gegen jene für die Este
beschämende Tradition Einspruch erhoben, als wenn der Stamm-
vater des Geschlechtes Gano wäre, der Verräter von Roncesvalles.
In Bojardos Gedicht darf man so wenig nach psychologisch
durdigeführten Charakteren suchen, wie den inneren Triebfedern
9
130 SECHSTES KAPITEL
des Handelns der Menschen nachgehen. Die auftretenden Persön-
lichkeiten sind so dargestellt, wie ihre Handlungen sie nach außen
spiegeln, ihre Porträts sind nur mit einigen kühnen Pinselstrichen
hingesetzt; aber in kulturhistorischer Beziehiuig ist das Gedicht
sehr fesselnd, wir finden viele Züge der Gesellschaft wieder, in der
Bojardo gelebt hat. Viel Kraft tind Phantasie, und der größte Vor-
zug der Dichtimg ist ihre Jugend, die in jeder Zeile lebendig ist,
Jugend der Epoche, Jugend der Phantasie, Jugend im Ausdruck.
Im Frühling spielen sich die Hauptereignisse ab, und dieser Früh-
ling prangt im Blütenduft, strahlt in südlicher Sonne. Mit dieser
Jugendlichkeit einen sich Heiterkeit, Humor und eine leichte Ironie,
die wie eine leise Melodie über dem Ganzen schweben. Trotz ihrer
unmöglichen Unternehmungen wirken Bojardos Helden nicht lächer-
lich, denn die Phantasie des Verfassers ist so stark, daB sie über Natur-
gesetzen zu stehen scheint. Im Zauber der Dichtung glauben wir gut-
willig, daß ein Walfisch zwei Meilen lang ist, oder daß neunzig Ritter
gegen das zwei Millionen starke Heer Agricanos gekämpft haben.
Bojardos Dichtung gleicht jenen Bildern der Frührenaissance,
die trotz mancher Seltsamkeit in der Zeichnimg tmd in den Details
durch ihre Kraft tmd Ursprünglichkeit stark auf uns wirken. Die
Phantasie des Dichters erfindet die merkwiirdigsten Geschichten
tmd Gestalten, mit vulkanischer Kraft wird eine farbige, schöne,
seltsam schillernde Welt herausgestoßen. Das Gedicht hat keinen
Zweck irgendwelcher Art, es lehrt nichts tmd will nichts beweisen,
es ist Spiel tmd Scherz. Bojardo schreibt für eine Gesellschaft, die
im Überfluß tmd Luxus lebt, sich weder imi religiöse noch soziale
Fragen kümmert, er schreibt nur, um seinem Schaffensdrang Genüge
zu ttm tmd das Verlangen nach Schönheit bei den Menschen, tmter
denen er lebt, zu stillen. „Nichts mehr verlange ich,'^ sagt er,
„als daß Ihr mich anhört in Heiterkeit tmd Freude.'' Erst am
Schluß des Romanes imiwölkt sich seine Stirn angesichts der Stürme,
die Italien bevorstehen, er ahnt andere Zeiten, andere Möglich-
keiten, tmd das Gedicht klingt elegisch aus. Bojardos Wtmsch
ging in Erfüllung, er wurde gelesen „in Heiterkeit tmd Freude".
Seine Gesänge wurden, tmmittelbar nachdem sie entstanden, für
Ercole und andere Persönlichkeiten des estensischen Hofes
MATTEO MARIA BOJARDO X3I
abgeschrieben. X49i> während Isabella d'Estes Aufenthalt in Mai-
landy entspann sich ein lebhafter Streit zwischen ihr und Galeazzo
msconti, welcher der Paladine, Roland oder Rinaldo, in ritter-
lichen Tugenden, in Mut und Ehre höher stünde. Isabella trat für
Rinaldo ein, während Galeazzo Rolands Partei ergriff. Der Streit
b^ann im Augenblick, da die Bffarkgräfin, Visconti und der gesamte
Hof Paria mit dem Schiff verlieBen; Isabella geriet in solche Hitze,da8
sie laut schrie „Rinaldo! Rinaldol'S wie der StraBenpöbel, der wäh-
rend der Revolution „Diamantel Diamantel'' oder „Velal Vela"
gerufen hatte. Selbstverständlich überzeugten die literarischen
Gegner einander nicht, imd als Isabella Mailand verließ, wurde brief-
lich weiter gekämpft. Einige Briefe von Galeazzo an Isabella sind auf
uns gekommen, sie sind ein interessanter Beweis, welches Interesse
Bojardos Roman bei den Zeitgenossen erweckt hat. Außerordentlich
energisch und mit viel Humor tritt Galeazzo für Roland ein, er glaubt,
daß auch Isabella das Zwecklose einsehen würde, einen Verräter
und Verbrecher wie Rinaldo zu verteidigen. Roland ist der wahre
Christ, „christianissimo'S beständig, tapfer, klt^, gemäßigt, mit-
leidig, gerecht, gütig, der Verteidiger der Kirche, der Schutz der
Witwen und Waisen, dessen Platz im Himmel sicherlich neben den
Heiligen sein wird. Rinaldos Leben dagegen ist eine Kette von
Verbrechen, er ist ein hochmütiger Abenteurer, der nur Straßenhändel
sucht, ein Lügner und Räuber, imd wäre er nicht mit Karl demGroßen
und Roland verwandt — er faulte längst im Gefängnis. Zwar liebe
Roland Rinaldos Gesellschaft, aber nur imi Rinaldos Heiterkeit willen.
Halb im Scherz kämpft die Bffarkgräfin hartnäckig für Rinaldo.
Sie droht ihrem Gegner, er würde, wenn er ihren Helden so
beschimpft, jetzt um Ostern, wo man dem Nächsten seine Sünden
verzeihe, Schaden nehmen an seiner Seele. Um Galeazzos Argu-
mente tun so eindringlicher zu bekämpfen, bittet Isabella im August
1491 Bojardo um die Fortsetzung seines Gedichtes, und als sie
von ihm erfährt, daß er nichts Neues geschaffen, verlangt sie zum
mindesten die beiden ersten Bücher des „Verliebten Roland".
Als Vollblut-Italienerin mußte Isabella Rinaldo höher schätzen
als Rolande Der Streit um die beiden Romanhelden zwischen der*
Markgräfin und Galeazzo scheint die Höfe in Mantua und Mailand
9*
132 SECHSTES KAPITEL
lebhaft beschäftigt zu haben; in Galeazzos und Lodovico Sforzas Um-
gebung mufi es sogar zwei Parteien gegeben haben, und Bellincioni,
Moros Hof dichter, verherrlicht diesen literarischen Kampf in Sonetten.
Der Dichter steht erst auf Rinaldos Seite, dann ergreift er Rolands
Partei und versucht Isabella zu veranlassen, ihre Ansicht zu ändern
und ihren Irrtum einzugestehen, denn irren wäre menschlich.
Umana cosa i, dice la scrittura,
L' errare, e cosa angelica ancor pone,
L' emendarsi, e non far quäl Faraone,
Con r ostinata mente cieca e dura.
Daher „Markezana", schließt Bellincioni, „laß Rinaldo, diesen
Auswurf der Natur, fahren, che fu proprio uno scandal di natura,
und bekehre Dich zu Roland/'
Isabella hatte für Bojardo, den sie als Dichter und Kavalier
schätzte, eine besondere Vorliebe. Nach den Absichten des Ver-
fassers sollte „r Itmamorato'' Isabella gewidmet sein. Die kaum
zweiundzwanzigjährige Herzogin und der greise Dichter schrieben
sich g^enseitig bewundernde Briefe.
Bojardos Roman strotzt von Provinzialismen. Die Sprache ent-
spricht den Anforderungen der jungen Generation nicht mehr,
die die toskanische, durch klassische Vorbilder gereinigte Mundart ein-
zuführen begann. Nach Aretins Urteil ist der „Verliebte Roland'' von
heroischer Schönheit,aber die Sprache ist trivial und einzelneAusdrücke
direkt plebejisch und veraltet. Es fehlte nicht an Literaten, die Bojar-
dos Werk verbessern und umarbeiten wollten, wie Bemi und Lodovico
Domenichi, aber das italienische Publikum verwarf den verbesserten
Bojardo und schöpfte am wahren Quell der Kraft imd Poesie. Ziem-
lich viel Erfolg hatte Francesco Bello,Cieco benannt, ein armer elender
Dichter, der zumeist bei den Gonzaga lebte, mit seinem Roman
„Mambriano" (1490 — 96), der den „Verliebten Ro-
land" weiter ausbaut, aber erst Ariost verstand
es, den goldenen Faden der phantasti-
schen Begebenheiten von Bo-
jardos Helden weiter
zu spinnen.
SIEBENTES KAPITEL
DAS JUNGE FERRARA
I
Rotterdamus kam 1508 nach Venedig, um bei
anuzio eines seiner Werke herauszugeben; es
te ihn nicht wen^, daB verschiedene der dortigen
en nicht lateinisch mit ihm sprechen wollten,
m sie die Sprache vollkommen beherrschten.
1er Florentiner Historiker, Bemardo Rucellal,
war damals in Venedig, und als Erasmus ihn in Gesellschaft traf,
sprach er ihn lateinisch an. Der Florentiner gab ihm eine liebens-
würdige italienische Antwort, als aber Erasmus sagte, daB ihm das
Italienische so fremd sei wie das Indische, und er zu ihm wie zu
einem Tauben spreche, erwiderte Rucellai kein Wort mehr und
gab vor, Erasmus nicht zu verstehen, ot^leich er lateinisch nicht
weniger rein als Sallust schrieb.
Die Italiener waren zur Überzeugung gekommen, daß der Ge-
brauch der alten Sprachen der Entwicklung des ,,Volgare" Abbruch
tue, deshalb führten sie Im Alltag wie In der Literatur einen heifien
Kampf mit dem Lateinischen. In den letzten Jahrzehnten des
XV. Jahrhimderts begann dieser Sprachenkampf und wurde In
Ferrara vorbereitet. Tito Strozzis schriftstellerische Begabung,
seine heftige Oppo^on gegen die Einführung des Italienisdien
in die Literatur war, wie wir gesehen haben, die Hauptstütze der
Humanisten in Ferrara, selbst Ercole hat auf ihn Rücksicht ge-
nommen. Strozzl hatte an der im hiimanistischen Sinne ge-
leiteten Universitftt eine Stütze, namentlich da dort der sehr
tüchtige Lthnt Bltet Sprachen, Battista Guarino, der Sohn des alten
X34
SIEBENTES KAPITEL
Veronesen, tätig war. Aber der in den Rahmen der Universit&ts-
Wissenschaften eingespannte Humanismus war nicht mehr jener
zündende Funke, den Filelfo, Valla oder der alte Guarino entfacht
hatten. Die Korporationen der Gelehrten, die Akademien und häufig
auch die Universitäten waren nur die Begräbnisstätten großer
Gedanken. Sobald eine Idee in akademischen Kreisen Eingang
geftmden hatte, gehörte sie der Geschichte an und wurde steril. Die
Professoren sangen ihr noch das de profundis.
Andere Strömungen waren in Italiens jüngerer Generation
wirksam, lilan strebte nach einer klaren Vorstellung der Antike,
begann die Autoren in reineren Texten zu lesen, suchte in ihren
Geist einzudringen, die alte Kultur mit den Errungenschaften der
christlichen Welt zu vergleichen und begann den eroberten Schatz
von allen Seiten eingehend zu betrachten, lilan verstand jetzt
unter philologischer Arbeit etwas anderes als zu Beginn der Re-
naissance, wo die Geister von der Größe der neuentdeckten, antiken
Schriftsteller so geblendet waren, daß sie, ohne Rücksicht auf das
Bestehende, die alte Kultur sklavisch nachahmen wollten. Jetzt
begann man darüber nachzudenken, wie sich das errungene Wissen
am besten verwerten ließe. Die Epoche der rückhaltlosen Nach-
ahmung war zu Ende. Die ferraresische Jugend begann zu forschen,
und von nicht geringem Nutzen war ihr dabei die Bibliothek der
Este, die neben den Werken klassischer Autoren provenzalische
imd andere Handschriften bewahrte. Neben der kritischen Arbeit
regte sich bei erlesenen Geistern die schöpferische. Fast die gesamte
jüngere Generation der Dichter und Literaten hatte unter dem
Einfluß der Antike lateinisch zu schreiben begoxmen, und ging
später zum Italienischen über.
Der alten Schule am nächsten stand Ercole Strozzi, Titus Vespa-
sianus Sohn, den der Vater im Ktilt des Lateinischen erzogen hatte.
Einige Historiker der Renaissance stellen ihn als lateinischen Dichter
höher als den Vater. Jedenfalls hatte Ercole mehr Phantasie und
Gestaltungskraft als Titus, der Vater dagegen erreichte die alten
lateinischen Schriftsteller fast im leichtflüssigen Vers und in der
gewählten Sprache. Obgleich Ercole auf einem Fuß hinkte, war
er der berühmte Held imzähliger Liebesgeschichten, sie ver-P
DAS JUNGE FERRARA 135
mehrten zwar die Zahl seiner erotischen Gedichte, wurden aber auch,
wie wir später sehen werden, die Ursache seines tragischen Todes*
Es hieB von ihm, daB ihn leichte Romane und leichte Elegien be-
schäftigten, „i fadli amori e intomo a questi, le fadli e piü culte
el^;ie''. Sein berühmtestes, in Hexametern verfaßtes Gedicht war
„Genethliacon'S das von Schmeicheleien für die Este, Borgia tmd das
Haus von Aragon überfloß. Jenes höfische Wesen und das Kriechen
vor den mächtigsten Geschlechtem fraß wie ein Krebsschaden an
den bedeutendsten Geistern der Renaissance« Auch Ercole war
nicht unter jenen, die die Zukunft bezwungen haben. Anders
Giovanni Pico della Mirandola (1463 — 1494), er gehörte jenem
hiunanistischen Kreise an, den Titus Vespasianus mit seinem
klassischen Übergewicht erdrückte. Pico war als Polyhistor und
Philosoph berühmt, es hieß von ihm, daß der Geist eines ganzen
Jahrhunderts nur einen Mann von solchem Wissen tmd Wert er«
zeugen könne* Die Zeitgenossen nannten ihn den Phönix unter
den Genies, „fenice degP ingegni'S und Polizian pries ihn als das
Licht aller Wissenschaften, „Picus omnium doctrinarum lux*^
Pico hatte sein Wissen in Ferrara erworben.
Die Familie der Pico aus Mirandola gehörte zu jenen Geschlech-
tem, die den Hof der Este umkreisten, häufig nach Ferrara kamen
und sich fast als ihre Vasallen betrachteten; sie hatten eine Be-
sitzung Corbula auf ferraresischem Gebiet, und ihre Beziehungen
zu Ercole waren besonders eng, da Bianca Maria, des Herzogs
natürliche Schwester, mit Galeotto Pico della Mirandola ver-
heiratet war. Galeottos jtmger Neffe, Giovanni, Gianfrancesco
Picos und Giulia Bojardos Sohn, kam studienhalber nach Ferrara,
war Guarinos eifriger Hörer und Tito Vespasiano Strozzis Freund*
Giovanni studierte nicht nur griechisch, sondern auch chaldäisch
und hebräisch, ließ m Ferrara die Werke der Alten für sich ab«
schreiben tmd galt sehr bald als Autorität in klassischen Sprachen.
Nach Tito Strozzis Aussage war er allen Zeitgenossen in der Kenntnis
des Gfiecfatschen und Lateinischen überl^en. Niemand hat die
Gesetze der Natur tiefer erforscht und niemand kannte den Lauf der
Gestirne besser. Pico war Meister in Mathematik und sprach trotz
seiner Gelehrsamkeit so fließend, daß ihm auch darin niemand
136 SIEBENTES KAPITEL
gleichkam. »Wer gehört hat, wie Du über theologische Fragen
sprichst/' schreibt ihm Strozzi, ,^ömite Dich für einen ausgezehrten
Greis halten, und doch deckt kaum leichter Flaum Deine rosigen
Wangen/' Diese rosigen Wangen und das lange Blondhaar trugen
dazu bei, daß Giovanni als der Anmutigste unter der damaligen
ferraresischen Jugend galt. Ebenso schnell wie sein VKssen um die
Sterne erwafb er sich die Herzen der Frauen.
Das Resultat dieser Abenteuer waren Liebesgedichte; prak-
tischer als Strozzi besang er seine Geliebten italienisch, so daB
sie die Gedichte auch lesen konnten. Er scheint sich dieses
Überschreitens der Vorschriften der älteren Humanisten jedoch
geschämt zu haben, vielleicht auch des gar zu leichtfertigen
Tones seiner Gedichte, jedenfalls hat er diese Seitensprünge
seiner jugendlichen Phantasie später verbrannt, „religionis causa",
wie €»s hieß.
Studienhalber ging Pico von Ferrara aus nach Bologna, später
nach Paris und Florenz, wo er Lorenzo Medici kennen lernte. Er
verschlang jegliches Wissen und ließ sich sogar insgeheim aus dem
Osten einen in der Kabballstik erfahrenen Mann kommen, der ihn
bei verschlossenen Türen in die von der Kirche verworfene Lehre
einführte. * Seine Anschauungen über die östliche Kabbala legte er
später im Werke nieder „Conclusiones Cabalisticae". Aus Florenz
schickte Giovanni allen hervorragenden Gelehrten netmhundert
Thesen, die er in Rom im Jahre i486 der ganzen Welt gegenüber
zu verteidigen sich verpflichtete, indem er die Gelehrten auf-
forderte, auf seine Kosten hinzukommen.
Das Ergebnis dieses Auftretens war ein ungeheures Aufsehen,
viel Feindschaft unter den Gelehrten, Innozenz' VIIL Zorn, der ihn
der Heresie bezichtigte — da packte ihn der Ekel vor der Welt,
er widmete sich theologischen Studien imd lebte von jetzt an wie
ein Klosterbruder auf seinen ländlichen Besitzimgen in Corbula
im Ferraresischen oder in seiner Villa Quaroeto bei Fiesole. Er
begann sich zu kasteien, durch Fasten zu quälen, sein Vermögen
unter die Armen zu verteilen, hatte die Absicht in ein Domin&aner*
kloster einzutreten und barfuß im härenen Gewände Gottes Wort
zu verkünden.
DAS JUNGE FERRARA 137
Sein Körper vermochte dem kühnen Flug seines Geistes nicht
standzuhalten, und Giovanni starb als BinunddreiBigjähriger am
14. November 1494.
Auf seinen Tod schrieb Giovanni Battista lilantovano ein
Distichon, das den Bruch in der Seele dieses tmgewdhnlichen Men-
schen mit wenigen Worten charakterisiert. Der Gelehrte hatte sich
in einen Heiligen gewandelt:
Picus Joannes, coelos elementa Deumque
Doctus, adhuc iuvenis, sanctificatus obit.
Giovanni della Blirandola steht als erster in der Reihe jener
kranken Renaissancemenschen, die, unzufrieden mit sich und
den religiösen tmd sozialen Zuständen, sich der Mystik eigeben.
Aus den Werken, die er hinterlassen, spricht ein Mensch von un-
erhörtem Gedächtnis, der das gesamte damalige Buchwissen ver-
schlungen, dabei aber seinen gesunden Verstand eingebüfit und
in ein Chaos von Theologie, Philosophie, Kabbalistik, Magie und
Naturwissenschaft versimken ist, ohne einen Ausweg zu finden.
Er wollte, wie viele seiner Zeitgenossen, Piatos Philosophie mit dem
Christentum vereinigen, das Wissen mit dem Glauben. Ein tm-
mi^liches Unterfangen, das weniger robuste Geister zur Zerrüttimg
geführt hat.
Die meisten Familien der norditalienischen Höfe waren unter-
einander verwandt. So war Giovannis Schwester Catfaerina mit einem
Nachbarn, Lionello Pio aus Carpi, verhekatet, aus jener stillen,
heute verfallenen Stadt, wo nur das stolze Schloß der Pio imd
einige Kirchen als Zeugen einer jetzt versunkenen Kultur übrig-
geblieben sind. Die Höfe zu Mirandola und Carpi wetteiferten in
der Pflege von Wissenschaft und Kimst. Die Pio gehören zu den
alten ghibeUinischen Geschlechtem und hatten dem Kaiser Heeres-
folge geleistet. Catherina Pio war eine ungewöhnlich gebildete Frau;
früh verwitwet, lebte sie der Erziehung ihrer Söhne Alberto und
LioneBo. Für den kaum vierjährigen Alberto hatte sie aus Rom den
jungen Humanisten Aldo Manuzio ab Lehrer kommen lassen, der
damals schon wegen seiner gründlichen Kenntnis des Griediischen
bekannt war. Einige Jahre unterrichtete Aldo Alberto in Carpi,
Z38 SIEBENTES KAFTTEL
um 1481 ging er mit seinem Zögling nach Ferrara, wo auch
ein Onkel des Knaben, Giovanni Pico, lebte« Durch Aldo lilanuzio
tmd seinen Schüler ward der Kreis der Humanisten in Ferrara yer-
gröBert, und Ercole Strozzi nahm sofort beim berühmten Florentiner
Unterricht im Griechischen. Aldos Aufenthalt in Ferrara war dies-
mal nur von kurzer Dauer, er mußte vor den venezianischen Söld-
nern, die 1482 die Stadt belagerten, flüchten. Die Beziehungen Aldos
zu den Este waren von Bestand, auch Alberto war ein häufiger
Gast in Ferrara, mufite er doch die Interessen seines kleinen Land-
chens wahren, da der Herzog ein Auge auf Carpi geworfen und die
Absicht hatte, es zu annektieren tmd Ferrara einzuverleiben.
Aldo blieb fürs erste in Carpi. Lehrer tmd Schüler wurden all-
mählich Fretmde; dies Verhältnis hat ihr ganzes Leben angehalten
und wurde ein wichtiger Faktor in der Entwicklung des Studiums
alter Sprachen in Italien. Beide waren gleich eifrig, und so war
Carpi kurze Zeit ein wichtiger Mittelpunkt für wissenschaftliche
Arbeit. Alberto genügte das Studium der Antike nicht, er wollte
sich auch in Naturwissenschaften, in Astronomie tmd Astrologie
vertiefen. Die vatikanische Bibliothek bewahrt einen lateinischen
Kodex, die Übersetzung eines hebräischen Werkes über Astrologie,
die ein französischer Jude Izaak gemacht tmd die Alberto Pio
abschreiben ließ. Er benützte jede Gelegenheit, um sein Wissen
zu vermehren. In Carpi lebte Jacopo Berengario, der Sohn eines
dortigen Chirurgen, der tun fünfzehn Jahre älter als Alberto war;
als Entgelt für Aldos griechischen Unterricht tmterwies er Alberto
in Anatomie, das Demonstrationsobjekt war ein geschlachtetes
Schwein. Bereng^o war später als Arzt geschätzt tmd galt als
einer der berühmtesten damaligen Anatomen.
Auch Giovanni Pico war 1485 einige Zeit in Carpi. Damals
scheinen die drei jungen Leute den Plan gefaßt zu haben» eine
Druckerei zu gründen, um texüich einwandfreie Atisgaben griechi-
scher und lateinischer Klassiker herzustellen. Damit sollte einem
empfindlichen lAangel abgeholfen werden. Lateinische Bücher
waren zwar schon in großer Anzahl erschienen, aber die Ausgaben
wimmelten von Fehlern, griechische Bücher exiatierten jedoch
katun.
DAS JUNGE PERRARA 139
welchem Eifer sich Aldo an die Arbeit machte, geht aus
einem Passus seiner Dedikation einer griechischen Ausgabe henror.
,,Gott ist mein Zeuge/' schreibt er, „daB ich nichts sehnlicher
wünsche, als zu nützen. Ich schmeichle mir, daB mein bisheriges
Leben dies bewiesen hat, und ich werde suchen, es zu beweisen,
solange Gott mich in diesem Jammertal erhält« Zwar könnte ich
ein ruhiges, sorgenfreies Leben führen, aber ich ziehe Mühe tmd
Arbeit vor, denn die Aufgabe des Menschen besteht nicht in Freuden
und Lustbarkeiten, die des Gelehrten unwürdig sind, sondern
mühselige Arbeit ist seine Bestimmtmg. . . .**
Die neue Druckerei gründeten die Fretmde nicht in Carpi, sondern
in Novi, einem kleinen, gleichfalls den Pio gehörenden Städtchen.
Carpi sollte der Sitz einer Akademie, als Sammelpunkt humanisti-
scher Studien werden. Es waren kühne Pläne; Alberto Pio versprach
Aldo die Einkünfte seiner groBen Ländereien für den Bestand der
Druckerei zu opfern und die Zukunft des Humanisten sicher-
zustellen.
Die Druckerei in Novi konnte sich nicht lange halten; Albertos
Vetter, Gibert Pio, bemächtigte sich Carpis und vertrieb Alberto,
der Z496 nach Ferrara flüchten muBte. Aldo hatte in Novi Aristo-
teles „Organon^^ herausgegeben, das Buch war Alberto gewidmet,
und die Vorrede klang nicht weniger zärtlich als jene, die Horas
an Mäcenas gerichtet: „Oh, mein Schutz, oh, meine Zierde/'
Aldo blieb längere Zeit in Ferrara, dann beschloß er seine
Druckerei nach Venedig zu verlegen, da man dort am ruhigsten
und sichersten seiner Arbeit leben konnte. Das trübte jedoch sein
freundschaftliches Verhältnis zu seinem einstigen Schüler in keiner
Weise, Alberto Pio blieb zeitlebens Protektor von Aklos Ver-
lag tmd war immer bereit, ihn mit Geldmitteln zu unterstützen.
Im Januar des Jahres 1513, kurz vor Julius IL Tode, setzte Alberto
beim Papst ein wichtiges Privileg für Aldo durch: der Nachdruck
seiner Bücher war bei Androhung des Bannes verboten. Dank
Albertos Bemühungen bestätigte auch Leo X. diesen Gnadenakt.
Alberto schätzte und liebte Aldo so sehr, daB er ihm im Jahre 1504
sogar sein Wi^ipen zuerteilte und ihm die Führung des Namens
Pio gestattete. Seitdem zeichnete der venezianische Drucker Aldus
140
SIEBENTES KAPITEL
Pius lilanutius Romanus und benützte den silbernen Adler im
roten Feld als Wappen. Auch nach Aldos Tod unterstützte Alberto
den berühmten Verlag, der in die Hände von Albertos Schwieger-
Tater, Andreo Asolano, übergegangen war.
Das genügte Alberto nicht; er war in dem MaBe von der Wichtig-
keit des Unternehmens, klassische Autoren herauszugeben, durch-
drungen, daB, als 1505 Carpi wieder in seine Hände kam und er
einige Gelehrte um sich versammeln konnte, er auch auf seinen
früheren Plan, die Druckerei zu erhalten, zurückkam. Zu diesem
Zwecke lieB er Benedetto Doldbolo kommen, den ehemaligen
Schüler Aldos, der später eine selbständige Druckerei in Corte
Maggiore, am Hofe von Roland II. Pallavidni eingerichtet hatte.
Vflt im 3CV. Jahrhundert jeder der italienischen Tyrannen seinen
Ehrgeiz darein gesetzt hatte, Handschriften abschreiben zu lassen
und aufzuhäufen, so wollte im beginnenden XVI. Jahrhundert jeder
seine eigene Druckerei haben« Alberto Pio kommentierte damals
Duns Scotus und gab seine Arbeit in einer kostbaren Ausgabe, mit
eigenen Typen gedruckt, heraus. Carpis Schicksale waren aber zu
unbeständig, das kleine Ländchen ging von einer Hand in die andere,
schliefilich rissen die Este es ganz an sich. Ak es nun 1508 Doldbolo
an einem mächtigen Protektor fehlte, übersiedelte der unternehmende
Drucker nach Ferrara und gab dort klassische Werke heraus.
II
Zusanunen mit Alberto Pio war 1498 auch der Venezianer
Pietro Bembo in Ferrara. Er war ein leidenschaftlicher Verehrer
antiker Literatur und Ercole Strozzis Freund, bei dem er häufig
zu Gaste war. Seit vielen Jahren hatte Venedig seinen Gesandten
in Ferrara mit dem Titel eines Tnzedomino, er war wenig beliebt,
da er sich in alles hineinmischen wollte; die venezianischen, in Ferrara
lebenden Untertanen unterstanden seiner richterlichen Gewalt,
und als Beobaditer der f erraresisdien Regierung war er dem Herzog
unbequem. Mit Rücksicht auf die Macht der benachbarten Re-
publik muBte man ihn dulden. Gegen Ende des XV. Jahrhunderts
DAS JUNGE PBRRARA 141
nahm der alte Bemardo Bembo, der. frühere venezianische Ge-
sandte in Florenz, diese Stelle ein; seine Familie gehörte zu den
angesehensten der Republik, und er war um seiner Gelehrsamkeit
willen bekannt. Sein Sohn Pietro, ein hübscher, ansehnlicher,
sehr begabter Jüngling, lebte von 1498 bis 1500 bei ihm.
Pietro war im Griechischen bewandert tmd hatte sich in Fe«
trarca, Boccaccio und in provenzalische Literatur vertieft. Er
sammelte die Werke provenzalischer Dichter, und ein von ihm zu-
sammengestellter Kodex befindet sich in der Bibliothique nationale
zu Paris (Nr. 12473). Trotz aller Gelehrsamkeit tmd Philologie war
Bembo zu tollen Streichen aufgel^, bei den Frauen sehr beliebt,
„gentiluomo galante e bello'S und galt als Stern unter der ferrare-
sischen Jugend.
Sein Wunsch war, die Volkssprache, das „Volgare'S zu reinigen
und es zur Schriftsprache zu erheben. Ihn, der die glatten S&tze
der alten Autoren gewöhnt war, reizten Bojardos Provinzialismen
und sprachlichen Verballhomungen. Mit seinen Plänen stieB er
bei den Gelehrten auf nicht geringen Widerspruch. Ercole Strozzi
war einer seiner schärfsten Gegner, er sagte, Bembo käme ihm
vor wie jemand, der, an Wildbret gewohnt, sich plötzlich von Sau«
bohnen nähren wolle« Bembo verwies auf Dante imd erwiderte,
wer das Lateinische pflege, gleiche einem Menschen, der seine
eigene Mutter verhungern lasse, tun eine fremde Frau zu ernähren.
Italienisch sei die Sprache ihrer Väter, Mütter, Schwestern, und es
sei eine viel größere Schande, diese ihre Muttersprache nicht zu
beherrschen, als im Lateinischen oder Griechischen zu versagen.
Bembo hatte die Frauen für sich.
Mit noch einem gefährlichen Feind hatte die junge Generation
zu kämpfen, mit der Pedanterie. Die Pedanterie, eine wahre Krank-
heit, wucherte auf den Feldern der Humanisten tmd wuchs sich zum
seltsamen Unkraut aus. Ein reines Lateinisch schreiben, war die
Losung der älteren literarischen Zirkel — was man schrieb, war
gleichgültig. Der eine ließ ein lateinisches Gedicht über die Zucht
der Seidenraupen drucken, der andere über das Schachspiel, und die
Partner waren Apoll und Merkur. Es gab sogar einen lateinischen
Dichter, der ein didaktisches Gedicht „De morbo gallico^' verfaßt
Z42 SIEBENTES KAPITEL
hatte, in dem er Arzneien gegen die neue Krankheit empfahl. Auch
in der Prosa versuchten diese Latinisten sich so sklavisch an die
antiken Ausdrücke zu halten, dafi sie es zu rechtfertigen suchten,
wenn sie Worte anwandten, die die Antike nicht kannte, wie
duz, comes oder marchio. Cicero war natürlich das Ideal dieser
Phrasendrescher.
Bembo war kein Dichter, das hinderte ihn nicht, italienische und
lateinische Gedichte zu machen, die sich durch ihren fehlenden
Inhalt auszeichnen. Berühmt war sein Dialog „Gli Asolani", den
der Verfasser in Ferrara begann. Es sind Gespräche über Liebes-
theorien. Die venezianische Republik hatte Cjrpems entthronter
Königin, Catherina Comaro, eine sehr schöne Besitzung, das Castel
Asolo im Trevisanischen, zum Wohnort angewiesen. Die Comaro
empfing dort ihre Gäste und entfaltete einen königlichen Luxus.
Auch Bembo war eine Zeitlang in Asolo, er wählt ihren Hof zum
Schauplatz für sein Gedicht. Dort finden drei Jünglinge drei Vene-
zianerinnen, die dem Hofstaat der Königin angehören. Nach Tisch
versammelt diese kleine Gesellschaft sich im Garten imd setzt sich
in den Schatten von Lorbeerbäumen neben eine rieselnde Quelle.
Der eine der Jünglinge stellt die Frage, ob die Liebe gut oder vom
Übel sei. Der melancholische Perrottino ist ein Feind der Liebe
und glaubt, daß sie die Wurzel alles Bösen auf der Welt sei. Am
nächsten Tage verteidigt Gismondo die Liebe, und am dritten Tage
nimmt selbst die Königin teil am Gespräch. Lavinellos Beweis-
fühnmg ist die schlagendste: die Liebe ist weder gut noch böse,
doch kann sie das eine oder das andere sein, je nach dem Gegen-
stande, dem sie gilt. Gut ist eine Liebe, deren Ideal eine schöne Seele
in einem schönen Körper ist, schlecht und tierisch die bloß sinnliche
Liebe, die nicht auf die Erhaltung des menschlichen Geschlechtes aus-
geht. Lavinello erzählt auch von einem Gespräch, das er mit einem
Einsiedler über diesen Gegenstand geführt: nach dessen Ansicht
gibt es nur eine wahre Liebe, die Liebe zu Gott.
So haben wir wieder Petrarcas Theorien, verbrämt mit plato-
nischen Ideen. Bembo lehnt sich überhaupt in seinen italienischen
Gedichten eng an Petrarca an; die Dialogform der „Asolani'*
entlehnt er Boccaccio, indem er sie erweitert und ausspinnt. Immer
DAS JUNGE FERRARA 143
folgt er jemandes Vorbild: in seiner Prosa Cicero und Boccaccio,
in seinen Gedichten Petrarca. Seine Verse entstehen nicht aus
innerem Zwange; an Veronica Gambara richtet er leidenschaftliche
Sonette, obgleich er sie nie gesehen.
Mit Bembo beginnt jene literarische Krankheit, die wie ein
jeden Organismus zerfressender Pilz in Italien, namentlich im
XVI. Jahrhundert, um sich gegriffen und jede literarische Selb-
ständigkeit zerstört hat. Diese Krankheit nannte man Petrarkis-
mus. Petrarca wurde ziun literarischen Gott erhoben, dagegen ver-
blaßte Dantes Ruhm, auch an Fürstenhöfen wurden die Werke
des großen Florentiners kaum noch gelesen. Während dreier
Jahrhunderte, von der Erfindung der Buchdruckerkunst bis ins
ZVIII. Jahrhundert, sind in Italien katmi zwanzig Dante-Ausgaben
erschienen, während Petrarcas „Canzoniere'^ vom Ende des
XV. bis zum Beginn des XVII. Jahrhunderts hundertsiebenund-
fünfzig Neudrucke erlebt hat.
Es ist nur zu begreiflich, dafi der Petrarkismus seinen Ursprung
an italienischen Fürstenhöfen hat. Raffinierte Kirnst und gesuchte
Formen wurden am Hof gewünscht. Nach den Ansichten einer
solchen Gesellschaft war Petrarca allein würdig, den Platz neben
Ovid und Horaz zu behaupten. Dante war für Fürsten tmd Höf-
linge zu dunkel, zu philosophisch und brutal. Monsignore Della
Casa erklärte in seinem „Gabot'S daß man aus der Göttlichen Ko-
mödie höfische Art „l'arte di essere grazioso'* nicht lernen könne.
Dieser Begriff „grazioso^' war aber das Wesentlichste, und Petrarcas
Canzoniere stimmte gut dazu. Der Petrarkismus wurde der ver-
zauberte Kreis, aus dem die Geister längere Zeit nicht herauszutreten
vermochten. Es ging so weit, daß Petrarca nicht nur nachgeahmt,
sondern umgearbeitet und verbessert wurde. Ein Dichterling aus
Mailand verfaßte in der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts eine
Dichtung „II bei Laureto^' zu Ehren von Donna Laura, im Glauben,
daß Petrarca ihre Schönheit und Tugend zu wenig gepriesen. Petrarca
gleichen, ja über ihn hinausgehen, wird zum Losungswort. Pietro
Aretino wußte sich vor Freude nicht zu lassen, als ihm der lilark-
graf von Mantua schrieb, daß er in einer Kanzone selbst den Meister
übertroffen habe«
144 SIEBENTES KAPITEL
Was Wunder, dafi Bembo, durchdrungen von höfischer Art,
und vom Wunsch beseelt, die italienische Sprache zu reinlgeni
zxun rückhaltlosen Verehrer Petrarcas wurde. Unter Scharteken
und verstaubten Handschriften forschte er nach seinen Schriften,
denn Petrarca sollte zum Ideal des Jahrhunderts werden. Aldo
Manuzio behauptet, daß Bembo Petrarca populär gemacht habe, vor ihm
kannte man in Venedig und der Lombardei den „Canzoniere'^ kaimi.
Bembo schrieb ein Sonett nach dem anderen; während Petrarcas
reine Liebe und Begeisterung Laura galt, war Bembos Muse eine
gewöhnliche Römerin, die bekannte Morosina, mit der er drei
Kinder hatte.
Bembos Ziel, die Gesellschaft zu petrarkisieren, gelang voll-
ständig. Als er alt geworden, konnte er zu seinem Ergötzen sehen,
daß alle römischen und venezianischen Kurtisanen den „Petrar-
chino", eine kleine Ausgabe des „Canzoniere^', auf der Straße
gewissermaßen als Gebetbuch in der Hand hielten, ebenso war der
„Petrarchino" der unzertrennliche Gefährte jedes Elegants. In
Venedig konnte man die Creme der männlichen Jugend sehen,
eine Blume hinter dem Ohr, in parfümierten Handschuhen, den
Petrarca halb aus der Tasche heraussehend, wie sie auf dem
S. Marco-Platz spazieren ging, die Füße mit zierlicher Bedacfat-
samkeit setzte und den vorübergehenden Frauen verliebte Blicke
zuwarf. Wie es heute gewissermaßen zum guten Ton gehört, Klavier
zu spielen, so war damals das Reimeschmieden ein Zeichen höherer
Kultur. Auf dem Tische jedes „Dichters^' lagen kleine Wörterbücher
und Reimpaare, die aus dem „Canzoniere^^ herausgeschrieben waren.
Nach Bembos Tode verkündete einer seiner Schüler, der vene-
zianische Dichter Domenico Venier, die Tränenflut wäre so groß,
daß eine neue Sintflut der Welt drohe.
Per la morte di Bembo un si gran pianto
Piovea da gli occhi de 1' imiana gente,
Ch' era per affogar verecemente,
Come diluvio, il mondo in ogni canto.
Bembos wirkliche und große Verdienste beruhen natürlich nicht
in seinen Dichtungen, sie liegen in seinem Streben, das Italienische
DAS JUNGE FERRARA X45
ans seiner mifiachteten Stellung zu befreien und ihm seinen Klang
und seine Reinheit wiederzugeben.
So feiert Ariost Bembo in seinem Orlando:
Piero
Bembo, che U puro e dolce idioma nostro
Levato fuor del volgare uso tetro
Quäle esser dee, ci ha co'l suo esempio mostro.
(Orl. für. XLVI, 15.)
Aus Bembos Studien in Perrara erwuchs sein späteres Werk
„Prose della volgar lingua'S als Grundlage für den weiteren Aus-
bau des Italienischen aus den verschiedensten Dialekten. Seine Arbeit
setzte Bembo in Rom als Sekretär Leos X« fort (i5X3)> in Rom
verkehrte er mit Castiglione, Fregoso und Angelo Colocd, einem
der berühmtesten Gelehrten der Renaissance. Colocci, der die
klassischen Sprachen gründlich kannte, war gleichfalls ein leiden-
schaftlicher Verehrer der lingua volgare. Wie Bembo hatte er
sich in das Studium provenzalischer Poesie vertieft und be-
herrschte das Spanische und Portugiesische; er sammelte griechische,
lateinische, hebräische tmd provenzalische Handschriften und
antike Münzen; leider wurden seine großartigen Sammlungen
während des Sacco di Roma zerstört. In Colocds berühmten Gärten
„Orti Colocdani'* versammelten sich die Sprachreformer und be-
gründeten die „Accademia Romana'S die der Mittelpunkt des lite-
rarischen Lebens in Rom wurde. Wir finden dort fast alle jene
Literaten, die gegen Ende des 3CV. Jahrhunderts in Ferrara, Mantua
und Urbino tätig waren.
Dieser ferraresischen Jugend hatte sich auch Jacopo Sadoleto
(1477 — 1547) angeschlossen, der Sohn eines berühmten Juristen
aus Modena, Er wurde später Sekretär bei Leo X. und Kardinal,
interessierte sich lebhaft für Cicero und war für seinen el^anten
lateinischen Stil bekannt. Sadoleto besuchte zusammen mit Alberto
Pio die Vorträge des berühmten Humanisten und Arztes, Niccolo
Leonioeno, der Aristoteles konamentiert hat.
Celio Calcagninis (1479 — 1541) Elegien waren weit verbreitet,
er läSt sich fast mit Ariost vergleichen imd überragt dank seiner zün-
denden Phantasie all seine Zeitgenossen.
10
146 SIEBENTES KAPITEL
Calcagnini gehört zu den Universalgenies der Renaissance,
als Jurist und Astronom war er in ganz Europa berühmt. Als
Heinrich VIII. von England seine Scheidung durchsetzen wollte,
fragte man ihn und noch einige andere berühmte Gelehrte der da-
maligen Welt um ihre Ansicht. Etwa die Hälfte der grofien Männer
der Renaissance waren uneheliche Söhne. So auch Calcagnini.
Sein Vater, Calcagnino di Francesco Calcagnini, gehörte zu
Perraras angesehensten Familien, von der Mutter, Lucrezia Con-
stantini, weiB man kaum mehr als den Namen. Der Vater soll, als
ihm die Geburt des Sohnes gemeldet wurde, Ciceros Brief an den
Adilen M. Celio gelesen und hocherfreut gerufen haben, daB der
Knabe Celio heißen müsse. Ein echt humanistisches Histörchen!
Auch bei der Taufe sollte Celio einen Beweis seiner künftigen
kräftigen Organisation geben: als das einige Tage alte Kind zur
Taufe in die Kirche getragen wurde und der Priester ihm Wasser
über den Kopf goß, wehrte es sich heftig mit seinen kleinen Händ-
chen gegen das Kalte und ergriff das Gebetbuch des Kaplans. Celio
wuchs in Ferrara auf; zu seinen berühmtesten Lehrern gehören
Pietro Pomponazzo, der Philosoph, und Niccolo Leoniceno, der be-
kannte Arzt. Frühzeitig übertrugen die ferraresischen Herzöge ihm
Würden und benützten ihn als Gesandten bei den verschiedensten
Höfen. Celio begleitete den Kardinal Ippolito nach Ungarn und
Polen, war Gesandter in Venedig tmd Rom bei Julius II. und Leo X.,
daim mußte er wieder nach Ungarn, um Zwistigkeiten, die unter
den Magnaten nach dem Tode des Königs Ladislaus ausgebrochen
waren, zu schlichten; in Ferrara trug er an 4er Universität Mathe-
matik und Astronomie vor. Von seinen Verdiensten auf diesem Ge-
biet Wird noch die Rede sein. Celio wurde später Domherr in Ferrara;
da er jedoch für die Dominikaner eine besondere Vorliebe hatte, ver-
machte er ihnen seine Bibliothek, seine mathematischen und
astronomischen Instrumente, sowie fünfzig Skudi jährlich für die
Erhaltung der Sammlungen. Femer verfügte er testancientarisch,
daß das Maultier, das ihn lange Jahre getragen hatte, bis zu seinem
Tode im gewohnten Stall bleiben imd Gnadenbrot genießen sollte.
Natürlich hatte das Höflingswesen, der übertriebene Frauen-
kult der höheren Kreise einen schädlichen Einfluß auf die Literatur,
DAS JUNGE FERRARA 147
besonders auf die Poesie, Nichts dtirfte einfach gesagt werden»
man ersann Schmeicheleien, sonderbare Vergleiche, die mit dem
gesunden Menschenverstand im seltsamsten Widerspruch standen*
Gegen Ende des XV. Jahrhunderts nahm diese Krankheit inmier
mehr überhand, im XVI. und XVII. wurde sie zur verheerenden
Epidemie, zum sogenannten Seicentismo.
Einer der Hauptvertreter dieser Richtung am Hofe von Ferrara»
ja gewissermaßen ihr Schöpfer war Antonio Tebaldi; da ihm dieser
Name nicht poetisch genug erschien, nannte er sich Tebaldeo. In
Ftorara 1463 geboren, wuchs er dort auf, schrieb dort seine ersten
Gedichte, und war sehr bald so berühmt, daB er zum Poesielehrer
der kleinen IsabeUa d' Este ernannt wurde. Die Schülerin befriedigte
den Lehrer in hohem Maße, er äußerte sich einst über sie, sie beginne
Wtmder in der Poesie zu tun, „ad fare miraculi in poesia'S was
wohl nicht ganz wörtlich zu nehmen ist. Tebaldeos Liebeshändel
erfreuten sich bald einer gewissen Berühmtheit, um so mehr, als
sie in seinen Sonetten verherrlicht wurden, seine Verse gefielen
so gut, daß einer der estensischen Hofpoeten an ihn schrieb:
Remembrati di noi tu che trascendi
Con Tali isnelle d'un stil raro e hello.
Dal mondo al cielo; tal che questo e quello,
Stupiscon dil gran che fra noi prendi.
Nach Isabellas Vermählung ging Tebaldeo zu den Bentivoglio
nach Bologna, dort studierte er Medizin und schickte seiner früheren
Schülerin nur von Zeit zu Zeit Sonette. Doch die Markgräfin
sehnte sich nach ihm, wenn sie sich als Dichterin fühlte,
wünschte sie, daß Tebaldeo ihr die Pforte zum Parnaß öffne. Außer*
dem war ihr seine Gesellschaft sympathisch, da er nach ihren
Worten ein Mann war, „di tanto honore et piacere''. Der liebens*
würdige Höfling kam nach Mantua, hier unterwies er die Mark-
gräfin nicht nur darin, wie man in Wahrheit zur Dichterin würde,
sondern schrieb in aller Stille Sonette, die der Markgraf als sein
eigenes Elaborat veröffentlichte!
Sonette machen gehörte zum guten Ton; da der arme Markgraf
diese Forderung absolut nicht erfüllen konnte, half er sich, so gut
Z48 SIEBENTES KAPITEL
es eben ging, selbst später, als Tebaldeo nicht mehr in Mantua lebte,
ließ er sich noch Sonette für seinen eigenen ^Bedarf Ton ihm
schicken«
Der Dichter erfüllte seine Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit des
Markgrafen, aber Gonzaga entlohnte Tebaldeo nicht seinen beschei-
denen Ansprüchen gemäß. Antonio litt Kilangel, er wurde am Hof
ungenügend imd schlecht ernährt, bekam den „traurigsten^^ Wein
und verdorbenes Fleisch. So bat er den Markgrafen, ihm wenigstens
zehn Dukaten monatlich auszusetzen, da er sonst in Mantua
nicht leben könne und einen anderen Dienst suchen müsse«
Dem Markgrafen erschien diese Summe zu hoch, Tebaldeo ging
deshalb nach Ferrara zurück, trat in Ippolitos Dienste und huldigte
später dem neuen Stern am ferraresischen Hofe, Lucrezia Borgia,
deren Sekretär er wurde.
Seine Beziehungen z\un Hofe von Mantua wurden nicht abge«
brochen, er schickte nach wie vor seine Gedichte, für die ihm be-
scheidener Lohn ward. Einmal bat er die Markgräfin,' ihm wenigstens
vier Hemden zu schenken, wenn auch aus elendem Leinen, er würde
sie in Gedichten bezahlen, da er nichts anderes besitze.
Endlich im Jahre 15 13, als Leo X. Papst wurde imd sämtliche
Dichter imd Künstler ihr Heil in Rom suchten, übersiedelte auch
Tebaldeo in die päpstliche Residenz. Er wurde Geistlicher, lebte in
Castigliones, Bembos und Raffaels Gesellschaft, imd seine Träume
sollten wenigstens zum Teil in Erfüllung gehen, er kam auf den
PamaB — wenn auch nur auf den gemalten. Raffael brachte näm-
lich sein Bildnis auf dem Parnaß-Fresko in den vatikanischen
Stanzen an. Es gab einen Glanzpunkt in seinem Leben: Leo X.
schenkte ihm einst 500 Dukaten für ein Epigramm. Während des
Sacco di Roma verlor der Dichter sein gesamtes Hab und Gut, er
blieb in der Stadt, und fluchte bis zu seinem Tode — am 4. No-
vember 1537 — I^^l V. und seinen Söldnern.
Seine gesammelten Gedichte gab Jacopo Tebaldi Z498 in Modena
heraus, offenbar ohne Wissen des Verfassers; sie waren Isabella
von Mantua gewidmet. Der Dichter selbst wollte seine an eine
Flavia gerichteten Liebeslieder der Öffentlichkeit nicht preisgeben,
ie Gedichte strotzen von Übertreibungen. Die Vergleiche wirken
DAS JUNGE FERRARA 149
Iftcherlich, soweit sie dem heutigen Geschmack nicht geradezu
unerträglich sind* Des Dichters Tränen fließen in Strömen/ so daB
der aufgeweichte Erdboden abrutscht; wenn er liebt, so verzehrt
dieser Brand seine Kleider, imd Rauchsäulen steigen gen Hinunel;
ungewiß, ob dies Feuer ihn ganz verzehren wird, bittet er seinen
Freimd vorsichtshalber, Briefe an ihn zu adressieren; an den
lebenden oder schon toten Tebaldeo. Fast noch schlimmer wird es,
wenn er Francesco Gonzagas Gefühle schildert: der Markgraf weint
aus Liebe, seine Tränen bilden die Seen, die Mantua umgeben, ja
der Po steigt infolge dieses Ergusses, und der unglückliche Gonzaga
seufzt so sehr, daß der aus seinen Klagen entstandene Wind den Mast
der Barke bricht, die ihn zu seiner Geliebten führt. Tebaldeo selbst
magerte einmal aus Liebeskummer so ab, daß er während des
Karnevals keine BSaske vorzubinden brauchte, da niemand sein
skelettartiges Gesicht erkannte.
Seine politischen Sonette, nach Italiens Niederlage geschrieben,
verraten echten Patriotismus, doch würde man auch hier vergebens
nach einem einfachen Gefühl suchen.
III
Neben dieser glänzenden Jugend, die eine mehr oder weniger
behagliche soziale Stellung und verfeinerteKultur hatte, trieb sich
unter den Dienern der Este in Küchen und Vorzimmern, in ab-
genutzten Kleidern, ein sehr origineller Dichter herum, Antonio
Cammelli (1440 — 1502), Pistoja benannt. Aus ihm sprach der Witz
der Armen und die Satire des Volkes.
Fast jeder Hof hatte damals einen derartigen Dichter, er rangierte
bei Tische höher als der Hofnarr und niedriger als der für sein
Kloster sammelnde Franziskaner; alle spotteten seiner, am wenigsten
vielleicht der Fürst, der wegen seiner Schmeicheleien für ihn ein-
genommen war. Eine ähnliche Rolle spielte in Mailand, an Lodo-
vico Moros Hof, Bemardo Bellindoni, er steckte voller Witz und
Sarkasmus und war seinem Herrn ehrlich zugetan. Pistoja hatte
eine große Familie; da er in Ferrara keine feste Beschäftigung hatte»
ISO
SIEBENTES KAPITEL
lebte er von den Brocken der herzoglichen Tafel. Unausgesetzt
t>ettelte er um Getreide und andere Lebenstnittel, einmal schrieb
er demütig, daß er vom Herzog Nahrung erwarte wie ein Kind von
seiner Mutter. Wahrscheinlich hat er eine kleine monatliche Unter»
Stützimg bekommen, beklagt er sich doch in einem seiner Sonette,
daß er „gegen Monatsende" zerrissene Strümpfe trage, Hab imd
Gut sei beim Juden, er lebe auf Borg, Regen imd Sonne könnten
ungehindert in seine elende Wohnung dringen, Schwamm decke
den Fußboden imd Schimmel die Wände. Den BCauleseltreibem
würde vom Herzog mehr Gnade als den Dichtem erwiesen. Wird
ihm im Schloß Essen gereicht, so muß er mit den Hofharren imd
Fuhrleuten vor einem widerwärtigen Tischtuch niedersitzen in einem
kalten, schmutzigen Raum, wo ihm die Decke fast auf den Kopf
fällt. Salat mit verdorbenem Ol, trockenes verschimmeltes Brot,
saurer Wein und das nicht gar gewordene Fleisch einer alten Kuh
bilden das Mahl.
Schließlich erbarmte der Herzog sich seiner und gab ihm eine
Anstellung. Im Jahre 1487 ernannte er ihn zum Capitano des
Tores di Santa Croce in Reggio und setzte ihm eine kleine Pension
aus. Aber der arme Dichter mußte in einem Turm wohnen, der ihm
beinahe über dem Kopf zusammenbrach und den Ercole nicht
restaurieren ließ, auch die allemotdürftigsten Lebensmittel wurden
ihm versagt. Der Capitano bettelte sich bei den Bürgern etwas
Wein und Brot zusammen. Man nannte ihn auch „Fürstendiener
auf fremde Kosten'S „servo del duca all' altrui spese''. Zwar ver-
sprach ihm der Herzog Geld, doch wurde der Sold nie ausgezahlt.
Nach zehn Jahren verlor Pistoja auch diese Anstellung, bekam sie
aber 1499 wieder, da die Msu-kgräfin Isabella, die seine Verse sehr
schätzte, sich für ihn verwandte. Ein Jahr später hieß es wieder
den einstürzenden Turm verlassen, und der arme Dichter trieb sich
abwechselnd an den Höfen von Correggio, Mantua, Novellara und
Ferrara umher, hungernd und klagend, bis er elend im Jahre 2502
gestort>en ist. Auf Veranlassung der Msu-kgräfin Isabella sanmielte
Niccolo da Correggio seine Gedichte.
Diese Gedichte verraten viel Kraft, Sarkasmus und ehrlichen
Schmerz über das Unglück des Landes. Das empörte Gewissen meldet
DAS JUNGE FERRARA 151
sich sehr selten bei den Dichtern jener Periode, die alle in Phrase
und Schmeichelei ersticken — dieser arme Himgerleider allein hat
den Mut zur Wahrheit. An Alexander VI. wendet er sich in einem
gehamischten Sonett:
Ruina de' Christian, tu, falso prete
Per simonia comprasti il divin culto,
Da cui e fatto il templo santo stulto
Con omid, stupri e con monete.
Du, Ruin der Christen, falscher Priester,
Gottes Stuhl hast du durch Simonie erkauft,
Die heilige Kirche geschändet
Durch Mord, Raub und Wucher.
II femelico verme iniquo e tristo,
Che divora la croce e Jesu Christo.
Gier^er, böser, finsterer Wurm,
Du schändest das Kreuz und Christus.
Als Ferrara-Anhänger haßte Pistoja Venedig und warf der Re-
publik ihre Habsucht und Treulosigkeit vor. San Marco kennt keine
Freundschaft, wiederholte er immer wieder.
Jedes wichtigere politische Ereignis, jede markante Persönlichkeit
unter den Zeitgenossen spiegelt sich in Pistojas Sonetten. In Augen-
blicken der Leidenschaft benutzte er die wirksame Form kurzer Fragen
und Antworten. Ausgezeichnet in dieser Hinsicht ist das Gedicht,
wie der berüchtigte Lucca Gregorio Zampante, den die Ferraresen
hassen, in den Himmel eindringen will, aber S. Peter weist ihn in
die Hölle, und der Teufel Panfarello übeminmit die Fühnmg:
Toc Chi hatte? — Amid, aprimi un poco.
— Come ti chiami? — Da Lucca Gregorio.
— Ah, ahl io el so, il tuo nome i notorio;
Su SU, a la forca, a la manara, al foco,
Par te non fü fondato questo loco.
Piü giü te aspetta un altro condstorio.
i venir qui col tuo aiutorio.
Z52 SIEBENTES KAPITEL
— No, no, altro ti vuol codere il coco.
Bu, bu. — Chi abaia? — Pier fainxni ragione.
— Chi sei tu che mi chiami? — Fanfarello.
— Che cosa vuoi da me? — Questo latrone.
Che al del per crudelti si fe rebello;
lo ti dico da parte di Plutone,
Che gli i per carta suo: ecco il libello.
— lo non voglio esser quello,
Che a nissiin patto Taltrui preda toglia:
Piglialo» menal viä fa la tua voglia.
— C&vati fdr la spoglia,
Cammina, traditor, che ogni martire,
Sar& poca vivanda al tuo fallire.^)
Wohl Ercole zu Gefallen schrieb Pistoja eine fünfaktige Tra-
gödie: „Filostrato e Panfila'', den Inhalt schöpft er aus Boccacdos
NoTelle von Ghismonda und Guiscard. Aber hier verläBt ihn sein
Witz, er kann nicht auf Stelzen gehen. Das Ganze strotzt von Über-
treibungen und ist erschreckend trivial. Doch wurde diese Tragödie
in Mantua in der Fastenzeit im Jahre 1499 aufgeführt.
^) Wer klopft? — Freimdy mach auf.
— Wer bist du? — Lucca Gregorio.
— Nun weiß ich's» bekannt ist dein Name;
Hinunter zur Hölle» in Pedi und Schwefel;
Nicht für dich ist dieser Ort,
Deiner harrt ein andrer ^»ruch.
— Hilf mir und lafi mich ein.
— Nein» nein, deiner wartet schon der Koch.
— Bu, bu. — Wer bellt da? — Petre, Gereditigkeit.
— Wer ruft mich? — Fanfarello.
— Und dein B^efar? Diesen Räuber,
Der sich gegen Gott empört.
Pluto Ußt dir sagen.
Er sei ihm zu eigen — hier die Schrift.
— Nicht der will ich sein,
Der andern Rechte raubt,
Nimm ihn und tu nach deinem Begehr.
— BAadi hurtig, Verriter.
Für deine BAissetaten langt keine Strafe.
DAS JUNGE FERRARA 153
IV
Während an der italienischen Sprache gearbeitet wurde,
taucht auch das Verlangen nach der italienischen Bühne
auf. Die alten Mysterienspiele genügten nicht mehr, sie zogen
sich in die Klostermauem zurück, und die Volksaufführungen, die
in Siena stattfanden, entsprachen dem Geschmack der klassisch
geschulten gebildeten Gesellschaft nicht. Die neue Generation
▼erlangte eine Komödie nach dem Muster der alten, Szenen, die
menschliches Leben und menschliche Schwächen spiegeln. Natür-
lich galt es erst Anleihen bei Plautus tmd Terenz zu machen, ehe
man die Bühne und ihre- Anforderungen begriff. Die antiken
Komödien aufzuführen, war nicht leicht und namentlich mit nicht
unerheblichen Kosten Terbimden; die italienischen Höfe begriffen,
daB die InitiatiTe von ihnen ausgehen müsse, die vermögenden
Fürsten waren die einzigen, die diesen Versuch unternehmen
konnten.
Es wird erzählt, dafi Ercole, der als Knabe während einer Krank-
heit die alten Autoren gründlich gelesen, schon damals die Wieder-
geburt des Theaters geplant hat. Er steht an der Spitze der Be-
wegung, und ihm gebührt das größte Verdienst in der Belebung der
modernen Bühne. Theateraufführungen liebte er leidenschaftlich,
und mit Eifer machte er sich an ihre. Ausstattung, weder Mühe noch
Kosten sparend. Sein Wimsch war, in Ferrara die erste Bühne
Italiens zu schaffen, und er hat dieses Ziel zum Nutzen der Literatur
erreicht:
Quae fuerat Latus olim celebrata theatris
Herculea . . . scena revixit ope.
Ercole hat eine ganze Schar ferraresischer Literaten angefeuert,
antike Komödien zu übersetzen, umzuarbeiten, Eklogen zu ver-
fassen, Pastoralen und Ballettspiele zu ersinnen. Im Einverständnis
mit ihm arbeiteten an der Wiedergeburt der Bühne: Bojardo, Bat-
tista Ouarino, Niccolo da Correggio, CoUenucdo, Tebaldeo und viele
andere, und Architekten tmd Maler wie Fino de' Marsigli, TruUo,
Segna, Giovanni da Imola, Pell^^ino da Udine und später die Brüder
154 SIBBBNTES KAPITEL
Dossi lind ihre Schüler ersannen Bühnenapparate, zeichneten
Kostüme und malten Dekorationen.
Als erstes Theaterstück wurden 1486 Plautus' Menaechmen
aufgeführt. Die Bühne war im SchloBhof aufgeschlagen. Ein Jahr
darauf, zu Ehren von Lucrezia d'Este und Annibale Bentivoglios
Hochzeit wurde ein Original-Ltistspiel, Correggios ,yCefalo'^ mit
sehr viel Pomp gespielt. Die Bühne war in ein Schldfichen Yerwandelt»
dort agierten die Schauspieler. Das erwies sich als unpraktisch,
da ntian infolge des Regens eine Aufführung abbrechen mufite.
Später fanden Aufführungen abwechselnd im Garten oder in Schi«
fanoja statt, schliefilich wurde 2499 mit nicht tmbedeutenden
Kosten eine Bühne im großen Palastsaal errichtet. Ballette, Farcen
und Burlesken schob man zwischen die Akte der klassischen „Ko-
mödien^^ ein, die alles andere eher denn amüsant waren. Ferrara
errang eine Stellung, wie sie heute etwa Bayreuth hat. Aus weiter
Feme kam man zu diesen Aufführungen, überall wurde davon
gesprochen, ja die Aufführungen in Ferrara gehörten zu den be-
deutendsten künstlerischen Ereignissen der damaligen 2^it. Den
Glanzpunkt bildete die Aufführung des gesamten Zyklus von
PUutus' Komödien anUlBlich der Feste bei Don Alfonsos Trauung
mit Lucrezia Borgia. Doch wird davon noch die Rede sein.
Ferraras Bühne war gewissermafien das Vorbild für alle übrigen
Höfe. Namentlich die Gonzaga in Mantua und Lodovico Moro
waren leidenschaftliche Theaterenthusiasten; die Aufführungen
brachten in die Monotonie des höfischen Lebens viel Abwechslung.
In Ferrara und Mantua wurden allmählich Schauspieler aus-
gebildet, die man sich gegenseitig lieh. Der schon siebzigjährige
Ercole unternahm 1493 eine mühselige Reise nach Mantua, um dort
eine Aufführung zu leiten. Er nahm zwanzig junge Leute mit,
die gewohnt waren, auf der Bühne aufzutreten, darunter befand
sich auch Ariost.
Im Anfang des XVI. Jahrhtmderts entstand unter den Juden
in XAantua eine Gesellschaft von Gelegenheits-Schauspielem, sie
spielten am Hofe des Blarkgrafen, und ihre Gesellschaft blieb lange
bestehen. Für ihre Aufführungen hatten die Juden ihr eigenes
Orchester.
DAS JUNGB FERRARA 155
Eine von Ercoles Hauptstützen im Arrangieren von Theater-
aufführungen war Miccolo da Correggio» eine sehr ausgeprägte
Persönlichkeit, die etwa Castigliones Idealbild eines Hofmannes
entsprach. Ansehnlich, tapfer, der Held der Turniere und Ver-
ehrer des schönen Geschlechts, tanzte er so gut wie wenige seiner
Zeitgenossen; dank seiner eleganten Kleidung galt er der Jugend
als Modevorbild, war die Seele der Feste, verfaßte Lustspiele mit
unglaublicher Geschicklichkeit und machte im Fluge Madrigale,
Sonette xmd Inschriften für Impresen. Saba da Castiglione nennt ihn
einen der berühmtesten Ritter Italiens^ „uno delli piü famosi»
honorati et virtuosi cavalieri, che in tutta Italia si trovarsero'S und
Carretto feiert ihn in seiner Dichtung „Tempio d'Amore'':
• , . II cavalier de tanto preggio
Che con stil elegante et amoroso
E col valor de Marte oma Correg^io.
Er war mit den Este verwandt; seine Mutter Beatrice war
Niccolos III. natürliche Tochter und hatte 1448 Niccolo di Gherardo
da Correggio geheiratet. Bfan nannte sie „regina delle feste'S und
ein vielzitiertes Wort hieß: „um leicht aus dieser Welt in jene
überzugehen, müsse man Pierobonos Musik lauschen, um den Him-
mel offen zu finden, Herzog Borsos Gnade erfahren, und um das
Paradies zu sehen, Donna Beatrice auf einem Ball beobachten«''
Einige Monate nach der Hochzeit starb Niccolo da Correggio. Der
Sohn Niccolo, den Beatrice nach dem Tode des Gatten in den ersten
Monaten des Jahres 1450 geboren, bekam den Beinamen Postumus,
um ihn vom Verstorbenen zu imterscheiden. Kaiser Friedrich III.,
der 1452 in Ferrara war, hat das lOnd, wie bereits erwähnt, zum
Ritter geschlagen. Um das Kriegshandwerk zu lernen, diente Cor-
reggio als Kondottiere im Heer der venezianischen Republik unter
Bartolommeo CoUeoni. 1472 heiratete er dessen Toditer Cassandra,
eine berühmte Schönheit, trat aus dem venezianischen Heer aus
und lebte abwechselnd in Ferrara, Mantua imd Mailand« Bei
Moro und Beatrice d'Este stand er in besonderer Gunst. Für Frauen-
X56 SIEBENTES KAPITEL
toilette hatte er ein scharfes Auge, und Beatrice ließ sich gern von
ihm beraten. Überall war er ein begehrter Gast, er belebte die Gesell-
schaft durch seinen Witz, machte Sonette und Lieder, die Isabella
d' Este zur Laute sang. Für sie schrieb er auch eine psychologische
Dichtung „Psyche'' — allerdings von nur gering^pi Wert.
Als es im Jahre 1482 zum Kriege zwischen Ferrara und Venedig
kam, kämpfte Niccolo auf Seite der Este. In der Schlacht bei
Argenta geriet er in Tenezianische Gefangenschaft; die Republik
vergaB es ihm nicht, daß er vor zehn Jahren ihr Kondottiere gewesen
war und eine Venezianerin zur Frau hatte, tmd behandelte ihn als
gemeinen Gefangenen. Er wurde in die Torioella eingesperrt und
schrieb sehr unglückliche Briefe von dort aus, er beklagte sich über
den unerhörten Schmutz, über Flöhe und anderes Ungeziefer, das
ihn nicht schlafen ließ, über das ekelhafte Essen und auch darüber,
daß er nicht einmal einen Tisch habe.
Als sichMoro imd Isabella d'Este für ihn yerwandten,lieBen ihn die
Venezianer nach einigen Monaten frei; Correggio war des Krieges satt
und ging nach Frankreich als Moros Gesandter. Am häufigsten hielt er
sich in Ferrara auf und half Ercolel. bei seinen Theateraufführungen.
Im venezianischen Gefängnis beklagte er in seinem besten
mid tiefst empfundenen Sonett Ferraras Niederlage. Da er Venedigs
Macht kannte, bat er die geliebte Stadt, sich dem Löwen zu beugen,
lo t'amo. Tu sai ben, ch'io n'ho cagione
Deh! perchd non deponi omai Torgoglio?
Che sai: sol umiltä vince il Leone.
Piü che di mia prigion di te tni doglio;
Che poi che vedi in Tarme la ragione
Vogli schivare il porto e dar nel scoglio.
Sein literarisch bedeutendstes Werk war ein mythologisch-
pastorales Drama „Favola di Cefalo'^ Es wurde 1487 in Ferrara
zum erstenmal aufgeführt und war eines der ersten für die Bühne
bestimmten italienischen Originalwerke. Es ist jedoch ein sehr
verui^lücktes Drama; der Inhalt ist aus Ovids Metamorphosen
geschöpft. Niccolo war auch der Verfasser der dramatischen Ekloge
„Favola di Callisto'S die 1501 in Mantua aufgeführt wurde.
DAS JUNGE FERRARA 157
Correggio reiste fast immer in Gesellschaft seines Sekretärs,
des Messer Niccolo, der auch dichtete, oder eines anderen y,Fa-
miliaris'S des sogenannten Prete da Correggio. Der letztere, ein
sonderbarer Mensch, war am Hofe zu Ferrara und Mantua wegen
seines Witzes und seines grofien Diensteifers sehr beliebt. An ihn
wandte man sich in allen schwierigen Familienangelegenheiten,
er verstand es,. Geschäfte zu ordnen, Gäste zu unterhalten und ge-
legentlich bei einem Bankett trat Prete als fahrender Sänger auf
und trug seine eignen Gedichte vor. Isabella hat ihn sich einmal
schriftlich bei Correggio „per nostra recreatione^^ ausgeliehen.
Trotz seiner gesellschaftlichen Erfolge scheint Correggio nicht
glücklich gewesen zu sein; in seinen Sonetten klagt er über sein
Geschick und die Frauen. Das eine beginnt mit den Worten: „Sotto
la croce che mi da la sorte'^ Auch scheint er schwer darunter ge-
litten zu haben, daß seine Liebe imerwidert blieb. Natürlich hat auch
er einen „Canzonlere'^ hinterlassen, er hat ihn Isabella d'Este
zwar angeboten, aber nicht geschickt. Nach dem Tode des Dichters
scheint die Markgräfin erfahren zu haben, daS Correggios Sohn,
Gian Galeazzo, diese Gedichtsammlung Lucrezia Borgia widmen
wolle. Das empörte Isabella, infolgedessen reklamierte sie den Nach-
laß energisch; ob sie den „Canzoniere'' bekonmien hat, wissen wk
nicht, aber ihr Arger ist begreiflich, denn einmal war ihr Lucrezia wenig
sympathisch, außerdem empfand sie Gian Galeazzos Vorgehen als Un-
dankbarkeit, da sie sich der Correggio stets angenommen hatte.
Selbst als Galeazzo sich mit Ginevra Rangoni vermählte,
schenkte sie ihm ein schönes Klavier, „un magni-
fico Clavicordio'^ Niccolo Correggio starb
in Ferrara in der Nacht vom z. auf den
2. Februar 1508; es waren nicht
weniger als sieben Arzte
an sein Krankenbett
gerufen worden.
ACHTES KAPITEL
LUCREZIA BORGIA
orenzo Pucd, der Florentiner Gesandte am römisctien
Hofe, schrieb am 34, Dezember 1493 an seinen Brud«',
er wolle Madonna Giulia Famese besuchen und sich
ihre weitere Protektion beim Papste sichern, als Ent-
gelt für die Dienste, die er ihrer Familie geleistet habe.
Pfründen, die ihm ansehnliche Einkünfte eintrugen,
▼erdankte Pucci Giulias Verwendimg bei Alexander VI. Giulia lebte
bei Lucrezia Borgia , Alexanders Tochter , der der Vater in
S. Maria in Porticu ein Haus in der Nähe des Vatikans abge-
treten hatte.
Lucrezia war damals dreizehn Jahre alt, Giulia, die etwas ältere,
war Orsinis Gattin und Mutter der kleinen Laura. Giulias Schwieger-
mutter, Adriana Ursina oder Orsini, stand Lucrezias Haus vor;
.Alexander hatte es nicht als xwecfcmifljg erachtet, seine Tochter bei
ihrer Mutter, Vanozza Catanei, erziehen zu lassen. Als Kardinal
hatte er Vanozza verheiratet, zuerst an den Mailänder Gior^o dft
Croce, dann nach dessen Tode an den unbedeutenden Mantuaner
Dichter Carolus Canale, dem er eine kleine Anstellung als Solli-
zitator der päpstlichen Bullen verschafft hatte.
Aus dem Hause des Sollizitators konnte die Tochter des Kar-
dinals Borgia nicht ihren Eintritt in die Welt feiern. Es ließ sich
auch anders einrichten. Alexander hatte Beziehungen zu Adriana,
Lodovico Orsinis Witwe, die im Jahre 1489 ihren Sohn mit der
schönen Giulta Famese verheiratet hatte. Der Kardinal verliebte
sich in die junge Giulia und stand bereits zwei Jahre nach ihrer
LUCRBZIA BORGIA 159
Trauung in intimen Beziehungen zu ihr, Adriana, Orsinis Mutter,
unterstützte dieses Verhältnis, damit der Kardinal die finanziell
zerrüttete Lage ihres Geschlechtes hebe. Sie entfernte ihren Sohn
auf eines der Schlösser der Orsini und leistete dem Kardinal und
späteren Papst Borgia Dienste, die schlecht mit den Traditionen ihres
vornehmen Geschlechtes im Einklang standen.
Pucci kam in Lucrezias Haus, um Giulia Pamese zu sehen.
Die drei Frauen saßen vor dem Kamin, da Biladonna Giulia gerade
ihre Haare trocknete. Sie begrüfiten Lorenzo freudig, und Giulia
bat ihn, neben ihr Platz zu nehmen.
Pucd hatte Giulia längere Zeit nicht gesehen, er berichtet, sie
sei etwas voller geworden imd das schönste Geschöpf der Welt.
Ein Battisttüchlein hatte sie über den Kopf gebunden, und ihr
Haar war durch ein spinnwebdünnes Netz, das mit goldenen
Fäden durchwirkt war, zusammengehalten. Im Beisein des Gastes
ließ sie sich kämmen und löste ihr Haar. „Etwas Ähnliches'',
schreibt Lorenzo, „habe ich nie gesehen. Ihr goldblondes Haar
reicht bis zu ihren Füßen, Giulia leuchtete wie die Sonne." Sie
ließ ihr einjähriges Töchterchen bringen, das Kind war dem päpst-
lichen Vater auffallend ähnlich, „adeo ut vere ex ejus semine orta
did possit''.
Während Pucd mit Giulia und Adriana sprach, entfernte sich
Lucrezia, um sich umzukleiden, sie kam in einem Morgenkleid
aus veilchenfarbenem Samt wieder, das nach neapolitanischer
Mode gearbeitet war. Auch sie hatte goldblondes Haar; die Farbe
war sicherlich künstlich erzeugt, denn die Tochter Vanozza Cataneis
aus dem Trastevere-^ertel und Rodrigo Borgias, des Hauren
aus der Gegend von Valenzia, war kaum von Natur blond. Lucrezia
war lange nicht so schön wie ihre Gefährtin, ihre Züge waren
nicht regelmäßig, aber sie hatte einen besonders reizvollen Aus-
druck, war lebhaft, nicht frei von Koketterie und im Gespräch
anmutig und gewandt. Die Heiterkdt und das Gewinnende
ihres Wesens waren väterliches Erbteil, auch der Papst bezwang
die Menschen durdi seine Liebenswürd^kdt. Diese Vorzüge eigneten
auch ihrem Bruder, Cesare Borgia, der trotz seiner Grausamkeiten
und Verbredien die Menschen an sich zu fesseln wußte.
l6o ACHTES KAPITEL
Die Umgebung der 13 jährigen Lucrezia war alles andere eher
als moralisch. Der alte Vater, der Papst, in ein Liebesabentetier
mit Giulia, der Frau eines anderen, verstrickt, und dieses Verhältnis
von der Haushofmeisterin und Schwiegermutter der jungen Frau
begünstigt. In einem anderen Stadtviertel Lucrezias Mutter, ihr
femgerückt, von einer neuen Familie und neuen Kindern um«
geben, imd in Lucrezias Haus das kleine Schwesterchen, Giulias
und des Papstes Tochter. Die Verhältnisse waren selbst für die
Renaissance kompliziert genug.
Lucrezia war trotz ihrer dreizehn Jahre schon zweimal verlobt
gewesen, beidemal mit Spaniern, da Borgia in Italien einen dem
Range seiner Familie entsprechenden Verlobten für seine Tochter
nicht finden konnte. Noch galt es in Rom als Makel, die Tochter
eines Kardinals zu sein, in Spanien war Lucrezias groBe Mitgift
ausschlaggebend. Ihren ersten Verlobten, Cherubin de Centelles,
hat Lucrezia nie gesehen, dem elfjährigen Kinde war mitgeteilt
worden, daß über sein Schicksal bestimmt sei. Bald traten Um-
stände ein, die die Vollziehung dieser Ehe hinderten, deshalb suchte
der Kardinal für seine Tochter einen anderen Spanier zum Manne,
den Grafen Aversa. Ehe Lucrezia erwachsen war, wurde ihr Vater
Papst (am zi. August 1492), imd Alezander VI. genügte Graf
Aversa als Schwiegersohn nicht mehr, er wünschte die Borgia
durch seine Tochter mit einer groBen italienischen Familie zu
verbinden, um ihren politischen BinfluB auf der Halbinsel zu ver-
stärken.
Zum Brautwerber wurde diesmal der Kardinal Ascanio Sforza
ausersehen, dem Rodrigo Borgia seine Papstwürde in der Haupt-
sache zu danken hatte. Ascanio gehörte zu den intimsten Vertrauten
des Papstes und war allvermögend im Vatikan. Er kam auf den
Gedanken, Lucrezia mit Giovanni Sforza, dem Grafen von Cotignola
und kirchlichen Vikar zu Pesaro, das die Sforza als päpstliches
Lehen verwalteten, zu verheiraten. Giovanni war sechsundzwanzig
Jahre alt, Witwer, seine erste Frau Maddalena, die Schwester von Eli-
sabetta Gonzaga aus UrUno, war im Wochenbett gestorben,
tapfer, gebildet, —die Vorbedingungen für das Glück der päpstlichen
Tochter schienen gegeben. Die Verbindimg mit der mächtigen
PINTURICCHIO: DIB HEILIGE KATHARINA VON ALEXANDRIEH
ANGEBLICHES PORTRÄT VON LDCREZIA BORGIA
DETAIL AUS DEM APPARTAMENTO BOROIA lU VATIKAN
LUCRBZIA BQRGIA x6z
Familte Sfofza war dn wichtiger Schritt in der Geschichte von
Alexanders VI. Pamilienpolitik; Lodovico Sforza, der AlailAnder,
wurde so zum Anhinger des Papstes.
Kaum hatte Graf Aversa erfahren, dafi sein zukünftiger
Schwiegervater den päpstlichen Thron bestiegen habe, ab er nach
Rom kam, um an seine Rechte zu mahnen. Gleichzeitig erschien
Sforza, und die Anwesenheit dieser beiden Bewerber gab AnlaB zu
verletzendem Gerede über den Papst und die Braut. Lucrezia hat
an diesen Intrigen keine Schuld, der Pi^st hat despotisch über
ihre Hand verfügt. Als der Spanier sah, dafi Sforza mehr Chancen
hatte, trat er ihm gegen eine Abfindimgssumme von dreitausend
Dukaten seine Rechte auf Lucrezias Hand ab und verliefi Rom.
Die Stadt Pesaro freute sich des Sieges ihres Herrn, da sie ver-
^ schiedene Begünstigungen vom Papst erhoffte. Sforza veranstaltete
einen groBen Ball im ScfaloS, die tanzenden Paare schritten zum
Schlofihof hinaus, durchzogen im Reigen die StraSen und mischten
sich tanzend unter das Volk. Der Bevollmächtigte des Papstes,
Monsignore Scaltes, führte den lustigen Reigen.
JDiesea Hintmtersteigen der Tanzenden aus dem fürstlichen
Schlofi zum Volke ist ein charakteristischer Beweis für das be-
stehende Verhältnis zwischen italienischen Despoten und ihren
Untergebenen. Niemab war der Klassenunterschied in Italien
so grofi wie in anderen Ländern. Das Volk hatte seine alte Kultur,
einen äuSeren Schliff und eine gewisse angeborene Liebenswürdig-
keit, die es im gesellschaftlichen Verkehr den höheren Klassen
fast gleichstellte. Deshalb hatten Maskenfeste nirgends eine solche
Bedeutung wie in italienischen Städten. Wenn sich die Schlofi-
herrin in ihrer Maske unter das Volk mischte, so wufite sie, dafi sie
sich in ihrer Sphäre bewegte, in einer Masse, die gesellschaftlicher
Manieren nicht entbehrte.
Am X3. Juni 1494 fand im Vatikan Lucrezias Trauung mit Sforza
statt. Die Neuvermählte zählte vierzehn Jahre. Der Papst imd die
Sforza waren befriedigt: Lodovico Moro war im Begriffe, Karl VIII.
nach Italien zu rufen, damit er die Macht Ferdinands von Neapel
breche, der Papst und Venedig strebten nach dem gleichen Ziel, so war
es ein leichtes, ein Bündnis gegen den Neapolitaner zu schliefien.
II
I62 ACHTBS KAPITEL
Lucrezta begab sich für kurze Zeit nach Pesaro. Bei strömendem
Regen zog sie am 8. Juli 1494 ein und nahm ihren Wohnsitz in
Gradara, dem Lieblingsaufenthalt ihres Gatt^i« Auf Alezander VI.
lastete die Trennung von seiner Tochter, er verlai^^te imabULssig
nach Nachrichten, und aus jener Zeit hat sich ein eigenhändiger
Brief des Papstes an sie erhalten, überströmend von Ausdrücken
vftterlicher Zuneigung. Der Papst empfiehlt Lucrezia, auf ihre Ge-
sundheit zu achten imd fleißig zur ICadonna zu beten.
Sehr bald Änderte Alescander VI. seine Politik; Spanien ver-
mittelte zwischen dem Papst und König Ferdinand von Neapel, und
das Bündnis mit Lodovico Moro und den Venezianern ward dem
Papst zum Hemmschuh. Die Stellung der Sforza am päpsdichen
Hofe war erschüttert, Alexander VI. vereinigte sich mit der arago-
nischen D]rnastie und wurde zum Gegner von Karls VIII. geplantem ^
Zug nach Italien, an dem Moro arbeitet». Selbst Ascanio Sforza,
der Günstling des Papstes, fühlte sich infolgedessen in Rom nicht
sicher und floh nach Ganezzano zu den Colonna, die in französischem
Sold standen.
Giovanni Sforza blieb als Kondottiere der Kirche noch eine
Zeitlang im Lager der neapolitanischen Armee, aber auch* seine
Stellung wurde unmöglich. Er mußte entweder gegen die Franzosen
kämpfen und gegen den Vorteil der eignen Familie, deren Haupt
Moro war, arbeiten, oder mit dem Papst brechen. Alexander VI.
erleichterte ihm diesen Konflikt; als Giovanni nach Rom kam,
wo auch Lucrezia sich damals befand, verlangte der Papst von ihm,
in eine Trennung von seiner Frau einzuwilligen, mit dem Eingeständ-
nis, daß die Ehe infolge seiner Schuld nie vollzogen worden sei.
Giovanni wollte von all dem nichts hören, aber hinter dem
Papst stand Cesare Boi^, der derartige Angelegenheiten mit Gift
oder Dolch zu erledigen pflegte. Er soll seiner Schwester gesagt
haben, daß sich Mittel genug finden würden, um sie von dem un-
bequem gewordenen Gatten zu befreien. Schnell benachrichtigte
Lucrezia Giovanni von der ihm drohenden Gefahr, er warf sich
auf sein türkisches Pferd und erreichte Pesaro im Verlauf von
vierundzwanzig Stunden. Das Pferd brach erschöpft zusammen,
aber Sforzas Leben war gerettet*
LUCREZIA BORGIA 163
«
Es wird erzählt, dafi Giacomino, Sf orzas Diener, sich bei Lucrezia
befand, ab Cesare zu ihr kam, um ihr mitzuteilen, der Befehl,
ihren Gatten zu ermorden, sei schon erlassen. Lucrezia verbarg
den Diener hinter dem Bettvorhang, damit er Zeuge ihres Gespräches
mit Cesare sei, und schickte Giacomino, als ihr Bruder das Zimmer
▼erlassen, zu Sforza, um ihn von den Anschlägen der Borgia
zu imterrichten. Ehrlich war Lucrezia gegen ihren Mann vor-
gegangen, den sie vielleicht nie geliebt hat, aber dessen Frau sie
schließlich war. Nach Sforzas Flucht zog sie sich in das Kloster
San Sisto zu Rom zurück, das sie am 4. Juni 1497 bezog. Ob sie
sich aus eignem Willen hinbegeben hat oder auf Befehl des Vaters
und Bruders, die erfahren haben mußten, daß sie Giovannis Flucht
bewirkt hatte, muß dahingestellt bleiben.
Im September 1497 berief der Papst eine Scheidungskommission,
die erkannte, daß die Ehe ungültig sei, da sie nicht vollzogen worden
war. Lucrezia mußte bezeugen, daß sie diese Tatsache beschwSren
könne.
Als Sforza dies erfuhr, fühlte er sich selbst in Pesaro nicht mehr
sicher und floh verkleidet nach Mailand. Er legte Protest ein gegen
die Aussagen erkaufter Zeugen, doch gegen die Borgia ließ sidi
nicht kämpfen. Lodovico Moro imd Ascanio Sforza drängten ift
ihn, nachzugeben. Giovanni fügte sich ihren Wünschen und gab
eine schriftliche Erklärung, daß Lucrezias Aussagen auf Wahrheit
beruhen.
Am 22. Dezember 1497 wurde die Scheidung ausgesprochen,
imd Sforza gab Lucrezia ihre Mitgift, 3z 000 Dukaten, heraus. Von
diesem Augenblick an wurde er der größte Widersacher seiner
früheren Gattin und verbreitete die schamlosesten Gerüchte über
Verhältnis zum Papst. Damals, wo die Verkehrsverhältnisse
waren und Zeitungen fehlten, wurde jedes Gerede,
auch das unwahrscheinlichste, leicht geglaubt. Die von ihm
ausgesprengten Nachrichten gelangten in Briefe und Chroniken
und haben sich bis auf den heutigen Tag erhalten.
Der überzeugendste Beweis dafür, daß blutschänderische Be*
Ziehungen zwischen Alexander VI. und Lucrezia nie bestanden
haben, ergibt sich daraus, daß der Papst ein sehr guter Vater war;
i64 ACHTES KAPITEL
adne großen Fehler entstanden gerade aus dieser Liebe und Ver-
blendung für seine Kinder« Übrigens war Alexander eine durchaus
normale, gesunde Natur, nur fehlten ihm alle Qualitäten, die ihn
zum Papst befähigt hätten. Feinde oder „Unbequeme** xu ver-
giften oder zu ermorden, galt imter den damaligen Herrsdiem
nicht als unmoralisch oder unerlaubt.
Die politischen Pläne des Papstes und namentlich Cesare Borgias
dirängten zu einer engen Vereinigung mit dem Hof von Neapel.
Wieder sollte Lucrezia zum gefügigen Werkzeug werden. Der
Papst forderte Carlotta, Federigos Tochter, zur Frau für Cesare.
Zu einem solchen Opfer konnte sich der König von Neapel nicht
ehtschlieBen, besonders da auf Cesare ein neues blutiges Ver-
brechen lastete: man bezichtigte ihn der Ermordung seines Bruders
Gahdia« Nach längeren. Unterhandlungen gab Federigo seine Ein-
willigimg zur Heirat von Don Alfonso, des natürlichen Sohnes Al-
fonsos II., mit Lucrezia. Dbn Alfonsos Schwester, Donna Sancta,
war bereits mit Cesares jüngerem. Bruder, Don Jofr6, vermählt.
Alfohiso, der als der schönste Jüngling in Rom galt, war sieb-
zehn Jahre alt. Lucrezia war uxQ ein Jahr älter« Am 20. Juni 1498
würde die Vermählung dieses jimgen Paares in aller Stille, ohne
laute Festlichkeiten, vollzogen. Lucrezia wurde zu oft verheiratet,
als dafi man ihre Trauimg durch rauschende Feste dem Gedächtnis
des Volkes einprägen wollte. Die Tochter des Papstes bekam
40 000 Dukaten als Mitgift, und der König von Nei4>el gab seinem
Neffen das Herzogtum Bisceglia als Morgengabe.
Die Ehe war glücklich; aufrichtig liebte Lucrezia den Neapoli-
taner, der sich viel Zimeigung in Rom erworben hatte. Soviel wir
wissen, war Alfonso Lucrezias erste Liebe; über ihr Herz hatte man
inuner verfügt wie über einen Geldbeutel, der in der vatikanischen
Schatzkammer niedergelegt war. Das kostbare Kleinod wurde je
nach Bedarf verkauft oder versetzt.
Auch diesmal ergab dch eine Möglichkeit, das Pfand besser zu
Geld zu machen. Ein Jahr nach Alfonsos Vermählung wurde der
Papst der Feind der neapolitanischen Dynastie. Alexander VI.
trat der Liga bei, die Ludwig ZU. und Venedig geschlossen hatten;
ihr Ziel war, Lodovico Sforza aus Mailand zu vertreiben. Als Gegen-
LUCRBZIA BORGIA
16S
leisiung verpflichtete Prankreich sich, Cesare Borgia in der Er^
oberung der Romagna beizustehen. «
Abermals flüchtete Ascanio Sforza aus Rom, aus Fxircht, daB
man Um als nunmehr überflüssigen Kardinal aus dem Wege räumen
würde. Dem jungen Alfonso drohte Cesares Dolch, da Borgia von
der Unterwerfung des Königreichs Neapel mit Frankreichs Hilfe
träumte.
Vneder mufite Lucrezia ihrem Mann zur Flucht helfen. Dies-
mal mit blutendem Herzen, sie liebte den schönen Neapolitaner, sah
zudem ihrer Niederkunft entgegen. Alfonso floh am 2. August 1499,
Lucrezia weinte ihm fassungslos nach.
Aber Alezander VI. war ein „guter'' Vater; um seine Tochter
zu trOsten, übergab er ihr N^i und ernannte sie zur Regentin von
Spoleto und Umkreis, wo bis dahin päpstliche Legaten geherrscht
hatten.
Mit einem groBen Hofgesinde begab sich Lucrezia in ihr neues
Lehngut, sie blieb aber nur kurze Zeit dort, da sie gezwungen war,
ihrer Niederkunft wegen sich nach Rom zu begeben. Am x. No-
vember 1499 schenkte sie einem Sohn das Leben, er wurde zu
Ehren des Papstes Rodrigo genannt.
Unterdessen kehrte Alfonso Bisceglia nach Rom zurück, um
sich seines ehelichen Glückes zu freuen; er glaubte, daß die Gefahr
für ihn vorüber sei. Es mag sein, dafi auch Lucrezia Cesare nicht
länger gefürchtet hat, im Glauben, ihr Mann stehe den politischen
Plänen des Bruders nicht mehr im Wege.
Aber darin bestand ihr Irrtum. Cesare haßte die ganze arago-
nische D]rnastie und schloß seinen jungen Schwager nicht aus,
außerdem hatte er bereits andere Absichten für seine Schwester.
Bisceglia war überflüssig, in den dunklen Gemächern der Borgia
war sein Todesurteil gesprochen.
Als der Fürst am 15. Juli 1500 gegen elf Uhr abends den Vatikan
verließ, überfielen ihn fünf Sbirren auf dem Petersplatz und ver-
wundenen ihn schwer. In der Annahme, daß der Oberfall Cesares
Werk sei, wollte Alfonso, aus Furcht vor Vergiftung, sich nicht
einmal von römischen Ärzten verbinden lassen und ließ sich einen
Arzt aus Neapel kommen.
I66 ACHTES KAPITEL
Ludwig Pastor nimmt an, indem er sich auf Creightons ,,Ge-
schichte des Papsttijms^' stützt, die Urheber des Überfalles seien
die Orsini gewesen, da sie glaubten, dafi Alfonso sich mit ihren
Feinden, den Colonna, verbinden wolle* Alfonso jedoch war der
Überzeugung, Borgias Dolche hätten ihn verwundet, und uns will
scheinen, dafi Alfonso und Lucreaa diese Dinge richtiger gesehen
haben müssen als spätere Historiker.
Alfonsos Durst nach Rache war so grofi, dafi er eines Tages
auf den vorübergehenden Cesare zielte und einen Pfeil abdrückte.
Da schickte Cesare seine Henkersknechte und liefi Alfonso nieder-
machen. Sein Körper wurde in Stücke zerrissen.
Lucrezia war Witwe. Nach den furchtbaren Vorkommnissen
erkrankte sie am Fieber, und damals scheint es zu einem Zerwürfnis
zwischen ihr und dem Vater gekommen zu sein.
Gebrochen reiste sie am 20. August 1500, von 600 Pferden be-
gleitet, nach Nepi. Aber ob nun Alezander sich nach seiner Tochter
gesehnt oder sie Langeweile in der Provinzstadt enqiftmden hat —
im September oder Oktober war sie wieder in Rom.
II
Schon im November 1500 sprach man davon, dafi Lucrezia
Alfonso, den asjährigen Vt^twer und Thronfolger von Ferrara,
heiraten würde. Die Borgia hatten diesen Plan ausgebrütet, und
der Kardinal Ferrari aus Modena schrieb sofort darüber an Ercole.
Natürlich machte diese Absicht den Este den peinlichsten Ein-
druck. Eine Absage konnte sie Ferrara kosten, da das Land pl^t-
liches Lehnsgut war und sie Rom einen Tribut zu entrichten hatten.
Aufierdem war Cesares Macht so gestiegen, dafi es der gröfiten An-
strengungen bedurfte, um sich seiner zu erwehren. Andererseits
erschien Ercole und Alfonso die Demütigung unerträglich, in
ihr Haus die Tochter des Papstes aufzunehmen, eine Frau, von der
die schlimmsten Dinge erzählt wurden. Auch hatte man in Ferrara die
Absicht, sich dem französischen Hof zu verschwägern, Alfonso sollte
sich mit Louise, der Witwe des Fürsten von Angoulime, vermählen.
LUCREZIA BORGIA 167
Mehr noch als den Vater empörte Alfonso der blofie Gedanke
an diese Verbindung; er war ein starker, unbeugsamer Charakter
und wollte sich dieser Forderung nicht fügen.
Abschlägig beschied Ercole den Brief des Kardinals Ferrari«
Aber so leicht gab der Papst nicht nach, er sicherte sich die nach-
drückliche Unterstützung des französischen Hofes, eine ganze
Schar einfluSreicher Agenten machte dem Fürsten von Ferrara
die Vorteile dieser Verbindung klar und verwies auf die Gefahren,
denen sich die Dynastie der Este im Falle einer Absage aussetzte.
Ercole sah bald ein, dafi er sich der Macht der Borgia nicht würde
widersetzen können, doch Alfonso wollte nichts von der Ver-
bindung hören; erst als der Vater ihn darauf hinwies, daB, wenn
nicht der Sohn, er, Ercole, Lucrezia würde heiraten müssen, wurde
er in seinem Widerstand schwankend.
Am meisten zum Gelii^^en der Pline von Alexander VI. sollte bei-
tragen der Statthalter der Romagna und Vertraute Cesares, Don
Ramiro de Lorgna, „uomo crudele et espedito'S wie ihn Machiavell
diarakterisiert hat.
Schon am 8. Juli 1501 lieB Ercole Ludwig XII., der als Mittels-
person vorging, mitteilen, dafi er mit dem Papst in Unterhandlungen
einzutreten bereit sei.
Die Unterhandlungen waren schwierig, Ercole verlangte viel,
der Papst irgerte sich zwar, war aber bereit nachzugeben, da ihm
darum zu tun war, seine Kinder mit der vornehmsten Familie Italiens
zu verbinden. Übrigens drängten Cesare und Lucrezia den Vater,
für den Preis dieser Ehe selbst schwere Opfer zu bringen.
Als Mitgift sollte Lucrezia 200000 Dukaten erhalten, zu-
gestanden wurde femer eine ErmABigung des Tributes, den Ferrara
der Kirche zu entrichten hatte, und eine Reihe anderer der Familie
Este vorteilbringender Vereinbarungen«
Um Lucrezia für die wichtige Rolle, die ihr zu spielen bevor-
stand, vorzubereiten, setzte sie der Papst, ab er im Juli nach Ser-
moneta ging, zu seiner Stellvertreterin im Vatikan ein. In seiner
Abwesenheit hatte sie eine Art Regentschaft über den Kirchenstaat,
sie durfte Briefe eröffnen und sollte in wichtigen FAllen den Rat
des Kardinals Lisbona einfordern.
X68 ACHTES KAPITEL
Im Schloß der Este in Bdfiore wurde am x. September 1501
der Ehekontrakt unterschrieben, und als diese Nachricht am 4. Sep-
tember nach Rom kam, ordnete Alexander eine Illumination des
Vatikans an. Am nächsten Morgen begab sich Lucrezia in Uschöf-
liehet Begleitung, mit einer Eskorte von dreihundert Berittenen,
nach S. Maria del Popolo, um der Madonna, am der fleißig zu beten
der Vater ihr anbefohlen hatte, ihren Dank zu entrichten. Das
kostbare Kleid, das sie an jenem Tage trug, schenkte sie einem der
Hofnarreil, als er übermütig auf die Straße lief und schrie: Es lebe
die Herzogin von Perraral
Als die ferraresischen Gesandten nach Rom kamen, befriedigte
sie der ihnen vom Papst gewordene Empfang im höchsten Grade,
nur Cesare Borgia zeichnete sich nicht durch übermftßige Höflich-
keit aus. Das erstemal, am 23. September, nahm er sie zwar an,
empfing sie jedoch im Bette. Die Ferraresen glaubten, er sei krank»
da er die ganze vorhergehende Nacht getanzt hatte, später erfuhren
sie, daß ihm nichts gefehlt habe, und er Kraft und Laune genug
gehabt hatte, um die folgende Nacht wieder zu durchtanzen. Zwar
▼ersuchte er ^>&ter den schlechten Eindruck zu verwischen und
bewilligte den Gesandten eine abermalige Audienz — es galt die^
als besondere Gunst, da er nicht gern Gehör erteilte tmd sich im
allgemeinen höfischem Zeremoniell entzog — , aber er empfing sie
nicht. Die Gesandten beklagten sich beim Papst, Alezander gab
vor, dem Sohne zu zürnen imd antwortete, daß Cesare unberechen-
bar sei, auf seine Art lebe und die Nacht zum Tage wandle; die Ge-
sandten von Rimini hätten unlängst zwei Monate in Rom warten
müssen, ehe sie ihn zu Gesicht bekommen hätten.
Als es sich darum handelte, die Liste der Fürsten und Würden-
träger festzusetzen; die Lucrezia nach Ferrara abholen sollten,
nannten die Gesandten auch Annibale Bentivoglio, Giovannis Sohn,
den der Papst nicht liebte. Alexander besann sich, aber sdiließlich
sagte er: wenn Ercöle d'Este ihm selbst Türken als Gesandte schicken
würde, so hätten sie einen guten Empfang zu gewärtigen. Nur
einmal wurde er ungeduldig, ab der Herzog von Ferrara immer neue
Bedingungen stellte, und naimte ihn einen „Krämer'S „im merca-
tante".
LUCREZIA EORGIA X69
Schon nach AUonso BiscegUas Tode hatte man, namentlich
in Neapel, nicht wenig boshafte Gedichte auf die Borgia und Lucrezia
gemacht, in den Epigrammen von Sannazaro und Pontano wurde
sie zur schamlosen Hetäre gestempelt; kaum war die Heirat zwischen
Alfonso d' Este und Lucrezia bestimmt, so erschienen wieder zahl-
lose Sdimähschriften auf die Borgia. Besonderes Aufsehen machte
ein kleines Buch, in Briefform an Silvio Savelli gerichtet, der sich
damals vor dem Papst bei Kaiser Maximilian in Deutschland ver-
barg. Der Papst hatte Savellis Güter konfisziert, und der Ver-
fasser der Broschüre beglückwünschte ihn, dafi er wenigstens sein
Leben vor den Borgia gerettet habe. Er rät Savelli, dem Kaiser
und allen deutschen Fürsten von den Verbrechen der Borgia zu
berichten und von dem gottlosen Leben, das der Papst führe. Zu
diesem Zwecke berichtet er ihm über alle Mitglieder der verhafiten
Familie: über Alexander, Cesare, Lucrezia und die übrigen. Alle
Beleidigungen und Klatschgeschichten, die die Feinde der Borgia
in Mailand, Venedig und Neapel verbreitet hatten, wurden wieder
aufgetischt. Die Schrift war ein Werk des Zornes und der Rache.
Unter anderem berichtete der Verfasser über jenes Bankett am
letzten Oktobertag, wo im Beisein des Papstes, Cesares und Lucrezias
fünfzig Kurtisanen getanzt hatten, erst in Kleidern, dann splitter-
nackt
Der Papst las die Broschüre; da er jedoch aus seiner Kardiiials-
zeit an rSmische Satiren und Schmähschriften gewöhnt war, lachte
er und seine Umgebtmg über diese Beleidigungen. Aber Cesare ver-
stand keinen SpaB, er spürte dem Verfasser der Broschüre nach, der
dem Vernehmen nach ein Neapolitaner Jeronimo Mandone war, lieB
ihm die Hand abhacken lind die Zunge herausreißen. Gleichzeitig
ließ er auch den Verfasser einer anderen Schm&hschrift, den päpst-
lichen Bibliothekar Fra Gian Lorenzo, bestrafen imd einen Vene-
zianer einsperren, weil er eine gegen den Papst gerichtete Schrift
aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt hatte.
An der Spitze der Gesandtschaft, die nach Rom gekommen war,
um Lucrezia abzuholen, stand der Kardinal Ippolito d'Este, Alfonsos
Bruder, der als Salonheld, Diplomat, Frauenverehrer und Jäger
gleich berühmt war. Außer ihm gehörten noch fünf Mitglieder der
170 ACHTES KAPITEL
Familie Este zum Gefolge: Don Ferrante, Don Sigtsmondo, Niccolo
Maria, der Bischof von Adria, Meliadus d' Este, der Bischof von
Comacchio und Don Ercole, der Neffe des Fürsten. Die bekanntesten
lilitglieder der Aristokratie von Perrara, die Herren von Correggio,
Mirandola, Strozzi, Bevilacqua und viele andere nahmen an der
Gesandtschaft teil, die auf fünfhtmdert Pferden in Rom einzog.
Als die Este in den Vatikan kamen, ging Lucrezia ihren zukünftigen
Schwägern bis auf die Treppe entgegen, und französischer Sitte
gem&B küfite sie sie nicht auf die Wange, sondern markierte nur
einen brüderlichen KuB, indem sie ihr Antlitz gegen das ihre neigte.
Sie trug ein weißes, goldgestidctes, wollenes Kleid mit offenen
Armein aus weiBem Goldbrokat, die nach spanischer Mode ge-
schlitzt waren. Darüber einen Umhang aus dunkelbronzefarbnem
Samt, mit Zobel yerbr&mt, den Kopf schmückte ein grünes Schleier-
arrangement, mit Goldf&den und Perlenschnüren. Perlen hatte sie
um den Hals. Sie sah bezaubernd aus, und einer der Ferraresen
schrieb, dafi dem Kardinal Ippolito die Augen zu gUnzen begannen.
