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Full text of "Der Islam"

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DER  ISLAM 

ZEITSCHRIFT 

FÜR  GESCHICHTE  UND  KULTUR 

DES  ISLAMISCHEN  ORIENTS 

HERAUSGEGEBEN  VON 

C.  H.  BECKER  in  BERLIN 

UND 

R.  TSCHUDI  IN  HAMBURG 


MIT  UNTERSTÜTZUNG  DER 
HAMBURGISCHEN  WISSEN- 
SCHAFTLICHEN   STIFTUNG 


<8> 


NEUNTER  BAND 


MIT  5  ZEICHNUNGEN  UND  20  TAFELN 


STRASSBURG  1919 
VERLAG  VON  KARLJ.  TRÜBNER 


HAMBURG:  C  BOYSEN 


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17 


Inhalt  des  neunten  Bandes. 


I.  Aufsätze  und  Berichte: 

Seile 

GoLDZiHER,  IGNAZ,  Die  Gottesliebe  in  der  islamischen  Theologie i44 

Hartmann,  Richard,  Zu  Ewüja  Tschelebi's  Reisen  im  oberen  Euphrat-  und  Tigris- 
Gebiet  ■  '  ^4 

HoROViTZ,  JosKF,  Muhammeds  Himmelfahrt  . . .  .■ '  59 

Rescher,  O.,    Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht i 

Ritter,  H,,  Mesopotamische  Studien.     I.  Arabische  Flußfahrzeuge  auf  Euphrat  und 

Tigris.     (Mit  20  Tafeln  und  5   Zeichnungen.) *  2 1 

IL  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen: 

BA13INGER,  Franz,  Sinäns  Todesjahr •'  •    ^47 

Becker,  C.  H.,  Julius  Wellhausen 95 

—  —         Mitteilung  der  Redaktion 270 

Faik  Bey-Sade,  Ein  Rechtfertigungsschreiben  des  Mustafa  Pascha  von  Ofen 100 

GiESE,  Friedrich,  Bemerkungen  zum  heutigen  Osmanisch-Türkischen  im  Anschluß 

an  Dr.  Gotthold  Weil's  Grammatik  ^r   osmanisch-türkischen  Sprache .^. . .  254 

Hart  MANN,  R.,  M.  Horten:  Muhammedanische  Glaubenslehre n? 

—  —       H.Bauer:  Islamische  Ethik 263 

_        O.  Rescher:  El-Belädorl's  -»kitäb  futüh  cl-lnddäti«. 265 

Hess,  J.  J.,  Die  Bedeutung  des  Namens  der  Türken 99 

Jacob,  Georg,  Das  türkische  Kukla  oinu 240 

Ahnied  Refik:  Onundschu  'asr-i-hedschride  Istambol  hajaty 250 

_        —        Großwardein,  eine  selbständige  türkische  Provinz 253 

Mordtmann,  J.  H.,  Zu  den  türkischen  Urkunden '0° 

—  —             Zu  Islam   VIII,   302  f 245 

Rescher,  O.  ,    Zwei    arabische    Parallelen    zu    einer   Angabe    in    Livius    Buch  21, 

T^        ,„  120 

—  -^        Philip  Khüri  Hitti,  Ph.  D ■ 2üS 

RusKA,  Julius,  Zur  Geschichte  der  arabischen  Algebra  und  Rechenkunst 116 

SEY150LD,  C.  F.,  Al-Abhari's  (f  663=  1265)  Isägügi  und  al-Fanäri's  (f  834=  1.431) 
Kommentar    dazu:    Bemerkungen    zu    Gothanus    11 78    und   Enzyklopädie    des 

Islam   I,   74  a 

Wensinck,  J.  A.,  Arabische  Traditionssammlungen.     2.  Mitteilung 1 19 

III.  Autorenverzeichnis.  270 


Studien  über  den  Inhalt  von  1001  Nacht, 


Von 

O,  Rescher. 


Inhalt: 


Vorwort  (Quellen  und  Literatur) i 

Einleitung 5 

Die  Religion  (der  Islam),  in  looi  Nacht  9 

Glaube  und  Aberglaube 19 

Der  Aberglaube 25 

Zauberei  und  Magie 31 

Der  Geisterglaube  , 42 


Der  Fatalismus .........;....  $0 

Das  öffentliche  Leben  in    lOOi   Nacht  58 

Typen  aus  dem  öffentlichen  Leben  .  .  72 

Rassetypen 74 

Juden  und  Christen 77 

Witz  und  Humor  in   lOOi   Nacht 82 

(Ehe  und)  Frauentypen  in    lOOi  Nacht  87 


Vorwort. 
Über  lOOi  Nacht  ist  von  Orientalisten,  Literarhistorikern  und 
Folkloristen  im  einzelnen  und  ganzen  schon  soviel  abgehandelt  worden, 
daß  es  auf  den  ersten  Blick  hin  scheinen  möchte,  daß  diesem  Sujet, 
das  im  wesentlichen  als  erschöpft  gelten  könne,  sich  kaum  noch  neue 
Gesichtspunkte  abgewinnen  lassen  dürften.  Trotzdem  ist  dem  aber 
nicht  ganz  so,  insofern  die  Mehrzahl  der  Untersuchungen  meist  von 
der  gleichen,  hauptsächlich  literargeschichtlichcn  oder  sagen- 
vergleichendcn  Betrachtungsweise  ausgeht,  sei  es,  um  die  Genese 
und  Komposition  (des  ganzen  Werkes  ebensowohl  wie  der  einzelnen 
Erzählungen)  klarzulegen,  sei  es,  um  folkloristischen  Zusammen- 
hängen nachzuspüren  und  die  Entwicklung  der  verschiedenen  Motive 
bei  ihren  Übertragungen  und  Wanderungen  aufzudecken.  Eine  zu- 
sammenfassende Übersicht  über  die  dergestalt  gewonnenen  Resultate 
der  Forschung  über  lOOi  Nacht  (im  wesentlichen  von  Beginn  bis  Ende 
des  19.  Jahrhunderts),  woran  sich  die  hervorragendsten  Orientalisten 
und  Literaten  wie  Silvestre  de  Sacy,  Aug.  Schlegel,  v.  Hammer- 

PURGSTALL,     WlLLIAM    LaNE,     RiCHARD    BuRTON,    WiLLIAM    WrIGHT, 

Jan  de  Goeje  u.  a.  beteiligt  hatten,  gab  bekanntlich  zuletzt  J.  Ostrup 
in  seiner  Kopenhagener  Dissertation  vom  Jahre  1,891  »Studier  ovet 
tusind  og  en  nat«  ^). 

')  Eine  deutsche  Übersetzung  ist  von  mir  in  Vorbereitung. 

Islam.     IX.  I 


2  O.  Rescher, 

Eine  ganz  andere  Art  der  Betrachtung  der  looi  Nacht,  nämlich 
eine  philologisch-kritische  Durchsicht  des  Originaltextes  [speziell 
der  Breslaucr  Ausgabe  von  Habicht]  ward  seinerzeit  von  dem  Alt- 
meister der  Arabistik  in  Deutschland,  nämlich  Leberecht  Fleischer 
in  seiner  Dissertation  »De  Glossis  Hahichtianis«  (Leipzig  1836)  in  Angriff 
genommen,  wenn  freilich  auch  nicht  zu  Ende  geführt  ^).  —  Mit  diesen 
beiden  Betrachtungsweisen,  der  litcrargeschichtlich-f olkloristi- 
schen  und  der  textkritisch-philologischen,  soll  sich  jedoch 
meine  Darstellung  nicht  weiter  beschäftigen;  vielmehr  ist  das  Ziel,  das 
ich  mir  mit  meiner  Arbeit  gesteckt  habe,  ein  davon  ganz  unabhängiges, 
nämlich:  auf  Grund  des  Inhalts  der  Erzählungen  der  lOOl  Nacht  ein 
zusammenhängendes  Bild  des  Lebens  und  Denkens  des 
islamischen  Orients  zu  gewinnen.  Ehe  ich  jedoch  den  eigent- 
lichen Stoff  meiner  Arbeit  vorlege,  möchte  ich  nicht  verfehlen,  einige 
Worte  über  das  Ouellenmaterial  vorauszuschicken.  —  Um  es  kurz 
vorwegzunehmen:  eine  vollständige  und  dem  heutigen  Stand  der 
Wissenschaft  entsprechende  Ausgabe  der  lOOi  Nacht  gibt  es  leider  nicht. 
Wohl  haben  wir  eine  Anzahl  orientalischer  und  okzidentaler  Editionen, 
doch  eine  jede  hat  —  ganz  abgesehen  von  ihrer  Unvollständigkeit  — 
Mängel,  die  eine  praktische  Benutzung  mehr  oder  minder  erschweren. 
In  mancher  Beziehung  mag  man  der  ältesten  der  vorhandenen  Aus- 
gaben, nämlich  der  HABiCHT'schen  (Breslau  1824 — 1842)  trotz  ihrer 
vielen  Unzulänglichkeiten  —  der  arabische  Text  (besonders  der 
ersten  Bändchen)  ist  äußerst  fehlerhaft  und  die  Geschichten 
sind  ziemlich  planlos  zusammengewürfelt  —  gewissermaßen  einen 
Vorzug  vor  den  andern  Editionen  einräumen,  nämlich  insofern  diese 
Fassung  einen  originellen,  vonjeder  Überarbeitung  freien  Text 
bietet,  was  man  gerade  von  den  orientalischen  Redaktionen  (insbesondere 
der  Kairoer  und  Beiruter)  nicht  sagen  könnte.  Während  der  von  der 
Jesuitenpressc  publizierte  Druck  einen  (aus  leicht  begreiflichen  Grün- 
den) »ad  usum  Delphini«  kastigiertcn  Text  aufweist,  hat  der  Kairoer 
Herausgeber  kein  Bedenken  getragen,  im  Interesse  eines  leichteren 
buchhändlerischen  Absatzes  beim  großen  Publikum  die  Redaktion  in 
einen  leichtflüssigen,  geglätteten  Stil  zu  modeln,  aus  dem  alle  Uneben- 
heiten und  Dunkelheiten  vollständig  eliminiert  sind.  - —  Erheblich 
besser  sind  die.  im  wesentlichen  übereinstimmenden.  Kalkuttaer  und 
Bulakcr  Drucke,  die  jedoch  beide  heute  sehr  selten,  fast  unauffindbar 
geworden  sind,  so  daß  ich  aus  praktischen  Gründen  von  einer  Zitierung 

')  Vom  9.  Band  ab  übernahm  Fleischer  bekanntlich  die  Ausgabe  selbst.  Eine 
nochmalige'Durchsicht  der  gesamten  zwölf  Bände  hoffe  ich  später  einmal  an  anderer  Stelle 
veröffentlichen  zu  können. 


Studien  über  den  Inhalt  von   loor  Nacht.  ■? 

derselben  (mit  geringen  Ausnahmen)  Abstand  genommen  habe.  — 
Nicht  viel  besser  steht  es  mit  unsern  Übersetzungen.  Die  einzig  wirk- 
lich vollständige  Übertragung,  die  Richard  Burton's,  ist  nicht  nur 
sehr  teuer,  sondern  auch  vollständig  vergriffen  ^),  die  Lane's  ist,  wie 
aus  der  Vorrede  zu  ersehen,  immerhin  verschiedentlich  (mit  Rücksicht 
auf  Anstößiges)  leicht  retuschiert.  Die  deutsche  Wiedergabe  von 
Habicht  selbst  (Breslau  1836  ff.)  ist  ungenau  und  unzuverlässig,  so 
daß  ich  auf  sie  nirgends  Bezug  genommen  habe.  Weit  besser  ist  die 
(bei  Reclam  erschienene  und  ihres  billigen  Preises  wegen  auch  leicht 
einzusehende)  Übersetzung  von  Max  Henning,  die  (abgesehen  von  Kür- 
zungen der  poetischen  Einlagen  und  Auslassungen  anstößiger  Stellen) 
nicht  nur  einen  vollständigen  Text  gibt,  sondern  auch  reichhaltige 
Ergänzungen  aus  andern  Quellen  bietet.  Die  Übertragung  selbst 
dürfte  im  Anschluß  an  Burton  hergestellt  sein  (unter  Zugrundelegung 
der  Bulaker  Ausgabe)  ebenso  wie  die  im  Inselverlag  erschienene,  die  in 
der  Wiedergabe  an  manchen  Stellen  etwas  treuer,  weil  weitherziger, 
ist,  wenn  freilich  sie  auch  dem  BuRTON'schen  Original  nicht  gleich- 
kommt. Eine  vollständige  und  ganz  ungekürzte  deutsche  Übersetzung 
Burton's  ist  als  Privatdruck  in  Wien  [C.W.  Stern]  erschienen,  die  — 
abgesehen  von  ihrem  hohen  Preis  —  auch  wohl  nicht  ohne  weiteres 
zu  beschaffen  sein  dürfte.  Vornehmlich  aus  praktischen  Gründen  und 
in  der  Überzeugung,  daß  neben  dem  HABiCHT'schen  Originaltext  die 
HENNiNG'sche  Übersetzung  im  großen  ganzen  den  wesentlichsten  An- 
sprüchen genügt,  habe  ich  mich  entschlossen,  meine  Zitate  hauptsäch- 
lich diesen  beiden  genannten  Drucken  zu  entnehmen.  Teilweise  Paral- 
lelen, teilweise  Ergänzungen  bietet  die  französische  Übersetzung  der 
»Cent et uneiiuüs«  von  Gaud-efroy-Deuombynes  (Paris-Guilmoto  o.D.)_ 
Im  übrigen  möchte  ich  kurz  auf  das  Verzeichnis  der  benutzten  Literatur 
und  die  folgenden  Ausführungen  hinweisen  -). 

Verzeichnis  der  hauptsächlich   benutzten  Werke. 

I.    Tausend    und    eine    Nacht: 

Zahlenangaben  ohne  Bezeichnung  =  Habicht's  Text  Breslau 
1825 — 1843;  erschien  vom  9.  Band  ab  unter  Fleischer's  Re- 
daktion. 


')  Nur  für  Subskribenten  berechnet  war  die  Übersetzung  John  Payne's,  die  im 
regulären  Buchhandel  wohl  überhaupt  nicht  erhältlich  sein  dürfte. 

-)  Ein  vor  kurzem  neu  erschienenes  Buch  von  Adolf  Gelber,  »Tausend  und  eine 
Nacht«,  das  vom  okzidentalen  Literaturstandpunkte  aus  allerlei  geistreiche  Kombinationen 
und  Konstruktionen  —  dabei  aber  in  völliger  Verkennung  des  Geistes  und  der  Psyche 
der  orientalischen  Geschichten  — •  aufzustellen  sich  bemüht,  dürfte  seiner  Tendenz  nach 
als  verfehlt  und  unzutreffend  abzulehnen  sein. 


t  O.  Rescher, 

H.  =  Henning's  Übersetzung  (Reclam,  Leipzig  o.  D.  24  Heftchen 
in  8  Bänden  mit  Nachträgen  aus  Burton,  Galland  usw.) 

HN.  =  lOi  Nacht  {»Cent  et  une  nuits«  von  Gaudefroy-Demom- 
BYNES,  Paris-Guilmoto  o.  D.). 

Bäsim  (le  forgeron):  2  Texte  und  Übersetzung  von  Graf  Landberg 
(Leyden  1888.) 

Zotenberg:  'Alä'  eddin  ou  la  lampe  merveillense.  (Paris,  impr.  Natio- 
nale 1888.) 

IL    Sonstige    Werke: 

Eugen  Aubin:  Das  heutige  Marokko  (Dtsch.  Verlag  Oesterheld,  Berlin). 
R.  Basset:  Les  dictons  satiriques  attrihues  a  Sidi  Ahmed  heu   Yousoj. 

(S.-A.  aus  J.  A.  Paris  1890.) 
A.  Bel:   Tlemgen    (extrait  de  la  Revue  des  etudes  ethnographiques   et 

sociologiques  ■ —  Geuthner,  Paris  1908). 
Bouvat:  Les  Barme cides  (Leroux-Paris  19 12). 
Canaan:  Aberglaube  und  Volksmedizin  im  Lande  der  Bibel.  (Hamburg 

1914.) 
Chauvin:   Les  mille  et  une  nuits  =  Bibliographie  des  ouvrages  arabes. 

(Liege   1900.) 

E.  Doutte:  Magie  et  religion  dans  V Ajrique  du  Nord.  (Alger- Jourdan 
1909.) 

Grothe:  Auf  türkischer  Erde.    2.  Aufl.  Berlin  1903.  —  Persien  =  Ange- 
wandte  Geographie.      III.    Serie,    11.    Heft.      (Frankfurt  a.    M.  ' 
191 1.)  —  Wanderungen  in  Persien. 

(Übers,  von)  Hamadäni:  Beiträge  zur  Maqdmen- Literatur  Heit  S- 
(Leonberg  1913  —  in  Kommission  bei  Harrassowitz,  Leipzig.) 

Huart:  Geschichte  der  Araber.  (Deutsch  von  Beck  und  Färber.  Leipzig 

1914.) 

Jacob  :  Ein  ägyptischer  Jahrmarkt.  {Sitzungsberichte  der  kgl.  Bayr.  Akad. 
der  Wissenschaften;  phil.-hist.  Klasse,  Jahrgang  1910;  10.  Ab- 
handlung.    München  1910.) 

Ibn  Gubair  =  Rihla.     2.  Ausg.     Von  de  Goeje. 

Kahle:  Das  Krokodilspiel.  (Göttingen  191 5,"  Nachrichten  der  Kgl. 
Gesellschaft  der  Wissenschaften,  philol.-histor.  Klassjß.) 

Knortz:  Folkloristische  Streifzüge.     (Oppeln  und  Leipzig  1899.) 

Kremer:  Kulturgeschichte  des  Orients.  Bd.  II.  Wien  1877.  • —  Salz 
und  Brot  =  Studien  zur  vergleichenden  Kulturgeschichte.  Wien 
1889.  (In  Sitzungsberichte  der  kais.  Akad.  der  Wissensch., 
philos.-histor.   Klasse  Bd.    120.) 

Lane:  Manners  and  customs  of  the  modern  Egypiians.     (London  1860.) 


Studien  über  den  Inhalt  von  looi   Nachtr 


5 


Lane-Poole:  Arabian  society  in    the    middle  ages.      (London  1883.) 
Leonhard:  Paphlagonia.     (Reimer,  Berlin  191 5.) 
Legrain:  Lonqsor  sans  les  pharaons.     (Brüssel- — Paris  1914.) 
Löhr:   Volksleben  im  Lande  der  Bibel.     (Leipzig  1896.) 
Mauchamp:  La  sorcellerie  au  Maroc.     (Paris- — Dorbon  aine  o.  D.) 
Meissner:    Neuarabische   Geschichten  aus  Tanger.    (S.-A.  aus    MSOS. 

Berlin  1905.) 
Muir:  The  Mameluke  or  slave  dynasty  of  Egypt.     (London  1896.) 
E.  Naumann;   Vom    Goldenen    Hörn    zu    den    Quellen     des    Euphrat 

(München  —  Leipzig  1893.) 
Reinfried:   Bräuche  bei  Zauber  und  Wunder  nach  Bochdri.     (Karls- 
ruhe 1915.) 
Salzberger:   Die  Salomo-Sage  in  der  semitischen  Literatur.     (BerÜn- 

Nikolassee  1907.) 
es-Sibli:    vgl.   meine  Rezension  in  der  WZKM.   28,   S.   241  ff. 
Snouck-Hurgronje:  Mekka  (Bd.  II).     (Haag  1889.) 
ScH WALLY:    Mohammedanische   Städter,    Fellachen   und  Beduinen    im 

heutigen  Ägypten.     (Heidelberg  19 12.    C.  Winter.) 
H.  Stumme,    Trip.  =   Märchen  und  Gedichte  aus  der  Stadt  Tripolis. 

(Leipzig    1898.)  —  Tun.  =  Tunisische  Märchen    und  Gedichte. 

(Leipzig  1893.)     Bd.  II:   Übersetzung. 
et-Xa*älibi,     Ah.  =   »A/tsaJi  md  samiHu«.       Übers.   (Leipzig   1916. 

O.  Harrassowitz.) ;  Mt.  =  Man  gab a  'anhii  Hmuirib  (Stambuler 

Gewä*ib-Druck  1309). 
Vuiller:  La  Tunisie.     (Tours  1896.) 
G.  Wetzstein:    Die    Liebenden    von    Amasia.      (Bröckhaus,  Leipzig 

1906.) 
Charles  White:  Drei  Jahre  in  Konstantinopel.    Deutsch  von  G.  Fink. 

(Stuttgart  1851.) 
Yahouda:    Bagdadische  Sprichwörter.      (Gießen    1906.      Töpelmann.) 

Einleitung. 

Seit  den  kritischen  Arbeiten  und  Forschungen  über  lOOi  Nacht, 
die  —  wie  bereits  erwähnt  —  eine  zusammenfassende  Bearbeituns  und 
Darstellung  in  Ostrups  »Studier  over  tusind  og  en  nat«  gefunden  haben, 
dürfte  es  doch  wohl  kaum  jemand  mehr  zweifelhaft  sein,  daß  das  Werk 
in  der  uns  heute  vorliegenden  Form  ebensowenig  ein  ursprünglich 
einheitliches  Ganzes  darstellt,  als  etwa  die  Bibel  oder  die  homerischen 
Epen.  Die  Kriterien,  die  uns  zur  Aufstellung  dieser  These  berechtigen 
nämlich    die    Ergebnisse    der   vergleichenden  Sagen-    und    Legenden- 


Q  O.  Res  eher, 

forschung,  dieVerschiedcnheit  der  Tendenz  und  des  Tenors  der  einzelnen 
Erzählungen  [neben  didaktischen,  ethisch-moralisierenden  und  erbau- 
lichen Stücken  finden  wir  Abenteurerromane,  realistische,  bis  ins 
Feinste  gehende  Szenen  aus  dem  alltäglichen  Leben,  pikante  Anek- 
dötchenusw.],  die  besondere  Stilisierung  und  das  eigentümliche  sprach- 
liche Gewand  ^)  der  Historien  u.  a.  m.  —  was  man  im  einzelnen  bei 


i)  Es  handelt  sich  hiebe)  um  einzelne  Worte,  die  sich  ineinigen  Geschichten  sehr  häu- 
fig, sonst  aber  nur  sehr  selten  oder  auch  gar  nicht  finden,  z.  B.  ^j^y>  (verzaubert) 
in  der  Dschüdargeschichte :  9/330/12,  335/15,  357/io.  361/n,  368/3  und  8,  374/2, 
376/13,  377/4-     [Sonst  kommt  das  Wort  in  allen  12  Bänden  nur  noch  an  drei  Stellen  vor: 

11/32/12,  11/35/9  und  8/328/14.]  Das  dazu  gehörige  Wort  iAaö.  findet  sich  überhaupt  nur 
(dafür  aber  sehr  oft)  in  der  erwähnten  Geschichte.  Andere  Worte  wieder,  z.  B.  \j»^y^S 
lassen  sich  nur  in  der  Karäderzählung  nachweisen  (8/149/7,  8/167/1,  8/i$6/2);  ebenso 
i^Üu  (8/20/13,  8/120/10,  8/181/8);  j^\  ebenda  8/60/4,  8/146/2,  8/162  ult.;  ip^b 
'(palatium)  8/35/10  und  11,  8/37/7,  8/104/11,  8/121/13.  Für  die  'Aladdingeschichte 
sind  die  Worte   »Jiyi^^jijJ«,  vgl.  Zotenberg  5/13,  17/1,  19/7,  38/12  und  68/14  [sonst  nur 

noch  einmal  bei  Habicht  12/218/12],  sowie  »yA^«  (Gassenjunge)  und  >)jAÄ*j« 
(Bummlerei)  typisch;  vgl.  Zotenberg  1/5,  i/ii,  3/16,  6/1  (bis),  7/6  usw.  —  Abu  I^ir 
»^^jJlc«    (Galeone)    10/452/4,    10/456/13,    11/28/4,    11/31/10,    11/41/6;    ferner   »'iSuuSy 

11/30/3,  11/31/12,  11/32/7,  11/35/4,  11/40/9;  ferner  iÜL^^^  10/456.457.458.461,  11/8, 
23,  39  [sonst  nur  noch  8/231/2  und  dreimal  in  der  Geschichte  von  Nur  eddin  'Ali 
(=  H.  19/152  ff.):  12/53.  80.  115;  außerdem  i^As^\  10/456.  458,  11/7.  40].  —  Der  sprin- 
gende Punkt  ist  hierbei  nicht  der  Gebrauch  dieser  oder  jener  Worte  —  die  angeführten 
sind  ja  großenteils  ganz  gewöhnliche  Ausdrücke  — ,  sondern  ihre  (fast)  ausschließ- 
liche Verwendung  in  bestimmten  Erzählungen.  Das  gleiche  gilt  auch  von  anderen 
Erscheinungen,  z.  B.  dem  Gebrauch  türkischer  Lehnworte  wie  z.  B.  ^S  (Pelz)  9/208 
ult.;  »Jjyj:^  11/8/8;  (^^.iO  4/165/11,  4/158/13;  ^^ä^  (köfte)  9/244.  269  (Ahmed 
ed-Danaf;    &^JiJ2/6o/5,  7/220/8,  t^^J  9/356,  (^:S^JLi>ii/7.  8(bis).39;  ^^Ijv^^x 0/4 29/8, 

ferner   dem  Gebrauch    spezifisch    ägyptischer    Worte  (wie   ^j^.jS    9/205/13)    oder 

neuarabischer    (ägypt.    bzw.    syrischer    Vulgärformen)  9/201/4   tjj^u,   9/217/7 

J.4.»y.}.    10/236/7    ^^Ju,  10/60/6  und  10/64/ 2'J^y>\^,  10/61/6  ^^S'IjJ,  10/455/10  <i)U;:^Lj, 

9/315/13    IjJiyLj  ^uc,  9/356/13  c^^*  i3i*£,  12/44/2  (^yW,   1 1/438/8  jJoü:j, 

n/153/8  eV-^iÄJ,  9/324/6,  -jLSL*v.Xj,  9/325/7  j,»_g-y«^Lj.  —  Selbst  wenn  wir  der  In- 
konsequenz und  Eigenmächtigkeit  der  Erzähler  und  Abschreiber  manches 
preisgeben  müssen,  so  wäre  es  doch  nicht  nur  unwahrscheinlich,  sondern  geradezu 
undenkbar,  daß  den  erwähnten  sprachlichen  Eigentümlichkeiten  (der  auffällige 
Gebrauch  einzelner  Worte,  Benutzung  türkischer  Lehnworte ,  Vulgarismen  usw.)  einzelner 
Erzählungen,  die  sich  auch  inhaltlich  als  dem  späteren  Mittelalter  zugehörig  erweisen, 
nicht  auch  eine  verschiedenartige  (zeitlich  und  räumlich  differenzierte)  Genese  zu- 
grunde läge. 


Studien  über  den  Inhalt  von    looi    Nacht.  7 

ÖsTRUP  nachlesen  mag  —  scheinen  hinreichend  zwingend,  uns  die 
Entstehung  des  ganzen  Werkes  als  eine  Kompilation  zeitlich  und  räum- 
lich differenzierter  Erzählungen  nahezulegen.  Schon  von  dem  rein 
äußerlichen  Gesichtspunkt  aus  betrachtet,  nämlich  in  Hinsicht  auf  den 
Umfang  des  Buches,  schiene  es  ja  kaum  glaublich,  dafi  ein  einzelner 
Verfasser  ein  solches  Riesenwerk  verarbeitet,  geschweige  gar  verfaßt 
haben  könnte,  und  daß  es  nicht  vielmehr  vieler  Generationen  bedurft 
habe,  um  einen  solch  ungeheuren  Stoff  zusammenzutragen. 

Trotzdem  wir  also  aufs  Nachdrücklichste  die  Differenzierung 
der  lOOi  Nacht  in  bezug  auf  Genese  und  Komposition  betonen, 
so  dürfen  wir  uns  andrerseits  nicht  der  Tatsache  verschließen,  daß  das 
Werk  nach  der  Art  und  Weise  seiner  Ausführung,  d.  h.  vom  psycho- 
logischen Standpunkt  aus  doch  wieder  gewissermaßen  einen  Zug  zur 
Einheitlichkeit  aufweist.  Es  ist  eine  Art  »islamischer  Patina«,  die 
sich  im  Lauf  der  Jahrhunderte  (zwar  nicht  über  alle,  aber  doch)  über 
die  meisten  Geschichten  abgelagert  hat.  Wir  dürfen  nämlich  den  Um- 
stand nicht  außer  acht  lassen,  daß  der  Islam  —  vor  allem  in  seiner 
späteren  Gestaltung  —  keine  spezifisch  arabische,  sondern  vielmehr 
eine  Weltreligion  darstellt,  die  ihrer  universellen  Tendenz  zufolge  auch 
das  ihr  Wesensfremde  aufzusaugen  und  sich  zu  assimilieren  bemüht. 
Gerade  die  Unausgeglichenheif  und  Unbestimmtheit,  d.h.  Dehnbar- 
keit der  zum  Teil  doch  unentwickelten  Gedankengänge  des  Korans 
hat  der  Fortentwicklung  der  islamischen  Religion  freieren  Spielraum 
verstattet  und  ihr  so  ungewollt  eine  gew^isse  Elastizität  verliehen,  die 
der  Rezeption  von  Anschauungen  und  Ideen  aus  andern  Kulturkreisen 
und  Religionsformen  (vorausgesetzt,  daß  sie  sich  dem  einmal  gegebenen 
Rahmen  irgendwie  einfügen  ließen)  keine  allzu  große  Schwierigkeiten 
machte.  Das  Resultat  dieses  Endprozesses  war  schließlich  nun  das 
»islamische  Milieu«,  das  das  gemeinsame  Bindeglied  zwischen  all  den 
kleinen,  historisch  und  lokal  bedingten  Differenzierungen  im  einzelnen 
darstellte  und  dessen  Ausdruck  die  islamische  Grundstimmung 
bildete,  die  unser  ganzes  Werk,  wie  auf  Schritt  und  Tritt 
zu  beobachten,  durchzieht  und  ihm  in  psychologischer  Hinsicht 
den  Charakter  eines  einheitlichen  Komplexes  aufdrückt.  Dieser 
Tendenz  folgend  haben  eben  auch  die  Überlieferer  und  Erzähler 
einen  großen  Teil  (nicht  alles,  wohlgcmcrkt!)  dessen,  was  dem  islami- 
schen Vorstellungskreis  ursprünglich  wesensfremd  war,  nämlich  das  dem 
Persisch- Indischen  und  Jüdischen  entlehnte  literarische  Gut,  teils  aus 
eigener  Initiative  teils  in  Rücksicht  auf  den  Geschmack  ihres  Publi- 
kums auf  ihre  Art  und  zu  ihren  Zwecken  gemodelt,  verarbeitet,  modi- 
fiziert, so  daß  es  sich  —  mochte  schon  in  den  Personen-  und  Ortsnamen 


g  O.  Rescher, 

der  fremde  Untergrund  noch  durchschimmern  ^)  —  mehr  oder  minder 
dem    Ideenkreis    der   islamischen   Anschauungen   anpaßte.      Daneben 
verliert  aber  auch  die  zeitliche  Differenzierung  viel  von  ihrer  Bedeutung, 
wenn  wir  uns  die  größere  Stabilität  der  Vorstellungen  und  Sitten  im 
Orient  durch  all'  die  Jahrhunderte  hindurch  vor  Augen  halten.  • —  Aus 
all  diesen  Erwägungen  und  Betrachtungen  heraus  dürfte  es  wohl  nicht 
ungerechtfertigt  sein,  die  lOOi  Nacht,  ebensowohl  wie  das  A.  T.  oder 
die  homerischen  Epen,    in    einem    besonderen    Sinn    unter    dem 
Gesichtspunkt     eines     einheitlichen     Ganzen     aufzufassen. 
Freilich  nicht  etwa  im  strikten  Sinn  einer  Einheit,  wie  sie  etwa  das 
schöpferische  Vermögen  einer  fest  umrissenen  persönlichen  Individuali- 
tät zu  schaffen  weiß,  sondern  in  dem  übertragenen  Sinne,  wie  sie  der 
Volksgeist  auf   Grund   der  Rassen-,    Religions-   oder  politisch-sozialen 
Gemeinschaft  herauszubilden  vermag.    Diese  weiter  umgrenzte  Einheit 
ist  es  nun,  die  uns  die  Berechtigung  geben  kann,   aus  der  lOOl  Nacht 
ein  zusammenhängendes  Bild   der  Volkspsyche  und   des  Volkslebens 
zeichnen  zu  dürfen.    Und  daß  das  Werk  auch  zu  einem  solchen  Versuch 
das  nötige  Material  liefern  kann,  scheint  auch  bei  nur  flüchtiger  Durch- 
sicht unschwer  erkennbar.    Denn  weitgefehlt,  in  den  Erzählungen  und 
Mären  lediglich  das  Produkt  mehr  oder  weniger  phantastischer  Vor- 
stellungen erblicken  zu  sollen,  müssen  wir  vielmehr  das  Werk  als  eine 
Art  ))Wahrheit  und  DichHmg«  beurteilen,  insofern  unter  der  Hülle  des 
Roman-  und  Märchenhaften  immer  wieder  die  Züge  des  realen  Lebens 
durchschimmern.     »So  gewinnen  die  Erzählungen  [H.  24/241],  indem 
sie  uns  das  Tun  und  Treiben  des  orientalischen  Mittelalters  in  allen 
Gesellschaftsschichten   schildern,   als   Kultur-    und    Sittenbilder   einen 
unvergänglichen  Wert.« 

Bei  alledem  ist  natürlich  leicht  einzusehen,  daß  ein  so  stark  von 
Phantasievorstellungen  durchwobenes  und  .  mit  Romanideen  ausge- 
schmücktes Buch,  dessen  Ziel  und  Zweck  kaum  je  Belehrung  oder  Er- 
bauung, sondern  gemeiniglich  Unterhaltung  und  Zerstreuung  war,  kein 
so  zusammenhängendes  Tatsachenmaterial  liefern  kann  als  etwa  ein 
historisches  oder  kulturgeschichtliches  Werk,  und  es  liegt  zudem 
auf  der  Hand,  daß  man  bei  der  Zusammenstellung  des  uns  interessieren- 
den Stoffes  aus  den  verschiedenen  Historien  seine  Ausw-ahl  auf  das 

0  Neben  wirklich  »exotischen«  Geschichten  wie  der  Einlcitungsgeschichte  von 
itSchahriar  und  Schahzemän-,  »Kal^ad  undSimds'.',  »Schah  Ba}it  toiddn-  Vczir  cr-Kahtuä?}«., 
den  »7  uftd  lo  FeziraK'  usw.  existiert  aber  auch  eine  Reihe  Erzähkingen,  bei  denen  der 
»exotische«  Schauplatz  nur  ein  äußerlich-fiktiver  ist,  so  z.  B.  die  Geschichte  von  '  Aladdin 
(die  nach  einer  Version  in  China  spielt,  obwohl  alle  Personen  sämtlich  als  Muslims  auf- 
treten) u.  a.  m. 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht.  q 

Typische  und  Charakteristische  beschränken  muß,  ansonsten  den  aus 
vereinzelten  Fakten  deduzierten  Generalisationen  leicht  etwas  Bedenk- 
liches anhaften  müßte.  —  Auch  sind  für  unsere  Zwecke  natürlich  nicht 
alle  Erzählungsgruppen  gleichwertig.  Historien  wie  der  Abenteuer- 
zyklus )>Sindbads  des  See/ahrers«  oder  Erzählungen  vorwiegend  ten- 
denziös erbaulichen  oder  didaktischen  Inhalts,  wie  »Der  weise 
Heykar«  oder  »Kai' ad  und  Simäs«,  ebenso  gelehrte  Produk- 
tionen, w^ie  »Die  Sklavin  Tawadduda,  können  für  die  folgende 
Darstellung  kaum  in  Frage  kommen,  während  dagegen  die 
Romane,  die  sich  um  den  Chalifen  Harun  er-Rasid  gruppieren 
[natürlich  brauchen  sie  nicht  notwendig  auch  wirklich  aus  seiner 
Zeit  zu  stammen]  und  die  zum  Teil  mit  scharfem  Realismus  gezeich- 
neten Skizzen  und  Erzählungen  aus  dem  Nillande  uns  einen  wirk- 
lichen und  anschaulichen  Einblick  in  das  lebendige  Volkstum  des 
mittelalterlichen  Ägypten,  seine  Anschauungen  und  Sitten,  verstatten. 
Gerade  diese  letzteren  Geschichten  bergen  einen  reichen  Fonds  von 
Einzelheiten  unverfälscht  orientalischen  Gepräges,  aus  denen  sich  un- 
schwer ein  zutreffendes  Bild  der  islamischen  Kultur  in  den  damaligen 
Zeiten  rekonstruieren  läßt. 

Die  Religion  (der  Islam)  in  1001  Nacht. 

Aus  Chauvin  (IV/9)  erfahren  wir,  daß  unter  den  Arabern  aber- 
gläubische Anschauungen  über  das  Werk  in  Umlauf  waren: 

»Dans    ses  \Contcs  populaires  de  la  vallce  du  NW  (15 — 16)    Art  in    Pacha  dit:    'II 

faut   encore  qua  j'attire  ici  l'attention  sur  la  croyance  gcncralement  repandue  qua  le  lecteur 

des  Mille  et  une  nuits  ^prouve  un  malheiir  personnel  dans  le  coujant  de  l'annee  oü  il  a  lu 

ce  livre.     Cette    croyance     est   entretenue  et  non  sans  succes  par   las    lettres    et 

les   gens  religieux«    usw. 

Man  darf  doch  wohl  vermuten,  daß  sich  in  dieser  Äußerung  die 
Tendenz  der  Gelehrten,  d.  h.  der  zünftigen  Literaten,  das  Amoralische 
als  unmoralisch  bewerten  zu  müssen,  wiederspiegelt  ^).  Tatsächlich 
ist  ja  auch  die  große  Mehrzahl  der  Erzählungen  [mit  den  Ausnahmen, 
die  ich  gleich  besprechen  werde],  und  zwar  gleichgültig,  ob  Liebes- 
geschichten, Abenteurerromanc  oder  Milieuschilderungen  aus  dem 
Volksleben,  mehr  oder  minder  sowohl  religiös  als  ethisch  indifferent, 
und  die  wenigen  erbaulichen   Stücke  werden  durch   die  Laszivitäten 

0  Tatsächlich  stehen  die  Geschichten  der  lOOi  Nacht  bei  den  gebildeten  Kreisen 
des  Muslims  in  kaum  höherer  Einschaltung  als  —  mutatis  mutandis  —  bei  uns  etwa  die 
Indianergeschichten.  An  ihren  ehemaligen  literarischen  .Charakter  in  besserem  Sinne 
denkt  niemand  mehr,  und  es  beschäftigt  sich  auch  niemand  mit  ihnen.  Welch'  besserer 
Beweis  als  die  —  von  mir  bereits  andern  Orts  erwähnte  —  große  Seltenheit  handschrift- 
licher Exemplare. 


10  O.  Rescher, 

und  Frivolitäten  reichlich  wieder  wettgemacht.  —  Trotzdem  wäre  es 
andrerseits  irrtümlich  zu  glauben,  daß  das  religiöse  Moment  in  den 
Historien  der  lOOi  Nacht  völlig  ausgeschaltet  wäre;  das  wäre  ja  völlig 
im  Widerspruch  mit  der  Psychologie  des  Orientalen.  Aber  wenn  wir 
auch  zunächst  von  den  Erzählungsgruppen  absehen,  in  denen  der 
Islam  in  tendenziöser  und  propagandistischer  Weise  verherrlicht  wird 
[wie  z.  B.  dem  Heldenroman  von  Gharib  und  ''Agib,  ^Omar  en-No^mdii 
und  den  der  Kreuzfahrerzeit  entstammenden  Romanen],  so  bildet 
doch  auch  in  den  übrigen  Geschichten  der  Islam  als  die  Religion  -/.otT 
i^o'/r^v  die  selbstverständliche  und  unantastbare  Grundlage,  auf  die 
sich  das  ganze  private  und  öffentliche  Leben  aufbaut.  Freilich  ist  der 
Islam,  den  wir  im  Rahmen  der  lOOi  Nacht  kennen  lernen,  kein  schlecht- 
hin arabischer  mehr,  so  wenig  wie  die  Gesellschaft,  der  die  Gestalten 
der  Erzählungen  entnommen  sind,  als  eine  schlechthin  arabische  gelten 
dürfte.  Mag  man  beide  a  potior!  als  arabisch  bezeichnen,  jedenfalls 
hatte  sich  mit  der  Entwicklung  des  arabischen  Reiches  zum  Welt- 
imperium und  mit  der  —  wenigstens  angestrebten  ■ —  Entwicklung 
des  Islam  zur  Weltreligion  durch  die  völlige  Veränderung  der  kultu- 
rellen Bedingungen  [—  das  höfische  Leben,  den  Luxus  der  Großen, 
die  massenhaft  einströmenden  Fremdelemente,  die  sich  intellektuell 
und  wirtschaftlich  geltend  zu  machen  wußten  usw. — ]  eine  nicht  un- 
wesentliche Metamorphose  der  Lebensgestaltung  [Entwicklung  des 
Großstadtlebens!]  und  der  Religion  vollzogen.  Daneben  allerdings 
—  das  soll  ausdrücklich  betont  werden  —  hatte  sich  (analog  wie 
auch  im  Christentum)  aus  der  Zeit  des  alten  Heidentums  noch  man- 
ches erhalten,  das  sich  teils  unter  veränderter  Form  in  den  Islam 
herüberzuretten,  sich  ihm  zu  amalgamieren,  teils  auch  wieder  —  der 
Macht  der  Gewohnheit  zufolge  ■ —  sich  wider  die  Bestimmungen  Mo- 
hammeds durchzusetzen  und  zu  behaupten. wußte.  —  Auf  diese  Art 
entstand  allmählich  - —  ebensowohl  am  Hof  des  Chalifen  wie  in  den 
breiteren  Massen  —  eine  Art  von  laxem  Kompromiß- Islam,  der 
sich  gar  häufig  nach  all'  den  größeren  und  kleineren  menschlichen 
Schwächen  und  Wünschen  modeln  und  modifizieren  lassen  mußte. 
So  wurde  das  Verbot  des  Weingenusses  fast  immerund  überall  über- 
treten'),  ja  in  den  späteren  Zeiten  griff  man  —  besonders  in  den 
niederen  Volksschichten  —  zu  noch  viel  gefährlicheren  Betäubungs- 
mitteln,  nämlich  dem   Haschisch  2)  und   Opium.     Dem  Bagdader 


>)  Erwähnung    von    Wcinbudikcn    (Tavernen)     9/246/1  =  H.     12/93     C^^'    Zihaq), 
H.  12/88  =  912-^2,1 12  ff.  usw. 

^)  Verschiedene  Haschischsorten  vid.   Bas  im   Üb.  33. 


Studien  über  den  Inhalt  von    looi   Nacht.  II 

Sprichwort  zufolge:  )>Wein  ohne  Musik  macht  den  Kopf  dick«  [oL^ciJ« 
^j^\    öjJ    iIjj    ^U-w    ^lJ]0    (H.  6/194  — C.  11/83/4)^)   pflegte   man 

den  Wein,   besonders  wenn  es  sich  um  richtige  Symposia  handelte, 
nicht  ohne  Musik-  und  Tanzveranstaltungen  zu  sich  zu  nehmen, 
obwohl  beides   durch   den   Islam   strikter  Observanz  natürlich  streng 
verpönt  war.     Infolge  des  Luxus  kam  am  Hofe  und  bei  den  Reichen 
ganz    allgemein    der   Gebrauch     goldenen     Hausrats,     d.h.    gold- 
gefertigter Gefäße  und  Geschirre  3),  auf,  obwohl  auch  dem  ein  unzwei- 
deutiges Verbot  durch  einen  Hadit  des  Propheten  entgegenstand.  — 
Von  den  noch  aus  dem  Heidentum  stammenden   [übrigens  auch  da 
vielleicht  nicht  einmal  original  arabischen,  sondern  auf  altorientalischen 
Einfluß  zurückgehenden]  Bräuchen  erhielt  sich  —  und  zwar  bis  auf 
die  Gegenwart  herein  —  die  Totenklage  mit  all'  ihren  übertreibenden 
Auswüchsen,  obschon  die  Theologen  gegen  letztere,  als  im  Widerspruch 
mit  der  im  Wesen  des  Islam  begründeten  Ergebung  in  den  göttlichen 
Willen,  ständig  eiferten.  —  Auch  im  öffentlichen  Leben  kam  im  Laufe 
der  Zeit    die  Praxis  immer  mehr  in  Konflikt  mit  der  Theorie.     Der 
immer  mehr  sich  befestigende  Absolutismus  der  Chalifen  und  späteren 
(Provinz)  Sultane  hatte  das  Prinzip    der   Unverletzlichkeit  des 
Muslims  in  seinem  Hause  mehr  oder  weniger  antiquiert.    Was  wiederum 
die   religiösen    und    ethischen  Anschauungen  anlangt,  so  bildete 
sich  allmählich,   vielleicht  auch  unter  christlicher  Beeinflussung,   der 
auch  heute  noch  florierende  Heiligenkult  —  (eine  Abart  davon  ist 
der   Persönlichkeitskultus  Mohammeds   selbst)  —  heraus,  der 
dem  alten  Islam  zum  mindesten  vollkommen  fremd  war,  wenn  nicht 
direkt  zuwiderlief.     Die   ethischen  Anschauungen  hinwieder  erfuhren 
starke  Wandlungen  (vor  allem  wohl  durch  die  wahllose  Mischung  der 
späteren  arabischen  Gesellschaft,  die  einen  diametralen  Gegensatz  zu 
dem  aristokratischen  Prinzip  der  altarabischen  Stammes-  und  Familien- 
distinktion  bildete),   die  zweifellos  in  der  ethnischen  Deteriorierung  des 
islamischen  Volkstums  im  Mittelalter  begründet,  letzten  Endes  doch 
vielleicht  mit  der  Frauenfrage  im  weiteren  Sinn   [Entselbständigung 
der   Frau,    Heranziehung   von    Konkubinen   aus    niedriger   stehenden 
(hamitischen  und  negroiden)  Völkerschaften  usw.]  im  Zusammenhang 
stehen  dürften.     Auch  die  später  immer  mehr  um  sich  greifende  u  n 


0  Entsprechend  II.  2/135  '-=  3/132/10:   »-^5  j.$'  La    y_Jp  bb  Oyii.il«. 
^)  Die  Stelle  lautet  bei  Habicht  etwas  anders  (7/192  ult.  —  193/0- 
3)  H.    18/17/9  =  4/149/3,  2/325/12;   H.   2/130  =  3/123/11;   H.    16/156;  vgl.   Kremkr 
2/43/8  u.;  ibid.  2/241/15. 


j2  O.  Kescher, 

natürliche  Liebe  dürfte  vielleicht  damit  zusammenhängen ') ;  ein 
Analogen  bietet  ja  auch  das  zum  Teil  ähnliche  gesellschaftliche  Ver- 
hältnisse aufweisende  griechische  Altertum. 

Nach  diesem  allgemeinen  Resume,  das  zur  Verdeutlichung  des 
oben  gebrauchten  Ausdruckes  »Kompromiß- Islam«  dienen  soll,  dürfte 
es  vielleicht  angezeigt  sein,  etwas  auf  das  Detail  der  Erzählungen  von 
lOOi  Nacht  selbst  einzugehen  -). 

So  lesen  wir  in  der  Geschichte  von    Nur    eddin   'AH  (12/96/4  = 

11.    19/174): 

»Bei  mir«  —  sagte  der  Scheich  —  »ist  eine  Sklavin,  die  behauptet,  von  den  Sklavinnen 
Harun  er-Raschid's  zu  sein;  sie  hat  bei  mir  gegessen  und  möchte  nun  in  meinem  Hause 
Wein  trinken.  Ich  aber  ging  nicht  darauf  ein,  und  da  meinte  sie  zu  mir,  daß  sie,  wenn 
sie  keinen  Wein  trinke,  stürbe.  Deshalb  bin  ich  in  großer  Verlegenheit  und  Ratlosigkeit.« 
Da  entgegnete  ihm  der  Jude,  sein  Nachbar:  »Wisse,  daß  die  Sklavinnen  des  Fürsten  der 
Gläubigen  ans  Weintrinken  gewöhnt  sind,  und  wenn  sie  essen,  ohne  zu  trinken,  so  sterben 
sie.  Ich  fürchte  nun,  daß  ihr  etwas  zustoßen  könne  und  Du  so  Risiko  läufst,  den  Zorn 
des  Chalifen  über  Dich  heraufzubeschwören;  usw.« 

Daß  man  es  am  Hof  des  Chalifen  mit  dem  Weintrinken  hielt,  ohne 
sich  über  das  religiöse  Gebot  (oder  Verbot)  sonderlich  Skrupel  zu 
machen,  ersieht  man  aus  den  vielen  Szenen,  in  denen  der  Fürst  der 


0  Der  persische  Einfluß,  den  Kremer  (2/129)  neben  der  Geschlechtertrennung 
für  die  Sittenzersetzung  verantwortlich  machen  möchte,  kann  wohl  für  den  Osten  der 
arabischen  Welt  nicht  in  Abrede  gestellt  werden;  aber  für  den  äußersten  Maghreb,  wo  von 
irgendwelchem  persischen  Einfluß  nicht  gut  die  Rede  sein  kann,  und  wo  die  Verhältnisse 
fast  noch  schlimmer  als  im  Osten  liegen  [Mauchamp  166),  kann  diese  Ursache  gar  nicht 
in  Frage  kommen.  —  Im  übrigen  vgl.  sachlich  (ich  zitiere  bloß  die  Stellen):  HN-  20  u., 
11/123/2  =  H.  18/148/9,  ii/iio  u.  {Geschichte  des  Drogisten  und  des  Sängers) 
[alles  indisch],  9/254  u.  {'Ali  Zthak,  H.  12/99),  Bäsim  Üb.  23  u.  (=  Text  17/8),  7/51  u., 
7/54/2,    7/62/3    {^Alä'     eddin   abü   's-Sämät),     wohl  auch  9/205/7  =  H.  12/67  Mitte;     ein 

witziges    Gedicht    gegen   diese   Unsitte  (8/31O,   wo   zu   lesen   [Basit]:   p^j!    X»>L50 
»'bo!    ;Lj0^i     ^5).      Vgl.    auch  Snouck-Hurgronje  II/ii  u.,    II/55  ob.,    II/69  Mitte. 

-)  Obwohl  es  nach  dem  bereits  in  der  Einleitung  Gesagten  fast  überflüssig  erscheinen 
könnte,  möchte  ich  doch  noch  einmal  besonders  darauf  hinweisen,  daß  es  sich  bei  all'  dem 
Folgenden  um  keinerlei  historische,  sondern  nur  um  psychologische  Fakta  handeln 
soll.  Selbst  wo  Parallelen  aus  Aghdni  oder  andern  Werken  vorliegen  sollten  und  sich  in 
einzehien  Fällen  doch  wirkliche  Tatsachen  nachweisen  lassen  könnten,  lege  ich  doch  für 
den  ganzen  Komplex  meiner  Darstellung  keinerlei  Gewicht  auf  etwaige  Differenzierungen 
dieser  Art,  weil  ich  eben  hier  keine  geschichtlichen,  sondern  nur  sozial-psychologische 
Zusammenhänge  verfolge.  Dagegen  habe  ich  mich  bemüht,  durch  ständige  Hinweise  auf 
Werke  exakter  Forschung  [Lane,  Kremer,  Snouck-Hurgronje,  Doutte  usw.]  den  Zu- 
sammenhang der  Fiktion  einerseits  und  der  Wirklichkeit  andrerseits  dauernd  im  Auge  zu 
behalten.'  —  Im  übrigen  kann  natürlich  jeweils  nur  eine  Auswahl  von  einigen  (mehr  oder 
weniger  charakteristischen)  Stellen  in  Frage  kommen,  insbesondere  wo  es  sich  um  typische 
Erscheinungen  des  islamischen  Volkstums  handelt. 


Studien  aber  den  Inhalt  von   looi   Nacht.  I3 

Gläubigen  selbst  in  der  Zecherrundc  erscheint;   so  z.  B.   in  der  Gc. 
schichte  der   »Sems  ennahdr «  (H.  5/1 12  =  3/64/9),  wo  es  heißt: 

»Da  traf  es  sich,  daß  der  Fürst  der  Gläubigen  nach  seiner  Gewohnheit  beim  Weine 
saß, « 

oder  in  der  Erzählung    vom     »Enmchten    Schläfer«,     wo   der    Chalife 
mit  abü  'l-Iiasan  zusammensitzt  (4/145/4  =  H.   18/11): 

»Da  reichte  er  (abu  '1-Hasan)  dem  Chalifen  den  Becher  und  sagte:  Trink  ihn  zum 
Wohl!  ....  Und  sie  hörten  nicht  auf,  zu  zechen  und  zu  plaudern  bis  in  die  späte  Mitter- 
nacht hinein.« 

Nur  selten  hören  wir,  daß  sich  gelegentlich  Bedenken  wegen 
des  koranischen  Verbots  geltend  machen,  wie  z.  B.  in  der  Historie 
vom  falschen  Chalifen  (H.  6/193  —  7/192/12): 

»Der  Becher  ging  in  der  Runde,  bis  er  an  den  Chalifen  Härün  er-Rasid  gelangte,  der 
ihn  aber  zurückwies.  Da  meinte  der  Pseudochalife  zu  Dscha'far:  „Warum  will  Dein  Kame- 
rad nicht  trinken?",  worauf  ihm  dieser  entgegnete:  „Seit  längerer  Zeit  schon  hat  er  keinen 
Wein  (mehr)  getrunken"«')  usw. 

Auch  von  el-Ma'mün  haben  wir  eine  kleine  Episode  in  lOOi 
Nacht  überliefert  (H.  7/49  =  Chauvin  V/279)  2),  in  der  er  einem  Ge- 
lehrten, der  ihm  die  Teilnahme  an  einem  Weingelage  abschlägt,  nicht 
nur  seine  Anerkennung  ausspricht,  sondern  ihm  auch  noch  eine  fürst- 
liche Belohnung  zukommen  läßt. 

Wenn  es  auch  einzelne,  auf  dem  Boden  der  Orthodoxie  stehende 
sittenstrenge  Chalifen  gab  (wie  el-Muhtadi  —vgl.  Huart  I/306  —  oder 
'Omar  IL  —  vgl.  Kremer  2/204),  die  Wein  und  Musik  aus  ihrer  Nähe 
verbannten,  so  bildete  dies  im  allgemeinen  doch  nicht  die  Regel,  und 
wenn  man  im  großen  ganzen  natürlich  auch  den  Schein  der  Öffentlich- 
keit gegenüber  wahren  mußte,  so  drückte  man  dafür,  wenn  man  sich 
von  Beobachtung  frei  wußte,  gern  einmal  ein  Auge  zu  3).  —  In  den 


I)  Ähnlich  in  der  Geschichte  von  //arf/n  und  den  drei  Mädchen  (H.  1/83  ult.);  doch 
ist  der  Text  1/178  anders. 

-)  Die  Erzählung  fehlt  bei  Habicht. 

3)  L.\NE  94:  »Many  of  the  Muslims  however  in  the  present  day  drink  wineetc.  in  secret; 
and  some  thinking  it  no  sin  to  indulge  thus  in  moderation,  scruple  not  to  do  so  openly ;  but 
among  the  Egyptians  there  are  few  who  transgress  in  this  flagrant  manner.«  —  Auch  hatte 
man  sich  allerlei  —  halb  scherzhafte,  halb  jesuitische  —  Entschuldigungen  zur  Beschöni- 
gung des  Weingenusses  und  Umgehung  der  Sünde  ausgedacht  {Nur  eddhi  'Alt):  H.  19/173 
=  12/93  ult-,  wo  die  nach  Wein  lüsterne  Sitt  el-miläh  den  Scheich  fragt:  »Sind  Honig  und 
Trauben  erlaubt  oder  verboten?«  Auf  seine  Antwort:  Erlaubt,  repliziert  sie  ihm:  »Nun, 
Wein  besteht  doch  aus  Traubensaft  und  Honig.«  Oder  H.  2/129  =  3/122  {Ems  el-gelh). 
Nach  dem  Essen  brachte  ihnen  [Nur  eddin  und  seinem  Mädchen]  der  Scheich  Ibrahim 
kaltes,  gesüßtes  Wasser.  „Das  ist  nicht  das  Getränk,  das  ich  möchte",  sagte  ihm  da  Nur 
eddin.  „Meinst  Du  etwa  Wein,  mein  Sohn?",  entgegnete  der  Scheich.  Als  Nur  eddin 
bejahte,  meinte  der  Scheich:  „Gott  behüte,  mein  Sohn!  Seit  13  Jahren  habe  ich  dergleichen 
nicht  mehr  getan.    Hat  doch  der  Prophet  —  Gott  segne  ihnl  —  den,  der  ihn  trinkt,  aus- 


lA  O.  Kescher, 

unteren  \^olksschichten  machte  man  dagegen,  wie  bereits  erwähnt, 
auch  von  andern  berauschenden  Mitteln  Gebrauch,  der  )>hü::a«^) 
(vgl.  9/267  ull.  und  268/4  =  H.  12/108  ein,  wie  es  scheint,  bei  den 
Schwarzen  -)  beliebtes  Getränk),  dem  »mizr«  (1/126/ 12  =  H.  1/67, 
1/128/8,  1/268/11  —  Kremer  2/204)  und  dann  von  den  Narkotika, 
Haschisch  und  Opium.  Zahlreich  sind  die  meist  aus  Ägypten  stam- 
menden kleinen  Skizzen  und  Burlesken,  die  speziell  die  »Haschisch- 
esser« zum  Gegenstand  haben  [[vgl.  Chauvin  Nr.  278  ff.,  die  kleine 
Erzählung  (in  dem  großen  Ritterroman  von  ^Omar  en-No^mdn)  H. 
4/172 — 174  und  vor  allem  die  Komödie  H.  23/145  [eine  ähnliche  Ge- 
schichte bei  Kern,  i} Ägyptische  Humoristai«,  in  MSOS.  IX,  Abt.  H, 
S.  34  Mitte],  in  der  ein  vom  Beng-  [d.  h.  Haschisch]  Rausch  benommener 
Fischer  auf  der  von  Mondstrahlen  übergossenen  Straße,  die  er  für  ein 
glitzerndes  Gewässer  hält,  zum  Fischfang  auszieht,  um  schließlich 
einen  —  Straßenköter  zu  angeln  3)]]. 

Nicht  minder  war  und  blieb  die  Freude  an  der  Musik  —  trotz 
aller  Streitschriften  der  Theologen  und  Moralisten  (z.  B.  Ibn  abi 
'd-Dunjä's:  »Kitdb  dämm  el-malähi)  — bei  Hoch  und  Nieder  lebendig 
und  in  den  Ländern  des  Islams  überall  und  zu  allen  Zeiten  verbreitet  4). 


preßt  oder  trägt,  verflucht."  Ihm  erwiderte  Nur  eddin:  ,,So  hör'  doch  von  mir  zwei  Worte!" 
Der  Scheich  sagte  darauf:  ,, Sprich!"  Da  begann  Nur  eddin:  ,,Wenn  der  Esel  hier  ver- 
flucht wird,  trifft  Dich  dann  von  seiner  Verfluchung  etwas  mit?"  ,,Nein",  erwiderte  der 
Scheich.  ,,Nun  gut",  fuhr  Nur  eddin  fort,  ,,nimm  diesen  Dinar,  diese  zwei  Dirhem's, 
besteig'  den  Esel  und  mach'  in  einiger  Entfernung  [vom  Laden]  Halt!  Und  flndst  Du 
einen,  der  solchen  zu  kaufen  sich  anschickt,  so  ruf  ihn  und  sag'  zu  ihm:  ,,Nimm  diese  zwei 
Dirhem's  [Trinkgeld];  kauf  'mir  für  einen  Dinar  Wein  und  lad'  ihn  auf  den  Esel."  So  hast 
Du  ihn  weder  getragen  noch  hergestellt  noch  ihn  gekauft,  so  daß  Dich  die  Verfluchung 
auch  nicht  treffen  kann."  —  Ähnlichen  (scherzhaft-beschönigenden)  Sophistereien  begegnen 
wir  bei  den  Dichtern,  die  den  gekochten  Wein  besingen  und  anpreisen,  weil  er  bereits  des 
»Feuers  Glut«  auf  sich  genommen  und  so  den  Trinkenden  frei  ausgehen  läßt  (El-Maträni. 
Ta'älibi  Ah.  ^7  ^  Mt.  284;   Ibn   el-Mo'tazz:   Ält.  284). 

')  Lane  335  und  94:  »'Boozeh'  or  'boozah'  an  intoxicating  liquor  made  with  barley 
bread,  crumbled,  mixed  with  water,  strained  and  left  to  ferment,  is  commonly  drunk  by 
the  boatmen  of  the  Nile  and  by  other  persons  of  thc  lower  orders.« 

^)  Snouck-Hurgronje  II/13. 

3)  Weiteres  in  dem  Abschnitt  über   »Humor  und  Witz«  in  looi   Nacht. 

4)  AuBiN  308:  Die  Musik  erscheint  wirKÜch  als  der  unentbehrliche  Schmuck  des 
Lebens.  Ohne  Musiker  und  Sänger  kein  Fest  in  der  Familie,  keine  Nsaha  nn  der  Gesell- 
schaft. —  Ähnlicli  Lanf.  353:  »The  Egyptians  in  general  are  excessively  fond  of  music; 
and  yet  they  regard  the  study  of  this  fascinating  art(like  dancing)  as  unworthy  any  portion 
of  the  time  of  a  man  of  sense;  and  as  exercising  too  powcrful  an  effect  upon  the  passions, 
and  leading  a  man  into  gaiety  and  dissipation  and  vice.  Hence  it  was  condenined  by  the 
Prophet;  but  it  is  used  notwithstanding  even  in  religious  ceremonies«  usw.,  und  Bel  48: 
»Le  musulman  tlemcenien  est  tres  amateur  de  chant  et  de  musiquc.  En  dehors  des  fetes 
publiques  ou  privees,    des  mariages  et  des  reunions  d'amis,    auxquelles  sont  convies  des 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht.  I5 

Ganz  besonderes  Ansehen  aber  genoß  die  Musik  zur  Blütezeit  des 
Chalifats  in  Bagdad,  wo  ihr  am  Hofe  das  lebhafteste  Interesse  ent- 
gegengebracht wurde.  Von  Harun  er-Rasid  ist  es  zur  Genüge  bekannt, 
daß  er  für  Musik  und  Gesang  Unsummen  opferte.  Guten  Sängerinnen 
gegenüber  kannte  seine  Freigebigkeit  ^  oder,  wenn  wir  es  anders  be- 
trachten wollen,  Verschwendungssucht  —  keine  Grenzen,  und  wenn 
wir  den  Berichten  des  )>kUdb  el-Aghäm«  trauen  dürfen  (XVI/136  ^ 
BouvAT  521)),  muß  die  Musikliebhaberei  die  Einkünfte  ganzer  Provinzen 
verschlungen  haben,  was  allerdings  nur  insofern  möglich  war,  als  Staats- 
schatz und  'Privatschatulle  für  den  Fürsten  der  Gläubigen  eins  waren. 
Des  gleichen  Ansehens  wie  Ibrahim  el-Mausili  bei  Harun  erfreute  sich 
sein  Sohn  Ishäqbeiel-Ma'mün,  und  von  beiden  haben  uns  die  lOOi  Nacht- 
historien [zum  Teil  natürlich  aus  andern  Quellen  als  dem  »kitdh  el-Aghäm« 
geschöpft]  unterschiedliche  Geschichtchen  und  Anekdoten  aufbewahrt, 
wie  z.  B.  die  Erzählung  (H.  8/88  ff.  =  8/259  und  Chauvin  Nr.  225  ff.). 
An  einer  Stelle  (H.  19/102  ^  11/406/11:  Tuhfat  el-kulüb  und  Hdrün 
er-Raschid)  lesen  wir,  »daß  der  Fürst  der  Gläubigen  den  Ishaq 
b.  Ibrahim  so  gern  gehabt  habe,  daß  er  ihm  ein  besonderes  Schloß 
habe  zur  Verfügung  stellen  lassen,  wo  er  die  Sklavinnen  in  Musik  und 
Gesang  unterrichten  ließ,  um  sie  dann  nach  ihrer  Ausbildung  dem 
Chahfen  vorzuführen«,  und  Ishäq  hatte  dafür  die  Verpflichtung 
(H.  19/109  =  11/419/13),  die  Mädchen,  deren  Gesang  ihm  gefiel,  vor 
dem  Fürsten  der  Gläubigen  vorsingen  zu  lassen.  An  einer  andern  Stelle 
(in  der  gleichen  Erzählung,  vgl.  H.  19/111  =  1 1/425/2)  berühmt  sich 
Harun  sogar,  mehr  von  der  Musikkunst  zu  verstehen  als  irgendein 
anderer,  und  nicht  selten  sind  die  Episoden,  in  denen  Harun,  von  dem 
Gesang  einer  Sängerin  angezogen,  plötzlich  inkognito  oder  auch  in 
absichtlicher  Verkleidung  seinen  Besuch  in  fremden  Häusern  abstattet. 
So  z.  B.  H.  6/102  =  7/78/14  ff.,  H.  6/103  =  7/80/2  {'AW  eddm  ahü 
^sSdmdt);  H.  1/82  u.  =  1/174/3  {Der  Lastträger  tmd  die  drei  Mädchen); 
H.  2/141  =  3/144/1  {Enis  el-gelis),  wo  der  (als  Fischer  verkleidete) 
Chalife  zur  Nur  eddin   sagt: 

»Du  hast  Dich  gegen  mich  nobel  gezeigt,  doch  —  um  Deine  Wohltat  voll  zu  machen, 
erbitte  ich  von  Dir  ein  Lied  von  dem  Mädchen,  das  sie  uns  vorsingen  mag,  damit  ich  sie 
höre.« 

Doch  mag  es  an  diesen  (leicht  zu  vermehrenden)  wenigen  Bei- 
spielen genügen;  außer  Frage  steht  jedenfalls,  daß  man  der  Musikkunst 

musiciens  et  des  chanteurs,  les  cafcs  maures,  en  etc  surtout,  sont  transformes  le  soir  en 
veritables  cafe-concerts«  usw. 

I)  »Harun,  dont  les  attentions  pour  Danänir  exciterentla  Jalousie  de  Zobaida  venait 
souvent  chezYahyä  pour  l'entendre.  II  luidonna  une  fois  un  collier  valant  30  ooodinär's.  » 
Vgl.  auch  die  Episoden:  Kremer  2/65  und  2/67. 


lg  O.  Rescher, 

und  -liebhabcrei  in  den  islamischen  Ländern  bei  Hoch  und  Nieder 
gleich  lebhafte  Pflege  angedeihen  ließ  und  daß  den  über  diese  Betäti- 
gung absprechend  urteilenden  religiösen  Bestimmungen  nie  sonderlich 
Beachtung  geschenkt  wurde.  Dafür  sprechen  nicht  nur  die  Erzählungen 
aus  looi  Nacht,  sondern  auch  gleicherweise  die  Bemerkungen  der 
Schriftsteller,  die  wir  in  den  Noten  bereits  zitiert  haben  [Lane,  Aubin 
Bel  usw.]  i). 