„AI nostro cardinale Ippolito sdntillavano gli occhi: ella e donna
seducente et veramente graziosa.'*
Ercole schickte seiner Sdiwi^^ertochter unerhört kostbare Ge-
schenke. Es hieB damals in Italien, daB das Haus Savoyendie
schönsten Kleinodien auf der Halbinsel bes&Be, deshalb schrieb
Ercole nach Rom, „er sei freilich nicht so reich wie der Herzog von
Savoyen, aber dennoch würde er Lucrezia Kleinodien verehren,
die sich mit jenen messen könnten'^ Auch der Papst stand nicht
zurück, als er mit dem Gesandten von Perrara sprach, tauchte er
seine Hand in eine mit Perlen gefüllte Schale und sagte: „All
dies für Lucrezia, ich wünsche, daB sie die schönsten Perlen in ganz
Italien besitze.^'
lilit Ercoles Geschenken war der Papst durchaus zufrieden, und
El Prete, Isabella Gonzagas Berichterstatter, teilt seiner Herrin
mit, daB Alezander VI.j als er aus den Hinden des ferraresischen
Gesandten die für Lucrezia bestimmten Geschenke in Empfang
genommen, sich sehr darüber gefreut, sie den Kardinälen und Frauen
gezeigt und sie auf dunkeln Samt gelegt habe, damit sie um so
schöner wirkten. Unter den Kostbarkeiten gab es prachtroUe Ringe,
LUCREZIA BORGIA
171
Ohrgehänge, Steine in künstlerischer Fassung und ein Perlen-
halsband von seltener Schönheit.
Um sich dem Pi^ist gefällig zu erweisen, strahlte Rom im
Festesglanz. Im Vatikan wurde getanzt und musiziert Abend fflr
Abend wurde gefeiert, und Alezanders väterliche Eitelkeit konnte
sich nicht genug darin tun, den Ferraresen zu rühmen, wie schön
seine Tochter tanze, wie anmutig und klug sie sei, wie gut sie in
Spoleto herrsche, wie geschickt sie wäre, wenn sie ihm einen Vor-
teil ablisten wollte. „Unser Spiel ist ungleich,'' fügte er hinzu,
„Lucrezia gewinnt immer.'' Laut rühmte er ihre Bescheidenheit
und ihre reinen Sitten; die Gesandten von Ferrara bestätigten all
dies und schrieben dem Fürsten: je länger sie Lucrezia betrachteten,
desto mehr schätzten sie ihre Güte, Tugend und Frömmigkeit.
Vor der Abreise nach Ferrara beschäftigten Lucrezia die Reise-
vorbereitimgen in hohem llaSe. Am Stephanstag besuchte sie
El Prete. Sie saB in ihrem geräumigen Schlafzimmer neben dem
Bette, an der Tür standen etwa zwanzig Römerinnen, 4 la romanesca
gekleidet, mit gewöhnlichen Tüchern auf dem Kopf. AuBerdem
warteten etwa zehn Hofdamen im Zimmer ihrer Befehle. Die
höfischen Donzellen machten den ferraresischen Gesandten keinen
groBen Eindruck, ihrer Ansicht nach waren Ferraras Frauen
den Römerinnen an Schönheit ebenbürtig. Nur eine, Angela Borgia,
erregte das Entzücken der Fremden, und El Prete lq;te sich schon
Liebespläne mit Bezug auf sie zurecht. Zu Bq;inn des Karnevals
wurde jeden Abend bei Lucrezia getanzt. Die Ferraresen wunderten
sich, dafi es in den Strafien Roms vom Morgen bis zum Abend von
maskierten Höflingen wimmelte.
In den letzten Tagen drängten sich Kamevalfeste, Wettrennen,
Stierkämpfe, Theateraufführungen, Ballett und Moresken.
Am 6. Januar rüstete man zum Aufbruch, der Papst schenkte
seiner Tochter eine schöne Sänfte für zwei Personen und stattete
den ganzen Zug mit größter Pracht aus. Cesare gab der Schwester
eine Ehreneskorte, die aus zweihtmdert Reitern, Musikanten und
Hofnarren bestand, damit sie Lucrezia auf der Reise durch ihre
Scherze erheiterten. Einer zahlreichen bewaffneten Eskorte fiel
die Aufgabe zu, den Hochzeitszug vor einem eventuellen Überfaü
X72 ACHTES KAPITEL
von Giovanni Sfonas Söldnern zu schützen, da man dessen An*
schlage fürchtete.
Unter Lucrezias Frauen befand sich auch Adriana Qrsini, ihre
frühere Haushofmeisterin, und die schöne Angela Borgia, deren
Reize die Dichter besangen. Hundertfünfzig ICaultiere und viele
eigens zu dem Zweck hergerichtete zweirädrige Karren waren mit
Lucrezias Ausstattung bepackt, ihre persönliche Umgebimg be-
stand aus htmdertachtzig Menschen«
Rom verließ die Tochter des Papstes an einem Nachmittag auf
einem Schimmel mit goldenem Geschirr; sie trug ein scharlach-
rotes Samtkleid mit Hermelin und einen federgeschmückten Hut.
Sämtliche Kardinäle und die Gesandten fremder Fürstlichkeiten
gaben ihr bis zur Porta del Popolo das Geleit, über tausend Menschen
nahmen am Zug teil.
Aus dem Vatikan sah Alexander VI. den Fortziehenden nach,
bis sie seinen Augen entschwunden waren.
In den letzten Wochen ihres Aufenthaltes in Rom setzte sich
Lucrezia für die Verwirklichung eines heißen Wunsches ihres
zukünftigen Schwiegervaters ein.
Es wurde schon erwähnt, dafi Ercole mit großen Schwierigkeiten
die Nonne Luda aus Viterbo nach Ferrara hatte kommen und für
ihren Orden ein prächtiges Kloster errichten lassen. Er hatte zwar
eine Oberin, doch die Zahl der Nonnen genügte ihm nicht; einige
Schwestern aus Ptacenza imd Bresda kamen dazu, und in Ferrara
traten einige jimge Mädchen ins Kloster, die später Gelübde ab-
legten, aber jene älteren Nonnen wollten sich der Macht einer
so jungen Oberin wie Luda nicht beugen, im Kloster entstanden
Uneinigkeiten, die sie sehr schmerzten. Ercole beschloß daher, aus
Nami und Viterbo einige Nonnen, die Schwester Luda befreundet
waren, kommen zu lassen, um ihr eine Stütze gegen die Rebellinnen
zu schaffen. Sein Gesandter Bartolommeo Bresdani sollte sich mit
dem Prior der Dominikaner ins Einvernehmen setzen und sieben
Nonnen nach Ferrara bringen. Der Prior madite energisdi Front:
nicht genug, daß Ercole ihnen die Schwester Luda „geraubt*^
habe, wolle er dem Kloster zu Viterbo jetzt noch seine besten
Schwestern nehmen. Bresdani ging nach Rom, um die Angelegen-
LUCREZIA BORGIA 173
heit beim Papst zu fördern, und kam am xx. Oktober X50X an,
ab Lucrezia zur Reise nach Ferrara rüstete. Der Gesandte begab
sich sofort zur zukünftigen Schwiegertochter seines Herzogs, die
sich der Sache sehr warm annahm. Gleich nach der ersten Audienz
erhielt Bresdani den besten Eindruck von Lucrezia, er schrieb dem
Fürsten, sie sei „una madonna molto gentile et da bene et a resonare
exoelente'S
Lucrezia bat den Papst sofort, Ercoles Wunsch zu erfüllen,
doch war die Sache nicht so einfach, da Messer Adriano, Alexanders
VI. Sekretär, seine Zweifel hatte, ob man ohne großen Schaden dem
Kloster in Viterbo sechs Nonnen entziehen dürfe. So beschloS
Adriano, die Angelegenheit in der Weise zu erledigen, dafi ^terbo
▼ier und das Kloster zu Nami zwei Nonnen abtrete. Lucrezia jedoch
ließ nicht locker, sondern wollte Ercoles Wunsch in vollem Maße
erfüllt sehen. Sie drängte den Papst, so daß Alezander VI* befahl,
sechs Nonnen aus Viterbo nach Ferrara zu schicken und außerdem
noch zwei aus Nami. Aus der päpstlichen Kanzlei wurde ein Breve
an den Statthalter d^ beiden Städte erlassen, der jene Noimen mit
dem Fluche bedrohte, die nicht itmerhalb sechs Tagen nach Rom
aufbrächen, um von dort aus ihren Weg nach Ferrara zu nehmen.
Ercoles Gesandter konnte nicht genug die Energie rühmen, die
Lucrezia aufgewandt hatte, um den Herzog zufriedenzustellen. Aber
die Opposition in Viterbo gegen den Befehl des Papstes war groß;
die Priorin des Klosters, Suor Diambra, eine zweite Nonne, Suor
Lionarda, kamen von einem Dominikaner, dem Bruder ICartin,
geleitet, sofort nach Rom, um zu erklären, daß sie nicht nach Ferrara
gehen würden, um so weniger, als einige junge und schöne Schwestern
für Ferrara gewählt worden waren, und ihre mächtigen Familien
fürchteten, daß ihnen Böses widerfahren köime. Die Nonnen er-
wirkten sich Gehör beim Papst, doch Alezander VI. empfing sie sehr
streng und sagte nur drei Worte: „Siete mandate a Ferrara", Ihr
seid nach Ferrara bestimmt. Der Papst hatte aber nicht bedacht,
daß er es diesmal mit Frauen zu tun habe; die Nonnen gebärdeten
sich eigensinniger als der Teufel, „ustinate piü che' il diavolo",
führten Klage bei Lucrezia, vergossen Tränen vor dem Obersten
der Dominikaner, drängten Bresdani, aber Lucrezia gab nicht nach.
174
ACHTES KAPITEL
Am 21. Dezember bereits berichtete Bresciani aus Viterbo an
Ercole, dafi alle von ihm gewünschten Nonnen in Rom seien, und
,,da6 auch nicht eine fehle". Da der Prior der Dominikaner nicht
wünschte, dafi die Schwestern die Reise in Gesellschaft einer militä-
rischen Eskorte zurücklegten, versicherte ihn Bresciani, Lucrezia
würde Sorge tragen, dafi Ihnen unterwegs jeder angemessene
Schutz zuteil würde. Der Gesandte selbst traf alle Vorbereitungen für
diese Expedition und begleitete die Nonnen. Leinenm&ntel, mit einer
Wachsschicht überzogen, damit sie unterwegs nicht nafi würden,
wurden für sie angeschafft, ICaultiere und Lebensmittel hergerichtet.
Zuerst sollten sie sich dem Zuge anschliefien, der Lucrezia nach
Perrara geleitete, aber Ercole war dagegen; zwar bestimmte er ihnen
den gleichen Weg, den der Hochzeitszug zurückzulegen hatte,
aber er empfahl ihnen, Lucrezia stets um einen Tag voraus zu sein.
Die Schwestern waren launisch und eigensinnig, „noiose", der
Bfaggiordomo der Fürstin beklagte sich lebhaft über sie, sie er-
reichten Perrara jedoch glücklich, als die Stadt ihre Vorbereitungen
zum Empfang der Tochter Alezanders VI. traf. Ercole war beglüdrt
über die Ankunft der so sehnsüchtig erwarteten Nonnen; aber seine
Preude war nicht von langer Dauer, da die Unzuträglichkeiten im
Kloster in dem llafie stiegen, dafi man nach wenigen Tagen fünf
der neu hinzugekommenen Schwestern zurückschickte, sidierlich im
Einverständnis mit dem Herzog.
III
Häufig erstatteten die ferraresischen Gesandten dem Herzog
Bericht über den Verlauf der Reise; es war kalt, die Prauen des
Reisens zu Pferde ungewohnt, so kam die Kavalkade nur langsam
von der Stelle. In Spoleto, in Temi, in Poligno, überall wurde die
Tochter des Papstes feierlichst empfangen. Zwei Heilen vor Gubbio
schloß sich die Pürstin Elisabetta von Urbino dem Zuge an; für sie
war der zweite Platz in der Sänfte vorgesehen, die Alexander VI.
Lucrezia geschenkt hatte. Die stolze Hontefeltro erniedrigte sich,
um ihr kleines Herzogtum vor Cesare Borgias Habgier zu retten,
LUCREZIA BORGIA 175
aber ihre Demütigung war uttis<mst» der furchttMre Sohn des Papstes
vertrieb sie einige Monate später aus diesem Urbino, an dem sie
so sdir hing. BUsabetta und Guidobaldo, ihr Gemahl, muBten als
Flüchtlinge Schutz beim gastlichen Hofe von Bflantua suchen« Die
Fürstin leistete Lucrezia bis nach Ferrara Gesellschaft, unterwegs
beriditete sie nur kurz an Isabellad' Este, daS sie es für überflüssig
eradite, ihr die Reise zu beschreiben, da sie ja wisse, daS El Prete
ihr ausführlich über alles Beridit erstatte.
In Pesaro begrüAten hundert Kinder mit Ölzweigen in den
Händen Lucrezia, sie trugen Rot und Gold, die Farben der Borgia.
Dort mußte sich Lucrezia einen ganzen Tag aufhalten, um ihr Haar
zu waschen und vermutlich aufs neue zu färben; wenn sie diese
Prozedur nicht häufig vornahm, bekam sie Kopfweh.
Auch in Cesena gab es einen prächtigen Empfang. Cesares
Generalstattiialter, die Altesten der Stadt und ein Zug, der nach
Tausenden zählte, begrüfiten und geleiteten sie in den prächtigen
Palast der Halatesta; alle Glodten klangen, und aus Böllern wurde
geschossen. Francesco Uberti» ein lokaler Dichter und Verehrer
Cesares, besang in seinen Versen jenen feierlichen Augenblick luid
freute sich, daS die „bescheidene Venus'S wie er Lucrezia nannte,
das boshafte und beleidigende Gerede besiege.
Je näher sie Ferrara kamen, desto trauriger wurde die Braut;
sie wuBte von allem Feilschen lun ihre Person, wußte, daß der Papst
sie Ferrara aufgedrängt hatte, und mußte die Demütigung tief emp-
finden. Die Gesandten berichten, daß sie die Einsamkeit aufsuche;
in Pesaro hatte sie ihre Frauen am Abend tanzen lassen, während
sie selbst in ihrem Gemach verblieben war. In Rom hatte sie ihr
Söhnchen Rodrigo gelassen; dort hatte sie ihre stürmische Jugend
verlebt, jetzt fürchtete sie den kühlen Empfang in Ferrara. Auch
Sforza beunruhigte sie, der im nahegelegenen BCantua weilte und
Rache brütete. Zwar hatte Alezander VI. Ercole empfohlen, Gio-
vanni zu beobachten, aber der rachsüchtige Sforza konnte doch
Lucrezia auf die eine oder andere Weise zu nahe treten.
Physisch erschöpft durch die beschwerliche Reise, moralisch
gebrochen durch die Ungewißheit der Zukunft, so näherte sich
Lucrezia dem Ziel ihrer Fahrt. Aber schon im Kastell Bentivoglio
X76 ACHTBS KAPITBL
trat ein unerwartetes Ereignisf ein, das ihr Mut gab.
war Alfonso gekoffimen, um sie zu begrüBen und vor dem feier-
lichen Einzug in Ferrara kennen zu lernen. Er war ihr ganz fremdi
es läßt sich nicht einmal nachweisen, daS er ihr geschrieben hat,
während die Eheverhandlungen gepflogen wurden* Im KasteU
Bentivoglio empfingen die kOnftigen Gatten in einer zwei Stunden
währenden Unterhaltung einen günstigen Eindruck voneinander.
Das Eis war gebrochen, Lucrezia kam Alfonso nach den Versiche-
rungen eines Anwesenden „mit grofier Fügsamkeit und Grazie^'
entgegen, er reiste befriedigt fort, sicherlich hat ihm die reizvolle
Frau, die alle durch ihre Anmut besi^ hat, Eindruck gemacht
Eine zweite weniger angenehme Begegnung wartete Lucrezias
in BAalalbergo. Isabella Gonzaga, die Markgräfin von Mantua,
Alf onsos Schwester, war ihr dort entgegengereist, Sie war g^en diese
Heirat gewesen, die ihr als Demütigung der estensischen Familie
erschien. „In fröhlicher Wut'S wie sie ihrem Manne schrieb,
empfing sie die Schwägerin, aber während der Hochzeitsfeierlfch-
keiten langweilte sie sich, war mit allem unzufrieden und verlangte
schnellmöglichst nach Mantua zurückzukehren.
Die Feste in Ferrara gehören zu den allerprächtigsten der
Renaissance. Ercole sparte nicht, um den Fremden durch den
Glanz seines Hofes die Wunde zu verbergen, die ihn brannte:
die Aufnahme dieser Schwiegertochter in das alte Geschlecht der
Este. Aber Lucrezia erleichterte ihm seine Aufgabe; durch ihre
strahlende Anmut und Liebenswürdigkeit, die alle Herzen gefangen-
nahm, schien sie die boshaften Gerüchte, die man über sie ver-
breitet hatte, Lügen zu strafen.
Alezanders Tochter zog auf einem Schimmel ein, über den eine
Decke aus Schadach gebreitet war; sie trag ein schwarzes gold-
gesticktes Samtgewand, dessen breite Ärmel in malerischen Falten
■
hinunterfielen. Ihre Schultern deckte ein Mantel aus Goldbrokat
und Hermelin, das gelöste Haar umschloß ein zartes, diamanten-
geschmücktes Netz, ein Geschenk Ercoles L, und ihren Hals
schmückte eine Kette von Perlen und Rubinen, die ferraresisches
Erbgut war. Die Professoren der Universität zu Ferrara hielten
einen purpurnen Baldachin über di(( Herzogin.
LUCREZIA BORGIA
177
Vor rtem Tore des Castell Tebaldo scheute das durch die Schüsse
erschreckte Pferd, LucrexU glitt auf den Boden, erhob sidi jedoch
im nltnlichen Augenblicke. In jenen abergläubischen Zeiten hat
der Zwischenfall sidierlidi AnlaB zu traurigen Vorhersagungen
gegeben«
Der Hochieitssug war auBerofdentlich lang und farbig. An der
Sfiitze waren berittene Bogensdifitien in WeiB luid Rot, den Farben
der Este, daneben Tronunler und Pfeifer. Ihnen folgte Don Alfonso,
umgeben von acht Pagen und einem stattlichen Gefolge ferrare*
sischer Edler. Er trug ein Kleid aus rotem Samt, auf dem Kopfe
saS ein schwanes Samtbärett mit goldener Agraffe. Sein kastanien-
f arbenes Pferd war mit einer karmoisinroten goldg e stic k ten Decke
bedeckt. Die Ifitte des Zuges bildete Lucrexia, ihr folgte in ge-
messenem Ernst Pflrst Ercole I. in schwarzem Samtgewand, audi
sein Pferd hatte schwarzsamtnes Gesdiirr. Hinter Ercole Lucrezias
Hofstaat, ihre Hofdamen und Donna Adriana, die ehemalige Haus-
hofmeisterin und Vertraute Alezanders VI. Als der Zug sich dem
Platz vor dem Schlosse niherte, ließen sich zwei Seiltinzer mit
unerhörter Geschicklichkeit an langen Stricken von den SdiloB-
türmen herab und begrüfiten die Braut. Ohne Hofnarren ging es
eben in der Renaissance nicht ab.
Isabella erwartete Lucrezia auf der Palasttreppe luid geleitete
sie beim Klange der Musik in den Thronsaal, wo die junge Herzogin
neben ihrem Gemahl unter einem goldenen Baldachin (capo delo)
Platz nahm und eine lange Ansprache anhAren muBte. Der Saal
war mit fünf groBen, aw Seide, Gold und Silber gewebten Teppichen
Der erste Festtag war vorüber. Auf die Bevölkerung hatte die
jtmge Herzogin den besten Eindruck gemacht; man erzählte, sie sei
schlank, habe wunderschönes, blondes Haar, weiBe 2ULhne, eine
zierliche Nase, lebhafte fröhliche Augen von schwer zu bestimmender
Farbe, und pries ihre Liebenswürdigkeit und Anmut. Cagnola,
der aus Parma zu den Hochzeitsfeierlichkeiten gekommene Ge-
sandte, der sehr ausführliche Aufzeichnungen über alles hinter-
lassen hat, notiert, Lucrezia habe helle Augen, einen etwas groBen
Mund, einen gutgeformten, weiBen Hals, und Heiterkeit und Froh-
is
1^8 ACHTES KAFITBL
sinn gehen Ton ihr aus. Ihre schöne Gesichtsfarbe, dolce dera,
rfihmt in ihren Briefen auch die Marquise von Cotrone, Isabellas
Hofdame, obgleich sie sich ziemlich imfreundlich Aber Lucreada
ausgesprochen hat und der Ansicht war, daß ihre Herrin Isabella
während dieser Feste das Schdnheits-„Pallio'* erringen würde.
All diese Beschreibungen stimmen mehr oder weniger überein
mit Lucrezias Bildnis auf einer Medaille, die „A l'amour captif*^
genannt wird, weil auf der Rückseite ein an einen Lorbeerzweig
gefesselter Amor dargestellt ist, neben dem verschiedene Musik-
instrumente liegen. Diese Medaille ist wohl ziemlich unmittelbar
nach Lucrezias Ankunft in Ferrara geschlagen worden und zeigt
uns ihr authentischstes Porträt.
Angesichts des Zaubers, der von Lucrezia ausging, verstummte
selbst die damals sehr scharfe Satire, und anstatt die Tochter des
Papstes, die geschiedene Frau und Witwe zu kritisieren, begann
man dem alten Herzog vorzuwerfen, daS er allzu viel Geld für die
Festlichkeiten verschwende. Über den Theatersaal des Palazzo
della Ragione, wo Plautus' Komödien aufführt wurden, ergoB
sich eine Flut von Sonetten, die auf den alten Herzog wegen seiner
Verschwendungssucht stichelten, an diesen Lasten hätten dann
die Untertanen zu tragen. Um seine Einnahmen zu vergröfiem,
pflegte der Herzog die Amter zu verkaufen, vor Lucrezias Hoch-
zeit waren die Preise für die öffentlichen Anstellungen höher denn
je gewesen. Für eine sehr hohe Summe bestätigte Ercole damals
Titus Strozzis Wahl zum giudice de savi, obgleich das Volk ihn haBte.
Den Glanzpunkt des Hochzeitsfestes bildeten Bälle, Theaterauf-
führungen, Moresken und Turniere. Auf dem großen Ball im
Schloß tanzte Lucrezia römische und spanische Tänze beim Klang des
Tamburins«. Sie liebte es, durch Solotänze, die damals sehr beliebt
waren, zu glänzen. Ohne schweren Zwischenfall waren die Turniere
abgelaufen, nur Guido Vaino da Imola hatte dem Pferd seines
Gegners Aldovrandino Piatese drei schwere Wunden beigebracht;
da das Tier gemietet war, mußte Piatese fünfzig Dukaten dafür
bezahlen.
Ercoles schwache Seite war, wie schon erwähnt, das Theater,
er gab dafür Unsummen aus. Im Saale des Palazzo della Ragione,
LUCRBZIA BORGIA 279
In dem sonst der Podesti amtierte» war eine Bühne errichtet worden,
Von vierzig Ellen Länge und fünfzig Ellen Breite. Die Dekorationen
bestanden aus gemalten Hftusem, Felsen, Bäumen und verschiedenen
anderen Dingen. Von den Zuschauem trennte die Bühne eine niedrige
Holzwand. In dem für das Publikum reservierten Teil des Saales
saBen vom die HerzOge und der Hof, dahinter die übrigen Zu-
schauer in dreizehn amphitheatralisch aufgestellten Bankreihen.
Dreitausend Menschen fanden Platz; in der Mitte die Frauen, zu
beiden Seiten die Männer. Mit grünem Stoff waren der Saal und die
Bänke aiisgeschlagen. Fünf Wappenschilde strahlten an der
Decke: in der Mitte das Wappen des Papstes, rechts das des Königs
von Frankreich und der Este, links das der Borgia und ein altes
estensisches. Vor dem Beginn der Vorstellimg hatte der Herzog
die Kostüme, die bei den Aufführungen benützt wurden, aus*
gestellt, damit die Gäste sähen, daB jedes Stück seine besondere
Kostümausstattung habe. Es gab insgesamt hiuidert Anzüge für
Männer und Frauen, zumeist aus leichtem Wollstoff gefertigt. Lite-
raten und Künstler hatten für die Theateraufführung gearbeitet,
Maschinen und Zxirüstungen erdacht, Dekorationen gemalt. Be-
sonders hatten sich um den Glanz der Aufführungen verdient ge-
macht Fino de Marsigli, Trulo, Giovanni da Imola» Pelegrino da
Udine und Dosso und seine Schüler. Die Musik hatte Maestro Alf onso
della Vinola komponiert, und zu den Hauptsängem und Sängerinnen
gehörten Madonna Dalida, Maestro Alfonso Lanto und Giovanni
Miehele.
Die szenischen Aufführungen dieses Hochzeitsfestes waren von
epochemachender Bedeutung in der Entwicklung des modernen
Theaters. Aus allen Gegenden Italiens hatte Ercole Künstler kommen
lassen, er lieB den ganzen Zyklus aufführen, fünf Stücke von Plautus,
denen ein für diesen AnlaB gedichteter Prolog voranging. Bis auf
einen Abend wurde vom 3. bis zum 8. Februar täglich Komödie
gespielt, die Aufführungen wurden durch Konzert, Moresken oder
Seiltänzer unterbrochen, um sie mannigfaltiger zu gestalten. Plautus
„Bacchides'' dauerten fünf Stunden; Isabella Gonzaga vermochte
es vor Langerweile nicht auszuhalten und schrieb ihrem Manne,
diese ganze Hochzeit sei so langweilig und kalt, daß sie schon
Z80 ACHTBS KAPITEL
tausend Jalire zu währen scheine« Die Auffühningen dauerten
von sechs oder sieben Uhr abends bis um Mitternacht. Die Moresken,
eine Art Ton Pantomime mit Musik und Tanz, waren fttr das Pu«
blikum eine Erholung» aber an Plautus' Komödien begeisterten
sich höchstens Ercok und die Universitätsprofessoren.
In einer der Moresken kam ein grofier Wagen auf die Bühne, dem
ein Einhorn, das Symbol der Este, Torgespannt war. Eine schöne
Jungfrau hielt die Zügel, und auf der Plattform des Wagens spielte
sich die ganze „Historie'' ab. Die Nymphe befreite einige an Bäume
gefesselte Gefangene, und sie, froh der errungenen Freiheit, be-
gannen beim iOang der wahrscheinlich eintonnen und langweiligen
Musik zu tanzen. Auch zehn Neger tanzten mit brennenden Fackeln
zwischen den Zähnen und zehn Gladiatoren zeichneten sich durch
einen Kri^[stanz aus.
Unter den Zuschauem nahmen die älteren Leute AnstoB am Tanz
▼on Männern und Frauen in fleischfarbenen Trikots, in denen die
Tanzenden wirkten, als wenn sie ganz nackt wären. Die Tänzerinnen
streuten ein wohlriechendes Pulver auf den Boden, so daB der ganze
Saal von wunderbarem Duft erfüllt war. Mit Raffinement wollte man
auf Sinne und Phantasie wirken. Ercok liebte schlüpfrige Ko-
mödien, selbst Isabella fand des Unmoralischen zuviel auf der
Bühne und schrieb nach der Aufführung der „Casina'' ihrem Mann
einen Brief voU boshafter Anmerkungen.
Im kleineren Kreise liefi die Markgräfin ihre Stimme hören,
namentlich um den französischen Gesandten zu erfreuen, gegen den
sie sich sehr huldreich erwies. Nachdem sie sich längere Zeit mit
ihm unterhalten hatte, zog sie ihren Handschuh ab und verehrte ihn
ihm als Erinnerungszeichen.
Ihre Stimme pries Trissino in seiner Kanzone „Gentil signora":
„Ma quando le sue labbra al canto muove,
Tanto dolcezza piove
Dal cid, che Taere si rallegra, e il vento
A si dolce armonia s'afferma intento/'
Der letzte Tag der Festlichkeiten war zur Übergabe der Geschenke
an die Neuvermählten bestimmt. Die Gaben waren seltsam genug.
LUCRBZIA BORGIA x8z
Der franztataclie KSnig schickte Lucrexüi einen Rosenkranz aus
goldenen Kugebii die mit Bisam gefüllt waren» es war dies danuüseine
große Kostbarkeit; für Don AU onso fügte er einen Schild hinzu,
auf dem in Email Maria Magdalena dargestellt war — dazu schenkte
er ihm eine Vorschrift für das Gießen der Geschütze. Die Gesandten
der übrigen LAnder legten zu Lucrezias Füßen Brokatstoffe nieder
und sübeme Gefftße yon kostbarer Arbeit. Mit einem eigenartigen
Geschenk bedachten sie die Venezianer. Sie ließen für ihre Gesandten
Dolfin und Poscolo besonders kostbare Mäntel aus Karmoisinsamt
mit Hermelin verbrämt arbeiten» ehe die Gesandten nach Ferrara
reisten» mußten sie in den großen Ratssaal gehen und sich in diesen
Mänteln dem versammelten Senat und viertausend Zuschauem
präsentieren. Für den einen dieser Mäntel waren zweiunddreißig,
für den anderen achtundzwanzig Ellen Samt erforderlich. Eben
diese Mäntel boten die Gesandten Lucrezia zum Geschenk dar . Zuerst
präsentierten sie sich der Herzogin darin» hielten lange italienische
und lateinische Ansprachen» dann verschwanden sie im Vor-
zimmer» legten die kostbaren Mäntel ab und ließen sie Lucrezia
übergeben. Ganz Ferrara hat die Venezianer ausgelacht.
Während der Feste schrieb Isabella ihrem Manne täglich; ihre
Briefe verraten ihre schlechte Laune und ihre Unzufriedenheit
darüber» daß Lucrezia einen günstigem Eindruck macht» als sie
erwartet hatte. Dagegen behaupten Isabellas Anhänger, daß
sie schöner als Lucrezia sei und ihr auch überlegen in der Fähig-
keit» sich in dieser glänzenden Gesellschaft leicht und sicher zu
benehmen. Die Marcfaesa de Cotrone berichtet ihrem Verlobten
Francesco Gonzaga» Isabella überstrahle alle Frauen an Schönheit
und Grazie» mit ihr verglichen wären alle nichts» »»una mente'^
B. Capilupo schreibt dem Marchese von Mantua» Isabella gebühre
die Fahne. Während der Feste zu Ferrara wurden fünf Frauen
am meisten genannt: Lucrezia» Isabella» Elisabetta von Urbino»
Emilia Pia und die Marchesa de Cotrone. Capilupo» ein befangener
Zeuge» weist Lucrezia unter ihnen den letzten Platz an. Als Isabella
sidi mit dem französischen Gesandten unterhielt» erregte sie die
Bewunderong aller durch ihre überlegene Art und die Eleganz
ihrer Beredsamkeit. Boshaft fügt Capihipo hinzu» obgleich Lucrezia
I82 ACHTBS KAPITBL
mehr mit Männern zu tungehabt habe als dieMarchesaundBUsabetta»
kftnne sie sich ihnen im verstindigen Gespräch nicht ver^eichen.
Die Trauung zu Ferrara war ein groBes Ereignis in der eleganten
Welt. Die geringfügigste Kleinigkeit in der Kleidung von Mann
oder Frau, die man bei einer festlichen Versammlung beobaditete»
wurde beschrieben und analysiert, die Strümpfe A la Sforzesca
wurden ebenso angestaunt wie die Baretts A Tantiqua und eine
Fülle anderer Details. Die Frauen interessierten sich besonders für
die Spanier, die in Lucrezias Gefolge nach Ferrara gekommen
waren. Um jene Zeit fingen die Spanier an, eine tonangebende
Rolle in der römischen Gesellschaft zu spielen — italienische Höflich-
keit und italienische Sitte hat nicht wenig Schaden daran genommen.
In dem Mafie als die Macht der Borgia stieg, wuchs die Zahl der
Spanier, die sich in Rom niederließen und dort nach Stellimg und
Verdienst suchten. Selbst spanische Höflinge begannen in Mode zu
kommen; auf den Strafien und in Gesellschaft hörte man fort-
während spanisch sprechen, man las spanische Romane, kutschierte
A la spagnola, kleidete sich auf spanische Art und eignete sich eine
Menge spanischer Ausdrücke und Wendungen an. Jeder Krämer und
Diener wurde „Don'' angesprochen, und die Zahl der Duelle stieg.
Dieses qwnische Element war ein Verhängnis für Italien.
Soweit wirkliche Kultur und Charaktereigenheit in Frage kamen,
standen die Spanier viel tiefer als die Italiener. In den Jahrhunderte
währenden Kämpfen mit den Mauren hatten sie äuBerlich die aus-
gesuchte Höflichkeit und Ritterlichkeit der Mauren angenommen,
aber die wirklichen Tugenden tmd die hohe Kultur des unter-
jochten Volkes hatten sie sich nicht zu eigen gemacht. Die lang-
währenden religiösen Rassenkämpfe hatten blutgierige Raubtier-
instinkte in ihnen entwickelt, die sich hinter äußerem Firnis
verbargen. Ihre Religion war Aberglauben, ihr Ehrgefühl Durst
nach Rache und Vendetta, jeder Moralbegriff fehlte ihnen. Sie
waren berüchtigt wegen ihrer Unehrlichkeit und ihrer widerlichen
Angewohnheiten.
Dem Reiz der fremdländischen Galanterie erlagen die Jungen
Italienerinnen jedoch am häufigsten und zeichneten lange Zeit
die Spanier aus. Während der Hochzeitsfeste in Ferrara beob-
LUCRBZXA B0R6IA tSj
achtete man, daß Lucrezias Donzellen im Gänsemarsch, eine hinter
der anderen, einherritten, um ihr Kostüm in all seinen Besonder-
heiten von den Spaniern bewundem zu lassen, die die Gewohn-
heit hatten, sich dort aufzustellen, wo die Frauen Torbeikamen,
und ihnen zudringlich nachzusehen.
Als die Feste vorüber waren, fuhren die GAste auseinander,
nur Donna Adriana mit ihren römischen Damen und ihrem gesamten
Gefolge rüstete nicht zum Aufbruch. Ercole L war verzweifelt, es
galt infolge ihres verlängerten Besuches für den Unterhalt von
vierhundertfünfzig Menschen und dreihundertfünfzig Pferden zu
sorgen. Die Vorräte an Lebensmitteln und Futter waren bereits
während der Hochzeitsfeste aufgebraucht, und die Last, diesen
fremden Hofstaat längere Zeit zu erhalten, war unerträglich. Ercole
schrieb sogar an seinen Gesandten nach Rom, damit der Papst
Adriana zur Rückkehr auffordere, aber Lucrezias ehemaliger
Hofmeisterin schien es in Ferrara sehr gut zu gefallen, da sie sich
erst im ISai zur Abreise verstand. Die Bevölkerung von Ferrara
führte bittere Klage, da die Hochzeitstage allein asooo Dukaten
verschlungen hatten.
Das junge Paar bezog das Gastet Vecchio. Eine unfreundliche
Residenz: in den Kellern Gefangene, und über dem stehenden Wasser,
das das SchloB umgab, zahllose Mückenschwärme. Der Papst er-
kundigte sich, ob Lucrezia glücklich sei; als ihm berichtet wurde,
daS Don Alf onso nur am Tage Vergnügungen außerhalb des Hauses
nachgehe und die Nächte bei seiner Gattin verbringe, war er zu-
frieden. Der berühmte Ritter Bayard, Lucrezias lieißer Verehrer,
bezeugt in einem seiner Briefe die Zufriedenheit des Papstes, indem
er hinzufügt, daS Alezander Don Alfonso gelobt habe. „II signor
Don Alfonso va a piacere in diverse loci come giovane, il quäle,
dice Sua SantitA, fa molto bene."
IV
Ob Lucrezia mit diesem Vorgehen ihres Mannes ganz ein-
verstanden war, ist fraglidi, aber die Tochter des Papstes fühlte
die Starice Hand eines Gatten, mit dem nicht zu scherzen war.
l84 ACHTBS KAFITBL
Bonaventura Plstofilo, der langilhrige SekreläTy Biograph und
Vertraute von Alfonso, schildert den Herzog als einen groBen, starken
Ifann, der physische Anstrengungen Hebte. Sehr sdiarfinnnig und
von sanfter Gemütsart, hatte er viel gelernt, in seiner Jugend
Frankreich und England bereist; er war mudkalisch luid hat es
auf der Geige zu groBer ^Hrtuositit gebracht; besonders liebte er
ritterliche Spiele, Jagd und Pferde und schwamm wie ein StBr in
seinem Po« GroBe Gesellschaften vermied er, aber mit Leuten
niedrigeren Standes gab er sidi gern ab, mit Ingenieuren und Ar«
beitem, die ihm in seinen Beschäftigungen beistanden. Er baute
unablässig, arbeitete an der Verbesserung der Geschtttze und an
der Hebimg der Fayenceerzeugnisse. Er war ein auBerordentlich
gewissenhafter, gerechter Herrscher und verlangte auch von seinen
Untertanen Gerechtigkeit
Alfonsos, von Pistofilo fiberlieferte Charakteristik deckt sich
mit dem Eindruck, den das Porträt des Herzogs in der estensischen
Galerie zu Modena macht, es ist die Kopie eines Originalbildes von
Tizian. Der Herzog, ein kräftiger, breitschulteriger Mann mit
länglichem Gesicht, starkem Bart, stützt sich mit der Rechten
auf eine Kanone, vielleicht eines jener drei Geschtttze, die seinen
Ruhm bildeten: „Grandiavolo'S „Terremoto*' und „Giulia'^ Das
letzte war aus der ungeheuren Statue Julius* II. gegossen, dem Werke
Michelangelos, welche das Volk von Bolognai das den Papst haBte,
während der Revolution am 30. Dezember 1511 zertrflmmert hat.
Ferrara bedurfte um jene Zeit eines ernsten, starken Herrschers.
Nacheinander haben drei Päpste nach der estensischen Herrschaft
gestrebt: Julius II. mit Gewalt und List, Leo Z. und Klemens VIL
durch Treubruch und Verrat. Die Zeiten waren sehr schwer, es galt
nicht nur sich der Päpste zu erwehren, sondern fortwährend Schutz
zu suchen bei einem der beiden europäischen Potentaten, dem König
von Frankreich oder dem König von Spanien, die sich unablässig
befehdeten. Ein Lavieren in Gefahren.
All das überstand Alfonso; es kamen Zeiten, wo er Modena,
Reggio, Polesina verloren, wo Julius' II. Bann auf ihm gelastet,
wo die Pest die Bevölkerung von Ferrara dezimierte, und Brdbeben
Land und Leute zerstörten, und schlieBlicfa kam jener Augenblick,
ALPONSO I. D'ESTE
KOPIE DOSSIS NACH TiZIAN. MODENA, GALERIE
LUCREZIA B0R6IA
I«5
WO der Herzog nach der Sdilacht bei Bastia» an der Schläfe top
eitlem Stein, der aus dem eigenen Gesdioß stammte, getroffen,
wie tot am Boden lag. Es waren schwere Zeiten: bei Giacomo d'Am-
brogio, dem Bankier xu Verona, mufite er für 450 Lire 2883 ICedaillen
Tertfetien, die seine Vorfahren gesammelt hatten, später seibat
Lucrezias Kleinodien verpfänden; Alfonso hat all dem die Stirn
geboten, sich der Plante erwehrt, den denkwftrdigen Sieg bei Ra-
▼enna (am xx. April 2512) erfochten, die Medaillen tmd Kleinodien
eingelöst, den verlorenen Besitz zurückerworben, und nach langer
und glanzvoller Herrschaft hinterließ er sein Reich dem ältesten
Sohne, Brcole IL, im Jahre X534.
Binem so tätigen Fürsten blieb nicht viel Zeit und Mufie zur
Pflege der Literatur, besonders da seine Interessen eher bildender
Kunst: Architektur und Malerei, gehörten. Dafür bemühte sich
Lucrezia in Friedenszeiten ein Zentrum für das geistige Leben
zu schaffen, und in der Tat gehörte der Hof von Ferrara während
ihrer Herrschaft in dieser Beziehung zu den berühmtesten und
glänzendsten der Renaissance.
Lucrezia übte einen besonderen Reiz aus: sie wurde von ihrer
ganzen Umgebung geliebt, und die Literaten, deren es in Ferrara
soviel gab, priesen in lateinischen und italienischen Versen ihre
Tugenden und ihren Verstand, teils aus Verehrung, teils um ihr
zu schmeicheln. Durch ihre Güte und Zuvorkommenheit besiegte
sie alle, nur Isabella war uneinnehmbar, und Lucrezia vermochte
trotz ihres ernsthaften Strebens sich hier keine Zuneigung zu
erringen.
Um sich gegen die Markgräfin von Mantua liebenswürdig zu
erweisen, schrieb sie ihr kurz nach der Trauung (am 14. Mai X502),
daB sie sehr wünsche, ihre Büste in Marmor zu besitzen, und da
Gian Giacomo, ein römischer Goldschmied und Bildhauer, in Ferrara
aufgetaucht sei, bat sie sie, ihm sitzen zu wollen. Ob diese Bü^e
jemals in Angriff genommen wurde, wissen wir nicht, aber die Be-
kanntschaft mit diesem römischen, wahrscheinlich untergeordneten,
Künstler nahm ein peinliches Ende, da der Bildhauer-Goldschmied,
nachdem er sich ein Jahr in Ferrara aufgehalten, Lucrezia zwei
kostbare Steine, einen Rubin und einen Diamanten, gestohlen und sieb
x86 ACHTBS KAPITEL
intgehelin nach Mantua begeben hat, wo man ihn jedoch nidit er*
wischen konnte.
In Ferrara huldigte alles Lucrezia» selbst der alte Tttiis Strosri
war ihr Verehrer. Er sandte ihr ein überschwenglidies Epi-
gramm» obgleich er die Grenie des Alters, das Menschen bestimmt
ist, erreicht und längst der Liebe ' V er g essen habe, sei er bei ihrem
Anblick in Liebe entbrannt und läge gefesselt au ihren FüBen.
Ihr Bild habe zwar ein berühmter Meister gemalt, aber menschliche
Kunst vermöge diese göttliche Schönheit nicht wiederzugeben.
Lucrezias Linke sdimücke ein Armband in Gestalt einer Sdilange;
wenn, wie man sagt, der Schlangenbiß eine namenlose Sehnsucht
erwecke, so sei dieser Reif ein bezeichnendes Symbol. Im Bewußt-
sein ihrer Tugend und Reinheit brauche die Fürstin den BiB des
Neides nicht zu gewärtigen, da alle Herrlidikeiten des Himmels
und der Erde sich in ihr vereinigt hätten. Wer sie nicht gesehen
habe, sei zu bedauern, wer sie jedoch gesehen habe, würde in Ewig-
keit von Liebessehnsucht verzehrt werden.
Nicht nur der Vater, auch Ercole Strozzi, der Sohn, huldigte der
bezaubernden Fürstin. Obgleich Ercole hinkte, hatte er viel Glück
bei Frauen, und sein Gebahren Lucrezia gegenüber begann bereits
Alfonsos Mißtrauen zu erwecken. Lucrezia scheint dem jungen
Strozzi eine Rose geschenkt zu haben, die sie vorher an ihre Loipen
geführt hat; dies bot den Anlaß zu einem leidenschaftlichen Epi-
gramm Strozzis:
Laeto nata solo, dextra, rosa, polioe carpta;
Unde tibi solito pulcrior, unde color?
Num te iterum tinzit Venus? an potius tibi tantum
Borgia purpureo praebuit ore decus?
„Rose, dem Boden der Freude entsproßne, vom Finger gepflückte»
Warum scheinet als sonst schöner dein farbiger Glanz?
I^bt dich Venus aufs neu? hat eher Lucreziens Lippe
Dir im Kusse so hold schimmernden Purpur verliehn?"
Ercole Strozzi sang audi vom marmornen Cupido, der in
Lucrezias Schlafgemach stand und sich zum Stein gewandelt,
als er seine Herrin geschaut. Ihr Anblick wiikt wie der der Meduse;
LUCRBZIA BORGIA 187
sum Stein wird jeder, der sie sieht, aber die Uebesg^ut brennt weiter
in ihm und entlockt dem Stein noch TrAnen«
Schon vm 1505 und 1506 scheint AUonso auf Ercole eifersüchtig
gewesen zu sein, er haSte und verdächtigte ihn, und damals seheinen
Eifersucht und Zorn in ihm entstanden zu sein, die zwei Jahre später
eine furchtbare Tragödie zur Folge hatte.
Jener KuB auf die Rose, die Ercole geschenkt ward, war nichts
als Tändelei, und Alfonso brauchte sich «darüber nicht zu betm-
ruhigen; zum Hofstaat der Herzogin gehörte aber damals schon
ein anderer gelehrter Dichter, der den häuslicfaen Frieden im Schlosse
zu Ferrara hätte trüben können: es war kein anderer als Pietro Bembo.
In der Ambrosiana zu Mailand befinden sich Briefe, die dort
nach vielen Irrfahrten gelandet sind. Es sind im ganzen neun,
sieben italienische, zwei spanische, und ihre Oberschrift: „AI mio
carissimo M. Pietro Bembo'' gibt so manches zu denken. Sie tragen
die Unterschrift: „Lucretia Estense da Borgia'S ihre Herkunft
steht also auBer Zweifel. Diese Briefe sind vorsichtig abgefaßt,
in Worten imd Wendungen, aus denen sich nicht unbedingt folgern
läBt, daB ein intimeres Verhältnis zwischen der Fürstin und dem
jiuigen Venezianer bestanden habe. Aber Don Alfonso hätte die
beigelegte blonde Locke so wenig beglückt wie die Liebesgedichte
in spanischer Sprache.
Lucrezia hat sich am Hofe zu Ferrara einsam gefühlt ; ihren llann
hat sie nie geliebt, ihrer Umgebung konnte sie, vielleicht abgesehen
von einigen Frauen, die mit ihr aus Rom gekommen waren, nicht
unbedingt vertrauen. So konnte sie dazu kommen, Pietro Bembos
Liebe zu erwidern. Da8 diese Liebe bestanden hat, beweisen die
erwähnten Briefe, wenn man sie mit Bembos Briefen an A*** ver-
gleicht, die in seine gesammelten Schriften aufgenommen wurden.
Diese Briefe waren an Lucrezia gerichtet; die Vermittlerin der
Korrespondenz zwischen Bembo und der Herzogin war die schöne
Angela Borgia, die Bembo einmal „angelo intercessore'S den ver-
mittelnden Engel, nennt.
Bembo hatte ein sehr einnehmendes AuSere, eine sympathische
Stimme, er war weich und liebenswürdig im Umgang und hatte
Frauen gegenüber ein unerschöpfliches Gesprächsthema, da er gerade
i88 ACHTES KAPITBL
damals in Ferrara „Gli Asolani'' schrieb» die Lucresia gewidinet
waren. In Liebessachen scheint er erfahren gewesen zu sein, da
ihn an Venedig noch ein altes Verhältnis aus dem Jahre 1501
band, das sich infolge seiner Entfernung allmählich löste.
Als Bembo sich im Frflhling des Jahres 1505 mit seinem Vater
und der Tenezianischen Gesandtschaft zu Julius II. begab, machte
er zum erstenmal Station in UrUno und erregte dort die besondere
Aufmerksamkeit der klugen Bnulia Pia. Sie schrieb, er sei ein
Mann, mit dem man rechnen müsse, „che yeramente i uomo da
fame conto.^' Während seines Aufenthaltes in Mantua, im gleichen
Jahr, machte er Isabella den besten Eindruck; er berichtet, daft
er dort sehr geehrt worden sei, „accarezzato et honorato'^
Er war ein Mensch besonderer Art, was ja auch die Zukunft
bestätigt hat.
Schon zwei Jahre nach Lucrezias Hochzeit, im Jimi 1503, klingt
in Bembos Briefen ein heiBes Gefühl an. Er war damals in Ostalleto
bei den Strozzi, sie hatten dort ein Landhaus mit groBen Gärten
und einer kostbaren Bibliothek, die jedoch in verwahrlostem Zustand
war, da Bembo sich beklagt, daS die Mäuse die Umschläge ron
Aristoteles' Schriften zernagt hätten. Er bittet seine venezianischen
Freunde, ägyptische Katzen zu besorgen, die bekannt dafür waren,
im Mäusefang zu ezzellieren. Heute fehlt jede Spur der Villa und der
schönen Gärten der Strozzi.
Am 3. Juni schidct Bembo der Herzogin aus Ostalleto zwei
Sonette und berichtet bei diesem AnlaS: „Nichts Neues kann ich
melden, ich könnte höchstens dieses ruhige Leben beschreiben,
die Ei n sa m k e it, den Schatten der Bäume, die Stille, die mir früher
süß und lieb waren — jetzt erscheinen sie mir langweilig und weniger
schön. Was bedeutet das? Ist es der Beginn eines Übels? Ich wollte,
Ew. Herrlichkeit suchte in ihrem Büchlein nach, ob Ihre Gefühle
den meinen entsprechen. Ew. Herrlichkeit Gnade empfehle ich
mich so viele mal, als es Blätter gibt in diesem Garten, in den ich
hinaussehe, gelehnt an jenes liebe Fensterchen.*'
Das erwähnte Buch bezieht sich wahrscheinlich auf ein spanisches
Buch mit Sentenzen und Prophezeiungen, das Lucrezia häufig
befragte.
LUCRBZIA BORGIA X89
Aus Bembos Gedichten aus jener Zeit spricht seine Zuneigung
für die Herzogin. Die Gedichte strBmen ihm zu; auch wenn er auf die
Jagd geht, denkt er mehr an ein zierliches Sonett als an das zu
belauschende Wild. In einem dieser Gedichte preist er Lucrezia:
nimmt die Fürstin die Feder zur Hand und schreibt Verse» so gleicht
sie den Musen» berührt sie die Harfe mit ihren schönen Fingern»
so rauscht das Instrument sanft und milde wie der Po» tanzt sie» so
sdireitet sie so leicht» daS man fürchten muB» eine Gottheit würde
sie entführen und in einen Stern verwandeln.
Das Schlangenarmband» das Lucrezia trug» inspirierte Bembo wie
Strozzi zu Hexametern: als man einst eine Natter in das gold-
bringende Wasser des Tajo geworfen» wandelte sie sich zur goldenen
Schlange. Der spanische FluB wußte nicht» was er mit diesem
Kleinod tun sollte» da fand er eine würdige Frau» die sich damit
schmücken w<dlte» und diese Frau war Lucrezia.
Das ihr gesandte Sonett beantwortete die Herzogin mit einer
leidenschaftlichen spanischen Kanzone» für die der Dichter mit
spanischen Versen dankte. Er entschuldigte sich» daB er die Sprache
nicht ganz beherrsche» und bat sie» diese Verse niemandem zu
zeigen.
Fortwährend wurden Briefe zwischen Ferrara und Ostalleto ge-
wechselt; am 8. Juli bat Lucrezia den Dichter um eine Imprese.
Mit zwei Worten erfüllte Bembo diesen Wunsch: »»Est animum'^ (sie I) »
sie sind für uns nicht ganz ▼erständlich. Der Inhalt der Briefe
wurde heiBer» Lucrezia wagte später nicht mehr mit ihrem eigenen
Namen zu unterschreiben» sie zeichnete mit den Buchstaben F. F.
Bembo versichert sie in einem seiner Briefe» das grdBte Glück des
Menschen bestünde darin» als Eigenwesen zu sterben» um in einem
andern» in der Geliebten» weiterzuleben; an anderer Stelle nennt
er sie das »»Licht seines Seins'' oder »»küBt ihre Hand» die schönste»
die er in seinem Leben an die Lippen geführt''.
Auf dem Lande war es Bembo zu einsam» er zog nach Ferrara»
aber dort erkrankte er in den ersten Augusttagen imd muBte das
Bett hüten. Lucrezia besuchte ihn und weilte lange beim Kranken.
Am nächsten Tage schrieb er ihr: »»Euer Besuch hat die Schwäche
von mir genommen» die meistens dem Fieber folgt» plötzlich ward
J90 ACHTBS KAl^lTEL
ich gesund wie nach einer göttlichen Medizin. Durch einen Blick
und die Berührung der Hand ward mir die Gesundheit wieder-
g^eben; da Eure mir so teuren Worte Liebe, Heiterkeit und Trost
spendeten, erweckten sie mich zum Leben.'^
Einige Tage nach diesem Besuch, am i8. August 1503, starb
Alexander VI«, drei Tage nach seinem Tode kam die Trauerbotschaft
nach Ferrara. Es war ein schwerer Schlag für Lucrezia, um so
schwerer, als nicht vorauszusehen war, welche Wendung ihr Schick-
sal jetzt nehmen würde. Bembo teilte ihren Schmerz, er begriff ihre
Angst und Sorge und ging sofort ins Schloß, um sie zu sehen imd
zu trösten. Doch befriedigten ihn seine Worte nicht; da sie auf-
richtig waren, versagten sie in der Form, und am nächsten Tage
schrieb er ihr aus Ostalleto, um sich zu rechtfertigen: als er sie
in Tr&nen, in ihrem schwarzen Kleid gesehen habe, habe er keine
Worte gefunden, sondern empfunden, daB er selbst des Trostes
bedürfe, so sehr habe ihr Anblick seinen Sinn verwirrt. Ein zweiter
leidenschaftlicher Brief folgte, er riet Lucrezia, den Frieden ihrer
Seele in diesem wichtigen Augenblick zu wahren, tröstete sie so gut er
vermochte, in sehr herzlicher Weise. „State sana'S tmt diesen
Worten beschlofi er seinen schmerzerfüllten Brief. Ein Satz am
Schluß dieses Briefes wirft ein trauriges Licht auf Lucrezias
Stellung am ferraresischen Hof: „Da die heutigen Umstände dies
verlangen,'' schreibt er, „müsset Ihr niemand erkennen lassen,
daß Ew. Gnaden nicht nur über den jetzt erlittenen Verlust weint,
sondern auch aus Furcht, ob Euer Glück am Hofe von Dauer sein
wird.'' Dieser Ausdruck „ancora la stante vostra fortuna" be-
weist, daß Lucrezia fürchtete, ihre Stellung in Ferrara würde sich
nach dem Tode des Papstes ändern, da sie weder der Liebe des
Gatten, den fortwährend neue Liebesabenteuer beschäftigten, noch
der Zuneigung des alten Ercole sich sicher fühlte. Und ihre Furcht
konnte berechtigt sein, da sie keine Nachkonunenschaft hatte; ein
unglücklicher Zwischenfall hatte sie zweimal der Kinder beraubt,
und erst fünf Jahre später, am 4. April 1508, hat sie Alfonso den
ersten Sohn geboren. In diesen schweren Augenblicken war Bembo
vielleicht ihr einziger Vertrauter. Die Ungewißheit, wie die Este
sie nach dem Tode ihres Vaters behandeln würden, war durchaus
LUCRBZIA B0R61A
Z9X
begrciiUch, dtan Lucreria wuSte, daft der alte Ercole sidi über
den Tod des Papstes freue* Während Bembo Lucrezia Worte des
Trostes sagte, schrieb der Herzog aus Belriguardo an Giangiorgio
Seregni, seinen Gesandten beim französischen Statthalter in Blailand,
und dankte Gott, daS er ihn von diesem Papst befreit habe, von dem
er trotz der neuen Familienbande nichts Gutes zu erwarten habe.
Den Widerwillen des Papstes gegen Ferrara schrieb Ercole nament*
lieh Cesare zu, der die Este stets als Fremde betrachtet und ihnen
qie seine PULne anvertraut habe.
Drastischer drOckt seine Freude über den Tod des Papstes der
Marchese yon Mantua aus, der seiner Gattin Isabella d' Este am
22. September 1503 schreibt aus Isola Famese, in der Nähe Roms,
dem Hauptquartier der französischen Armee, Er berichtet, der
Papst habe nach dem Tod seines Vorgingers Innocenz VHI. einen
Fakt mit Satan geschlossen und den päpstlichen Stuhl mit seiner
Seele erkauft Zwölf Jahre der Herrschaft waren Alezander VI.
vom Teufel garantiert, er hat sein Versprechen gehalten, ja dem
Papst sogar vier Tage ^ber die bestimmte Zeit zugestanden. In
Alesanders Todesstunde warteten sieben Teufelchen seiner, und
sein Mimd schäumte wie kochendes Wasser im Kessel. Aus diesem
Grunde wollte niemand den Toten anrühren, so daS der Toten-
gräber ihm einen Strick um die Beine band und ihn daran aus dem
päpstlichen Schlafgemach bis Grab sdileppte.
Es wurde allgemein geglaubt, dafi der Teufel sich persönlich
eingestellt habe, um Alesanders VI. Seele in Empfang zu nehmen.
Diese Nachricht drang jedenfalls auch nach Ferrara und erleichterte
Lucrezias Stellung nicht; man darf sich auch nicht wundem, daß
sie sich in ihrer absoluten Verlassenheit und Furcht vor dem Kom-
menden immer mehr an Bembo anschloß, und daß ihre Freund-
schaft noch inniger wurde. Am 4. Oktober anvertraute Bembo
sich ihr: „Nach keinem Schatz verlangt mich so wie nach jenen
Worten, die ich gestern von Euch hörte ... die Flamme, die mich
erfaßte, kann nicht stärker und leuchtender brennen.^^ Lucrezia
schien ihm nicht ganz zu trauen, und abergläubisch wie alle Frauen
jener Zeit holte sie sich Rat bei Karten, auf denen Sentenzen standen,
die ihr die Zukunft künden sollten. Aus dem ersten Karten*
192
ACHTES KAPITBL
spiely das sie zur Hand nahm, wollte sie sich Gewifiheit über das
Schicksal ihrer Liebe holen, Bembo fühlte sich ihrer Neigung sch<m
sicher, er antwortete ihr, er hoffe, daB ein spamsdies Wort sich erfül-
len würde, „quien quiere amatar perro, spesso rivia le levante'S
indem Lucrezia seine wahnsinnige Liebe zu ihr dämpfen wolle,
würde sie selbst dieser Liebe erliegen. Und es scheint, daft die Karten
richtig prophezeit hatten, Lucrezia wehrte sich zwar, aber die^
Liebe siegte.
Am zo. November muBte Bembo infolge wichtiger häuslicher
Angelegenheiten Ferrara verlassen, zum Abschied schickte er
Lucrezia einige Zeilen, in denen er sie „sein teuerstes Leben"
nannte; gleich allen Verliebten lieB er ihr sein Herz zum Pfände,
bat, daB sie lieb und gut damit imigehe, und empfahl sich ihrem
Gebet. Bis Ende des Monats hielt die Krankheit seines Vaters ihn
fem, tmd als er nach Ferrara für kurze Zeit zurückkam, mufite er
infolge des Todes seines Bruders Carlo, den er sehr liebte, Lucrezia
abermals verlassen.
1504 war Bembo noch in Ferrara, aber seine Briefe werden
vorsichtiger, auch Lucrezia scheint der höfischen Umgebung nicht
zu trauen. In der zweiten HUfte des gleichen Jahres reiste Don
Alfonso mit seinem Sekretär Pistofilo tmd einem groBen Gefolge
von Höflingen nach Frankreich, um die guten Beziehungen
zu jener Djrnastie zu unterhalten, die Ferrara hauptsächlich
in Italien unterstützte imd um neue Errungenschaften im
Geschützwesen, die ihn über alles interessierten, kennen zu
lernen. Lucrezia blieb allein im SchloB, denn der alte kränk-
liche Ercole hielt sich namentlich in Belriguardo auf. Wie
weit damals ihr Verhältnis zum Dichterfreund gediehen ist, wissen
wir nicht.
Das Jahr 1505 ist entscheidend in Lucrezias Leben, die Bande,
die sie an Bembo fesselten, muBten sich lockern. Man begann sich
zu sehr mit diesem Roman zu beschäft^;en, der in Hofkreisen kein
Geheimnis war, auBer Angela Borgia wuBten noch drei Hoffräulein
darum, Bembo nennt sie in seinen Briefen Polixena, Climena und
Cintia. Lodovico Aristo tuid Tebaldeo wuBten tun diesen Roman,
und Titus Strozzi schrieb sogar ein recht ungeschicktes Epigramm,
LUCREZIA BORGIA
Z93
in dem er des Netzes spottete» mit dem Lucrezia den in sie Ter«
liebten Freund gefangen hat. Es folgt hier:
Ad Bembum de Lucretia
Si mutatum in x. c. tertia nominis huiiis
Littera lux fiet quod modo 1 u x- fuerat
Retia subsequitur, cui tu h a e c subiunge parat que
Sic scribens: lux haec retia, Bembe parat.
Dazu kam, daS nach Ercoles Tod am 25. Januar 2505
Alfonso Herzog Ton Ferrara wurde; Lucrezias Stellung wurde
dadurch exponierter und erforderte viel Vorsicht. Am S. Paulstag
übergab der alte Titus, als guidice de' dodid savi, Alfonso nach alter
Sitte Szepter und Schwert als Abzeichen der Herrschaft. Als der
neue Herzog im Purpurmantel auf dem Schimmel durch Ferraras
StraBen ritt, gab es einen solchen Schneesturm, daB man es allgemein
als Prophezeiung einer sehr stürmischen Regierung auffaßte, Pest,
Krieg und Erdbeben sollten diese Prophezeiimg nur zu sehr erfüllen.
Unverzüglich nach Alfonsos Thronbesteigung spielte sich ein
furchtbares Drama im herzoglichen Palast ab. Angela Borgia
bezwang durch ihre Schönheit ihre ganze Umgebung. Fast noch
als Kind hatte man sie in Rom mit Francesco Bfaria Rovere ver-
lobt, aber die Verbindung wurde gelöst, und der Erbe des Herzoge
tums von Urbino vermählte sich mit Eleonora Gonzaga. Zu Angelas
heiBesten Verehrern in Ferrara gehörten der Kardinal Ippolito
d'Este imd Giulio, Ercoles natürlicher Sohn. Giulio gefiel Angela
besser als der Kardinal, und das lebhafte Mädchen rühmte einst in
Ippolitos Gegenwart seine schönen Augen. Der Kardinal geriet vor
Eifersucht außer sich, mietete zwei „brava^* und liefi seinem Stief-
bruder die Augen ausstechen. Am 3. November 2505 lauerten die
Henker dem von der Jagd Heimkehrenden auf, und warfen sich in
Ippolitos Beisein auf ihr Opfer. Der Anschlag geriet nur halb,
der armt Giulio verlor ein Auge, das andere vermochten die Arzte zu
retten.
Der gesamte estensische Hof schäumte vor Wut gegen Ippolito,
am gleichgültigsten nahm jedoch der Herzog das Verbrechen auf,
er verbannte den Kardinal zwar vorübergehend, bestrafte ihn aber
13
X94 ACHTES KAPITEL
nicht so, wie es dieser Terschlagene Wüterich Terdient hätte.
Giulio sann auf Rache und wartete nur auf einen geeigneten Augen-
blick, um sie an Alfonso zu nehmen.
Donna Angela heiratete ein Jahr nach diesem Zwischenfall
den Grafen Alexander Pio von Sassuolo, und ihr Sohn vermählte sich
später mitElisabetta, einer natürlichenTochter desKardinals Ippolita
Giulio ruhte nicht, er setzte sich mit Don Ferrante, Alfonsos
leiblichem Bruder, ins Einvernehmen, der den Herzog leidenschaft-
lich haBte und ihm Ferraras Thron entreißen wollte* Der Ver-
schwörung traten mehrere Unzufriedene bei, unter anderen der
Graf Albertino Boschetti und dessen Schwiegersohn, der Kapitän
der Schloßgarde, Es wurde beschlossen» Alfonso auf einem Blasken-
ball zu ermorden und Ippolito durch Gift aus dem Wege zu räumen*
Der Kardinal, der infolge seiner Verschwendungssucht viel Freunde
in Ferrara hatte, wurde rechtzeitig von diesem Anschlag benach-
richtigt und hat jedenfalls auch Alfonso gewarnt. Im Juli 1506
ließ der Fürst Don Ferrante und den Grafen Boschetti gefangen
nehmen, Giulio gelang es, sich durch Flucht nach Mantua zu
retten. Als Ferrante ins Schloß gebracht wurde, geriet Alfonso
in solchen Zorn, daß er dem Bruder mit dem Stock ein Auge aus-
schlug und ihn ins Burgverließ verbannte. Giulio wurde vom Mark«
grafen von Mantua an Alfonso ausgeliefert, gegen beide Este
wiu'de ein Hochverratsprozeß angestrengt, und die Schuldigen zum
Tode verurteilt.
In Ferrara war alles ein Anlaß zu glänzenden Festen, selbst
die Hinrichtimg zweier Mitglieder der herrschenden Familie sollte
zum öffentlichen Schauspiel werden. Im Hofe des Kastells wurde
eine Estrade errichtet, auf der die beiden Prinzen hingerichtet
werden sollten, ringsum wurden Tribünen für das Publikum auf-
gestellt. Als man die Gefangenen herbeiführte, gab Alfonso, der
nicht aus der Art geschlagene Sohn Ercoles, des großen Theater-
regisseurs, den Henkern ein Zeichen, sie traten zur Seite^und er
begnadigte die Brüder zu lebenslänglicher Gefangenschaft in den
Kellern jenes Schlosses, in denen der eine zu herrschen sich ver-
messen hatte. Noch unter Alfonsos Nachfolger, Ercole IL, hat Fer-
rante dort geschmachtet, er starb erst im Jahre 1540. 1559 wurde
LUCREZIA BORGIA I95
Von Giulio seine Freiheit wiedergegeben, da er, ein fast achtzigjähriger
Greis, dem Thron von Ferrara nicht mehr gefährlich werden konnte*
Unterdessen erlitt Lucrezia einen Schicksalsschlag nach dem
andern; es ging mit der Größe der Borgia schnell zu Ende. In
Spanien, in der Nähe von Pampelona, war Cesare am 12, März 1507
zugrunde gegangen als Abenteurer und Kondottiere, in fremdem
Solde, der für die Sache eines andern kämpfte. Als die höfischen
Schmeichler sahen, daß Cesares Ruhm Alf onso nicht mehr Abbruch
tat, begannen sie Lobeshymnen zu Ehren des Verstorbenen zu
dichten* Ein Heldengedicht wurde 1508 von Ercole Strozzi verfaßt,
in dem er Cesares große Taten pries, er rühmte ihn als den von der
Vorsehung Auserwählten, tun das Kaisertum und den Glanz Roms
zu erneuen, als den Mann, der bestimmt war, das zerrissene Italien
unter einem Szepter zu vereinigen, als den von Machiavell vorher«»
gesagten Fürsten. Selbst von Alescander VI* heißt es bei Strozzi,
er verdiene, einst der Große genannt zu werden. lamque novos
titulos, nobis, nova regna parabat Seztus Alezander, merito qui
nomine quondam mazimus apellandus erat . . .
Zu früh hatte Jupiter Alezander in den Olymp berufen! Als
die Götter über Cesares Schicksal berieten, war Pallas vor Jupiter
in die Knie gesunken und hatte gefleht, daß er ihm Macht imd ein
langes Leben schenke. Doch Venus war dagegen^ daß die Herrschaft
über Rom einem fremden, spanischen Geschlecht zufalle, sie
schäumte vor Eifersucht, da eine Spanierin, Lucrezia Borgia, ihr
an Schönheit überlegen war. Venus war stärker als Pallas; wie
Achilles mußte Cesare sterben, aber sein Mut imd sein gewaltiger
Geist sind unsterblich, aus der Vereinigung beider Geschlechter,
decen Ursprung in Hellas zu suchen ist, aus den Este und Borgia
wird der Held entstehen, der Italien befreien wird. Strozzi geht viel
weiter als Machiavell; während der Sekretär von Florenz sich
kühl über die Unterwerfung Umbriens, der Marken und der Ro-
magna ausspricht, ist Strozzi voller Begeistenmg für Cesare imd
preist ihn:
Qui rem romanam ingenio et praestantibus armis restituit • . .
Caesenam et multa in tumulis castella propinguis
Debellavit agens properanti milite castra.
13*
ig6 ACHTES KAPITEL
Seine Dichtung hat Ercole Strozzi der Herzogin gewidmet,
,,alla diva Lucrezia Tepicedio".
Als Strozzi dieses Gedicht verfaSte, liebte er Lucrezia nicht
mehr, er hatte damals ein Verhältnis mit Barbara Torelli, Ercole
Bentivoglios Witwe» einer schönen Frau, die zuweilen Sonette schrieb,
wie damals fast alle Damen von Stand. Barbara hatte ein Töchter-
chen geboren, das Strozzi zum Vater hatte. Der jungen \Kntwe
gefiel es in Ferrara sehr gut, selbst Alfonso I. hatte sich um ihre
Gunst bemüht. Sie aber hatte jenen erwählt, den sie heiraten
konnte: Ercole Strozzi. Ihre Trauung fand am 24. Mai statt; drei-
zehn Tage später, am 6. Jimi 1508, fand man Ercole, der am Mittag
ermordet worden war, in der Nähe von San Francesco. Er lag in
seinen Mantel eingehüllt, mit durchschnittener Kehle und zwei-
undzwanzig Wunden am Körper, ganze Haarbüschel, die die Mörder
ihm ausgerissen hatten, deckten den Boden.
Einer seiner Dichterfreunde sah den furchtbar mißhandelten Körper.
Vidi ego divulsos crines a vertice, humique
Undique disperses . • •
Cemite quam turpes nunc sunt in pectore plagae.
Am Tage des Mordes schrieb Bemardino Prosperi an Isabella
▼on Mantua, neben dem Leichnam habe Strozzis Hut gelegen tmd
der Stock, auf den er sich zu stützen pflegte. Es schien, daS Ercole
an anderer Stelle ermordet worden war, und daB man den Körper
auf einen öffentlichen Platz niedergelegt hatte, um die Spuren des
Verbrechens zu verwischen. Aus Bemardinos Brief kann man
schließen, daß Strozzi Barbara unmittelbar nach der Geburt des
Kindes geheiratet hat. Die Gonzaga in Mantua waren über diesen
Mord empört, der Marchese erbot sich, die Waise zur Taufe zu halten,
und ließ sich vom Dichter Tebaldeo bei der Zeremonie vertreten.
In ganz Italien sprach man von diesem Verbrechen, gehörte Strozzi
doch zu den berühmtesten Männern von Ferrara; er war zwei Jahre
vor seinem Tod giudice de' savi gewesen, also einer der ersten
Würdenträger des Staates. In Ferrara ahnte man, wer die Schuldigen
waren, und erwartete eine unverzügliche Untersuchung. Aber
Alfonso, der bei solchen Anlässen mit aller Strenge vorzugehen
LUCREZIA BORGIA X97
pflegte, gebot der Gerechtigkeit Schweigen« Es hat nicht an Stimmen
gefehlt» die Lucrezia Borgia verdächtigten» sie hAe Ercole er-
morden lassen, damit er Alfonso ihr Verhältnis zu Bembo, von
dem er mehr wuBte als andere, nicht rerrate. Aber dieser Ver-
dacht entbehrte jeder Grundlage; sehr bald wies die ganze Stadt
auf den Mörder auf dem Throne hin.
Barbara Torelli selbst schien Alfonso für den Urheber des Ver-
brechens zu halten, dies beweist ein Sonett, das sie auf den Tod
ihres Mannes geschrieben, und in dem sie trotz ihres Schmerzes
nicht wagt, den Mörder zu nennen. Dieses Sonett gilt als eines der
schönsten, das in der Renaissance von einer Frau gedichtet wurde.
Auch die Literaten von Ferrara schienen genau zu wissen, wo der
eigentliche Mörder zu suchen war, fast alle verfaßten Trauergesänge,
aber keiner wagte auf den Urheber des Verbrechens hinzuweisen,
Ariost so wenig wie Cello Calcagnini, Aldo Manuzio oder Bembo.
Strozzis Tod war für Bembo eine blutige Warnung, er ward sich
bewufit, daB Alfonsos Eifersucht ihm jeden Augenblick ein gleiches
Los bereiten könne. Bald nach diesem Vorfall verlieB er Ferrara
imd weilte abwechselnd am Hof zu Urbino, in Bologna, Rom und
Padua.
Lucrezias Liebe zu Bembo war die letzte Leidenschaft dieses
Herzens, das viel geliebt luid viel durch seine Schwächen gesündigt
hat. Ein wichtiger Abschnitt begann im Leben der Tochter Alez-
anders: am 4« April 2508 hat sie einen Sohn geboren, den man
zur Erinnerung an den Großvater Ercole nannte. Jetzt erst schien
sie unlöslich mit der Djrnastie der Este verbimden. Im nächsten Jahre
wurde ihr zweiter Sohn Ippolito geboren, und einige Jahre später,
X5Z5 und 16, schenkte sie ihrem Gatten noch eine Tochter Eleonora
und einen Sohn Francesco.
Lucrezia begann stark zu werden und tat es darin ihrer Rivalin
Isabella von Mantua gleich, die auch zu früh übermäßig runde
Formen bekommen hat. Lucrezias Bildnisse aus jener Zeit, be-
sonders das Porträt im Museum von Nimes, das nach Yriarte die
Herzogin darstellt, sowie ein Bild, in der Sammlung Gugenheim in
Venedig, stellen, wenn sie überhaupt Anspruch auf Authentizität
haben, Lucrezia ganz anders dar, als sie damals aussah, da, der
t98 ACHTES KAPITEL
Tradition gemäß, Pinturicchio sie als h« Katherina von Ägypten
im Appartamento Borgia im Vatikan gemalt hat, oder als man die
Medaille „4 l'amour captif'^ nach ihr machte.
Auf jenen PorträtSi schlechten Kopien verlorener Originale,
sieht Lucrezia unsympathisch und schwerfällig aus. Ihr kastanien-
braunes Haar mit goldigem Glanz ist k la lombarde frisiert, mit
den charakteristischen Locken zu beiden Seiten des Gesichts, die
Augen blaß und hell. Daß sie helle Augen von undefinierbarer
Farbe hatte, wird in allen Schiiderungen ihrer Person erwähnt;
aber ihre Augen hatten einen strahlenden Reiz, von dem
in diesen elenden Bildnissen auch keine Spur zu entdecken ist«
Pinturicchios Bildnis scheint mir authentischer, schon deshalb,
weil zwischen seinem Bild und der Medaille zweifellos eine ge-
wisse Verwandtschaft vorhanden ist. Wenn man berücksichtigt,
daß Pinttiricchio die noch sehr jimge römische Lucrezia gemalt
hat und die Medaille aus ihren ferraresischen Jahren stammt,
so lassen sich gewisse Unterschiede, die diese beiden Bildnisse
aufweisen, leicht begreifen.
Die Fürstin war gütig und hat allmählich an Takt und Umsicht
gewonnen. Ein Franzose, der Biograph Bayards, kann sie nicht
genug rühmen, um der Aufnahme willen, die sie dem französischen
Heer bereitet hat. Sie verstand die Franzosen durch ihre Liebens-
würdigkeit, durch Feste und Bankette so einzunehmen, daß sie
sagten, Lucrezia sei die schönste, reizendste und liebenswürdigste
Frau ihrer Zeit imd habe durch ihre Vorzüge ihrem Manne und
Ferrara unschätzbare Dienste geleistet.
Dank Strozzi und Bembo lebte Lucrezia in einem Kreise lite-
rarisch tätiger Menschen; außer jenen intimeren Freunden
und Ariost scharten sich Männer um sie, die in der damaligen
Geisteswelt etwas galten. Lucrezias Neigungen waren lite-
rarischer Art, während Alfonso sich mehr für bildende Kunst
interessierte«
LUCREZIA BOROIA
Z99
Unter ihrem Zauber stand Antonio Tebaldeo, Bembos uhgefähr«-
licher Nebenbuhler» er war damals etwa vierzig Jahre alt und kam
Bembo an gesellschaftlichen Vorzügen nicht gleich. Zu ihren
Verehrern gehörte auch Cello Calcagnini» ein Polyhytoriker, von
umfangreichem Wissen. Celio machte Gedichte, studierte die Antike,
war Latinisty Historikä:, Philosoph, verstand sich auf Numismatik
und beschäftigte sich sogar mit Naturwissenschaften, gegebenen
Falles übersetzte er auch antike Lustspiele für das Theater von
Ferrara, Er war in Liebesdingen sehr erfahren, da er zu den stän-
digen Begleitern des Kardinals Ippolito gehörte und mit ihm nach
Ungarn gegangen war. Ein geschickter Höfling, der sich bei Lucrezia
in Gunst setzen wollte; noch ehe sie Ferrara erreicht hatte, hatte er
ihr Kommen in einem Gedicht gefeiert.
Eine noch einnehmendere Persönlichkeit, die längere Zeit der
Umgebung der Fürstin angehört hat, war Giangiorgio Trissino,
der Abkönunling einer bekannten Patrizierfamilie aus Vicenza,
ein vielgereister Mann, der spätere Gesandte Leos X. imd Kle«
mens VIL Im April des Jahres 2512 kam Trissino zimi erstenmal
nach Ferrara, Familienbeziehungen knüpfen ihn an die Stadt.
1478 geboren, war er damals etwas über dreifiig Jahre alt, er hatte
kurze Zeit vorher seine Gattin „dilettissima consorte'^ verloren
imd gehörte dank Abstammung, Benehmen und Bildung zu den
glänzendsten Gestalten jener Welt, „prestantissimo per nobiltä
di natali e moltiplidtä di dottrina'S Trissino kannte Deutschland,
war längere Zeit in Mailand gewesen und hatte dort viel Inter-
essantes erlebt. Er hatte in seiner Jugend häufig als Gast im Hause
der Cedlia Gallerani geweilt, der berühmten Geliebten Lodovico
Moros; ihr schönes, wahrscheinlich von Leonardo da Vinci gemaltes
Bildnis befindet sich im Museum der Fürsten Czartoryski zu
Krakau.1)
Bei CedUa versammelten sich allabendlich fast alle bedeutenden
Persönlichkeiten Bfailands, es wurde musiziert, die Dichter trugen
ihre neuesten Werke vor, die Gelehrten disputierten über Philo-
sophie und Naturwissenschaften, Architekten, Bildhauer und Maler
^) Nadi Annahme von Professor Jan Botoz Antoniewicz in seiner Ab-
handlung Über dies BUdnis (lU. Kongreß polnisdier Historiker in Krakau).
200 ACHTES KAPITEL
wiesen ihre Skizzen tot. Der Dominikaner und Novellist Bandello
gehörte zu den regelmäßigsten Gästen der schönen Frau. Häufig
korrigierte Trissinodie Sonetteder Gallerani, die auch Gedichte machte.
Für Luci^ia war Trissino die geeignete Persönlichkeit, schon
deshalb, weil er von Cedlia erzählen konnte, die damals alle interu
essierte, da die etwas ältlich gewordene Schöne auch nach ihrer
Heirat mit dem Grafen Bergamino ein für Gelehrte und Dichter
offenes Haus in San GioTanni in Croce bei Cremona führte. Tris-
sino gefiel der Herzogin, sie lernte seinen Verstand und seine Er-
fahrung schätzen und lieS sich, wenn Alfonso im Lager war, in allen
wichtigen Familienangelegenheiten von ihm beraten« Ihre Briefe
an ihn tragen die Überschrift „al amico nostro carissimo*^ Trissino
wohnte in Ferrara bei den Obizzi, einer der vornehmsten Fa-
milien, die zu Lucrezias Umgebung gehörten. Trissinos Schwester,
Maddalena, war mit Antonio Obizzi verheiratet, der den Est^
sehr ergeben war. Sehr befreundet war den Obizzi die Familie
Castelmo, Fürsten von Sora aus dem Neapolitanischen, die des
Vaterlandes verwiesen, sich in Ferrara niedergelassen hatten.
Bei den Obizzi und Castelmo versammelte sich eine vornehme
und anregende Gesellschaft. Berühmt wegen ihres Witzes und
ihrer Beredsamkeit, glänzte dort Bilargherita Moroscelli, die Mutter
jenes Ercole Castelmo, dessen tragischer Tod ganz Italien be-
wegt hat
Während des Krieges zwischen Ferrara und Venedig kämpfte
der junge Castelmo unter Ippolito d'Este auf Alfonsos Seite, er fiel
in die Hände slawischer Soldaten, die in Venedigs Sold standen.
Da die wilde Horde sich nicht darüber einigen konnte, welcher
ihrer Abteilungen der reiche Gefangene zugeteilt werden sollte,
schlug man ihm den Kopf ab. Diese Grausamkeit veranlaBte Ariost
zu einigen schönen Versen, die sich gegen die slawischen Barbaren
wandten. Der Dichter setzt mit der wuchtigen Frage ein:
Schiavon crudele, onde hai tu il modo appreso
Della milizia?
Zu den entthronten Herrschern, die sich in Ferrara nieder-
gelassen hatten, gehörte auch Aeneas Pio, der, aus Carpi vertrieben»
LUCREZIA BORGIA 20Z
in den Dienst der Este getreten war. Er wohnte im Palazzo dd
ParadisOy der heut^^ Volksbibliothek, den der Fürst ihm an*
gewiesen hatte, um ihn sich zu verpflichten. Auch der Palast der
Pio war ein Zentrum für Ferraras gesellschaftliches Leben. Gra-
ziosa Maggie eine Verwandte PIos, bildete den glänzenden Mittel-
punkt der dortigen Versammlungen; sie war eine jener berühmten
Frauen, die Ariost im letzten Buch seines Rasenden Roland ^er-
wähnt. Vfit in ICailand bei der Gallerani, oder bei den Atellani
in den Breragirten» versammelte sich auch hier im Garten des
Paradiso eine Gesellschaft schöner Frauen und berühmter Bfänner,
darunter waren Ariost und Claudio Tolomei, während seines Aufent-
haltes in Ferrara. Diana d'Este schien Graziosa Maggi die Sieges*
palme streitig zu machen, und Celio Calcagnini stand unter ihrem
Zauber:
II dotto Celio Calcagnin lontana
Farä la gloria e'l bei nome di quella.
Gern gesehen waren die gelehrten Professoren der Universität
zu Ferrara in dieser Gesellschaft, und besonders schätzte man
dort Nicolo Leoniceno, der neben Pomponazzi in Bologna zu den
ersten Vertretern der neuen skeptisch-philosophischen Richtung
gehörte, die die geistige Bewegtuig der letzten Epoche der Renaissance
charakterisiert. Diese rationalistische Schule verwarf die mittel-
alterliche Mystik und begann sich langsam dem Erforschen der
Natur zuzuwenden. Niccolo stammte wie Trissino aus ^^cenza, war
eine Zeit hindurch in England gewesen und hatte sich schließlich
in Ferrara niedergelassen, wo er öffentliche Vorträge über Mathe-
matik, Philosophie und Medizin hielt. Bezeichnend für die damalige
Wksenschaft war die Verbindung von Philosophie und Medizin,
was sidi aus der auf Erfahrungstatsachen begründeten Richtung
ergibt Leonicenos Verdienst bestand darin, da0 er an der Unfehlbar-
keit von Galenos' und Plinius' Theorien, die bisher unumschränkt
die Naturwissenschaften beherrscht hatten, gerüttelt hat. Der
ferraresische Gelehrte hatte den Mut weiterzugehen, sich auf die
eigene Erfahrung zu stützen. Diese naturwissenschaftliche, auf
Erfahrung aufbauende Bewegung beschäftigte die damalige Welt in
202 ACHTES KAPITEL
hohem Grade, in den Salons wurde darüber gesprochen» und während
unter Lionello^ Borso und selbst noch unter Ercole Philologie
geherrscht hat, wurden jetzt die Naturwissenschaften zum Lieb*
lingsstudium erhoben — la natura delle cose occulte. Einer der
damaligen Gelehrten erwähnt ein interessantes Gespräch zwischen
Trissino und Leoniceno über heilkräftige Pflanzen, besonders über die
Eigenschaften des Rhabarbers. Ein heutiger Arzt und Gelehrter
würde wahrscheinlich über ein solches Thema nicht mit einem Men-
schen verhandeln wollen, der nicht ztun mindesten seine medizi*
nischen Prüfungen bestanden hat«
Leoniceno verstand seine Theorien auch in die Praxis um*
zusetzen, er lebte äufierst enthaltsam und erreichte ein Alter von
neunzig Jahren.
Zu Lucrezias Verehrern, die jedoch Alfonso keinerlei Gnmd
zur Eifersucht boten, gehörte Jacopo Caviceo, der Vikar des Bis-
tums, ein Prälat von stürmischer Vergangenheit. Er war in der
Gegend von Parma 1443 geboren und hatte in Bologna studiert.
Von auffahrendem Wesen, kräftig und bereit sich mit der Faust
sein Recht zu verschaffen, wurde er zum Helden eines nächtlichen
StraBenkampfes, mußte aus Bologna flüchten imd nach Parma
zurückkehren. Als er nach einiger Zeit Geistlicher wurde, erregte
er allgemeinen Anstoß wegen seines zügellosen Lebens. Nachdem
er eine Nonne verführt, einen Menschen tödlich verwundet und eine
Reihe anderer Übertretungen begangen hatte, wurde ihm der Boden
in der Heimat zu heiß, er mußte nach Venedig flüchten, schiffte
sich ein und trieb sich einige Zeit hindurch im Osten, in Konstanti-
nopel und auf den Inseln des Archipels umher. 2469 begegnen wir
ihm wieder in der Heimat; im Kampfe mit dem Brzbischof steht
er an der Spitze des empörten Bistums. Der Bischof läßt ihn ein-
sperren, die Freunde des Herzogs befreien ihn jedoch gewaltsam
aus dem bischöflichen Turm. Caviceo geht nach Rom, setzt den
Kampf gegen seinen Feind fort, der augenscheinlich aus Angst vor
dem Papst einen Häscher nach Rom schickt, damit er den auf-
rührerischen Geistlichen in aller Stille beiseite schaffe. Der „Bravo*'
verwundet Caviceo, aber der viel geschicktere Geistliche macht
den Mörder auf der Stelle mit seinem Messer nieder. Dann geht er
LUCREZIA BORGIA
203
zum Papst, wirft sich ihm zu Püfien, erklärt, daB er den Feind in
Notwehr erschlagen habe, und erlangt Verzeihung. Triumphierend
kehrt er als Sieger nach Parma zurück; mit der Macht des Erz-
bischofsy auf dessen Seite der Herzog von Mailand Galeazzo Sforza
stand, hatte er aber nicht gerechnet. Sehr bald sitzt er wieder hinter
eisernem Gitter, aber er weiß sich frei zu machen tmdl flüchtet.
Nach verschiedenen dramatischen Episoden wird ihm 1477 das Kirch-
spiel von San Michele in Padua übertragen, und damit beginnt ein
ruhigeres Leben. Er erhält immer bessere Pfründen, steigt in geist-
lichen Ehren, im Jahre 1489 be^rüBt er im Namen seiner Heimat-
stadt Friedrich III. in Italien und wird in öffentlichen Urkunden
bereits Doktor der Rechte genannt. 1494 wird er in Ferrara bischöf-
licher Vikar, weiB sich Ercole I. gefällig zu erweisen und ist bei
Hofe sehr gut angeschrieben.
In Ferrara schrieb Caviceo seinen Roman „Peregrino" ; er widmet
ihn „alla savia ad accostumata Lucrezia Borgia'^ „Peregrino''
gehört zu den berühmtesten Romanen des beginnenden 16. Jahr-
hunderts, er beruht nicht auf bloßer Erfindung, der Verfasser
hat einen großen Teil der Ereignisse, durch die er gegangen und
seine selbständigen Beobachtungen der Natur hinein verarbeitet.
Es war ein Buch, das das Leben der 2^it spiegelt.
Caviceo war in einem ruhigen Hafen gelandet; als ehrwürdiger
Prälat schrieb er nicht länger Romane, sondern Belehrungen für
seine Beichtkinder, „II Confessionale'^
Als Leo X. Papst wurde, schrumpfte Lucrezias literarischer
Kreis zusammen; Italiens Dichter und Gelehrten pilgerten damals
nach Rom wie ins Gelobte Land und erwarteten Ehren und goldenen
Überfluß vom Mediceer. An den päpstlichen Hof übersiedelten
damals Tebaldeo und Bembo, der in Urbino weilte. Bembo wurde
päpstlicher Sekretär, und seine Korrespondenz mit Lucrezia bricht
im Jahre 15 13 ab. Er verliebte sich in Morosina, eine Römerin
niederer Herkunft, und hatte drei Kinder mit ihr. Bis zu seinem
Tode lebte er mit ihr zusanunen, und die schöne Morosina hat durch
ihre böse Laune und ihr ordinäres Betragen Rache für alle die
Untreue geübt, durch die der gelehrte Dichter in jungen Jahren
an anderen Frauen gesündigt hat.
204 ACHTBS KAPITEL
Ferraras Krieg mit Venedig» Unglücksfälle, die das Land be-
trafen, häusliche Sorgen, die Erziehung der Kinder — all das be-
wirkte, daB die in ihrer Jugend leichtsinnige Lucrezia immer ernster
wurde; sie begann wie alle Frauen, die viel gelebt und viel Ent«»
täuschungen erfahren haben, Trost in der Religion zu suchen.
In ihren letzten Lebensjahren wandelte sich ihre Frömmigkeit
in Bigotterie. Alexanders VI. Tochter beichtete täglich und ging
drei- oder viermal monatlich zum Abendmahl. Es verletzte sie,
daB die Frauen in Ferrara, alter Sitte gemäB, mit bloBen Armen
gingen imd den Hals bis zur Bitet entblößt trugen. Sie führte
daher eine Art Tuch „gorgiere'' ein, das bei den Frauen aus deni
Volke die BlöBe deckte, an der sie AnstoB nahm. Die Zeiten hatten
sich geändert. Als Lucrezia als Braut nach Ferrara kam, trug sie
ein Hemd mit durchbrochenen Einsätzen, das die Brüste durch-
schimmern lieB; Isabella schrieb in heller Empörung einen ent»
rüsteten Brief an ihren Mann über diese Schamlosigkeit.
So lange Rodrigo, Lucrezias Sohn aus erster Ehe, lebte, bestand
ein Band, das sie an die Vergangenheit knüpfte. Rodrigo, der
Fürst von Bisoeglia, wuchs erst unter der Obhut des Kardinals
Lodovico Borgia auf, dann nahm sich seine Tante Isabella von
Aragon, die Witwe Giangaleazzo Sforzas aus Blailand, seiner an»
Als Dreizehnjähriger starb Rodrigo, und damit war das letzte
Band zerschnitten, das Lucrezia an ihre stürmische Jugend ge*^
fesselt hat. Zu Vanozza scheint Lucrezia in gar keinen Beziehungen
gestanden zu haben, und vielleicht hat erst die Nachricht ihres Todes
die Herzogin von Ferrara daran erinnert, daB sie bis vor kurzem
noch eine Mutter hatte. Vanozza starb am 36. November 1518 in
Rom, und da sie ihr bedeutendes Vermögen fronunen Stiftungen
verschrieben und der Brüderschaft del Gonfalone angehört hatte,
wurde sie mit dem Pomp, der eines Kardinals würdig wäre, beige*^
setzt; das gesamte geistliche Rom nahm an der Trauerzeremonie tdl.
Durch eine seltsame Laune des Schicksals wurde Lucrezia.
Julius IL verschwägert, der die Borgia haBte imd der gröBte Feind
der Este war. Giulia Famese, die zu Beginn des XVI. Jahrhunderts
eine noch junge imd reizvolle Frau war, gefiel dem Papst so sehr^
däB er seine Zustimmtmg gab zur Heirat seines Neffen Niecola
LUCREZIA BORGIA 205
Rovere mit ihrer Tochter Laura, jenem schönen Kinde, das wir in
Rom in Lucrezias Haus gesehen haben. Aber diese Verbindung
trug durchaus nicht dazu bei, das Verhältnis z^^ischen dem Hof
▼on Perrara und dem Papst zu verbessern.
Lucrezia starb neununddreifiig Jahre alt, am 24. Juni 1519,
bei der Geburt eines toten Kindes. Sie hat ihren Tod geahnt tmd
zwei Tage, bevor sie starb, an Leo X. geschrieben; dieser Brief be-
schliefit. in einer für jene Zeit charakteristischen Art ihren Lebens-
lauf. Jenem Papst, der Ferrara für die Medici annektieren wollte,
empfiehlt sie sich, als dem Schutzherm der Kirche, in christlicher
Demut. Nach zweimonatlichen Leiden, wie es in diesem letzten
Briefe heiSt, habe sie am 14. Jiuii bei Morgengrauen eine Tochter
geboren, sie habe gehofft, daB dies sie von weiteren Schmerzen
befreien würde. Sie erkenne jedoch, daB ihre Krankheit sich ver-
schlinunert habe und sie sterben müfise. In wenigen Stunden
wird sie vor dem höchsten Richter stehen, und darum
bittet sie wie eine Sünderin in Demut um den
heiligen Segen und empfiehlt dem Heiligen
Vater ihren Mann und ihre Kinder.
Sie verschied in der Nacht vom
24. Jtmi ; ihr Mann war in
ihrer Todesstunde
bei ihr.
NEUNTES KAPITEL
ARIOST
asch berühmt ward tinter der Jugend, die unter Ercotel.
in Ferraras StroBen grofi wurde, Lodovico Ariosto.
Er war nicht der erste Dichter seines Geschlechts;
schon unter Lionellos Regierung haben wir den Ge<
legenheitsdichter Francesco kennen gelernt, und
unter Borso hat Malatesta Ariosto gelegentlich als
Poet gesündigt. Nur Lodoricos Vater Hiccoto fühlte sich auf den
Niederungen der Erde beiinischer als auf dem PamaB. Er war
übrigens ein häfilicher, gewaltt&t^er, sehr unbeliebter Mann,
der hinter Titeln herj^^te und Geld zusammenraffte, wo es nur zu
kriegen war. Als Kcdser Friedrich III. 1460 in Ferrara war, be-
warb sich Niccolo um den ^tel eines Conte del sacro lateranense
palazzo e del santo romano imperio. Der Kaiser gestattete dem
neugebackenen Grafen, seinem Familienwappen, drei silbernen
B&ndem auf blauem Felde, einen schwarzen, gekrönten Adler auf
Goldgrund hinzuzufügen. Seitdem führten die Ariosto ein sehr
aristokratisches Siegel mit kaiserlichem Zeichen. Niccolo verstand
es, sich den Herzögen unentbehrlich zu machen, und war zu jedem
Dienst bereit. Ercole I. ernannte ihn zu seinem Hofmeister, mag-
giordomo, verwandte ihn bei Gesandtschaften an den Papst, den
Kaiser imd König von Frankreich und betraute Ihn sogar im Jahre
1471 mit der verbrecherischen Hission, Niccolo di Lionello d'Este,
seinen ränkespinnenden Rivalen, In Uantua zu vergüten.
Wahrscheinlich als Entgelt für dieses gefährliche Unternehmen
ernannte ihn Ercole I. im folgenden Jahre zum Kapitän der Zitadelle
ARIOST
207
und zum Schatzmeister in Reggio, Niccolo bezog dort ein. Ein-
kommen von 137 Lire monatlich» und sollte dreiBig Soldaten davon
erhalten, indem pro Kopf vier Lire gerechnet wurden. Er wollte
an den armen Teufeln verdienen und liefi sie hungern; als der Herzog
davon erfuhr, wurde Niccolo zur Rechenschaft gezogen. Niccolo
bekam eine bessere Frau, als er verdient hat. Im September 1473
heiratete er Daria, die Tochter von Gabriele Malaguzzi, einem
Edelmann aus Reggio; sie brachte ihm tausend Dukaten mit,
eine nach damaligen Begriffen nicht unbedeutende Xilitgift. Für
diesen Betrag kaufte er Land in Gavassetto, in der Gegend von
Reggio.
Daria war eine ungewöhnliche Frau; Lodovico glaubt, daB er
seine Gaben von ihr geerbt habe. Sie suchte die Rücksichtslosigkeiten
ihres Gatten gutzumachen, wo sie konnte; alle Herzen flogen ihr
zu, aber seinen Charakter vermochte sie nicht zu ändern.
Lodovico war das älteste Kind, er wurde in Reggio am 8. Sep-
tember Z474 geboren und verlebte dort seine Kindheit. 148z über-
trug Ercole Niccolo zwar das Kapitanat von Polesina di Rivigo,
aber kaum ein Jahr später mußte er seine frühere Stelle in Reggio
wieder einnehmen. Bis ziun Jahre 1486 hat Ariost dort den Ober-
befehl behalten, dann übersiedelte er nach Ferrara, da Ercole ihm
das wichtigste Amt im ganzen Reich anvertraut hatte: er ernannte
ihn zum Präsidenten der zwölf Savi. Diese Ernennung machte viel
böses Blut, es hieß allgemein, sie sei der Lohn für einen von Ariost
dem Herzog erwiesenen pekuniären Dienst, er soll ihm zweihundert
Goldskudi zu einer Wallfahrt zum heiligen Jakob di Compostella
geliehen haben.
Ganz Ferrara haßte den neuen Giudice de' savi, selbst die Amts-
kollegen konnten ihn nicht leiden. Boshafte Gedichte zirkulierten in
der Stadt, imd Pistoja schrieb allein dreiundzwanzig Sonette, die die
allgemeine Empönmg über Ariosts Obergriffe und Plackereien ziun
Atisdruck bringen. In diesen Sonetten nennt ihn der Dichter den
dummen Vorsitzenden von zwölf Klugen, den Würger von Ferrara,
einen unersättlichen Räuber, eine allgemeine Landplage, und legt
ihm noch eine Menge anderer beleidigender Namen bei, die aus
dem ferraresischen Dialekt zu übertragen seine Schwierigkeiten hat.
208 NEUNTES KAPITEL
Pistoia nimmt an, daB Ariosts ICagen alles Terdauen kömie: Holz^
Marmor, Sand, selbst Bisen.
Tu mangi il legno, il marmore, il sabbione,
II ferro, e s'egli i cosa ancor piü dura.
Wenn der neue Giudioe de' savi über die Strafle geht, schreien
ihm alle wütend nach: „Mörder, Lump, Verräter!'*
Che ti gridano dietro a gran furore:
AI ladre, al manigoldo, al traditore.
In einer anderen Satire, die die Runde in der Bevölkerung machte,
beklagt sich die gute Daria bei ihrem Gatten, sie schime sich, den
FuB über die Schwelle zu setzen, denn jeder, der sie sieht, ruft;
„Hier kommt die Frau des bösen R&ubers/'
Magnifico marito mio dolcissimo,
lo non ardisco piü di casa usdre,
Perch' io mi sento dietro a dascun dire:
Ecco la moglie del ladro atrodssimo.
Doch solche Lappalien machen Niccolo keinen Eindruck; scham-
los erkl&rt er der Gattin, er stehle und würde stehlen, nur den
heiBe man dtmun, der kein Geld habe«
Io rubo e ruberö, chi in fra le genti
Chi i senza roba matto dir si suole«
SchlieBlich begann sich auch der Herzog seines Günstlings zu
schämen tmd muBte sich dem Druck der öffentlichen Meinung
fügen« Z489 entsetzte er ihn seines Amtes in Ferrara, übertrug ihm
aber gleichzeitig die Stelle eines Kapitäns in Modena« Diese Emen*
nung rief in Modena keine geringe Bestürzung hervor, tmd die
Satire regte sich auch dort gegen ihn. In einem boshaften Gedichl
beklagt sich Modena, daB das Raubtier schon zum Sprung aus-
hole und sich auf die Stadt zu stürzen bereit sei.
Vedi la mala bestia che si moye
Ver* me tanto rabiosa divenuto
Che par che mal la non mangiasse altrove.
ARIOST
BILDNIS VON TIZIAN. LONDON, NATIONAL-GALLERY
ARIOST
209
Fünf Jahre hat das unglückliche Modena unter Äriosts Übergriffen
gelitten, schUeBlich befreite der Herzog 1496 die Stadt vom verhaßten
Kapitän und ernannte ihn zum Statthalter von Romagna di Lugo.
Nun war es um Lugos Frieden getan, aber diesmal sollte eine
Liebesgeschichte Ariost sein Amt kosten« Eines Tages flüsterte
man sich empört zu, daß eine der Bürgersfrauen ihren Geliebten,
einen Jüngling, bei sich empfange und daß ihn der Ehemann auf
frischer Tat ertappt habe« Der betrogene Gatte wollte seine Ehre
mit erhobenem Knüttel schützen, aber der Jüngling suchte das
Weite und ließ nur seinen Mantel zurück. Als Ariost von diesem
Vorfall erfuhr, ließ er in Zorn entbrannt den verratenen Gatten
rufen und verlangte den Mantel als corpus delicti zu sehen« Der
Mann wollte, verständiger als der Statthalter, seine Hausehre wahren,
er bestritt alles und erklärte, von einem verlorenen Mantel nichts
zu wissen« Der allzu tugendhafte Gouverneur ließ ihn auf die Folter
legen, doch das Xilittel verfing nicht, der arme Kerl wahrte sein
Geheimnis. Aus dem Gefängnis entlassen, ging er nach Ferrara
imd erzählte dort die ganze Geschichte. Ercole, empört über Ariosts
Vorgehen, entsetzte ihn seines Amtes und verurteilte ihn zu einet
Geldstrafe von fünfhundert Skudi; dieser Betrag war aber nicht^twa
als Entschädigung für den zu Unrecht gefolterten Ehemann be«
stimmt, sondern floß dem Staatssäckel zu.
So übte man in der Renaissance Gerechtigkeit.
Aber dieses Ereignis hatte sein Gutes: Ercole rief Ariost aus
Lugo zurück und vertraute ihm kein Amt mehr an.
Solcher Art war Lodovico Ariostos Vater, aber vielleicht hat
gerade dieses Beispiel es bewirkt, daß der Sohn ein ganz anderer war.
Lodovico nannte Reggio sein „nido natio'S das für ihn voller Kind-
heitserinnenmgen war. Der Knabe war zwölf Jahre alt, als die
Eltern 1 486 nach Perrara zogen. Er besuchte die Lateinschule von Lucca
Ripo; Ercole Strozzi und Gaspare Sardi waren seine Schulkollegen.
Das Haus, das der kleine Ariost mit seinen Eltern bewohnt hat,
existierte noch bis vor kurzem in der Straße „Giuoco del Pallone'*
und gehörte 1474 den Erben der Familie Ughi. Noch erinnert man
sich eines Zimmers mit Freskenüberresten aus dem XV. Jahrhundert
mit geflügelten Hippogryphen und Gruppen kleiner Amoretten.
»4
2X0 NEUNTES KAPITEL
Der Tradition nach galt dieses Zimmer als Lücca Ripos Schule. Der
alte Aliost scheint demnach einen Raum seines Hauses su Schul«
zwecken hergegeben zu haben, dafür sprechen auch die vielen
lateinischen Inschriften, die die Moral der jungen Gemüter festigen
sollten, wie z. B«: Loqui cum hominibus tamquam dii audiant.
Der Haß und Spott seiner Bfitbürger zwang den alten Ariost
1489 Ferrara zu verlassen. Lodovico war damals fünfzehn Jahre
alt, der Vater lieB ihn in der Hauptstadt, damit er sich dem Studium
der Rechtswissenschaften tinter Giovanni Sadoletos Leitung an
der Universität widme imd später ein öffentliches Amt bekleiden
könne. Lodovico hatte an diesem Studium wenig Freude, doch gab
es keine Widerrede, da der Vater in solchen Dingen nicht mit
sich scherzen ließ. Nach fünf Jahren war er Doktor der Rechte.
Seine freie Zeit widmete Lodovico humanistischen Studien, die ihn
sehr anzogen. Glücklicherweise hatte damals Rinaldo d'Este,
Ercoles Bruder, einen berühmten Humanisten, Gregor da Spoleto,
als Lehrer für seine Söhne nach Ferrara berufen. Gregor war in
seiner Jugend Augustinermönch gewesen, seit 1459 war er Lektor
an der Universität in Siena, da ihm das Klosterleben miß-
fiel,, hatte er die Kutte abgelegt und war weltlicher Lehrer ge-
worden. Rinaldo d'Este bewohnte damals den Palazzo del Paradiso,
und der junge Ariost nahm teil am Unterricht des berühmten
Humanisten. Gregor hat ihm die Pforte zur antiken Welt ge-
öffnet und dem begabten Schüler einen starken Eindruck gemacht.
„Fortuna war mir günstig'\ schreibt Ariost, „und schenkte mir
Gregor di Spoleto, den ich immer segnen werde/'
Fortuna molto mi fu allora amica
Che mi offerse Gregorio di Spoleto
Che ragion vuol ch'io sempre benedica.
Lodovico las „seine Dichter*': Ovid, Vergil, Horaz, Plautus»
Terenz und schrieb lateinische Gedichte wie seine Freunde Ercole
Strozzi und Alberto Pio. Virginio, der Sohn des Dichters, berichtet^
sein Vater sei nicht sehr fleißig gewesen und habe wenig gelesen,
„non era bibliomane'S aber zu seinen Lieblingsdichtem hätte er
inuner gegriffen.
ARIOST 2IX
Auch Alberto Pio war Gregors Schüler und etwa bis um 1500
mit Ariost imiig befreundet, dann verlieB er Ferrara voller Groll
gegen Ercole I., der ihm Caxpi, sein väterliches Erbe, entreißen
wollte. Gibert Pio, der Mitbesitzer Carpis, hatte seine Rechte an
Ercole abgetreten, Alberto war Ferraras Herzog gegenüber fast
wehrlos, er suchte beim Papst, beim Kaiser, beim König von Franko
reich Schutz gegen ihn, bis er schlieBlich erschöpft tmd zermürbt
in den Pranziskanerorden eintrat; er starb fast in Verbannung in
Paris im Jahre i53i« Einige lateinische Verse Ariosts an Alberta
aus den glücklichen ferraresischen Tagen haben sich in seinem
literarischen Nachlaß erhalten.
1500 verlor Ariost den geliebten Lehrer, da Isabella von Aragoa
Gregor als Erzieher ihres Sohnes berief. Ariost betrauerte die Ab-»
reise des Humanisten und klagte, daß die Herzogin ihn ihm ent--
rissen.
Mi fu Gregorio dalla sfortunata
Duchessa tolto, e dato a quel figliuolo
A Chi avea il zio la signoria levata.
Ariost trat zuerst mit lateinischen Gedichten vor die öffentlich*
keit, er stand unter dem Einfluß seines berühmten Lehrers und ver-^
nachlassigte das Volgare. Bis zum Jahre 1503 hat er nur lateinisch
gedichtet, doch ist seine Sprache nicht übermäßig rein. Schon zu
Beginn zeigt sich ein gewisser Hang zu Sarkasmus und Satire
und er rebelliert gegen das herzogliche Joch, das andere willig
trugen. Diese Stimmung spiegelt am deutlichsten eine an Ercole
Strozzi gerichtete Elegie, anläßlich des Todes von Michele MaruUo,.
eines latinisierten griechischen Dichters. MaruUos Tod wäre für
sie als Dichter fast ebenso schrecklich wie der Anblick Italiens,
das vor ihren Augen zerfällt. Die Fürsten erlegen ihnen kein^
weniger schweres Joch auf als die fremden Barbaren. Es ist ebenso
schwer, der Diener des französischen Königs als der eines italie-
nischen Fürsten zu sein.
Quid nostra an gallo regi an servire latino,
Si Sit idem hinc atque hinc non leve servitium?
Barbarico ne esse est pejus sub nomine quam sub moribus?
X4*
212 NEUNTES KAPITEL
Ariost liebte damals eine Spanierin, Pasifilia, die mit ihm koket-
tierte und ihn gleichzeitig mit einem andern betrog. Pasifilias
böser Geist war ihre Mutter, imd Ariosts Freunde, namentlich
Bembo, bemühten sich, seine Gefühle für das unwürdige Geschöpf
abzukühlen. Es war nicht ganz leicht, imd erst nach geraumer
Zeit lieB sich Lodovico überzeugen, daB „die Alte*' die Reize ihrer
Tochter verkaufe. In einer leidenschaftlichen Satire ergießt er seinen
Zorn über sie. „Geh, Alte, mit deinem Liebesgeflüster, geh zum
Teufel, gefräßige Bestie. Mich ekeln Eure Versicherungen, die ich
so spät erst erkannt.''
Va, rea vecchia, con questi carezzevoli
Sussuri tuoi, va ingorda vecchia, al diavolo«
Assai la vostra fede, oh assai, m'i cognita
Se ben tardi. . . . ^)
In diesem Ton apostrophiert Ariost in einem ziemlich langen
Gedicht die alte Spanierin; zum Schluß faßt er seine Empönmg noch
einmal in die Worte zusaxhmen: „Vada la scellerata a tutti i diavolil'*
II
Im Februar des Jahres 1500 starb Niccolo Ariosto; auf dem
jungen Lodovico lastete die Sorge um neim Geschwister imd die
Mutter. Es galt, vier Brüder zu erziehen imd fünf Schwestern
zu verheiraten. Glücklicherweise war die Mutter erst sechsund-
vierzig Jahre alt und beherrschte die Familie durch ihre Güte
und ihren Verstand. Niccolo, der sie im Leben genug gequält hat,
konnte die Klausel im Testament nicht unterdrücken, „ob fidem
et prudentiam'S um doch im letzten Augenblick ihre Vorzüge
anzuerkennen. Das väterliche Vermögen war nicht groß, und Lo-
dovico mußte sich auf Grund seiner juristischen Studien um ein
Amt bewerben, das ihm und seinen Angehörigen den Unterhalt
einigermaßen sicherte. Anstatt Sonette und Kanzonen zu schreiben,
bewirtschaftete er das Gut, das für die Mitgif t der Mutter in der
^) Nach Carducds Übersetzung aus dem italieniscfaen Original.
ARIOST 213
NUie von Reggio erworben worden war, und trug emsig in die Wirt?
scbaftsregister ein» daB er zwei BuUen an Guido di Guastello ver*
kauft und Bemardo di Vanzo einen Sack Hanfsamen gegeben habe«
Zwei Jahre nach dem Tode des Vaters übertrug ihm Ercole das
Amt eines Kastellans oder Capitano della Rocca di Canossa» des
historischen Schlosses der Gräfin Mathilde. Der arme Lodovico
muBte wie die anderen Dichter seine poetischen Huldigungen
an den Hof entrichten, und das Gedicht, das er im Januar 1502 zu
Alfonsos Verlobung mil Lucrezia Borgia verfaßt hatte, wird wohl
zu jener Ernennung beigetragen haben« Das Amt in Canossa ließ ihm
viel freie Zeit, denn er war häufig in Ferrara oder Reggio.
In R^gio hat ihn eine Livia gefesselt, die der Empfindtmgen
des jungen Dichters würdiger war als die kokette Spanierin, auch
Ginevra, der er eine schöne Kanzone gewidmet hat, hat er gehuldigt,
ebenso Glicera und Veronica. Fuhr er nach Ferrara, so konnte er
den Reizen der Maria, des Dienstmädchens seiner Mutter, nicht
widerstehen; sie hat ihm 1503 einen Sohn, Giovanni Battista, ge-
boren. Fünf Jahre später hatte er einen zweiten unehelichen Sohn
Virginio; seine Mutter war Arsina Vitali da Magliarino, ein Mädchen
aus dem Volke, das dann Antonio Manfredini, einen Lfuidmann,
der sich in der Nähe der Besitzung der Ariosto angesiedelt hatte,
heiratete. Der junge Vater hat beide Söhne legitimiert; Virginio
war sein Liebling, und ihm verdanken wir eine gute Biographie
des Vaters.
Das Leben in Canossa, fem von Ferrara, mußte auf jemand, der
den geistigen Verkehr mit den Humanisten gewohnt war, schwer
genug lasten, so benützte auch Ariost die erste Gelegenheit, um nach
Ferrara zurückzukehren. Sie bot sich bald. Alfonsos I. Bruder,
der Kardinal Ippolito, wurde zum Bischof von Ferrara ernannt,
und umgab sich als prachtliebender Herr dort mit einem großen
Hofstaat Die Ernennung des Kardinals feierte Ariost durch
ein Epigramm, das gewiß dazu beitrug, daß Ippolito den Dichter
an seinen Hof begehrte. Gegen Ende des Jahres 1503 finden wir ihn
im Dienst des Kardinals, in der Eigenschaft eines „familiaris'S
also mit höherem höfischen Rang, da die niedrigeren nur „Commen-
salf '' genannt wurden. Die letzteren durften nur auf die Ehre rechnen,
»4 NEUNTES KAPITEL
roxi Zeit zu Zeit am Tisch des Herrn tnitzuspeisen; die ersteren
sollten den Hausherrn und seine Gäste unterhalten, also teil an
der Gesellschaft haben. Der Kardinal bestimmte dem Dichter
kirchliche Pfründen, die jährlich 240 markgräfUche Lire abwarfen
(etwa 2000 Lire nach heutigem Gelde) , dafür muBte Äriost das geist-
liche Gewand anlegen« Das Gehalt wurde ihm in drei viermonat-
lichen Raten ausgezahlt, unter Abzug der Kosten für den Anzug,
der aus der Kardinalsgarderobe geliefert wurde. Der Kardinal suchte
Ariost zu bestimmen, geistlich zu werden; in diesem Falle hätte er ihm
mit der Zeit größere kirchliche Pfründen zuwenden können. Aber
der Dichter, der sich nicht berufen fühlte, sträubte sich, die Weihen
zu nehmen. Ippolito nahm ihm „diese Laune*' übel, auch Ariosts
Brüder verargten ihm dieses Verlangen nach Freiheit. In einer,
an seinen Bruder Galeazzo gerichteten Satire rechtfertigt sich
Ariost, vielleicht ist sein Vorgehen tmvemünftig, die Tonsur würde
ihm den Weg zu hohen Einnahmen und Ehren bahnen, aber jeder
möge seiner Oberzeugimg gemäfi handeln, auch die vorteilhafteste
Anstellimg in Rom könne ihm die verlorene Freiheit nicht ersetzen«
Ognun tenga la sua (opinion); questa 6 la mia:
Se a perder s'ha la libertä, non stimo
II piü ricco cappel che in Roma sia.
Als familiaris des Kardinals hatte Ariost wohl nicht übermäBig
schwere Pflichten, aber auch die erschienen ihm unerträglich,
und er fühlte sich in seiner Freiheit gehemmt. Wie jeder andere
Höfling mußte er der Suite seines Herrn angehören, ihn auf Reisen
begleiten, so z. B. nach Mailand zur Begrüßung Ludwigs XIL,
Gelegenheitsgedichte verfassen und überhaupt zur Zierde des Hofes
beitragen. Wiederholt muBte Ariost als Gesandter des Kardinals
reisen, so 1507 nach Mantua zur Markgräfin Isabella, der der Dichter
besonders gut gefiel. Er scheint sich bei solchen Anlässen als sehr
brauchbar erwiesen zu haben, denn auch der regierende Herzog
Alfons begann sich allmählich seiner bei wichtigen diplomatischen
Missionen zu bedienen. Als es sich darum handelte, in guten Be-
ziehimgen zum kriegerischen imd latmischen Julius II. zu bleiben»
ging Ariost zweimal nach Rom, um den Papst umzustimmen und
ARIOST 215
ZU besänftigen, „la grande ira del Secondo". Das eine Mal gelang
es, aber als Ferrara sicli von Frankreich trennen und der heiligen
Liga beitreten sollte, war die Sache schon schwieriger.
Der Papst begann den Kampf mit dem Herzog mit Quälereien
gegen den Kardinal Ippolito, für den er wenig übrig hatte. Der Kar-
dinal lieB sich zum Abt von Nonantoli wählen, der Papst annulHerte
die Wahl, warf dem Kardinal Simonie vor und befahl ihm bei Ver-
lust der Kardinakwürde, sofort nach Rom zu kommen« Ippolito
beeilte sich nicht, diesen Wimsch zu erfüllen, aus Furcht, daB der
Papst ihn im Kastell S. Angelo als Gefangenen zurückbehalten
würde, er befahl Ariost, der damals in Rom war, vermittelnd bei
Julius IL vorzugehen. Aber der alte • ISann haBte die Este und
drohte dem armen, ganz unschuldigen Gesandten, ihn im Tiber
zu ersäufen, wenn die Este der Liga nicht beitreten würden. Da
sich Alfonso nicht von Frankreich trennen wollte, bedrohte der
Papst ihn mit dem Bann; Ariost gelang es glücklich, aus Rom
zu enticommen, und aus dem Gesandten ward ein Soldat. Der
Dichter nahm an den Kämpfen gegen Ferraras Feinde teil, er
diente in der Abteilung, der Aeneas Pio da Carpi vorstand^ und
zeichnete sich in der Schlacht bei Pontecchio (am 24. September
15x0) bei der Erobenmg einer venezianischen Galeere aus.
Kach der Schlacht bei Ravenna, als Alfonso mit jenem Geleitbrief
des Papstes, der ihm wenig nützte, nach Rom ging, nahm er Ariost mit.
Damals muSte Alfonso vor Julius Zorn zu den Colonna flüchten,
die ihn drei Monate im Castello di Marino verbargen. Von dort
aus stahl er sich in der Verkleidung eines Jägers, Dieners und Mönchs
über Florenz nach Ferrara. Ariost begleitete ihn auf dieser aben-
teuerreichen Flucht und schrieb am x. Oktober an einen der Gon-
zaga aus Florenz: „Endlich habe ich die Schlupflöcher und Höhlen
wilder Tiere verlassen und kann wieder mit Menschen sprechen.
Von unseren Gefahren noch kein Wort: animus meminisse horret
luctuque refugit. Noch habe ich meine Angst nicht überwunden,
noch glaube idi, die pl^Mrtlichen Hunde, vor denen mich Gott
bewahrt hat, hinter mir zu spüren. Die Nacht habe ich in einer
einsamen Hütte, unweit von Florenz, verlebt, verkleidet, mit Herz-
klopfen lausdiendi ob sie nicht hinter uns her jagen.'*
2x6 NEUNTES KAPITEL
j Julius IL Tod atmete Italien auf, und alle Dichter, Literaten
und Künstler freuten sich über die Wahl Leos X. Zu jenen, die nicht
wenig Hoffnimgen auf den neuen Papst setzten, gehörte auch
Ariost. Er kannte den neuen Papst noch aus seiner Kardinalszeit,
und damals hatte ihm Giovanni dei Medici Versprechungen gemacht
für den Fall, daß er gew&hlt werden würde. Lodovico hatte als echter
Dichter diese schönen Worte für bare Münze genommen, er ging mit
dem Herzog nach Rom zur Krönung des Papstes, und malte sich in
seiner lebhaften Phantasie aus, dafi Leo X. ihn zurückbehalten und
ihm eine seinen Fähigkeiten entsprechende Stelle geben würde,
damit er endlich zur Ruhe komme und seiner Dichtkunst leben könne.
Vergebliche Hoffnimgen. Schon am 17. April 1514 schreibt
Ariost an Benedetto Fantino, den Kanzler des Kardinals Ippolito,
einen sehr enttäuschten Brief. Er habe dem Papst zwar den Fufi
geküfit, aber Leo X. habe ihn nicht einmal bemerkt, denn hier trage
er seine Brille nicht mehr, non porta piü 1' occhiale. Weder der
Papst noch die alten Freunde, die jetzt hohe Würdenträger ge-
worden, wie Bembo oder Bibbiena, hätten auch nur ein Wörtchen
von einem Amt gesagt. Übrigens besuche er wenig Bekannte,
denn sein Kleid sei nicht mehr schön, und in Rom beurteile man
mehr denn anderswo die Leute nach ihrem Aufiem. ,;Dazu glaube
ich,'' fügt der Dichter boshaft hinzu, „daß hier alle den Papst ko-
pieren tmd kurzsichtig geworden sind.''
Ariost mußte darunter leiden, daß der neue Papst für die Este
und für Ferrara so wenig übrig hatte.
Auf der Rückreise hielt Ariost sich ziemlich lange in Florenz
auf, besonders da die Festlichkeiten, die am S. Giovannitage statt-
fanden, heranrückten. In Florenz lernte er Alessandra Benucd
kennen, die Witwe von Tito Strozzi, einem ferraresischen Hofmann.
3ie machte ihm einen starken Eindruck. Sie gehörte nicht zu den
gelehrten Frauen der Renaissance, sie konnte weder lateinisch
sprechen noch lesen, aber sie hatte wunderschönes blondes Haar,
das sich vom schwarzen Samt ihres Kleides prachtvoll abhob, und
bezauberte ihn durch ihre Reize.
Ariost besuchte sie zum erstenmal, als sie „ima sopraveste"
für einen ihrer Söhne stickte, in der er beim bevorstehenden Feste
ARIOST
217
paradieren sollte. Sie war Meisterin in der Kunst des Stickens,
tind Ariost preist in einem seiner Sonette Seide und Gold glücklich,
die ihre geschickte Hand berührt:
Awenturosa man, beato ingegno
Beata seta, beatissimo oro.
Im Pantheon schöner und berühmter Frauen in Rinaldos Schloß,
die er in seinem ,,Furioso'' beschreibt, stehen die Statuen von
Lucrezia Borgia, Isabella, Elisabetta, Eleonora d'Este, Lucrezia
BentiTOglio tmd daneben die Statue einer ernsten, gütigen, be-
scheidenen Frau, in schwarzem Gewand mit verschleiertem Haupt.
Weder Gold noch Kleinodien schmücken sie, und doch strahlt sie
so hell zwischen den reichgekleideten Frauen wie der Stern Venus
unter den anderen Sternen. Bei ihrem Anblick weifi man nicht,
was sie am meisten schmückt, der Ernst ihrer Züge^ ihre Bescheiden-
heit oder die Schärfe ihres Geistes (Furioso, Canto 42, 93, 94).
Dieser Statue f^hlt der Name. Es war die vom Dichter vergötterte
Alessandra.
Die schöne Florentinerin folgte Ariost nach Ferrara, einige Jahre
spater liefien sie sich heimlich trauen. Die Ehe durfte nicht öffent-
lich vollzogen werden, da der Dichter als Presbyter einige geist-
liche Pfründen bezog, die er eingebüßt hätte, wenn seine Ehe be-
kannt worden wäre. Alessandra wohnte der Kirche di S. Girolamo
gegenüber, in einem andern Hause als Ariost. Der Dichter war
mit ihr wahrhaft glücklich.
Der Dienst beim Kardinal schien das eheliche Glück zu gefährden.
15x7 rüstete sich der Kardinal für einen längeren Aufenthalt in
Ungarn und wollte, daß ihn der Dichter als Sekretär begleite.
Ariost lehnte ab und nannte seine Gründe in einer Satire oder
richtiger in einem Brief, den er an seinen Bruder Alessandro und
an seinen Freund Lodovico da Bagno richtete, die als Höflinge
des Kardinals mit ihm nach Budapest gingen. Der Dichter klagt,
wie sehr ihn der Dienst bei Ippolito und überhaupt das ganze
höfische Leben quälten, er habe genug der Reverenzen tmd der
Sklaverei. Er könne es nicht ertsagen, dem „Herrn auch dann
zustimmen zu müssen, wenn er behauptet, daß er um Mittemacht
2i8 NEUNTES KAPITEL
die Sonne am Huninel und am Tage die Sterne gesehen habe''.
Übrigens sei er schon Tierundvierzig Jahre alt und habe seine Ge-
sundheit im Dienste des Kardinals zugesetst. Darum wolle er
sich dem nordischen Frost nicht aussetzen und noch weniger dem
geheizten Zimmer, denn der schwarze Tod sei ihm lieber als Ofen-
hitze und die stickige Luft, in der Kopfweh und Katarrh entständen.
Und wie erst» wenn er an den schweren Wein denke, den die Ungarn
dem Gast vorsetzen, an die mit Pfeffer und Paprika zubereiteten
Gerichte, die das Blut schwer machen. Einen eigenen Koch aber
könne er sich in Ungarn nicht leisten, denn Reichtümer habe er
im Dienste des Kardinals nicht gesammelt. Und wozu solle er auch
mitgehen? Der allein habe Glück bei Ippolito, der es yerstünde,
das Rebhuhn auf der Gabel zu zerschneiden, Hunde und Falken zu
dressieren, geschickt die Sporen zu befestigen, dem Herrn die Stiefel
auszuziehen und Wein in die Gl&ser zu schenken. Dazu fehle es
ihm an Lust, denn zum Mundschenk sei er nicht geboren. Wer dem
Herrn gefallen wolle, müsse ihm Schritt für Schritt axif der StraSe
folgen, den Wein zu kühlen verstehen und nachts nicht schlafen.
Lieber würde er wie die ersten Menschen von Eicheln leben, als am
Herrentische niedersitzen. Leicht würde er die Armut ertragen,
weil er die Freiheit so hoch schätze! . . • Gedächte er der Qualen,
die er in den letzten fünfzehn Jahren im höfischen Dienst erlitten,
der Mühen, deren er sich unterzogen, als er nach Rom geritten,
um den Papst zu beruhigen, gedächte er dessen, wie er nach der
Laune seines Herrn frieren mußte oder schwitzen, dann wolle er
lieber sterben, als ein so schweres Joch noch einmal auf sich nehmen.
Und wenn der „heilige" Kardinal glaube, daß er ihn für die Ewig-
keit mit seinen Geschenken erkauft habe, so wolle er ihm gern
alles wiedergeben, um nur seine Freiheit zurückzugewinnen. Ariost
nährte tiefen Groll tmd nahm sogar das Wappen an, das auf dem
Revers einer Bronzemedaille zu sehen ist: einen Bienenstock, imter
den Feuer angelegt wird. Die Bienen fliegen davon, und Ariost
kann weder Wachs noch Honig ernten. Auf dem Wappen die
Inschrift: Pro bono mi^Viri
Per esser ape, muoie
Ho mal per bene.
ARIOST 2x9
In seinem „Furioso'' gibt Ariost Rinaldo das gleiche Wappen.
Della schiera di mezzo fu maestro
Rinaldo, chi quel di molt'era adomo
D'un ricco drapo di color cilestro
Sparso di pecchie d'or dentro e d'attorno,
Che cacdate parean dal natio loco
Dali' ingrato Tillan con fumo e foco.
Der Kardinal liefi den Diener seine Halsstarrigkeit entgelten.
Als Ariost sich ihm rot seiner Reise nach Ungarn empfehlen wollte,
wurde er nicht ai^enonmien, zwei Benefizien, die Ippolito ihm
erteilt hatte, wurden ihm wieder genommen, und Ariost aus dem
Dienst entlassen. Der Dichter mußte sich bald überzeugen, daß er
sich aus eigener Kraft nicht erhalten kSnne; er bemühte sich um ein
Amt beim Herzog Alfonso, obgleich er auch gegen ihn Tiel Gr<dl
nährte« Ein Verwandter Lodovicos, Rinaldo Ariosto, war kurz
Torher gestorben, ohne ein Testament und direkte Erben zu hinter-
lassen. Trotzdem Lodovico und seine Brüder sich berechtigte Hoff-
nungen auf den Nachlaß machten, der aus drei schönen Grund-
stücken in Bagnolo bestand, belegte die Camera ducale die Güter
mit Beschlag, da die Familie angeblich ausgestorben war. Am
15. April 1519 schreibt Ariost empört an Maria Equicoli in Mantua,
il Duca und il Cardinale hätten ihm einen Besitz im Werte von
10 000 Dukaten geraubt, der schon seit drei Jahrhunderten seiner
Familie gehöre; ihm geben sie den Rat, sich mit Märchen und
Geschichten die Zeit zu vertreiben. Die Not zwang Ariost, dieses
Unrecht zu vergessen, und sich um eine Anstellung zu bewerben.
Lucrezia Borgia scheint dem Dichter geholfen zu haben, da sie sich
gern mit berühmten Leuten imigab. Alfonso ernannte Ariost am
23. April 1518 zu seinem Cameriere und Familiaris mit einem Ein-
kommen von 35 Lire monatlich und freiem Unterhalt für drei
Diener und zwei Pferde.
So hatte es der Dichter mit dem Wechsel seines „Dienstes^*
ganz gut getroffen, aber bald fielen ihm mit der neuen Stelle schwere
Pflichten zu« Die monatliche Bezahlung scheint nicht gereicht
zu haben, er bat daher den Herzog um ein vorteilhafteres Ami,
220 NEUNTES KAPITEL
und da die Provinz Garfagnana den Este wieder zufiel, schickte
ihn der Herzog im Februar des Jahres 1522 als Statthalter an der
Spitze einer kleinen Schar von Bogenschützen nach Castelnuovo,
damit er in der dortigen ,,Hauptstadt" die Regierung übernehme. Die
Garfagnana, ein Stück Gebirgsland, in den Apenninen, war früher
estensischer Besitz gewesen, unter Julius IL und Leo X. stand sie
unter römischer Herrschaft, nach Leos Tod ergab sie sich wieder
den Este. Aber nicht die gesamte Bevölkerung verlangte nach
ferraresischem Schutz, ein Teil plädierte dafür, daB man sich der
Florentiner Republik anschließe, ein anderer war für Unterwerfung
an den Papst. Den Räubertruppen war im Gebirgsland schwer
beizukommen, die ruhigsten Leute wurden aus Angst ihre Ver-
bündeten. Die alte Sitte, daß Kirchen und Klöster ein sicherer
Schlupfwinkel für Verbrecher waren,' erschwerte das Aufgreifen
der Räuber in unerhörter Weise, weil sie einmal über der Schwelle
der Kirche jeder Macht spotteten.
Pekuniär ging es Ariost nicht schlecht, sein Einkommen war
dreimal so grofi wie am Hofe, aber er trug schwer an Regierungs-
sorgen und an der Einsamkeit in dieser luiwirtlichen Gegend.
Die Langeweile in Castelnuovo war furchtbar, dem Dichter war zu
Mute, als wäre er schon tot.
Da si noiosa lontananza domo
Giä sarei morto
• • •
Durch Ferraras Gassen möchte er gehen, am Domplatz vor
den Denkmälern „seiner Markgrafen'' stehen bleiben, imd er neidet
es den Freunden, dafi sie im Gasthaus „al Moro''^) fette Tauben
und Kapaunen essen können.
In einer Satire, die er Sigismondo Malaguzzi, Annibales Bruder»
schickte, schildert er seine Not.
Namentlich lastet ihm die Trennung von der geliebten Alessandra
Benucd, die ihm nicht nach Castelnuovo folgen konnte. „Schnee
und Berge, Wälder und Abgründe trennen mich von der, die mein
Herz besitzt,'' klagt der Dichter; „mein Wohnhaus und die Um*
>) Hb auf den heutigen Tag besteht ein Caf6 im erzbischöflichen Palast
in den Azkaden unter diesem Namen.
ARIOST 22X
gebung machen mich nicht froh. Mein Schloß steht in einem
Graben» tmd bei jedem Schritt aus dem Gefängnis gilt es im im«
wirtlichen Apennin zu klettern« Wo immer ich bin, im Haus oder
unter freiem Himmel nichts als Klagen, 2^ank und Fluch, überall
dringen Stimmen zu mir, die Kunde bringen von Mord imd Tot«
schlag, HaB, Zorn und Vendetta.'^
Quest' i una fossa ove abito, profonda,
D'onde non muovo pii senza salire
Del selvoso Appenin la fiera sponda;
O siami in Rocca, o yoglia all' aria uscire
«
Accuse e liti sempre e gride ascolto,
Furti, omiddi, odi, yendette ed ire.
Das Land sollte beruhigt werden, und Ariost ist diese Aufgabe
. in der Hauptsache geltmgen. Seine Verfügungen gegen die Unter-
Stützimg des Räuberwesens sind so gut, dafi sie heute noch in einzelnen
Gegenden Siziliens angewendet werden könnten. Wer einem Ban-
diten Obdach gegeben, mußte eine Geldstrafe von fünfzig Dukaten
entrichten oder eine körperliche Züchtigung erleiden. Einer ähn-
lichen Strafe setzte sich aus, wer verborgene Waffen führte. Wer
▼erdächtige Leute sah, sollte in der nächsten Kirche dreimal Alarm
schlagen. Zwei Drittel der Geldstrafen flössen der herzoglichen
Kasse zu, das letzte Drittel bekam der Ankläger. Ein völliges Aus-
rotten des Räuberwesens wußte die Geistlichkeit zu verhindern,
die die Vereinigung von Garf agnana mit dem Kirchenstaat anstrebte
und der daher die völlige Beruhigung der Provinz unter estensischer
Herrschaft nicht willkommen war»
Auch die Regierung unterstützte den Statthalter nicht genügend,
man glaubte in Ferrara mit der bloßen Entsendung Ariosts nach
Castelnuovo ein übriges getan zu haben. Ariost klagt in seinen Be-
richten, daß, wenn der Herzog ihm nicht helfe, die Ehre der Regie-
rung zu wahren, er es aus eigenem Vermögen nicht könne, und
weim in Ferrara jene freigesprochen werden, die er bestrafen
wolle, so untergrabe dies nur sein Ansehen. Ein Räuber, Moro del
Silico, war aus Ariosts Gefängnis in das herzogliche Lager geflüchtet
und wurde dort mit offenen Armen als Soldat empfangen. Der arme
222 NEUNTES KAPITEL
Statthalter klagte ferner darfiber» daß die Grenzen zwischen der
administrattyen und der richterlichen Gewalt nicht fest umschrieben
seien, so daß man h&ufig nicht wisse, was dem Gouverneur oder was
dem Gericht imterstinde, am meisten aber leide er darunter, daß
die weltliche Gewalt nichts über die Geistlichkeit vermöge, die
infolgedessen selbst bei schweren Verbrechen straffrei ausgehe.
Ein Geistlicher, Job, hatte der Mutter seiner Greliebten den Kopf zer-
spalten und verbreitet, sie wäre eines friedlichen Todes gestorben.
Der Capitano machte ihm einen Prozeß und verurteilte ihn zu
zehn Lire Geldstrafe, aber der Bischof von Lucca annullierte das
Urteil, imd der verbrecherische Geistliche verblieb nach wie vor
in seinem Kirchsprengel. Sehr viel zu schaffen machte Ariost das
Schloß S. Donnino, das der Familie de BAadalena und den Grafen
S. Donnino gehörte. Die Vendetta schwebte wie ein schwarzes Ge-
spenst über jenen Mauern. Ehe Ariost in die Garf agnana gekommen ,
war, hatte Genasio de ICadalena den Grafen Giovanni di S. Don-
nino ermordet und war nach Lucca geflüchtet. Die wirtschaft-
lichen Zustände zwai^en zu irgendeinem Einvernehmen, daher
schlössen beide Familien Frieden; wer als erster die Verträge brechen
würde, hatte eine hohe Geldstrafe zu bezahlen. Bald nach Ariosts
Ankunft tötete Genasio Bfadalena, der Sohn des Familienober-
hauptes Piero, die Witwe des Grafen Giovanni di S. Donnino und
ihren Sohn Carlo. Nachdem er ihr Hab imd Gut an sich gerissen»
flüchtete er ins Lucchesische, um nach einiger Zeit, als wenn nichts
geschehen wäre, ruhig nach S. Donnino zurückzukehren.
Damaligem Gebrauch gemäß hätte Ariost das Haus des Ver-
brechers Genasio Madalena vernichten müssen, das tat er nicht
und erließ nur einen Haftbefehl gegen den alten Piero, als den
moralischen Urheber des Mordes. Piero ergab sich nicht, sondern
verteidigte sich in seinen wehrhaften Mauern. Die Grafen von
S. Donnino bemächtigten sich Genasios und behielten ihn als
Geisel, bis ihnen Gerechtigkeit widerfahren wäre. Ariost verlai^te
die Herausgabe Genasios, aber die Donnino, die auf die Gunst des
Herzogs pochten, erwiderten, daß ihnen das Urteil des Gouverneurs
wenig vertrauenerweckend erscheine, und behielten ihren Ge-
fangenen. Ariost bat den Herzog, ihn nicht im Stich zu lassen
ARIOST
223
und Auf Genasios Freilassung zu bestehen; wolle er aber seine Bitte
nicht erfüllen, so möge er einen anderen Gouverneur schicken,
der einen gesünderen Magen habe, und die Beleidigungen verdauen
könne, die die Regierung ihren Dienern zufüge. So lange er diesen
Posten behaupte, wäre er niemandes Freund als niu* der der Ge-
rechtigkeit. „Finch* io starö in questo ufficio non sono per avervi
amico alcmio, se non la Giustizia''.
Ariosts festes Auftreten blieb nicht ohne Erfolg, der Herzog
zwang die Donnino, Genasio herauszugeben; er wurde hingerichtet,
die Madalena verliefien das Schloß xmd flüchteten ins Florenti*
nische.
Angesichts dieser Verhfiltnisse fühlte Ariost sich immer unglück-
licher. In einer seiner Satiren vergleicht er sich mit jenem Matrosen,
dem der König von Portugal ein feuriges maurisches Roß ge-
schenkt hat. Dankbar nahm der Matrose das Pferd an, aber ge-
wohnt, das Segel und nicht die Zügel zu handhaben, verstand er es
nicht, sich im Sattel zu halten, und lag bald mit zerbrochenen Glie-
dern am Boden.
Der Herzog lernte zwar Ariost schätzen, mußte aber zur Über-
zeugung kommen, daß der Dichter nicht zum Gouverneur eines
wilden Landes geschaffen sei. Als am x 8. November 1523 Klemens VII.
zum Papst gew&hlt wurde, ließ der Herzog den Dichter dturch
seinen Sekretär, Bonaventura Pistofilo, fragen, ob er ferraresischer
Gesandter beim neuen Papst werden wolle. Alfonso fürchtete,
daß er wie Julius II. und Leo X. einen Ferrara feindlichen Stand-
punkt einnehmen würde. In der sechsten Satire antwortet Ariost
Pbtofilo, er dankt dem Freimde, daß er für sein Fortkommen be-
dacht sei, aber er könne in Rom nur wenig nützen, da er es dank
Leo X. verlernt habe, Hoffmmgen auf die Medid zu setzen. Auch
fehle es ihm an Mut, seinen Wohnsitz so fem von Ferrara zu neh-
men. Wenn ihm der Herzog eine Gnade erweisen wolle, so möge er
ihn wieder in die Hauptstadt berufen oder zum mindesten nicht
weiter als nach Bondeno schicken, das nur zwölf Meilen von Ferrara
entfernt ist. Zu langen Reisen fehle es ihm an Lust imd Kraft.
Der Herzog drängte nicht länger, ließ Ariost aber in Castelnuovo
nur bis Mitte Juni 1525. Alfonso scheint Ariost nicht für energisch
224 NEUNTES KAPITEL
gentig gehalten zu haben, um die Provinz ganz zur Ruhe zu bringen,
denn an seiner Stelle schickte er als Gouverneur eine sogenannte
,,eiseme Hand". Die Räuber scheinen Ariosts Gedichte bewundert,
aber den Dichter wenig gefürchtet zu haben; es wird erzählt, dafi
einige Strauchdiebe ihm einst begegnet sind, den großen Dichter
voller Hochachtung begrüßt haben und ihn ruhig seines Weges
ziehen ließen«
Ariost wurde endlich die so heiß ersehnte Ruhe; sein Wohnort
wurde wieder Ferrara, wo die geliebte Alessandra lebte. Ein Jahr,
nachdem er sich dort niedergelassen, ließ er sich ein kleines Haush-
ohen bauen, kaufte Gartenland dazu und schrieb in der dort er-
richteten Grotte seine Gedichte. Über seiner Tür ließ er die Inschrift
anbringen.
Parva sed apta mihi, sed nulli obnoxia, sed non
Sordida, parta meo sed tamen aere domus.
Und da ihm das Dichten leicht fiel, wurde gleich noch ein zweiter
Vers angebracht:
Piccola, adatta, e d' ogni signoria
Scevra, e redenta sol col mio denaro
Non sei sordida e vile, o casa mial
Ariosts Sohn, Virginio, hat schließlich dem väterlichen Hause
eine dritte Inschrift hinzugefügt:
Sic domus haec Areosta
Propitios habeat Deos
Olim ut Pindarica.
Virginio berichtet in den Aufzeichnungen über seinen Vater, daß
Ariost jeden überschüssigen Soldo seines Einkommens dem Bau
geopfert habe tmd immer ändern und erweitem wollte. Er sagte,
die am eigenen Herd mit öl und Essig bereitete Rübe sei ihm lieber
als das Rebhuhn oder Wildschwein am fremden Tisch, und ebenso
gut schlafe er unter einer Wolldecke als imter einer seidenen, gold-
gestickten.
Ariosts Haus steht heute noch und gehört seit 18x5 der ferrare-
sischen Gemeinde. Es entspricht dem Charakter des Dichters:
ARIOST
295
bescheiden» aber bequem, hell mit kleinem Höfchen tmd Garten,
nicht viel grMer ab die Behausung eines Kamaldulensermönchs.
Platz genug gab es, um Rosen imd Jasmin zu pflanzen und die Beete
immer umzugestalten. Virginio neckte den Vater: wie er an seinen
Versen feile, sie umarbeite, so gehe er auch im Garten vor. Keiner
Pflanze gestatte er länger als drei Monate am gleichen Platz zu
bleiben; einmal setze er Pfirsichkeme, ein andermal Samen, be-
obachte die jungen Keime, giefie, jäte, grabe um, lockere den
Erdboden, bis die armen Pflanzen infolge übergroSer Sorgfalt welken.
Da er den Samen zu wenig kenne, erwarte er anderes als das, was
aufgegangen. Einmal habe er Kapern gesetzt, sie täglich beobachtet
und sich gefreut, daB sie so üppig wuchsen, bis sich herausstellte,
daB die vermeintlichen Kapern wilder Flieder gewesen waren.
Während der Dichter seine Beete begofi, hatten sich in Ferrara
günstige politische Veränderungen ▼ollzogen. Der Herzog, der
gewundene Pfade in der Politik ging, wurde Karls V. Alliierter, der
ihm Modena und Carpi zusicherte. Klemens VII. suchte vergebens
dies zu hintertreiben, der Marchese del Vasto unterstützte den
Herzog gegen den Papst, so daß die den Este feindlichen Pläne der
römischen Kurie zerstört wurden.
Zu diesem Marchese, der in Correggio als Veronica Gambaras
Gast weilte, schickte Alfonso Ariost 1531 als Gesandten, zwecks
AbschluB der Verträge mit Karl V. Der Dichter wurde aufs liebens-
würdigste empfangen, und da der Markgraf ihn für den Kaiser
einnehmen wollte, schenkte er ihm einen kostbaren Lapis Lazuli
in Gold gefafit, mit Kette imd Kreuz, ja er setzte ihm sogar eine
lebenslängliche Pension von zweihundert Dukaten aus. Als Karl V.
im Herbst 1532 einige Tage in Mantua weilte, wurde Ariost von
Alf<mso dem Kaiser vorgestellt. Der Dichter übergab dem Kaiser
eine neue, umgearbeitete Auflage des „Furioso'*^), imd Karl V.
krönte ihn eigenhändig, im Beisein des ganzen Hofes, mit dem
Lorbeer.
Diese Ehnmgen verrieten, wie es zumeist zu gehen pflegt, daß das
Ende des großen Dichters nahe sei. Ariost kränkelte schon lange, imd
sein Tod ward durch die Arzte beschleunigt, die ihm so viel Medi-
^) Erschienen In der Dnickerei von Francesco Rossi zu Valenza Z533.
X5
296 NEUNTES KAPITEL
kasnente verschrieben, daß auch eine kräftigere, jüngere Kon*
stitution diese langsam wirkenden Gifte auf die Dauer hätte nicht
aushalten können.
Ein trauriges Ere^is machte ihm in seinen letzten Tagen
starken Eindruck« In der Silvesternacht des Jahres Z533 entstand
im ferraresischen Kastell ein starkes Feuer; die Loggia, die dem
bischöflichen Palast gegenüber lag, und der Saal mit der pracht*
▼ollen Bühne, die Alfonso L für Theaterauffühnmgen hatte errichten
lassen, brannten vollkommen ab. Auf der Bühne waren Ariosts
Lustspiele aufgeführt worden, und ihr Untergang erschien ihm als
Todesbotschaft.
Ariost hatte in seinem Testament tun ein bescheidenes Begräbnis
gebeten. Dieser Wimsch wurde erfüllt, weder die Herzöge, zu deren
Ruhm er nicht wenig beigetragen, noch die Stadt, die er besungen,
erwiesen ihm die letzte Ehre. Nachts, beim Licht von nur zwei
Fackeln, ward der Körper des Dichters von vier Männern aus dem
Hause in die alte Kirche San Benedetto getragen, wo er im Beisein
der engsten Familie beigesetzt wurde. Weder der Hof, noch das
Volk von Ferrara waren bei der traurigen Feier zugegen« Lange
dachte man nicht einmal daran, dem größten Dichter der Renaissance
ein 'Denkmal zu setzen, und erst Ariosts Urenkel errichtete x6ix
jenes banale Grabdenkmal, das heute im langen Saal der Stadt-
bibliothek in Ferrara steht. Ursprünglich befand das Denkmal sich
in San Benedetto, aber als 1801 unter französischem Regime die
Kirchen in Pferdeställe verwandelt wurden, respektierte der General
Miolis wenigstens das Grabmal und ließ es in die Bibliothek
überführen^),
Ariost war in rangierten Verhältnissen gestorben. Er hinterließ
zwei Häuser und ziemlich viel Kostbarkeiten und Silber. Zum
Universalerben ernannte er seinen Sohn Virginio; seiner Frau ver-
^) Dem Magistrat von Ferrara erschien es im XIX. Jahrhundert Ariosts
nicht ganz würdig, daß dies Denkmal gegen die kahle Bibliotfadcswand
lehne. Infolgedessen wurde um das Denkmal eine phantastische, architek-
tonische, grünrote Dekoration gemalt, — eine der Verimingen im Kunst-
geschmack des vergangenen Jahrhunderts. Zum Schmuck des aKen Denk-
mals wurde eine Ddcoratioo geschaffen, die höchstens In einer Jahrmarkts-
bude angebracht wäre.
ARIOST
237
machte er die Einkünfte aus einem Laden, der unter dem Portikus
des Palazzo della Ragione lag imd an einen Handschuhmacher
vermietet war, ferner alles bewegliche Hab und Gut, unter der
Bedingung, daB sie Virginio zweihundert Goldskudi auszahle.
Dem zweiten Sohn Gian Battista sicherte er Kost in Virginios
Hause zu und zwei Golddukaten monatlich. Für die Armen hinter-
ließ er zehn markgräfliche Lire in Silber.
Nur soweit der Mensch der allgemeinen Kultur gedient hat,
hat er ein Nachleben. Ein gleiches gilt für L&nder und Städte.
Zu Hunderten sind sie untergegangen, und jegliche Spur ihres Seins
ist verwischt; nur jene bleiben lebendig, die Grofies geschaffen.
Fragen wir, wodurch sich Ferrara seinen Platz für Jahrhunderte
sicherte, so kann die Antwort kurz lauten: es ist Ariosts Werk. Die
hohe Marmorsätile, die heute auf einem der grasbestandenen Plätze
steht als Postament für einen lorbeergekrdnten Mann, ist das
Symbol der geistigen Arbeit der Stadt, das sichtbare Zechen ihrer
Verdienste um die Zivilisation.
Diese Säule hat eine interessante Geschichte. Um Ercoles L
Gedächtnis durch ein kostbares Denkmal zu ehren, hat die Ge-
meinde von Ferrara noch zu seinen Lebzeiten zwei groSe Monolith-
säulen kommen lassen. Die eine wurde durch Unvorsichtigkeit
zertrümmert, die andere lag lange unbenutzt da, da es nicht zur
Aufstelltmg des Monumentes kam. Erst in der Mitte des XVII. Jahr-
hunderts ließ der päpstliche Legat sie aufrichten und darauf das
Standbild des Papstes Alezander VII. anbringen, der übrigens
keinerlei Verdienste um Ferrara hat. Ein Jahrhimdert später»
1796, in der Revolutionsepoche, haben die Republikaner das Denk-
mal des Papstes gestürzt und eine Statue der Freiheit — aus Gips —
auf die Säule gesetzt. Der General Bonaparte war bei dieser Feier-
lichkeit zugegen. Als Ferrara 1799 in österreichische Hände kam,
wurde das zerbrechliche Freiheitsgebilde zertrümmert, und die
Säule blieb leer. i8zo, als die Republikaner wieder an der Spitze
der Regierung standen, wurde Napoleons Marmorbild dort an-
gebracht, wo einst die Statue der Freiheit gestanden hatte. Auch
Ni^leon war nicht lange Zeuge der wechselnden Schicksale der
Stadt, da die Reaktion 28x4 die verhaßte Statue entfernen ließ und
9a8 NEUNTES KAPITEL
wohl nicht sehr glimpflich mit ihr verfuhr. Schließlich besann sich
Ferrara X833 &uf seinen großen Dichter und setzte auf die hohe Säule
den, dem dieser Platz zukam — Ariost.
in
Das schöne Porträt von Ariost, das die National Gallerj in London
Z904 aus einer Privatsammlimg erworben hat, hat die gesamte
künstlerische und literarische Welt, die sich für Italiens Vergangen-
heit interessiert, außerordentlich beschäftigt. Die Frage nach <iem
Urheber dieses außerordentlichen Werkes wurde laut: Tizian oder
Giorgione? sowie die zweite, ist die dargestellte Persönlichkeit
wirklich Ariost?
Auf die kritischen Erörtenmgen, welchem der beiden Maler
dieses Porträt zuzuschreiben ist, kann ich hier nicht eingehen; nach
meinem Dafürhalten ist es ein Werk von Tizian^ Anders liegt die
Frage, ob der Dargestellte, der etwa in den Dreißigen sein dürfte,
Ariost ist oder nicht. Meiner Oberzeugung nach: Ja. Es wurde
freilich darauf hingewiesen, daß Tizians Bildnis sich unterscheidet
▼on dem allgemein als authentisch anerkannten Porträt des Dichters,
das uns im Holzschnitt in der Ausgabe des „Rasenden Roland" von
1532 erhalten ist, aber es ist immer eine mißliche Sache, bei Bildnissen,
die um Jahre auseinander liegen, die Frage nach der schlagenden
Ähnlichkeit zu stellen. Es kann sich nur darum handeln, ob die
Form des Kopfes, die Nase und die allgemeinen Züge beider Mo-
delle solche Verschiedenheiten aufweisen, daß sie nicht nach der
gleichen Persönlichkeit gemacht sein können. Diese Verschieden-
heiten fehlen hier, ja man kann sogar im verwitterten Kopf des
fast Sechstmdsechzigjährigen leicht die Züge des Tizianschen
Jünglings erkennen. Glücklicherweise besitzen wir ein drittes
Porträt von Ariost: Domenico Pogginis Medaille, der Dichter ist
als Vierzigjähriger dargestellt, als er aus dem Dienst des Kardinab
Ippolito ausschied. In diesem Bronze-Ariost ist der Tiziansche Kopf
völlig wiederzuerkennen, und vom Holzschnitt läßt sich nur sagen,
daß der Dichter früh gealtert ist und über seine Jahre verfallen
ARIOST
939
wirkt. Pogginis Medaille zeigt auf dem Revers eine züngelnde
Schlange, der eine von oben hineinreichende Hand mit der Schere
den Koiif abschneiden will, und die Aufschrift: ,,Pto bono malum.'*
Diese Devise bezog sich auf die Ungerechtigkeiten, die Ariost von
Ippolito erfahren hat«
Auf dem Londoner Porträt sieht Ariost den Beschauer friedlich,
wenn auch etwas melancholisch an, und eine unsagbare Güte liegt
über seinem Antlitz, Es ist eins der schönsten männlichen Porträts
aus der Renaissance. Dieser melancholische Ausdruck, diese großen
verträumten Augen, „grand occhi di sogni'S wie sie Ercole Strozzi
genannt hat, vergißt man nicht wieder. Das Porträt mag für uns
um so wertvoller sein, als es Ariost darstellt um die 2^it, da er den
9,Rasenden Roland'* geschrieben hat und im Dienste des Kardinals
stand. Es bestätigt unsere Vorstellimg vom Dichter vollständig.
Sanft und bescheiden, ohne große Forderungen an Welt und Gesell-
Schaft, nur nach Ruhe verlangend. „Laßt mich schreiben und
arbeiten, stört mich nicht'* — das war sein Wunsch in jener Zeit der
Feste und des Glanzes. Nur ein Gefühl, eine leidenschaftliche Liebe,
vermochte sein Gleichgewicht zu stören; imter ihrem Einfluß
regte sich das heiße Blut des Südländers, er war eifersüchtig und
empfand sogar die Freude der Vendetta.
Ercole Strozzi beschreibt in einem seiner besten Gedichte
„Venatio** eine Jagd, die X496 von Karl VIIL veranstaltet wurde,
als er sich zu seiner zweiten Expedition nach Italien rüstete. Gegen
jede Chronolc^e und Geschichte beteiligen sich an dieser Jagd:
Ippolito d'Este, Cesare Borgia und die berühmtesten damaligen
Dichter: Bembo, Tebaldeo, Pontano, Tito Strozzi und wahrschein*
lieh auch Ariost. Jeder der Dichter hat schon ein Stück Wild er-
legt, nur der letzte, Ariost, ist nicht bei der Sache; anstatt der Fährte
des WiMes nachzugehen, treibt er die Hxmde leidenschaftlich an:
Divisusque -alio mentem conunittere tristeis
Intempestivis elegis meditaris amores . . •
Dieser Ariost mit der hohen Stirn und dem verträumten Blick
tritt uns im Londoner Porträt entgegen. Während der Jagd fesseln
ihn seine Elegien.
230 NEUNTBS KAPITEL
AU seine Bekannten spotten seiner Zerstreutheit. Bei Pio in
Carpi steht er früh auf und geht hinaus in die Felder in Pantoffeln
und leichtem Morgenkleid. In Gedanken geht er immer weiter,
bis er müde und hungrig in Ferrara ankommt. Ein andermal kommt
ein Freund zu ihm im Augenblick, wo der Dichter sein BAittagbrot
▼erzehrt hat. Der VHit läSt zwar eine neue Schüssel auftragen,
vergiBt aber ganz, daß das Gericht für den Pretmd bestimmt war,
und macht sich noch einmal über das Essen her, ohne dem Gast
etwas anzubieten.
Oder er erzählt seinen Freunden so viel phantastische Ge-
schichten, dafi der eine, der das Gespräch auf den nüchternen Boden
der Wirklichkeit bringen will, boshaft unterbricht: „Was braucht
man notwendig zu gekochten Eiern?'* Ariost verstand die Frage
nicht und sprach ruhig weiter, aber als er nach einem Jahre dem
Fragenden begegnete, begrüßte er ihn mit der Antwort: Salz brauche
man an erster Stelle zu gekochten Eiern.
Melancholie imd Schmerz gehen zumeist mit einem verträumten
Wesen zusammen. Beim jungen Ariost fehlt diese Note nicht.
Zwischen 1502 — 1503 schreibt er viel Epitaphe und dichtet auch
sich selbst die Grabschrift, die mit den Worten beginnt:
Lodovici Ariosti humantur ossa
Sub hoc marmore • • .
Für gewöhnlich schreibt man mit dreißig Jahren noch nicht an
seiner Grabschrift. Ariost empfand jedes Ereignis, jeden Schmerz
tiefer als andere, imd der Didhiter sagt selbst von sich, daß er einen
tmsteten Geist hab6, „mens impar''. Diese Reizbarkeit führte
später zu einer düstem Auffassung von Welt und Menschen, zu
der übrigens die damaligen sozialen Zustände Anlaß genug boten.
Ariost faßte schon 1503, ehe er in den Dienst des Kardinals trat,
den Plan zu einem Gedicht, das „con tromba etema*' das Rittertum
imd seine Kämpfe verherrlichen sollte. Seine Freunde kannten
diesen Plan, imd Bembo riet ihm, seine Dichtung lateinisch zu
schreiben, da er, der in seiner Jugend sich nur des Lateinisdien in
gebundener Sprache bedient hatte, im Volgare keine Übung habe.
Doch Ariost kümmerte sich um diesen Rat nicht. Da das Italienische
ARIOST
231
noch ein ungeschliffener Edelstein war, glaubte er, daS jener Dichter
dem Volke dienen würde, der als erster wieder anfinge, im Volgare
zu dichten. Lateinisch schreiben, hiefie Eulen nach Athen tragen.
Lodovico war schon über dreißig Jahre alt, als er 1506 die ersten
Bücher seines „Rasenden Roland" yollendete. Er las sie seinem
Kardinal vor, der ihn gefragt haben soll: „Dove avete trovato,
messer Lodovico, tante corbellerie?" Aus dieser Frage folgerte
man, daS Ippolito Ariosts Dichtung wenig geschätzt habe. Zwar
kommt es der Folgezeit wenig auf die Kritik eines Kardinals an,
den Frauen, Pferde und Politik mehr als Literatur interessiert haben,
aber da Ariosts Biographen Ippolitos Worten ein gewisses
Gewicht beimessen, lohnt es, sie auf das MaB zurückzuführen,
das ein Urteil dieser Art verdient, üan kann etwas Derartiges sagen,
ohne die Dichtung im geringsten zu mißachten. Daß der Roland
Märchen aller Art enthält, ist nicht zu leugnen, doch der Kardinal
hat das Ungewöhnliche dieser Märchen begriffen, da er gleich den
Anfang des Gedichtes für seine Schwester, die Markgräfin von
Mantua, hat abschreiben lassen. Isabella dankt brieflich für die
Zusendung, Artosts Gedicht habe ihr große Freude bereitet, und
sie habe zwei schöne Tage bei der Lektüre verbracht.
Ariost hatte Bojardos Plan aufgegriffen imd weiter gesponnen.
Der Roman des Dichters aus Scandiano hatte großen Erfolg gehabt,
er entspnch dem literarischen Sehnen der Zeit, imd da Bojardo
seine Geschichte nicht zu Ende geführt hatte, da seine Sprache
veraltet klang, mußte jeder Dichter von größerer Begabung da-
nach streben, das Ideal des Ritterromanes zu vollenden. Schon
Agostini hatte sein Bestes versucht, aber seine Gestaltimgskraft
langte nicht; die verfeinerte Geselbchaft der Renaissance verlangte
nach etwas Besserem. Die Ritterromantik eignete sich besonders
für die damalige Epoche; diese Welt stand vor dem Auge des Dichters
schon ab geschlossenes Ganzes, sie begann aUmählich heue
Formen anzunehmen, andererseits bestanden die Bedingungen
noch, die es möglich machten, sie sich in ihrem verflossenen Glanz
vorzustellen. Zwar verkündeten Alfonsos Waffen bei Ravenna
schon eine ganz andere politische und kriegerische Ära; aber noch
kämpfte dort ein junger Führer, der sich, ab er einer schönen Frau
332 NEUNTES KAPITEL
denLiebesschwur geleistet, mit entblöfitem Arm ins Kan^fgetümmel
geworfen, und niemand wagte darüber zu lächeln«
Npch strahlte das Rittertum, die cayalleria, in einem gewissen
Glanz. Als Karl V. während seiner Krönimg in Bologna den Ritter-
schlag erteilte, indem er die Häupter mit dem Schwert berührte
und die alte Formel sprach: „Esto miles" — umdrängte die Jugend,
die dieser Ehre teilhaftig werden wollte, den Kaiser in solchem
HaSe, daß der ermüdete Monarch sich an seine Umgebimg mit
den Worten wandte, seine Kräfte wären erschöpft, „non puedo
mas", und da er sich nicht anders zu helfen wußte, schwang er das
Schwert in der Luft über die sich drängende Menge imd rief:
„Estote milites, todos, todosi'' „Seiet Ritter, alle, alle/' Eine
unbewußte Vorhersagung Don Quichottes 1 Aretin, der damals in
Bologna weilte, sammelte schon Material, um die Ritter zu ver-
spotten, obgleich er sich wie ein Pfau blähte, als ihm Karl V. eine
kostbare Kette um den Hals legte.
Ob Ariost mit seiner Dichtung irgendeinen politischen oder
moralischen Zweck verfolgt und ob die gesamte Komposition eine
innere Einheit habe — um diese beiden Fragen streiten sich seit
jeher seine Kritiker: Voltaire, Guingueni, Settembrini, de Sanctis,
Rajna, Carducd, Monnier. Jeder sucht das Rätsel auf seine Weise
zu lösen. Die Tatsache allein, daß geistvolle Männer, die tief über
Ariosts Gedicht nachgedacht, diese Frage nicht ohne weiteres zu
lösen vermögen! ist der beste Beweis, daß der „Rasende Roland"
kaum eine Einheit hat, und daß die Ziele der Dichtung nicht klar
sind. Über Dinge, die klar liegen, entsteht kein Streit.
Wenn man an Ariosts Epos nicht mit dem Gedanken heran-
tritt, einen bestimmten politischen oder moralischen Zweck finden zu
müssen, so findet man das, was der Dichter in seiner schönen
Anfangsstropbe verspricht: „Die Schilderung von Frauen, Rittern
und Waffentaten, von Liebe, Cortesia und wichtigen Begebenheiten.' '
Le Donne, i Cavalier, Tarme, gli amori,
Le cortesie, Taudad imprese io canto . . .
Er will ein treues Abbild des Rittertimis geben, den Leser erfreuen.
Der Dichter folgt nur seinem künstlerischen Zwang, er will schildern,
ARIOST
333
was seine Phantasie beschäftigt, was seinen Geist genährt hat
Noch deutlicher als in jenen Versen drückt Ariost seine Absicht
in einem Briefe an den Dogen von Venedig aus, den er um die Er*
laubnis bittet, den „Rasenden Roland'' drucken zu lassen. Er
▼ersichert den Dogen, daß er „in langer Arbeit und schlaflosen
Nächten seinen Roman geschrieben, um Herren und Damen Ton
edlem Geist zu erfreuexi und zu erheitern", „per spasso e ri-
creazione de' Signori e persone di animo gentile e madonne",
und daß er „darin mannigfache Liebesgeschichten und krie«
gerische Begebenheiten schildere, damit jeder sie mit Vergnügen
lesen könne''.
Die ritterliche Welt in ihrer Fülle und Schönheit darzustellen,
die Gefühle zu schildern, die diese farbige Welt beherrschen, Ehre
und Liebe besonders, und die Natur in ihrer Großartigkeit zu feiern —
das war Ariosts eigentlicher Zweck. Weder politische noch mora-
lische Ziele haben ihn angefeuert, er gehorcht nur dem innem
Zwang, unter dessen Botmäßigkeit er steht Und da Ariost durch-
dnmgen war Tom Kult des Schönen, strömte in sein Gedicht seine
ganze Seele, sein innerstes Sein, und seine Auffassung der damaligen
Verhältnisse von Politik, Familie und Frauen fand ihren Niederschlag
in kostbaren Versen, obgleich dies nicht in der ursprünglichen Ab-
sicht des Dichters lag. Trotz der großen Objektivität im Stil und in
der Darstellung hat sich in der Dichtung das Ziel von selbst durch-
gesetzt; die Einheit des Empfindens und der Phantasie geben dem
Werk seine Geschlossenheit, Ariosts Gedanken schweifen zwar
in ferne Welten, aber er war trotzdem eine positive Natur, mit
gesundem Blenschenverstand und klarem Blick für seine Um-
gebung. Dafür sind seine Satiren der deutlichste Beweis. Auch
der „Furioso" enthält eine Fülle gesunder Grundsätze und An-
schauungen, und trotz seines phantastischen Anstridies gibt er
ein yorzüglicbes Bild der Renaissance-Gesellschaft*
Rajna hat auf die Anleihen hingewiesen, die Ariost bei klassi-
schen, mittelalterlichen und selbst zeitgenössischen Verfassern ge-
macht hat. Er hat aus Ovid, Horaz, Catull, Tibull, Properz und Statins
geschöpft; Sallust, Livius, Cicero, Valerius Mazimus, Apulejus haben
ihm Inhaltliches geliefert, der bretonische Sagenzyklus imd nament-
^34 NEUNTES KAPITEL
lieh der Roman ,,Giron le courtois^' waren ihm reiche Fundgruben,
und unter seinen unmittelbaren Zeitgenossen haben ihn Bojardo,
Cieco da Ferrara imd besonders der damals vielverbreitete Roman
„Tirante el blancoM angeregt.
Diese Anleihen nehmen der Dichtung weder ihren Wert noch
ihren Reiz, so wenig wie man Shakespeare Plagiate vorwirft, weil
er Stoffe, die von anderen behandelt wurden, dramatisiert hat.
Der „Orlando furioso'' läBt sich mit dem Dom von Pisa vergleichen,
auch dort wurden Säulen verschiedenster Herkunft zusammen-
getragen, tmd doch ist ein einheitliches Werk daraus entstanden.
Wie das Feuer im Hochofen, so schmilzt auch das Genie die ver-^
schiedenartigsten Metalle zur einheitlichen Masse zusanunen.
Jede Geschichte, jedes entliehene Faktum nimmt in Ariosts Phan-
tasie „ariostlsches'' Gepräge an«
Im allgemeinen ist das Kapital der Einfälle, der Imagination,
der Vorrat an Inhalt in der Literatur der Völker erstaunlich klein,
kleiner, als man im ersten Augenblick glaubt. Von der Bibel, dem
Buch der Bücher, von Homer bis zu Goethe imd Dumas gibt es
gewisse Motive, die immer wiederkehren, nur die Aufmachung
ist jedesmal eine andere.
Ariost schrieb zu einer Zeit, da der Islam das Christentum be-
drängte und Karl V. die Völker des westlichen imd mittleren Europa
zusammenschloB, in der Absicht, ein Reich zu begründen, das
sich der im Osten drohenden Gefahr zu widersetzen vermöchte.
In dieser Beziehung glichen die Zeiten jener Epodie, da Karl der
GroBe unter seinem Szepter halb Europa zusanunenhielt und mit
den Sarazenen kämpfte. Die Themen aus Karb Zyklus waren
bis zu einem gewissen Grade der Gegenwart angenähert, und der
Dichter konnte sie mit neuem Leben füllen. Daher geht der Kampf
gegen die Ungläubigen als politischer Grundgedanke durch die
Dichtung. Daneben steht ein engerer, patriotisch-italienischer.
Schon Bojardos Gedicht schloB mit dem Klage über Italiens Un-
glück; der Einfall der Franzosen hat Bojardo empfindlidi ge-
troffen. Italiens politische Lage hatte sich seitdem durchaus
nicht gebessert, der fremde EinfluB wurde dem Volke immer ge-
fährlicher. - Das Geschlecht der Este erscheint dem Dichter als der
ARIOST
235
Felsen, an den Italien sich halten mtifi; Ariost verherriicht das
Haus von Ferrara, vielleicht auch deshalb, weil er in seinem Dienst
steht, namentlich aber, weil Alfonso der Vertreter der stärksten
und ältesten italienischen Dynastie ist, unter deren Standarte das
Volk sich sammeln kann. W^e Vergil das Geschlecht der Julier
gefeiert hat, so preist er die Este als das von der Vorsehung
erkorene Herrscherhaus, das im Kampf mit den Feinden der Chri-
stenheit die erste Rolle zu spielen berufen ist. Merlins Grabes-
stimme verkündet Bradamanta, daS sie die Stammutter dieses
ritterlichen Geschlechts werden wird.
Rogier tötet am Tage seiner Hochzeit mit Bradamanta Rodo-
monte, den letzten Feind der Christenheit, und die Christenheit
tmd die Familie der Este triumphieren.
Voltaires Behauptung, der „Orlando furioso^' sei die „Ilias"
und die „Odyssee" zugleich — , ein heroisch-religiöses Gedicht
wie die „Ilias" imd daneben in der Schilderung von Rogiers und
Bradamantas Zusammenleben ein Bild aus dem Familienleben
wie die „Odyssee'' — besteht zu Recht. Die Elemente des öffent*
liehen imd des privaten Lebens der Renaissance schließen sich hier
zu einem poetischen Bild zusammen. Carducd wimdert sich, daß
Ariost, der in Ferrara und seiner Umgebung gelebt und nur
einen ganz kleinen Ausschnitt der Welt gekannt hat, trotz dieses
begrenzten Horizontes köstliche Schilderungen einer Natur, die
der Dichter so nie gesehen, geben konnte. Carducd prägt,
um diese Tatsache zu erklären, das schöne Wort, daß ähn-
lich wie in Karls V. Reich die Sonne nicht untergegangen ist,
auch Ariosts Seele einen unendlidien lichtumflossenen Horizont
hatte.
Ariost hatte ein scharfes Auge für menschlidie Sdiwächen.
Für ihn ist nicht wie für Bojardo die Liebe der Ursprung alles
Großen, sie ist nidit das sieghafte, allbezwingende Gefühl. Sie be-
deutet ihm mehr, sie ist die Grundlage der Familie, auf ihr baut
sich menschliche Gemeinschaft auf. Dantes göttliche, Petrarcas
platonische Liebe beginnen menschlichere Formen anzunehmen«
Der vielhundertjährige Gesang der Troubadours verstummt, das
individuelle Empfinden muß sich den PfUditen gegen Fandie
a36 NEUNTES KAPITEL
und Vaterland unterordnen, dantiit es nicht wie die Liane, die
Schlingpflanae des Südens, wuchere und den stärksten Bäumen
ihr Mark entziehe« Bin italienischer Schriftsteller yermutet, die
Renaissance-Menschen hätten daran gekrankt, daß sie der Liebe
suTiel Gewicht beigelegt haben; wichtigere politische Ziele traten
in den Hintergrund, und die Not des Volkes fand weibische
Männer,
Befreiend wirkt nach den Theorien eines verlogenen Platonis-
mus, nach Petrarcas Klagen und Bembos Sonetten Ariosts Satire
auf seinen Vetter Annibale Bilaleguccio, als er Ton dessen Absicht
zu heiraten erfuhr. Zum erstenmal finden wir in der Renaissance-
Poesie verständige Worte über Weib und Ehe.
Nüchterne Erwägungen über die Frauen, wie in dieser Satire,
fehlen im Roland, aber man fühlt den Wechsel in der Auffassung
der Liebe. Sie ist nicht mehr der Quell aUes Guten, sie kann groBe
Taten hindern, den Mann verweichlichen und zur Raserei bringen.
Che non pu6 far d'un cor ch'abbia suggetto
Questo crudeie e traditore amore,
Poi ch'ad Orlando pu6 levar del petto
La tanta fe che debbe al suo Signore?
Giä savio e pieno fu d'ogni rispetto,
E della santa Chiesa difensore:
Or per un vano amor, poco del zio,
E dl se poco, e men cura di Dio.
(Orl. für. IX, l.)
Rolandos und Rinaldos Liebe zur Heidin Angelica hat die ge-
samte Christenheit in groBe Gefahren gestürzt, Rinaldos Familien-
glück, der Frau und Kinder hatte, zerstört, Sdiande über seinen
guten Namen gebracht und seinen klaren Sinn
La gran belti che al gran signor d'Aglante
Macchiö la chiara fama e l'alto ingegno.
(Ort, für. VIII, 63.)
Ariosts Dichtung steht an der Grenze zweier Jahrhunderte
und Auffassungen; der groSe Ferrarese beschlieBt die Periode der
ARIOST 237
Ritterpoesie, den Umkreis der Ideale der Signori und Capitani di
Ventura, und man ahnt den Beginn einer neuen Zeit mit neuen
sittlichen Idealen. Ariost ist nicht mehr Ghibelline wie Dante,
sr strebt nicht mehr danach, die Macht des Kaisers zu erweitem,
die italienische Dynastie der Este möchte er an der Spitze des
VTolkes wissen. Als Dichter tmd Ästhet liebt er die Ritterwek,
die dem Untergang geweiht ist, er verehrt ihre Größe, ihre Tugenden
und Vorzüge. In einer wunderschönen Stanze schildert er, wie der
Sarazene Ferragu tmd Rinaldo nach einem furchtbaren Zwei-
kampf, der unentschieden geblieben ist, besdiliefien, Angelica zu
folgen, um ihre Spur nicht zu verlieren. Beide steigen voller Ver-
trauen, als Ritter sonder Furcht tmd Tadel, auf ein RoB — damit
verleiht er seiner Verehrung ritterlicher Tugenden lebendigsten
Ausdruck.
O gran bonti de'Cavalieri antiquil
Eran rivali, eran di fe diversi,
E si sentian degli aspri colpi iniqui
Per tutta la persona anco dolersi;
E pur per selve oscure e calli obliqui,
Insieme van senza sospetto aversi.
(Orl. Pur. I. 22.)
Mit wundervoller Anschaulichkeit schildert Ariost jede Szene,
jede Landschaft In höchstem Maße ist sein GefQhl für die Natur
entwickelt, deshalb sagt auch Galilei, indem er ihn mit Tasso
vergleicht, daS Tasso Worte und Ariost Dinge sage.
Rogiers Pahrt auf dem Hippogryphen, seine Jagd durch die
Lüfte auf dem geflügelten Renner ist so phantastisch, so groB-
artig und zugleich so anschaulich, daS wir glauben, an diesem
wilden Ritt teilzunehmen. Und wie farbig sind diese paradiesischen
G^enden, die sich vor uns entrollen, wie üppig und von südlicher
Sonne durchglühtl Die Beschreibimg von Rogiers Aufenthalt auf
der Insel Aretusa ist ein Meisterwerk.
Als der Roland fertig war, im Jahre 15x5, war Ariost ein-
tmdvierzig Jahre alt, aber er hat sein ganzes Leben weiter daran
gearbeitet. Er las ihn seinen Freunden vor, bat,' daS man ihn auf
238 NEUNTES KAPITEL
ProvinriaHsmen oder Holprigkeiten im Vers aufmerksam oiadie.
Zu diesen vertrauten Korrektoren gehörten Bembo, Molza, Na*
▼agero, Sadoleto und Marc Antonino Magno« Das in Florenz ge-
qirochene Italienisch erschien Ariost als das reinste, er hat seine
Sprache dem Toskanischen immer mehr ai^egliedert, norditalie-
nische Ausdrücke durch Florentiner ersetzt, gef^t und jeden
Vers harmonisch und sangbar gestaltet
Die schöne Sprache, die farbigen, so plastisdiea Bilder, die
scharfe Beobachtung der Natur bilden den Hauptreiz Ton Ariosts
Dichtung. Er war der gröfite Dichter der Renaissance« Italien hat,
von Dante abgesehen, keinen volkstümlicheren Dichter als Ariost,
und auf der gesamten Halbinsel gibt es kaum einen Landmann,
kaum einen Schüler, der nicht wenigstens einige Stanzen des ge-
liebten „Furioso'' auswendig wüBte. In Sizilien sind die kleinen
zierlichen zweirädrigen Wagen zumeist mit Szenen aus Ariost
oderTasso bemalt, in Ariosts Oktaven, die im Gedächtnis des italie-
nischen Volkes haften, ist das Bild der ritterlichen Vergangenheit
des Volkes lebendig.
Es ist seltsam genug, daS in dem kleinen Ferrara, diesem heute
vergessenen Ländchen, fünfzig Jahre nach Bojardo das gröBte
Rittergedicht entstanden ist, und daB wieder fünfzig Jahre später
Tasso dort sein ^yB^ff^ltes Jerusalem^' geschrieben hat. Im Jahre
X486 war „Orlando Innamorato" vollendet, 1533 „Orlando Furioso^',
X58Z „Gerusalemme Liberata'^ Es wurde darauf hingewiesen, daS
es im Laufe von drei Jahrtausenden nur fünf groBe Epiker gegeben
hat, tmd davon stanunen zwei aus Ferrara. Griechenland hat
Homer, Rom Vergil, England Milton und Ferrara Ariost und
Tasso erzeugt.
Ariosts Epos war von ungeheurem EinfluS auf die europäische
Literatur imd hat befruditend auf groBe Talente gewirkt« Im
XVI. Jahrhundert hat Edmund Spenser seine „Faerie Queene^' ge-
schrieben, im XVIIL Voltaire seine „Puoelle'' und Wieland seinen
„Oberon'S im XIX. Bjrron seinen „Don Juan'^ Im XVI. Jahr-
hundert gab es noch eine Reihe spanischer Nachahmungen Ariosts.
Nur der polnische Dichter Mickiewicz ist in seinem „Fan Tadeusz'^
andere Wege gegangen«
ARIOST
239
15x5 erschien die erste Ausgabe des »»Furioso". Leo X., von
dem Ariost so viel erhofft und der ihm so wenig gehalten hat,
ertiefi wenigstens eine Bulle, um das literarische Eigentum des
Dichters zu schützen. Jedem, der das Buch nachdrucken oder ohne
Erlaubnis des Verfassers verkaufen würde, war der päpstliche Bann
angedroht. Sadoleto kontrasignierte das päpstliche Doku-
ment, und in Bibbienas Bureau wurde es auf Kosten
des Dichters ausgefertigt und verschickt. Dies
veranlafite ihn zur satirischen Bemerktmg:
Mi fu, della quäle ora il mio Bibbiena
Espedito m' ha il resto alle mie spese.
ZEHNTES KAPITEL
RENATA DI FRANCIA
I
, Ferraia, corpo di Dio, ti avrol"
1 Leichnam Christi, du wirst mein, Perraral" —
jlius IL in seiner soldatischen Ausdruclcsweise,
lie Wünsdie des kriegerischen Papstes sollten
in Erfüllung gehen. Alfonso I. verteidigte
a mit den Waffen so gut wie mit seiner
diplomatischen Geschicklichkeit. Leo X. hatte keinen anderen
Wunsch wie sein Vorgftnger, Julius IL, wenn er ihn auch zahmer
ausgedrückt hat. . Aber auch dieser Papst starb, ohne seine Pl&ne
verwirklichen zu können. Da ließ Alfonso in seiner Freude eine
Medaille sohlten mit einem Schftfer, der ein Lanun den Klauen
des Löwen, Leone, cntriB, darunter stand die Aufschrift aus dem
Buch der Könige: De manu Leonis.
Aus diesen Kfimpfen mit zwei Päpsten ging Ferrara mächtiger
hervor, als es je gewesen war. Das Land erstreckte sich vom Ufer ,
des Adriatisdien Heeres fast bis zur Bucht von Genua, und der
Kaiser sowie der König von Frankreich bewarben sich um Alfonso»
Freundschaft. Die in Cognac geschlossene heilige Liga, Franz L,
die Florentiner und der Kaiser — sie alle wollten ihn zu ihrem
Heerführer wählen. Hach Leos X. Tod schickte Alfonso seinen
fünfzehnjährigen Sohn Ercole nach Rom, damit er dem neuen
Papst Hadrian huldige und seine Gunst gewinne. Dem Jüngling
gefiel es in Rom auSerordentlich gut, der Papst umarmte ihn,
sagte, daS er von den besten Absichten für Ferrara erfüllt sei, und
der beglückte Vater rief:' „Mein Gott, ich danke dir, dafi du
RENATA DI FRANCIA 241
mir solch einen Sohn gegeben!'' Alfonso hat es bei der Erziehung
dieses Sohnes nicht an Sorgfalt fehlen lassen; da er selbst keine
literarische Bildung hatte und häufig diesen Mangel beklagt hat,
wollte er seinem Sohne ein gründliches Wissen geben imd hielt
ihm die besten Lehrer. Der Knabe machte lateinische Gedichte,
war von groSer Beredsamkeit und in allen Wissenszweigen erfahren.
Auch Musik wurde gründlich geübt, da Alfonso einmal gelesen
hatte, Themistokles h&tte als Mann von schlechter Erziehimg
gegolten, da er nicht Zither spielen konnte. So wurde Ercole nach dem
Bericht eines gleichzeitigen Chronisten in allen drei Arten der
Musik unterwiesen: in der „enharmonischen, diatonischen und
chromatischen'' — nach unseren Begriffen hätte der junge Este
wenn nicht Komponist, so doch zmn mindesten Dirigent eines
Orchesters werden können. Bei der Erziehimg des Jünglings wurde
nicht allein auf die Bildung des Geistes geachtet. Keiner seiner
Gefährten tat es ihm in gymnastischen Übungen gleich, er sprang
über die breitesten Gräben, ritt die wildesten Pferde, handhabte
Lanze imd Speer glänzend, und war Sieger in jedem Turnier. Dazu
war Ercole ein gutgewachsener, schöner, kräftiger Mensch von sehr
einnehmendem Wesen. Der Vater hatte ihn früh zur Beratung allge-
meiner Angelegenheiten herangezogen, so daß es ihm auch in dieser
Beziehung schon als Jüngling an der nötigen Erfahrung nicht fehlte.
Für einen solchen Sohn war es nicht schwer, eine Gattin zu
finden, und als Ercole kaum siebzehn Jahre alt war, begann man
sich nach einer passenden Partie für ihn umzusehen. Zwischen
drei Fürstinnen schwankte die Wahl: Margarethe von Österreich,
Karls V. natürliche Tochter, Katharina von Ifedid, die spätere
Königin von Frankreich, und Renata, die Tochter Ludwigs XII. und
der Königin Anna, standen auf der engeren Liste. Alfons fühlte
sich stark genug, um für seinen Sohn um die Hand der französischen
Königstochter anzuhalten. Das Geschlecht der Este war älter als
das Königsgeschlecht von Frankreich, denn während sich dieses
kaum bis zum Jahre 862 zurückverfolgen lieB, war Bonifazio Este,
der Graf von Lucca und Fürst von Toskana, schon im Anfang des
IX. Jahrhunderts eine bekannte Persönlichkeit gewesen. Franz I.,
der in Frankreich regierte, lals sich Alfonso lun Renatas Han4 für
16
242
ZEHNTES KAPITEL
seinen Sohn bewarb, nahm diesen Plan sehr gnädig auf, hoffte
er doch in den Este einen mächtigen Bundesgenossen in seinem
Kampfe lun Mailand zu finden. Dieses Herzogtum zu erobern,
gehörte zu seinen heißesten Wünschen.
Die Verhandlungen führten schnell zum gewünschten Resultat,
und Ercole brach am 3. April 1528 nach Frankreich auf, um seine
Gemahlin abzuholen. In seinem Gefolge waren himdertfünfund«
fünfzig Menschen, hundertneun Pferde und siebenunddreiSig Maul-
tiere. Unterwegs vergrößerte sich der Zug, da der ferraresische
Adel sich drängte, den jungen Herzog nach Paris zu begleiten.
Ercole ging über Spezzia, Genua und Sabona, um Mailand zu ver-
meiden und dem Kaiser nicht in die Hände zu fallen, der, unzufrieden
über die Vereinigung der Este mit dem Hof von Frankreich, Ercole
unter irgendeinem Vorwand hätte aufhalten und gefangen nehmen
können.
Am 22. Mai empfing Franz I. den jungen ferraresischen Erb-
prinzen in Saint Germain, Ercole hatte zu diesem Feste ein kost-
bares Gewand angelegt und stand* an der Spitze von hundert-
fünfzig vornehmen Rittern. Von Renata, die er noch nicht kannte,
empfing er keinen übermäßig angenehmen Eindruck. Der ferrare-
sische Gesandte berichtet Alfonso: „Es scheint, daß der junge
Herzog eine schönere Braut lieber gesehen hätte.'^ Renata war
klein imd zart, sie hatte ein nmdes Gesicht, kleine blaue Augen
und einen sehr kleinen Mund, ihre Füße waren von Kindheit an
infolge rhachitischer Leiden krumm. Ihre größten Reize waren
langes Haar, ein guter Teint und ein Busen von schneeiger Weiße;
selbst die Hofpoeten wußten, abgesehen von diesen Vorzügen, äußere
Reize an ilir nicht zu entdecken. Francesco Maria della Rovere, der
Herzog von Urbino, nannte .sie „un mostro'S aber der Herzog war für
seine böse Zunge bekannt und übertrieb gem. „Eine Mißgebtut^' war
sie nicht, aber ihre Porträts im Mus^ Condi zu Chantilly, imd
in den Sanunlungen der Fürsten Czartoryski beweisen zur Ge-
nüge, daß Ercole, der die schönen Italienerinnen gewohnt war,
eine nicht geringe Enttäuschimg beim Anblick seiner künftigen
Gemahlin erleben mußte. Sie war aber sehr lebhaft, „un esprit tout de
feu'% sehr gut erzogen und führte ein Gespräch nicht ohne Anmut.
RENATA DI FRANCIA 243
Der ,, ritterliche'' Franz L, der seinen künftigen ,,Cousin'' mit
sAx viel Pracht empfing und Renata eine groBe BAitgift versprochen
hatte, begann unmittelbar nach der Trauung Geldanleihen bei
Ercole zu machen. Zu seiner Expedition gegen die Lombardei wollte
er von den Este fiinfzigtausend Taler haben. Der arme Ercole
erschrak, als er an Stelle der erhofften lütgift für das franzö-
sische „Monstrum^' auch noch bezahlen mußte. An den Vater wagte
er sich nicht zu wenden» denn allein die Reise nach Paris hatte
dreifiigtausend Taler verschlungen und für hunderttausend hatte
er seiner Verlobten Geschenke gemacht. Da er sich nicht anders
helfen konnte» verkaufte er einen Teil der Pferde» mehrere kost-
bare Geräte und Kleinodien» anderes wurde versetzt» bis er die
dem König nötige Summe zusammen hatte. Aber nachdem Franz U
die Nichte verheiratet und das Gold der Este in der Tasche hatte,
begann er wegen der BAitgift zu handeln» tmd die versprochene
Sunmie wurde immer kleiner. Er benahm sich wie ein Wucherer;
zuerst hatte er Renata zweimalhunderttatisend Taler versprochen
imd einen ebenso großen Betrag ausgesetzt» um sie für den Verzicht
auf die Bretagne zu entschädigen» auf die sie durch ihre Mutter Rechte
hatte. Nach der Hochzeit bewilligte er nur vierzigtausend Taler
Mitgift und ein jährliches Fixum von zwölftausend» obgleich die
Bretagne allein jährlich über, zweimalhunderttausend Taler abwarf.
Trotz dieses Handelns und des großen Geldmangels am franzö*
sischen Hof waren die Hochzeitsfeierlichkeiten großartig imd
nahmen kein Ende. Der König gab ein so prächtiges Bankett»,
daß selbst die Höflinge» die großartige Feste gewohnt waren» nicht
aus dem Statmen kamen. Die anhaltenden Feste überstiegen selbst
die Kraft des jungen Paares» Ercole bekam Fieber und Renata
quälende Kopfschmerzen. Der Hofpoet» Clement Marot» tröstete
sie in einem langen Hochzeitskarmen über den Verlust des jung-r
fraulichen Kranzes» der Apfelbaum gelte mehr» wenn er Früchte^
als wenn er nur Blumen trage.
Fille de roy» adieu ton pucelage»
Et toutesfo3rs tu n'en dois faire pleurs;
Car le pommier qui porte bon fructage
Vault mieulx que s'il ne porte que fleurs.
I6»
244
ZEHNTES KAPITEL
Marot schrieb dieses Gedicht in einer glücklichen Stunde, Re-
natas gröBtes Verdienst waren fünf gesunde Kinder, zwei Söhne
und drei Töchter, was wohl niemand dieser kleinen rhachitischen
Prinzessin zugetraut hätte.
Einen Monat nach der Trauung brach das junge Paar nach
Ferrara auf. Renatas französische Umgebung bestand aus
hundertfünfzig Personen, Ercoles Gefolge aus dreihimdert. Eine
Abteilung von Fourieren zog voraus, um Lebensmittel zu be-
schaffen und die friedlichen Einwohner unterwegs aus ihren Häusern
zu werfen, damit es Platz für den Hof gebe. Es war eine beschwer-
liche Reise, es ging über den Mont Cenis und durchs Piemonte-
sische, \md erst an der Grenze des estensischen Reiches erwartete
Alfonso die Schwiegertochter, deren Wunsch, den Herzog kennen
zu lernen, so lebhaft war, daß sie ohne diese Hoffnung die Strapazen
nicht überstanden hätte. Wenigstens behauptet dies einer der esten*
sischen Höflinge in einem an den Herzog geschriebenen Brief, Wir
wissen nicht, welchen Eindruck Renata auf Alfonso gemacht hat,
später war er ihr der beste Vater imd Beschützer.
In Modena erwarteten die junge Frau die gröBten Anstrengungen«
Dort wurde ihr zu Ehren ein feierlicher Empfang veranstaltet. Der
Statthalter Giacomo Alvarotti hatte ungewöhnliche Vorbereitungen
getroffen: den Schmutz \md die Steine,, die seit Jahrhunderten in den
Straßen lagen, hatte er fortschaffen lassen und die Figuren zweier
Engel verbessern, die an der Stadtuhr am Turm die Stunde zu
schlagen hatten, aber diese Pflicht seit zwanzig Jahren nicht mehr
erfüllten; Betten für zweitausend Menschen wurden aufgeschlagen
und Ställe für fünfzehnhundert Pferde hergerichtet, ungeheure
Quantitäten von Lebensmitteln zusanmiengeschleppt, darunter
so viel Zucker und Wachs, daß zwölf Blaultiere zum Herbeischaffen
dieser Ladimg kamn langten. Diese Vorbereitungen waren not-
wendig, da man in Modena außer dem jungen Paar, dem Herzog
Alfonso und dem ungeheuren Gefolge noch den Herzog von
Mailand, den Markgrafen von Mantua und den Herzog von Urbino
mit Gemahlin erwartete.
Alfonso wollte seine Schwiegertochter aufs festlichste emp-
fangen und all ihre Wünsche erfüllen. Er ließ es jedoch auch darin
RENATA DI FRANCIA 245
nidit an der nötigen Vorsicht fehlen. In Modena hatte er einen sehr
gefährlichen Gefangenen, Girolamo Pio di Sassuolo, der auf Ver-
anlassung des Bischofs von Casale, des päpstlichen Kommissars
in Piacenza, eine Verschwörung gegen sein Leben angezettelt hatte«
Rom war in seinen Mitteln nicht wählerisch , um Alfonso aus dem
Wege zu räiunen, Ferrara zu annektieren imd dem Kirchenstaat
einzuverleiben. Der Herzog fürchtete, man könne Renata über-
reden, ihn um das Leben des Verbrechers zu bitten; um dem yor-
zubeugen, machte er kurzen ProzeB und lieB den Gefangenen ent-
haupten, ehe Renata in Modena eintraf. So war die heikle Frage
aufs einfachste gelöst, und Alfonso kam nicht in die fatale Situation,
setner Schwiegertochter eventuell einen Wimsch abschlagen zu
Nach alter, nicht gerade schöner Sitte raubte die italienische
Bevölkerung nach der Abreise berühmter Gäste die ganze Ein-
richtung, sämtliche Gegenstände, die zu ihrem Empfang gedient
hatten. Um die französischen Gäste nicht durch diesen Brauch
zu ärgern, erließ der Statthalter ein Verbot, das Blaultier, auf dem
Madame Renata in die Stadt käme, anzurühren, ihre Sänfte fortzu-
nehmen, den Baldachin zu zerreißen oder sich Waffen anzueignen,
die ihren Höflingen angehörten, da der Herzog selbst die Absicht
habe, diese Dinge unter das Volk zu verteilen, um sich nicht übler
Nachrede auszusetzen.
Die Festlichkeiten, Bälle, Turniere und Pferderennen dauerten zehn
Tage, waren aber ohne rechte Freudigkeit, denn das Land hatte
sich kaum von einem großen Unglück einer pestilenzartigen Seuche
erholt, und das Elend in der Stadt war so furchtbar, daß die Armen
während der Feste durch die Straßen liefen und um Erbarmen flehten,
da sie Hungers stürben; es gab keinen Tag, an dem man nicht vor
irgend einem Portikus die Leichen Verhungerter gefimden hätte.
Außerdem trübte ein erneuter Anschlag auf Alfonsos Leben die
Fette. Rom ruhte nicht: der päpstliche Gesandte in Bologna hatte
schon während der Feste in Modena mit einem gewissen Paolo
Liizzesco verabredet, den nach Ferrara heimkehrenden Fürsten zu
überfallen und zu töten. Alfonso blieb jedodi am vorherbestimmten
Tage in der Stadt, tmd der Anschlag wurde entdeckt»
246 ZEHNTES KAPITEt
Die beiden Este, Vater und Sohn, waren unablässig bemühti
Renata einen günstigen Eindruck von Italien zu Terschaffen.
Ferrara gehörte damals zu den größten Städten von Europa, es hatte
sechzigtausend Einwohner» soviel wie Rom unter Leo X., doch
war es freilich mit PariSi das anfing sich zur glänzendsten Residenz
zu entwickeln, nicht zu vergleichen. Die Este fürchteten deshalb,
daß ihre Stadt auf Renata und ihre Umgebung einen traurigen Ein-
druck machen würde, imd suchten ihr die ersten Tage im fremden
Lande durch Feste zu verschönern. Alfonso war Witwer, und da
dem ferraresischen Hof die Hausfrau fehlte, kam die Markgräfin
Isabella aus Mantua zum Empfang der Französin. Da infolge der
Seuche viele Familien in Trauer waren und die Stadt einen traurigen
Eindruck machte, befahl Alfonso, allen ohne Ausnahme während
des Karnevals bimte Kleider anzuziehen imd in festlichen Ge-
wändern zu Renatas Begrüßung an den Fluß zu konmien. Wer es
beim Anblick der künftigen Thronfolgerin an Freudenrufen fehlen
ließ, verfiel einer Geldstrafe von fünf Skudi. Ohne Zweifel wird
Renata beim Einzug in Ferrara einen besonders starken Eindruck
von der Lungenkraft der Bevölkerung erhalten haben.
Während der ersten Wochen, die Renata in Ferrara verlebte,
arrangierte Alfonso Kavalkaden, Bälle und verschiedene andere
Zerstreuungen. Am großartigsten fiel jedoch ein Fest aus, das
Ercole gab, um dem Vater für seine Mühe und die liebenswürdige
Aufnahme Renatas zu danken. Die Feier begann mit einer Auf-
führung von Ariosts „Cassaria^'; da die junge Herzogin kein Italie-
nisch verstand, muß die Frage offen bleiben, wie weit sie sich dabei
unterhalten hat. Das der Vorstellung folgende Bankett übertraf
alles, was man in Ferrara je gesehen. Allein der Haupttisch war
eine Sehenswürdigkeit. Fünfundzwanzig große Zuckerfiguren,
Herkules' Taten, zogen schon von weitem alle Aufmerksamkeit
auf sich, tmd was soll man von den silbernen Tafelaufsätzen, den
ungeheuren Kandelabern mit weißen Wachskerzen, der Fülle
der Schüsseln mit kalten Gängen sagen? Als ersten Gang trug
man bei Trompetenklängen zehn Gerichte auf je 35 Schüsseln auf,
während sie serviert wurden, sang Madonna Dalida, von einem
vortrefflichen Quartett begleitet. Dann servierte man noch sechs-
RENATA DI FRANCIA
247
mal je zehn verschiedene Gerichte auf 35 Schüsseln. Es wurden
also im ganzen siebzig verschiedene Gerichte serviert, und zu jeder
Schüsselserie gab es einen andern musikalischen GenuB. Dazu war
ein berühmter spanischer Narr auf einem Dromedar gekommen,
tun die Gäste durch seine Scherze zu erheitern.
Nach dem Dessert, das in diese Küchenstatistik nicht aufge-
nonmien wurde, wurde eine ungeheure Pastete aufgetragen, in der
sich Geschenke für die Festteilnehmer befanden: Halsketten, Arm-
bänder, Ohrringe, Barettagraffen, im Wert von zweihundert-
fünfzig Skudi.
Auf die erschöpfte, schwächliche Renata mußten diese an-
haltenden Feste einen niederdrückenden Eindruck machen. Von
den Tischen, die sich unter der Last der Speisen bogen, unter-
schied sich der Palast, der ihr als Wohnung angewiesen war,
in seltsamster Weise. Das ganze Gebäude war so verwahrlost,
daB die Herzogin eines Nachts ihr Schlafzinfmer in Eile räumen
mußte, da die Decke einzustürzen drohte. Die Französinnen, die
mit Renata nach Ferrara gekommen waren, schildern die Stadt
in den schwärzesten Farben. Die eine berichtet, Ferrara sei ein
großer Bilisthaufen, ein Nest von Flöhen und Wanzen, mit einer
Unzahl von Mücken als Beigabe, und das Quaken der Frösche
und Krächzen der Raben höre man die ganze Nacht. Trotz der
vierzehn Ehrendamen xmd der vielen französischen Dienstboten
fühlte Renata sich sehr einsam und so fremd in ihrer neuen Um-
gebung, daß sie nicht einmal Lust hatte. Italienisch zu lernen.
Die ganze Pariser Kolonie, die Herzogin an der Spitze, hielt sich in
echt französisch-eingebildeter Art für etwas Höheres als die Italiener
und für ein Opfer der Politik. Ja noch mehr, Renata selbst betrachtete
sich nicht als italienische Herzogin, sondern als diplomatische Ab-
gesandte des französischen Königs, die auf ihrem neuen Posten
die Interessen Frankreichs zu vertreten hatte.
Schrieben ihr diese Interessen vor, gegen den Papst zu sein,
so war Renata Roms Feindin, war der König von Frankreich mit
dem Herzog von Ferrara unzufrieden, so wurde Renata fast zur
Feindin des eignen Gatten, konspirierte mit seinen Gegnern
und unterstützte sie, wo inuner sie konnte. Trotz ihrer Gegner-
248 ZEHNTES KAPITEL
Schaft gegen den Papst hielt sie sich sehr enf^ an alle kirchlichen
Vorschriften, sie war abergläubisch, trug unter ihren Kleidern eine
Schnur, mit der sich der heilige Francesco a Paolo gegürtet haben
soll, und ließ sich aus Chartres zwei Hemden schicken, genäht
nach der Form des Hemdes der Mutter Gottes, das sich im dortigen
Domschatz befand. Diese Anhänglichkeit an die rdmisch-katho-
liehe Kirche hinderte sie nicht, unmittelbar nach ihrer Ankimft
in Ferrara die französischen Emigranten, die Hugenotten, zu
unterstützen und zu protegieren. So wurde ihr Hof zur Zufluchts-
stätte der Emigranten, ihre Zahl wuchs mit jedem Tage. 1529
unterhielt sie beinahe zweihundert Personen; in ihrer Umgebung
befanden sich vier Sekretäre, sieben Ehrendamen, drei Kaplane,
drei Kleriker, zwei Kirchensänger, sechs Zinunermädchen, sechs
Kammerdiener, drei Tapezierer, ein Arzt, ein Apotheker und ein
ganzer Stab von Stall- und Küchendienerschaft. Der Unterhalt
dieses Stabes hat jähHich 50 909 Lire verschltmgen. Die wichtigste
Persönlichkeit in der französischen Kolonie war Madame de Soubise,
Renatas Freundin. Renata hatte, kaum drei Jahre alt, ihre Mutter
verloren, auf dem Totenbette hatte Anna de Bretagne ihr Kind Frau
von Soubise anvertraut, die gleichfalls aus der Bretagne stammte.
Die Soubise war seitdem die unzertrennliche Gefährtin der Prin-
zessin, in Ferrara aber war sie ihr böser Geist, sie gestattete ihr
nicht, ihre Interessen mit denen des Herzogtums von Ferrara
zu identifizieren, und wachte streng darüber, daB Renata bei jedem
Schritt eingedenk bleibe, daB sie Pionierin des französischen Ein-
flusses in Italien sei. Sie gestattete ihr nicht einmal, sich auf portu-
giesische Art anzuziehen, der damals in Italien herrschenden Mode,
sondern überredete sie, bei französischen Kleidern zu bleiben,
die „anständiger und fester anschließend wären'^
Die jedes MaB übersteigenden Ausgaben für den Unterhalt des
Hofes und der „armen Franzosen'', die sich von allen Seiten um
Renata scharten, boten den ersten AnlaB zu Mißverständnissen
zwischen den Gatten, besonders da Frau von Soubise die Herzogin
gegen ihren Mann aufhetzte. Als Ercole diesen schädlichen Einfluß
erkannte, wollte er die französische. Hofmeisterin nach Frank-
reich zurückschicken, aber das war nicht so einfach, da der Hof
KENATA DI FRANCIA
nJLDNIS VON FR. CLOÜET(?). SAMMLUNG FÜRST CZARTORVSKr IN GOLUCHOVV
RENATA DI FRANCIA
249
von Paris sie als seine geheime politische Agentin betrachtete
und der alte Alfonso eine Vprliebe für die amüsante Französin
hatte» die ihn durch ihren Witz und ihre Lebhaftigkeit zerstreute.
Ercole mufite sich fürs erste mit Madame de Soubise abfinden,
namentlich da der Kongreß von Bologna, der auch für Ferraras
Zukunft wichtig war, seine Gedanken und seine Tätigkeit vollauf
in Anspruch nahm. Ferrara hatte in Klemens VII. einen nicht
weniger hartnäckigen Gegner als in Julius IL oder Leo X. Der
Papst machte seinen ganzen Einfluß auf dem Kongreß geltend,
um nicht nur Ferrara an sich zu reißen, sondern auch Modena dem
Kirchenstaat einzuverleiben. Karl V. bedurfte jedoch des esten-
sischen Staates, um das Gleichgewicht in Italien zu erhalten; er
veranlaßte daher den Papst, Alfonso nach wie vor Ferrara
als Lehen zu überlassen, unter der Bedingung, daß der Herzog
dem Papst auf der Stelle hunderttausend Dukaten auszahle und
ihm für die Zukunft einen Tribut von siebentausend verbürge.
Modena, Reggio und Rubiera sollten den Este auch in Zukunft als
kaiserliches Lehen gehören. Schließlich sollte der Papst Alfonso
Ablaß für alle Sünden erteilen, die er gegenüber der römischen
Kurie begehen würde, vorausgesetzt, daß der Herzog von diese
Entsündigung einreiche. Alfonso fügte sich den kaiserlichen Beschlüs-
sen, der Papst nahm das Geld zwar als „Depot'S schloß aber keinen
Kompromiß, um sich die Hände nicht für die Zukunft zu binden.
Tatsächlich behielt Alfonso seinen Besitz; die Freude in Ferrara
war darüber sehr groß, und der Hof ward wieder lebendig. Bankette,
Maskeraden, Komödien, Moresken, Turniere, Konzerte drängten
einander, tmd Literaten und Gelehrte versammelten sich im Winter
fast jeden Abend bei Ercole, so daß Ferrara Italiens Salon genannt
wurde.
Das Verhältnis zu Frau von Soubise spitzte sich immer mehr
zu. Sie hatte einen Sohn und zwei Töchter; Anna de Parthenay, die
ältere, war mit Antonio de Pons, dem Grafen de Marennes, einem
Edelmann, der am französischen Hofe lebte, verlobt. Anna war bei
ihrer Mutter in Ferrara, de Pons in Prankreich, die Hochzeit wurde
immer wieder hinausgeschoben, weil Ercole, wie Frau von Soubise
behauptete, de Pons nicht in Ferrara haben wollte« Die Sache
350 ZEHNTES KAPITEt
ging bis zu König und Papst. Klemens war damals in Marseille
und bekundete in ziemlich ungewöhnlicher Weise seine Sympathie
für „seine geliebte Tochter, Anna de Parthenay, voller Tugenden
und Wissen''. In einem besonderen Breve vom xo. November X533
erteilte der Papst ihr, dem Grafen de P6ns und vier anderen Personen,
die sie nach Gutdünken zu bestimmen hatte, das Recht, sich einen
Beichtiger zu wählen, der die Befugnis hatte, zu entsühnen „Mord,
Ehebruch, Kirchenschändung, geistlichen Persönlichkeiten zu-
gefügte Gewalt (mit Ausnahme von Bischöfen), überhaupt Ver-
brechen jeder Art, die sie begehen könnten''. Der Papst setzte also
viel voraus und verzieh noch mehr, und das Ehepaar de Pons durfte
viel sündigen im Bewußtsein, Verzeihung zu erlangen. Der Pi^t
wußte damals nicht und hätte diesem Umstand vielleicht auch nicht
Gewicht genug beigelegt, daß Frau von Soubise und ihre Tochter
Anna Calvins Freundinnen waren.
Dieser Gnadenbeweis des Papstes räumte alle Hindemisse aus dem
Wege, und der Graf Pons begab sich unverzüglich nach Ferrara.
Dort war alles freudig bewegt, da Renata am za. November 1533
einen Sohn, Alfonso IL, geboren hatte, der Ferraras letzter Herzog
sein sollte. Zur Taufe hielt ihn der Erzbischof Ippolito d'Este,
als Vertreter des Königs von Frankreich.
Die Trauung von de Pons und von Anna de Parthenay fand in den
ersten Tagen des Jahres 1534 statt. Ercole wollte dieser Festlich-
keit nicht betwohnen und ging für kurze Zeit nach Venedig. Das
junge Paar blieb in Ferrara, und Frau von Soubise erlebte einen
vollkommenen Triumph, besonders da ihr Schwi^;ersohn der fast
offizielle Agent des Königs von Frankreich war.
Alfonso hatte den Wunsch, ein Bündnis mit Venedig zu schließen.