Gegenüber  der  großen  Reihe  von  Geschichten,  die  —  wie  oben  auf- 
gezeigt —  zum  mindesten  als  religiös  indifferent  zu  werten  sind,  findet 
sich  aber  auch  eine  ganze  Anzahl  Erzählungen,  in  denen  das  religiöse 
Moment  stärker  betont  erscheint,  ja  sogar  in  direkt  tendenziöser 
Weise  zum  Ausdruck  gebracht  wird.  Wenn  nun  auch  die 
Gleichartigkeit  der  Tendenz  diesen  in  Frage  stehenden  Romanen  und 
Novellen  den  Stempel  einer  gewissen  Ähnlichkeit  in  psychologischer 
Beziehung  aufdrückt,  so  ist  doch  andrerseits  die  besondere  Färbung  der 
einzelnen  Stücke,  die  wieder  in  der  historischen  Genese  ihre  Motivierung 
hat,   ganz  unverkennbar.     Zuerst  haben  wir  da   den  großen  —   der 


I)  Auf  einiges  andere,  hier  vorläufig  nur  Angedeutete,  soll  in  einem  andern  Zusammen- 
hang noch  einmal  des  näheren  eingegangen  werden  (Luxus,  Totenklage,  Absolutis- 
mus, Heiligenkult  usw.).  Doch  soll  hier  noch  auf  eine,  immer  noch  nicht  einwandfrei 
geklärte  Frage  Bezug  genommen  werden,  nämHch  die  Bilderfrage.  Ohne  z.u  dem  Pro- 
blem »verboten  oder  erlaubt«  hier  weiter  Stellung  zu  nehmen  [eine  erschöpfende  Dar- 
stellungerscheint von  Herrn  'All  'Enäni  inMSOS.  1019],  möchte  ich  nur  die  betreffenden 
Stellen  zitieren;  natürlich  ist  ein  ganzer  Teil  der  Zitate  aus  Geschichten  nicht  -  islami- 
scher Proveni  enz.  Vgl.  ferner  auch  außer  Chauvin's  »Defense  des  images«  noch  Kremer 
2/302  Anm.  4;  Snouck-Hl-rüronje  II/219;  Doutte  16;  Lane  (chapter  III:   »Ritual  atid 

moral  lazvs<^  p.  95  Anm.  4;  Lane-Poole  15  u.  —  H.  7/59  =  'Iz^h  (ües  nach  Cäiro  jy*^^. 
,«>wIiJl!):  »Zumurrud  fertigte  einen  seidenen,  gestickten  Vorhang  an,  den  sie  mit  Figuren 
von  Vögeln  und  allen  nur  denkbaren  wilden  Tieren  verzierte.  H.  1/181  u.  =  2/48/3 
Nur  eddin  und  Semseddin:  Ein  goldgewirktes  Gewarid  mit  Figuren  von  Vögeln  und 
wilden  Tieren;  H.  4/64  und  H.  4/82/4  {' Aziz  und' Aztze  —  fehlt  bei  Habicht):  Ein  Stück 
Linnen  mit  Gazellenst  ickcrei ;  H.  22/106/13  (=  Nöldeke  »Doktor  nndGarkoch«  40/1): 
Vorhang  mit  Abbildung  zweier  Löwen;  desgl.  2/326/2.  Ferner  H.  10/133  und  134  =  6/392/6 
{Messingne  Sladl)  und  H.  7/23  Mitte  (Abbildungen  von  Vögeln  und  Tieren)  fehlt  in 
Habicht's  Text  7/231;  H.  12/165.166  =  5/191:  Bild  der  Taube,  des  Taubers  und 
des  Vogelstellers  {Hajäl  ennuftis  und  ArdeSir);  H.  16/129  ob.  {Ibrahim  und  Gemile)  = 
Chauvin  Nr.  218:  Ein  Fraucnl)ii(Iuis ;  desgl.  H.  13/80  =  7/221/9  {Seif  el-muhik); 
H.  10/174  =  12/300  {Der Goldschmied,  der  sich  in  ein  Bild  verliebte).  Vgl.  auch  Stumme, 
Tun.  80  paen.;  H.  21/181  (Skulpturen  und  Malereien);  H.  24/63  {Die  Liebenden  aus  Syrien): 
Anfertigung  einer  Statue;  H.  20/120  {Zain  el-asndm):  Geschichte  der  9  Statuen;  H.  2/174  = 
5/9/10  {Ghänem):  Menschenähnliche  Holzfigur;  H.  16/34=8/168/9  {Kal'dd  und  Stmds): 
Bild  eines  Knaben.  —  Bildnisse  auf  Goldstücken  H.  21/63  C^^'  Bdbä);  HN.  187  = 
S/219/2  ='H.   8/51   ult.    {Chosrauund  Schirin).      Vgl.   auch  noch  das  4/17?/"   genannte 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi    Nacht.  I7 

'Antargesc.hichte  nachgeahmten    —    Heldenroman    von    Gharib    und 
'■Agih,  dessen  äußere  Einkleidung  im  wesentlichen  das  Beduinenmilieu 
darstellt.      Die  vielen,    in   der   Erzählung   enthaltenen   Konversionen 
[H.  II/I47,  ii/119,  11/120,  11/87,  11/77,  11/72,  11/215,  11/183]  dürften 
jedoch  wahrscheinlich  die  Zutat  einer  späteren  Zeit  sein,  in  der  solche 
Episoden  vom  Volksgeschmack  besonders  goutiert  wurden,  wie  es  für 
das  Ägypten  der  Kreuzfahrerzeit  typisch  ist.  —  In  der  Tat  haben  all' 
die    Bekehrungsgeschichten    neben   dem   religiösen   Pathos   auch 
noch  einen  unverkennbar  nationalistischen  Einschlag.   In  den  älteren 
Romanen  richtet  sich  die  Spitze  vor  allem,  ja  beinahe  ausschließlich, 
gegen  die  Magier  (Zoroastrier),  gegen  die  ein  richtiger  Religions-  und 
Rassenhaß  bestand,  wie  z.  B.  aus  den  Geschichten  von  Hasan  el-Basri, 
As'adund   Amgad  u.a.    ersichtlich   ist  i).      [Bekehrung   des   Magiers 
Bahräm  H.  6/47  =  3/318/13].     Eine  noch  viel  wichtigere  Rolle  aber 
spielten    diese    Konversionstendenzen    in    den    späteren    Erzählungen 
ägyptischer  Provenienz.     Ich  möchte  hierfür  nur  auf  die  Geschichten 
von  Nür-eddin  und  Mirjam,  der  Gürtelmacherin,  verweisen,  die  vor  dem 
Chalifen  so  schön  ihr  moslemisches  Glaubensbekenntnis  ablegt  (H.  15/91 
=  10/415)    und    die   des    Oberägypters   und   seines  fränkischen    Weihes 
(10/427  =  H.  15/98);  weitere  Stücke  sind  [vgl.  Chauvin  Nr.  137  ff.]  die 
Geschichte  vom  »bekehrten  Prior«  (8/278  ff.    =  H.  8/96  ff.),  'Ali  Ziba^ 
(mit  der  Bekehrung    der   Jüdin  Qamarije  bint   'Adra:   H.    12/13 1  = 
9/302/7),  Mesrür  und  Zain  el-mawdsif  (H.  14/186  =  10/201),  Soleimdn 
ben  'Abdelmelik  ^Bekehrung  der  Prinzessin  Oamar  el-Azraq:  HN.  142); 
vgl.  ferner  die  Volkslegende  von  dem   Scheich   Jüsuf  abü  H-HaggAg 
(Bekehrung  der  christlichen  »Pharaonen «tochter  Tharzah  vgl.  Le'grain 
65.  72).     Ebenso  hoch  wie  die  Bekehrung  zum  Islam  wurde  auch  di^e 
ihm  in  widrigen  Umständen  gehaltene  Treue   gewertet  (vgl.  'Ali   Sdr 
und  Zumurrud  [H.  7/65  =  7/283/1 1]'- 

Der  Nazarener  sagt  zu  ihr  [Z.]:  »Bei  der  Wahrheit  des  Messias  und  der  heihgen  Jung- 
frau, gehorchst  Du  mir  nicht  und  bekehrst  Du  Dich  nicht  zu  meiner  Religion,  dann  werde  ich 
Dich  auf  alle  denkbare  Art  zu  martern  wissen.«  Da  entgegnete  ihm  Zumurrud:  »Schneidest 
Du  auch  mein  Fleisch  in  Stücke,  so  werde  ich  doch  nicht  von  der  Religion  des  Islam  lassen.« 

Ebenso  standhaft  zeigt  sich  auch  Mirjam  die  Gürtelverfertigerin, 
die  an  ihrem  neuen  Glauben  zähe  festhält  und  ihren  Bruder  Bertaut, 
nachdem  sie  seine  Aufforderung  zum  Abfall  vom  Islam  mit  den  über- 
zeugten Worten:  »Nie  und  nimmer!  kehrt  je  wieder,  was  verstrichen, 
oder  wird  wieder  lebendig,  wer  einmal  gestorben?  Bei  Gott!  Nicht 
will  ich  ablassen  von  der  Religion  Mohammeds,  des  Sohnes  des  'Abd- 


0  Die  EinzeUieiten  werde  ich  später  in  einem  andern  Zusammenhang, geben. 
Islam  IX.  ^ 


lg  O.  Rescher, 

alläh,  WO  sie  doch  die  Religion  der  Rechtleitung  ist,  und  selbst  wenn  ich 
des  Todes  Becher  zu  trinken  bekäme«,  energisch  zurückgewiesen,  nach 
einem  erbitterten  Turnier  mit  einem  Schwertstreich  vom  Pferde  haut 
[10/403/11  ff.  =  H.  15/84];  und  yasan  el-Basri,  der  sich  lieber  halb 
zu  Tode  peitschen  läßt,  als  auf  die  Versprechung  des  Magiers,  gegen 
Übertritt  zum  Feuerdienst  ihm  sein  halbes  Besitztum  und  die  Hand 
seiner  Tochter  zu  überlassen,  einzugehen  [H.  13/141  =  5/282/10];  auch 
die  Episode  in  Ghanb  wid  \4gih  [H.  11/146  =  9/108— 109]  wäre  hier 
noch  zu  nennen.  Eigentümlicherweise  wurde  dagegen  auf  die  Be- 
kehrung von  Juden  augenscheinlich  kein  Wert  gelegt,  wobei  es  nicht 
recht  ersichtlich  ist,  ob  die  wahrscheinliche  Aussichtslosigkeit  even- 
tueller Versuche  oder  die  Geringschätzung  und  Verachtung  der  Muslims 
den  Grund  zu  dieser  Tatsache  abgab;  vielleicht  könnte  man  aus  einer 
Stelle  [H.   14/117  =  4/327]  ^)  eher  letzteres  schließen. 

Der  Fischer  Chalife  sagte  zu  dem  Juden:  »Ich  will  von  Dir  [als  Preis  für  meinen  Fisch] 
nur  zwei  Worte.«  Da  erblaßte  des  Juden  Farbe  und  er  meinte:  »Du  willst  mich  wohl  meine 
Religion  verleugnen  lassen?  Scher'  Dich  weg  von  mirl«  Chalife  aber  entgegnete  ihm: 
»Bei  Gott,  o  Jude!  wolltest  Du  auch  Moslem  werden,  so  würde  es  weder  den  Moslem  nützen 
noch  den  Juden  schaden;  bleibst  Du  aber  bei  Deinem  Unglauben,  so  schadet  es  weder  den 
Moslems  noch  nützt  es  den  Juden.«  usw.^). 

Recht  skrupellose  Form  zeigen  einige  Episoden  in  diesen  Kon- 
versionsgeschichten, besonders  die  Bekehrung  der  Oamarija,  Tochter 
des  Juden  'Adra,  die  —  sozusagen  eine  ins  Maßlose  verzerrte  Jessica  — 
nicht  nur  ihres  Vaters  Schätze,  sondern  sogar  seinen  eigenen  Kopf 
dem  'Ali  Zibak  als  Brautgabe  bringt  (H.  12/13 1  =  9/302).  Kaum 
weniger  kraß  ist  die  Episode  von  der  Husn  Mirjam  (in  M/a'  eddin  abü 
^S  Sämdt),   die  ihren  Vater  dem  Helden  der  Geschichte  selbst  in  die 


')  Etwas  kürzer  ist  die  Fassung  bei  Habicht:  »Bei  Gott,  oh  Jude!  mir  verschlägt  es 
und  nützt  es  nichts,  ob  Du  nun  Moslem  wirst  oder  Nazarener.«  Vgl.  übrigens  die  Stelle 
im  »Kaufmann  von  Venedig«  (3.  Akt,  5.  Szene):  »Jessica  :  Ich  werde  durch  meinen  Mann 
selig  werden,  er  hat  mich  zu  einer  Christin  gemacht.  Lanzelot:  Wahrhaftig,  da  ist  er 
sehr  zu  tadeln.     Es  gab  unser  vorher  schon  Christen  genug,  grade  soviel,  als  nebeneinander 

gut  bestehen  konnten Jessica  (zu  Lorcnzo) Lanzelot  und  ich,  wir  sind  ganz 

entzweit.  Er  sagt  mir  grad  heraus,  im  Himmel  sei  keine  Gnade  für  mich,  weil  ich  eines 
Juden  Tochter  bin  und  er  behauptet,  daß  Ihr  kein  gutes  Mitglied  des  gemeinen  Wesens 
seid,  weil  Ihr  Juden  zum  Christentum  bekehrt « 

2)  Interessant  ist  die  Bemerkung  Lane's  (280):  »With  the  religious  zeal  of  the  Mus- 
lims I  am  daily  Struck;  yet  1  have  often  wondered  that  they  so  seldom  attempt  to  make 
converts  to  their  faith.  Ca  my  expressing  my  surprise  .  .  .  at  their  indifference  with  respect 
tp  the  propagation  of  their  religion  contrasting  it  with  the  conduct  of  their  ancestors  of  the 
early  ages  of  el-Islam,  I  have  generally  been  answered:  »Of  what  use  would  it  be  if  I  could 
convert  a  thousand  infidels?  Would  it  increase  the  number  of  the  faithful?  By  no  means: 
The  number  of  the  faithful  is  decreed  by  God  antl  no  act  of  mon  can  increase  or  diminish  it.« 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht.  I9 

Hände  spielt,  der  ihn  dann  ob  seiner  Weigerung,  die  christliche  Religion 
zu  verleugnen,  erdolcht  (H.  6/149  =  7l^4^)- 

»Als  der  König  (aus  seiner  Betäubung)  erwachte,  fand  er  *Alä'  eddin  und  seine  Tochter 
auf  seiner  Brust  knieend.  Da  sagte  er:  Warum,  meine  Tochter,  hast  Du  so  an  mir  gehandelt? 
Sie  entgegnete:  Ich  war  Deine  Tochter,  doch  bin  ich  zum  Islam  übergetreten,  denn  die 
Wahrheit  ward  klar  und  ich  folgte  ihr,  und  dem  Trug  [dem  Eitlen]  entsagte  ich;  so  bin  ich 
nun  Deiner  los  und  ledig  in  dieser  und  jener  Welt.  Bekehrst  Du  Dich  nun  zum  Islam,  so 
wird  es  uns  eine  Freude  sein,  v/o  aber  nicht,  so  verdienst  Du  (nicht  mehr  als)  den  Tod.  In 
gleicher  Weise  redete  ihm  auch  *Alä'  eddin  zu.  Da  er  aber  sich  dessen  weigerte,  so  zog  *Alä' 
eddin  einen  Dolch  und  schnitt  ihm  die  Kehle  von  einer  Ader  zur  andern  ab.« 

Den  Bekehrungserzählungen  stehen  psychologisch  die  Geschichten 
nahe,  in  denen  Wunder  für  die  Wahrheit  und  Kraft  des  Islam  zeugen 
müssen.  Eine  Stelle  ist  schon  in  der  Geschichte  von  Gharib  und  'Agib  er- 
wähnt worden,  nämlich  die  Episode,  wo  Gharib  und  Sah  im  ob  ihrer  Wei- 
gerung, das  Feuer  anzubeten,  diesem  geopfert  werden  sollen,  aber  durch 
ein  zweimaliges  Wunder  gerettet  werden  (H.  11/146  -  9/108— 109).  Ein 
anderes  Wunder  »ad  majorem  gloriam  religionis  Islamicae«  ist  die  von 
dem  Propheten  el-Chidr  bewirkte  Verwandlung  der  Götzendiener,  die 
sich  weigern,  Moslems  zu  werden,  in  Stein  {[Abdallah  ibn  Fd4ü  vgl. 
H.   17/89  und  Chauvin  V/2)  1). 

Verhältnismäßig  ganz  gering  endlich  ist  die  Zahl  der  Er- 
zählungen, die  eine  religiös-erbauliche  Tendenz  verraten.  Am 
markantesten  dürfte  hierfür  wohl  das  Beispiel  der  Geschichte  der 
messingnen  Stadt  (HN.  284  ff.,  H.  10/99,  6/334  ff-)  sein,  die  gerade  den 
düsteren,  fast  pessimistischen  Einschlag  des  Islam  hervorkehrt,  wie  er 
in  dem  bekannten  liadit  (6/356/4)  ^),  »daß  die  Welt  keinen  Mücken- 
flügel wert  sei«,  zum  Ausdruck  kommt.  Außerdem  wäre  hier  noch  die 
Geschichte  von  Härün's  Sohn,  die  in  das  Fromm- Asketische  hinüber- 
spielt, zu  erwähnen  (H.  8/71  =  8/234  ff.)  3). 

Glaube  und  Aberglaube. 

In  weit  höherem  Maße  noch  als  bei  uns  das  »Buch  der  Bücher«,  die 
Bibel,  bildet  für  den  Muslim  »das  Buch«  schlechtweg  das  A  und  0 
alles  Wissens  und  Wissenswerten,  die  Grundlage  seiner  Anschauungen 
und  Lebensgewohnheiten.  Kein  Wunder,  daß  er  deshalb  in  allen  Lebens- 
lagen darauf  zurückgreift,  um  im  Inhalt  seiner  Suren  sich  für  seine 
religiösen  und  praktischen  Bedürfnisse  Rats  zu  erholen.  Eine  besondere 
Bedeutung  darf  die  Fätiha,     deren  Kenntnis    auch  für  den  weniger 

1)  Fehlt  bei  Habicht. 

2)  Fehlt  H.   10/107  unten. 

3)  Eine  damit  wohl  identische  Erzählung  gibt  Lane-Poole  (53)  von  'Ali  dem  Lieblings- 
söhn  des  Challfen  el-Mci'viün. 


20'  O.  R  e  s  c  h  e  r  , 

gebildeten  Muslim  unerläßlich  ist,  vor  all'  den  übrigen  Koransüren 
beanspruchen.  Ihre  Rezitation  pflegt  die  ■ —  beinahe  unumgängliche  — 
Einleitung  zu  jedem  einigermaßen  bemerkenswerten  Akt  zu  sein,  indem 
sie  der  Handlung,  der  sie  vorangeht,  einen  gewissen  feierlichen  Cha- 
rakter verleiht,  mag  diese  nun  im  Antritt  einer  größeren  Reise,  in  der 
Besieglung  eines  freundschaftlichen  Bundes,  in  dem  Vollzug  einer 
wichtigen  Abmachung  oder  sonst  irgend  etwas  bestehen  ');  vgl.  H.  16/51 
=    I0/451/12: 

Abu  Kir  sagte  darauf  zu  Abu  Sir:  »Mein  Nachbar!  Wir  sind  nunmehr  Brüder 
geworden  und  es  ist  kein  Unterschied  mehr  zwischen  uns.  Deshalb  wollen  wir  beide  die 
Fätha  daraufhin  rezitieren,  daß  der,  so  von  uns  Beschäftigung  findet,  den,  der  keine  findet, 
mit  zu  ernähren  hat.« 

H.  16/87=  11/52  paen.  ["Abdallah  vom  Meer  und  '' Abdallah  vom 
Lande) : 

»Wir  wollen  alle  Tage  hier  zusammenkommen.  Du  bringst  mir  dann  ein  Geschenk 
von  den  Früchten  des  Landes,  denn  Ihr  (Menschen)  habt  Trauben,  Feigen,  Melonen,  Pfir- 
siche und  Granatäpfel,  und  alles  soll  mir  höchlichst  willkommen  sein.  Wir  (Seebewohner) 
aber  haben  Korallen,  Perlen,  Chrysolith,  Smaragd,  Rubin,  mit  denen  ich  Dir  den  Korb, 
in  dem  Du  mir  die  Früchte  bringst,  füllen  will.  Was  meinst  Du  nun  dazu,  mein  Bruder?« 
Da  erwiderte  er  ihm:  »Die  Fätha  sei  zwischen  uns  beiden  auf  dieses  Wort.«  Auf  dies  hin 
sagten  beide  die  Fätha  her. 

H.  8/132  =  8/347  paen.  {"Ali  der  Kairenser): 

»Der  König  fragte  (die  Emire):  Nehmt  Ihr  ihn  zu  meinem  Nachfolger  an?  Worauf 
sie  insgesamt  antworteten:  Wir  sind's  zufrieden.      Darauf  sagten  sie  die  Fätha's  (!)  her.« 

Ferner  H.'  20/123/7  u.  (vor  Reiseaufbruch).  7/51/7  =  H.  6/87 
["Aid''  eddin  abü  ^s  Sdniät) : 

»Es  pflegte  zu  dem  Obmann  der  Kaufleute  jeden  Morgen,  sobald  er  seinen  Laden 
eröffnet  hatte,  der  naqib  des  Bazars  zu  kommen  und  die  Fätha  vorzutragen.      An  diesem 

')  Vgl.  DouTTE  377  Mitte;  Snouck-Hlrgronje  II/3|i  Mitte:  »Mit  aieser  Rezitation 
besiegelt  man  alle  wichtigen  Entschlüsse,  Beilegung  von  Streitigkeiten,  schließt  man  fast 
alle  bei  Heiligengräbern  hergesagten  Gebetsformeln,  begrüßt  man  frohe  Nachrichten. 
Kaufleute,  die  sich  über  den  Pi-eis  der  Ware  nicht  einigen  können,  suchen  in  gemeinsam 
rezitierter  Fätha  neue  Kraft  zum  Entschluß  usw.  Man  sagt  denn  auch  von  dem  vor  kurzem 
in  eine  Zunft  Aufgenommenen:  Er  hat  beim  Scheich  die  Fätha  rezitiert.  Ebd.  54/1  und 
No*te  i;  60  (an  Heiligengräbern);  159  (Bekräftigung  von  Verabredungen);  176  (bei  Braut- 
zügen); 180.  Stumme,  Tr/p.  149  Mitte,  152.  —  Legrain  90  (während  der  Prozession). — 
Reinfried  40  (Note  i).  —  Lane  305:  »In  general  a  quarrel  terminates  by  one  or  both 
parties  saying:  Justice  is  against  me.  Often,  after  this,  they  recite  the  fätha  together; 
and  then  sometimes  embrace  and  kiss  one  anothcr.«  — ■  Rezitation  der  ^Fätha  bei  der 
Austreibung  des  Fiebers  vid.  Canaan  130;  vgl.  auch  H.  20/109  =  Zotenberg  78/13:  »Der 
(als  die  heilige  Fätma)  verkleidete  maghribinischc  Zauberer  legte  seine  Hand  auf  die  Leiden- 
den und  rezitierte  für  den  einen  die  Fätha,  für  den  andern  eine  Sure  aus  dem  Koran  und 
betete  für  den  Dritten,  ...«Stumme,  T»».  67  Mitte  wird  die  Fätha  als  Zaubergebet 
gesprochen.  Schwallv  35 :  »Wenn  sich  zwei  Parteien  nicht  einigen  wollen,  so  werden 
sie  . .  .  vor  die  Richter  gezerrt,  bis  .  .  .  sie  sich  die  Hand  reichen  und  vor  einem  Koran- 
excmplar  gemeinsam  die  Fätha  aufsagen«;  ibd.  25. 


Studien   über  den    Inhalt  von    looi    Nacht.  21 

Morgen  jedoch  stellte  er  sich  jedoch  nicht  ein.  Als  ihn  nun  der  Obmann  der  Kaufleute 
holen  ließ  und  ihn  fragte,'  warum  er  die  Kaufleute  nicht  versammle  wie  gewöhnlich,  er- 
widerte ihm  der  naqib  des  Bazars,  man  wolle  ihn  seiner  Stellung  entkleiden  .  .  .  und  deshalb 
die  Fätha  bei  ihm  nicht  rezitieren.« 

H.  ii/io  u.  -=  9/320/13  [:  Dschüdar- Roman],  wo  dermaghrebinische 
Schätzesucher,  ehe  er  mit  Dschüdar  ein  Abkommen  schließt,  gemeinsam 
mit  ihm  die  Fätha  rezitiert.  —  In  eine  andere  Sphäre,  nämlich  das 
Grenzgebiet  zwischen  Glauben  und  Aberglauben,  gehören 
die  sogenannten  »Schutzsüren «  (Sure  113,  114):  el-mu'awwidatäni 
(vgl.  Kremer  2/262;   Canaan   121,   Doutte  89  und  217): 

»Im  Namen  des  allbarmherzigen  Gottes!  Sprich!  Ich  nehme  meine  Zuflucht  zum 
Herrn  der  Morgenröte  vor  dem  Übel  dessen,  was  er  geschaffen,  vor  dem  Übel  der  Nacht, 
wenn  sie  sich  einstellt,  vor  dem  Übel  derer,  welche  auf  die  (Zauber)  Knoten  blasen  und  vor 
dem  Übel  des  Neiders,  wenn  er  neidet.« 

»Im  Namen  des  allbarmherzigen  Gottes!  Sprich!  Ich  nehme  meine  Zuflucht  zum 
Herrn  der  Menschen,  dem  König  der  Menschen,  dem  Gott  der  Menschen,  vor  den  üblen 
Enflüsterungen  des  Teufels,  der  Übles  einbläst  in  die  Herzen  der  Menschen,  und  vor  den 
Dschinnen  und  Menschen.« 

Wie  wir  aus  den  Stellen  in  lOOi  Nacht  ersehen,  bediente  man  sich 
ihrer  als  Schutz  gegen  den  »bösen  Blick«  (H.  4/95  ult.,  H.  r9/i55/'6), 
wie  auch  bei  Gefahren  in  Stunden  der  Not  und  Anfechtung  (H. 
10/128/1  I),  H.  5/122^-));  ferner  II/459/6  =  H.  19/127  {Tuhjat  el-kulub): 

»Sie  [Tulifa]  weinte  bitterhch  [in "Sehnsucht  nach  ihrem  Herrn  Harun  er-Raschid], 
als  sie  plötzlich  ein  Blasen  hinter  ihrem  Rücken  verspürte.  Sie  drehte  sich  um  und  gewahrte 
ein  Haupt  ohne  Leib  mit  der  Länge  nach  geschlitzten  Augen,  das  so  groß  war  wie  ein  Ele- 
fantenkopf oder  noch  größer,  das  ein  Maul  hatte  wie  ein  Ofen,  hervorstehende  Zähne 
(Hauer)  wie  Enterhaken  und  Haare,  die  bis  auf  den  Boden  schleiften.  D?  rief  Tuhfa 
aus:  ,,Ich  nehme  meine  Zuflucht  bei  Gott  vor  dem  gesteinigten  Satan"  und  rezitierte  die 
beiden  Schutzsüren,  während  das  Haupt  sich  ihr  näherte.« 

In  dieses  Grenzgebiet  von  Glauben  und  Aberglauben  gehört 
auch  die  Überzeugung  von  der  magischen  Kraft  des  Namen 
Gottes  3),  insbesondere  des  »höchsten  Namens«  und  die  Über- 
zeugung von  der  übernatürlichen  Wirkung  des  Gebets4).    Des- 


1)  Fehlt  bei  Habicht  6/387/2  und   HN.  316  unten. 

2)  Fehlt  ebenfalls  bei  Habicht  3/177/8- 

3)  Darüber  weiteres  bei  Canaan  107:  Gott  hat  mehrere  Namen,  die  seinen  verschiede- 
nen Eigenschaften  entsprechen,  und  jeder  dieser  Namen  ist  heilig  und  kräftig Jeder 

dieser  Namen  birgt  in  sich  eine  göttliche  Kraft Die  Wirkungen  des  wirkungsreichsten 

Namens  »alläh«  sind  sehr  mannigfach.  —  Kremer  2/38:  Von  den  Juden  hatte  man  schon 
früh  die  Vorstellung  von  der  Heiligkeit  des  Namens  Gottes  herübergenommen,  und  als 
später  die  Kabbalisten  die  Idee  von  dem  großen  Namen  Gottes  verbreiteten,  mittels  dessen 
man  übernatürliche  Kraft  erlangen  und  Wunder  wirken  könne,  fand  auch  dieser  Aber- 
glauben  bei    den  Mohammedanern  Anklang;  vgl.   auch  Doutte  206. 

1)  Um  eine   Zauberformel  (oder  ein   Zaubergebet?)   scheint  es  sich   H.    12/105/3  = 
9/263/12  (Lh-lUa)  zu  handeln,  wo  die  Zainab,  der  Dchla  Tochter,  über  der  verschlossenen 


22  O.  Rescher, 

halb  wurde  mit  den  »hohen  Namen«  auch  gern  bei  allerhand  Zauber, 
Beschwörungen  u.  dergl.  operiert,  so  z.  B.  {Bedr  Bdsini)  H.  13/41  — 

10/39/11: 

»Die  Königin  nahm  eine  Schale  Wasser  in  ihre  Hand und  besprach  es  mit  un- 
verständlichen Worten,  goß  es  über  ihn  [d.  h.  den  in  einen  Vogel  verzauberten  Bedr  Bäsim] 
aus  und   sagte:  Bei  (der  Wahrheit)  dieses  großen  Namen  und  allen  heiligen  Schwüren  (?) 

und  bei  Gott  dem  Erhabenen,  Schöpfer  Himmels  und  der  Erde verlaß'  diese  Deine 

Gestalt!« 

In  dem  Märchen  vom  Fischer  und  dem  '■Ifrit  ist  es  die  Wunder- 
macht des  höchsten  Namens,  mit  dessen  Hilfe  Salomo  die  wider- 
spenstigen Dämonen  in  die  kupfernen  Flaschen  bannt  und  durch  die 
Versenkung  in  die  Tiefe  des  Meeres  dann  unschädlich  macht  (H.  1738  = 

1/75/9). 

»(Der  •Ifrit  erzählte):  „Als  Salomo  meiner  ansichtig  ward,  da  forderte  er  mich  zur 
Unterwerfung  auf.  Ich  aber  weigerte  mich  dessen,  und  so  ließ  er  diese  kupferne  Flasche 
holen  und  mich  darin  einsperren.  Dann  schloß  er  sie  über  mir  zu  mit  Blei  und  prägte  den 
höchstenNamen   Gottes  darauf  ein."« 

Ibid.  (H.   1/40  =  1I78I2): 

» Darauf  sagte  der  Fischer:    ,, Bei  dem  hoch  s  ten  N  amen  Gottes  ,   der   auf 

Salomos  Siegel  eingegraben  ist,  willst  Du  mir,  wenn  ich  Dich  etwas  frage,  wahrhaftig  Ant- 
wortgeben?" Der  'Ifrit  jedoch  erzitterte  und  erbebte,  als  er  des  höchsten  Namens  Gottes  Er- 
wähnung tun  hörte.« 

H.  5/124  =  3/179  [Qaynar  ezzemän): 

»Als  so  die  Dschinnenmaid  Maimüne  flog,  hörte  sie  das  Geräusch  von  Flügeln  in 
der  Luft.  Sie  näherte  sich  ihm  und  erkannte  einen  ungläubigen  Dschinn  namens  Dahnasch, 
auf  den  sie  [wie  ein  Raubvogel]  zuschoß.  Als  dieser  sie  nun  seinerseits  erkannte,  da  über- 
kam ihn  die  Furcht  vor  ihr,  so  daß  er  zitterte  und  sie  um  Schutz  [Gnade]  anflehte  mit 
den  Worten:  ,, Ich  beschwöre  Dich  bei  dem  höchsten  Namen  Gottes,  dem  gepriesenen  und 
verehrungswürdigen,  hab'  Mitleid  mit  mir  und  tu'  mir  nichts  zu  leide!"  Da  sagte  sie: 
,, Wahrhaftig!  Du  hast  mich  mit  einem  gewaltigen  Schwur  beschworen "<"')• 

Was  die  übernatürliche  Wirlcung  des  Gebets  anlangt,  so  läßt 
sich  hier  die  Scheidung  zwischen  Glaube  und  Aberglaube  noch  viel  schwie- 
riger vornehmen,  denn  die  Überzeugung  von  der  Möglichkeit  der  Wunder- 
kraft eines  Gebets  [cf.  z.  B.  B  el  ädori  228/14]  bildet  ja  zunächst  einen  inte- 
grierenden Bestandteil  einer  jeden  positiven  Religion.  Deshalb  kann  die 
Entscheidung  darüber,  was  als  Glaube,  was  als  Aberglaube  zu  betrachten 
sei,  wo  ersterer  aufhöre  und  wo  letzterer  anfange,  auch  nicht  in  all- 


Tür  die  Namen  der  »unim  Müsä«  rezitiert,  worauf  dann  diese  ohne  Benutzung  eines 
Schlüssels  von  allein  aufspringt. 

■)  Vgl.   Lane   263   ult. :    »The  highest   attainnient    in   divine   magic   consists    in   ihc 

knowledge  of  the  ,,ism  el-a*?am" which  is  gener? llybelieved,  by  the  learned,  to  bc 

known  only  to  prophets  and  apostles  of  God.  A  person  acquainted  with  it  can,  it  is  said, 
by  merely  uttering  it,  raise  the  dead  to  lifc,  kill  the  Üving,  transport  himself  instantly 
wherever  he  pleases  and  perform  any  other  miracle.«     Vgl.  auch  Doutte  203  ff. 


Studien  über    den   Inhalt  von   looi   Nacht,  23 

aemein  gültiger  Weise  getroffen  werden  ^),  vielmehr  ist  es  Empirie  und 
Verstand    die  jeweils  die  ungefähre,  natürlich  ständig  fließende  Grenze 
ziehen   müssen.   -   Analog   der    [aus   den   angelsächsischen   Ländern 
stammenden]    »Christian  science«.    die  Heilkunst   und   Heilmittel  ver- 
schmäht, muß  auch  im  Volksglauben  des  Islams  -  und  nicht  einmal 
allein  da  ^)  —  das  Gebet   gegen   Leiden   physischer  und  psychischer 
Art  helfen  (11/199  =  H.  18/191).     Vornehmlich  die  durch  den  Einfluß 
der  »Dämonen«  verursachten  Krankheiten  (Irrsinn,   Epilepsie)  können 
allein  durch  die  magische  Wirkung  von  Gebeten,  die  freilich  mit  Be- 
schwörungen unmittelbar  Hand  in  Hand  zu  gehen  pflegen,  behoben 
und  -eheilt  werden  3).  —  Eine  besonders  charakteristische  Stelle  für 
die  m^agische  Kraft  des  Gebets  finden  wir  H.  17/103  ^),  wo  dem  Früh- 
gebet der  zweimaligen  Beugung  und  jedem  Diener  Gottes,  der  dasselbe 
ständig  verrichtet,  Gewalt  über  alle  Scharen  der  Dschinn  zugesprochen 
wird     Ähnliches  in  der  (übrigens  nicht  arabischen)  Erzählung  von  dem 
.Prinzen  und  der  Ghül«  (HN.   167  =  H.   10/157  =  12/272/3): 

»Da  erhob  der  Prmz  seinen  Blick  zum  Himmel,  läuterte  sein  Herz  zum  Gebet  und 
rief-  0  Gottl  Bei  Dir  such'  ich  meine  Hilfe  vor  dieser  Geschichte,  die  mich  bekümmert 
(hat)'',  worauf  er  auf  die  Ghül  hinwies,  die  alsbald  (vom  Pferd)  zur  Erde  stürzte  und  zu 
verbrannter  Kohle  zerfiel« 

und  der  Legende  von  dem  frommen  Negersklaven  (H.  9/20  ft.  =  Chauvin 
Nr  353)  4)  dessen  Gebet  um  Regen  bei  Gott  Erhörung  findet  5). 
Es  erübrigt  sich  noch,  am  Ende  dieses  Abschnitts  emige  Worte 
über  den  Heiligenglauben  und  Heiligenkult  zu  äußern,  der  im 
späteren  Islam  bis  auf  die  Gegenwart  bekanntlich  eine  so  große  Rolle 
spielt  In  lOOi  Nacht  erscheint  diese  Äußerung  des  religiösen  Lebens 
verhältnismäßig  schwach  ausgeprägt;  nicht,  als  ob  sie  vollständig 
fehlte  aber  immerhin  sind  es  nur  wenige  Stellen,  die  den  Heiligen- 
claubcn  zum  Ausdruck  bringen  6)  (H.  6/92.  94  =  7/59-  65.  66:  ^Ala> 
eddin  abü  'sSdmdt):  .  -    '- 


0  Der  rationalistische  Gesichtspunkt  scheidet  hier  bei  volkspsychologischen  Fragen 

natürlich  ganz  aus.  ,  .       j  j  ,    i      xt,.     r-,\ 

^)  So  sagt  <Abdelmu'min  el-Isfahäni  (Ubers.  der  »atbaq  ed-dahabo  Ni.  52)' 
»anstatt  zu  einem  Arzt  (und  gar  noch  einem  christlichen  oder  jüdischen)  zu  gehen,  mog 
der  Muslim  bei  einer  Krankheit  lieber  im  Koran  seine  Heilung  suchen«. 

3)  Das   Weitere  bei   dem   Abschnitt    »Beschwörungen«   im   Kapitel    »Aberglaube«. 

4)  Fehlt  bei  Habicht.  ,.,„,.  j 

5  Das  Gebet  um  Regen  nsiüjao  gehört  allerdings  in  den  offiziellen  Rahmen  des 
orthodoxen  Islam;  vgl.  Reinfkied  47  f-  Doutte  305,  Aubin  377  (Canaan  3S).  Vgl.  auch: 
^>Le  miracle  de  l'cau«  Legrain   55,  Huart  1/177  unten.     •       '  ,      ,,  .     .u, 

6)  Dieser  Umstand  weist  natürlich  auf  das  verhältnismäßig  hohe  Alter  der  Mehrzahl 

der  Erzählungen. 


-^  O.  Rescher, 

»Dann  kaufte  der  Chodscha  eine  Kerze  und  eine  Decke  für  den  Sejjid  'Abdelqädir 

ül-Öiläni und  sie  veranstalteten  in  dieser  Nacht  ein  „maulid"  [und  ein  Fest  zu  Ehren 

des  Scheichs  'Abdelqädir  el-Giläni]  0*  •  •  •  • 

(7/65  =  H.  6/94) : 

»Da  hob  der  Beduine  seine  Lanze,  um  sie  *Alä'  eddin  in  die  Brust  zu  stoßen  [lies: 
jagrizuhä],  da  rief  'Alä'  eddin:  „Deinen  Segen,  oh  mein  Herr  'Abdelqädir  el-Gilani!"  Und 
da  gewahrte  er  eine  Hand,  die  die  Lanze  von  seiner  Brust  ablenkte.« 

(In  der  gleichen  Geschichte:  7/66  =  H.  6/95): 

»Und  *Alä'  eddin  stieg  auf  einen  Balken  der  Zisterne  und  streckte  sich  aus,  indem 
er  sich  schlafend  stellte  und  sagte:  Oh  Du  gütiger  Verhüller,  (breite)  Deine  Hülle  (über 
mich),  und  Du,  meine  Herrin  [sejjidati]  Nefisa,  jetzt  ist's  Zeit  für  Deine  Hilfe!  Und  da 
stellte  sich  ein  Skorpion  ein,  der  den  Beduinen  in  die  Hand  stach.« 

In  der  Erzählung  des  sechzehnten  Moqaddem  (Polizeisergeanten) 
heißt  es  (H.   19/99  =  ii/399/io  cfr.  Chau\-in  Nr.  426): 

»Der  Straßenräuber  warf  mich  zu  Boden  und  kniete  auf  meine  Brust.  Da  rief  ich, 
indem  ich  den  Schutz  des  „Scheichs  der  Pilger" '-)  suchte :  ,,Nimm  mich  in  Schutz  vor  diesem 
Missetäter  1"  Und  schon  hatte  er  sein  Messer  gezogen,  mich  abzuschlachten,  da  tauchte 
ein  mächtiges  Krokodil  aus  dem  ,,Meer"  [dem  Nil]  und  schnappte  den  Kerl  von  meiner 
Brust  weg  3). « 

Die  Emanation  der  Heiligen,  deren  der  Volksglaube  durch  die 
Verehrung  ihrer  Reliquien  und  Grabstätten,  ihre  Anrufung  und  Er- 
flehung teilhaftig  zu  werden  hofft,  ist  die  »baraka«,  die  wir  natürlich 
auch  in  lOOi  Nacht  häufig  erwähnt  finden  4). 

H.   12/63  =  9/199/8  {»Delila«): 

»Chatün,  die  Frau  des  Emirs  Hasan,  sagte  ihrer  Sklavin:   Geh'  (die  Treppe)  hinunter 

und  sprich  zum  Pförtner:    „Laß  die  Scheichin  zu  (meiner)  Herrin  eintreten,    damit 

meine  Herrin  von  jener  der  „daraka"  teilhaftig  werde.« 

H.  20/109  =  Zotenberg  78: 

»Der  Agha  der  Eunuchen  sagte  zu  der  Herrin  Bedr  el-Budür:  ,, Dieser  Lärm  rührt 
wegen  der  Herrin  [d.  h.  Heiligen]  Fätma  her.  Wenn  Du  willst,  so  bringe  ich  sie  her,  damit 
Du  der  ,  daraJta"  von  ihr  teilhaftig  wirst (Als  sie  nun  kam)  erhob  sich  die  Herrin 

_z 

I)  Fehlt  bei  Habicht  7/59  ult. 

-)    So    übersetzt    H.    aus    mir     unbekannten   Gründen;     im    Text     steht     »^N-yXO) 

„Li^V^JI«,  was  natürlich  nur    »der  Scheich  el-Haggäg«  heißen  kann. 

J)  Die  »fünf  Scheichs«,  die  in  dem  (H.  4/104  sich  findenden)  Gedicht  in  der  Ge- 
schichte von  Tag  el-mulük  angerufen  werden  [bei  Habicht  fehlt  diese  Erzählung],  kann  ich 
weiter  nicht  nachweisen. —Ein  fiktiver  Heiliger  o^U^i  yi\:  9/201  paen.  =  H.  12/65/1 
{Delila). 

4)  Es  ist  die  »barakao  aucli  vom  Heiligen  weiterhin  übertragbai;;  vgl.  Snouck- 
HuRGRONjE  n/153:  »Vom  Menschen  (und  namentlich  vom  Kinde),  der  eben  vom  Grabe 
Mohammeds  zurückkehrt,  gehen  auf  allerlei  Wegen  verborgene  Segnungen  aus. 
Solchen  küßt  man  die  Hände,  man  berührt  ihr  Gewand  und  ersucht  um  ihre  Fürbitte, 
alles  wegen  der  »barakac  —  Ebd.  n/230:  »Die  Muslims  glauben,  der  Ort  des  Studiums 
sei  gar  nicht  gleichgültig  für  die  Früchte  des  Unterrichts;  welchen  Ort  aber  könnte  man 
der  heiligsten  Moschee  auf  Erden  vorziehen?  Hier  wird  die  Aneignung  der  Wissenschaft 
durch  die  „baraka"  des  Ortes  erleichtert.«    Vgl.  auch  Doutte  439. 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi    Nacht.  2  5 

Bedr  el-Budür,  grüßte  sie und  sagte  zu  ihr:  Meine  Herrin  Fätma,  mein  Wunsch  ist. 

daß  Du  dauernd  bei  mir  bleibst,  damit  ich  so  die  „baraka"  von  Dir  empfange.« 

Besonders  bei  Krankheiten  gilt  die  Erlangung  derselben  als  ein 
sicheres  Mittel  zur  Heilung.     HN  193: 

»)Un  roi  de  l'ancien  temps  avait  une  jolie  femmc,  dont  il  etait  fort  amoureux.  Un 
jour,  elie  lui  demande  Tautorisation  d'aller  chercher  la  baraka  d'un  saint,  afin  d'obtenir 
la  guerison  d'un  malaise  dont  eile  souffrait.« 

Ebenso  die  (bereits  oben  schon  zitierte)  Stelle,  wo  der  als  die 
heilige  Fätma  verkleidete  maghribinische  Zauber  durch  Auflegen  der 
Hand  und  Rezitation  der  Fätha  und  sonstiger  Koransuren  den  Kranken 
und  Leidenden  seine  ))baraka«  (und  damit  die  Heilung)  zukommen  zu 
lassen  sich  den  Anschein  gibt  ^). 

Der  Aberglaube. 

Nachdem  wir  bis  jetzt   das  Grenzgebiet  zwischen  Glauben  und 
Aberglauben  behandelt  haben,   wollen  wir  nunmehr  das  Gebiet  be- 
leuchten, das  mehr  oder  minder  tatsächlich  ^als  reiner   Aberglaube 
angesprochen  werden  muß;  freilich  werden  wir  im  zweiten  Teil  dieses 
Kapitels  schon  wieder  auf  Phänomene  stoßen,  die  —  der  orthodoxe 
Islam  als  Grundlage  und  Kriterium  angenommen  —  doch  auch  wieder 
in  das  Grenzgebiet  zwischen  Glauben  und  Aberglauben  herüberspielen. 
Der  Aberglaube  ist  eine  für  die  Anschauungen  und  Vorstellungen 
des  Orientalen  typische  Erscheinung,  die  sich  von  den  ältesten  Zeiten 
seines  Schrifttums  bis  in  die  Gegenwart,  ebensow^ohl  bei  den  kulturell 
hochentwickelten  Babyloniern  als  (wenn  auch  nicht  in  dem  gleichen 
Maße)    bei  den   primitiven   Nomaden   und  Beduinen  nachweisen  und 
ins  einzelne  verfolgen  läßt.   Bei  dem  Hang  der  vorderasiatischen  Völker 
zu  religiöser  Spekulation  ist  es  naheliegend,    daß  ein  großer  Teil  der 
Ideengänge   des  Aberglaubens   nur   Ableger   und   Auswüchse   ehedem 
lebendiger  religiöser  Vorstellungen  darstellen,  während  dagegen  andere 
dem  primitiven  Nomadenleben  entstammende  Anschauungen  (für  die 
die  altarabischen  Lieder  reiche  Belege   liefern),   wie  z.  B.   die   Tier- 
omina,    das     Wahrsagen     aus    dem    Vogelflug     u.a.m.,     sich 
mit  religiösen  Ideen  im  eigentlichen  Sinn  des  Wortes  kaum  kombinieren 
lassen.  —  Von  den  Tieren,  die  am  meisten  Stoff  zu  abergläubischen 
Betrachtungen  geliefert  haben,  wäre  der   Affe   und  die    Schlange, 
sowie  von  den  Vögeln  der  Rabe,  die  Eule  und  der  Hahn  zu  nennen. 
Der    »Rabe  der  Trennung«    H.    3/180  ob.,     II.    19/146  ult.  =  12/36/12 
{£urdb  el-bein]  ist  schon  ein. den  altarabischen  Dichtern  wohlvertrautes 

0  Vgl.   auch   H.    17/113/13   und   H.    iS/iyi/y    =    11/198/9  {Geschichte  der  unschuldig 
verdächtigten  Frommen). 


26  O.  R  e  s  ch  e  r, 

Bild  i);  hauptsächlich  wegen  ihrer  Vorliebe  für  den  Aufenthalt  an  den 
von  menschlichen  Lebewesen  verlassenen  und  deshalb  unwirtlichen  und 
unheimlichen  Stätten  [z.  B.  10/121  =  HN.  309:  Geschichte  der  mes- 
siiignen  Stadt;  ferner  1/127/2  =  H.  1/67]  gelten  Raben  und  Eulen  als 
Symbole  des  Unglücks.  So  finden  wir  H.  8/24  =  5/83/4  ff.  [El-Ward 
fi  ^l-akmäm  und  Ins  el-wugud]: 

»Da  merkte  der  Wezir,  daß  seine  Tochter  entflohen  war,  und,  wie  er  auf  dem  Dach 
des   Schlosses  einen  Raben  und  eine  Eule  krächzen  gewahrte,    da  hub  er  an,    heftig  zu 

weinen und  sagte  [Tawil]:  Ich  kam  zum  Haus  meiner  Freunde,  um  an  ihnen  [durch 

ihren  Anblick]  meiner  Sehnsucht  Feuer  und  Glut  zu  löschen;  doch  fand  ich  in  ihm  keine 
Freunde  vor,  sondern  traf  nur  zwei  Vögel,  einen  Raben  und  eine  Eule,  an  2).  << 

Daneben  ist  es  besonders  der  Hahn,  mit  dem  sich  der  Aberglaube 
der  Volksphantasie  beschäftigt;  in  lOOi  Nacht  kommt  er  öfter  in  den 
Zaubergeschichten  vor,  so  z.  B.  H.  24/20,  wo  ein  Talisman- Siegelring 
im  Bauch  eines  Hahnes  steckt  [Geschichte  des  Fischers  und  seines 
Sohnes]  H.  24/38  (und  41),  wo  ein  weißer  Hahn  im  10.  Monat  als 
Zauber  gegen  Dämonen  dienen  soll;  H.  7/32  =  7/242  [Abu  Moham- 
med el-Kasldn],  wo  ebenfalls  ein  weißer  Hahn  in  Verbindung  mit 
Zauber  und  Tahsmanen  vorkommt  3).  —  Von  den  Reptilien  sind  es  vor 
allem  die  Schlangen,  die  eine  dämonische  Rolle  spielen.  Nach  derAn- 


1)  Vgl.  Wetzstein  138,  Note  22  zu  S.   14 — 15;    Z.  i. 

2)  Vgl.  Reinfried  20,  Note  1:  »Gewisse  Vögel  galten  als  dämonisch,  so  der  Rabe, 
der  Specht,  der  Wiedehopf  und  die  Eule«  (Smith  152).  —  Canaan  44:  »Das  Krächzen  der 

Eule in  der  Nähe  eines  Hauses,  wo  ein  Kranker  liegt,  gilt  als  ein  ungünstiges  Vor- 

zeichen,  welches  auf  einen  Todesfall  hindeutet.  Selbst  wenn  niemand  im  Hause  ist,  wird 
dieser  Tierlaut  gefürchtet.«  —  Ähnlich  Knortz  108 — 109.  —  White  2/259  (aus  Sa  Mi). 
»Sei  die  Überbringerin  guter  Nachrichten,  oh  Nachtigall  —  schlimme  Nachrichten  über- 
lasse der  Eule.«  —  Mauchamp  144:  »Le  cri  du  hibou  porte  malheur  [Vuiller  65:  Le  cri 
thi  hibou  est  un  signe  de  mort]  ...  et  on  ne  doit  pas  prononcer  le  nom  de  cet  oiseau; 
il  faut  dire:  Celle  de  la  nuit;  ibd.  218:  Tout  ce  qui  est  noir  est  bon  contre  le  mauvais  oeil 
(de  meme  contre  le  hibou  et  les  diables).«  —  Vgl.  auch  die  griechtsclien  Volkserzählungen  von 
Karkawitzas  (Reclam  4896  pag.  72  ff.):    »Ein  Unglückszeichen«. 

3)  Zur  Rolle  des  Hahnes  im  Aberglauben  vgl.  Salzberger  78:  »Wenn  der  Hahn, 
der  Verkünder  des  Lichts,  kräht,  so  erschrecken  die  finstern  Mächte,  Genien  und  Satane« 
usw.  —  Reinfried  20:  »Der  über  der  Tür  aufgehängte  Kopf  eines  Hahnes  vertreibt  nach 
heutiger  arabischer  Vorstellung  in  der  Geburtsstunde  unreine  Geister.«  —  D0UTTE78:  »Parmi 
Ics  animaux,  le  coq  est  un  de  ceux  qui  sont  le  plus  frcquemment  utilises  par  la  magie;  l'ani- 
mal  qui  indique  la  lumiere  parait  aux  yeux  des  barbares  avoir  de  mysterieuses  connaissances. « 
LÖHR  37  ob.:  ->Ein  Hahn  —  am  besten  ein  weißer  —  wird  an  der  Türschwelle  des  neuen 
Hauses  zum  Schutz  gegen  die  bösen  Geister  geschlachtet« .  —  Canaan  56,  Note  i :  »Nach  dem 
„Kanz  el-ilftisds"  soll  auch  der  weiße  Hahn  dem  Hause  Glück  bringen.  Durchsein  Krähen 
verscheucht  er  die  Dämonen«  usw.  —  Ibd.  38  (Regenprozession):  »Eine  alte  Frau  wird  um- 
gekehrt auf  einen  Esel  gesetzt,  in  der  Hand  hält  sie  einen  Hahn.    In  solchem  Aufzuge 

wird  sie  zum  Ortsältesten,  dem  Schech,  geführt.    Auf  dem  Wege  dorthin drückt  sie 

den  Hahn  so  lange,  bis  er  kräht.« 


Studien  über  den  Inhalt  von    looi   Nacht.  2"] 

sieht  der  mohammedanischen  Theologen  [es-Sibli  Rez.  246]  verkörpern 
sich  die  Dschinnen  eben  »in  der  Gestalt  von  Schlangen,  schwarzen 
Hunden  und  im  (Hauch  des)  Wind(es)  oder,  nach  andern,  in  Schlan- 
gen, Skorpionen,  schwarzen  Hunden  und  Wesen,  die  sich  beflügelt 
durch  die  Lüfte  schwingen«.  Entsprechend  diesen,  durch  die  »Wissen- 
schaft« vertretenen  Ansichten  dürfen  wir  uns  nicht  wundern,  auch  im 
Volksglauben  solche  Anschauungen  rezipiert  zu  finden;  so  z.  B.  H.  ']\iz. 
34  =  7/244.  245  {Ahü  Mohammed  el-Kaslän],  wo  ein  Kampf  zwischen 
einer  braunen  und  weißen  Schlange  erwähnt  wird,  deren  letzte- 
rer Bruder  ein  gläubiger  Dschinn  ist;  ebenfalls  H.  1/146  =  1/324  ff- 
[Geschichte  des I.  Mädchens  =  Zo/7azWgJ,  wo  ebenfalls  ein  Kampf  zwischen 
einer  Riesenschlange  [hi'bdv]  und  einer  andern  Schlange  [/lajje]  ge- 
schildert wird,  welch'  letztere  sich  in  ein  Mädchen  verwandelt  fundsich 
als  Dschinnije  bekennt]  I)  =  H.  17/77  f.  ['Abdallah  ihn  Fdäil]-). 
Weiter  wäre  von  den  »dämonischen«  Tieren  noch  der  Affe  zu  er- 
wähnen, der  im  Aberglauben  und  Zauberwesen  ebenfalls  in  markanter 
Weise  hervortritt  und  in  den  Verwandlungsepisoden  3)  der  Erzählungen  in 
lOOl  Nacht  vorkommt.  So  finden  wir  einen  Affen  als  Dschinn  in  der 
Geschichte  Mohammeds,  des  Sultans  von  Cairo  (H.  23/30),  ferner  H. 
7/30  =  7/239/10  [Abu  Mohammed  el-Kasldii)  als  »Märid«  von  den 
Dschinn  4);  im  übrigen  gilt  der  Affe  als  »böses  Omen«  (H.  1/107  = 
1/237/3  u.:  Geschichte  des  zweiten  Kalenders): 

»Als  die  Schiffsleute  den  Affen  [d.  h.  verzauberten  Kalender]  5)  erblickten,  da  sagte 
einer  zum  Kapitän:  leb  will  ihn  töten,  ein  anderer:  Ich  will  auf  ihn  einen  Pfeil  abschießen, 


')  Fehlt  bei  Habicht  1/326/2. 

-)  Im  übrigen  vgl.  Vuiller  65:  »Si  vous  Irouvez  un  serpeut  dans  votre  maison, 
cparguez-le,  c'est  un  djinn  qui  partage  avec  vous  la  propriete  du  local«.  —  Lane  226:  »A 
curious  relic  of  ancient  Egyptian  superstition  must  here  be  nientioned.  It  is  believed  that 
each  quarter  in  Cairo  has  its  peculiar  guardian-genius,  or  Agathodaemon,  which  has 
the  form  of  a  serpent.«  —  Lane-Poole  34 — 35:  »It  is  related  that  'Ä'isha  having  killed 
a  serpent  in  her  Chamber  was  alarmed  by  a  dream  and  fearing  that  it  might  have  been 

a  Muslim   Jinnee gave  in  alms  as  an  expiation  12  000  dirhems,  the  price  of  the 

blood  of  a  Muslim.« —  Nach  el-Kisä'i    (Salzberger  102.  103)  kamen  die  Genien  und 

Satane  zu  Salomo in  Gestalten  von    Schlangen  usw.  —  Legrain  119:    »Car,  au 

moins  dans  le  Sa'id  [Oberägypten]  les  fellahs le  plus  souvent  meme  s'eloigneront 

du  serpent  qu'ils  considerent  volontiers  comme   un  genie    domestique.«  —  Canaan 

83  Mitte:   »Die  Schlange  ist  ein  dämonisches  Tier «  usw.  —  Schlangengeschichten: 

White  1/30711.,  Kunos:  Schlangenperi.  —  Bel  24,  Note  i:  »Beaucoup  de  Tlem- 
ceniens  affirment  qu'on  a  vu  autrefois  dans  l'etuve  d'un  bain  maurc  un  enorme  serpent 
qui  n'etait  autre  qu'un  djinn,   le  maitre  du  Heu.«   —  Stumme,   Trip.   107  ff. 

3)  Vgl.   dazu  die  Voranstellen  2/61  und  5/65. 

4)  Ebenso  Salzberger  108/8  col.  a  —  in,  wo  ein  Satan  namens  Murra  b.  cl-H,uit 
[Spitzname  des  Teufels]  vor  Salomo   in  eines  Affen  Gestalt    erscheint. 

5)  Eine  Verwandlung   in   Affengcstalt  findet  sich  auch  in  der  Geschichte  von 


28  O-  Kescher, 

ein  dritter:  Wir  wollen  ihn  crsautcu,  denn  wo  ein  Affe  sich  aufhält,  da  weicht  die  „haraka'-'' 
von  dem  Ort  ")•« 

Weniger  scharf  ausgeprägt  ist  diese  Anschauung  in  der  Geschichte 
vom  Fischer  Chalife  und  den  (Glücks-  und  Unglücks-)  Affekt  (H.  14/108  = 
4/318/4  u.)^). 

Wenn  wir  den  an  Tiere  sich  knüpfenden  Aberglauben  verlassen 
und  zu  dem  durch  Menschen  selbst  bewirkten  übergehen,  so  wäre  in 
erster  Linie  der  ■ —  bei  allen  Ländern,  ganz  besonders  aber  im  Orient 
verbreitete  —  Glaube  an  das  »böse  Auge«  (malocchio)  zu  er- 
wähnen, der  tatsächlich  auch  in  looi  Nacht  oft  genug  zum  Ausdruck 
kommt.  Eine  ganze  Reihe  von  Erzählungen  nimmt  auf  diese  in  der 
Volksphantasie  so  festgewurzelte  Vorstellung  mit  einer  solchen  Selbst- 
verständlichkeit Bezug,  daß  wir  anderer  Schriftsteller  Zeugnis  gar 
nicht  bedürfen,  um  zu  erkennen,  daß  es  sich  hierbei  nicht  um  roman- 
hafte Züge,  sondern  vielmehr  um  die  Wiedergabe  der  wirklichen  Volks- 
psyche  handelt.  Wie  wir  von  verschiedenen  Seiten  her  wissen  (z.  B. 
Canaan  31),  ist  die  Wirkung  des  »malocchio«  zwar  unbegrenzt,  aber 
doch  mit  Vorliebe  auf  bestimmte  Objekte  gerichtet.  »Besonders 
empfänglich  für  ihn  sind  die  Kinder,  besonders  schöne  (runde,  blonde) 
kleine,  weshalb  sämtliche  Kinder  mit  allen  möghchen  Sachen  behängt 
werden,  die  als  Amulette  dienen  und  gegen  die  Faszination  schützen 
sollen.  Überhaupt  alles  Schöne  ist  dem  »bösen  Auge«  am  meisten 
ausgesetzt,  wie  junge  Mädchen  in  der  Blüte  der  Jahre  usw.«  Genau 
Entsprechendes  finden  wir  in  der  Geschichte  der  lOOi  Nacht;  Kinder, 
hauptsächlich  wenn  sie  hübsch  sind,  werden  aus  Furcht  vor  dem  »Auge« 
vor  der  Außenwelt  abgesperrt  3),  bis  sie  (einigermaßen)  herangewachsen 


Gharib,  wo  der  Held  des  Romans  von  der  götzendienerischen  Königin  Dschänschäh  ia 
einen  Affen  verzaubert  wird  (H.  11/206  =9/179/12).  —  Im  übrigen  vgl.  auch  9/290/5  = 
H.  12/123/10,  sowie  Yahouda  p.  10  (Nr.  19):  In  Syrien  heißt  der  Affe  »sa'^dän«  (der  Glück- 
liche, Glückbringende),  was  ein  Euphemismus  ist,  da  der  Affe  als  böses  Omen  gilt.  — 
Wetzstein  p.  138,  Anm.  20:  Mit  »kird«  (Affe)  bezeichnet  man  im  gewöhnlichen  Leben  den 
Teufel ;  vgl.  auch  Jacob,  Agypt.  Jahrmarkt  31.  — ■  Zwei  Geschichten  ferner  bei  Canaan 
9  f.  und  55;  vgl.  auch  die  Geschichte  von  den  Veziren  Nur  eddin  und  Schems  cddiii 
(H.  1/182  Mitte  =  2/50/1),  wo  es  von  dem  buckligen  Bräutigam  heißt,  daß  er  (von  allen 
gemieden)  allein  (in  einer  Ecke)  dasaß  »wie  ein  Affe*;  daneben  auch  noch  die  Note  i  in 
Stumme.  Trip.  182. 

')  Der   Text   ist  etwas   von   mir   umgestellt;    das  »gadaria    bind«  ist  kaum  richtig. 
^)  Der  Habicht'scIic  Text  deckt  sich  nicht  ganz  mit  dem  von  Henning  übersetzten 
Bidaker. 

3)  Eine  charakteristische  Beobachtung  teilt  Lane    57  (chapter  2 :   circumcision)  mit : 

»It  is  not  uncommon  to  see,  in  thc  city  in  which  I  am  writing,    a  lady with  all  that 

appcars  of  her  perso  1  scrupulously  clean  and  delicate    ....  and    by  her  side  a  litlle    boy 
or  girl,  her  own  child,  with  a  face  bcsmeared  with  dirt  and  with  clothcs  appearing  as  though 


Studien  über  den   Inhalt  von    looi    Nacht.  29 

sind   [Oavtar  ez-zemän:  H.  17/5  =  Chauvin  V/212  Nr.   121]  ^);  ebenso 
in  der  Erzählung  von  'Aid'  eddin  ab'u  'S  Sdmät  [H.  6/84  =  7/46/12]: 

»Als  er  aber  sieben  Jahre  olt  geworden  war,  brachte  man  ihn  aus  Furcht  vor  dem 
»Auge«  in  ein  unterirdisches  Gemach,  nachdem  sein  Vater  sich  vorgenommen  hatte,  ihn 
nicht  daraus  zu  entlassen,  bis  ihm  ein  Bart(anflug)  käme;  zu  seiner  Bedienung  aber  bestellte 
er  ihm  eine  Sklavin«  usw.  -) 

Als  'Alä'  eddin  dann  später  seine  Mutter  um  Aufklärung  über 
den  Grund  seiner  Abschließung  von  der  Welt  bittet,  da  entgegnet  sie 
ihm  (H.  6/86  =7/49/3): 

»Oh  mein  Sohn!  Wir  haben  dir  das  unterirdische  Gemach  angewiesen  nur  au^  Furcht 
für  dich  vor  den  »Augen«  der  Leute,  denn  das  »Auge«  ist  Tatsache,  und  die  Mehrzahl  der 
Leute  der  Giäber  [der  Toten]  liegt  um  »des  Auges«  willen  unter  der  Erde  3).« 

Als  Schutzmittel  gegen  den  schadenbringenden  Einfluß  des 
»Auges«  verwandte  man  das  Salz  (H.  6/83  =  7/45  paen.),  das  man 
ausstreute,   entsprechend  wie  wir  'auch   in  Lane   505    (ceremonies  of 

circumcision,  chapter  XXVI I)  lesen :  »At  the  same  time,  the  dayeh, 

sprinkles a  mixture  of  salt  and  seed  of  the  fennel-flower  o"r  salt 

alone  which  has  been  placed  during  the  preceding  night  at  the  infants 

head;  saying,  as  she  does  this »The  foul  salt  be  in  the  eye  of  the 

envier«4).  This  ceremony  of  the  sprinkling  of  salt  (^UJl  ^^) 
is    considered   a    preservative    for    the     child    and    mother 

the  had  been  worn  for  month  without  beeing  washed  ....  I  naturally  inquired  the  cause 

and  was  inlormed  that  the  affectionate  mothers  thus  neglected  the  appearance  of 

their  children  and  purposely  left  them  unwashed,  and  clothed  them  so  shabbily,  particularly 
when  they  had  to  take  them  out  in  public,  from  fear  of  the  e  vil  eye,  which  is  excessively 
dreaded  and  especially  in  the  case  of  children,  since  they  are  generally  esteemed  the  greatest 
of  blessings.«  Ebenso  Canaan  90  Mitte  und  F.  Dieterici  {Reisebilder  atis  dem  Morgen- 
lande)  1/64  u. 

I)  Fehlt  bei  Habicht. 

-)  H.  17/75  entschuldigen  sich  die  leer  heimkehrenden  zwei  Brüder  bei  ihrem  dritten 
Bruder  ('Abdallah  b.  Fädil)  damit,  daß  sie  in  der  Fremde  das  »böse  Auge«  getroffen  haben 
müsse,  was  den  Verlust  ihres  Gutes  verschuldet  habe.  —  H.  23/17  {Geschichte  der  drei 
Strolche)  wird  von  einem  kostbaren  Hengst  erzählt,  der  aus  Furcht  vor  dem  »Auge«  in 
einem  besonderen  Stall  unter  zuverlässiger  Aufsicht  untergebracht  wird.  —  H.  1/83  {Nur 
eddin  itnd  Scheins  eddin)  spricht  Hasan  auf  Anstiften  des  'Ifrits  zur  Braut,  er  sei  der  richtige 
Verlobte  und  ihr  buckliger  Bräutigam  sei  nur  des  »bösen  Auges«  wegen  gemietet  und  vor- 
geschoben worden.     Habicht  gibt  jedoch  hier  (2/56/9)  eine  andere  Motivierung:    »^ikUif^ 

OA>^U  ^JLc  lJC^^X^  ^'l  n^aIsäÜ  »lXP  J.^£  1/5 «•  —  Vgl.  weiterhin  Lane  249 
(Kap.  XI:  charms),  Canaan  30  ff.  120  ff.  —  Mauchamp  214.  —  Bel  35  unten.  - 
Wetzstein  Note  26,  p.  139.  —  Doutte  317.  —  Kremer  2/212  unten;  ibid.  2/253  f.  — 
Snouck  II/122. 

3)  Ebenso  Canaan  30  Mitte:  »Rab  (der  in  Babylon  wohnte)  und  Chijja  der  Ältere 
meinen,  daß  von  100  Menschen  99  anr  »Auge«  und  nur  einer  durch  den  Himmel  sterbe.« 
Löhr  107  Mitte. 

4)  Vgl.  Canaan  120;  auch  Kremer,    »Studien«  25;    Schwallv  23  Mitte. 


30 


O.  Rescher, 


from  thc  cvil  eye«  usw.;  vgl.  auch  noch  Canaan  133  Mitte:  »Eine 
alte  Frau  räuchert  vor  dem  Bräutigam  im  Hochzeitszug  mit  Gersten- 
mehl, Salz  und  Alaun,  indem  sie  wirksame  Sprüche  sagt,  um  ihn  vor 
dem  »bösen  Blick«  zu  schützen.«  —  Ein  weiteres  Kapitel  des  Aber- 
glaubens ist  das,  welches  sich  auf  körperliche  Fehler  und  Ge- 
bresten bezieht,  als  da  sind  Lahmheit,  Kahlköpfigkeit,  Ein- 
äugigkeit i),  ja  selbst  Blauäugigkeit.  So  heißt  es  bei  Canaan  28: 
»Gott  schütze  uns  vor  dreien:  dem  Einäugigen  -) ,  dem  Kahl- 
köpfigen und  dem  Bartlosen!  3) «  Deshalb  sind  solche  Epitheta  wie 
»a/idab«  (bucklig),  »a'war«  (einäugig)  usw.  häufig  mit  dem  Zusatz 
))nahis{<  (unglückbringend)  verbunden,  so  wenn  z.B.  der  Fischer 
Chalite  den  einäugigen  Affen  )>jd  a'-war  ennahisu  (oh  du  verwünschter 
Einäugiger)  [4/321/8]  anredet  oder  Hasan  Bedr  eddin  den  Buckligen 
»el-ahdab  enna/iis«  (Unglücksbuckliger)  betitelt  [2/59/7].  Indem  (bei 
Habicht  freilich  völlig  verderbten)  Gedicht  7/270  (=  H.  7/56)  heißt  es: 

Nicht  für   einen   Tag  nimm  den  Einäugigen  zum  Freund, 
Sei  auf  der  Hut  vor  seiner  Bosheit  und  seinem  Falsch! 
Wenn   irgend  etwas  Gutes  an  diesem  Einaug'  wäre, 
So  hätte  Gott  ihm  nicht  sein  Auge  hlind  gemacht  4). 

Auch  in  der  Erzählung  von  Nur  eddin  '■Ali  und  Mirjam,  der  Gürtel- 
macherin  erscheint  der  dem  Liebespaar  feindlich  gesinnte  Franke  (ein 
Kundschafter  und  Spion  des  christlichen  Königs)  als  einäugig  und 
zudem  lahm  (10/300/13  =  H.  15/39  Mitte).  —  Dagegen  wird  in  der 
ziemlich  ähnlichen  Geschichte  von  ''Ali  $dr  und  Zumurrud  der  Naza- 
rener  Barsüm,  der  ebenfalls  das  Liebespaar  der  Historie  auseinander- 
bringt, als  blauäugig  (H.  Jljy  =  7/300)  [d.  h.  eigentlich  als  Feind]  <) 
betitelt: 


')  Die  Stelle  H.  2/83 — 84  (in  der  Geschichte  des  vierten  [einäugigen]  Bruders  des  Bar- 
biers) fehlt  2/283 — 284,  wahrscheinlich  irrtümlich  [H.  2/83/18  entspricht  ibid.  2/84/9  ^^^ 
ist  wahrscheinlich  vom  Kopisten  des  HABiCHx'schen  Textes  übersprungen]. 