Ercoles Reise in die Lagunenstadt hatte also einen bestinunten
Zweck, imd selbst die Herzogin Renata wurde später in Gesellschaft
des Erzbischofs Ippolito und Francesco d'Estes hingeschickt, mn der
mächtigen Nachbarstaat zu schmeicheln. Die Republik empfing
die französische Königstochter aufs großartigste, der Doge, Andrea
Gritti, entblößte sein Haupt vor ihr, was eine ungewöhnliche Aus-
zeichnung war; der Rat der Zehn ließ einen Teil der Rialto^Brücke
auseinandernehmen, damit der Bucentaur, der Renata trug, vor
RENATA DI FRANCIA 351
dem estensiscfaen Palast anlegen könne; es wurde getanzt, der Canale
grande mit Fackeln beleuchtet, Freudenschüsse abgehrannt — aber
die yenesianische R^erung wollte nicht verstehen, da8 es den
Este um ein Bündnis zu tun war.
II
Etwa gleichzeitig starben Klemens VII. und Alfons I., der Papst
am 35. September, Alfonso am 28. Oktober Z534, Ferrara verlor
einen seiner tüchtigsten und tapfersten Herrscher, aber auch einen
seiner erbittertsten Gegner. Der sterbende Alfonso hatte noch die
Freude, daB sein Freund, der Kardinal Famese, als Paul III. auf
den päpstlichen Stuhl kam.
Renata vermachte Alfonso „als Beweis seiner herzlichen Zu-
neigung'' ein kostbares Kleinod, das ihrer würdig war. Die Testa-
mentsvollstrecker sollten es unter seinen hinterlassenen Schätzen
nach Gutdünken auswählen.
Unmittelbar nach Alfonsos Tod versammelte Graf Sacrato,
der Giudice de^ sav^ den groBen Rat, und bei Trompetenschall
wurde Ercole zum Nachfolger ausgerufen. Der neu erwählte Herzog
trat auf die Plattform der SchloStreppe, ganz in weiß gekleidet,
den Mantel über die Schulter geworfen, mit kostbaren Juwelen
am Barett, dann bestieg er sein Pferd und ritt durch die ganze Stadt;
zu seiner Rechten hielt sich sein Oheim, der Erzbischof, zu seiner
Linken der mailändische Gesandte.
Das herzogliche Pferd trug eine weiBe Schabracke, imd ein
weiBer Federbusch nickte auf seinem Kopf. Vor der Kathedrale
machte der Herzog Halt, stieg vom Pferd, trat ins Heiligtum und
empfing dort den Treuschwur vom Richter der Savi, als Vertreter
des ferraresischen Volkes. Ins SchloB kam er zu FuB zurück,
da das Volk alter Sitte gemäB das herzogliche Pferd for^eführt
und den Baldachin in Stücke gerissen hatte, alles zum Andenken.
Diesmal vergaB Renata Frankreichs, sie erwartete ihren Gatten
in einer kostbaren, golddurchwebten Robe mit langen, geschlitzten,
zobelgefütterten Armein. Die Herzogin war von ihren sdiönsten
252 ZEHNTES KAPITEL
Damigellen und hundert der vornehmsten Frauen Ferraras um-
geben. Als Ercole in den Saal trat» warf sie sich ihm um den Hals»
sie umarmten sich und waren so gerührt» daB sie Tränen in den
Augen hatten. Doch waren dies nur vorübergehende Empfindungen,
nach dem Begräbnis des Vaters» bei dem eine ungeheure Pracht
entfaltet worden war» begann Ercole» den jetzt keinerlei äußerer
Zwang hinderte, einen scharfen Krieg gegen die Franzosen» die
ihm das Lebep vergifteten. Diesmal ohne Rücksichtnahme auf
Franz L» der ihn immer getäuscht» keine seiner Zusagen gehalten
und ihn mit einer Schar französischer Spione umgeben hatte«
Namentlich war es ihm darum zu tun» die Soubise los zu werden.
Ercole machte ihr zimi Vorwurf» daB sie seinen Ruf durch ihre
Klatschereien schädige» und nach Frankreich berichte» daB er seine
Frau schlecht behandle und keine französische Dienerschaft um
sie dulden wolle. Frau von Soubise wieder konnte sich bei Franz I.
über Ercoles schlechte Behandlung beklagen» sie müsse sogar
Zoll für die Kleider bezahlen» die sie aus Frankreich kommen lasse«
Tatsächlich erhob Ercole Zoll von Frau von Soubise» da die schlaue
Französin den Schmuggel in groBem MaBe betrieb» imd eine Un-
masse von Dingen aus Frankreich zum Verkauf einführte» unter der
Vorspiegelung» sie für ihren eigenen Bedarf zu verwenden. Frau
von Soubise fühlte sich durch diese Beschuldigung verletzt» sie be-
schlofi» Ferrara zu verlassen» aber als der Tag ihrer Abreise ge-
kommen war» blieb sie ruhig in Ferrara» namentlich da Ercole nach
Rom gehen muBte» um sich beim neuen Papst um die Investitur
von Ferrara zu bemühen» die Klemens VII. trotz des en^ifangenen
Geldes nicht bewilligt hatte. Paul IIL bUeb der PoUtik seines Vor-
gängers treu» er wollte Geld haben» aber dachte nicht daran» die
Investitur zu verleihen. Des Handelns mit dem Papst müde» verlieB
Ercole plötzlich Rom und ging nach Neapel» wo Karl V. sich auf-
hielt. Der Kaiser» der gleichfalls in Geldnöten war» empfing den
Herzog sehr liebenswürdig» da auch er Geld brauchte» und nach
kurzen Verhandlungen erteilte er ihm die Investitur für alle Länder»
die der Herzog besaß. Ercole wurde ungeheure Summen los» und
ein Teil des väterlichen Erbes floB diesmal nidit in den päpsÜiGhen»
sondern in den kaiserlichen Säckel. Rabelais» der am Hofe des
RENATA DI FRANCIA
253
Kardinals du Bellay in Rom war, schrieb damals nach Paris, „der
Herzog müsse die Taler hergeben, die er von seinem seligen Vater
geerbt, da ihn der Papst und der Kaiser nach Gutdünken rupfen'%
„le Pape et TEmpereur le phimeront 4 leur vouloir''. Ercole schloS
sich ganz dem Kaiser an, beschloS dessen Politik zu fördern und
mit den Franzosen zu brechen.
Während der Herzog ins kaiserliche Lager übergegangen war,
trieb Frau von Soubise auf eigne Faust Politik in Ferrara. Um
in Frankreich den Eindruck von Ercoles Reise nach Neapel ab-
zuschwächen, kam sie auf den Einfall, daß Renata nach Lyon,
wo sich Franz I. aufhielt, reisen sollte. Als Ercole in Rom von dieser
Intrigue erfuhr, ging er sofort nach Ferrara zurück, widersetzte
sich diesem Plan energisch, imd selbst Franz L überredende Briefe
nützten nichts. Ercole erwiderte schroff: „in Italien sei es Sitte,
daB die Mutter ihre Kinder hüte und sidi nicht auf Reisen be-
gebe, auSerdem könne die beschwerliche Reise nach Frankreich
über Berge und durch unruhige Länder Renatas schwacher Gesund-
heit schaden". Ercole zwang Frau von Soubise trotz Renatas
Widerspruch, sofort abzureisen; die intrigante Französin mußte
am 20. März 1536 die Stadt der Frösche und Mücken verlassen. Die
Herzogin beschenkte sie reichlich zum Abschied, ließ ihr eine be-
queme Sänfte bauen und schenkte ihr 3500 Lire in Bargeld.
Die erzwungene Trennung von der Soubise traf Renata tief,
sie zürnte ihrem Manne, verließ nach der Abreise der Gefährtin
längere Zeit ihre Gemächer nicht, wollte niemand sehen, und lebte
nur in der Gesellschaft der französischen Damen.
Die Abreise der Soubise befreite Ercole von den gefährlichen
Franzosen nicht, es war nicht so leidit, sie los zu werden, wie er
geglaubt hatte. Während der letzten Monate ihres Aufenthaltes
in Ferrara hatte Frau von Soubise mit Renatas Einwilligung den
Dichter Clement Marot eingeführt, der wegen der sogenannten
„affaire des Placards'* aus Frankreich hatte flüchten müssen. Im Ok-
tober des Jahres 1534 hatte man in Paris an den Mauern des Louvre
Plakate angebracht, in denen die Religion und die Messe verhöhnt
wurden; die Heretiker hatten sogar gewagt, diese Plakate in die
königlichen Zimmer in Blois zu werfen. Bfarot, der die Würde
254 ZEHNTES KAPITEL
eines ,yvalet de chambre du roi'' inne hatte» wurde verd&chtigt» zu
den Urhebern dieser Religionslfisterung zu gehören, und da der
Dichter dem Tod auf dem Holzstofi entrinnen wollte, verließ er
Paris in eiliger Flucht und verbarg sich bei der Königin von Navarra*
Aber Margaretha fürchtete, ihren Bruder Franz I. zu beleidigen und
gab dem Ketzer nur ungern Obdach. Gern folgte Blarot der Ein-
ladung der Soubise und kam nach Ferrara mit seinem fünfzehn-
jährigen Sohne, seinem Freund L#bn Jamet und einigen anderen
Literaten und Theologen, die als Ketzer aus der Heimat verbannt
waren.
Der erzkatholische estensisdie Hof wurde der Sammelpunkt
französischer Emigranten, die mit Luther im Einvernehmen standen,
gegen den Papst kämpften und den Unglauben verbreiteten. Ercole
wuSte nicht, wer Bfarot sei; er hielt ihn für einen Franzosen wie die
vielen anderen auch, die ihn ärgerten, und erst der ferraresische
Gesandte in Venedig warnte ihn' im August 1535 vor Marot, der
zu den Anhängern Luthers gehöre, aus Frankreich verbannt sei,
tmd „leicht nach Ferrara jene Seuche einschleppen könne, die
unser Herrgott nicht wünsche'^ Aber der Herzog fürchtete jene
transalpine Krankheit nicht, noch hatte er keine Vorstellung von
der Bedeutung der reformatorischen Bewegung, und so beschränkte
er sich 'darauf, Marot und seinen Gefährten das Versprechen ab*
zufordem, da8 sie in Ferrara als gute Christen leben würden. Der
Dichter versuchte gleich, sidi bei der Herzogin und bei Ercole durch
Gedichte einzuschmeicheln. Renata war seine gereimte Lobes-
epistel auf Ferrara gewidmet:
£n traversant ton pays plantureux,
Fertile en biens, en dames bien heureux,
Et bien semi de peuple obiyssant,
Le tien Marot (fille de Roy puissant)
S'est enhardy, voir et a protesti.
De saluer ta noble Majesti.
Marot war in Frankreich als Dichter ziemlich bekannt. In seinen
Gedichten sparte er den Weihrauch für die höfischen Schönen nicht;
er war klein und häSlich, aber fest davon überzeugt, daB alle Trauen
RENATA DI FRANCIA
255
ihn lieben, übrigens verstand er durch sein joviales und amüsantes
Wesen die Menschen für sich einzunehmen. In seiner Jugend hatte
er in Paris die Reize von Diane de Poitiers besungen, später hatte
er Margaretha, der Schwester Franz L, gehuldigt, die ihn am Hofe
untergebracht hatte; er nahm teil am italienischen Feldzug von
X525> geriet bei Pavia in Gefangenschaft tmd teilte das Los seines
Königs. In Frankreich wurde er nach seiner Rückkehr der Ketzerei
verdächtigt und gefangen genommen; Diane de Poitiers, die seine
Feindin geworden war, soll ihn angegeben haben; seinem Freunde,
Lyon Jamet, gelang es, ihn frei zu bekommen; bald schienen beide
dem Hofe gefährlich und mußten wegen der „Plakate'^ aus dem
Lande flüchten. Renata ernannte Marot zu ihrem Sekretär mit
einem Einkommen von 200 Lire jährlich. Aus Freude darüber,
schrieb er ein Epigramm. Er hatte auch alle Ursache zur Freude,
denn dieses Amt legte ihm keinerlei . Pflichten auf, und er wird
wohl während seiner ganzen Dienstzeit bei Renata keinen einzigen
Brief für sie geschrieben haben. Das erschien ihm wie den meisten
anderen Hofdichtem als etwas Selbstverständliches, denn für die
herzogliche „nourriture'* zeigten sie sich durch ihre „icriture"
erkenntlich. Marot verliebte sich in Ferrara in Frau de Pons,
und da er wenig Gegenliebe fand, wandte er seine Gefühle der ko-
ketten Renata zu, Frau von Soubises jüngerer Tochter. Die Frauen
hatten viel Sympathie für ihn, und er benützte diese Gelegenheit,
um ihnen seine religiösen Ideen einzuimpfen, deren Verbreitung
ihm sehr am Herzen lag. Namentlich bemühte er sich, die Herzogin
zu seinem Glauben zu bekehren, was ihm nicht schwer fiel, denn
sie glaubte an alles, was aus Frankreich kam, und die Entfremdung,
die zwischen ihr und Brcole eingetreten war, fesselte sie noch enger
an die Heimat. Renata war freier erzogen als Ercole und seine ganze
Umgebung; mit ihrem Mann konnte sie nicht über religiöse Dinge
sprechen, während sie Marot und den anderen Franzosen von ihren
Zweifeln sprach und den Papst und kirchliche Bräuche scharf
kritisierte. Sie war eine ernste Frau, hat sich von früh auf mit
Wissenschaften, namentlich mit Mathematik und Astrologie,
beschäftigt und ihr lebhafter Geist ergriff alle neuen Ideen mit großem
Eifer. Brantome erzählt in seiner „Vie des dames illustres^', daB
256 ZEHNTES KAPITEL
Renata gründlich über alle Wissenszweige, selbst über Astrologie»
sprechen konnte. In Paris hatte sie den Ferraresen Antonio Bra-
savola kennen gelernt, der dort estensischer Gesandter war, und in
einer groSen Versammlung von Gelehrten und anderem Publikum
hundert Thesen aus den verschiedensten Wissenszweigen ver-
teidigte. Allmählich wurde Renatas Hof ein ICittelpunkt für die
G^^ner des Katholizismus, und Marot fachte immer wieder die
Flamme an. Der Dichter war nicht Theologe wie Calvin oder
Luther, und es war ihm weniger lun philosophisch-theologische
Grundsätze als um Gewissensfreiheit zu tun. Sein Freiheits-
drang empörte sich gegen den Druck der Kirche, gegen die Ge-
lehrten der Pariser Sorbonne, die das Studium des Griechischen
imd Hebräischen verboten, aus Angst, die Kritik der Bibel imd der
Kirchenväter könne zur Heresie führen.
Est deffendu qu'on ne voyse allegant
Hebrieu ny Grec, ny Latin elegant
Disant que c'est langage d'heretiques.
Unmittelbar vor der Geburt von Renatas drittem Kind (x535)
widmet ihr Biarot ein kühnes Gedicht, indem er dem kommenden
Kinde ein schweres Leben prophezeit, denn es würde den Kampf
aufnehmen müssen, „contre ignorance et sa troupe insenste*^
Der Dichter widersetzte sich zwar dem Bündnis mit den deutschen
Protestanten und fühlte sich als Gegner Luthers, aber dafür war
er von Calvins Ideen erfüllt, die alle äußeren Formen der katho-
lischen Kirche bedrohten und die Messe ab heidnische Institution
verwarfen.
Die französischen Ketzer in Ferrara: Marot, Jamet, la Planche,
Comilau, Bouchefort, Pons, Boutiers konnten unmöglich der Auf-
merksamkeit der Geistlichkeit en^hen, die sowohl aus Ferrara
wie aus Bologna nach Rom von den beunruhigenden Versamm-
lungen an Renatas Hof berichtete. Einige Kardinäle schrieben
an Ercole, er müsse diesem Ärgernis ein Ende machen, da der
Papst wohl wisse, was in Ferrara vorgehe und nicht dulden könne,
daB gerade in dem Lande, das der römischen Kurie unterstünde,
der Kirche feindliche Ideen propagiert würden.
RENATA DI FRANCIA 257
III
Ferrara war seit jeher, soweit sein geistiges Leben in Frage
kami in Rom sdilecht angeschrieben. Auf der dortigen Universität
und imter den dortigen Gelehrten herrschte schon unter Ercole
und Alfonso L ein sehr liberaler Geist, und namentlich mathema-
tische und astrologische Studien standen dort in hohem Ansehen«
Audi aus dem Norden kamen viel Schüler; so war der Gedanken-
austausch zwischen Deutschland, Frankreich und der ferraresischen
Universität ein sehr reger.
Der Kardinal Ippolito hatte 1518 den berühmten deutschen
Astronom Jakob Ziegler aus Ungarn mitgebracht, und im Beginn
des Jahrhunderts hatte Kopemikus seinen Doktorgrad in Ferrara
erworben, damals als die Gedankenfreiheit der Renaissance all-
mählich zu Ende ging. Schon im Jahre 1521 befahl Alfonso in-
folge der Vorstellungen des Inquisitors von Bologna sämtliche
Druckereien und Buchhandlungen Ferraras daraufhin zu revidieren,
ob sie ketzerische Bücher vertrieben, und etwa zwanzig Jahre später
mufite Cecco d'Ascoli sein Forschen nach Naturgesetzen auf dem
Scheiterhaufen büßen. Wer weiB, ob nicht auch Kopemikus das
gleiche Schicksal ereilt hätte, wenn er sein Buch nicht Paul IIL,
•dessen Namen Schutz genug war, gewidmet hätte. Aber in diesen
letzten Augenblicken der Gedankenfreiheit gärte es gewaltig unter
den Geistern; Pietro Pomponazzi, ein berühmter Philosoph, der erst
in Bologna, dann bis 1510 an der Universität in Ferrara gelesen
hat, leugnete die Unsterblichkeit der Seele. Der ferraresische
Professor und bekannte Gelehrte Celio Calcagnini verteidigte seine
berühmten Thesen von der Bewegung der Erde, zu denen ihm, wie
es scheint, die Kunde von Kopemikus' Feststellung verhelfen hat^).
^) Nach der Annahme von L. A. Birkenmajer in seinem gnindlegenden
Werk „Nikolaj Kopemik" hafc Calcagnini entweder 15x8, während seines
Aufenthaltes in Ungarn und Krakau, oder 15x9 auf setner Rückreise nach
Itialien von Kopemikus' Entdeckungen durch den gelehrten Arzt Solfa er«
fahren und später seine Kenntnisse in seinen Vorträgen in Ferrara ver-
wertet, sowie in der Abhandlung, die er Pistoülo unter dem Titd gewidmet
hat: „Quod coelum stet, terra autem moveatur, vel de perenni motu
terrae commutatio".
17
258 ZEHNTES KAPITEL
Der Ruhm der ferraresbchen Universität, als Mittelpunkt für
mathematische tmd astronomische Studien» war so grofi» daß Paul III.,
als er die Kalenderreform begann, die erst unter Gregor XIIL
ihren Abschluß fand, zu den Gelehrten, die sich mit der Lösung dieser
Frage beschäftigten, auch einen Ferraresen, Insoni, berief.
Auch Renata beschäftigten diese Studien; da sie ihre astrolo-
gischen Kenntnisse als ungenügend empfand, bat sie Lukas Gaurico,
einen neapolitanischen Gelehrten, der an der Universität in Ferrara
dozierte, sie in die geheimsten Geheimnisse seiner Wissenschaft
einzuführen, Gauricos astrologische Prophezeiungen waren be-
rühmt, doch mußte er gelegentlich für seine Kenntnisse büßen;
so hatte Bentivoglio ihm für sein ungünstig lautendes Horoskop
Rutenstreiche verabreichen lassen. Auch ein anderer, sehr revo-
lutionär gesinnter Universitätsprofessor, Palingenio Stellato (Man-
zolli), stand in Renatas Gunst; in Rom erregte es großes Ärgernis^
als dieser Gelehrte Renata sein Buch „Zodiacus vitae" widmete^
denn er sprach über das Mönchstum in imflätigsten Ausdrücken,
nannte den Papst einen Heiden und Luther den Rächer des Glaubens.
Daß Renata Bücher dieser Art mit einer gewissen Vorliebe durch-
gesehen hat, beweist ihre „Livre d'heures'S die sich heute in der
Bibliothek von Modena befindet. Eine der Miniaturen zeigt einen
Kardinal, der mit dem Papst Karten spielt, während die Mönche
sich beim Würfelspiel ergötzen. Im Hintergrund züngeln Flammen
aus dem Boden tmd ergreifen eine reich geschmückte Kirche; auf
dem Boden liegt eine Uhr, die die letzte Stimde zeigt: das Ende der
Zeiten.
Renatas Beziehungen zu den Feinden der Kirdie mußten
auffallen und bereiteten Ercole sicher Sorge genug.
IV
Frau Soubise, Frau Pons und Marot glaubten, daß Renata bereits^
genügend vom Geist der Reformation erfüllt imd daher der Zeit-
punkt gekonunen sei, um Calvin nach Ferrara zu rufen. Sie standen
in geheimer Verbindung mit ihm und glaubten seine Wirksamkeit
RENATA DI FRANCIA 259
in Italien jetzt in gröBerem Umfang einleiten zu können. Calvin
hatte seine berühmte Abhandlimg »»Christianae religionis insti-
tutio'^ soeben veröffentlicht und sich in der Einleitung an den König
von Frankreich gewandt» den er davon überzeugen wollte, daB er
in der Verfolgung der kirchlichen Reformatoren Irrwege gehe.
Sein Einfluß in der Schweiz, in Savoyen und Frankreich wuchs
mit jedem Tage, immer mehr Jünger scharten sich um den neuen
Apostel* Nach Ferrara kam er mit einem seiner treuesten An-
hinger, dem Kanonikus Tillet, und lebte dort unter fremdem
Namen, um in der Stille wirken zu können. Renata empfing ihn
insgeheim, nachts, versah ihn mit Geld und fafite in längeren
Unterredimgen ein solches Vertrauen zu ihm, dafi sie seitdem für
immer imter seinem Einfluß bUeb.
Calvins Anhänger befolgten die Taktik, in den Ortschaften, wo
de mehrere Freimde zählten, während der großen Kirchenfeste,
namentlich in der Charwoche und an den Ostertagen üi die Kirchen
zu dringen. In der allgemeinen Verwirrung zertrümmerten sie die
Kirchengeräte, imd wenn die Bevölkenmg, die in der Hauptsache
schon vorher gewonnen war, keinen Widerstand leistete, wurde
der neue Kult sofort eingeführt.
Gelang der Überfall nicht, so flüchteten die Sektierer, häufig
nicht ohne empfindliche Verluste.
Calvins ferraresische Freimde scheinen den Augenblick schon
für geeignet gehalten zu haben, um ein^n Überfall in der Kirche
zu wagen imd die allgemeine Verwirrung zu benützen. Am Charf rei-
tag, während die „Fassionen" in einer der Hauptkirchen gesimgen
wurden und der Priester den versammelten Gläubigen das Kreuz
zum Kusse reichte, begann ein junger Franzose, Gianetto, den
Marot mitgebracht hatte, laut gegen „ein solches Heidentum"
zu lästern. Dann verließ er demonstrativ die Kirche. Ob es infolge-
dessen zu einem weiteren Vorstoß gekommen ist, wissen wir nicht.
Crianetto war Hofsänger und führte ein sehr unsittliches Leben, so
daß man ihn schon wiederholt aus Ferrara hatte entfernen wollen,
aber auf Renatas Fürsprache war er im Dienst geblieben.
Nach dem Ärgernis in der Kirche ließ der Herzog Gianetto
sofort gefangen nehmen, und da sich der Inquisitor in die An-
17*
26o ZEHNTES KAPITEL
gelegenheit mischte, wurde er am zweiten Ostertag auf die Folter
gelegt, da man wissen wollte, ob er Mitschuldige habe. Gianetto
nannte einige von Renatas Höflingen; als man sie gefangen nehmen
wollte, verschanzten sie sich dahinter, dafi sie Untertanen des fran-
zösischen Königs seien, aber sie erkannten selbst, dafi diese Aus-
rede wenig fruchten würde imd flüchteten aus Ferrara, vermut-
lich auf den Rat von Persönlichkeiten, die der Herzogin nahe
standen. Damit war der Vorfall nicht erledigt, Gianetto bot den
Anlafi zu einer sehr lebhaften diplomatischen Aktion. Renata
nahm sich seiner sehr warm an, schickte Boten an Franz I. nach
Lyon, an die Königin von Navarra, an den französischen Gesandten
nach Venedig imd verlangte, dafi man sich des Gefangenen an-
nehme; Ercole dagegen schickte einen Bericht nach Rom. Infolge
von Renatas Einmischimg verlangte der französische Gresandte
in Venedig die Herausgabe des Gefangenen als eines französischen
Untertanen, aber der Herzog lehnte sehr kühl ab imd übergab die
ganze Angelegenheit dem Inquisitor. Dem Inquisitor genügte
Gianettos Gefangennahme nicht; er verlangte, dafi auch Jean
Bouchefort, ein Geistlicher aus Tournay, einer von Renatas treue-
sten Höflingen und spaterer Sekretär, und Jean Comilau, ihr Lieb-
lingsdiener, den sie nach Ferrara mitgebracht hatte, eingezogen
würden.
Infolge dieser Einsperrungen kam es zum offenen Krieg zwischen
dem Herzog und Renata. Er verlangte die Bestrafung der Schul-
digen, sie setzte mit der ganzen Hartnäckigkeit und Leidenschaft-
lichkeit der Bretonin Frankreich und Rom in Bewegung, um ihre
Getreuen, als französische Untertanen, frei zu bekommen. Ercole
hätte die Gelegenheit gern benutzt, um Frau Föns in die ganze
Sache zu verwickeln und sie aus Ferrara fortzubekonunen. Er
schrieb dem König, „die Tochter wäre ärger als die Mutter, die
Soubise, sie habe diesen ganzen Auftritt in der Kirche veranlafif^;
aber alle Klagen waren vergebens, der König wünschte, dafi sie
bei Renata bleibe. Die Intriguen und Schreibereien zwischen Frank-
reich und Ferrara währten lange genug und hätten das Verhältnis
des Herzogs zu Renata noch mehr verschärft, wenn nicht glück-
licherweise der Haupturheber, auf dem während des Prozesses
RENATA DI FRANCIA 26X
die ganze Verantwortung ruhte, unterwegs entflohen wäre, als er
unter militärischer Eskorte aus Ferrara vor das Inquisitionstribunal
nach Bologna gebracht wurde. Aller Wahrscheinlichkeit nach
haben ihm die Soldaten selbst zur Flucht verholfen, und hinter
den Soldaten stand Renatas Geld. Der Name dieses Rädelsführers
der Ketzer wurde in den Akten der Inquisition so durchgestrichen,
daß man ihn nicht lesen kann; man weiB nur, daß es eine be*
deutende imd gefährliche Persönlichkeit war. Die Historiker, die
diese Prozeßakten durchforscht haben, nehmen an, der Gefangene
sei entweder Calvin selbst oder Marot oder der Kanonikus Tillet
gewesen; wahrscheinlich aber Calvin.
Nach der Flucht des Hauptschuldigen verlor der Prozeß viel
von seiner Bedeutung, und da Rom mit Rücksicht auf den König
von Frankreich milde gegen die Gefangenen verfahren wollte,
wurden sie dem französischen Gesandten in Venedig imter der
Bedit^;ung ausgeliefert, daß sie nicht mehr nach Ferrara konmien
dürften. Infolgedessen blieb an Renatas Hof von einflußreichen
Franzosen nur das Ehepaar de Pons zurück — doch genügte dies
für weitere Intriguen.
Von besonderem Interesse in diesem Prozeß ist das Geständnis
eines Franziskaners, der an einer nächtlichen Zusammenkunft
in Renatas Gemächern teilgenommen hat. Ein kleiner, unschöner
Franzose, „im Gallo di bassa statura^', sei leidenschaftlich gegen
die päpstliche Übermacht aufgetreten und habe an verschiedenen
Glaubenssätzen Kritik geübt. Der Franziskaner kannte den
Namen jenes Franzosen nicht, wahrscheinlich war es Calvin selbst,
der nach der Schilderung der Zeitgenossen klein und mager war,
eine olivenfarbene Gesichtsfarbe und schwarzes Haar hatte.
Er soll imgewöhnlich lebhaft, schlagfertig und logisch in seinen
Folgerungen gewesen sein; hinter einer angenonmienen Ruhe ver-
suchte er die leidenschaftlichen Stürme, die in ihm tobten, zu
verbergen.
Unter Renatas Schutz fanden also in Ferrara, am herzc^-
Uchen Hofe, Versammlungen der Reformierten statt; wahrschein*
lieb versuchte man sogar die Klöster zu gewinnen, wenn selbst
ein Franziskaner dazu eingeladen wurde.
262 ZEHNTES KAPITEL
Um jene Zeit kam Vittoria Colomia nach Ferrara* Ihr Gatte,
der Marchese de Pescara, einer der besten Heerführer Karls V.,
der Sieger in der Schlacht bei Pavia, war 1525 an einer in dieser
Schlacht erhaltenen Wunde gestorben, und die ungewöhnliche
Frau gab sich seitdem religiösen Betrachtungen hin. Franz von
Assisi war ihr Ideal, ihre poetische Seele wurde von dieser schönsten
Gestalt der religiösen Renaissance angezogen* Die Markgräfin hätte
sich am liebsten in ein Kloster zurückgezogen, aber ihre Familien-
verhältnisse, ihre Stellimg innerhalb der Gesellschaft zwangen
sie an der großen religiösen Bewegung teilzunehmen, die nach dem
Sacco di Roma ganz Italien ergriffen hatte. Sie lebte wie eine
Asketin imd kasteite sich in einem solchen Grade, daB ihre Freunde
um ihre Gesundheit besorgt waren. Sie hatte sich zuerst in das
Kloster S. Silvestro in Capite zu Rom zurückgezogen, aber ihre
Sehnsucht nach Ischia, wo sie die schönste Zeit ihrer Jugend ver-
bracht hatte, war zu stark. Der Gedanke einer Kirchenreform be-
schäftigte sie unablässig. Die katholische Kirche war damals noch
nicht in jenen eisernen, unbeweglichen Rahmen gespannt, den ihr
bald darauf das Tridentiner Konzil angelegt hat, imd Erörterungen
über Glaubensartikel imd kirchliche Institutionen waren nichts
Ungewöhnliches; die Kirche war schmiegsam und hatte mehr
als eine Reform durchgemacht. Die Notwendigkeit gewisser Re-
formen in der Kirche laut zu betonen, galt noch nicht als höchste
Ketzerei. In der italienischen Gesellschaft kam niemand auf den
Gedanken, das Papsttum zu stürzen und den Katholizismus zu
reformieren, man strebte nur nach einer Umgestaltung der Ver-
hältnisse. Das gemeinsame Interesse für diese Fragen brachte die
Markgräfin Menschen näher, die aus ganzer Seele nach diesem
Ziel strebten; es war jener kleine Kreis von Reformatoren» der sich
um Juan de Valdes scharte. Vittoria Colonna hat wohl kaum
angenommen, dafi Valdes zu Luthers heißesten Anhängern gehörte,
und seine Lehren nur der italienischen Gesellschaft wegen in milderer
Form bringen mußte. Valdes war Spanier, ein sehr geschickter
und hochgebildeter Mann, der Bruder jenes Alfonso de Valdes,
RENATA DI FRANCIA 263
der 1530 als Sekretär Karls V. beim Reichstag in Augsburg Me-
lanchthon kennen gelernt hatte* Nach dem Tode des Bruders wurde
Juan zu Karls V. Sekretär ernannt, er begleitete den kaiserlichen
Hof nach Bologna, war später der politische Korrespondent des
Kardinals Gonzaga und in der gleichen Mission in Neapel tätig.
AuBer Vittoria Colonna gehörten zu Valdes' Anhängerinnen
noch ihre Schwägerin Costanza d'Ayalos, die Herzogin von Amalfi,
und die schöne Giulia Gonzaga, die der berüchtigte Korsare Chai-
reddin Barbarossa im Schloß zu Fondi überfallen hatte, um sie zu
entführen* Giulia wurde noch rechtzeitig von ihrer Dienerschaft
gewarnt) und es gelang ihr, sich durch die Flucht zu retten. Mit
zweiundzwanzig Jahren war sie Schülerin von Valdes und ent-
zückte alle durch ihre Anmut so sehr, daß der Reformator, der gegen
Frauenschönheit nicht unempfindlich war, bedauerte, daß nicht
die schöne Giulia an Stelle von Kaisem und Königen die Welt
beherrsche. Für sie schrieb er 1536 das „Alfabeto christiano"; diese
Abhandlung gibt eine Vorstellung vom reformatorischen Geist,
der in dieser neapolitanischen Kolonie herrschte. Damals predigte
in S. Giovanni Maggiore der Kapuziner Bemardo Ochino aus Siena,
der die ganze Stadt so sehr durch seine Beredsamkeit entflanunte,
daß selbst Karl V. seinen Lehren lauschte. Ochinos Predigt hat
Giulia in ihrem Innersten aufgewühlt, religiöse Zweifel und Fragen
in ihr geweckt, sie bat daher Valdes, ihr einen Weg zu zeigen,
um ihr moralisches Gleichgewicht wiederzufinden. Der Spanier
paßte sich seiner schönen Schülerin an; er schrieb ihr zehn Regeln
über Gottes- und Nächstenliebe auf, die nicht von den Hauptpunkten
der katholischen Religion abwichen, empfahl ihr fleißig zur Messe
zu gehen, die heilige Schrift zu lesen und sich nicht mit jenen Lehren
zu beschäftigen, die Unwesentliches philosophisch zergliedern.
Zu Valdes' Freunden gehörte femer Isabella Manriquez und
einige Mönche wie der Augustiner Pietro Vermigli, der Bilinorit
Giovanni Mollio und der apostolische Protonotar Pietro Came-
secchi; ihre Versammlungen fanden entweder statt in Valdes'
Wohnung in Neapel oder in Caserta oder in Vittoria Colonnas Villa
auf Ischia. Die Gruppe dieser neapolitanischen Pietisten stand
den römischen Gefährten del Divino amore nahe, die sich auch nur
264 ZEHNTES KAPITEU
nach einer Reform der Kirche sehnten, nach wahrer Religiosität
strebten und nicht an der Grundlage der römisch-katholischen
Religion rütteln wollten«
Valdes und Ochino hatten das religiöse Leben in Neapel bis
zu dem Grade erweckt, daB Falengo, ein Benediktiner aus Monte
Cassino, der sich damals dort aufhielt, seinen Brüdern berichtete,
er sei Zeuge einer wahrhaft wunderbaren Bewegung: Frauen, die mehr
zu Nichtigkeiten als zu tiefem Grübeln neigen, Männer aus dem
Volke, ja selbst Soldaten, stünden in dem Maße imter dem EinfluB
des Erf orschens göttlicher Geheimnisse, dafi sie von nichts anderem
sprächen als nur von der Reform des christlichen Lebens. Demütig
gestand der Benediktiner, in ganz Kampanien gäbe es keinen
Prediger, der nicht von neapolitanischen Frauen belehrt werden
könne.
Diese Kreise waren auf einen sehr hohen Ton gestinmit, die
Frauen gaben ihm einen gewissen mystisch-poetischen Charakter;
nicht Kampf mit dem Papsttum war ihr Ziel, sondern eine Reform
des christlichen Geistes und eine Verbesserung der Gesellschaft
durch die wahre Gottes- und Menschenliebe. Cätherina Cibo,
Innozenz' VIIL Enkelin, lernte Hebräisch, imi die heiligen Bücher im
Original lesen und tiefer in den Geist christlicher Liebe eindringen
zu können. Diese Stimmung fand ihren Niederschlag inVittoria
Colonnas moralischen Gedichten.
Ahnliche Ideen haben die kleine Franziskaner-Gruppe in Ca-
merino beherrscht; an ihrer Spitze standen zwei Mönche Matteo
di Basdo und Lodovico da Fossombrone. Während einer Seuche,
die in furchtbarster Weise in dieser kleinen Stadt van sich griff,
gewissermaßen angesichts des Todes, gründeten sie einen Kapu-
zinerorden, einen Orden reiner Sitten, der sie zu den Vorschriften
▼on San Francesco zurückführen sollte, von denen sich die Kon-
▼entualen so gut wie die Obsenranten sehr entfernt hatten. Die
alten Franziskaner- Orden begannen einen gehässigen Kampf
gegen die neue Verbrüderung, verfolgten sie wo immer sie konnten
und intriguierten gegen sie in Rom« Aber den Kapuzinern kamen
die Frauen zu Hilfe, namentlich Cätherina Cibo und Wttoria Co-
lonna, die ihre mystischen Neigimgen hier bestätigt fühlten. Ohne
RENATA DI FRANCIA 265
ihre Hilfe hätte sich der Orden der Kapuziner nicht entwickelt,
denn die ihm feindlichen Kongregationen hatten ihn schon in Rom
als schädliche Sekte angeschwärzt, und der Papst hatte befohlen,
ihn aus der Hauptstadt zu yer jagen. Die Cibo und die Colonna ver-
teidigten die Kapuziner so energisch, daß der Papst ihnen die Rück*
kehr gestattete; der Kampf war hart, denn sie hatten einen mächtigen
Gegner im Kardinal Santa Croce, dem energischen Protektor der
Obsenranten. Auch Bemardo Ochino, der zuerst zu den Obser-
vanten gehört hatte, trat 1534 dem neuen Orden bei und wurde
zum Generalvikar ernannt*
Als ^nttoria Colonna das Schicksal der Kapuziner, von denen
sie sich eine segensreiche Wirkung auf die italienische Gesellschaft
versprach, gesichert sah, beschloß sie einen alten Wunsch aus-
zuführen und eine Wallfahrt ins Gelobte Land oder zum mindesten
zum heiligen Jakob von Compostella anzutreten. Zu diesem Zwecke
erhielt sie von Rom die Erlaubnis mit vierzehn Gefährtinnen imd
dem Kapuziner Girolamo da Montepuldano imterwegs in Klöstern
einzukehren, dort zu wohnen und mit Nonnen zu verkehren. Eine
solche Erlaubnis wurde von Rom im Anfang des XVI. Jahrhunderts
nur sehr bekannten Persönlichkeiten gegeben. Sie nahm nur sechs
Gefährtinnen mit und machte auf ihrer Reise nach Venedig, von
Ercole dringend aufgefordert, auch in Ferrara Station; in Venedig
wollte sie sich nach Jerusalem einschiffen. Anstatt Girolamo
da Montepuldanos schien sie Ochino mitnehmen zu wollen, da
Bernardo bald nach ihr in Ferrara eintraf. Vittorias Gestmdheit
war erschüttert, und die weite Wallfahrt wurde zur Unmöglich-
keit. Sie blieb deshalb längere Zeit in Ferrara und schloß sich
an Renata an, die damals ein Kind erwartete. Häufig besuchte
sie ohne jegliche Etikette im Morgenkleid, „in habito molto volgare",
die Herzogin und führte lange Gespräche mit ihr. Der Alters-
imterschied der beiden Frauen war nicht sehr groß. Vittoria Colonna
war vierzig Jahre alt, Renata siebenundzwanzig, ein gegenseitiges
sich Verstehen war also nicht ausgeschlossen. Ercole befand sich
damals in Venedig; er war schon im Januar zum Karneval mit sehr
großem Gefolge aufgebrochen, und hatte nicht weniger als acht-
hundert ferraresische Adlige mitgenommen. Er verlebte eine so
266 ZEHNTES KAPITEL
genußreiche Zeit, dafi er erst am 4. März wieder in Ferrara war.
Am 17. Juni schenkte Renata einer Tochter das Leben. Vittoria
Colonna hielt sie zur Taufe. Die Gesellschaft philosophierender
Frauen, wie Renata und Vittoria, hatte wenig Reiz für Ercole.
Er verUeB Ferrara sehr bald wieder und ging in die Romagna, wo
er seinen Freimd Pier Luigi Farnese traf.
Zwei Frauen, ihrer Veranlagimg und ihren religiösen Vor-
stellungen nach so verschieden wie Renata und Vittoria, zwei
verschiedene reformatorische Strömungen vertretend, standen ein-
ander jetzt in Ferrara gegenüber. Renata, Calvins Schülerin, die
unter dem frischen Eindruck seiner Lehre stand, war die scharf
denkende, wissenschaftlich begabte Nordländerin, die an die Kirche
eher kritisch als gläubig herantrat — für die phantasiebegabte
heifi empfindende Vittoria entsprang Religiosität einem Herzens-
bedürfnis. Diese Frauen konnten eine gewisse Zeit zueinander
in einem näheren Verhältnis stehen, sie konnten sich sogar Freund-
schaftsbeweise geben, aber nur solange sie sich nicht davon über-
zeugt hatten, daß eine Vereinigung ihrer Ideale unmöglich war.
Vittoria Colonna scheint sich namentlich deshalb längere Zeit
in Ferrara aufgehalten zu haben, um eine Zufluchtsstätte für die
Kapuziner zu finden. Sie erwirkte Ochino die Erlaubnis, im Advent
vor dem gesamten Hof zu predigen. Diese Predigten machten einen
großen Eindruck im Volk, der Kapuziner riß seine Hörer durch
seine ungewöhnliche Beredsamkeit fort; er erschütterte die Gremüter,
wenn er gegen den Luxus der Geistlichkeit eiferte, Reinheit der
Sitten empfahl und die prunkvolle Zurschaustellung im Gottesdienst
verurteilte.
Unter Ochinos Hörerixmen befand sich auch die berühmte Hetäre
und Dichterin, Tullia d' Aragona, der zwar die Beredsamkeit des großen
Kanzelredners sehr nahe ging, die aber ihren lockeren Lebens-
wandel deswegen nicht aufgab. Glücklicher in der Beziehung
war ein anderer Prediger, ein Mönch aus Nuvolara, der einige
Monate nach Ochino in Ferrara predigte, und soviel Kurtisanen
auf den Weg der Tugend brachte, daß er am x. April eine fronune
Prozession, die nur aus Magdalenen bestand, veranstalten konnte.
Es erregte dies besondere Heiterkeit in der Stadt.
RENATA DI PRANCIA 267
Ercoles Umgebung war jenen, die Bescheidenheit und Ein-
fachheit der Sitten predigten, nicht sehr gewogen; nur mit vieler
Mühe gelang es Vittoria, den Herzog zu bewegen, Ochino ein kleines
Häuschen in der Vorstadt anzuweisen, damit er einen Zufluchtsort
für seine Kapuziner-Kolonie habe. Nach zehnmonatlichem Aufent-
halt yerlieB ^ttoria Colonna Ferrara am 22* Februar 1538; sie
scheint Renatas Überzeugung imd ihre Ziele richtig erkannt zu
haben, denn ihr Verhältnis zur Herzogin wurde so kühl, dafi sie ihr
nicht einmal geschrieben hat.
Ochino begründete eine Kapuziner- Kolonie in Ferrara; beseelt vom
Verlangen, seine religiöse Überzeugung zu verbreiten, ging er 1538
nach Pisa, Florenz und Lucca und 1539 nach Venedig.
VI
Unterdessen erregten die reformatorischen Bestrebungen, in
deren Zeichen Italien stand, in Rom immer stärkere Unruhe,
trotzdem war die dortige Geistlichkeit zu sehr die alten bequemen Zu-
stände gewohnt und glaubte auch zu sehr an die Macht der Kirche,
um sich zu einer energischen, gut organisierten Aktion aufzuraffen.
Noch unter Hadrian VI. waren 1523 etwa sechzig ernsthafte Prälaten
wie Criberti, Sadoleto, Luigi Lippomano, Caraffa, Giuliano Datt u. a.
zusammengetreten und hatten unter demNamen „OratoriodelDivino
Amore^^ eine Vereinigung begründet, um kirchliche Reformen durch-
zuführen und das sittliche Niveau der Geistlichkeit zu heben. Die
Mitglieder dieser Vereinigimg verpflichteten sich zu Gebeten in
der Kirche, zu Wallfahrten nach heiligen Orten, zur exakten Er-
füllimg der Pflichten, die die Religion den Gläubigen vorschreib^.
Neben dem Kirchlein Santa Dorotea di Trastevere, wo der Legende
nach der Apostel Petrus seinen Märtyrertod erlitten haben soll,
hatten sie in der Pfarrei ihre Versammlungen« Dieses Oratorium
diente anderen Städten als Vorbild, und bald entstanden mehrere
derartige Vereinigungen in Italien. Das römische Oratorium be-
stand aber nicht lange, es scheint im Sacco di Roma unter-
g^angen zu sein. Außerdem hatten seine BCitglieder zu per-
268 ZEHNTES KAPITEL
sdnliche Ziele im Auge, um eine wirklich erfolgreiche Tätigkeit
zu entwickeln*
Als Paul IIL 1536 zum Papst cämannt worden war, berief er
einige berühmte Männer wie Contarini, Caraffa, Sadoleto, Polo,
damit sie eine kirchliche Reform in Angriff nähmen. Aber Pauls IIL
Reformen bestanden nur auf dem Papier; der Papst war ein
großer Diplomat, dem die Interessen seines Geschlechtes allein am
Herzen lagen, andererseits bestand unter den Kardinälen zu viel
gegenseitiger Hafi, als dafi es zu einem energischen, wirksamen
Vorstoß gekommen wäre. Alle Reformen wurden bis zum
nächsten Konzil verschoben, und das Konzil verlief ergebnislos.
Im Kardinalskollegium verlangte es nur Giovanni Pietro Caraffa
ernsthaft nach Taten, mit eisernem Zügel wollte er das kirchliche
Regiment leiten, imd in einem rücksichtslosen, despotischen
Vorgehen der römischen Kurie sah er die alleinige Rettung. Sein
Ziel war, die geistliche Macht zu erweitem, die Ketzer mit den
grausamsten Mitteln zu vernichten, die kirchliche Hierarchie von
imsittlichen Elementen zu säubern und strenge Zucht unter der
Geistlichkeit einzuführen — ein Wiederanknüpfen an Gregors VII.
#
strenge Reformen. Caraffa stammte von einem erzkatholischen
Adelsgeschlecht in Neapel ab, das die Reliquien des heiligen Ja»
nuarius nach Neapel gebracht tmd die kostbare Kapelle, Tesoro
Vecchio, errichtet hatte, die bis auf den heutigen Tag gewisser-
maßen das Symbol des neapolitanischen Glaubens ist. Das Erz»
bistum Neapel war eine fast erbliche Würde in der Familie Caraffa,
imd Giovanni Pietro war schon als Kind für den geistlichen Stand
bestimmt. Die geistige Veranlagung des jungen Neapolitaners
stimmte vollkommen zum Lebensziel, das ihm vorgeschrieben war.
Mit Energie und Leidenschaft widmete er sich der Kirche imd be»
gründete noch in jtmgen Jahren den aristokratischen Theatiner-
tuA^n, der gewissermaßen ein Bündnis der reformierten Geistlichen
sein sollte. Aber Caraffas Fähigkeiten und seine Herkunft be-
riefen ihn zu höheren Dingen. Eine Zeit hindurch nahm er teil
am lateranensischen Konzil, dann schickte ihn die römische Kurie
als ihren Legaten nach England, später gehörte er dem Rate des
spanischen Ferdinand an imd wahrte dort durchaus patriotisch»
RENATA DI FRANCIA 269
italienische, besonders neapolitanische Interessen gegenüber der
fremden Dynastie. Seine kirchliche Würde schätzte er so hoch»
daBy als man ihm einst befahl, mit dem Anfang der Messe auf den
noch jungen Karl V. zu warten, er schroff zur Antwort gab, im
heiligen Ornat auf niemand warten zu können« Er haßte die Spanier
m
als echter Sohn des von ihnen bedrängten Neapels, nannte sie ein
heidnisches, unchristliches Volk, ein Mischprodukt von Mauren imd
Juden, was übrigens gar nicht so falsch war, da die höheren
spanischen Klassen zum großen Teil sogenannte Maranen, ge-
taufte Juden oder Nachkommen der südlichen Mauren waren.
Trotzdem war Caraffa in vielen Dingen von spanischem Geist er-
füllt; die religiöse Intoleranz, die die spanischen Neoph]rten c}ia-
rakterisiert, war auch ihm eigen. Aus Spanien hatte Caraffa den
Glauben an die Wirksamkeit der Inquisition mitgebracht, die sich
dort zu einer Volksinstitution ausgebildet hatte, zu einer zweiten
Regierung neben der königlichen — vielleicht mächtiger als jene.
Als Caraffa nach Italien zurückkam und eine hohe kirchliche
Stellung einnahm, ging sein Hauptstreben danach, die italienische
Inquisition zu reformieren. Sie war in den Händen der Bettel-
mönche, namentlich in denen der Franziskaner, im Laufe des XIV.
und XV. Jahrhtmderts zu einer unbedeutenden kirchlichen In-
stitution ohne jeden Einfluß zusammengeschrumpft. In Venedig
imd Neapel war sie mehr das Werkzeug der Regierung als der Kirche,
in Florenz kümmerte sich kein Mensch um sie. Trotzdem beob-
achtete Klemens VII. Caraffas Bestrebimgen mit einem gewissen
Mißtrauen, vielleicht fürchtete er, es sei dem Kardinal darum
zu tim, die päpstliche Macht einzuschränken; aber auch das Kardinal-
kollegium traute dem einflußgierigen Neapolitaner nicht ganz.
Nach langen Kämpfen innerhalb der römischen Kurie führte Caraffa
seine Absichten schließlich im Jahre 1542 durch, obgleich auch
der damalige Papst Paul III. sich lange gegen den verstärkten
Einfluß der Inquisition gesträubt hat, aus Furcht, diese Institution
könne allmählich selbst dem Papsttum unbequem werden. Fast
gegen seine Überzeugung gab der Papst nach imd unterschrieb die
Bulle „Licet ab initio'S die das „Heilige Offidiun der Inquisition''
in Rom einführte und dieser Institution eine unerhörte Macht-
270 ZEHNTES KAPITEL
befugnis übertrug. Sie durfte nicht nur die der Häresie Über»
führten, sondern auch die Verdächtigen gefangen nehmen, richten
und strafen, ohne Rücksicht auf die Stellung der Schuldigen, selbst
wenn es die höchsten kirchlichen Würdenträger waren* Bekannt
sind Monforts Worte, der nach der furchtbaren Vernichtung der
Albigenser, der Schuldigen und Unschuldigen, gesagt hat: „Alle
sind untergegangen, Gott wird die Seinen wählen/' Dieser Grund-
satz bewußter Ungerechtigkeit ward aufs neue lebendig. Der
Inquisitor war durch kein Gesetz gebunden, er durfte in guter oder
böser Absicht menschliche Herzen durchforschen, ohne dafi ihm
irgend eine Schranke gesetzt war, ohne irgendwelche moralische
Kontrolle* Wenn er geirrt, ein ungerechtes Urteil gefällt hatte —
„Gott würde die Seinen auserwählen'S ihnen im Himmel den iw-
schuldigen Tod auf dem Scheiterhaufen lohnen. Alle im Straf-
verfahren von der Antike ererbten Grundsätze, Beschlüsse und Vor-
schriften gerieten angesichts der rücksichtslosen Selbstherrlichkeit
des Inquisitors ins Schwanken, die Rechtsbegriffe verwischten
sich für lange Zeit.
Das Sant' Officio bestand aus sechs Kardinälen, die dem
Papst unterstanden; unter den Kardinälen befanden sich: Caraffa»
Cervino, Ghisleri, die drei späteren Päpste. Das furchtbare Tribunal
beschloß die Erörtenmg religiöser Dinge zu verbieten und den
bekannten Predigern die über die Notwendigkeit kirchlicher
Reformen sprachen, den Mund zu verschUeBen. Das erste oder
jedenfalls eines der ersten Opfer der Inquisition sollte Ochino
werden, der tmter Berufung auf den klösterlichen Gehorsam nach
Rom zitiert wurde. Ochino hatte gerade seine berühmten Predigten
in Venedig gehalten, die dem päpstlichen Ntmtius sehr mißfallen
hatten. Der Kapuziner gehorcht zuerst der Auffordenmg, aber
auf dem Wege nach Rom, in Florenz, widerrieten ihm die Freimde
entschieden die weitere Reise, da sie voraussahen, daß das Sant'
Officio ihn entweder auf den Scheiterhaufen verbrennen oder zum
mindesten lebenslänglich einkerkern würde. Obgleich Ochino
fast sechsundfünfzig Jahre zählte, und die Trennung von der Heimat
ihm schwer fiel, beschloß er sich durch die Flucht über die Alpen
zu retten. Der Mönch Don Pietro Martire und Caterina Cibo gaben
RENATA DI FRANCIA 271
ihm Geld, und Ascanio Colonna» Vittorias Bruder, schenkte ihm
ein Pferd, damit er möglichst schnell ans Italien flüchten könne.
Und schon war es höchste Zeit, denn als Ochino Florenz heimlich
verlassen hatte, umstellten die Büttel der Inquisition das Kloster
Osservanza bei Sieoa, in der Annahme, daß «r sich dort aufhalte.
Aber Ochino reiste schon nordwärts tmd machte nur in Ferrara
Halt, wo ihm die Herzogin Renata die für die Reise erforderliche
Ausrüstung gab. Von dort aus begab er sich nach Genf, wo er sich
der Reformation anschloß tmd den Freimden schrieb, „in Italien
hätte er sich zu Christus in einer Maske bekennen müssen, hier könne
er ihm mit offenem Antlitz dienen^^ Er rechtfertigte seine Flucht
auch Vittoria Colonna gegenüber, aber die ehemalige Freimdin
übergab diesen Brief dem Sant' Officio, anstatt ihm zu antworten,
wohl aus Angst vor der Inquisition. Ochinos Beispiel folgten viele
Kapuziner, und der Nuntius Mignanelli berichtet 1542 dem Kar-
dinal Famese nach Rom, man höre fortwährend von Kapuzinern,
die die Kutte ablegen und ihrem Meister folgen.
Nachdem Ochino Italien verlassen hatte, zog er predigend
von Stadt zu Stadt tmd gab Schriften heraus, die in den Kreisen
der Reformierten Aufsehen erregten. Er heiratete in Genf, da
ihm das Mönchsleben unmoralisch erschien, hatte einige Kinder
und trieb sich mit seiner Familie in der Welt umher. Aus Genf ging
er nach Basel, dann forderte ihn der Rat der Stadt Augsbtirg auf,
dort zu predigen. Doch mußte er flüchten, da Karl V. seine Aus-
liefenmg verlangte. Er rettete sich nach England, hatte dort unter
Heinrich VIII. tmd Eduard VI. als Theologe einen großen Namen,
aber als die katholische Reaktion siegte, und Maria Tudor das
Heft in Händen hatte, drohten ihm der Tower oder der Tod auf dem
Scheiterhaufen. Ochino war Sechsundsechzig Jahre alt, tmd seine
Kraft noch tmverbraucht; er ging wieder in die Schweiz zurück,
lebte in Basel, war eine kurze Zeit in Straßbturg und Genf tmd
übersiedelte 1555 nach Zürich. Dort scharten sich die Italiener
tmi ihn, die ihr Vaterland ihrer religiösen Überzeugimg wegen
verlassen hatten, tmter anderen Francesco Lismanin, der gewesene
Ordensprovinziale der Minoriten in Polen tmd die Markgräfin
Isabella Hanriquez, die in Neapel als eine der heißesten Anhänge-
272
ZEHNTES KAPITEL
rinnen von Valdes galt. In Zürich lernte Ochino auch Lälius
Sodnus kennen, den berühmten, aus Siena stammenden Refor-
mator; er ward später sogar verdächtigt, dessen Lehre angenommen
zu haben.
Je älter Ochino wurde, desto mehr tmd desto schärfer schrieb
er und packte immer gefährlichere Themen an. In Zürich lebend,
gab er 1563 in Basel sein berühmtes Buch „Dreißig Dialoge^* heraus,
das imter den dortigen Protestanten viel Ärgernis err^;te. Nament-
lich empörte man sich über die in diesem Werk angeschnittene
Frage der Vielweiberei, die Ochino zwar nicht entschied, aber er
verhielt sich nicht durchaus ablehnend gegen Polygamie und lieS
sie besonders in jenen Fällen gelten, wo die erste Frau keine Kinder
haben könne. Charakteristisch ist seine Widmung dieser Abhand-
lung an die „Brüderschaft der unglücklichen imd leidenden Ehe«
männer*^ Es wurde ihm vorgeworfen, dafi er pro domo sua schreibe,
doch hält dies zu glauben schwer, da Ochino damals siebenimd-
siebzig Jahre alt war tmd selbst nach den Aussagen seiner Feinde
stets ein vorbildliches Leben geführt hat. Ochino wurde auf Grund
dieser Abhandlung aus Zürich ausgewiesen; der erschöpfte Greis
mußte wieder mit vier Kindern Schutz in Basel suchen, wurde dort
aber nicht aufgenommen, da er angeblich durch die Drucklegung
der dreißig Dialoge in Basel Schande über die stille Stadt gebracht
habe. So ging er weiter nach Nürnberg und versuchte in einer neuen
Abhandlung die Vorwürfe zurückzuweisen, die die Züricher und
Basler Protestanten gegen ihn erhoben hatten. Als man ihm
auch den Aufenthalt in Nürnberg nur für kurze Zeit gestattete,
beschloß er nach Polen zu gehen, wo die Verhältnisse für. die Glau«
bensneuerer augenblicklich günstig lagen. Ochino scheint diesen
Plan schon längere Zeit erwogen zu haben, da er seinen Dialog
„über die Dreifaltigkeit*' dem Fürsten Nikolaus Radziwill gewidmet
hat. Der Fürst hat das Exemplar jedoch nicht erhalten, da er sich
in einem an Calvin geschriebenen Brief beklagt, daß das Buch
imterwegs verloren gegangen sei. Nach Polen brach Ochino im
Frühling 1564 auf und nahm ein Empfehlungsschreiben vom Buch-
händler Pema in Basel an Martin Czechowicz mit. Als man in Rom
erfuhr, der ehemalige Kapuziner habe die Absicht, nach Krakau
RENATA DI FRANCIA
273
ZU gehen, war die Unruhe groß, und der Kardinal Borromeo schrieb
am 5« Februar 1564 an den Kardinal Commendoni, den damaligen
apostolischen Nuntius in Polen, „aus der Schweiz erreiche ihn die
Nachricht, daS der nichtswürdige Ochino die Absicht habe, nach
Polen zu gehen, Se. Heiligkeit erachte es für angemessen, S. K,
Hoheit yor dem anstößigen Leben dieses Menschen zu warnen und
bitte den Nuntius, sich dafür zu yerwenden, dafi Ochino keine
Aufnahme in Polen finde, damit er die gute Saat, die in jenem
Lande aufgegangen, nicht yerderbe und dort nicht größere Unruhe
stifte/^ Trotz dieser Wamimg wurde Ochino gestattet, nach
Krakau zu kommen, er traf Ende Mai oder Juni dort ein imd hielt
öffentliche italienische Predigten. Der Greis sprach so schön und
hinreißend, daß nach dem Urteil der Zeitgenossen alle Prediger
neben ihm yerblaßten, und die Hörer sich in Scharen zu ihm
drängten.
Selbst Sigmund August scheint Ochinos Auftreten nicht ungern
gesehen zu haben, denn die Ratschl&ge, die der italienische Kanzel-
redner „der Brüderschaft der imglücklichen und leidenden Ehe-
männer^' erteilte, waren ganz nach dem Herzen des Königs.
Der König hat seine Gattin Katharina yon Österreich, die
Tochter des Kaisers Ferdinand, nicht geliebt und keine Kinder mit
ihr gehabt; er hätte sich gern yon ihr scheiden lassen. Die Sympathie
des Königs für Ochino blieb yon der Geistlichkeit nicht unbeachtet,
darauf beziehen sich zweifellos Hosius' Klagen in seinem Brief
an Reszka, „daß die Ketzer den König gegen die Königin auf-
hetzen, namentlich Ochino ermutige ihn zu einem unerhörten
Schritt, der die ganze Welt empören würde und jeder Moral Hohn
spräche^^ Wie sehr dem König aus persönlichen Gründen Ochinos
Ratschläge gefallen mochten, so hatte er doch „den ganzen Weiber-
haufen gegen sich'S um so mehr als anstößige Fälle des Zusammen-
lebens mit mehreren Frauen schon die Aufmerksamkeit der Geistlich-
keit auf sich zogen; im erzbischöflichen Archiy zu. Gnesen befinden
sich aus der Zeit zwischen 1520 und 1570 sechzehn Scheidungs-
akten ex occasione pol3^amiae.
Es wurde behauptet, Ochino habe dem polnischen König seine
Abhandlung über Vielweiberei gewidmet, doch ist dies nicht wahr,
is
274 ZEHNTES KAPITEL
da die königliche Kanzlei eine derartige Dedikation nicht ange-
nommen hätte; er hat jedoch Sigmimd August eine andere seiner
Abhandlungen gewidmet, das »»Gespräch, wie man mit Ketzern
umzugehen habe'S er fordert darin den Monarchen auf» Toleranz
gegen Menschen zu üben» die neue religiöse Grundsätze yertreten.
Man kann es sich katun yorstellen» auf welche Weise der niedere
Klerus» der in seinen Ausdrücken nicht sehr wählerisch war» an-
fing Ochino zu beschimpfen, besonders als der Dominikaner Melchior
Moidcki» der um seines Eifers und seines Wissens willen berühmt
war» vergebliche Bekehrungsversuche bei ihm gemacht hatte.
Man nannte Ochino einen »»schändlichen Förderer unmoralischer
Grundsätze^' und nicht nur die Katholiken» auch die Lutheraner
gingen gegen ihn vor, da er nicht an die heilige Dreifaltigkeit ge-
glaubt hat. Von zwei Seiten gab es Angriffe gegen den Greis» und
seine Anwesenheit hat sicherlich nicht wenig zum BeschluB des
Landtags vom 7. August 1564 beigetragen» der aUen ausländischen
Ketzern gebot, das Land unverzüglich zu verlassen. Ochino muBte
wieder auf die Wanderschaft. Mehrere ihm zugetane Bürger ver-
suchten ihn zu überreden» trotz dieses Beschlusses im Lande zu
bleiben und boten ihm in ihren Häusern Schutz an; aber der Flücht-
ling erwiderte» man habe sich der Obrigkeit zu fügen» er würde
den Befehl» Polen zu verlassen» befolgen» »»selbst wenn er im Walde
oder auf dem Felde liegen bliebe^'. Er verließ Krakau» wandte sich,
nach dem Westen und machte halt in Pintschew» jenem Zufluchts-
ort der Andersgläubigen» tun von seinen Anhängern Abschied zu
nehmen. An der dort herrschenden Seuche starben drei seiner Kinder..
Gebrochen ging er weiter» und drei Wochen nachdem er Polen
verlassen hatte» starb er einsam in Stychow an der March» 1564.
Zu Lebzeiten waren alle protestantischen Sekten gegen ihn vor^
gegangen» nach seinem Tode stritten um ihn Lutheraner» Calvi«^
nisten. Reformierte» Sodnianer» V^edertäufen jede dieser Sekten,
behauptete» er gehöre zu ihr.
Nach Ochinos Flucht aus Italien hat der Kapuzinerorden
aufgehört» eine bedeutende Rolle in der Gegenreformation zu spielen*
Dieser Orden hat namentlich durch seine Predigten dem Papsttiun
alimählich bedeutende Dienste geleistet» aber noch war er nicht
RENATA DI FRANCIA 275
ZU jener BSacht gelangt, die nötig war, um im Kampf mit dem
Protestantismus eine führende Stelle einzunehmen. Überhaupt
fehlte es der italienischen Gegenreformation, diesen Kongre-
gationen del Divino amore und anderen ähnlichen Vereinigimgen
an einem organisatorischen Talent, an Energie und Einigkeit
in der Durchführung eines klar erkannten Zieles. All diese
schönen und edlen Bestrebungen waren mit zuviel religiöser
Romantik durchsetzt, die wie jede Romantik in tmklare Formen
zerfloß und nicht genügend reife, nützliche Früchte trug. Zum
Kampf mit der Reformation bedurfte es eines starken Organi-
sators, eines Menschen mit eisernem Willen. In dem für die Kirche
kritischsten Augenblick erstand ein solcher Organisator, ein lAann,
der die Seele des beginnenden Kampfes ward. Plötzlich tauchte in
Venedig ein spanischer Soldat auf, ein genialer Führer von un-
geheurer Willenskraft, der eine Wallfahrt ins Heilige Land an-
treten wollte. Dieser Mensch hatte sich so stark in der Gewalt,
dafi er, trotzdem er seiner Veranlagung nach Mystiker war, auch
die Mystik in einen eisernen Rahmen zu fassen wußte, um
sie zur Sprungfeder irdischen, eng begrenzten menschlichen Tuns
zu machen. Ignaz Loyola begann in Venedig zu organisieren
und seine Gefährten zu versenden; dort hat ihn auch Ercole IL
kennen gelernt, der sofort begriff, daß dieser asketische Soldat
berufen sei, eine bedeutsame Rolle im Kampf mit der Reformation
zu spielen. Einige Jesuiten, die Loyola 1537 nach Rom schickte,
um Pauls III. Hilfe zu beanspruchen, passierten Ferrara und wurden
dort auf Veranlassimg des Herzogs aufs entgegenkommendste
empfangen, ^ttoria Colonna war damab in Ferrara, auch sie
empfing die Durchreisenden liebevoll, ohne zu ahnen, welche
Rolle diese Glaubenskämpfer einst spielen würden. Sie gingen zu
Fuß nach Rom, auf spanische Art wie Soldaten angezogen, so daß
man sie unterwegs für Soldaten hielt, die am Sacco di Roma teil-
genommen hatten und jetzt als reuige Sünder in Demut in die heilige
Stadt pilgerten, um ihr schändliches Tun zu büßen. Seine geschick-
testen Gefährten: den Franzosen Claude Jay, Rodriguez und einige
andere schickte Loyola nach Ferrara, dort predigten sie auf öffent-
lichen Plätzen, um die Bevölkenmg für ihre Ziele zu gewinnen*
I8*
876 ZEHNTES KAPITEL
In Rom stieß die „Compania di Jesus'' auf großes Blißtrauen, be-
sonders bei Caraffa, schon deshalb, weil sie unter dem Schutz des
Kardinals Contarini auftrat, der der Vertreter einer milderen
Richtung in der Wiedergeburt der Kirche war. Caraffa sah yoraus,
daß Loyola, dieser unbekannte Spanier, sehr bald eine führende
Persönlichkeit in der katholischen Welt werden würde, sein Rivale
im Kampf mit der Reformation. Die Ahnungen des Kardinals
sollten in ErfüUimg gehen: der spanische asketische Soldat war
ihm überlegen an Erfahrung, an Kenntnis menschlicher Schwächen,
an langsamer, erfolgreicher, leidenschaftsloser Arbeit. Loyola
schleppte die Menschen nicht zum Scheiterhaufen, aber durch
seine subtile Psychologie imd durch seine Fähigkeit, die Jugend
für seine Pläne zu gewinnen, gestaltete er die Gesellschaft zu
gimsten der Kirche um. Die Gegenreformation hat der Gesellschaft
Jesu ungeheuer viel zu danken, während die Inquisition, Ca-
raffas Lieblingswerk, die sich durch ihre Grausamkeit verhaßt
gemacht hat, ihr nur geschadet hat; ihr Vorgehen widersprach
italienischer Tradition, da das Volk nicht zu religiösen Kämpfen
neigt. Die Inquisition vermochte niemand zu überzeugen; nach
kurzer Wirksamkeit belustigte sie durch ihre Urteilssprüche oder
schuf Märtyrer eines prüfenden skeptischen Wissens. Sie hat
Cecco d'Ascoli verbrannt, weil er die Wege der Naturforschung
betrat, Giordano Bruno zum Tod auf dem Scheiterhaufen ver-
urteilt, da er eine ebensolche Revolution in der Philosophie wie
Kopemikus in der Astronomie durchführen wollte, imd nur die
Angst davor, sich lächerlich zu machen, hat sie verhindert, Galilei
das gleiche Schicksal zu bereiten. Mit Galileis Venirteilung zum
Gefängnis imd zu einem dreijährigen Absingen von sieben
Psalmen, weil er in seinem „Dialogo su due massimi sistemi del
mondo Tolemaico e Copemidano'^ bewiesen hatte, daß die Erde
sich um die Sonne drehe, hat das Sant' Officio das Szepter ver-
loren, imter das es die Kultur der Menschheit zwingen wollte. Das
Vorgehen dieser leidenschaftlichen, gewaltsamen Reaktion hatte die
traurigsten Folgen für Kultur und Religion, denn es hat die Geister
gegen die Kirche empört imd Unglauben geweckt. Trümmer kenn-
zeichnen den Sieg dieser Reaktion, Italien verschwand für
RENATA DI F RANCIA
277
Zeit als bedeutungslos vom Schauplatz der Welt, Spanien erstarrte,
und Frankreich versank in Unmoral und Luxus nach der Unter-
drückung der Hugenotten.
Aber weder flammende Scheiterhaufen, noch die Fesseln, in die
die Gedankenfreiheit gezwungen wurde, vermochten die von der
Renaissance angeregte Forschung zu unterdrücken, und man
kann ruhig sagen, daß das Urteil über Galilei^) die Scheid^;renze
ward zwischen der Kultur des Glaubens vaid der Kultur der Skepsis,
dem charakteristischen Merkmal der modernen Gesellschaft*
Die furchtbare Reaktion hat die Kirche gerettet, aber den Glauben
getötet. Wäre Renata eine Zeitgenossin von Catherina von Siena
gewesen, so wäre sie in ihrem fanatischen Verlangen, die Kirche
zu reformieren, eine der kräftigsten Stützen der römischen Kurie
geworden; da sie aber das Unglück hatte, imter Paul HL und
Paul IV. zu leben, wurde sie in das entgegengesetzte Lager ge-
drängt. * Das Sant' Officio hat vor sein Inquisitions-Tribunal die
edelsten Persönlichkeiten, die an der religiösen Bewegung in Italien
teilnahmen, zitiert, die ehemaligen Mitglieder der Kongr^ation
dd Divino amore, und selbst Vittoria Colonna hätte die Qual eines
Inquisitionsprozesses erdulden müssen imd wäre vielleicht im Ge-
fängnis gestorben, wenn ihr Tod die römischen Terroristen nicht vor
dieser Schmach bewahrt hätte.
Es war ein nicht wieder gut zu machendes Unglück für die
katholische Welt, dafi die Reform der römischen Verhältnisse unter
spanischem und nicht unter strikt italienischem Einfluß gestanden
hat. Die Spanier, das leidenschaftlichste und am wenigsten tolerante
unter den romanischen Völkern, verraten in ihrem Tun eine gewisse
Brutalität, die anstatt zu mildem gereizt, anstatt zu heilen neue
Wunden geschlagen hat. Ohne diese spanische Rücksichtslosigkeit
wäre dem Papsttum so manche Spaltung erspart geblieben, und der
Glaube an das Mitleid und die Humanität der römischen Kirche
') Es lautet wie folgt: „n sostenere essere il Sole nel cento del mondo
e immobile i proposizione assurda e falsa in f ilosofla, e f ormalmente ereticale,
perchd espressamente contraria alla Santa Scrittura.'* — „La Terra non
essere nel centro del mondo, ma mobile col diumo moto i proposizione
«goalmente assurda in filosofia, ed erronea in materia e fede.'*
278 ZEHNTES KAPITEL
wäre nicht in den weitesten Kreisen erschüttert. Die Einsetzung
der Inquisition auf spanischer Grundlage und der weitgreifende
Einflufi Spaniens, verstärkt durch Karls V. Bilacht, hat edle, kirch*
lieh gesinnte Italiener wie Contarini, Giberti und namentlich Gio-
vanni Morone, der in hohem Maße die Eigenschaften besaS, um
die Gesundung der Kirche herbeizuführen, so terrorisiert, daß sie
vom Schlachtfeld abtreten oder sich spanischen Strömimgen hin-
geben mußten. Damit hat es der ganzen Aktion an einigendem
Geist gefehlt; die katholische Welt zerfiel in Fanatiker imd in solche,
die nicht paktieren woUteh. Für ruhig denkende, vernünftige Men-
schen gebrach es augenblicklich an Platz.
VII
Renata hat während ihres zehnjährigen Zusammenlebens mit
ihrem Gatten fünf Kinder geboren, aber allmählich begann
Ercole sein „monstrum*' zu vernachlässigen und ein Liebesverhältnis
nach dem anderen anzuknüpfen. Die Französinnen in Renatas
Umgebung haben über die Untreue des Herzogs eifrig nach Frank-
reich berichtet, am meisten verdroß sie Ercoles Verhältnis mit
ihrer Landsmännin, Frau de Noyant, die an einen Hofmann ver-
heiratet war. Über dieses Verhältnis wurde sogar am französischen
Hofe gesprochen, \xnA Terruffini, der ferraresische Gesandte in
Paris, bekam Bosheiten genug zu hören. Die Hofdamen der Königin
Eleonora gerieten einst in seiner Gegenwart in einen solchen
Zorn über Frau de Noyant, daß sie Strafen für die Verbrecherin
ersannen, falls sie je in ihre Hände fiele; sie wollten sie auf lang-
samem Feuer rösten, in Stücke hacken und ihr die Augen ausstechen.
Ercole hatte einige uneheliche Kinder, auch der Literat Lodovico
Trotti war sein Sohn. Der Ruhm des Herzogs als gefährlicher Ver-
führer war so groß, daß er ihn einmal beinahe mit seinem Leben
bezahlt hat. 1546 veranlaßte er die Schwester eines venezianischen
Patriziers Gian Paolo Manfrone, einen Ferraresen niedrigen Standes
zu heiraten. Manfrone verdächtigte den Herzog, daß er die Ehe
gestiftet habe, um einen bequemen Deckmantel für ein unerlaubtes
RENATA DI FRANCIA 379
Verhältnis zu haben und wollte ihn aus Rache ermorden. Der An-
schlag miBlang, der Herzog liefi Manfrone ins Gefängnis werfen,
wo der unglückliche Venezianer wahnsinnig wurde.
Die französischen Autoren heben rühmend hervor, daß Renata
sehr nachsichtig gegen die Untreue ihres Gatten gewesen sei. Sie
speiste sogar zuweilen in Gesellschaft von Frau Noyant, die von
den Hofdamen so sehr gehaßt wurde. Allmählich verschlechterte
sich das Verhältnis zwischen den Gatten, besonders da Ercole ge-
legentlich brutal und schroff gegen die Herzogin war, da er ihr ihre
Sympathie für Menschen, die der Ketzerei verdächtigt wurden,
nachtrug. Renata fühlte sich einsam und trostbedürftig. Pons,
der Schwiegersohn der Mme. de Soubise, war das Muster eines
liebenswürdigen, einnehmenden französischen Höflings, sah dazu
gut aus, und war tonangebend in Fragen der Eleganz in Ferrara.
Während seines sechsjährigen Aufenthaltes am Hofe bestand ein
sehr herzliches Verhältnis zwischen ihm und der Herzogin, das
freilich die Grenze der Freundschaft nicht überschritten hat. Die
Sache blieb lange Geheimnis, zuletzt wurde Ercole durch anonyme
Briefe auf die Gefühle seiner Frau aufmerksam gemacht.
1539 wurde den Este von Paul III. endlich der Besitz von Mo-
dena und Reggio bestätigt; die römische Kurie hatte sich auf diese
Städte gewisse Rechte angemaßt, und der Papst ließ sich für diese
Bestätigung achtzigtausend Dukaten in bar auszahlen, sowie
einen jährlichen Tribut von siebentausend Dukaten und zwanzig-
tausend Sack Salz aus Comacchio. Als der alte Kassierer der Este,
Girolamo Giglioli, von diesen Verträgen erfuhr, geriet er in eine
solche Verzweiflung, daß er sich laut über Ercole beklagte und
erklärte, der alte Herzog hätte eher Rom bekriegt und erobert,
als eine so enorme Summe geopfert. Er weigerte sich, das Geld
herauszugeben. Als ihn Ercole zwang, die Kasse zu öffnen, er-
krankte der Alte schwer aus Kummer. Dieser Vertrag, der die Este
fester als bisher an die römische Kurie band, wurde in Frankreich
ungern gesehen; Frankreich wollte die Este zum Bimdesgenossen
haben, ohne ihnen je beizustehen. Ercole, der nicht mit Franz I.
brechen wollte, beschloß Pons nach Paris zu schicken, damit er
den König umstimme« Franz L hatte eine Vorliebe für Pons,
280 ZEHNTES KAPITEL
infolgedessen hielt Ercole ihn für die geeignete Persönlichkeit. Pons
entledigte sich seines Auftrages in zufriedenstellender Weise, aber
während seiner Abwesenheit entspann sich eine Korrespondenz
zwischen ihm und Renata, die Ercole zu häufig erschien. Renata
schrieb ihre Briefe des Morgens, wenn der ganze Hof schlief, und
da sie die Postmeister der nächstgelegenen Städte erkauft hatte,
nahm sie nicht an, daß ihre Korrespondenz je in unberufene Hände
käme. Sie schrieb täglich und berichtete eingehend über ihr Leben.
Ihre Orthographie läSt zwar so manches zu wünschen übrig, aber
dafür ist ihre Art zu schreiben sehr lebendig, amüsant xmd hübsch.
Aus zweien dieser Briefe, die das estensische Archiv bewahrt, spricht
ein warmes Empfinden. Renata nennt Pons inmier „mon enfanfS
einige Abschnitte des Briefes sind in chiffrierter Schrift. Sie erzählt,
sie reite mit ihren Hofdamen beinahe täglich, ihr Bilann habe mit
ihr zusanunen Abendbrot essen wollen, doch habe sie sich geweigert
unter demVorwand,dafi es schon spät sei; einmal habe sie aus Langer-
weile Laura dei Dianti, die Geliebte des verstorbenen Herzogs
Alfonso besucht. Sehr anmutig schildert sie ihm das Kind, das Frau
Pons während der Abwesenheit ihres Gatten geboren; das Söhnchen
habe einen Mimd wie der Vater, aber so winzig, daB eine Erbse kaiun
darin Platz fände, und ebenso sanft blickende Augen wie der Vater.
Sie habe es dreimal auf die Augen geküBt. Renata erstattet Pons auch
sehr genau Bericht über seinen kleinen Hund, ihren besten Freund in
Abwesenheit seines Herrn, er schlafe in ihren Armen und ließe sie aus
Eifersucht nicht schreiben. Pons könne beruhigt über ihn sein. Sie
wache „de le faire itriller et ipuceter tous les soirs et matins^'.
War das Hündchen auf Renata eifersüchtig, so scheint sie es noch
mehr auf seinen Herrn gewesen zu sein. Es schien ihr, und wohl
nicht ganz ohne Grund, dafi eine ihrer Hofdamen, Diana Ariosti,
ihn liebe, deshalb fing sie einen ihrer Briefe auf. Die schöne Ita-
lienerin bewebt in diesem herzlichen und fesselnden Brief, daB
sie von Orthographie keine Ahnung hat, aber daB man auch ohne
diese Kunst gelehrter Leute seine Empfindimgen sehr warm aus-
drücken kann. Sie klagt, ihr Leben sei ohne de Pons freudlos.
Dieser Brief hat Renata zwar beunruhigt, aber de Pons' gelegent-
liche Seitensprünge scheinen ihr Verhältnis nicht getrübt zu haben.
RENATA DI FRANCIA 28s
Ab Ercole aus anonymen Briefen yon der Zärtlichkeit seiner Frau
für den schönen Franzosen erfuhr, n%hm er diese Nachricht ruhig
genug auf, liefi nichts davon merken, daß er Renata nachspüre,
und versuchte nur unter den verschiedensten Vorwänden de Pons
in Paris zurückzuhalten. Anderthalb Jahre blieb er fort, und als
der sentimentale Hof mann in der ersten Hälfte des Jahres 1540
nach Ferrara zurückkam, traf er Renata nicht mehr. Der vorsichtige
Ercole hatte sie in die Verbannimg nach Consandolo geschickt, in
ein Schloß der Este, das ungesund über den faulenden Wassern
des Comacchio lag; bis auf die Vögel im Garten und die Aale im
Wasser gab es keinerlei Gesellschaft. Der Bedürfnisse ihrer Seele hatte
Ercole wohl gedacht, er gab ihr zum Kaplan den sehr geschickten
Geistlichen Frangois Richardot, einen Hof mann von einnehmendem
Äußern, der zwar in Frankreich ein Anhänger Calvins gewesen
war, aber jetzt zu den eifrigsten Katholiken gehörte. Richardot
scheint vom Herzog beauftragt worden zu sein, Renata zum streng
katholischen Glauben zurückzuführen; aber als er erkannte,
daß es Renata mehr nach Genf denn nach Rom dränge, ließ er sie
ihren Weg gehen, befestigte sie in Calvins Lehre und nicht im
Katholizismus, empfahl ihr jedoch dringend, mit Rücksicht auf
den Herzog und seine Stellung zur römischen Kurie, die Bräuche
und Vorschriften der katholischen Religion zu befolgen. Er drängte
sie, zur Messe und zum Abendmahl zu gehen, ohne an die Wirksam-
keit der priesterlichen Absolution zu glauben. Calvin scheint
Richardot gut gekannt zu haben, er sagte einmal von ihm, seine
Worte hätten nicht mehr Wert als das Geschwätz einer Elster. Die
zweideutigen Ratschläge des Kaplans haben Renatas Gewissen
nicht beruhigt; durch Frau de Pons' Vermittelung wandte sie sich
1541 an Calvin, Er schrieb ihr sehr eindringlich, warnte sie vor
Richardot, empfahl ihr Mut und Ausdauer, denn die furchtsamen
Menschen glichen geistigen Krüppeln. Er schickte ihr seine Ab-
handlimg „De la Cine de notre Seigneur'S die seine Lehre knapp
zusammenfaßt. Calvins Schrift machte Renata großen Eindruck,
sie hörte auf, in die Kirche zu gehen und zu beichten.
Als Renata am tiefsten von Calvins Lehre durchdrungen war, er-
schien am 22. April 1543 der Papst Paul IH. in Ferrara. Er reiste
282 ZEHNTES KAPITEL
Karl V. entgegen, der in Genua gelandet war. Er wollte den Kaiser
veranlassen, das Herzogtum , Mailand seinem Sohn Pier Luigi oder
seinem Enkel OttaWo zu übertragen« Seine Bemühungen hatten
nicht den erwünschten Erfolg, aber einmal in Bologna, nahm er
Ercoles Einladung nach Ferrara um so lieber an, als er einen
doppelten Zweck damit verfolgte: einmal wollte er Ercole zu einer
Anleihe von fünfzigtausend Scudi veranlassen, und dann Renatas
Töchter sehen, da er eine derselben aef nem Enkel Orazio Famese
zugedacht hatte.
Zur Begrüßung des Papstes kam Renata nach Ferrara; in einer
kostbaren Sänfte begab sie sich zu Paul IIL, begleitet von siebzig
vornehmen Ferraresinnen in schwarzen, silbergestickten Kleidern,
auf Pferden mit schwarz-silbernem Zaumzeug* Die Calvinistin
und Ketzerin küßte den päpstlichen Pantoffel, und Paul IIL schenkte
ihr einen kostbaren Diamanten imd einen Lilienzweig aus Dia-
manten, im Werte von fünfzehnhundert Talern. Der Papst ge-
stattete auf ihre Bitte, daß die Nonne Suranna das Augustinerinnen-
kloster verlasse und in den herzoglichen Palast ziehe, um, die jungen
Prinzessinnen im Sticken zu unterweisen. Paul III. erwies Renata
seine Gunst in jeder Beziehung; um sie vor den Verfolgungen der
Inquisitoren in Ferrara zu schützen, erließ er ein Breve, worin er sie
dem unmittelbaren Schutz des Papstes und der Großinquisitoren
des Sant* Officio unterstellte. Renata ward also eine vollkommene
Ausnahmestellung der Inquisition gegenüber eingerätunt Infolge
ihrer besonderen Frömmigkeit und der erprobten Stärke ihres
Glaubens verdiene sie in Frieden zu leben, ohne der unnötigen
Kontrolle der inquisitorischen Gewalt ausgesetzt zu sein, wie es im
Breve hieß. Weder die Inquisitoren in Ferrara und Bologna, noch
die Bischöfe oder pfpstlichen Gesandten durften bei Strafe des
Bannes in ihr religiöses Verhalten eingreifen. Dieses Breve wurde
auf die Bitte des französischen Gesandten in Rom erlassen, ohne
Ercoles Wissen, ja, es war gegen ihn gerichtet, da er die Tochter
des Königs von Frankreich nicht rücksichtsvoll genug behandele.
Der Hauptgrund war jedoch, daß der Papst Renata gevrinnen
wollte, damit sie Orazio Famese die Hand ihrer Tochter Anna
gebe, während Ercole gegen diese Verbindung war. Der Herzog
RENATA DI FRANCIA 283
wufite, daB die Verbindung mit den Päpsten, selbst zu Lebzeiten des
Papstes, mit dem man das Bündnis geschlossen, nicht immer Vor-
teile bringe, nach seinem Tode aber geradezu Nachteile. Außer-
dem war Orazio ein päpstlicher Bastard, also kein genügend yor-
nehmer Prätendent für eine estensische Herzogstochter« Als
Paul in. eine endgültige Antwort yerlai^;te, begann Ercole unter
verschiedenen Vorwänden die Entscheidung hinauszuschieben und
wußte immer neue Hindemisse ausfindig zu machen — bis der
Papst starb.
Wir glauben nicht, daß Renata, als sie dem Papst ihre Ergeben-
heit bewies und sich um das Breye bewarb, Rom betrügen wollte
und unehrenhaft vorgegangen ist. Alle vornehmen Damen jener
Zeit: Renata, eine Zeit hindurch Vittoria Colonna oder die Königin
von Navarra nannten sich in ihren Briefen „Roms sehr gehorsame
Töchter'S und versuchten trotzdem mit aUen ihnen zu Gebote
stehenden Mitteln Reformen einzuführen „zum Wohl der Religion
und der Kirche'^ Noch waren die Grenzen zwischen Ketzerei imd
dem, was die Kirche erlaubte, fließend.
Nach der Auszeichnimg, die der Papst der Herzogin erwiesen
hatte, gab es keinen eigentlichen Grund mehr, sie gewissermaßen
in Verbannung in Consandolo zu behalten, da Rom jeden Verdacht
der Ketzerei von ihr genonunen hatte. Es gehörte sich also, daß die
Herzogin wieder ihren Wohnsitz in Ferrara nehme, imd zu diesem
Zwecke mußte de Pons entfernt werden. Ercole machte sich auch
sehr energisch ans Werk. Er hatte ihn bis jetzt aus Rücksicht
auf Franz I. gelittstn, aber schließlich gingen ihm der Hochmut
und die Intriguen des französischen Spions zu weit, er bat Renata,
ihn von ihrem Hof zu entfernen, besonders da er Klatschereien über
sie verbreite. Renata lehnte diese Fordenmg zwar ab, aber da dem
Ehepaar de Pons der Boden in Ferrara zu heiß geworden war, floh
es insgeheim nach Venedig. Franz I. machte dem Herzog zwar
Vorstellungen, weil er Pons angeblich schlecht für seine Dienste
belohnt habe, aber Ercole ließ statt jeglicher Antwort auf die Briefe
des Königs die Möbel und Kleider des Ehepaares Pons konfiszieren
und gab vor, daß die Juden, die Gläubiger der verhaßten Franzosen
Ansprüche darauf erheben. Frau Pons starb bald nachdem sie
384 ZEHNTES KAPITEL
Italien yerlassen, er yerheiratete sich zum zweiteninal mit Bfaria
de Monchenuy einer eifrigen Katholikin, und wurde unter ihrem
EinfluB ein so treuer Sohn der Kirche» dafi er als französischer
Statthalter in Saintonge die Protestanten aufs grausamste ver-
folgt hat.
Renata brauchte, nachdem Frau de Pons sie yerlassen, eine neue
Gesellschafterin, sie bat die Königin yon Navarra, ihr eine Ver-
treterin zu schicken. Die Königin wfthlte Frau de La Roche, die,
wie Brantome sagt, sehr nach Luther roch. Obgleich man sie bei ihrer
Abreise gewarnt hatte, in Ferrara weder Mund noch Augen und
Ohren zu haben, zettelte die La Roche sofort Intriguen an, und ver-
feindete sich mit dem ganzen Hof in dem BlaBe, daB Brcole sie
nach sechsmonatlichem Aufenthalt nach Frankreich zurück-
schicken muBte. Nach dieser Enttäuschung yerlai^;te Renata nicht
mehr nach einer französischen Ehrendame, sondern wählte an Frau
de La Roches Stelle Olympia Morato, die schon seit einigen Jahren
ihrem Hof angehörte. Olympia war die Tochter des ferraresischen
Humanisten Pellegrino Morato, der nach der Sitte der damaligen
Professoren, den lateinischen Namen Fulvio angenommen hatte.
Unter Alfonso I. war er der Lehrer seiner jüngeren Söhne Ippolito
und Alfonso gewesen, dann mußte er auswandern, da er es mit
Luther hielt. 1534 gestattete ihm Ercole zurückzukommen, aber
Morato yerleugnete seine Vorliebe für die Reformation durchaus
nicht, sein Haus in Ferrara war der Sammelpunkt für die Feinde
des Papsttums. Einer der intimsten Freunde Moratos war Curione,
Humanist, Literat und Ketzer, ein sehr begabter Mensch yon
besonders angenehmen Umgangsformen. Er war an Renatas
Hof gern gesehen, und ihm verdankte Olympia, ein hochgebildetes
Mädchen, die Stellimg bei der Herzogin. Mit fünfzehn Jahren
schrieb sie schon ausgezeichnet italienisch, sprach lateinisch und
griechisch, übersetzte Homer und Vergil, machte Gedichte und
gewann alle Herzen durch ihre Güte und Bescheidenheit. Zuerst
berief Renata sie als Gesellschafterin für ihre älteste Tochter Anna,
später anvertraute sie ihr die Endehimg ihrer beiden jüngeren
Töchter Lucrezia und Leonora. Die jungen Prinzessinnen trieben
klassische Sprachen» mußten bisweilen in einem kleinen Kreis
RENATA DI FRANCIA 385
von Gelehrten philosophische Thesen verteidigen, und Olympia
lieB sie Aristoteles' Rhetorik, Ptolemäus' Schriften, Cicero, Ovid
und von neueren Verfassern Erasmus Rotterdamus lesen, auch
bestellte sie aus Venedig Proklus' Sphären und einen Globus, „un
mappomondo''. Den Unterricht leiteten auBer Olympia der Huma^
nist Sinapius; später kam noch Francesco Porto, ein Mönch, der der
Reformation nahe stand, dazu«
Olympia blieb trotz ihrer Heirat mit dem deutschen Gelehrten
Grunthler im Hofdienst und befaßte sich nach wie vor mit der
Erziehimg der Prinzessinnen« Ihre eignen Studien durften darunter
nicht leiden, sie las die antiken Philosophen und war Skeptikerin
geworden« In ihrem berühmten späteren Werk, den „Dialogen'',
berichtet sie, sie habe allmählich angenommen, der Zufall regiere
die Welt, und ihr Glaube an Gott sei geschwunden« Das Studium
der Bibel gab ihr zwar den Glauben wieder, brachte sie aber der
römischen Kirche noch femer« 1548 erkrankte Olympias Vater
schwer, sie muBte den Hof verlassen und kam erst wieder, als die
Prinzessin Anna mit dem Herzog von Aumale vermählt wurde«
Nachdem sie den Unterricht von Lucrezia und Leonora wieder auf-
genommen hatte, wurde sie plötzlich aus dem Hofdienst entlassen,
ohne daß jemand auch nur im entferntesten den Grund dieser Un-
gnade ahnte. Renata, die sonst sehr mildtätig war, gestattete Olym-
pia nicht einmal die Sachen an sich zu nehmen, die sie ins Schloß
mitgebracht hatte, und erst nach vielen Bitten und nachdem auch
Lavinia della Rovere ihre Partei ergriffen hatte, gab sie ihr ein
altes Kleid zurück« Diese Herzenshärte wirft ein eigenes Licht
auf Renatas Charakter, sie muB nicht nur eigensinnig, sondern
auch rachsüchtig gewesen sein« Man nimmt an, Renata habe
im Zorn gehandelt, als sie erkannte, daB Olynqiia mehr zu Luther,
als zu Calvin neige, doch läBt sich darüber heute nichts Sicheres aiis-
sagen« Jedenfalls war Olympias Stellung in Ferrara unmöglich ge-
worden, sie muBte die Stadt verlassen, infolge der Unannehmlich-
keiten, die sie, als vom Hof entfernt, überall zu gewärtigen hatte«
Sie folgte ihrem Gatten in seine Heimat nach Schweinfurt, doch
wartete ihrer dort ein tragisches Schicksal« Sie war kaum dort an-
gekommen, als die Bischöfe von Bamberg und Würzburg die Stadt,
286 ZEHNTES KAPITEL
in der sich Albert von Brandenburg eingeschlossen hatte» belagerten.
Das bischöfliche Heer eroberte die Stadt und brandschatzte sie in
furchtbarster Weise; Olympia verlor ihr ganzes Hab und Gut,
entfloh notdürft^ bekleidet und irrte mit ihrem Mann über schnee-
bedeckte Felder, bis sie das Städtchen Hameln erreichte, das drei
Meilen von Schweinfurt entfernt ist* In einem Brief an Curione
berichtet sie, sie sei barfuß, in einem zerrissenen Mantel, den eine
Frau ihr unterwegs geliehen hatte, nach Hameln gekommen.
Ihre Gesundheit war diesen Strapazen nicht gewachsen, sie starb
am 7. November 1555 in Heidelberg.
VIII
Die Reformbestrebungen griffen in Norditalien inmier mehr
um sich; Ferrara, Modena und Mirandola wurden der Hauptsitz
der neuen Bewegimg. Die Bewegung kam aus dem Norden, aus
Deutschland imd Frankreich, und unterschied sich sehr lebhaft
von den reformatorischen Tendenzen der Theatiner, den Idealen
der neapolitanischen Frauen und den Bestrebungen der Kapuziner.
Aus Deutschland kamen erst Bücher, später um 1520 Menschen.
Die Mönche, die Rom in den Norden schickte, damit sie gegen
die Reformation aufträten, kamen zumeist von Luthers Lehre
erfüllt zurück. In Ferrara trafen die Anhänger des deutschen Re-
formators die Jünger Calvins, und während die ersteren nur eine
Reform der Kirche anstrebten, ohne die politischen Verhältnisse
antasten zu wollen, hatten die letzteren demokratische Tendenzen
und hetzten das Volk gegen die Fürsten auf. Trotzdem vermochten
die Calvinisten nicht, größere Volksmengen zu fesseln, ihre Dok-
trinen waren zu kalt und zu pedantisch und haben zu wenig auf die
Phantasie gewirkt. In Italien fanden Luthers Lehren günstigeren
Boden, da sie in der Hauptsache gegen die Obergriffe der Kirche ge«
richtet waren, aber die Grundlage der Gesellschaft nicht erschüt-
terten. Die italienischen Fürsten waren zu eng durch materielle
Interessen mit Rom verbunden, um den Sturz des Papsttums zu
wünschen, imd das Volk lauschte zwar den Angriffen auf Mönche
RENATA DI FRANCIA 287
und Bischöfe mit reichlichem Behagen, kam aber nicht im ent-
ferntesten auf den Gedanken, das Papsttum zu bekämpfen.
Die reformatorische Bewegung beschränkte sich in Ferrara
wie in den übrigen norditalienischen Städten auf jene Klasse, die
wir heute „die Intelligenz'^ nennen, auf Professoren, Literaten,
Mönche, die ihr Gelübde gebrochen, imd auf gebildete Frauen.
Renata war von „Ketzern'^ umgeben. Ihr Hofarzt Gian Sinapius,
der Uniyersitätsprofessor Celio Curione, beides Freunde yon Olym-
pia Morato, Chilian Sinapius, der mit einer Hofdame der Herzogin,
Francesca Bucyronia, verheiratet war, waren sämtlich heiBe An-
hänger der Reformation. Celio, Melanchthons Schüler, war viel-
leicht die fesselndste Persönlichkeit unter ihnen. Er war der drei-
undzwanzigste Sohn von Giacomo di Chieri imd Carlotta Montrolier,
einer Hofdame der Herzogin Bian ca von Savoyen. Sehr gebildet, be-
redt, im Umgang sympathisch, kam er schon früh in Turin ins
Gefängnis, da er in der Kirche einen Dominikaner, der unerhörte
Dinge über Luther vorbrachte, laut einen Lügner schalt. Aus
dem Gefängnis entfloh er bald, hatte noch mancherlei Abenteuer,
und als er in Venedig mit Pellegrino Morato bekannt wurde, ging
er mit ihm zusammen nach Ferrara und war bei Renata besonders
gut angeschrieben. Doch war seines Bleibens nicht lange, vom
Sant' Officio bedrängt, muBte er in die Schweiz flüchten und suchte
Schutz bei Bullinger, einem der Führer der reformatorischen Be-
wegung in Zürich. Renata war mit ihm im Briefwechsel geblieben
und anvertraute ihm sogar Gelder zur Unterstütztmg bedrängter
Calvinisten.
Unter dem Einflufi dieser Renata nahestehenden Persönlich-
keiten stand selbst Ercoles Leibarzt, Angelo BSanzoUini, der Verfasser
eines satirischen Gedichtes gegen den Papst, femer Lilio Giraldi,
der Chronist und Schmeichler des estensischen Hauses, und Marc-
antonio Flaminio, ein sehr begabter Mensch, der jedoch seine
religiösen Anschauungen beliebig wechselte und Calvinist oder
eifriger Katholik war, je nachdem es ihm am besten paBte. Am
Hofe der Herzogin lebte auch der französische Dichter Lion Jamet,
der ein überzeugter Anhänger der Reformation war, obgleich er
es verstanden hatte, sich Ercoles Gunst zu erwerben. Die oal-
888 ZEHNTES KAPITEL
vinistische Bewegung wurde femer von einigen hervorragen*
den Frauen unterstützt, von Lavinia della Rovere, der Enkelin
Julius IL, und der Gräfin Giulia Rangone dl Bentivoglio« Der in
Deutschland verfolgte Reformator Alciatus flüchtete erst nach
Bologna, dann nach Ferrara und schrieb von dort aus am 7* Juli
1540, daB er in „diesem ferraresischen Himmel'^ eine äufierst
gebildete Gesellschaft gefunden habe, daB man dort die Neuerer nicht
verfolge, und er sich in Ferrara sehr viel wohler als in Bologna fühle.
Im Vergleich mit Modena war Ferrara ein sehr ruhiger Ref or«
mationsherd. In Modena hielt Paolo Ried öffentlich heretische
Predigten und hatte groBen EinfluB. Auch das kleine Blirandola,
der Stammsitz der Pico, war eine Zufluchtsstätte für Luthers
und Calvins Anhänger, da der Graf Galeotto sie energisch unter-
stützte, und Renata ihm jene französischen Hugenotten zuschickte,
denen in Ferrara Gefahr drohte. Allmählich beunruhigte man sich
über all diese Dinge in Rom, namentlich das Vorgehen der Uni«
versitätsprofessoren in Ferrara erweckte Ärgernis. Der dortigen
Inquisition wurde ein „Bekenntnisse-Formular zugeschickt, das
die der Ketzerei verdächtigen Professoren imterschreiben sollten«
In diesem Dokument erklärten sie zwar ausdrücklich, mit der Re-
formation in keinerlei Zusanunenhang zu stehen, aber diese Forma-
lität war natürlich zwecklos, da religiöse Untersuchungen und
ketzerische Agitation nach wie vor anhielten, imd man nament-
lich in zahlreichen „Akademien" die heikelsten religiösen Fragen
erörterte.
SchlieBlich forderte Paul HL Ercole auf, energisch gegen dieses
Ärgernis einzuschreiten; aber der Herzog erklärte, wohl mit Rück-
sicht auf Renata, die Vorwürfe der römischen Kurie seien zu all-
gemein gehalten, und die ihm gesandte Schrift führe keine Tatsachen
an, die einer strengeren Untersuchung ab Grundlage dienen könnten;
er bitte daher, ihm die Personen namhaft zu machen, gegen die er
vorgehen solle. Infolgedessen verlangte der Papst nähere Einzel-
heiten vom ferraresischen Inquisitor, und nach einiger Zeit be»
nachrichtigte er den Herzog, daB Renata selbst beschuldigt werde,
zwei Ketzer an ihrem Hofe zu beherbergen, Brucdoli, den Flo-
rentiner Literaten, und Francesco Porto, den griechischen Mönch,
R£NATA DI FRANCIA 289
Brucdoli hatte eine sehr yerfareitete Bibelausgabe fibersetast» die
man öffentlich als lofttaerisch Terbraant hatte, obf^ch sie Franz I.
und Renata gewidmet war. Der Übersetzer wurde su einer Geld-
strafe yon fün&ig Scudi yerurteilt. Als Brucdoli dem Richter er-
kUrtei eine so hohe GeMstrale nicht bezahlen zu Utmen, da er
nichts besitze, wurde ihm zur Antwort, er würde, wenn er nur wollte,
Geld finden können. „So yeranlaSt nur,'' erwiderte Brucdoli, „daB
ich hundert Scudi finde, dann bleiben mir fünfzig, die idi sehr
nötig habe.'' Der Riditer hatte sdion so unredit nicht, denn Renata
bezahlte die Geldstrafe in aller Stille.
Francesco Porto, ein Griedie aus Kreta, war längere Zeit der
Lehrer der jungen Prinzessinnen g e we se n, und obgleich er in religiösen
Dingen ziemlidi zurüddialtend war, unterli^ es keinem Zweifel,
daB er es mit der Reformation hidt. Dersdbe Papst, der vor gar nidit
langer Zeit Renata vor den Bellstigungen des Inquidtors geschützt
hatte, forderte jetzt den Herzog sehr energisch auf, sdne Ge-
mahlin zu veranlassen, ihre Taktik gegen die Ketzer zu ändern.
Aber der Herzog, der augenblicklich wohl besser mit Renata
stand, erklärte der römisdien Kurie, ein gewaltsames Einscfardten
habe gar keinen Sinn und würde die Herzogin nur reizen, einen
Wechsel müsse man der Zeit und ruhiger (Überredung überlassen.
Der Papst könne ihm, der in seinem Leben sdion viel für das
Wohl des Apostolisdien Stuhles geopfert habe, toU vertrauen;
er würde vorgehen, wie es das Interesse der Kirche fordere. Ercole
hatte recht; als nämlich der Papst den französischen Gesandten
in Rom, Herrn Gje, veranlaBte, nach Ferrara zu reisen, tun Renata
im Namen der römisdien Kurie Vorstellimgen zu machen, empfing
die Herzogin ihn aufs luignädigste und eridärte, daß ihr tugend-
haftes Leben der beste Schutz gegen all jene sei, die es wagten,
sie anzugreifen.
Die Jesuiten in Ferrara nahmen jedodi an Renatas Leben
AnstoB, de schidcten unablässig beunruhigende Beridite nach
Rom: die Herzogin ginge weder in die Kirche noch zur Beichte,
hielte die Fasten nidit dn und lieBe auch ihre Hofleute nicht fasten.
Brcole hat gewiß bedauert, die Jesuiten nach Ferrara berufen
und wirksam unterstützt zu haben, denn jetzt galt es, ihr allzu
19
290
ZEHNTBS KAPITEL
energisches Vorgehen einzudimmen. Er bemühte sich, in Rom
durchzusetzen, daß man Pra Girolamo Peptna aus Lodi zum In-
quisitor in Perrara einsetze, da er Reformbestrebungen sympathisch
gegenüberstand und die Gewähr für ein MedUches Handeln bot.
Trotzdem spitzten die Verhältnisse sich imitier mehr zu, nament-
lich als die Inquisition den Ketzer Fannio in Bagnacayallo auf
ferraresischem Gebiet gefangen nahm und ihn nach Perrara über-
führte« Paitmio Pannino aus Paenza war schon in seiner Jugend
gegen die römische Kirche aufgetreten, indem er reformatorische
Lehren öffentlich verkündigte. Zur Strafe wurde er ins Gefängnis
geworfen. . Seihe verzweifelte, arme Painilie bemühte sich um seine
Preilasstmg imd veranlaBte ihn, dem Willen der Inquisition gemäB,
seine Ansichten öffentlich zu widerrufen. Paimio schämte sich jedoch
dieser Peigheit so sehr, daB er ohne Rücksicht auf Gefahr nunmehr
eine neue Agitation gegen Rom begann und in der Romagna viel
Anhänger gewann. Er war ein sehr begabter, ja glänzender Redner;
die Inquisition hielt ihn deshalb für einen der gefährlichsten Neuerer
und beschloB seinen Tod auf dem Scheiterhaufen. Ercole soUte dieses
Urteil in Perrara vollstrecken lassen, aber Renata tat ihr Bestes,
um im Namen der christlichen Liebe den Angeklagten, dessen
Pamilte in bitterster Not zurückblieb, zu befreien. Auf Wunsch der
Herzog^ zögerte Ercole mit der Urteilsvollstreckung, mußte zu-
letzt aber dem sehr energischen Druck der Inquisition nachgeben.
Renata war in einem der Schlösser außerhalb Perraras; als sie
erfuhr, daß das Urteil vollzogen werden solle, kam sie in die Stadt
und flehte den Herzog aufs neue tun Fannios Leben. Erc<de war
den Befehlen der Inquisition gegenüber machtlos, er änderte den
Urteilsspruch nur dahin, daß er Pannio im Gefängnis erwürgen
und den Körper in den Po werfen ließ. Als man dem Verurteilten
vor der Urteilsvollstredcimg das Kreuz in die Hand geben wollte,
gab er ruhig zur Antwort, da er den lebenden Christus im Herzen
trage, wüßte er nicht, was er mit einem hölzernen Christus an-
fangen solle.
Kaiun ein Jahr später, am 23. Bllai 1551, wurde am Fenster-
kreuz des herzoglichen Palastes Domenico Giorgio aufgehängt,
ein Geistlicher aus Sizilien, der der Ketzerei verdächtig wac. Gleicti-
RENATA DI FRAMCIA 391
lettig Tenirteille die Inquisition Lodovico Domenico in Florenz
ru zehn Jaliren Geffthgnis, da er Calvins ,,Nicommediana^' ins
Italienische übersetzt hatte. CaMn selbst bat Renata, sich für
Domenico bei Cosimo Medid zu verwenden, was die Herzogin
auch sofort tat, indem sie in ihrem Brief besoiiders betonte, sie
schreibe auf die Bitte eines Mannes, dem sie gern dienen möchte*
Trotz aller Angebereien der Inquisition und der Briefe aus Rom
vertrat Renata die Partei der Reformierten, wo immer sie konnte,
und unterstützte sie unäbULssig mit Geldmitteln.
Die fortwährenden Streitigkeiten zwischen Ercole und Renata,
die auf religifise Differenzen zurückgingen, und das infolgedessen
immer stillere Leben am Hofe wirkten niederdrückend auf Don
Alfonso, den ältesten Sohn, einen energischen Jüngling, den es nach
Taten und Ruhm dürstete. Er konnte dieses imtätige Leben nicht
länger ertragen und erklärte, lieber unter dem Sultan kämpfen, als
länger in Ferrara die Hände in den SchoB legen zu wollen. Der Erb-
prinz wollte nach Frankreich gehen, da die kriegerische Betätigungs*
möglichk^it dort eine sehr viel gröBere war; aber der Vater wollte
nichts von diesem Plan wissen, denn Alfonso hätte in diesem
Falle gegen den Kaiser kämpfen müssen, was Ercole, den kaiser-
lichen Bundesgenossen, in die fatalste Situation gebracht hätte.
Don Alfonso beschloB daher, seine Absicht gegen den Wtmsch
des Vaters auszuführen, und floh mit fünfzehn Getreuen im Bllai
1552 aus dem Hause, indem er vorgab, auf die Jagd zu gehen.
Der Herzog lieB ihn verfolgen, doch Alfonso war mit seinem Gefolge
schon zu weit, tmd die herzoglichen Diener kehrten unverrichteter
Sache nach Ferrara zurück. In seinem Zorn mußte sich Ercole damit
zufrieden geben, in effigie den Freund seines Sohnes Giovanni
Lavezzuola hängen zu lassen. Er war Alfonso bei seiner Flucht
behilflich gewesen; gegeh den Jüngling selbst^ der darauf
rechnen durfte, in Frankreich mit offenen Armen empfangen zu
werden, war der Herzog machtlos. Tasso gedachte dieses. Vor-
falles in seinem „Befreiten Jerusalem'^ bei der „Flucht'^ des jungen
Nobilissima fuga, e che Timiti
Ben degna alcun magnanimo nipote.
19»
293 ZBHNTBS KAPITBL
II. nahm den Jflngling sehr gnidig auf und übertrug
ihm das Oberkommando über eine kleine Heeresabtailung, aber
Brcole begann trotsdem diplomatische Unterhandlungen mit dem
französischen Hof, um den Sohn zur Rflddcehr zu ▼eranlassen;
sein Trost war, Alfonso würde heimkehreni wenn sein Geld alle
wire. Unterdessen nahm Alfonso zum groBen Kummer seines
Vaters teil an Frankreichs Krieg gegen den Kaiser und zeidmete
sich durch unvergleichliche Tapferkeit aus. Während der Belagerung
einer Festung ging Alfonso mit einigen Geflhrten auf einen ex*
ponierten Hügel, wo ihn die feindlichen Geschosse erreichen
konnten» legte sich ins Gras und erzählte ihnen Liebesabenteuer.
Allem Anschein nach war es mit der Schufif fthigkeit der kaiser-
lichen Artillerie nicht weit her, da die jungen Eisenfresser mit heiler
Haut aus diesem gefährlichen Abenteuer daYonkamen.
Der alte Brcole sollte recht behalten: der Söhn kam früher
wieder, als man erwartet hatte. Im Herbst 1554 war er in Ferrarai
da sein Geld zu Ende und sein Kredit erschöpft war. Br auTertraute
sich der Täterlichen Gnade, lieB aber seine Fluchtgefährten nicht
im Stich, da er ihnen vollständige Verzeihung beim Herzog er-
wirkte.
Die Rückkehr des Sohnes verbesserte das Verhältnis der Ehe-
gatten keineswegs, imd Renata bekannte sich immer offener zu
Calvins Lehre. Als einer ihrer beliebtesten tmd treuesten Diener,
Ippolito Putti, in den letzten Zügen lag, und der Herzog den Priester
mit dem heiligen Sakrament zum Sterbenden schicken wollte, wider-
setzte sich Renata standhaft und veranlaBte damit einen sehr pein-
lichen Vorfall. Die Sorge des Herzogs wuchs, als er beobachtete,
daB Renata beide Töchter in Calvins Lehre erziehen wollte. Als
er ihr Vorwürfe machte und drohte, ihr die Töchter zu nehmen,
brach sie in Tränen aus und antwortete, nicht imstande zu sein,
ihren Kindern Glaubenssätze einzuimpfen, die sie für fakch halte.
Ein andermal schickte er ihr einen Geistlichen, damit er in ihren
Gemächern eine Messe abhalte, da „verjagte ihn die Herzogin
wie den leibhaftigen Teufel'^ Aus ihrer Überzeugung machte sie
diu-chaus kein Hehl, im Gespräch betonte sie, der Katbolizismiss
sei eine Götzenreligion, an deren Vorschriften sie nicht glaube.
RBNATA DI FRANCIA
293
Gleicfaieitig untersttttste sie die Hugenotten mit immer grOBeren
Summen, stand in r^[elmftSigef Korrespondenz mit Calvin imd bat
ihn» ihr zwei Lehrerinnen zu empfehkn, »lerzogen in Gottesfurcht
und Demut» rein in ihrem Leben tmd ihren Worten, die ab Vorbild
dienen könnten und den Frieden liebten'^ Ihr Lehrerinnenideal
schilderte sie Calvin so eingehend, daB sie selbst an die Kleider
dieser Frauen, die aus der Schweiz kommen sollten, dachte. Sie
brauchen nicht viel für ihren Putz auszugeben; schrieb sie, schwarze,
wollene Kleider, der Witwentracht Ähnlich, genügen, „avec le
chaperon d'oreilles'^ Dieser mit geheimer Post an Calvin gesandte
Brief ist in Brcoles H&nde geraten; er hat eine Abschrift danach
machen lassen, die sich heute im estensischen Archiv befindet.
Renata war unvorsichtig genug, ihre Briefe einem jüdischen Kauf-
mann aus Ferrara zur Weiterbeförderung nach Genf anzuvertrauen.
Dieser Kaufmann hat den Bmpf ftngem nur einige Briefe übergeben,
um das Vertrauen seiner Klientin nicht zu verlieren, die übrigen
händigte er Ercole aus, der Abschriften danach machen lieB,
um gegebenenfalls eine Waffe gegen seine Frau in Händen zu
haben.
Die Jesuiten, namentlich Lojola, waren mit den Zuständen in
Ferrara sehr unzufrieden; da Pater Jay für Deutschland notwendig
war, schickten sie erst Pater Broöt, dann Lepelletier, zu Ercoles
groBem Arger, da er zu Jay viel Vertrauen hatte. Lepelletier drängte
den Herzog, gegen die Ketzer mit schärfsten Mitteln vorzugehen.
Auf seine Veranlassung erlieB Brcole ein Dekret, welches alle der
Ketzerei Verdächtigen des Landes verwies, darunter waren auch
einige Diener der Herzogin. Das genügte Loyola nicht, er konnte
nicht fassen, daB Lepelletiers EinfluB bei Renata abprallte. Er
schrieb dem Jesuitenpater einen sehr scharfen Brief und verlangte
von den übrigen Jesuiten in Ferrara, ihm in versiegelten Briefen ihre
Ansicht über das Vorgehen ihres Voi^esetzten mitzuteilen. Lepel-
letier berief sich auf den Widerstand der Herzogin und ihrer Hof-
damen und beklagte sich, daB diese Hexen in tatsächlichem Ein-
vemdunen mit dem Teufel stünden, „fomicatio cum Daemonibus'^;
erst 1553 gelang es ihm, eine der Hofdamen mit Hilfe ihres Gatten
zu bekehren. Ober Renata selbst vermochte er nichts.
^94 ZEHNTES KAPITEL
Die Herzogin verliefi Ferrara, bekümmert und empört darüber,
daB sie ihre Lieblingsdiener verloren hatte; sie zog sich nadi Con-
sandolo zurück, wo sie einer weniger strengen Kontrolle tmter-
stand und leichter an Calvin schreiben konnte. Die Nachrichten,
die der Herzog aus Consandolo bekam, waren sehr beunruhigend,
es genügte Renata nicht mehr, auf ihren Hof reformierend zu
wirken, sie begann ketzerische Ideen selbst tmter der Bevölkerung
des nahe gelegenen Städtchens Argenta zu verbreiten.
Brcoles Geduld war zu Ende. In einem ausführlichen Btiitie
berichtet er Heinrich II., daB Renata in ihrem Eigensinn gegen Gott
sündige und das Haus der Este mit Schande bedecke; man könne
ihr in keiner Weise die „ketzerischen Phantasien^' austreiben,
selbst Weihnachten wollte sie nicht in die Kirche gehen. Der
Herzog vergleicht seine Leiden mit den Leiden Hiobs und bittet
den König, einen gebildeten, energischen Kaplan an Renata zu
schicken, damit er sie von der Schädlichkeit der ketzerischen Grund-
sätze überzeuge imd auf den Weg der Wahrheit zurüdcführe.
Heinrichs Antwort an Renata klang deutlich genug: so lange sie
Ketzerin bleibe, dürfe sie auf seinen Schutz nicht zählen. Er schickte
ihr den fanatischen französischen Inquisitor Blatthias Ory,
der seit zwanzig Jahren die GeiBel der Reformierten war. Ory
hatte eine Vollmacht des Königs, gegen die Herzogin mit rücksichts-
loser Schärfe vorzugehen; wenn es ihm nicht gelänge, sie „zur
Herde von Jesus Christus zurückzuführen'S so war er berechtigt
ihr mit der Einziehung ihrer Güter in Frankreich zu drohen, mit
der Entziehung ihrer Töchter und der Entfernung ihrer franzö-
sischen Dienerschaft. Als aber der Duc de Guise von diesem strengen
königlichen Befehl erfuhr, schickte er seinen Vertrauten an Renata,
um Orjs Vorgehen zu durchkreuzen. Für diese Mission bestimmte
er den Dichter Jamet, der einst Ercoles Sekretär gewesen war,
sich dem Herzog in keiner Weise verdächtig gemacht hatte und
sich doch insgeheim treu zu Calvin bekannte. Jamet holte sich,
ehe er nach Ferrara kam, Instruktionen beim Meister in Genf.
Ory setzte mit Hilfe des Jesuiten Jay alle Hebel in Bewegung,
um Renatas Überzeugung zu ändern, aber auch Calvin lieB nicht
locker. Da er Jamets Geschicklichkeit nicht übermäBig hoch ein-
RBNATA DI FRANCIA a95
schätzte, sandte er seinen tücfatigslen Anhänger, Ftan^is de Morel,
der auch unter dem Namen de Colonges bekannt ist, schleunigst
nach Perrara. Calvins Gesandter kam unter bemdem Namen
nach Perrara; obgleich er die Herzogin insgeheim sah, erfuhr
Ercole Ton diesen geheimen Zusammenkünften. Da Renata nicht
Ton der Verbindung mit den Ketzern abzubrihgeii war, nahm er
ihr die Töchter und gab sie in das Kloster Corpus Domini, das seiner
Schwester Eleonora d'Este tmterstand. . Gleichzeitig entließ Ercole
Renatas Hofdamen und ihre französische Dienerschaft, nur
einige ihm absohit ergebene und zuverlässige Personen blieben in
ihrem Dienst. Renata trug all diese Maßnahmen äuBerlich ruhig,
aber energisch wies sie die Versuche des Inquisitors zurück, sie
von Calvins Lehre abzubringen. Ory ergriff in seiner Ungeduld
ein letztes Mittd, das Heinrich IL sicherlich nicht vorausgesehen
hatte: er verklagte Renata vor dem Tribunal der Inquisition. Das
Tribunal, mit Bischof Rosetti an der Spitze, trat in Perrara zu-
sammen, die Richter waren Bischof Lodeve und Lepelletier, der
Rektor des JesuitenkoUegiums. Ory als Ankläger warf Renata
vor, daB sie sich zu Calvins Ketzerlehre bekenne, nidit zur Messe
gehe, die Wirksamkeit der Sakramente bestreite, nicht beichte
und nicht an die Pleischwerdung Christi glaube. Aus Rücksicht auf
den König von Prankreich und Ercole ging das Tribunal sehr
milde vor, verurteilte Renata nicht zum Tode, sondern nur zu lebens-
länglichem Gefängnis imd zur Konfiskation all ihrer weltlichen
Güter. Die Bibliothek der Herzogin, in der sich Hunderte von ver-
botenen Büchern befanden, sollte verbrannt und ihre Dienerschaft
aufs schvirerste bestraft werden, aber vierundzwanzig der Schul-
digsten warteten den Urteilsspruch nicht ab, sondern flohen ins-
geheim.
Renata nahm den Urteilsspruch ganz ruhig auf und zeigte keiner-
lei Purcht. Am 7. September, einen Tag, nachdem das Urteil ge-
fällt war, hielt bei Tagesanbruch ein Wagen vor ihrem Palast, und
unter der Eskorte des Bischofs Rosetti und Rug^eros, des ehe-
maligen ferraresischen Gesandten in Rom, wurde die Herzogin
in das alte SchloB überführt, das schon lange als Gefängnis diente.
Renata wurde in jenen Räumen untergebracht, die sie unmittelbar
296 ZEHNTES KAPITEL
nach ihrer Ankunft in Ferrara all junge Frau bewohnt hatte, vor
ihrer Tür wurde eine Wache postiert, und swet zuverlissige Frauen
wurden mit ihrer Bedienung betraut Pltttilich, im Verlaufe Ton
noch nicht einer Wodie gingen Veränderungen vor, die man sich
fürs erste nidit zu erklären Yermochte. Renata ▼erlieS das Ge-
fängnis, und Ory, der französisdie Großinquisitor, war aus Ferrara
verschwunden. Aus dem Ankläger ward ein Angeklagter: Renata,
zum AuBersten gebracht, legte zu ihrer Verteidigung jenes Breve
von Paul III« vor, in dem der Papst ihr ausdrücklich gestattet hatte,
selbst GewaltmaSregeln gegen jeden zu ergreifen, der sie der Ketzerei
bezichtige. Kraft dieses Breve unterstand Ory dem Bann, und Re-
nata war berechtigt, ihren Gatten aufzufordern, ihn ins Gefängnis
werfen zu lassen. Der franzSsische Monsignore hielt es für das
Klügste, das Feld zu räumen. Renata hatte sich an ihren Feinden
sehr geschickt gerächt.
Infolge dieses Breve, von dem auch Ercole nidits gewußt zu
haben scheint, wurde sein Verhalten der Herzogin gegenüber ein
anderes. Da ihr mit Gewalt nicht beizukommen war, ließ sich nur
auf gütlichem Wege Frieden schließen. Eroole versuchte es auf diese
Weise, imd schon nach einigen Tagen kam es wenigstens zu äußeren
Zugeständnissen. Infolge des politischen Verhältnisses des Herzogs
zur römischen Kurie tmd der Zukunft ihrer Kinder gab Renata für
den Augenblick nach; sie beschloß, die vom katholischen Kult vor-
geschriebenen religiösen Bräuche zu wahren, beichtete sogar
bei Lepelletier tmd nahm das Abendmahl. Ercole erwies sich der
Herzogin dankbar für diesen Wandel in ihrem Benehmen, gab ihr
die Töchter zurück und gestaltete ihren Hofstaat auf die alte Art um.
Pater Lepelletier triumphierte, er rühmte Renatas wunder-
bare Bekehrung laut tmd berichtete Loyola von diesem außer-
ordentlichen Ereignis; doch Ercole kannte seine Frau besser als
ihr Beichtvater; er wußte, daß die Herzogin Calvinistin geblieben
war und sich nur für den Augenblick der äußeren Notwendigkeit
gefügt hatte. Ercoles Mißtrauen ging so weit, daß er sich weigerte,
ihr ihre Kleinodien herauszugeben, damit sie sie nicht verkaufe
und die Ketzer mit diesem Geld unterstütze. Außerdem unter-
stellte er sie dem besonderen Sehutze zweier Jesuiten, die er zu
RBMATA DI FRANCIA ^97
ihrem Hatukaplan und Beichtvater emaimte. Dteäen geistUchen
Wicfatem konnte es nicht lange entgehen, dafi ihr Triumph Ter-
früht war; sie scheinen die Wahrheit nach Rom berichtet zu haben,
denn der neue Pi^st, Paul IV., jener furchtbare Caraffa, empfahl
seinem Auditor Rota, als er ihn nach Ferrara entsandte, Renata
nicht zu besuchen«
Trotzdem beunruhigten sich Calvin und die Sektierer, als sie
erfuhren, Renata sei in den Scho£ der katholischen Kirche zurück-
gekehrt, tmd selbst Olympia Morato sdirieb damals: „daB sie die
Herzogin stets für unbeständig gehalten habe''; aber Renata sorgte
dafür, daß Calvin nicht lange an ihren Abfall glaube. Briefe zwischen
Ferrara und Genf kamen und gingen wie früher, und Calvin, der
Renata in ihren Grundsätzen befestigen wollte, schickte einen seiner
originellsten Apostel Galeazzo de Vico nach Ferrara. Galeazzo,
ein vornehmer Neapolitaner, hatte im Überfluß mit Frau und Kindern
gelebt, da machten ihm Valdes' und Ochinos Fredigten einen solchen
EindrudL, daß er seine Familie verließ, auf sein Vermögen ver-
zichtete und sich zu Calvin nach Genf begab. Br ward zum leiden-
schaftlichen Apostel der Reformation: arm und elend durchzog
er die Schweiz, Flandern, das nördliche Italien und predigte die
Lehre seines Meisters. Insgeheim, wahrscheinlich unter fremdem
Namen, kam er nach Ferrara, hatte Zusammenkünfte mit der
Herzogin, die ihn in ihrem eigenen Wagen bis an die Grenze be-
förderte.
Die Inquisition hatte ein hartes Stüdc Arbeit zu leisten, und
viele Scheiterhaufen brannten, ehe Ferrara und namentlich Modena
als weniger „verdächtig'' galten. Noch unter Alf onso wurden in Mo-
dena dreizehn Männer und Frauen verbrannt. Paul IV. befahl den
Geistlichen in Ferrara mit Hilfe weltlicher Institutionen Material
zu sammeln, um all jenen, die man der Sympathie mit den Ketzern
verdächtigte, den Prozeß zu machen, und sie auch dann nicht zu
schonen, wenn sie zur höchsten Klasse der dortigen Gesellschaft
gehören sollten. Um das Material um so schneller und sicherer zu-
sammen zu bekommen, empfahl die römische Kurie, gegebenen Falles
die Folter nicht zu schonen. Die Denimzianten wurden von der
Inquisition reichlich belohnt, und einer ihrer wichtigsten Geheim-
298 ZEHNTES KAPITEL
agenten war jener Franxose de Noyant, der seiner Zeit das Ver-
hältnis zwischen seiner eigenen Frau und Brcole ruhig geduldet
hatte,
Ercole und besonders sein intoleranter Nadhfolger Alfonso II.
leisteten der Inquisition in ihrem Vemichtungswerk Vorschub.
Die Reformation wurde unterdrückt, aber die Arbeit in Italien
war weniger schwer als in Deutschland oder Frankreich. Die
Italiener haben wenig Anlage zum religiSsen Fanatismus» imd der
Mehrzahl erschien es tfiricht, sich foltern und einsperren zu lassen,
wenn es doch genügte, die äußeren Formen der lEircfae zu erfüllen
imd man im stillen glauben konnte, was man wollte. Die Zahl
jener, die für ihre religiOse Überzeugung^ sterben wollten, war
in Italien ganz gering.
IX
Italiens politische Verhältnisse waren gegen das Ende Ton
Ercoles Regierung so kompliziert, daB es viel diplomatischer
Creschicklidikeit bedurfte, um im allgemeinen Chaos nicht unter-
zugehen. Die kleinen Tyrannen und Republiken vermochten sich
gegen die drei groBen Gewalten: Spanien, Frankreich und das
Papsttum nicht zu behaupten, nur dem Herzog von Ferrara gelang es,
sein Land vor fremden Einfällen zu schützen. Um seine Stellung
zu befestigen und sich dem Kaiser wieder zu nähern, beschloB
Ercole seinen Sohn Alfonso mit Cosimo Medids Tochter zu ver*
heiraten. Renata war gegen diese Verbindung, sie wünschte, daß
Alfonso sich mit Marguerite, der Herzogin von Berry, der Schwester
des Königs von Frankreich, die etwas älter als er war, vermähle;
aber Ercole hatte bereits mit dner französischen Prinzessin so böse
Erfahrungen gemacht, daß er seine Zustimmung verweigerte«
Da die Florentinerin erst vierzehn Jahre alt war, entschloB man
sich zwar zur sofortigen Trauung, jedoch mit der Klausel, daB Al-
fonso für längere Zeit nach Frankreich gehe.
Der alte Ercole sollte seinen Sohn nicht wiedersehen, er er-
krankte am 26. September 1558 schwer und war am 3. Oktober
299
RBNATA DI PRANCIA
tot. Vor seinem Tode rersuchte er Renata zu bewegen, ab
Ms zu Alfonsos Rückkehr aus Frankreich, ihre Beziehimgen zu
den Heretikem abzubrechen und ihre geheime Korrespondenz
mit Calvin aufzugeben. Der Vermittler dieser Briefe war der Post-
meister des Städtchens Luna in der Romagna. Renata versprach
dem Sterbenden, seine Wünsche zu erfüllen, bald reute sie ihre
Schw&che, und sie versuchte sich vor Calvin zu rechtfertigen.
Der geschickte Reformator spradi ihr Trost zu, „da sie Gott durch
diesen Schwur beleidigt habe» sei sie nicht gezwungen, ihn zu halten^'.
Renatas Regentschaft war nur von kurzer Dauer. Alfonso
traf am 26. Oktober 1559 in Ferrara ein tmd übernahm die Regie-
rung in gewohnter Weise. Auf Bitten der Mutter gab er seinem alten
Oheim Giulio d'Bste die Freiheit wieder; er hatte dreifiig Jahre
im unterirdischen Kerker geschmachtet. Als der alte Mann den
Lebenden wiedergegeben ward, betrachtete ihn ganz Ferrara als
eine Merkwürdigkeit, denn er war noch 4 la francese gekleidet wie zu
Zeiten Alfonsos I. Seinen Kopf deckte ein Hut mit ungeheuren
Krausen, der Rock reichte bis an die Knie, die Ärmel, bauschig
nach oben, umschlossen das Handgelenk fest, der Mantel war pelz-
gefüttert, die weiten Strümpfe dienten gleichzeitig als Taschen,
und an den Stiefeln prangte eine seidene Franse. Der arme Giulio
sollte sich seiner Freiheit nicht lange freuen, er starb zWei Jahre,
nachdem er aus dem Gefängnis freigekommen war.
Alfonso II. war gegen die Ketzer viel intoleranter als sein Vater;
er erklärte, lieber tmter Aussätzigen als unter Hugenotten leben
zu wollen, und in Frankreich hatte er dem Kfoig empfohlen, die
gewaltsamsten MaSregeln gegen die Reformatoren zu ergreifen
und nicht die Führer allein zum Tode zu verurteilen. Zwischen der
calvinistischen Mutter und dem fanatischen Sohn konnte es keinen
Frieden geben, das Verhältnis spitzte sich immer mehr zu, besond^s
als Alfonso 1560 nach Rom fuhr, um Plus IV. zu huldigen. Dort
verlangte man vom Herzog, seine Mutter zu zwingen, die Be-
ziehungen zu den Ketzern abzubrechen. Alfonso stellte nach seiner
Rückkehr die Herzc^^in vor die Alternative: ihr Vorgehen völlig
EU ändern oder Italien zu verlassen. Alfonsos Härte verletzte Re-
nata aufs empfindlichste; sie beschloS, in. kürzester Zeit nach
300
ZEHNTES KAPITEL
Frankreich snirücksugehen. Die Abreise fand mit all den Ehrungen
statt, die man der Herzogin-Mutter und früheren Regentin schuldig
war; Alfonso begleitete Renata Us an die Grenze des Reiches.
Am 2. September rerlieB Renata Perrara, begleitet von drei-
hundert Menschen und ihrem jüngeren Schnei Don Luigi, det
sie nach Prankreich brachte.
Renata war die markanteste Persdnlichkeit unter den refor-
mierten Prauen Italiens, aber ihr Vorgehen war anders ab das
einer Vollblutitalienerin, einer Colonna oder Giulia Gonzaga;
ihrem Tenqierament nach blieb sie stets die Französin und Frau
des Nordens. Eine groBe Rechtlichkeit und Charakterfestigkeit,
unendliche Güte und Mitleid waren ihre hervorragendsten Eigen-
schaften. Als ehrliche Katholikin war sie nach Italien gekommen,
und sie wäre sicherlidi dem Katholizismus treu geblieben, wenn
man ihr rficksichts- tmd liebevoller begegnet wäre, und wenn der
religiöse Terrorismus nicht seinen Höhepunkt erreicht hätte. Es
empörte sie, daß man von ihr verlangte, Dinge zu glauben, die
sie nidit glauben konnte, daB sie anstatt vernünftiger Belehrung
auf einen strikten Befehl slieS. Ihr königlicher Stolz revoltierte,
und die eigensinnige, leidenschaftliche Bretonin erwachte. Sie
gehört zu jener groBen 2Mil, die die Brutalität der Gegenreformation
mit Gewalt in das feindliche Lager gestoßen hat.
Sie war so sehr von religiösen Ideen erfüllt, daß im Gegen-
satz zu den berühmten italienischen Prauen die Kunst keinen Platz
in ihrem LpOben fand. Während Ercole als wahrer Mäcen die ferra-
resischen Maler Girolamo da Carpi, die beiden Dossi und Garofalo^
um sich scharte, Pordenone, Cellini, Sansovino und einige Flamen
kommen ließ, interessierte sich Renata als echte Calvinistin kaum
für Kirnst und unterstützte nur einige unbedeutende französische
Künstler um ihrer Nationalität willen. Dagegen hatte sie eine Vor-
liebe für Musik, sah Seiltänzern gern zu und hatte eine Schwäche
für Hofnarren. Sie besaß ihrer eine große Anzahl imd kleidete sie
besonders sorgfältig in Samt und kostbares Pelzwerk. Diese
Schwäche der Herzogin war wohl bekannt; als sie nach Frankreich
ging, schickte ihr der Marchese Pescara seinen Hofnarren, damit
er sie während der Reise erheitere.
RENATA DI FRANCIA
3OX
Renata ging direkt nadi Orleans, wo damals der junge KSnig
Franz II. Torübergehend weilte mit seiner Mutter Katharina von
Media, die in seinem Namen regierte. Die damaligen religiösen
und politisdien Verh<nisse in Prankreicfa waren die denkbar
traurigsten. Katharina hielt es weder mit den Katholiken noch mit
den Hugenotten, aber durch ihre Intriguen versuchte sie beide
Parteien gegeneinander zu gunsten des Thrones zu verhetzen.
Renata trat als ehrliche Calvinistin auf, als Protektorin der Huge-
notten, aber als Frau von königlichem Geblüt, ab „fille de France'^
betrachtete sie es als ihre Pflicht, die Dynastie zu stützen und die
leidenschaftlichen Kämpfe zu mildem. In Frankreich fielen jene
Rüdcsicfaten fort, die ihre Bewegungsfreiheit in Ferrara gehemmt
hatten: das VerhUtnis zu Rom, die Notwendigkeit, ihre Kinder im
römisch-katholischen Glauben zu erziehen — das war kein Hemm-
schuh mehr, sie konnte jetzt ruhig ihren Überzeugungen gemäB leben
und ihre Glauben^enossen unterstützen. Der König starb bald
nach ihrer Ankunft, am 5. Dezember 1560, doch änderte dies die
Verhältnisse keineswegs, da sein Bruder, Karl IX., ein zehn-
jähriger Knabe, ihm auf dem Thron folgte und Katharina Regentin
blieb.
Nach kurzem Aufenthalt in Orleans siedelte Renata nach Mont-
argis über, das ihr Erbteil neben Chartres bildete. In Montargis
stand ein seit langem imbewohntes, verfallenes SchloB; Renata
machte sidi sofort daran, diese Residenz umzubauen tmd zu be-
festigen und übertrug diese Arbeit einem bekannten Batuneister,
Du Cerceau, einem Anhänger Calvins. Die Kosten dieses Unter-
nehmens waren ungeheuer und trugen nicht wenig dazu bei, Re-
natas Budget zu erschüttern.
D|ie Herzogin unterhielt nach wie vor Beziehungen zu Calvin,
fragte ihn in wichtigen Dingen um Rat, und der letzte Brief, den
der Genfer Reformator geschrieben hat, ist an Renata, die Pro-
tektorin des neuen CHaubens, gerichtet. Die ganze Umgebung der
Herzogin bekannte sich zu Calvin, und die Holgeistlichen, fana-
tische Hugenotten, machten ihr nicht wenig Sorge, da sie die katho-
302
ZfiHNTES KAPITEL
lische Bevölkerung in Montargis und Chartres bekehren wollten
und damit unwillkürlich gegen Renata aufhetzten.
Renatas Lage war von der wedisehiden Stellung des fran-
zösischen Hofes den Hugenotten gegenüber abhingig. Jeder Stunn
der furchtbaren religiösen Kämpfe fand seinen Vtnderhall in Mont-
argis, nach jeder Verfolgung flüchteten Hugenotten unter Renatas
schützendes Dach; es haben häufig Hunderte von Vertriebenen
an ihrem Tisch Platz gefunden. Montargis hieS bald ,, Nichte des
Huguenots'^
Trotzdem Renata zum Frieden mahnte» konnte der kleine Ort
nicht zur Ruhe kommeni und ab an der unteren Loire jene furcht«
baren Kämpfe begannen, kam es auch in Montargis zur Revolution,
da die katholische Bevölkerung dort stärker ab die protestantbche
war. Der katholische Waldhüter Michel Bareau, ein roher Kerl,
der sehr viel EtnfluS hatte, wollte die ganze calvinbtische Rotte
ermorden. Die erschrockene Renata bat den Prinzen Cond6, der
in Orleans mit seiner protestantbchen Armee stand, ihr einen Trupp
Soldaten zur Aufrechterhaltung der Ordnung zu schicken. Aber
Condts Soldaten waren fanatische Calvinisten; ab sie nach Mont*
argb kamen, warfen sie etwa zwanzig Geistliche und Mönche in
den Brunnen, zerstörten Heiligenbilder, raubten Kelche, Mon-
stranzen, Ornate, zerrissen Kirchenbücher und zertrümmerten
Glocken. Natürlich übten Michel Bareau und seine Soldaten Rache
an den Eindringlingen, und nur mit größter Mühe gelang es Renata,
Condte Heer zu entfernen und die Ruhe wiederherzustellen.
Nach dem Sieg der Katholiken bei Dreuz am 19. Dezember
1562 suchte Renatas Schwiegersohn, der Duc de Ouise, den König
zu veranlassen, die Herzogin zu zwingen, Montargb zu verlassen
und eines der königlichen Schlösser in Fontainebleau Saant-Germain
en Laye oder im Bob de Vinoennes zu beziehen. Auf diesen Öefehl
gab Renata zur Antwort, daB sie in Montargb bleiben tmd si(h im
Notfall verteidigen würde. Guise, der Orleans besetzte, schickte
infolge dieser Weigerung eine Abteilung seines Heeres unter General
Malicome, damit er gegen das verhaßte Hugenottennest voi^ehe.
Ab Malicome nach Montargb kam, lieB Renata ihn auffordern,
sich wohl zu überlegen, was er zu tun beabsichttge, in Frankreich
RENATA DI FRANCIA
303
gäbe es niemand als den K4inig allein, der ihr befehlen dürfei und
wenn er es wagen würde, das Schlofi su belagerni so würde sie
selbst die Mauern besteigeni und den Tollkühnen erwarten, der
die Toditer des Königs ermorden wolle. Nach dieser Meldung
wagte Malicome nicht vorsugehen und bat um die Ordre des Königs
aus Paris. In der Zwischenzeit waren wichtige Dinge vorg^angen^
am z8. Februar 1563 war der Herzog von Guise ermordet worden.
Er war der gröfite Feind der Hugenotten und hatte den Einwohnern
von Orleans gedroht, sie wie Katzen zu vertilgen. Nach seinem
Tode war die katholische Partei bereit, friedlich zu unterhandeln.
Der König befahl Malicome, von der Belagerung des Schlosses ab*
zusehen, und Renata triumphierte für den Atigenblick. Aber diesen
Triumph sollte sie bitter bezahlen. Der Duc de Guise war ihr
Schwiegersohn gewesen, imd der Jubel im hugenottischen Lager^
die Lieder, die das Gedäditnis des katholischen Führers beschimpften
und von allen Seiten an ihr Ohr drangen, beleidigten sie. In Renata
machte sich eine gewisse Opposition geltend, sie begann Guise
zu verteidigen und da sie seine imerhörte Grausamkeit gegen die
Hugenotten nicht zu rechtfertigen vermochte, behauptete sie,
alles sei nur auf Befehl des Königs geschehen; im Innersten sei er
kein überzeugter Katholik gewesen, sondern habe der Reformation
nahe gestanden. Der Priester Mord, Renatas Freund, berichtete
damals Calvin, die Herzogin gdie durch schwere Kämpfe; das
Verlangen, der wahren Religion Christi zu nützen, kämpfte in ihr mit
der Liebe zur Tochter und dem Gefühl des Unrechts, das ihrer Familie
gescfadien. Der in Amboise geschlossene Traktat, der den Pro-
testanten Gewissensfreiheit sicherte und die Erlaubnis, ihre Re-
ligion öffentlicfa auszuüben, gab Renata für kurze Zeit ihre Ruhe
wieder, ihr Ld>en gestaltete sidi weniger schwer, sie begann wieder
häufiger Laute zu spielen, bdustigte sidi mit ihrer Zwergin Agnes»
ihrem geliebten Schofihündchen und ihrem Papagei, für den sie
einen sechs Stockwerk hohen Käfig bauen lieB. Die Zugeständnisse
an die Hugenotten fachten ihren Mut an; ihr Verlangen sti^, für
Calvjns Lehre neue Anhänger am gewinnen, sie wollte die gesamte
Bevölkerung Montai^' zu ihrem Glauben bekehren» Calvin
empfahl ihr eine religiöse Polizei ei^ümführen, mit anderen Worten^
304 ZEHNTES KAPITEL
eine gemlBigte Inquisition, wie er sie in Genf eingesetzt hatte,
aber dieser hinterlistige religiAse Terrorisnius widerspfach ihrer
Gemütsart.
Der Friede zwischen den streitenden Parteien in Firankreich
währte nur sehr kurze Ztlt. Katharina Ton Medid wandte sich
immer mehr von den Hug e n o tten ab imd wurde ihre immer aus-
gesprochenere Feindin; auch die Bevölkerung widlte die den Huge-
notten zugestandenen Rechte nicht anerkennen und enqiSrte sich
gegen die Ketzer.
Nach Calvins Tod am 4. April 1564 hielt Alfonso von Ferrara
den Augenblick für gekommen, um in kattiolischem Geist auf die
Mutter einzuwirken. Er kam nach Frankreich, im (Hauben, die
Herzogin überreden zu können, auBerdem wollte er im Binverstind-
nis mit Emanuel Filibert, dem Herzog von Savojen, den König
und seine Umgebung veranlassen, init aller Strenge gegen die
Protestanten vorzugehen. Br riet dem König, unverzüglich fünf
oder sechs Führer der ketzerischen Bewegung zu ermorden, um
den Hugenotten Furcht einzujagen. Noch wurden diese Gewalt-
maBregeln nicht angewandt, Katharina glaubte, der Reformation
allm&hlich und mit weniger Blutvergießen Herr werden zu können,
gleichzeitig bereitete sie einen Schlag vor, um Renatas Binflufi
auf ihre Glaubensgenossen abzuschwächen. Sie wollte Anna d'Este,
die Vntwe des ermordeten Guise, mit Jacques, dem Herzog von
Nemours, dem fanatischsten Feind der Hugenotten, verheiraten.
Katharina leitete die Intr^^e so geschickt, daß Renata von der
beabsichtigten Verbindtmg erst Wind bekam, ab die Sadie schon
ganz perfekt und der Ehekontrakt beinahe unterschrieben war.
Das Vorgehen der Königin empörte Renata noch mehr gegen ihre
katholischen Gegner; sie schloB sich in Montargis ein und begann
eine protestantische Agitation mit erneuter Energie. Umgeben
von ihrem früheren Hofstaat, dem sich audi Lfon Jamet ange-
schlossen hatte, gestaltete sie mit Hilfe einiger Priester Montargis
zum protestantischen Herzogtum um, ohne der königlichen
Befehle zu achten. Sie begründete dort sogar ein Priesterkolleg,
mit der Absicht, protestantische Pastoren auszubilden. Die Huge-
notten bewunderten Renatas Energie, ihr Ruhm verbreitete sich
RENATA DI FRANCIA
30s
weit über Frankreich hinaus, und in Deutschland wurde sie ab
Heldin der Reformation gefeiert. Zur Beliebtheit der Herzogin
trug ihre schrankenlose Wohltätigkeit bei; wahrer Armut gegen-
über kannte Renata keinen Glaubensunterschied und imterstützte
französische Mönche und Schweizer Pastoren in gleicher Weise.
Den französischen Hof beunruhigte Renatas Wirksamkeit in
solchem MaSe, daß Karl IX. den alten Befehl erneuerte, die Herzogin
möge Montargis verlassen und nach Fontainebleau oder Vln^
cennes übersiedeln. Da Renata Widerstand leistete, entzog ihr
der König vermittels eines Dekrets die Verwaltung ihrer Erbgüter
und übertrug sie d*Bntragues, dem Statthalter von Orleans. lAan
nahm ihr all ihre Einkünfte imd verurteilte sie, von der Wohl-
tftt^keit ihrer Kinder zu leben. Renata legte Protest gegen dieses
Dekret ein, und die Einwohner der Stadt Chartres, obgleich selbst
Katholiken, unterstützten ihren Protest aufs wärmste. Überall
hielt man das Vorgehen des Königs für ein groBes an der Tochter
Ludwigs 3QI. b^angenes Unrecht Ludwig XIL lebte noch als guter
König im Gedächtnis aller. Der König mußte sich der öffentlichen
Meinung fügen und seinen Erlaß zurückziehen, er ließ der Herzogin
wenigstens den Schein der Macht in ihren Erbgütern.
Die Kämpfe zwischen Katholiken und Hugenotten wurden
mit immer größerer Bitterkeit geführt; Leidenschaften machten
Menschen zu reißenden Tieren; im ganzen Lande floß Blut, und es
kam zu den furchtbarsten Grausa m keiten. In Auserre briet die
katholische Bevölkerung das Herz eines Hugenotten auf Kohlen
und zerlegte es in Stücke zum Essen. Die Hugenotten flohen nach
Deutschland und in die Schweiz, und Montargis wurde wieder eine
Zufluchtsstätte hungriger, elender, verzweifelter Calvinisten. Re-
nata nahm auch diesmal auf niemand Rücksicht und öffnete den
Bedürftigen ihr gastliches Haus. Aber die Regierung wollte nichts
von Mitleid wissen, aus Paris kam der Befehl an die Herzogin,
die schutzsuchenden Hugenotten sofort zu entfernen. Renata
hatte weder ein Heer noch die Macht, sich dem Vraien des Königs
zu widersetzen; am 26. September 1569 mußten vierhundertsechzig
Menschen ihr Schloß verlassen. Sie stellte den Fliehenden himdert-
fünfzig Dienstfuhren, acht Wagen und mehrere Pferde zur Ver^
3o6 ZEHNTES KAPITEL
fügung, aber kaum hatte die Karawane, die Frankreichs Grense
zustrebte, Montargis verlMsen, so Tertrat ihr ein Trupp des kttnig-
Uchen Heeres den Weg und wollte die Flüchtenden ermorden.
Der eine von ihnen, Pierre Beatunont, hielt eine Ansprache an seine
Gefährten, forderte sie auf, sich zu ergeben und demütig wie Christus
am Kreuz zu sterben. Im letzten Augenblick, ehe das Verbrechen
begangen wurde, kam ein Trupp protestantischer Soldaten, und nach
kurzem Kampf mit den Königlichen wurden die Flüchtlinge befreit.
Nur einen Augenblick durfte Renata sidi dieses Sieges freuen;
sie wurde sehr bald gezwungen, all ihre Hofleute „unsicheren Glau-
bens'^ zu entlassen. Das war ein schwerer Schlag für sie; als sie
sich von ihren alten Dienern trennte, war ihr nach ihren Worten
zu Mute, ab wenn sie selbst auseinanderginge. Unterdessen ver-
nichteten beide Parteien sich gegenseitig mitleidslos in furchtbarem
Kampf; in beiden Lagern b^ann es an Geldmitteln zu fehlen,
um den Vernichtungskrieg fortzusetzen. So mußte es zum Frieden
kommen oder richtiger zum Waffenstillstand, der im August 1570
geschlossen wurde. Renata war so glücklich darüber, daB, als ihr
um zehn Uhr abend« ein Diener diese Nachricht brachte, sie ihm fünf
Pfund für die gute Botschaft schenkte. Doch sollte sie trotz des
augenblicklichen religiösen Friedens nicht zur Ruhe kommen, da
ihr andere Sorgen drohten. Die letzten Ereignisse, die groBe Hof-
haltung und ihre schrankenlose Wohlt&tigkeit verschlangen mehr als
ihre Einnahmen betrugen. Um ihre pekuniAren Verhältnisse zu
ordnen, hatte sie gegen den königlichen Schatz einen ProzeO an-
gestrengt, damit ihr ein Teil aus dem NachlaB Ludwigs XIL, der
ihr nach Ansicht ihrer Berater zustand, ausgezahlt werde. Die Forde-
nmg war nicht absolut sicher, und der Au^;ang des Prozesses zum
mindesten zweifelhaft; erst durch Vermittlung der Königin-Mutter
kam es zwischen der Krone und Renata zu einem Vertrag, wonach
die Herzogin jährlich 60 000 Pfund bezog. Zu dieser günstigen Er-
ledigung hatte in Paris namentiich die Rücksidit auf ihre Tochter,
die Herzogin von Nemours, beigetragen, deren BXann einer der
bekanntesten Generäle der königlichen Armee war.
Das Schicksal hat Renata gegen Ende ihres Lebens nicht das
Furchtbarste vorenthalten, das sie treffen konnte. Hinfällig und
RBNATA DI FRANCIA
307
krinklidi fdtte sie im Februar 1572 zu ihrer Tochter nach Paris,
imd das Unglück woSte, daß sie dort das Blutbad der Bartholomäus-
nacht miterleben sollte. Am Mittwoch, den 20. August, gab es ein
großes Fest bei Hofe, im Theater wurde ein Märchen aufgeführt,
das gut gefiel. Aber es fehlte nicht an Stimmen, die den Inhalt des
Stückes für eine böse Vorbedeutimg hielten« Auf der Bühne war
rechts das Paradies, links die Hölle; den Zugang zum Paradies
verteidigten drei Ritter, in der Hölle wimmelte es von Teufeln imd
Teufelchen, die sich unter Feuer und Schwefel zu schaffen machten.
Mitten auf der Bühne führte Charon seinen Nachen über einen
FluB und setzte die Erlösten im Hinunel, die Verdammten in der
Hölle ab. Gruppen irrender Ritter in verschiedenfarbigem Schmuck
kamen ins Paradies imd baten um Aufnahme, aber die bewaffneten
Wächter wehrten ihnen den Zutritt und verjagten sie in die Hölle.
Merkur kam auf einem Hahn und b^lückwünschte die Paradieses*
Wächter ob ihrer Wachsamkeit. Die Zuschauer begriffen, daB die
Verteidiger des Himmels, die Hüter der kattiolischen Kirche, niemand
anders als der iCönig und seine Brüder wären, und daB man
die Hugenotten, mit dem König von Navarra an der Spitze, in
die Hölle verbanne.
Renata hat in Paris nidit bei ihrer Tochter im Louvre gewohnt,
sondern im Kloster Notre-Dame, und diesem Umstand hat sie es
zu danken, daB sie in der Nacht des 23. August nicht Augenzeuge
des Blutbades war, das im Umkreis des königlichen Palastes statt-
fand. Als in den folgenden Tagen die Mörder auch in den übrigen
Stadtteilen wüteten, fürchtete der König für Renatas Leben und
schickte eine Abteilung treuer Soldaten ins Kloster, um sie vor
den Oberfällen der fanatischen • Bevölkerung zu schützen. Acht
Tage währte das Gemetzel; ab sich Paris zu beruhigen anfing
und die Tore der Stadt geöffnet wurden, reiste Renata ab unter dem
Schutz Bewaffneter, die ihr der Duc de Guise, Colignys Mörder,
stellte. Und es war gut, daB sie fortreisen konnte, denn die ver-
tierte Menge hat Colignys Leiche noch aus der Seine herausgefischt,
da sie „unwürdig sei, selbst von den Fischen gefressen zu werden".
Renata kam ohne Zwischenfall nach Montargis, aber diese Vor-
fälle haben sie gebrochen; sie war alt und mager geworden imd
3o8 ZBHNTBS KAPITEL
glaubte, daß die Reformation sich von diesem Schlag nicht erholen
würde tmd ihre religiösen Ideale für immer vemichtet seien.
Sie, die bis jetzt in ihrer Oberaeugwig unerschütterlich gewesen
war, b^ann der Übermacht ru erliegen, aus Furcht, daß ihren
calvinistischen Untertanen ein gleiches Schicksal wie in Paris
drohe. Sie unterließ jegliche religiSse Agitation, um so mehr als
ihre Tochter aus Paris berichtete, daß die Hugenotten mit Gewalt
gezwungen werden würden, in den Schoß der katholischen Kirche
zurückzukehren, und der iCönig ein Edikt erlassen habe, wonach
alle ohne Unterschied zur Messe gehen müßten; selbst der König
▼on Navarra und der Prinz von Condi hätten sich dem nidit ent-
ziehen können. Falls sich Renata den neuen Vorschriften nicht
fügen wolle, müsse sie gewärtigen, daß ihre Dienerschaft und
ihre ganze Umgebung für sie büßen würden. In milderer, aber nicht
weniger bestimmter Form schrieb die Königin-Mutter; sie ermahnte
sie, offen mit der Reformation zu brechen, was nach ihren Ver-
sicherungen dem König eine große Freude wäre. Dieser Brief machte
auf Renata den erhofften Eindruck nicht, da sie fast gleichzeitig
▼on den furchtbaren in Orleans begangenen Grausamkeiten und
der schrecklichen Lage der Hugenotten hörte. Renatas Seele
wandte sich den Verfolgten zu, zum letzten Male öffnete sie den
Vertriebenen die Tore ihres Schlosses, zum großen Arger des Königs
tmd seiner Umgebung.
Ihre Kräfte waren erschöpft. Gebrochen durch die furchtbaren
Eindrücke der letzten Monate, fem von ihren Freunden, die in die
Schweiz, nach Deutschland und England geflohen waren, ohne
Stütze, in ihrer Familie — Alfonso war einer der größten Gegner
der Reformation und Anna an einen der Führer der katholischen
Partei yerheiratet — , verlor sie die Hoffnung, jemals ihren Glaubens-
genossen helfen zu können. Trost fand sie nur noch im Gebet.
Um das Maß ihres Unglücks voll zu machen, erkrankte 1574
in Paris ihr geliebter Sohn, der Kardinal Luigi, lebensgefährlich.
Die Arzte gaben ihn auf. Trotz ihrer eigenen Sdiwäche eilte Renata
m
zum Kranken, aber diese Reise gab ihr den Rest: in Paris erkrankte
sie an einem hartnäckigen Fieber. Als es dem Kardinal etwas besser
ging, ließ sie sich in ihr geliebtes Montargis schaffen; dort, wo sie
RENATA DI FRANCIA
309
gewirkt, wollte sie ihr Leben beschließen. In Montargis erreichte sie
die Nachricht vom Tode des Königs und der Flucht Heinrichs III.
aus Krakau, über die ihr der Kardinal Luigi nähere Angaben
machte. Sie starb gänzHch entkräftet am 15. Juni 1574; von ihren
Kindern mögen allein der Kardinal und ihre Tochter Anna ihren
Tod ehrlich betrauert haben. Alfonso schämte sich beinahe des
Andenkens der Mutter, er verbot jede Trauerfeier, und lieB in
Rom anfragen, ob man die Glocken läuten tmd für ihre Seele beten
dürfe. Die apostolische Residenz gab zur Antwort, daB, da Renata
als Ketzerin g^orben sei, von einer religiösen Feier nicht
die Rede sein könne. Ebensowenig gestattete der König, trotz
der nachdrücklichsten Bitten des Kardinals, daB in Paris
eine Trauerfeier stattfinde und Renata in den Königsgräbem
zu Saint Denis bestattet werde. Die Tochter lieB die Mutter
in der Kapelle des Schlosses von Montargis beisetzen; dem
Wunsche der Verstorbenen gemäB trugen sechs Arme den Sarg,
lige Tage später wurde auf Befehl des Herzogs von Ne-
mours ein katholischer Gottesdienst für Renatas Seele
angeordnet. Die Herzogin hat ihrem Testament
einen kurzen LebensabriB vorangesetzt,
dankt Gott dafür, von einem König ab-
zustammen, den man den „Vater
des Volkes" genannt, imd
legt ihr Glaubensbe-
kenntnis im Sinne
Calvins ab.
V
. •
ir
ELFTES KAPITEL
ALFONSO n.
csondcnlaseinerArtwarAlfoiuo, der neue Herrscher:
▼on Kraft und Leben ttberscUumend, hatte er vlel-
fUtige Interessen und wollte über alles orientiert sein.
Für diese herinilische Natur war Ferrara zu eng. Hftufig
fuhr, er im strömenden Regen, beim stArkstui Ge-
wittN ins Freie, gleichsam um mit den Elementen zu
kämpfen; einmal riß ihm bei einer soldien Bsqiedition der Sturm
den oberen Teil des Wagens ab imd f^te ihn in den Po. Er ritt,
kutschierte einen Vierer- ja Sechserzi« mit spielender Geschick-
lichkeit und war ein leidenschaftlicher Jäger. Allmahlich erregte
diese Jagdpassion allgemeine En^>örung, da das Jagen auf dem
gesamten ferraresischen Territorium allen, bis auf den Herzog
und seine Gefährten, strengstens untersagt war. Einmal ließ er
sechs Menschen aufhängen, da sie trotz dieses Gebotes gejagt
hatten. Neben den großen Jagden arrangierte der Herzog Theater-
aufführungen, Turniere, Bälle, Bankette und Konzerte, spielte
Palla und leitete die Feste im Karneval; gab es gar nichts anderes
zu tun, so schloß er sich in seinem Laboratorium ein, machte wie
die Hediceer chemische Experimente und kombinierte ffifte zu
Diedizinisehen Zwecken. Außerdem war er ein enragierter Mecha-
niker und Baumeister, lud Alchimisten, Ingenieure und Hand-
wericer aller Art an seinen Hof, führte neue Industrien in Ferrara
ein, wie Teppichweberei und Ledergerberei auf korduanlsche Art,
ja er verarbeitete in seinen Majolikafabriken sogar eine neue
Forzellannwsse. Er war ein ausgezeichneter Organisator und hatte
ALPON80 II.
3"
einen so gut organisierten diplomatischen Dienst, daB er stets die
besten politischen Informationen erhielt.
Die Gesandten und Korrespondenten schickten dem Herzog
und seiner Kanslei ganze StftBe ron Gutachten, die sogenannten
„ATvisi e notiiie''; auf diese Weise wurde das diplomatische
estensisdie ArchiT „la gemma piA preziosa della Serenissima sua
Casa'^ wie sich Francesco III., der vorletzte Herzog yon Modena,
ausdrüdcte; diese Dokumente' befinden sich heute in Modena.
Alfonso interessierte sich auch für Literatur und Kunst. Gleich
nachdem er die Regierung übernommen hatte, lieB er die estensische,
damals schon sehr kostbare Bibliothek vergröfiem; er wollte eine
große Druckerei begründen und lieB zu diesem Zwecke einen be-
rühmten Drucker aus Venedig, Giolito, kommen, aber dieses Unter-
nehmen hat sich nicht bewährt. Er unterstützte die Universität,
lebte in einem Kreis von Literaten wie Patricdo, Guarini, Monte-
catini, Salviati, Borghesi, vertraute ihnen Professuren und Gesandt-
schaften an, und es genügt darauf hinzuweisen, daß unter seiner
Regierung die Literatur, nicht die italienische allein, sondern die
Weltliteratur, um ein Epos wie „Gerusalemme^^ und um Theater-
stücke wie „Aminto" imd „Pastor fido'' bereichert wurde.
Alfonso war ein glänzender Redner und ließ auch keine Gelegen-
heit unbenutzt, um seine Beredsamkeit zu zeigen; er beherrschte
auBer dem Italienischen vier Sprachen: Französisch, Lateinisch,
Spanisch imd Deutsch.
In seinen Fehlem hat er manchen an Borso erinnernden Zug:
er war maBlos hochmütig und eingebildet, und tat sich auf seine
Tapferkeit, Klugheit und sein altes Geschlecht viel zu gute. Dazu
war er rachsüchtig und zur Vendetta bereit. Als er sich zu einer Ex-
pedition nach Ungarn rüstete und Pier Gentile Varano aufforderte,
daran teilzunehmen, Varano diesen Wunsch jedoch, da es ihm an
Geldmitteln fehlte, nicht erfüllen konnte, lieB er seinen Vasallen
seinen Unwillen zwar fürs erste nicht merken, warf ihn jedoch
aus einem nichtigen Vorwand nach Jahren ins Gefängnis. Des
Prunkes imd der Sicherheit wegen ging Alfonso stets mit einer
Eskorte auf die StraBe, die aus fünfzig Schweizern und Deutschen,
hundert Kavalleristen und zweihimdertfünfzig PuBsoldaten be-
3X2
ELFTES KAPITEL
stand. Die Kavallerie führten Graf Brcole Bevilacqua und Graf
Aeneas Montecuculi an,
Alf onso suchte namentlich gute Beziehungen cum Kaiser und
zu den Erzherzögen aufrecht zu erhalten; um sich ihnen gefällig
zu erweisen, schickte er jedes Jahr seltene Pflanzen» Früchte, ein-
gemachte Fische, Mortadella und Salami nach Wien« Da diese
Leckerbissen aufs beste bereitet sein und doch nichts kosten sollten,
ließ er sie sich Ton den Damen der ferraresischen Aristokratie
schenken. Um den Kaiser zu gewinnen und die Möglichkeit kriege-
rischer Betätigung zu haben» beschloß er 1566 an der Spitze eines
ansehnlichen Heeres nach Ungarn zu gehen, und mit der kaiser-
lichen Armee gegen die Türken zu kämpfen. In Forara war man
über diese Expedition sehr ungehalten; sie yerschlang Unsummen
und brachte keinen unmittelbaren Nutzen; glücklicherweise ging
die türkische Gefahr diesmal schnell Torüber, und da Alfonso den
Feind am Ufer der Donau nicht vorfand, war er bald wieder in Italien.
Nach dem Tode seiner ersten Gattin Lucrezia de' Medid ver-
mählte sich Alfonso mit Barbara von Österreich; sie starb bald
darauf, und er heiratete Margherita Gonzaga in der Hoffniuig auf
den Thronerben, da seine beiden ersten Ehen kinderlos waren.
Bis in sein spätes Alter hoffte er auf diesen Sohn, da ihm Philipp
Nostradamus in Frankreich in seiner Jugend prophezeit hatte,
er würde drei Frauen haben und erst von der dritten im achtund-
fünfzigsten Lebensjahre einen Sohn bekommen. In dieser Hoffnung
bestärkte ihn sein Freund und Kriegsgefährte, Comelio Benti-
▼oglio, der ab Fünfundsechzigjähriger noch Kinder zeugte.
Das Verlangen nach Taten und Kriegen, das Alfonso niemals zur
Ruhe kommen ließ, veranlaBte ihn, sich nach der Flucht von Henri
Valois aus Krakau, um den polnischen Thron zu bewerben. Seit
der Herrschaft der Königin Bona bestanden enge Beziehimgen
zwischen den Este und dem polnischen Hof. Bonas Mutter, Isabella
von Aragon, hatte gewünscht, daB Kardinal Ippolito d'Este, der
mit den Aragon verwandt und außerdem, wie es hieS, ihrem Herzen
sehr nahe stand, ihre Tochter nach Krakau b^leite. Isabella lag
um so mehr daran, als Ippolito zu Sigmund I., dem er noch unter
Ladislas Jagiello nahe getreten war, gute Beziehungen hatte.
KÖNIGIN BONA SFORZA UND RENATA D'ESTE,
GRÄFIN VON MIRANDOLA
KRAKAU, MUSEUM GRAF CZAPSKI
ALFONSO IL
3x3
war von 1498 bis 1501 bei seinem Bruder Ladislas
in Budapest gewesen, dort hatte er Ippolito, der damak Erzbtschof
ron Gran war, kennen gelernt Ippolito rüstete im Herbst 15x7
zur Reise nach seinem neuen imgarischen Bistum im Erlau, Isabella
hoffte, der Kardinal würde seine Reise nach dem Norden bis zum
Frühling des Jahres 15x8 aufschieben und die künftige polnische
Königin nach Krakau geleiten. Ippolito konnte seine Reise nicht
bis zum Frühjahr aufschieben und infogedessen anvertraute
Isabella ihre Tochter auf ihrer Reise nach Rom Prosper Colotmas
Schutz.
Ippolito kam zu Bonas Trauung nach Krakau, doch verlieS er^
wie bereits erwähnt, die Stadt sehr bald infolge der zwischen ihm
und Colonna eingetretenen BliBTerstindnisse. Zum König imd zur
Königin stand er in einem sehr guten Verhältnis, besonders da
Bona sich um die Freimdschaft der Este bemühte, ab der mäch-
tigsten und aristokratischsten der italienischen Herrscherfamilien.
Briisfe imd Geschenke wurden zwischen Brlau und Krakau ge-
wechselt, König Sigmund schenkte Ippolito Hunde imd Falken,
Bona sogar zwei Kamele, die sie wahrscheinlich aus der Türlcei
bekommen hat. Kamele waren nicht nur in Polen, sondern auch
in Italien eine so große Seltenheit, daß Ippolito, ab er Alfonso
darüber berichtete, versprach, sie für ihn malen zu lassen. Im
folgenden Jahre bat die Königin, die sich nicht wohl fühlte und an
Schwindel litt, Ippolito, ihr aus Erlau seinen Leibarzt zu schicken, den
Priester Andrea Valentini, der auch unverzüglich nach Krakau kam.
Valentini tiahm an, daB die Leiden der Königin auf „vapore'* be-
ruhten, die vom Ilagen kämen; ihr Zustand lieB sich aber leicht
durch die zu erwartende Niederkunft erklären. Am x. August 152a
gebar sie einen Sohn, Sigmund August; Valentini war bei der Ent-
bindung zugegen.
Die Nachricht, daB die italienische Prinzessin den Polen einen
Thronerben geschenkt habe, wurde in Neapel und Ferrara mit großer
Freude aufgenommen, und Alfonso I,, der stets bereit war, Feste zu
veranstalten, gab aus diesem Anlaß ein glänzendes Turnier. Ippolito
hat diesen Freudentag nicht lange überlebt; er starb einen Monat
darauf, am 2. September X520.
314
BLFTBS KAPITEL
Die Beziehungen zwischen den ferraresisehen Herzögen und
dem pofaiischen Hofe brachen nach Ifipolitos^) Tode nicht ab, be-
schränkten sich aber auf zeremonielle Briefe* Erst Alfonso U.
suchte eine Annäherung an Polen auf seiner Expedition nach
Ungarn, er hat einige polnisdie Bdelleute dort kennen gelernt
und vielleicht hat ihn dies auch auf den Einfall gebracht, sich um
den polnischen Thron zu bemühen.
Heinrich von Valois' Bruder, Karl IX., der iUnig von Frank-
reich, begann schon 1573 zu kränkeln; sein Tod war vorauszusehen.
Heinrich von Valois versuchte einige Polen zu gewinnen, ihm,
wenn er französischer König würde, entweder.die polnische Krone
zu belassen, oder wenigstens das Szepter seinem Kandidaten zu
übertragen. Alfimso H., der dem französischen Hofe nahe stand,
hielt die Vereinigtmg der polnischen imd französischen Krone für
eine Unmöglichkeit, nahm aber an, daß Heinrich von Valois'
Partei auch nach seiner Abreise stark genug wäre, um die Wahl
eines von ihm empfohlenen Kandidaten durchzusetzen. Infolge-
dessen beschloß Alfonso, sich imter allen Umständen die Zuneigung
imd Unterstützung des Königs zu sichern, und eine starke Partei
in Polen für sich zu gewinnen, die ihn als Kandidaten für den frei
werdenden Thron aufstellen sollte.
Da der CavaUere Bottone, der gewöhnliche Gesandte Ferraras
in Polen, dem Herzog nicht geeignet erschien, um ihn in einer so
wichtigen Angel^enheit zu vertreten, schickte Alfonso AscanioGiral-
dini als auBerordentlichen Abgesandten nach Polen mit einem
ganzen Stab von Beamten und Hof leuten und gab ihm eine bis auf
den heutigen Tag erhaltene genaue Instruktion^ , wie er die Aktion
^) Bona stand auch gut mit dem Kardinal IppoUto IL (1509— 1572),
Alfonsos I, und Lucrezias Sohn; eine Interessante Erinnenmg an die Be-
ziehungen der KSnigin zur Familie des Kardinals ist eine Medaille, die sidi
heute im Museum Csaptf in Krakau befindat. Auf dam Aveis Ist die
alte Bona treffend ähnlich dacfesttttt, auf dem Revers Renata, Ippolitos IL
natOrliche Tochter, die 1553 Lodovioo Pico, den Grafen von Mirandola, g^
heiratet hat und zwei Jahre spfiter, am 29. November 2555 gestorben Ist Diese
beiden Frauenköpfe auf der gleichen Medaille lassen auf nfihere Beziehung^
schUeBen. VieUeidit war Bona Renatas Patin*
«) Cod. Marc. ItaL O. 2C, Nr. LXXVI.
ALP0N80 II.
315
einzuleiten habe. Der neue Gesandte sollte .Beaieliungen su den
einfluBreicbsten Fsrsönlichkeiten anknüpfen und mit offener Hand
darauf aus sein, dem Hencog Freunde su erwerben. Giraldini hatte
eingehend su berichten, wen er gewonnen habe und auf wen man
gq^benenfalls mit Sicherheit rechnen kttnne. Für den sichersten
hielt der Gesandte Andreas Zborowski, den HofmarschaU, der den
letzten ungarischen Krieg mitgemacht und sich Alfonso ange-
schlossen hatte. Auch Peter mborowsldy Krakaus Wojwodei schien
Giraldini schon deshalb sicher, weil er die Wahl des Osterreichischen
Kandidaten unter allen Umständen hintertreiben wollte. ZuAlfonsos
Freunden zihlte der Gesandte auch den Unterkanzler Peter Dunin
Wolskiy Szafraniec, einen bdcannten ruthenischen Magnaten, den
Kastellan Stanislas Krzydd und einige andere. Bei diesen Unterhand-
lungen, die zumeist an wohlbesetzterTaf el stattfanden, spielte das Geld
eine groBe Rolle. Das Frühstück dauerte so lange, daB es sich bis
zum Blittag- und Abendbrot ausdehnte, ja bis in die späte Nacht
wihrte, und da Giraldini eine schwache Konstitution hatte, klagte
er über die imerträgliche Hitze in den Räumen, das unmäßige Trin-
ken, und hielt diese Art zu unterhandeln für seine schwierigste
Aufgabe in Polen.
Karl IX. starb Ende Mai 1574; Alfonso war schon zwei Wochen
später daTon unterrichtet und schickte sofort eine zweite Gesandt-
schaft nach Polen, um seine Angelegenheit nicht zu TersOgem.
Er anvertraute sie Camillo Gualengo und Battista Guarini, die er
wiederholt in wichtigen diplomatischen Missionen nach Turin
imd Rom geschickt hatte.
Zu Battistas Ahnen gehörte der berühmte Humanist Guarino
da Verona. Er hat die Universität in Padua besucht, wurde später
an Stelle seines verdienten Oheims, des Rhetorikers, zum Univer-
sitätsprofessor in Ferrara ernannt (1557), heiratete Taddea Bandidio,
die aus einer bekannten ferraresischen Familie stammt luid die
Schwester jener schönen Lucrezia, der Gräfin Madiiavelli ist,
von der noch die Rede sein wird. Guarini bemühte sich, den Tra-
ditionen seiner Familie gemäB, in Alfonsos II. Dienst zu treten;
1567 figuriert sein Name auf der Liste der Hofleute. Er bezog
damals zwanzig Scudi monatlich.
3i6 ELFTBS KAPITEL
Guarinis poetiadies Talent hatte sich früh geregt; schon ehe er
durch sefai Schäferdrama i, Pastor fido'^ berühmt geworden war^
war er als Schriftsteller geschätzt. Aber trotz seiner großen Be-
gabung war er nicht nur am Hofe, sondern auch in seiner eignen
Familie imbeliebt. Außerordentlich habgierig, prozessierte er sein
ganzes Leben hindurch, und setzte die Gerichtshöfe in Ferrara,
Venedig, Padua und Rom fortwährend in Tätigkeit. Niemals zu-
frieden, hielt er es an keinem Hof lange aus, imd konnte doch auf
das höfische Leben nicht verzichten. Ab seine Stellung in Ferrara
unmöglich geworden war, zog er sich auf seinen Landsitz Guarina,
in der Nähe Ton Padua, zurück. Bald war es ihm dort zu einsam,
und er ging an den Hof Karl Emanuels I. nach Turin; da ihm die
Verhältnisse dort nicht zusagten, ging er als Alfonsos IL Sekretär
nach Ferrara zurück. Auch diese Stelle gab er bald auf, fuhr zum
großen Arger des Herzogs nach Venedig imd übernahm, aufs neue
von Sehnsucht nach dem Hofleben ergriffen, eine Ratshermstelle
in Turin. Dort hielt er es nicht lange aus, bemühte sich um
verschiedene andere Anstellungen und war eine Zeit hindurch
Sekretär des Herzogs von Toskana in Florenz, bis er bei den Rovere
in Urbino Schutz suchte. Als es ihm dort zu einförmig wurde,
kam er nach Ferrara zurück und starb zuletzt in Venedig am
7. Oktober z6i2. In seinem Fanulienleben war er der furchtbarste
Geizhals und Tjrrann, seine Frau hat er zu Tode geärgert, mit seinen
Söhnen prozessiert und als Mensdi die peinlichsten Erinnerungen
hinterlassen.
Diesen Guarini betraute Alf onso mit der wichtigsten Mission
in Polen; der Herzog hatte es so eilig, daß sich schon am 17. Juni,
katmi drei Tage, nachdem er die Nachricht vom Tode des franzö*
sischen Königs erhalten hatte, die ferraresische Gesandtschaft auf
dem Wege nach dem Norden befand. Guarini begleitete Camillo
Gualengo, ein bekannter Fechtmeister und Duellant; sie sollten
zusammen bis nach Innsbruck gehen imd sich d(Mt trennen, der
eine mit dem Schiff über den Inn und die Donau, der andere auf
gewöhnlichem Wege nach Vliea reisen« In Vlitn sollten sie den
Kaiser von Alfonsos Absicht, sich um den polnischen Thron zu
bewerben, benachrichtigen. Die Gesandten hatten den Auftrag»
ALFONSO II.
317
dem Kaiser su erklären, daS, falb Brzhersog Ernst, llasiimUans
Sohn, um die polnische Krone kandidieren würdet Allonso bereit sei,
seine Absichten sofort au&ugeben. Von Wien aus sollte Gtiarini nach
Krakau und Warschau gehen, um Informationen fiber Heinrichs III.
Pllne einzuholen, die Gunst der Schwester des verstorbenen Königs,
der Infantin, zu gewinnen und ihr einen sehr schmeichelhaft
abgefaSten Brief übergeben. In Krakau hieB es, daB Guarini w^;en
der Heirat des Herzogs von Ferrara mit der Infantin unterhandeln
solle; Hieronymus Lipoman berichtet in diesem Sinne am ao. Sep-^
tember 1574 an Mocenigo, den Dogen von Venedig. Guarini brachte
gUnzende Zusagen mit, der Herzog sicherte dem Adel noch größere
Freiheiten zu, versprach im Laufe zweier Monate 300 000 Gulden
nach Polen zu schicken, und „da er kinderlos sei, würden die Polen
seine Kinder werden'^ Außerdem sollte „die Schule von Krakau
mit gelehrten Ittnnem besetzt und verschiedene Künstler nach
Polen berufen werden'^
Je nSher der Termin der Wahl heranrückte, desto grdfier wurden
die Zusagen des Herzogs. Alfonso versprach schließlich, das Heer
auf seine Kosten zu erhalten, die Schulden der Jagellonen zu
bezahlen und dem Schatz der Republik zwei BSilUonen Dukaten
zu überweisen. Einigen polnischen EdeUeuten hatte er sich ver-
pflichtet, vierzigtausend Scudi imd mehr auszuzahlen, falb sie
seine Kandidatur unterstützen würden«
Gleichzeitig schickte Alfonso Giraldini, der unterdessen von
seiner ersten Gesandtschaft zurückgekonunen .war, auf schnellstem
Wege nach Krakau, damit er noch vor Guarini dort eintreffe, imd
als ein in Polen bekannter Diplomat, der den maßgebenden Kreisen
nahe stand, ihm einen guten Enqifang bereite. Heinrichs III.
fluchtähnliche Abreise aus Krakau durchkreuzte Alfonsos Pläne,
seine Gesandten haben den Valois nicht mehr erreicht Der König
war am x8. Juni aus Krakau entflohen und traf mit Guarini in
W^en zusammen. Der ferraresische Gesandte wußte nicht, wie er
sich imter diesen Umständen zu verhalten habe ; ohne Heinrich IIL
auch nur aufzusuchen, ließ er sich schleunigst von Alfonso weitere
Instruktionen geben. Blit erneuten Instruktionen versehen, fuhr
er nach Krakau, um dort zu erfahren, daß die Wahl bis aufs
3i8 ELFTES KAPITEL
nächste Jahr vertagt eei. Er achefait in Krakau bei Zborowald
gewohnt su haben, und seine Absichten wurden namentlich von
Krzyckiy Lanckoronsld und Niemsta unterstützt. Guarini hatte
gehof fty am Nuntius eine Stütze zu finden, aber Laureo war Alfonsos
Gegner und soll dem Ferraresen ausdrücklich erklärt haben, ange-
sichts der Kandidatur eines Blitgliedes des österreichisdien Hauses
habe Alfonso keine Aussichten« Es heiSt, daS Gregor ZIIL dem
Nuntius 25000 Dukaten für die Wahl des Erzherzogs geschickt
habe, aber an diese GroBmut der römischen Kurie zu glauben,
fällt schwer.
Infolge der Verlegung der Wahl war es für Guarini zwecklos,
in Polen zu bleiben, besonders da er dem Herzog mündlichen Be-
richt erstatten wollte. Am 25. September traf er wieder in Perrara
ein. Das Ergebnis seiner Reise war für ihn insofern befriedigend, als
er, wie er einem Pretmde berichtet, den nordischen Himmel und nor-
dische Bräuche gesehen und sich gefreut habe, Dinge kennen
zu lernen, von denen er bis dahin keine Vorstellung gehabt hatte.
II
Alfonso war alles darum zu tun, Heinrich IIL für sich zu ge-
winnen. Als er erfuhr, daB der König über Tirol und Norditalien
nach Prankreich gehen und nach Venedig kommen würde, beschloS
er ihm entgegen zu reisen imd ihn nach Perrara einzuladen. Sehern
vor dieser Einladung hatte er eine Gelegenheit, sich dem König
gefällig zu erweisen. Heinrich war in der peinlichsten Geldverlegen-
heit, und der Weg nach Paris erforderte bedeutende Ausgaben.
Du Perrier, der französische Gesandte in Venedig, sollte sich um
eine Anleihe bemühen; er fragte erst die vier Plorentiner Bankiers,
die ihre Pilialen in Venedig hatten, die Strozzi, Capponi, Cran-
secchi und Baglioni, aber die vorsichtigen Plorentiner glaubten
an Heinrichs Zukunft nicht recht und wollten keinen Soldo be-
willigen. Sich an die venezianischen Banken zu wenden, war nicht
angängig, infolge dessen wandte sich Du Perrier an Claudio Ariosti,
den ferraresischen Gesandten in Venedig, damit er sich bei Alfonso,
ALFONSO II.
319
der als sehr Termögeiid galt, bemühe um ,»quakhe buona somma
di danari'^ Alfotiso half dem König aus, aber mit einem geringeren
Betrag, als Du Perrier erwartet hatte; schliefilich verbürgte sich
der GroBhersog von Florenz für Heinrich, so dafi sich die Reisekasse
des fliehenden Königs einigermafien füllte. Trotzdem war das Geld
sehr knapp, und der König bezahlte unterwegs die Edeln, die ihn
in ihren Schlössern aufnahmen, reichlich mit Titeln, aber die kost-
baren Geschenke blieben aus. Gleich nach dem ersten Nachtlaget
gab er dem Neffen des Signore Brancone, bei dem er wohnte, den
Ritterschlag; in Piave erwies er seinem Wirt, Giovanni Saroedeni,
dieselbe Ehre; in Treviso zeichnete er Bartolommeo Lipoman mit
der gleichen Würde aus; Ragazzoni in Sacile gestattete er, die fran-
zösischen Lilien in seinem Wappen zu führen, und bezeichnete
so seinen Weg nach Venedig mit dem Kreieren neuer Adels-
geschlechter.
Die venezianische Signoria schickte ihm eine Gesandtschaft bis
an die Grenze der Republik, nach Pontebba, die ihm einen Geleit-
brief imd PaB übergab, kostbar in roten Stoff gebunden und mit
goUnen Ornamenten versehen. Der Herzog von Ferrara kam
Heinrich mit einem Sechserzug bis nach San Daniele entgegen, sein
Gefolge hatte er in Venedig gelassen. Als er den König sah, ritt er
an seinen Wagen heran und verneigte sich tief; da Heinrich den
Herzog nicht erkannte, kehrte Alfonso um und grüßte den König
abermals. Weder betrachtete Heinrich den Reiter verwundert,
als er jedoch erfuhr, daB es der Herzog von Ferrara sei, begrüBte er
ihn aufs liebenswürdigste tmd lieB den Wagen halten. Alfonso
wollte dem König die Knie küssen, aber Heinrich wehrte diesem
ÜbermaB von Respekt, hob den Herzog auf und lud ihn ein, in
seinen Wagen zu steigen«
In Venedig hatte man groBe Vorbereitungen zum Empfang des
jungen Herrschers getroffen, und mit Recht schrieb Du Ferrier
dem König, es gäbe niemand, der nicht darauf bedacht sei, ihn zu
ehren, ja Greise fürchteten zu sterben, ehe sie ihn gesehen. Hein-
richs HI. Enqifang war vielleicht der großartigste, den die Re-
publik im XVI. Jahrhundert einem fremden Gast hatte zuteil
werden lassen. In Murano machte der König seine erste Rast im
320
ELFTES KAPITEL
Palast von Bartolommeo CapeUo» in Venedig wohnte er im Palast
der Foscari; der Bucentaur war erneuert und auf dem Lido ein von
Paolo Veronese und llntoretto bemalter Triumphbogen errichtet
worden. Tausende von kleinen Schiffen und Gondeln nahmen an
der Einfahrt am z8, Juli 1574 teil, in allen Kirchen läuteten die
Glocken, Chorgesang wurde angestimmt, Freudenschfisse abge-
brannt, dazu strahlte der Himmel in leuchtendem Blau, und der
junge Monarch sagte, wie berauscht von der Schönheit des Bildes,
das sich ihm darbot, enthusiastisch su seiner Umgebung: „Wie
glücklich wäre ich, wenn die Königin Mutter das alles gesehen
hätte/^ Heinrich sprach gut und fließend, die kurze Axisptwcht des
D<^en beantwortete er mit einer vielleicht zu langen französischen
Rede; später verlangte es ihn nicht mehr nach oratorischen Er-
folgen.
Am Abend legte die Barke des Königs, von lauten Zurufen be-
grüßt, vor dem Palazzo Foscari an. Mit großem Prunk war die
Wohnung hergerichtet und in goldenen Buchstaben im Haiqitsaal
als Motto zu lesen: „Omnipotens virtus^S Der König hat sich nicht
zu streng an diese Worte gehalten; kaum war er mit seinen intimeren
Freunden allein im Palast, als er durch einen Seitenausgai^^ mit dem
Herzog von Ferrara in eine bereit stehende, unansehnliche Gondel
schlüpfte, erst an einem Gelage teilnahm, und dann in Alfonsos
Palast, dem späteren Fondaco dei Turchi, landete. Dort hatte
Alfonso einen wahrhaft übermütigen Abend veranstaltet: Theater-
aufführungen, schöne Frauen und ein üppiges XiIahL Den glän-
zendsten Schmuck des Festes bildeten die Aufführungen der Thea-
tergesellschaft Gelosi, der damals berühmtesten Komikertruppe
in Norditalien. Diese Aufführung hat die Signoria schwer beleidigt.
Die venezianische Regierung hatte sich die größte Mühe gegeben,
um die Gelosi aus Mailand nach Venedig zu bekonunen, da sie
durch den französischen Gesandten eriahren hatte, daß der König
sie zu sehen wünsche und besonders auf das Spiel der Vittoria
Püssima, der berühmtesten Künstlerin der Truppe, neugierig sei.
Die Gelosi waren eigens nach Mailand gekommen — dreißig Per-
sonen — um während der Feste, die zu Ehren von Don Juan d'Au-
3tria, des Siegers bei Lepanto, veranstaltet wurden, aufzutreten; es
BATTISTA GUARINI
LITHOGRAPHIE NACH „VITE E RITRATTI DI XXX ILLÜSTRI FERRARESl"
ALFONSO II. 32X
war also niebt leicht gewesen, sie stur Rückkehr zu bewegen. Den
Wunsch der Signoria, ihrem vornehmen Gast eine mühsam veran-
staltete Überraschui^^ su bereiten, hat der Hersog von Ferrara durch-
kreuzt, indem er in aller Stille mit den Künstlern verabredet hatte,
daB sie vor der offiziellen Aufführung in der ersten Nacht bei ihm
spielen sollten. Die Signoria war empört über Alfonso: er hatte
den Ehrenplatz der venesianischen Würdenträger bei den Festlich-
keiten ohne weiteres eingenommen und sich erdreistet, bei der Ab-
fahrt vom festen Land nach Murano in die königliche Gondel ein-
zusteigen, so daB die Gesandten der Republik, die doch hier Herr
im Hause waren, die nächstfolgende Gondel benütsen mufiten. Damit
war sein Sündenregister noch nicht beschlossen: am Vorabend der
feierlichen Einfahrt nach Venedig war Alfonso inkognito mit dem
König aus Murano über den Canale Grande gefahren und hatte
ihm die kostbarsten Paläste der Stadt geseigt, so daS der offizielle
Einzug für Heinrich nicht mehr den überwältigenden Reiz des
Neuen haben k<mnte, mit dem ihn die Republik blenden wollte.
In Alfonsos Palazzo hatte sich der König ausgezeichnet tmter-
halten, namentlich hatte ihm die Piissima einen starken Eindruck
gemacht, „jene göttliche IHttoria, die Zauberin der Liebe, deren
Worte Flammen in den Herzen Tausender entfachen, deren har-
monische, süBe Stimme die Zuschauer entzückt tmd deren sanfte
oder getragene Bewegungen musikalischen Rhythmus haben."
Heinrich III. war erst am hellen Morgen in seinem Palazzo,
und trotz seiner dreiundswansig Jahre hat er wohl nicht wenig
über Königspflichten gescholten, da er, ohne auszuruhen, schon
in den Morgenstunden Audienz zu erteilen hatte. Aber Venedigs
Freuden UeBen ihn keinen Augenblick zur Ruhe kommen; am
Abend ging er vermutlich zu FuB durch HintergäBchen in die
Gegend von San Giovanni Crisostomo, wo Veronica Franco wohnte,
die berühmte Dichterin und Kurtisane, eine der reizvollsten Frauen
Venedigs, obgleich sie unter Nummer ao4 im „Cataloge delle prin-
dpaU et piü honorate cortigiane di Venetia" eingetragen war. Die
Franco stand unter Venedigs leichtlebigen Frauen an erster Stelle,
wegen ihrer Schönheit und des Luxus, den sie entfaltete; auBer-
dem strahlt ihr Name, neben dem der Tullia d'Aragona, in der
322 ELFTES KAPITEL
Geschichte der italieniscfaen Literatur des ZVI. Jahrhunderts.
Veronika hat gute Sonette genuicht und wie die berülunte römische
Kurtisane Porzia den ganzen Petrarca und Boccaccio im Kopf
gehabt und aus dem Gedächtnis eine Unzahl Ton Gedichten von
Vergil, Horaz, Ovid und von tausend anderen Autoren rezitiert.
Mit dem Reiz der Jugend verband sie die Klugheit der erfahrenen
Frau:
E di costumi adorna, e di virtude,
Con senil senno in giovenil etade.
Da sie jung war, hatte sie noch keine Zeit gehabt, groBe Reich*
tümer zu sammeln; sie gehörte nicht zu jenen verdienten Kurti-
sanen, die der venezianische Senat in seinen öffentlichen Akten
„le nostre benemerite meritrici'^ naxmte. Der Himmel hat ihr nach
den Worten eines heiSen Bewunderers Reize sondergleichen ge-
schenkt, goldblondes Haar, göttliche Augen, deren Glanz die Sonne
überstrahlt, und H&nde von schneeiger Weiße. Tintoretto hat sie
gemalt, doch ist ihr Porträt leider untergegangen. In Gambas
„Alcuni ritratti di donne iUustri delle provincie veneziane'' besitzen
wir zwar ihr BUdnis; da sie aber dort ein kostbares Diadem im
Haar trägt und mit Schmuck und Goldbrokat überladen ist, gleicht
sie eher einer steifen englischen Königin, als der liebenswürdigen
Dichterin „Terrena Dea, alto e novo miracolo, luce impressa del
raggio della divinitä, paradiso". Veronica hat längere Zeit ein Ver-
hältnis mit einem sehr ernsten Prälaten gehabt, der als Kanzel-
redner berühmt war; sie war so eifersüchtig, dafi, wenn ihr Geliebter
fortfuhr und sie allein zurückblieb, „sola in solitario tetto^S sie aus
Furcht, er könne ihr untreu werden, sich das Leben nehmen wollte.
Später hatte Veronica zwei Kinder, deren Väter sich gewissenhaft
in das Kirchenbuch eingetragen haben; zu ihren Verehrern ge-
hörten auch V^lhelm, der Herzog von Mantua, tmd der Kardinal
Luigi d'Este, Renatas Lieblingssohn. Dem Kardinal hat sie
„Briefe^' gewidmet und in der Vorrede seine grofie Cortesia und seine
überirdische Gentilezza gepriesen; sie hat vor ihm gekniet tmd die
engelhafte Güte dieses Dieners des Himmels, der ein großer Welt«-
mann war, angebetet*
ALFONSO IL
323
Veronicas Haus war der Mittelpunkt des literariscben und
künstlerischen Venedigs, der seinerieit berühmte Dichter Dontienico
Veniero, Tintoretto, der ernste Sperone Speroni, Girolamo MuziOy
selbst der alte Bemardo Tasso haben bei ihr yerkehrt. Man sprach
über Philosophie und Poesie» und die Frau des Hauses hat die Abende
durch Musik und Gesang verschönt. In einem Briefe bittet sie einen
Freundy zu einem musikalischen Abend zu kommen „alle venti ore
in occasione ch' io faccio musica'^ In einem anderen ladet sie
einen Freund zu einem zwanglosen Frühstück ein, ,^e fuco et cere-
moniis, more majorum'^ Jeder fremde Literat, der nach Venedig
kam, hat sie besucht, selbst Montaigne, der sie „jantl fame vene-
timne'^ nennt, war am 6. November 1580 zum Abendbrot bei ihr,
imd die Qichtertn hat ihm ein Exemplar ihrer soeben erschienenen
Briefe geschenkt. Am nächstfolgenden Tage hatte der arme Mon-
taigne „une colique qui hii dura deux ou trois heures^' — ob ihm
Veronicas Küche nicht behagt hat? Die Franco führte ein offenes
Haus auf großem Fuße und muß die Eifersucht der übrigen Kur-
tisanen erweckt haben, denn die eine hat üe vor dem Tribunal des
Sant* Officio verklagt. Die Beschuldigung war furchtbar : als Vero-
* nica eine Schere mit silbernem Griff und eine andere Kleinigkeit
gestohlen worden war, habe sie den Teufel zu Hilfe gerufen und sich
dabei eines geweihten Ringes und Weihwassers bedient; sie ginge
nicht zur Messe und hätte mit schwcu'zen Künsten zwei durch-
reisende Deutsche in sich verliebt gemacht. Aber Veronica hatte
in geistlichen Kreisen einflußreiche Protektoren, und es gelang ihr,
die törichten Vorwürfe zurückzuweisen. Allmählich begann sie
ein vorbildliches Leben zu führen, schrieb fromme Sonette, und
1580 begründete sie ein Asyl für Frauen, die gleich ihr das lockere
Leben aufgeben wollten. In der Kirche „del Soccorso'S wo jene
Magdalenen beteten, befand sich ein Bild von Carletta Caliari (heute
in der Akademie in Venedig) , die Gründung dieses Asyls darstellend.
Die eine der vier zu Maria betenden Frauen soll Veronica Franco
sein. Unsere fromme Sünderin starb, fünfundvierzig Jahre alt, am
Fieber. Zu ihren schönsten Erinnerungen gehörte der Besuch
Heinrichs III.; jenes Augenblicks gedenkt sie im Brief, den sie
„all invitissimo e cristianissimo Re Enrico IIP' gerichtet hat; sie
324 ELFTES KAPITEL
sei Stolz und glücklich, daS der König geruht habe, ihre bescheidene
Wohnimg zu beehren. Sie schickt ihm zwei Sonette und verspricht
ihm einen Gedichtband zu widmen, indem sie ihn feiert als den
Helden.
In armi, e in pace, a mille prove esperto.
Veronica hat dem König ihr Bildnis, wahrscheinlich auf Email
gemalt, zum Andenken gesdienkt, doch wissen wir nichts von der
Gegengabe des Königs.
Acht Tage war Heinrich in Venedig; es hiefi allgemein, er habe
nicht eine Nacht in seinem Palast verbracht, obgleich er tagsüber
durch Empfänge und Feste gerade gequält genug war; der D<^e
und die Senatoren fürchteten für seine Ciesundheit. Als später die
Nachricht kam, der König sei unterwegs in Cremona .erkrankt,
ging der Doge zum Gesandten Du Ferner, damit er Catherina v<m
Medici flehentlich bitte, ihren Sohn vom unmäßigen Leben zurück-
zuhalten, namentlich von den „übermütigen körperlichen Obun-
gen'^ und ihm empfehle mehr Fleisch zu essen. Man hatte in
Venedig beobachtet, dafi der König sich nur von Gemüse, Obst
\md Brot, das er ins Wasser tauchte, ernähre, also von Dingen, die
dem Körper nicht Kraft genug zuführten. Der König kümmerte *
sich durchaus nicht um den väterlichen Rat der venezianischen
Signoria, sondern führte auch in Frankreich ein ausschweifendes
Leben, das seinen schwachen Organismus zerstört hat.
Bälle, Illuminationen, Feste, Regatten jagten einander wäh-
rend Heinrichs Aufenthalt in Venedig, vielleicht hat ihm der Em-
pfang bei Monsignor Giovanni Grimani, dem Patriarchen von
Aquileja, mehr Freude gemacht als der große Ball im Dogenpalast.
Der König wollte Grimanis kostbare Sammlimgen sehen, seine
Bronze- imd Marmorplastik, seine Bilder und Miniaturen, tmter
denen das berühmte Brevier sich befand, das die Biblioteca Mar-
ciana heute besitzt. Der erfahrene Patriarch zweifelte nicht daran,
Heinrich eine größere Freude durch einen Kreis schöner Vene-
zianerinnen zu bereiten als durch seine „anticaglie'S infolgedessen
lud er dreißig der schönsten vornehmsten Gentildonne Venedigs ein,
die den König nicht durch ihre Reize allein, sondern auch durch
ihre Toiletten blendeten. Anstatt die Sammlung zu
ALFONSO II.
32s
begann man zu tanzen, ein Tanz der Frauen „alla gaglic^dä^' wurde
arrangiert, den Heinrich noch nicht kannte und zu sehn wünschte.
Die T&nzerinnen führten eine Art Ballett auf, die BSänner nahmen
daran nur insofern Anteil, als sie einen Kreis um die Damen schlös-
sen, den Takt schlugen und durch Zurufe und Scherz ihre Heiter-
keit steigerten. Bs wurde auch der „ballo del cappello'^ getanzt,
die Damen wählen dabei die Tänzer durch Überreichen ihrer Hüte.
Der erwählte Jüngling legt sein Barett auf den Kopf der Tänzerin,
indem er sie artig küßt, und sie gibt ihm mit einem KuB sein Eigen-
tum zurück. Dieser Austausch der Hüte mit begleitendem KuB
gefiel dem König sehr; eine sehr kühne Dame trat auch an ihn
heran, indem sie ihm ihren Hut anbot. Da Heinrich in Trauer um
Karl IX. war, konnte er der Aufforderung nicht nachkommen
und stellte der schönen Tänzerin einen seiner Begleiter als Vertreter
yor. Die Nachmittags-Unterhaltung bei Grimani dauerte bis zum
Abend; der König ging zwar in den Palazzo Foscari zurück, aber
nur tun durch ein Seitenpförtchen zu seinen Freundinnen zu ent-
schlüpfen.
Man muB dem König jedoch das Zugeständnb machen, daB er
auch in Tizians Atelier war, wo er die „Allegorie des Sieges von
Lepanto" für den König von Spanien sehen konnte.
Unterdessen kamen Briefe, die Heinrich zu schleimigster Rück-
kehr aufforderten; seine vernünftigeren Gefährten, besonders der
Herzog von Savojren, Emanuele Filiberto, begannen um den König
besorgt zu werden imd rieten zur Abreise. Am letzten Tage kaufte
der König Geschenke für seine Freunde in Venedig. Für Kleinodien
allein gab er zweiimddreifiigtausend Scudi aus, er blieb aber einen
bedeutenden Teil dieser Summe schuldig und sollte sie später durch
Vermittlung des französischen Gesandten bezahlen. Dem Dogen
bot er einen Ring mit einem kostbaren Diamanten an, aber Mo-
cenigo muBte dieses Kleinod dem Schatz der Republik verschreiben,
da das Oberhaupt der Regierung Geschenke nicht annehmen durfte.
Am 27. Juli fuhr Heinrich über den Po nach Ferrara, die Vene-
zianer, besonders die Hausbesitzer am Canale Grande, waren ganz
froh, daB die Feste ein Ende hatten, da infolge der konstanten
Illuminationen das öl für die Lampen zu teuer war. Alfonso
3a6 ELFTES KAPITEL
schlug mit dem König den weiteren Weg über Capparo in seine
Hauptstadt ein, damit, wie der Florentiner Gesandte boshaft
bemerkte, das Herzogtum Ton Ferrara dem Gaste gröfier erscheine.
Bei fürchterlicher Hitze zog am 29. Juli der König mit seinem
ganzen Hofstaat in Ferrara ein bei Musikklängen, Glockengeläute
und Freudenschüssen. Vor dem Stadttor übergab Comelio
▼oglio dem König die Schlüssel, die dieser liebenswürdig
Im Palast an der Treppe erwarteten den König die Prinzessinnen
Lucrezia imd Leonora; Heinrich küßte ihnen die Hand nicht, was
der Florentiner Gesandte mit boshafter Freude konstatierte.
Alf onso hatte die königlichen Gemächer mit den schönsten Teppichen
und Kunstwerken schmücken lassen, es gab eine groSe Theaterauf-
führung und einen Ball, aber der Empfang war nicht ganz gelungen.
Der König muBte infolge wichtiger Briefe aus Paris früher als be-
absichtigt, verreisen, der Ball fand denn auch einen Tag eher statt,
und mehrere Damen trugen weniger kostbareGewänder, da die Schnei-
derinnen ihre Kunstwerke nicht vollenden konnten. Schlimmer
war's, daS am zweiten Tage der Anwesenheit des Königs ein leichtes
Erdbeben, das Ferrara damals häufiger heimsuchte, einen gewissen
Schrecken unter den Gästen Terbreitete. Der König war sehr ab-
gespannt und nahm daher den Wasser- und nicht den Land-
weg nach Blantua. Er wurde dort mit außerordentlicher Pracht
empfangen: es galt Ferrara zu fiberbieten. Für Alfonso als Zu-
schauer war dies auch nicht gerade angenehm.
III
Tn Polen beschäftigte sich unterdessen Ascanio Giraldini mit
XAlfonsos Angelegenheiten, aus Ferrara kam ihm noch Alessandro
Baranzono zu Hilfe.
Die Gesandten gewannen den Adel, besonders in der Gegend
▼on Plock; sie zeigten Alfonsos Bildnis in Waffen, mit der Muskete
in der Hand, damit die Polen Vertrauen zu dieser ansehnlichen
Persönlichkeit gewännen, aber sie glaubten selbst nicht ganz an
einen glücklichen Ausgang und wollten die Verantwortung mit einer
ALFONSO II. 327
einflußreichen ferraresiscfaen Persönlichkeit teilen, denn Geraldini
bat, Alfonso möge ihm noch einen guten Redner schicken, „un
huomo di gran portata.'' V^eder moBte Guarini nach Polen auf-
brechen; er ging in den ersten Oktobertagen des Jahres 1575 über
Saravalle und Ampezzo fort und hatte nicht wenig Schwierigkeiten
zu überwinden. Guarini schildert seiner Frau einige Tage nach
seiner Ankunft in Polen die Reise. Er beklagt sich, nicht imstande
zu sein» die dofipelte Qual des KSrpers und der Seele zu ertragen.
Unmittelbar nachdem er die Alpen überschritten, sei er am Fieber
erkrankt, das ihn während seiner Reise bis an die Donau gequält
habe. In VUen habe er seiner Krankheit wegen rasten müssen;
da die Zeit drängte, hatte er die Rede, die er auf dem Wahlfelde
halten sollte, nach Warschau geschickt, damit sie dort verlesen werde. •
Nachdem er etwas zu Kräften gekommen, hat er. trotz seiner Krank-
heit, seine Reise fortgesetzt und rechtfertigt sich seiner Frau gegen-
über damit: die Bhre verlange, daB er, an der Spitze einer so wich-
tigen Gesandtschaft stehend, die Pflichten gegen seinen Herrn höher
schätze als seine Gesundheit. Unter den gröSten Mühen und Ge-
fahren, jeden Augenblick eines Überfalls gewärtig, habe er seinen
we it ere n Weg zurüdcgelegt. Krank, halb erfroren kam er in Warschau
am 19. Dezember an, mehr tot als lebendig. Es war zu spät, die
Gesandten der übrigen Kandidaten hatten ihre Sachen bereits er-
ledigt, und der Adel war schon zur Abstimmung auf dem Wahl-
feld geschritten.
Der kranke Gesandte sollte endlich in Warschau etwas zur Ruhe
kommen. Gesund hat ihn weniger die nördliche Landschaft ge-
madit als die Nachricht, daB Alfonsos vielvermögender Minister
Pigna gestorben sei. Guarini betrachtete ihn als seinen gröSten
Feind am Hofe und schrieb es ihm zu, daB der Herzog ihn zum zweiten
Mal mit dieser Gesandtschaft betraut hatte, „non giä legazione,
ma relegazione di Pologna'S und ihn zur Reise gezwungen, die er
kaum lebend überstanden infolge von Krankheit, Seuche, Unbe-
quemlichkeiten, Mördern, Räubern und Qualen aller Art, die er
hatte erdulden müssen.
Die ferraresischen Gesandten hatten Stefan Batory's Wahl zum
König von Polen in Warschau abgewartet, dann reisten sie ab.
328 ELFTES KAPITEL
während Guarini noch in Polen bUeb, in der Annahme, dafi Ba-
tory die Wahl nicht annehmen würde. Da sich diese Hoffnung
nicht erfüllte^ ging auch er nach Ferrara zurück und legte Alfonso
einen längeren Bericht yor» der heute noch die interessanteste Quelle
für die ferraresisch-polnischen Beziehungen ist. Die Höflinge in
Ferrara schrieben Alf onsos mifilungene Bewerbung um die pol-
nische Krone namentlich den beiden Gesandten zu» die zuerst nach
Warschau gegangen waren. Von Giraldini hieB es, er sei als Jude in
Siena geboren und als Esel in Ferrara getauft; von Guarini wurde
angenommen, seine unausstehliche Pedanterie habe ihn in Polen
unmöglich gemacht, und er sei keine genügend repräsentative Per-
sönlichkeit, lun eine Vorstellung vom Glanz und der Würde der
•Este zu geben.
Alfonsos Bewerbungen um die polnische Krone entbehrten eines
komischen Epiloges in Ferrara nicht. Ein Betrüger, ein Türke oder
Armenier, wollte sich die Ambitionen des Herzogs nach fremden
Thronen zu nutze machen. Er kam insgeheim nach Ferrara imd
bot Alfonso im Namen der Bevölkerung des heiligen Landes das
Königreich Jerusalem an. Für den Herzog, der mit Bojardos und
Ariosts Gedichten aufgewachsen war, konnte es keinen passenderen
Thron geben. Alfonso nahm die geheimnisvolle Persönlichkeit
aufs beste auf, als er den Betrug erkannte, steckte er den Türken
ins Gefängnis, doch gelang es jenem, aus der Haft zu entfliehen.
Alfonso wurde, da auch die Ehe mit seiner dritten Frau kinder-
los geblieben war, in seinem Alter verschlossen und gereizt. Da
das Geschlecht der Este auszusterben drohte, überlieB er die Re-
gierung den Ministem, die die Macht mißbrauchten und dem Volk
immer größere Lasten auferlegten. Die schlechten Beamten wurden
nicht abgesetzt, da der Herzc^ nicht zugestehen wollte, sich in der
Wahl der Männer geirrt zu haben; die drei Fattori generali ver-
fügten über alle Einkünfte, bereicherten sich imd zwangen die
Bevölkerung zu immer größeren At^ben, die in ihre Taschen
flössen. Statthalter kleiner Städte, die fünfundzwanzig Scudi mo-
natlich bezogen, mußten jährlich dreitausend und mehr als Tribut
entrichten. Um die Einkünfte machte sich der Herzog keine Sorge,
da die Gelder reichlich in seine Kasse flössen; er bezog eine jähr-
ALFONSO IL
339
Uche Rinimhme Ton Tiennalhundertfänfsigtausend Scudi; allein
die Salinen und der Fischfang in Comacchio warfen fünf zigtausend ab.