*)  Mauchamp  143:  »II  faut  cviter  comme  premiere  rcncontre  du  jour  un  borgne  .  .  .« 

3)  Vgl.  auch  Spitta  {Gramf/iafii  des  arah.  J'nlgardialekts  von  Ägypten)  pag.  496 
Nr.  33:    »Der   Morgen  mit  dem  Affen  ist   besser  als  der  Morgen  mit  dem  Bartlosen.« 

4)  [Serf] 


V^  o^  jy''^^^  J"  o^^  ^   ^ 


■Ol     i'.'VjC    ^/5    iA5>l    iOl'i.Ls    U« 


[Wie  der  letzte  Hemistich  richtig  zu  lesen  ist,  weiß  ich  nicht.] 

5)  Vgl.  Miiyit  1/864  col.  b,  12  V.  u.:  ^^  »jtjuiii  vAjJsJi.jl  blXnjO   ,'  jj'^^  _.A*JI 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi    Nacht.  ■?  1 

(Als  man  ilm  vor  die  Königin  gebracht  hatte,)  sagte  sie  [Zumurrud]:  »>Weh  über 
dich,  Blauauge!  Wie  heißt  du  und  wozu  bist  du  zu  uns  gekommen?«  Der  Verruchte 
aber  suchte  seinen  wahi^en  Namen  zu  verleugnen usw. 

wie  auch  sein  Bruder  Resid  als  blauäugig  und  von  gemeinem 
Aussehen  geschildert  wird  (H.  7/54/3  u.  =  7/269/1).  Ebenso  ist  [in 
Hasan  el-Basri]  die  Beschreibung  der  »Sawähi,  umm  ed-dawähi« 
(H.  14/47  =6/73/11)  »der  Unheilsmutter«  als  grauhaarig,  blauäugig, 
großnasig,  kurzum  widerwärtig  von  Form  und  Aussehen  [6/70  ult.  = 
H.  14/46/9]  ^);  vgl.  noch  die  der  Gaunerin  )>Delila«  (9/230/7  =  H.  12/83)2). 
Seltener  wird  einer  andern  Art  des  Aberglaubens,  der  »Omina«, 
Erwähnung  getan,  doch  wäre  hier  vielleicht  noch  auf  die  Stelle  (H.  6/83  u. 
=  7/46/7)  zu  verweisen  ['■Ald^  eddin  abü  'i  Sämät],  wo  es  heißt: 

»Nun  herrschte  dazumal  der  Brauch,  daß  man  den  Kindern  nach  einem  »Omen«  {fa'l) 
den  Namen  gab;  und  da  nun  gerade  einer  der  Anwesenden  zu  einem  Dritten  sagte:  Oh  mein 
Herr  *Alä'  eddin,  so  sagte  der  Vater  zur  Mutter  (des  Neugeborenen):  Nun,  so  wollen  wir's 
'Alä'  eddin  heißen  3).« 

Zauberei  und  Magie. 

Ein  ungleich  wichtigeres  Kapitel  des  Aberglaubens  als  das  vor- 
herige bilden  die  Anschauungen  und  Vorstellungen,  deren  Zweck  und 


[Zusatzbemerkung:  Blauäugig  werden  wohl  weniger  die  Byzantiner  selbst  als  ihre  (slavi- 
schen)  Hilfsvölker  gewesen  sein.] 

')  Vgl.  auch  Canaan  28,  wonach  die  ob  des   »Auges«  gefürchtetsten  Menschen  die 

»blauäugigen«  und  die  mit  auseinanderstehenden  Vorderzähnen  sind:    V,:  xj^Ji^c  |*J^^^J 

I»,  yS  »J>IXmi\»,.  —  Ein  Teil  der  Satane,  die  vor  Salomo  defilieren,  erscheinen  mit  blauen 
Augen  (Salzberger  106,  col.  a,  Z.  i  und  109  Z.  7)  — Vgl.  auch  das  maltesische  Sprichwort 
(ZDMG.  30/229  Nr.  17:  Die  maltesische  Mundart  H  von  Sandreczki):  »'Ainejn  zoroq 
joqtluynnysfittoroq«(,  •  _Lii!  ^s  (j^LäÜ  J-^Üj  (•)jJ5  q-oLxäJI),  wozu  der  Autor  bemerkt: 
»Unter  der  Herrschaft  der  Normannen  usw.  wie  der  Johanniter  mögen  die  schwarzäugigen 
Malteser  ga''  vielen  schrecklich  blauen  Augen  begegnet  sein,  denen  sie  gern  aus  dem  Wege 
gingen,  und  manchmal  werden  sie  durch  angelsächsische  Augen  an  den  Spruch  erinnert.« 
[Frdl.  Mitteilung  von  Prof.  Stumme.]  —  Canaan  58:  »Daß  man  es  gerade  von  der  blauen 
Farbe  annimmt,  sie  besitze  hervorragende  Schutzkraft,  mag  wohl  mit  der  Anschauung  zu- 
sammenhängen, daß  die  blauen  Augen  als  die  gefährlichsten  angesehen  werden usw.«  — 

Ferner  Stumme,  Tn/>.  ii  1/5. —Löhr  107  Mitte;  37  Mitte:  »Hierbei  (d.  h.  gegen  den  »bösen 
Blick«)  gilt  die  blaue  Farbe  als  besonders  wirksam«  usw. 

-)  Die  Erklärung  Henning's:  [»Blauäugig«]  »Vielleicht  im  Sinne  von  blind«  ist  natür- 
lich nicht  stichhaltig,  würde  auch  gar  nicht  in  den  Zusammenhang  passen. 

3)  Entsprechend  Kern  MSOS.  IX  1906  Abteilung  H  pag.  37 (nach  Ibn  Südün):  »Die 
Bauern  nennen  ihre  Kinder  womöglich  nach  dem  ersten  Wort,  das  sie  in  der  Geburts- 
stunde hören;  sie  betrachten  das  als  »Omen«.« 


■>2  O.   Rescher, 

Inhalt  die  Magic  bildet.  Wenn  wir  es  in  dem  bereits  Erwähnten  nur 
mit  reinem  Aberglauben  oder  auch  mit  solchem,  der  ins  Grenzgebiet 
von  Religion  und  Aberglauben  hinüberspielt,  zu  tun  hatten,  Hegt  hier 
der  Fall  insofern  komplizierter,  als  manche  Erscheinungen  als  ein 
»mixtum  compositum«  von  Wissenschaft,  Religion  und  Aberglauben 
aufgefaßt  werden  müssen.  Wie  dem  religiösen  Glauben  der  Aberglaube, 
so  steht  auch  der  Wissenschaft,  z.  B.  der  Chemie  und  Astronomie, 
die  auf  abergläubische  Voraussetzungen  basierte  Pseudowissenschaft, 
nämlich  die  Alchemie  und  Astrologie,  gegenüber.  Nur  dal3  der  Orient 
es  von  jeher  liebte,  all  die  Künste  des  Aberglaubens  • —  die  ja  auch  im 
mittelalterlichen  Abendland  in  Gunst  und  Ansehen  standen  —  noch 
mit  einem  religiösen  Anstrich  zu  verbrämen,  teils  um  ihnen  das  Odium 
des  Zauberhalten  zu  benehmen,  teils  um  ihre  Wirkung  durch  ihre  Ad- 
aptierung an  das  religiöse  Gesetz  zu  steigern.  —  Die  verschiedenen 
Zweige  der  Magie,  denen  wir  unser  Augenmerk  zuwenden  wollen,  sind 
Beschwörungen,  Talismane  und  Amulette,  Geomantie, 
Traumdeutung,    Astrologie    und    Alchemie. 

Als  die  Heimat  (oder  doch  hauptsächlichster  Ausgangspunkt)  der 
Zauberei  galt  Babylon  (vgl.  Kremer  2/263),  »denn  dort  sollten  die 
beiden  gefallenen  Engel  Härüt  und  Märüt  eingeschlossen  sein  und  ihre 
Strafe  ausstehen,  dort  holte  man  sich  von  ihnen  den  Zauberunterricht«. 
Tatsächlich  wird  auch  auf  Babylon  als  Stätte  der  Zauberkunst  und 
Heimat  der  Dschinn  verschiedene  Male  Bezug  genommen;  so  H.  16/121 
=  5/123  [Abu  H-Hasaii  el-'^Omdni),  wo  der  Babylonier  'Abdullah, 
als  erfahren  ster  Meister  in  seinem  metier,  aus  einem  Karneol  unter 
Beobachtung  der  astrologischen  Bräuche  ein  mit  »Talismanen«  gra- 
viertes Amulett  gegen  die  Epilepsie  [nach  dem  Glauben  des  Volks 
eine  von  Dämonen  verursachte  Krankheit]  herstellt,  oder  H.  13/81  = 
4/224/9  [Seif  el-mulük  und  Bedient  el-gemäl),  wo  es  heißt: 

»Das  jst  das  Bild  von  B.  el-gemal,  der  Tochter  ."....  des  Großkönigs  der  gläubigen 
Dschänn  (Dschinnen),  die  auf  der  »Insel«  Bäbil  hausen  und  wohnen.« 

Auch  in  poetischen  Beschreibungen^)  ist  der  Ausdruck  »baby- 
lonisch« (=  zauberhaft-verführerisch)  ganz  allgemein  gebräuchlich 
(H.  1/77/14;  H.  22/48/6  u.,  3/193/1,  10/259  ult.,  10/232/6  [wo  ^xUb 
in  \JbLj  zu  verbessern  ist],    12/51/5]. 

Wie  bekannt,  unterscheiden  die  Muslims  zwei  Arten  von  Magic 
[Lane  263  f.],  die  »spirituelle«  [rühdni],  die  mit  Hilfe  der  Engel  oder 
auch  der  Wirkung  der  mysteriösen  Eigenschaften  gewisser  Gottes- 
namen und  dergl.  zustande  kommt,  und  »natürliche«  Magie,  die  durch 

0  Die  Stelle  H.  5/118  (»Seine  Augen  waren  größere  Zauberer  als  Harut  und  Marüt«) 
fehlt  Habicht   3/175. 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht. 


33 


mehr  oder  weniger  unerlaubte  Mittel  oder  auch  die  Mitwirkung  böser 
Geister  ausgeführt  werden  kann.  Daß  die  Zauberkunst  nicht  un- 
gefährlich war,  insofern  sie  den  Verdacht  der  Ketzerei  erwecken 
konnte,  ersehen  wir  aus  manchen  Geschichten,  so  z.  B.  der  bei  Kremer 
2/2^5  gegebenen  Erzählung,  oder  aus  Stellen  wie  H.  13/135  ==  5/271/11 
[Hasan  el-Basri],  wo  wir  lesen: 

»Hasan  setzte  den  (Schnielz)tiegel  ans  Feuer.  Da  sagte  der  Perser  [Magier]  zu  ihm: 
Was  willst  du  denn  machen,  mein  Sohn?  Hasan  entgegnete:  Lehr'  mich  diese  Kunst. 
Da  lachte  der  Magier  über  ihn  und  sagte:  Bei  Gott!  Du  bist  doch  noch  ein  rechter  dummer 
Junge.  Für  diese  hochedle  Kunst  eignet  sich  doch  niemand,  der  sie  auf  offener  Straße 
(oder)  auf  dem  Markte  lernen  möchte.  Da  würden  ja  die  Leute  schließlich  sagen:  Die  da 
verstehen  sich  auf  die  Kunst  derAlchemie,  und  wenn  das  der  Obrigkeit  zu  Ohren  käme, 
möchten  wir  leicht  unser  Leben  dabei  riskieren  '). « 

Trotzdem  war  die  Alchemie,  wie  bekannt,  eine  das  ganze  Mittel- 
alter hindurch  (und  zwar  im  Abendlande  kaum  weniger  als  im  Orient) 
florierende  Kunst-,  deren  Endzweck,  das  Goldmachen,  immer  wüeder 
die  Gemüter  gläubiger  Adepten  ^),  zuweilen  auch  abgefeimter  Betrüger  3), 
beschäftigte.     HN.  82/3  [Histoire  du  vizir  hafmekide) : 

»Le  jeune  homme  obeit;  ils  allumerent  du  feu  et  quand  le  cuivre  fut  fondu  ä  blanc, 
le  vieillard  prit  une  liqueur  qu'il  versa  sur  le  metal;  il  laissa  refroidir;  le  cuivre  etait  devenu 
un  lingot  d'or  pur.« 

Ebenso  HN.  275  Mitte  [Les  quatre  hommes  et  Haroun  ar-Rasid]: 

»Le  bedouin  .  .  .me  demanda  un  quintal  de  cuivre,  de  plomb  ou  de  fer II  le 

fit  fondre  ä  grand  feu  et  y  jeta  une  pincee  de  la  poudre et  ce  fut  aussitot  une  masse 

d'or  pur.« 

Den  gleichen  Drang  nach  dem  kostbaren  Metall  verrät  eine  andere 
Kategorie  des  Aberglaubens,  der  bekanntlich  auch  bis  in  die  Gegen- 
wart herein  sich  unter  dem  Volk  stets  lebendig  erhalten  hat  4),  nämlich 


1)  Auch  konnte  die  Ausübung  magischer  Künste  Gefahren  mit  sich  bringen,  wenn 
nämlich  dadurch  Dritte  zu  Schaden  gekommen  sein  wollten,  vgl.  z.  B.  die  Geschichten 
bei  Lane  264  f.  (chapter  XII:  Magic):  (pag.  265)  ....  »the  magician  was  banished 
from  Egypt.  —  Another  enchanter  (sahhär)  was  banished  a  few  days  after,  for  writing  a 
charm  which  caused  a  Muslimeh  girl  to  be  affected  with  an  irresistible  love  vor  a  Copt 
Christian«.  —  Ferner  Legrain  68  (in  der  Legende  von  Yotisouf  abou  ''l-Haggäg)-,  sowie 
H.  10/175  Mitte  =  12/302/8. 

^)  ^g-^-  Snouck-Hurgronje  II/215:  »Außerdem  bemühen  sich  verschiedene  Mekkaner 

vergeblich  darum,  der  Natur  ihr  tiefstes  Geheimnis,  das  Goldmachen,  abzuringen 

Auch  der  Schech  der  Sejjid's  war  ein  Goldsucher.«  —  Lane  217  (paen.):  »Alchymy  is  more 

studied  in  Egypt  than  pure  chymistry (264).     El-Keemiya  is  also  studied  by  many 

persons  in  this  country,  and  by  some  possessed  of  talents  by  which  they  might  obtain  a 
better  reputation  than  this  pursuit  procures  them « 

3)  Vgl.  die  ergötzliche  Geschichte  in  el-Gaubari  's  ))Käsj  el-asrdro  (Cairo  1316) 
F^y-  33 — 35  (Ende  des  9.  Kap.)  auszugsweise  in  ZDMG  20/494  Mitte. 

4)  Legrain  106:  » Car  il  suffit  que  le  moindre  Maugrab  in  passe  dans  le  pays 

et  laisse  entendre  qu'il  possede  un  grimoire  qui  permettra  ä  quiconque  lui  avancera 

Islani.     IX.  o 


34 


O.  Re  sehe  r, 


die  Überzeugung,  auf  Grund  der  Kenntnisse  magischer  Formeln 
und  okkulter  Schriften  Schätze  heben  zu  können.  Das  Thema 
der  durch  Hilfe  von  Geisterbeschwörungen  inszenierten  Schatz- 
gräberei  bildet,  wie  der  Leser  von  lOOi  Nacht  weiß,  die  Grundlage 
gerade  der  berühmtesten  Erzählungen  der  ganzen  Sammlung,  wie 
z.  B.  '^Alä  ^ddin  und  der  Wunderlampe,  der  Dschüdargeschichte,  Bähd 
^-Abdallah  usw.  —  Wie  man  aus  der  Mehrzahl  dieser  und  ähnlicher 
Historien  ersieht,  waren  es  vornehmlich  Maghrebiner,  die  in  dem 
Rufe  standen,  auf  solche  Zauberkünste  sich  zu  verstehen  [vgl.  Chauvin 
VI/84  Note  I  zu»  Maugrabinlemagicien«]^).  Der  »Schatzsucher«  [»matä- 
libi«,  vgl.  5/280/1,  zugleich  auch  Alchimist  [kimäwi)  und  Astrolog 
[ndg-im]]  mußte  ein  doppeltes  »Wissen«  besitzen,  erstens  zur  Eruierung 
der  Placierung  des  Hortes  und  zweitens  zur  Hebung  desselben,  wozu 
»Besprechungen«  und  »Beschwörungen«  der  schatzhütenden  Geister 
(oder  bannenden  Talismane  2))  vonnöten  waren.  Solche  Angaben 
waren,  nach  dem  gemeinen  Glauben,  in  okkulten  Büchern  niedergelegt, 
wie  z.B.  aus  der  Stelle  H.  11/15  =9/328/1  [Dschüdargeschichte]  her- 
vorgeht: 

»Unser  Vater  hinterließ  uns,  erzählte  der  Magrebiner,  gewaltiges  Gut,  das  wir  vei- 
teilten: liegende  und  bewegliche  Habe,  Schätze,  Talismane  usw.  Als  aber  die  Verteilung 
an  aie  Bücher  kommen  sollte,  da  erhob  sich  unter  uns  ein  Streit,  wer  das  Buch  »Die 
Historien  der  Vorfahren«  {asdtir  el-auwalin)  besitzen  solle,  da  kein  Preis,  keine  Goldgrube, 
kein  Edelstein  seinen  Wert  ermessen  konnte,  insofern  in  ihm  [die  Lage]  alle[r]  Horte 
erwähnt  und  die  Lösung  aller  [darauf  bezüglichen]  Probleme  gegeben  war.« 

An  anderer  Stelle  finden  wir,  daß  solche  Bücher  in  »amalekitischen 
Charakteren«  geschrieben  sein  sollen  HN.  71: 

»Qu' Allah  conserve  le  prince,  repondis-je:  il  m'est  tombe  sous  la  main  un  livre 
tres  ancien,  ecrit  en  caracteres  amalekites,  oü  il  est  dit  qu'une  ile  voisine  de  cet  empire 
et  nommee  l'ile  de  Camphre,  renferme  les  tresors  du  grand  Amalec  3),  ses  joyaux,  tous  ses 
biens  et  ceux  des  grands  personnages  de  son  empire.«     [L'ile  de  Camphre.] 

la  forte  somme  de  trouver  gräce  ä  lui  un  tresor  incomparable.  Et  chaque  annee,  quelque 
niais  se  laisse  prendre  ä  Pappät « 

I)  Auch  von  Algeriern  hörte  ich  diese  Ansicht  des  öfteren.  —  Im  übrigen  werde 
ich  bei  dem  Kapitel  »Rassetypen«  in  lOOi  Nacht  auf  den  »Maghrebiner«  noch  einmal 
besonders  zurückkommen. 

^)  Vgl.   den  Ausdruck  9/200/14  =  H.   12/64/16. 

3)  Im  Anschluß  sollen  hier  einige  Notizen  über  die  »Amalekiter«  in  lOOi  Nacht  folgen 
[vgl.  Chauvin  V/20,  Note  2]:  Vorzugsweise  gelten  sie  als  die  Erbauer  alter  Schlösser  und 

Burgen,  vgl.  HN.  250:  »Le  Chäteau  des  Rayons les  Amalekites  l'ont  construit  pour 

Sakhr,  fils  du  grand  Iblis  (qüe  Dieu  maudisse)«  [Zrt/^r  benLahiq].  —  Ebd.  116  oben  [Etoiie 

de  lumiere]:  ün  chäteau  fort sur  des  fondations  de  fer  .  .  .  .  .  bäti  par  les  Amalekites 

et  per  les  Negres.  —  Auch  von  der  Stadt  el-Karag  lesen  wir,  daß  sie  ein  gewaltiger  Amale- 
kiter [9/169/2  .WAS»  V^^L*^]  erbaut  habe  [H.  11/199].  Im  weiteren  Sinne  gelten  die  Amale- 
kiter  schlechthin  als  die  »Recken  und  Riesen«  der  Vorzeit,  wie  z.  B.  aus  dem  Gharib- Romane 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht.  25 

Von  der  Thesaurierung  solcher  Horte  selbst  erfahren  wir  jedoch 
nicht  viel;  nur  an  einer  Stelle  (12/9/9:  Tuhfat  el-qulüb)  wird  ein  solcher 
Schatz  [matlah]  auf  »  Jäphet  b.  Nüh<(  zurückgeführt. 

Eine  der  wichtigsten  Äußerungen  des  Aberglaubens  stellt  die  »Wahr- 
sagekunst« dar,  die  sich  wieder  in  Astrologie,  Geomantie  und 
Traumdeutung  ^  scheiden  läßt.  Wenn  wir  bedenken,  daß  selbst  in 
Europa  nicht  nur  im  Mittelalter  die  Astrologie  hoch  in  Ansehen  stand 
[Kepler  z.  B.  war  zugleich  Hofastronom  und  -astrolog,  wobei  man  auf 
seine  letztere  Tätigkeit  womöglich  mehr  Gewicht  legte  als  auf  die  rein 
wissenschaftliche  Betätigung;  Seni  im  Wallenstein],  sondern  auch  noch 
in  der  Gegenwart  die  Wahrsagekunst  zahlreiche  Gläubige  und  Vertei- 
diger findet  [Madame  de  Thebes],  so  dürfen  wir  uns  nicht  wundern,  daß 
auf  die  leichter  entzündliche  und  kritiklosere  Psyche  des  Orientalen  derlei 
Künste  noch  in  weit  höherem  Grade  einwirkten  -).  An  allen  Höfen  des 
Orients  gehörten  z.  B.  die  Astrologen  einfach  sozusagen  zum  unerläß- 
lichen »Inventar«  des  ganzen  Hofstaates,  die  auch  bei  allen  wichtigeren 
Ereignissen  des  menschlichen  Lebens  [Geburt  eines  Prinzen,  Be- 
schneidungsfest,  Vermählung,  Thronbesteigung]  in  Tätigkeit  zu  treten 
bzw.  ihr  Gutachten  abzugeben  hatten  3).  —  HN.   151   (-  12/240/14): 

»Puis  le  roi  rappela  les  astrologues  et  il  les  pria,  de  tirer  l'horoscope  de  son  fils«  [Sieben 
Vezire]. 


ersichtlich,  wo  das  Wort  überaus  häufig  erwähnt  wird  [8/362/13;  370/2;  377/5;  9/1 2/1 3; 
25/10;  37/8;  62/10;  H.   11/150  usw.].     V"gl.  HuART  1/40. 

1)  Die  Prophetie  scheidet  hier  aus,  da  hierbei  das  religiöse  Moment  naehr  oder 
weniger  den  Ausschlag  gibt. 

2)  Die  Orthodoxie  machte  freilich  gegen  derlei  entschieden  Front,  indem  sie  den 
Glauben  an  astrale  Einflüsse  auf  das  menschliche  Leben  und  seine  Gestaltung  lebhaft 
bekämpfte.  Vgl.  z.B.  »'Abdelmu'min  el-Isfahäni«  Maqdtnen-ijb.  Nr.  23,  p.  40: 
»Leute,  die  Gott  preisen  und  loben  [d.  h.  gottesiürchtig  sind],  huldigen  nicht  dem  Glauben 
an  Gestirndeutung  ,....;  der  Glaube  an  Wahrsagekunst  gehört  in  das  Kapitel  dessen, 

was  den  Menschen  verächtlich  macht und  was  verstände  auch  ein  einfältiger  Astrolog 

[Astronom]  von  dem  verborgenen  Wissen  [Gottes]?  usw.«  Freilich  dürfen  wir  uns  nicht 
verhehlen,  daß  eben  die  starre  Orthodoxie,  indem  sie  den  Aberglauben  verurteilt,  zugleich 
auch  die  Wissenschaft  befehdet. 

3)  Vgl.  auch  VuiLLER  55:  »Frequemment  ä  la  naissance  d'un  enfant  les  familles 
maures  fönt  appel  ä  l'astrologue.  Celui-ci  faisant  le  total  de  la  valeur  numerique  des 
lettres  contenues  dans  le  nomd'enfant  et  dans  les  noms  du  pere  et  de  la  mere  etrapprochant 
ce  calcul  de  nombres  astronomiques  et  des  signes  du  zodiaque  passe  pour  devoiler  l'avenir 
du  nouveau-ne.«  —  Kremer  2/448:  »Als  der  2.  'Abbaside  Bagdad  gründen  wollte,  ließ  er 
durch  einen  Astrologen  erst  die  Stellung  der  Gestirne  ermitteln,  um  in  glücklicher 
Stunde  sein  Werk  zu  beginnen,  —  Vgl.  auch  Lane-Poole  86.  —  White  3/220:  »Kommt 
der  gewöhnliche  Zeitpunkt  heran,  so  wird  der  Muneggim  Baschy  oder  irgendein  anderer 

Astrolog  um  Rat  befragt,  der  dann  die  günstige  Zeit  [der  Beschneidung] ,  Tag  und 

Stunde,  bestimmt.« 

3* 


36 


O.  Rescher, 


H.  20/115   [Zahl  el-asndm]: 

»Der  König  versammelte  alle  Sterndeuter  und  Geomanten  und  sprach  zu  ihnen: 
'Ich  wünsche  eure  Auskunft  über  das  (zu  erwartende)  Kind'«  usw. 

H.  24/156  [Die  Tochter  des  Kaufmanns  und  der  Prinz  vom  '■Irdq): 

»Sobald  der  Morgen  anbrach,  berief  der  Kaufmann  die  Astrologen,  Horoskopsteller 

und  Herren  der  Feder  und  teilte  ihnen  mit,  daß  er das  künftige  Schicksal  seiner 

rechter  von  ihnen  zu  erfahren  wünsche « 

H.  1/122/4  =  1/272/8;  H.  2/72/8  =  2/264/8  [Geschichte  des  ersten 
Bruders  des  Barbiers): 

»Dein  Stern  [sagte  der  Scheich  zu  dem  Genasführten]  paßt  eben  nicht  zu  ihrem 
Stern;  [wenn  du  es  aber  wünschest,  will  ich  das  Horoskop  deines  Ehekontraktes  ändern, 
damit  eure  Sterne  besser  zueinander  passen]').« 

H.  2/57  Mitte: 

»Als  dein  Vater    [sagte  der  Barbier  zu  dem   Jüngling]  zu  mir  sagte:   'Zapfe  mein 

Blut  ab',    da  langte  ich  das  Astrolabium  hervor    und  fand ,    daß  das  Gestirn  der 

Stunde  unheilvoll war. « 

Auch  der  Zauberer  in  '■Aladdin  und  der  Wunderlampe  wird  als 
Adept  der  schwarzen  Kunst  und  gleichzeitig  als  Astrolog  [Zotenberg  2/5 
■il^lli    OJtj    ^^.]  geschildert. 

Ein  häufig  genannter  und  augenscheinlich  stark  verbreiteter  Zweig 
der  Wahrsagekunst  ist  die  Geomantie  [4arh  el-mandal:  10/267/14; 
3/217/5  usw.],  wozu  man  bei  Dozy  2/652/col.  b.  folgendes  findet: 

)>^Js^«  est  un  mot  indien  qui  signifie  cercle  [vgl.  Vuiller]  et  »JA-U-Jl  V-J,^«  en 
p?rlant  d'un  magicien  est  proprement  »tracer  un  cercle  par  terre«.  Mais  sous  ))|^L>:d 
i3A>Uii«  on  entend  d'apres  Proleg.  II/i 77/14  »un  magicien  qui  travaille  en  fixant  ses 
regards  sur  des  miroirs  ou  sur  des  liquides«;  vgl.  auch  Jacob,  »Ägyptischer  Jahrmarkt«  S.  21. 

Davon  verschieden  ist  das  »takt  er-raml«  (Jacob  18,  Habicht 
Bd.   III  Glossar  S.  6 — 7  sub  voce   »J^xJl  c>.^ö^)«): 

»Ein  Brett,  worauf  die  Kunst  der  Geomantie  getrieben  wird,  die  darin  besteht,  daß 
man  in  auf  dasselbe  gestreuten  Sand  mit  einem  Stäbchen  mehrere  Striche  und  Punkte 
in  unbestimmter  Anzahl  macht,  sie  dann  in  jeder  Reihe  je  zu  vieren  oder  zu  zweien  ver- 
tilgt, worauf  entweder  die  Reihe  mit  einer  gleichen  Zahl  aufgehen  oder  ein  Punkt  übrig 
bleiben  muß;  die  mehr  oder  mindere  Zahl  der  rein  aufgegangenen  Reihen  bestimmt  das 
Gelingen  oder  Mißlingen  eines  Unternehmens.  In  Ermangelung  eines  solchen  Brettes 
werden  auch  Punkte  auf  Papier  gemacht  und  damit  ebenso  verfahren.« 

und  Vuiller  55: 

»II  est  aussi  un  autre  genre  de  sorciers:  les  'ramaia  khit3)  erramel';  ceux-lä  etalent 
devant  eux  une  nappe  de  sable  fin  dans  lequel  ä  l'aide  de  l'index  et  du  majeur  ils  creusent 
des  trous  qu'ils  barrent  ensuite  par  trois.  Les  trous  qui  restent  devoilent,  par  leur  nombre 
et  leur  disposition,  le  passe  et  l'avenir.« 


>)  Der  eingeklammerte  Passus  fehlt  in  Habicht's  Text. 

2)  Im  Druck  irrtümlich   »o^.^Vj«. 

3)  Das  heißt  wohl    »Ji5>«. 


Studien  über  den   Inhalt  von   looi    Nacht.  ■37 

[Lane  264.  268,  Lane-Poole  86,  Canaan  40  Note  3  und  4,  ibid. 
iipNote  4,  Snouck-Hurgronje  II/i27Note  i  [»SomnambuIismus«(?)], 
einige  Verse  imZ)fz£^«'wvonKu§ägim  (Beirut)  S.  Ii/3ff.,  Doutte  377  f.: 

Le   »khett  er  remel«  ou  »derb  er  remel«  qui  n'est  autre  que  la  geomancie,  fait  appel 

au  hasard  par  un  procede probablement  plus  ancien est  extremement  populaire 

dans  le  Maghrib,  repandu  aussi  en  Orient ;  on  se  servait  originairement d'une 

tablette  sur  laquelle  on  avait  etendu  une  couche  de  sable;  on  jetait  ensuite  le  doigt  au 
hasard  sur  le  sable  et  on  examinait  les  figures  ainsi  formees.    Les  modernes  ont  perfectionnc 

le  procede:  Le  täleb  algerien prend  un  crayon puis  il  jette  au  hasard  des  points 

sur  une  feuille  de  papier qu'il  reporte  ensuite  en  colonnes  verticales  suivant  certaines 

regles  compliquees;  apres  il  elimine  certains  points  suivant  qu'ils  ont,  un  numero  d'ordre 
pair  ou  impair,  puis  reunit  quelques-uns  d'entre  eux  deux  ä  deux«  usw. 

Auch  Ihn  Khaldoun  {Pr oUgomhies  \on  de  Slane  übers.)  gibt 
im  I.  Band  eine  weitläufige  Beschreibung  dieser  Kunst  (S.  232 — 240), 
in  deren  kühl  ablehnender  Beurteilung  sich  sein  überlegener  Geist 
verrät  i)].  Um  auf  lOOi  Nacht  zurückzukommen,  so  finden  wir  das 
geomantische  Brett  des  öfteren  in  der  Erzählung  von  'Ali  Sär  und 
Zumurrud,  wenn  freilich  hier  auch  seine  Anwendung  nur  eine  fiktive 
ist;  vgl.  7/300/10,  7/305/7  =  H.  ylyj  bzw.  7/81.  Auch  im  Gharih- 
Roman  wird  diese  Prozedur  [vielleicht  späteres  Einschiebsel!]  erwähnt 
[9/161/7  =  H.   11/193: 

»Als  Gharib  dies  vernahm,  l'ieß  er  die  Astrologen  kommen  und  sagte:  'Versucht  eure 
Kunst  auf  dem  'Sandbrett'  und  erforscht,ob  (die  Prinzessin)  Fahr  Tag  noch  am  Leben  ist.« 

Desgleichen  lesen  wir  in  der  Geschichte  von  'Aläddin  und  der 
Wunderlampe  (H.  20/87  =  Zotenberg  62/10): 

)>Was  aber  den  magrebinischen  Zauberer  anlangt,  so  wurmte  ihn  die  auf  die  Erlangung 
der  Lampe  verschwendete  Mühsal  ganz  gewaltig,  und  er  verwünschte  'Aladdin  in  ohn- 
mächtiger Wut,  indem  er  bei  sich  sagte:  Wenn  dieser  Lausbube  unter  der  Erde  drauf- 
gegangen  ist,  so  will  ich's  wohl  zufrieden  sein,  da  ich  so  die  Lampe  vielleicht  doch  einmal 
bekommen  kann,  da  sie  annoch  wohlverwahrt  ist.  Als  er  aber  eines  Tages  das  geomanti- 
sche Brett  vornahm  und  die  Figuren  zog,  um  sich  von  'Aladdins  Tod  unter  der  Erde  zu 
vergewissern,  da  sah  er  in  den  Figuren  wohl  die  »Mütter  und  Töchter«,  doch  nichts  von 
der  Lampe.  Da  packte  ihn  die  Wut  und  er  probierte  es  nochmal  mit  dem  Brett,  um  über 
'Aladdins  Tod  Sicherheit  zu  bekommen,  doch  sah  er  ihn  nicht  im  Schatz[gewölbe].  Da 
schwoll  sein  Zorn  noch  mehr  an,  da  er  nun  die  Gewißheit  erlangt  hatte,  daß  er  noch  am 
Leben  sei und  zudem  die  Lampe  mitgenommen  habe.« 

Ebenso  dann  von  dem  Bruder  des  Maghrebiners  H.  20/106  = 
Zotenberg  76/13.  In  der  Erzählung  von  Qamar  ez-zemän  (3/217/5; 
fehlt  H.  5/152)  heißt  es  (Z.  2): 

I)  Bd.  1/240:   »Les  gens  qui  cultivent  la  geomancie   ou  tout  autre  art  de  la  meme 

"^t"^e ces  hommes  peuvent  se  ranger  dans  la  classe  de  ceux  qui  pretendent  decouvrir 

les  choses  cachees  en  jetant  des  caillous,  en  examinant  les  coeurs  des  animaux  et  en  fixant 
leurs  regards  sur  des  miroirs.  Quoi  qu'il  en  soit,  les  gens  se  servent  de  pareils  procedes  avec 
l'intention  de  connaitre  les  secrets  du  monde  invisible  ne  fönt  et  ne  disent  rien  qui  vaille.« 


ag  O.  Rescher, 

»Als  der  Astrolog  die  Herrin  Budür  mit  der  Kette  um  den  Hals  sah,  da  glaubte  er, 
sie  sei  irrsinnig.  Deshalb  setzte  er  sich  hin,  zog  aus  seiner  Tasche  kupferne  qalems,  zündete 
ein  Feuer  an  und  brachte  Blei  und  einige  Blätter  hervor;  alsdann  fing  er  an,  mit  Räucher- 
werk zu  räuchern,  machte  das  »darb  el-mandal«  und  fing  mit  Beschwörungen  an.  Da 
fragte  ihn  Budür:  »Wer  bist  du  denn?«  Worauf  er  ihr  antwortete:  »Dein  (gehorsamster) 
Diener  ist  Astrolog,  und  mein  Zweck  ist,  deinen  'Gefährten'  [d.  h.  den  Dschinn]  zu  be- 
schwören, der  dich  befallen  hat,  ihn  in  kupferne  Flaschen  zu  sperren,  diese  dann  mit  Blei 
zu  versiegeln  und  ihn,  so  gefangen,    dann  ins  Meer  zu  werfen.« 

Auch  in  der  Geschichte  von  Delila  [Dulailal  wird  bemerkt 
[9/261/6  =  H.  12/103],  daß  diese  sich  der  geomantischen  Kunst  be- 
diente, um  den  Namen  'Ali  Zibak's,  des  Kairensers,  und  sein  »Glück«  1) 
zu  eruieren;  das  gleiche  Verfahren  schlägt  auch  der  auf  Zauberkünste 
sich  verstehende  Jude  'Adra  ein  [ibid.  9/292/1  =  H.  12/124]  ^)- 

Ein  weiteres  Kapitel  des  Aberglaubens  bildet  die  uns  aus  dem 
Alten  Testament  her  bereits  wohlbekannte  Kunst  der  Traum- 
deutung, welche  allerdings  ebenfalls  —  wenigstens  zum  Teil  —  Vom 
offiziellen  Islam  als  zulässig  rezipiert  worden  ist.  In  den  Erzählungen 
der  lOOl  Nacht  bilden  Traumdeutungen  teils  bloße  (Neben-)Episoden  im 
Rahmen  der  einzelnen  Geschichten,  wie  z.  B.  H.  14/71  u.  [Hasan  el- 
Basri];  H.  15/110  (=  8/5/12  u.  8/6/9)  in  der  Geschichte  von  Kal'dd 
und  Simds;  H.  14/149  =  10/72  ult.  [Mesrür  und  Zain  el-mawdsif]; 
H.  11/142  =  9/102  ult.  f.  [Gharibund  'Agit],  ibid.  H.  11/60  =  8/353/8  3); 
teils  bilden  sie  auch  die  notwendige  Voraussetzung  der  ganzen  folgenden 
Erzählung,  insofern  der  Glaul>e  an  die  Wahrhaftigkeit  des  Trau- 
mes den  Anstoß  zu  seiner  Ausführung  in  der  Wirklichkeit  gibt,  wie 
z.  B.  in  der  Anekdote:  Der  Traum  vom  Schatz  H.  7/152  =  8/188  oder 
in  dem  Märchen  von  Zain  el-asndm  (H.  20/117)4), 


^)  Wie  oben  bereits  bemerkt,  beruhte  das  »darb  er-ramU  zum  Teil  auch  auf  astrologi- 
schen Voraussetzungen  [Lane    264   unten:    This  science  is    mainly    founded    on 

astrolog}']. 

*)  Außerdem  findet  sich  noch  eine  Stelle  in  der  Geschichte  von  Kal'äd  und  Simds 
(SllSlß;  fehlt  bei  H.  16/26),  wo  der  Knabe,  Sohn  des  vom  König  getöteten  Vezirs,  angibt, 
die  Kunde  von  dem  Briefe  des  Königs  von  Indien  aus  dem  »Sand«  erlangt  zu  haben;  ferner 
H.  20/115   [Zain  el-asndni]. 

3)  Die  Traumdeuter:  »mu'abbirün«  (oder  »mufassirmi«)  erscheinen  hier  neben  den 
Astrologen   »mune^gimun«. 

")  Im  übrigen  vgl.  Bel  8:  »Chacun  [ä  Tlemcen]  croit  a  la  realite  des  apparitions 
qui  surviennent  dans  les  songes.«  —  Snouck-Hurgronje  II/16  [ebenso  auch  II/138  paen.  — 
139/1]:  In  Zweifelsfällen  nimmt  der  Mekkaner  seine  Zuflucht  zur  nstihdra<u  d-  b.  überläßt 
die  Wahl  Allah  dadurch,  daß  er  gewisse  religiöse  Zeremonien  verrichtet,  sich  dann  schlafen 
legt  und  von  dem  Inhalt  seines  Traumes  die  Entscheidung  abhängig  macht.     Ibid.   II/128 

Note:   »Um  die  Sicherheit  über  Zukünftiges  oder  Unbekanntes  zu  erlangen ,  legen 

die  Weiber  in  Mekka  [S.  129]  ein  gereinigtes  und  mit  Tuch  umhülltes  Hammelfleischknöchel- 
chen  unter  ihr  Kopfkissen  und  schlafen  in  der  sicheren  Hoffnung  ein,  daß  ihnen  ein  be- 


Studien  über  den  Inhalt  von    looi   Nacht.  jq 

Eine  wichtige  Rolle  im  Leben  des  Orientalen,  Muslim  wie  Christen, 
spielen  die  Amulette  und  Talismane.  »One  of  the  most  remarkable 
traits  in  modern  Egyptian  superstition  is  the  belief  in  written  charms. 
The  composition  of  most  of  these  amulets  is  founded  upon  magic« 
etc.  (Lane  247:  chapter  XI).  Ebenso Canaan  ']"]:  »Da  sich  der  heutige 
Palästinenser  überall  von  bösen  »übernatürlichen  Kräften«  umgeben 
und  gefährdet  glaubt,  so  legt  sich  ihm  die  Notwendigkeit  nahe,  auf 

Schutzmittel  gegen  diese  Gefahr  zu  sinnen Deshalb  begegnet  man 

kaum  einem  Kinde  [vgl.  Kremer  2/254],  kaum  einem  Kranken,  die 
nicht  ein  oder  gewöhnlich  mehrere  Amulette  trügen.  Diese  Sitte  findet 
sich  auch  im  bibhschen  Altertum  (2.  Mose  32/2).  In  jeder  Lage,  die 
mehr  als  andere  böse  äußere  Einwirkungen  befürchten  läßt,  nimmt  man 
immer  seine  Zuflucht  zu  Amuletten.«  [Ibid.  81.]  i)  ■ —  Merkwürdiger- 
weise werden,  trotz  des  allgemeinen  Gebrauchs  der  Amulette  im  Orient, 
überall  und  zu  allen  Zeiten,  diese  in  lOOi  Nacht  eigentlich  nicht  gerade 
häufig  erwähnt,  so  z.  B.  in  der  Geschichte  von  den  Veziren  Nur  eddin 
und  Sems  eddin  (2/29/3  —  fehlt  H.  1/175/4  u.  —  und  parallel  damit 
271   paen.  =  H.    l/lQOu.): 

»Dann  schaute  der  Vezir  nach  der  Scheschia  [dem  Turban]  seines  Bruderssohns  Hasan, 
nahm  sie  in  seine  Hand  und  drelite  sie  um,  indem  er  sagte:  'Bei  Gott!  Das  ist  eines  Vezirs 
Turban,  nur  daß  er  auf  Mosuler  Art  gewickelt  ist.'  Als  er  aber  merkte,  daß  in  der  Kopf- 
bedeckung ein  Amulett  (hirz)'^)  eingenäht  war,  da  nahm  er  es  heraus  und  drehte  es  um.« 

Und  in  der  Geschichte  des  Abu  "l-Hasan  el-'-Omdni  (H.  16/122 
bzw.  123,  124,  125  =  5/1 19/7  bzw.  5/ 123/10)  ist  von  einem  aus  rotem 
»Karneol«  3)  gefertigten,  mit  »Talismanen«  gravierten  Amulett  die 
Rede,  das  gegen  die  Dämonen  der   »Epilepsie«  (5/122  ult.)  schützt  4). 


deutungsvoller,  aufklärender  Traum  zuteil  wird.«  —  M.'VUChamp  158  f.  —  Canaan  43/10: 
»Aus  den  Träumen  ziehen  die  alten  Frauen  (in  Palästina)  die  weitgehendsten  Schlüsse« 
usw.    ■ —  DouTTE  397  fE.  —  Reinfried   29.  —  Vgl.    die   Anekdote    bei   Lane   213  u.  ff. 

I)  Vgl.   auch  Snouck-Hurgronje  II/120. 

-)  Ein  anderer  Ausdruck,  nämlich  »Aigäb«  bzw.  pl.  »kiigitb«,  findet  sich  3/220/12; 
vgl.   Muhit  1/346  col.  b.   Z.  6,  wo  das  Wort  mit   »/^jVs«  erklärt  wird. 

3)  White  3/145:  »Die  Talismane  sind  von  verschiedener  Größe  meist  oval  und  von 
Karneol  oder  Achat.«  —  Doutte  83:  »Les  pouvoirs  magiques  attr-ibu6s  aux  pierres  pr6- 
cieuses  sont  innombrables. «  Ikid.  84:  On  attribue  ä  Mahomet  cette  parole:  »Celui  qui 
porte  en  bague  un  sceau  en  cornaline  ne  cesse  pas  d'etre  dans  la  b^n^diction  et  le  bonheur. « 
Vgl.  auch  die  Tafeln  aus  rotem  Karneol,  die  der  magrebinische  Zauberer  (9/341/10  = 
H.  11/23)  bei  der  Beschwörung  zur  Hebung  von  es-Samardal's  Schatz  zur  Anwendung 
bringt  [Dschüdargeschichte].  —  Ferner  H.  24/76  Mitte  [Siegelring  aus  K.  schützt  gegen 
Armut]. 

4)  Im  übrigen  vgl.  Mauchamp  217  paen.  —  Jacob,  ^Ägyptischer  Jahrmarkt«  S.  22; 
Doutte  221  ff.  ■ —  Eine  etwas  ironische  Färbung  hat  clie  Maqäme  Hamadäni's  (Übers. 
67):    ))Dcr  Talisman«,  in  der  Abu '1-fath  tl-Iskenderi  aus  dem  Aberglauben  seiner  Reise- 


40 


O.  Rescher, 


Als    Talismane    können   auch     Siegelringe    dienen,   wie   wir   z.  B. 

10/13/14  =  H.  13/27  in  der  Erzählung  von  Bedr  Bäsimund  Dschauhare 

lesen  : 

»Da  nahm  Sälih  von  seinem  Finger  einen  Siegelring,  in  den  gewisse  Namen  Gottes 
eingraviert  waren,  und  gab  ihn  seinem  NefEen  Bedr  Bäsim,  indem  er  sagte:  'Steck'  diesen 
Ring  an  deinen  Finger  und  du  wirst  damit  vor  dem  Ertrinken  und  andern  Fährlichkeiten 
sowie  vor  den  Gefahren  der  Meerestiere  und  (Raub-)Fische  sicher  sein'.« 

Im  letzten  Abschnitt  unseres  Kapitels  endlich  sollen  den  Be- 
schwörungsformen und  -formein.  die  im  großen  Ganzen  (wenig- 
stens soviel  wir  aus  den  Erzählungen  der  lOOi  Nacht  ersehen)  wohl 
weniger  einen  Bestand  des  wirklichen  Aberglaubens,  d.  h.  also  der 
lebendigen  Volkspsyche,  ausmachten,  sondern  vielmehr  als  Märchen- 
motive zu  betrachten  sind,  einige  Worte  gewidmet  sein.  Im  Grunde 
lassen  sich  die  hierbei  üblichen  Prozeduren  auf  zwei  Grundclemente: 
Besprengung  und  Beräucherung  [Chauvin  V/60  Anm.  i],  ver- 
bunden mit  Rezitation  seltsamer,  meist  fremdartiger  oder  unver- 
ständlicher Worte  zurückführen;  vielleicht  mit  der  Differenzierung, 
daß  bei  den  »Verwandlungsmanipulationen«  mehr  das  Be- 
sprengen (gewöhnlich  mit  Wasser  i))  und  bei  den  »Geisterbe- 
schwörungen«-) (z.B.  dem  Schätzeheben)  mehr  das  Beräuchern 
praktiziert  wurde.  Im  übrigen  sind  die  Stellen  in  lOOi  Nacht  so  häufig, 
daß  ich  mich  auf  die  einfache  Anführung  der  Zitate  ohne  weitere  Aus- 
führung beschränken  muß  [Beräucherung:  H.  11/23,  26,  29,  H.  13/11, 
H.  14/30  u.,  40  Mitte,  H.  21/12,  H.  20/17  u. —  Besprengung:  H.  13/53, 
55,  56,  H.  1/72,  H.  1/34/1,  H.  1/28  u.,  H.  17/104,  H.  21/30,  32,  204, 
H.  12/126  u.,  128  vgl.  Text  10/62/1,  10/65/11  usw.].  —  Seltener  kommt 
es  vor,  wenigstens  wird  es  nicht  so  häufig  erwähnt,  daß  mit  den  Be- 
schwörungen auch  noch  andere  Vorgänge,  z.B.  das  Beschreiben 
von  (magischen)  Kreisen,  verbunden  waren  (vgl.  H.  i/iii  = 
1/249/3): 

»Darauf  nahm  des  Königs  Tochter  ein  Messer,  auf  dem  der  Name  Gottes  auf  hebräisch 


genossen  mit  Erfolg  Kapital  zu  schlagen  versteht,  indem  er  ihnen  Amulette  gegen 
Schiffbruch  [vgl.  Doutte  236]  aufhängt.  —  [Vgl.  auch  den  Vers  H.  24/32.] 

0  An  einer  Stelle  H.  1/106  =  1/236/11  findet  sich  dafür  Bestreuung  mit  Erde. 

2)  Eine  sehr  wesentliche  Rolle  spielen  Geisterbeschwörungen  im  Orient  bekann  t- 
lich  bei  gewissen  Kran  kheiten,  wie  z.  B.  Irrsinn,  Epilepsie  usw.,  deren  Ursache 
man  bösen  Dämonen  zuschreibt  [Canaan  23  Mitte,  43  u.].  Solchen  Exorzismus  finden  wir 
auch  verschiedentlich  in  lOoi  Nacht,  z.  B.  in  Qamar  ez-zemäns  Geschichte,  wo  der  Astrolog 
die  angeblich  tolle  [in  Wirklichkeit  aber  nur  aus  Liebe  gemütskrank  gewordene]  Prinzessin 
Budür  mit  geomantischen  Künsten  [darb  el-mandal]  und  Beschwörungen  von  ihrem  Dämon 
befreien  will  (3/217/5  ff.),  [Milderungen  sind  dann  Koranrezitationen  an  Stelle  eigenthcher 
Geisterbeschwörungen;  vgl.  z.  B.  H.  15/103  =  j 0/43 5/6  (wo  vi^vc-Aa  zu  lesen).] 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi    Nacht. 


41 


eingraviert  war,  und  zog  dann  mit  dem  Zirkel  einen  Kreis  inmitten  des   Schlosses  und 
zeichnete  in  ihn  einen  Namen  mit  kufischer  Schrift  und  magische  Zeichen').« 

Für  alle  Beschwörungen,  unterschiedslos,  ob  es  sich  um  Verwand- 
lungen oder  Geisterzitierung  handelt,  ist  —  wie  gesagt  —  das  Hersagen 
gewisser  seltsamer,  meist  unverständlicher  Worte  oder  Formeln 
charakteristisch,  die  mehr  gemurmelt  -)  als  gesprochen  werden  [»ham- 
hama«   1/236/11,    1/250/1,   '9/179/1,    1/359/4  =  1/360  ult.;     »damdama  || 

hamhama«  .^^^j^  j.L\/itAj»  ^jxj   ilXj»  'iiJjJ.^\^\  eJ,l:^\    J5  *.-.X:s\jt  J.i>j^s« 

gJI  »L^^3  ^h];  vgl.  10/39/10  =  H.  13/41,  1/126/1  =  H.  1/67/2,  10/29/3, 

9/412/2    =  H.     I3/II,     H.     1/69/4  U.    =   I/I34/6,     H.     20/17    =  ZOTETSIBERG 

10  paen.  usw. 

Vielleicht  dürfte  noch  der  Zusatz  von  Interesse  sein,  daß  alle  die 
Zauberprozeduren  nicht  nur  von  Männern,  sondern  auch  von  Frauen 
ausgeübt  werden  konnten,  wie  ja  auch  aus  den  Erzählungen  zur  Genüge 
hervorgeht  (H.  1/25/5  u.  =  1/46/10,  H.  1/27  u.  =  1/51/6,  H.  i/iio  = 
1/248/5): 

»Der  König  fragte  seine  Tochter:  »Woher  weißt  du,  daß  dieser  Affe  ein  verzauberter 
Mensch  ist?«  — -Da  erwidert  sie  ihrem  Vater:  »Als  ich  noch  klein  war,  da  war  eine  alte, 
verschlagene  Zauberin  bei  mir,  die  mir  die  Zauberkunst  beibrachte,  so  daß  ich  zuletzt 
70  Kapitel  der  Magie  von  ihr  erlernte,  deren  geringstes  das  ist,  daß  ich  vor  Ablauf  einer 
Stunde  die  Steine    deiner  Stadt  hinter  den  Berg  Qäf  [Kaukasus]  schaffte.« 

Ähnlich  auch  die  Zauberin  »Sawähi  dät  ed-dawähi«  H.  14/90  = 
6/152/3  (in  der  Geschichte  von  Hasan  el-Basri): 

»Folgt  mir  unverzagt  (sagte  die  Alte),  denn  ich  kenne  40  Zauberkünste,  deren 
geringste  die  ist,  daß  ich  bis  zum  Morgengrauen  die  Stadt  in  ein  wogendes,  wellenbrandendes 
Meer  verwandle  und  jedes  Mädchen  in  ihr  in  einen  Fisch  verzaubere«; 

ferner  H.   13/44  =  '10/44/9  \Bedr  Bdsim] : 

»Wisse,  mein  Sohn  (sagte  der  Seih  zu  B.  B.),  daß  diese  Stadt  eine  Stadt  der  Zauberei 
ist,  und  daß  in  ihr  eine  Königin  residiert,  die  zwar  leuchtend  wie  der  Mond,  aber  daneben 
eine  ganz  tückische  und  gerissene  Zauberin  ist.  All'  die  Pferde,  Maultiere  und  Esel,  die 
du  siehst,  waren  ehedem  Menschenkinder  wie  ich  und  du,  die  aus  der  Fremde  kamen. 
Jeden  Jüngling  aber,  der  diese  Stadt  betritt,  nimmt  diese  ungläubige  Zauberin  und  sitzt 

bei  ihm  40  Tage,  wonach  sie  ihn  in  eins  der  erwähnten  Tiere  verwandelt Ihr  Name 

jedoch  ist  Königin  Lab  (was  »taqwtm  es-sems«  bedeutet) «  [Vgl.  die  Circe-Sage.] 

H.  11/206  =  9/179/12  [Königin  Dschänschäh  in:  Gharih  und  ''Agib], 
H.  i/6g/4  u.  ^  1/134/7  [Geschichte  des  Prinzen  von  den  schwarzen  Inseln] 


I)  Zu  CjLj.JaäJL5  vid.  Glossar  und  Dozy  II  397  (aus  cp'jXaxt/jpta  ZDMG.  31/343)- 
*)  Vgl.   Canaan    14/5;   ferner  Lane  272  (chapter   XII:   Magic):    »In  the  magicians 

mutterings  I  distinghuished  nothing  but  the  words  of  the  written  invocation but 

much  that  he  repeated  was  inaudible«;  ibid.  271:  »The  magician  then  took  one  of  the 
little  Strips  of  paper  inscribed  with  the  forms  of  invocation,  and  dropped  it  into  the  chafing 
dish,  upon  the  burning  coals  and  perfumes,  which  had  already  filled  the  room  with  their 
smoke;  and  as  he  did  this,  he  commenced  an  indistinct  muttering  of  words. « 


«2  O.  Kescher, 

^jsw.  i).  —  Wir  verlassen  hiermit  dieses  Thema  und  wollen  uns  zu  dem 
folgenden  Kapitel  wenden,  das  ebenfalls  zum  Teil  in  das  Grenzgebiet 
von  Glaube  und  Aberglaube  fällt,  zum  Teil  aber  auch  wieder  in  die 
Sphäre  des  rein  Märchenhaften  und  Phantastischen  herüberspielt, 
welch'  letzteres  für  unsere  Untersuchung  im  großen  ganzen  freilich 
aus  scheidet. 

Der  Geisterglaube. 

Wie  bekannt,  bildet  der  Glaube  an  die  Existenz  der  Geister 
ebensogut  einen  integrierenden  Bestandteil  des  orthodoxen  Islams  wie 
der  christlichen  Kirchen  aller  Schattierungen,  die  ihrerseits  wiederum 
diesen  Glauben  durch  Vermittlung  des  Judentums  aus  dem  babyloni- 
schen Kulturkreis  übernommen  hatten,  wo  ja  schon  in  grauer  Vorzeit 
eine  sehr  entwickelte  und  bis  ins  einzelne  detaillierte  »Dämonologie« 
bestanden  hatte  und  als  »Wissenschaft«  von  den  Priestern  gepflegt 
ward.  Aber  auch  das  altarabische  Heidentum  hatte  (zum  Teil  wohl 
originell,  zum  Teil  auch  wohl  in  Berührung  mit  jüdischen  und  christ- 
lichen Ideen)  den  Geisterglauben  schon  ziemlich  weit  (wenn  auch  gerade 
nicht  systematisch)  ausgebildet.  Mohammed  —  der  wohl  Reformator, 
aber  trotzdem  (so  gut  wie  fast  ein  Jahrtausend  später  Luther)  in 
den  Ideen  seines  Milieus  vollständig  befangen  war  —  begnügte  sich, 
das  einmal  von  früher  her  Überkommene  seinen  religiösen  Ideen  und 
Zwecken  zu  adaptieren,  so  daß  schließlich  das  in  synkretistischer  Weise 
zustande  gekommene  Amalgam  altorientalischen  und  heidnisch-arabi- 
schen Volksaberglaubens  vom  Koran  als  orthodoxes  Dogma  fixiert  und 
sanktioniert  ward.  Wie  Mohammed  selbst  verkündete,  galt  seine  Sen- 
dung ebensowohl  dem  Dschinnen-  als  dem  Menschengeschlecht,  und 
aus  dem  Koran  ersehen  wir  ein  Dreifaches:  erstens  die  Bestätigung 
dieser  Tatsache,  zweitens  die  Gültigkeit  und  Verständlichkeit  von 
Gottes  Vorschriften  für  die  Dschinn  und  drittens  die  Verantwortlich- 
keit derselben  Gott  gegenüber  für  ihr  Tun  und  Handeln.  —  Nun  ist  es 
ja  z\veifellos,  daß  die  Rezeption  mehr  oder  weniger  phantastischer  An- 
schauungen aus  dem  Osten  (vornehmlich  dem  *Iraq)  die  verhältnis- 
mäßig noch  primitiven  Vorstellungen  Mohammeds  schließlich  zu  über- 
wuchern begannen,  und  ebenso  ist  es  auch  zweifellos,  daß  in  unseren 
Erzählungen  zum  Teil  die  märchenhaften  Züge  und  Übertreibungen 

')  Vgl.  aus  dem  griechischen   Sagenkreis  Zauberinnen  wie    »Medea«,    »Circe-  usw. 
DouTTE  33:    »Chez  les  Berberes   conime   chez  les  anciens  Arabes  se   sont    surtout    Ics 

femmes    qui  sont   magiciennes «;  ibid.   28:    »Les   sorcieres   ctaient    plus    frc- 

quentes  que  les  sorciers«  [nämlich  bei  den  Arabern].  —  C.^naan  117:  »Die  Zauberei  wird 
wohl  auch  von  Männern,  doch  meistens  von  Frauen  betrieben  (2.  Mose  22,  iS; 
I.   Sam.  28,  7;  Apostelgesch.  16,  16). 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht.  ^2 

derart  kultiviert  werden,  daß  sich  irgendwelche  Folgerungen  volks- 
psychologischer Art  daraus  überhaupt  nicht  mehr  ziehen  lassen; 
trotzdem  aber  ist  es  unbestreitbar,  daß  bei  allen  in  Frage  stehenden 
Geschichten  ein  Fonds  von  wirklichem  Geisterglauben  zurückbleibt, 
der  als  solcher  einen  indiskutablen  Bestandteil  des  islamischen  Lehr- 
gebäudes und  Volksgeistes  ausmacht. 

Die  Dsch innen  {genii)  zerfallen  ■ —  volkspsychologisch  ausge- 
drückt —  in  »gute«  und  »böse«  oder  - —  religiös  betrachtet  —  in 
»gläubige«  und  »ungläubige«  Geister^).  Gläubige  'Ifriten 
finden  wir  H.   14/95  =6/158/13: 

»Als  Hasan  el-Basri  den  'Ifrit  anschaute,  küßte  dieser  die  Erde  und  sprach:   'Mein 

Herr!     Fürchte  dich  nicht Dies   ist  die  erste  der  Inseln  Wäq  Wäq ,  ich  aber 

bin  gläubiger  Moslem,   der  sich  zur  Einheit  Gottes  bekennt'.« 

H.  5/123  =  3/178/14: 

»Als  Meimüne  Qamar  ez-zemän  sah,  pries  sie  Gott;  sie  gehörte  nämlich  zu  den 
gläubigen   Dschinn.« 

H.  7/34  u.   =  7/245/12   [Abu  Mohammed  el-Kaslän]: 

»Da  wandelte  seh  die  unsichtbare  Erscheinung  des  Rufers  ^)  in  eine  menschliche 

Gestalt  und  sagte:   'Fürchte   nichts ,   denn   ich  gehöre   zum  Volk  der    gläubigen 

Dschinn'.« 

H.   11/157  -9/123/5: 

»Gharib  und  die  gläubigen  Dschinn  aber  machten  einen  Angriff  auf  die  Scharen 
Barkän's;  die  gläubigen  Dschinn  stürzten  sich  auf  die  ungläubigen,  indem  sie  feurige  Funken 
einander   entgegenwarfen,   so   daß  die   ganze   Atmosphäre   von   Rauch   eingehüllt  ward.« 

Neben  den  gläubigen  Geistern  auf  dem  Lande  lernen  wir  in  der 
Geschichte  von  '^Abdallah  el-berri  und  ^Abdallah  el-bahri  auch  gläubige 
Meergeister  kennen  (H.   16/95  =  11/65  ff.)  3). 

Die  »bösartigen«  oder  »ungläubigen«  Dschinn  galten  als  die 
Erreger  von  Krankheiten  4)  [Canaan  7],  besonders  des  Irrsinns 
und  der  Epilepsie  [Vuiller  65/7],  weshalb  man  diese  physischen 
oder  psychischen  Störungen  durch  »Besprechung«  derselben  (Exorzis- 
mus) zu  beheben  suchte;  vgl.  10/435/5  =  H.  15/102  [Der  Bagddder  und 
seine  Sklavin] : 

»Die  Sängerin  warf  die  Laute  weg  und  brach  den  Gesang  ab,  während  ich  in  Ohnmacht 
sank.  Da  nun  die  Umstehenden  glaubten,  ich  hätte  einen  epileptischen  Anfall  erlitten 
[lies:  vi>.£._o],   so   rezitierte   man   mir    [Koränsprüche]   ins  Ohr«   usw. 


1)  Caxaan  6;  Lane  222  usw. 

2)  Cairo:  »Fa  'nqalaba  hädä  l-hdtif Tva  qäla  li.« 

3)  Auch  die  gläubigen  Dschinn  können  bekanntlich  verschiedene  Religionen  (jüdisch, 
christlich  usw.)  besitzen  rvgl.  Koran  72/1).  Jacob,  ))Agypt.  Jahrmarkt«  23  u.;  Bel 
23  u.;   Salzberger   100/7  =  103/5;  Mauchamp  192  ult. 

4)  Snouck-Hurgronje  II/120:  »Kein  Wunder,  daß  die  ungelehrte  Masse  in  jedem 
ungewöhnlichen  Ereignis,  namentlich  in  Krankheiten,  das  Treiben  der  Geisterwelt 
erblickt.« 


^A  O.  Rescher, 

Ihr  Aufenthaltsort  sind  allerlei  unreine  Orte  [Bel  23],  wie 
Kloaken,  Senkgruben,  Bäder  i),  Brunnenusw.,  deren  üble  Ausdünstungen 
und  Miasmen  eben  dem  Einfluß  menschenfeindlicher  Dschinn  zu- 
geschrieben werden;  auch  verlassene  Häuser  und  altes  Gemäuer, 
Ruinen,  Friedhöfe  2)  usw.  gelten  im  Volksglauben  als  von  (meist  bös- 
artigen) Dschinn  bewohnt.  H,  24/38  [Abu  Nijje  und  abü  Nijjatein], 
H.  5/122  =  3/177: 

»Das  Gemach  und  der  Turm  waren  schon  seit  vielen  Jahren  verlassen,  und  in  der 
Mitte  befand  sich  ein  alter,  römischer  [byzantinischer]  Brunnen,  der  von  Geistern  be- 
wohnt war  [ma'mür']  und  in  dem  eine  Dschinnin  vom  Geschlecht  Iblis,  des  Verfluchten, 
hauste.«     [Qamar  ez-zemdn.'\ 

H.  7/161  =  1/23 1/6  [Neider  und  Beneidete]: 

»Als  nun  der  'Neider'  den  'Beneideten'  in  den  alten  Brunnen  hinabgestoßen  hatte  — ■ 
der  Brunnen  war  aber  von  Dschinnen  bewohnt  [maskün]  — ,  da  fingen  ihn  diese  im  Falle 
auf«  usw.     [Vg  .  auch  H.  12/106.] 

H.  8/1 17  =  8/326/8  ['AH  el-misr(\: 

»'Warum',  sagte  ich,  'willst  du  mich  nicht  in  das  große  Haus  lassen?'  'Weil  es', 
entgegnete  er,  'bewohnt  [ma'niür]  ist  und  keiner  eine  Nacht  darin  zubringt,  der  nicht 
am  nächsten  Morgen  tot  wäre.'« 

H.   1/177  u.  =  2/38/2: 

»In  diesem  Friedhof  aber  befand  sich  ein  'Ifrit,  ein  Dschinni,  der  bei  Tage  dort 
hauste,  zur  Nachtzeit  aber  in  einem  andern  sich  aufhielt.« 

H.   1/51/4  =  HN.   167: 

»La  jeune  femme  disparut  parmi  les  ruines3).  Par  hasard,  le  prince  regarda  par 
le  treu  d'un  mur  et  l'apergut  qui  causait  avec  un  ogre:  c'etait  une  ogresse  [ghül].<< 

Was  die  Erscheinungsform  der  Dschinnen  anlangt,  so  haben 
wir  schon  oben  [Abü  Mohammed  el-Kasldn]  H.  7/34  u.  =  7/245/12  ge- 
sehen, daß  sie  menschliche  Gestalt  annehmen  können.  Deshalb 
werden  auch  öfters  Heiraten  4)  zwischen  Menschen  und  Dschin- 
nenmädchen  erwähnt   [Bel  7  u.]  5) : 

»On  cite  couramment  aujourd'hui  ä  Tlemcen  le  cas  d'un  musulman qui  outre 

sa  femme  legitime  avait  aussi  pour  epouse  une  'djinniya'.«  H.  1/31  =  1/60  ult.:  »'Meine 
Gattin'  (erzählte  der  2.  Scheich)  'ward  zu  einer  'Ifritin,  einer  Dschinnenmaid, 
die  mich  auflud  und  aus  dem  Meer  auf  eine   Insel  brachte.     Am  nächsten  Morgen  aber 


")  Vgl.  Lane-Poole  182:   »As  the  bath  is  a  resort  of  the   Jinn,  prayer  should  not 

be  performed  in  it,  nor  the  Kuran  recited.      The  Prophet  said:  'AU  the  earth  is  given  to 

me  as  a  place  of  prayer  and  as  pure,  except  the  burial-ground  and  the  bath'.«  Vuiller  68: 

»Au  hammam  Erremini,  les  femmes  ne  vont  jamais  isolement  de  peur  d^etre  enlevees  par 

es  djinns  dont  il  est  peuple.    EUes  s'y  rendent  par  groupes. «  —  Löhr  106  u. 

-)  Vgl.  auch  Canaan  ii  Mitte. 

3)  Etwas  anders  H.   lolit^j/^;  vgl.  auch  H.  24/9  Mitte. 

4)  Vgl.  Öibli  Rez.  245  Note  4;  ferner  die  Erzählung:  Canaan  14  oben;  auch  Sul 
heiratet  am  Ende  seiner  abenteuerlichen  Fahrten  außer  seiner  Kusine  Schumül  noch  die 
Dschinnenmaid  Nahhäda. 

5)  Vgl.  auch  die  Geschichte  in  Lane-Poole  35 — 36;  Doutte  93. 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht. 


45 


sagte  sie  zu  mir:    'Lieber  Mann!    Gestern  habe  ich  dich  vom  Tod  errettet.    Wisse  aber, 
dai3  ich  zum  Volk  des  „Bismilläh"  gehöre'«  [d.  h.  gläubige  Muslimin  bin].  H.  8/23/2  =  5/81/4. 

H,  13/162  \Hasdn  el-Basri  und  die  Dschinnenelfe  von  den  Insehi 
Wäq  Wdq\.  —  H.  19/117  =  1 1/436/2  {Tuhfat  el-qulüb): 

.»Dann  kamen  die  Könige  der  Dschann,  die  a,lle  menschliche  Gestalt  hatten  außer 
zweien « 

Häufiger  als  in  menschlicher  Gestalt  erscheinen  jedoch  die  D  s  c  h  i  n  n 
in  tierischen  Formen.  Nach  einem  Hadit  verkörpern  sich  die 
Dämonen  in  Schlangen^),  schwarzen  Hunden  und  im  Hauch 
des  Windes  bzw.  in  Wesen,  die  sich  beflügelt  durch  die 
Lüfte  schwingen  [Canaan  15,  Sibli  Rez.  246],  was  oben  in  dem 
Kapitel  über  »Tieraberglauben«  [Schlangen]  bereits  erwähnt  worden 
ist.  —  Wesentlich  verschieden  von  dieser  im  Grunde  (alt)arabi- 
schen  Vorstellung  von  den  Dschinn  sind  die  aus  dem  persisch-indischen 
Literaturkreis  stammenden  (oder  diesen  Geschichten  nachgeahmten) 
ganz  und  garphantastischen  Beschreibungen,  die  uns  die  wirklichen 
Märchen  von  lOOi  Nacht  liefern,  die  sich  aber  auch  in  der  (»wissen- 
schaftlichen«) Literatur  bei  Kazwini,  Demiri,  Kisä'i  (vgl.  Salz- 
berger  105  f.  bzw.  108  f.)  nachweisen  lassen.  Wenn  schon  diese 
Phantastereien  für  die  eigentliche  Psychologie  des  Geisterglaubens 
auch  weniger  in  Frage  kommen,  so  möge  doch  der  Vollständigkeit 
halber  eine  Blütenlese  dieser  bizarr-krausen  Vorstellungen  als  Note 
mitgeteilt  werden  ^). 