Alfonso trugi als er älter wurde» immer schwarz, war aber mit
großer Schalt angesogen, seine Kragen und Manschetten waren
so kunstroü gearbeitet, daB sich auch die eleganteste Frau ihrer
nicht hätte zu schämen brauchen. Fast immer hatte er ein Samt-
barett auf und trug den Degen an der Seite. Gegen seine Unter-
tanen war er von ausgesuchter Höflidikeit; die Bittsteller verliefien
die Audienz entzückt von der Liebenswürdigkeit des Herzogs; erst
später, wenn sie nichts von dem erreichten, was sie erbeten hatten,
pfl^lten sie ihre Ansicht zu ändern.
IV
Eine sehr interessante Persönlichkeit war Alfonsos jüngerer
Bruder, der Kardinal Luigi d' Este. Er war gegen seinen Willen
Geistlicher geworden, sah besonders gut aus, war stets in ein Laby-
rinth von Liebesverhältnissen verwickelt und führte beständig
irgend etwas g^^en seinen Bruder im Schild.
Es war fast Grundsatz bei den damaligen Fürstenfamilien
Italiens, daB ein Mitglied der Familie Kardinal würde, um auf
diese Weise das Geschlecht politisch und materiell zu heben. Diese
Tradition hatte sich namentlich bei den Gonzaga und Este ein-
g^ebürgert, und da der Kardinal Ippolito (der jüngere), Ercoles IL
Bruder, ein alter Mann war, als Luigi heranwuchs, bestimmte
Brcole den Sohn zu Ippolitos Nachfolger und Erben der ungeheuren
Einkünfte des Kardinals. Ippolito hatte durch die Protektion des
Königs von Frankreich einen sehr groflen Einfluß im Heiligen
Kollegium, dieser Einfluß sollte jetzt auf Luigi übergehen.
Luigi hatte keine Lust zum geistlichen Stand, aber er wurde
nicht gefragt, und Paul IIL, der Ercole IL und dem Kardinal Ippolito
eu Willen sein wollte, ernannte den fünfzehnjährigen Knaben
mm Bischof von Ferrara. Es war nicht der erste Fall in der Fa-
milie der Este, daß ein halbwüchsiger Knabe ein hohes kirchliches
Amt inne hatte; Ippolito d' Este (der ältere) war ja kaum acht
330 ELFTBS KAPITEL
Jahre alt gewesen» als er sunt Bischof Ton Gran ernannt worden
war, und mit fünfzehn Jahren war er schon KardinaL Um den
jungen Luigi, den Bischof von Perrara, für den geistlichen Stand vor-
zubereiten, wurde ihm der franzMsche Jesuit Lepelletier zum Mentor
gegeben, den Loyola selbst für diesen Zweck ausersehen hatte. Aber
die Lehren des geschidcten Jesuiten nützten wenig. Luigi gefiel es
in Ferrara nidit, er beschloß, dem Beispiel des Alteren Bruders
zu folgen und aus Perrara zu fliehen.
Das Studium fand er langweilig, dazu litt er unter dem Geiz des
Vaters, der ihm nur eine ganz kleine Pension bewilligte, die der
bischöflichen Würde nicht entsprach. Luigi wollte nicht nach
Frankreich, sondern nach Spanien fliehen; der Bischof von Trient,
der Kardinal lAadruzzi, hatte, als Anhänger des ftsterreichtSdien
Kaiserhauses, ihn dazu beredet und Antonio BCaria di Collegna,
Ercoles diplomatischer Agent, ihn mit Geld unterstützt. Der Her-
ze^ entdeckte die Verschwörung rechtzeitig, er ließ den jungen
Bischof für einige Tage einsperren und CoUegna in effigie hingen,
da er seiner nicht habhaft werden konnte.
Luigi gab seine Pluchtpl&ne nicht auf, kaum hatte sich der Vater
beruhigt, so beschloß er mit WHssen und Hilfe der Mütter nach
Paris zu fliehen. Er lieh Geld beim Juden Jsaak, versetzte seinen
gesamten Besitz tmd stahl sich 1558 in aller Stille mit einem
Diener aus der Stadt, um seinen &ruder einzuholen, der tags zuvor
mit Erlaubnis des Vaters nach Prankreidi aufgebrochen war. Falls
der König von Frankreich ihm kein Asyl geben wollte, war Luigi
sogar bereit, in die Türkd zu fliehen, nur um dem langweiligen
Perrara zu entgehen. Aber der König, von Renata brieflich unter*
richtet, nahm Luigi freundlich auf, imd der junge Bischof benützte
die Gelegenheit, um ein lustiges Leben zu führen und Geld zu borgen,
wo er konnte.
Unterdessen starb der alte Eroole, Alf onso ging eilig nach Perrara
zurück, um die Regierung zu übernehmen, Luigi dagegen gefiel
es am lockeren französischen Hof so gut, daß er durchaus nicht an
Ferrara dachte. Veigebens forderte ihn der Bruder in sehr scharfen
Briefen auf, der Pflichten eingedenk zu sein, die er gegenüber Kirche
und Familie habe, vergebens berichtete er von der Bereitwilligkeit
ALFONSO IL 331
des Papstes, ihm die Kardinalswüide zu übertragen, vergebens
zürnte der alte Kardinal dem unfolgsamen Neffen — Luigi wollte
weder vom Bistum noch von der Kardinalswürde etwas hören
und gab vor, soviel Schulden zu haben, daB er nicht imstande sei,
das Amt, das ihm der Papst übertragen wolle, entsprechend aus-
zufüllen. Der eigentliche Grund von Luigis Weigerung war, daB
er am Hofe der Königin sein Herz an eine Italienerin, Lina, die
Tochter Galeottqs Pico della Mirandola, verloren und sie zu heiraten
versprochen hatte. Dieser Roman mißfiel Luigis französischer
Familie gründlich, da Livia ein unvermögendes Mädchen aus ein«
fachem Hause war, mid durchaus keine standesgemäße Gattin für
einen Este. Um ihn von Livia freizumachen, wurde ihm der Ge-
danke an eine andere Heirat nah^elegt, die dem Ansehen seiner
Familie entsprach. Unterhandlungen wurden angeknüpft zwischen
ihm und Maria de Bourbon, der Gräfin von Saint-Paul, der jungen
Witwe Jeans d* Enghien, die ein Einkommen von 40 000 Scudi
jährlich hatte. Renata hat dieses Eheprojekt sehr unterstützt, da
sie nicht wünschte, daß ihr Sohn der römischen Kirche angehöre.
Dieser Plan hat Alfonso und den Oheim Kardinal nicht wenig
erschreckt; sie wünschten im Interesse der estensischen Dynastie,
daß Luigi eine bedeutende Stelle in der römischen Kurie einnehme,
nicht aber in Frankreich mit einem Jahreseinkommen von vierzig-
tausend Scudi lebe. Alfonso schicicte einen ihm ergebenen Hof-
mann nach Paris, damit er Luigi von diesen Plänen abbringe. Auch
wurde ihm die Bezahlung seiner Schulden in Aussicht gestellt,
wenn er nach Italien zurückzukommen bereit sei. So lief in Al-
fonsos Sinn alles günstig ab, da die Gräfin de Saint-Paul keine Lust
hatte, sich mit dem leichtsinnigen Luigi einzulassen und einige
Monate später den Herzog de Nemours geheiratet hat. Empört über
dies Vorgehen der Gräfin, war Luigi nach ihrer Trauung eher bereit
nachzugeben, tun so mehr als der französbche Hof, dem es sehr
darum zu tun war, seinen Parteigänger im Heiligen Kollegium zu
haben, auch den jungen Prinzen drängte, die Kardinalswürde anzu-
nehmen. Der verliebte Bischof kapitulierte und wurde einige Mo-
nate später, am 26. Februar 1561, zum Kardinal ernannt Er war
damab dreiundzwanzig Jahre alt, aber es ist ihm während seines
332
ELFTES KAPITEL
ganzen Lebens nicht gelungen, sich mit seinem Stand zu Tersöhnen.
Er hat es Alfonso nicht verziehen, ihn gewissermafien zum geist-
lichen Stand gezwungen zu haben, und den Ohktl Ippolito stets
aus diesem Grunde gehaBt. Auch den Päpsten, Pius IV«, der ihn
zum Kardinal ernannt, und Sixtus V., dem er viel zu danken hatte,^
hat er die unerbetene Protektion im stillen nicht verziehen und
bei jeder Gelegenheit seine Unabhängigkeit und seine Mißstimmung
Rom gegenüber bekundet. So wollte er, als es 1563 zu emer
Schlägerei zwischen den päpstlichen Sbirren und den Knechten des
Kardinals kam, die einen Gastwirt erschlagen hatten, unter keinen
Umständen die Schuldigen herausgeben; der Papst mußte den Fall
dem Kardinalskollegium unterbreiten und den halsstarrigen Este
mit Hausarrest bestrafen. Erst infolge der Vermittlung des Herzogs
von Ferrara und des Kardinals Borromeo, dem der stürmisdie
Kollege sympathisch war, hat ihn der Papst aus dem unfreiwilligen
Aufenthalt im Palazzo auf dem Monte Giordano befreit.
Einige Jahre später unter Gregor XIH., dem Freunde der
Este, hatte Luigi wieder einen Zwist mit dem Vatikan wegen seiner
zuchtlosen Dienerschaft; der empörte Papst befahl ihm, Rom sofort
SU verlassen, da sonst eine Haft in Tivoli seiner warte. Es war aber
nicht so leicht, gegen den Kardinal, der den König von Frankreich
hinter sich hatte, vorzugehen; Luigi verließ Rom zwar für einige
Zeit, aber Heinrich HI. nahm sich seiner so warm an, daß der
Papst seinen Befehl zurückziehen mußte; und der Kardinal, der
infolge seiner Verschwendung beim Volk beliebt war, kam wie ein
Triumphator, von jubelnden Zurufen begrüßt, nach Rom zurück.
Während die Familie eine Ehe Luigis in seiner Pariser Zeit
unter allen Umständen hatte verhindern wollen, suchte Alfonso
um 1581, als der Kardinal vierundvierzig Jahre alt war und eine
so hohe kirchliche Würde hatte, ihn zu bewegen, zu heiraten. Da
der Herzog kinderlos war, hoffte er auf diese Weise den Este den
Thron von Ferrara zu erhalten. Zur Braut hatte er Luigi eine
Tochter von Ekonora d' Este bestimmt, und von diesem Plan war
sogar in Rom die Rede. Aber jetzt hatte der Kardinal keine Lust,
sein Leben nochmals aufs neue zu beginnen. Er schrieb, er sei zu
krank und leidend, um eheliche Pflichten einzugehen; da er außer-
ALFONSO II.
333
dem bereits „ia sacris^' sei, würde er yom Papst nur mit Mühe den
zur Heirat notwendigen Dispens erhalten. Diese Gründe scheinen
nichts als eine Ausrede gewesen zu sein. Luigi hätte gern sein
Glück ab Ehemann ¥ersucht, wenn er nicht den Verlust der unge-
heuren Einkünfte befürchtet hätte, die mit der geistlichen Würde
verbunden waren. Sein Einkommen betrug damals z2o ooo Scudi;
wenn er seine kirchlichen Amter aufgegeben hätte, so wären ihm
höchstens zweiundzwanzig bis dreiundzwanzigtausend Scudi jähr-
lich verblieben. Der Kardinal gab dem Bruder zu verstehen, daB
er eventuell bereit wäre, auf den Kardinalspurpur zu verzichten
und die vorgeschlagene Ehe einzugehen, wenn er ihm einen Teil
seiner Einkünfte zusichern würde. Der Herzog hatte aber keine
Lust, ihm eine so ungeheure Pension auszusetzen, außerdem war
Siztus V. gegen diesen Plan, der seiner Ansicht nach zuviel Ärger-
nis gegeben hätte.
So blieb Luigi Kardinal und galt als der „glänzendste", da er auf
sehr großem Fuß lebte, das Haus stets voller Gäste hatte, auf Reisen
das Geld ztun Fenster hinauswarf und Unsummen im Kartenspiel
luid in Geschenken für gekrönte Häupter verschwendete, um sich
deren Gunst zu sichern. Schöne tmd bekannte Frauen in Rom,
Ferrara und Frankreich überschüttete er mit Kostbarkeiten, unter«
stützte Dichter, schmückte seinen Palast Diamanti in Ferrara und
vollendete den Bau der großartigen Villa der Este in Tivoli.
Während seines römischen Aufenthaltes 1577 und 1578 hatte
er einen Hofstaat von dreihundertneunundvierzig Höflingen und
Dienern und erwarb zwei Drittel des Palazzo Orsini in Montegior-
dano. Die ungeheuren Einkünfte, die ihm so mancher gekrönte
Fürst neiden konnte, genügten nicht für alle Passionen des ver-
schwenderischen Prälaten; in seinen letzten Lebensjahren wußte
er sich vor seinen Gläubigem nicht zu retten, die ihm mit der Be-
schlagnahme seiner Güter drohten, und seine Jugendgewohnheit:
Kleinodien bei jüdischen Bankiers zu versetzen, hat er bis in
sein spätes Alter behalten«
Durch sein unmäßiges Leben hat er seine Gesundheit früh unter-
graben und da er die Ratschläge der Arzte oder seiner Freunde nicht
befolgen wollte, starb er im Januar 1586. Die Schmeichler der Este
334 ELFTES KAPITEL
w&hnten, ganz Europa würde ihn betrauern; Sebastian Ardesi gab
in Padua eine Sammlung von KUgeliedem unter dem Titel heraus
,,Vari lamenti d' Europa nella morte di Luigi d' Este''* Sein Ver-
mögen oder richtiger seine Schulden im Betrage von 200 000 Scudi
▼ermachte der Kardinal Cesare d' Este, der die Erbschaft nur um
der Ehre der Familie willen annahm; nachdem er eine Unmenge
▼on Schulden bezahlt und zahllose Prozes^se geführt hatte, hat er
kaum einige Trümmer aus dieser Kardinalsherrlichkeit gerettet.
Im Nachlaß befand sich eine große Anzahl schöner Masken, die
auch im Nachlaß der beiden Alteren estensischen Kardinäle nicht
gefehlt haben, da sie den Kameyal leidenschaftlich liebten. Einer
der Zeitgenossen hat den Kardinal Luigi „Ghiotto di maschere'^
genannt und berichtet, daß der Kirchenfürst und Don Francesco
d' Este sich 1565 als Facchini verkleidet während des Karnevals
in den Straßen herumgetrieben hätten. Dagegen gab es in seinem
Palast kaum ein Buch, da er sich weder mit Literatur noch mit irgend
einer Wissenschaft beschäftigt hat. Wenn er Literaten an seinem
Hof versammelt und eine Zeit hindurch beiden Tasso, Vater und
Sohn, Unterhalt gegeben hat, so geschah es nur, um den Glanz
seines Hauses zu mehren. Von Tassos Verhältnis zimi Kardinal
wird noch die Rede sein.
Doch soll nicht verschwiegen werden, daß zwei estensische Kardi'>
näle, Ippolito IL, Alfonsos und Lucrezias Sohn, und Luigi die wunder-
volle Villa d' Este in Tivoli bei Rom erbaut haben, den Typus des
ländlichen Barockpalastes, ein „luogo di delizie", wie die Renaissance-
menschen bezeichnenderweise Wohnsitze dieser Art nannten.
Ippolito II. war 1550 zum „govematore di Tivoli** ernannt
worden und begann sofort den Bau der großartigen \nila, indem
er Felsen sprengen ließ und Aquädukte l^en, um durch Wasser-
fälle und Teiche das Terrain zu beleben. Der Baumeister, Piera
Ligorio, entwarf die Pläne zu diesem in großem lAaßstab erdachten
Werk, das 1569, also neunzehn Jahre nachdem die Arbeit in ihren
Hauptzügen festgelegt war, fertig war. Ippolito starb 1572; nach
seinem Tode hat Luigi an der weiteren Ausschmückung der Villa
und der Gärten gearbeitet, aber auch bei ihm reichten weder Zeit
noch Mittel, um Ligorios Pläne ganz durchzuführen. Die Fassade
ALFONSO II. 335
der Villa ist niemals vollendet worden, und deshalb erscheinen die
Dimensionen der Prontmauem unverhlltnismäBig ausgedehnt,
▼erglichen mit dem breiten Mittelrisalit Die Villa hat mannigfache
Schicksale erlebt, sie war im Besitz der Herzöge von Modena, des
Kardinals Hohenlohe und. des Erzherzogs Franz Per<finand d'Este.
Der Kardinal Ippolito hat, ehe er mit dem Bau des Palastes in
Tivoli begann, die Gärten anlegen lassen, die an die Villa d' Este in
Rom, den heutigen Quirinal, grenzten. Er residierte dort und gab
Beweise eines ungewöhnlich ausgeprägten ästhetischen Geschmackes.
In Tivoli wollte er alle berühmten Villen Italiens überholen, er wollte
seinen Wohnsitz prächtiger gestalten als die Villa Lanti in Bagnaja
bei Viterbo oder den Palazetto Pamese in Caprarola und soll unge-
fähr eine Million Scudi verbaut haben.
Auch für die Gartenanlage hat Luigi ungeheure Summen ver-
ausgabt; einige Jahre nach Ippolitos Tod hat er für die Arbeiten in
Tivoli türkische Sklaven für 3492 Scudi gekauft, der Preis für den
einzelnen betrug 36 Scudi ; das „luogo di deHzie*' hat nicht wenig zum
Ruin seiner Finanzen beigetragen. Namentlich war es ihm um eine
harmonische Vielgestaltigkeit von Bäumen und Sträuchem zu tun,
und in der Tat verbinden sich in wundervoller Art die dunklen Töne
der Zypressen und südlichen Eichen mit dem leuchtenden Blatt-
werk des Lorbeers, dem ruhigen Grün der Pinien und den archi-
tektonisch-strengen Buchsbaumwlnden. Der Park in Tivoli ist
der Idealgarien, in dem die antike gärtnerische Tradition sich
mit Renaissancemotiven zur Einheit verschmolzen hat. Durch
die Vereinigung von Architektur, Plastik und Garten-
kunst wurde ein überaus künstlerischer Naturaus-
geschaffen; seine Komponenten sind
das tiefe Grün der Bäume, Marmor und
Wasserfälle, das Ganze zusammen-
gefaßt in die strengen Formen der
Renaissance, aber lebendig und
überrasdiend durch das^el-
fältige und Wechsebide
seiner Bilder«
ZWÖLFTES KAPITEL
TORQUATO TASSO
il asso, der groBe IMchter, der mit d«n SchwSchen seiner
I Zeit belastet ist und am meisten für die Sünden der Re-
I nalssance gelitten hat,ist zugleichsuch derkranklichst«
I Vertreter des beginnenden geistigen Druckes. Ein
I schwacher Charakter und schwächlicher Hensdi, eine
II Gestalt, die unser Mitleid erregt, aber unsoe Sym-
pathie nicht 2U erringen vermag. Der sch&dUche EinfluB des
höfischen Wesens, der Cortigianeria, tritt bei keinem der be-
rühmten Zeitgenossen so scharf wie bei Tasso zu Tage; keiner war
so widerstandslos gegen die neue, jedes persdnliche Wollen ver-
nichtende Strömung wie er. Er vermochte die Widersprüche, die
ihn verzehrten, nicht zu losen; der Reaktion hat er den Flug seiner
Seele und die Freiheit seines Geistes geopfert, aber der Körper war
diesem Gewaltakt nicht gewachsen, der arme Dichter verfiel in
geistige Umnachtung, in jene „fiera malinconia", wie er selbst sie
genannt hat.
Torquato gehört einer bekannten Familie an, die in Almeno,
im Bergamaskischen zu Hause ist; Mitglieder dieser Familie sind
im XV. Jahrhundert nach Deutschland, Flandern und Spanien aus-
gewandert und haben das michtige Geschlecht der Fürsten Taxis
begründet. Torquatos Vater, Bernardo, arm, aber auf seine vor-
nehme Herkunft pochend, war in jungen Jahren Sekretär beim
Grafen Guido Rangoni, aus Modena, dem General der römischen
Kurie; er hat die diplomatische Laufbahn eingeschlagen imd Re-
nata di Francia und dem Herzog von Salemo, Ferrante San-
TORQUATO TASSO
BILDNIS VON At-ESSANDRO ALLORI. FLORENZ, UFFIZIEN
TORQUATO TASSO 337
severino, einem der grdBten neapolitanischen Magnaten, gedient.
Bemardos Beschftftigung hinderte ihn, sich an einem Ort anzu*
siedeln, er muBte seinem Herrn in der Suite des Kaisers nach Tunis,
Spanien, Prankreich und Flandern folgen; er heiratete daher erst
in späteren Jahren, 1539, Porda, die Tochter Giacomo de Rossfai
aus Pistoja« Sie brachte ihm eine ganz bedeutende Mitgift mit,
fünftausend Scudi, mid er kaufte dafür Land in Sorrent, da er
glaubte, sich dort ruhig niederlassen zu können. Porcia war trotz
ihrer Schönheit eine stille, häusliche Frau; Bernardo lebte mit ihr
in einer glücklichen Ehe, doch war das Glüdc nicht von Dauer, da
ihn seine dienstlichen Pflichten aus dem Hause trieben. Um jene
Zeit, am XX. März X544, wurde Torquato geboren, in Sorrent; die
Villa Pignatelli Strongoli steht heute auf jener Stelle, wo einst sein
Geburtshaus stand.
Bernardo hat in seiner Jugend lyrische Gedichte gemacht; in
Sorrent schrieb er ein größeres Rittergedicht „Amadigi'' voll von quä-
lendem Pathos und törichten Übertreibungen; den Inhalt hat er
dem französischen Roman „Amadis de Gaule" entlehnt. Doch
konnte er sein Epos nicht in Ruhe beenden, da er Neapel schleunigst
▼erlassen mußte. Der Herzog Ton Sakrno war, als Anhänger yon
Franz L, beim Kaiser in Ungnade gefallen, der Vizekönig von
Nei4>el, Don Pedro di Toledo, nannte ihn einen Verräter und nahm
ihm die ihm übertragenen Lehnsgüter; da Bernardo in der Polidk
des Herzogs eine bedeutende Rolle gespielt hatte, wurde auch sein
Vermögen konfisziert, und der arme Diplomat und Dichter sah sich
plötzlich verbannt, fast in Not, bis ihm 1554 gestattet wurde, sich in
Rom niederzulassen.
Porda Tasso yerbUeb in Neapel, ihre Brüder und ihre Mutter
nahmen in der richtigen Voraussetzung, daß die verlassene Frau
beim IHzekönig weder Schutz noch Recht finden würde, ihr Stück-
dien Land in Sorrent fort, so daß Porda gezwungen war, den
siebenjährigen Knaben in die frisch begründete Jesuitensdiule in
Neapel zu tun und selbst mit ihrer Tochter Cornelia ein Kloster
aufzusuchen. Bernardo blieb in Rom, um den Vizekönig zu veran*
lassen, ihm sein eingezogenes Vermögen herauszugeben; er nahm
den zehnjährigen Torquato zu sidi, tun Ihn in Rom zu erziehen.
as
338 ZWÖLFTBS KAPITEL
Aber von der Wiedergabe des Vermögens war g«r nkht die Rede,
Bemardo muSte soger aus Rom flttchteni da es sum Krieg swisdien
Spanien imd Paul IV. kam» der Viiekönig von Neapel in den Kirchen-
staat einrückte und Tasso fOrchtete in die HInde seiner Feinde
zu fallen.
Zum ÜbermaB des Unglücks stirb Porda in Neapel; die schütz-
losen kleinen Kinder waren sich selbst überlassen, bis sidi Gio-
▼anna von Aragon ihrer erbarmte und sie ins Kloster San-Festo
brachte. Tasso selbst fand eine ZufhichtsstAtte beim Herzog Guido*
baldo von Urbino, den Sohn schickte er zu seiner Familie nach
Bergamo zurück, später lieB Ouidobaldo ihn an seinen Hof kommen,
als Spiel- und Lemgef&hrten für den achtjUirigen Francesco ISaria,
den späteren Herzog. Als Torquato im Mai 1557 nach UrUno kam,
war er dreizehn Jahre alt; die dort verlebten Jahre waren wohl die
glücklichsten seines Lebens* Der Hof von Urbino, an dem Gelehrte
und Künstler lebten, die schöne Lage der Stadt — all das wirkte auf
die Phsjitasie des Jünglings. Im Soouner lebte der Hof in Pesaro
oder in der Villa Imperiale, dem nahe gelegenen SchloB; weit dehnt
sich der Blick von dort über Pesaro, Fano, SinigagHa, Ancona bis
nach Loreto, im Westen tauchen die Hügel der Romagna auL Die
Weite dieses Blickes und die Schönheit des Schlosses machten auf
Torquatos jugendliche Phantasie einen solchen Eindrudc, daS er
die Villa Imperiale als Schauplatz für seine erste größere Dichtung
»»Rinaldo" wählte und sie zum „Palazzo della Cortesia" umgestaltete.
Torquato lernte in Urbino zum erstenmal höfisches Leben kennen,
hier eignete er sich die Cortesia uad Creanza an, die keinem Hof«»
mann fehlen durften, und übte sich selbst in der Musik, da der Herzog
eine Hofkapelle hatte» die ihn sehr beschäftigte. In Urbino schrieb
Torquato auch seine ersten Ijrrischen Gedichte.
Unterdessen war Bemardos Roman „Amadigi'' fertig, und im
Frühling 1559 ging er nach Venedig, um ihn dort drucken zu lassen.
Die „Dedikation" eines Buches war damals eine sehr wichtige
Frage, eine Frage der Karriere. Ursprünglich wollte Bemardo sein
Gedidit Philipp H. von Spanien widmen, da ihm aber von den
Spaniern soviel Unrecht geschehen War, beschloB er, das Buch dem
von Frankreich, auf den er Hoffnungen setzte, anzubieten.
TORQUATO TAS80 339
Als er sah, daB er auch von den Franzosen nichts zu erwarten habe»
hielt er sich wieder an Philii>p IL, in der Hoffnung, den
veranlassen su können, ihm seinen Besitz zurückzuerstatten.
Schmeichelei war jedoch erfolglos.
Mit dem Vater ging auch Torquato nach Venedig, er lebte dort
in einem lEreis berühmter Literaten und Dichter. Den geistigen
Mittelpunkt bildete die „Accademia Veneziana'S auch „della Fama*'
benannt; ihr gehörten Veniero, Gradenigo, Girolamo Ruscelli,
Patrido und Aldo Manuzio an, in dessen Verlag die Werke der Aka-
demiker erschienen. Aldo war damals ein hochbetagter Mann, dem
Verlag stand sein Sohn Paolo vor, der Gedichte machte und mit
Torquato befreundet war. In diesem literarischen Kreise begann
Tasso, trotz setner Jugend, an ein großes Epos zu denken. AUe
Dichter hatten damals mehr oder weniger ein Ziel vor Augen: die
Regeln von Aristoteles' Poetik mit dem Geist der Zeit zu vereinigen.
Ariost schien ihnen bereits veraltet, Trissino entsprach zu wenig
den Vorschriften der Poetik, die besonders der Ptofessor Sigonia
in Padua vortrug. Er war der Liebling der Jugend und wollte „zu
eigenem Ruhm und zum Neid der übrigen Gelehrten'' eine neue
Einheit zwischen der antiken Philosophie und dem neuen Roman
begründen. Tasso wählte, von dieser Vorstellung erfüllt, Rinaldo,
Karls des Großen Paladin, zu seinem Helden und schrieb im Lauf
von zehn Monaten ein Gedicht, das ein deutlicher Beweis der
aufierordentlichen Begabung des jungen Künstlers ist. Abenteuer,
die mehr oder weniger der alten Ritterpoesie entlehnt sind, wurden
vom Dichter in erschreckender Monotonie aneinander gereiht;
dennoch verrät sidi auch hier schon im Naturgefühl die Begabung
des Künstlers fürs Idyll, die später in seinem Schäferdrama „Aminto''
zur Blüte gelangte.
Die literarischen Anfänge des Sohnes haben dem Vater gründ-
lich miBfallen; er hatte Grund genug, eine auf die Gunst des Hofes
gestellte Existenz zu fürchten und wollte dem jungen Torquato ein
von der Laune der Mächtigen unabhängiges Leben sichern. Zu
diesem Zwedce schickte er ihn anderthalb Jahre nach seiner An-
kunft in Venedig, im November 1560, auf die Universität nach
Padua, damit er dort Rechtswissenschaften studiere. Aber Torquato
340 ZWÖLFTBS KAPITEL
interessierten Gtiido P^uidroUs trockne Vorträge nicht, viel tteber
las er die alten Ritterromane auf der Bibliothek, auch war er ein
häufiger Gast des alten Literaten Sperone Speroni, bei dem man
sich zu wissenschaftlichen Disputationen traf. Tasso verkehrte
auch viel bei Giovanni Vincenxo Pinelli, einem vermögenden
Genueser Patrizier, der in Padua lebte, seltene Bücher und
Antiquitäten sammelte und ein offenes Haus für Dichter und
Gelehrte hatte.
Bemardo, dem es pekuniär sehr schlecht ging, fehlten die
Mittel, um seinen Sohn in Padua zu erhalten ; es gelang ihm jedoch,
den jungen Annibale di Capua zu veranlassen, Torquato unter
seinen Schutz zu nehmen. Der Protektor, der gleichfalls in Padua
studierte, gehörte einem vornehmen nei^litanischen Geschlecht
an. Die vornehme Jugend hatte schon auf der Universität ihren
Hofstaat, der aus den ärmeren Kollegen bestand; sie wurden unter-
stützt und auf diese Weise die späteren Klienten herangezüchtet.
Der arme Torquato trat somit schon mit achtzehn Jahren seinen
Hofdienst an; er begann es früh zu lernen zu schmeicheln und
sich in die Launen der Groflen zu schicken. Annibale di Capua
war später als Erzbischof von Neapel bekannt und wurde, ver-
mutlich infolge seiner Beziehungen zu den polnischen Bdelleuten
auf der Universität in Padua, päpstlicher Gesandter in Polen.
Torquato konnte sich nicht an den Gedanken gewöhnen. Rechts-
gelehrter zu werden; nach einem Jahre gestattete ihm der Vater,
sich auf der philosophischen Fakultät zu inskribieren und die
Vorträge von Francesco Piccolomini aus Siena, Marc Antonio
Passery und Sigonio zu besuchen, ja er liefi ihn sogar seinen „Ri-
naldo'' veröffentlichen.
Damit dieses Jugendwerk dem Verfasser die Gunst tmd Unter-
stützung eines mächtigen Magnaten einbringe, empfahl er ihm,
den „Rinaldo'* dem Kardinal Luigi d* Este zu widmen, der schon
damals für seine Freigebigkeit bekannt war. Der Kardinal nahm
die Dedikation an, und Torquato fügte seinem Gedicht jene Stanzen
hinzu, in denen er seinem künftigen Protektor eine dreifache Krone
verspricht, den Ruhm, die Ketzer auszurotten imd einen neuen
Kreuzzug zu predigen.
TORQUATO TASSO 34X
Ma quandOi il crin di tre corone dntOi
V* aTrem V empia Eresla dotnar giA vistoi
E Spinger pria, da santo amor sospinto
Contra r ^tto 1 Principi di Cristo;
Onde il fiero Ottomano oppresso e Tinte
Vi ceda a forza U suo mal fatto acqutsto;
Cangiar la lira in tromba e in maggior carme
Dir tenterö le vostre impreae e ranne*
(Rinaldo I, S.)
Wie wenig Tassos Schmeicheleien der Wirklichkeit entsprachen,
haben wir bereits gesehen.
Auch Annibale di Capua, seinem Kollegen und Protektor auf
der Universität zu Padua, hat Torquato seinen Dank im ,,Rinaldo''
entrichtet und ihm und dem Grafen Stanislas Tamowski die schdne
Ottave gewidmet:
De* duo quindi lontan, giovani in vista,
La Sacra mitra ha Tun, Taltro la spada;
Un, Annibal di Capua, onde di trista
Convien che lieta Roma un tempo vada;
L'altro, che la fortezza al senno mista
Avendo al Qel si fari larga strada,
E'Stanislavo, di Tarnovio Conte
Che Star potri co' piü famosi a fronte.
(Rinaldo VIII, 10.)
Tasso hat diese beiden Kollegen wohl deshalb in einer Ottave
Terherrlicht, weil Tamowski als Annibales Freund galt; ihre Freund-
schaft hat sich später in Polen bewährt
Während Tassos Universitätszeit in Padua stieg die Zahl der
fremden Studenten, besonders der Polen und Deutschen, mit jedem
Jahr. Die venezianische Republik hat nach dem Krieg mit der Liga
von Cambrai die Universität in Padua neugestaltet und sich bemüht,
die berflhmtesten Lehrer zu gewinnen. Von 1562 an kamen immer
mehr fremde Studenten. Während ihre Gesamtzahl 1561 nur
138 betrug, gab es 1563 schon 470 Hörer, X563 54z und 1565
sogar Tao/
34«
ZWÖLFTES KAPITEL
,,Rinaldo^^ erschien im Sommer des Jahres 1562 in Venedig und
hat den jungen Verfasser in gans Italien berühmt gemacht. Eine
Auflage folgte der anderen, imd erst die so viel gelesene ,,Gerusa-
lemme" hat dazu beigetragen, daB Tassos Erstlingswerk in Ver-
gessenheit geraten ist*
Während Tasso am Rinaldo schrieb, begann er über eine groBe
religiöse Dichtung nachzudenken, die der damaligen Geistesrichtung
entsprochen h&tte. Die Welt hatte sich ge&ndert, die Zeit des Froh-
sinns in der Renaissance war unwiederbringlich dahin, das Tridentiner
Konzil hatte der Christenheit eiserne Fesseln angelegt, und über
fünfzig neue Orden, an ihrer Spitze die Gesellschaft Jesu, wachten
darüber, dafi der menschliche Gedanke nicht die Grenz^i über-
schreite, die ihm in Trient gezogen worden waren. Die ganze
Christenheit ward neu organisiert, die Fahne, auf die die Renais-
sance mit Feuerlettern die Befreiung des Individuums aus den
Fesseln der scholastischen Tradition geschrieben hatte, ward zer-
rissen; an Stelle kleiner Tjrrannenstaaten, die von kühnen und ge-
schickten Condottieren begründet worden waren, erstanden groBe
Reiche; nicht mehr die persönliche Tapferkeit des eisengepanzerten
Ritters, sondern die Stärke der Geschütze war im Kampf entscheidend.
Die Liebe für das eigne Land und das Verständnis für seine Sonder-
art ward in Italien durch Karls V. Macht vernichtet, und in den
jungen Geistern entstand tmter dem Einflufi von Trient das Ideal
eines einheitlichen mächtigen römischen Katholizismus. Ritter-
poesie im Sinne eines Bojardo oder Ariost war nicht mehr am Platze ;
der kämpfenden, siegenden Kirche unterstand jede geistige Regung.
Die Dichter mufiten mit der Inquisition rechnen, wenn sie nicht ins
Gefängnis geworfen oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden
wollten. Religiöse Dichtungen wurden icuner häufiger; Tansillo
verfaßte eine „Cristiade*^ und „Lagrime di San Pietro'S Armido
Agnifilo die „Casa di Ludfero'S Benedetto dell' Uva „Le Vergini''.
Die Phantasie der jungen Dichter ward durch die Angst vor den
Ungläubigen gestachelt, die Türken bedrohten die venezianischen
Besitzungen, Ungarn und Polen, und Süditalien war infolge der
Einfälle der nordafrikanischen Völker in beständiger Gefahr. Wieder
tauchte der Gedanke der Kreuzzüge auf; der alte Wunach, das
TORQUATO TASSO 343
HeiUge Grab zu tiefrdan, ward lebendig, die ritterlichen Kämpfe
Karls des GroSen iind Rolands kühne Talen wirkten befruchtend
auf die dichterische Phantasie: Michele Bonsignoris „Uberasione
di Terra Santa'' und ,,Gen2sakinme'S Bargis „Siriada'' und Brac-
doHnis ,,Croce racqoista'' sind deutliche Zeichen der neuen Ge-
sinnung.
Tasso sogen seine Kindheitserinnerungen in diesen Kreis; als
Knabe hatte er in Sorrent im Benediktinerkloster La Cava de*Tlr-
reni mit dem phantastischen BHck auf Val Meteliana gelebt, tmd
die Mdnche hatten ihm von den Kreuzzügen und dem Papst Urban IL
erz&hlt, der die Kutte genommen und in ihrem Kloster gestorben
war« Bin trauriges Ereignis in seiner eignen Familie weckte seinen
Zorn gegen die Unglitil»gen« In der Nacht vom 15. Juni 1558 war
plötzlich die türidsche Flotte bei Sorrent erschienen, Tassos jung-
verheiratete Schwester ComeKa weilte dort mit ihrem Gatten. Die
Türken kamen unvermutet ans Land» führten einen groflen Teil der
Bevölkerung in die Sklaverei, und nur durch einen glücklichen Zu-
fall gelang es dem jimgen Paar, sich durch die Flucht zu retten;
es irrte in den Bergen herum, bis die Gefahr vorüber war.
Tasso las in französischen Chroniken über die Kreuzzüge und
muß auch die alten chansons de geste, die den Zug ins Heilige Land
schildem, gekannt haben. Obgleich die ursprünglichen französischen
und provenzalischen Texte dieser Gedichte damals bereits ver-
schwunden waren, so existierten doch Bearbeitungen wie „La
Croisade^S und „Jerusalem** von Grandidoro di Donal, oder der
„Gutifre de Buione**. Die Kreuzzüge waren das Lieblingsthema der
nordfranzösischen Dichter, und schon im XII. Jahrhundert hatte
Riccardo, „II Pellegrino** benannt, eine Geschichte von „Buglione's*'
Expedition geschrieben. Später wurden einige dieser Ritterromane
„Elia'S „LHnfanzia di Goffredo'S „Antiochia'S „I Cattivi** und
„Gerusalemme** zu einer einzigen Geschichte unter dem Titel „Ca-
valiere dal Cigno*' zusammengefaBt. Die Schicksale und Begeben-
heiten von BUas, Goffreds GroBvater, der in einen Schwan ver-
wandet wurde, sind darin beschrieben.
In Venedig hatte Giovanni Maria Verdizotti, der Geistlicher und
Literat, ein elender Dichter und schwacher Maler war, aber ein
344 ZWÖLFTBS KAPITBL
Mensch voll warmer Begeisterung ffir Kunsti viel SymfMtfhie für
Tasso. Er suchte Torquato xu einer großen religiösen Dichtung
anzueifem, deren Inhalt die Befreiung des Heiligen Landes sein
sollte, und in demselben Geist suchte auf den Dichter Danese Cataneo
einzuwirken, ein Bildhauer und Verseschmied, in dessen Haus
Tasso seinen Rinaldo geschrieben hat. Dem Rat der Freunde ge-
mäß, begann Torquato vom Hai 1559 bis zum November 1560, vor
seiner Abreise nach Padua, ein imifangreiches Werk „Liberazione
di Gerusalenune'^ anzulegen. In Padua jedoch fehlte es ihm an Zeit
zur Weiterarbeit; die Studenten führten ein ausgelassenes Leben,
und Tasso beherrschten, nach eigenem Gestlndnis, „die Rechte
der Liebe'^ Der Kardinal Luigi und die Prindpessa Leonora d'Este,
waren damals in der Universit&tsstadt; in ihrer Gesellschaft befand
sich eine schöne fünfzehnjährige Damigella Lucrezia Bendidio,
deren Gesang den ganzen Hof und namentlich Tasso bezauberte.
Lucrezia war nur einen Monat in Padua, aber sie machte dem
Dichter einen so tiefen Eindruck, daß, als sie hald darauf den Grafen
Paolo Machiavelli heiratete, Tasso seinen Schmerz in liebes-
gedichten ausströmen ließ.
Es war schon damals Sitte, die Universität zu wechseln, tun
verschiedene berühmte Professoren zu hören; so finden wir Tasso
im November 1562 in Bologna; sein Rtihm als Verfasser des „Rinaldo''
war ihm vorausgegangen. In Bologna wurde ein noch lustigeres
Leben als in Padua geführt, Torquato zählte zur „jeunesae dor£e'S
der auch seine Vettern Ercole und Cristoforo, Bonaventura Maffetti
aus Bergamo, der Conte Capra und mehrere andere angehörten.
Tasso wurde dem Monsignore Cessi vorgestellt, dem p^wtKchen
Vizelegat, der in Vertretung von Carlo Borrom^o die Regienmgs-
geschäfte führte; er wurde auch in das Haus von Francesco und
Daniele Spinoli eingeführt; es waren jiuige reiche Genueser, die sich
studienhalber in Bologna aufhielten und in ihrem eigenen Hause
eine Art studentischer Akademie begründet hatten. Die verschie-
densten literarischen und philosophischen Fragen wurden bei diesen
Versanunlungen erörtert, und Tasso hielt dort einmal einen Vortrag
über die Grundsätze der Dichtkunst Nach den Debatten wurde
gegessen, und es ging dann^noch lustig her; aber diese Versanun-
TORQUATO TASSO 345
hingen fanden ein trauriges Ende: Franoesco Sfrinola mußte aus
Bologna fliehen, da man ihn Terdichttgte, daS er seinen Rivalen bei
einer von ihm geliebten Kurtisane hatte ermorden lassen. Erst
zwei Jahre s^ter erlieB Pius IV« dem stürmischen Liebhaber seine
Strafe, aber er durfte nioht wieder nach Bologna kommen, sondern
muBte seine Studien in Padua f ortsetKn.
Auch in Bologna fing Torquato Feuer; seine Liebe galt ^Hq^inia
Ercolani, der verheirateten Grifin Biandu; ihr zu Ehren liefi er
ein Gedicht drucken, in dem er sie feierte als „La Virginia overo
della Dea de' nostri reovi'^ Diese lyrischen Efgüsae taten niemand
etwas zu Leide, anders verhielt es sich mit einem Pasquill auf einig«
Professoren, das viel btees Blut machte. Man wollte ihm einen
Prozeft machen, aber der Dichter, der Angst vor dem Gefängnis
hatte, entfloh nach ICantua und richtete von^ort aus einen langen
Brief an Monsignoc« Cessi, in dem er versuchte, seine Unschuld zu
beweisen; aber seine Erklinmgen klangen nicht überzeugend ge-
nug, um den Verdacht zu zerstreuen. Aus ICantua ging Tasso wieder
nach Padua, um seine Studien abzuschlieBen, er folgte der Ein-
ladung Sdpione Gonzagas in sein Haus. Gonzaga war sehr begabt,
in klassischen Studien erfahren, dazu malte und sang er; seine
Familie hatte ihn für den geistlichen Stand bestimmt, als Nach-
folger des Kardinals Ercole Gonzaga. Dem Beispiel anderer vor-
nehmer Jünglinge folgend, begründete er in Padua die Akademie
„degli Eterei'* und hoffte durch Tasso den akademischen Ver-
sammlungen einen besonderen Glanz zu verleihen. Die Jugend
stand damab unter dem Einflufi des berühmten Kanzelredners
Panigarola, det im Geist des Tridentiner Konzils predigte und der
neuen religiösen Strömung viel Anhänger gewonnen hat. Torquato
kämpfte mit sich, religiöse Zweifel hatten sich seiner bemächtigt,
und Panigarolas Worte vermochten ihn nicht zu überzeugen. Er
gestand später selbst, er habe in seiner Jugend gezweifelt, dafi die
Seele unsterblich sei, und Gott die Welt erschaffen habe; er habe
nicht geglaubt, dafi Christus gekonamen sei, um die Menschheit zu
entsühnen, und den Jesuiten gezürnt, weil sie ihn gezwungen hatten,
mit neun Jahren zur Kommunion zu gehen, ehe er die Geheimnisse
der katholischen Religion auch nur ßbxMn konnte. Sein ganzes
346 ZWÖLFTES KAPITBL
Leben hat Tasso an diesem Zwiespalt getragen, Frieden fand er erst,
als sein müder, kranker Geist die groBen fihilosophischen Fragen
nicht mehr zu erfassen imstande war.
Nachdem das UniTersit&tsjahr beendet war, ging Torquato
nach Ifantua, wo er seinen Vater traf, einen verbitterten Hofmann,
der vergebens nach Brot und einem gastlichen Dach sachte.
Der l&ngere Aufenthalt in Mantua hat sich tief in Tassos Herz
eingeschrieben; er hat dort Laura Peperara kennen gelernt, die
später am Hof von Perrara eine Rolle spielen sollte. Sie war die
Tochter eines vermögenden Kaufmanns, blendend schön und sang
vorzüglich. Der Dichter scheint die Absicht gehabt zu haben, sich
um ihre Hand zu bewerben, wie aus einem der zahlreichen an sie
gerichteten Sonette hervorgeht, aber seine Armut und die fehlende
soziale Position waren in den Augen ihrer Familie alles andere
eher als eine gute Empfehlung. Laura ist spiter eine glinzende
Ehe eingegangen, und Tasso hat sie wiederholt besungen.
II
Das Jahr 1565 war entscheidend in Torquatos Leben; sein Vater
hat den Kardinal Luigi d'Este veranlaßt, ihn an seinen Hof zu
ziehen. Im Oktober ging der junge Dichter nach Ferrara, um das unge-
bundene Studentenleben gegen ein Höflingsdasein einzutauschen.
Der Kardinal lebte im SchloB, in den sogenannten Camerini
dorati, die Alfonso für seinen Bruder hatte erneuern und ver-
schönem lassen. Luigi hatte seinen besonderen Hofstaat, der zwar
noch nicht so gl&nzend war wie in seiner römischen Zeit, aber er
hatte schon damals ein groBes Gefolge« Sein Maggiordomo war det
Graf Belisario Tassoni, sein Sekretir Benedetto Kanzuofi aus
Modena, und diesem höchsten Hofbeamten unterstanden der Kas-
sierer, der Cameriere segreto, acht Canerieri vornehmer Ab-
stammung, der Chef der Kanzlei, selbst der am Hof amtierende
Theologe. Als letzter wurde Torquato Tasso in die Liste eingetragen,
als Hofmann ohne festes Amt, der für seinen Patron Verse zu
schreiben versprochen hatte. Er hat dem Kardinal drei Themen
TORQUATO TASSO 347
für heroische Dichtungen yorgelegt» Luigi scheint die „Gerusa-
lenune'* gewählt su haben, und so erhielt das Bpos, das Torquato
schon seit längerer Zeit beschäftigte, tron Anfang an die Sanktion
des Kardinak.
Tasso war an Luigis Hof keine feste Pension ausgesetzt worden,
nur Ton Zeit zu Zeit je nach der Laune des Kardinals wurden ihm
dreiBig Scudi gegeben. Als Wohnung waren ihm zwei kleine Zimmer
im Kastell angewiesen worden, das eine diente dem Dichter, das
andere seinem Diener; einige Einrichtungsstücke, Bettzeug vaad
Leinwand wurden aus der Guardaroba des Kardinals herbeigesdiaf ft.
Man muß sich darunter freilich nicht Dutzende Ton Leintüchern,
Kissenbezügen und Handtüchern vorstellen; der ganze Vorrat be-
stand aus einer Decke, zwei Leintüchern und einem Strohsack.
Das war für einen Hofmann „ohne Pflichten'* genug. Das Essen
wurde Tasso aus der Kardinalsküche in die Wohnung gebracht, da
der Dichter sich geweigert hatte, in der Gesindestube zu essen;
dazu bekam er täglich ein Fiasko reinen Wein, ein Fiasko ver-
dünnten Wein für den Diener, im Sommer ein Pfund Lichter
monatlich, im Winter anderthalb. Es demütigte den Dichter, daB
er nicht zum Kardinalstisch herangezogen wurde, an dem die an-
geseheneren Hofleute speisten; außerdem empörte ihn das schlechte
Essen, das er nach Haus geschickt bekam; so bat er durch Ver-
mittlung der Prindpessa Lucrezia am Tisch der Gentiluomini
sitzen zu dürfen. Diese Vergünstigung scheint man ihm abgeschla-
gen zu haben, und erst nach geraimier Zeit wurde ihm eine feste
Bezahlung von vier Scudi monatlich zugestanden; das gleiche Eln-
konamen hatte der Theologe, während der Hofarzt acht Scudi bezog.
Die karge Pension genügte Torquato nidit, er begann früh Schulden
zu machen, allmählich warteten seine Gläubiger bereits am Tage
der Auszahlung vor der Wohnung, um sofort die armsdigen Gro-
schen mit Beschlag zu belegen.
Als Tasso nach Ferrara kam, hatte Alfonso H. einen glänzen-
den Hofstaat, aber die groBen dortigen Geschlechter gingen ihrem
pekuniären Ruin entgegen. Die Este haben durch ihren Luxus den
gesamten Adel zu ungeheuren Ausgaben veranlaBt und infolgedessen
seinen materiellen Ruin bewirkt. Nodi führten die BentivogUo,
348 ZWÖLFTBS KAPITBL
BeTÜAcqua» Tassonii Bendidio und tnehiwe andere Familien ein
offenes Haus. Giovanni Battista Pigna war der allTermögende
Minister; ein durGfatrid>enery gesdiickter Beamter von niedriger
Herkunfti zugleich Dichter und Philosoph. Tasso schlofi sich ilun
und den Literaten an wie Ercole Cato, Agostino, Borso d^li
Arienti und dem Grafen Annibale Romei« Er war ein häufiger Gast
bei der Prindpessa Lucrezia, „der Schönsten unter den Schftnen'S
und bei Leonora, von der Francesco Zini, der Dichter aus Bresda^
sangi es gäbe kein Herz, das nicht bd ihrem Anblidc in Flammen
stünde:
Te visu qui non accensas pectore flammas
Sentit hie hiunani nil sibi cordis habet.
Um Leonora und Tasso wurde später ein Roman gesponnen»
dessen tragbcher Schluß in Tassos Gefangennahme gipfdt. Wir
werden sehen, daß der Dichter aus ganz anderen Gründen im Spital
der heiligen Anna festgehalten wurde.
Im Salon der Prinzessinneni wie auch in den anderen Häusern
der vornehmen Wdt in Ferrara war Tasso bald ein begehrter Gast;
er war der Liebling der Frauen, und jede ferraresische Schöne
wünschte ihren Namen in einem Sonett des Dichters wiederzu-
finden. Aber nicht in den Salons allein, auch in Gelehrtenkreisen
war der Verfasser des „Rinaldo*' begehrt, und als im Jahre 2568 die
„Accademia Ferrarese'* b^^ründet wurde, deren Zusammenkünfte
in Ercole Varanos Hause stattfanden, hidt Torquato eine An<-
Sprache bd der Erdffnungsfder im Beisein des Herzogs und der
bekanntesten Hofleute. Einer der eingeladenen Gäste berichtete
einige Tage später in einem Privatbrief, daß Tasso gut aber mit
bergamaskischem Akzent gesprochen habe. Das war gerade kein
Vorzug, da man die Bergamasken wegen ihres Dialektes damals
allgemein verspottete. Auch sei erwähnt, daß Tasso ein schlechter
Redner war, er stotterte die Worte hervor und hatte Schwierigkdten
im Ausdruck, doch hinderte ihn dies nicht, regen Anteil an den
Arbeiten der Akademie zu nehmen und bd den Sitzungen seine
„Discord de l'arte poetica'* vorzutragen, in denen er die Grundsätze
der epischen Dichtung auseinandersetzte. Er betonte die Binhdt
TORQUATO TASSO 349
der Handlung in der Mannigfaltigkeit des Stoffes und verglich das
Epos mit der Welt» die ein einheitliches Ganzes bildet, trotzdem sie
aus wunderbaren oberen und niedrigen unteren Faktoren, aus
Glück und Schmerz besteht. Seine glänzendste Leistung in der
Accademia war die Verteidigung der fünfzig Thesen über die Liebe,
die zum groBen literarischen Ereignis ward. Diese Thesen stützten
sidi in der Hauptsache auf Piatos Philosophie, der damab nodi die
„Herzens^theorien beherrschte. Die Disputation interessierte die
Gesellschaft um so intensiver, als die Gegnerin, die die Ansichten
des Dichters bekämpfte, Qrsina Bertolaja Cavaletti war, eine sehr
schöne und gelehrte Dichterin. Sie trat namentlich gegen Tassos
Grundsatz auf, daB der Mann heißer und beständiger liebe als
die Frau. Soweit der Dichter und nidit die Theorie in Frage
kam, hatte Orsina schon ganz recht, denn Tasso gehörte durdi«
aus nicht zu den Menschen mit dem heiBen Herzen und den
groBen Leidenschaften, er liebte nur, wenn er Gegenliebe fand,
und tröstete sich in seinem Liebesschmerz stets durch ein elegantes
Sonett Die Liebe galt ihm nur so viel, als sie ihn zu einem schönen
Gedicht begeisterte. Vielleicht das Gleichgültigste, das man einer
Frau sagen kann, findet sich bei il
Si Tuoi pur ch'ami, ama tu me, facciamo
L'amor d'accordo ....
Im Winter 1568 reiste Tasso nach Mantua, da sein Vater schwer
erkrankt war, unterwegs erfror ihm sein Gesicht, und zwei Zähne
muBten entfernt werden. Während seines Aufenthaltes in Mantua
hatte Tasso einen unangenehmen Zwischenfall: er las im Bett
und vergaB das Licht auszulöschen. An der brennenden Kerze ent-
zündeten sich Bücher und Kleider, und der Dichter schlief so fest,
daB er erst erwachte, als sein Bart zu glimmen begann. Da sprang
er zum Fenster hinaus, verletzte sich den FuB und rief Menschen zu-
sammen, damit sie das Feuer löschten, aber seine ganze Wäsche
war verbrannt, was für den armen Teufel keine kleine Katastrophe
war. Glücklicherweise erbarmte sich Eleonora d'Austria, die Her-
zogin von Mantua, seiner in dieser kritischen Lage, schenkte ihm
zwölf Scudi und Leinwand, damit er den erlittenen Schaden wenig-
350
ZWÖLFTES KAPITEL
stens teilweise wettmachen kAnne. Es ging ihm schlecht in ICantua,
im Herbst erkrankte er schwer am Fieber, eine gewisse GedJichtnis-
schwäche, an der er sein ganies Leben gelitten hat» verblieb ihm
nach dieser Krankheit.
Der alte Bemardo Tasso, der als Fünfundsiebzigjfthriger schon
seiner erschütterten Gesundheit wegen nicht mehr imstande war,
in diplomatischen Missionen su reisen, bat den Hersog yon Mantiut,
ihm ein ruhiges Amt am Platse zu übertragen. Der Herzog er-
nannte ihn zum Podesti von OstUia, einem kleinen Nest am Po,
wo er bei elender Bezahlung Malarialuft einatmen mußte. Dem
konnte er nicht lange Stand halten und starb in der Nacht des 4. Ok-
tober 1569. Sein Leben hat er im Hof dienst aufgerieben. Als Tor-
quato von Bernardos Krankheit erfuhr, eilte er nach Ostilia, aber
er fand weder seinen Vater am Leben, noch auch nur einen Stuhl
in der Wohnung, da die Dienerschaft alles gestohlen hatte, was
nicht niet- und nagelfest war. Tasse hatte keine BCittel, tun den
Toten begraben zu lassen; der Duca Giiglielmo wollte den fatalen
Eindruck, den der Tod des Hofmanns und Diplomaten im Elend ver-
ursacht hatte, verwischen und lieB ihn feieriidi und mit viel Pomp
bestatten. Der Körper wurde nach Mantua gebracht und in der
Kirche S. Egidio beigesetzt.
Bei Bernardos Tod, der sein Leben dem Dienst großer Herren
gewidmet, war nichts zurückgeblieben als beträchtliche Schulden,
einige flandrische Arazzi, die noch aus guten Tagen stammten, und
eine arabische Vase, Kriegsbeute von der Eiqiedition nach Tunis.
Für Torquato war also nichts übrig geblieben, er hatte sich sogar
durch die Reise zum Sterbenden in Schulden gestürzt, seine Kleider
und anderes versetzt, und der Kardinal befreite ihn aus großen
Sorgen, als er anordnete, daß ihm zwanzig Skudi ausgezahlt werden
sollten. Auf Wunsch des Kardinals sollte dieser Betrag nicht dem
Dichter selbst ausgehändigt, sondern seinem Gläubiger, dem Juden
Isachino da Fano, direkt bezahlt werden. Böse Zungen behaup-
teten. Luigi sei nur deshalb bereit gewesen, Tassos versetzte
Kleider auszulösen, damit er zur Hochzeit der Prinzessin Lucrezia
mit Francesco Maria della Rovere am i8. Januar 1570 kommen
könne
TORQUATO TASSO 351
III
Der Kardinal Luigi traf im Jahre 1570 Vorbereitungen su einer
Reisenach Paris, mit der Absicht, sich die französischenPfrOnden
des Kardinals Ippolito su sichern. Der unruhige Prälat hatte
die Absidit, falls dieser Plan fehlschlagen wOrde, Purpur und
Kardinalswfirde absutun, ,,scardinalarsi^' wie man sagte. Es dauerte
lange, ehe die beabsichtigte Reise zustande kam, denn Luigi fehlte
es an Geld, er wollte unbedingt mit groBem Hof Staat reisen, und einen
Teil seiner Familiäres, su denen auch Tasse gehörte, mitnehmen.
Torquato freute sidi auf diese Reise; da der Weg weit war,
machte er vorher sein Testament, in dem er über seinen litera*
tischen NachlaB verfügte, er anvertraute ihn seinem Freund Ercole
Rondinelli, der gleichfalls dem Hof des Kardinals angehärte. Um das
Gedächtnis seines Vaters su ehren, empfahl er die Arazzi su verkaufen,
die bei einem Juden versetst waren, und ihm ein Grabdenkmal su
errichten. Sollte das vorhandene Geld für diesen Zwedc nicht
reichen, so möge Rondinelli versudien, die großmütige Prinsessin
Leonora zu veranlassen, den fehlenden Betrag zu ergänzen.
In drei Abteilungen fuhr der Hofstaat des Kardinals nach
Frankreich. Die zwei ersten brachen im September 1570 aus
Ferrara auf, die dritte, su der Tasso gehörte, erst im Oktober. Zu
dieser Gruppe gdbörten auch zwei Geistliche, der Theologe uad
Kaplan des Kardinals, der Arzt, zwei Stallmeister, einige Kammer-
diener und ein grofier Stab von Köchen und Knechten, sämtlich
zu Pferde. Pasquale Angelucdo war der Kassierer und Rechen«^
meister dieser Expedition und trug sehr gewissenhaft alle Aus*
gaben in ein Buch ein, das sich bis auf den heutigen Tag erhalten
hat. Alle drei Abteilungen trafen sich, nachdem sie Italien und
das südliche Frankreich passiert hatten, in der Abtei ChaUs, wo
sie auf die Ankunft des Kardinab warteten. Unterdessen wurde
Ferrara von furchtbaren Brdbeben heimgesucht, die Este miaOten
während eines ganzen Monats in Zelten unter freiem Himmel kam*
pieren, und infolge des allgemeinen Unglücks verzögerte sich auch
die Abreise des Kardinals. Erst am 19. Januar 1571 machte sich
Luigi« von sechsundzwanzig vornehmen Ferraresen begleitet, nach
352 ZWÖLFTBS KAPITBL
Frankreich auf und erreichte Paris am ao. Februar, an einem sehr
kalten If/mttrtag. Frankreich stand im Zeichen tron Festen in«
ifAgt der Vermälitung Karb IX. mit Elisabeth von Osterreicfa, das
Königspaar weilte in Villers Cotterets und hielt erst im März seinen
Einzug in die Hauptstadt. Tasso war damals noch nicht der be-
rühmte Dichter des ,, Befreiten Jerusalem^S das erst zehn Jahre
später erschien, aber er fand in den dortigen literarischen Kreisen
den freundlichsten Empfang, da alles Italienische in Frankrddi
damals als modern galt Im Zeichen italienischer Kultur stand bereits
die Regierung Karls VIIL und Ludwigs XIL, und der fremde Bin-
fluB Stetgerte sich unter Katharina von Medid. Zur Feier Ton
Karls VIIL Hochzeit hatte man die italienische Theatergesell-
schaft der lyGelosi'* kommen lassen, und französische Literaten be-
trachteten die Italiener als ihre Lehrer im Humanismus, der frei-
lich in Italien um hundert Jahre früher als in Frankreich aufge-
taucht bt. Wenn audi der Einf luB italienischer Kultur in Frank-
reich Tasso einen sympathischen Eindruck gemacht hat, so er-
bitterten ihn die religiösen Verfolgungen, die gerade damals ihren
Höhepunkt erreicht hatten, aufs äufierste und Terschirften die
Zweifel, die seine Seele seit langem beunruhigten. Gerade da-
mals war fai Frankreich der Umfang der kirchlichen Gerichtsbar-
keit erweitert und eine unerhört strenge Zensur eingeführt worden,
in Ronen und Orange hatte man ein furchtbares Blutbad unter
den Hugenotten Teranstaltet.
Während seines mehrmonatlichen Aufenthaltes in Frankreich
hat Tasso yiel gesehen und gelernt, wie aus einem außerordentlich
interessanten Brief an den Grafen Eroole Contrari, in dem er seine
Eindrücke schildert, hervorgeht. Er hat Burgund, Lyon, die Nor-
mandie, Picardie und Lothringen kennen gelernt, doch gefiel ihm
im allgemeinen Frankreich weniger als Italien. Die BeTölkerung
erschien ihm sehr arm und elend, die Häuser, die zumeist aus
Holz gebaut waren, hlBlich und verwahrlost, nur die Kircfaen
hoben sich gro&artig von der sie umgebenden Armut ab. Die
gotische Architektur der französischen Kathedralen madite ihm
einen starken Eindruck« Die französischen Frauen haben ihm
infolge ihrer Schönheit, Liebenswürdigkeit und Ubhaftigkeit be-
TORQUATO TASSO 353
sondert gut gefallen, während er die Männer durch die krummen
Beine» die sie sich beim konstanten Reiten geholt hatten, Terun«
staltet fand. Dreierlei war Tasso besonders aufgefallen und er-
schien ihm von nachteiligsten Folgen: die Mütter nähren ihre Kinder
nicht selbst» sondern ziehen sie mit Kuhmilch auf, der Adel lebt
zurückgezogen auf seinen Schlössern am Lande, verkehrt höchstens
mit Bauern und ist ungebildet, ja flegelhaft, die Wissenschaften
stehen ihm ganz fem, und die Gelehrten rekrutieren sich nur aus
Männern von niedrigem Stand« Die Philosophie, diese königliche
Wissenschaft, mußte sich in Frankreich einem Bauern vermählen
und hat dabei viel von ihrer Vornehmheit eingebüfit.
Eindringlichere Beobachtungen als dieser Brief enthält Tassos
spätere Abhandlung „Discorso intomo alla sedizione nata nel regno
di Franda Tanno 1585'*; sie bekundet viel Beobachtungsgabe, die
man dem Dichter nicht ohne weiteres zugetraut hätte«
Das französische Königspaar hatte die Absicht, den April in
der Bretagne zu verleben und lud den Kardinal ein, mitzureisen;
er befand sich damals schon in großer Geldverlegenheit, und da
er nicht das ganze Gefolge, mit dem er nach Frankreich gekommen
war, zu erhalten vermochte, beschloß er nur einen Teil mitzu-
nehmen und die übrigen aus Paris nach Italien zurückzuschicken.
Zu diesen letzteren gehörte auch Tasso, den diese Zurücksetzimg
g^enüber den vornehmeren Höflingen tief schmerzte, um so mehr,
als er auch noch so manchen Anlaß hatte, sich über den Dienst
beim Kardinal zu beklagen« Er glaubte, von Luigi zu schlecht
entlohnt zu werden und eine zu untergeordnete Rolle am Hofe
zu spielen« Die Klagen waren unbegründet, da Tasso nach da-
maligen Anschauui^^en durchaus nicht schlecht bezahlt wurde, da
er keinerlei Pflichten zu erfüllen hatte, außerdem war der Kar-
dinal ein bekannter Verschwender und seine Höflinge hatten keinen
Anlaß, sich über den Geiz ihres Herrn zu beklagen« Tasso be-
schloß, den Dienst beim Kardinal aufzugeben; seine wahren Be-
weggründe waren seine verletzte Eigenliebe und seine große Un-
beständigkeit, die später noch gewachsen ist. Die innere Unruhe
hat ihn von Ort zu Ort getrieben, Tässo war niemals und mit nichts
zufrieden« Er scheint um so weniger Anlaß gehabt zu haben»
354
ZWÖLFTES KAPITEL
sich über den Geiz des Kardinals zu beklagen, als er sieh
ihm viel Geld erspart hat. In Italien konnte er nachher fast
ein ganzes Jahr reisen, ohne eine feste Beschäftigung, die ihm
auch nur die geringste Einnahme gesichert hätte«
IV
Im Glauben, an Alfonsos IL Hofe ein Unterkonmien zu finden,
kam Tasso nach Ferrara, aber als er sah, dafi es dort auf bloBe
Versprechungen hinauslief, ging er nach einigen Wochen nach
Rom, in der Erwartung, der Kardinal Ippolito d'Este, der für seine
Freigebigkeit g^en Dichter imd Literaten bekannt war, würde ihn
in seinen Dienst nehmen. Der Tom Alter mitgenommene Kardinal
empfing Tasso zwar einige Male in seiner schönen Villa in Tivoli,
gab ihm aber die erhoffte Anstellung nicht.
Tasso blieb noch einige Monate in Rom; es war im Jahre 1571
während der berühmten Schlacht bei Lepanto, und die päpstliche
Hauptstadt zitterte unter dem Eindruck der politischen imd kriege-
rischen Nachrichten. Tasso bat Gott, wie er seinem Freunde
schrieb, den Christen den Sieg zu verleihen, und zählte nicht zu
den letzten, die dafür gedankt haben. Unter den Kämpfenden
befand sich auch ein Verwandter von Torquato, Antonio Tasso, von
der flämischen Linie; er zeichnete sich durch seine Tapferkeit in
der Schlacht bei Curzolari aus, so daB Philipp IL ihn zur Beloh*
nung zum Gesandten in Paris ernannte. Torquato stand zwar
zu seinen flandrischen und spanischen Verwandten in keinerlei
Beziehung, aber stolz auf sein Geschlecht freute er sich über An-
tonios Ehrung; dieses Ereignis und der Zusammenbruch der tür-
kischen Macht veranlafiten ihn zur Weiterarbeit an seiner Dichtung
von Jerusalems Befreiung, die durchaus zeitgemäB war und die
Geister beschäftigen konnte«
Tassos Geldmittel waren erschöpft, ohne einfluBreiche Pro-
tektion vermochte er sich nicht länger zu erhalten, so wandte er
sich durch Vermittlung seiner römischen Freunde an den Herzog
• TORQUATO TA SSO 355
▼on Ferrara und bat, an seinem Hof aufgenommen xu werdent
Auch die Herzogin Lucrezia, auf deren Unterstützung er stets
rechnete, suchte er zu diesem Zwecke in Urbino auf. Er hatte
sich nicht getäuscht; die Herzogin war im Begriffe, aus Castel*
durante nach Ferrara zu reisen, sie nahm den Dichter mit und bat
ihren Bruder, Alfonso IL, ihm an seinem Hof eine Anstellung zu
geben» Der Herzog ging ins Moorbad Sant Elena bei Padua,
wegen der rheumatischen Schmerzen im Knie, die er sich in
seiner Jugend während der Kriege in Frankreich geholt hatte;
zu seiner Gesellschaft nahm er einige Hofleute mit, darunter auch
Tasso. Der Dichter mufi dem Herzog einen guten Eindruck ge-»
macht haben, da er ihn später auch nach Comacdiio zum Fische
fang, der im Herbst stattfand, mitnahm. Im Januar 1573 wurde
Tasso in die Liste der bezahlten Hofleute aufgenommen mit einer
Pension von achtundfünfzig markgräflichen Lire, nach unserem
heutigen Geld etwa x xo Lire. Der Betrag ist gering genug, aber der
Geldwert war damals größer als heute, auBerdem hatte Tasso
Essen und Wohnimg frei, so daB das bare Geld für seine Kleidung
und andere Bedürfnisse dienen konnte. Der Dichter hatte keinerlei
Pflichten, der Herzog hatte nur den Wunsch geäufiert, Tasso möge
neben seinem großen Werk auch Gel^enheitsgedichte verfassen,
wozu Torquato gern bereit war. Sein „ozio letterato'* befriedigte
ihn sehr, und sein Einkommen betrug viermal soviel wie beim
Kardinal. Nachdem er dem Herzog seine Dankbarkeit in einem
flieBenden Gedicht ausgesprochen und sich vom zweijährigen
Herumvagabondieren erholt hatte, begann er an seiner „Gerusa-'
lemme*' zu arbeiten.
Natürlich fehlte es ihm an Neidern nicht, besonders Alfonsos IL
allmächtiger Minister, Giovan Battista Pigna, war ihm wenig ge-
wogen. Er machte selbst elende Gedichte und war in Lucrezia
Bendidio verliebt, für die sich Tasso bereits in Padua interessiert
hatte und van deren Gunst er aufs neue warb. Lucrezia lebte am
Hofe zu Ferrara und entfachte wahre Liebesbrände. Außer Pigna
und Tasso hatte auch Battista Guarini sein Herz an sie verloren
und schickte ihr gereimte Liebesseufzer. Obgleich Guarini und
Tasso als Dichter nicht gut zueinander standen, so verband sie
a3*
356 ZWÖLFTES KAPITEL *
gemeinsamer HaB gegen Pigna. Beide woUten den mAcfatigeii
Riyalen lächerlich machen, und als Pigna für einige Monate mit
dem Herzog nach Osterreich reiste, lieBen sie seine Liebes-Can«
Zonen drucken« Pigna durfte sich nicht einmal beklagen, da Tasse
den Gedichten einen für den Verfasser sehr schmeichelhaften Kom«
mentar hinzugefügt hatte. Die Bendidio verspottete ihren alten
Verehrer so gut wie die jungen Dichter. Pigna nannte sie bos-
hafterweise „lo sposo della barba bianca'S imd von den jungen
Dichtem ließ sie sich zwar gern huldigen, aber als praktische Frau
knüpfte sie Beziehungen zu dem an, der zwar keine Gedichte
machte, sie aber dafür mit kostbaren Geschenken überschüttete:
zum Kardinal Luigi. In ihren Briefen an den Kardinal verspottete
sie den alten Pigna, der sie mit seinen Zärtlichkeiten verfolgt hat
1573 ging Alfonso nach Rom, um dem neuen Papst Gregor ZIIL
SU huldigen und die Frage der Nachfolge im Herzogtum Ferrara
zu sichern. Eiii zahlreiches Gefolge begleitete ihn, danmter be-
fanden sich Tasso, Guarini und der berühmte Altertumskenner
Piero Ligorio; der Herzog hoffte mit seiner Hilfe in Rom seine
berühmte Anticagliensammlung vermehren zu können. Alfonso
war nur einen Monat in Rom imd einige Tage in Tivoli; Tasso
fand zur Arbeit keine Zeit, knüpfte aber viel Beziehungen an und
sah namentlich zum erstenmal die grofie Schönheit, von der ganz
Rom sprach, Barbara Sanseverino, die Gräfin di Sala, die mit ihrer
Schwiegertochter Leonora di Scandiano dort weilte. Von Barbara»
der die römischen Damen ihre Trimnphe neideten, hieB es, sie
habe die Schönheitspalme davongetragen:
Tolse Barbara gente il pregio a Roma.
Im Frühling machte sich Tasso in Ferrara wieder an die Arbeit
und ließ sein Schäferdrama „Aminta'^ drucken, das der Herzog
im Sommer im Belvedere aufführen ließ. Zu diesem Zwecke ließ
man die Theatergesellschaft „Gelosi" kommen, die damals in
Venedig auftrat und gern an norditalienischen Höfen spielte. Tasso
selbst unterwies die Schauspieler; die Aufführungen, die einige Ual
wiederholt wurden, sind glänzend ausgefallen, und haben ganz
Ferrara beschäftigt, um so mehr als man hinter einigen Gestalten
TORQUATO TASSO 357
des Dramas bekannte ferraresische Persönlichkeiten zu erkennen
▼ermeinte. Alfonso gab seiner Zufriedenheit Ausdruck» indem er
Tasso zum Professor — der Geometrie und der Himmelskörper an
der Universität in Ferrara ernannte. Der Dichter hatte nur an
Feiertagen die Pflicht» vorzutragen, und bezog dafür ein Ein-
kommen von 150 markgriflichen Lire (in heutigem Geld etwa 283).
,»Aminta'' wurde später in Pesaro aufgeführt» Tasso ging hin» um
die Inszenierung zu leiten» und allmählich errang dieses Schäfer-
drama in allen italienischen Städten große Erfolge.
Als die Nachricht von Karls IX. Tod nach Ferrara kam» emp-
fahl der Herzog dem Dichter» eine Trauerrede zu verfassen und sie
im Dom beim Trauergottesdienst zu verlesen.
Zur Begrüßung Heinrichs III. in Venedig nahm er Tasso mit»,
der die Gelegenheit benützte» um zwei Sonette zu Ehren des Valois
zu verfassen, worin er seine Größe und seine Tugenden pries. Der
Dichter verübelte dem König später sein lockeres Leben in Venedig»
zu dem ihn übrigens» wie wir gesehen haben» Alfonso selbst ver-«
leitet hat.
1574 erkrankte Tasso an einem sehr hartnäckigen Fieber, das
ihn lange gequält und ungünstig auf seinen phsrsischen und mora-
lischen Zustand eingewirkt hat Trotzdem arbeitete er an der
Vollendung des »»Befreiten Jerusalem"» da der Herzog sehr im-
geduldig war und den Ruhm kaiun erwarten konnte» der seinem
Geschlecht durch das Erscheinen dieses Epos werden sollte. Seit
zehn Jahren war Tasso am Hof der Este; der Herzog hatte ihm
seine Gunst geschenkt» ihn auf Reisen» auf die Jagd, zum Fisch-
fang mitgenommen» ihm völlige Freiheit in seiner Arbeit gelassen»
und trotzdem hatte der Dichter seine Aufgabe noch nicht gelöst.
Endlich im April des Jahres 1575 war das Gedicht fertig, aber da
Tasso die. drei letzten Bücher während seiner Krankheit geschrieben
hat, waren sie schwächer als die vorhergehenden ausgefallen.
Obrigens war das Gedicht noch nicht druckreif» einige Abschnitte
358 ZWÖLFTES KAPITEL
genügten dem Dichter noch nicht» und der Zwiespalt in seiner
Seele unterband seine schöpferische Kraft.
Luftveränderung sollte Tasso vom Fieber heilen; er fuhr für
einige 2teit nach Padua und Vioenza» aber diese Reise half ihm
nicht; Ferraras überdrüssig» begann er dch in aller Stille zu be*-
mühen, an einem andern Hof Unterkunft zu finden» bdm GroB-
herzog Francesco in Florenz oder bdm Kardinal de' MedicL Es
war dies ein für ihn sehr verhängnisvoller Schritt» da der Hof von
Florenz und Ferrara in den denkbar schlechtesten Beziehungen
zueinander standen; sie kämpften um den »»Vorrang*' — dieser
Frage vrurde damals große Bedeutung beigemessen. Alfonso be-
anspruchte den Titel »»Altezza'S sehr zimi Arger des GroBherzogs»
der behauptete» dafi dieser Titel nur ihm zukomme. Die Rivalität
zwischen beiden Höfen hatte dazu geführt» daß der Herzog schon
Z573 seinen Untertanen unter Androhung sehr empfindlicher
Strafen verboten hatte» fremde Dienste anzimehmen; dies Verbot
war in der Hauptsache gegen Florenz gerichtet.
Da Tassos Bemühimgen» in den Dienst der Medici zu treten»
vergeblich waren» veränderte der Dichter seinen Plan; er wollte
nach Rom gehen, um dort sein Werk dem Urteil berühmter Lite-
raten und dem Spruch der Inquisition zu imterbreiten» imd die
Arbeit so vieler Jahre endlich drucken lassen. Da es ihm an
BAitteln für diese Reise fehlte» wandte er sich schriftlich an seinen
Universitätskollegen und Freund» Sdpione Gonzaga» der in Rom
lebte» damit er die Durchsicht seines Werkes übernehme. Gonzaga
fürchtete die große Verantwortui^ der Kritik wie der Inquisition
gegenüber» er bat daher Pier Angelo da Braga» einen berühmten
lateinischen Dichter» Flaminio de' Nobili, den Philosophen und
bekannten Hellenisten» Sperone Speroni» den Verfasser des Buches
»»La Cenaoe'' und schließlich ein Blitglied der Inquisition Silvio
Antoniano» den Schüler Filippos da Neri und späteren Kardinal
unter Siztus V.» einen Menschen von strengen Sitten» aber engem
Horizont» ihm bei dieser Arbeit zu helfen. Tasso fürchtete die
Einwände des Inquisitors in Bologna» deshalb begab er sich auch
zu ihm» damit er die Dichtung vom Standpunkt der römisch-katho«
tischen Kirche prüfe. Überhaupt beherrschte die Angst vor der
TORQUATO TASSO 359
Inquisition Tasso in hohem MaBe, er war nicht einmal sicher, ob
er in seinem Gedicht die alten Götter Mars und Jupiter anführen
dürfe, imd erst als er sich darauf besann, daB auch Dante in seinem
„Paradies^* keinen Anstofi genommen habe, Jupiter zu erwfthnen,
beruhigte er sich tmd faBte den Vorsatz, sicfi der Inquisition gegen-
über auf das Beispiel des grofien Dichters zu berufen« Tassos
Furcht war nicht unbegründet. Gregor XIIL, der Freund tmd Pro«
tektor der Jesuiten, saB auf dem päpstlichen Stuhl, Antoniano war
damab schon eine sehr einflufireiche Persönlichkeit, tmd durch
seinen Mund sprach die Inquisition« Ihm erschien die ganze
Dichtung als ein gef&hrliches Werk, das in Rom nicht gern gesehen
werden würde, als ein Brzetignis, das dem Geist der Zeit nicht ent*
sprach« Um jedoch seine Versöhnlichkeit zu beweisen, besonders
da er sich selbst, als Verfasser einiger frommer Lieder, für einen
Dichter hielt, verlangte Antoniano zwar nicht, daB das ganze Manu-
skript zerstört werde, aber er erachtete es als notwendig, daB Tasso
es zu einer „rein'' religiösen Dichtung umarbeite, die weniger für
weltliche Menschen als für Mönche imd Nonnen bestimmt sei,
„desiderarebbe ch'l poema fosse letto non tanto da cavalieri quanto
da religiosi e da monache''; er wünschte femer, daB die Handschrift
▼or Druckkgimg einer ernsthaften Nonne zur Tonsur vorgelegt
werde, aber zu diesem AuBersten kam es nicht Von der ganzen
Dichtung gefiel ihm eigentlich nichts, weder die Gesamtanlage,
noch die Hauptcharaktere, oder die poetischen Episoden. Er
▼erlangte von Tasso, jedes Wort zu streichen, das ein geistliches
Ohr beleidigen könnte tmd die Liebesepisoden tmd alle Wtmder
auszulassen* Ntir Gott allein kann Wunder wirken, deshalb ist es
dem Dichter nicht gestattet, einen Zauberer einzuführen, der mit
seiner Rute Ritter in Fische verwandelt oder andere „Metamor-
phosen'' bewirkt,
Tasso war verzweifelt, man zerstörte ihm sein ganzes Werk,
und seine Briefe an Antoniano zeigen das wahrhaft tragische
Ringen des Renaissancegeistes, des Dichters, der von Jtigend auf
gewohnt war, seine Gedanken frei zu äuBem, mit dem diunpfen
Fanatismus eines Menschen der brutalen Reaktion. Verzweifelt
fragte Tasso einst, ob die Liebesszenen wirklich gestrichen werden
36o ZWÖLFTES KAPITEL
müßten »,gli amori saranno condemnati?" da ein solcher Urteils«
Spruch den Tod seiner Dichtung bedeutete. Trotz seiner Em-
pörung entschuldigt Tasso seine „Fehler" demütig vor dem all-
vermögenden Zensor, er bedenkt die Terschiedensten Biöglichkeitenf
um den Zensor zufrieden zu stellen» den Forderungen der Zeit zu
entsprechen »,come comanda la necessit& de' tempi" und den engen
Seelen der Mitmenschen gerecht zu werden; er überlegt, wie er allem
Wunderbaren eine „moralische" Bedeutung beilegen tmd die beiden
Bjfbier von der Zauberin Armida auslassen könnte. Er wollte
sie gesondert drucken, um wenigstens auf diese Weise eine der
schönsten Gestalten seiner Phantasie zu retten» Sein Werk be-
trachtet er als „la sonuna de la sua vita", daher marterten ihn
die Schwierigkeiten, diese unerwarteten Hindemisse, dieser Kampf
mit der kirchlichen Pedanterie, die schon zwei Jahre dauerten.
Er war ein zu schwacher Charakter, um sich auf irgend eine Weise
von der inquisitorischen Übermacht frei zu nufchen; er fürchtete
4e9 Kampf mit der Kirche, wollte nicht zum Abtrünnigen werden,
bemühte sich, zu glauben und wollte wenigstens für den Drude
seines Buches die Erlaubnis der römischen ICrche bekommen.
Und wenn sich sein skeptischer Geist von Zeit am 2teit empörte,
so unterwarf er sich zur Sühne religiösen Übungen, ging in die
Kirche und betete im Hause, um auf diese Weise den Renaissance-
Satan zu überwinden. Häufig stand ihm, wie er selbst gestanden
hat, das Bild des Jüngsten Tajges vor Augen, er glaubte den Klang
der Posaunen zu hören, die am Tage der grofien Abrechntmg er-
klingen werden, und den Heiland in den Wolken zu sehen, wie er
mit durchdringender Stimme ruft: geht hin, Verfluchte, ins ewige
Feuer. Dann packte ihn furchtbare Angst, er mußte beichten
und das Abendmahl nehmen. Er beichtete, daB er an der Unsterb-
lichkeit der Seele zweifle, und an den göttlichen Ursprung der
Welt, an die Wirksamkeit der Sakramente, an die göttliche Mission
des Papstes auf Erden, an die Erlösung des Menschen nicht glaube.
All das meldete er dem Inquisitor in Bologna, und klagte sich
selbst an, doch der Inquisitor begriff, dafi er es mit einem Dichter
zu tun habe, der sein seelisches Gleichgewicht verloren, und nahm
diese Geständnisse eines kranken Menschen nicht ungütig auf.
TORQUATO TASSO 36X
Aber diese Sanftmut beängstigte Tasso anstatt ihn 2U beruhigen,
er fand das Vorgehen des Inquisitors leichtsinnig, oberflächlich,
und hielt sich für schuldig.
Wenn Antonianos Kritik in religiösen Dingen ihn zur Ver-
zweiflung brachte, so haben ihn die Bemerkungen des Pedanten
Speroni über den Aufbau der Dichtung, die Regeln der Poetik, die
angeblich falsch befolgt waren, im höchsten Grade empört. Zur
Verwirrung seines kranken Geistes trug noch bei, dafi er im Glau-
ben befangen war, seine Feinde an Alfonsos Hof wünschten, dafi
sein Werk entweder nicht erscheine oder mit den Verbesserungen
der Pedanten und Inquisitoren, jeder poetischen Schönheit bar,
herausgegeben werde. Überall witterte er Verfolgung, Intrigue,
Hinterlist.
Diese Kämpfe und diese Unruhe zerstörten ihn seelisch und
physisch so sehr> dafi er im Juli 1575 schwer erkrankte, an furcht-
baren Kopfschmerzen litt, und mit dem Herzog nicht aufs Land
gehen konnte; er blieb in Ferrara zurück und pflegte, wenn seine
Schmerzen nachliefien, der Prinzessin Lucrezia sein Gedicht Tor-
zulesen. Damals begannen ihn krankhafte Ahnungen zu verfolgen,
er glaubte sich von Dämonen, die auf sein Schicksal einwirken,
umgeben; aus diesem Grunde studierte er Magie und Astrologie
und verfaßte sogar einen Dialog „Messagiero'^ über Dämonologie,
in dem er auf philosophischem Wege die Existenz göttlicher Boten
nachzuweisen sucht. Übrigens haben auch Gelehrte wie Ficino,
Patrizzi imd Pico deUa Mirandola an diese Dinge geglaubt. Dazu
war Tasso vom Verlangen beherrscht, seinen Wohnsitz zu ändern;
er träumte davon, nach Rom zu reisen, Antoniano zu sprechen
und die Zensur seines Werkes zu beschleimigen. Lucrezia wider-
riet ihm diese Reise, sie kannte den Wimsch des Herzogs, die „Ge-
rusalemme^' unter seiner Ägide erscheinen zu lassen, und seine
Befürchtungen, Tasso könne die Dichtung den^ Medici widmen,
um an ihren Hof zu gelangen. Die Vorstellungen der Prinzessin
halfen nicht. Tasso ging im November nach Rom und suchte seine
Reise durch den Hinweis auf die religiösen Gnaden des grofien
Jubiläums zu rechtfertigen. Diese Abreise war ein um so größerer
Fehler, als am 4. November Pigna, der höfische Philosoph, Mi«
363 ZWÖLFTES KAPITSL
nister, Historiogräph und bezahlte Dichter, gestorben war, und
nian allgemein annahm, daB Tasso sein Amt als Historiogr^ih
und Dichter antreten würde«
In Rom suchte Tasso auf Antoniano einzuwirken, was fast un-
möglich war, und Speronis Gunst zu gewinnen, der damab eine
literarische Macht war. Speroni warf ihm Weichlichkeit vor, man-
gelnden Ernst im Ausdruck, tmpassende Scherze, mit anderen
Worten, er vermiBte jene poetische Pose, die der pedantische Literat
so hoch einschAtzte. Tassos Demut schien Speroni zu entwaffnen,
denn er erwies sich dem Dichter etwas gnädiger*
Schon begann eine innere Unruhe Tassos Handlungen und Be-
nehmen zu beherrschen; nach kurzem Aufenthalt in Rom ging er
nach Siena, um den Rat Ton Monsignore Piccolomini, des Ver-
fassers eines neuen Kommentars zu Aristoteles Poetik, einzuholen.
Unbefriedigt von dessen Ratschlägen reiste er nach Florenz zu
Vincenzo Borghini, überall auf der Suche nach kritischen Ein-
wänden, die seinem Werk höchstens schaden konnten. Im Januar
war er wieder in Ferrara und begann sich um das Privileg für die
Herausgabe seines Buches zu bemühen. Seine Geisteskrankheit
nahm rapid zu, ein ihm imbekanntes Etwas zerriß seinen Geist.
„Mi si Tolge im non so che per l'animo.^' Maffeo Veniero, der
Florentiner Gesandte in Ferrara, schrieb am 17. Juni 1577 an den
GroSherzog Francesco, „Tasso leide an einer seltsamen Geistes-
krankheit: er glaubt, daB er der Ketzerei schuldig sei und daB man
ihn vergiften wolle • . .''
VI
In Ferrara traf Tasso die Gräfin Barbara Sanseverino und ihre
Schwiegertochter Leonora, die Gattin des Grafen Giulio di Scan-
diano, die er bereits in Rom kennen gelernt hatte. Die ganze
Stadt sprach von nichts anderem als von dem Geist, der Liebens-
würdigkeit und dem Reiz dieser Frauen, alle Herren am Hofe
waren in sie verliebt, selbst Alfonso; auch der Duca di Parma und
Vincenzo Gonzaga begingen nicht wenig Torheiten, um ihnen zu
TORQUATO TASSO 363
gefallen. Tasso hatte Gelegenheit, Sonette ihnen zu Ehren zu
▼erfassen, sogar die hängende Unterlippe der Gräfin Scandiano
wurde poetisch verklärtl
Einer der heiBesten Verehrer der schönen Leonora war Guarini,
der zusammen mit Ascanio Giraldini aus Polen zurückgekehrt
war; aber Guarini imd Tasso überzeugten sich bald, daS sie die
Gräfin Scandiano nur in Gedichten feiern dürften, da sie einen zu
gefährlichen Rivalen hatten, um sich allzu kühn um ihre Gunst
zu bewerben« IMeser Rivale war kein Geringerer als Alfonso selbst
Tasso tröstete sich bald, da die Herzogin eine sehr schöne Dami-
gella Oljrmpia hatte, „bella e vaga brunetta'', ihr weihte er seine
Gefühle und spendete der Gräfin nur Weihrauch« Er neidete aber
der Damigelle, der zu dienen, die einer Gottheit gleicht.
O con le Grazie eletta e con gli Amori,
FanciuUa ayventurosa,
A servir a colei che a Dea somiglia.
Als die Gräfin später ein Töchterchen zur Welt brachte, äußerte
Tasso seine Freude in Versen.
Trotz der Liebelei mit Olympia und der Verehrung für die
Gräfin Scandiano ging es dem Dichter immer schlechter, immer
häufiger trat sein Verfolgungswahnsinn auf und unter den Hof-
leuten galt er als jemand, „dem etwas fehle". Einen der niederen
Hofbeamten, Ercole Fucd, hatte er ohne Grund ins Gesicht ge-
schlagen; empört darüber holte Fucd seinen Bruder zu Hilfe und
prügelte Tasso mit dem Stodc auf der StraBe durch. Der er-
schrockene Tasso verliefi längere Zeit sein Zimmer nur, wenn er
zusammen mit den anderen Höflingen den Herzog auf seinen Aus-
flügen begleiten mufite.
Im Februar 1577 ging der ganze Hof nach Comacchio, wo ein
Teil des Karnevals verbracht werden sollte. Die lustige Gesell-
schaft, die aus deiv Contessen di Sala und Scandiano, mehreren
anderen Damen und Hofleuten, darunter auch unserem Dichter,
bestand, dachte nur daran. Feste zu feiern. Tasso schrieb ein
Lustspiel, das einzige, das er je verfaBt hat, tmd die Hofgesell-
schaft führte es auL Der Herzog selbst gab einen Kellner,
364 ZWÖLFTES KAPITEL
Contessa di Sala hatte die Rolle eines jungen Mädchens LudUa
übernommen, die Scandiano verkleidete sich als Mann, und Tasso
sprach den Prolog. Das Lustspiel galt als sehr gelungen, ist aber
leider untergegangen; wir hätten den „KameTals'^-Tasso daraus
kennen gelernt, mit übermütigen Zügen, die wir sonst nicht an
ihm kennen. Tassos heitere Stimmtmg hielt nicht lange vor; un-^
mittelbar nach seiner Rückkehr in Ferrara klagte er wieder, daß
man ihn verfolge, er litt an düsteren Ahnimgen und schrieb dem
Gefährten seiner Kindertage Guidobaldo, dem Markgrafen von
Mantua, daß er seit acht Monaten in beständiger Angst lebe, weil
die Höflinge und Feinde ihm seine Handschriften fortnähmen; er
bat den Markgrafen, ihm einen Diener zu schicken, der gar keine
Beziehungen zu Ferrara habe imd dem er absolut trauen könne.
In der zweiten Aprilhälfte beherrschten Visionen und Angstzustände
den Dichter in noch stärkerem Grade, er beschuldigte verschiedene
Persönlichkeiten beim Herzog, daß sie ihn verfolgten und Be-
ziehungen zu den Ketzern hätten. Aus Furcht, selbst zum Ketzer zu
werden, ging er häufig zur Beichte und verriet dem Inquisitor die
Namen jener Höflinge, die er des Abfalls beschuldigte. Der Herzog
schickte ihm den Arzt, der ihm blutreinigende Mittel verschrieb,
aber alles war vergebens. Tasso verblieb in seinen religiösen Angst-
zuständen, er glaubte, daß der Inquisitor in Ferrara seine Pflich-
ten nicht gewissenhaft erfülle und begann sich zu einer Reise nach
Rom zu rüsten, lun ihn dort vor dem Inquisitionstribunal zu
verklagen. Man glaubte, der Inquisitor selbst könne ihn in diesem
seelischen Zwiespalt beruhigen, da er, vernünftig imd menschlich
denkend, wußte, daß Tassos vermeintliche Ketzer und Ketzereien
nur in seiner kranken Phantasie beständen. Auf die Bitte des
Herzogs nahm er Tasso für einige Tage zur geistlichen Einkehr
ins Kloster Degli Angeli imd suchte dort durch Sanftmut und
Überredung auf sein allzu empfindliches Gewissen einzuwirken.
Der Mönch gab sich Mühe, um dem Dichter dßs verlorene Gleich-
gewicht wiederzugeben, er ließ ihn beichten, erteilte ihm voll-
kommene Absolution, aber all das nützte nichts, Tasso fand, daß
man ihn für seine Sünden foltern müsse; er verdächtigte den In-
quisitor, seine Pflichten nicht streng genug einzuhalten und wollte
TORQUATO TASSO 365
ohne Wissen des Herzogs nach Bologna gehen, um vor dem
dortigen Inquisitor, den er für besonders berufen hielt, zu beichten.
Der Herzog konnte nicht ohne weiteres zustimmen; seit den Tagen
der Renata verdächtigte Rom Ferrara wegen religiöser Neue-
rungen, und die römische Kiuie ging diesem Verdacht um so lieber
nach, als sie nach Gründen suchte, von Ferrara den Este zu neh-
men; der Herzog dagegen bemühte sich, die Nachfolge seinem
Vetter, Cesare d'Este, zu sichern.
Tasso konnte ihm also grofien Schaden zufügen; wäre er nach
Bologna gegangen tud hätte vor dem dortigen Inquisitor ferrare-
sische Höflinge der Ketzerei bezichtigt, so hätte der Inquisitor
sicherlich die ganze Angelegenheit nach Rom berichtet, und es
wäre dies ein erwünschter AnlaB, um gegen die Este vorzugehen«
Im Interesse des Staates imd der Dynastie befahl Alfonso, ein
Auge auf Tasso zu haben, damit der geisteskranke Dichter nicht
aus Ferrara entfliehe, im übrigen gab er ihm in der Stadt völlige
Bewegungsfreiheit. Man mufite jedoch bald strengere Vorsichts-
mafiregeln ergreifen. Am Abend des 17. Juni 1577 &^ Tasso zur
Prinsessin Lucrezia, um ihr wieder von seinen Ängsten und Ver-
dachtsgründen zu sprechen; als er einen Diener, den er verdäch-
tigte, ihn zu bewachen, im Zimmer bemerkte, ergriff er ein Messer
und warf sich auf ihn. Der Diener verteidigte sich, aber dieser
Wutanfall hatte eine strenge Verfügung zur Folge: der Herzog
ließ Tasso in den kleinen Zimmern der Corte vecchia einsperren,
während er gleichzeitig empfahl, so sanft wie möglich mit ihm
umzugehen; er stellte den Dichter auch unter den besonderen
Schutz des Hofmannes Guidone Coc^>pani. Cocappani hatte die
Aufgabe, Tasso freundschaftlich von der Notwendigkeit, bewacht zu
werden, zu überzeugen, imd ihn zu überreden, sich in ärztliche
Behandlung zu begeben. Nach einigen Tagen beruhigte der Dichter
sich, er bat, aus dem Gefängnis entlassen zu werden imd in seine
alte Wohnung zurückkehren zu dürfen, im übrigen war er bereit,
sich stets von einem Diener begleiten zu lassen. Seine alte Woh-
ntmg vrurde ihm wieder angewiesen, nur die Fenster wurden ver-
gittert, und nach einiger Zeit erlaubte ihm der Herzog sogar, zu
seiner Zerstreuung nach Belriguardo zu kommen, wo damals der
366 ZWÖLFTES KAPITEL
Hof weilte. Die zahlreiche Gesellschaft, die sich dort befand, wirkte
nicht günstig auf den Dichter; er bat den Herzog, ihn nach Ferrara
zurückkehren und bei den Franziskanern wohnen zu lassen. Al-^
f onso hatte nichts dagegen, aber die Franziskaner und Karthäuser,
zu denen man sich gleichfalls begab, hatten wenig Lust, sich um
die Pflege eines Geisteskranken zu kümmern, daher zogen sich die
Unterhandlungen mit ihnen in die Länge* Unterdessen verschlim-»
merte sich Tassos Zustand bedeutend, der Dichter glaubte sich von
seinen angeblichen Feinden bedroht und fürchtete sich vor Gift
und der Inquisition. In seinen Gewissensnöten schrieb er an das
Inquisitionstribunal nach Rom: der ferraresische Inquisitor habe
ihn als einen Wahnsinnigen und nicht als einen Ketzer behandelt,
infolgedessen fände er den Frieden des Gewissens nicht; er bat,
einen ProzeB gegen ihn anzustrengen und ihm die Möglichkeit zu
geben, sich zu verteidigen. Gleichzeitig setzte er Scipione Gonzaga
▼on dieser Supplik in Kenntnis und flehte um seine Unterstützung
in Rom« Diese Briefe gerieten in Alfonsos Hände, der taktvoll
genug, sie nach Rom schickte und den Kardinal d*Albano bitten
liefi, das Tribunal zu veranlassen, Tasso mitzuteilen, dafi es ihn für
vollkommen unschuldig halte. Ein solcher Urteilsspruch würde
den Kranken beruhigen tmd ihn von den Skrupeln imd Ängsten
befreien, die ihn quälten. Man schien in Rom genau darüber
unterrichtet zu sein, dafi Tasso kein Ketzer war.
Die Franziskaner erklärten sich endlich bereit, Tasso in ihr
Kloster aufzunehmen, aber obgleich der Pater Agostino Righini,
ein sehr vernünftiger und guter Mensch, sich gewissenhaft mit ihm
beschäftigt hatte, verdüsterte sich der Geist des Dichters immer mehr,
seine Verfolgungsmanie steigerte sich, das Gespenst der Inquisition
liefi ihm keine Ruhe, so dafi die Franziskaner die Verantwortung
für den Kranken nicht länger tragen konnten und den Herzog
baten, ihn irgendwo anders unterzubringen. So wurde der Dichter
wieder in jene Zimmer im Kastell überführt, die ursprünglich für
ihn bestimmt waren; zwei Diener hatten für seine Pflege und
Bewachimg zu sorgen.
Aber Tasso war wie viele Geisteskranke, listig genug, um seine
Wächter zu betrügen; er durchbrach die Tür, die in die Nachbar»
TORQUATO TASSO 367
ninmer führte, und obgleich man seine Abwesenheit sofort be*
merkte, gelang es ihm, aus Ferrara zu entfliehen; er irrte in den
Feldern umher, suchte schlieBlich erschöpft Schutz in Poggio
beim Grafen Lamberti und ging von dort aus nach Bologna.
Berittene wurden ihm aus Ferrara nachgeschickt, aber Tasso
hielt sich im Feld verborgen und entging auf diese Weise seinen
Verfolgern. Die Flucht des kranken Dichters beimruhigte den
Herzog und den Inquisitor von Ferrara aufs lebhafteste; man
ahnte, daB Tasso nach Bologna gehen imd dort gegen den Inqui*
sitor Klage wegen setner lässigen Verfolgimg der Ketzer erheben
und den gesamten ferraresischen Hof der Ketzerei bezichtigen
würde. Unannehmlichkeiten mit Rom wurden vorausgesehen.
VII
Die Angst des Herzogs war diesmal imbegründet. Tasso gelangte
am Ufer des Adriatischen Meeres entlang, über den Apennin
nach Gaeta imd fuhr von dort aus mit dem Schiff nach Sorrent,
wo seine verheiratete Schwester Cornelia wohnte. Es wird erzählt,
daS er erschöpft von der Reise, die er imter größten Beschwerden
zurücklegen mufite, da er kein Geld hatte, als fremder Pilger
zur Schwester kam, ohne seinen Namen zu nennen. Er über-
gab ihr einen Brief des Bruders: er befände sich in der furcht-
barsten Lage und brauche unbedingt Hilfe; erst als er sah, daS
die Schwester den Brief mit Tränen las und bereit war, den
Ärmsten aufzunehmen, gab er sidi zu erkennen.
Die vertraute Umgebung und die veränderten Verhältnisse
wirkten zuerst günstig auf den Geist des Dichters, aber bald trat
der Verfolgungswahn aufs neue auf. Er schrieb an Sdpione Gon-
zaga imd den Kardinal d'Albano und bat, sich für ihn bei Al-
fonso II. zu verwenden, damit er ihm die gegen seinen Willen er-
folgte Flucht aus Ferrara vergebe, ihn vor seinen Feinden schütze
und ihm das lAanuskript zurückerstatte, da ef die Durchsicht
seines Werkes nunmehr vollenden wolle. Alfonso war zu allem
bereit, aber Tasso, von Unruhe gejagt, wartete das Resultat nicht ab,
368 ZWÖLFTES KAPITEL
sondern beschlofi, nach Ferrara zu gehen. Zu diesem Zwecke fuhr
er von Sorrent nach Rom» dort suchte er den Gesandten von Ferrara
auf, äußerte sein Bedauern über seine übereilte Flucht aus Ferrara,
bat um Verzeihung und schrieb gleichzeitig einen demütigen Brief
an den Herzog voll Vertrauen in seine Ckiade. Alfonso hatte
wenig Lust, in Tassos Rückkehr nach Ferrara einzuwilligen; er
fürchtete, daß neue Verwicklungen daraus entstehen würden, und
antwortete seinem Gesandten, er sei bereit, für Tassos Unterhalt
zu sorgen, wenn er in Rom bliebe. Damit war der Dichter nicht
zufrieden, er war das höfische Leben schon zu sehr gewöhnt, um
auf die glAnzende Umgebung verzichten zu können; er bat und
drängte deshalb, wieder in den Hofdienst aufgenommen zu wer-
den. Alfonso war endlich bereit, in Tassos Rückkehr nach Ferrara
einzuwilligen, aber er stellte seine Bedingungen: der Dichter müsse
einsehen, daß er krank sei imd begreifen, daß seine Annahme, er werde
verfolgt, nichts als der Ausfluß seiner kranken Phantasie sei und
ebenso grundlos wie seine Furcht, der Herzog wolle ihn vergiften;
wenn dem so wäre, hätte man sich seiner längst entledigen können.
Alfonso verlangte Tassos Versprechen, sich in ärztliche Behand-
Itmg zu begeben; würde er dem Arzt nicht gehorchen und die alten
Szenen wiederholen, so müsse er Ferrara verlassen. Tasso unter-
warf sich allen Bedingungen, ja er versprach, wie der Gesandte
berichtet, mehr, als von ihm verlangt wurde, imi nur wieder nach
Ferrara zurückkehren zu dürfen. Der Herzog ließ ihn unter der
größtmöglichen Rücksichtnahme auf seinen kranken Zustand nach
Ferrara schaffen, tud ein Bekannter Tassos, der diese Reise mit-
machte, berichtet dem Großherzog von Toskana, dem Dichter fehle
nichts, als Gehirn im Kopfe.