^)  Vgl.  Canaan   15'  Mitte,  18  unten;  Lane  226  Mitte. 

^)  H.  13/55  =  10/66/8  [Bedr  Bdsim]:  »Ein  'Ifrit  mit  4  Flügeln.«  —  9/104/3 — 9  [Gharib 
und  'Agib]:  »Zwei  Märids,  der  eine  mit  einem  Hundskopf,  der  andere  mit  einem  Affen- 
kopf, beide  so  groß  wie  langstämmige  Palmen,  mit  Haaren  so  lang  wie  Roßschweife  und 
mitKlauen  wie  Löwenkrallen.«  —  9/106/7  =  H.  11/144U.  [ibid.]:  »Dschinnenkönig  Mar*as 
mit  4  Köpfen,  einem  Löwen-,  Elefanten-,  Panther-  und  Gepardenkopf.«  —  H.   14/92  = 

6)154:   »Das  Dscliinnenheer verschieden  an  Gestalt,  Farbe  und  Aussehen,  nämlich 

Köpfe   ohne   Leiber   sowie   Leiber   ohne    Köpfe,   andere   wieder   ähnlich   Raubtieren   oder 

Löwen.«  —  H.  19/117  =  1 1/436/2  ff.  \Tuhfat  el-qulüb]:     »Die  Könige  der  Dschann , 

alle  mit  menschlicher  Gestalt  außer  zweien,  die  ihre  Dschännengestalt  beibehalten  hatten 
und  der  Länge  nach  geschlitzte  Augen,  hervortretende  Hörner  und  herausstehende  Eck- 
zähne [Havier]  sehen  ließen.«  —  H.  19/127  =  11/459/11  [ibid.]:  »(Eine  Ghül  mit)  ein(em) 
Haupt  ohne  Leib,  mit  zwei  der  Länge  nach  geschlitzten  Augen,  von  der  Größe  eines  Ele- 
fantenkopfes oder  noch  größer;  mit  einem  Maul  gleich  einem  Ofen,  herausstehenden  Hauern 
wie  Harpunen,  und  Haaren,  die  auf  der  Erde  nachschleiften.«  —  H.  14/94  =  6/158  und 
H.  14/91  =  6/152  ult.  [^Hasan  el-Basri]:  »Ein  'Ifrit,  dessen  Füße  in  der  Erde  und  dessen 
Haupt  in  den  Wolken.«  —  HN.  23,  Fleur  des  jardins  (=  H.  1/15  Sahrijdr  und  Sähzeman): 
»Un  efrit  aux  quatre  ailes  largement  ouvertes;  le  feu  sortait  de  ses  yeu.x  et  de  ses  narines.«  — 
H.  10/113  =  6/364 — 365  [Messingne  Stadt]:  »Ein  'Ifrit  von  den  Dschinn  mit  großen  Flügeln 
und  Händen  gleich  Löwentatzen  und  scharfen  Krallen,  mit  Haar(büschcln)  mitten  auf 
dem  Kopf  gleich  Roßschweifen,  mit  zwei  der  Länge  nach  geschlitzten  Augen»  aus  denen 


46  O.   Rescher, 

Eigenartig  sind  die  Namen  der  Dschinn,  in  denen  ein  doppelter 
Gesichtspunkt  sich  geltend  macht:  entweder  sind  es  Namen,  denen 
Naturerscheinungen^)  zugrunde  liegen,  z.B.  »duAän<(  (Rauch): 
H.  19/146  =  12/36/2,  >;^M'«'a«  (Lichtstrahl):  11/470/14,  »s^/s^/^«  (Erd- 
beben): H.  19/146  =  12/35/11;  auch  11/465/10;  ferner  »sa/idb«  (»Wolke«) 
in  Sül  und  ^uniül:  Chauvin  VII/ii,  )>sardra<(  (Funke):  1 1/437/8, 
»gamra«  (glühende  Kohle)  usw.,  oder  Namen,  die  dem  Sinne  nach 
mehr  farblos,  aber  der  Wortbildung  nach  auffallend  sind 
(durch  Alliteration  ^),  Reduplikation,  als  Ouinquelitera  usw.),  z.  B. 
»Kurgän  und  Keilgän«  im  Gharib- Roman  (H.  11/168,  9/1 1 1/4);  ferner 
Bildungen  wie  Ka§ka§  (H.  5/132),  Dahnas  (H.  5/124),  Faktas  (H.  14/40), 
A*ma§  (H.  10/113,  aber  6/365/2:  Dazma§  b.  el-A'nas)  sowie  Reduplika- 
tionsformen wie  Ghasamsam  (H.  22/184),  Gargaris  (H.  i/iooult.,  fehlt 
1/215/9),  die  alle  von  der  gewöhnlichen  arabischen  Wortbildung  mehr 
oder  weniger  abweichen  3).  —  Eine  besondere  Abart  der  Dschinn 
bilden  die  'Ifrits,  die  Ghüle,  die  Märids  (pl.  »marada«),  die  'Aune  und 
die  Hexen  {sa'-dli)  4).  Während  die  'Ifrite,  Märids  und  'Aune  (pl.  A'wän) 

Feuerfunken  sprühten,  und  einem  auf  der  Stirn  befindlichen  Auge,  das  wie  eines  Gepards 
Auge  glühte.«  ■ — •  1/73/3  =  H.  1/37  [Fischer  und  Geist]:  »Ein  *Ifrit,  dessen  Füße  im  Erd- 
boden und  dessen  Haupt  in  des  Himmels  Wolken,  mit  einem  Kopf  wie  eine  Kuppel  (Hab.: 
kalqalih)  und  Hauern  wie  Harpunen,  einem  Maul  so  groß  wie  eine  Höhle,  Zähnen  wie  Fels- 
blöcke, Nüstern  wie  Trompeten,  Ohren  (so  breit)  wie  Gewichtplatten,  einem  Schlund  wie  eine 
Straßeundzwei  Augen  leuchtend  wie  zweiLampen.«  —  H.  5/131  =3/190/11  [Qamar  ez-zemdri]: 
»Ein  lahmer,  einäugiger  Dschinn,  mit  einem  der  Länge  nach  geschlitzten  Auge,  mit  sechs 
Hörnern  auf  dem  Kopf  und  vier  bis  auf  die  Knöchel  fallenden  Stirnlocken,  mit  Qutrub- Händen 
und  Nägeln  gleich  Löwenklauen  sowie  Füßen  gleich  denen  einer  Ghül. «  Eine  siebenköpfige 

Ghül:  Socix,  )>Zum  arab.  Dialekt  von  Marokko«  189/10. Mehr  oder  weniger  passen 

zu  diesem  Sammelsurium  von  Absonderlichkeiten  auch  die  extravaganten  Zahlen, 
die  in  Verbindung  damit  vorkommen:  H.  17/146  (il/aVw/):  72  Dschinnenstämme  mit  je 
72  000  Köpfen,  von  welch'  letzteren  jeder  einzelne  über  1000  Märids,  jeder  Märid  über 
looo  *Auns,  jeder  'Aun  über  1000  Satane  und  jeder  Satan  über  1000  Dschinn  steht 
=  5184000000000000000!!!).  Ganz  harmlos  sind  dagegen  Zahlen  wäe  H.  13/100  = 
4/256/13  (Tag  el-mulük):  600000  Dschinn  oder  H.  10/114  =  6/365/12  [Messingne  Stadt]: 
I  000  000  Dschinnenkrieger;  ebenso  6/370/8  =  H.  10/117:  i  000  000  Dschinnenkämpfer, 
usw.  — ■  [Vgl.  auch  die  Aufstellung  in  S  i  bli  Rez.  246  Note  2].  — •  Ähnlich  exorbitante  Zahlen 
finden  sich  in  der  arabischen  Literatur  übrigens  gelegentlich  auch  sonst  noch  [z.  B.  »  Weis- 
heit des  Ostens«  Bd.  H,  Hajj  ibn  Jaqzän  (übers,  von  Brönnle  bzw.  deutsch  von  Heinck- 
Rostock  1907),  wo  die  geistigen  Wesen,  die  Gott  preisen,  sein  Lob  mit  700003  Zungen 
künden  u.  a.  m.]. 

')  Wie  z.  B.  auch  »zoba'a«  (Wirbelwind).     Vgl.  Canaan  15/105  unten. 

*)  So  Bas  im  tr/^^ '.    v>jij    ^    ^XjJs   und  5.x-äi!     ^J     ^^^^   usw. 

3)  Noch  auffallendere  Namen  finden    wir    bei  Can.\an   ioS  u.    »hashatkaschli'üsch« 
usw.  =  DouTTE  130  oben. 

4)  Nur  an  einer  Stelle  kommt  der  Ausdruck  »tdbi'«  [der  (dem  Menschen)  folgende 


(nämlich:  Dschinn)]  vor (3/21 6/1  vgl.  MiiHf:  I/157  col.  s  Mitte:  »^M_J^H  iW^  CS^""^^  5-?^' 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht. 


47 


nur  durch  eine  gewisse  Steigerung  des  Dschinnennatur  ins  Gigantische 
sich  von  diesen  unterscheiden,  sonst  aber  gleich  wie  jene  als  gute  (hilf- 
reiche) oder  böse  (feindliche)  Mächte  in  Erscheinung  treten,  sind  die 
Ghüle  und  Hexen  [sa^äli)  ausschließlich  unheilbringende  und  un- 
heimliche Wesen,  die  in  manchen  Beziehungen  Vampiren  und  ähn- 
lichen Schreckgestalten  sich  vergleichen  lassen.  Nach  der  Volksvor- 
stellung nähren  sie  sich  gern  von  Menschenfleisch,  besonders  Leichen, 
die  sie  auf  den  Friedhöfen  ausgraben  usw.  ^)  (vgl.  H.  21/23  •  «^^^^  Normans 
Geschichte) ;  auch  in  Gharib  und  ''Agib  verspeist  der  »Gh  ül  vom  Berge  « 
seine  erlegten  Feinde  mit  Haut  und  Haar  (H.  11/75;  ibid.   11/107 — 108 

=-  8/377/9   [lies:  lLoT]  bzw.  9/48/1  ff.): 

»Darief  Sa'dän,  der  Ghül  vom  Berge,  seinen  Söhnen  und  Knechten  zu:  'Zündet  ein 
Feuer  an  und  jeden,  der  von  den  Ungläubigen  fällt,  sollt  ihr  mir  braten,  wohl  zurichten 
und  gar  kochen,  danait  ich  ihn  zum  Frühstück  vorgesetzt  erhalte."  Diese  taten  nun  nach 
seinem  Geheiß  und  zündeten  mitten  auf  dem  Kampfplatz  ein  Feuer  an;  jeden  Erschlagenen 
aber  setzten  sie  ans  Feuer  (und  brieten  ihn),  bis  er  g^r  war,  worauf  sie  ihn  (dem  Ghül  vom 
Berge)  Sa'dän  (zum  Essen)  vorlegten,  der  dann  sein  Fleisch  abbiß  und  seine  Knochen 
zermalmte. « 

1/128/6  =  H.   1/68   [Prinz  der  schwarzen  Inseln]: 

»Die  zauberkundige  Hexe  [die  Frau  des  Prinzen]  sagte  zu  ihrem  Liebhaber,  dem 
kranken  Schwarzen:  'Mein  Herr  und  Gebieter!  Hast  du  etwas  für  deine  niedrige  Sklavin 
zu  essen?'  Da  sagte  dieser:  'Nimm  den  Deckel  vom  Becken  wegl'  Sie  tat  nach  seinem 
Worte  und  fand  darunter  das  Überbleibsel  von  gebratenen  (?)  Mausknochen  2),  die  sie 
alsdann  aß.« 

Auch  in  Seif  el-mulük's  Reiseabenteuern  [H.  13/90  Mitte  = 
4/239/9]  werden  »menschenfressende  Ghüle«  \g-Uan  jd'kulü  beni  Adam] 
erwähnt.  —  [H.   1/5 1/8.] 

Von  Hexen  [si'^lät-pL  sa^äli]  ist  in  lOOi  Nacht  nur  an  einer  (übri- 
gens erst  zu  korrigierenden)  Stelle  die  Rede  3);  doch  finden  sich  daneben 
verschiedene  Stellen,  die  dem  Sinne  nach  nur  auf  solche  bezogen 
werden  können;  besonders  12/304  =  H.   10/176: 

V*^"-^  ic:a^;>  *'*>->'J  i-jwwjJ)  ^X'.).  Die  (als  verrückt  behandelte)  Budür  sagte  zu  ihrem 
Vater,  dem  König:  »Warum  bringst  du  mir  den  da  her?  Schämst  du  dich  nicht,  fremde 
Männer  bei  mir  eintreten  zu  lassen?«  Da  entgegnete  ihr  ihr  Vater:  v.Ich  habe  ihn  bloß 
deshalb  gebracht,  damit  er  den  »tdbi'-«  von  dir  jage,  der  dich  befallen  hat«  ;  usw.  [Die 
weibliche  Form  »et-tdbi'-a«  findet  sich  Canaan  26  Mitte  q.  v.  —  Eine  etymologische  Parallele 
zu   Häbi'-i^  bietet  das  dänische  »fylgie«  (Schutzgeist),  verwandt  mit   »folge«  (folgen).] 

')  Lane  227:  »the  Ghools are  generally  believed  to  be  a  class  of  evil  ginnees, 

and  are  said to  haunt  burial-grounds  and  other  sequestred  spots;  to  feed  upon  dead 

bodies;  and  to  kill  and  devour  every  human  creature  who  has  the  misfortune  to  fall  in 

their  way.     [Hence,  the   term  »ghool«  is  applied to  any  cannibal.]« 

^)  Vgl.  Öibli,    Rez.  248/4.  •        ' 

3)  An  der  Stelle  12/271/5  ist  nämlich  statt  )>^3L*^J!  r^^  xi*.i:  wJLJiJ'«  viel- 
mehr  »^kx^\    ^A    äbljuw    l^sS«  zu  lesen. 


4.8  O.  Rescher, 

»Ich  bin«,   sagte   der    Goldschmied   zum   König,     »zu  dir    aus    dem  Lande   Negrän 

[H. :  Choräsän]  gekommen und  brachte,  da  die  Stadttore  schon  geschlossen  waren, 

die  gestrige  Nacht  außerhalb  der  Stadt  zu.  Und  während  ich  zwischen  Schlafen  und 
Wachen  dalag,  da  gewahrte  ich  vier  Frauen,  von  denen  die  eine  auf  einem  Besen,  die  andere 
auf  einem  Faß,  die  dritte  auf  einem  Feuerhaken  und  die  letzte  auf  einer  schwarzen  Hündin 
ritt,  woraus  ich  erkannte,  daß  ich   »Zauberinnen«  vor  mir  hatte.« 

Auch  an  zwei  andern  Stellen  kommt  der  Ausdruck  »Krugreiterin« 
noch  vor:  H.  22/67  {El-Bundukdnt)  und  in  »Hasan  el-Basri«  (die  alte 
Zauberin  Sawähi  dät  ed-dawähi:  H.   14/90,  6/151  paen.): 

»Hasan  und  seine  Dschinnenfrau  gingen  aus  dem  Tor  und  da  sahen  sie  die  Alte  mit 
einem  Gurt  um  ihre  Mitte  und  auf  einem  roten,  tönernen  Faß  [lies:  zir  fahbär]  reitend, 
um  dessen  Hals  ein  Strick  von    »nasüs«  lag  (und  der  huriig  unter  ihr  dahinroUte).« 

Der  »Satane«,  »Märid's«  und  »*Aun's«  [Marada  (eigentlich: 
»rebellische  Geister«)  —  A^wdn]  geschieht  in  ziemlich  vielen  Geschichten 
Erwähnung  (H.  9/151,  H.  6/145,  H.  24/9,  9/290  ult.,  9/296/4,  9/384/5^ 
BdsimÜh.  12,  60  usw.;  »Märid's^)«:  9/336/11  =  H.  11/20  u.;  6/49/13  usw.) 
und  sind  sie  von  den  *Ifrit's  nicht  wesentlich  verschieden.  Eine  Eigen- 
tümlichkeit der  bösen  Geister  »Satane«  [sejdtin]  oder  »'Ifrit's«  ist  es, 
aus  dem  Innern  der  Götzenbilder  trügerische  Antworten  vernehmen 
zu  lassen,  wie  z.  B.  H.  17/86  u.  ['Abdallah  b.  Fddü],  H.  10/114=6/365 
ult.   [Messingne  Stadt]: 

Iblis,  den  Gott  verfluche!  (sagte  der  in  der  Säule  eingeschlossene  'Ifrit  zu  dem 
seih  *Abdessamad)  besaß  ein  Götzenbild  aus  rotem  Karneol,    das  meiner  Obhut  anvertraut 

war ,  ich  aber  pflegte  in  dieses  Idol  zu  kriechen,  um  die  Leute  (aus  ihm  heraus 

sprechend)  zum  Irrtum  zu  verleiten  [367/5  u.].  So  kroch  ich  nun  wieder  in  den  Bauch  des 
Götzen  in  meinem  Unverstand  und  Wahnwitz,  in  gänzlicher  Unkenntnis  von  Salomo's 
Macht  und  sprach  [Regez]:  »Nicht  furcht'  ich  ihn,  zu  keiner  Zeil.  Sucht  er  den  Kampf. 
mir  tut's  nicht  leid.  Jed'  Ding  weiß  ich  wohl,  weit  und  breit.  Raub'  ihm  die  Seel'  in 
Sturm  und  Streit.     Zum  Waffengang  bin  ich  bereit«^)  usw. 

Als  Herr  und  Meister  aller  Geister  und  Dämonen  gilt  Iblis,  über 
den  ich  bereits  einige  Notizen  in  es-Sibli,  Rez.  249,  gegeben  habe. 
Wie  wir  aus  den,  auch  von  Mohammed  rezipierten  altarabischen  Vor- 
stellungen wissen,  waren  es  besonders  die  Dichter  [dann  weiterhin 
auch  Sänger  und  Musiker  3),  denn  die  Lieder  wurden  gewöhnlich  ge- 
sungen], deren  Phantasie  und  Gedanken  Iblis  durch  seine  Einflüsterun- 
gen inspirierte.  Deshalb  auch  all'  die  zahlreichen  Anekdoten  von 
Ibrahim  el-Mausili,  Ishäq  b.  Ibrahim  und  andern  Dichtern,  die 
wir  (im  kitdb  el-Aghdni  und  sekundär  dann)   in  looi  Nacht  antreffen 


')  Von  schrecklichem  Aussehen:  6/400  ult.   [Messingne  Stadt]. 

-)  H.\BicHT  hat  den  Regezcharakter  dieser  und  der  vorausgehenden  Verse  nicht 
erkannt. 

3)  H.  19/151  Mitte  =  12/45/10  spielt  Tuhfat  el-qulüb  dem  Chalifen  Harun  eine  Weise 
vor,  die  sie  von  Iblis  gelernt. 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht.  aq 

(vgl.  H.  12/28  ff.;  Chauvin  Nr.  226  f.  und  die  Note  VI/60/5  ff.);  Hama- 
däni  Üb.  Maqdme  Nr.  36  S.  123^.  sagt  Iblis  selbst  zu  'Is  ä  b.  Hi§äm: 

»So  wiss'  also:  Keiner  hat  je  als  Dichter  sich  produziert  — •  ohn'  daß  ihm  einer  der 
Unsern  [d.  h.  §eitäne]  die  Wort'  insinuiert  —  und  das,  was  gedichtet  öerir  —  war  ihm 
eingeflüstert  von  mir  —  und  mich  selbst,  damit  du  es  weißt  —  den  Scheich  'abü  Murra'  ^) 
man  heißt.  ^< 

Mephisto-Manieren  zeigt  er  (in  der  Geschichte  von  Harun  er- 
Rasid  und  Tukfat  el-qulüb)  H.  19/119/4U.;  ibid.  123/7  =  II/442/8. 

Eigentümlich  ist  die  aus  der  jüdischen  Legende  ins  Arabertum 
übernommene  und  dort  weiterentwickelte  Anschauung  von  der  Macht 
Salomos  über  die  Geisterwelt;  diese  Idee  kommt  auch  in  einer  ganzen 
Reihe  von  Erzählungen  {Der  Fischer  und  der  Geist,  Die  kupferne  Stadt 
usw.)  zum  Ausdruck.  Speziell  Salomos  Siegelring  mit  dem  in  ihm 
eingravierten  »höchsten  Namen«  Gottes  [z.  B.  1/75  Mitte  =  H.  1/38  u.] 
ist  es,  der  auf  Dämonen  und  Geister  einen  magischen  Einfluß  und 
zwingende  Gewalt  ausübt  (vgl,  Salzberger  99)  und  mit  dessen  Hilfe 
der  genannte  alttestamentliche  Prophet  die  widerspenstigen  und  auf- 
rührerischen Dschinnenund  'Ifrits  unter  Verschluß  tut  (in  eine  Säule: 
PI.  10/119/7  =6/373/7,  in  kupferne  Flaschen:  H.  10/140- — 141  = 
6/400/13  ff.,  H.  10/99  =  6/344/9  [Messingne  Stadt],  H.  1/38  =  1/75  Mitte 
[Fischer  und  Geist]  usw.).  Dieser  Verbindung  von  Salomos  Ring  und 
seiner  Gewalt  über  die  Geister  wird  es  wohl  zuzuschreiben  sein,  daß 
in  vielen,  besonders  späteren  Geschichten  (M/arfö??fi,  Dschüdar,  Md^rüf, 
Bäsim  Üb.  59  usw.)  diese  letzteren  überhaupt  nur  noch  an  einen 
solchen  gebannt  als  »Diener  des  (betrefi'enden)  Ringes«  in  Erscheinung 
treten. 

An  verschiedenen  Einzelheiten' wäre  noch  zu  bemerken,  daß  die 
Dschinn  zwar  an  Zahl  die  Menschen  übertreffen  (e  s-  Sibli  Rez.  246 
Note  2),  an  Wert  dagegen  weit  unter  ihnen  stehen,  wie  z.B. 
auch  aus  verschiedenen  Stellen  ersichtlich.  H.  1/39  u.  =  1/77  paen. 
[Fischer  und  Geist]. 

»(In  dieser  Todesgefahr)  sprach  der  Fischer  zu  sich:  'Das  ist  doch  (nur)  ein  Dschinn, 
ich  aber  bin  ein  Mensch,  und  Gott  hat  mir  Verstand  und  einen  Vorzug  vor  ihm  gegeben' 

[»•■fXc.     gXL:ai    .  .  ,    nUI^I  « 

H.   17/103  (^Abdallah  b.  Fdäil)-): 

»(Der  Dschinnenkönig  sagte  zu  seiner  Tochter:)  'Der  König  der  Menschen  hat  aus 
Verschiedenen  Gründen  Macht  über  uns;  erstens  ist  er  ein  Mensch  und  hat  deshalb  vor  uns 


')  Vgl.  H.  12/31  ob.;  vgl.  auch  Wetzstein  115;  besonders,  Lane-Poole  169 — 171; 
sodann  Aubin  310:  »Die  Tradition  behauptet,  (der  Liedersammler)  Masmudi  habe  die 
Inspiration  in  einein  Hause  erhalten,  in  dem  Geister  umgingen.« 

^)  Fehlt  bei  Habicht. 
Islam.     IX.  4 


50 


O.  Rescher, 


den  V^orrang,  zweitens  ist  er  der  Chalife  Gottes  und  drittens  betet  er  olin'  Unterlaß  das 
Gebet  der  zweimaligen  Beugung '<< 

Der  Geruch  der  Dschinn  (12/35/4  =  H.  19/146/7)  mag  als  ein 
Pendant  zu  dem  für  die  Dschinn  auffälligen  Geruch  der  Menschen 
gelten,  von  dem  in  Kunos'  Stamhuler  Volksmärchen  einigemal  die  Rede 
ist.  —  Zur  Abwehr  der  Dschinnen  scheint,  wie  aus  mehreren 
Stellen  hervorgeht,  das  Salz  zu  dienen,  vgl.  H.  18/25/1  =  4/171  paen. 
(womit  Lane-Poole  259  Note  i  übereinstimmt)  und  H.  6/83  =  7/45 
paen.  [an  letzterer  Stelle  könnte  allerdings  auch  die  Neutralisierung 
der  Wirkung  des  malocchio  mit  dem  Verstreuen  des  Salzes  bezweckt 
sein];   vgl.   Kremer,   Studien  21   und  25;    Schwally  23. 

Der  Fatalismus. 

In  gleicher  Weise  w-ie  die  beiden  vorhergehenden  Kapitel  läßt  sich 
auch  der  Fatalismus  dem  Grenzgebiet  von   Glaube   und  Aberglaube 
zuweisen.    Im  Rahmen  des  von  mir  Gewollten  kann  natürlich  von  einer 
Darstellung  desselben  nach  seiner  religiösen  oder  ethischen  Wertung 
oder  gar  von  einer  Aufrollung  der  hier  in  Frage  stehenden  Probleme 
und  Vertiefung  in  diese  keine  Rede  sein  • —  dazu  gäbe  lOOi  Nacht  auch 
kaum  eine  zureichende  Grundlage  ab  — ,  sondern  vielmehr  soll  es  sich 
hier  nur  um  eine  Skizze  dessen,  wie  er  sich  in  den  landläufigen  An- 
schauungen des  Volkes  äußert,  handeln.    Was  immer  auch  von  literari- 
scher Seite  (Theologen  und  Philosophen)  aus  gegen  den  Schicksalsglauben 
geschrieben  worden  ist,    jedenfalls  läßt  es  sich  nicht  in  Abrede  stellen, 
daß  dieser  im  Volksgeist  seit  alters  her  recht  lebendig  war.  Bereits  in  den 
aus  dem  Heidentum  stammenden  oder  wenigstens  den  Anschauungen 
der  Heidenzeit  nahestehenden  altarabischen  Gedichten  lassen  sich  fata- 
listische Einschläge^),  und  zwar  nicht  nur  in  vereinzelten  gelegentlichen 
Äußerungen,  sondern  in  hinlänglicher  Menge  und  scharf  genug  betont 
nachweisen,  daß  wir  sie  doch  wohl  unbedenklich  als  einen  integrierenden 
Bestandteil  der  Volkspsyche  betrachten  dürfen.     Der  Koran,    der  im 
wesentlichen  auf  dem  Boden  der  arabischen  Volksanschauungen  steht, 
wenn  er  freilich  auch  ihre  psychologische  Seite  mehr  ins  Religiöse  wendet 
und  sie  weiterhin  mit  jüdisch-christlichen  Ideen  kombiniert,  hat  dann 
diese  Vorstellungen  erweitert  und  fortgebildet.  —  Der  gewöhnlichste 
Ausdruck  »  jö   •,  i-Löä«  ist  natürlich  auch  in  lOOi  Nacht  am  häufigsten 
(vgl.    z.B.    10/365/8,   11/301/5,    1/260/2,    daneben  auch  ^_)OLiw    1/207/7; 

gering  variiert   10/369/2    >y_-*-*.il  i^lAi^äJU  J\'sui\  ys^b«  oder   [bei    üblen 

')  Zur  Ergänzung  der  folgenden  Ausführungen  möchte  ich  auf  meinen  Artikel:  »Fata- 
listische Tendenzen  in  den  Anschauungen  der  Araber«,   Islcrm  n/337  ff.,  verweisen. 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht.  ci 

Dingen]  ^^üil^  pL^il^  ^^LL^^fi)  [^ii]).  Das  Schicksal  gilt  als  ein 
von  Ewigkeit  her  bestimmtes  (10/24/7  xJj^! ^^oJUJt ;  11/24/3  w«^  -S 

^J^'  </'  i^  j"^)-  Identisch  mit  dem  Begriff  ^l^^  ^j^j  ist  das 
im  Volk  vielleicht  mehr  übliche  »lj^jc^^«  [»das  Aufgezeichnete«],  das 
sich  in  lOOi  Nacht  sehr  häufig  findet  (z.  B.  6/324  paen.;  1/278/8:  »^y^i^ 

^Jüi^«),  besonders  aber  Inder  Verbindung  \^II^\  ^«,  vgl.  6/286/4  = 
H.    18/90   Mitte;    4/244/11;    11/301/6     >>^Ji^^    J^ii,    ^^_-^jl    ^j^«, 

H.  24/138  u.,  ibid.  204/11,  ibid.  177/5,  H.  9/172  Mitte  oder  ^^Z^HTIII 
H.    13/166  u.    =  5/332/12.     Eine  Variierung  des  Ausdrucks  »(^yjCx«, 
sonst  aber  damit  identisch  ist  die   Redensart    »Was  die   Feder   (der 
»^a/am«)  aufgezeichnet  hat«     (H.    7/85  2)  Mitte,    4/244/12,    5/16  ult.  = 
H.  2/179  Mitte,  6/147/8  )>^  L^  '  ^j^\  ^^^  '  ^iäJI  ^^.:^«).  Meist  erscheint 
das  Fatum  als  eine    »höhere  Macht«,  wovon  der  Mensch  mehr  oder 
minder  restlos  abhängig  ist  und  gegen  die  anzukämpfen  aussichtslos 
ist,   wie  auch  die  folgenden  Sprichwörter  zeigen  (7/49) :  ^^♦.j  ^    <JK;^\ 
jXs}\  [»Vor(aus)sicht  wehrt  das  Schicksal  nicht  ab«];    ii7ii2/8:    l\äJ! 
^Js.^!  V^-ljtJ   [»Das    Schicksal    besiegt    die    Voraussicht«];    10/312/11: 
(zu    korrigieren   nach    5/83/6)  ^j^üJI   ^^  ^Ä^JJ  ^^    ^   [»Voraussicht 
frommt  nichts   gegen   das   Schicksal«];    H.    24/155/10  u.,   H.    5/57/5  u. 
II  u.;  ferner   6/93  ult.  =  7/285/7    =    10/199/5:  y^^\  ^^  pL^äJI  j^  \dl 
[»Wenn  das  Geschick  eintreten  soll 3),  wird  der  Blick  blind«];  11/243/3: 
jtriO^  V*"^Liil  _.jlXü:>:JL  yXsj\  ^c  Lf^  L/8  ^^Xis,J!;   [nichts  nützt  Voraus- 
sicht gegen  das  Schicksal,  und  die  Bestimmung  ist  stärker  denn  mensch- 
liche Überlegung] ;  vgl.  auch  6/47/7.     Hieran  anschließend  möge  noch 
das  Gedicht  5/291  ult.  =  10/313/40.  =  H.   15/45,  H.  2/27  (fehlt  aber 
2/161  u.)  Platz  finden  [Regez] : 


ö     -     5  S  S  s. 

tä-    ^.j_;iJ|   J.^   \J_Ä£  i^Ä^   J.^^     ^    ^-^->r^    i_5-*-^'^     x-^öl     ^.>öl 

o        ^         ^  *. 


^ 


0  Vgl.  H.  4/194/6  u. 

^)  Statt  dieses  Gedichtchens  steht  7/310  ein  ganz  anderes  längeres  Gedicht. 

3)  Eigentlich:  niedersteigt. 


4* 


52  O.  Rescher, 

»Nicht  frommt  die  Vorsicht,  wenn  das  Schicksal  ein  sich  stellt, 
Fehlt  auch  der  Mensch,  das  Schicksal  nimmermehr  je  fehlt. 
Wenn  Gott  mit  einem  Plan  sich  gegen  Menschen  trägt  — 
So  macht  er  ihm,  sei  er  auch  sonst  verständig,  aufgeweckt, 
Die  Ohren  taub,  das  Auge  blind,  und  seinen  Geist 
Grad'  wie  ein  kleines  Härchen  Er  heraus  ihm  reißt. 
Bis  daß  vollendet  Sein  Entschluß,  endlich  zuletzt 
Er  wieder  ihn  in  den  Besitz  des  Geistes  setzt. 
Dann  mag  er  grübeln  und  nachdenken,  hin  und  her 
Aus  dem  Geschehenen  zu  zieh'n  sich  eine  Lehr'; 
Doch  frag'  er  nie,  wie  es  geschah,  warum's  mußt  sein, 
Denn  jedwed'  Ding,  durch's  Schicksal  wird's  bestimmt  allein.« 

Weiterhin  erscheint  dann  das  Schicksal  einfach  als  Gottes  Wille 
selbst,  der  in  unerforschlicher  Weise  über  den  Menschen  Freud'  oder 
Leid  verhängt,  das  er  widerspruchslos  hinnehmen  muß,  und  demgegen- 
über ethische  Werte  ganz  ausgeschaltet  werden  i);  vgl.  11/243  =  3/3^8 

[Seri']: 

>  ■*        II    '  ■* 


^ 


^,oLÄJt    Vj<Xi   (^lÄJl    !Ä^      ||    äJLjs-  ^^  ^3i.^'^^^*.^5   äI^^   ^    ^  3) 


Eine  typische  Geschichte  ist  hierfür  ferner  die  Erzählung  von  dem 
Hawäge  Hasan  dem  Seiler  (H.  21/34),  in  der  die  beiden  Freunde  S'ad- 
und  Sa'di  die  Probe  auf  ihre  Anschauungen  durch  die  Praxis  zu  machen 
suchen.  Sa'd  verficht  hierbei  den  Standpunkt,  daß  »weder  Verstand 
noch  Fleiß«  dem  Menschen  wesentlich  frommt  (S.  34ult.),  sondern 
allein  das  Schicksal  seine  Wege  leitet,  während  Sa'di  der  persönlichen 
Initiative  (d.h.  der  Arbeit  und  Umsicht)  das  Wort  spricht.  Hasan 
der  Seiler  bekommt  nun  von  Sa*di,  dem  »Tatmenschen«,  zweimal  je 
200  Agrafis  [Goldmünzen],  die  ihm  beidemal  auf  ungewöhnliche  Art, 

I)  7/220  ult.  sucht  mit  einem  »xUI  g^i>  iÄi' «  ein  Dieb  seinen  Diebstahl  zu  ent- 
schuldigen [die  Sache  ist  hier  allerdings  nur  fiktiv].  Vgl.  auchLuKi.^NS  »Totengespräche«, 
itMinos  und  Sostraiusa. 

-)  Lies  11/243  ebenfalls  )y,3LJI«  statt  »^LJI«.  Übrigens  hat  H.  6/40  andere 
Veise  statt  der  3/308  gegebenen. 

3)  »Manchmal  umgeht  der  Blinde  glücklich  eine  Grube,  in  die  der  mit  gesunden 
Augen  hineintappt,  und  manchmal  bleibt  der  Dummkopf  vor  einem  Wort  bewahrt,  in 
das  der  Vernünftige,  Kluge  hineinstürzt.  Schweie  Mühe  hat  oft  der  Recht- 
gläubige, sein  täglich  Brot  zu  verdienen,  während  es  dem  Ungläubigen  und  Schurken  ohne 
Mühe  zufällt.  Nichts  nützt  (bisweilen)  des  Schlauen  List  und  Schläue  —  so  hat's  eben  ein- 
mal der  'Bestimmende'  (d.  h.  Gott)  bestimmt.«  —  Diese  Verse  finden  sich  auch  H.  2/15  f., 
fehlen  dagegen  an  der  entsprechenden  Stelle  2/143/10. 


Studien  über  den  Inhalt  von  looi  Nacht.  53 

doch  ohne  seine  direkte  Schuld  wieder  abhanden  kommen,  während 
eine  Bleimünze,  die  ihm  SaM,  der  »Quietist«,  gibt,  ihm  auf  ebenso 
merkwürdige  als  unverhoffte  Weise  zu  Reichtum  und  Ansehen  ver- 
hilft, so  daß  er  sich  als  »Meister«  ^asan  der  Seiler  großzügig  etablieren 
kann.  Die  Pointe  ist  also  die,  daß  —  wie  SaMi  zuletzt  zu  SaM  sagt  — 
Reichtum  (und  irdisches  Wohlergehen)  nicht  von  Reichtum  [d.  h. 
Arbeit,  Mühsal  und  Klugheit]  kommt,  sondern  allein  aus  Gottes  Gnade 
[d  h.  dem  (verhängten)  Schicksal]  herrührt  (S.  58).  —  Demgemäß  singt 
auch  der  Fischer  Kerim  (H.  2/137  =  3/137:  'Ali  Nur  eddin  und  Enis 
el-g-elis)    [Basiti: 

*"  »Der  du  das  Meer  befährst,  umringt  von  Schreck  und  Not, 

Oh,  kürz'  doch  deine  Müh',  nicht  Mühsal  schafft  dir  Brot. 
[Schau  dort  den  Fischer,  der  in  heller  Sternennacht 
Nach  seinem  Netze  späht,  auf  karg'  Gewinst  bedacht. 
Und  hat  er  dann  die  ganze  Nacht  sich  abgeplagt, 
Als  Beute  einen  Fisch  dem  Meere  abgejagt, 
Dann  gibt  er  ihn  zum  Kauf,  um  einen  'ringen  Preis 
Dem  Reichen,  der  von  Todesnot  und  -grau'n  nichts  weiß, 
Und  kehlt  er  dann  mit  einem  dürft'gen  Lohn  nach  Haus, 
Vergißt  er  rasch  die  Pein,  auf's  neu'  zieht  er  hinaus. 
Doch  Gott  gebührt  der  Preis,  der  [dem]  einem  Wohlstand  wehrt. 
Dem  andern  aber  reich  aus  Seiner  Gnad'  beschert.]«') 

Den  gleichen  Gedankengang  finden  wir  in  der  Geschichte  des 
Kaufmanns,  gegen  den  sich  sein  Glück  kehrte  (Episode  aus  den  10  Ve- 
ziren)  H.   18/47  =  6/215/3: 

»(Als  dem  Kaufmann  auf  des  Königs  Befehl  die  Augen  ausgerissen  worden  waren, 
nahm  er  sie  in  die  Hand,  indem  er  sagte:)  'Wie  lang'  willst  du  mich  noch  verfolgen;  un- 
glückseliges Geschick  {jd  t&W  manHs);  zuerst  hast  du  mir  mein  Gut  geraubt  und  jetzt 
<rreifst  du  mein  Leben  an.'  Dann  aber  meinte  er,  indem  er  sich  selbst  tröstete:  'Niclits 
hat    mich   alle    Plackerei   genützt,    wenn   das  Mißgeschick   meine  Absichten  vereitelt  {^ 

Ji^!    p^-w    <-a    »/.^l      J^jlsÜsjX  denn  weil  der  Allerbarmer  mir  nicht  geholfen,  so 
wird  auch  meine  Bemühung  zur  Unfruchtbarkeit  verdammt'*).« 


1)  3/137/6  ist  iüCJl^i^  natürlich  Druckfehler;  das  Gedichtclien  ist  nur  dem  Sinn 
nach  ganz  frei  wiedergegeben,  nicht  übersetzt. —Ein  ähnliches  Gedicht  in  Macdonald's 

))Fisherman  and  Jinni«  p.  2. 

*)  Die  Konsequenz  dieser  Passivität  führt  im  praktischen  Leben  natürlich  zur  In- 
dolenz, die  schließlich  in  ein  apathisches  »laisser  aller«  ausmündet,  wofür  ein  Beispiel  Lane 
217  u.:  »Many  of  the  Egyptians  in  illness  neglect  medical  aid,.placing  their  whole  reliance 
on  Providence  or  on  charms.«  —  Vgl.  auch  die  Ansicht  <Abde  Imu  'min  el -Isf  ahäni's 
{Maqäme  Nr.  52,  Üb.  S.  75):  »Du  Kranker,  du  wendest  dich  im  Fieber  an  den  Arzt,  aber 


c^.  O.  Reschcr, 

Auch  die  Lebensdauer  des  Menschen  gilt  als  durch  das  Geschick 
im  voraus  unabänderlich  bestimmt;  aus  diesem  Glauben  heraus  erklärt 
sich  auch  die  Gleichgültigkeit  des  Orientalen  gegen  Gefahr  und  Tod, 
die  sich  ebensowohl  in  unbekümmertem  Wagemut  als  in  stumpfer 
Resignation  äußern  kann.  Vgl.  z.  B.  die  Anekdote  von  dem  Beduinen- 
jungen  und  Hisäm  (7/155  ff.  =  H.  6/159  ff.)  J),  ferner  das  Gedicht- 
chen 6/66: 

»Es  ist  mir  eine  Frist  hienieden  fest  gegeben, 
Und  eh'  sie  nicht  erfüllt,  scheid'  ich  nicht  aus  dem  Leben, 
Ja,  kämen  auch  die  Löwen  über  mich  in  Haufen, 
Ich  überwände  all',  ist   sie   rieht  abgelaufen.« 

Viel  seltener  findet  sich  dem  gegenüber  der  antifatalistische 
Gedanke  ausgesprochen,  daß  man  sich  um  das  Geschick  [maqädir) 
keine  unnützen  Sorgen  machen  solle  (Gedicht  6/36  ult.  =  öliT^^jn  ff.), 
oder  gar,  daß  nicht  das  Schicksal,  sondern  der  Kern  der 
eigenen  Persönlichkeit  es  sei,  was  des  Menschen  Pfad  bestimme 
(H.   19/98  =  11/398): 

^  w  C  O   f 

jjsJw  e^oJ.£i  (^>>'u  i^ÄJ!   Jä.9 

»Läßt  man  dir  Ruh',  so  laß  die  andern  auch  in  Frieden! 
Tu  wohl!    Ein  Lohn  von  Gott  dereinst  dir  wird  beschieden. 
Von  Gott  ist  all'  bestimmt,  doch  sei  dir  trotzdem  kund: 
In  deinem  eig'nen    Handeln,   da  liegt  der  letzte  Grund  3).« 


was  vermöchte  dieser  gegen  das  festgesetzte  Kismet? «  [3.  76].    »Such'  (lieber)  deine 

Heilung  im  Koran,  denn  er  ist  ein  Meer,  das  von  Ewigkeit  zu  Ewigkeit  wallt,  während  des 
Arztes  Worte  gleich  Schaum  im  Winde  verfliegen« ,  wo  diese  Passivität  mehr  religiös 
gefärbt  erscheint. 

0  Vgl.  7/156  paen.   =  7/157  ult.      »^  ^  yo  ^      ^Xli  ^\  Ji  ^^  ^ 

*)  Der  Text  »LgJ*«giiJ«  ist  gegen  das  Metrum. 

3)  Mit  einigen  kurzen  Worten  möchte  ich  hier  noch  auf  die  Bilder  eingehen,  in  denen 
sich  der  Sprachgeist  »Schicksal  und  Tod«  vorstellt.  Schon  in  den  altarabischen  Gedichten 
findet  sich  besonders  die  Vorstellung  von  dem  »Becher«,  aus  dem  man  den  Tod  schlürft, 
oder  der  »Tränkstelle«,  zu  der  letzthin  alle  Menschen  niedersteigen  müssen.  Den  gleichen 
Anschauungen  begegnen  wir  natürlich  dann  auch  in  looi  Nacht;  das  Bild  selbst  bleibt  das 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht.  cc 

Mit  dem  Glauben  an  das  Schicksal  und  die  sich  daraus  ergebende 
Resignation  in  Gottes  Willen  hängt  ein  anderer  Umstand  zusammen, 
auf  den  ich  in  den  nächsten  Zeilen  noch  kurz  zu  sprechen  kommen 
möchte,  nämlich  die   Seltenheit    des    Selbstmords  bei  den  Mus- 
lims, der,  wie  bekannt,  vom  Islam  als  eine  Todsünde  erachtet  wird. 
Immerhin  finden  sich  doch  einige  Geschichten,   in  denen   Selbstmord 
oder   doch   wenigstens   ein    Selbstmordversuch   vorkommt.     Zur   Ver- 
gleichung   dieser  übrigens   nicht   durchweg   aus   arabisch-islamischem 
Milieu  stammenden  Geschichten  möchte  ich  folgende  Stellen  zitieren: 
H.    10/168  =  12/293  ==  HN.    174  i)    (eine    indische    Episode  aus    den 
sieben  Veziren).      Ist  es  hier  das  Motiv  der  Selbstverschuldung  und 
Eifersucht,   die  den  allzu  profitlichen  Bademeister  zum  Lebensüberdruß 
bringt,  so  haben  wir  in  verschiedenen  andern  Geschichten  das  Motiv 
der   Verzweiflung,   die  zum  Selbstmord  oder  doch  wenigstens  zum 
Versuch  dazu  treiben  kann,  so  z.  B.  H.  15/101  =  10/432/4  (in  der  Ge- 
schichte des  Bagdddi  und  der  Sklavin) : 

»Da  sprach  ich  [sagte  der  Jüngling]  zu  mir:  Nun  hast  du  dein  Leben  und  dein 
Geld  zusammen  eingebüßt.     Und  das  lastete  so  schwer  auf  mir,  dal3  ich  zum  Tigris  ging, 

mein  Gewand  über  mein  Gesicht  zog  und  mich  in  den  Fluß  stürzte (Als  man  aber 

mich  wieder  herausgezogen  hatte),  kam  ein  Scheich  auf  mich  zu  und  sagte:  'Willst  du, 
nachdem  du  deine  Habe  eingebüßt,  auch  noch  dein  Seelenheil  verlieren  und  dem  Volke 
des  Höllenfeuers  angehören? '« 

Ebenfalls  wieder  indisch  ist  die  Geschichte  von  dem  Weisen  und 
seinen  drei  Söhnen  (als  Episode  aus  König  Schah  Backt)  H.  18/153  = 
11/131/14: 

(Der  durch  seine  Verschwendung  zuletzt  ganz  verarmte  und  von  seinen  früheren 
Freunden  verleugnete  Jüngling  geht  in  den  Raum,  wo  ihm  sein  Vater  einen  Schatz  hinter- 
lassen haben  wollte.) 

Dort  aber  findet  er  angeschrieben  [11/13O/I2]: 

»KeinAusweg  vor  dem  Tode.  Drumhäng'  dichauf,  bettle  keinen  weiter  an  und  stoß' 
den  Ziegelstein  mit  deinem  Fuße  weg,  um  so  mit  dem  Leben  abzuschließen  und  Ruhe  zu 

gleiche,  nur  der  sprachliche  Ausdruck  variiert  leicht  nuanciert,  z.  B. :  ..^j.X^\  (J*'-^ 
2/122/12;  j.u*^ol  ^J^S  4/363/11,  9/162  paen.,  5/223/12,  10/158/7,  12/176/9;  i-ioJi    ^j>.S 

10/403  paen.;  2/8/11,  5/197/2;  ^[j.^..?  ^J^\S  9/181/4;  iö^^J!  ^J^\.f  12/171/14;  10/S9  ult., 
6/378/3;  ^y^:$^\  ^^'S  9/87/10;  0^1  [y^'J']  3/173/1;  '^i-^-J*  u-L^  2/207  ult.; 
|.lX*jI  V-jLii  9/7/12  [vgl.  H.  1/105  Mitte,  H.  2/112  u.,  H.  3/197  Mitte,  H.  5/116  u.,  ibid. 
119  ob.,  H.  11/194  Mitte,  H.  10/121  u.,  H.  12/168  ob.,  H.  15/84  u.].  Öfters  wird  das 
Geschick  auch  [mit  einem  Schützen  verglichen,  der  seine  Pfeile  auf  die  Menschen 
abschnellt;  deshalb  der  Ausdruck  PuAiaüJI  ^g^  [5/277/10  =  H.  13/138/24,  wo  »j*„p-«  im 
Bülaqer  Text  offenbar  fehlt;  ibid.  281/14  =  H.  13/140  Mitte,  H.  3/180  Mitte).  Für 
weiteres  vgl.  meinen  Artikel  im  »Islcwi«  II/337  ff.         ■  • 

')  Letztere    Fassung   ist  erheblich   gemildert;    von  Selbstmord  ist  hier  keine 
Rede  mehr. 


c6  O,  Rescher, 

finden  vor  der  Schadenfreude  deiner  Feinde  und  Neider  und  der  Bitterkeit  der  Armut.« 
....  Da  meinte  der  Jüngling:  »Recht  hatte  mein  Vater.«  Darauf  legte  er  sich  den  Strick 
um  den  Hals  und  stieß  den  Ziegelstein  mit  seinen  Füßen  weg.  (Da  aber  —  brach  der 
Strick,  die  Decke  stürzte  ein  und  ein  großer  Haufen  Geld  ergoß  sich  über  ihn  herab.) 

Ferner  lesen  wir  in  '■Aladdin  und  der  Wunderlampe  (H.  20/95  = 

ZOTENBERG    68/I4): 

»(Als  der  magrebinische  Zauberer  vermittelst  des  Besitzes  der  Lampe  das  Seraj  samt 
der  Prinzessin  nach  Afrika  entführt  hatte,  da  ward  'Aladdin  tief  gebeugt.)  Und  aus  Über- 
maß des  Kummers  ließ  er  alle  Hoffnung  fahren  und  wollte  sich  in  den  Fluß  stürzen.  Doch 
als  gläubiger  Muslim  und  Bekenner  der  Einheit  Gottes  fürchtete  er  Gott  i)  (in  d.  h.)  um 
seiner  Seele  willen;  so  blieb  er  also  am  Ufer  stehen  und  vollzog  eine  Waschung  usw.  2)« 

Auch  einige  Liebesgeschichten  schließen  mit  dem  Selbstmord  des 
(oder  der)  Liebenden,  so  z.B.  die  Erzählung  der  beiden  Liebe7ide7i  (HN. 
198  ff.);  vgl.  auch  Chauvin  VI/147  ^-  2  sowie  die  Erzählung  von  öäkis 
bei  Kremer  2/125  f.  und  das  (übrigens  nicht  arabische)  Damaszener 
Schattenspiel  »Die  Liehet^den  von  Amasia«,  wo  sich  zum  Schluß  Ferhät 
und  Shirin  beide  erstechen  3);  ferner  Stumme,  Tun.  108  (»Oh  du 
Fliehende,    Gottes   Verordnung    holt    dich    ein!«). 

Im  Widerspruch  oder  doch  wenigstens  nicht  ganz  in  Überein- 
stimmung mit  der  durch  den  Schicksalsglauben  bedingten  Resignation 
(in  Gottes  Willen)  4)  scheinen  auch  die  leidenschaftlichen  Äuße- 
rungen des  Schmerzes,  die  anläßlich  von  Trauer  an  den  Tag 
gelegt  zu  werden  pflegen.  Wenn  Lane  283  (chapter  XIII,  uharacter«) 
sagt:  »Influenced  by  their  belief  in  predestination,  the  men  display 
in  time  of  distressing  uncertainty  an  exemplary  patience  and  after  any 
afflicting  event,  a  remarkable  degree  of  resignation  and  fortitude, 
approaching  nearly  to  apathy;  gener ally  exhibiting  their  sorrow  only 
by  a  sigh,  and  the  exclamation  of  »Allah  kerim«  —  but  the  women 
on  the  contrary  give  vent  to  their  grief  by  the  most  extravagant  crics 


I)  Ähnlich  'All  b.  Bekkär  3/54/11  =  H.  5/106  IVIitte:  »Wäre  nicht  meine  Fur:ht 
vor  Gott,  so  beschleunigte  ich  selbst  mein  Ende.« 

^)  Die  Note  nach  Galland:  »II  allait  se  jetter  dans  la  riviere  .  .  .  mais  il  crut  en  bon 
Mussulman,  fidelle  ä  sa  religion,  qu'il  ne  devoit  pas  le  faire,  sans  avoir  auparavant  fait  sa 
priere«  zeigt,  wie  dieser  den  Sinn  verkannt  hat. 

3)  In  zweiter  Linie  vgl.  H.  4/195/8  =  Chauvin  VI/124  Note  i;  H.  19/147/6  =  12/36 
ult.  (der  Selbstmord  des  Dämonen  Meimün  in  der  Geschichte  von  Tuhfat  el-qidüb,  sowie 
H.  10/127  =  6/386/3  u.  10  =[Messingne  Stadt]  =  HN.  315  u.  f.  (wo  die  Analogie  mit  der 
Sirenensage   deutlicher   hervortritt)   —    Eine    bloße    Redensart   ist   die   oft   sich   findende 

Drohung  »^^.s-ü  oJlXä  ^Ij«  (4/192/8,   12/72  ult.,  4/223/11,  5/215/1,  5/247/12,  5/352/8  = 

6/26/1 1,  9/21/13,  12/33/12  u.  paen.;  [etwas  anders]  4/305/7). 

4)  Vgl.  die  damit  übereinstimmenden  eigenartigen  Worte  des  'Abdallah  el-bahri  an 
*A.  el-berri,  die  schließlich  zum  Bruch  zwischen  beiden  führen:  H.   16/106^107. 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi    Nacht.  cn 

and  shrieks«  ^),  so  trifft  das  nur  zum  Teil  zu,  wie  wir  aus  verschiedenen 
Stellen  der  Erzählungen  sehen,  insofern  nicht  selten  auch  die  Männer 
den  lauten  Äußerungen  ihres  Schmerzes  unbekümmert  freien  Lauf 
lassen:  H.  2/162  =  4/381/10  (Geschichte  des  Eunuclmi  Käßr  in 
t>Ghdneni «) : 

»Als  naein  Herr«  —  erzählt  Käfür  —  »diese  Trauerbotschaft  von  mir  vernommen, 
da  ward  das  Licht  vor  seinem  Antlitz  Finsternis,  und  er  verlor  seine  Selbstbeherrschung 
•  .  .  .,  er  zerriß  seine  Gewänder,  raufte  sich  den  Bart,  schlug  sich  ins  Gesicht,  bis  daß  das 
Blut  strömte,  und  schrie:  'Weh,  weh!  Meine  Kinder,  mein  Weib!  Welch'  Unglück 
ohne  gleichen.'« 

»Aber  nicht  genug  hiermit  [ich  zitiere  hier  Kremer  2/250  u.],  im 
Übermaß  des  Schmerzes  ging  man  noch  weiter:  man  zerstörte  den 
ganzen  Hausrat,  zerriß  die  Kleider,  schwärzte  die  Wände,  zerbrach 
die  Hausgeräte  und  das  Geschirr,  man  schwärzte  sich  selbst  das  Ge- 
sicht und  schor  sich  den  Bart.«  Man  vergleiche  dafür  die  eben  bereits 
zitierte  Geschichte  Käfürs  (H.  2/160  =  4/377/15  ff.),  wo  es  heißt: 

»Die  Frau  meines  Herrn«  —  erzählt  der  Schwarze  —  »und  seine  Töchter  begannen, 
als  sie  die  Nachricht  seines  Todes  von  mir  vernommen,  zu  schreien,  ihre  Gewänder  zu  zer- 
reißen und  sich  ins  Gesicht  zu  schlagen ,  die  Frau  selbst  aber  warf  ihren  ganzen  Hausrat 

untereinander,  machte  die  Etageren  *)  kaput,  zerbrach  Fenster  und  Gitter  und  schwärzte 
ihr  Gesichts)  mit  Lehm  und  Indigo  [wi]  4),  indem  sie  mir  zurief:  'Weh!  Käfür,  komm' 
her  und  hilf  mir,  dies  Geschirr,  die  Schüsseln,  das  Porzellan  und  die  Flaschen  zu  zerschlagen.' 
Ich  ließ  mir  das  nicht  zweimal  sagen  und  beteiligte  mich  wacker  an  dem  Zerstörungs- 
werk   < 

Wenn  die  Frauen  das  Gesicht  5),  ja  sogar  auch  bisweilen   die 


')  Vgl.  [White  3/300  und]  1 1/82/8  =  H.  16/106  ['Abdallah  el-berri  wa  'A.  el- 
ba/iri]:  »Wir  weinen  und  klagen«  —  erwiderte  ihm  *A.  vom  Lande  -^,  »wenn  jemand 
gestorben  ist,  und  die  Frauen  schlagen  sich  ins  Gesicht  und  zerreißen  sich  die  Busen  aus 
Trauer  über  den  Toten  usw.«  —  Vgl.  die  Anekdote  von  dem  PseudoschuUehrer  H.  8/80  = 
8/247  =  Lane  62. 

-)  Ist  statt    »iiwo^!^«  das  dem  Duktus  nach  ähnliche   »ä-o»I»l)«  zu  lesen? 

3)  Das  Objekt  fehlt;  es  könnten,  wie  aus  der  in  der  folgenden  Anmerkung  zitierten 
Stelle  von  Lane  hervorgeht,  auch  die  Wände  gemeint  sein;  vgl.  auch  die  Notiz  bei  Kremer 
2/251,  Note  I,  wo  dieser  Brauch  erwähnt  wird. 

4)  Lane  527  (chapter  28:  Ceremonies  after  a  death):   »The  women dye  their 

Shirts,  head-veils,  face-veils  and  handkerchiefs  of  a  blue,  or  of  an  almost  black,  colour,  with 

indigo;  and  some  of  them  with  the  same  dye  stain  their  hands  and  their  arms and 

smear  the  walls  of  the  Chambers.  Vgl.  auch  Lane-Poole  261/1  ff.  —  Dunkelblau  scheint 
offenbar  die  Farbe  der  Trauer;  vgl.  auch  die  Note  Hennings  1/127  (in  der  Geschichte  des 
dritten  Kalenders  —  1/282/8  ff.,  wo  alles  Mobiliar  in  dem  von  den  (trauernden)  Einäugigen 
bewohnten  Schloß  von  blauer  Farbe  [azraq\  war).  Vielleicht  ist  hier  auch  noch  Vuiller  68 
zu  berücksichtigen:  »La  femme,  devenuc  veuve,  portera  le  deuil  pendant  une  aun^e;  si 
un  de  ses  parents  ou  allies  succombe,  eile  proscrira  de  sa  toiiette  le  jaune  et  l'orange,  nmis 
eile  pourra  se  vetir  de   bleu   et  de  blanc. « 

5)  Vgl.   Bel  20  ult. 


'g  O.  Rescher, 

Brüste  enthüilcn  [vgl.  die  erwähnte  Geschichte  H.  2/160  =  4/378/10 

(u.  379/1):  ■ 

»Dann  ging  meine  Herrin  mit  bloßem  Antlitz  und  nur  mit  einem  Kopfschleier  bedeckt 
hinaus.« 

bzw.  Die  Liebenden  von  Amasia  S.   147  Note  55],  die  Haare    lösen 
[H.   18/25  =  4/171  paen.: 

»('Ich  will  mich  tot  stellen',  sagte  abü  '1-Hasan  el-Hali'  zu  Nuzhet  el-fu'äd;)    du  aber 
lös'  dein  Haar,  zerreiß'  dein  Gewand,  schlag'  dir    ins  Gesicht    und  schrei'  laut  auf«  usw.], 

ja   sogar   bisweilen    abschneiden    [H.   1/68  —  1/129/10: 

»Meine  Frau«,  erzählt  der  Prinz    der    schwarzen    Inseln,    »hatte  ihr  Haar  ab- 
geschnitten und  Trauerkleider  angelegt  (ob  des  angeblichen  Todes  ihres  Vaters)«], 

SO  bringen  dementsprechend  die  Männer  ihren  Turban  in  Un- 
ordnung (H.  18/26  =4/174/4  x:o«u4^  J^>3-)  und  raufen  sich  den 
Bart  (ibid.  und  4/381/11,  7/307/8).^ — Altorientalisch  scheint  daneben 
noch  die  Sitte  zu  sein,  sich  Erde  aufs  Haupt  zu  streuen  (3/256/7  = 
H.  5/181;  1/279/14  =  H.  1/125  paen.;  H.  3/62  ob.,  H.  9/57  Mitte,  H.  22/ 
175  Mitte),  vielleicht  auch  der  Brauch,  Trauerkleidung  anzulegen 
(3/256/11  »oIjwjI  ^lyii^  ol^.w.i!  (j«^«  =  H.  5/181;  3/345/13  »o[^l  v^' 
^.^i^^^lj«,  5/9/14/7/93/13,  3/63/11  fehlt  H.  5/111/6  u.,  10/443/8) 
und  das  Gesicht  zu  schwärzen  (H.  1/127  u.  =  1/283/14;  vgl.  auch 
LÖHR  »Volksleben  im  Lande  der  Bibel«  S.  43). 

Das  öffentliche  Leben  in  1001  Nacht. 

Mekka  —  Damaskus  - —  Bagdad  bezeichnen  die  drei  bedeutsamen 
Etappen,  die  das  arabische  Volk  in  seiner  Entwicklung  durchlief,  um 
aus  bescheidenen  Anfängen  heraus  in  steigender  Machtmehrung  zu 
einem  Weltimperium  zu  gelangen.  Gleichzeitig  aber  vollzog  sich 
parallel  mit  der  Expansion  nach  außen  eine  Umwandlung  im  Innern 
des  muslimischen  Volkskörpers:  mit  der  Verschiebung  des  politischen 
Schwergewichts  in  den  Osten,  in  das  alte  Kulturland  des  'Iräq,  drangen 
in  ständig  wachsendem  Maße  fremde  Anschauuns^en  und  Gewohnheiten 
in  das  arabische  Volkstum  ein,  dessen  Lebensweise  dadurch  stark 
modifiziert,  zum  Teil  ganz  umgewandelt  wurden.  Das  Entgleiten  der 
Macht  aus  den  Händen  der  Araber  und  ihr  Übergang  an  die  Neu- 
muslime, die  intellektuelle  Präponderanz  des  Persertums  und  das 
damit  verbundene  Wiederaufleben  altorientalischer  Staatsideen  hatte 
die  Umwandlung  des  ursprünglich  ganz  demokratisch  gedächten  arabi- 
schen Chalifats  in  einen  mehr  oder  minder  absolutistischen  Cäsaro- 
papismus  in  die  Wege  geleitet.  Begünstigt  wurde  diese  Entwicklung 
erstens  durch  den  Umstand,  daß  hier  an  der  Peripherie  des  arabischen 
Volkstums  sich  dessen  eigener  Charakter  nicht  mehr  mit  gleicher  Kraft 
wie   im   Mutterlande   oder   dem   daran   angrenzenden    Syrien   geltend 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht. 


59 


machen  konnte,  andrerseits  durch  die  Großzügigkeit  der  neuen  Verhält- 
nisse, die  ihren  typischen  Ausdruck  in  dem  Leben  und  Treiben  der 
Weltstadt  Bagdad  fanden.  In  seiner  Eigenschaft  als  Residenz  der 
Chalifen  und  als  wirtschaftliches  Handelsemporium  bot  die  Metropole 
am  Tigris  auch  tatsächlich  all  die  materiellen  und  ideellen  Voraus- 
setzungen, um  ihr  eine  überragende  Bedeutung  über  die  übrigen  Städte 
des  islamischen  Reiches  zu  sichern  und  in  geistiger  Beziehung  eine 
tonangebende  Stellung  zu  verschaffen.  Aber  neben  den  Lichtseiten 
der  »ville  lumiere«,  nämlich  der  Pflege  von  Kunst  und  Wissenschaft. 
Erweiterung  des  geistigen  Horizonts  in  räumlicher  und  ideeller  Be- 
ziehung, der  Verfeinerung  der  Lebensgestaltung  usw.,  konnten  auch 
die  Schattenseiten  nicht  ausbleiben.  »In  dieser  großen  Weltstadt«  [ich 
zitiere  Kremer  2/55],  »wo  der  Reichtum  und  Luxus  von  ganz  Vorder- 
und  Mittelasien  sich  zusammendrängten,  herrschte  neben  der  größten 
Pracht  und  Verschwendung  auch  das  größte  Elend,  und  die  damaligen 
Zustände  mögen  sich  stark  jenen  unserer  modernen  Großstädte  ge- 
nähert haben «    Von  dem  wirklich  märchenhaften  Luxus  und 

der  Verschwendung-^},  die  in  Bagdad  zur  Blütezeit  des  Chalifats 
geherrscht  haben  müssen  ^),  gibt  uns  eine  ganze  Reihe  von  Erzählungen 
eine  —  kaum  wohl  bloß  romanhaft  zu  wertende  —  Vorstellung;  so  z.  B. 
die  Geschichte  des  falschen  Chalifen  (H.  6/188  ff.  =  7/186),  wo  es  heißt: 

»An  der  Spitze  des  Schiffs  gewahrte  der  Chalife  (von  seinem  Versteck  aus)  einen 
Mann,  der  eine  Leuchtpfanne  aus  rotem  Golde  trug  3),  die  er  mit  Qäqili-Aloe  speiste;  er 
trug  einen  Umwurf  aus  rotem  Atlas,  auf  seiner  Schulter  hing  ein  golddurchwirktes  Gewand 
von  gelber  Farbe,  und  ajif  seinem  Kopfe  saß  ein  Mosuler  Turban;  ferner  aber  hatte  er  über 
die  Schulter  einen  grünseidenen  Sack,  mit  Qäqili-Aloe  gefüllt,  das  er  statt  gewöhnlichen 
Holzes  verbrannte.  Am  Hinterteil  des  Schiffes  war  ein  ebenso  gekleideter  Mann  und 
außerdem  200  Mamluken,  die  sich  rechts  und  links  um  einen  goldgefertigten  Thron  scharten, 
auf  dem  ein  lieblicher  junger  Mann  saß.« 

Ibid.  7/197  =  H.  6/197: 

»Was  wir  von  unserm  Herrn,  dem  Chalifen«  [sagt  Dscha'far  zu  dem  falschen  Chalifen] 

»heute  Nacht  mit  angesehen  haben,  ist  eine  ungeheuerliche  Verschwendung ,  nämlich 

Gewänder  im  Werte  von  500  Dinar  Stück  für  Stück  zu  zerreißen 4)«  usw. 

oder  die  Geschichte  des  erwachten  Schläfers   (H.   18/13/4  =  4/148  ult.): 

»Als  Hasan  el-Jiali'  erwachte,  fand  er  sich  in  einem  Schlosse,  dessen  Wände  mit 
Gold  und  Lazur  bemalt  und  dessen  Decke  mit  rotem  Gold  punktiert  war.  Rings  umher 
befanden  sich   Salons,  deren  Türen  mit  seidenen,  golddurchwirkten  Vorhängen  behängt 


')  Einiges  ist  oben  schon  berührt  worden  (in  dem  Abschnitt  »Die  Religion  [der  Islam] 
in  lOOi  Nacht«);  vgl.  Musik  und  Sängerinnen;  zu  der  in  tolle  Verschwendung  ausartenden 
Generosität  der  Barmekiden,  die  ihresgleichen  selbst  beim  Chalifen  nicht  fand,  vgl.  die 
Nrn.   87  ff.   bei   Chauvin. 

^)  Vgl.  auch  Kremer  2/194  ^-  ' 

3)  Zur  Beschreibung  des   »mesä^ili«  vid.  Jacob,   »Ägyptische)'  Jahrmarkt«  S.  35. 

4)  Eine  ähnliche  Legende  von  Muzaiqijä  vid.  Huart  1/5 i  paen. 


^Q  O.  Re  scher, 

waren,  und  überall  stand  Geschirr  aus  Gold  *),  Porzellan  und  Kristall,  während  Teppiche 
und  Polster  rings  umherlagen  und  das  Licht  der  Kandelaber  flimmerte.  Zur  Aufwartung 
aber  drängte  sich  eine  bunte  Schar  von  Sklavinnen,  Eunuchen,  Mameluken,  Dienern, 
Burschen,  Schwarzen  und  Pagen«  usw.^). 

Entsprechend  dem  Luxus  im  Wohnen  hatte  sich  auch  im 
Speisen  ein  gewisses  Raffinement  entwickelt  3),  das  unter  den 
früheren  einfacheren  Verhältnissen  im  großen  ganzen  undenkbar  ge- 
wesen wäre.  Wie  gern  man  sich  mit  der  Feinschmeckerei  zu  beschäfti- 
gen liebte,  zeigen  die  literarischen  Scherzstückchen,  in  die  man  sie 
hinein  verflocht  4);  der  z.B.  aus  Hamadäni  (vgl.  Üb.  Nr.  26,  35) 
uns  schon  bekannte  Trick  der  »Illusions  «-Mahlzeiten,  wo  die  Auf- 
zählung all'  der  gaumenkitzelnden  Gerichte  dem  Leser  das  Wasser  im 
Munde  zusammenlaufen  lassen,  findet  sich  auch  in  lOOi  Nacht  wieder 
in  der  Geschichte  des  6.  Bruders  des  Barbiers  (H.  2/95  f.  =  2/307  f.); 
aber  auch  sonst  wird  der  Künste  der  feineren  Küche  des  öfteren  Er- 
wähnung getan  (H.  19/172  Mitte  =-  12/91/5  f.,  das  »Schlemmergedicht« 
5/100  [fehlt  H.  16/110  Mittel,  das  sich  an  verschiedenen  Stellen  findet: 
1/244,  7/331,  10/115).  —  In  all'  den  Wandlungen  aber,  die  die  neuen 
Verhältnisse  mit  sich  brachten,  hielt  sich  eine,  zwar  schon  allgemein 
orientalische,  aber  doch  bei  den  Arabern  speziell  typisch  ausgeprägte 
Sitte  fest,  der  wir  hier  einige  Zeilen  widmen  wollen,  die  Gastfreund- 
schaft 5).  Wie  groß  auch  der  Unterschied  der  Lebensweise  und 
Lebensanschauungen  sein  mag,  der  den  Beduinen  vom  Städter,  den 
primitiven  Naturmenschen  vom  zivilisierten  Kulturmenschen  trennen 
mag,  die  Gastfreundschaft  hatte  von  jeher  unter  den  orientalischen 
Völkern  als  eine  heilige  Verpflichtung  gegolten.  Unnütz  also,  dies 
noch  besonders  nachweisen  zu  wollen.  Trotzdem  aber  gibt  es  doch 
manche  Einzelheiten,  die  vielleicht  einiges  besondere  Interesse  bear- 
spruchen  dürften.  Das  Symbol  der  Gastfreundschaft  ist  »Brot  und 
Salz«,  dessen  gemeinsamer  Genuß  als  die  stärkste  Bindung  zwischen 
dem  Aufnehmenden  und  dem  Aufgenommenen  gilt;  deshalb  spielt 
»Brot  und  Salz«  überall  eine  Rolle,  wo  man  neue  Freundschaft  zu  be- 
besiegeln oder  alte  Feindschaft  zu  beschließen  sucht  ^)  [H.  I4/I59  Mitte, 
H.  3/30  Mitte,  H.  22/105  u.  7),  ibid.  173  Mitte,  H.  13/136,  H.  22/44  ult., 

')  Der  Luxus  im  Gebrauch  von  goldenen  Gefäßen,  Schüsseln  usw.  ist  schon  oben 
besprochen  worden. 

^)  Beschreibung  eines  vornehmen  Hauses:  3/294/13  ff.  =  H.  6/30.' 

3)  Vgl.  Kremer  2/197  ff. 

4)  Vgl.  auch  das   »hezz  el-quAüf«  (MSOS.  IX  2.  Abtlg.  S.  41  oben:  Kern,   »Äygpl. 
HumorLslen<i). 

5)  Lane  288  (chapter  XllI:  Character);   Kremer  2/239  ff. 
'')'  Vgl.  Snouck-Hurgronje  II/io;  Kremer,  Studien  26  f. 

7)  Parallel  damit  Nöldeke's:  »Doktor  und  Garkoch«  39  Mitte  und  Note  3. 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht.  6l' 

H.  19/80  ob.,  H.  7/62  M.,  7/280/11,  10/117/5,  11/366/7,  5/273/1,  Stumme, 
Trip.  120  Mitte,  Stumme  Tun.  13  ob.,  64  u.];  gelegentlich  kommtauch 
der  einfachere  Ausdruck  Hamdlahaa  »das  Salz  miteinander  teilen« 
allein  vor  [H.  2/95  -  2/306/11,  12/6/3  -  H.  19/134].  Das  gegenseitige 
Teilen  von  »Salz«  oder  »Salz  und  Brot«  soll  dazu  dienen,  jedem  Arg- 
wohn einer  zweideutigen  oder  gar  feindseligen  Handlung  eines  Dritten 
die  Spitze  abzubrechen,  denn  Gott  selbst  ahndet  das  Vergehen,  am 
Salz  zum  Verräter  geworden  zu  sein  [Kremer,  Studien  27  oben];  vgl. 
H.   13/136  Mitte  =  5/273/1: 

»Hasan  setzte  dem  Magier  das  Essen  vor  und  sagte :  »Esset,  mein  Herr !  auf  daß 
'Brot  und  Salz'  zwischen  uns  sei,  und  Gott  mög'  den  verraten,  der  am  Salze  Verrat  übt!« 

ibid.  H.    13/151  u-  ='-  5/301/10: 

»Du  selbst,  verfluchter  Magier,  hast  gesagt,  wer  an  Salz  und  Brot  Verräterei  treibt, 
den  wird  Gott  verraten.  Nun,  du  hast  diesen  Verrat  auf  dich  geladen,  und  Gott  hat  dich 
dafür  in  meine  Hand  fallen  lassen « 

Bekannt  ist  die  des  öfteren  erzählte  Geschichte  von  dem  nächt- 
lichen Einbrecher,  der  im  Dunkeln  an  einen  Gegenstand  wie  einen 
Stein  im  Hause  des  Bestohlenen  stößt,  daran  leckt  und  dann,  wie  er 
erkennt,  daß  es  Salz  gewesen,  die  ganze  bereits  zusammengeraffte  Habe 
liegen  läßt,  da  nun  —  wenn  auch  ungewollt  —  zwischen  ihm  und  dem 
Hausherrn  das  Salz  als  Mittler  gestanden  hat  [Chauvin  Nr.  368  Anm.  -= 
VI/196,  Lane-Poole  144,  Kremer,  Studien  240b.];  umgekehrt  wieder 
sucht  es  der  Verbrecher,  der  gegen  jemand  einen  Anschlag  zu  verüben 
plant,  zu  vermeiden,  mit  diesem  irgendwie  »Salz  und  Brot«  zu  teilen 
['Ali  BdhdwgX.Ü.  21/88  u.: 

»Margäne  (die  Sklavin)  sprach  bei  sich:  'Das  ist  also  der  Grund,  weshalb  der  Schurke 
kein  Salz  essen  will,  um  eine  Gelegenheit  zur  Ermordung  meines  Herrn  zu  suchen,  dessen 
Todfeind  er  ist'.«  usw.] 

Als  Zeichen  ganz  besonderer  Niedertracht  gilt  es,  über  die  aus  »Salz 
und  Brot«  resultierenden  Verpflichtungen  sich  hinwegzusetzen  i),  wie 
in  der  bereits   zitierten  Geschichte  von  Hasan    el-Basri    [H.  13/140  = 

5/281/10]: 

Da  schaute  der  'Agemi  (dh.  Magier)  den  Hasan  an  und  sagte  zu  ihm:  »Du  Hund 
und  Hundesohn!  Meinst  du,  einer  wie  ich  'kennt'  (d.h.  kümmert  sich  um)  'Brot  und 
Salz'?  Tausend  Burschen  habe  ich  schon  umgebracht  weniger  einen,  und  du  sollst  das 
Tausend  nun  voll  machen^).« 


1)  Vgl.  auch  Snouck-Hurgronje  II/308  u. 

2)  Vgl.  ferner  H.  4/194  =  Chauvin  VI/124  Note  i  (Verrat  der  Gastfreundschaft 
durch  einen  Beduinenräuber).  —  In  der  Geschichte  von  '■Ali  Sär  und  dem  Nazarener  (H. 
7/62  =  7/280/1 1)  ist  die  Aufforderung  des  letzteren,  mit  ihm  »Sjilz  und  Brot«  zu  teilen, 
nur  eine  Finte,  um  'Ali  Sir  eine  mit  Bendsch  gefüllte  Banane  beibringen  zu  können.  Aus 
dem  Zusammenhang  ist  nicht  ersichtlich,  ob  der  Nazarener  überhaupt  etwas  gegessen  hat 
und   ob  also  ein  Verrat  an    »Salz    und   Brot«  vorliegt   oder  nicht. 


02  O.  Rescher, 

Nach  einer  alten  Tradition  darf  jeder  Fremde  drei  Tage  Gast- 
freundschaft beanspruchen,  was  natürlich  auch  in  den  Erzählungen 
oft  genug  zum  Ausdruck  kommt  (H.  6/180,  H.  16/120  ob.,  H.  17/28  u., 
H.  17/66 ob.,  H.  20/123 Mitte,  H.  12/35  u.,  H.  22/25 Mitte,  H.  10/141  Mitte, 
5/79/4,  6/63/10]  I).  Die  Pflicht  der  Sitte  heischt  es  aber  auch,  den  Gast  nicht 
nur  mit  dem  Notwendigen  zu  versorgen,  sondern  sich  auch  persönlich 
um  ihn  zu  kümmern,  ihn  nicht  allein  essen  zu  lassen  usw.  [H.  yjÖT^  = 
7/281/13]: 

»Als  'All  Sär  dem  Nazarener  entgegnet  hatte,  er  solle  nur  allein  essen,  da  meinte 
dieser  zu  ihm:  'Mein  Sohn!  Die  Weisen  haben  gesagt:  Wer  mit  seinem  Gast  nicht  ißt,  der 
ist  kein  anständiger  Mann' -),  so  daß  'Ali  Sär  sich  gezwungen  sah,  sich  niederzusetzen  und 
mit  ihm  zu  essen.« 

Die  hohe  Bewertung  der  Gastfreundschaft  und  der  darr.us  sich 
ergebenden  Pflichten  brachte  es  mit  sich,  daß  man  oft  gröblichen  Aus- 
nutzungen derselben  gegenüber  ein  Auge  zudrückte,  wie  z.  B.  in  der 
Geschichte  H.  18/181  f.  =  H.  6/32  ff.  =  3/299  [Episode  aus  As'ad  und 
Amg-ad],  wo  der  fremde  Eindringling  und  der  Hausherr  ihre  Rollen 
tauschen,  oder  in  den  Geschichten,  in  denen  die  »Tufaili's  3)  «[Schmarotzer] 
die  Spezialität  ihrer  Zunft,  nämlich  uneingeladen  Gastfreundschaft  zu 
»schinden«,  praktizierten. 

Neben  der  Gastfreundschaft  finden  sich  noch  manche  andere  Züge 
im  islamischen  Volksleben,  die  wir  als  Äußerungen  der  Humanität 
betrachten  können,  so  die  Fürsorge  für  die  Bedürftigen  und  Schw^achen, 
für  die  Kranken  und  Irren,  die  Gefangenen,  ja  selbst  gelegentlich  für, 
die  Tiere  4).  Da  die  Armenpflege,  wenigstens  zum  Teil,  Gegenstand 
der  offiziellen  Gesetzgebung  ist  [sekdt;  sadaqa],  so  will  ich  mich  zunächst 

0  Vgl.  auch  SociN  »Zum  arab.  Dialekt  von  Marokko«  191  Mitte;  Stumme,  Tun.  63 
Mitte,  74  oben. 

*)  Ebenso  Stumme,  Tun.  125  Mitte:  »Wer  ein  Essen  auftragen  läßt  und  nicht  mit 
seinen  Gästen  speist,  aer  ist  ein  Bastard«;  ähnlich  auch  Meissner,  »Neuarabische  Ge- 
schichten aus  Tanger«  Nr.  VI  Anfang. 

3)  H.  6/180  ult.;  H,  16/109  u.;  H.  19/93  f-;  vgl.  Lane  289  (chapter  XIII:  Charaäer), 
wo  eine  Anekdote  von  zwei  Tufaili's;   Kremer  2/201  ff. 

4)  Von  letzterer  ist  allerdings  in  looi  Nacht  kaum  die  Rede;  vgl.  allenfalls  H.  4/167  ob.  ^ 
Im  übrigen  siehe  Lane  284  u.  Was  Lane  285  u.  von  Cairo  sagt:  »In  every  district  of  this  city 
are  many  small  throughs,  which  are  daily  replenished  with  water  for  the  dogs  usw.«,  trifft 
auch  für  andere  Städte,  z.  B.  Konstantinopel,  zu,  wo  in  die  Steinfliesen  von  Moscheehöfen, 
Gräbern  usw.  kleine  Vertiefungen  zum  Ansammeln  (bzw.  Anfüllen)  von  Wasser  eingelassen 
sind  (bes.  für  die  Singvögel).  ^  Bekanntlich  ist  im  Islam  das  Töten  von  Tieren  außer  zwei 
Kategorien  (nämlich  den  zur  Nahrung  dienenden  und  den  schädlichen)  nicht  gestattet 
[ein  orthodoxer  Muslim  könnte  sich  also  kaum  Käfer-,  Schmetterlingssammlungen  usw. 
zulegen].  Zu  welcher  Inhumanität  diese  Überhumanität  führen  kann,  hat  seinerzeit  die 
Wegführung  der  Hunde  und  ihr  Verhungernlassen  auf  der  Marmarainsel  gezeigt.  — •  Auch 
die  Vivisektion  wird  vom  orthodoxen  Standpunkt  aus  scharf  bekämpft. 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht.  63 

nur  auf  die  Fürsorge  für  die  Kranken  und  Irren  beschränken.  »Als 
Begründer  des  ersten  Spitals  [ich  zitiere  Kremer  2/482]  nennt  ein 
nicht  ganz  verläßHcher  Berichterstatter  den  Chahfen  Wehd  I.  In 
Baedad  scheinen  solche  schon  früh  bestanden  zu  haben.  Die  Bujiden 
.....  errichteten  gleichfalls  Spitäler  in  der  Hauptstadt.  In  andern 
Städten  ward  dies  Beispiel  nachgeahmt.«  In  den  Erzählungen  der 
lOOl  Nacht  wird  ein  Hospital  in  Damaskus  [H.  2/42  ob.  =  2/187/8  ^), 
H.  3/70  u.  (im  Roman  von  ''Omar  en-No'mdn)]  und  eines  in  Bagdad 
H.  2/181  u.,  182  =  5(20 — 21)  -)  erwähnt.  Eine  sonderlich  hohe  Meinung 
scheint  man  allerdings  von  diesen  Instituten  nicht  gehabt  zu  haben, 
wenn  man  nach  der  Stelle  H.  2/182  =  5/21  [in  der  Geschichte  vom 
Ghänem]  urteilen  darf,  wo  es  heißt: 

»Als  der  Marktvorsteher  (den)  Ghänem  in  seinena  elenden  Zustand  gewahrte,  sagte  er 
zu  sich:  'Ich  will.mir  an  diesem  Unglücklichen  das  Paradies  verdienen  [d.  h.  ihn  bei  mir  auf- 
nehmen]; denn  wenn  sie  ihn  ins  Spital  schaffen,  so  bringen  sie  ihn  dort  in  Einem  Tage  um.'« 

Die  Behandlung  der  Irren  war  eine  unterschiedliche,  die  sich  ganz 
nach  dem  Ausdruck  dieser  Krankheit  zu  richten  pflegte.  Harmlose 
Individuen  ließ  man  meist  frei  umherlaufen,  ohne  an  ihren  Extravaganzen 
Anstoß  zu  nehmen.  Da  nach  dem  Glauben,  der  im  Orient  gang  und 
gäbe  ist,  Irrsinnige  häufig  als  halbe  Heilige  betrachtet  wurden,  so  ließ 
man  ihre  Absonderlichkeiten  widerspruchslos  durchgehen,  selbst  wenn 
diese  gegen  die  übliche  Landessitte  in  gröblichster  Form  verstießen. 
So  ist  es  ear  nichts  Seltenes  und  wird  auch  vielerseits  berichtet,  daß 
Geistesgestörte  vollständig  nackt  durch  die  Straßen  gehen  [vgl.  Lane 
228,  Lane-Poole"63  u.,  65  Mitte,  Zabel,  Marokko  297];  deshalb  wird 
auch  der  bis  auf  die  Haut  ausgeplünderte  moqaddem  [H.  19/70  = 
11/347  ult.:  Geschichte  des  dritten  Polizeisergeanten],  der  sich  nach  dem 
mißglückten  Liebesabenteuer  fast  nackt  aus  dem  Staube  zu  machen 
beginnt,  als   )}meg-nün<(  betrachtet: 

»Als  ich  so«  (erzählt  der  Betroffene)  »nur  mit  Bedeckung  der  Scham  allein  aus  der 
Haustür  trat  und  zu  laufen  anfing,  da  sammelte  sich  Groß  und  Klein  hinter^iir  drein,  indem 
man  zu  schreien  anhub:  'Ein  Verrückter,  ein  Verrückter!'  usw.«  [11/348/1]. 

Während  man  so  die  harmlosen  Geisteskranken  durch  ein  laisser- 
faire  recht  glimpflich  behandelte,  wurde  mit  sonstigen  Irren  meist 
nicht  so  human  umgegangen.  Wenn  man  solche  in  Marokko  (Aubin 
250)  durch  Musik  zu  heilen  (oder  wenigstens  zu  beruhigen)  versuchte  3)  — 


1)  Das  Wort   /  i^/ij  ist  hier  aus  dem  Zusammenhang  zu  ergänzen. 

^)  Zur  Erbauung  von  Spitälern  in  Kairo  vid.  MuiR  41   Mitte;  ibid.   136. 

3)  Dazu  ist  wohl  auch  Vuilt.er  66  zu  vergleichen:  »Dans  les  cas  de  derange- 
ment  cerebral,  il  est  d'usage  constant  chez  les  Musulmans  de  Tunisie,  aussi  bien 
que  chez  les  israelites,  de  conjurer  la  demonialite  en  appelant  dans  la 
maison  un  orchestre  oü  domine  le  :»rebab«,  sorte  de  violon  a  long  manche;  usw.« 


64  O.  Rescher, 

auch  Jacob  berichtet  im  »Islam«  III/367  von  einer  analogen  Verfügung 
durch  Bayezid  II.  — ,  so  war  solch'  eine  schonende  Behandlung  die  Aus- 
nahme; die  Regel  aber  scheint  eine  harte  und  oft  rohe  ge"uesen  zu  sein 
(H.   18/19  u.  =4/161/7): 

(»Als  die  Leute  hörten,  wie  Abu  '1-Hasan  Chalife  zu  sein  behauptete,  da  schleppten 
sie  ihn  ins  Spital  ....  und)  als  der  Spitalaufseher  das  gleiche  aus  dem  Munde  des  A.bu 
*1-Hasan  hörte,  da  rief  er:  'Du  lügst,  du  ganz  unglückseliger  Narr!'  Darauf  zog  er  ihm  die 
Kleider  vom  Leibe,  hing  um  seinen  H^ls  eine  schwere  Kette,  band  ihn  an  ein  hohes  Gitter- 
fenster und  gab  ihm  zehn  Tage  lang  morgens  und  abends  je  eine  Tracht  Prügel.« 

Die  Anlegung  von  Ketten  ist  ganz  gewöhnlich  [H.  23/34,  H.  5/152/I 
=  3/217/2,  Ibn  Gubair  283/16];  bisweilen  wird  auch  den  Irren  mit 
Beschwörungen  [Exorzismus]  zugesetzt  zur  Vertreibung  der  Geister 
^[Dschinn],  von  denen  sie  besessen  sein  sollten,  und  zu  diesem  Behuf 
werden  die  Geisteskranken  [vielleicht  dann  auch  noch  wegen  der  dicken 
Mauern]  in  Klöster  eingesperrt  [H.  '8/95  ob.  =  8/270  ult. :  »Heraklius- 
kloster«;  vgl.  auch  Naumann  192  Mitte,  Hamad.  Üb.  158  Note  il. 
Was  die  Humanität  gegen  Bedürftige  und  Gefangene  anlangt, 
so  pflegten  allgemeine  Speisungen  oder  Beschenkungen,  Amnestieerlasse 
und  dergl.,  gewöhnlich  bei  feierlichen  Gelegenheiten,  als  da  sind:  Thron- 
besteigung eines  Fürsten,  Vermählung  eines  solchen,  Beschneidung  der 
Prinzen  oder  anläßlich  politischer  Ereignisse,  eklatanter  Siege  usw.  statt- 
zufinden.    So  heißt  es  z.B.  H.   19/167  Mitte  =  12/80 — 81: 

»Als  die  Nachricht  von  der  Eroberung  Choräsäns  bei  dem  Chalifen  Harun  einlief, 
da  befahl  er  in  seiner  Freude,  Bagdad  zu  schmücken,  die  Gefangenen  freizulassen  und 
jedem  einzelnen  von  ihnen  einen  Dinar  und  ein  Gew^and  einzuhändigen.« 

Im  übrigen  finden  sich  solche  Stellen  so  zahllos  in  lOOi  Nacht,  daß 
sie  geradezu  als  stereotyp  zu  betrachten  sind;  ich  begnüge  mich  daher 
nur  mit  einer  kurzen  Zusammenstellung  der  Zitate  [11/266  paen., 
12/236/4,  10/71/5,  H.  19/29  u.,  H.  7/73  ult.  =  7/295/13,  6/340  ult., 
3/231/1,  H.  5/178,  H.  18/120  ob.,  H.  17/174]-  —  Eine  erläuternde  Be- 
merkung zu  Obigem  dürfte  übrigens  vielleicht  nicht  ganz  überflüssig 
sein,  nämlich  daß  Werke  der  Humanität  ^)  [die  natürlich  bloß  im  Ver- 
kehr der  Muslims  untereinander  in  Frage  kommen]  zumeist  nicht  sowohl 
aus  reiner  Barmherzigkeit  als  vielmehr  in  Hinsicht  auf  religiös-egoisti- 
sche Zwecke  (d.  h.  in  der  Hoffnung  auf  dereinstige  Anrechnung  und 
Wiedervergeltung)  ausgeübt  zu  werden  pflegten;  vgl.  H.  2/181  = 
5/21/8,  H.  18/188  =  11/193/8,  wo  es  heißt:  »Ich  will  mir  das  Paradies 
an  diesem  Unglücklichen  verdienen  (indem  ich  ihm  zuhilf e  komme)« 
bzw.    »Ich  habe  dieses  Weib  hierher  gebracht,    in   der  Begierde  nach 


»)  Verschiedentliche  Notizen  über  »Inhumanität«  sollen  im  folgenden  noch  gegeben 
werden  [Z.B.  »Intoleranz«  im  Kapitel  über  »Rassetypen«,  Anwendung  der  Folter  in 
der  Handhabung  der  Justiz  u.  a.  m.]. 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht.  65 


Gottes  Lohn  [^^!     ^s   IxaIId],  wozu  man  Lane  284  vergleiche:  Bene- 
volence  and  charity  to  the  poor  are  virtues  which  the  Egyptians  possess 

in  an  eminent  degree but  from  their  own  profession  it  appears 

that  they  are  as  much  excited  to  the  giving  of  alms  by  the  expectation 
of  enjoying  corresponding  rewards  in  heaven,  as  by  pity  for  the  distresses 
of  their  fellow-creatures,  or  an  desinterested  wish  to  do  the  will  of  God.« 
Nachdem  wir  so  verschiedene  Einzelheiten  der  öffentlichen 
Fürsorge  behandelt  hatten,  kommen  wir  auf  den  weitaus  wichtigsten 
Punkt  derselben,  nämlich  auf  das  Gebiet  der  öffentlichen  Sicher- 
heit, zu  sprechen.  Aber  vorher  scheint  es  nötig,  noch  einen  Blick  auf 
die  Bedingungen  zu  werfen,  unter  denen  Staat  und  Gesetz  sich  Geltung 
zu  verschaffen  suchten.  Die  Autorität  des  Chalifen  dürfen  wir  uns  doch 
wohl  auch  in  der  Blütezeit  des  moslemischen  Imperiums  als  keine 
absolute  denken.  So  wenig  der  römisch-deutsche  Kaiser  im  Mittelalter 
—  trotz  des  räumlich  viel  beschränkteren  Gebiets  —  all'  die  Frevler 
gegen  den  Landfrieden,  vor  allem  die  mächtigen  Raubrittergeschlechter, 
seinen  Befehlen  gegenüber  gefügig  machen  konnte,  ebensowenig  [oder 
noch  weniger]  vermochte  es  der  Chalife,  all'  die  Häuptlinge  der  Ge- 
birgs-  und  Wüstenstämme,  vor  allem  Beduinen  und  Kurden,  im  Zaum 
zu  halten,  deren  Keckheit  natürlich  dann  auch  wieder  in  dem  Maße 
wuchs,  als  das  Chalifat  im  Lauf,  der  geschichtlichen  Entwicklung  von 
seiner  Machtstellung  verlor.  Dieser  Zustand  dauerte  ja  schließlich 
auch  noch  in  der  Osmanenherrschaft  bis  auf  die  Gegenwart  herein  trotz 
strafferer  Zentralisation  und  größerer  Überlegenheit  an  technischen 
Hilfsmitteln  fast  unverändert  fort.  —  Deshalb  bilden  die  Erzählungen 
von  den  Räubereien  der  Beduinen  so  alltägliche  Episoden  in  den  Ge- 
schichten von  lOOi  Nacht,  daß  sie  fast  ein  stereotypes  Thema  bilden 
[H.  6/105  paen.,  H.  2/99  Mitte,  H.  17/13,  HN.  254  Mitte,  H.  3/79  u., 
H.  12/100  Mitte,  H.  4/187  ob.].  Neben  der  Wegelagerei  auf  dem  platten 
Lande,  der  Steppe  und  Wüste,  war  die  von  ganzen  Banden  organisierte 
Räuberei  auch  in  den  großen  Städten,  Bagdad,  später  Kairo,  heimisch. 
Daß  die  Weltstadt  Bagdad  ein  »Sp  i  tzb  üb  enkl  i  ma«  besaß,  dürfte 
wohl  nicht  nur  eine  Fiktion  der  lOOi  Nacht  gewesen  sein,  wenn  wir 
z.  B.   (9/260/2  =  H.   12/102  u.)  lesen: 

»Dieses  Bagdad  ist  der  Sitz  des  Chalifats;  in  ihm  gibt  es  der  Gauner  die  Menge,  und 
die  Spitzbüberei  ')  schießt  hier  wie  das  Kraut  aus  dem  Boden  auf.« 

Der   große   Verdienst,    den    die   Kaufleute   in   der  Stadt   fanden 


')  Das    »w-^t;«    9/260/2    ist  kaum  richtig;    Macnaghten    III/452/5    liest    s^LIiAJi 


"J 


parallel  dem  vorausgehenden    iL^.  —  Z.  Ausdr.    «jljou  jlLXi»    cfr.   das  A'.  Bagdad 
(  Keller)    Iva/a,     Ins  Humorvolle   gewandt  vgl.  dazu  die  Streiche  der    »Delila«. 


IX. 


66  O.  Re  scher, 

[H.  6/90  ob.  =  7/56  ult.:  »Dort  gewinnt  man  an  jeder  Ware  das  Dop- 
pelte (d.h.  100%);  ebenso  4/366/12  =  H.  2/154  Mitte  ,  lockte  hinter 
ihnen  das  Verbrechergesindel  her,  das  lohnend  Gewerbe  und  zugleich 
genug  Schlupfwinkel  fand,  um  sich  dem  Arm  der  Gerechtigkeit  zu  ent- 
ziehen [vgl.  z.  B.  die  Episode  in  der  Geschichte  von  ^Ali  Bekkdr  und 
Semsennahdr:  H.  5/94  =  3/33/14  ff.J.  Noch  gefährlicher  als  die  ein- 
fachen Diebes-  und  Räuberbanden  waren  die  Gesellen,  die  durch  wirk- 
liche oder  auch  fiktive  Prostitution  ihre  Opfer  ins  Garn  lockten,  um 
sie  dann  in  der  Todesfalle  kaltblütig  zu  ermorden  und  auszurauben. 
Ähnliche  Verhältnisse  finden  wir  in  den  späteren  Erzählungen  aus  dem 
Großstadtleben  Kairos;  vgl.  vor  allem  die  schreckliche  Geschichte 
H.  19/77  =  11/361  [Bericht des 8.  [Text:  7]  Moqaddem)  ^);  ziemlich  nahe 
steht  dieser  die  Erzählung  des  2.  Bruders  des  Barbiers  [H.  2/90  fi.  = 
2/226  ff.),  die  auf  ähnlichen  Voraussetzungen  aufgebaut  ist.  Harmloser 
dagegen  ist  die  Skizze  (H.  19/67  =  11/342  ff.),  wo  die  Hochstaplerin 
sich  mit  der  vollständigen  Ausplünderung  des  Vogels,  der  in  ihre  Netze 
gegangen  ist,  begnügt.  —  Andere  Tricks  der  Verbrecher  bestanden  in 
der  Anfertigung  von  Falltüren  in  Garküchen  usw.,  bei  deren  Betreten 
den  betreffenden  der  Boden  unter  den  Füßen  schwand  und  sie  selbst 
in  die  Tiefe  stürzten  (H.  24/98  Mitte:  Die  drei  Prinzen  von  China  2)).  — 
Nicht  selten  war  es  übrigens,  daß  Polizei  und  Spitzbube  unter  einer 
Decke  steckten,  und  noch  häufiger,  daß  man  den  Teufel  mit  Beelzebub 
austrieb,  d.  h.  Verbrecher  selbst  in  die  Polizei  einreihte  (H.  19/97  '-i-  = 
11/396  paen.:  Bericht  des  75.  Moqaddem)  3);  vgl.  auch  H.  18/120  u.  =  , 
6/342/5  sowie  die  Bemerkung  Leonhard's:  »Als  Kuriosum  sei  erw'ähnt, 
daß  man  nach  dem  schönen  Grundsatz,  den  Räuber  zum  Polizisten 
zu  machen  4),  viele  Leute  von  Karaschehir  als  Zollbeamte  und  Regie- 
wächter angestellt  hat.« 

Wenn  es  auch  Pflicht  der  Polizei  war,  zweifelhafte  Orte  auszu- 
heben, wo  man  sich  in  der  Nacht  noch  ausgelassen  amüsierte  (:  Fik- 
tive Erzählung  1/175/10,  fehlt  H.  1/83  ob.),  so  verschmähte  sie  es 
doch   nicht,   selbst  Wein-   und  Animierkneipen  unter  ihren  Schutz  zu 


')  Eine  ähnliche  Geschichte  bei  White  3/66  ff.;  in  der  Erinnerung  ist  noch  die  Sache 
von  dem  spanischen  Hauptmann  in  Madrid,  der  seine  Opfer  sich  durch  die  Mithilfe  seiner 
eigenen  Tochter  zuführen  ließ  und  dann  umbrachte. 

^)  Die  Verlegung  der  Szene  nach  China  ist,  wie  so  oft  anderweitig  (z.  B.  'Aladdin  usw.), 
nur  eine  fiktiv-äußerliche.  Das  gleiche  Motiv  findet  sich  auch  bei  Lüderitz,  »Marokkanische 
Sprichwörter«  MSOS.  II  (1899)  S.  35  unten  f. 

3)  Es  ist  dies  die  Erzählung  von  dem  Frankolin  und  dem  ermordeten  Reisenden,  ein 
Pendant  zu  den   »Kranichen  des  Ibykus«. 

4)  Vgl.  auch  Lane  119  (chapter  IV  Government):  Many  of  them  (i.e.  the  olficers 
of  the  Zäbit,  the  chief  of  the  police)  are  pardoned  thieves. 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht.  67 

nehmen  (9/238/13,  fehlt  H.  12/88/6  u.),  vorausgesetzt,  daß  dabei  etwas 
für  sie  selbst  abfiel.  Die  niederen  Organe  ihrerseits  waren  stets 
geneigt,  alle  Lumpereien  äl'amiable  zu  schlichten,  wenn 
man    ihnen    etwas    in    die    Hand    drückte   (Bäsim  Üb.  30): 

»j'allais  ainsi  en  tourrant  le  nez  partout  et  toutes  les  fois  que  je  voyais  une  rixe 

je  m'y  faufUais  avec  mon  bäton  en  me  presentant  d'autorite De  cette  fagon  j'ai 

assiste  ä  quatre  rixes,   et  l'on  m'a  donne  mes  pourboires«  usw.; 
ibd.   31: 

»Tout  le  monde  s'en  rejouit  [nämlich  über  das  öffentlich  verkündete  Verbot  des 
Chalifen  betreffs  unberechtigter  Einmischung  der  niederen  Polizeiorgane  in  Streitsachen] 
et  dit:  Le  Khalif  a  bien  fait;  tous  ces  gendarmes-lä  ne  se  contentent  plus  ni  de  peu  ni  de 
beaucoup.  Ils  se  sont  rais  ä  piller  les  gens  ouvertement  sans  que  personne  ose  souffler 
mot et  les  langues  deblataient  contre  les  gendarmes  un  tas  de  vilaines  choses«; 

ibid.  36 — 37/2),  und  um  sich  gehörig  »schmieren«  zu  lassen, 
drückte  die  Polizei  auch  gern  mal  ein  Auge  zu  (H.  19/71 — 72 
=  11/351/8,  H.  19/66  =  11/341/11).  Deshalb  konnte  man  auch  ziemlich 
sicher  sein,  mit  Geld  sich  aus  einer  mißlichen  Lage  retten  zu  können  ^) 
(H.  2/83  -=2/283/9): 

»Dann  nahm  man«  — •  erzählt  der  Barbier  — •  »meinem  Bruder  alles  weg ver- 
bannte ihn  und,  wäre  nicht  sein  vieles  Geld  gewesen,  so  hätte  man  ihn  auch  noch  getötet. 
So  aber  vermochte  er  die  andern  mit  seinem  Gut  zu  bestechen  \bartalahu7>i\  und  damit 
sein  Leben  wenigstens  zu  retten,  aber  sonst  auch  weiter  nichts « 

H.    19/64  paen.  =  1 1/338/2   [Bericht  des  i.  Moqaddem): 

»Als  der  ^ädi  diese  Wendung  der  Affäre  sah,  da  zahlte  er  eine  gehörige  Summe  Geldes 
an  uns  [d.  h.  die  Polizeiorgane],  so  daß  wir  ihm  dies  »Feuer«  auslöschten  [d.  h.  die  Ge- 
schichte vertuschten].« 

Es  gehörte  zu  der  Aufgabe  der  Polizei,  durch  nächtliche  Pa- 
trouillen-) sich  von  der  Ruhe  und  Sicherheit  der  Stadtviertel  zu  ver- 
gewissern; einige  Zeit  nach  Sonnenuntergang  pflegt  ja  auch  (mit  Aus- 
nahme des  Ramadäns)  das  Straßenleben  so  gut  wie  völlig  aufzuhören, 
da  jedermann  in  sein  Haus  sich  zurückzieht.  Deshalb  war  es  auch  nicht 
unbedenklich,  nachts  —  besonders  zu  später  Stunde  —  sich  noch 
umherzutreiben,  da  man  eben  den  Argwohn  der  Nachtrunden  erregen 
und  festgenommen  werden  konnte  [1/175  ult.  f.,  fehlt  H.  1/83  ob., 
H.  19/161  u.  =  12/67/1  ff.,  HN,  260  u.,  H.  22/146  u.,  Stumme,  Tun.  90 
Mitte].  —  Aber  auch  die  persönliche  Sicherheit  im  eigenen 
Hause  (eines  der  Grundprinzipien  des  ursprünglichen  Islam)  ward 
durch  den  Absolutismus  der  späteren  Zeit  mehr  oder  weniger  illusorisch 
gemacht,  da  die  Häscher  und  Büttel  sich  nicht  scheuten,  auf  höheren 


')  Vgl.  auch  Lane  1190b.:  »The  married  women  are  sometimes  privately  put  to 
death  [nämlich  bei  evidenter  Feststellung  einer  sittlichen  Verfehlung],  if  they  cannot  by 
bribery  or  some  other  artihce,  save  themselves.« 

-)  Lane  119  Mitte;   H.   19/59/3  =  11/326/10. 

5* 


68  O.  Rescher, 

Befehl,  ja  bisweilen  auch  eigenmächtig,  Tür  und  Tor  der  Behausungen 
zu  sprengen  und  sich  den  Eingang  zu  erzwingen  [H.  2/123  Mitte,  125  ob. 
=  3/IIO/9,   12/66/3  =  H.   19/161  ob.,  H.  6/125  u.  =  7/110/3: 

»Darauf  bekam  Ahmed  Kumäkim  einen  'Fermän'  ausgestellt,  mit  Gewalt  in  die 
Häuser  eindringen  und  Haussuchungen  abhalten  zu  dürfen«; 

H.   14/20  Mitte  =  6/13  ult.  f.: 

»Da  sagte  Zobeida  zu  Mesrür:  'Nimm  diese(n)  Schlüssel,  geh'  in  der  Alten  Haus, 
öffne  es,  dring'  in  die  (Kleider-)  Kammer  ein,  zerschlag'  die  Tür,  heb'  den  Fußboden  aus, 
bring'  die  Kiste  zum  Vorschein,  brich  sie  aui  und  schaff'  ihren  Inhalt  eilends  her!«;  Bäsim 
tlb.  49  paen.]. 

Was  die  Justizhandhabung  selbst  betraf,  so  verfuhr  man  trotz 
mancher  Unregelmäßigkeiten,  die  die  Praxis  mit  sich  brachte,  doch  im 
großen  ganzen  im  wesentlichen  nach  dem  vom  islamischen  Recht  vor- 
geschriebenen Prinzip,  das  die  Art  und  Differenzierung  der  Strafen 
angab;  daß  sich  dabei  im  Lauf  der  Jahrhunderte  manche  Modifika- 
tionen der  ursprünglichen  Bestimmungen  einbürgerten  [z.  B.  Er- 
tränkung  statt  Steinigung  bei  Ehebruch  i),  vgl.  H.  19/189  ob.  =  12/408 
paen.l,  konnte  auch  der  Konservativismus  der  islamischen  Anschauun- 
gen natürlich  nicht  ganz  verhindern.  Die  hauptsächlichsten 
Strafen  bestanden  in  körperlichen  Züchtigungen  [Auspeitschung, 
Verstümmelung],  Verbannung,  Zwangsarbeit,  öffentlicher 
Umherführung  in  verkehrter  Haltung  auf  einem  Kamel 
oder  Esel  [\yas  beiläufig  gesagt  ungefähr  unserem  mittelalterlichen 
»An-den-Pranger-stellen «  entsprach],  Gefängnis  oder  Todes- 
strafe, welch'  letztere  durch  Enthauptung  oder  ■ —  bei  gemeinen. 
Verbrechen  oder  politischer  Rebellion  —  durch  Aufhängen  vollzogen 
ward.  —  Die  Körperstrafen  konnten  in  einer  beliebig  hohen  Zahl 
von  Stockschlägen  oder  Peitschenstreichen  verhängt  werden, 
obw'ohl  eigentlich  auch  hier  durch  das  Gesetz,  wenn  zur  Anwendung 
gebracht,  gewisse  Grenzen  gegeben  gewesen  wären  [ico  Streiche: 
2/273  paen.  -  H.  2/85/7,  7/1/0/6,  2/266/6,  2/285  paen.,  7;3o8/i4;  300 
Streiche:  2/279  paen.  =  H.  2/80  u.;  400  Streiche:  2/278/9-);  500 
Streiche:  2/283/7  =  H.  2/83/9,  HN.  263/5,  ibid.  259  u.  usw.].  —  Die 
Verstümmelung  bestand  im  Abhauen  der  rechten  Hand  im  Falle, 
daß    der  Wert    der    gestohlenen    Sache    einen    Mindestbetrag    [»^»j'L;>.ij« 

7/223/10,   d.  h.   ein  Gegenstand  oder  Bargeld  im  Wert  eines  Viertel- 


')  Lane  300  (chapter  XIII:  Character):  Drowning  is  the  punishment  now  almost 
always  infli'cted,  publicly,  upon  women  convicted  of  adultery  in  Cairo  and  other  large 
towns  of  Egypt  instead  of  that  ordained  by  the  law,  which  is  stoning. 

^)  Diese  Zahl  paßt  allerdings  nicht  in  den  Zusammenhang;  sie  fehlt  auch  bei 
H.  2/79/4  u. 


Studien  über  den  Inhalt  von   loor   Nacht. 


69 


Dinars]  überschritt.  Die  Justiz  pflegte  in  Evidenzfällen  [Geständnis 
oder  hinlängliche  Zeugenaussagen]  gewöhnlich  auch  sehr  prompt  zu 
arbeiten  (H.  2/25  u.  =  2/160/4,  H.  2/48  =  2/202/3  u.),  ausgenommen, 
so  man  durch  Bestechung  die  Sache  arrangieren  konnte  [vgl.  Grothe, 
»Wanderungen  in  Persien«  167: 

Bastonade  und  Ohrabschneiden  sind  in  Persien  beliebte  Strafprozeduren.  Jedoch 
nur  bei  den  allerärmsten  Teufeln  wird  die  Strafe  in  ihrer  ganzen  Schwere  vollzogen.  Wer 
mit  dem  Vollstrecker  derselben  sich  mit  Hilfe  einiger  Tomans  auf  guten  Fuß  zu  stellen 
weiß,  der  wird  erreichen,  daß  die  Stockschläge  äußerst  sanft  seine  Fußsohlen  treffen  und 
das  Messer  statt  eines  ganzen  Ohrs  nur  ein  schmales  Stückchen  vom  Ohrläppchen  trennt; 
vgl.  auch  noch  H.  2/83/1 1  =2/283/9,  welch'  letztere  Originalstelle  deutlicher]. 

Nicht  so  häufig,  aber  doch  auch  nicht  selten  war  die  Strafe  der 
Verbannung;  in  den  Geschichten  von  den  sechs  Brüdern  des  Barbiers 
findet  sie  sich  durchgehends  (H.  2/73  Mitte,  2/77  Mitte  =  2/273  ult., 
H.  2/94,  H.  2/100]  ^).  —  Sehr  häufig  dagegen  ist  eine  Strafe,  die  (wie 
bereits  erwähnt)  unserem  »An-dem-Pranger-stehen«  entspricht,  nämlich 
die  öffentliche  Paradierung  von  Verbrechern,  die  man  ritt- 
lings auf  einem  Esel  oder  Kamel  sitzend  und  auf  lächer- 
liche Weise  ausstaffiert  dem  Spott  und  Hohn  des  Pöbels  preisgab; 
häufig  ging  diese  Strafe  auch  der  Hinrichtung  voraus.  Auch  politische 
Vergehen  wurden  auf  diese  Art  geahndet  [Kremer  2/91  : 

»Die  gefangen  genommenen  feindlichen  Häuptlinge  oder  Empörer  wurden  umgekehrt 
sitzend  auf  Kamelen,  namentlich  zweihöckrigen  baktrischen,  auf  Elefanten  oder  Eseln 
durch  die  Stadt  geführt,  um  dann  hingerichtet  zu  werden,  worauf  der  Leichnam  gewöhnlich 
an   dem  auf  der  großen  Tigrisbrücke  befindlichen  Galgen  oft  jahrelang  hängen  blieb.«] 

Die  Stellen  in  lOOi  Nacht  sind  so  zahlreich,  daß  ich  mich  mit  einer 
bloßen  Anführung  der  Zitate  begnügen  muß  [2/266/7  =  H.  2/73  Mitte, 
2/285  ult.  ==  H.  2/85  ob.,  3/159/2  =  H.  2/149  u.,  H.  19/83  u.  -  11/373/6,' 

H.  4/198  ob.,  H.  14/179  u.  =  10/180/10  i^j,^^^-)),  H.  23/58  Mitte, 
HN.  259  u.,  HN.  263  ob.,  HN.  275  u.  —  Vgl.liuch  Zabel,  »Marokko« 
^■75- 

»Der  Verurteilte  wurde  rücklings  auf  einen  Esel  gesetzt  und  mit  blutendem  Rücken 
durch  die  Straßen  der  Stadt  geführt«; 

ferner  Dane  108  (chapter  HI:  The  Wahhdbbees):  »I  once  saw  a  woman 
paraded  through  the  streets  of  Cairo  and  afterwards  taken  down  to 
the  Nile  to  be  drowned,  for  having  apostatized  from  the  faith  of  Mo- 
hammad and  having  married  a  Christian.«  —  Wetzstein,  »Die  Lieben- 
den  von  Amasia«  S.  143  Note  36: 

0  Vgl.  Lane  267  (chapter  XII:  Magic):   »The  magician  was  banished  from  Egypt. 

• Another  enchanter  (sa^här),  was  banished  a  few  days  atter,    for  wTiting  a  charm 

which  caused  a  Muslimeh  girl  to  be  affected  with  an  irresiitible  love  for  a  Copt  Christian.« 

=)  DozY,    Suppl.   1/186  col.  a  zur  Etymologie:-  »On    attachait  des  sonnettes  ^JJ..=>■ 
au  bonnet  haut  dont  on  couvrait  la  tete  du  criminel  qu'on  promenait  en  public.« 


70 


O.  Rescher, 


»Es  war  noch  bis  vor  wenigen  Jahren  eine  althergebrachte  Gewohnheit  in  Damaskus, 
einem  Verbrecher  (namentlich  einem  Meineidigen)  einen  Schafsmagen  auf  den  Kopf  zu 
stülpen  und  ihn  so  in  Begleitung  eines  Ausrufers,  der  sein  Verbrechen  öffentlich  bekannt 
machen  mußte,  durch  die  Straßen  zu  führen«; 

MuiR  41/1:  »For  example,  a  bandit  stretched  upon  a  cameis  back 
(a  punishment  we  begin  to  hear  too  much  of)  was  paraded  about  the 
city  streets  tili  he  died«;  vgl.  auch  Huart  2/137  usw.  i)]. 

Die  Gefängnisstrafen  hatten  (für  unsere  Anschauungen)  das 
Eigentümliche,  daß  sie  meist  auf  unbestimmte  Zeit  verhängt 
wurden  -).  Die  Gefangenen  waren  oft  noch  mit  Ketten  gefesselt,  auf 
denen  bisweilen  noch  Inschriften  (mit  Bezug  auf  die  Strafe)  ange- 
bracht waren  (7/103/2   »Geschichte  des  '■AW  eddin  abü  "s  Samdt<^]: 

»Da  befahl  der  Chalife,  ihn  in  Fesseln  zu  werfen,  und  ließ  darauf  folgende  Inschrift 
anbringen:  'Dauernd  bis  zum  Tode  und  ohne  Lösung  bis  auf  die  Bank  des  Leichenwäschers'«; 
vgl.  ferner  H.  2/146  ult.  =3/155/3,   H.   10/204. 

Keine  eigentliche  Strafe  im  gesetzlichen  Sinne,  die  jedoch  unter  den 
späterenVerhältnissen  gar  nicht  so  selten  war,  war  die  Plünderung, 
unter  Umständen  auch  vollständige  Demolierung  des  Hauses  [3/1 14/13  = 
H.  2/125/11]  eines,  der  sich  dem  Fürsten  aus  irgendeinem  Grunde  ver- 
dächtig oder  mißhebig  gemacht  hatte.  Daß  ein  solches  Vorgehen  dem 
absolutistischen  Charakter  der  mittelalterlichen  Islamstaaten  und 
keiner  Scheriatsbestimmung  entsprang,  ist  schon  daraus  ohne  weiteres 
ersichtlich,  daß  dergleichen  Gewalttätigkeiten  inszeniert  wurden,  bevor 
der  betreffende  (Angeklagte  oder  auch  nur  Verdächtigte)  seines  Ver- 
gehens überwiesen  und  rechtlich  abgeurteilt  wurde;  vgl.  z.  B.  H.  2/123  = 
3/110/9,  4/158/5  =  H.  18/18/10  (:  Der  erwachte  Schläfer),  öjiylQ  = 
H.  2/179  u.  (:  Ghänem),  H.  22/70  Mitte,  71  ob.,  H.  24/1003),  H.  22/142 
Alitte,  H.  23/79  Mitte,  H.  23/92  u.,  H.  6/46  u.  -  3/318/4,  H.  24/144  Mitte. 

Die  Einbringung  von  Verbrechern  wurde,  wenn  es  nich<- 
gelang,  des  betreffenden  in  flagranti  habhaft  zu  werden,  dadurch  be- 
trieben, da-ß  man  Preise  auf  ihre  Ergreifung  bzw.  Strafen  auf  ihre  Ver- 
steckung setzte  [H.  2/125  Mitte  =  3/115/5  ^■-  ^^r  eddin  'Ali  und  Enis 
el-gelis]  oder  eine  steckbriefliche  Verfolgung  einleitete  oder  endlich, 
soweit  es  sich  um  ganze  Banden  handelte,  den  einen  oder  andern  der 
Komphcen    durch    Zusicherung    der    Straflosigkeit  4)    oder   sogar   von 

1)  Ähnliche  Strafen  gab  es  auch  im  Abendlande;  vgl.  z.  B.  Anatole  France:  Uoyme 
du  mail  (Paris  1897)  S.  322  u.  a.  m. 

')  Ähnlich  wie  früher  die  Deportation  nach  Sibirien  aus  pohtischen  Gründen. 

3)  Vgl.   Chauvin  VI/74  u.  =  Note  3   zu  Nr.  239  daselbst. 

4)  Als  Unterpfand  gab  man  hierfür  ein  Taschentuch  oder  einen  Siegelring 
^ymendil  el-amdm;  vgl.  7/215/1  =  H.  6/207  ob.,  9/241/3  =  H.  12/90/5  u.,  91  ob.,  H.  2/94 
(Note),  ■  23/21/2,  H.  12/189/7  u.  (Chauvin  V/250/5  u.;  tibatem  el-amän«  2/278/12  (fehlt 
H.  2/80/1). 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht. 


n 


Vergünstigungen  [als  »Kronzeugen«]  zum  Sprechen  oder  auch  geradezu 
zur  unmittelbaren  Auslieferung  seiner  Spießgesellen  bewog;  vgl. 
7/159  f.  =  H.  6/161  f.  (wo  Ma*mün  einen  Preis  von  100  000  Dinar 
auf  die  Aufspürung  von  Ibrahim  b.  el-Mahdi  aussetzt);  H.  15/89  = 
10/41 1  [Nur  eddin  und  Mirjam,  die  Gürtelmacherin) ,  wo  Harun  Steck- 
briefe {f>fdli^dt«)  hinter  den  Flüchtigen  her  erläßt;  Geschichte  des  6. 
(bzw.  H.:  7.)  Moqaddem  (11/358  paen.  =  H.  19/76);  H.  19/95  f.  — 
Die  Aussagen  der  Beschuldigten  und  Verdächtigten  wurden  — 
ebenso  wie  bei  uns  im  Mittelalter  —  durch  Körperstrafen  [bzw.  Folter] 
erzwungen  ^),  d.  h.  durch  Peitschenhiebe,  Stockschläge  (Bastonade) 
usw\;  vgl.  H.  19/90  Mitte  =  ii/384ult.  und  385/1,  H.  1/160  (Fußnote), 
fehlt  1/356  ult.,  HN.  23/6,  Bas  im  Üb.  42/10  u.  {yyfalaqa«)  9/369/14, 
2/202/13  =  H,  2/48  ob.,  H.  19/191  =  12/412/6,  2/279/1 1  =  H.  2/80 
(Geschichte  des  dritten  Bruders  des  Barbiers,  in  der  der  Wäli  die  an- 
geblich, tatsächlich  aber  wirklich  Blinden  so  lange  verprügeln  lassen 
will,  bis  sie  die  Augen  öffnen),  H.  6/138  =  7/127/6  [:  ^Ald^  eddin  abü 
^s  Samdt]. 

Die  Hinrichtungen  erfolgten  gewöhnlich  durch  Enthaupten, 
bei  gemeinen  (manchmal  auch  politischen)  Verbrechen  durch  Erhängen. 
Um  ein  abschreckendes  Beispiel  zu  geben,  fand  das  Aufhängen  fast 
stets  in  der  Öffentlichkeit  statt  und  diente  zugleich  so  auch  zur  Volks- 
unterhaltung;  öffentliche  Ausrufer  gaben  überall  schon  vorher 
die  Exekution  bekannt,  so  daß  groß  und  klein  auf  den  bestimmten 
Platz  zur  festgesetzten  Zeit  zusammenzuströmen  pflegte  -).  Daß  das 
gewöhnliche  Volk  solche  Ereignisse  als  eine  »Gaudi«  betrachtete,  geht 

z.  B.  aus  1/353  paen.  =  H.   1/159  Mitte  hervor: 

»Da  befahl  der  Chalife  einera  Ausrufer,  in  den  Straßen  von  Bagdad  auszurufen:  'Wer 
sich  an  der  Aufhängung  des  VVezirs  Dscha'far  und  seiner  40  Vettern  aus  der  Barme  Ividen- 
familie  amüsieren  will,  der  komme  unter  das  Schloß  und  weide  sich  an  dem  Schauspiel!« 

Vgl.  weiter  H.  23/122  ob.,  H.  24/39  Mitte,  H.  22/150  u.,  H.  20/177  Mitte, 

(H.   2/9  u.),   (H.  6/36  ult.  =  3/304/5),  H.  2/147  =  3/156/7: 

»Ich  habe  die  Absicht«  (sagte  der  Wezir),  »in  der  Stadt  ausrufen  zii  lassen:  'Wer 
sich  an  der  Enthauptung  von  Nur  eddin  'Ali  erlustieren  will,  der  mög'  vor's  Schloß 
kommen,  damit  alle  Welt  daran  ihre   Kurzweil  habe' <•; 


')  Alte  Zeugnisse  dafür  z.  B.  Belädori  24/4  (beim  Kriegszug  gegen  Haibar);  ferner 
Genthe,  »Marokko«  2S5;  Grothe,  »Persienv,  in  Zur  Natur  und  Wirtschaji  von  Vorderasien 
(Frankfurt  191 1)  S.  45.  »Daß  mißliebig  gewordene  Großwürdenträger  und  Großkaufleute 
zum  Verrat  ihrer  Geldverstecke  durch  geradezu  bestialische  Folterungen  gezwungen  wurden^ 
ist  eine  noch  für  dieses  Jahrhundert  verbürgte  Tatsache.« 

^)  War  in  Konstantinopel  noch  bis  in  die  Tage  der  .letzten  Revolution  und  Gegen- 
revolution hinein  üblich.  Die  Delinquenten  wurden  an  einem  belebten  Platze  in  der 
Nähe  des  Kriegsministeriums  coram  orbi   et  urbi  exekutiert. 


y2  O,  Rescher, 

7/221/13: 

»Wer  sich  was  draus  macht,  der  Bestrafung  des  Räubers  N.  N.  und  dem  Abhauen 

seiner  Hand  beizuwohnen,  der  mög'  sich  an  dem  und  dem  Platz  (J>j?v^|      ^1     ,  »'n.-^JyJLS 
-j^^läjl)  morgen  einfinden.« 

Am  Fuß  des  Galgens  wurden  gewöhnlich  Wächter  postiert 
(um  ein  Abschneiden  des  Gekreuzigten  oder  Gehängten  zu  verhindern) ; 
vgl.  H.  12/84/4,  H.  7/135  ob.  =  7/389  ult.^) 

Typen  aus  dem  öffentlichen  Leben. 

Wenn  wir  hier  ans  vorhergehende  Kapitel  anknüpfen  wollen,  so 
müssen  wir  zuerst  auf  den  Wäli  zu  sprechen  kommen,  in  dessen  Hand 
die  Leitung  der  Sicherheitsorgane  lag  [vgl.  Lane  118  2)  (chapter  IV: 
Government)]  und  der  für  die  Ruhe  und  Ordnung  in  den  Städten  auch 
mehr  oder  weniger  direkt  verantwortlich  war.  Wie  schon  in  dem  Ab- 
schnitt über  die  öffentliche  Sicherheit  erwähnt  worden,  galten  all'  die 
Amtspersonen  (Wäli,  Radi,  Muhtasib  usw.)  im  allgemeinen  sämtlich 
für  mehr  oder  minder  bestechlich,  stets  geneigt,  um  materieller  Vorteile 
willen  das  Recht  zu  beugen.  So  heißt  es  z.  B.  H.  7/64  Mitte  =  7/282 
ult.: 

»Der  Nazarener  steckte  einen  Beutel  Gold  mit  1000  Dinar  ein,  um  ihn  gegebe- 
nenfalls als  Bestechungssumme  für  den  Wäli  bei  der  Hand  zu  haben«  [M//  Sar  und 
Zuviurrud\, 

Besonders  die  späteren  (ägyptischen)  Geschichten  betonen  —  mit 
einem  gewissen  verhaltenen  Sarkasmus  —  gern  die  unterschied- 
lichen Situationen  teils  komischen,  teils  peinlichen  Charakters,  in 
die  die  einzelnen  Polizei-  und  Zivilorgane  durch  ihre  Habgier  und 
Empfänglichkeit  für  klingende  Münze  verstrickt  erscheinen  [Chauvin 
Vn/138 — 141,  148 — 149:  La  Police  jouee],  vgl.  H.  7/13 1  ff.  =7/3840". 
[El-Melik  en-Ndsir  und  die  drei  Wdlzs],  H.  19/66  f.  =  11/339  f.  [Ge- 
schichte des  2.  Moqaddem],  H.  19/71  =  li/350f.  [Bericht  des  5.  hzw.  4. 
Moqaddem],  H.  24/139  Mitte  [Mohammed  es- Salabi]  3) .  Das  Charak- 
teristische in  all'  diesen  Geschichten  ist,  daß  von  selten  der  Obrigkeit 
Vergehen  aufgespürt  werden,  nicht  etwa  in  der  Absicht,  nach  dem 
Rechten  zu  sehen,  sondern  vielmehr  mit  dem  ausgesprochenen  Zweck, 
durch  die  erkaufte  Vertuschung  von  Unregelmäßigkeiten  solche  Fälle 
geschäftlich  auszubeuten  [vgl.  die  bereits  zitierten  Geschichten,  ferner 

')  Ebenso  in  Chamisso's   »Lied  von  der  Weibertretie«. 

^)  »He  [i.  e.  the  wäli]  was  charged  with  the  appreherision  of  thieves  and  other  crimi- 

nals  and  under  bis  Jurisdiction  were  the  public  womcn from  each  of  whom  he  exac- 

ted  a  tax.« 

3)   äalabi  =  Irk.   Celcbi. 


Studien  über  den  Inhalt  von    looi   Nacht.  nt. 

H.  19/64  ult.  =  ii/338/2f.  USW.,  auch  H.  12/89/11  =  9/238/13,  wo  die 
Zeinab,  der  verschlagenen  Delila  Tochter,  behauptet,  eine  Weintaverne 
unter  der  stillschweigenden  Protektion  des  Wäli  gehalten  zu  haben). 
Darum  auch  die  boshaften  Verse  (H.   15/24  ob.  =  10/265  paen.) : 


0                         C                    i 

Ü.JCLC      j    ^bCjSi^Jli    ^^JU2J     <5i- 

0                                                  ^ 

!     iL^J:^     ^     ^\j^  ^JuoJf     ^ 

»Für  die  Herrschenden  wär's  eine  heilige  Pflicht, 
So  lang's  ihnen  nicht  an  Rechtssinn  gebricht, 
Mit  Prügel  den  Muhtasib  zu  bedenken, 
Den  Wäli  jedoch  gleich  aufzuhenken. « 

Nicht  besser  als  der  Wäli  schneidet  im  großen  ganzen  der  Kadi 
ab,  der  häufig  die  Zielscheibe  für  den  sarkastischen  Hohn  witziger 
Köpfe  abgeben  muß  (Kremer  2/244)  •' 

»Als  in  Isfahän  ein  Elefant  für  Geld  gezeigt  ward,  meinte  ein  Versmacher:  »Zwei 
Dinge  bei  uns  in  Isfahän  erregen  Erstaunen,  der  Elefant  und  der  Kady,  weder  zu  demeinen 
noch  zu  dem  andern  hat  man  freien  Zutritt;  wer  den  Elefanten  sehen  will,  muß  dem  Wärter 
das  Eintrittsgeld  bezahlen;  wo  aber  ist  dein  Wärter,  oh  Kädy?«)  ');  vgl.  auch  H.  6/100/10  ^x. 

Von  weiteren  Typen,  die  in  lOOi  Nacht  des  öfteren  erwähnt  werden, 
wären  hauptsächlich  die  Schulmeister,  die  Barbiere  und  die 
Ärzte  zu  nennen.  Das  Charakteristikum  der  ersteren  ist  ihre  Be- 
schränktheit oder  auch  geradezu  Dummheit;  vgl.  dazu  den  (auf 
sie  gemünzten)  Vers  in  Ta*älibi's   >'>ahsan  md  samiHui^  S.   173: 

»Wie  könnte  man  Verstand  bei  einem  Menschen  finden, 
Der  nachts  bei  seiner  Frau  und  tags  bei  kleinen  Kindern?« 

Die  meisten  Geschichten,  die  Anekdoten  von  Schulmeistern 
bringen,  sind  eben  darauf  zugeschnitten,  ihre  Dummheit  oder  krasse 
Ignoranz  ans  Licht  zu  stellen  und  lächerlich  zu  machen  (vgl.  Chauvin 
Nr.   288  f.),  vgl.  8/243,   245   (246/2:  ji    ^.,.>^t    ^,j4.iü    ^,JJJ1    ^^ääjI 

JJic  *.gj  ^jH^  ^U^!),     247  =  Lane  62    (chapter  II:    early  education) 
=  H.  8/80." 

Anders  die  Barbiere,  die  zwar  gelegentlich  auch  als  beschränkt, 
aber  hauptsächlich  doch  als  geschwätzig  [Kremer  2/186  Mitte]  und 


I)  Im  übrigen  vgl.  wieder  Lane  115/1:  »In  general  the  Naib  and  Muftee  take  bribcs 
and  the  Kädee  receives  from  hisNa'ib.  On  some  occasions,  particularly  in  long  litigations, 
bribes  are  given  by  each,  party,  and  the  decision  is  awarded  in  favour  of  him  who  pays 
highest « [vgl.  auchCiROTHE,  f>Auf  türkischer  Erde«  S.  151/4]-  —  Lane  2S7  Note:  »A  Turk 
....  was  accused  before  the  Kädee  of  having  interred  his  dog  with  the  ceremonies  practised 
at  theburialof  a  Muslim,  and  escaped  punishment(perhaps  a  severe  one)  by  informing  the 
judge  that  his  dog  had  made  a  will,  leaving  to  him  (the  K^adee)  a  sum  of  money.«  Vgl. 
auch  Chamisso's  Gedicht:  »Das  Urteil  des  Schemjäka«  (ein  russisches  Volksmärchen); 
Lüderitz,  Sprichwörter  ans  Marokko  Nr.  29. 


74 


O.  Rescher, 


als  neugierige  »Gschaf  t'Ihuber «  gelten,  die  ihre- Nase  in  Dinge 
stecken,  die  sie  nichts  angehen;  vgl.  Doutte  40:  »Comme  en  Europe, 
le  barbier  est  le  type  de  l'intrigant  et  de  la  bonne  langue.«  Aus  der 
älteren  arabischen  Literatur  möchte  ich  nur  die  Maqäme  Hamadäni's 
(Üb.  Nr.  34  S.  109  ff.)  zitieren,  die  eine  große  Ähnlichkeit  mit  der  be- 
rühmten Geschichte  des  »Barbiers  von  Bagdad«  (H.  2/51  ff.)  im  Sujet 
hat,  wenn  ihr  auch  freilich  der  Humor  und  die  Komik  dieser  letzteren 
Erzählung  gänzlich  abgeht.  Hierher  ließe  sich  auch  noch  die  Ge- 
schichte H.  24/107  {Der  Jüngling  aus  Cairo,  der  Barbier  und  der  Haupt- 
mann) ziehen.  —  Gleichzeitig  bilden  die  Barbiere,  wie  bekannt,  im 
islamischen  Orient  als  Heilgehilfen  eine  Übergangsstufe  zu  den  Ärzten, 
deren  Wirkungskreis  sie  zum  Teil  mit  übernehmen  [Doutte  40  Mitte^  0. 
Im  großen  ganzen  waren  aber  auch  diese  ■ —  soweit  es  sich  nicht  um 
Christen  (Griechen,  Syrer)  und  Juden  oder  Perser  -)  handelte,  die  sich 
wirklich  mit  medizinischen  Studien  befaßt  hatten  —  elende  Quack- 
salber, die  ihr  Handwerk  um  so  leichteren  Herzens  ausüben  konnten, 
als  einerseits  weder  Kontrolle  noch  Verantwortlichkeit  existierte 
[Kremer  2/186  f.],  andrerseits  aber  das  Kurpfuschermetier  mitunter 
sehr  lukrativ  war  [vgl.  z.  B.  die  (allerdings  indische)  Geschichte  des 
Webers,  der  auf  Befehl  seiner  Frau  Arzt  wurde:  H.  18/198  =  1 1/2 10. 3) 
Weiteres  soll  im  nächsten  Abschnitt  noch  zur  Sprache  kommen. 

Rassetypen. 

Neben  den  Volkstypen  spielen  auch  die  Rasse- (und  Religions-) 
typen  in  den  Erzählungen  der  lOOi  Nacht  ihre  Rolle,  die  in  Anbetracht 
der  ethnologischen  Buntscheckigkeit  des  vorderen  Orients,  wo  Semiten, 
Hamiten,  Neger,  Arier,  Mongolen,  zivilisierte  Städter  und  primitive 
Nomaden  seit  undenklichen  Zeiten  schon  ihre  Wege  gekreuzt  haben, 
als  eine  ziemlich  bedeutsame  betrachtet  werden  muß.  Beginnen  wir 
mit  den  Arabern  zuerst,  und  zwar  mit  den  Beduinen,  die  in  einer 
großen  Anzahl  von  Geschichten,  zwar  meist  nur  flüchtig,  aber  doch 
charakteristisch   genug   gestreift  werden.      Sie   genießen    (damals   wie 


')  Lane  217  u.  (chapter  IX:   Science):  »The  Egyptian  medical  and  surgical  practitio- 

ners  are  mostly  barbers,   niiserably  ignorant  of  the  sciences  which  they  profess <•; 

vgl.  auch  die  Bemerkungen  Grothe's   in   i>Anf  lürkiscJier  Erde<'  S.  45  "Mitte,    149  Mitte. 

-)  Vgl.  H.  18/200/1  =11/214/4,  H.  6/57  Mitte  =  7/18/4;  vgl.  auch  Kremer  2/1S1 
Mitte,  2/183/4. 

3)  Vgl.  des  weiteren  E.  Wiede.mann,  »Beiträge  zur  Geschickte  der  Naturzvissoi- 
scha/tcn«  XXVI;  Cber  -aCharlatanc  hei  den  Muslims  nach  el-Gaubari«.  [Erlangen  191  1, 
Sitz.-Ber.  der  Phys.-Mediz.  Sozietät,  Bd.  43];  id.  y>Üher  diarlatanc  unter  den  arabischen 
Zahnärzten«  usw.  {Korrespondenzblatt  für  Zahnärzte,  Heft  3,    1914)- 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht.  75 

beute!)  den  denkbar  übelsten  Ruf  als  »Buschklepper,  Wegelagerer  und 
Räuber«  schlimmster  Sorte  (vgl.  H.  6/105  u.,  H.  17/13/8,  H.  3/79  u., 
H.  4/184  ult.,  ibd.  187/4,  H.  2/99  Mitte  =2/312/10,  an  welch'  beiden 
letzteren  Stellen  ihre  von  Geldgier  diktierte  Gefühllosigkeit  und  Roheit 
besonders  hervortritt,  HN.  254  Mitte,  7/58/1 1  und  7/64/4  ff .  =  H.  6/ 
91/12,  H.  6/93  Mitte  ['Aid'  eddin  abü  's  Sämdt],  H.  12/100  Mitte  = 
9/256/12)1).  Wie  aus  der  bereits  zitierten  Stelle  H.  4/184  ult.  zu  er- 
sehen, wo  neben  den  Beduinen  auch  die  Kurden  genannt  werden,  sind 
diese  letzteren  gleichfalls  als  ein  räuberisches  und  wildes  Gesindel  ver- 
rufen und  berüchtigt-)  (vgl.  H.  7/70  Mitte  =  7/291/6:  Der  Strolch  [sdHr] 
Dschawän  der  Kurde,  das  Haupt  einer  40köpfigen  Räuberbande  in  der 
Geschichte  von  'Ali  Sdr  und  Zumurrud,  H.  7/6/7).  —  Ein  ebenfalls 
ziemlich  übles  Renommee  genießen  die  Schwarzen,  die  zwar  weniger 
als  gewalttätig  denn  als  boshaft  und  lügnerisch,  dumm  und  diebisch 
hingestellt  werden.  Vgl.  dazu  die  Geschichte  des  Eunuchen  Kafur 
(H.  2/159 —  164  =  4/375/14  ff.),  der  sich  und  die  andern  durch  seine 
ebenso  dummen  als  boshaften  Lügnereien  in  Schaden  bringt;  ferner 
7/358/ 1  f.  =  H.  7/1 14  Mitte: 

»Alle  Welt  stimmt  über  den  Unverstand  des  Schwarzen  überein,  und  das  Sprich- 
wort sagt:  'Ein  Schwarzer  und  Verstand  schließen  einander  aus  3)'« 

\Geschichte  der  sechs  Sklavinnen]  und  H.   15/80/10  =  10,394/6  (wo  ein 

Schwarzer  »Alas*üd  der  Rossedieb«  [Jo^i^Jl  ^'^J  auftritt).  —  Viel  inter- 
essanter als  die  vorhergehenden  Typen  sind  die  in  lOOi  Nacht  auf- 
tretenden Maghrebiner.  Es  ist  bekannt,  dal3  geradein  den Anschauun- 
gen  der  islamischen  Volkskreise  die  Scheichs  und  Zauberkünstler  aus 
dem  Maghreb  einen  groi3en  Ruf  als  Geisterbeschwörer  und  Schätze- 
sucher 4)  haben  und  dementsprechend  einen  abergläubischen  Respekt 
genießen  ^).  Gerade  die  berühmtesten  Geschichten  der  lOOi  Nacht, 
'Aladdin  und  die  Wunderlampe,  der  Dschüdar- Roman  u.  a.  zeigen  uns 

I)  An  beiden  Stellen  (7/58/8  f.  und  9/256/1 1)  ist  natürlich  identisch  \J:iS  ^y^  i^Ol^ 
zu   lesen  und  nicht    »Hundetal«  (wie  Hexning   12/100  Mitte  und  6/91/9)  zu  übersetzen. 