In Ferrara wurde Tasso im Hause eines Hofmannes unter-
gebracht, sein Essen bekam er aus der herzoglichen Küche. Der
Herzog befahl dem Dichter, sich einer Kur zu unterwerfen, die
einige Monate dauern sollte, aber Tasso wurde ungeduldig, wollte
die Vorschriften der Arzte nicht befolgen und fuhr nach Mantua,
um sich in allef^ Stille um den Dienst am toskanischen Hofe zu
bewerben; er glaubte, daß Vincenzo von Mantua ihm darin helfen
würde. Da seine Bemühimgen vergeblich waren, verschleuderte
TORQUATO TASSO 359
er seinen Rubinring und seine goldene Halskette, die einzigen
Kleinodien, die er besaB, für ein Spottgeld und ging nach Padua,
wo ihn ein früherer Bekannter, Niccolo degli Oddi, der Prior des
Klosters S, Benedetto novello, aufnahm« Sein Verlangen, an den
toskaniscben Hof zu gehen, steigerte sich ins Krankhafte; da er
in Padua niemand fand, der ihn darin fördern konnte, ging er nach
Venedq^, in der Hoffnung, sein Freund Venier, ein elender, aber
beim Florentiner Hof gut angeschriebener Dichterling, würde ihm
darin behilflich sein können. Um dem Grofiherzog zu schmei-»
cheln, schrieb Tasso eine Kanzone anULBlich der Geburt eines Kin-
des in der Familie Medid, aber alle Bemühungen waren umsonst,
der Grofiherzog gab Venier schroff genug zur Antwort, „er hielte
es für überflüssig. Wahnsinnige an seinen Hof zu ziehen^^ Als die
Absage .eintraf, fuhr Tasso nach Pesaro, zum Herzog von Urbino,
aber auch dort blieb er nur kurze Zeit tmd machte sich nach Turin
auf, ohne Geld, zu Fufi, „durch Mor&ste und Flüsse'', Aus Turin
schrieb er an den Kardinal d'Bste und an andere Bekannte imd
flehte den Kardinal, ihn in seinen Dienst zu nehmen; ohne das
Resultat seiner Bitte abzuwarten, tauchte er plötzlich in Ferrara
auf und begab sich zum Kardinal, der ihn mitleidig und gütig auf«
nahm« Tasso begnügte sich mit der Gunst seines früheren Pro-
tektors nicht, er wünschte aufs neue, zum Hof des Herzc^ zuge-
zogen zu werden, im Schlofi zu wohnen imd die gleiche Pension
wie früher zu beziehen« Ehe er jedoch in dieser Beziehimg irgend-
eine Zusicherung erlangen konnte, verließ er am Abend des ii. März
1579 seine Wohnung und lief in größter Aufregung direkt in den
Palast der Cornelia Bentivoglio, wo er nur Damen, darunter Isa-
bella Bendidio mit ihrer Schwester Lucrezia und ihren Töchtern
fand. In ihrer Gegenwart beschimpfte er den Herzog, die Prin-
zessin und die ganze estensische Familie in ordinärster Weise,
dann verließ er die erschrockenen Frauen, stürmte ins Schloß,
wollte die Prinzessin sprechen, verlangte sein Manuskript tmd
Schutz vor seinen Feinden, die ihn verfolgen und der Ketzerei be-
zichtigen. Als man ihm den Zutritt zur Prinzessin weigerte, ver-
fiel er in noch größere Raserei und stieß die ärgsten Beleidigungen
gegen die Este aus. Bei dem ungewöhnlichen Lärm liefen die
«4
370
ZWÖLFTES KAPITEL
Hofleute zusammen» und der Herzog befahl» den Diditer ins
St. Annenspital zu bringen, wo man den armen Teufel fesselte, da
man den Gebrauch von Zwangsjacken noch nicht kaimte und Tob-
süchtige in Ketten schloß.
Der Spitalshüter Agostino Mosti, der in seiner Jugend an Lucre-
zia Borgias Hof gelebt hatte und als Spaßmacher von angenehmen
Manieren bekannt war, war ein hochanständiger Mensch; er war
9ehr fronun» ,»amator de la religione'S selbst von den Ideen der
Inquisition durchdrungen und verfolgte, wie berichtet wird, die
Ketzer mit dem Eifer eines Katholiken, „der in Chdstus verliebt
ist'S Agostino war von edler Cortesia, er zählte sich zu den Lite-
raten und hat sogar interessante Erinnerungen hinterlassen, die die
damaligen Sitten charakterisieren. Mosti hat sich Tassos ehrlich
angenommen, aber fürs erste war dem unglücklichen Dichter nicht
zu helfen ; er warf sich auf seinen Wächter schlug um sich, imd erst im
Mai 1579, als er sich etwas beruhigt hatte, konnte man ihmzwei Zimmer
im Spital anweisen, die zum Teil mit deinen eigenen Geräten, zum
Teil mit Möbeln aus der herzoglichen Guardaroba ausgestattet waren.
Aus der herzoglichen Speisekaouner scheint man ihm auch
Lebensmittel geschickt zu haben, da in den Rechnungsbüchem aus
den Jahren 1580 und 1581 wiederholt der Posten vorkommt: ein
Pfund Butter „per il Signore Tasso anunalato''; von 1582 ab erhielt
er sein Essen ganz aus der herzoglichen Küche. Der Spitalswein
scheint ihm nicht geschmeckt zu haben, er fand ihn zu schwach
und wendet sich an Mosti:
Ditemi '1 ver: cotesto vostro vino
E forse quel che date a gli ammalati
Perch^ da' fumi non siano aggravati.
Auch Salat luid anderes Gemüse scheint er nicht genügend be-
kommen zu haben, obgleich alles im Spitalsgarten hinreichend
vorhanden war:
Signor Mosto, il vostr'orto i cosi grande
Che debbe aver raponzoli e lattuca,
Radichi, indivia e quante erbe manduca
Roma e condisse ne le sue vivande.
TORQUATO TASSO 37X
Trotz der Klagen über Wein und Salat war Hosti Tassos ehrlicher
Freund, er suchte ihm den unfreiwilligen Aufenthalt im Spital auf
alle Weise erträglich zu gestalten; auch Hostis Sohn Giulio hat die
Manuskripte des Dichters abgeschrieben und seine Kommissionen
besorgt. Tassos Lage im Spital war vielleicht besser als die so
manches Kranken in einem heutigen Privatsanatorium. Aber der
Dichter wurde nicht mehr gesund und beklagt sich in einem Brief
an Gonzi^a, „sein Geist sei des Denkens unfähig, seine Phantasie
erlahmt, seine Sinne abgestumpft, und seine Feder wolle ihre
Pflichten nicht mehr tun'^ Trotzdem schrieb Tasso viel, doch lassen
sich seine Verse den früheren nicht vergleichen. Zeitweilig ist es
ihm wohl besser gegangen, so durfte er 1580 in Gesellschaft eines
Freundes maskiert am Karneval in den Straßen teilnehmen, um
sich zu zerstreuen.
Während der Dichter in seinen Zimmerchen im Spital einge-
sperrt war, gingen viele seiner Abhandlungen und Gedichte, danmter
auch die „Gerusalemme'S in Abschrift von Hand zu Hand. Er selbst
hat dazu beigetragen, da er verschiedene Exemplare an Kritiker
versandt hat. Literarische Spekulanten begannen das Eigentum des
Dichters zu plündern; schon 1579 erschien eine Sammlung seiner
Gedichte in Genua, danmter befanden sich vier Gesänge von „Gof-
fredo'% und einige Monate später gab Celio BCalespina in Venedig
vierzehn Gesänge der „Gerusalemme^' unter dem Titel „U Goffredo'*
heraus.
Dies veranlaBte einen anderen Literaten, Angelo Ingegnere, einen
Freund von Tasso, während seines Aufenthaltes in Perrara im Winter
i579-r-i58o, im Laufe von sechs Nächten die ganze Dichtung ab-
zuschreiben und sie in Casalmaggiore 1581 drucken zu lassen,
indem er ihr ihren eigentlichen Titel gab: „Gerusalemme liberata'S
gegen den Willen des Dichters, der diesen Titel für wenig geeignet
hielt. Im selben Jahre gab ein anderer Fretmd Tassos, Febo Bonna,
eine zweite Ausgabe der „Gerusalenune'' in Ferrara heraus, die sich
auf Tassos eigenes Idanuskript stützte. All diese Ausgaben erschienen
ohne Genehmigung des Dichters, ja die gewissenlosen Räuber
seines literarischen Eigentums überließen dem Kranken nicht ein-
mal einen Pfennig aus ihrem Gewinn. Trotzdem kann die Nachwelt
37«
ZWÖLFTES KAPITEL
den literarischen Freibeutern nur dankbar sein, ohne sie h&tten wir
die Dichtung nicht in ihrer ursprünglichen Fassung, unverdorben
durch die späteren Überarbeitungen und Zutaten, die Tasso auf
Antonianos Veranlassung gemacht hat
Tasso wußte von diesen Diebstählen, die ihn sehr empörten;
überzeugt, daB er in seiner Freiheit dies hätte hindern können,
klagte er über sein „Gefängnis'S schrieb an all seine einflußreichen
Bekannten und bat sie, sich beim Herzog dafür einzusetzen, daB er
ihn aus seinem Schutz entlasse« In der Stille des Spitals beschäftigten
ihn jedoch die Vorkommnisse bei Hof, und er verfaßte fortwährend
Gelegenheitsgedichte. Er bekam viel Besuch von Bekannten und
von verschiedenen Berühmtheiten, so von Aldo Hanuzio, seinem
Jugendfreund, den Tasso mit einem Sonett bedacht hatte, und von
Muzio Manfredi, der den Dichter ziemlich ruhig „assai in cervello'*
befimden hatte. Das einförmige Leben schien allmählich auf Tassos
Gesundheit günstig einzuwirken, da der Herzog ihm 1582 erlaubte,
bei größeren Festen zu Hof zu kommen und die Prinzessin Lucrezia
sich ein Jahr später bemühte, Tasso die Erlaubnis zu erwirken drei-
mal wöchentlich, von einem Freund b^leitet, in der Stadt spazieren
zu gehen« Die Besserung hielt aber nicht an, eines Tages entriß Tasso
einem ihn besuchenden Freund den Degen, wohl in der Annahme, daß
er ihn .ermorden wolle, ein andermal schrieb er Sdpione Gonzaga, er
möge ihm mit einem absolut zuverlässigen Menschen eine Arznei
schicken, da er befürchte, daß man ihm in Ferrara Gift in die Schach-
tel streue.
Einen aufrichtigen Freund fand Tasso im Mönch Angelo Grillo,
der einer bekannten genuesischen Familie angehörte und sich eine
Zeit hindurch in Ferrara aufhielt. Grillo verstand das Vertrauen des
Pichters zu gewinnen, tmd durch ihn versuchte Tasso bei den Gonzaga
wie beim Kardinal d'Albano seine Befreiung aus dem Gefängnis zu
erwirken. Grillo schrieb nach Mantua und Rom, tun Tasso zu helfen,
doch niemals machte er Alfonso einen Vorwurf daraus, daß er Tasso
im Spital festhielt, er war im Gegenteil überzeugt, daß Tasso sein ver-
meintliches Gefängnis mehr dem Mitleid als der Strenge des Herzogs
zu danken habe. Tasso hoffte gesimd zu werden, „durch Luft, — Kost
— ja selbst Weinverändenmg, die seinem Geschmack mehr entspräche'^
TORQUATO TASSO 3^3
Der Kardinal d' Albano setzte sich für Tasso bei Alfonso ein,
der Herzog antwortete sehr liebenswürdig» daB er nur zu gern bereit
wäre, den Dichter aus dem Spital zu entlassen, vorausgesetzt, daB
er eine andere Unterkunft fände; einen Kranken aber könne er
nicht schutzlos aus der Stadt entlassen.
Während man sich mit dem künftigen Schicksal des Dichters be-
schäftigte, hatte dessen Zustand sich wieder verschlechtert ; in einem
seiner Briefe beklagt er sich, daB er nachts nicht schlafen könne,
nicht wisse, was mit ihm vorgehe, daB der Teufel im selben Zimmer
sdilafen müsse, denn er öffne seine Schränke und stehle sein Geld.
In diesem Zustand konnte er nicht aus dem Spital entlassen werden.
VIII
Der kinderlose Alfonso versuchte alles, um den Este nach seinem
Tod die Herrschaft in Ferrara zu sichern; zu diesem Zwecke
stiftete er die Ehe seines Neffen Don Cesare mit Virginia de' Medici,
Cosimos L Tochter. Er hoffte, die beiden mächtigen Geschlechter
würden sich vereint der Absicht der römischen Kurie, Ferrara als
Kirchengut einzuziehen, leichter widersetzen können. Die Trauung
des jungen Paares wurde in Florenz am 6. Februar 1586 festlich
begangen, und Tasso benützte die allgemeine Freude, um Don
Cesare zu bitten, sich für seine „Entlassung aus dem Gefängnis''
beim Herzog einzusetzen. Er hatte jedoch das Unglück, jedesmal,
wenn er sich um seine Freiheit bemühte, etwas zu begehen, das
diese Freiheit vereitelte. Am 16. Februar warf er sich mit dem Dolch
auf seinen Freund Constantini, der kaum durch die Tür zu ent-
kommen vermochte.
Und doch gab es im Jahre 1586 eine Gelegenheit, ihn aus dem
l^tal zu entlassen und anderem Schutz anzuvertrauen. Im Juli
kam Vincenzo Gonzaga nach Ferrara und bat den Herzog, Tasso
für einige Zeit nach Mantua mitnehmen zu dürfen, da die Luft-
und Ortsveränderung günstig auf seinen Geisteszustand einwirken
könne. Alfonso gab seine Einwilligung, und Tasso beschloB frohen
Herzens zur Madonna delle Grazie, bei Mantua, zu pilgern, um
374
ZWÖLFTES KAPITEL
seiner Beschützerin für die ihm zuteil gewordene Gnade zu danken«
Er hatte es so eilig, Ferrara zu verlassen, daß er weder Bücher noch
Manuskripte mitnahm, und sofort den Bucentaur bestieg, mit dem
Vincenzo Gonzaga nach Mantua reisen sollte. Nach mehr als sieben
Jahren zum erstenmal in Freiheit!
Gonzaga nahm sich seiner ernsthaft an« Er gab ihm ein Zimmer
im Schloß, ließ ihm neue Kleider machen und erlaubte ihm, ihn
jeden Morgen zu besuchen. Tasso war glücklich, er berichtet
einem Freunde, er habe ein wimderschönes Zimmer, und der Herzog
sei sehr liebenswürdig gegen ihn, nur die in Ferrara verbliebenen
Manuskripte und Bücher beunruhigten ihn. Er bat die Herzogin
Margherita, sein Eigentum einzufordern, doch war nichts mehr
vorhanden, seine Freunde tmd Verehrer hatten idles zum „Anden-
ken^' mitgenommen.
Einige Monate ging es Tasso in Mantua besser, die neue Um-
gebung und häufige Ausflüge ins Freie wirkten zerstreuend auf
ihn, aber diese Besserung dauerte wie immer nur kurze Zeit; der
Dichter begann wieder über Melancholie und Verlust seines Ge-
dächtnisses zu klagen« Es schmerzte ihn tief, daß seine Altersge-
nossen es in Ferrara zu etwas gebracht hatten, während seine Ge«
simdheit ihn stets gehindert hatte, auch nur die bescheidenste Po-
sition zu erringen; seltsamerweise hat diese Position ihn gelegentlich
mehr beschäftigt, als sein literarischer Ruhm. Sein Streben war
jetzt darauf gerichtet, an seinem Werk zu feilen, einige Abschnitte
auszulassen und seine religiösen Skrupel zu überwinden.
Nach einiger Zeit hatte Tasso auch in Mantua keine Ruhe mehr,
er wollte so schnell als möglich fort, entweder nach Genua, wo ihm
Pater Grillo eine Professur für Ethik verschaffen sollte, oder nach
Neapel, um einen Prozeß wegen der Mitgift seiner Mutter -r- eine
Forderung von zweimalhundertfünfzigtausehd Scudi — anzu-
strengen. Wieder ärgerte es ihn, daß er nicht ganz frei war, denn
auf Wunsch des Herzogs mußte er sich stets von einem Diener be-
gleiten lassen, außerdem fürchtete er in dem feuchten Klima voii Man-
tua krank zu werden. Er ging nach Genua und machte unterwegs in
Borgo Pignolo im Bergamaskischen Halt, imi seine Verwandten
zu besuchen. Aber dieser „fabbricatore dellapropriainfelidtä", wie
TORQUATO TASSO 375
ihn mit Recht einer seiner Biographen genannt hat, hatte das Ziel
seiner Reise noch nicht erreicht, und schon packte ihn die Sehn-
sucht nach dem Leben am Hofe; er ging nach Mäntua zurück, „da
er es nicht abwarten konnte, die Hand des neuen Herzogs Vin-
cenzo zu küssen^', der die Regierung nach dem Tode des Vaters
angetreten hatte« Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Mantua
war er tief verletzt, daß der Herzog ihn noch nicht empfangen hatte,
„che no ha bacdato ancora le mani al serenissimo signor Duca'S
aber bald tröstete er sich und verfafite eine Kanzone zur Krönimg
des zweiundzwanzigjährigen Herrschers. Tasso wollte überall ver-
wöhnt und geehrt werden, ein gut bezahlter Hof mann, ohne jeg-
liche Verpflichtung sein, und stets fühlte er sich verletzt tmd in seiner
Ehre gekränkt.
Als es sich herumsprach, daß der Herzog von Ferrara und seine
Gattin in Mantua erwartet wurden, fühlte sich Tasso nicht mehr
sicher, er fürchtete, Alfonso würde ihn mitnehmen und ins Spital
stecken; ohne jemand ein Wort zu sagen, ohne sich selbst vom
jungen Herzog zu verabschieden, floh er nach Rom. Der verletzte
Gonzaga wollte ihn durch seinen Gesandten zurückholen lassen,
da er sich Alfonso gegenüber für den Dichter gewissermaßen ver-
antwortUch fühlte, außerdem fürchtete er, dem Herzog von Ferrara
würde Tassos Aufenthalt in Rom unangenehm sein. Der damalige
Papst Sixtus V. war gegen die Fremden in Rom außerordentlich
streng. Er befahl, Tasso keinerlei Schwierigkeiten zu machen, ver-
sagte ihm jedoch jede materielle Unterstützung. Tasso kam dies-
mal, als gebrochener Sünder, als der gehorsame Dichter der Inqui-
sition nach Rom; er bereute sogar, der Verfasser des „Befreiten
Jerusalem^' zu sein, und versuchte die Irrtümer seines Lebens
durch Gedichte wieder gutzumachen, die dem Geist der Jesuiten
entsprachen.
Mit Tassos Aufenthalt in Rom im Jahre 1587 beginnt der letzte
Akt in der Tragödie seines Lebens, der Akt, in dem der Mensch sich
der großen Gaben, die ihm geworden, unwürdig erweist. £r erkl&rt
ausdrücklich, seine Bestimmung sei „piacere e onore^' gewesen,
und er wünsche nichts anderes, als „bequbm unter den größten
Würdenträgem*' niederzusitzen. Unter dem Einfluß der römischen
376 ZWÖLFTES KAPITEL
Umgebung träumt er von geistlichen Würden und Pfründen und
bekennt, daB er, da er ,, nicht imstande sei, ein eheliches Bündnis
einzugehen, nur an geistliche Ehren denke/' Zuweilen kommen
ihm Zweifel, an der Möglichkeit diese Ehren 2u erreichen, in solchen
Augenblicken spielt er mit dem Gedanken an eine reiche Ehe, durch
die er eine materiell gesicherte Existenz erreichen wollte« Als er
erfährt, dafi die Herzogin von Mantua ihm zwei Türkisen schenken
will, bittet er schleunigst, ihm an Stelle der Türkisen einen Rubin
und eine in Gold gefafite Perle zu schenken, damit er im Falle einer
Heirat den Verlobungsring bereit habe. Die früheren Wahnsinns*
ausbrüche kehren nicht wieder, er wird ein ruhiger, nicht von Idea-
len beschwerter Mensch, dessen Geist durch ein widriges Geschick
gebrochen ist, ein Dichter ohne höheren Flug und Feuer. Er ist
fast bis an den Bettelstab gebracht, borgt von Freunden und Be-
kannten Geld, Bücher, selbst Hemden. Er schreibt Gelegenheits-
gedichte, um Geschenke zu ergattern und gesteht selbst, daB er
„gezwimgen sei zu lügen und Menschen zu loben, die dessen nicht
wert seien", schliefilich packt ihn der Ekel vor sich selbst. „Nichts
bin ich,'' schreibt er, „nichts kann ich, ja ich habe nicht einmal
Wünsche.'' Gelegentlich fühlt er seine elende Erniedrigung, klagt über
seinen tiefen Fall und schreibt der Grofiherzogin von Toskana, sein
Unglück sei beispiellos und lieSe sich mit niemandes Geschick ver-
gleichen, „senza antico esempio e senza nuovo paragone, grande,
inaudita, insolita, miserabile e maravigliosa".
Viele seiner Freunde waren durch seine fortwährenden Belästi*
gungen imd sein Kriechen vor den Großen verletzt; als er sah,
daB man sich in Rom von ihm zurückzuziehen anfing, übersiedelte
er nach Neapel, wo er krank und gebrochen eine Zufluchtsstätte
im Kloster Monte Oliveto fand. Um sich den Mönchen dankbar zu
erweisen, verfaBte er ein Gedicht „Monte Oliveto", das die Anfänge
des Ordens und die Grundsätze der Mönche verherrlichte. Dieses
Gedicht sollte seinen heiBen Glauben bezeugen, aber es ist nur ein
unreiner Ton auf einer verstimmten Harfe. Der Dichter hat es dem
Kardinal Antonio Caraffa, dem Protektor der Mönche von Monte
Oliveto, gewidmet, und diese Widmimg beweist, wie fem Tasso jenen
Tagen steht, da er seinen „Rinaldo" dem Kardinal Luigt d' Este
TORQUATO TASSO 377
widmete, jenem Kardinali der so ganz anders geartet war, als
Mitglieder der Familie des furchtbaren Reformators der Incpiisition.
In Neapel lebte Tasso etwas auf, da er dort viele Beziehungen
aus seiner Jugend hatte; außerdem suchte die gesamte dortige vor-
nehme Welt den Dichter der „Gerusalemme" kennen zu lernen; er
wurde besucht und von den aristokratischen Familien eingeladen;
dann zerstreute und beschäftigte ihn die Hof fhimg, den Prozefi mit
der Regierung um sein mütterliches Erbteil zu gewinnen. Der arme
Teufel mußte sich bald überzeugen, „daß jeder Prozeß ein großes
Übel sei, und das allergrößte, wenn man die Regierung ziun G^;ner
habe'^ Die Hoffnung, die von den Spaniern annektierten Güter der
Mutter zurfickzuerlangen, erwies sich als aussichtslos«
Unbestftndig wie immer, kam Tasso nach Rom zurück imd war
von jetzt ab abwechselnd in Rom, Bologna, Florenz, Mantua und
Neapel, er ging von Kloster zu Kloster, von Spital zu Spital, h&ufig
schwer krank, bettelnd und seinen Bekannten so sehr zur Last
fallend, daß der eine ihn ver&chtlich „questo semiuomo'' nannte.
Trotz des vermeintlichen Unrechts, das ihm in Ferrara ge-
schehen war, versuchte er wieder hinzugehen und wandte sich
wiederholt an den Herzog. Er schrieb ihm im Dezember 1594:
wenn man Vergangenes auslöschen könne, so würde er nichts so
sehr wünschen als einen Dienst an seinem Hof. Er fleht den Herzog
an, sich seiner zu erbarmen, und bittet Gott, Alf onso möge ihm ver-
zeihen. Aber der Herzog wollte sich nicht neuen Unannehmlich-
keiten durch den Dichter aussetzen.
IX
Auf Tassos letzte Lebensjahre fiel noch ein Schimmer von Glück,
wenn maninseinertraurigenLagevonGlücksprechenkann« Nach
langen Kämpfen hat er sich der neuen Gesellschaft angepaßt und
nicht Unger unter dem geistig engen Horizont gelitten; er schrieb
ein zweites „frommes^* Jerusalem und verfaßte Mönchsgedichte
wie die „Vita di S. Benedetto". Sein Dichterruhm begann ihm die
Tore der Paläste zu öffnen, in denen man sich im Glanz der V^^ssen-
378 ZWÖLFTES KAPITEL
Schaft und Poesie sonnen wollte. So lud ihn in Nei^^el der Principe
di Conca zu sich ein. Tasso sah für einen AugenhUck seine Wunsche
erfüllt: er wohnte in stolzen Gemächern, geschmückt mit Bildem
von Raffael, Tizian, Battista Dossi und Sebastiano del Piombo; er
hatte eine reiche Bibliothek und eine Dienerschaft in kostbarer
Livree zu seiner Verfügung. Um seine Freundschaft bewarb sich
auch ein anderer vermögender Neapolitaner Manso, der später seine
Biographie verfaßt hat und jeden Augenblick bereit war, ihn in seine
schön gelegene Villa aufzunehmen. Der mangelnde Takt des Fürsten
Conca trug dazu bei, die Wünsche des gelehrten Mäoens schnell zu
verwirklichen. Der Fürst verlangte zu heiß und hartnäckig, daß die
„Gerusalemme conquistata^' unter seinem Patronat erscheine, damit
dieser Ruhm seinem Haus zufalle. Da er Tassos unbeständigen
Charakter kaimte, fürchtete er, der Dichter könne trotz der ihm
gebotenen Bequemlichkeiten Neapel mit seinem Manuskript ver-
lassen oder sich um eine andere Protektion bemühen. Er teilte ihm
einen Diener zu, der möglichst imauf fällig darüber zu wachen hatte,
daß der Dichter seinen Schatz, die „Gerusalemme'S die schon zu
einem umfangreichen Buch angewachsen war, nicht aus dem Pa-
last entferne. Der Diener hat seine Pflicht aUzu eifrig erfüllt, so daß
der mißtrauische Tasso der besonderen Obhut gewahr wurde, unter
der er stand, imd Manso davon in Kenntnis setzte. Die Freunde
beschlossen, dem Fürsten das Ungehörige seines Benehmens zu
zeigen; eines Tages kam Manso zu Tasso, nahm die Handschrift
in die eine Hand, die andere gab er dem Dichter und geleitete ihn
in seine Villa. Der Diener, vor Schrecken starr, berichtete seinem
Herrn, was geschehen war, aber Fürst Conca gab vor, daß ihn die
Übersiedlung des Dichters mit dem Manuskript zu Manso nichts
angehe. Bei Manso verbrachte der Dichter die angenehmste Zeit
seines Lebens, seine Wünsche waren erfüllt: „sedere con nobilis-
simi cavalierie^S da in Mansos Haus alle Berühmtheiten Neapels
verkehrten. Er b^ann damals den „Möndo Creato'^ zu schreiben,
eine Dichtung von der Schöpfung der Welt, mit der er die in der
„Liberata'^ begangenen Fehler gutmachen, sich von den ketzerischen
Sünden seiner Jugend reinwaschen, imd das Bekenntnis eines unver-
brüchlichen Glaubens niederlegen wollte. Die an Heinrichs III. Hof
TORQUATO TASSO 379
▼iel gelesene französische Dichtung „La sepmaine ou cr4ation du
monde" von Wilhelm de Saluste Du Bartas, hat ihn sicherlich zu
diesem Werk angeregt. Tassos umfangreiche Dichtung in fließenden
Versen, voll philosophischer Betrachtungen, erkältet durch ihre
nüchternen Erwägungen und entspringt keinem inneren Bedürfnis,
ex abimdantia cordis. Trotzdem fand er eine Reihe von Nach-
ahmern im Italien des XVI. und XVII. Jahrhimderts imd hat Milton
zu seinem „Verlorenen Paradies" angeregt. Milton war als Dreißig-
jähriger in Neapel, und ein Einsiedler hat ihn mit BAanso bekannt
gemächt. Der junge Engländer und der alte Neapolitaner haben
sich gut verstanden, sie haben lateinische Verse, von gemeinsamer
Bewunderung überfließend, ausgetauscht, und Milton hat in seineiH
Epos Manso als Fretmd tmd Biographen Tassos gefeiert:
Te pridem magno felix concordia Tasso
lunxit et aetemis inscripsit nomina chartis.
Während Torquatos Aufenthalt in Neapel wurde der Kardinal
Ippolito Aldobrandini zum Papst als Klemens VIII. gewählt. Diese
Nachricht erfüllte den Dichter mit neuer Hoffnung, er kannte Aldo-
brandini und rechnete darauf, daß der Papst sich seiner annehmen
würde. Es duldete ihn nicht länger in Neapel, er ging am 26. April
1592 nach Rom, wo ihn der päpstliche Neffe Cincio Passeri Aldo-
brandini mit viel Wohlwollen empfing. Cincio hatte in seinem Hause
eine Akademie begründet, die Mitglieder wohnten und aßen bei ihm,
und man kaim sich vorstellen, wie beglückt die Literaten über diesen
neuen Mäcen waren irnd wieviel Abhandlimgen und Gedichte ihm
gewidmet wurden. Cincio lud auch Tasso zu sich ein, doch war
seine Gastfreundschaft nicht ganz selbstlos, da der ruhmsüchtige
päpstliche Nepote ebenso wie der Fürst Conca und der Marchese
Manso wünschte, daß die „Conquistata'^ unter seinen Auspizien
und in seinem Haus beendet und gedruckt würde.
Während Tasso sein Epos überarbeitete, schrieb er ein
kturzes Gedicht „Le lagrime di Maria Vergine'S zu dem ihn
ein schönes Madonnenbild, vermutlich von Dürer, angeregt hat:
Eine Mutter Gottes in heißem Gebet, deren Augen Tränen ent-
strömen*
380 ZWÖLFTES KAPITEL
Obgleich Torquato im Vatikan ein schönes Zimmer mit Ausblick
auf den Garten hatte, kränkelte er fortwährend und war unzu-
frieden. Aber seine Eitelkeit war befriedigt, da er häufig mit Kar«
dinälen und römischen Berühmtheiten speiste. In einem Briefe an
Fabio Gonzaga gesteht er, der einzige Trost im Fieber, das ihn
kaum verlasse, seien die Ehrenbezeugungen, die man ihm im Va*
tikan erweise und die man ihm anderwärts, in Idantua z. B., vor*
enthalten habe. So nahm er an einem Mittagbrot mit mehreren
Kardinälen teil, und war der einzige Hofmann im ganzen Palast,
den man dieser Ehre für würdig befunden hatte. Ahnliche Rück-
sichten wurden ihm zuteil in den Häusern der römischen Bfagnaten:
der Colonna, Orstni und Gaetani. Stets unzufrieden, sehnte er sich
aus dem Vatikan nach Neapel, wo er durch Seebäder zu gesunden
hoffte. Er verschob seine Abreise nur, da er auf die Ernennung
Cincio Aldobrandinis zum Kardinal wartete; diese Feier wollte er
durch seine Dichtung, die dem künftigen Kirchenfürsten gewidmet
war, verherrlichen. Cincio seinerseits hatteTasso versprochen, ihn auf
dem Kapitol mit dem Dichterlorbeer krönen zu lassen. Tasso war in
Erwartung dieser Ehre so sehr vom Gefühl seiner Größe durchdrungen,
daB er nur mit goldner Halskette und dem Degen an der Seite auf
die Strafie ging und sich dem allgemeinen Spott aussetzte.
Am 17. September 1593 ernannte der Papst endlich den Sohn
seines Bruders Pietro Aldobrandini und Cincio, den Sohn seiner
Schwester, zu Kardinälen. Der letztere nannte sidi Kardinal di
San Giorgio, um sich von Pietro, der den Familiennamen Aldo-
brandini behalten hatte, zu unterscheiden. Tasso veröffentlichte
seine Dichtung „Gerusalemme conquistata^S doch machte sie den
erwarteten Eindruck nicht, sie war zu sehr Antonianos einstigen
Wünschen entsprechend auf Mönche und Nonnen zugeschnitten.
Die Dichtung hat viel böses Blut in Ferrara gemacht, da Tasso die
an die Adresse der Este gerichteten Komplimente wieder ge-
strichen hat. Alf onsos Geiz war nach Tassos eigener Aussage daran
schuld, da er sich geweigert hat, dem Dichter für sein Lob klingen-
den Lohn zu bezahlen.
^593» nach dem Erscheinen der „Gerusalemme'S ging Tasso
nach Neapel zu den Benediktinern ins Kloster San Severino. Er
TORQUATO TASSO 381
schrieb dort viel Gedichte von geringer Bedeutung» besuchte alte
Bekannte und ging häufig in Gesellschaft. Sehr befreiuidet war er
mit Monsignore Stanislas Resxka, dem Gesandten der polnischen
Könige Stefan Batory und Sigmund IIL am neapolitanischen Hofe.
Tasso muBte Resxka schon früher in Rom oder Neapel kennen
gelernt haben und hat ein Sonett an ihn gerichtet, das zu Beginn
des XIX. Jahrhunderts vom Ifarchese Gian Giacomo Trivulzio
veröffentlicht wurde. Sebastian Ciampi, der polnisch-italienischen
Bexiehimgen nachgegangen ist, hat es in seinem am 2. Jimi i8a8
an Visconti gerichteten Brief nachgedruckt. Es lautet:
Napoli mia, che a peregrini egregi
Cedesti la Corona e'l proprio regno,
E f ermasti a gran sede alto sostegno
Del gelato aquilon traslati i regi;
•
Par non avesti con piü eccelsi fregi
D' etema fama e d'onorato pegno
Di Vera pace o pur d'arte e d'ingegno
Di sermo e di valor» si rari pregi;
Ifentre il buon Resdo i teco e in te s'accoglie
Ahl la gloria d' Europa in lue d serba»
Se del publice cuor hai cura e zelo.
Onda salubre, e caldo fönte, ed erba
Sgombri al saggio signor le ingiuste doglie;
Ch'ei ti placa la terra e placa il delo.
Reszka empfing viel literarische Berühmtheiten in seinem
Hause, auch Tasso war ein häufig gesehener Gast und las dort seine
Gedichte vor. Ein Exemplar seiner „Gerusalemme conquistata'*
hat er Reszka in sehr schmeichelhafter Form gewidmet:
AI sig. Stanislao Resdo nundo illustrissimo
Resdo, s'io passerö Talpestre monte
Portato a vola da' toscani carmi
Giunto, dirö con vergognosa fronte,
382 ZWÖLFTES KAPITEL
Dove ha tanti il tuo re cavalli et armi
Altri di Voi giÄ scrive altri racconte
Le altere imprese e le scolpisca in marmi;
Ne' taccta a tanti pregi onde rimbomba
Non minor fama la giA stanca tromba.
•
Das Exemplar der „Conquistata'' mit dieser Widmung befand
sich im Jahr 1828 im Besitz der Buchhandlung Giovanni Battista
Petrucd in Rom; der Engländer Graf Guilford hat es dort erworben.
Der jetzige Aufenthaltsort des kostbaren Exemplars ist unbekannt»
wahrscheinlich ist es in einer englischen Privatsammlung zu finden*
Der erste Vers der oben angeführten Ottave brachte Ciampi auf
den Gedanken, Tasso habe die Absicht gehabt, nach Polen zu reisen
tmd dort das Glück zu suchen, das er in der Heimat nicht finden
konnte. Aber schon Guasti hat in seinen Briefen darauf hingewiesen,
daß sich dieser Vers nicht auf Tasso selbst, sondern auf seine Werke
bezieht, die über die Alpen nach Polen dringen würden; Guasti hat
wohl recht, denn die Annahme, der kranke, dem Grabe so nahe
Tasso könne im Ernst den Gedanken erwogen haben, in das so ferne
Polen zu gehen, ist wenig überzeugend. Wahrscheinlich war dieser
Vers nur eine der vielen Höflichkeitsphrasen, von denen die da-
malige Poesie wimmelt.
Tassos wartete ein näheres Ziel: seine letzte Reise nach Rom.
Der Kardinal Cindo war um seine Gesundheit besorgt, er glaubte,
der Dichter könne im Vatikan mehr Bequemlichkeiten, als bei den
Benediktinern in Neapel finden, er lud ihn daher nach Rom ein
und schickte ihm fünfzig Scudi für die Reise. Tasso trätunte von
der Krönung auf dem Kapitol in Rom, er machte eine Reihe wert-
loser Gedichte, wohl mehr aus Gewohnheit, als aus innerem
Drang, und erkrankte im März 1594 sehr schwer. Er wünschte aus
dem Vatikan in das Kloster S. Onofrio in Gianicolo^ gebracht zu
werden, da die Arzte ihm die dortige Luft empfohlen hatten. „Dort
an diesem hochgelegenen Ort werde ich'S sagte Tasso, „Gespräche
mit den Mönchen von St. Onofrio führen, die im Himmel enden
werden.'' Er hatte sich für jenes Kloster auch deshalb entschieden,
weil seine Mutter von der Familie Gambacorta, den früheren Des-
. TORQUATO TASSO 383
poten Pis^, abstammte» und Pietro Gambacorta der Gründer des
Eremitenklosters des heiligen Girolamo gewesen war.
Der Zustand des Dichters verbesserte sich im Kloster nicht, er
war Fieber- tmd Wahnsinnsanfällen unterworfen, schlug mit dem
Pantoffel nach dem Arzt und zwang den Diener, die Medizin aus-
zutrinken, im Glauben, daß sie vergiftet $ei. Der Kardinal Cindo
erwies ihm viel Freundlichkeit, gab ihm zwei Diener, schickte
seinen Arzt und kam für alle Wünsche des Dichters auf. In seinen
letzten Tagen war Tasso sehr verändert, er wurde sanft, be-
reitete sich für den Tod vor und bat, im Kloster S. Onofrio
beigesetzt zu werden. Am 25. lAtrz 1594 starb er mit den
Worten: „In manus tuas Domine'^.. die er nur noch stammeln
konnte.
Tasso war groß, mager, und dunkelblond; er hatte spärliches
Barthaar, eine große Nase, große Augen und blasse Lippen; seine
langen Hände tmd Füße machten ihn ungeschickt. Er sprach
langsam, stotternd und wiederholte die letzten Worte eines Satzes
häufig. Er hat nicht leicht geschrieben, viel gestrichen und seine
Verse zehnmal und noch mehr durchgefeilt. In seinem Dialog
über „die liebe'' gesteht er Marfisa d' Este, die um ein Sonett ge-
beten hatte, seine Gedichte kosteten ihn Schweiß. Manso erzählt,
Tasso habe voller Neid in Neapel den Improvisatoren auf der Straße
gelauscht und sich gewundert, daß ihnen die Verse so leicht zu-
flössen^ Dennoch war er der fruchtbarste Dichter des XVI. Jahr-
hunderts*
Tasso hatte eine Vorliebe für Luxus, Glanz und rauschende Feste,
er war ein großer Feinschmecker und ein leidenschaftlicher Be-
wunderer kostbarer Steine, überhaupt übten Kleinodien einen
magischen Einfluß auf ihn aus. Während einer schweren Krank-
heit hat er seine Freunde angefleht, ihm einen Smaragd zu schenken,
da er der Überzeugung war, daß ihn der Einfluß dieses Steines ge-
sund machen würde. Am ferraresischen Hof hat er eine gewisse
Würde angenommen und beobachtete eine Etikette, die zu seinem
kriecherischen Wesen den Vornehmen gegenüber nicht immer
paßte. Der Meister vollendeter Form in der Poesie hatte nur wenig
ehrliches, tiefes Empfinden» und man kann von ihm sagen, daß er
384 ZWÖLFTES KAPITEL
zwar häufig aus Liebe gestorben ist, aber inuner nur in seiner Bin«
bildung. Seine Devise könnte B<Mleaus Wort sein:
Et toujours bien mangeant mourir par mitaphore«
Als die fOnfzigjihrige Catherina de' Hedid ihm 1571 ihr Por-
trat geschenkt hat, hat er ein glühendes Sonett an sie gerichtet, und
solche Sonette mit künstlichen Empfindungen sind nicht eben selten
bei ihm«
Tassos Geisteskrankheit begann, während er an seinem „Be-
freiten Jerusalem*' gearbeitet hat, damals als er den ungleichen
Kampf mit der Inquisition aufnahm« Bis in den Anfang des ZVII«
Jahrhunderts hatte die gesamte literarische Welt die Ursache seiner
religiösen und Verfolgungsmanie gekannt, die sich infolge phy-
sischer Erschöpfung und geistiger Überanstrengung steigerte. Ztun
Verfall seiner Kräfte trug noch bei, daB er, Gift in den ihm voige-
setzten Speisen argwöhnend, häufig sehr starke Mittel als Gegen-
gift gebrauchte, die zerstörend wie Gifte wirkten. So vergiftete er
sich allmählich.
Die neue Generation im XVII. Jahrhundert, die Tasso nicht
mehr gekaimt hat, wollte nicht glauben, der Verfasser des „Be-
freiten Jerusalem*' und der „Aminta** sei geisteskrank gewesen, des-
halb begann man nach Gründen zu forschen, die das Unglück
seines Lebens hätten verschulden können. Bfan ersann einen Ro-
man, der sich zwischen ihm und der Prinzessin Leonora d'Este
abgespielt und Alfonso veranlaßt haben sollte, ihn im Gefängnis
imd später im Annenspital unschädlich zu machen. Tassos erster
Biograph, Manso, hat diese Erzählung der Nachwelt überliefert, und
zwei Jahrhunderte hindurch wurde sie von den verschiedensten
Biographen des Dichters, von Italienern, Franzosen, Deutschen
imd Engländern kritiklos übernommen. Erst gegen Ende des
XVIIL Jahrhunderts, als man die estensischen Archive zu erforschen
begann, überzeugte man sich, daB Tassos Geisteskrankheit und
nicht irgend ein Roman der Grund seiner Überführung ins
Spital gewesen war. Der italienische Literarhistoriker Tiraboschi
hat die Dinge auf ihr wirkliches Mafi zurückgeführt; aber der
Roman zwischen Tasso und Leonora war schöner als die Wirk-
TORQUATO TASSO 385
lichkeit» Goethe hat Ihn als Grundlage für sein Drama benützt,
und angesichts dieses Heisterwerks ist die Kritik aufs neue ver*
stummt» besonders da man sich auch in Italien nicht beeilt hat»
die Legende richtig zu stellen, die Tassos poetisch verklärter Gestalt
besser als die Wirklichkeit entsprach«
Erst Victor Cherbuliez hat 1863 in seinem Roman y,Le prince
Vitale'' Tasso so aufgefaßt, wie er aufgefaßt werden soll. Tasso hat,
nach der Schilderung des französischen Novellisten, zu seiner Ver*
zweiflung entdeckt, daß er nicht der Mann seiner Zeit sei, und diese
tragische Entdeckung hat seinen Charakter gebrochen und seinen
Geist getrübt. Der Mensch der Hochrenaissance war verurteilt, in
}enem Italien zu leben und zu schreiben, das unter dem Einfluß
des tridentinischen Konzils, der Inquisition und der Jesuiten der
Hort der Reaktion geworden war. Tassos Mutter, die Kultur der
Renaissance, hat in ihrer Todesstunde ihm, ihrem letzten Sohn, das
Leben geschenkt; der Nachgeborene träumt von ihr, hofft sie noch
am Leben zu finden, bis er in Rom auf den Stufen des Vatikans an
Stelle der Renaissance, eine furchtbare, erhabene Gestalt sieht,
die ihm zuruft: „ich bin die Inquisition*'.
Tasso gehOrt zu den Genies der Obergangszeiten, die die Gegen-
wart nicht begreifen und nicht mit ihrem eigenen Ich vereinen
können. Durch sein Leben geht wie durch das Byrons oder Leo*
pardis ein tragischer Bruch.
1585 und in den folgenden Jahren, während Tasso im
eingesperrt war, gab es eine lebhafte Polemik unter den Literaten
Italiens über den Wert des „Befreiten Jerusalem'^ Es wurde mit
Ariosts „Orlando" 'verglichen; man stritt, welches Werk schöner
sei, welchem der beiden Dichter der höhere Rang in der Geschichte
der epischen Poesie gebühre; es gab „Apologien", „Repliken" und
„Contrarepliken"; in Broschüren, die mit der Leidenschaft der
Renaissance geschrieben wurden, beschimpfte und beleidigte man
sich in einem solchen Maße, daß es zwischen Florenz und Ferrara
S5
386 ZWÖLFTBS KAPITBL
beinahe zu einer difdoniAtischen Aktion fekonmieQ ist Dfekfinlidi
begründete florenUniscfae Atudemie „Dell« Crusca^^ warf sich xu
Ariosts Verteidigerin auf, gab eine „Difesa del Orlando Furioso^'
heraus und beschuldigte die Gegner, Tassos Werk nur deshalb höher
zu stellen, weil sie von Alf onso IL erkauft seien und ihm nach dem
Mund reden wollten.
Diese Polemik hat den eingesperrten Diditer aufs &u0erste ge-
reizt, um so mehr, ab er von seinen Gegnern recht unangenehme
Bemerkungen zu hören bekam; sie behaupteten, die „Gerusalemme^*
wäre ein trockenes, schlecht aul^bautes Werk, dem es an dichte-
rischem Schwung fehle, ein langweiliges, geschmackloses Epos.
Es war dies übrigens nicht die Ansicht boshafter lEritiker allein,
Galilei, der sich auch lebhaft für Literatur interessierte, hat be-
hauptet: „Tasso sage Worte, Ariost Dinge'^ Überhaupt hat die
>9
U
ZU Beginn mehr scharfe Kritik ab Lob gefimden, trotz-
dem sie sehr viel gelesen wurde und vielen Dichtem ab Vorbild
gedient hat. Allmählich wurde sie neben dem „Furioso^* Italiens
populärste Dichtung, und es gibt kaum einen Winkel in Italien,
wo man nicht Abschnitte daraus aus dem Gedächtnb rezitiert.
Das Rätsel dieser Popularität löst die Musik der Verse, die Schönheit
der Ottaven, deren Wohllaut jeden Italiener durchdringt, denn er
hört seine Mutter s prache in ihren melodischsten Klängen. Eine
lyrisch-sentimentale Note, eine krankhafte Sinnlichkeit, die der
Stinmiimg des Modernen entspricht, klingt in den Versen an. Tasso
schrieb, ab sich der Gebt der modernen GeseUschaft zu regen begaim;
in der „Genisalemme** spürt man das erste Zittern neuer Gedan-
kenschwingungen, und so wurde sie gewissermafien zur sehnsüch-
tigen Wiege der heutigen Kultur. Sie wurde dies namentlich des-
halb, weil Tasso trotz seines Verlangens epbch zu bleiben und Homer
nahe zu kommen, seinen persönli^en Empfindungen und Vorstel-
lungen Worte leiht Tassos Geist war blendend, schillernd, mit
einem Hang zur Mystflc, und sein Gedicht wirkt wie ein im Licht
bewegter Opal, es zieht an und verbreitet eine Art magischer At-
mosphäre. Was uns heute in der „Gerusalemme** stört, bt ihr
Mangel an Einfachheit, man empfindet das nahende Barock mit
seinen Übertreibungen. Tasso stand unter dem Einfluß dieser
TORQUATO TASSO 387
Zeitströmungy und so enthält sein Gedicht viel leere Deklamation,
rhetorische Phrasen und überflüssige Zutaten.
Vergleicht man Tassos und Ariosts politische Anschauungen»
so ergibt sich bei Ariost das Kaisertum ab einigende Macht; das
ganze christliche Europa schart sich unter der Flagge des Impe-
rators, um die Oberfälle der Sarazenen zurückzuschlagen, während
das Kaisertum bei Tasso ab weltyerbindende Gewalt bereits schwin-
det imd dafür die christliche Ritterschaft im Namen der Religion
mit den Ungläubigen kämpft. An Stelle des Kaisertums ist die
Kirche das einigende Band der Völker. Rinaldo drückt das Emp-.
finden der estensischen Guelfen aus:
S'oppone all'empio Augusto e*l doma:
B sotto Tombra degli argentei vanni
L'aquila sua copre la chiesa e Roma.
Diese Anschauung ist das natürliche Ergebnb des Drucket»
der auf Italien unter der schweren kaiserlich-spanischen Faust
lastete. Rom allein scheint berufen, die Völker zu sammeln.
AuBer dem „Befreiten Jerusalem^^ hat kein Werk Tassos einen
solchen Erfolg wie das Schäferidyll „Aminta" gehabt, das zu den
gröBten Schätzen der italienischen Literatur des .XVL Jahrhunderts
gehört. Die Renaissance hat die antike. Bukolik wieder zu Ehren
gebracht, man begann Theokrits Idyllen und Eklogen nachzu-
ahmen; schon Boccaccio hat den Schäferroman in seinem „Ameto*'
eingeführt und bekannte Persönlichkeiten im Hirtengewand auf-
treten lassen. Diese Form der Poesie war der Kritik und der Schmei-
chelei gleich willkommen, antike Hirten traten auf, aber sie sprachen
wie moderne Menschen, um deren Anschauungen es dem Dichter
zu tun war. Die Schmeichelei im Munde dieser Idealgestalten
wirkte nicht zu plump, die Kritik nicht zu persönlich. Was Wunder
sbo, wenn sich diese Art der Poesie schnell eingebürgert hat, luid
wenn namentlich gegen Ende des XV. Jahrhunderts eine Tendenz
nmi Dialog, zum Drama sich geltend macht. Schon Serafino
Aquilano hat in einer Ekloge die Verderbnb und den Geiz der
römischen Kurie gegeißelt; sie war gegen Innocenz VIII. gerichtet
und erschien unter dem Patronat des Kardinab Giovanni Colonna.
388 ZWÖLFTES KAPITEL
Um 1506 hat eine dramatisierte Bkloge „Tlrsi'* am Hof von UrUno
▼iel von sich reden gemacht; ihre Verfasser waren zwei bekannte
Hofleute Baldassare Castiglione und Cesare Gonsaga« Castiglione
hat sich selbst in der Gestalt Jolis imd Gonzaga in der Gestalt Da-
metos geschildert; über den Hof von Urbino und die Hofleute er-
gossen die Verfasser ein Füllhorn geschickter Komplimente. Na-
mentlich die ab Galatea gefeierte Herzogin Ettsabetta durfte zu-
frieden sein, auch der in Urbino anwesende Bembo brauchte sich
nicht zu beklagen. In Perrara wurden im Februar 1508 drei Eklogen
aufgeführt, ihre Verfasser waren Ercole Pio, Antonio dell'Organo
und Tebaldeo. Diese Art der Poesie gliederte sich dem Drama
immer mehr an; trotz ihrer pastoralen Anfänge wurde sie immer
aristokratischer und höfischer, da sich diese Aufführungen be-
sonders für kostbare Dekorationen und gewählte Diktion eigneten.
Auf diese Weise entstand eine neue Art theatralischer Auffüh-
rungen, besonders geeignet zur Verherrlichimg der Feste in Ferrara,
Urbino und Mantua, wo ein literarisches Feinschmeckertum blühte.
In Hirtengewändem traten diese Gestalten auf die Bühne, die in
gedrechselten Redensarten miteinander verkehrten; ernsthafte po-
litische Elemente wurden mit Humor und Ausgelassenheit ver-
quickt, Szenen ergaben sich, die Castigliones „Hofmapn*^ nicht
unähnlich waren. Die Fürsten belustigten sich an diesen Dramen»
die Gelegenheit genug boten, tmi ihrer. Eitelkeit zu schmeicheln
und sie auf der Bühne gleich Göttern zu feiern.
Das Stück bestand zumeist aus fünf Akten und einem Prolog,
auch fehlte der in die Handlung eingreifende Chor von Hirten,
Jägern und Nymphen nicht. Eine gewisse, Empfindsamkeit, die die
Gesellschaft der ausgehenden Renaissance kennzeichnet, ein gewisser
widerwärtiger Klang gemachter Liebe, wie in den Sonetten der Petrar-
kisten, fand sich in den Schäferspielen und sprach die höfische Gesell-
schaft besonders an. Es war so süS, den Klagen der Hirten zuzuhören:
El dulce lamentar de los pastores
wie bei einem Nachahmer von Sannazaros „Arcadia'^ zu
lesen ist, einem der Hauptvertreter des Id^ im XVI. Jahr-
hundert. Schon bei ihrem Beginn enthielt diese Art drama-
TORQUATO TASSO 389
tischer Poesie in ihren Klagen, ihrer Empfindsamkeit tmd Bin»
tönlgkeit die Zeichen des Verfalls. NamentUcfa der ferraresiscbe
Hof hatte eine Vorliebe fflr das Sch&f erspiel ; die Aufführungen
wurden ebenso sorgfiltig vorbereitet wie einst die klassische
Komödie unter Ercole. Epoche machte die Aufführung von Gioran
Battista Giraldis Sch&ferspiel „L* Egle^S das weder Tragödie noch
Lustspiel» sondern Drama sein sollte; infolge der vielen einge*
flochtenen Satiren nannte es der Dichter „Satire^S Giraldi wollte
Euripides* satirisches Drama neu beleben, aber er kam xu etwas
anderem, indem er Arkadiens Götter und Halbgötter einführte.
„Egle^' wurde im Winter 1545 im Hause des Verfassers aufgeführt,
im Beisein Ercoles H. und des Kardinab Ippolito. Die Musik hatte
Antonio del Cometto verfaßt, die Dekorationen Girolamo Carpi
gemalt. Neun Jahre später, am 4. März 1554, wurde eine ähnliche
Novität aufgeführt: „II sacrifido, favola pastorale^' von Agostino
de* Beccari, imd 1563 wurde im Palazzo Schifanoja die „Aretusa^^
gespielt, eine pastorale Komödie von Alberto Lellio mit Musik. Es
folgten Aufführungen verwandter Komödien, wie z. B. Agostino
Argentis „Sfortunato'S aber sie wirken alle wie Vorstudien für
Tassos „Aminta^S das bedeutendste Werk dieser Gattung. „Aminta^^
wurde zum erstenmal im SchloB Belvedere in Alfonsos IL Gegen-
wart und im Beisein des gesamten Hofes aufgeführt und fand all-
gemeinen Beifall. Verschiedene Einzelheiten, die sich auf allbe-
kannte Persönlichkeiten bezogen, fesselten aufs lebhafteste, so die
Anmerkungen gegen Speroni, gegen jenen gelehrten, aber sehr
hochmütigen und scharfen Kritiker, der dem Verfasser des „Be-
freiten Jerusalem'^ durch seine pedantischen Bemerkungen nicht
wenig Ai^er bereitet hatte. Tasso nannte Speroni Mopso, und Aminta
charakterisiert ihn foigendermafien: „Sie hat Grund genug, über
ihr Schicksal zu verzweifeln, denn der khige Mopso hat ihr eine
düstere Zukunft prophezeit, jener Mopso, der die Sprache der
Vögel versteht, die Heilkraft der Kräuter und Quellen kennt, der
alles weiß, was in der Vergangenheit und Gegenwart geschehen und
womit die Zukunft schwanger isf
„Von welchem Mopso sprichst du ?'* antwortet Tirsi, „von jenem,
der Honig im Mund, Verrat im Herzen und ein Messer unter dem
390 ZWÖLFTES KAPITBL
Mantel führt? POrchte dich nicht, denn jene falschen, unheil*
kündenden Propheseiungeni mit denen er schreckt, gehen, wie aus
Erfahrung bekannt, in den seltensten Pftllen in Erfüllung/'
Der letzte Sats bezieht sich auf Tassos persönliche Erfahrungen*
Als der Dichter zum erstenmal einige Ges&nge seines „Befreiten
Jerusalem^' am ferraresischen Hof 1571 in ^ronis Gegenwart vor-
las, beurteilte der alte, reiche, eingebildete Kritiker den jungen
Dichter streng und prophezeite ihm nur geringen Erfolg. Tassos
Ruhm verbreitete sich über ganz Italien, und der Dichter durfte,
ohne zu übertreiben, si^en, Speroni sei ein falscher Prophet.
Nur mit Speroni hat Tasso so streng in „Aminta^^ abgerechnet;
für Alfonso II., die Prinzessinnen Lucrezia und Leonora, für die
Gräfin Scandlano und viele andere gab es nichts als Schmeiche-
lelen, selbst für den Sekretär Pigna, der als Elf^ auftritt, wurde
Weihrauch abgebrannt, obgleich der Diditer ihm nicht ehrlich
zugetan war.
„Aminta'* wurde in Pesaro, UrUno und Mantua aufgeführt,
in Buchform erschien es erst im Dezember 1580 bei Aldo Hanudo,
imd bis 1891 hat es in Italien allein hundertfünfundsiebzig Ausgaben
erlebt. Das Buch zirkulierte bereits vor seinem Erscheinen in ganz
Italien in Abschriften und fand viel Nachahmer. Später wurde es
ins Pranzösische, Spanische, Englische, Holländische, Dänische,
Deutsche, Polnische, Neugriechische, Ungarische und selbst La-
teinische übersetzt.
Zur Popularität von „Amlnta'^ und von allen dramatischen
Stücken dieser Art trug nicht wenig die melancholisch-lyrische
Musik bei. Pur „Aminta" hatte sie e^ Jesuit aus Sizilien Erasmo
Marotta (gest in Palermo 1641) komponiert. Der verliebte Hirte
singt seine Liebesklagen fünfmal auf der Bühne, Daphnes und Silvias
Gesang entzückte die Hdrer, und der Chor im ersten Akt entfesselte
Beifallsstürme.
Guarini hat Tasso „Amintas'^ Ruhm geneidet, er beschloß ein
schöneres, sorgfältiger durchgefeiltes Schäferdrama zu schreiben.
Neun Jahre, von 1581 bis 1590, hat er daran gearbeitet und ihm
den Titel „Pastor fido^' gegeben. Guarinis Werk war bis in die
kleinsten Einzelheiten durchgefeilt und geglättet, und ab der Ver-
TORQUATO TASSO 39]
iasser einige Abechnitte an Alfonsos Hof vorlas» durfte er mit dei
Aufnahme, die seine Arbeit fand, zufrieden sein. Guarini war ein
▼ortiGhtiger Mann; ehe er sein Drama drucken Uefi, wollte er sich
nach den verschiedensten Seiten hin vergewissem, daft er Lob ernten
würde. Br rühmte sich, gewissermaBen um Tasso damit zu schlagen,
sein Drama sei nicht von einem Dichter von Beruf verfaßt, sondern
von einem Menschen, der zu seinem Vergnügen schreibe. Br fuhr
zu Ferrante Gonzaga nach Guastalla, wo sich stets ein großer Kreis
von Literaten und gebildeten Frauen zusammenfand, um dort sein
Sdiifen^iiel vorzulesen. Guastalla wurde „Vaso delle Muse'' ge-
nannt, weil sich dort so viel Dichter zu versammeln pflegten. Unter
Guarinis Hörern befand sich auch Barbara Sanseverino. Zum ersten-
mal sollte der „Pastor fido" in Ferrara 1584 aufgeführt werden; der
Herzog befahl seinen Statthaltern, Jünglinge mit schauspielerischem
Talent ausfindig zu machen; erwachsene Schauspieler gab es
genug, während es schwierig war, einen Knaben für die RoUe der
Nnnphe zu finden. SchlieBlich war auch diese Rolle besetzt, aber
trotz der langen Vorbereitungen kam die Vorstellung aus uns un-
bekannten Gründen nicht zustande, tmd erst 1591, nachdem das
Drama im Druck erschienen war, sollte es an Vincenzo Gonzagas
Hof auf geführt - werden. Diese Aufführung wurde wegen ihrer
kostbaren Inszenierung und der sorgfältigen Regie, die der Gräfin
Agnese Argotta unterstand, zu einem epochemachenden Ereignis.
Zwischen den Akten wurden eingestreute Intermezzi mit viel Pomp
aufgeführt. Nach dem ersten Akt wurde ein Ballett mit Gesang,
„Musica della Terra'S aufgeführt; zwischen Bäumen und Felsen
tanzten Nymphen und Sangen Hymnen an die Erde. Im zweiten
Intermezzo verwandelte sich die Bühne in einen großen See, Venus
in der Muschel tauchte auf, umgeben von Nymphen, Amorinen und
Sirenen, die einen Hynmus aufs Meer sangen. Das dritte Intermezzo
stellte die „Musica deU* Ana'' dar, die acht Wuade auf künstUchen
Wolken ausführten. Im letzten Intermezzo sangen sieben Gott-
heiten, die die Planeten darstellten, die „Musica del Cielo''. Un-
glücklicherweise verbinderte der plötzliche Tod des Kardinals
Giovanni Gonzaga die Hauptaufführung, sie kam erst im Jahre 1598
zustande, und war so groBartig, daB in ganz Italien davon ge-
393 zwOlftbs kapitbl
8pro€faen wurde. Die Musik cum ,,Pastor fido*' haben Giaeomo de
West, Francesco RoTigo und der Jude Isacchino aus Mantua kom*
poniert; Ton letsterem stanunt die Arie zum Taas der „Dunkehi'*.
Guarini konnte bei dieser Aufführung, bei »»seiner Hochzeilf', wie
er sie nannte, nicht zugegen sein; 1598 wurde das Stück wiederholt
aufgeführt, zuletzt auch in Perrara.
Nach dem Erscheinen TOn „Aminta'* und „Pastor fido'' ergoB
sich eine wahre Flut von Scbftferdramen über Europa, und es gibt
wenig Beispiele in der Geschichte der Literatur, daB eine poetische
Form die Herzen des Publikums in dem MaBe erobert hat Diese
▼erliebten philosophierenden Hirten, die die HOrer mit ihren zwei*
deutigen Ausdrücken belustigt haben, diese kiditsinnigen Nym-
phen, die sich niemals zierten, die gemeinsten Dinge in scherzhafter
Form vorzubringen, haben dem lockeren Geist des ZVI«, ZVII.
und XVIIL Jahrhunderts in merkwürdiger Weise entsprochen« Die
prunkvollen Aufführungen, die glänzenden szenisdien Bilder, die
melodischen Verse — all das trug dazu bei, den Schlferdramen
eine lange Herrschaft zu sichern. Im XVIL und ZVIII« Jahrhundert
gab es von Neapel und Gibraltar bis nach England und DInemark
keinen gebildeten BSenschen, der nicht „Aminta'' und „Pastor
fido^^ gelesen hätte, und in einer venezianischen Satire des
XVin. Jahrhunderts werden die Frauen verspottet, die
ganze Stöfie von Gebetbüchern in die IQrche tragen,
da sie trotz dieser mitgebrachten Bibliothek
mehr an den „Pastor fido^' als an Lita^
neien und fromme Hymnen denken.
Montre ascolta messa, col cervello
Le medita Tamor del dio Cupido,
E i versi in bocca tien del „Pastor fido^'
Per redtarli al caro pastorale.
DREIZEHNTES KAPITEL
FINIS FERRARIAE
Ercoles Töchtern, Anna, LucnzU und
irde.wie erwähnt, eine besonders sorg^Sltige
uteU. Ihre Lehrer waren Humanisten alten
und die jungen Damen beherrschten das
so gut, daB sie i543i zur Feier von PaulsIIL
Ferrara. eine Komödie von Terenz im
Originakext aufführt haben. Annas Schicksal, die den Herzf>g
Ton Guise geheiratet hat und nicht wieder nach Italien zurückge-
kehrt ist, ist uns bekannt, Leonora, die jüngste, ein romehmes,
gutes, krinldiches Geschöpf hat an den Hofintriguen keinen Anteil
genommen, Lucrezia dagegen, die sehr schön, leidenschaftlich und
rachsüchtig war, haben öffentliche Angelegenheiten lebhaft be-
schAftigt, gelegentlidi hat sie sie im geheimen gelenkt, luul gegen
Bade ihres Lebens hat sie wie ein böser Geist Über Ferrara geherrscht;
sie hat mft dazu beigetragen, das Reich zu Fall zu bringen.
Battlsta Giraldi Clntio hat Lucrezia in seiner Dichtung „L'Ercole"
die Schönste unter den Schönen genannt, und die Hofpoeten, Tasso
an erster Stelle, fanden nicht Vei^leiche und zierliche Wendimgen
genug, um ihre Reize und ihr Wssen zu {«eiflen.
Nach Ercoles Tod und Renatas Abreise nach Frankreich blieben
beide Prinzestinnen Leonora und Lucrezia in Ferrara unter Alfonsos
Schutz. Der Vater hat ihnen eine sehr knappe Hitgift ausgesetzt,
ja sie zugunsten des Bruders benachteiligt. Er hatte ihnen
60000 Scudi vermacht (etwa 150000 Francs), davon bekamen
sie aber nur 40 000 Scudi in bar ausbezahlt, der Rest bestand in
394
DREIZEHNTBS KAPITEL
Schmuck und kostbaren Geräten. Das Testament enthielt auSerdem
die Klausel, daß, falls diese beiden Töchter nicht heiraten sollten»
Alfonso für ihre Nahnmg imd Kleidung und die ihrer Dienerschaft
zu sorgen habe. Es war dies natürlich keine geringe Ausgabe für
Alfonso, sie betrug an zweihundert Scudi monatlich für jede der
Schwestern, außerdem galt es für den Unterhalt von mchtund-
zwanzig Personen, die ihren Hofstaat bildeten, zu sorgen«
Der Herzog hatte seinen Schwestern besondere Wohnungen im
Schloß angewiesen, wo sie GAste empfangen, Gesellschaften geben
und musikalische Abende veranstalten konnten; beide liebten Musik
über alles, Lucrezia hatte eine schöne Stimme tmd entzückte den
ganzen Hof durch ihren Gesang. Die Prinzessinnen blieben unrer-
mfihlt; der französische Hof hatte zwar schon 1547 um Lucrezias
Hand für den Herzog Ton Lothringen angehalten, aber Brcole trug
ihm damals Anna an, da Lucrezia erst elf Jahre alt war. Unter-
handlungen wegen Lucrezias Heirat mit dem Herzog von Nemours
wurden gleichfalls gepflogen, 1560 wurde ihr Pius' IV. Nepote^
Federigo Borromeo, angetragen, aber all diese PlAne haben sich
aus uns unbekannten Gründen nicht realisiert. Erst 1565, als
Lucrezia dreißig Jahre alt war, begann der alte Herzog Guido-
baldo Ton Urbino an ihre Heirat mit seinem Nachfolger Francesco
Maria della Rovere, einem sechzehnjährigen Knaben, zu denken.
Dieser Plan scheint vom Kardinal Luigi ausgegangen zu sein, als
dem einzigen der Familie, mit dem die Schwester gut stand.
Francesco Maria hat die größten Hoffnungen erweckt, er war
hübsch, gebildet, geistreich, begabt und ehrgeiiäg. Der Vater hatte
ihn an den spanischen Hof geschickt, damit er den Kaiser für sich
einnehme und für die Zukunft nützliche Beziehimgen anknüpfe.
1565 fuhr Francesco nach Spanien, er hielt sich unterwegs in Perrara
auf, imd blieb zwei und ein halbes Jahr am kaiserlichen Hof. Als
Guidobaldo erfuhr, daß Francesco sich in eine Spanierin, in die
Schwester des Herzogs Ton Ossuna, verliebt habe, ließ er ihn sofort
zurückkommen, aus Furcht, der Jüngling könne eine Ehe, die
unter seinem Range, dem eines regierenden Herzogs war, eingehen.
Erst in Italien erfuhr Francesco Maria Guidobaidos Absicht, ihn
mit Lucrezia zu verheiraten; er erschrak aufs äußerste, da die Prin-
FIHIS FBRRARIAB 395
zesdn dem Alter nach fast seine Mutter hätte sein können und ihm
in Perrara nicht übermäBig gefallen hatte. Dagegen war Lucrezia,
die zusammen mit dem Kardinal in aller Stille an der Verwirklichimg
dieses Planes gearbeitet hatte» von Guidobaidos Entschluß beglückt,
sie glaubte mit ihrem Verstand und ihrer Geschicklichkeit allmäh-
lich das Herz des jungen Gatten gewinnen und ihn nach ihrem
Vraien lenken zu können. Die Umgebung der Prinzessin schien am
glücklichen Ausgang dieser Ehe zu zweifeln, da in den Ehekontrakt
die Klausel gesetzt wurde, daß ihre Mitgift ihr auszuzahlen sei,
falls sie sich von ihrem Gatten trennen oder wieder nach Ferrara
zurückkehren sollte. Alfonso verlangte, daß Lucrezia, ehe sie die
Ehe einging, auf ihre Ansprüche auf das Vermögen ihrer Eltern
in Perrara verzichte, was die Prinzessin peinlich berührt hat. Sie
setzte sich mit Guidobaldo ins Einverständnis, auf seinen Rat unter»
schrieb sie zwar das von ihr verlangte Schriftstück, aber gleich-
zeitig legte sie im geheimen, durch Vermittlimg eines ihr vertrauten
Notars Protest gegen den Kontrakt ein, femer protestierte sie gegen
die ihr von Alfonso ausgesetzte Mitgift, die dem Vermögen ihrer
Familie nicht entsprach. Dieser Protest befindet sich bei den No-
tariatsakten in P^saro.
Am 8. Februar 1570 wurde der Ehekontrakt vollzogen, der
Bräutigam wurde von Cesare Gonzaga aus Guastalla vertreten.
Francesco Maria kam erst zehn Tage nach dieser Formalität nach
Perrara; der Herzog empfing ihn aufs prächtigste, arrangierte ihm
zu Ehren Bälle, Maskeraden, Theateraufführungen imd ein groß-
artiges Turnier „II mago rilucente'S
Francesco lAaria ließ sich all diese Feste gefallen, aber nach
einigen Tagen, am 13. Februar 1570, verließ er Ferrara plötzlich
ohne seine Gattin, indem er wichtige Geschäfte vorschützte. Von
diesem Tage an ließ er ein ganzes Jahr nichts von sich hören, ob-
gleich Ferrara wiederholt von Erdbeben heimgesucht wurde, imd
Lucrezia sogar in Lebensgefahr geriet. Erst nach Verlauf dieses
Jahres schrieb er an die Prinzessin, sie möge nach Pesaro kommen,
wo er sie erwarten würde. Trotz des ungezogenen Benehmens des
jungen Gatten, das jedem Brauch wider^rach, traf Lucrezia mit
zahlreichem Gefolge am 9. Januar 1571 in Pesaro ein. Sie wurde
396 DREIZEHNTES KAPITEL
aufs pr&chtigste enqifangen, und Guidobaldo gab sich alle erdenk-
liche Mühe, den fatalen Bindruck su verwischen, den Francesco
Marias schändliche Flucht aus Perrara gemacht haben mußte. Lu-
crezia gefiel übrigens aufierordentlich, und Lpazaro Mocenigo, der
venezianische Gesandte, berichtet dem Dogen aus Pesaro, Lucrezia
sehe gut aus, sei voller Grazie und Majestät, aber mit ihren
dreißig Jahren sei sie nicht die geeignete Gattin für den jungen
Erbprinzen. Den Herzog und den gesamten Hof interessierte die
Frage, ob sie Kinder haben würde, auch llocenigo schließt seinen
Brief „gebe Gott, daß sie Kinder habe, doch zweifle ich sehr daran.'*
Lucrezia gelang es auch diesmal nicht, ihren Gatten zu fesseln.
Da bot sich ihm eine sehr güxistige Gelegenheit, Lucrezia zu ver-
lassen. Die christlichen Mächte bereiteten eine große Eiqiedition
gegen die Türken vor. Francesco Maria beschloß daran teilzuneh-
men und verließ Pesaro kaum ein halbes Jahr nach Lucrezias
Ankunft. Die unglückliche Prinzessin suchte ihn vergebens von
diesem Plan abzubringen, ihre Überredungskunst vermochte nichts
über den Jüngling, den es nach Ruhm dürstete und der der ältlichen
Gattin müde war. Bs gelang ihr nur, ihre Rückkehr nach Ferrara
bei Guidobaldo zu erwirken, doch mußte sie versprechen, nach
zwanzig Tagen zurüdczukommen. Guidobaldo brachte ihr viel
Sympathie entgegen und verlangte in seiner despotischen Art, daß
sein Vfüit respektiert werde tmd Lucrezia sich an die Bevölkenmg
Urbinos gewöhne. Aus den zwanzig Tagen wurden zwei Monate,
Lucrezia kam erst im November zurück, und einige Tage nach ihr
kam auch Francesco Maria von seiner Eiq>edition heim.
Das unglücklichste eheliche Zusammenleben begann, voll
Streit und Zank, unterbrochen von Lucrezias Reisen nach Ferrara,
verschärft durch Geldsorgen, da die mageren Einkünfte der Prin-
zessin ihre notwendigsten Bedürfnisse nicht deckten. Sie war bei
den jüdischen Kaufleuten in Urbino verschuldet, und aus den
Händen der Wucherer befreite sie erst der Tod der Mutter, die ihr
50 000 Lire in bar vermacht hat Einige Monate nach Renatas
Tod, am 28. September 1574, starb auch der alte Guidobaldo, Lucre-
Sias treuer Anhänger. Infolgedessen spitzte sich das Verhältnis
zwischen den Gatten noch schärfer zu. Lucrezia lebte nun in der
FINIS FBRRARIAB
397
Hauptsache beim Bruder: eine Hagen- und Augenerkrankung Ter-
anlaßte sie im Frühling 1575 Pesaro zu verlassen und Perrara auf-
zusuchen, das wegen seiner tüchtigen Arzte berühmt war. Von Kind-
heit auf an Peste, Zerstreuimgen und Geselligkeit großen StQs ge-
wdhnty öffnete sie wieder ihre Salons im ferraresischen Kastell; damals
verkehrte Tasso viel bei ihr. Der Dichter las üir seine ,»Gerusalemme*'
• vor und rühmte sich in seiner eitlen Art in einem Brief an seinen
Preund, er verbringe viele Stunden bei ihr ,yin secretis'^ Das sollte
bedeuten» daß er zeitweilig allein von ihr empfangen wurde, denn
wahrhaft ,4n secretis'* empfing sie jenuuid anderes, den Bfarchese
Brcole Contrari, den sie noch vor ihier Hochzeit geliebt hat. Die
Contrari gehörten zu den bekanntesten Pamilien von Perrara und
waren selbst mit den Este verwandt, da der (Großvater Ercole mit
Diana, Sigismondo d'Estes natürlicher Tochter, verheiratet war.
Ercole Contrari besaß mit den größten Peudalbesitz in Perrara, das
llarquisat Vignola, zahlreiche Schlösser und Dörfer. Er scheint
schon in den Pünfzigen gewesen zu sein, war aber ein ansehnlicher,
stattlicher Bilann, der noch bei allen Turnieren den Preis gewann.
Am Hofe nahm er als Pührer der herzoglichen Garde eine wichtige
Stelle ein und besaß des Herz<^ absolutes Vertrauen. Lucrezia
sah trotz ihrer vierzig Jahre noch gut aus, und da sie in ihrer Ehe
soviel Enttäuschungen erlebt hatte, wandte sie sich mit um so
heißerem Herzen ihrer früheren Liebe zu. Sie knüpfte ein Liebes-
. verhAltnis mit Contrari an, von dem auch am Hof gesprochen wurde.
Lucrezias Vetter Alfonso d'Este, Alfonsos I. natürlicher Sohn
und der Vater Cesares, des vermutlichen Thronfolgers, erfuhr da^
von; allzu besorgt um die Ehre der Pamilie, benachrichtigte er den
Herzog von allem. Alfonsos Vorgehen entsprach der Tradition der
fürstlichen Tyrannengeschlechter.
Am Nachmittag des a. August 1575 ließ er Contrari zu sich bitten;
der Bfarchese kam ahnungslos ins Schloß, im Glauben, der Herzog
habe einen Auftrag für ihn. Alfonso kam ihm entgegen imd bat
ihn in ein Priva^emach. Dort warteten bereits Comelio Bentivoglio,
Pigna, der Sekretär des Herzogs, der Graf Palla Strozzi und Burrino,
der Henker. Anwesend waren femer Curzio Trotti, der Preund des
Marchese und Borso Trotti, Lucrezias Bililchbruder, der ihr Ver-
398 DRBIZBHNTB8 KAPITEL
trauter gewesen war. Die beiden letzteren hatte der Herzog am
Morgen des gleidien Tages zu sich gebeten und ihnen durch Dro-
hungen das Geheimnis entrissen. Sie kannten den Ausgang nichit
aber die Anwesenheit des Henkers war eine furchtbare Drohung.
Als Contrari ins Zimmer trat» warf ihm Bentivoglio plötzlich eine
Decke über den Kopf, Strozzi packte ihn bei den Armen, damit er
sich nicht wehren könne, Burrino preBte ihm die Schläfen mit.
einer groBen Zange zusammen» dann warf er ihm mit tmgeheurer
Schnelligkeit und Geschicklichkeit einen Strick um den Hab» so
daB der Marchese lautlos zusammenbrach. Die Zeugen TerlieBen
auf Alfonsos Befehl das SchloS unverzüglich, um einen Arzt zu
holen; das Gerücht wurde ausgeq;irengt, daB Contrari einen
Schlaganfall bekommen habe; ab der Arzt seinen Tod kon-
statiert hatte, wurde er in einem herzoglichen Wagen in den
Palast der Contrari überführt. Zwei Tage später lieB AUonso
den Marchese mit all dem Pomp begraben, der ihm seiner Stellung
nach gebührte und in der Familienkapelle bei den Dominikanern
beisetzen.
Ab man Lucrezia vom Unfall des Marchese benachrichtigte,
glaubte sie erst, er wäre noch am Leben imd schickte in seinen
Palast, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Ab sie Je-
doch erfuhr, wer der Mörder war, blieb sie äußerlich ganz ruhig,
aber sie schwor Rache nicht den Urhebern des Mordes allein, sondern
ihrem ganzen Geschlecht. Ihr HaB richtete sich namentlich gegen
ihren Vetter, Don Alfonso d*Este, den sie für den moralbchen Ur-
heber des Verbrechens hielt, und gegen seinen Sohn Don Cesare. Sie
wurde die furchtbarste Feindin ihrer eignen Familie und hatte dafür
Gründe genug. Ihr eigener Vater hatte ihr Unrecht getan, indem er
ihr im Testament eine unverhältnismäBig kleine Mitgift aw^fesetzt
hatte, ihr Bruder hatte sie geschädigt, ab er sie zwang, in den Ehe-
akten auf ihre Ansprüche auf den Familienbesitz zu verzichten und
derselbe Bruder hatte ihr Herz zerrissen, da er ihr auf hinterlistige,
verbrecherische Art den einzigen Menschen nahm, den sie geliebt hat«
Nach Contraris Tod blieb ihr Verlangen nach Rache zwetondzwanzig
Jahre ungestillt, zweiundzwanzig Jahre lang intrigierte sie, tebte
erfüllt vom HaB gegen alles, was mit ihrem Geschledit in Zusammen«
FimS FERRARIAB 399
hang Stand, bis sie sich einige Tage vor üirem Tode liolmlachend
gestehen konnte, den Este Ferrara entrissen zu haben.
Kurze Zeit, nachdem ihr Geliebter ermordet worden war, yerlieB
Lucrezia Ferrara, sie ging zu ilirem Hanne zurück, legte auf ihrer
Reise nach Urbino in Loreto ein Gelübde ab, und flehte wohl die
Madonna um Beistand in der Durchfühnmg ihrer Rache an.
Beim Gatten blieb sie nur kurze Zeit, sie hatte sich bei ihm eine
damals sehr verbreitete Krankheit geholt, die bei ihr in ihrer ganzen
Furchtbarkeit auftrat Verzweifelt beschlofi sie Urbino für immer
zu verlassen und ging nach Perrara zurück. Dort ließ sie sich vom
berühmtenArztBrasevoli behandeln,aberSpuren der Krankheit blieben
für immer. Die öffentliche Meinung in Urbino wandte sich bald gegen
denHerzog, der jetzt al]em5glichenMittelanwandte,umsichmit seiner
Frau zu versöhnen und sie zu bewegen, wieder zurückzukehren. Die
italienischen Tyrannen pflegten eheliche Konflikte in aller Stille zu
lösen» mit Gift oder Gefängnis; die Flucht der Gattin war etwas an da^
maligen Höfen Beispielloses. Francesco Maria fühlte sich in seinem
Stolz tief verletzt und seinen Untergebenen g^;enüber gedemütigt, er
sduieb und schickte Boten nach Ferrara, um Lucrezia zur Rückkehr
zu bewegen, aber alles war umsonst Selbst Alfonso ergriff die Partei
seiner Schwester und seines Hauses und holte den Rat der Ddetoren der
Sorbonne ein, um Lucrezias Entschlufi, nicht mehr zum Gatten, der
ihr soviel Unrecht zugefügt hatte, zurückzukehren, rechtlich zu
stützen. Francesco begab sich zu Gregor ZIII., damit er Lucrezia b^
fehle, zu ihm zurückzukehren, aber weder das päpstliche Breve, noch
die Versuche der Kirchenfürsten vermochten sie in ihrem Entschluß
wankend zu machen. So blieb nichts anderes übrig, als wenigstens
die Vermögmsverhältnisse der Gatten einem schiedsrichterlichen
Spruch zu unterwerfen. Die Kardinäle, Pamese, Bste und Sforza,
haben diesen Vertrag beraten, der in Rom am 31. August 1578 ge-
schlossen wurde. Es wurde beschlossen, Lucrezia ihre Freiheit zu
lassen, sie könne wohnen, wo sie woUe, und der Herzog von Urbino
habe die Pflicht, ihr jähcVch 6000 Scudi auszuzahlen, die Hälfte
jener Summe, zu deren Auszahlung er sidi im Ehdkontrakt ver-
pflichtet hatte. Außerdem bestimmte Francesco Maria Lucrezia
das Schloß in Novillara nebst dem dazu gehörigen Landbesitz.
400 DRBIZBHHTBS KAPITEL
11
T ucrexia hatte kdne Lust, einsam in Novillara xu kben» es ver-
L/lsngte sie, ein AJtttelpunkt zu sein und Ton zahlreichen Menschen
umgeben und veiehrt zu werden. Sie wählte Ferrara zu ilirem' Wohn-
sitz, besondefs da sie dort Gelegenheit hatte, ihre Intriguen weiter-
zuspinnen.
Alfonso, der nach Barbaras Tod einige Ztit ab Witwer gelebt
hatte, verheiratete sich 1579 zum dritten Mal mit der fOnfaehn-
jihrigen Margherita, der Tochter des Herzogs von Mantua; sie war
trotz ihrer Jugend eine selbständige, unabhängige Natur. NatthrUch
begann nach Margheritas Einzug in Perrara ein Wettkanqrf zwischen
den beiden Frauen, weicher Ton beiden die eiste Rolle am Hofe ge-
bühre -— Lucrezia hatte geglaubt, Margherita Tollkommen be-
herrschen zu kennen, aber die junge Mantuanerin war sich ihrer
Würde ab Herzogin von Perrara bewuBt und ließ sich Ton der ge-
schiedenen Frau mit bewegter Vergangenheit nicht in eine unter-
geordnete Position drängen. Bald standen sich diese beiden Frauen
nach dem Ausdruck eines Zeitgenossen „wie Schlangen gegenüber,
die sich beifien wollen'S Margherita fühlte sich um so sicherer,
ab am Hof von Lucrezias Verhältnb mit dem Grafen Monte-
cuculi, einem Cameriere des Herzogs, geflüstert wurde. Lucrezia
soll trotz aller Stürme, durch die sie g^;angen, auch in ihrem
späteren Leben einen großen Teil ihrer früheren Schönheit bewahrt
haben. Dies möge zur Rechtfertigung von Montecuculi dienen, der
ihr letztes Opfer gewesen zu sein scheint Mit zunehmendem Alter
stieg auch die Frömmigkeit der Herzogin, sie verbrachte ganze Tage
im Kloster, ließ berühmte Kanzelredner kommen, was sie jedoch
nicht hinderte, glänzende Feste zu geben, Gäste Ton fernher einzu-
laden und auf sehr großem Fuß zu leben. Sie hatte sogar
einen berühmten Koch, Rosetti, der ein Buch unter dem Titel
„La scalco", 1583 in Venedig herausgegeben hat, worin er
einige von seiner Herrin veranstaltete Banketts beschreibt. Auf
dem einen traten während des Desserts zwei Hofnarren auf, Le-
dardino und Francatrippa, die die ganze Gesellschaft zum Lachen
brachten.
FIHIS PBRRARIAB
401
Fette und Gebete hlodeiten Lucrecia nidit, gegen ihfe eigne
FamiUe zu arbeiten. Alf onto behielt sie streng im Auge, lieB sie durch
ihm ergebene Diener beobachten und fing oft sogar ihre Briefe auf.
ZS879 nach Alfonso d^Bstes, des Vetters Tod, richtete die Herzogin ihr
ganzes Augenmerlc darauf , zu ▼erhindem, daS sein Sohn Cesare
auf den Thron ▼on Ferrara komme« Ihr Vorgehen war nicht frei von
dar Furdity daB Cesare, der über ihre GeffUüe nicht im Zweifel war,
sich einst an ihr rSdttn würde. Um dem Torzubeugen, richtete die
Herzogin 1591 ein Memorial tat ihren Bruder und bat, ihre Zukunft
sich e rz ustellen, damit sie nicht, „falls Ferrara einst in Gott weiS
wessen HJhide ühergdie, das Opfer der furchtbarsten Behandlung
werda'^ Sie machte sogar einen neuen Prätendenten ausfindig,
Cesare Trotti, Brcoles II. unehelichen Sohn, um Cesares mögliche
Thranfidge zu Terhindern. Als sie erfuhr, daß Rom nach Alf onsos IL
Tod Ferrara zu annektieren beabsichtige, beschlfiigte sie die Sorge
um den zukünftigen Herrscher nicht linger, sie stellte ihre ganze
Kraft in den Dienst der rSmisdien Kurie und war Tom Wunsche
erfüllt, daB das Beich, das drei Jahrhimderte lang unter der Herr*
Schaft Sires Geschiechtee gestanden, der Kirche anheimfalle. Sie
empfing pi^>stliche Gesandte im geheimen, gab der Kurie Rat-
schlige, auf weldie Weise sie sich nadi Alfonsos Tod Ferraras am
sidiersten bemiditigen kSnne, und wuAte Parteigenossen um sich
zu sammeln. Kodi tot dem Tode des Oheims Don Alfonso berichtete
Rafaek Medid, der Florentiner Geschäftsträger in Ferrara, im
August 1587 seinem Herzog, Lucrezia widersetze sich Don Alfonsos
Nachfolge nicht nur infolge des Hasses, den sie für ihn nähre, sondern
auich aus Furcht, nach Pesaro zurückzukehren und sich dem Oheim
unterwerfen zu müssen oder, was vielleicht noch schlimmer sei,
seiner Frau, die aus einer Apoth^erfamiUe stammte. Don Alfonso
fürchtete mit Recht, Lucrecia würde sich nach dem Tode des Herzogs
des Kronschatzes, der etwa eine Million Scudi enthielt, bemächtigen
und Cesares Gegner um sich scharen, um ihn vom Thron fernzu-
halten. Rafaele lledid enqrfahl Cesare einen Versuch, die Herzogin
für sich zu gewinnen und gemeinsame Sache mit ihr zu machen,
da der GroHierzog von Florenz Ferrara lieber nach wie vor in der
Hand der Bste und nicht unter der Herrschaft der Kirche gesehen hätte.
•0
403
DRBIZBHMTBS KAPITEL
Lucrezia wollte Yon dner Annlhening CeMtfM nichts wiasen;
sie hatte alles so soq^fUtig eingeOdelt, daB der Erfolg so gut wie
sicher war. Sie war im Oktober 1597 in Reggio sur wunder-
titigen Madonna della Ghiara gepilgert» als ihr gemeldet wurde,
ihr Bruder sei schwer am Fieber ericrankt Sofort lieB sie sich in
einer Sänfte nach Perrara bringen; sie fand Alfonso noch am Leben,
konnte ihn aber nidit mehr sprechen, da Alfonso sich weigerte, sie
SU empfangen. Alfonso starb am 87* Oktober; vor seinem Tode
hatte er die adligen Würdenträger und die Altesten der Stadt an sein
Lager berufen und den Versammelten sein Testament verlesen,
in dem er Cesare d^Este als seinen Nadif olger bestimmte« (Heidi-
xeitig teilte er den Anwesenden mit, daB er sich beim Kaiser tun die
Investitur von Modena an Cesare bemüht habe. Dem zukünftigen
Herzog hatte er in seinem Testament die PfBdit auferlegt, Lucrezia
die gleiche Summe auszuzahlen, die sie bis jetzt erhalten hatte,
auch vermachte er ihr 4000 Scudi in bar«
Cesare kam tmmittelbar nach Alfonsos Tod nach Perrara; nadi
alter Sitte bestieg er seinen Schimmel und zog im Herzogsmantel
durch die StraBen der Stadt, indem er das fenaresische Reidi in
Besitz nahm. Der Papste Klemens VIII. Aldobrandini, beantwortete
den Umzug mit einem Edikt am Domportal, worin er Cesare einen
Usurpator nannte, und verkündete, daB Perrara als Kirchei4;ut der
Kirche anheimfalle. Gleichzeitig lieB der Papst unter der Anführung
seines jungen Nepoten, des Kardinab Pietro Aldobrandini, ein
Heer von dreiBtgtausend Mann vor Perraras Grenzen sammeln. Da
Cesare trotz des Ediktes und des päpstlichen Heeres nicht gutwillig
zurücktrat, erlieB der Papst am 33. Dezember eine BuUe, die ihn
und seine Anhänger in den Bann tat, aufierdem belegte er Pcvrara
imd das gesamt^ Landgebiet mit dem Interdikt Die Lage des jungen
Herzogs war hof fnmigslos, die f erraresische Bevölkerung hatte nicht
die geringste Lust, ihn zu beschützen, da er es nicht verstanden
hatte, sidi Sympathien zu erwerben. Niemand vertraute dem im*
erfahrenen, schwankenden Pührer, niemand i^aubte, daB er sich
auf dem Thron würde behaupten kSnnen. Die Bevülkerung war
außerdem dturch Abgaben viel zu erschöpft, um die weitere Herr-
schaft der Este zu b^;ehren; auf allen lastete Druck und Apathie.
FINIS FERRARIAB
403
Unter solchen Umständen blieb Cesare nichts übrig, als Verhand*
Itingen mit Rom anzuknüpfen. Aber wer sollte sie führen? Der
Herzog begab sich zur verhaBten Lucrezia, zu seiner erbittertsten
Feindin.
Nach Ercole Mostis Berichten, der in die geheimsten Pläne des
▼erstorbenen Herzogs eingeweiht war, hat Alfonso IL die Absicht
gehabt, Lucrezia zu vergiften, aus Furcht, daB sie Cesares Pläne
durchkreuzen würde, dem Kranken gebrach es jedoch an Energie,
um diesen Befehl ausführen zu lassen. Mosti empfahl Cesare, den
Wunsch des Toten zu ToUstredeen, aber den bei dieser Unterredung
anwesenden Sekretär Loderchi empörte dieser Plan und er hintertrieb
seine Ausführung. Don Cesare war Mostis Rat nicht unzugänglich,
schon war er im Begriff, Lucrezia erwürgen zu lassen, als weitere
Ereignisse die Durchführung dieses furchtbaren Planes unmöglich
machten. Cesare war von den freundschaftlichen Beziehungen seiner
Tante zu Rom unterrichtet, er glaubte an ihre Geschicklichkeit und
nahm an, daS sie in einem so kritischen Augenblicke den Fall der
estensischen Dynastie in Ferrara nicht wünschen, sondern unter
entsprechenden Vorteilen die Rolle der Retterin des Geschlechts
spielen würde. Aus diesem Grunde bat er sie, mit dem Kardinal
zu unterhandeln und rüstete sie mit absoluter Vollmacht aus.
Aber Cesare hatte sich getäuscht, nichts verband Lucrezia mehr
mit den Este; seit dem Augenblicke, da Alfonso ihren Geliebten
hatte ermorden lassen, brütete sie Rache. Triimiphierend übernahm
sie den Auftrag: der Augenblick der Rache war gekommen«
Der Winter war kalt, Schnee deckte die StraBen, die schwächliche
Herzogin lieB sich in der Sänfte nach Solarolo zu Aldobrandini
tragen. Der Legat empfing sie mit großen Ehren, doch wollte er
sich in Verhandlungen nicht eher einlassen, als bis Cesare die Waffen
niedergelegt, seinen kleinen Sohn als Geisel geschickt und auf das
Herzogtum Ferrara verzichtet habe. Lucrezia wurde als Belohnung
für ihre Mühe und das Zustandekommen des Traktates das unab-
hängige Herzogtum Bertinoro in der Romagna zugesprochen. Mit
diesem Ultimatum kam Lucrezia nach Ferrara; Cesare empfand die
Unmöglichkeit, das Herzogtum zu halten, er berief am 10. Januar
1598 die zwölf Savi und die Vertreter des Adels, übergab nach einer
a6«
404 DREIZBHNTBS KAPITBL
ei^;reifendeii Ansprache die Oberherrscfamft dem AnfQhrer der Savi»
Terzicfateie «uf den Thron von Perrorm und schickte gleichzeitig
seinen ältesten Sohn, Don Alfonso, einen sechsjährigen Knaben,
unter dem Schutze zweier Edelleute, in Aldobrandinis Hauptquartier
nach Faenza*
Der Traktat, der den Este aUe Rechte auf Ferrara nahm, wurde
in Paenza am 15. Januar 1598 unterzeichnet und nennt stdi in der
italienischen Geschichte Transazione di Faenza. Am 99. Januar
brachte einer der päpstUchen Condottiere den kleinen Alfonso d'Este
nach Modena, und Cesare verHeB das ferraresische KastelL Zum
letzten Mal hörte er des Morgens mit seinem Gefolge die Frühmesse
im Dom. Unmittelbar nach dem Gottesdienst setzte sich der
ganze Zug in Bewegung unter dem Schutz von sechshundert be-
waffneten Reitern, zweihundert Bogenschützen zu Pferde und drei-
hundert Pufisoldaten. Dieser Zug sah einem Begräbnis nicht un-
ähnlich, im Volke tiefes Schweigen, der Herzog saB allein im Wagen
mit gesenktem Haupt, und als er am Garten del Padiglione vorbei-
kam, hielt er einen Brief vors Gesicht» um seine Tränen zu ver-
bergen. Bei der Kirche degli Angeli erinnerte er sich der Gefangenen
und schickte eine Abteilung Bogenschützen unter der Führung
eines Cameriere, xaan die Unglücklichen zu bebeien, die in den unter-
irdischen Gefängnissen des Schlosses und des Palazzo della Ragione
schmachteten.
Es gab in Ferrara einige herrscherlose Stunden, ehe das päpst-
liche Heer einzog, und diese wenigen Stunden der Freiheit machte
sich der Pöbel zunutze, um sich auf die Wohnungen der Juden zu
stürzen, die die Este, die stets Geld brauchten, beschützt hatten.
Die Empörung gegen die Juden wegen des von ihnen betriebenen
Wuchers war so grofi, daß schon Alfonso II. einen Teil des Heeres
in der Nähe des Ghettos einquartiert hatte, um sie vor den Über-
fällen des Volkes zu schützen.
In jenen letzten Tagen der estensischen Herrschaft in Ferrara
lag Lucrezia schwer krank im SchloB, den Strapazen der Reise nach
Faenza war sie nicht gewachsen, und dem Tode nahe wollte sie an
ihrem Geschlecht noch die letzte Rache nehmen. Sie machte ihr
Testament und verschrieb all ihren Besitz in Italien, darunter den
FINIS FBRRARIAE
405
groBartigen Palazzo Bd^edere auf einer Po-Insel in der Nlhe Ton
Perrara» dem Feind der Este, dem Kardinal Aldobrandini, su dem
sie bis dahin keinerlei Beziehimgen gehabt 'hatte. Um Birem Bnt-
sdihzB noch gröBere Bedeutung beizul^;en, richtete sie im Testament
die Bitte an den Kardinal, er möge das Vermächtnis axinehmen
als Be^veis der Dankbarkeit für seine ungeheuren Verdi^iste. tn
Ferrara rief dieses Testament helle Empörung herrori man hlett
es ffir den teuflischen Einfall einer von satanisdiem Gefet erfMlten
Frauy und über Aldobrandini wurden nicht gerade schmeichethafte
Gerüchte Terbreitet. Ein unbekannter fenraresfecher Patriot Ter-
faBte auf Lucrezias Tod, die zum Untergang des Vaterlmides bei-
getragen habe, folgendes Epitaph:
Inimica alla patria e al proprio sangue,
Sotto finto color di dare aita
Predpitando altrui perde la vita
Lucrezia estense, che qui giace essangue,
Naidi dem Einzug des pipsdidien Heeres in Ferrara begann audi
dort jene niederdrüdeende Herrschaft, die in den folgenden Jate-
hunderten halb Italien zum moralischen und materiellen Untergang
geführt hat Klemens VIII. brach am 13. April aus Rom nach Fer-
rara auf, von einem grofien Stab Ton Kardinälen, Bisdxöfen und
Prälaten umgeben, um die neue Herrschaft anzutreten. Ihm voran
trug ein weiBes Maultier eine groBartige goldene Sdiatulle mit dem
Sakrament, Dieses Zddien der Liebe und des Friedens stand in
keinerlei Einklang mit dem HaB, den der Papst gegen Ferrara
nährte. Klemens VIIL wollte es in Wahrheit an diesem Unglück-
lidien Land rädien, daB es sich einige Jahrhunderte hindurch der
römisdien Kurie nicht imterworfen hatte. Sein Hauptbestreben war,
in Ferrara eine Festung zu errichten, um die ganze Stadt zu be-
drohen. In Pietro Aldobrandini fand der Papst einen nur zu treuen
Vollstredcer seiner Radie; imd dieser Kardinal sollte für immer in der
Geschichte als einer der gröBten Barbaren, die je die Bfacht der Kirche
miBbraudit haben, gekennzeichnet sein. Er befahl die Zerstörung
des Kastell Tebaldo, eines Schlosses, das der ISarkgräfin Ifathilde
gehört hatte, und des Sommerschlosses BelTsderei das mit den kost*
4o6 DRBIZBHNTBS KAPITBL
barsten Fresken gesdunflckt war* Femer UeB er die Pauste CostahUi
und Veranno sowie einen ganaen Stadtteil des Borgo und Colle di
San Giacomo» wo über sechstausend Menschen wohnten, dem Erd-
boden gleich machen. Auch die dort befindlichen B3rchen, darunter
S. Agata und S. Giovanni vecchio wurden xerstört. Und das alles,
damit die neue Regierung Platz für eine Zitadelle finde, die Mario
Famese nach den PUnen der Festung in Antwerpen erbaute. Da der
Palazio Belvedere infolge von Lucresias Testament in den Besitz des
irft»^4t%aU übergegangen war, hatte der auf seinen Vorteil bedachte
Kirdienfürst den iMrachtvollen Wohnsitz der Este dem pl^tüchen
Sdiatz für fünfzehntausend Scudi verkauft Die schdnsten Bilder
aus dem Kastell hatte Aldobrandini für sich gerettet, alles übrige
raubte sein Nachfolger, der Kardinal-Legat Borghese. Aus dem
reichen Schatz f erraresischer Kunst blieben kaum spärliche Ober-
reste an Ort imd Stelle.
Ferrara hatte als Reich zu bestehen aufgehört, die Zeiten der
Este, eines Bojardo, Ariost, Tasso waren für immer vorbei. Eine
Seitenlinie des berühmten Geschlechtes herrschte zwar noch bis
zum Ende des ZVIII. Jahrhunderts in Modena, aber es war nur ein
schwacher Zweig des einst mächtigen Stammes, das Herrscher vom
Schlage eines Alf onso undErcole nicht mehr hervorgebracht hat 1803,
nach dem Tode vonCesares letztem Nachfolger, Brcole Rinaldo III., fiel
Modena seiner Tochter lAaria Beatrice Ricarda zu, die mit Ferdi*
nandllL, Franz L Sohn, verheiratet war. Ferdinand wurde
auf diese Weise der Begründer der österreidiisch*
estensischen Linie, die sich mit geringen
Unterbrechungen auf Modenas Thron
bis zum Jahre 1859 behauptet
hat, bis das Herzogtum von
den Soldaten des eini-
gen Italien ein-
genommen
wurde.
VIERZEHNTES KAPITEL
HÖFISCHES LEBEN
ordttalfens Fflrstenhöf e bQdttn in der Renaiaaaoce dm
Gruppe für sich; ihre Kultur aetzt sich «us anderen
Komponenten anisammea als die der bfirgerlidi ge*
firbten Florentiner Gesellschaft, auch unterschd«
den sie sich in vielen Beziehungen von der Kultur
des Hofes Ton Neapel» und mit dem päpstlich-rdmischen
Hof lassen sie sich naturgemäB nicht vergleichen«
An der Spitie der nordischen Hdfe standen Ferrara» Mantua
und Mailand. Nach dem Beispiel von Ferrara und Bfantua modelten
sich die weniger glinaenden Hdfe von Bologna, UrUno, Carpi,
SaUonetta, Scandiano. Einige darunter haben eine gewisse Zeit
hindurch unter der Herrschaft des einen oder anderen hervorragen-
den Tyrannen eine gUhusende Rolle gespielt, um bald vom Schau*
plats abzutreten, sei es aus politischen oder aus finanziellen Grflnden.
Die kleineren Signori sonnten sich zumeist in der Gunst
größerer Hdfe; da sie sich auf ihrem kleinen Landsitz langweilten,
blieben sie Monate, selbst Jahre im Dunstkrtis des Hofes. Unter
diesen ilerrschem und dem noch niedrigeren Adel herrschte, um
ein modernes Wort am gebrauchen, ein gewisser Snobismus, eine
gewisse Befriedigung der Eitelkeit, wenn ein leiser Abglanz vom
Hofe der Este oder Gonzaga auf sie fiel.