-)  Vgl.  die  Bemerkung  Sachau's  in  »Reise  in  Syrien  und  Mesopotamien«  S.  356  u. : 
»Zwischen  Beduinen  und  Kurden  besteht  dieser  beachtenswerte  Unterschied,  daß  die  erste- 
ren  wohl  den  Reisenden  berauben,  aber  niemals  [ist  wohl  zu  viel!]  ihn  ermorden,  die 
letzteren    dagegen    ohne    viel    Skrupel    beides    miteinander    verbinden«;     ferner    »Islam" 

ni/i79/i-  ,  .    .. 

3)  Vgl.  dazu  das  von  mir  im  »Islam«  III/170  zitierte  türk.  Sprichwort:    ^_^^y«    ^jS 

.^Ai^  ^^S\yX:^j^6\  ^.J    ^l^      [Vj^:  var.]  («Der  Verstand  von  40  Schwarzen 
lullt  noch  nicht  einmal  ein(en)  Feigenkern(chen)  aus«). 

4)  Vgl.  VuiLLER  68:  »Les  sorciers  marocains  ont  la  specialite  de  veiller  ä  la  garde 
des  trescrs  en  meme  temps  qu'ils  passent  pour  avoir  le  privilege  de  les  decouvrir.« 

5)  Auch  im  Gespräch  mit  Algeriern  hörte  ich  diese  Ansicht. 


^6 


O.  Rescher, 


die  Rolle,  die  der  Maghrebiner  als  Adept  der  Magie  (der  »schwarzen 
Kunst«)  in  den  Volksvorstellungen  spielt;  vgl.  Zotenberg  2/4  = 
H.  20/6: 

»Dieser  Derwisch  aber  war  aus  dem  Innersten  des  Magreb  und  ein  Zauberer,  der 
durch  seine  schwarzen  Künste  Berge  aufeinandertürmen  konnte  und  sich  auf  Astrologie 
[hei'a]  verstand«; 

ferner  H.  20/105  paen.  undH.  ii/io,  15,  18  (im  Dschüdar- Roman)  ').  — 
[Als  Wahrsager  findet  sich  ein  Maghrebiner  H.  23/29  ult.,  in  der  harm- 
loseren Betätigung  als  Pförtner^):  H.   12/62/3  ^  9/196/12]. 

Einen  ganz  andern  Typus  bildet  die  Figur  des  Iraniers,  die  uns 
in  doppelter  Weise,  nämlich  als  Magier  3)  (in  den  älteren  Geschichten) 
und  als  Perser  (in  den  jüngeren  Erzählungen),  entgegentritt.  Daß 
auch  sie  gelegentlich  als  Schwarzkünstler  (Alchimisten:  5/288  =  H.  13/ 
144)  4)  auftreten,  ist  weniger  von  Belang;  was  dagegen  sofort  in  die 
Augen  fällt,  ist  der  bittere  Rassen-  und  Religionshaß,  der  die 
Muslims  gegen  sie  beseelt.  Eine  ganze  Anzahl  von  Geschichten  könnte 
fast  ad  hoc  geschrieben  sein,  dem  Leser  all'  die  Schandtaten  vor  Augen 
zu  führen,  deren  sie  der  islamische  Volksgeist  für  fähig  zu  erachten 
schien:  Treubruch,  Falschheit,  Tücke,  Haß  gegen  die  Lehre  Moham- 


^)  Vgl.  Chauvin  VI/84  Note  zu  Nr.  252  »Maugraby  le  magicien«;  Snouck-Hurgronje 
II/119:  »In  Mekka  gilt  der  muslimische  Westen  als  das  Stammland  der  gröbsten  Formen 
des  in  Mekka  eingebürgerten  Aberglaubens;  namentlich  die  Kunst,  seinen  Feinden  Krank- 
heit und  Unglück  jeder  Art  zu  verursachen,   soll  magribinisch  sein.«    Goldziher    ZDMG 

41/48  ff.     Legrain  106:  »II  suffit  que  le  moindre  Maugrabin  passe  dans  le  pays Le 

nouveau  venu  laisse  entendre  qu'il  possede  un  grimoire  qui  permettra  ä  quiconque  lui 
avancera  la  forte  somme  de  trouver,  gräce  ä  lui,  un  trcsor  incomparable.  Et  chaque  annee, 
quelque  niais  se  laisse  prendre  ä  l'appät «;  Canaan  45  Mitte  [wundertätige  Krank- 
heitsheilung durch  den  schech,  derwisch  und  mograbi];  Doutte  34,  50/2:  »Pourlesmusul- 
mans  d'Orient,  le  sorcier,  s'il  n'est  ni  juif  ni  chretien,  doit  etre  maghribin;  dans  le  looi  nuits, 

les  rnagiciens  sont  regulierement  originaires  du  Maghrib «;  Lane  268/3  (chapter  XII: 

Magic):  »He  (i.  e.  the  magician)  was  called  the  sheykh  'Abdelqadir  el-Maghrabee«  (vgl. 
auch  H.  8/83:  ^ Abderrahmdn  el-Maghribi);  Kahle  {Krokodilspiel  298),  wo  zum  Ende  der 
Posse  die  Maghrebiner  infolge  ihrer  besonderen  Befähigung  zu  Beschwörungen  das  Krokodil 
mit  Weihrauch  und  Zauberformeln  einschläfern  und  so  unschädlich  machen  (vgl.  auch 
Basset,  »Diäons  satyriques«  Nr.  18  S.  36  Mitte  —  S.-A.  aus  J.  A.  189O;  ferner  Nöldeke, 
»Doktor  und  Gar  koch«  48/6). 

*)  Vuiller  68:  »La  ponctualitd  avec  laquelle  les  Marocains  ex6cutent  une  consigne, 
leur  mutisme  et  leur  fid^lit^  ont  pu  taire  naitre  ces  sortes  de  legendes.     A  Tunis,  ils  sont 

gardiens    des    maisons V6ritables  chiens  de  garde,  ils  n'admettent  ni  dis- 

cussion  ni  r^plique. « 

3)  Über  die  Stellung  der  Magier  (und  die  Fiktion,  sie  den  »Schriftbesitzern«  [Juden 
und   Christen]  beizählen  zu  können)  vid.   Belädori    79 — 81. 

4)  5/280/1:    »„tSi-iji    ,  C»Lt^        -JÜm«. 


Studien  über  den  Inhalt  von   lOOi   Nacht.  77 

meds  und  ihre  Bekenner,  Verleitung  zu  Apostasie,  selbst  Ritualmord  ^) 

suchte  man  ihnen  in  die  Schuhe  zu  schieben.     Ganz  besonders  in  den 

beiden  Geschichten  von    »As'ad  und  Amgad«    und    ^)Hasan  el-Basri« 

wird    diese    zoroasterfeindliche    Tendenz    durchgeführt    und    betont 

(5/281/10  -  H.    13/140  Mitte): 

»Da  sagte  Hasan  zu  dem  Magier:  'Wo  ist  der  Eid,  den  du  mir  geschworen,  und  wie 
konntest  du  dich  über  'Salz  und  Brot'  hinwegsetzen?'  Der  Magier  aber  schaute  Hasan 
(verächtlich)  an  und  sagte:  'Du  verfluchter  Hund  und  Hundesohn  1  Was  kümmert  meines- 
gleichen 'Brot  und  Salz',  wo  ich  schon  999  Burschen  wie  dich  umgebracht  habe  und  du 
das  Tausend  vollmachen  sollst.« 

Ibid.   5/282/9  =  H.   13/141: 

»Der  Magier  meinte  dann  zu  Hasan:  'Blick'  auf  dieses  Feuer,  die  Herrin  2)  des  Lichts 
und  der  Funken.  Willst  du  es  gleich  mir  anbeten  3),  so  will  ich  dir  meines  Besitzes  eine 
Hälfte  geben  und  dich  obendrein  mit  meiner  Tochter  verheiraten?'  Da  Hasan  aber  sich 
dessen  weigerte ,  so  ließ  er  ihn  mit  einer  geflochtenen  Geißel  züchtigen«  usw. 

H.  6/24  u.  =,3/289 — 290: 

»Als  der  Magier  mit  As'ad  in  den  Saal  trat,  gewahrte  derselbe  40  betagte  Scheiche 
rings  im  Kreise  um  ein  brennendes  Feuer  herumsitzen,  vor  dem  diese  anbetend  sich  nieder- 
warfen.   Da  erschauerte  As'ad;  der  Scheich,  sein  Führer,  aber  rief  den  40  Alten  zu:  'Welch' 

glücklicher  Tag! 'Dann  befahl  der  Scheich,  As'ad  in  ein  unterirdisches  Verließ  zu 

sperren,  ihn  Tag  und  Nacht  zu  martern  und  ihn  mit  etwas  Brot  durchzufüttern,  um  ihn, 
wenn  die  Zeit  gekommen,  zum  Schluß  auf  dem  Feuer(tempel)berg  als  Opfer  zu  schlachten  4). « 
[Nochmals:  3/3 15/12.] 

Umsekehrt  wiederum  scheint  es  für  den  muslimischen  Hörer  oder 
Leser  der  Geschichten  eine  Befriedigung  gewesen  zu  sein,  wenn  man 
den  Feueranbetern  nicht  nur  Gleiches  mit  Gleichem  vergalt,  sondern 
noch  ein  Übriges  dazu  tat,  wie  z.  B.  aus  der  Geschichte  von  dem  König, 
der  alV  sein  Gut  verlor  und  dann  wiedergewann,  hervorgeht,  wo  der 
schuldige  Magier  mit  den  denkbar  raffiniertesten  Martern  langsam  und 
stückweise  zu  Tode  gebracht  wird  (H.   19/35  -  1 1/277/9  ff.)  5). 

Juden  und  Christen. 

Wenn  wir  die  Verhältnisse  und  Bedingungen,  unter  denen  die 
Andersgläubigen  inmitten  des  islamischen  Volkskörpers  lebten,  richtig 
beurteilen  wollen,    so   dürfen  wir  natürlich  billigerweise   nur  analoge 


1)  H.  13/139=  5/279  ult.:  Dieser  Magier  haßte  die  Muslims  grimmig  und  jeden, 
den  er  von  ihnen  in  seine  Hand  bekam,  brachte  er  (unweigerlich)  um;  3/289^290. 

2)  »Feuer«  ist  im  Arab.  femin. 

3)  Analog  die  Episode  H.  11/145  Mitte  in   »Gharib  und  '■Agib<'. 

4)  Weitere  Stellen,  wo  Feueranbeter  erwähnt  werden,  sind:  H.  1/143  Mitte,  H.  11/79 
Mitte  =  S/383/14,  H.  13/50  =  10/56/13,  H.  19/30  u.;  ibid.35.-  7/54/1  ist  »^^^j^/i«  wohl 
nicht  wörtlich,  sondern  als   Schimpfwort  zu  verstehen. 

5)  Von  den  »Persern«  ist  nicht  viel  die  Rede,  außer  daß  sie  Ärzte  sind  (vgl.  Note  2 
S.  74). 


78  O.   Rescher, 

Umstände  zum  Vergleich  heranziehen.  Nichts  müßte  demgemäß  ver- 
kehrter erscheinen,  als  wenn  wir  etwa  heutige  Anschauungen  als  Maß- 
stab der  Beurteilung  anlegen  wollten;  vielmehr  müssen  wir,  um  dem 
historisch  gegebenen  Milieu  gerecht  zu  werden,  auf  die  Verhältnisse 
des  mittelalterlichen  Europa  zurückgreifen.  Dagegen  nun  gehalten, 
werden  uns  die  Lebensbedingungen  der  Nichtmuslime  ^)  —  trotz  vieler 
Beschränkungen  und  Ungerechtigkeiten  im  einzelnen  —  im  ganzen 
genommen  doch  mindestens  als  ebensogut,  wenn  nicht  besser  erscheinen 
als  die  der  Nicht-  (oder  auch  nur  Anders-)  Christen  in  Europa  bis  hart 
an  die  Schwelle  der  Neuzeit  heran.  —  Kein  Mensch,  der  die  Psyche 
der  Islamvölker  einigermaßen  kennt,  wird  behaupten  wollen,  daß 
irgendwo  oder  irgendwann  je  wirkliche  Toleranz,  im  Sinn  einer  An- 
erkennung der  Gleichwertigkeit  der  religiösen  Anschauungen,  aus- 
geübt worden  wäre  -)  [die  Ausnahmen  von  Einzelerscheinungen  wie 
Kaiser  Akbar  oder  Toleranzideen  einzelner  mystischer  Dichter  und 
Derwisch  (orden)  sind  praktisch  natürlich  kaum  irgendwie  von  Be- 
deutung], trotzdem  aber  hat  es  in  den  Islamländern  systematische 
Verfolgungen  Andersgläubiger  in  großem  Stil  allein  aus 
religiösem  Fanatismus  kaum  je  gegeben  3).  —  Um  aber  wieder  auf 
die  Erzählungen  von  lOOi  Nacht  zurückzukommen,  müssen  wir,  rein 
objektiv  betrachtend,  doch  zugeben,  daß  ein  großer  Teil  der  Geschichte, 
in  denen  Christen  oder  Juden  auftreten,   diesen  gemeiniglich  irgend 


')  Vgl.  auch  für  einzelnes  die  Ausführungen  Kremer's  2/166  u.  f. 

2)  Einzelne  Züge  von  Intoleranz:  HN.  43/5 ff-  {Histoire de  Mo/iamniedel-Qairoiiani): 
»Le  vendredi,  les  oiseaux  louent  Allah  et  le  prophete;  le  samedi,  ils  maudissent  les 
juifs;  et  le  dimanche.  les  chretiens.«  —  H.  9/41  (ein  Hadit):  »Redet  die  Juden  und 
Christen  nicht  mit  dem  Saläm  an,  und  wenn  ihr  ihnen  auf  der  Straße  begegnet,  so  drängt 
sie  auf  die  schmälste  Stelle.«  -^  HN.  279  u.  Maslama  ben  'Abdelmelik,  wo  die  Tötung  von 
Mönchen  erzählt  wird,  die  im  Islam  eigentlich  ausdrücklich  verboten  ist  (vgl.  H.  3/22/8) 
usw.  — •  Umgekehrt  kommt  aber  doch  gelegentlich  wieder  eine  gewisse  Rücksichtnahme 
auf  die  Andersgläubigen  zum  Ausdruck,  wie  z.B.  H.  7/61/4  =  7/278  paen.  Q-Ali  Sdr): 
(Als  der  Nazarener  einen  Schluck  Wasser  von  'Ali  §är  verlangte),  da  sagte  dieser  zu  sich: 

Dieser  Mann  ist  ein  tidimmi«  [Schutzbefohlener] und  ich  will  ihm  (also)  seine  Bitte 

nicht  abschlagen.«  Dagegen  ist  diese  Annahme  christlicher  Bräuche  seitens  Mohamme- 
daner (Beten  in  christlichen  Kirchen,  zu  christhchen  Heiligen,  das  Kreuzschlagen,  selbst 
Taufen  usw.)  selbstverständlich  nicht  als  Zeichen  von  Toleranz,  sondern  als  ein  aber- 
gläubischen Voraussetzungen  entspringender  Synkretismus  zu  beurteilen  [vgl.  Goldziher, 
»Alois  MusiVs  ethnologische  Studien  in  Arahia  Petraea<<  in  Globus  XCIII  Nr.  18  (1908)  S.  287, 
Canaan  72  oben,  131   Mitte  u.  a.].     Ebenso  möchte  ich  auch  die  Stelle  H.   18/131  u.   = 

11/92/13  verstehen;  das   »sanamo  ist  wohl  auf  ein   »Ikon«  zu  beziehen. 

3)  Für  einzelne  Tatsachen,  die  gegen  diese  Behauptungen  zu  sprechen  scheinen, 
lassen  sich  andere  Erklärungen  finden;  für  die  Armenierhetzen  sind  doch  wohl  in  erster 
Linie  Gründe  politisch-wirtschaftlichen  Charakters  maßgebend  gewesen,  nicht  aber  lediglich 
oder  gar  ausschließlich  der  Umstand  ihrer  Zugehörigkeit  zu  einem  christlichen  Bekenntnis. 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht.  79 

etwas  anzuhängen  sucht,  und  wahrscheinlich  sind  die  Erzähler  in  der 
Unterstreichung  dieser  Tendenzen  dem  Geschmack  ihres  Publikums 
gern  noch  weiter  entgegengekommen.  Daß  auch  die  politischen  Zeit- 
läufte eine  gewichtige  Rolle  in  dieser  Frage  spielten,  liegt  auf  der  Hand, 
und  wie  die  hochgehenden  Wogen  der  Kreuzfahrerzeit  sich  Hterarisch 
ausgetobt  haben,  sehen  wir  an  den  spätägyptischen  Geschichten  mit 
ihren  von  Christenhaß  diktierten  Tendenzen  (:  Nur  eddin  und  Mirjam, 
die  Gürtelmacher  in).  ■ —  Immerhin  dürfen  wir  nicht  außer  acht  lassen, 
daß  der  Gegensatz  zwischen  Muslims  und  Nichtmuslims  individuell 
auf  verschiedenartigen  Gründen  beruhte:  Der  Christ  war  in  erster 
Linie  der  politische  Gegner  und  wurde  als  solcher  offen  mit  den 
Waffen  bekämpft,  während  der  Jude  wirtschaftlicher  Konkurrent  war, 
oder,  wo  dies  nicht  zutraf,  als  Repräsentant  seiner  eigentümlichen 
Rasse  befehdet  wurde,  so  daß,  wenn  es  auch  selten  zu  wirklichen  »Po- 
groms« (d.h.  offenen  Ausbrüchen  des  Volksfanatismus)  kam,  doch  so 
eine  Art  von  latentem  Kriegszustand  zwischen  Muslims  und 
Judentum   bestand. 

Dem  Beruf  nach  sind  die  Juden  in  lOOi  Nacht  (wie  übrigens 
auch  heute  meist  noch)  Goldschmiede  (9/218/10  =  H.  12/75  paen.), 
Geldwechsler  (4/325/10,  4/323/1  =  H.  14/113).  Juweliere  (H.  21/48 
Mitte;  vgl.  Huart  2/93  ult.)  oder- Ärzte  (H.  2/6  u.,  H.  2/41)  ^).  —  im 
allgemeinen  waren,  wie  bereits  angedeutet,  die  Juden  zwar  nicht  recht- 
los (davor  schützte  sie  letzten  Endes  ebenso  die  islamische  Gesetz- 
gebung als  das  materielle  Interesse  der  Regierungen),  aber  man  begeg- 
nete ihnen  doch  meist  mit  Mißtrauen  und  selbst  Verachtung:  10/ 180/3 
(=  H.   14/179  Mitte,  wo  der  Text  übrigens  nicht  ganz  identisch): 

»Wie  kannst  du,    Feind  Gottes«   [sagten  die  vier  Kädis  zu  dem  Gatten  der  Zain  el- 

mawäsif] »dich    unterstehen,    diese    Frauen    zu  Juden,     den     ungläubigsten    von 

Gottes  Geschöpfen  allesamt  [üwJlil    /  äJLi>    -äi'i],  machen  zu  wollen?« 

und  in  {'Aladdin  und  die  Wunderlampe)  Zotekberg  25/7  =  H.  20/36: 

»Weißt  du  denn  rieht,  mein  Kind,«  [sagte  der  muslimische  Juwelier  zu  'Aiaddin], 
»daß  das  Gut  der  rechtgläubigen  Muslime  den  Juden  für  »erlaubt«  gilt  und  daß  sie  die- 
selben stets  zu  betrügen  suchen?  ^)« 

In  einer  Geschichte  (H.  24/179  u.)  wird  sogar  auf  den  Ritualmord  3) 


')  Lane  556  u.  {The  Jews  of  Egypt):  »Many  of  the  E.  J.  are  'sarräfs'  (or  bankers 
and  money-lenders) :  other  are  seyrefees  .....  some  are  goldsmiths  or  silversmiths  and 
others  pursue  the  trades  of  retail  grocers  and  fruiterers«  usw.  —  Vgl.  auch  Kremer  2/167 
paen.,  2/1 81  Mitte,  2/183  Mitte. 

-)  Der  Jude,    dem  'Aladdin  zuerst  seine  Platten  verkaufte,  wird  Zotenberg  23/10 

=  H.   20/34/2)  als  »^xijLxi-Jt      ^A     ^i>.>J>U  [schlinuner  als  die  Satane  (selbst)]  be- 
zeichnet. 

3)  Da    solche  Behauptungen    von  muslimischer  Seite  aus  gleichzeitig  gegen  Juden. 


8o  O.  Rescher. 

angespielt.  Im  übrigen  gelten  sie  dem  Volksglauben  als  Zauberer, 
was  sich  auch  in  mehreren  Geschichten  widerspiegelt  [Chauvin  V/249 
Note,  Kremer  2/265,  Canaan  119/4,  Doutte  481),  Huart  1/155, 
H.   12/122  u.  ff.  =  9/289/1 1: 

»Der  Jude  'Adra«  — ■  sagten  die  andern  zu  *Ali  dem  Kairenser  —  »ist  ein  ganz 
listenreicher,  verschlagener  und  tückischer  Zauberer,  der  sich  die  Dschinn  dienstbar  gemacht 
hat«  usw.]. 

Alle   Erzählungen    haben    im    Grunde    gleichermaßen   mehr   oder 
minder  die  Tendenz,  die  in  ihnen  vorkommenden  Juden  in  möglichst 
ungünstigem  Licht  erscheinen  zu  lassen,  und  es  darf  wohl  vorausgesetzt 
werden,    daß   die  Erzähler   damit  psychologisch   auf   den   Geschmack 
ihrer  Zuhörer  richtig  spekulierten  [vgl.  die   Geschichte   von  Zain   el- 
mawäsif,    deren  Gatte  —  nachdem    er  vor  und  in  der  Gerichtssitzung 
schon  gehörig  zerzaust  worden  (H.   1 4/179  =  10/180)  •  —  zum  Schluß 
von  der  Sklavin  seiner  Frau  in  deren  Auftrag  in  das  offene  Grab  hinein- 
geworfen und  darin  lebendig  verschüttet  ward;  ferner  die  Geschichte 
H.  24/89  ff.,  Stumme,  Tun.  93  ff.,  116  ff.,  Trip.  176  ff.  (vgl.  Nasr  eddin 
Hogä);   in  der  Geschichte  von  '^Ali  Zibaq,  dem  Kairenser,  bringt  am 
Ende  der  Erzählung  die  Qamar,  Tochter  des  Juden  'Adra,  selbst  ihren 
Vater  um  und  wirft  seinen  Kopf  dem  'Ali  Zibaq  vor  die  Füße  (H,  12/131 
=  9/302);  besonders  kraß  ist  die  Episode  {'m'-Ald'  eddin  abü  's-Sämdt), 
wo  Ahmed  ed-Danaf  zwei  Juden  unterw^egs  einfach  ausraubt  und  er- 
mordet, ohne  daß  anscheinend  der  Erzähler  irgend  etwas  dabei  findet, 
was  ihn  veranlassen  könnte,  die  Sache  etwas  zu  mildern  (H.  6/130  = 
7/1 16/12)  2);    ebenso  frivol  wie  unverfroren  ist  auch  der  Bericht  des  li. 
Moqaddem  (H.  i9/89f.  =  11/383  f.)  von  dem  Juden,  dem  zuerst  sein  Geld 
weggestohlen  und  hintennach,  um  ihn  zu  verderben,  eine  Totenhand 
mit  einem  Goldring  am  Finger  heimlich  in  das  Haus  praktiziert  wird,  — 
Gerade  letztere  Geschichte  freilich  stammt  bereits  aus  einer  Zeit,    in 
der  die  Korruption,   die  Verlotterung  und. der  moralische  Tiefstand 
(gerade  bei  den  ausführenden  Organen  der  öffentlichen  Gewalt)  schon 

Christen  (H.  15/66  u.  =  10/360/13)  und  Magier  (H.  6/25  Mitte  =  3/290/2)  geäußert 
werden,  so  dürfte  es  sich  wahrscheinlich  im  Grunde  nur  um  Vorstellungen  der  Volks- 
phantasie in  den  niederen  muslimischen  Schichten  handeln.  —  Andere  Anklagen  seitens 
der  islamischen  Massen  (z.  B.  aut  sittlichem  Gebiet)  sind  die  Behauptungen  von  nächt- 
lichen zuchtlosen  Orgien,  die  die  Sektierer  sich  zuschulden  kommen  lassen  sollen  (Jacob, 
»Die  Bektaschije<t.,  München  1909,  S.  37  u. ;  Sachau  »Reise  in  Syrien  unv.v.  338  Mitte 
u.  a.  m.). 

')  »Les  juifs  et  les  chretiens  .  .  .  sont  les  sorciers  par  excellence  (dan-;  le  Magh- 
rib)«;  vgl.  auch  die  Geschichten  SociN,  •s>Houwara<i.  116,  »Zum  arabischen  Dialekt  von 
Marokko<i.   161. 

^)  Freilich  scheint  dergleichen  auch  sonst  gelegentlich  vorgekommen  zu  sein:  Aubin 
325/8.    Vgl.  auch  Chamisso's  Gedicht:   »Die  Sonne  bringt  es  an  den  Tag<>. 


Studien  über  den  Inhalt  von   loot   Nacht.  8l 

einen  bedenklichen  Grad  erreicht  hatten;  daß  übrigens  durch  die  Rechts- 
unsicherheit und  die  Gewissenlosigkeit  der  Polizeiorgane  und  Beamten 
die  Muslime  in  letzter  Hinsicht  ebenso  getroffen  wurden  wie  die  Nicht- 
muslime,  zeigen  die  andern  Historien  aus  der  Sammlung  der  dem 
Sultan  Rukn  eddin  Beibars  gemachten  Berichte. 

Im  Unterschied  zu  den  über  das  Verhältnis  von  Muslims  und  Juden 
gemachten  Ausführungen  läßt  sich  bei  der  Beleuchtung  des  Verhält- 
nisses zwischen  Muslims  und  Christen  leicht  feststellen,  daß,  abge- 
sehen von  den  in  erster  Linie  politisch  tendenziösen  Kreuzfahrer- 
geschichten, eine  besondere  Animosität  des  islamischen  Volksgeistes 
gegen  die  letzteren  nicht  nachzuweisen  ist.  Wohl  kommen  gelegentlich 
Ausfälle  gegen  sie  vor  (besonders  in  dem  großen  Ritterroman  ^>^Omar 
en-Na'-mdnn  und.  »'■Ali Nur  eddin  undMirjar,i<);  diese  sind  aber  durch- 
aus mehr  als  Niederschlag  des  politischen  Antagonismus  denn  als  Aus- 
fluß eines  Rassenhasses  oder  psychologischer  Antipathie  (wie  bei  der 
Feindschaft  gegen  Magier  und  Juden)  aufzufassen.  Nur  an  einer  Stelle 
(in  ''Ali  Sär  und  Zumurrud)  wird  von  dem  Versuch  einer  gewaltsamen 
Bekehrung  einer  Muslimin  zum  christlichen  Glauben  erzählt  (H.  7/64  u. 

=  7/283/10  f.)  • —  was  natürlich  zur  Aufstachelung  des  muslimischen 
Fanatismus  dienen  soll  — ,  dagegen  ist  es  vielleicht  noch  erwähnens- 
wert, welch  seltsame  Vorstellungen  sich  anscheinend  die  Volksphantasie 
von  den  Bräuchen  der  Christen    gelegentlich   machte    [10/337/1   =  H. 

15/56  Mittel 

«Die  Alte  sagte  zu  Nur  eddin:  'In  dieser  Stunde  noch  wird  die  Tochter  des  Königs 
mit  400  Mädchen,  Töchtern  von  Emiren  und  Granden,  in  diese  Kirche  kommen;  wenn  aber 
ihr  Blick  in  dieser  Kirche  auf  dich  fiele,  dann  würdest  du  unfehlbar  von  den  Schwertern 
(ihrer  Begleiter)  in  Stücke  gehauen'«, 

wobei  natürlich  eine  Übertragung  muslimischer  Anschauungen  zu- 
grunde liegt  i);  H.  15/66  u.,  700b.  =  10/366:  »Schlachtung  von  Mus- 
lims als  Opfer  für  den  Messias«  (was  oben  schon  besprochen  wurde); 
H.  3/170  (Mitte  bis  unten):  Eine  ebenso  anstößige  als  lächerliche  Ver- 
leumdung; vielleicht  auch  eine  Übertragung  zwar  nicht  muslimischer, 
aber  doch  in  muslimischen  Ländern  praktizierter  Bräuche,  wenn  wir 
den  Angaben  von  Genthe,  »Marokko«  S.  225  trauen  dürfen.  —  Die 
Beurteilung  der  Ikone  als  Götzenbilder  »asnäm«  (H.  15/91  Mitte  = 
10/416/4)  dagegen  dürfte  schon  mehr  den  Anschauungen  des  offiziellen 
Islams  konform  sein  -). 


1)  Es  sind  doch  wohl  Stellen  wie  H.  20/48/13  =  H.  20/37  u.  und  H.  1 7/16/5  u.  zu 
Obigem  zu  vergleichen  (Verbot  bei  Todesstrafe,  eine  Königstochter  [oder  sonst  eine  hoch- 
gestellte Frau]  bei  ihrer  Ausfahrt    [oder  ihrem  Ausiitt]  zu  betracliten). 

2)  Obwohl  eigentlich  das  Kapitel  der  Rassetypen  zum  Abschluß  gebracht  wäre, 
möchte  ich  doch  noch  einige  Worte  über  eine  allerdings  weniger  ethnische  als  religiöse 

Islam.   IX.  6 


g2  O.  Rescher, 

Über  Witz  und  Humor  in  1001  Nacht. 

Wie  wir  schon  verschiedene  Male  bemerkt  haben,  kann  (wenigstens 
vom  Standpunkte  des  Orients  aus)  die  Sammlung  von  lOOl  Nacht 
nicht  als  ein  »literarisch«  zu  bewertendes  Buch  gelten.  Mag  auch  ein 
gewisser  Kern  —  nämlich  die  aus  dem  indisch-persischen  Literaturkreis 
übernommenen  Erzählungen,  besonders  die  didaktischen  und  ethi- 
sierenden  Stücke  —  ursprünglich  als  »Literatur«  bestanden  haben,  so 
ist  doch  lOOi  Nacht  in  der  späteren  Gestaltung  mehr  und  mehr  zum 
Typus  eines  Volksbuches  geworden,  dessen  Textformung  im  einzelnen 
vielfach  dem  subjektiven  Ermessen  der  Erzähler  und  Überlieferer 
anheimgestellt  blieb.  Demzufolge  müssen  wir  bei  unserem  Thema  ein 
Doppeltes  unterscheiden,  nämlich  einerseits  das  Stoffliche,  das  in  den 
Erzählungen  selbst  liegt,  und  andrerseits  die  Nüancierung  im  besonde- 
ren, d.  h.  das  ausschmückende  Beiwerk,  das  die  mündlichen  (oder  auch 
schriftlichen)  Überlieferer  in  die  Geschichten  einfiochten,  teils  um  den 
gegebenen  Stoff  als  »Nachdichter«  nach  eigener  Phantasie  zu  modeln, 
teils  um  dem  Geschmack  des  Publikums  entgegenzukommen,  d.  h. 
die  Erzählungen  pikanter  zu  machen.  So  zweifle  ich  z.  B.  nicht,  daß 
jedenfalls  manche  Stellen,  deren  Witz  im  Erotischen  liegt,  Ausschmük- 
kungen  der  Erzähler  bilden  und  nicht  zum  Kern  der  betreffenden  Er- 
zählung gehören,  die  auch  ohne  dieses  Beiwerk  in  sich  abgerundet 
erscheint  ^). 

Wirklichen  Humor  finden  wir  vor  allem  in  einer  der  köstlichsten 
Erzählungen  von  lOOi  Nacht,  nämlich  der  Geschichte  des  »Barbiers 
von  Bagdad<i,  dessen  »Gschaftlhuberei«  und  Geschwätzigkeit  in  tragi- 
komischer Weise  den  unglücklichen  Liebhaber  um  seine  Hoffnungen 
bringt  und  ihm  noch  einen  Körperschaden  zuzieht  -).     Eine  groteske 


Gemeinschaft,  die  in  lOOi  Nacht  öfters  erwähnt  wird,  nämlich  die  Rafiditen,  hinzu- 
fügen. Mehrere  Stellen  zeigen,  daß  die  Sunniten  sie  ebenso  haßten  als  fürchteten.  7/125 
paen.  =  H.  6/137  (ungenau:  »Renegat«),  wo  ein  solcher  einen  Anschlag  auf  den  Chalifen 
verübt.  7/63/3  =  H.  6/92 :  »Man  verschließt  die  Stadttore  Bagdads  zeitig  bei  Sonnen- 
untergang aus  Furcht,  die  Rafiditen  [arfa^l  könnten  durch  einen  Handstreich  sich  der 
Stadt  bemächtigen  und  alle  Bücher  der  sunnitischen  Orthodoxie  in  den  Tigris  werfen.« 
7/1 19/7  =  H.  6/132  ob.  und  Kote  (die  R.  hatten  bekannthch  die  Gewohnheit,  die  Namen 
der  beiden  Scheiche  [lies  im  Text  Z.  6  »^^ajS^va-CcJI*  statt  des  sinnlosen  »^5>LCi-*Jl«] 
Abu  Bekr  und  'Omar  aus  Haß  gegen  dieselben  auf  ihre  Fußsohlen  zu  schreiben,  um  sie  so 
ständig  mit  Füßen  zu  treten). 

I)  Dafür  sprechen  auch  noch  zwei  weitere  Umstände,  erstens  daß  solche  Stellen  sich 
in  verschiedenen  Erzählungen  gleichermaßen  finden  (z.B.  3/270-274  =  7/318—319, 
Qamar  ez-zeman  bzw.  '■Ali  J§dr)  und  zweitens  die  Analogie  mit  den  Versen,  die  ebenfalls 
häufig  nur  individuelle  Einschiebsel  der  Erzähler  sind. 

^)  Die  Erzählung  hat  Berührungspunkte  mit  zwei  Maqdmen  Hamadäni's;  was  die 


Studien  über  den  Inhalt  von    looi   Nacht.  83 

Komik  bietet  auch  die  Geschichte   Bäsim's,  wenn  freilich  hier  auch 
das  Humoristische  nicht  ganz  so  ungetrübt  rein  erscheint.     Mehr  in 
das  Gebiet  der   tollen   Schwanke  und    Schelmenstreiche  gehören  die 
listigen  Tricks  der  abgefeimten  Delila  (Dulaila?),  die  mit  ihren  Gauner- 
stückchen ganz  Bagdad  rebellisch  macht  (9/193  ff.  =  H.  12/67  ^•)-     ^^ 
diese  gleiche  Kategorie  gehören  die  zahlreichen    Diebs-    und   Spitz- 
bubengeschichten,   die    in    lOOi    Nacht    so    reich    vertreten    sind 
{H.  19/76  =  11/359:  Die  Schwindlerin,  die  die  Polizisten  an  der  Nase 
herumführt,  indem  sie  auf  der  andern  Seite  einer  Passage  ganz  gemüt- 
lich entweicht,  während  diese  vor  derselben  auf  ihre  Rückkehr  warten) ; 
H.  19/15  =  11/236  ff.  {Der  gerissene  Gauner)  ^];  H.  19/13  =  11/231  (eine 
Eulenspiegelei,  worin  eine  Schwindlergesellschaf  t  durch  ein  abgekartetes 
Spiel    mit  verteilten    Rollen   einen   Geldwechsler   dazu   bringt,    einen 
»goldmistenden«  Esel  im  Werte  von  50  Dirhems  für  5000  Dirhems  zu 
kaufen);   H.  18/169  (der  übertölpelte  Dieb);    H.  7/136  (ein  Diebeskunst- 
stück);   H.   7/133  f.  u.  H.   7/137  f.   (Gaunertricks);   H.   8/43  =8/206/14 
(eine  Eulenspiegelei).      In  dieses  Kapitel  gehört  auch   das  Thema  von 
der    orenasführten    Polizei,    dessen  Pointen  sicherlich   nicht  ohne 
beifällige    Schadenfreude    von    den    Zuhörern    der    Erzähler    goutiert 
wurden 2)  (H.  19/65 — 66:  Geschichte  des  entwischten  Jude^i]  H.  19/71 — 72: 
Der  Wdli  und  die  Zechgesellschaft  =  H.    7/13 1— 133;     H.  7/133— 135 : 
Der  Wdli  und  die  Diebesbeute  usw.  ■ —  Eine  Art  von  Pendant  zu  diesen 
Geschichten,  wenn  zwar  schon  auf  anderem  Gebiet,    bilden  die  zahl- 
reichen Anekdoten  und  Erzählungen  von  den  Weib  er  listen,   die  aller- 
dings zum  Teil  schon  auf  die  ältesten  Quellen,    d.  h.  den  persisch-indi- 
schen Kern  der  lOOi   Nacht,  zurückgehen.     Daneben  findet  sich  aber 
auch  eine  Reihe  Historien,    die  —  ganz  jungen  Datums  —  ihre  Sujets 
aus  dem  Volksleben  und  insbesondere  dem  Großstadttreiben  schöpfen. 
Den  obengenannten  Gaunerstückchen  gegenüber  haben  wir  in  H.  19/57  ff-, 
ibd.  67  ff.  Tricks  von  Hochstaplerinnen,  die  die  Polizeiorgane  sogar  selbst 
in  ihre  Netze  locken  und  mit  Erfolg  hereinlegen.  —  Eine  viel  größere 
Rolle  jedoch  als  auf  diesem  Gebiet    spielen  die  Weiberlisten  in  den 
Liebeshändeln.      Stark  an  die  Komödie  der   »Lustigen  Weiber  von 
Windsor«,  jedoch  ohne  deren  moralisierende  Tendenz,   erinnert  die  (in 


Geschwätzigkeit  des  Barbiers  anlangt,  mit  der  Nr.  34  der  Übers.  S.  114  u.  ff.,  und  was 
die  üblen  Folgen  der  Geschwätzigkeit  (für  der  andern  notabene!)  anlangt,  mit  der  Nr.  22 
der   übers.    S.  51  ff. 

I)  Die  Ausführung  dieser  und  der  folgenden  Geschichten  im  einzelnen  wäre  zu  weit- 
läufig und  muß  deshalb  der  Inhalt  im  Original  eingesehen  werden. 

^)  Die  bissigen  Ausfälle  gegen  die  Polizeiorgane  in    »Bäsim«  habe   ich   schon  oben 
erwähnt  (im  Abschnitt  über  die  öffentliche  Sicherheit). 

6* 


gA  O.  Rescher, 

dem  Geschichtenzyklus  von  Schah  Bäht  und  seinem  Wezir  cr- 
Rahwän  sich  findende,  indische)  Erzählung  von  dem  ^)Drogisten  und 
dem  Sänger«  ii/iooff.  =  H.  18/136^),  die  ihrerseits  inhaltlich  wieder 
manche  Berührungspunkte  mit  der  Geschichte  »Qamar  ez-zemän''s  und 
seiner  Liebsten«  (H.  17/5  ff.)  und  der  Geschichte  vom.  )>Walker,  seiner 
Frau  und  dem  Soldaten«  [H.  i8/i58ff.  =  11/140  ff.)  aufweist.  In  diesem 
Zusammenhang  mag  auch  die  —  übrigens  ebenfalls  indische —  Geschichte 
(H.  10/210  =  12/348  und  H.  19/22  ==  11/246)  mit  der  paradoxen  Pointe, 
daß,  infolge  der  verschlagenen  Tricks  einer  Kupplerin,  der  Gatte  in  der 
Erzählung  sich  mit  seiner  unschuldigen  Frau  überwirft,  um.  sich  dann 
mit  der  schuldig  gewordenen  wieder  reumütig  zu  versöhnen,  genannt 
werden.  Auf  all'  diese  Historien  soll  übrigens  noch  einmal  im  letzten 
Kapitel  [Über  die  Frauen]  besonders  Bezug  genommen  werden -J.  — 
Im  Anschluß  an  diese  Geschichtchen,  in  denen  der  Witz  auf  sexuellem 
Gebiete  liegt,  mögen  noch  kurz  die  Pikanterien  gestreift  werden, 
denen  wir  in  100 1  Nacht  begegnen.  Da  nun  gerade  einige  der  typisch- 
sten Stellen  (3/270 — 274  =  7/318  f. :  Die  Wiedererkennung  der  ver- 
kleideten Hajät  en-nufüs  bzw.  Zumurrud  mit  ihrem  Gatten)  sich  doppelt 
finden,  so  ist  es,  wie  bereits  oben  erwähnt,  nicht  auszumachen,  ob  wir 
in  diesen  (und  den  andern  noch  zu  erwähnenden)  mehr  oder  weniger 
obszönen  Episoden  Bestandteile  der  eigentlichen  Erzählungen  oder 
nicht  viel  mehr  Einlagen  der  Rhapsoden  erblicken  sollen.  Das  gleiche 
dürfte  vielleicht  wohl  von  dem  Passus  1/161— 168  3)  in  der  Geschichte 
von  dem  »Lastträger  und  den  drei  Mädchen«  anzunehmen  sein.  Auch 
sonst  bildet  das  sexuelle  Motiv  die  Pointe  einer  Anzahl  von  Geschichten 
teils  indischen,  teils  arabischen  Ursprungs,  nämlich  H.  10/167  ff.  = 
12/289  ff.  =  HN.  174  bzw.  8/205.206  (Anekdoten  aus  dem  intimen 
Leben  Harun  er-Ra§id's);  12/326  paen.  =  H.  10/201  (wo  die  Erzählung 
natürlich  stark  gekürzt)  4);  ferner  einige  Gedichteinlagen,  worunter  die 
bereits  oben  zitierten  witzigen  (vom  Herausgeber  leider  ganz  verball- 
hornten) Verse  zum  Lob  der  natürlichen  (gegen  die  unnatürliche) 
Liebe:  8/310  [vergl.   S.  12  Note  i   am  Ende]. 


')  Die  Übersetzung  H.'s  ist  aus  stofflichen  Gründen  stark  gekürzt,  wenigstens  in 
der  zweiten  Hälfte. 

^)  Man  könnte  natürlich  noch  manche  andere  Historie  hier  aufführen,  z.  B.  H.  18/164  : 
der  (uns  aus  Boccaccio  bekannte)  Zauberbaum  (übrigens  ebenfalls  indisch)  u.  a.  m. 

3)  Ähnliche  zweideutige   Benamsungen  für  eine  eindeutige   Sache   7/75/2—4- 

4)  Die  Geschichte  der  t,Lailat  el-qadr<-  [»Schicksalsnachto  (am  Ende  des  Ramazän)] 
war  wohl  ursprünglich  ebenfalls  indisch,  ist  dann  aber  in  eine  ganz  muslimische  Form 
gekleidet  worden. 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi    Nacht.  85 

Neben  den  sexuellen  Anzüglichkeiten  verschmähen  die  Erzähler 
auch  die  derben  Spaße  im  Stile  Eulenspiegels  nicht;  da  die  Vorträge 
der  Rhapsoden  nur  für  ein  männliches  Publikum  berechnet  waren,  so 
brauchten  sie  sich  auch  keine  allzu  große  Reserve  in  der  Wahl  ihrer 
Themata  aufzuerlegen;  ebenso  konnte  man  ja  auch  bei  uns  im  Mittel- 
alter,  wie  aus  den  alten  Volksbüchern  und   Schwänken  zu  ersehen, 
ein  ganz  gut  Teil  Derbheiten  ertragen,  die  heute  in  jeder  Form  lite- 
rarisch unmöglich  wären.     Bei  verschiedenen  Anekdoten  beruht   der 
Witz  auf  der   t>darta<>.  (8/225  =  H.  8/58  f.:  Harun,  Dscha'-\aY  und  der 
Beduine-,  H.  19/94  =  11/392:  Der  Dieh  unter  dem  Kessel).    Grobe  Spaße 
enthalten  auch  sonst  manche  Episoden,  wie  z.B.  die  Groteske  vom 
)yKä4i,   der  ein  Kind  bekam«  H.  23/132  ff.  und  die  Szenen  (in  '■Aladdin) 
H.  20/53/3  "=  Zotenberg  ^^7  paen.  =  H.  1/184  bzw.  2/56  paen.  (in  der 
Geschichte  der  Wezire  Nur  eddin  und  Sems  eddin),  wo  der  ungeeignete 
Bräutigam  von  einem  'Ifrit  (kopfüber)  in  die  Kloake  des  »bet  el-md^c 
gesteckt  wird,    sowie  einzelne  Stellen  wie  H.  23/151  Mitte,    H.  3/170 
Mitte,  wozu   ich  schon  an  anderer  Stelle  die  Parallele  aus  Genthe, 
»Marokko«   225  zitiert   habe.  —  In  der  indischen  Erzählung   H.    10/ 
152  f.  =  HN.    163    {die    »billigen«  Brotjladen)   haben   wir   ein  anderes 
Motiv,  nämlich  das  desEkels  über  eine  genossene  Speise,  wozu  Hama- 
däni  Üb.  Nr.  37  S.  134  ein  arabisches  Pendant  gibt. 

'■Ein  besonderes  Kapitel  bilden  die  Täuschungen  und  Foppe- 
reien, wozu  wir  auch  wieder  Parallelen  aus  Hamadäni  haben,  z.  B. 
H.  2/95  ff.  =  2/306  {Geschichte  des  6.  Bruders  des  Barbiers),  die  Skizze 
von  der  fiktiven  Mahlzeit,  die  stofflich  ziemlich  genau  Ham.  Üb.  Nr.  26 
und  35  entspricht,  aber  viel  besser  erzählt  ist.  —  Aus  den  Schnurren 
Hodscha  Nasr  eddin's  ist  uns  die  Einleitung  zu  der  Geschichte  des 
dritten  Bruders  H.  2/77  u.  =  2/275  her  bekannt.  —  Eine  Mystifi- 
kation enthält  auch  die  Geschichte  vom  »erwachten  Schläfer«,  deren 
Thema  als  Einleitung  (d.  h.  Rahmen)  zu  »der  Widerspenstigen  Zähmung« 
weltbekannt  ist  und  sich  auch  in  andern  Stücken  der  europäischen 
Literatur,  z.  B.  Holberg's  »Jeppe  pä  bjerget«,  Hauptmann's  »Schluck 
und  Jau«  usw.  wiederfindet. 

Einen  dankbaren  Stoff  zu  komischen  Szenen  bieten  Haschisch- 
esser, die  auch  sonst  das  Sujet  zu  allerlei  Ungereimtheiten  hergeben 
müssen  [Vgl.  Ibn  Südün  in  MSOS.  IX  Abt.  2/34  Mitte  (1906)],  so 
in  der  bereits  oben  zitierten  drolligen  Geschichte  H.  23/145,  in  der  ein 
haschischberauschter  Fischer  nachts  auf  der  mondbestrahlten  Straße, 
die  er  für  einen  Fluß  ansieht,  die  Angel  nach  einem  Straßenköter  aus- 


86  O.  Res  eher, 

wirft,  den  er  in  seinem  Dusel  für  einen  großen  Fisch  hält  usw.;  ferner, 
H.   14/118/9  u.  ^),  der  iauxov  xi\napou\ievo^. 

Eine  Anzahl  ergötzlicher  Anekdoten  gruppiert  sich  ferner  um 
Harun,  der  häufig  allerdings  nur  als  Attrappe  figuriert.  Von  diesen 
Geschichten  und  Geschichtchen,  von  denen  einige  schon  besprochen 
worden  sind  [8/205.  206  —  ferner  die  Mystifikation  des  Abu  '1-Hasan 
el-Hali*],  möchte  ich  nur  folgende  nennen:  H.  8/71  =  8/231  ff.  {Mesrür 
und  Ihn  el-Kdribi:  die  bekannte  Anekdote -)  von  der  Teilung  des  Ge- 
schenks des  Fürsten,  das  hintennach  —  aus  Prügeln  besteht  ■ —  vgl. 
dazu  auch  H.  14/138  u.),  H.  8/32  [Er-Rasid  und  ahü  Nowds),  H.  18/ 
24 — 2id  (I^^G  Schwankidee  des  Abu  *1-Iiasan,  sich  nebst  seiner  Favoritin 
für  tot  auszugeben  und  tot  zu  stellen;  vgl.  Stumme,  Tun.  112)  3).  Da- 
neben sind  noch  die  verschiedenen  Szenen  zu  erwähnen,  in  denen  die 
Situationskomik  zu  ihrem  Rechte  kommt  (H.  14/123:  Harun  und 
der  Fischer  Chalif,  H.  2/138  =  3/139/2:  Harun  und  der  Fischer  Kerim, 
wo  der  Chalife  mit  letzterem  Kleidung  und  Rolle  tauscht  und  an  Stelle 
seiner  Prachtrobe  das  zerschlissene,  aus  allen  möglichen  Fetzen  zu- 
sammengeflickte, verlauste  Jackett  des  Fischers  anlegt,  nicht  ohne 
daß  das  in  der  Jacke  sitzende  Ungeziefer  ihn  bald  zu  quälen  und  zu 
peinigen  beginnt  4). 

Die  Ironie  ist  in  den  Geschichten  der  looi  Nacht  nicht  eben 
häufig  zu  finden;  die  eine  —  übrigens  indische  —  Stelle  mit  der  para- 
doxen Pointe,  daß  ein  Ehemann  der  unschuldigen  Gattin  zürnt  und 
mit  der  schuldigen  sich  reumütig  versöhnt,  ist  schon  oben  erwähnt 
worden  (H.  10/210  f.  =  12/348  und  PI.  19/22  f.  =  11/246).  —  Eine 
Groteske  bildet  die  Geschichte  von  dem  Ranzen  ''Ali  des  Persers 
(H.   7/5  ff.  =  Chauvin  Nr.    162)    [vgl.   dazu   moderne  Nachahmungen 


1)  4/330/13  fehlt  allerdings  der  Zusatz,  daß  der  Fischer  Chalif  »im  Haschischrausch«' 
so  handelt. 

*)  Vgl.  z.  B.  Meissner,   »Neuarabische  Geschichten  aus  Tanger«  Nr.   IV. 
5)  Dort  wird  diese  Idee  unpassenderweise  (aber  in  Übereinstimmung  mit  den  Volks- 
büchern) (dem)  Abu  Nowäs  zugeschrieben,  der  bekanntlich  gar  nicht  verheiratet  war. 

4)  Die  einzelnen  geistreichen  Züge  in  den  Erzählungen  der  lOOi  Nacht  sind 
meist  indisch  und  uns  aus  den  Parallelstellen  in  der  europäischen  Literatur  zur  Genüge 
bekannt;  so  z.B.  H.  23/6  (=  Stumme,  Tun.  123:  »Die  drei  Muhammad«),  vgl.  H.^uff, 
t>Abner  der  Jude«,  Voltaire,  »Zadig«  usw.;  vgl.  auch  H.  18/142  ff.  =  ii/ji3ff.  >'Die  Ge- 
schichte von  dem  König,  der  das  innere  Wesen  der  Dinge  kannte«  und  H.  18/201  =  1 1/2 16.  (»Die 
Geschichte  von  dem  Weber,  der  auf  Befehl  seiner  Frau  ein  Arzt  ward«).  —  Schlagfertige 
Antworten:  HN.  137  (aus  den  Sieben  Weziren).  Treffende  Urteile:  H.  10/232  =  12/ 
.377  {Der  gestohlene  Geldbeutel  und  der  kleine  Junge);  H.  21/92  ff.  {Der  Krug  mit  den  Oliven); 
H.  i8/i63.(Z)a5  Gewicht  eines  Elefanten).  H.  2/85  ff.  =  2/288  {Geschichte  des  fünften  Bruders 
des  Barbiers),  identisch  mit  H.  15/117  {Der  Asket  und  der  Butterkrug)  =  8/16  (die  »Milch- 
mädchenfabel« La  FC  NTA  ine's). 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht.  3? 

MSOS.  IX  Abt.  2   S.  72:    Der  Guckkasten  der  haue  el-Kadddbe]  ^).  — 
Auch   Wortspiele   sind  verhältnismäßig  ziemlich  spärlich  -). 

(Ehe  und)  Frauentypen  in  1001  Nacht  3). 

Bekanntlich  hat  Mohammed  4)  die  Ehe  5)  als  einen  Pfeiler  des 
Islams  bezeichnet,  und  zwar  einerseits  als  Gegensatz  zu  der  Möncherei 
im  Christentum  (H.  4/33  ob.)  und  andrerseits  zur  Einschränkung  und 
Unterbindung  der  sittlichen  Libertät,  wie  wir  sie  wohl  zum  Teil  als  im 
heidnischen  Arabertum  bestehend  annehmen  dürfen,  wenigstens  soweit 
aus  einzelnen  Stellen  (z.  B.  bei  I  m  r  u '  u  1  q  a  i  s)  hervorzugehen  scheint.  — 
So  heißt  es  3/1 7 1/8:  »^u^^^^Jf  J^ä  -^üjj?«  [die  Verehelichung  ist  eine 
Fessel  (ein  Band)  für  die  Männer],  und  entsprechend  H.  13/166  ob.  = 

5/331/10:  »^L.^  ^L^^JI^  ^L:=Ui  '^\  ^Lv^JI  vi^Jli  u«  [die  Frauen 
sind  (eben)  nur  für  die  Männer  und  diese  (wiederum)  für  jene  ge- 
schaffen] ^).  —  Ursprünglich  bestand  bei  den  Arabern  (in  erster  Linie 

^)  Übertreibungen:  Abgesehen  von  dafür  t^-pischen  Geschichten  wie  dem  Gharib- 
Roman  (ein  türkisches  Pendant  dazu  bildet  der  Roman  von  Sajjid  Ba/ßäl),  die  dem 
entarteten  schlechten  Geschmack  der  späteren  Zeiten  aufs  Konto  zu  schreiben  sind  und 
dessen  Einzelheiten  aufzuführen  überflüssig  ist,  möchte  ich  folgende  Stellen  vermerken: 
H.  3/57  Mitte:  »Ein  Stück  Beng  von  solcher  Wirkung,  daß  ein  Elefant  hätte  ein  Jahr  lang 
schlafen  müssen,  wenn  er  daran  zu  riechen  versucht  hätte«;  ebenso  H.  15/78  Mitte  = 
10/390  ult.;  9/423/6  =  H.  13/17  Mitte;  H.  1/142  oben:  »Ein  Edelstein  von  der  Größe  eines 
Straußeneis«;  9/196/4  =  H.  12/61  u.:  »Ein  Rosenkranz  von  der  Größe  einer  Tracht  Holz«; 
9/102  Mitte:  »Man  beschoß  ihn  mit  Pfeilen,  bis  er  wie  ein  Igel  aussah«  (vgl.  aber  auch 
HuART  1/250/8  u.).  —  Zu  den  Zahlenübertreibungen  siehe  die  Note  über  die  phantastischen 
Zahlen  bei  den  Dschinnen;  des  ferneren  die  Gharib-Geschichte. 

2)  H.  19/176  u.  =  12/99/11  ff.  (Oj^:  Holz  und  Laute);  H.  6/119  u.  (Jasmin:  Blume 
und  Name);  H.  24/122  ff.:  Seltsame  Namen  (vgl.   »Niemand«  hat  mir  das  angetan:  in  der 

Odyssee);  auch  8/23/13  liegt  wohl  ein  Wortspiel  vor:    »^.^Jj^ji^  ^    \JUI  ^1    uÄJ    L«« 

statt    »..^LJal.Mju «,  wenn  freilich  auch   dem  Zusammenhang    nach    der   »sara^dn« 

wohl  am  Platze  ist. 

3)  Vgl.  für  einiges  auch  meinen  Aufsatz  im  »Globus«  98  Heft  12  (Sept.  1910)  S.  186 f.: 
■»Weib   und   Ehe   in   der  Spruchweisheit  der  Araber«. 

4)  Vgl.  die  Tradition:  »i;LÄ.;>\J5^  .Ia*xJI»  >^U^1  qaJLw-«.]!  ,-yX^  ^^yi  *.ij\ 
_L^-ülj«    [vgl.   Soj.  Maq.  (Stambul  1298)  4/15]. 

5)  Bel  55  oben:  »A  Tlemcen,  comme  dans  tout  I'Islam,  le  celibat  est  tres  rare, 
dans  les  deux  sexes.«  Lane  155  (chapter  VI:  Domestic  Life):  »To  abstain  from  marrying 
when  a  man  has  attained  a  sufficient  age,  and  when  there  is  no  just  impediment,  is  esteemed, 
by  the  Egyptians,  improper,  and  even  disreputable«  usw.  Löhr  50  Mitte. 

^)  Dabei  bleibt  freilich  die  Frau  dem  Mann  untergeordnet;  vgl.  2/7/13:  »J>.*iist    J  iAj! 

^^ii^^  ^«;  S/301/7:    i>,^iJ-'l    ^^  y  joi    ^^b    ^.L'!    ^.^<'.  —    über  den  Wert   des 


gg  O.  Rescher, 

den  Beduinen)  das  Prinzip  der  Heirat  zwischen  Vetter  und  Base  ^); 
diese  Sitte  findet  sich  auch  natürlich  in  verschiedenen  Erzählungen 
der  lOOi  Nacht,  so  z.B.  H.  1/166  ff.  =  2/4  ff.  [die  Wezire  Nur  eddin 
und  Semseddin);  H.  19/23  =  1 1/253/7  [Geschichte  der  hübschen  Frau 
und  ihres  häßlichen  Mannes);  H.  4/45  [^Aziz  und'Azize);  H.  1/65  Mitte 
=  1/123/2  [Geschichte  des  Prinzen  der  schwarzen  hiseln),  nicht  zu 
vergessen  Härün's  und  Zobaida's  usw.  Die  Vetternheirat  kam 
allerdings  später  —  besonders  in  den  großen  Städten  —  immer  mehr 
in  Abnahme,  zumal  da  das  demokratische  Prinzip  des  Islam  die 
altarabischen  (beduinischen)  Anschauungen  von  Rassenreinheit  und 
Ebenbürtigkeit  allmählich  ganz  auszuschalten  begann.  Tatsächlich 
war  ja  auch  die  ethnische  Zusammensetzung  der  späteren  muslimischen 
Geseilschaft  in  sich  selbst  so  inkohärent,  d.  h.  äußerlich  zwar  einiger- 
maßen nivelliert,  ihrem  Ursprung  und  ihrer  Veranlagung  nach  aber  so 
sehr  differenziert,  daß  die  alten,  auf  der  schematischen  Einteilung  nach 
Stämmen  und  Clans  beruhenden  Anschauungen  und  Bräuche,  wie  sie 
die  arabische  Halbinsel  aufwies,  für  die  große  Masse  der  islamischen 
Völker  als  etwas  völlig  Fremdes,  Überwundenes  gelten  konnte.  Infolge- 
dessen wurde  auch  das  Frauenleben  und  die  Ehe  in  ganz  andere  Bahnen 
gelenkt;  anstatt  richtiger  Ehefrauen  oder  aber  neben  diesen 
nahm  man  häufig  Sklavinnen,  von  denen  besonders  die  abessini- 
sehen  sehr  geschätzt  wurden  [vgl.  Snouck-Hurgronje  n/r33].  Des- 
halb heißt  es  H.  6/81  Mitte  =;  7/42/9  ["Aid'  eddin  abü  's  Sämät): 

»Du  hast  mich  [sagte  der  Obmann  der  Kaufleute  zu  seiner  (unfruchtbaren)  Gattin] 
am  Hochzeitstag  schwören  lassen,  keine  Abessinierin  oder  (sonstige)  Konkubine  neben  dir 
ins  Haus  zu  bringen «. 

Ein  Schritt  weiter  war  der,  daß  man,  vor  allem  im  Bann  der  Mode 
der  großstädtischen  Kultur,  auch  auf  die  intellektuelle  Ausbildung 
der  Sklavinnen  mehr  Gewicht  zu  legen  begann,  so  daß  —  ähnlich  wie 
bei  den  Hetären  im  griechischen  Altertum  —  diese  oft  meist  gebildeter 
waren  als  die  eigentlichen  Ehefrauen.    Hand  in  Hand  mit  dieser  Mode 


Mannes  bzw.  seine  Bewertung  seitens  der  Frau  heißt  es   6/149/8:    »,3-xJ    ^    öL*..;'    qI 

^)  Bel  17  ob.:     »Lorsque  les  parents  ont  convenu  de  marier  deux  enfants  (un  cousin 

avec  sa  cousine  generalement) « ;   ibid.   54  u. :     »Le  mariage  tlemcenien,    entre  con- 

sanguins,  ä  un  degre  assez  rapproche,  est  prejudiciable  ä  la  sante  des  enfants.«  Vgl.  Kremer 
2/104  u.  f.  und  Lane  156  u. :  »It  is  veiy  common  among  the  Arabes  of  Egypt  and  of  other 
countrys,  but  less  so  in  Cairo  than  in  other  parts  of  Egjrpt,  for  a  man  to  marry  his  first 
cousin.  In  this  case,  the  husband  and  wife  continuc,  to  call  each  other  'cousin'«  usw.  — 
Yahouda:  »Bagdadische  Sprichwörter <'^  Note  i  ad  Nr.  41  S.  16  des  S.-A.  —  Stumme,  Trip. 
149  Mitte;  Stumme,  Tun.  79;  Wilken,   »Matriarchat«  59;  Schwally  passim. 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi  Nacht.  So 

ging  natürlich  auch  das  materielle  Interesse  der  Sklavenhändler,  die 
einen  um  so  höheren  Preis  fordern  konnten,  je  größer  die  Kenntnisse 
und  künstlerischen  Fertigkeiten  ihrer  Sklavinnen  waren.  Meist  unter- 
richtete man  die  Befähigteren  unter  ihnen  in  der  Musik,  d.  h.  Gesang 
lind  Lautenspiel  (H.  19/103  ob.  ff.:  Tuhjat  el-qulüb,  H.  7/109  Mitte  = 
7/349/8)  wo  »pLotI5  ääUasj  oli.Lc«  zu  lesen),  aber  auch  manchmal 
in   literarischen,   ja  selbst  wissenschaftlichen  Fächern  (H.  2/ 

106  u.  =  3/73/3  ff.:    Enis   el-gelis   »iüsJÜl^   JääJÜI_5   _b^n   c>Jl*:i"  As   L^I 

:«.ftÄJI  j^yofj  Cjal\*,  j.^uJt_5  ^.^yv-ÄiCi?^  '»^j^\^<',  H.  15/48  Mitte:  Mirjam, 
die  Gürtelmacherin;  H.  7/57  u.:  Zumurrud]  H.  8/136:  die  Sklavin 
Tawaddud  usw.)  ^). 

Trotzdem  nun,  zumal  in  der  späteren  Entwicklung,  die  Stellung 
der  Frau  sich  in  mancher  Beziehung  eher  verschlechterte  -),  wäre  es 
doch  verfehlt,  manche  Einzelheiten  in  einseitiger  Weise  zu  betrachten. 
Von  den  gesetzlich  normierten  Rechten,  die  die  Frau  besitzt,  ganz  ab- 
gesehen, finden  wir  in  den  Erzählungen  von  lOOl  Nacht  viele  individuelle 
Züge,  die  beweisen,  daß  auch  die  Frau  ihre  Wünsche  geltend  machen 
kann.  Nicht  selten  ist  es,  daß  sie  vor  Vollzug  der  Ehe  besondere 
Stipulationen  aufsetzt  [H.  18/198  =  11/210  ult.:  Die  (allerdings 
indische)  Geschichte  des  »Webers,  der  auf  Befehl  seiner  Frau  ein  Arzt 
ward«,  wo  der  Mann  einen  Vertrag  unterschreibt,  seiner  Frau  stets 
bedingungslos  zu  gehorchen],  häufig,  daß  sie  dem  Bräutigam  die  Ver- 
pflichtung auierlegt,  keine  zweite  Frau  mehr  neben  ihr  zu  nehmen 
[H.  23/38  u.,  H.  12/62  ob.  =  9/197/3,  H.  6/81  =  7/42/9,  H.  2/1 12  Mitte 
=  3/86  ult.]. 

Übrigens  ist  auch  eine  ganze  Reihe  von  Frauengestalten  in  lOOi 
Nacht  mit  durchaus  aktiv  männlichem  Charakter  gezeichnet. 
So  die  handfeste  »Griechin«,  später  Muslemin  Mirjam,  die  Gürtel- 
macherin (H.  15/61,  80,  83,  93),  die  mit  dem  Schwert  offenbar  besser 
umzugehen  weiß  als  mit  der  Nadel.  Häufig  finden  wir  auch  den  Typus 
der    »virago«  direkt   ins  Amazonenhafte  3)    erweitert,    so   H.   3/21  ff,, 


^)  Gelegentlich  scheint  man  allerdings  doch  auch  die  Mädchen  besser  unterrichtet 
zuhaben,  vgl.  H.  24/158  Mitte;  H.  22/164  ob.;  H.  3/90  Mitte;  H.  19/36  u.  =  11/279  ult.; 
H.  6/49  ob.  — ■  Über  gelehrte  Frauen  vid.   Kremer  2/12  i  f. 

2)  So  liest  man  z.  B.,  daß  bei  den  Häuserplünderungen,  die  man  in  den  späteren  Zeiten 
des  Absolutismus  gegen  Verdächtige,  Angeklagte  oder  Mißliebige  ohne  weiteres  inszenierte, 
die  Frauen  des  Betreffenden  einfach  weggeschleppt  und  womöglich  als  Sklavinnen  ver- 
kauft wurden,  eine  Ungesetzlichkeit,  von  der  man  in  den  älteren  Zeiten  des  Islam  nichts 
hört;  vgl.  z.  B.  H.  23/79   Mitte;  ibid.  92  u. 

3)  Die  Schilderung  des  Amazonenstaates  findet  sich  in  der  Erzählung  von  Hasan 
el-BasrVs  Abenteuer  auf  den  Inseln   VVäq   ]l'äq;    vgl.  H.  14/35   ^'^'^  HN.  40  u.  ibid.  54/2. 


90 


O.  Rescher, 


H.  3/50  ff.  (die  Königin  Abrise  im  Roman  von  *^Omar  en-No''mdn), 
HN.  246  f . :  Histoire  de  Zäfer  hen  Lähiq;  vgl.  auch  Socin,  »Zum  arab. 
Dialekt  von  Marokko«  183  ff.;  Meissner," »Neuarabische  Geschichten  aus 
Tanger«Nr.'K.  Daß  solche  Darstellungen  nicht  bloße  Fiktion  sind,  läßt 
sich  unschwer  aus  verschiedentlichen  andern  Berichten  erkennen  ^).  — 
Bei  alledem  liegt  es  natürlich  auf  der  Hand,  daß  solche  männliche  Typen, 
die  in  primitiven  Verhältnissen  (wie  z.  B.  bei  den  Beduinen)  nicht  eben 
so  selten  sein  dürften,  doch  in  einer  entwickelteren  Kulturstufe  nur  noch 
Ausnahmen  bilden  können,  und  demgemäß  läßt  sich  im  allgemeinen 
behaupten,  daß  es  im  großen  ganzen  nicht  die  Kraft  oder  Gewalt,  son- 
dern vielmehr  die  List  ist,  wodurch  die  Frau  zu  ihrem  Ziele  zu  kommen 
sucht.  Und  tatsächlich  ist  auch  die  Anzahl  der  Geschichten,  deren 
Pointe  eine  Weiberlist  ist,  eine  recht  große;  sind  es  auch  zum  großen 
Teil  solche  indischen  Ursprungs,  so  fehlen  doch  auch  die  echt  arabischen 
nicht.  Da  es  zu  weitläufig  wäre,  alle  in  extenso  abzuhandeln  und  einiges 
davon  auch  in  einem  andern  Zusammenhang  bereits  im  vorausgehenden 
schon  erwähnt  worden  ist,  so  möchte  ich  mich  mit  einer  kurzen  Zitierung 
der  betreffenden  Stellen  [vgl.  auch  Chauvin  Nr.  331  ff.]  begnügen 
(H.  1/49  =  H.  10/148:  Der  Papagei;  H.  1/17:  Schahriar  und  Schahzemän; 
HN.  191  f.,  193  f.,  169  f.;  H.  10/153  f.;  Die  Frau  und  ihre  zwei  Liebhaber 
[alles  indisch];  H.  24/107  f.,  H.  24/126  f.  [Die  Frau  und  der  Knecht) \ 
H.  17/5  ff.  [Kamar  ez-zemän  und  seine  Liebste;  vgl.  Lane  297ff. -)). 
Allerdings  sind  diese  Geschichten  —  mit  Ausnahme  von  H.  24/138  ff.: 
Mohammed  es-  Salabi  (Celebi),  wo  eine  Frau  durch  ihre  List  ihren  Mann, 
der  sich  eine  Verfehlung  hat  zuschulden  kommen  lassen,  aus  dem  Ge- 
fängnis rettet  —  fast  alle  im  üblen  Sinn  gemeint,  weil  eben  die  Beur- 
teilung der  Frau  seitens  des  Orientalen  dahin  tendiert,  daß  ihr  Charakter 
listig  und  intrigant  (und  zwar  eben  zur  Erreichung  des  Verbote- 
nen) sei  3).  —  Die  gewöhnliche,  fast  einzige  Gelegenheit,  die  eine  in  der 

')  Vgl.  Belädori,  Üb.  91  u.;  ibid.  119  u.;  Kremer  2/233  ob.;  Reisinger  »Griechen- 
land« 33  ob.:  »Es  spukte  damals  [schreibt  Fr.  Theod.  Vischer  in  einem  Brief]  im  unteren 
Rumelien  eine  Klephtenbande,  worunter  ein  Weib,  schön,  mit  Säbel  bewaffnet,  wilder 
noch  als  die  Männer,  die  erst  kürzlich  einen  Mann  und  eine  Frau  zusammengehauen  hatte.« 

^)  Stumme,  Ttni.  78  ff.  {Die  schlechte  Frau),  erinnert  natürlich  ganz  an  Chamisso's 
»Lied  von  der  Weibertreue 0;  die  Quelle  ist  die  bekannte  Episode  in  Petronius  Arbiter  , 
»Die  Witwe  von  Ephesus«;  vgl.  Duklop  (ed.  by  Wilson)  »History  of  prose  fiction'' 
[London  1896]  I  p.  94  f. 

3)  Lane  296  (chapter  XIII:  C/iaracler):  »Some  of  the  stories  ot  the  intrigues  of  women 
in  looi  nights  present  faithful  picturcs  of  occurrences  not  unfrequent  in  the  modern  metro- 
•polis  of  Eg^^pt.«  »It  is  believed  that  they  [the  Egyptian  women]  possess  2  degree  of  cunnmg 
in  the  management  of  their  intrigues  which  the  most  prudent  and  careful  husband  cannot 
guard  against  .  .<■;  ibid.  297:  »Innumerable  stories  of  the  artifices  and  intrigues  of  the 
women  ot  Egypt  have  been  related   to  me.  .!...<<  — •  Lane-Poole  219:   »That  women  are 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht.  qi 

Stadt  wohnende  Orientalin  hat,  um  aus  der  ihr  gesetzHch  gebotenen 
Zurückhaltung  herauszutreten,  ist  der  Besuch  in  den  Kaufläden 
der  Bazars,  wo  sie  zur  genaueren  Besichtigung  der  Ware  ihren  Schleier 
heben  darf.  Die  Einkäufe  (oder  Scheineinkäufe)  sind  so  oft  das 
probateste  Mittel  zur  Annäherung  (2/169/12  =  H.  2/32  Mitte;  H.  2/17  u. 
usw.)  i).  —  Viel  gewagtere  Mittel  sind  natürlich  richtige  Tricks  =), 
wie  z.  B.  in  Körben  oder  Kisten  den  Liebhaber  ins  Haus  zu  prakti- 
zieren (7/175  --=  H.  6/176:  Eine  Erzählung  des  Ishäq  el-Mausili, 
H.  2/36  =  2/174/13  ff.  usw.).  —  Im  übrigen  war  es  das  Geschäft  der 
Kupplerinnen,  die  gegenseitige  Annäherung  (gleichgültig  ob  in  ehr- 
barer oder  unsittlicher  Absicht)  zu  vermitteln  [Chauvin  VI/17  Note  i]  3), 
Ein  beliebter  und,  wie  es  scheint,  nicht  einmal  seltener  Trick  dieser 
Weiber  bestand  darin,  unter  dem  Deckmantel  der  Frömmigkeit 
(als  »heilige  Frauen «4))  zur  rituellen  Waschung  und  Gebetsverrichtung 
in  die  besseren  Häuser  sich  Eingang  zu  verschaffen,  die  Verhältnisse 
dort  auszuspionieren  und  dann  dementsprechend  ihre  Ränke  und  In- 
triguen  zu  spinnen  [Chauvin  VI/147  Z.  2,  ibid.  VI/17  Z.  7,  H.  23/167  f., 
H.  10/215  f-  ==  H.  19/20  f.:  der  bekannte  Trick  mit  dem  angebrannten 
Schleier  (=12/348  ff.  bzw.  11/246  ff.),  H.  12/61  ff.  [Delila],  H.  6/50 
Mitte   (Na'-ama  uvd  Na'^ani)   usw.  5).  —  W'ährend   die  Tätigkeit   der 

deficient  in  judgement  or  good  sense  is  held"as  a  fact  not  to  be  disputed  even  by  themselves, 
as  it  rests  on  an  assertation  of  the  prophet;  but  that  they  possess  a  superior  degree  of 
ot  cunning  is  pronounced  equally  certain  and  notorious.«  — ■  Deshalb  heißt  es  auch,  daß 
kein  Hindernis  eine  Frau  von  ihrem  Ziel  abbringen  kann,  das  sie,  wenn  nicht  offen,  so  doch 

um  so  gewisser  durch  eine  List  erreicht:  H.  14/15  u.  =6/6/1  [(J^-^  ^■^  i-\^  ^^^  ^s^-^J!  ,.,I 

Jcol    L^>.Jlij    U    t  -Ü      -s]-      H.    1/17  ob.    und    1/15/4    »Aa^"  ^ic    ii^JliwJ    ^aXx.«^5 

♦Jac    *.PJc>ji"  jj,^'    ^Ij^U<;  2/19S/13:    »^^jC^    ^a    ^'^j    ^    s-Im^XjU'-,  11/319/12; 

HN.    158  u.;    vgl.  auch  HN.  240b.      »Je  me  suis  promis    de   me    donner    ä    tous 

pour  bien  prouver  k  mon  tyran  que  l'on  ne  saurait  garder  une  femme  malgre  eile.« 

')  Seltener  suchte  man  andere  Orte  auf;  so  nach  Snouck-Hurgronje  II/67  ob. 
den  Friedhof;  heimliche  Übermittlungen  in  einer  Moschee  vgl.   H.  5/101   ob;  =  3/45/12. 

-)  Der  öfters  sich  findende  Trick  der  Herstellung  eines  unterirdischen  Ver- 
bindungsganges (jQamar  ez-zemän  und  seine  Liebste;  Der  Walker,  seine  Frau  und  der 
Soldat,  vgl.  Meissner,  »Neuarabische  Geschichten  aus  Tanger«  Nr.  VHI)  dürfte  wohl  eher 
ein  wirkliches  Märchenmotiv  darstellen. 

3)  Vgl.   Snouck-Hlrgronje  II/38  ob.;  105  Mitte.    Über  die  List  der  »alten  Weiber« 

vgl.  Wetzstein  108  Mitte»    J^^^i    /**«    jjU^*JI    J>>^«  und  ibid.  112/6  u.  »ij^.>'\jjl    jC/O 

4)  Wirkliche  heilige  Frauen:  H.  20/107  ob.;  H.  21/1S3  ob.;  H.  1S/191  ob.  usw. 

5)  Im  übrigen  vgl.  im  allgemeinen  H.  2/74,  H.  4/156,  HN.  175  =  HN.  19  u.  (geistes- 
gegenwärtige Schlagfertigkeit  der  Ehebrecherin);  H.  4/95;  ferner  die  »Umm  Schkurdum« 
in  den    »Liebejiden  von  Amasia«  usw. 


Q2  O.  Rescher, 

Kupplerinnen,  obwohl  häufig  mehr  als  zweideutig,  nicht  direkt  unter- 
drückt oder  doch  wenigstens  stillschweigend  geduldet  wurde,  so  stand 
dagegen  die  Prostitution  natürlich  völlig  außerhalb  und  im  un- 
mittelbaren Gegensatz  zu  dem  Gesetz  des  Islams.  Trotzdem  sehen  wir 
aus  den  Geschichten  der  looi  Nacht  ebensogut  wie  aus  andern  Quellen 
über  die  Islamländer,  daß  auch  hier  die  Praxis  manches  autorisierte, 
was  das  Recht  als  solches  streng  verpönen  mußte  ^);  und  besonders  in 
dem  Großstadtleben,  wie  es  sich  in  Bagdad  und  später  in  Kairo  ent- 
wickelte, ließ  sich  das  Verbot  wohl  nie  ernstlich  in  seinem  ganzen  Um- 
fang durchführen.  Ich  begnüge  mich  auch  hier  nur  mit  einer  kurzen 
Zitierung  der  Stellen;  ganz  eindeutig  ist  wohl  5/107  2)  =  H.  16/114 
(Geschichte  des  abü  H- Hasan  aus'' Oman);  H.  12/148  u.  =  Kairoer  Aus- 
gabe, fehlt  in  Habicht's  Text  5/160);  3/117/11  (wo  wahrscheinlich 
»VL^üJI«  ZU  lesen)  =  H.  2/126;  H.  7/131  f.  =  7/385  f.;  H.  23/215  (wo 
die  Sache  nur  fiktiv);  H.  24/122  und  H.  19/67  f.  (beides  Geschichten 
von  Gaunerinnen);  H.  19/77  ff.  (die  »Mörderhöhle«)  ist  schon  in  einem 
andern  Zusammenhang  erwähnt  worden.  — 

Wenn  wir  all'  das  Vorhergehende  insgesamt  ins  Auge  fassen,  so 
finden  wir  vielleicht  vieles  verständlicher,  was  wir  an  weib  er  feind- 
lichen Aussprüchen  in  lOOi  Nacht  lesen.  Geht  manches  allerdings 
auch  schon  auf  indische  Quellen  zurück,  so  hat  doch  auch  der  Islam 
nicht  gezögert,  einen  Teil  dieser  und  verwandter  gemeinorientalischer  3) 

I)  Vgl.  Lane  118  u.  (chapter  IV:  Goverwiieni):  »Under  the  'Wälee's'  Jurisdiction 
were  the    public    women   [welcher  Religion??],  of  whom  he  kept  a  list  and  from  each 

of  whom  he  exacted  a  tax and  when  he  tound  a  female  to  have  been  guilty  of  a 

Single  act  of  incontinence,  he  added  her  name  to  the  list  of  the  public    women,   and 

demanded  from  her  a  tax,  unlessed  she  preferred to  give  him a  considerable 

bribe.«    Ibid.  297  Mitte:    »the  ghawäzee,  who  are  professed  prostitutes «  — •  Ibid. 

119  Anm.  1  lesen  wir  dann  allerdings  wieder:  »Since  this  was  written,  the  public  women 
throughout  Egypt  have  been  compelled  to  relinquish  their  licentious  profession.«  —  Aubin 
278:  »Außerdem  hat  der  Moqaddem  [in  Fes]  die  Dirnen  unter  seiner  Jurisdiktion,  und  sie 
liefern   ihm  freiwillig  oder  gezwungen   ihre   nachweisbaren  Einnahmen  ab.«      Ibid.   292: 

»Die   wohlhabenderen   Familien  pflegten ihren  Söhnen   eine   zuverlässige   Negerin 

beizugeben,  um  sie  vor  gemeinen  Liebeshändeln  zu  bewahren,  da  sich  in  den  verschiedenen 
Stadtvierteln  [von  Fes]  eine  Menge  von  Dirnen  aus  allen  Ecken  des  Landes  jedem  beliebi- 
gen anbieter.«  —  Huart  1/365  u.:  »Der  Muhtasib  mußte  den  öffentlichen  Dirnen 
und  den  Sängerinnen  Verweise  erteilen,  ja  sie  sogar  aus  der  Stadt  jagen.__«  — •  Mauchamp 
166  oben.  —  DiETERici  i>Reisebilder  aus  dem  Morgenlaiiden   (Berlin  1S53)  1/120  f. 

^)  5/107/4  »..L^-JÜI  ..^/o'w/i3«  ist  natürlich  falsch;  »  .^Ljli«  paßt  aber  auch  nicht 
in  den  Zusammenhang. 

3)  Darunter  verstehe  ich  den  Kultürorient  im  Gegensatz  zu  den  mehr  oder  weniger 
primitiven  Verhältnissen  auf  der  Halbinsel  Arabien  (speziell  Zentralarabien  mit  dem 
Ausschluß  des  Jensen),  wo  von  frauenfeindlichen  Tendenzen  natürlich  nie  die  Rede  sein 
konnte. 


Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht.  93 

Auffassungen  sich  zu  eigen  zu  machen  und  in  sich  aufzunehmen  ^). 
So  lesen  wir  z.  B.  8/174/2:  »^yj^*,  (^^^j^  ^.^"^'^-5  *^"'*^^  V^^  ».AxaÄ^J!  Js-x^i 
^».xX^JI  J^fti.   lii-  ^^^^  [.,^  ^-i5  J.xJl^  ^ry<;  8/219/7:   »^.,  Jj.xj  -i 

^-M.^_^,0  ^5  1^0  ^-.w.^  CT^'y  y^^"  CT''  O^  ^L^iil  c5|;  ^S>^«  8/1 24/1: 
II/319/12:    »^^Jlx£>3    v_Ä>o».j    ^    ,jr^^^3    O^-^'*-^    o1iA*^^j5   ^P   j^l.%«.J5    ^.,13 


Vgl.  auch" das  Gedichtchen  H.  17/41  ob.,  H.  3/100  Mitte  (ein 
Ausspruch  'Ali's) : 

»Hütet  euch  vor  der  Bosheit  der  Weiber  und  nehmt  euch  vor  ihnen  in  acht;     fragt 
sie  in  keiner  Sache  um  Rat  usw «;  ebenso  H.  7/70  oben. 

Diesen  Anschauungen  und  Beurteilungen  gegenüber  finden  wir 
allerdings  auch  eine  ganze  Reihe  Erzählungen,  in  denen  die  stand- 
hafte Treue  [H.  18/187,  H.  8/82,  Chauvin  Nr.  391  ff.,  vgl.  Stumme, 
7mw.  8off.  [Wie  gute  Frau«)]  und  Auf  opferungstätigkeit  der  Frau 
zum  Ausdruck  kommt.  Andrerseits  wieder  haben  gerade  die  alten,  aus 
dem  Beduinenmilieu  stammenden  oder  in  diesem  Genre  behandelten 
Liebesdichtungen  eine  charakteristische  Vorliebe  für  eine  gewisse 
schwärmerische  Sentimentalität,  mit  der  sie  die  Frauenliebe 
verherrhchen,  und  »Werther  «-Typen  wie  Megnün  Lailä  haben  über 
den  Kreis  der  arabischen  Literatur  hinaus  Nachdichter  gefunden. 
Solch'  sentimentaler  Novellen  und  Episoden  finden  wir  in  lOOi  Nacht 
eine  ganze  Anzahl,  so  z.B.  GemiVs  Geschichte  der  Liebenden  vomStamme 
'■Adra  fH.  12/31  ff.);    Sül  und  Suniül;  Die  drei  unglücklich  Liebenden  4) 

1)  Snouck-Hurgronje  II/187:  Die  muslimische  Literatur  enthält  zwar  vereinzelte 
Ansätze  zu  einer  richtigen  Würdigung  der  Frau,  aber  die  später  immer  mehr  zur  Geltung 
gelangte  Ansicht  findet  doch  ihren  Ausdruck  nur  in  den  heiligen  Traditionen,  welche  die 
Hölle  als  voll  von  Weibern  darstellen  und  dem  Weibe,  von  seltenen  Ausnahmen  abgesehen, 

Vernunft  und  Religion  absprechen  (vgl.  H.  18/29  =  4/180/11  J^Äxil  oLköSÜ  ^L.M.^JI  (_.,!« 
.  JiAÜ^«);  in  Gedichten,  die  alles  Übel  in  der  Welt  schließlich  auf  die  Frau  zurückführen; 
in  Sprichwörtern,  die  eine  sorgfältige  Erziehung  von  Mädchen  als  reine  Verschwendung 
hinstellen.« 

2)  Text  falsch  »^.^^\^«.  3)  Text    »^.^*-^L«. 

4)  Ähnlich,  wenn  auch  nicht  ganz  identisch  damit  ist  Heine's  GtAicht  {Lyrisches 
Intermezzo  1822/3)  Nr.  39 :  '  •        ' 

»Ein  Jünghng  liebt  ein  Mädchen, 
Die  hat  einen  andern  erwählt; 


94 


O.  Rescher,  Studien  über  den  Inhalt  von   looi   Nacht. 


(H.  8/92  =  8/266  =  Chauvin  Nr.  44),     vor   allem   'Aziz   und    ^Azize 
(H.  4/45  ff.,    eingelegt  in  Tag-  el-mulük),    worin  die  entsagende  Liebe 
ihre  dichterische  Darteilung  findet;    ferner    der  Roman   von    ^Ali  b. 
Bekkdr    und    Semsennahär     (H.    5/58  ff.)    sowie  Ghänern    und    Küt 
el-kulüb  (H.   2/153  -4/365  ff.)-  —  Die    eigenartigste    Frauenge- 
stalt  in  lOOl  Nacht  ist  aber  unstreitig  die  Erzählerin,     Scheher- 
zäde,  selbst,  die  ihr  eigenes  Ich  zum  Opfer  bereitstellt,   um  ihre  Ge- 
schlechtsgenossinnen von  dem  Wahnsinn  eines  tyrannischen  Despoten 
zu  retten,  und  der  es  dank  ihrer  Unverzagtheit  und  Klugheit  gelingt, 
nicht  nur  das  erstere  Ziel  zu  erreichen,  sondern  auch  ein  höheres  zu- 
gleich, nämlich  den  durch  seine  Verbitterung  krankhaft  gestörten  Geist 
des  Autokraten  wieder  zur  Selbstbesinnung  zu  bringen  und  auf  die  Bahn 
des  Menschlichen  zurückzulenken.     So  erscheint  es  als  ein  seltsames  — 
vielleicht  aber  doch  nicht  ganz  ungewolltes— Spiel  des  Kreislaufes  all* 
der  Geschehnisse,  daß  eines  Weibes  Hochsinn  das  wieder  zu  sühnen 
versteht,  was  eines  andern  Unverstand  und  Leichtsinn  über  ihr  Ge- 
schlecht heraufbeschworen,  und  mehr  noch,  durch  ihre  selbstlos-mutige 
Hingabe  zur  Verteidigung  der  unterdrückten  Menschenrechte  diesen 
wieder  Geltung  zu  verschaffen  weiß.     Es  spielt  hier  (in  der  ursprüng- 
lichen Konzeption  des   [indischen]  Dichters  i))  unzweifelhaft  ein    Er- 
lösungsgedanke   herein,    der  von   der   opferwilligen   Hingabe   und 
selbstlosen  Treue  eines  Weibes  ausgeht  und  der  ja  in  der  Dichtung  der 
indogermanischen  Völker  auch  sonst    des  öfteren  seinen  Niederschlag 
gefunden  hat  [)>Der  arine  Heinriche,  Senta  im  »Fliegenden  Holländer«,. 
Goethe's  Faust],  der  freilich  aber  dem  Vorstellungskreis  der  semitisch- 
muslimischen Völker  fremd  und  unbegreifhch  bleiben,  wenn  nicht  gar 
ungeheuerlich  erscheinen  muß. 


Der  andre  liebt  eine  andre 
Und  hat  sich  mit  dieser  vermählt« 
usw.  und  die  Szene   zw  ischen  Hermia,  Helena,  Lysander  und  Demetrius  im   >>Sommer- 

nachistraum<'- 

I)  Für  die  arabische  lOOi  Nacht  ist  —  wie  entschieden  betont  werden  muß  — 
Scheherzäde  nur  die  Märchenerzählerin  -/.otr  ihyfi^  wie  Harun  der  Romansultan  par  ex- 
cellence  und  die  Rahmenerzählung  eine  belanglose  Episode  wie  etwa  der  Rahmen  zu  der 
»Widerspenstigen  Zähmung«.  In  den  Augen  des  muslimischen  Erzählers  ist  einfach  alles 
unterschiedslos  novellistischer  Stoff,  während  dem  ursprünglichen  Dichter  jvohl  die  ethisch- 
dramatische Idee  vorgeschwebt  haben  mag. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 


Julius  Wellhausen, 

geb.    1844  zu  Hameln,  gest.   1918  zu  Göttingen. 

Geschichte  schreiben  ist  ebensowenig  lernbar  wie  Geschichte  machen.  Staats- 
männer und  Historiker  werden  geboren.  Historischer  Sinn  ist  ein  Geschenk  Gottes, 
aber  er  macht  noch  nicht  den  Historiker.  Der  wahre  Historiker  muß  die  Kleinarbeit 
des  Kärrners  mit  der  Kunst  eines  Baumeisters  verbinden.  Der  historische  Sinn  muß 
die  mühsam  herbeigeschaffte  Masse  meistern  und  die  künstlerische  Gestaltungskraft  sie 
adeln.     In  diesem  Sinne  ist  Wellhausen  ein  echter  Historiker   gewesen. 

Schreiber  dieses  Nachrufes  hat  Wellhausen  nie  gesehen,  aber  er  hat  ihn  erlebt. 
Schon  auf  der  Schule  haben  die  Prolegomena  seine  Berufswahl  bestimmt,  und  wie 
persönliche  Geschenke  hat  er  zeitlebens  die  historischen  Arbeiten  Wellhausen's  mit 
Ungeduld  erwartet  und  mit  Dankbarkeit  genossen.  So  darf  er  sich  wohl  einen  Schüler 
des  großen  Toten  nennen.  Wenn  er  es  andern  überlassen  muß.  den  Menschen 
Wellhausen  zu  schildern,  so  fühlt  er  sich  doch  berechtigt,  ja  verpflichtet,  zu  bekennen, 
wie  er  den  Historiker  Wellhausen  gesehen,  und  was  er  in  ihm  verehrt  hat. 

Auf  drei  Gebieten  hat  sich  Wellhausen's  großes  Können  ausgelebt;  er  hat  die 
alttestamentliche  Wissenschaft  völlig  umgestaltet,  er  hat  die  Geschichte  des  Arabertums 
geschrieben  und  die'  neutestamentliche  Wissenschaft  befruchtet.  So  verschieden  diese 
Gebiete  bei  der  heutigen  Arbeitsteilung  auch  erscheinen,  für  Wellhausen  waren  sie 
der  eine  große  Schauplatz  der  Auswirkungen  des  Semitentums.  Indem  er  stets  das 
Ganze  übersah,  konnte  er  im  einzelnen  bahnbrechende  Erkenntnisse  finden.  Das  Genie 
sieht  den  Zusammenhang,  die  Epigonen  die  Disziplinen.  Die  Geschichte  der  Wissen- 
schaft wird  stets  Welihausen's  Bedeutung  für  die  alttestamentliche  Disziplin  in  den 
Vordergrund  rücken,  aber  wohl  nur,  weil  der  Kreis  der  Arbeiter  hier  größer, 
die  Auswirkung  seiner  Ideen  hier  weiter  war.  Die  Genialität  der  individuellen 
Leistung  war  aber  auf  arabistischem  Gebiet  wahrscheinlich  stärker. 
Im  Alten  Testament  hatte  er  Vorläufer,  die  Fragestellung  war  dort  gegeben,  das  Problem 
lag  in  der  Luft,  wenn  auch  erst  sein  Eintreten  den  Stein  ins  Rollen  brachte.  Ganz 
anders  bei  seinem  Aufriß  der  Geschichte  des  arabischen  Reiches.  Hier  hat  er  mit  bisher 
unerhörter  Kraft  Richtschneisen  durch  einen  undurchdringlichen  Urwald  geschlagen  und 
einzelne  Teile  in  einen  wohlgepflegten  Park  umzuschaffen  begonnen.  Er  selbst  liebte 
dies  Arbeitsgebiet  und  wußte  genau,  was  seine  Arbeit  hier  bedeutete.  Ein  Jahr  nach 
Erscheinen  seines  Arabischen  Reiches  schrieb  er:  »Daß  das  Interesse  für  arabische 
Geschichte  und  das  Verständnis  dafür  gering  ist,  wußte  ich  wohl ;  daß  es  aber  so 
minimal  sei,  daß  überhaupt  keine  Besprechung  meines  Buches  erschienen  ist,  hatte  ich 
doch  nicht  geglaubt.  .  .  .  Die  Ernte  ist  hier  reich,  aber  der  Arbeiter  sind  gar  zu  wenig. 
Alles  stürzt  sich  auf  das  Alte  Testament  und  auf  die  Keile.  Niemand  mag  die  weit- 
schichtige arabische  Literatur  durchlesen,  auch    die    meisten  Professoren   tun    es    nicht.« 


Qß  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

Wellhausen  hatte  damit  gewiß  recht,  aber  er  übersah  doch  auch,  daß  das  Schweigen. 
das  sein  Buch  empfing,  ein  Schweigen  der  Ehrfurcht  war.  Die  große  Wirkung  ist  nicht 
ausgeblieben,  aber  es  war  den  wenigen  Mitarbeitern  sofort  klar,  daß  dieser  Leistung 
gegenüber  ein  jahrelanges  Studium  nötig  war,  ehe  man  es  wagen  durfte,  sich  dazu  zu 
äußern.  Dies  Buch  ist  für  den  Historiker  des  alten  Islams  zu  einer  Art  von  Bibel 
geworden,  aber  man  würde  sich  am  Geiste  Wellhausen's  ebenso  versündigen,  wie  es 
auf  dem  Gebiet  des  Alten  Testaments  die  sogenannte  WELLHAUSEN'sche  Schule  getan 
hat,  wenn  man  sein  Werk  als  Evangelium  hinnähme.  Sein  Standpunkt  war  der: 
»Probleme  zu  haben,  richtige  und  wichtige  Fragen  zu  stellen,  ist  der  Anfang  alles 
Guten;    die  Lösungen  kommen  daim  durch  das  Zusammenwirken  mit  anderen  wie  von 

selbst.« 

Je  weniger  zahlreich  der  Kreis  derer  ist,  die  Wellhausen's  vielleicht  größte 
geistige  Leistung  mitarbeitend  erlebt  haben,  um  so  notwendiger  ist  es.  das  Wesen 
dieser  Leistung  zu  charakterisieren.  Es  wird  sich  dabei  zeigen,  daß  die  Methode 
Wellhausen's  dem  Alten  Testament  wie  den  islamischen  Quellen  gegenüber  die  gleiche 
ist    daß  sie  die  gleichen  Vorzüge,  aber  auch  die  gleichen  Schranken  aufweist. 

Im  Mittelpunkt  der  WELLHAUSEN'schen  Arbeit  steht  die  literarische  Quelle. 
Er  fragt  zunächst  nach  ihrer  Tendenz,  nach  ihrem  Verhältnis  zu  anderen  Quellen. 
Jahvist,  Elohist,  Priesterkodex,  Deuteronomium  —  diese  Namen  genügen,  um  den 
Kennern  seiner  Prolegomena  und  seiner  Israelitischen  und  jüdischen  Geschichte  klarzu- 
machen, wie  das  gemeint  ist.  Genau  in  der  gleichen  Weise  geht  er  an  das  altarabische 
Heidentum  heran.  Er  rekonstruiert  das  zu  seiner  Zeit  nur  sekundär  erhaltene  Götzenbuch 
{Kitäb  al-asHäm)  des  Ibn  al-Kalbi  und  überläßt  sich  dann  seiner  Führung,  indem 
er  freilich  Ergänzungen  von  allen  möglichen  anderen  Seiten  herbeischafft.  Im  Vorwort 
zum  Arabischen  Reich  zeichnet  er  mit  Meisterhand  die  syrische  und  irakische  Über- 
lieferung in  ihren  Hauptrepräsentanten  und  behält  diese  Scheidung  bei  seiner  Schilderung 
des  alten  Kalifats  folgerichtig  bei.  Zunächst  erscheint  diese  Methode  selbstverständlich, 
sie  ist  es  aber  gar  nicht,  wie  die  Geschichte  der  alttestamentlichen  Wissenschaft  und 
die  islamische  Geschichtsforschung  beweisen.  Nur  von  letzterer  kann  hier  die  Rede 
sein.  Die  stoffliche  Masse  ist  so  ungeheuer,  daß  alle  vorwellhausen'sche  Darstellung 
darin  unterging.  Alle  frühere  Kritik  war  Einzelkritik  gegenüber  bestimmten  Wider- 
sprüchen, erst  Wellhausen  übersah  die  Masse,  gliederte  sie  und  gewann  neue 
Resultate  durch  Synopse  und  Kritik.  So  gründlich  wie  er  hatte  noch  keiner  seiner 
Vorgänger  die  nichtarabischen  Quellen,  einen  Theophanes,  den  Continuator  Isidori,  die 
syrische  Chronistik  usw.  herangezogen.  Zunächst  zog  er  die  chronologischen  Richt- 
linien, dann  baute  er  die  Quellenstellen  ein,  und  schließlich  zeichnete  er  mit  genialem 
Strich  die  handelnden  Personen. 

Überall  ist  er  dabei  ganz  er  selbst.  Es  ist  ein  persönliches  Ringen  mit  der  Mo- 
les  des  Quellenstoffes.  Er  hat  das  Gefühl,  daß  alles  von  Grund  auf  neu  getan  werden 
mußte.  So  stand  er  sehr  souverän  der  Fachliteratur  gegenüber.  Er  hat  sie  oft  bewußt 
beiseite  gelassen  und  gar  nicht  gekannt,  öfters  wohl  sie  gekannt,  aber  für  nicht  der 
Mühe  wert  erachtet.  Die  Fälle  sind  selten  —  und  dann  handelt  es  sich  um  sehr  grund- 
sätzliche Anschauungen  — ,  daß  er  sich  mit  seinen  Vorgängern,  wie  A'.  von  Kremer 
undA.  MÜLLER,  auseinandersetzt.  Er  glaubt  zwar  gelegentlich  von  der  Fragestellung 
der  Früheren  abhängig  zu  sein,  aber  in  Wahrheit  ist  gerade  die  Unabhängigkeit,  die 
Neuheit  der  Fragestellungen  das  Überraschende  an  seinen  Büchern.  Er  trägt  aber  die 
Fragestellungen  nicht  an  den  Stoff  heran  ;  er  läßt  sie  sich  vom  Geist  der  Quelle  auf- 
zwingen. Er  sieht  nur  mehr  als  alle  vor  ihm  die  Quelle  als  Ganzes.  Diese  Me- 
thode ist  für  den  Darsteller  der  politischen  Geschichte    der    einzig  richtige  Weg,  nicht 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  07 

der  einzig  mögliche.  Man  denke  nur  zum  Vergleich  an  so  bahnbrechende  Forscher  wie 
I.  GoLDZiHER  oder  Henri  Lammens,  denen  die  Fragestellungen  bei  einzelnen  Stellen 
aufsteigen,  zu  denen  sie  dann  anderswo  Belege  finden  und  so  mit  einem  System  von 
Kategorien  an  die  Arbeit  gehen.  Für  die  literarische  Kritik  Goldziher's  war  das 
der  gewiesene  Weg.  Die  Übertragung  der  Gold ziHER'schen  Methode  auf  die  histori- 
sche Kritik  hat  ihre  bedenklichen  Seiten,  wie  niemand  besser  aus  eigner  Erfahrung  weiß 
als  der  Schreiber  dieser  Zeilen.  Lammens  ist  bei  aller  Genialität  an  diesem  Punkt  ge- 
scheitert. Man  vergleiche  die  Zettelkastensammlung  seiner  Omajjadenbücher  mit  dem 
Monumentalbau  des  Arabischen  Reiches,  und  bei  aller  Hochachtung  vor  dem  wunder- 
vollen Scharfsinn  des  gelehrten  Jesuiten  werden  wir  der  schöpferischen  Wucht  des  Göt- 
tinger Meisters  die  Palme  zuerkennen.  Lammens  malt  seine  Figuren  Strich  um  Strich, 
greift  dabei  oft  zu  einer  falschen  Farbe,  das  fertige  Bild  wirkt  überraschend,  prickelnd, 
ja  aufregend  und  sensationell;  Wellhausen  verzichtet  auf  impressionistische  Mätzchen, 
er  schenkt  dem  Leser  nichts  von  der  Ode  und  Breite  der  Quelle,  aber  er  haut  seine 
Gestalten  ohne  Vorlage  und  akademische  Kunstregeln  aus  dem  lebendigen  Stein. 

Dabei  geht  er  mit  einem    sittlichen  Ernst    und    einer    Treue    im  Kleinen  zu 
Werk,  die  vorbildlich  sind.     Obwohl  ihm  die  freudige  Variantenschnüffelei  des  echten 
Philologen  völlig  abgeht,  treibt  er  zunächst  ernste  Quellenkritik  des  überlieferten  Textes. 
Seine  Glossen  zu  Tabari  sind  dessen  Zeuge.     Aber  hat  er  einmal  Vertrauen  zu  einer 
Quelle  gefaßt,  so    verläßt  er    sich  auf  sie,  wohl  manchmal    zu  stark.     Ich  erwähne  nur 
sein   V^erhältuis  zu  Belädhori  im  Vergleich  zu  jüngeren  Quellen.     Er  hat  gelegentlich 
nicht  gesehen,  daß  Belädhori    nur  einen    Auszug    aus  Quellen  darstellt,  die  uns  bei 
jüngeren  Autoren  vollständiger    erhalten  sind.     Er    hatte    nun    einmal  ein  fast   persön- 
liches Vertrauen  in  diesen  als  zuverlässig  erprobten  Autor.     Ich  würde  mich  nicht  wun- 
dern, wenn  er  sich  auch  im  Umgang  mit  Menschen    entsprechend  verhalten  hätte.     Je- 
denfalls hatte  er  ein  sehr    starkes  Gefühl  von    dem    wissenschaftlichen  Ethos  eines  ge- 
lehrten Arbeiters.     Deshalb  mag  er  sich  auch    seinen  Vorgängern  gegenüber  so  ableh- 
nend verhalten  haben.     Am  meisten  hat  er  an  A.   von   Kremer  und  dem  ihm  nachfol- 
genden A.  Müller  auszusetzen.     Des    ersteren    Kulturgeschichte    war    ein  einzigartiger 
Wurf,   in  dem  das  Interessanteste    der  Versuch  nach  Zusammenfassung  und  Synthese  ist. 
Als  literarisches  Erzeugnis  einer  wissenschaftlichen  Spätromantik  wird  sie  stets  ein  klas- 
sisches Denkmal    bleiben,    aber    wissenschaftlich    ist    sie    mehr  gefährlich  als  nützlich. 
Viel  besser  sind  die  Streifzüge  oder  das  Abbasidenbudgef^  aber  auch  hier  mehr  Eleganz 
als  wissenschaftlicher   Ernst.     Nach    der    allgemein    als  langweilig  erfundenen,  stellen- 
weise auch  wirklich  ledernen  und  poesielosen   Geschichte    der   Califen  von  Weil  schien 
A.  von  Kremer's  Werk  wie  eine    Erlösung ;    man  vergaß  nur  zu  leicht,  welch'  großes 
Verdienst  Weil's    mühselige    Arbeit    darstellt.     Aus  den  Arbeiten  beider  und  aus  den 
Werken  des  als  Philologen    großen,    aber  als  Historiker  ungemein  überschätzten  Dozy 
hat  dann  August    Müller  mit    frohem    Sinn    und  gutem  Geschmack  seine   Geschichte 
des  Islams  zusammengezimmert.     Für  eine  Verlegerarbeit  eine  glänzende  Leistung.  Die 
unerfreuliche  Mischung  von  Kritik    und  Vertuschung  liegt  im  Wesen  der  Aufgabe.     A. 
Müller  hatte  gesunden  historischen  Sinn  und    hat  wohl  nur,  der  Not  gehorchend,  dies 
Buch  geschrieben.     Wellhausen  hat  nie  zu  Witz  und  Kunst  gegriffen,  um  die  Lücken 
seines  Wissens  zu  verbergen.      Der    Enzyklopädist    mit    dem  historischen  Sinn    am  un- 
tauglichen Objekt  muß  ihm  unsympathisch  gewesen  sein:  er  hat  sich  ganz  bewußt  be- 
schränkt.    Das  Ende    des    Omajjadenreiches  (750)  bildet    die    nirgends    überschrittene 
zeitliche  Schranke  seiner    Arbeit.     Ebenso    fern    lag  ihm    die  wissenschaftliche  Art  des 
weltmännischen    Kulturphilosophen    und    Staatsmannes,    der    das  Kompendium  schrieb, 
ehe  die  Volumina  vorhanden  waren,  der  die    Fülle    des  historischen  Geschehens  fassen 
Islam  VIII.  7 


98 


Kleine  Mitteiliingren  und  Anzeigen. 


wollte,  ohne  ein  Mommsen  zu  sein.  Wf.lliiausf.n'.s  Art  war  anders.  Er  schloß  wohl 
auch  wirtschaftsgeschichtliche  Forschung  nicht  aus,  aber  sie  war  ihm  nur  Illustration 
zu  staatspolitischer  Entwicklung.  Auch  seine  rcligionsgeschichtliche  Forschung  ist, 
wenigstens  auf  dem  Gebiete  des  Islams,  völlig  dem  politischen  Gesichtspunkt  unter- 
geordnet. Ihm  war  Geschichte  p  o  1  i  t  i  s  c  h  e  G  e  s  c  h  i  c  h  t  e.  Er  hat  auch  andere 
Auffassungen  anerkannt,  aber  sie  mußten  auf  dem  gleichen  wissenschaftlichen  Ernst  be- 
ruhen und  so  frei  von  Eitelkeit  sein  wie  seine  eigne.  So  wird  es  erklärlich,  daß  er 
sich  einst  in  einem  Brief  über  seine  Vorgänger  folgendermaßen  geäußert  hat:  ,,Es 
tut  mir  leid,  nicht  gesagt  zu  haben  (im  Arabischen  Reich),  daß  Weil  derjenige  ist, 
der  sich  trotz  allem  die  weitaus  größten  Verdienste  um  die  arabische  Geschichte  erwor- 
ben hat.  Es  ist  kein  gutes  Zeichen,  daß  man  ihn  gegenüber  von  Dozy,  Kremer  und 
Müller  zurückgesetzt  und  fast  verachtend  behandelt  hat.  Er  war  ein  überaus  fleißiger 
und  allein  ein  ganz  ehrlicher  Arbeiter." 

Diese    Stellung   Wf.llhausen's    ist    für    seine    Auffassung    von    wissenschaftlicher 
Arbeit  unendlich  charakteristisch.     Möge  sie  uns  zugleich  eine  ernste  Mahnung  sein. 

Sein  wissenschaftliches  Ethos  in  besonderer  Einstellung  auf  die  literarischen 
Quellen  war  wohl  daran  schuld,  daß  er  sich  an  diese  Schranken  gebunden  fühlte. 
Geistreiche  Spekulationen  über  Verbindungslinien  mit  Nachbarkulturen  lehnte  er  still- 
schweigend ab,  namentlich  wenn  er  sich  auf  den  zum  Vergleich  heranzuziehenden  Ge- 
bieten nicht  zu  Hause  fühlte.  Bekannt  ist  sein  Verhältnis  zur  assyrisch-babylonischen 
Welt.  An  der  gewaltigen  Auseinandersetzung,  die  sich  an  die  Entzifferung  der  Keil- 
schrift auf  alttestamentlichem  Gebiet  anknüpfte,  hat  er  sich  nicht  beteiligt.  Er  erklärte 
Israel  und  Juda  aus  dem  Alten  Testament.  Genau  so  steht  er  zu  den  Anfängen  des 
Islams  resp.  zum  altarabischen  Heidentum.  Der  südarabische  Kulturkreis  und  vor  allem 
der  vom  Islam  vorgefundene  christianisierte  Hellenismus  werden  von  ihm  nur  gestreift 
und  vorausgesetzt,  nirgends  aber  die  Verbindungslinien  energisch  gezogen.  Das  ge- 
schah nun  nicht  etwa  aus  Enge  des  Blicks,  nicht  aus  Überschätzung  der  eignen  Dis- 
ziplin. Er  hat  dem  Verfasser  dieses  Nachrufes  einmal  geschrieben,  daß  er  die  Arbeit, 
die  auf  dem  Gebiet  Hellenismus — Islam  zu  tun  sei,  für  wichtig,  ja  grundlegend  halte, 
nur  habe  er  sich  für  seine  Person  stets  gescheut,  tiefer  in  diese  Probleme  hineinzu- 
steigen. Er  war  eben  ein  M  e  ist  er  in  derBeschränkung,  er  haßte  die  bei  solcher 
Kulturvergleichung  so  leicht  einsetzende  Hyperkritik  und  das  unvermeidliche  Phanta- 
sieren.    Er  mischte,  wie  gesagt,  keine  Farben,  sondern  er  hielt  sich  an  den  Marmorblock. 

Jede  Kunst  ist  abhängig  von  dem  Stoff,  in  dem  sie  sich  ausdrückt,  Wellhausen's 
Arbeitsstoff  war  nun  einmal  die  literarische  Quelle.  Auch  wenn  er  ein  Ganzes  schuf, 
kann  man  an  seinem  wissenschaftlichen  Stil  noch  immer  die  Quellenart  nachfühlen. 
Man  vergleiche  nur  einmal  in  seiner  Israelitischen  und  jüdischen  Geschichte  die  erste 
größere  Hälfte  des  Buches  mit  dem  völligen  Umschlag  bei  Beginn  der  Makkabäerzeit 
und  dem  nochmaligen  Wechsel  der  Diktion  im  Schlußkapitel,  das  dem  Evangelium 
gilt  und  mehr  in  die  schöne  als  in  die  wissenschaftliche  Literatur  gehört.  In  gleicher 
Weise  ist  er  im  Arabischen  Reich  abhängig  von  den  Quellen;  kritische  Erörterungen, 
Erzählung  und  Bekenntnis  wechseln  auch  hier.  Am  größten  ist  er,  wo  er  nicht  mehr 
quellenmäßig  beweist,  sondern  bekennt.  Sein  literarischer  Stil,  den  schon  sonst  knappe, 
klare  Hauptsätze  auszeichnen, .  frei  von  dem  üblichen  Ballast  differenzierenden  und 
schmückenden  Nebensatzgeranks,  hier  wächst  er  sich  zu  weihevoller  Größe  aus.  Und 
der  Form  entspricht  der  Inhalt.  Intuitiv  erfaßt  er  die  von  den  Quellen  nur  vorausge- 
setzten Zustände  und  gestaltet  sie  zu  greifbarer  Deutlichkeit.  Hier  wird  der  in  seiner 
Methode  so  objektive  Forscher  zum  subjektiven  Pragmatiker,  wobei  dieses  Wort  ohne 
Schatten  von  Kritik   gebraucht    wird.      Nicht    aus  Zettelkästen    erwächst    ihm 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  gg 

das  Bild  ein  er  Per  i  o  de  ,  sondern  aus  dem  e  ignen  Unterbewußtsein  , 
jener  verborgenen  Werkstatt,  in  welcher  der  wahrhaft  schöpferische  Geist,  seinem  Träger 
unbewußt,  die  Fülle  des  erarbeiteten  Stoffes  synthetisch  reiht,  bis,  wie  Athene  aus  dem 
Haupte  des  Zeus,  so  die  neue  Erkenntnis,  das  neue  Bild  plötzlich  dasteht,  vom  Meister 
selbst  und  vom  Publikum  wie  ein  Geschenk,  wie  eine  Begnadung  bewegt  und  dank- 
bar empfangen.  Daß  dem  so  war,  hat  Wellhausen  selbst  bescheiden  angedeutet  in 
dem  schönen  Kapitel  seines  ^rß^/j«:/;^« /{"«V/i^j,  das  'Umar  II.  gewidmet  ist.  Hier  ist  das 
Gebiet,  wo  Künstler  und  Forscher  sich  treffen.  Mir  will  es  fast  scheinen,  als  ob 
Wellhausen  die  strenge  Zucht  der  methodischen  Arbeit  sich  auferlegte,  weil  er  im 
Grunde  seines  Wesens  zur  künstlerischen  Schöpfung  neigte.  So  ist  er  ein  großer 
Gelehrter  geworden,  aber  zugleich  ein  Künstler,  mit  aller  Objektivität  des  Gelehrten  und 
mit  aller  Subjektivität  des  Künstlers.  Beide  Eigenschaften  flössen  zu  vollendeter  Har- 
monie zusammen  und  schufen  die  einzigartige  Persönlichkeit,  um  die  wir  heute  trauern. 

C.  H,  Becker. 


Die  Bedeutung  des  Namens  der  Türken. 

Im  Sni-Su  d.h.  in  der  Geschichte  der  Dynastie  der  Siti  fsSg — 6i8)  lesen  wir 
nach  der  Übersetzung  von  Visdelou  (bei  d'Herbelot,  Bil>l.  or.  Suppl.  la  Haye  1779 
ji.  82) :  »Der  Berg  (im  Kin-san  'Gold-Gebirge'  =  Altai),  an  dessen  Fuße  sich  das  Lager 
der  T-ti-küe  befand  und  der  die  Form  eines  Helmes  hatte,  gab  ihnen  seinen,  Namen, 
und  da  diese  Völker  in  ihrer  Sprache  Helm  tu-küe  hießen,  so  nannten  sie  sich  Tu-küe<t. 
Dazu  bemerkt  O.  Franke  {Beiträge  zur  Kenntnis  der  Türkvölker  und  Skythen 
Berlin  1904  S.  13):  »Die  Et>-mologie  macht  keinen  Vertrauen  erweckenden  Eindruck, 
zumal  auch  die  Namen  der  Wu-huafi  und  der  Sien-pi  von  Bergen  abgeleitet  werden«. 
Man  wird  diesen  Bedenken  Franke's  sicherlich  beistimmen,  aber  an  der  Richtigkeit 
der  vom  Verfasser  des  Sui-Su  beigebrachten  Tatsache,  daß  tu-küe  »Helm(e)«  bedeutet, 
wird  man  kaum  zweifeln  dürfen  und  so  doch  zu  einer  richtigen  Erklärung  des  Namens 
der  Türken  gelangen  können. 

Die  Zeichen  ^S  FMt  ,  die  die  alten  Jesuitenmissionäre  Tu-küe  umschrieben, 
werden  heute  im  Pekinger  Dialekt  T^u-cüe  ausgesprochen,  in  dem  Idiom  von  Canton 
aber,  das  von  allen  chinesischen  Mundarten  die  altertümlichsten  Lautverhältnisse  auf- 
weist, Tat-küf^).  Da  die  Chinesen  silbenauslautendes  r  init  t  wiedergeben^),  so  müssen 
wir  in  Tat-küt  ein  türkisches  Törküt  sehen  d.  h.  Törk'i)  +  die  »mongolische«  Plu- 
ralendung üt,  die  wir  in  den  köktürkischen  Inschriften  noch  vereinzelt  antreffen''). 
Dieses  törk,  das  nach  dem  chinesischen  Annalisten  »Helm«  heißt,  finden  wir  zwar 
mit  dieser  Bedeutung  in  dem  uns  bekannten  türkischen  Wortschatze  nicht  mehr,  wohl 
aber  im  neupersischen  ^  ,j  farg,  das  wir  nach  dem  vorhergehenden  mit  um  so 
größerer   Berechtigung    als     türkisches    Lehnwort    ansehen   können,    als    ein    indogernia- 


')  a  =  engl,  tt  in  but,  sun,  also  kurzes  a  mit  gespreizten  Lippen,  die  englischen 
Sinologen  umschreiben  es  mit  i. 

*)  S.  HiRTH,  Nachworte  zur  Inschrift  des   Tonjukuk  6. 

3)  Ich  umschreibe  Törk,  weil  sowohl  das  Canton,  tut,  als  die  koreanische  Aus- 
sprache toi  des  ersten  Zeichens  eher  für  einen  0-0  Vokal  als  für  ü-u  sprechen. 
Törk  sagt  man  für   Türk  in  Kazan  (Radloff,    Türkwörterb:  3,    1289). 

1)  S.  Radloff,  Die  alttürk,  Inschr.  Neue  Folge  67,  wo  unter  andern  der  plur. 
oglut  von  ogul  »Sohn«   verzeichnet  ist. 

7* 


100  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

nischer  Ursprung  dieses  Wortes  bis  jetzt  nicht  nachgewiesen  wurde'),  und  die  Türken 
vor  dem  Sturze  des  Reiches  der  asiatischen  Avaren  ("Aßct'pei?,  chin.  Zou-zan,  Canton: 
Vau-Tn,  jungavest.  Hyaoiia-')  um  552  für  diese  ihre  Herren  als  Schmiede  im  Altai 
das  Eisen  bearbeiteten  (Visdelou  82  f.,  Chavannes,  Dociimcnts  sur  les  Tou-kme 
occidenfaux  222). 

Diese  berühmten  Waffenschmiede  werden  nun  auch  eiserne  Hauben  oder  Helme 
angefertigt  und  getragen  haben  und  danach  benannt  worden  sein,  gerade  wie  ein  anderer 
Türkstamm  nach  seinen  schwarzen  Mützen  Kara-Kalpak  heißt,  um  nur  einen  der 
zahlreichen  Fällen  anzuführen,  in  denen  eine  Volks-  oder  andere  Gemeinschaft  nach 
ihrer  Kopfbedeckung  bezeichnet  wird^). 

Die  Türken  sind  also  wohl    die   »Eisenhauben«  oder  »Helme«. 

J.  J.  Hess. 


Ein  Rechtfertigungsschreiben  des  Mustafa  Pascha  von  Ofen. 

Mustafa  Pascha,  der  Neffe  des  berühmten  Großvesirs  Mehmed  Sokolli,  nimmt  unter 
den  türkischen  Statthaltern  von  Ofen  eine  hervorragende  Stellung  ein;  noch  von  Sülejman 
dem  Großen  1566  auf  den  Posten  berufen,  verwaltete  er  sein  kw\X  12  Jahre  hindurch,  wie 
die  von  ihm  erhaltenen  türkischen  und  ungarischen  Urkunden  bezeugen,  mit  großer  Umsicht 
und  Tatkraft.  Aus  noch  niclit  aufgeklärten  Gründen  fiel  er  dennoch  1578  in  Ungnade, 
wurde  hingerichtet  und  durch  den  Höfling  Ovejs  Pascha  ersetzt.  Auf  die  Wichtigkeit 
folgender  Urkunde,  die  ich  in  Text  und  Übertragung  gebe,  hat  mich  zuerst  Herr  Geh.  Re- 
gierungsrat Prof.  Dr.  Georg  Jacob  hingewiesen,  wofür  ich  hiermit  meinen  besten  Dank  sage. 

Sie  verbreitet  neues  Licht  über  die  .Amtstätigkeit  des  verdienten  Bejierbej.  Das 
Original  ist  uns  leider  nicht  erhalten,  sondern  nur  die  alte  Kopie  eines  Schreibens,  welche 
das  Manuskript  Nr.  137  der  k.  k.  Konsularakademie  in  Wien  eröffnet.  Für  die  Erlaubnis, 
die  wertvolle  Handschrift  im  Lesesaal  der  Königlichen  Universitätsbibliothek  zu  Kiel 
benutzen  zu  dürfen,  sage  ich  der  Direktion  der  k.  k.  Konsularakademie  meinen  verbind- 
lichsten Dank.  Eine  ungedruckte  Abschrift  und  Übersetzung,  die  vor  langen  Jahren 
Behrnauer  anfertigte,  konnte  ich  gleichfalls  in  Kiel  einsehen,  doch  enthielt  namentlich  die 
Übersetzung  so  zahlreiche  Versehen,  daß  ich  diese  von  Grund  aus  neu  gestalten  mußte. 

,^j»Jü-o  i8(A.iJ  n^-c  ä.aj1j"    JiAÄäi    ...»oJ"    a'^y  ,L3    »    SO\A   eU.5    »Li  ,o 


')  Das  echt  pers.  Wort  für  »Helm«  ist  höd,  altpers.  tjattda-,  jungavest.  fjaoda-, 
*)  Vgl.  z.  B :  Kyzyl-has  »Rothköpfe« ,  die  Bezeichnung  der  Perser  bei  den 
Türken;  'J'aral/ostesei  =  ytiM^aXi  {Jornandes  5,40)  »die  Edlen  der  Daker«  (sollte  farl>üs, 
dessen  Etymologie  trotz  Völlers,  ZDMG  51,  308  unbekannt  ist,  damit  zusammen- 
hängen?); Gugler,  die  französisch-englischen  Scharen,  welche  1375  die  Schweiz  heim- 
suchten und  von  ihren  Gugeln  (cucullae),  d.  i.  Kapuzen,  so  genannt  wurden;  Chatti, 
nach  J.  Grimm  zu  germ.  *hattuz  zu  stellen  und  also  wie  unser  Törküt  »Helme« 
bedeutend. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  jqi 

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QA*,\l25L^s\^  ,^Äj"^3  C)*'^^  j^*-^^  O^-^  '••'■rJ^-^  c?-^'"^  C5j^jr'>^^  "^"h-^  ^-jLliL« 
3    ^^Xa^  3    iiAAjli    ^.,L..io    ^Li    ^j!j53j3     J>5j    Vj't^'^J''    j^^'    L?^'"^    ^^j'j^ 

j.^^i      ^X.w.£      ^^ÄaÜc      q^j'       U^'*;:^3      o^iLÄi>5       j.Uj      Vj^jIs     i3I      *.Jj.(      ^JJ^j"^. 
')  In  der  Handschrift  ^\j^    Ü    i)Li>, 


TQ2  Kleine  Mitteilungen   und  Anzeigen. 

eUj     ^^t     ll^    3   ^j:^y'    O^-^'      Ölj^i     ^Jüjj^l     *j^    ^^   3    ^3j»0     »cXj! 

^iVj■JtI^Üw    >.Lt     ^'l^X^^I     ci^iO.     ,.Lj    J^f>    »OJ>|yi    ,^l^    .    <AjL£    *^^-v«    l31^3 

tiJ^[j-*  ^\  Ä^ojj  Vj-b-^3^  J^v^"^*  ^^^^^-^^^  >.U:^iLj  ,^l'i^^>^,X^  S'^^MjijA 
i^^o-yi  J^'w4-Ö  ^JjoV  [•']  ^^'j\;25  ^LÜj!  -lyi-t  Vj-^li  »oxo^  l5^-J«j.^«^ 
oLjO;I    *»^«'i!    4^    ^'^  jH'^H'-'^^    L>^1j^    (jj-^^j'ty^^    U^[^^   ^^.  ^    *-r64y3' 

.j  »l\j!     jJl   ►  L-jjjjJ»!  ic>-»*l.Ä«  iJ'^.jjü-o  ^1   .i  n^Ui  ^^UJ!o^-o  qU^I 

«^Jji     vi>.>U^I     ,.L*J     Vj-^3^     *^b^-^    ^'    ^L-*^     tÄÄJLi?     ^V=t;J3     cX-^^-b^ 
tjUU^    JL«i  »J^>5  J-?    Vj-^  ^JJjW    O^y^  J^""^  L^^'"^   <-?>-^^    O^^'    '^^■^^ 

^^■^3?   ^r^-^*^"^  y^^  io^i^  ^^jj/juXL!    c^jl^   äü^o^  ^^^"^3  ^^  ^i^j.iASl  3 

3    Q^Jüoy    J.^    'ujS J    3    LjLc^    0^35    »^j»!    ci^^L:>-    3    -iäft>    ^     ^_^^y 

^Lp3  JyJ  0^3!  o^lJI  g^^ls  ^.,jjr.i2;C2l  6JJ3;  3  »Jw;ji  3  Ji>  »^-«^  ^^iwX.«j5- 


»)   Für   Ä.JL)CJb. 

2)  Graphisch  kann  es  so  oder  ^\y:i  oder  ^.,!vA5  oder  i)LV5  sein,    vermutlich  aber 
unorthographische  Schreibung  für   Oi-a5. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  lOj 

^^-yal     \aw.J,j,aJ     c>.jLÄt    ^     x2w\.o     *ijV,ij»      »jjJj^     •si>.j'^5     l5"'^^    ^"^r^y^   ^ 
(jiaxJ     nXL    ^-VJ^ji    o-j'-a:»     !^^=^j=='    L>^'^    4i^^   J^    '^*^    O''    l/^'^-^' 

Hjj^\     C>,l\.5    j5    C^S     ^Uj     flL^\     QJP    V^J^'     [-1  ^y    5     (^^J^  ^^^   .  *>-L4.i^   'O^ 

^  <-^'hvw     ^L^v^^    \yLwfcj   o^A^J»!    -,Laä>!  \\*jjj.Ä^    r^'^^"  o'"^    f^- 
..fcXj  UJJJJJ3!   \L'lä^   3  \JbLsÄ  *.L)j|j.ji.*  ^M^c^U  \L^.x.»*>.£  c>.jj^  j\^;;^^r>  5 

^.^Ax    j^jJC;    ^5    i^vAj    yjJ^t    J^Afll:^  ^.iaiai   jj.j     .    Vj^j-J'    r^"^^^    ^^^5 
^j^iü^Lc!  »Lr,>3  ^U^.5  ^iLJ  ,^0^^^^  {jOj£  ^ic  j'J  ^AiL>  «.s!^  ^^y-^  ^'^^3^ 

»An  den  Staub  des  den  Mittelpunkt  der  Welt  bildenden  kaiserlichen  Hofes  und 
des  wie  das  sich  drehende  Himmelsgewölbe  mächtigen  Thrones  ist  die  Bitte  des  geringen 
Dieners  folgende: 

Jetzt  ist  dem  Hof,  der  die  Zufluchtsstätte  der  Welt  bildet,  nicht  verborgen,  daß  die 
Statthalter  der  Provinz  Ofen  von  der  großherrlichen  Eroberung  bis  auf  den  heutigen  Tag 
für  ihre  unter  kaiserlichen  Auspizien  geleisteten  Dienste,  ihren  Eifer  für  den  Staatsschatz 
und  ihre  Pflichterfüllung  ein  jeder  hohe  Beförderung  erhalten,  viel  Berücksichtigung  ge- 
funden und  ihnen  manche  Wünsche  erfüllt  worden  sind.  Tausend  Lob  gebührt  Gott,  doch 
hat  für  diesen  geringen  Diener  die  genannte  Provinz  zur  Zeit  des  Ramasans  ')  kein  Gnaden- 
geschenk erhalten.  Der  Böses  tuende  König  füllte  mit  Heeresmassen,  die  Gebirge  gleichen, 
die  Ebene  der  Festung,  Raab  mit  Namen,  völlig  aus,  er  nahm  vom  türkischen  Reich  die 
Festungen  mit  Namen  Tata,Veszprem^),  Gestusch  5)  undWitan4),  unterwarf  sie  vollständig 
und  ließ  den  Arslan  Pascha  mit  dem  islamischen  Heere  bis  nach  der  Festung  Ofen  vor  sich 
fliehen;  ferner  wurden  die  Festungen  Gran  und  Stuhlweißenburg  durch  bezwingende 
Gewalt  des  verfluchten  Ungläubigen  belagert.  Als  er  .  .  .  (?)  im  Begriff  war,  holte  ich  ihn 
mit  den  bei  mir  befindlichen  Reitern  aus  dem  Sandjak  Bosnien  ein,  und  indem  wir  iür  die 
Ehre  der  islamischen  Tüchtigkeit  unser  Leben  in  die  Schanze  schlugen  und  für  den  kaiser- 
lichen Dienst  unsere  Köpfe  zu  Kugeln  machten,  leistete  ich  mit  meinen  Kampfgenossen 

•)  Es  ist  das  beim  Feste  des  Fastenbruchs  verabreichte  Almosen  gemeint, 
i)  VgL  Hammer,  Geschichte  des  Osmanischen  Reiches,  3.  Band,  S.  437. 

3)  Gesztes  liegt  gerade  in  westlicher  Linie  von  Budapest,  südlich  von  Komom. 

4)  Die  Burg  Vitan  wird  bereits  im  14-  Jahrhundert  genannt.  Ihre  Ruinen  belinden 
sich  im  Komitat  Komarom,  südöstlich  von  Tata;  das  Volk  nennt  die  Stelle  noch  heute 
Vitam  (GoLDzmEK). 


104  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

und  einer  Handvoll  von  dem  geschlagenen  Heere  dem  Böses  verübenden  König  tapferen 
Widerstand  und  widersetzte  mich  ihm.  Von  neuem  übcrraimten  vir  mit  der  gnädigen 
Unterstützung  Gottes  jeden  Tag  das  Heer  des  Verworfenen,  überfielen  seine  Lager,  zogen 
aus  Gefangenen  Kundschaft  ein  und  ließen  keinen  aus  dem  Lager  entrinnen.  Wir  eroberten 
die  Festungen  Gestusch  und  Witan  zurück.  Als  unser  hochseliger  und  unbescholtener, 
siegreicher  Padisehah,  der  im  Leben  glücklich  und  im  Tode  Märtyrer  wai,  Nachbar  des 
Staubes  ward  (möge  Gott  der  Erhabene  ihm  eine  Stelle  in  der  Nähe  des  Gottgesandtcii 
anweisen),  hatte  er  niemand  [sonst]  zugleich  mit  der  Wesirwürde  zur  Bewachung  der 
Provinz  Ofen  auserkoren.  Als  von  Lebensmitteln  keinerlei  Spur  sichtbar  war,  und  es  um 
Aufenthalts-  und  Zufluchtsorte  hunderttausend  Streitereien  gab,  sind,  obwohl  bei  mir 
(Eurem  Diener)  so  zahlreiche  Janitscharen,  so  viele  Kapu-kolu  und  Galeeren  nebst  zahlreicher 
Bemannung  gut  behandelt  wuiden,  alle  mit  Proviant  und  Wohnung  versorgt  worden. 
So  haben  wir  die  kaiserliche  Provinz  von  dem  ungläubigen  Feinde,  wie  es  sich  gehört, 
bewahrt  und  beschützt.  Als  der  verfluchte  Lazar  sich  in  die  Verhältnisse  der  Provinz 
Siebenbürgen  (Erdel)  einmischte  und  gerade  Unruhen  zu  stiften  im  Begriffe  war,  wurde 
hinter  ihm  her  ein  islamisches  Heer  geschickt;  so  ist  er  mit  Gewalt  und  notgedrungen 
aus  der  genannten  Provinz  zurückgeschlagen.  Der  Böses  tuende  König  hat  sich,  ob  er 
wollte  oder  nicht,  der  glückverheißenden  Schwelle  des  hochansehnlichen  Padisehah  unter- 
worfen; wir  zwangen  ihn,  indem  wir  ihm  keine  Wahl  ließen,  in  die  Entrichtung  des  Tributs 
einzuwilligen.  In  jeder  Weise  ist  er  gehorsam  und  fügsam  und  sendet  nun  Jahr  für  Jahr 
unausgesetzt  seine  Steuern,  zu  denen  er  sich  verpflichtet  hat.  Bei  der  über  die  Donau 
aufgeführten  Brücke  sind  mehr  als  zehntausend  bereitgestellte  Soldaten  eine  Schutzwehr  für 
diese  Gegend  geworden.  Außerdem  ist  das  früher  aus  den  Anlegeplätzen  erzielte  kaiserliche 
Einkommen  auf  den  doppelten  Betrag  erhöht,  und  in  allen  Punkten,  die  sich  auf  den  Staats- 
schatz beziehen,  wurde  durch  vollen  Eifer,  Aufmerksamkeit  und  Sorgfalt  eine  jede  Staatsver- 
pachtung gesteigert;  alle  bis  jetzt  ertragverschlingenden,  -verhehlenden  und  -verzehrenden 
Stätten  ')  sind  samt  und  sonders  aufgehoben  und  alle  für  den  kaiserlichen  Schatz:  in  Beschlag 
genommen  worden.  Die  Sandjaks  der  genannten  Provinz  sind  alle  von  neuem  aufge- 
zeichnet worden.  Der  Sold  vielei  Leute,  die  Bezüge  bezogen,  blieb  im  Staatsschatz 
zurück  und  die  Timar  der  ausgeschiedenen  Aufsässigen  [?]  wurden  an  Ersatzmänner  ver- 
liehen. Unsere  neuen  Domänen  ergeben  ferner  um  einige  Jük  (Last)  Aktsche  mehr  als 
die  alten.  Aus  Konstantinopel  kommt  auch  alljährlich  eine  Summe  von  io6  Jük.  Den 
Anwärtern  auf  Bezüge  der  genannten  Provinz  wurde  jährlich  ein  Gehalt  ausgezahli. 
Trotzdem  trat  kein  Geldmangel  ein,  in  den  meisten  Zeiten  fehlte  es  unter  den  Truppen 
nicht  an  Gratifikationen  [?].  Jetzt  aber  sind  es  ein,  zwei  Jahre,  daß  wir  mit  den  Über- 
schüssen von  40 — -50  Jük  Aktsche  der  Provinz  Temesvar  und  einkassierten  Staatsein- 
kommen dieser  Provinz  aushalten,  und  in  sechs  Monaten  ^)  wurden  einmal  ihre  Gehälter 
ausgezahlt.  Die  Mannschaften  wurden  diplomfähig  und  befanden  sich  in  voller  Ruhe 
und  Bequemlichkeit.  Ferner  kommt  von  Ägypten  Pulver.  Während  früher  diese  Pro- 
vinzen und  die  übiigen  kaiserlichen  Länder  alle  in  Not  und  voller  Bedürfnis  waren,  steht 
nunmehr  —  Gott  sei  Dank  —  durch  unseren  Eifer  und  Bemühung  die  Provinz  Ofen  voll- 
kommen auf  der  Höhe.  Außerdem  wird  nach  andern  Orten  gesandt,  .was  sie  brauchen. 
Auf  jede  Weise  hat  die  Kraft  des  Islam  und  die  kaiserliche  Macht  den  Höhepunkt  erreicht.  Es 
wurde  mit  dem  haßerfüllten  Feinde  in  jeder  Weise  höflich  verkehrt,  und  unsere  Grenzen  sind, 
wie  es  sich  gehört,  beschützt  und  bewacht.   Die  Untertanen  waren  ununterbrochen  von 


')  Der  Ausdruck  ist  auch  im  Original  unbestimmt. 
•)  d.  h.  ordnungsmäßig. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  jq- 

Zlisammenkünften  und  Heeresansammlungen  bedrückt;  nun  aber  -^  Gott,  dem  höch- 
sten König,  sei  Dank  —  sind  sie  alle  ruhig  und  zufrieden;  die  Gehenden  und  Kommen- 
den sind  frei  von  Störung  und  sind  Tag  und  Nacht  mit  Segenswünschen  für  das  Bestehen 
der  kaiserlichen  Herrschaft  beschäftigt.  Obgleich  wir  durch  solche  Dienste,  die  wir 
Eurer  glückseligen  kaiserlichen  Majestät,  dem  wie  das  Schicksal  mächtigen  Padischah 
geleistet  haben,  vom  hohen  Gnadenblick  getroffen  wurden,  so  wurde  dennoch  durch  zu 
große  Berücksichtigung  für  die   übrigen  Grund  zur  Eifersucht  gelegt. 

Wenn  mir  (Eurem  Diener)  also  die  genannte  Provinz  mit  dem  Range  eines 
Wesirs  als  Gnadengeschenk  verliehen  würde,  so  wäre  es  sicher,  daß  die  erwähnte  Pro- 
vinz durch  gerechte  Anordnung  mit  Recht  und  Scharfsinn  so  verwaltet  würde,  daß  es 
hinfort  für  die  speziellen  Ausgaben  der  Länder  genügen  würde.  Vielleicht  würden  einige 
mit  ihnen  verbundene  und  durch  die  gnädige  Unterstützung  Gottes  mit  leichter  Eroberung 
ausgezeichnete  Orte  mühelos  genommen  werden.  Gleich  den  Schätzen  von  Ägypten  würden 
jedes  Jahr  aus  dem  Gebiet  von  Ofen  an  die  Schwelle  des  Throns  Schätze  gesandt  und  dem 
Staatsschatz  zugute  kommen.  Der  Glaube  des  Islam  würde  mächtig  und  kräftig  dastehen 
gegen  die  Heere,  welche  außer  den  Königen  der  niedrigen  Ungläubigen  in  diese  Länder 
kommen  würden;  man  würde  nicht  mehr  aus  dem  Reiche  Hilfe  herbeizuschaffen  nötig 
haben.  Mit  der  Kavallerie  des  Sandjaks  Bosnien  und  dem  Heere  der  Provinz- Temesvar 
würde  den  erwähnten  Verfluchten  entgegengetreten  werden.  Mit  Hilfe  Gottes,  des 
allgütigen  Königs,  würde  in  den  gesegneten  Tagen  des  beglückten  Padischahs  an  dem 
ungläubigen  Feinde  ^  in  jeder  Weise  Rache  genommen  werden.  Etliche  Siege  und 
Eroberungen  würden  noch  glücken. 

So    wie    es    dem    wahren  Sachverhalt   entspricht,    ist    der  Hohen  Pforte  berichtet 
worden.     Im  übrigen  jedoch  hat  der  erhabene  Hof  zu  befehlen.« 

Mit  dem  »Böses  tuenden  König«  am  Anfang  der  Urkunde  ist  natürlich  Maximilian  II. 
gememt;  zu  seiner  später  erwähnten  »Unterwerfung«  vergleiche  das  bei  Feridun  abge- 
druckte 'Ahdnäme  (2.  Aufl.  II  S.  324);  über  Mustafa  Paschas  im  folgenden  genannten 
AmtsvorgängerArslan  Pascha  namentlich  Petschevi  I  S.  29/30,  36. —Das  Bild  der  Köpfe, 
die  zu  Kugeln  gemacht  werden,  bezieht  sich  auf  das  beliebte,  zu  Pferde  mit  einem  ge- 
krümmten Schlägel  gespielte,  oft  dargestellte  Ballspiel,  vgl.  Jacob,  Hilfsbuch  I  S.  61  Vers  9. 
Man  beachte  die  tiefe  Ehrfurcht  mit  der  Mustafa  Pascha  von  Sultan  Sülejman  Kanuni 
redet;  denn  dieser  ist  natürhch  mit  dem  »hochseligen,  unbescholtenen,  siegreichen  Padischah« 
gemeint.  In  den  berührten  wirtschaftlichen  Fragen  werden  wir  erst  dann  klar  sehen,  wenn 
von  dem  überreichen  Textmaterial  erheblich  mehr  publiziert  vorliegt;  jetzt  über  die  vielen 
darin  noch  unklaren  Punkte  Hypothesen  aufzustellen,  halte  ich  für  verfrüht.  In  einer 
größeren,  selbständig  erscheinenden  Urkundenpubhkation  gedenke  ich  die  wirtschaftlichen 
Fragen  in  größerem  Zusammenhange  später  zu  behandeln.  Jedenfalls  gewinnen  wir  aus 
diesem  in  mehrfacher  Hinsicht  interessanten  Rechtfertigungsschreiben  den  Eindruck  eines 
Mannes,  der  um  die  ihm  anvertraute  Provinz  große  Verdienste  hatte,  namentlich  hinsichtlich 
ihrer  Finanzverwaltung.  Fa  i  k  B  ey-Sade. 