Die geographische Lage trug dazu bei, diesen norditalienischen
Partikularismus zu fördern. Rom und Venedig waren die Zentren
der großen Welt Nach Rom kam man nur ein* oder zweimal im
Leben; die Reise war zu teuer, häufig gefShrlich, man sprach und
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träumte Jahre daTon. Nach Venedig fuhr man häufiger und pflegte
mit leeren Taschen zurückzukehren. Um Einkäufe zu machen oder
um sich zu amüsieren, ging man in die Lagunenstadt, aber man wählte
sie nicht zu seinem dauernden Wohnsitz, denn das kaufmän-
nische, reiche Venedig entsprach dem ritterttch-tendottieren Ge-
schmack nicht in allem. Der Hof Ton Ferrara trug das aristo-
kratischste Gepräge, die Este konnten das meiste Geld ausgeben
und den gröfiten Luxus entfalten. Mailand hatte außerordentlich
glänzende Augenblicke, aber der häufige politische Wechsel war
der Entwicklung einer höfischen Tradition hinderlich; sie lieh
gerade den estensischen Herzögen ihren gröfiten Glanz. Das Leben
in den ferraresischen Schlössern tmd Sommerpidästen galt als Vor-
bild höfischen Lebens schlechthin; Ton dort drang ein Abglanz
ritterlicher Kultur in die kleinen norditalienischen Höfe, Ton Fer-
rara tmd den Este wurde am meisten ges|Mt>chen, ihre Sitten galten
als Muster.
Abgesehen von den beiden Residenzen in Ferrara und den zahl-
reichen dortigen Palästen, erbauten die Este sieben gröfiere Sommer-
paläste: Belfiore, Bdriguardo, Bdiredere, Coppara, Masola, Con-
sandolo und Sabioncello, auBerdem hatten sie, wie sdion erwähnt,
ihren Palast in Venedig.' Ferrara lag in einer reizlosen Ebene, ea
galt also prächtige Gartenanlagen mit künstUdien Kanälen und
Seen zu schaffen, um die Sommerresidenzen wohnlidi zu gestalten
und ein m<^lichst abwechslungsreiches BUd zu sdiaffen. Auf den
Kanälen schwammen Schwäne; zahme Tiere, die in den Hainen
frei umherliefen, oder wilde in Zwinger gesperrte, bdebten das
Gartenbild. Die Wände der Paläste wurden mit Fresken geschmückt
oder mit Arazzi behängt, die die Este in groBer Zahl besafien. Schon
tmter Niccolo HI. hatte der ferraresisehe Hof über dreihundert
flandrische Teppiche und eine groBe Anzahl prächtiger Vorhänge
aus Tuch und Samt mit Blumen, Drachen und anderen phan-
tastischen Heren in Gold und Silber gestickt.
Im Parke Barca, der unter Ercole L angelegt wurde, hidt man
Kaninchen, Hasen, RAe, Damhirsche und Wildsdiweine, im
Belvedere züchtete man unter Alfonso I. Truthühner, Straufie,
Tauben, sehr seltene kleine Adler, selbst Elefanten. Ariost hat
HÖFISCHES LBBBN
409
dieses stolze SchloB mit seinen Gärten in seinem Orlando beschrieben.
Im Park Barcfaelto hatte Ercole II. trier Giraffen, die ihm der däni-
sche KBnig Christian VII. geschenkt hatte. Die Gärten und der
Tierpark im SdiloB zu Mansola Waren Ton so groBer Ausdehnung,
daS die umfassende Hauer zwSU Meilen lang war. «
Oberseeische Tiere, namentlich Vägel, interessierten die Fürsten
auSerordentiidi, man machte sie sich gegenseitig zum Ge-
schenk* Als in der ersten Hälfte des ZVI. Jahrhunderts die Portu-
giesen auf der Insel Ifauritius einen unbekannten Vogel in der
Grdte eines Schwans entdeckten, strebten alle europäischen Höfe
nadi sekiem Besitz. Dieser Vogel wurde auf holländisch Dront, „der
Ge8diwollene'SoderTerstümmeltDontgenannt;dleH5feTer8c9ienkten
ihn sidi untereinander als grOfite Seltenheit, und das Wundertier
wurde sogar porträtiert. Alf onso I. sah den Vogel im Tiergarten
Ton Franz I. von Frankreich, lieB ihn porträtieren und schickte das
Bild seinem Bruder, dem Kardinal IppoHto, nach Erlau. Im Wiener
Hofmuseum befindet sich ein Bild Ton Roland Savery, auf dem dieser
Vogel dargestellt ist. Lebendige Donte gab es noch im XVII. Jahr-
hundert in den Menagerien zu London und Oxford, es waren die
letzten Exemplare dieser Art.
Als Alfonso erfuhr, daB in Venedig in Gioranni Comaros Palast
eine sehr schdne Gazelle aus Afrika eii^etrof fen sei, — ein Tier, das
er noch nicht kannte — beauftragte er seinen Gesandten Tebaldi,
Tizian zu bitten, sie zu malen. Leider war die Gazelle schon tot
und sogar in den Kanal geworfen worden, so daB Tizian den herzog-
lichen Auftrag nicht erfüllen konnte.
Der Hof imd das Reich waren identisch. Alles drängte zum Hof,
für den Hof arbeitete der Landmann, der hinter dem Ton sechs
Ochsen gezogenen Pflug einherschritt; auf das SchloB stützten sich
Handel und Gewerbe, in Ferrara so gut wie in Modena. Und eine
der Triebfedern jeglichen Geschehens am Hof war Prachtentfaltung,
die Lust sich zu zeigen, Glanz zu Terbreiten, andere durch Reichtum,
Luxus, prachtvolle Pferde, Hofnarren, Zwerge, goldne Gewänder
zu blenden, mit einem Worte, Aufmerksamkeit zu erwecken und zur
Bewunderung zu reizen. Das Verlangen nach Luxus war ein Erb-
stück der mittelalterlich-ritterlichen Höfe und die groBe RoUe, die
4XO
VIBRZBHNTBS KAPITBL
die Kunst in der Renaissance spielte, trug dazu bei, dieses Verlangen
SU steigern* Man brauchte Luxus und verstand ihn su entfalten.
Wenn man Privatbriefe aus dem XV. und ZVI. Jahritandert
liest, die gleichseitigen Chroniken durchbUtfeert, so dringt sich einem
der SfhluB auf. Feste, flppige Hochseitsfeierlichkeiten, Empfinge
▼on Kaiser und Papst, das Bewirten einfluBreicher Nachbarn haben
den eigentlichen Lebensinhalt der herrschenden Klasse ausgemacht.
Um sich SU seigen, groSartig aulzutreten, borgten die Pflrsten be-
deutende Summen bei Wucherern, Tersetsten Familienkleinodien
und schröpften die Untertanen bis sum äußersten. Luxus sdieint
der Daseinssweck dieser Hdfe und Dynastien gewesen su sein«
Selbst die Pflege der Literatur und Kunst, von der soviel die Rede
ist, die Unterstütsung der Künstler entsprang bei den Renaissance*
f ürsten selten einem geistigen Bedfirfnis, sie war in der Hauptsadie
der AusfluB der Bhrbegier und des Ruhmes. Von den sieben esten*
sischen Herzögen in Ferrara im ZV. und ZVI. Jahrhundert hatten
nur Lionello und Alf onso L ein inneres Verhältnis su Poesie und
Kunst, die anderen, selbst Borso und Ercole L, folgten in ihrer Unter-
Stützung von Künstlern und Gelehrten nur der Mode der damaligen
Zeit, sie wollten es den Medici gleich tun, einer künstlerisch be-
sonders begabten Familie. Wie gewöhnlich, standen die Frauen in
dieser Beziehung höher und brachten Literatur und Kunst wirkliches
Interesse entgegen; genannt seien nur Isabella Este Gonzaga,
Lucrezia Borgia und Elisabetta Gonzaga. Die Architektur fand
unter den Fürsten die meisten Verehrer, mit ihrer Hilfe konnten sie
ihre GröBe und Macht am besten nach auBen bekunden.
Diese „gewaltigen Naturen, diese Menschen mit despotischen
Instinkten^S die mit Ausnahme der Este fast sämtlich von Con-
dottieren abstammten, verlangten nach Ruhm und Ehre und wollten
eine Rolle in Italien spielen. Nicht jedem war die Möglichkeit zu
kriegerischer Betätigung verliehen; um das Glück des Volkes war
man wenig besorgt, und da es noch keine Zeitungen gab, fielen all-
tägliche Begebenheiten schnell der Vergessenheit anheink Die
Despoten warteten mit Ungeduld auf den Augenblick sich zu seigen,
sie sehnten sich danach, daB von ihnen gesprochen, daB nach Rom
und Neapel, selbst an den französischen und kaiserlichen Hof von
HÖFISCHES LBBBN 4IX
ihrtn RdchtOiiism und dem Glanz ihrer Hofiialtutig berichtet werde.
Wenn sie auf Reieen gingen, was stets ungeheure Sununen ver*
schlang, so wollten sie die Bewunderung der Gleidistdienden und
das sich Demfitigen der Blassen spQren«
Dieser Wunsch, Bewunderung zu erweckent beherrscht die Aus-
gestaltung des Hofes, die Reisen der Ffirsten, ihre Hochzeiten und
Begräbnisse, überall Glanz und Zurschaustellung« Ferrara war ein
in dieser Beziehung tyiiisdier Hof. Kunstgewerbe, soweit es sich
auf die Einrichtung des Hauses, die Kleidung, das Zaumzeug der
Pferde und Saumtiere bezieht, erreidite dort eine höhere Stufe als
anderswo, da die Herzöge auf jeden Gegenstand achteten und audi
die geringste Kleinigkeit künstlerisch ausgestaltet haben wdUten.
Sie bef<dgten dtfin die Zeitströmung, die in freien Vereinigimgen,
in Handwerkerzünften aufgekommen war, indem sie danach streb-
ten, daB alles von ihnen Geschaffene ein kleines Meisterwerk seL
Der Schönheitssinn war in der Renaissance lebendig, der Verfall
des Geschmackes machte sich erst spiter geltend in den Zeiten
Idrdilicher Reaktion und protestantischen Puritanertums im XVIL
und ZVIIL Jahrhundert und noch sp&ter, als die fabrikmifiige Her-
stellung aller Dinge begann.
Neben Pomp und Luxus herrschte am Hofe im täglichen Leben
eine unerhörte Einfachheit. Von ii^;endwelchen Bequemlichkeiten
in der Einrichtung der Häuser war nicht die Rede, die kostbarsten
Kleinodien auf der einen, der unglaublichste Schmutz auf der andern
Seite. Nur wenn fremde Gäste erwartet wurden, wurden die Löcher
in den Dächern geflickt und die gesprungenen Zimmerwände mit
Teppichen behangen. Als man Friedrich IIL in Ferrara erwartete,
wurden in aller Eile die Balkons im SchloB angestrichen und die
Marmorsäulen gescheuert; da es aber keine Scheuerlappen gab,
nmßten schleunigst Wer Schwämme gekauft werden. Die Korridore
und Loggien waren nachts nicht beleuchtet; damit sich die Deutschen
nicht die Köpfe einstieBen, wurden eiserne Haken angebracht, um
Laternen aufzuhängen und fünfzehnhundert Pfimd Talglichter
gekauft. Nach der Abreise des Kaisers nach Rom fand es die Diener-
schaft überflüssig, die Räume, die er bewohnt hatte, in Stand zu
halten, und bei seiner Rückkehr muBte man sie wieder in Ordnung
4za VIERZEHNTES KAPITEL
bringen, da sich Unrat darin angesantmelt hatte. Und dabei waren
die Wände mit flandrischen Arassi ausgeschlagen und die Betten
mit Seide, Samt und Brokat bedeckt. Ob der Kaiser auf goldge-^
stickten Kissen bequem schlafe, daran scheint niemand gedacht
SU haben, es ging nur darum, durch Pradit su blenden. In gewöhn-^
fidien Zeiten waren die markgrlflidien Betten mit Leintüchern be«^
deckt, in die die Miuse Löcher genagt hatten, oder mit Decken, die
in Fetzen zerfielen. Die ISardiesana Ricdarda hatte ein Schlaf-^
sinuaer, das mit den teuersten Teppidien beliangen war, aber das
Bett war mit ganz grobem Leinen gedeckt, und Madonna Lucia^
eine von Parisinas Töchtern, lag unter einer zerfetzten Dedce.
Borso, der Brokatbeinkleider trug und Schmuck von unsdiäts»
barem Wert an seinem Barett, schlief auf einem Strohsack und
hatte zumeist ein schmutziges Kissen unter seinem Kopf. In
den Garderoben wurden die kostbarsten Pelze und Gewänder auf*
gespeichert, aber selbst die Markgrafen trugen geflickte Kleider»
Sehr häufig flickten sie sie selbst, und zu den Toilettenutensilien
jedes Signore und Edelmannes gehörte eine Schachtel mit Nadeln
und vielfarbigem Zwirn. Erst Ercole I. weigerte sich, seine Knöpfe
selbst anzunähen, und gab einem Schneider sein Wams zum FUcken»
Die Hofpagen trugen silbergestickte Kleider, aber sie schliefen der
Länge nach auf dem Stroh hingestredkt; 1474 wurde zum erstenmal
Leinen gekauft, um Strohsäcke für sie herzustellen, und audi das
geschah nur, weil sie an ihren Stiefeln und Kleidern Strohhalme
durch das ganze SchloS trugen. Die Knaben trugen ihr Haar lang
bis über die Schultern fallend, aber sie besaBen keine Bürsten, man
gab ihnen nur Holzkämme, und ihr einziges Toilettengerät bestand
in einem kupfernen Wasserkrug.
Der ganze Hofstaat wurde auf herzogliche Kosten gekleidet,,
selbst die Hofleute aus den ersten Familien, die Donzellen, die Dichter
bekamen die „Rädchen-Uvrfe". Jeder, der aus dem Dienste schied,
muBte seine Kleider zurückgeben. VTtT haben gesehen, wie der
armen Morata, Renatas Gesellschafterin und der Lehrerin ihrer
Töchter, Icaum das Hemd belassen wurde, das sie am Leibe trug.
Die niedere Dienerschaft bekam auBerordentlich selten neue Anzüge,
daher sahen diese Küchenjungen und die Knechte, die das Wasser
HÖFISCHES LBBBN 413
herbeiholten, schmutzig und zerrissen aus; selbst die P^dagocen am
Hofe sah man selten in halbwegs anst&ndigen Kleidern« lieliadus,
Nicolaus IIL Sohn, hatte Messer Prosdodmo zum Lehrer. Dieser
arme Humanist war so s^Xch mit WAsche versehen, daB er zu all-
gemeinem Ärgernis fast nackt einherlief • Meliadus selbst schrieb, als
er die Universitit in Padua besuchte, einen verzweifelten Brief nach
Hause, die Fattori generali mögen ihm fünf Ellen Tuch schicken,
da er sich sonst ohne Hosen auf der Strafie zeigen müflte. Auch
das Schuhwerk für den gesamten Hofstaat, „per tutta la famiglia'',
wurde von der herzoglichen Kasse bestritten, aber die Stiefel waren
wohl sehr schlecht gearbeitet, da die Herzöge und die ersten Hoflsuta
achtzig Paar jShrlich & Person verbrauchten; die übrigen bekamen
drei, die Donzellen zwei Paar Sfiefel \uid ein Paar Schuhe monatlidi.
Aus den Hofrechnungen unter Ercole L geht hervor, daB IsabeUa
d'Este als junges Mldchen im Verlauf von anderthalb Jahren
dreiunddreiSig Paar Stiefel verbraucht hat. Für ihre schlechten
Stiefel vnirden die Schuster schlecht entlohnt, oder mufiten zum
mindesten wie die übrigen Handwerker Jahre lang auf Bezahlung
warten. 1422 faBte ein Schuster Mut und folgte dem Markgrafen
nach Venedig, indem er ihn fußfSlUg bat, seine Rechnung zu
bezahlen; die Beamten in Ferrara hatten ihm gesagt, daB sie kein
Oeki hätten.
Erst unter Ercole I. begann man etwas mehr auf Bequemlich-
keit zu achten und den Hofstaat besser zu führen; die Herzogin, die
neapolitanischen Luxus gewöhnt war, wollte auch in Ferrara etwas
^vilisiertere Bräuche einführen.
Eine der Hauptsorgen der Este war, gute Informationen über
alles zu erhalten, was in der Welt vorging; hauptsächlich aus diesem
Grund hatten die Herzöge auch an kleinen Höfen Gesandte imd
Geschäftsträger. In den Berichten ist aber häufig von Politik gar
nicht die Rede, dafür wird selbst die geringste Klatschgeschichte,
die Ferrara interessieren könnte, nicht umgangen. Mit außer*
ordentlicher Ausführlichkeit werden Bälle, Feste und Jagden be-
schrieben, selbst die Totletten der Frauen nicht übersehen* Privat-
briefe und derartige Berichte traten bis zu einem gewissen Grade
an die Stelle von Tageszeitungen, wenn sie aber längere Zeit
414
VIERZEHNTES KAPITEL
«usblieben und die Neugierde stieg, suchte man sie durch astrolo-
gische Prophezeiungen zu stillen.
Gegen Ende des ZV. und zu Beginn des XVI. Jahrhunderts
beginnen die italienischen Astrologen, Zeitungen in bescheidenstem
Umfang zu begründen, indem sie sogenannte „giudid^S Prognosen,
herausgeben. Die berühmteren unter ihnen erlieBen Ton Zeit zu
Zeit, besonders ziun x. Januar, politische Prophezeiungen. Diese
kleinen Schriften, die zumeist ganz inhaltsreich imd kurz sind, er-
schienen in sehr viel Exemplaren imd wirkten stark auf die öffent-
liche Meinung. In Ferrara spielten die Astrologen eine geringere
Rolle als in Hantua oder Hailand, da die nüchternen Este weniger
zum Aberglauben neigten als die Gonzaga oder Sforza. Isabella
d'Estes Gatte vertraute den Astrologen so sehr, daB er fast immer
ihre Ansicht über Menschen, die er sehen, tuid über Dinge, die er
tun sollte, einholte. Die Vbconti imd unter den Sforza nament-
lich Lodovico Moro imtemahmen nicht "das geringste, ohne den
Hofastrologen um Rat zu befragen. In Ferrara wurden Uhglücks-
tage sehr beachtet, die Astrologen machten dem Herzog ein genaues
Verzeichnis der Tage, an denen er nichts Wichtiges imtemehmen
sollte. Jeder größere Hof mußte seinen Astrologen haben, und selbst
einzelne Kardinftle, wie unter anderen IppoBto d'Este, Ariostos Pro-
tektor, konnten ohne den gelehrten Sterndeuter nicht auskommen.
Niccolo III. und Borso hatten ihre Astrologen und unter Ercole L
begegnen wir schon 1468 „Prognosen^^ Ercole beschAftigte sidi
überhaupt in ungewöhnlichen MaBe mit allem, was in der Welt vor-
ging; über die Expeditionen nach Amerika wollte er auf dem Lau-
fenden gehalten werden und ließ sich die Prognosen fremder Astro-
logen schicken. 1478 bekam er ein Schrift chen, das der berühmte
Astrologe Robert de Monteregio in Nürnberg herausgegeben hatte.
Es war eine traurige Prognose: furchtbare Kriege und Seuchen
wurden Italien prophezeit, einigen italienischen Fürsten ohne
Nennung ihres Namens mit dem Tode gedroht, außerdem ließ
Monteregio durchblicken, daß ein großer König plötzlich ah Gift
sterben würde. Für den Herzog von Ferrara fand sich ein ange-
nehmes Wort, er würde sich durch seine Tapferkeit besonders aus-
zeichnen und im Krieg wie im Frieden schienen ihm günstige Sterne
hOfischbs lbbbm 415
SU kuchten. Im ArchiT su Modeaa befindet sieb aucb eine Prognose
aus dem Jahr 1502, ibr Verfasser war Domenico Maria Novara,
Koperaikus* Protektor, Perraras berühmtester Astrologe im 1$. Jahr»
hundert war Avogario oder Avogardo; er unterrichtete an der
dortigen Universitftt von 1455 bis 1475 und hat zaUreiche Schriften
VerfaSt. Die Este haben ihn aufierordentlich geschätzt und groß-
artig beschenkt, doch hinderte sie dies nicht, ihn zu bestrafen, ab er
einst in seinem „giudizio'' Prophezeiungen brachte, die dem ferra-
resischen Hof nicht günstig schienen« Von diesem Augenbttck an
muBte er dem Herzog seine Prognosen vor der Drucklegung vor«
legen; es ist das erste Beispiel einer an Zeitungen geübten Zensur.
Alles, was dem Herzog mi0fiel, wurde ausgestrichen, damit die
öffentliche Meinung nicht in einer ihm unsjrmpathischen Weise
beeinfluBt werde.
Avogarios Nachfolger, Pietro Bono, legte gleichfalls dem Herzog
seine Prognosen zur Zensur. vor; einmal jedoch, im Jahre 1508,
hatte er ohne Wissen des Herzogs Dinge verkündet, die dem König
▼on Frankreich unangenehm waren, infolge dessen mußte er sich
hüten, nicht in die Hände der königlichen Agenten zu fallen.
Die Astrologen haben ihre Herren sehr häufig zu irgend einer
Expedition oder Tätigkeit angeregt, wenn ihnen die Konstellation
der Sterne günstig schien, sie rieten ihnen im richtigen Augenblick
zuzugreifen, „a tttapo plgliar la fortuna'^ So gut wie in wichtigen
Dingen war der Rat des Astrologen auch in den geringsten Vor*
kommnissen des täglichen Lebens notwendig; man holte seinen Rat
ein, wenn es sich darum handelte, eine Medizin, ein Pulver, eine
Mixtur einzunehmen; man fragte die Sterne, ob die Stunde günstig
sei. War Borso krank, so fragte Gonzaga seinen Astrologen, wann
der Herzog von Ferrara sterben würde; der Sterndeuter hatte sich
nur um einen Monat verrechnet, er hatte den kritischen Augenblick
auf den ly. Juli verlegt, und Borso starb am bo. August. Einen un-
geheuren Eindruck machte es der italienischen Gesellschaft, als der
Florentiner Astrologe, Cristoforo Landino, die Geburt eines für
die Kirche gefährlichen Reformators in Deutschland vorhersagte,
man bezog diese Prophezeiung später auf Luther. Zu dieser
Prophezeiung bedurfte es einer Frage an die Sterne nicht, der
4l6 VIBRSBHNTBS KAPITEL
Mifidergang der Urcbe bcrechti(te zur Annahtne, 4aB Meoschea
auftreten würden, um den Kampf mit der rSmischen Veiderbnis
aufzunehmen. Am berfihmtesten waren Aretins Propbeaeiungen,
die der geschickte Pamfihletiet von Venedig aus yersandte. Er kannte
mehrere unter den Herrschenden» hatte Beziehungen zu sehr Tiel
llenschen, die eine heryorragende Stelle einnahmen! und bekam ▼o&f
überallher Briefe; so konnte er die besten Informationen über alles
haben» was in Italien vorging. Auf diesen Nachrichten fufiend, ver-
faßte er seine Prognosen und firophezeite Dinge» an die niemand
sonst dachte*
II
Bernardo Bellincioni» Lodovico Moros Hofdichter, sdirieb einst»
die Herren ▼erbergen soiriel Geheimnisse und soviel Btees in
ihrem Herzen» dafi man sie nach dem Schein nicht beurteilen kOnne:
Quanti segreti in petto
E malizie e rispetto hanno e' signori
Che non si posson giudicar di fuori.
Keiner von ihnen spräche viel» sie verbergen ihre Gedanken»
beherrsdien ihren Zorn, aber sie warten auf die Gelegenheit» um
sich zu r&chen. So steigt auch der Falke ruhig in die Luft» bis er
im gegebenen Augenblick wie der Blitz auf sein Opfer niederfällt
Herrschsucht» Liebe und Vendetta waren die drei Haupttrieb-
federn der Renaissance-Tyrannen. Man sprach und schrieb da-
mals viel von Ritterlichkeit» Ehre imd den Vorzügen der Tugend»
und Castsglione gehörte zur Zahl der Moralisten» die ihre Gesell-
schaftsklasse durch den Hinweis auf die Antike zu idealisieren ver-
suchten. Auch Ferrara fehlte es an einem solchen Moralisten unter
Alfonso IL nicht. Es war der Graf Annibale Romei» der in seiner
Abhandlung »»Discorsi'^ der Contessa di Scandiano» der Signcnra
Isabella Bentivoglio und der gesamten Damen- und Herrenwelt» die
im estensischen Schlofi in Masoli versanunelt waren» empfiehlt»
über Schönheit» Ehre» Edelmut und Reichtum nachzudenken. Wenn
man diese gelehrten Abhandlungen liest» so kfonte es scheinen»
HÖFISCHES LEBEN 4x7
als wäre die Gesellschaft an italienischen Höfen vor allem darauf
bedacht gewesen, Seele, Geist und Herz zu bilden. Hinter all dem
steckt aber wenig Wahrheit, jene Abhandlimgen und Gespräche
über Liebe und Ehre waren eine Art gesellschaftlichen Turniers,
die Herren und Damen der großen Welt kopierten gelegentlich die
Disputationen der Professoren, sie übten sich in der Kunst der
Beredsamkeit, aber alles blieb für sie Theorie, und ungezähmte
menschliche Leidenschaften bahnten sich ihre eigenen Wege. Das
Moralisieren hatte nur den Zweck, daß man seine finsteren Leiden-
schaften hinter einer glatten äußeren Schale verbarg. MachiavelU
verlangt vom Fürsten, daß er Fuchs und Löwe sei, „il principe
della bestia deve pigliare la volpa e il lione''; Füchse waren sie alle,
aber bis zum Löwen brachten es nur wenige. Den Dynastien ging
es in der Hauptsache lun den äußeren Glanz des Geschlechtes und
die Terrorisierung der Gesellschaft. Jeder der Untertanen sollte
davon durchdrungen sein, daß die Vendetta seiner harre, falls er
sich etwas gegen die herrschende Familie zu Schulden kommen
lasse. Ehre und edler Ruhm waren etwas Untergeordnetes. Der Fürst
durfte ungescheut die größten Bilissetaten begehen, ohne seinen guten
Namen zu gefährden, aber ein ihm zugefügtes Unrecht oder eine
Beleidigung durfte er nicht vergessen. Eine solche Vergeßlichkeit
hätte die Uacht der Dynastie tmtergraben. Der Terrorismus der
Despoten brachte es mit sich, daß die Bfitglieder der größten Ge-
schlechter sich als gemeine Mordbuben brauchen ließen.' Ariosts
Vater fuhr nach Mantua, um den Feind seines Herzogs zu vergiften;
bei Contraris Ermordung haben Leute wie Bentivoglio imd Strozzi,
die Vertreter der vornehmsten Fanülien, Henkersdienste geleistet. Das
Werkzeug des Tyrannen beim gemeinsten Verbrechen zu sein, tat nie-
mand Abbruch, aber gegen die Regeln des Turniers oderZweikampfes
zu verstoßen, bedeckte den Namen mit unauslöschlicher Schmach.
Die Tyrannengeschlechter standen außerhalb aller Maorlge-
setze, sie durften die größten Verbrechen begehen, denn die Macht
war in ihren Händen. Selbst die Päpste taten die Fürsten für ge-
wöhnliche Verbrechen nicht in den Bann, nur für politische Ver«
gehen, die gegen die Macht und die Herrschaft der Kirche verstießen.
Rom hatte die herrschenden Familien stets als Ausnahmegeschlechter
«7
4l8 VIERZEHNTES KAPITEL
betrachtet, für die die bestehenden Moralgesetze nicht galten. Mit
der Tugendrose haben die Päpste Niccolo III. bedacht, der Parisina
hatte ermorden lassen, ebenso viele andere Verbrecher unter den
Tyrannen, wenn es darum ging, sie für die Politik der römischen
Kurie zu gewinnen. Als Vincenzo Gonzaga 1537 den Thron von
Mantua bestieg, war er fünfundzwanzig Jahre alt und bereits von
seiner ersten Gattin, einer Farnese, geschieden. Man erzählte sich,
die Ehe sei auseinandergegangen, da Vincenzo seinen ehelichen
Pflichten nicht genügen konnte. Als der Markgraf sich um die Hand
der Tochter des toskanischen Großherzogs Francesco bewarb»
stellte der GroBherzog zur Bedingung, daß Gonzaga den Beweis
seiner männlichen Kraft erbringe. In Venedig sollte diese eigen-
artige Prüfung stattfinden. Man wählte ein schönes Bilädchen»
eine Bastardtochter der Albizzi, die eine sorgfältige Erziehimg
in Florenz erhalten hatte. Mit Genehmigung der Bischöfe und
Kardinäle, da Francesco ein frommer Herrscher war, wurde sie in
Gesellschaft vertrauenswürdiger Frauen nach Venedig geschickt.
An der Spitze dieser Escpedition stand der Cavaliere Belisario Vinto^
der Sekretär des Geliebten von Bianca Capello, ein Mann, in den man
Vertrauen setzen diurfte und der in delikaten höfischen Angelegen-
heiten wohl bewandert war. Die Expedition verlief zu allgemeiner
Zufriedenheit, und der GroBherzog hatte die Sicherheit, seine Tochter
ruhig dem zu Unrecht verleumdeten Gonzaga anvertrauen zu können.
Man muB sich wundern, daB die Renaissance-Herrscher nicht
blutgierige Tyrannen gewesen sind, es waren aber zum größten
Teil nüchterne, scharf denkende Naturen, die nur gerade soviel
Böses taten, als unbedingt geschehen mußte. Sie rechneten mit
der Bevölkerung und wollten sie nicht ziun Äußersten treiben. Außer-
dem verstanden sie das Leben zu genießen, sie waren Feinschmecker
des Lebens — das trat in allen höfischen Einrichtungen zu Tage..
III
Wer das Verhältnis der Geschlechter zueinander im XVI. Jahr*
hundert nach den Deklamationen Castigliones im „Corte-
giano'S Bembos in den „Asolani'S Sperone Speronis in den „Dia-
HÖFISCHES LEBEN 419
loghi'S Tassos in den verschiedensten Abhandlungen beurteilen
wollte, und die Flut der Sonette für ein Abbild dessen hielte, was sich
in der Wirklichkeit abgespielt hat, würde sich die denkbar ver-
kehrteste Vorstellung der damaligen Zustande machen« Ein Abbild
der tatsächlichen Zustände findet man eher in den charakteri-
stischen damaligen Sitten, in Privatbriefen, Novellen oder in jenen
„Capitoli'' benannten politischen Erzeugnissen, in denen Satiriker,wie
Bemi, Della Casa, Varchi, Molza, Bembo, Firenzuola, Aretino die
oft heikelsten Themen in einer witzigen, anziehenden, glänzenden^
poetischen Form behandelt haben«
Als die Epoche des eigentlichen Ritterromans mit Ariost zu
Ende war, kam die Zeit der Novelle. Gelegentlich hat sie die Literatur
mit Unkraut überwuchert, aber die Novelle hat sich ans Leben ge-
halten, aus der vorhandenen Tradition geschöpft, und deshalb ist
sie ein unerschöpflicher Schatz für den Kulturhistoriker.
Fast jede Stadt imd Jedes Kulturzentrum hatten ihre Novel-
listen: Florenz Firenzuola, Lasca, Machiavelli, Rom Molza, der
zwar aus Modena stammte, aber allmählich zum Römer geworden
war, Venedig Straparola, Parabosco Erizzo, Ferrara den berühmten
Battista Giraldi, dessen himdert Novellen „Hecatommiti'' zu
groBem Ruhm gelangt sind; sie alle überragt Bandello, der ganz
Norditalien angehört. Jeder seiner zweihundertneimzehn Novel-
len ist eine Widmung vorangestellt, eine Art Brief an die verschie-
densten Personen gerichtet, der vielleicht noch farbiger und für die
Zeit aufschlußreicher ist als die Novellen selbst. Bandello lebte
von 1480 bis 1542 in Italien, später in Frankreich, wo er 1560 als
Achtzigjähriger gestorben ist. Die berühmten Frauen seiner Zeit
hat er sämtlich gekannt: Beatrice d'Este, die Markgräfin von
Mantua, Giulia Gonzaga, Vittoria Colonna, Costanza Rangone
Fregoso, Ippolita Torelli; er hat bei den Geliebten von Lodovico Moro
verkehrt, bei Lucrezia Crivelli und Cecilia Gallerani, und seine be-
sondere Gönnerin war Ippolita Sforza, die zweite Frau von Alessandra
Bentivoglio, den Julius IL aus Bologna vertrieben hat. In seinen
Erzählungen hat er sie alle gefeiert, „Eroine Bandelliane", wie sie
Scaligeri, ein unbedeutender Dichter, genannt hat. Aber Bandello
hatte auch imbekannte Heldinnen» denen zwar der historische
27*
420
VIERZEHNTES KAPITEL
Name fehlt» nicht aber das leidenschaftliche Herz; er schildert
Frauen aus allen Gesellschaftsständen; auch Kurtisanen, wie eine
Imperia, eine TuUia d' Arizona, eine Isabella de Luna, die zuweilen
Herzensparoxysmen unterlagen, fehlen nicht« Bandello ist nicht
mehr der Epiker des Rittertums allein, er schildert die gesamte
Bevölkerung, die herrschende Kaste wird nicht allein als dar-
stellungswert befunden, der Horizont des Schriftstellers hat sich
erweitert. Er wirkt weder allzu tragisch noch allzu komisch, er
schildert das Leben in seinen ▼erschiedensten Formen, und infolge
dessen kommt er von allen Schriftstellern des Cinquecento dem mo«
demen Empfinden am nächsten. Den Inhalt seiner Novellen büdet
in der Hauptsache Ehebruch; die Novellisten des XV. und XVL
Jahrhunderts haben ihr Thema aus dem Leben geschöpft, so gut
wie die modernen französischen Romanschriftsteller. Der Eng-
länder Aschau, der im XVI. Jahrhundert nach Italien kam, dankte
dem Himmel, daß er dort nur zehn Tage geblieben ist, da er in
dieser kurzen Zeit dort mehr Zügellosigkeit gesehen habe als in
London im Verlauf von neun Jahren. Der Engländer hatte schon
80 unrecht nicht, der Verkehr der Geschlechter war in Italien frei,
ja zügellos genug, aber in den höheren Klassen gab es Grenzen
für diese Freiheit, es galt den Schein, „decoro'S zu wahren. Der
Schein wurde der Tugend gleich geachtet, die „onesta*' der ^e-
frau war durch ihn bedingt. Alles sollte in der Renaissance seihe
schöne geschlossene Form haben; was dieser Form widersprach,
galt als unmoralisch. Darauf beruhte die Ethik der Renaissance.
Auf die italienischen Sitten, -namentlich auf die Sinnlichkeit hat
die Berührung mit den Spaniern außerordentlich ungünstig einge-
wirkt; die Kriege mit Spanien und das Eindringen spanischer Art
im Frieden war vielleicht das größte Unheil für die italienische
Renaissance. Die Spanier, die sinnlichsten und grausamsten aller
südlichen Völker, haben der italienischen Gesellschaft ihr Gift ein-
geimpft. Mit den Borgia kamen zügellose spanische Kurtisanen
und üppige Prälaten, ihnen folgten die brutal-leidenschaftlichen
spanischen Romane. Die spanische Ritterschaft hat jeder guten
Sitte Hohn gesprochen. Selbst an der italienischen Kirnst ist die
spanische Seuche nicht spurlos vorbeigegangen. Giulio Romano
HÖFISCHES LEBEN 421
(1492 — 1546) und Benvenuto Cellini (1500— 1570) eröffnen die
Schar der Künstler, die der spanischen Sinnlichkeit erlegen sind;
Ribera, Spagnuola, Caravaggio und die ganze bolognesische Schule
haben sich auf dieser Grundlage weiter entwickelt.
Die brutale Sinnlichkeit erzeugte eine uneheliche Reaktion
in der Gesellschaft, eine verlogene Sentimentalität, die sich aus-
gezeichnet auf dem Stamme des Petrarkismus entwickeln konnte.
Dieses unechte Gefühl begann lun die 60 er Jahre des XVI. Jahr-
hunderts das Verhältnis der Geschlechter zu beherrschen und in
der Literatur durchzubrechen. Es tritt gleichzeitig mit dem Barock
in der bildenden Kirnst auf, und man könnte, soweit Novelle und
Dichtkunst in Frage kommen, von einem Barock in der Literatur
sprechen. Das glänzendste Beispiel dieser barocken Romantik ist
Bandellos hübsch erzählte Novelle von dem Veroneser Liebes-
paar. Shakespeare hat den Stoff aufgegriffen, entwickelt, ver-
tieft imd daraus jene einzige, stärkste Liebestragödie der Welt
geschaffen, die Geschichte von Romeo und Julia ^).
IV
Die elegante Frau der Renaissance sah wie ein lebendiger Rebus
aus, dessen Lösung allein dem Gatten Schwierigkeiten bereitete.
Alles in ihrer Kleidung hatte eine besondere Bedeutung. Die auf
ihr Kleid gestickte oder in den Stoff verarbeitete Devise charakte-
risierte ihren momentanen Seelenzustand; verschiedene Zeichen
in ihrer Toilette oder in der Art, wie sie ihren Schmuck gefaßt hatte,
standen mit ihrem Glauben an den Einfluß der Planeten auf mensch-
liche Schicksale in Zusammenhang; die Farbe ihrer Kleider oder
Wappenzeichen richtete sich nach der Tradition ihrer Familie;
selbst das Parfüm, das sie benützte, hatte eine gewisse Bedeutung.
Um das Herz ihres Geliebten warb sie mit der Sprache von Seiden-
stoffen, Saphiren, Smari^den, mit dem Duft von Ambra imd
^) Shakespeare hat auch die inhaltlich verwandte Novelle Lodoricos da
Port „Giulietta e Romeo'* 1524 benutzt
422
VIERZEHNTES KAPITEL
Kräutern des Ostens, die sie selbst nach geheimem Rezept zu
mischen verstand«
Tonangebend für die Mode in Norditalien war mehrere Jahre
Isabella Gonzaga, diese ungewöhnliche, hochbegabte Frau, über
die die Zeitgenossen, mit Ausnahme Aretins, sich in Überschwang-
liehen Worten ergehen. Die Markgräfin änderte ihre Devise häufig,
ihr beliebtestes Zeichen war ein goldener Leuchter, den sie in den
verschiedensten Formen auf ihre Kleider sticken lieB. Der in sie
verliebte Giovio, der joviale, scharfe Historiker, fügte diesem Zeichen
die Devise hinzu: „suffidt unum in tenebris'^ Diese Worte ent-
hielten die Schmeichelei, daß ein Licht wie sie die Dunkelheit zu
erhellen vermöge. Isabella hatte eine Art von Perücke aus seidenen
Fäden tmd Bändern aufgebracht, die „capigliara'S die sie auf dem
Bild der Wiener Galerie trägt. Diesen nicht gerade schönen Schmude
neideten ihr die Damen der benachbarten Höfe, und die eine, Eleo-
nora Rusca, bat um die Erlaubnis, diese „notabile invenzione''
tragen zu dürfen. Aus Krakau schrieb die Königin Bona am 15. Juni
1522 an Isabella, nannte sie „fönte et origine di lucte le belle
foggie d'Italia^' und bat um Bericht über die neueste Mode. Selbst
die Königin von Frankreich ließ sich ein Paar Handschuhe von
ihr zuschidsen, die besonders für die Pflege der Hände geeignet
sein sollten. Isabella erfüllte den Wunsch der Königin, aber als die
Handschuhe nach Paris kamen imd der ferraresische Gesandte,
Alfonso Ariosto, ein Verwandter des Dichters, sie aus der Schaditel
herausnahm, verbreiteten sie einen so schlechten Geruch, daß der
arme „orator" in der größten Verlegenheit war, ob er sie der Köni-
gin bringen oder verbrennen sollte. Die Handschuhe enthielten
eine Fettigkeit, die unterwegs verdorben war. Die Königin freute
sich des Geschenkes sehr und versicherte, daß der schlechte Ge-
ruch der Handschuhe ihre Brauchbarkeit in keiner Weise beein-
trächtige. Pietro Bembo war glücklicher; Isabella hatte ihm nach
Rom ein Büchschen duftender Pomade geschickt, die unversehrt
ankam, und Bembo rühmte sich, ein wichtiges Toilettenmittd zu
besitzen, das die Markgräfin allein zubereiten könne. Isabella be-
stimmte nicht nur die Mode, der sich natürlich die Damen in Fer-
rara imterwarfen, auch die meisten literarischen Neuheiten tauchten.
HÖFISCHES LEBEN 423
zum erstenmal an ihrem Hof auf. Wenn die Markgräfin erfuhr,
daß der eine oder andere Dichter ein neues Buch oder nur ein neues
Sonett verfaßt habe, schrieb sie unzählige Briefe, um in den Besitz
dieses literarischen Erzeugnisses zu kommen. In ihrer Bibliothek
befanden sich alle Neuerscheinungen: Bembos »»Asolani'^ so gut
wie Sannazaros „Arcadia" oder die Sonette der venezianischen
Petrarkisten. Alles Neue fesselte sie, imd sie nahm keinen Anstoß,
in ihren Gemächern neben dem Bildnis Leos X. die Porträts von
Erasmus Rotterdamus und von Luther aufzuhängen. Sie wollte
in jeder Beziehung die erste unter den Damen der norditalienischen
Höfe sein, und so war es ihr auch darum zu tun, soviel Kunstwerke
und Bilder zusammen zu bekommen, wie nur irgend möglich,
namentlich war sie „avida di anticaglie'^ Die Este hatten eine
Vorliebe fOr antike Medaillen und Münzen; die Mode, „anticaglie'<
zu sammeln, war so allgemein, daß man sogar anfing, darüber zu
spotten, und Sadoleto klagte einst, „die antike Krankheit^' sei in
Wahrheit zum Wahnsinn ausgeartet, den man „heilen müsse'^
Isabella war um ihrer Reize willen so berühmt, daß Giangiorgio
Trissino, der bereits erwähnte Humanbt aus Vicenza, sie als Typus
der Renaissance-Schönheit aufgestellt hat, ähnlich wie Helena als
Urbild weiblicher Schönheit in Griechenland gegolten hat. Als der
antike Schriftsteller Celsius den Bewohnern Krotons ein Bild
der berühmten Helena entwerfen wollte, wählte er fünf der schön-
sten lilädchen, beschrieb die charakteristischsten Züge jeder einzelnen,
verband diese Teile zur Einheit und bildete ein Frauenideal: Helena.
Trissino hielt sich an dieses Vorbild, er wollte die Markgräfin auf
ähnliche Weise schildern imd wählte zu diesem Zweck fünf Frauen,
die in Italien um ihrer Schönheit willen berühmt waren: Spinola
aus Genua, Ericina imd Bianca Trissino aus Vicenza, die Contessa
di Caiazzo aus Mailand, die Heldin mehrere Novellen Bandellos,
und Clemenza de* Pazzi aus Florenz. Unter diesen fünf wählte
Trissino dasjenige, was ihn an der einzelnen am meisten gefesselt
hatte: Stirn, Augen, Brauen, Haare, Hände, den Umriß der ganzen
Gestalt usw.; auf diese Weise bildete er das ideale Porträt der Mark-
gräfin. Ahnlich ging auch Tizian bei einem seiner Venusbilder vor,
dem schönsten Körper irgendeiner venezianischen Kurtisane gab er
424 VIERZEHNTES KAPITEL
Isabellas idealisierte Züge; die Markgräfin war in Wirklichkeit
durchaus keine Schönheit, sie bezauberte nur durch ihre Anmut
und ihre lebhaften Augen. Man kann wohl si^en, daß die ganze
Generation um die Wende des XV. und XVL Jahrhunderts unter
ihrem Zauber stand. Bezeichnimgen, wie ,,die geliebte'S »»gute'^
usw. sind in den Briefen der Zeitgenossen und in den Chroniken
von ihrem Namen unzertrennlich. Wir besitzen einige Bildnisse
von Isabella, an deren Authentizität nicht zu zweifeln ist Im Louvre
ist ihr Porträt von Leonardo da Vind erhalten, al carbone vor dem
Jahre 1500 gezeichnet, auf dem sie als fünfundzwanzigjährige Frau
dargestellt ist. Die Replik dieses Bildes befindet sich in den Uffizien,
und Isabella erscheint darauf noch lebendiger und intensiver er-
faßt als auf dem Pariser Porträt. In Übereinstimmimg mit diesem
Bilde beschreibt sie Maria Equicola, der viele Jahre in ihrem Dienst
in Mantua gestanden hat; er schildert ihre dunkeln glänzenden
Augen, ihren weiBen Teint und ihr üppiges blondes Haar. Ein
anderer Zeitgenosse berichtet, sie sei von mittlerer Größe, habe
schöne Arme, eine wohlgebildete Hand, sehr anmutige Bewegungen
und sei im allgemeinen „ima donna piü bella assai che '1 sole'^
Wesentlich später als Leoi^ardos Zeichnung ist Isabellas Porträt
in Wien entstanden, eine Rubensche Kopie nach einem Original
von Tizian. Das Bild stanunt aus der Zeit, da die Markgräfin anfing
stark zu werden und den Reiz der ersten Jugend verloren hatte.
In Zeiten, wo man soviel über Schönheit sprach und schrieb,
— die gesamte Renaissance stand ja gewissermaßen im Zeichen
des SchönheitdLults — bemühten sich die großen Höfe natürlich
nach Kräften, ihrer Herzogin oder Markgräfin einen Kreis schöner
Frauen auszuwählen, als besonderen Anziehungspunkt für den
Hof. Die „Damigelle" wurden gewöhnlich aus den Damen der vor-
nehmen oder städtischen Geschlechter gewählt, und da sie viel Ver-
suchungen ausgesetzt waren, wurde über ihre Tugend verschieden
geurteilt. Ein Schriftsteller nannte sie „ministre di Venere'S doch
muß man dem ferraresischen Hof zugestehen, daß die Damigellen
dort strenger als anderswo gehalten wurden. Die unglückliche
Parisina hatte elf Ehrendamen, wenn eine von ihnen heiratete»
schenkte ihr die Markgräfin eine schön gemalte Truhe, die die Aus-
SCHULE VON FERRARA: EINE VERLOBUNG
BERLIN, KAISER-FRIEDRICH-MUSEUM
HÖFISCHES LEBEN 425
stattung enthielt, und sechshimdert Lire als Mitgift Zuweilen
traten ganz junge BCfidchen in den Hofdienst, die selbst ihre Kleider
und Pelze noch mußten verlängern lassen. Am Alltag waren die
Donzellen außerordentlich bescheiden angezogen, sie trugen grüne
oder rote wollene Kleider mit schwarzen oder bronzefarbenen
Armein, an Festtagen dagegen trugen sie Samt- und Brokatge-
wänder. Natürlich herrschte auch in diesem Mädchenkreis in Per-
rara nicht immer musterhafte Moral; wir kennen Angela Borgias
Geschichte, die sich sehr bemüht haben muß, das Herz des Kar-
dinals d*Este zu erw^ben, wenn er aus Eifersucht seinem Bruder
die Augen hat ausstechen lassen, oder die von Diana d'Ariosti,
die zärtliche Briefe an Pons gerichtet hat. Die größte Sorge mit
ihren Damigellen hatte Isabella von Mantua, die freidenkend genug
in Liebesdingen war und ihren Hofdamen viel Freiheit gewährt hat.
1513 fuhr Isabella zum Karneval nach Mailand, von ihren
hübschesten und liebenswürdigsten Damigellen begleitet, danmter
befand sich die schöne Brognina. Der Erzbischof von Gurk, Mon-
signore Matteo Lang, der kaiserliche Vertraute, der damals in Mai-
land weilte, verliebte sich wie ein Jüngling in die kokette Mantua-
nerin. Er imterhielt sich lateinisch mit ihr, indem er italienische
Brocken dazwischen flocht, da er Dantes und Ariostos Sprache kaum
kannte; die mailändischen Höflinge haben sich diesen Mangel in
der Bildung des Kirchenfürsten zu Nutzen gemacht und ihm in
Brogninas Gegenwart die komischsten und uniwssendsten Ausdrücke
untergeschoben. Aber die Leidenschaft des Monsignore erkaltete
nicht; Isabella berichtet ihrem Gatten brieflich, der Erzbischof
habe sich ohne Rücksicht auf seine Würde und seine soziale Stel-
lung vor Brognina auf die Knie geworfen, „et cum lei fece Tamor
quanto gli pare". Aber der Erzbischof hatte einen gefährlichen
Nebenbuhler, es war kein Geringerer als der spanische Vizekönig in
Mailand, Raimondo di Cardone, und beide Rivalen benahmen sich
auf einem Festmahl im Palast des Grafen Brunovo komisch genug.
Als Isabella mit ihren Damigellen in den Saal trat, drängten sich
der Vizekönig imd der Erzbischof heran, um Brognina zu umarmen,
und beide scheinen ihr viel Küsse geraubt zu haben. Der AHzekönig
hat sich artig aus der Affaire gezogen, er schickte der schönen
426 VIERZEHNTES KAPITEL
Mantuanerin am nächsten Tage 35 Ellen karmoisihroten und 25
Ellen schwarzen Samt und ]ieü ihr melden^ den karmoisinroten Samt
schicke er ihr aus Dankbarkeit für die Freude, die er gestern emp-
funden, den schwarzen als Belohnung für die Scham, die ihr Antlitz
Übergossen. Einer von Isabellas Höflingen berichtet einem Be-
kannten, Brogninas Mantuaner Verehrer, die Zeuge der Bewer-
bungen des Vizekönigs und des Bischofs waren, seien vor Neid fast
gestorben und hätten den mächtigen Rivalen gegenüber doch
nichts anfangen können, besonders da diese schamlosen, einge-
bildeten und elenden Spanier nicht mit sich scherzen liefien« Der
Mantuaner hatte schon so unrecht nicht; während der AHzekönig
den Damigellen Herz und Küsse raubte, stahlen seine Höflinge auf
Bällen und Empfängen alle Kostbarkeiten, die sie erreichen konnten.
Im Ballgedränge war die Devise vom Kleid der Markgräfin, ihre
goldenen Leuchter, verschwunden; die spanischen Adeligen hatten
sie mit der Geschicklichkeit von Beutelschneidem abgeschnitten.
Selbst in den Salons des Vizekönigs haben die stolzen Spanier den
mailändischen Herren ihre goldnen Knöpfe abgeschnitten; da^
gegen konnte man sich nicht wehren, da die Spanier bei der leisesten
Bemerkung zum Duell herausgefordert haben.
Isabella sah bei der Liebschaft des Vizekönigs und des Erzbischofs
mit Brognina durch die Finger, ja, sie begünstigte sie bis zu einem
gewissen Grade, da sie die Herren gewinnen Wollte, um für Mantua
und für Alfonso d'Este verschiedene poUlisdie Vorteile herauszu-
schlagen. Namentlich war es ihr darum zu tun, Peschiera für
Mantua zu erwerben, um Zutritt zum Gardasee zu haben. Als der
maskierte Erzbischof auf einem Balle viel mit Brognina tanzte
und ihr von Liebe sprach, benützte Isabella die Gelegenheit, um
ihn Peschieras wegen zu interpellieren. Brognina war dem Erz-
bischof nicht gnädig, da Cardone mit seinem Samt und seiner
spanischen Galanterie ihr Herz gewonnen hätte. Nicht Brogninis
allein, auch die übrigen mantuanischen Damigellen erlebten Liebes^
abenteuer in Mailand; ihr Benehmen und die Nachsicht der Mark-
gräfin erregten Gonzagas Mißfallen in hohem Grade, er warf seiner
Frau brieflich vor, all diese Zügellosigkeiten zu didden, und sich
in Mailand zur „favola del vulgo'' zu machen. Isabella fühlte sich
HÖFISCHES LEB^N
427
durch diese Vorwürfe empfindlich yerletzt, sie antwortete ihremGatten,
sie verdiene an Stelle des Tadels großes Lob, da sie für Mantuas Nutzen
arbeite und den Gonzaga tausend Freunde während ihres Aufenthalts
in Mailand gewonnen habe. Damals begann die Macht der Spanier
in Italien ins Wanken zu geraten, und dafür ging Franz' I. Stern
nach der Schlacht bei Marignano glänzend auf. Die geschickte
Markgräfin bemühte sich, Beziehui^en zu dem jungen König an-
zuknüpfen, der neugierig war, die berühmte Frau kennen zu lernen
und vielleicht noch mehr wünschte, Brognina zu sehen, von deren
Schönheit er schon viel gehört hatte. Der Besieger der spanischen
Armee beschloß die Spanier auch in Herzenssachen zu schlagen,
und schon ehe er die Damigella gesehen hatte, hatte er den Plan
gefaßt, sie Cardone abspenstig zu machen. Aber ihre Beziehungen
zum Vizekönig waren nicht folgenlos geblieben. Brognina war ge*
zwungen, den Hof der Markgräfin zu verlassen und sich für einige
Zeit in ein Kloster, in der Nähe von Goito, zurückzuziehen. Dieser
Zwischenfall und Aufschub hat Franz' L Eifer in keiner Weise
abgekühlt; er befahl, die Damigella aus dem Kloster, das auf man*
tuanischem Boden lag, zu stehlen, und hat Monsignore Galeotto,
den Bischof von Nizza, der in Liebessachen erfahren war, mit
dieser Mission betraut. Der Bischof fuhr sofort nach Mantua, um
dem Markgrafen den Fall vorzutri^en und ihn zu bitten, das Unter-
nehmen nicht zu stören. Gonzaga ergriff gern die Gelegenheit, sich
Franz I. gefällig zu erweisen; er befahl dem Kommandanten in
Goito, den Bischof in seinen Absichten zu unterstützen. Der An«
schliß konnte schon fast als gelungen betrachtet werden, der
Bischof hatte Brognina aus den Klostermauem geholt, auf ein
Pferd gesetzt, mit seinem Mantel bedeckt tmd geleitete sie im
Schutz einiger Bewaffneter ins königliche Lager. Unglücklicher-
weise stieß die Kavalkade tmterwegs auf eine Abteilung spanischer
Reiter. Brognina, die sich nur widerwillig gefügt hatte, warf den
Mantel beim Anblick der Spanier ab, gab sich ihnen als la bella di
Cardone zu erkennen und bat um ihre Befreiung. Die Spanier warfen
sich auf den Bischof, prügelten ihn durch, und der seinem König
gehorsame Monsignore hatte es bei dieser Begegnung nur seinem
Pferd zu danken, daß er mit dem Leben davonkam. In der Schatulle»
428 VIERZEHNTES KAPITEL
die die Spanier dem Bischof raubten, befand sich ein gefälschtes
Breve, in dem der Papst Brognina empfahl, vom spanischen Vize-
könig zum französischen Monarchen überzugehen und sie von
vornherein wegen ihres Leichtsinns entsündigte.
Franz L war gerade im Begriff, von Mailand nach Bologna auf-
zubrechen, wo er mit Leo X. zusammentreffen sollte, als ihn die
Nachricht von der mifilimgenen Expedition und vom Triumph des
spanischen Vizekönigs erreichte. Sein Zorn ergoB sich auf den
Bischof von Nizza. Der Monsignore bekam einen genügend strengen
Denkzettel, um sich in Zukunft nicht in Dinge einzulassen, die ihn
nichts angingen, er suchte mit zerbULutem Rücken Schutz in Blantua,
wo er l&ngere Zeit in Furcht vor der Rache des Königs und Car-
dones lebte. Ganze Ti^e verbrachte er im Boot auf dem Mantua-
ner See, da er sich dort vor spanischen oder französischen
Dolchen am sichersten fühlte. Dem ganzen Hof galt er als Ziel-
sdieibe des Witzes, und ein lustiger Frate aus dem Kloster delle
riet, der Markgraf möge Leo X. empfehlen, den Bischof von
als geeignetste Persönlichkeit für das Konzil zu bestinmien,
um zu günstigen Ergebnissen in der Reform der Heiligen Kirche
zu kommen.
Diese Begebenheit hat Isabella durchaus nicht entmutigt, die
allerschönsten Damigellen um sich zu versammeln. Die eine von
ihnen, Alda, eine Verwandte von Matteo Bojardo, hat die Markgräfin
in dem Maße beherrscht, dafi sie allmählich zur Vertrauten ihrer
ehelichen Geheimnisse wurde, außerdem hat sie ihren Sohn, den
jungen Federigo Gonzaga, betört. Der Marchese Francesco mußte
1515 das kokette Mädchen fortschicken, da sie in Mahtua durch
ihre Intriguen wahre Feuerbrände zusammengetragen hat. Am
schlimmsten ist es der Markgräfin mit ihren Donzellen während
Karls V. Aufenthalt in Bologna ergangen.
Isabella hat während des Karnevals in dem von ihr bewohnten
Palast Ti^ imd Nacht Bälle, Maskeraden und andere Festlichkeiten
arrangiert, an denen die italienische und spanische Jugend teilnahm.
Die Damigellen haben sich sehr frei benommen imd boten Anlaß
zu verschiedenen Reibereien^ da die leidenschaftlichen, eifersüch-
tigen Spanier die Italiener, die auch zum größten TeU in die
HÖFISCHES LEBEN 429
schönen Gefährtinnen der Markgräfin verliebt waren, gereizt und
herausgefordert haben. Die Skandale nahmen kein Ende, auf den
Bilauem und Säulen des Palastes konnte man Kreide- imd Kohle-
zeichnungen sehen und unanständige Aufschriften lesen, die sich
auf die Damigellen bezogen und von der Dienerschaft entfernt
werden muBten. Das eigentliche Drama, zu dem die Damigellen
beitrugen, spielte sich am 17. März beim Ball der Herzogin 7on
Savoyen ab. Es war ein aufierordentlich prächtiger Abend, an dem
Karl V., die Herzöge von Ferrara, Mailand und Urbino teilnahmen.
Der Kaiser blieb zwei Stunden, sprach und scherzte mit den Damen;
die gute Laune des Monarchen teilte sich der ganzen Gesellschaft
mit, und es schien, als sollte die Gesellschaft ohne einen jener un-
angenehmen Zwischenfälle, die damals an der Tagesordnung waren»
▼erlaufen. Nachdem Karl V. gegangen war, begannen sich einige
Spanier Isabellas Damigellen gegenüber so unanständig zu be-
nehmen, daS die Italiener die Ehre des Hauses wahren wollten, nach
den Waffen griffen und die Spanier aufforderten, den Saal zu ver-
lassen. Die Spanier blieben natürlich, zogen gleichfalls und es
kam zum Kampfe, bei dem drei der kecken Fremden ihr Leben
ließen. Von den Dienern des Hauses, die die Kämpfenden trennen
wollten, waren sieben verwimdet.
Der Markgräfin blieb nichts anderes übrig, als Bologna zu ver-
lassen; sie empfahl sich dem Kaiser, der sich ihr trotz der getöteten
Spanier sehr gnädig erwies, empfing den päpstlichen Segen und
kam am 21. März mit ihren unruhigen Damen nach Mantua zurück.
Natürlich war dieser • weibliche Hofstaat an den italienischen
Höfen der Mittelpunkt aller Vorurteile und alles Aberglaubens;
dort suchten die verschiedensten Charlatans nach ihren Opfern,
dort fanden Schönheitsrezepte und Geheimmittel ihre Abnehmer.
In Ferrara gab es zwar infolge der Universität bessere Arzte, als
in den meisten übrigen italienischen Städten, aber die Arzte waren
namentlich bei den Frauen der Renaissance sehr unbeliebt.
Dieser traurigen Gestalt in schwarzer Cimarra, schwarzem
Samtbarett und Trauerhandschuhen traute niemand so recht,
und in den meisten Fällen behandelte gian sie als „jumentum
insipiens'' und rief „portate fieno'S wenn sie näherkam. Nichts war
430 VIERZEHNTES KAPITEL
SO verbreitet, wie Anekdoten von Ärzten; man erzählte sich, irgend
ein Arzt habe selbst den Puls des Campanile» als die Glocken
schlugen» nicht finden können und wiederholte mit Plato, daß es
dem Arzt allein gestattet sei, die Menschen straflos zu töten. Der
Arzt» namentlich »»medicus urinarius'^ wurde neben dem Mönch
zur beliebtesten komischen Figur der Novellisten und Lustspiel-
dichter. Sogar indenmittelalterlichenkirchlichen Aufführungeninden
„Rappresentazioni sacre*^ tritt der Arzt schon als komische Figur auf.
In jenen Frauengemächem mißtraute man dem Arzt» glaubte
aber fest an die Wirksamkeit der verschiedensten Rezepte» von
denen sich noch ganze Stöfie in Bibliotheken verbergen. Nament-
lich schrieb man gewissen Beschwörimgsformeln und kostbaren
Steinen eine geheimnisvolle Bedeutung zu und schätzte die Wirk-
samkeit heilender Kräuter. Noch im XIIL Jahrhundert gab der
portugiesische Arzt Pietro di Giuliano da Lisbona, der spätere
Papst . Johannes XXI.» ein populäres medizinisches Buch »»Tesoro
di poveri'' heraus. Dieses Buch war für einige Jahrhunderte das
Rezept-Schatzkästlein^)» auch die medizinischen Vorschriften eines
andern Papstes» Innocenz III., erfreuten sich großer Beliebtheit.
Innocenz war der Erfinder eines Pulvers» das das Augenlicht wieder-
gab, der Kardinal Bianco war ein noch größerer Wundertäter»
sein Pulver erhielt die Sehkraft» hielt den Magen in Ordnung» zer-
streute die böse Laune und wirkte günstig auf die Brust. In diesen
Rezeptbüchern, die in keinem großem Hause fehlten» sind auch
Beschwörungsformeln» scongiuri» eingetragen. Es gab scongiuri
gegen Fieber» Zahnschmerz und viele andere Krankheiten; wenn
man sie sprach» mußte man ein Kreuz über die schmelzende Stelle
schlagen» außerdem fasten» beten und Almosen geben. So wurde z.B.
die Rose geheilt» wenn man über den Kranken den Vers sprach:
Nui tre fratre simo: iamo» a monte Albano»
A piglia noglio pe' resibela e anti mali.
Als Universalmittel galt der Rosmarin» dem man zweiundsiebzig
»»virtü^' zuschrieb, d. h, man glaubte, daß er sich in zweiundsiebzig
^) Sehr verbreitet waren auch die Bücher „Regime de corps'' von Aldo-
brandini di Siena und »»De reginiine sanitatis" von Taddeo AlderottL
HÖFISCHES LEBEN 43I
Fällen erfolgreich atmenden liefie. Rheumatismtis und Katarrh,
sämtliche Geschwüre» selbst Krebs wurden mit Rosmarin geheilt.
Auch Sancho Pansa hat Don Quixote Rosmarin und Salz auf die
Ohrwunde gelegt, die sich der berühmte Ritter im Kampf geholt
hatte. Rosmarin machte die Alten wieder jung, gab den Frauen
einen weiBen, glatten Teint, mit diesem wunderbaren Kraut ver-
trieb man Schlangen und wilde Tiere, Rosmarin brachte Glück und
ÜberfluB und heilte sogar Geisteskrankheiten. Man erzählte sich,
ein englischer Mönch habe diese Eigenschaften des Rosmarin in
Indien beobachtet und das Wunderkraut nach Europa gebracht.
Diese Überliefenmg war schon deshalb unwahrscheinlich, da
bereits die Römer Rosmarin in verschiedenen Fällen benützt
haben.
Besondere Eigenheiten hatten einige kostbare Steine wie Sma-
ragden, Rubine u. a., außerdem gab es zehn Steine, pietre virtuose
benannt, die mit geheimer Kraft begabt waren. Namentlich Frauen
suchten nach dem Adlerstein, pietra deU'aquila, die die Adler in
ihren Nestern zusammentragen sollten. Dieser Stein sollte die
schmerzvollsten Vorgänge im Leben der Frau erleichtern, und der
Glaube an seine Heilsamkeit hat sich bis auf den heutigen Tag er-
halten, so weit, daS häufig noch Frauen in Pariser Apotheken
kommen und nach dem Adlerstein verlangen^).
Sehr gesucht war besonders der Smaragd, denn er gab dem, der
ihn trug, Gesimdheit und Heiterkeit. Freilich muBte man ihn in
Wein und öl waschen. Am stärksten waren die Wirkungen der
^) Im Pariser „Journal de la Beaut6" vom zx. Juni 1905 lese ich, daß
die „piem du soleil" als Berloque gefaßt, Liebe erwecke und den Geliebten
binde. Dieselbe Zeitung empfiehlt am 19. Dezember 1905 ihren Leserinnen
als besonders wirksam in Liebesdingen die ,imagische Pflanze" Mandragola,
die zu den großen Seltenheiten gehört, an einsamen, wilden Plätzen wächst,
zufanig auftaucht und wieder verschwindet und sich nicht durch Samen
wie andere Pflanzen vermehrt Wer Mandragola besitzt, kann sicher sein,
wiedergeliebt zu werden. So lebt Machiavellis „Mandragola" denn bis auf
den hei^^igen Tag. In Galizien wissen die Bauemmäddien von dieser Pflanze
und ihren Vorzügen, nennen sie jedoch anders. Nadi ihren Beschreibungen
stimmt die Wurzel vollkommen mit der Mandragola -Wurzel überein die
sich in der kaiserlichen Bibliothek in Wien befindet und die Gestalt eines
zusammengeschrumpften Püppchens hat.
432
VIERZEHNTES KAPITEL
Koralle» die ähnlich wie der Rosmarin unzählige Vorzüge hatte. In
pulverisiertem Zustand wurde sie zusammen mit eingemachten
Früchten gegen Herzkrankheiten eingenommen» da corallo »»cor
alens^' bedeutete» der Stein also als herzemährend galt.
Conforte al riguardar la vista e '1 core:
Aveme seco quande il folgor cade»
Pietra non i piü utü ni migliore«
Im Buch »»Segreto de Segreti''» das Aristoteles zugeschrieben
wurde und in Albertus Ifagnus berühmtem Werk »»De llineralibus^'
las man über die geheimen Eigenschaften kostbarer Steine. Nicht
der Stein allein war von geheimem EinfluB auf den Geist und die
Gesundheit des lAenschen» die eingeschnittenen Figuren erhöhten
seinen magischen Wert. Eine Kamee mit einer menschlichen
Figur» die eine Schlange am Kopf hielt» vermehrte den Reich-
tum; ein Löwe oder Ziegenbock in Stein schützte vor täglichem
oder dreitägigem Fieber» Löwe und Hund zusainmen heilten
Tollwut.
Die Mönche» die sich den grofien Damen gefällig erweisen
wollten» schrieben ihnen die verschiedensten Rezepte ab» so erhielt
Chiara di Correggio» die im KVI. Jahrhundert lebte» von einem
Franziskaner einige unerhört seltene Schönheitsrezepte »»Ricette
da fare bella'^ Unter anderem sind die Substanzen eines Pulvers
aufgeführt» die der Kardinal-Protektor jenes Mönchs» »,il mio car-
dinale'S benützt hat und denen er seine schöne weiße Hand zu
danken hat. Das Buch enthält auch Rezepte für Puder» für das
Parfümieren von Handschuhen und verschiedene andere wertvolle
Winke für Frauen.
Zu einer Frauenbibliothek gehörte auch eine Sammlimg von
Gebeten gegen gewisse Krankheiten» und damals schon wandte
man sich an die heilige Apollonia von Alexandrien» wenn man an
Zahnschmerzen litt.
In der sehr zum Aberglauben neigenden Renaissance bestand
neben der wirklichen Welt eine Welt der Symbole» in der die Phan-
tasie frei schalten konnte. Alles, was den Sinnen unterstand» hatte
seine geheime Bedeutung»* mit den Sternen und den
HÖFISCHES LEBEN 433
beschäftisten sich die Astrologen, für die Phantasie gewöhnlicher
Menschen bot die Flamme im Kamin, Rauch, Kohle, Asche, Wolken,
R^^, Schnee und der Regenbogen Zündstoff genug. Jedes
elementare Ereignis, jeder Gegenstand, der damit in Verbindung
stand, war für gute oder böse Prophezeiungen geeignet. Die Welt
der Symbole stand in engem Zusammenhang mit den Devisen und
Wappen, die sich ein jeder wählte, der auf irgendeine Stellimg in
der Gesellschaft ein Anrecht hatte. Zur Imprese fügte sich die Figur
und ein entsprechendes Motto. Alle klugen, feinsinnigen Menschen
beschäftigte diese Kombination. Es gibt keinen Vierfüßler, Vogel,
Fisch, keine Schlange und kein Insekt, keine Pflanze und keine
Frucht, die damab nicht als Thema für eine Imprese gedient
hätten. Ganze Bücher wurden darüber geschrieben, die ernst-
haftesten Menschen beschäftigten sich mit dieser von ihnen
erschaffenen Wissenschaft. Natürlich haben sich die Frauen
am meisten dieser Symbolik gewidmet, und wie alles andere
unterlagen auch die Devisen der Mode. Die Donzellen stickten
unter Niccolo IIL französische Devisen auf ihre Ärmel, da
Norditalien damals im Zeichen französischer Sitte und fran-
zösischer Romane stand; unter Ercole I. wurden die französischen
durch spanische Devisen verdrängt, imd unter Renata herrschte
wieder das französische Wappen vor. Eine ihrer Damen war so
tugendhaft, daB sie die Devise trug: „Ehrlich will ich mein Leben
vollenden!^*
Eine sehr charakteristische Persönlichkeit, die etwas vom
Arzt, vom Astrologen imd vom Naturforscher hatte, war der Nea-
politaner Giovan Battista della Porta, den der Kardinal Luigi
d'Este häufig bei sich zu Gaste sah. Della Porta gab dem Kardinal
gegen seine Gicht ein Ol, das er aus Bucheckern gewann, die Mixtur
war mit Höllenstein und geheimen Beschwönmgsformeln gebraut;
in seinen freien Augenblicken schrieb er wertlose Komödien. Sein
wichtigstes Werk war jedoch das Buch „Fisonomia delle erbe^S in
dem er zweitausend Geheinunittel herausgab; es waren Geheim-
nisse, die er der Natur abgelauscht hatte, und er glaubte, niemand
könne in seinem Wissen weitergehen, als er gedrungen sei. Dem
gelehrten Charlatan genügte das Offenbaren der geheimen Eigen«
aS
434
VIERZEHNTES KAPITEL
Schäften der Pflanzen nicht» er gab noch ein anderes Werk „Ha*
gnalia naturae'' oder „Mhigia naturale'' heraus, in dem er die Schleier
von allen Zweigen menschlichen Wissens hob. Unter alchjrmisti«
sehen Seltsamkeiten befanden sich merkwürdige Entdeckungen»
Ergebnisse ernsthaften Forschens, und manche wichtige spätere
Erkenntnis wurden vorausgeahnt. So sprach er viel von Perspek-
tive» von Spiegeln» die eine Feuersbnmst aus der Feme zu ent-
zünden vermögen» von der Art mit Menschen auf Tausende von
Meilen mittels des Mondes zu sprechen» von Brillen» durch die man
ungeahnte Entfernungen übersehen könne. Er widmete sich auch
agronomischen Forschungen» lehrte Methoden» um aus einem
Samenkorn dreißigfältige Frucht zu ernten, Getreide hundert Jahre
gut aufzubewahren» bisher imbekannte Blumen und Früchte zu
züchten» Brot und Mehl zu backen. Diese wirtschaftlichen Vor-
schriften haben den Kardinal sehr interessiert» er hat den Neapoli-
taner in seine Villa nach Tivoli mitgenonunen und ihm Geldmittel
zur Verfügung gestellt» damit er in seinem Haus Versuche anstelle.
Andere »»Gelehrte'S die Della Porta seinen Erfolg neideten» haben
ihn bei der Inquisition verklagt» er verbreite irreligiöse Kenntnisse
und verkünde zukünftige Dinge» aber mit Hilfe seiner einflufireichen
Beschützer gelang es dem Alchymisten sich zu rechtfertigen. Sicher-
lich war es ihm um ein ehrliches Erforschen der Natur zu tun, zu
diesem Zwecke gründete er sogar eine »»Accademia dei Segreti", in
der die verschiedensten Erfahrungen gesammelt wurden. Nach dem
Muster dieser Akademie entstanden später Verbindungen, wie die
„Accademia delCimento'' und die »»Accademia della Tracda'S die zur
Erweiterung naturwissenschaftlicher Forschimgen beitrugen. Della
Porta war auch Lavaters Vorgänger» er verfaßte eine Abhandlung
„De humana Phjrsiognomia'S in der er bewies» daS die Gesichts-
züge und gewisse Linien im Bau des menschlichen Körpers zur Be-
wertung und Feststellimg geistiger Eigenschaften des Menschen
dienen können. Das größte Verdienst des Neapolitaners besteht
darin, daß er als erster auf das Teleskop hingewiesen hat» an diesem
Problem hat er in venezianischen Glasfabriken gearbeitet. Ihm wird
auch die Erfindung der Camera obscura zugeschrieben, die später
für Kepler imd Newton wertvoll war.
HÖFISCHES LEBEN
435
Der HofTonFerrarawar einer der heitersten geselligen Mittelpunkte
Italiens. Fast ununterbrochen gab es Musik, Gesang und Tanz,
und die Heiterkeit des Kastells hat sich der ganzen Stadt mitgeteilt.
Wenn die Zeitgenossen Ferrara beschreiben, so heben sie immer
herror, daB die ganze Stadt am Abend von Musik und Gesang wieder-
halle. Die Este haben Musik mit viel Hingabe getrieben und selbst
ihre Pagen in mehreren Instrumenten unterweisen lassen« Musik
wurde zur Leidenschaft der Renaissancehöfe« Es wurde bereits er-
wähnt, daS die Este Musiker aus Flandern tmd Frankreich haben
kommen lassen imd ihr eigenes Orchester hatten. Unter Alf onso II.
hat die Pflege der Musik in Ferrara ihren Höhepimkt erreicht.
Fast alle berühmten Musiker Europas kamen damals für einige Zeit
nach Ferrara und haben dem Hofe ihre neuesten Werke geschickt.
Der Franzose Giovanni Alessandro di Melleville war Musiklehrer
der Prinzessinnen Anna, Lucrezia und Leonora; namentlich
Lucrezia hat während ihres ganzen Lebens Musik eifrig betrieben.
Eine Zeit hindurch beschäftigte sie an ihrem Hof die drei Schwestern
Avogari, die zusammen mit dem Organisten ein ausgezeichnetes
Quartett gebildet haben. Leonora hatte eine sehr schöne Stimme,
aber die Arzte haben ihr infolge ihrer schwachen Konstitution früh-
zeitig das Singen verboten. Der berühmte Pier Luigi Palestrina wurde,
nachdem er seine „Messe di Papa Marcello'' komponiert hatte, nach
Ferrara als Kapellmeister berufen und nahm vier Jahre von 1567 bis
1571 diese Stelle ein. Vorher war er kurze Zeit Mitglied des Chores der
Siztina gewesen, aber Paul IV. Caraffa hatte ihn entlassen, da der
leichtsinnige Pier Luigi weltliche „Madrigale^' komponiert und sie
1555 in Rom herausgegeben hatte. Infolgedessen suchte der be-
rühmte Musiker Beschäftigimg bei anderen Kirchen, bis er nach
Ferrara kam. Für Caraffa war seine Musik zu weltlich, für Alfonso
zu ernst. Palestrinas künstlerische Richttmg entsprach dem Ge-
schmack des Herzogs nicht, infolgedessen verlieB der Künstler Ferrara
und ging 1571 nach Rom zurück, wo er wieder in San Peter ange-
stellt wurde. Alfonso war selbst Komponist, er hat die Musik zu
den ersten Schäferspielen, die am Hofe aufgeführt worden waren»
aS«
436 VIERZEHNTES KAPITEL
▼erfaßt und beschäftigte sich auch mit dem Arrangement der
SchloBkonzerte. Da es viel Schwierigkeiten kostete, die entspre-
chende Sängeranzahl zusammenzubringen! bemühte er sich von
den Frieren der dortigen Klöster die Erlaubnis zu erhalten, die
musikalischen Mönche an den Hofkonzerten teilnehmen zu lassen.
Die Mönche muBten, wenn sie öffentlich auftraten, einen schwarzen
Mantel über ihre Kutte ziehen.
Zu Ferraras berühmtesten Kapellmeistern gehört Luzzasco
Luzzaschi, der dem Schloßorchester von 1561 bis 1592 vorstand.
Er hatte einen großartigen Chor von Damen und Herren der ersten
Gesellschaft gegründet, über den die Zeitgenossen voll Lobes sind.
Zu diesem Chor gehörten: Tarquinia Molza, Lucrezia Bendidio,
die Contessa Leonora di Scandiano, Vittoria Bentivoglio und
Laura Feperara; tmter den Männern hatte der Neapolitaner Giulio
Cesare Brancacdo die schönste Baßstinune. Militärische Studien
haben ihn jedoch mehr als Musik interessiert, und er hat den Herzog
mit seiner Abhandlimg über Strategie, von der er nicht übermäßig
viel verstanden zu haben scheint, sehr gelangweilt. Der Herzog hat
Brancacdo vierhundert Scudi jährlich angewiesen, ihm Fferde ge-
halten und ihm völlig freien Unterhalt gewährt, doch dies genlägte
dem verschwenderischen Neapolitaner keineswegs, er träumte stets
davon, sein Schicksal zu verbessern. Nachdem er den Hof von Fer-
rara verlassen hatte, trieb er sich in Frankreich und Spanien herum,
bis er zuletzt in Neapel von der Barmherzigkeit der Menschen lebte,
denen er amüsante Anekdoten erzählte.
Die bedeutendste Rolle in der musikalischen Welt hat Tarqtiinia
Molza gespielt; die Gesandten unterlassen es nie, sie in ihren Be-
richten über Ferrara zu erwähnen, und die Dichter haben sie be-
sungen. Tarquinia Molza, aus einer bekannten Familie Modenas
stammend, trieb außer Musik auch klassische Sprachen und Astro-
nomie. Einer der Hofpoeten hat ihr ein Madrigal gewidmet: „A
la signora Tarquinia Molza la quäl studiando la sfera andava la
sera contemplar le stelle^'. Tarquinia hat auch gedichtet und nimmt
unter den Dichterinnen des XVL Jahrhimderts in Italien durchaus
keine untergeordnete Stelle ein. Alfonso IL hat sie so heiß verehrt,
daß er einst ihr zu Ehren in einem Turnier gekänq>ft hat; Tasso
HÖFISCHES LEBEN 437
hat diese Begebenheit in einem eleganten Sonett besungen. Die
Molza kam als jimge Witwe 1583 nach Ferrara, sie gefiel dem Dichter
aufierordentlich» aber der flandrische Musiker Gtacomo West, der
im Dienst der Grafen von Novellara stand imd sehr häufig nach
Ferrara kam, fand vor ihren Augen mehr Gnade. Man wollte Küsse
zwischen Tarquinia und dem Flamen belauscht haben, imd der
Herzog, der vielleicht nicht ganz frei von Eifersucht war, fing Briefe
des verliebten Paares auf. Infolgedessen mußte die Molza, nachdem
sie einige Jahre in Ferrara gelebt hatte, 1589 nach Modena zurück-
kehren; in ihrem Haus fand sich ein Kreis von Literaten imd Mu-
sikern zusammen.
Von Lucrezia Bendldio, einer der Sängerinnen des Hofes, und
ihrem Verhältnis zum Kardinal Luigi, war schon die Rede. Von
Laura Peperara, der jüngsten dieser Damen, wäre zu erwähnen,
daB sie durch ihren Gesang Annibale Turchi besiegt hat, einen Jung-
«
ling, der zu den ersten Familien von Ferrara gehört und sich mit ihr
vermählt hat. Der Herzog zeigte sich sehr freigebig imd hat der
armen Sängerin zehntausend Scudi als Mitgift geschenkt.
Von Zeit zu Zeit wurden am ferraresischen Hof ganz groBe*
Konzerte veranstaltet, so brachte Alfonso 1583 zum Empfang eines
berühmten Gastes siebenundfünfzig Sänger zusammen. Zwei
Zimmer im Schloß wurden für die Proben bestimmt, und der Herzog
ließ zur Benützung der Künstler die verschiedensten Instrumente
zurechtlegen, wie Posaunen, Bratschen, Flöten, Zithern, Harfen,
Klaviere usw.
Bezeichnend für die Musik am ferraresischen Hofe im ausgehen-
den i6. Jahrhundert war ihr Zusammengehen mit der gleich-
zeitigen Poesie. Jedes Madrigal, jede Ballade und Kanzone, die
Tasso, Guarini oder Pigna verfaßt hatten, wurde von Agostini,
Fiorini, Luzzasco oder häufig vom Herzog selbst in Musik gesetzt.
Selbst einzelne Abschnitte aus dem Furioso oder der Gerusalemme
wurden vertont. Es wird erzählt, daß Ariost sich in ein junges
lAädchen verliebt hat, das mit unbeschreiblichem Reiz seinen Or-
lando gesungen hat. Die Musik wiurde allmählich weich und sen«
timental, die Zeitgenossen klagen, daß es ihr an Kraft fehle, und
selbst Tasso spricht in seinem Dialog „La Cavaletta^' vom Verfall
438 VIERZEHNTES KAPITEL
des musikalischen Gefühls und fordert Meister wie Luzzasco auf,
den alten Ernst, die gravitA wiederzubeleben.
Ohne Musik, ohne Intermezzi, in den meisten Fällen kombcher
Art mit sehr anstößigen Versen und entsprechend sinnlicher Musik,
ging es bei keiner Theateraufführung ab« Die Intermezzi nahmen
dermaßen überhand, dafi einer der Künstler sich beklagt hat, er
schreibe eine Komödie für Intermezzi und nicht mehr Intermezzi
für eine Komödie. Lasca klagt in seinem Prolog zu „Strega^^ über
die musikalischen Einlagen, die die Aufmerksamkeit der Zuhörer
vom Drama ablenken. Um dem Geschmack des Publikums zu
schmeicheln, flocht jeder Lustspieldichter Madrigale in seine Ko-
mödie ein, die für Musik imd Gesang verfaßt waren, und in den
wenigsten Fällen mit dem Inhalt des Stückes in Zusammenhang
standen. Diese Intermezzi bilden im Zusammenhang mit der Ko-
mödie den Anfang des Melodramas, das sich im XVII. Jahrhundert
entwickelt hat.
Die Klagen über die Sinnlichkeit und Verweichlichung der
Musik haben also wenig genützt, und trotz des einsetzenden Ver-
falls ist die Vorliebe für Musik nicht in Ferrara allein, sondern in
ganz Italien ungeheuer gestiegen; musikalische Akademien wurden
gegründet, um gemeinsame Konzerte zu veranstalten. Die ferra-
resische Akademie sollte ihren Statuten gemäß alle drei Monate
ein großes Konzert geben, die Jugend ausbilden und aus ihrem
Kreise Zensoren in musikalischen Dingen wählen.
In unmittelbarem Zusammenhang mit der Musik stand der
Tanz, der erst in der Renaissance zum weltlichen Spiel wurde, wäh-
rend er im Mittelalter mit religiösen Bräuchen eng verknüpft war.
Der Tanz in der Kirche war ein heidnischer Brauch. Die römische
Kirche hat diese Sitte seit dem XII. Jahrhundert bekämpft, und
bis gegen Ende des XVI. Jahrhunderts erließen die Konzile ein
Verbot nach dem andern, in den Kirchen und auf den Friedhöfen
zu tanzen. In Piemont wurde noch im XVI. Jahrhimdert in der
Kirche getanzt, wenn der junge Kaplan die erste Messe las, und
heute tanzt man noch in einzelnen spanischen Gemeinden zu Ehren
der Mutter Gottes, nicht nur während der Prozession außerhalb der
Kirche, sondern auch in der Kirche selbst. In Sevilla hat sich der
\
HÖFISCHES LEBEN 439
Tanz der Kinder vor dem heiligen Sakrament als Brauch einge-
bürgert*). In Italien hat man erst in der Renaissance den Tanz
vollkommen von kirchlichen Bräuchen getrennt. Zuerst hat auch
der Renaissancetanz etwas vom kirchlichen Ernst bewahrt, er war
langsam und getragen, eine Art begleitender Bewegimg zum reli-
giösen Lied. Es wurde zumeist singend getanzt, imd tiefe Ver-
beugungen gehörten zu den wesentlichen Bestandteilen des Tanzes.
Wahrscheinlich war die erste dem Tanz angepaßte Gedichtform
die Ballade, sp&ter wurden im Takt Kanzonen, Madrigale imd ver-
schiedene andere Gedichte gesungen.
Da der Tanz in Italien sich aus kirchlichen Bräuchen entwickelt
hat, war er bis ins XV. Jahrhimdert eine bloße Volksbelustigung»
erst allmählich ging er vom öffentlichen Platz, von der Straße in
den geschlossenen Raum über. Die Volkstänze wurden damals zu
Tänzen umgewandelt, würdig „da esser dan^ati per dignissime
^) Nicht nur in Sevilla, sondern auch in entlegeneren StSdtdien Anda-
lusiens bestehen bis auf den heutigen Tag religiöse Tänze in der Fastenzeit
zu Ehren der Mutter Gottes. Sie haben neben der religiösen audi eine
historische Bedeutung; denn sie stellen die Freude über den Untergang der
lIAauren dar. Diese Tfinze gleichen einer amüsanten Maskerade mehr als
einer religiösen Zeremonie. Die Tfinzer, zumeist Leute aus dem VoIk|
^^ zidien sich wie Harlekins an, tragen ein rotes Wams, ein kurzes, weißes,
\ gesticktes Beinkleid, stecken farbige Bänder an und gürten sich mit bunten
Schärpen. Auf dem Kopf tragen sie eine Art Helm oder Pyramide aus
rotem Stoff mit kOnstlichen Blumen, unter dem Kinn gebunden. Kleine
Sj^gelcfaen, die an diesem seltsamen Kopfputz befestigt sind, erhöhen das
GreUe der KostOme. Diese Ballettänzer mit einem Alkalden an der ^tze
gehen tanzend der Prozession voran und teilen sich auf ein gegebenes Zeidien
in zwei Gruppen, von denen die eine die Christen, die andere die Mauren
darstellt Beide Gruppen veranstalten einen Kriegstanz, schlagen sich mit
Stödcen beim Klang der Kastagnetten und Tamburine, dann erliegt die
Gruppe der Mauren der Obermadit, erklärt sich gesdilagen, sinkt vor Marias
Bad in die Knie und bittet um die Taufe. Es folgt ein Freudentanz über
die Belehrung der Ungläubigen, die Prozession tritt in die Kirche, die Orgd
spielt lustige Melodien, die Tänzer setzen ihre schwingenden Bewegungen
fort, und der Ball in der Kirche währt bis zum Abend. Niemand lacht,
niemand empfindet die Komik der Szene, im Gegenteil, das versammelte
Volk ist vom^religidsen Charakter dieser Sitte dim:hdrungen, und die Frauen
knieen und beten während des Höllenlärms.
440
VIERZEHNTES KAPITEL
madonne et non plebeie^^ In der Benennung „contradanse'' hat sich
die Herkunft eines der yerbreitetsten Salontänze vom Volkstanz er-
halten, da contradanse ursprünglich nichts anderes war als danza
della contrada, Dorftanz.
Musik und Tanz wurden Bedingungen guter Erziehung. Tanz-
lehrer, — die berühmtesten danmter waren in Ferrara Domenico
da Ferrara, der Verfasser des Buches „Über Ballorum'S und sein
Schüler der Jude Guglielmo hebreo Pisatuiensis, der einen „Trat-
tato deirArte del Ballo" herausgab — erdachten immer neue Tänze,
und selbst Lorenzo de' Medid hielt es nicht unter seiner Würde,
Tanzfiguren zusammenzustellen. Die Duchessa Margherita, Al-
fonsos II. Gattin, hat neue Tänze erdacht, und am ao. Januar 1582
haben auf dem Hofball die Herzogin selbst, Donna Marftsa und noch
sechs Damen einen vollkommen neuen Tanz aufgeführt. Einige
unter ihnen stellten in hochgeschürzten Kleidern Männer dar.
Vielleicht waren Tanzschulen in keiner Epoche so verbreitet, wie
in der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhimderts; die beste Gesellschaft
fand sich dort zusammen, imd diese Anstalten standen in ebenso
hohem Ansehen wie die Fechtschulen. Die vornehme Jugend ritt
morgens und übte sich in der Verfertigtmg von Waffen, am Nach-
mittag wurde in der Tanzschule getanzt. Da man sich in allem be-
mühte, die Antike nachzuahmen, wurden auch pantomimische,
sehr indezente Tänze eingeführt.
Die verbreitetsten Tänze in der zweiten Hälfte des XV. und im
beginnenden XVI. Jahrhundert waren „la piva'S „il saltarello'S
aber es gab daneben auch eine Menge provinzialer Tänze wie „ve-
neziana'S „bergamasca^S „florentina'S „polesina'S „friulana'^ Gugli-
elmo hebreo hat mehr als zehn neue Tänze ersonnen und eingeführt.
Häufig trug der Tanz den Namen der Kanzone, von der er stammte,
wie „Mezzacrocca", die am Hof zu Mantua viel getanzt wurde. An
mehreren der Kanzonen, die zum Tanz gesungen wurden, würde man
heute AnstoB nehmen,aberdamals war man weniger heikel. Zudenbe-
kanntesten gehörte die Kanzone „Rosina'S die folgendermaßen begann :
Che bella chioma ch'ha la mia Rosina,
Rosina bella f a li la la la
Viva l'amore e chi morir mi fa.
HÖFISCHES LBBBN 441
In den weiteren Strophen wurden die Reize der Rosina sehr
eingehend geschildert. Heute noch wird das Lied auf den Dörfern
mit den verschiedensten Zusätzen gesungen, indem anstelle der
Rosina eine Marianna getreten ist:
Che bei capelli ch'ha la mia Marianna • • •
Im Schloß zu Ferrara wurde der Ball zumeist mit einem Fackel-
tanz, yyballo della torcia^S imd dem Löschen der Fackeln beschlossen.
Die Tänze bestanden zumeist aus verschiedenen Figuren, die man
noch in manchen heutigen Tänzen, besonders auch im polnischen
Mazur, entdecken könnte. So faßte man z. B. im „ballo della
catena'' die Tänzerinnen der Reihe nach unter den Arm und tanzte
eine Tour mit ihnen:
II ballo s'intrecda
Bracda con braccia:
Mentr'un s'allaccia
L'altro si streccia.
Es gab auch Figuren, in denen der Tänzer der von ihm er-
wählten Dame ein Tuch zuwarf, „ballo della pezzuola'S eine andere
„il brando'% war noch deutlicher, da man die Tänzerinnen der Reihe
nach abküssen durfte. Bei besonders festlichen Bällen suchte man
durch graziöse und anmutige Tänze zu glänzen. Ein venezianischer
Schriftsteller lobt die ferraresischen Damen, sie hätten im Tanz „ü
..misurato passo'* und beschrieben leichte imd anmutige Wendungen.
VI
Ferrara war nächst Rom die wegen ihres Karnevals berühm-
teste Stadt, und als in der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts
die Päpste den Kamevaleifer zu dämpfen begannen, galt der fer-
raresische Fasching als der erste in ganz Italien. Besonders die
letzten Este haben sich für Kamevalsfeste interessiert, unter ihrer
Herrschaft wurde der Karneval fast zu einer staatlichen Institution.
Sehr charakteristisch sind in dieser Beziehung die Berichte der fer-
raresischen Gesandten bei der römischen Kurie; sie beweisen, bis zu
442
VIERZEHNTBS KAPITEL
welchem Grade die Este alles interessiert hat, was mit Faschings«
freuden in Zusammenhang stand. Die Gesandten haben den römi-
schen Karneval aufs ausführlichste geschildert, und ihre Briefe sind
ein ausgezeichneter Beitrag zur Sittengeschichte von Rom. Ferrara
war für seine schönen Masken berühmt, sie wurden ein wichtiger
Handelsartikel der Stadt. Am 13. Februar 1508 berichtet der ferra-
resische Gesandte seinem Herzog aus Rom, der Kardinal d*Auch sei
mit den Masken sehr zufrieden, sie gehörten zu den schönsten, die
man in Rom je gesehen habe. Auch die für den Bischof von Qrvieto
bestimmten Masken seien zur größten Freude des Prälaten ausgefallen,
„le ebbe carissime". Aus Ferrara scheinen auch Masken für die Kar-
dinäle S. Pietro in Viocoli und d' Aragon gekommen zu sein, die
während des Karnevals „vestiti alla mammeluca" waren. Unter
I^o X. wartete der berühmte päpstliche Bankier, Agostino Chigi, im
Januar 151 8 auf drei Dutzend Bilasken, die ihm der Herzog von
Ferrara schicken sollte. In seinem Dialog „Delle maschere'' hat
schließlich auch Tasso die f erraresischen Masken weit höher als z. B.
die mailändischen geschätzt.
All dies beweist, wie sehr der Fasching in das Leben der Stadt
eingriff. Von den Herzögen hat namentlich Alfonso IL, selbst als
er nicht mehr jung war, den Karneval bis zum äußersten ausge-
kostet, im Kostüm eines Hofharren pflegte er sich auf der Straße
unter die Menge zu mischen. Dies wurde einem Franziskanermönch
zuviel, im Beisein des Herzogs legte er seiner Predigt den Test zu-
grunde: drei Dinge haßt meine Seele: einen armen Hochmütigen,
einen reichen Geizhals, einen wollüstigen Alten. Im Verlauf der
Predigt bekam der Herzog so manche unangenehme Wahrheit zu
hören; der Franziskaner betonte das Ärgernis, das ein alter Narr
gebe, der in der Maske Tänze anführe. Der Herzog hat die bittere
Pille in aller Stille henmtergeschluckt, und als der Kardinal Carlo
Borromeo für drei Tage nach Ferrara kam, befahl er der gesamten
Bevölkerung, die Masken abzulegen, und tat selbst ein Gleiches.
Während des Karnevals jagten Giostren, Bälle, Konzerte,
Theateraufführungen einander, so daß die vornehme Gesellschaft,
die an diesen Vergnügungen teilnahm, kaimi einen Augenblick der
Ruhe hatte. Zu den beliebtesten Vergnügungen gehörten Wett-
HÖFISCHBS LEBEN 443
laufe aller Art; bis zum Gürtel entblöBte Jünglinge und Greise
liefen um die Wette, auch Mädchen nahmen an Wettläufen teil;
selbst für Tiere veranstaltete man Wettrennen, so für Esel, Schweine,
imd Büffel, auch Stierkämpfe waren sehr beliebt. Ein ErlaB der
herzoglichen Kanzlei ist auf uns gekommen, worin anständige
Bffädchen, von gutem Betragen, über zwölf Jahre alt, aufgefordert
werden, sich zum Wettlauf am Georgstag zu melden. Als erster
Preis galt das Palio, die weiteren Preise bestanden in Seidenstoff
für einen Rock. Das Publikum betrachtete es als sein Recht, während
der Wettläufe das erste beste vorübergehende Mädchen zu packen
und auf Decken so hoch zu werfen, bis es — Venedig sähe.
Einmal nahm der Übermut dermaBen überhand, daB man zuletzt
die Verwtmdeten wie vom Schlachtfeld vom Spielplatz tragen
mußte. Wie viele andere Kamevalsitten, kam auch dieses „SpieP'
aus Rom nach Ferrara. Hatte doch Leo X. am letzten Dienstag des
Jahres 1519 den Mönch, dessen Stück keinen Beifall bei der Auf«
führung fand, auf Decken hochwerfen lassen. Dieses seltsame
„Spiel" war im Zwischenakt an Stelle einer Moreske eingeschoben
worden. Die mit diesem Spiel verbimdene Gefahr war nicht minder
groß, als jene die beim „Eierkrieg", einer gleichfalls sehr beliebten
Kamevalsnummer, zutage trat. Die Kämpfenden waren zuletzt
so aufgeregt, daß sie nicht länger mit Eiern, sondern mit Stöcken
fochten, und so mancher ging direkt nach der Schlacht ins Spital.
Zu den hübschesten ritterlichen Spielen gehörte der Ringlauf;
dem Sieger war eine kostbare Belohnung zugedacht: ein reichge-
schmücktes Barett, ein Stück Brokat oder Samt.
Nach Ferrara kamen zum Karneval Seiltänzer, Athleten oder
Prestidigitäteure in großer Zahl. Beliebt waren Ringkämpfe von
Kraftmenschen. Weihnachten 1564 kämpften während eines Fest-
essens im Schloß ein Spanier und ein Italiener Cola aus den Abruzzen.
Mit Leichtigkeit hob der letztere einen dreihundert Pfund wiegenden
Menschen auf tmd zerbrach Hufeisen, er hat auch im Kampfe gesiegt
Die Studenten haben an den Kamevalfesten regsten Anteil
genommen, so haben die Juristen am 2. Februar i486 im Palazzo
Schifanoja ein großartiges Fest gegeben, zu dem sie die Herren und
Damen der herzoglichen Familie und Ferraras elegante Welt ein-
444
VIERZEHNTES KAPITEL
luden. Man amüsierte sich glänzend und tanzte den ganzen Tag in
der Gartenloggia. Mehr noch als in den Salons machten sich die
Studenten auf der StraBe bemerkbar. Gruppen Maskierter trieben
sich in der Stadt herum, neckten die vorbeikommenden Frauen,
und ihre Freude war vollkommen, wenn es schneite, und man mit
Schneebällen die Fenster der Bekannten bombardieren konnte.
Zuweilen kam es aus diesem AnlaB zu wirklichen Kämpfen. Im
Januar 1481 griffen einige maskierte Höflinge eine Studenten-
gruppe mit Schneebällen an. Am nächsten Tage kamen dreihundert
maskierte Studenten vor das Schloß und forderten die Cortegiani
zu einem Schneeduell auf, „a fare alla neve*'; an ihrer Spitze stand
der junge Niccolo Maria Este. Natürlich blieben die Studenten
Sieger, denn soviel Hofleute wie Studenten gab es sicher nicht. Eine
je größere Seltenheit der Schnee war, eine tun so bedeutsamere
Rolle spielte er bei Festen, in Literatur und Kunst. Lascas Novellen-
cyklus „Le Cene^' wird durch eine grimmige Schneeschlacht zwischen
ausgelassenen verheirateten Frauen und jungen Leuten eingeleitet;
den Beschluß dieser „guerra terribile*' bildet ein freundschaftliches
Zusanunensitzen vor dem Kaminfeuer und das Erzählen von zu-
weilen sehr lockeren Geschichten. Die Legende der Santa Maria
della Neve ist in Rom entstanden, wo es selten schneit, tmd auf dem
berühmten Bild der Madonna della Neve in Siena bringen Engel-
kinder dem Jesusknaben Schneebälle zum Spiel dar.
Die Studenten wurden allmählich so übermütig, daß sie in der
zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts während des Karnevals ihre
Donzellen maskiert in die Schulsäle mitbrachten, selbst in Masken
erschienen imd dort Tänze aufführten; erst Ercole L verbot
Z478 maskierten Frauen den Zugang zu den Gsrmnasien. Die Stu-
denten haben sich für dies Verbot schadlos gehalten, indem sie sich
als Mönche imd ihre Preimdinnen als Nonnen verkleideten, sich
in Scharen über die Straßen wälzten und alle Vorübergehenden
belästigten. Das war selbst der milden Franziskaner-Inquisition
ein zu starkes Stück, der Herzog mußte eingreifen und die Jugend
auffordern, das Klosterhabit zu respektieren.
Die Studenten haben den Karneval häufig bis zum Fasten-
sonntag ausgedehnt, die Professoren in ihren Vorträgen gestört
HÖFISCHES LEBEN 445
und die fleiBigen Kollegen verspottet, bis der Rektor ein Machtwort
sprach und die alte Ordnung wieder einsetrte«
Das Ende des Karnevals, der rapide Übergang von Tanz, Lust-
barkeit, Bankett zu Gebeten und Kasteiung war seit jeher der Vor-
wurf einer besonderen Art von Poesie, der Poesie der Kameval-
kontraste, „il contrasto di Camevale e della Quaresima^'. Im Mittel-
alter waren diese Gedichte in Spanien, Italien, Prankreich und
Deutschland sehr verbreitet: der Kampf des Faschings mit dem
Fasten, aus dem der letztere als Sieger hervorgeht, ist das vielfach
variierte Thema. Die Dichter, die zum größten Teil dem geistlichen
Stand angehören, stehen auf der Seite des Fastens und führen zahl-
reiche Gründe an, die für die Kasteiimg des Körpers sprechen. Be-
rühmt war im XV. Jahrhundert neben vielen lateinischen Erzeug-
nissen das Gedicht des Erzbischofs Hita „der Triumph des großen
Fastens über den Fasching^'.
Der Sieg des Fastens imd die Abtötung des Fleisches entsprach
den Anschauungen der Renaissancedichter nicht mehr. In den
Gedichten des ansehenden XV. tmd beginnenden XVI. Jahrhimderts
behauptet sich der Karneval als Sieger. Der Fasten wird als eine
düstere, widerwärtige, ausgemergelte Gestalt dargestellt, während
der Karneval ein lustiger, übermütiger Geselle ist. Besonders in
Italien wird die „Monna Quaresima*' zur komischen Figur, die
häufig auf die Bühne zitiert wird. Zu den amüsantesten Gedichten
dieser Gattung gehört „II contrasto del Carnevale colla Quaresima'S
das im XVI. Jahrhundert außerordentlich verbreitet war und in
amüsanter Weise den Kampf dieser beiden BAachthaber schildert«
Der Karneval, ein übermütiger, kühner Geselle, mit Wurstkette
um den Hals und Sporen an den nackten Füßen reitet gewöhnlich
auf einem Faß Malvasier, mit prachtvoller Schabracke. Gegen
diesen ausgelassenen Kerl rüstet sich die Quaresima, ein altes, häß-
liches Weib, in einer mit Zwiebeln imd Knoblauch gestickten
Tunika, an der Spitze eines Heeres von Sardellen, Aalen, Zwiebeln,
Sellerie imd Petersilie. Der Karneval ruft seine Wald- und Luft-
armee zusammen, die aus Löwen, Hirschen, Luchsen, Hammeln,
Fasanen, Pfauen und Tauben besteht; er selbst besteigt sein Pferd,
von dem zu beiden Seiten etwa himdert gebackene Hühner henmter-
y
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444
VIERZEHNTES KAPITEL
luden. Man amüsierte sich glänzend und tanat^ f jt Hahn
der Gartenloggia. Mehr noch als in den S^/ /mee ein
Studenten auf der StraSe bemerkbar. Ch^/ / jrsten und
sich in der Stadt herum, neckten die//^/ ler, der Sieg
und ihre Freude war Tollkommen, y^//f 4Mtunen sucht
Schneebällen die Fenster der '^y/f/ stj das Schwein
Zuweilen kam es aus diesem t^/// / Als der Kame-
januar 1481 griffen einige J/^' / ^ ^mpfgewühl, rollt
gruppe mit Schneebällen bxi. /// / ^ . größten Schwierig,
maskierte Studenten vor fO csima gefangen nimmt,
zu einem Schneeduell a?,v/ ' ^£ Kriegsrat und die gesamte
der junge Niccolo J»/. ' .«ein sich, um über ihr Schicksal zu
Sieger, denn soviel^V ^er Versammlung, der auch der Fasching
je größere Seiter ^e grausame Fein