I06  Kleine  Mitteilungen  und   Anzeigen. 

Zu  den  Türkischen  Urkunden 

(Bd.  VII,  S.  269—298  u.  VIII,  S.  113— 133). 
VII,  S.  272 f.  . 

Die  Worte  Z.  2  f.  dieser  Urkunde  sind   vom  Hrsg.  nicht  richtig  entziffert  worden; 

ich  erkenne  auf  dem  Faksimile:      ^jLxÄj    ^*ÄU.S    -x^jb    ^asI^ä    >JUI    A.Äi>    i*Ä^»0 

l_5      ••    •  •  ^    _j"  •  •    ^  1  j  ■^ 

^JLöL.^\j| ;         -JLxJo  ist  Schnitzer  für     ...L^J;     ich  übersetze:     »Unserem    Freunde  — 

Gott  beschere  ihm  ein  seliges  Ende !  —  spenden  wir  zur  Festigung  des  Gebäudes  der 
Freundschaft  und  Eintracht  die  Perlen  des  in  Aufrichtigkeit  endenden  Grußes  und  die 
Glanzstücke  der  durch  die  Vertraulichkeit  bestimmten  Botschaft  usw.« 

Prof.  Jacob  übersetzt  ..&  mit  »Morgenschimmer« ;  der  Parallelismus  membrorum 
verlangt  in  solchen  Phrasen  Wörter  ähnlicher  Bedeutung  an  den  entsprechenden  Stellen,  und 
da  kommen  neben  den  Perlen  nur  Juwelen  u.  dgl.  in  Betracht,  namentlich  wenn  es 
sich  um  ein  Geschenk  handelt;  wie  kommt  überhaupt  der  Pascha  von  Bodon  dazu, 
»Morgenschimmer«  zu  verschenken?     Auch   »zerstreute  Perlen«   eignen  sich  nicht  dazu. 

Im  Datum  zum  Schlüsse  ist  ..»iAj  Ä.AJt\.«J  zu  lesen  und  nicht  ,..^l^  s-^^d^y^^^ 
oder,  wie  Herr  von  Kraelitz  will,  O.j-o ;  letzteres  wäre  schon  dem  Sinne  nach 
nicht  am  Platze.  Denn  der  Pascha  schreibt  aus  der  Stadt  und  nicht  aus  dem  Feldlager 
von  Bodon.  Die  BiANCHi-KiEFER'sche  Erklärung  aus  (j^^O,*!  *o  ist  ganz  verfehlt, 
und  ich  bedauere  nachträglich,  daß,  als  ich  zuerst  mit  dieser  Formel  mich  befaßte  — 
in  meinen  Berichtigungen  zu  Almkvist's  Ausgabe  des  Upsalaer  Dragomansdiplom  in 
den  Schriften  der  Upsalaer  Ges.  der  Wiss.  III  2  (1894)  —  ich  mich  nicht  energisch 
genug  gegen  diese  Erklärung  ausgesprochen  habe. 

S.  277.  Über  .^3-».:^-  geben  die  Urkunden  und  Historiker  des  XV.  u.  XVI.  Jhdts. 
mehr  Auskunft  als  die  Lexika;  gelegentlich  wird  dafür  j_j»i-L/*  geschrieben.  Der  alte 
Leunclavius  hat  in  seiner  Übersetzung  des  Neschri  und  Muhjieddin  das  Wort 
-richtig  erklärt  und  mit  den  sapayopiSe?  des  Ch  al  kok  ondy  li  s  verglichen:  er  schreibt 
Hist.  346 f.) :  cunicularii  sunt  et  alias  oheunt  operas  in  cxercitic  sordidas  et  tnoksias,  sie 
dicti  Ungtia  Ttircorum,  quasi  spotitanci.  Et  ante  qiddem  hoc  tcmpus  ex  Europaea  Rumelia 
Sarachorcs  colligi  non  solcbant  quod  nunc  primuin  iussii  Bajasitis  [IJ  fieri  coeptum  ;  514, 
32  ff. :  sarachores,  qui  vias  stcrminf,/ossas  complanant,  cuniculos  agunt,  aliasque  sordidas 
obeunt  operas ;  vgl.  auch  noch  51 8,  14 ff.  und  ZMG.  XV,  262.  Weiteres  handschrift- 
liches Material  bei  anderer  Gelegenheit;  der  P'orm  j^j-^»;^,  die  Jacob  aus  Red- 
HOUSE  anführt,    bin   ich  sonst  nirgends  begegnet;     mit    .yiA  hat  das  Wort  nichts  zu  tun. 

S.  281  ff.  Es  ist  mir,  offen  gestanden,  schmerzlich  gewesen,  daß  Prof.  Jacob  mir 
mit  der  Herausgabe  dieser  von  mir  entdeckten  Urkunde  zuvorgekommen  ist.  Wenn  er 
schreibt,  daß  ich  in  der  ßyz.  Zeitschrift  »eine  kurze  Inhaltsangabe  gegeben,  die  sich 
zwar  an  den  Wortlaut  des  Originals  anlehnt,  jedoch  nur  einen  Teil  desselben  wieder- 
gibt«, so  möchte  ich  feststellen,  daß  ich  zwar  von  den  1 1  Zeilen  der  Urkunde  die  erste 
Zeile  —  den  sog.  scbebi  tahrir  —  und  den  Schluß  von  Z.  2  bis  Schluß  Z.  4  wegge- 
lassen, den  Rest  aber,  nämlich  den  wesentlichen  und  größeren  Teil  vollständig  übersetzt 
habe.     Allerdings  habe  ich    dabei    die    unnützen    und    unbeeiuemen  Epitheta    wie  z.    B. 

die    ^aJLaoj    beim  Namen  des  Propheten  u.  dgl.  gestrichen,  dagegen  die  Lücken  Z.  10 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  I07 

u.    iiA.    ergänzt.     Das    ist    doch    etwas    mehr    als    kurze  Inhaltsangabe  von  nur  einem 

Teile. 

Zur  Sache    ist   zu    bemerken,    daß    die    Umschrift    verschiedentrich    nicht    mit  dem 

Originale  übereinstimmt.     Es  ist  zu  lesen: 

,  Z.    I,     üJ^Os-i^l    *.Ä,    v_jllai>  ^.ji-Ia.M^j'   <._^>j^3   ^ia   ujLäJ    ji;'^^   '■r*"^*"j 

„     2.    ali^tj   Jjs»   0^5»; 

„      5.     *.ÄÄJi     '^)>^  T'*     ^*^^    (»wir    smd    unter    den  Mauern    der  Festung  ange- 
kommen«) nicht    \Äjlj    was    für     sXS  *i\    stehen  soll; 

„      „      |»Lj^!    ^*:^    f-  -"^    O^"^'    nicht        c,^; 
„      .,      jJli^ijt,    nicht    xljUi^^ ; 

„  6  is.*JLs   (üjiJLs)   fur       j\*Ai; 

„  „  K>>»Ä^;jt   für   ,..LÄ.^ii ; 

„  8  i^A4.JbCjLN    (Jacob :    ^^^)S  jJo)  ; 

„  „  *.JLä.*Jj.av^S    statt    *.iji.«.j^„ii5.3 ; 

„  „  ^*>^LS    statt    ^iJ.iH'; 

„  9  ^jJLs    statt  ^^j.!-»; 

„  „  *>JÜ!    J«.Ai3ftJ    statt   \ii!    JsAA^aaj; 

10      Zu  Anfang  sind  die  Spuren  von  ^y^    Nxls     noch  deutlich    erhalten; 

„     .,        &JLi*.ÄJ^I,    statt    i*.lÄ4.ÄJ^); 

„    I  t       stand  in  der  Lücke    ^.«^iJ^)    A-s-    J.i^2  \ 
S.   288 ff.     Die  erste  der  von  Herrn  Neumann  bearbeiteten  Urkunden  ist  eine  durch  die 
Tughra  als  solcher  gekennzeichneter  kaiserlicher  Erlaß  {^>-)     mit     einer    notariellen 
Verhandlung  in  tergo.     Den  ersteren    Text  übersetze  ich,    unter    Wcglassung    der  über- 
flüssigen, für  den  Übersetzer  unbequemen  und  für  den  Leser  störenden  Epitheta,  wie  folgt') : 

»Von  den  Geldern,  die  Mein  Vesier  Abdurrahman  Pascha,  z.  Z.  Statthalter  in 
Bosnien,  infolge  seiner  Versetzung  von  Ägypten  her  schuldet,  sind  unter  dem  21.  Mo- 
harrem  F093  88676  Aspern  als  durch  den  Tschausch  der  Artilleristen  Meiner  Kais. 
Residenz,  Hadschi  Hussein  eingegangen  und  verauslagt,  in  die  Bücher  des  Reichsschatzes 
eingetragen  worden,  damit  dieser  Betrag  verwendet  werde  für  die  Zahlung  von  Sold 
nebst  Zulagen,  auf  welchen  59  zur  Besatzung  der  Festung  Uiwar  kommandierte  Artille- 
risten von  dem  Artilleriekorps  Meiner  Kais.  Residenz  bei  einer  täglichen  Löhnung  von 
zus.  501  Aspern  für  das  IV.  Quartal  des  J.  1092  und  das  i.  Quartal  1093  Anspruch 
haben,  und  demgemäß  dieser  Kais.  Erlaß  ausgefertigt  worden,  um  als  Ausweis  zu 
dienen  usw«. 


1)  Der    Text    ist    vom    Herausgeber    richtig    entziffert,    doch    ist   in    der    8.   Zeile 
j^jj.j^    statt   Vj-^jH^!    '•"    Tizium    ^^J^-^c^    j^JlXJI     und  ji;^    q^    (statt    ^■.^) 

und  zum  Schluß    K^}aih.M^i    iu«j5j.5\*J    zu  lesen. 


I08  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

Der  im  Texte  genannte  Abdurrahman  Pascha  ist  der  Pascha  dieses  Namens,  der 
als  letzter  türkischer  Statthalter  von  Budapest  weiter  bekannt  geworden  ist.  Er  war, 
nachdem  er  andere  Posten  bekleidet  hatte,  im  J.  10S7  zum  Statthalter  von  Ägypten 
ernannt  und  4  Jahre  später  im  J.  1091,  von  dort  abberufen  worden  (Annalen 
des  Raschid  I,  S^t,  und  91  vs.  der  Fol. -Ausgabe).  Im  J.  1092  fmden  wir  ihn  als 
viu /laß  z  \on  Bosnien  wieder  (Raschid  a.a.O.  93  vs.).  Als  im  folgenden  J.  1093  der 
Gouverneur  von  Budapest,  Uzun  Ibrahim  Pascha,  zum  Serdar  (Generalissimus)  gegen 
Osterreich  ernannt  wurde,  erhielt  A.  Pascha  Befehl,  mit  dem  Aufgebote  eines  Ejalets 
zum  Heere  des  Serdars  zu  stoßen  (ib.  97  vs.;  vorher  werden  Ereignisse  aus  dem  Red- 
scheb  dieses  Jahres  berichtet);  wenige  Wochen  später  wurde  er  als  vnihäfiz  nach  Kamie- 
niec  versetzt  (ib.  98  r.);  im  J.  1096  übernahm  er  den  Statthalterposten  von  Budapest 
und  fiel  am  13.  Schavval  1098  beider  Verteidigung  der  Stadt  auf  der  Bresche  (Raschid 
I.e.   ii6r;   v.  Hammer  O.G.  6,  470  und  475)0- 

Aus  unserer  Urkunde  erfahren  wir,    daß    der    Pascha  von    seiner  ägyptischen  Zeit 

her   noch    dem    Fiskus    gewisse    Beiträge    schuldig    geblieben   war:    der   Fiskus    zog    im 

vorliegenden  Falle  einen  Teil  davon  dadurch  ein,  daß  er  ihn  anwies,  den  rückständigen  Sold 

der   Artilleristen    von    üiwar    zu    zahlen.     Die    Buchung    erfolgte    in    der  Form,    daß  der 

Betrag    als  Einnahme    für  Rechnung   des  Schuldners    und    Ausgabe    für    Besoldung    der 

fraglichen  Artilleristentruppe  eingetragen  wurde;    als  Einzahler  figurierte  der  Tschausch 

Hadji   Hussein,  der  mit  dem  Inkasso  betraut  wurde  und  den     >_s.j..i;    /»-^s*    etwa    wie 

"-^      r 
eine  Tratte  als  Ausweis  erhielt. 

Der  Herausgeber  hat  den  Sinn  der  Urkunde  nicht  erfassen  können,  weil  er  die 
Bedeutung  der  beiden  Wörter  -AiX)  und  öiAJ  Z.  5  verkannte.  -xa*  musir  bezeich- 
net das  erste,  OiAj  Iczez  das  vierte  Quartal  des  mohammedanischen  Jahres.  Diese 
und  die  beiden  Ausdrücke  «i^^j  rcdschcdsch  und  .-v*«.  rcsclun  für  das  zweite  und 
dritte  Quartal,  aus  den  üblichen  Abkürzungen*)  der  betreffenden  Monatsnamen  zusam- 
mengesetzt (mit  Ausnahme  des  .  in  nschcn  für  ^i>.V  mustr  =  Moharrem,  Safer, 
Rebi  I,  rcdschedsch  —  Rebi  II,  Dschemazi  I  und  II,  rcsclun  =  Redscheb,  Schaban,  Ra- 
mazan,  Iczcz  —  Schawwal,  Zilkade,  Zilhidsche3). 

Ebenso  ist  dem  Herausgeber  die  Bedeutung  von  1 -Ä^  entgangen;  darunter  sind 
die  Extrazulagen  zum  Solde,  w^i>-!^,  bezw.  zur  täglichen  Löhnung  zu  verstehen,  die 
einmal  oder  mehrmal  im  Jahre  zur  Auszahlung  kamen,  auch  OJuC  oder  |»l*j!  ge- 
nannt (siehe  Aini  Alis  Abhandlung  S.  90,  98,    1 13  und  sonst).      ^^,mz'Jji>     bezeichnet 


')  Die  biographischen  Daten  im  Sidschilli  Osmani  3,  316  sind  nicht  ganz  korrekt. 
Auflfallig  ist,  daß  in  dem  Bericht  des  Raschid  über  die  letzten  Tage  von  Budapest 
A.  Pascha  mit  keiner  Silbe  erwähnt  wird.  Um  so  ausführlicher  sprechen  die  europäischen 
Quellen  von  ihm;  sie  nennen  ihn  Abdi  Pascha,  wie  er  auch  einmal  bei  Raschid  [}.  c. 
93  vs.)  heißt. 

0  (•  =  Moharrem,     (jo  ^  Safer,     i.  =  Rebi  I,      .  -^  Rebi  II,     L=ä.  --^  Dschemazi  I, 

—  =  Dschemazi  II,     ^=  Redscheb,     (ji;  =  Schaban,     ...  =^  Ramazan,     ^  =  Schavval, 

«->  =  Zilkade,     ö  =  Zilhidsche. 

3)  fehlen  in  unsem  Wörterbüchern;  dagegen  kannte  sie  der  so  viel  verschriene 
v.  Hammer  {ßtaatsverf.  2,167;  vgl.  ferner  Aini  Ali,  kawanin  risalessi  S.  ?>6,  88, 
113  etc.  Die  Erklärung  von  öÄJ  bei  Redhouse  ist  ganz  schief,  richtig  v.  Kraelitz 
oben  VII  139). 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  jOg 

jemanden  als  Inhaber  eines  Lehens  oder  Postens  und  darf  nicht  mit  mutesarrif  wieder- 
gegeben werden,  das  erst  in  der  Neuzeit  zum  Titel  des  Gouverneurs  eines  Sandschaks 
geworden  ist;  daher  übersetzt  wohl  auch  der  Hrsg.  »mutesarrif  in  der  Provinz  Bosnien«. 
Nachdem  Abdurrahman  P.  Vali  von  Ägypten  gewesen,  wäre  seine  Ernennung  zum 
Mutessarif  d.  i.  Sandschakbej  eine  Degradation  gewesen.  Übrigens  gebraucht  Raschid 
a.  a.  O.  97  vs.  genau  denselben  Ausdruck  von  unserem  Pascha.  ^^^\1  ist  hier 
nicht    »Anweisung«,  sondern  Versetzung. 

Die  oben  vorweggenommene  Erklärung  von  -xjlx  und  ÖlXJ  wird  bestätigt  durch 
die  Angabe  über  die  Summe  der  geschuldeten  Soldbeträge;  die  tägliche  Löhnung 
betrug  501  Aspern,  was  für  die  6  Monate  OlXJ  1092  und  .^.sai  1093  501  X  177 
=  88677  Aspern  (also   i   Asper  mehr  als  angegeben)  ausmacht. 

Der  zweite  Teil  der  Urkunde,  S.  291  f.,  ist  ein  sog.  ->1.:S\*»  ^.-^  'Notariats- 
akt in  tergo' ;  über  (nicht  wie  bei  uns  unter)  diesem  Akte  stehen  die  Worte,  mit  denen 
der  instrumentierende  Beamte  die  Verhandlung  geschlossen  hat,  der  sog.  1*12x1  wie 
die  technische  Bezeichnung  lautet  (s.  die  Sammlung  solcher  Formeln  in  dem  Formular- 
buch  iJijCciJI  XÄj^'ü  des  Tabakzade  aOt-.cLJj  S.  380 ff.).  Der  Hrsg.  hat  diese 
Formel  unrichtig  gelesen  und  das  richtig  Gelesene  zum  Teil  falsch  übersetzt.  Es  ist 
zu  lesen : 

*L.^ÄJ!t.     ^Jfc^i^   iA^5»l     JL*j»  äJL:»^aav  \j^\    .xääi!  i^Sü^  \*s    .5'ö  L.«.x.w.>-    j^^\ 

xÄc  ,  <*^  iss'l^li»  Q-"^*-^  Ä.ÄjtA.«j  jj;jCw«^*J! 
d.  i. 

Die  Sache  verhält  sich  so  7vie  darin  angegeben  (entsprechend  dem  actum  ut  supra, 
verhandelt  wie  oben  unseres  Aktenstils);  atifgenommsn  hat  es  der  stellvertretende  Molla 
und  Nachlaßrichter  der  Stadt  Bodin,  Ahmed  usw. 

Die  Verhandlung  besagt,  daß  der  Tschausch  Mustafa  von  den  in  üiwar  gamiso- 
nierenden  Artilleristen  vor  dem  Kadi  von  Bodin')  erschienen  ist  und  erklärt  hat,  daß 
die  59  Artilleristen  von  Uiwar  bei  einer  täglichen  Löhnung  von  501  Aspern  an  Sold 
und  Zulage  für  das  IV. Quartal  1092  und  das  erste  Quartal  1093  zusammen  88676  Aspern 
zu  fordern  hatten ;  daß  durch  das  umstehende  tejnessUk  befohlen  sei,  diesen  Betrag  von 
dem  derzeitigen  Statthalter  von  Bosnien,  Abdurrahman  Pascha,  der  von  seiner  Ägyp- 
tischen Statthalterschaft  her  dem  Reichsschatze  Geld  schulde,  einzuziehen  und  mit  ihm 
zu  verrechnen;  daß  er  infolgedessen  von  dem  genannten  Pascha  739  Löwentaler, 
die  zum  Kurse  von  i  Löwentaler  =  120  Aspern,  88676  Aspern  ausmachen,  baar  und 
richtig  ausgezahlt  erhalten,  sowie  daß  er  beantragt  habe,  das  darüber  aufzunehmende 
Protokoll  auf  den  Rücken  der  Urkunde  zu  setzen. 

So  oder  ähnlich  würden  wir  die  Verhandlung  auf  deutsch  gefaßt  haben.  Sie 
diente  dem  Pascha  als  Quittung  und  stammt  wohl  aus  dessen  Archiv. 

Außer  den  bereits  oben  gegebenen  Berichtigungen  sind  noch  folgende  Stellen  zu 
verbessern: 

Im  sebebi-tahrir  ist  zu  lesen:  \J  ,iAJ»)  \^m*.^  .j..;<U  v^*.a<w.  Hier  wie  auch 
S.   296  wird    !sS,».J»)    umschrieben,  und  Prof.  Jacob  hat  sogar   ^-J^ÄJ»)    daraus  gelesen. 


*)  In  dem  verzierten  Stile  des   Originals  : 

wörtlich :    'vor  dem  hohen  verehrlichen  Scheriatgerichte'    vom    Hrsg.    verlesen   und  irre- 
führend übersetzt. 


l]()  Kleine  Mitteilunfjen   und  Anzeigen. 

Z.     7  ist  zu  lesen:     ->j-^ol    ,•-/»    äJ    xb!    --^J', 

„        12         „  ,,  „  XX.>*\J        j»j.X.»J)         ,.jUA*-«i        -yA. 

Von  den  zugezogenen  Zeugen  hieß  der  Agha  der  ghurebäi-jemin  nicht  -♦awjJI, 
sondern    J<<^  _?^' *    ^^^  seriopdschian  von  Bodin  nicht  {^jj^,    sondern  ^^,  «.i;  letzterer 

erhalt  den  Ehrentitel  OLotil  ..^^^s  f  nicht  O^Xxi!  ->^i") :  \xa*«.J  i^s  J  \X'S  ist  nicht 
der  Notar  —  diese  Funktionen  kommen  nur  dem  Kadi  zu  — ,  sondern  der  Diwans- 
sekretär des  Ejalet  Bosna. 

VIII,   S.    ii3fif. 

In  der  Titulatur  des  Beilerbej  von  Bodon  (Z.  i)  ist  j»i.Ä£>'^'U  statt  ^Ls'^1», 
zu  lesen. 

Der  Eingang  der  Urkunde  ist  vom  Herausgeber  völlig  mißverstanden ;  es  ist  zu 
übersetzen: 

»Du  hast  soeben  Meiner  Hohen  Pforte  mit  Bericht  gemeldet,  daß  der  Anführer  der 
verworfenen  Ungläubigen,  der  Herzog  genamte  Verfluchte,  mit  seinem  Heere  vor  die 
Festung  Estergom  gerückt  sei,  sowie  daß  ein  eben  aus  der  Gefangenschaft  entkommener 
Freiwilliger  namens  Atai  ausgesagt  habe,  im  Lager  der  Ungläubigen  gäbe  es  eine 
Unmenge  Reiterei  und  Fußvolk,  und  ihre  Absichten  gingen  auf  Bodon  und  Pest : 
zugleich  hast  Du  ihn  (seil,  den  Atai)  mitgeschickt.  Ich  habe  von  allem,  was  darüber 
gesagt  ist,  und  von  der  Aussage  des  Genannten  Kenntnis  genommen«  usw. 

Z.  2  ist  ^ öJS  Fehler  für  ,.^^^^0015^:  Z.  3  ist  die  Lücke  durch  ■y^tJ'jS^ 
zu  ergänzen. 

Z.  6  ist  das  erste  Wort  0«./ixi^L>  (heutige  Schreibung  L-J^-ii^x?),  /  i^-zii-i^O  o^i 
abpatrouillieren :  »Es  ist  dafür  gesorgt  worden,  die  Festung  durch  andauernde  (das 
liegt  in  dem  doppelten    u^ij     Patrouillenentsendungen  zu  sichern«. 

Z.  6.     Das    Fragezeichen,    mit    dem    der    Hrsg.    seine     Übersetzung    der    Worte: 

^,jJuJ»l  ,  -JW  aJ^jU^  c>"*Jjfc  ^A^A^J'  XJLxi  — _^5  ^5^3*  versieht,  deutet  daraufhin,  daß 

er  die  einzelnen  Ausdrücke  nicht  richtig  verbunden  hat.  *.JL/))  r^j^^  L?  j^  '*^  ^^^ 
Begriff:  -»a-oberunger  hoff  ender  Feldsug\  der  Dativ  ist  abhängig  von  «o-^jjC,  das  mit 
*.x4jl3,j  durch  die  Izafe  verbunden  ist,  also  wörtlich:  »Da  die  Absicht  meines  Kaiser- 
lichen Auszuges  in  den  eroberiingenerhoft'enden  Feldzug  fcßfleht«.  oder  auf  deutsch : 
»Da  meine  Absicht  feststeht,  persönlich  in  diesem  Krieg,  der  uns  neue  Eroberungen 
verheißt,  zu  ziehen.« 

Z.    6  Ende   ».;»!  viVy»^jj.i^  *••>»  ^^^    »wie  Du  es  für  angebracht  gehalten  hast«. 

Z.    9  1.     ^:S\xj; 

Z.  10  ,,      ,.,A4.Jwäa3    c>->..:5^'»  :    ebenda  a.  E.    .j'ui  ^Si»    i-i-*^l    'i*jXi . 

Z.  II  ist  das  so  bei  ,..jJ».xÄX*.t  nicht  gerechtfertigt;  man  begegnet  dieser 
Schreibung  recht  oft  in  Werken  des  16.  Jahrhunderts;  —  ebenda  a.  E.  ist 
zu  lesen:      ^JLi>    j»k^S      ^ib    »^«-^^j^w^/w^r  6'«rö'^'«,  d.  i.  der  besoldeten 

Truppen  der  Residenz;       -^t;c    ist  wohl  nur  ein  Druckfehler  für      -iiLc. 
Z.  12  ^jr.j^iJ    iSwAoL^    sind  die  Reit-    und  Lasttiere,    die    für    den    Gebrauch    des 
Sultans  bestimmt  sind.  —  Für    ^J    ist    ^j    =    ^j    zu  lesen  und  zum  vor- 
hergehenden, Z.   II   mit      ^^>l\>o     beginnenden,    Satze    zu  ziehen.     Dieser 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  I  i  i 

Sat?.  ist  recht  liederlich  redigiert:  »Aitch  ich  bin,  indem  der  Rest  Meiner 
kaiserlichen  Garde  und  das  Aufgebot  von  Auatolien  vollzahltg  beisammen 
sind  und  Befehl  gegeben  ist,  den  kaiserlichen  Troß  Z2ir  Stelle  r.u  bringen, 
im  Begriffe  anf^iibrecheti.f. 

Z.  14  Der  Herausgeber  läßt  den  Sultan  dem  Bali  bej  befehlen:  »Gegen  die  Ge- 
bäude von  Ofen  und  auch  gegen  die  von  Pest  treibe  bei  Tag  und  bei 
Nacht  Minenstollen  vor.«  Da  beide  Städte  noch  in  den  Händen  der  Türken 
waren,  so  ist  die  Übersetzung  unmöglich.  In  der  Tat  ist  im  Texte  nicht 
von  *.ii  Minenstcllcn,  sondern  von  -Ol  J/^«jt7/^«  die  Rede,  die  der  Pascha 
zusammentreiben  soll,  um,  wie  aus  dem  Folgenden  hervorgeht,  die  Ver- 
teidigungswerke auszubauen. 

Z.  16  lies     O-Aü^    für   ^^^-Ai2X ; 

Z.  18  Der  Herausg.  tibersetzt  die  Worte: 

.iA.Ci»^>Ü3i  ;j:aj_jÄJ  ^XÄjLao  s\^  ii)^M  ^j»r^  jy^^  dV.>.i^>  y^^ 
»Dieses  Reiches  Angelegenheiten  sind  Deiner  Einsicht  anvertraut«,  vielmehr: 
Die  gesamten  Angelegenheiten  jener  Gegenden  sind  Deiner  treffenden  Ent- 

scheidung  überlassen.«   Für  \X.;CjLao  i-\  ^    dürfte    NXi^jL^l  ^j;!^  zu  lesen  sein. 
Z.  21   lies     u.ÄiL;i=;/9    statt    ^.JlLs^/o; 

Z.  23     „   (.^^!  ^>^>    statt    j»^Lvi  iw^xi>.    also     die    Heerscharen,    des    Islam; 
L-^:>    kann  nicht  ,Länder'  bedeuten.  —  Zu  Ende  der  Zeile  ist  zu  lesen 
J«^3     JLüisi     :_^j    ^:^j     'viel  Erfolge  und  Segen' \nheY    r;^i\  j%Ji    geben 
die  Wörterbücher  Auskunft. 
Z.  24  Daß    Bali    bej    die    Verhältnisse    und    Lagen    der   Religion  der  Ungläubigen 
fleißig   erforschen    soll,    ist  natürlich  ausgeschlossen    und    beruht  auf  einem 
Lesefehler.-     Es    ist    vielmehr    die    Rede    von  den    ^J[^=>1  ii)v.;jO^  ^Ui  , 
von    den  Verhältnissen    der   gottlosen  Ungläubigen,  die  er  auskundschaften 
soll,  ferner,  ob  der  König  Ferdinand  wirklich  im  Anzüge  ist  und  sich  mit 
dem  Heere  des  Herzogs  vereinigt  hat,  endlich :    J^m^s^    q-^3'    s^J;_j->-"'^' 
.Ji^=>l     ^-^^J     ^-i^-^Hr^      (so  ist   Z.   24  E.  zu  lesen,     s.    Leunclavius 
1.  c.   791   Z.   16)  die  Lage  der  in  seinem  Lager  befindlichen,  der  Niederlage 
geweihten  Truppen,  ihre  Anzahl,  und=    ^jXi\.J*,    oLj    (so  zu  lesen  Z.  25 
nach  der  Lücke)  ihre  Ausrüstung 
.yjJLxt^S     in     der    Bedeutung    .befestigtes  Lager'    wird    in    dem    Siegesschreiben 
Soliman's  1.   vom  Djemazi  II  948  =  Sept./Okt.    1541    bei    Feridun    münsckPät   2.  A., 
I  551  ff.  wiederholt  von  dem  unter  dem  Gerhardsberge  bei  Ofen  angelegten  Lager    der 
Kaiserlichen    gebraucht.    In    der    Überschrift   wird    daher    diese    Urkunde    als    ^j^x*«) 
^A«».xL>L5\Xs  —  so  !  —  bezeichnet:  es  handelt  vielmehr  von  dem  ungarischen  Feldzuge  des 
J.    1541    (vgl.  V.  Hammer    OG.    III    230).     Eine    andere    Abschrift    findet    sich    in    dem 
Inscha  der  Orientalischen  Akademie  zu  Wien  Nr.  XClX  des  IvRAFFTschen  Verzeichnisses, 
wo  es  als  Siegesschreiben  »wegen  der  Eroberung  von  IstoborQ)  vom  J.  1048«  —  so!  — 
bezeichnet  wird. 

Pera,    17.    12.    1917.  J-   H.  Mordtmann. 


j  j  2  Kleine  Mitteilungen   und  Anzeigen. 

Al-Abhari's  (t663  =  1265)  Isagügi  und  al-Fanäh's  (f  834  =  1431) 
Kommentar  dazu:  Bemerkungen  zu  Gothanus  1178  und  Enzyklopädie 

des  Islam  I,  74  a. 

Durch  die  rühmlichst  bekannte,  so  äußerst  dankenswerte  Liberalität  der  Direktion 
der  Herzoglichen  Bibliothek  zu  Gotha  ist  mir  neben  andern,  meist  geographischen  Hand- 
schriften auch  der  kleine  arabische  Kodex  1178  (versehentlich)  zugeschickt  worden,  den 
ich  dann  natürlich  auch  einer  näheren  Einsichtnahme  würdigte.  Es  sei  mir  deshalb 
gestattet,  einige  kritische  Bemerkungen  zu  Pertsch's  Beschreibung  in  seinem  im  all- 
gemeinen so  sorgfältig  und  exakt  gearbeiteten  monumentalen  Katalog  zu  machen  (vgl. 
dazu  ZDMG  69  (1915),  S.  405— 411:    Gothanus  643).      Pertsch    sagt:    »Die  isäghügi 

mit  dem  Kommentare  des  (J^LxäJ!  Si^?»  q.j  Js^.:5\/a  j^JuNJ)  ,j*^4.^  (f  834)^ 
welcher  von  H.H.  I,  503  erwähnt  wird  und  auch  bereits  gedruckt  ist  (Zenker  1325). 
Nach    diesem  Druck    und   nach  sonstigen  Angaben  soll  dem  vorliegenden  Kommentare 

der  l'itel  is.j.LÄftJi  iAj|käii  zukommen;  es  wird  diese  Angabe  indessen  weder  durch 
H.  y.  a.  a.  O.  noch  durch  unsere  Handschrift  bestätigt.  Auch  finde  ich  die  Behaup- 
tung H.  H.'s,  der  Verfasser  gebe  am  Ende  seiner  Arbeit  selbst  an,  daß  er  dieselbe  an 
einem  Tage  fertiggestellt  habe,  durch  unsere  Handschrift  nicht  bestätigt.  Andere  Hand- 
schriften u.  s.  f.«   ....   Beide  Einwände  Pertsch's    sind  nun  .aber    doch   hinfällig,    da 

sowohl  bei  H.  ii.  I  504,  wie  sonst  sehr  häufig  al-Fanäri's  Kommentar  als  X.jjLÄäji  lAjU-äJi 
bezeichnet  wird,  vgl.  nur  Dresd.  114,  Berlin  5237  ff.,  Escorial  633-  u.  v.  a.  Ebenso 
istH.  fi's  Angabe,  daß  al-Fanäri's  Erläuterungen  zur  logischen  Isagoge  al-Abharl's 
das  Werk  eines  Tages    (daher    (^c;».3Cj    Loth,  India   Office  497)  seien,  richtig,  nur  ist 

unrichtig,  daß  er  sagt    Jv.=>L  ^».a       'z  a,.5-  Ki\  B.i>i     -5   jTÖ,   da  statt    »-i>l      stehen 

müßte  *>i»L  weil  er  es  gleich  in  der  Einleitung  sagt,  wie  T.ä  sköprizäde  (a.  R.  von 
Il)n   Ijallikün,   Kairo    1310,    I  26)    richtig  zitiert:     nJl<wJ)     ^j^.LÄäJ)       Jj..«.J)    f ^^ 

s»>X£.   i^t    o/^.ii..ü.    xx>.laj>     Ji   Sli»    Läaw.=>    LäaIiJ    'l5>..Üi    ,.,!iA4ji    ,  Ji    A-j-o ji 

-^  ••  j  •  !_?  ^  ••  ->         ^)  j"  Lr  "^ 

j.^lxi!  e^JL^-i!  .-jj**^  XJ-i/«  ^.jtöl  «-»  c>.4.Xi>3  *Jn>\  jiJi$\  ^A  j^j.  Pertsch  hat 
also  weder  den  H.  H.- Abschnitt  über  die  Isagoge^i  502 — 505  genau  gelesen,  noch 
die  ersten  Zeilen  des  »sehr  flüchtigen,  etwas  zum  Diwänl  neigenden,  fast  ganz  unpunk- 
tierten Neshi«.  Die  übrigens  für  eine  kritische  Ausgabe  einmal  wohl  zu  verwertende, 
besonders  zum  Schluß  winzig  klein  geschriebene  Handschrift  (fast  ganz  ohne  diakritische 
Punkte)  verdient  doch  eine  etwas  nähere  Beschreibung,  i  a  trägt  einige  links  beschnit- 
tene und  oben  links  abgeriebene  türkische  Kritzeleien  ohne  Belang,  gegen  oben  rechts 
steht   von  "^  verschiedenen    Händen    der  Titel:   2  mal    ,  c-Ä5       _:>».£ L.«a«.j)    ,- -^i         1    mal 

j^.LJLs    — -    (  j^-*'5   fenär  und     -Äs    fener  von  neugriecli.  cpavctpt, Leuchtturm,    das 

Griechenviertel  Phanar  am  Goldenen  Hörn  in  Stambul).      In  der  Mitte  steht  ohne  Punkte 

,  c,».J!    Jiuuw    Lj    NJ-xil    ^^.iJ}\   Lj.    Darunter  kommt  dann  noch: 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  11^ 

•l^^il   5i\>3   x*jLJI^  C)^y   »J>.>-_j   iLiiwiil^ 

J3,<äJ5    sJo-^)    ii.JL/iLiil_5 
Die  13  ersten  Zeilen  von  ib  lauten: 

v^Äi'l    ^.j!    i;L^/>^    ^Laa3    Jj"    i^^s    ^l    ^\    ^y:i\    ^Ä    ^_^•^•e3    '^'^     J-i^i^i^ 
*^*il    /M_j'*'?    ''O-*^    r)^*^^    /^^    ^ü^4.Ä:>^    r»L:^'^5   ^*ai!    Q./a    *^J    8»|l\c    *.>j5    ui^C-^ 

;^i!  "b^/i?»  LixÄ  \ax<w<  1-jj-JCj  "b^   lijL.ccJ5   5^>  "-^'^^j-^-^  ''■•^^H^^  *— ^*:^  \^)^i 


Blatt  3   und  4  haben  einige  Randnoten,   5  b  —  9  b,  besonders  9  a  haben  zahlreiche 
Rand-  und  Interlinearbemerliungen;   21a  bringt  den  Schluß: 


XÄJ^?    (AjUxÜ    ,)»;Ma;<;j    ..."b     ^c.    "b'    ..,wP.>.Jt   _jj?    ^r^-^^    iA^Xsu.i5    \^\     äiA^^^jt^ 

1)  H.    cy,^*A.«.il 

2)  Deshalb    ä.j,'l>;äJ!    iAjS^äJI 

3)  H.   hat    noch    ^    (Dittograph). 

4)  Escor.2  633'  hat    vXjf^J 

5)  Berlin  5237   jr^jj",     52383.  J.JÄj  ■  . 

•>)   Berlin   5237f.    Q.X-J3,    vgl.  Catalogus  Lips.  Senat.  33'     (••^.XaJ»,    33?   q.xJ» 
7)  Berlin  5237 f.    ÜUÄJ* 
Islam  IX.  8 


Ij^  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

Am  Rand  steht  noch  schief:  ^j^i^LJ  IjÄij  (j//.x:s05.  Über  den  Verfasser  der  ara- 
bischen Isagoge  hat  Brockelmann  in  der  Enzyklo-pädie  des  Islam  I  74  a  einen  Artikel 
geschrieben,  der  jedoch  folgende  Berichtigungen  und  Ergänzungen  erfordert. 

Da  früher  Fleischer  —  Dorn,  Drei  astronomische    Instrumente  p.  93  ist  mir  nicht 
zugänglich   —    nach    einem    späten  Glossatorenfündlein   Abahri  von  einer   sonst  unbe- 
kannten Kabile  Abahr  (s.  Catalogus  Lips.  Senat,  p.  349  Anm.)  lesen  wollte    (so  u.  a. 
Flügel  in  \\A\.,  vgl.  auch  noch  Ahlwardt,    Berlin   5228    elabhari  und  elabahri), 
so    hätte    diese   Aussprache    wenigstens    angeführt    und    abgewiesen  werden  können,  da 
unser  Autor    doch    wohl    nur    von    einem    der  beiden  persischen  Abhar  herstammt,  von 
denen  das  nördliche  westlich  von  Kazwin  das  bekanntere  (in  dem  flüchtigen  anonymen 
Artikel    der   Enzyklopädie  des  Islam  einzig   genannte)    ist,   während    von  dem  südlichen 
bei  Isfahän  bei  al-Sam'änl  und  Jäküt  mehr  Gelehrte  stammen  als  vom  andern.    Statt  der 
artikellosen    Namensform    Mufaddal    hätte    vielmehr    die    mit   Artikel    gewählt    werden 
sollen,  da  die  erstere  die  spätere,  besonders  bei  Türken  vorkommende  ist,  während  die  jün- 
geren Zeitgenossen  und    bewundernden  Schüler    al-Kazwini    und    b.     Hallikän    al- 
Mufaddal    sagen.        Statt     bloß  als    »philosophischer    Schriftsteller«    muß    al-Abharl 
zugleich  als  Mathematiker    und    Astronom    bezeichnet    werden,    da  er  in  diesen  Fächern 
nach  Angabe  seiner  Schüler  ganz  hervorragend,  noch  bedeutender  als  in  Theologie  und 
Philosophie    war.     »Von    dessen  Lebensumständen  nichts  bekannt  ist«,  ist  falsch.     Der 
Kosmograph  al-KazwinI  II,  310  berichtet  uns  von  seinem  hochverehrten,  »in  der  Geo- 
metrie   unvergleichlichen«    Lehrer   Rühmliches,    wie    er    am    Hofe  in  Mosul  lebte;    ähn- 
liches   berichtet    sein    ebenso    dankbarer    Schüler   b.  Hallikän    (transl.  III  468  f.)  auf 
einer  langen  Seite  im  Leben  eines  der  größten  Mathematiker,  Ibn  Jönus,  wie  er  von 
Mosul  nach  Arbela  (Irbil)  kam,  wo  b.  Hallikän  sich  gerade  aufhielt,  worüber  jeder- 
mann den  eingehenden  Bericht    seit   1900    lesen   kann,    bei  dem  sehr  genauen  Forscher 
H.   SuTER     Die   Mathematiker    und   Asfronojnen    der   Araber  und  ihre   Werke,    S.   141, 
145  f.    und  219.       »Gestorben    im  Jahre  663   (1264;    nach  Barhebraeus  schon    1262)« 
aus     Gesch.    d.    arab.     Lit.     1    464     übernommen,     obwohl     Suter     S.     219     die     Un- 
richtigkeit   dieser  BROCKELMANN'schen  Behauptungen    zurückgewiesen    hatte.     Das  nicht 
anzuzweifelnde    genaue  Datum    seines  Todes  stammt  aus  einer  von  Casiri    bemerkten 
Randnotiz  zum  Escorialer  al-Kifti-Kodex  (1773,  II  p.  332 ;  Casiri 's  viel  zitierte,  bei 
ihm  anonyme  Bibliotheca  Arahica  Philo sophor um)  s.  dessen  Bibliotheca  Arabico-Hispana 
I,   i88a:    —   »Athireddinus  Abharita,  —  qui,    sicut  notatum  reperio  in    Bibliotheca 
Philosophorum  ad  pag.   99  imperitante  Holacu     [_^^P,  _»5"b^?   1256— ösj.supre- 
mum    obiit  diem  vespertinis    horis    feriae    i,    die    19  Rabü  posterioris  anno  Egirae  663, 
Christi   1264.«    Suter  219:   »Der   19.   Rabi'  II  663  fiel  in  den  Febr.  d.  J.   1265«,  noch 
genauer:    9.   Febr.    1265.     Während  Abulfarag  =  Barhebraeus  (f  1289)  gar  kein 
Todesjahr  angibt  (woher  stammt  diese  apokryphe  Notiz  Brockelmann's?),  sagt  er  uns 
aber    doch    mit    einem  Wort    (»^j^l-J     etwas    über    al-Abharl,    was -auch  Suter    ent- 
gangen ist,  nämlich  daß  er  nicht  bloß  in  Mosul,  wie  oben  erwähnt,  gelebt  habe,  sondern 
auch    im    seldschukischen    Kleinasien    (al-Rum),     aber  nicht    gerade    in    der    Hauptstadt 
Könija,  da  er  gleich  nach  al-Abharl  zwei  anderen  Gelehrten  speziell  Könija  als  Wohnsitz 
zuweist.     Den    guten    Perser  al-Maibudi  von  Maibud    nordwestlich    von  Jezd  macht 

»)  Berlin  5238  Li^jJ^ 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  1 1  5 

hier  Brockelmann  zum  Inder,  während  er  in  der  Notiz  Über  ihn  II,  210,  wo  übrigens 
nicht  einmal  auf  seine  Kommentare  im  ersten  Band  zurückverwiesen  wird,  den  Persem 
gelassen  wird  (gdm  geti  nutnä  1.  gäm-i-geti  numä;  H.  H.  II,  449  1.  499).  Auch  in 
VAN  Dyck's  Bibliographie  arabischer  Druckwerke,  Kairo  1897  {kitäb  ikti/ä  alkaniV-  bimä 
huwaniatbü'-)  ist  S.  109  über  al  -  Abhari  ungenügend  und  fehlerhaft;  ebenso  weiß  Beale's 
Oriental  Riograp/iical  Dictio7iary,  1894,  p.  164,  165  über  unsern  MaibudI  nicht*  anzu- 
geben als  »Husain-ibn-Muin-uddin  Maibadi  ^(^lXaa/i  q.jAJ1  ^^t^'*  Q'^  Q;^-**^>"} 
author  of  a  work  on  religion,  entitled  Fawätah!«  »Kitäb  al-Tsäghügi« ,  sagt  Brockel- 
MANN :  bei  dem  berühmten  Handbüchlein  der  Logik  (diese  Begriffsbestimmung  läßt 
Bkockelmann  einfach  weg)  wird  kitäb  meist  fortgelassen,  s.  H.  IJ.,  Berlin  5228—55, 
ist  also  nur  Ballast;  ebenso  hat  es  im  guten  Arabisch  keinen  Artikel:  es  ist  Eigenname; 
nur  schlechte,  späte,  türkische  Handschriften  setzen  den  falschen  Artikel  hie  und  da: 
1898  I  46  und  1902  im  Register  II  601  hat  Br.  den  falschen  Artikel  zugesetzt,  was 
auch  1908  bleibt.  H.  li.  im  langen  Isagogeabschnitt  I  502  —  5  und  sonst,  Berlin  5228 
bis  5255  haben  z.  B.  nie  diesen  barbarischen  Artikel.  Den  Erklärer  der  Isagoge  Sems- 
eddln  Mohammed  hat  Br,  1898  (I  465)  in  einen  Ahmed  b.  Hamza  al-Fanäri 
verwandelt,  der  dann  im  Register  unter  Ahmed  nochmals  auftaucht,  während  ich  ihn 
seinerzeit  unter  al-Fänäri,  wie  II  233,  gestrichen  habe,  wie  ich  z.  B.  auch  den 
falschen  b.  al-'Abbär  I,  340  im  Register  in  das  richtige  b.  al- Ab  bär  korrigiert  habe, 
ebenso  Qaräbäg!  I  429,  465  in  richtiges  — gi  u.  v.  a.  Da  al-Fanäri  im  Regeb 
834  starb,  welcher  am  15.  März  i43i  beginnt,  so  ist  1430  falsch.  I  464*".,  H  233f. 
sind  noch  viele  Einzelfehler  zu  verbessern  und  Ergänzungen  notwendig,  auf  die  hier 
nicht  eingegangen  werden  kann;  ich  erwähne  nur  II  233  '■awtsat,  1.  —ät\  Kairo  VII 
615  und  617  sind  noch  2  Schriften  al-Fanäri's  erwähnt  und  erhalten,  die  bei  Br. 
fehlen;  »II  234/6.  al-mantiq.  gedr.  Stambul  1304«.  Dazu  wäre  zu  untersuchen  gewesen 
ob  dieseLogik  al-Fanäri's,  wie  wahrscheinlich,  eben  sein      >^w,w*.j)  <^  y^  =  iAjUä^i 

iCji-LäJi  I  465  (worauf  nicht  rückverwiesen  ist)  =  Goth.  1178  ist.  Da  die  Kommen- 
tare zur  hidäjat  al-hikma  meist  nicht  den  i.  Teil  {mantiq  Logik)  mitbehandeln,  sondern 
nur  die  wichtigeren  2  folgenden  über  Physik  und  Metaphysik,  so  müßte  darüber  immer 
genau  berichtet  sein.  Die  Glossen  des  Lärl  Berl.  5o67f.  (nicht  5076— 8  !)  u.  a.  werden 
fälschlich  zum  direkten  Kommentar  gemacht;  daß  wir  diese  Glossen  Läri's  und  Mai- 
budI's  Kommentar  auch  in  Tüb.  78  haben,  ist  auch  Pertsch,  Goth.  12 18  entgangen, 
ebenso  besitzen  wir  Mewlänäzäde's  Kommentar  in  Nr.  80  (auf  Titelseite  allerdings 
fälschlich  dem  al -Sa  jjid  al-Serif  [al-Gurgänl]  zugeschrieben).  Zu  Mewlänäzäde 
fehlt  bei  Br.  die  bezeichnende,  in  der  Aussprache  freilich  noch  nicht  ganz  gesicherte 
Nisbe  -JtJV.^ii,  Der  Schluß  enthält  noch  im  letzten  Sätzchen  ein  Mißverständnis: 
»Außerdem  schrieb  al- Abhari  noch  drei  kleine  astronomische  Abhandlungen«,  während 
doch  SuTER  1900  nicht  weniger  als  5  astronomische  Schriften  kennt,  die  vorhanden 
sind,  wovon  der  Abriß  der  Astronomie,  allein  22  Kapitel  auf  67  Folia  doch  nicht  klein 
zu  nennen  ist.  Außer  diesen  nennt  b.  Hall  ik  an  unter  anderen  berühmten  Werken 
noch  mit  Namen  eine  taHlka  ßHhiläf  (über  Kontroverse.  Disputation)  und  astronomische 
Tafeln  {^ig).  Zudem  hat  Br.  obigen  Abriß  der  Astronomie  Paris  2515  von  den  21 
Seiten  des  Leid.  1104  (nicht  1102!),  was  höchstens  ein  Auszug  aus  jenem  sein  könnte, 
nicht  unterschieden.  Als  IV,  führt  B:?.  I  465  die  Abhandlung  über  das  Astrolab  Paris 
25445  (nicht  22445!)  an;  als  V.  nennt  er  kasf  al  haqäiq  fJ  taJirlr  aldaqä'iq;  Kairo  \'II 
647,  was  119  folia  umfaßt  und  über  Philosophie /»/ivÄ«  handelt,  wie  der  Katalog  augen- 
fällig am  Rand  angibt.  Es  ist  also  keine  kleine  astronomische  Abhandlung,  wie  Bi<. 
hier  behauptet,  indem  er  V.  mit  III.  und  IV.  vermengt.  C.  F.  Seybold. 

8* 


1 15  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

Zur  Geschichte  der  arabischen  Algebra  und  Rechenkunst. 

Die  widersprechenden  Urteile  über  die  Art  und  den  Grad  der  Abhängigkeit  der 
arabischen  Algebra  und  Rechenkunst  von  griechischen  und  indischen  Quellen,  zu  denen 
neuere  Forscher  gelangt  sind,  ließen  eine  Nachprüfung  des  Sachverhalts  durch  einen 
Arabisten  wünschenswert  erscheinen.  Ein  Zustand  der  geschichtlichen  Erkenntnis,  in 
dem  ein  Urteil  das  andere  aufhebt,  ist  unhaltbar;  die  Wahrheit  ist  eindeutig  und 
muß,  unlösbare  Einzelfragcn  vorbehalten,  eindeutig  aus  einer  umsichtigen  Analyse  der 
geschichtlichen  Tatsachen  gewonnen  werden  können.  Dazu  gehört,  daß  mit  philologisch- 
kritischer  Methode  und  nicht  bloß  mit  mathematischer  Sachkunde  an  die  Quellen  heran- 
gegangen wird;  die  vielfach  dilettantische  Behandlung  philologischer  Fragen  durch 
Mathematikhistoriker  ist  der  Hauptgrund  für  die  Verwirrung,  der  wir  gerade  in  der 
Geschichte  der  Mathematik  bei  den  Arabern  begegnen. 

In  einer  der  Heidelberger  Akademie  der  Wissenschaften  eingereichten  Abhand- 
lung -dZuv  ältesten  arabischen  Algelira  nnd  Rechenkunst«.  ')  habe  ich  den  \'ersuch 
gemacht,  über  den  angedeuteten  Zustand  hinauszukommen.  Frei  von  jeder  Voreinge- 
nommenheit für  oder  gegen  Griechen,  Inder,  Araber  hatte  ich  nur  das  eine  Interesse, 
aus  den  literarischen  Urkunden  und  geschichtlichen  Tatsachen  sichere  Schlüsse  zu  ziehen, 
gleichviel,  ob  sich  die  Wagschale  im  Einzelfall  zugunsten  der  Griechen  oder  Inder 
senken  würde.  Den  Ausgangspunkt  der  Untersuchung  mußte  selbstverständlich  die 
»Algebra«  des  Muhammad  b.  Müsä  al-Hlwärazmi  bilden.  Sie  bietet  uns  als 
ältestes  Originalwerk  einen  festen  Bestand  und  Verband  mathematischen  Wissens,  der 
ebenso  maßgebend  wurde  für  die  Weiterentwicklung,  wie  er  selbst  bestimmt  ist  durch 
die  Quellen  und  die  persönliche  Leistung  des  Verfassers.  Die  kritische  Schwierigkeit 
liegt  nur  darin,  daß  wir  die  unmittelbaren  Quellen  des  Verfassers  nicht 
kennen,  also  gezwungen  sind,  die  Art  der  Quellen  und  das  Maß  der  persönlichen 
Leistung  aus  dem  Text  selbst  und  den  anderweit  bekannten  griechischen  und  indischen 
Werken  verwandten  Inhalts  zu  erschließen.  Drei  Angriffsflächen  boten  sich  einer  solchen 
Untersuchung  dar:  der  mathematische  Inhalt  der  Algebra,  ihre  Terminologie  und  ihr" 
literarischer  Aufbau.  Der  elementare  Inhalt  erschwert  begreiflicherweise  den  Nachweis, 
daß  hier  aus  griechischer,  dort  aus  indischer  Quelle  geschöpft  ist.  Der  Aufbau  des 
Ganzen  • —  mit  seiner  Vereinigung  verschiedenster  Bestandteile  —  läßt  eher  an  indische 
als  an  griechische  \'orbilder  denken.  Die  in  großer  Breite  behandelte  Praxis  der  Erb- 
teilungswissenschaft scheint  vom  Verfasser  selbst  herzurühren.  So  konnte  für  die  Ent- 
scheidung griechischen  oder  indischen  Ursprungs  der  übrigen  Teile  der  Algebra  nur 
die  genaue  Untersuchung  der  mathematischen  Fachausdrücke  zum  Ziel  führen. 
Die  beiden  Untersuchungen  über  die  Erbteilungsaufgaben  und  die  ursprüngliche  An- 
wendung der  Termini  mal  und  schaP,  sowie  über  die  Terminologie  der  quadratischen 
Gleichungen  in  Kap.  VT  und  VII  bilden  daher  den  Kern  der  Abhandlung.  Neigt  sich 
schon  hier  die  Entscheidung  zugunsten  vorwiegend  indischer  Anregung,  so  wird  die 
indische  Herkunft  des  Kapitels  von  den  Geschäften  und  des  größten  Teils  des  Kapitels 
von  der  Messung  in  Kap.  X  und  XI  zur  Gewißheit  erhoben  und  stützt  dadurch  das 
frühere  Ergebnis. 

Die  seit  Rosen  (1831)  gang  und  gäbe  gewordene  Ansicht.  Muhammad  li.  Müsä 
habe  die  im  Titel  seines  Werkes  auftretenden  Ausdrücke  algabr  -loalnmkäbalah  nirgends 
erklärt,  wird  in  Kap.  I  widerlegt  und  die  Geschichte  der  Termini   von  D  i  o  p  li  a  n  t  bis 


')  Sitzungsberichte  der  H.  Ak.  d.  W,,  Philos.-IIist.   Klasse,  Jahrgang  191 7,   :?.  Abb. 
Eingegangen  am    14.  Juli    1916,    erschienen  Ende  No\  ember   iyi7;   125  S.  geh.  4  Mark. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  1  I  7 

Ibn  yaldün  verfolgt.  In  Kap.  II  wird  der  Nachweis  geführt,  daß  ein  nur  dem  Titel 
nach  bekanntes  Werk  des  Muhammad  b.  MOsä,  das  /  äjÄxJL  ,«.^:^jt  ^\.'jS 
kitäb  algam^  waliafrik  nichts  mit  dem  Liber  atig?nettti  et  diminutionis  zu  tun  hat,  wie 
man  seit  Woepcke  (1863)  annimmt,  sondern  das  nur  in  lateinischer  Bearbeitung  erhal- 
tene Rechenwerk  desselben  Verfassers  bezeichnet.  Eine  Würdigung  der  wissenschaft- 
lichen Gesamtleistung  Muhammad  b.  Müsä's  versucht  das  Schlußkapitel  XII  zu  geben. 

In  loserem  Zusammenhang  mit  dem  Hauptinhalt  der  Abhandlung  stehen  die  Kapitel 
über  die  arabischen  Zahlbezeichnungen,  über  den  Aufbau  des  Zahlensystems 
und  die  Namen  der  Ziffern.  In  dem  zuletzt  genannten  Abschnitt  wird  mit  den  phan- 
tastischen Hypothesen  aufgeräumt,  die  noch  bis  in  die  letzte  Zeit  über  die  Herkunft  der 
im  II. /12.  Jahrhundert  auftauchenden  seltsamen  Namen  der  arabischen  Ziffern  vorge- 
bracht wurden.  Anlaß  zur  Wiederaufnahme  der  Streitfrage  war  die  Überzeugung,  daß 
alle  Erklärungsversuche  als  methodisch  verfehlt  zu  betrachten  sind,  die  außerhalb 
der  geschichtlich  allein  möglichen  Verbindung  des  Arabischen  und  Lateinischen  die 
Lösung  suchen.  Nach  Radulf  von  Laon  sind  die  »chaldäischen«  Namen  der  Ziffern 
von  I — 9  die  Worte  igiti,  andras,  07'fnis,  arbas.  quiiiias,  calcis,  zenis,  tevienias^  celentis. 
Die  Unvereinbarkeit  der  meisten  dieser  Worte  mit  den  entsprechenden  arabischen  Zahl- 
wörtern hat  zu  den  kühnsten  Spekulationen  Anlaß  gegeben,  zumal  auch  der  Ausdruck 
»chaldäisch«  völlig  mißverstanden  wurde.  Er  bezeichnet  nichts  anderes  als  die  zeitge- 
nössischen Araber,  und  die  Namen  für  die  Ziffern  müssen  aus  dem  Arabischen  erklärt 
werden.  \'erzichtet  man  auf  gewaltsame  Umformungen  und  stellt  die  lautlich  verwandten 
Worte  nach  den  Handschriften  zusammen,  so  ergeben  sich  innerhalb  der  zu  erwartenden 
graphischen  Varianten  Wortgruppen,  die  mit  arabischen  Zahlwörtern  identifiziert  werden 
können,  während  andere  fehlen.  Die  überlieferte  Reihe  ist  einerseits  unvollständig  und 
enthält  andrerseits  Doppelungen,  die  an  falscher  Stelle  stehen:  dies  ist  das  nüchterne 
Ergebnis  einer  nüchternen  Untersuchung. 

Es  sei  noch  bemerkt,  daß  für  die  Nichtarabisten  unter  den  Mathematikern  alle 
Stellen  übersetzt,  alle  Termini  in  Umschrift  wiedergegeben  sind.  Auch  werden  die 
Register  das  Zurechtfinden  in  den  zahllosen  Einzelheiten  der  Abhandlung  erleichtern. 
Meine  Anzeige  kann  nur  ein  Hinweis  sein,  und  ich  hoffe,  daß  die  Ergebnisse  bei  den 
für  die  Geschichte  ihrer  Wissenschaft  interessierten  Mathematikern  nicht  unbeachtet 
bleiben. 

Heidelberg.  Julius  Rus k a. 


Muhammedanisciu  Glaubenslehre.  Die  Katechismen  des  Fudäli  und  des  Sanusi  übersetzt 
und  erläutert  von  M.  Horten.  {^Kleine  Texte  für  Vorlesungen  und  Übungen  139). 
Bonn,  Marcus  und  Weber,    1916.     57  S.     M.   1.40. 

Horten,  dem  wir  für  das  Verständnis  der  philosophischen  Ideen  im  islamischen 
Kulturkreis  so  viel  verdanken,  hat  sich  nun  auch  die  Aufgabe  gestellt,  die  Kenntnis 
der  religiösen  Durchschnittsanschauungen  im  heutigen  Islam  weiteren  Kreisen  zu  ver- 
mitteln. Der  Glaube  des  Islam  findet  seinen  prägnanten  Ausdruck  in  den  kurzen  '■aktdd'%, 
Glaubensregeln  angesehener  Theologen  und  Mystiker,  die  viel  gelesen  und  zur  \'er- 
mittlung  eines  tiefer  dringenden  Verständnisses  der  Probleme  der  Lehre,  mit  Kommen- 
taren und  Superkommentaren  versehen  werden.  Diese  'a^'/i/a-Literatur  hat  daher  als 
Quelle  für  die  Kenntnis  der  islamischen  Glaubenslehre  mit  Recht  auch  im  Abendland 
Beachtung  gefunden;  man  vergleiche  nur  Carra  de  Vaux'  Artikel  '■Alßda  in  EJ.  und 
die  dort  verzeichnete  Literatur.     Nachzutragen  dazu  ist  von  neueren  Übersetzungen  etw-n 


1  [g  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

noch  die  von  Glaubensbekenntnissen  von  Asch'arl,  Ghazäli,  NasafI,  Fudäli 
im  Appendix  von  Macdonald,  Development  of  Muslim  Theology  (London  1903),  HeLL's 
Wiedergabe  der  "-akida  des  Tahäwi  I^Die  Religion  des  Islam,  I,  Jena  191 5,  S.  39 ff.) 
und  H.  Bauer,  Die  Dogmatik  al-GhazälJ's  (Halle    1912). 

Horten  legt  hier  nun  in  Übersetzung  die,  wie  wir  eben  sahen,  auch  schon  von 
Macdonald  wiedergegebene  "-aklda  des  Fudäli,  also  seinem  Zweck  entsprechend  ein 
junges  Dokument  dieser  Literaturgattung,  vor,  dem  er  zum  Vergleich  die  kurze  sughra 
des  Sanüsi  folgen  läßt.  Das  etwas  ausführlichere  Bekenntnis  des  Fudäli  gibt  in  der 
Tat  einen  guten  Einblick  in  die  Dogmatik  des  Islam.  Selbstverständlich  gibt  sie  nur 
ein  Bild  dessen,  was  jeder  gute  Muslim  wissen  soll  —  er  weiß  es  durchaus  nicht 
immer  — ,  nicht  eine  ausführliche  theologische  Erörterung  der  Probleme ;  aber  doch 
lassen  sich  diese  Probleme  hier  und  dort  in  der  knappen  Formulierung  der  Ergebnisse 
noch  erkennen.  Und  es  ist  ein  Vorzug  von  Horten's  Übersetzung,  daß  er,  der  ja  in 
der  Kenntnis  der  zugrundeliegenden  philosophischen  Fragen  gewiß  all  seinen  Vorgängern 
auf  diesem  Gebiet  voraus  ist,  sie  durch  kurze  Bemerkungen  auch  dem  Verständnis 
seiner  Leser  näher  bringt.  Die  philosophische  Schulung  Horten's  kommt  seiner  Über- 
setzung auch  im  Vergleich  mit  der  Macdonald's  natürlich  zugute.  Es  ist  stets  erfreu- 
lich, wenn  ein  geeigneter  authentischer  Text  zum  Verständnis  der  Religion  des  Islam 
weiteren  Kreisen  in  so  bequemer  Form  erschlossen  wird.  Wir  freuen  uns  doppelt,  wenn 
es  durch  einen  so  sachverständigen  Führer  geschieht. 

Was  die  Ausführung  der  Arbeit  betrifft,  so  wird  man  Horten  gewiß  zustimmen, 
wenn  er  sich  nicht  sklavisch  an  den  Wortlaut  des  Textes  hält.  Freilich  ist  auch  selbstver- 
ständlich, daß  man  gelegentlich  über  die  Zweckmäßigkeit  der  Art  der  freieren  Gestal- 
tung verschiedener  Meinung  sein  wird,  daß  man  z.  B.  zweifelt,  ob  bei  der  Auflösung 
einer  größeren  Konstruktion  in  einzelne  Sätze  der  innere  Zusammenhang  des  Originals 
noch  voll  gewahrt  wird.  In  solchen  Fällen  hat  oft  das  Geschmacksurteil  mitzusprechen 
und  soll  mit  einem  Übersetzer  nicht  gerechtet  werden.  Dagegen  mögen  hier  noch 
einige  Einzelheiten  der  Übersetzung  richtig  gestellt  werden,  die  mir  bei  der  flüchtigen 
Vergleichung  mit  dem  arabischen  Original  des  Fudäli  und  genauerer  Kontrolle  be- 
stimmter Abschnitte  aufgefallen  sind.  Ich  habe  den  Druck  des  Textes  nebst  Bä- 
dschürl's  Kommentar  von  1291  benutzt,  der  gelegentlich  richtiger  zu  sein  scheint  als 
der  von  Horten  gebrauchte  von  1303.  So  hat  ed.  1291  an  der  Stelle  Horten,  S.  24, 
Z.  14  richtig  (^JLjw.  was  Horten  erst  aus  (»»Jot»  emendieren  muß.  Horten,  S.  19, 
Z.  II  »Heuchler«  läßt  darauf  schließen,  das  er  ,  isLÄ.»  las,  während  ed.  1291 
richtig    /  i^Lä     hat  (zu  diesem  Begriff  vgl.  Jlynboll,  Handbuch,  S.  316). 

Zu  Horten,  S.  6,  Z.  35  fr. ;  »Man  kann  also  von  der  Gültigkeit  einer  rituellen 
Waschung  oder  eines  Ritualgebetes  erst  reden,  wenn  deren  Subjekt  die  koranischen 
Dogmen  kennt  oder  als  sicher  behauptet  auf  Grund  der  entgegenstehenden  Lehren«: 
Der  Sinn  der  letzten  Worte  ^^  ^  ^^^Ls^i!  -JLc  wird  auch  durch  Horten's 
beigefügte  Erklärung  »d.  h.  deren  Widerlegung  und  der  positiven  theologischen  Beweise«, 
die  doch  an  sich  schon  eine  recht  gekünstelte  Umdeutung  ist,  nicht  getroffen.  Sie  be- 
deuten vielmehr:  »je  nach  der  [erwähnten]  Verschiedenheit  der  Auffassung«  d.h.  je 
nachdem  man  ein  Verständnis  der  Dogmen  für  Pflicht  hält  oder  sich'mit  bloßer  äuße- 
rer Annahme  begnügt.  —  Nebenbei  bemerkt  kann  ich  die  Einführung  des  Begriffes 
»koranischcr  Dogmen«  nicht  sehr  glücklich  finden,  da  ich  mir  nichts  oder  doch  nur 
Falsches  darunter  vorstellen  kann.  Und  sollte  ein  Leser  von  Horten's  Übersetzung  nicht 
gar  annehmen,  der  Begriff  stamme  aus  dem  Original.^ 

Zu  Horten,  S,  8  Z.  42  :  v^Äj,>iJi  Ä.J^.>J!  —laJ  heißt  doch  nicht:  »Ausdrücke: 
Majestät,  der  Edle«  sondern  »der  heilige  Gottesname«  !    Wenn  Horten  dieser  Ausdruck 


Kleine  Mitteilung'en  und  Anzeig-en.  I  [q 

seltsamerweise  wirklich  völlig  fremd  gewesen  sein  sollte  '),  so  hätte  er  die  unzweideutige 
Erklärung  —  ebenso  übrigens  wie  im  vorgenannten  Fall  —  im  Kommentar  Bä- 
dschürl's  finden  können,  den  er  doch  benutzt  hat!    Auch  Macdonald  hat  das  Richtige. 

Horten,  S.  lo,  Z.  13:  Merkwürdigerweise  übersetzt  Horten  Jil  stets  mit 
»ewig  dauernd«,  also  genau  so,  wie  er  s-läi  mit  »ewige  Dauer«  wiedergibt,  während 
es  doch  heißt  »v  o  n  Ewigkeit  bestehend«.  So  kommt  er  zu  der  wunderbaren  Defini- 
tion, daß  das  Ewigdauernde  dasjenige  sei,  »das  keinen  ersten  Augenblick  seiner  Exis- 
tenz aufweist«  (S.  lo,  Z.  20 f.).  Ich  freue  mich  übrigens  feststellen  zu  können,  daß 
Horten  diese  schiefe  Ausdrucksweise  jetzt  nicht  mehr  vorkäme.  So  erklärt  sich  denn 
das  Entsetzen,  mit  dem  er  meine  Übersetzung  des  Wortes  mit  »unendlich«  unter  der 
—  freilich  falschen  —  Voraussetzung,  daß  ich  damit  den  Begriff  des  Bestehens  in 
Ewigkeit  im  Unterschied  vom  Bestehen  seit  Ewigkeit  verbinde,  also  eben  den,  den  er 
hier  unzweideutig  versehentlich  dem  Wort  beilegt,  in  Islam  VIII,  333,9  ff-  (vgl.  dazu 
341,14  ft".)  kritisiert,  zugleich  als  eine  stillschweigende  Kritik  seiner  selbst. 

Zu  Horten,  S.  40  Z.  27:  Zu  der  Übersetzung:  »Nach  Malik  hat  der  Prophet 
keinen  einem  andern  vorgezogen«  könnte  Horten  wohl  ein  Druckfehler  veranlaßt  haben, 
ijsj?-!  ^xXäo  nJÜI  dj^j  xx^i  ^  J^Al3s!"b5  heißt  vielmehr:  »er  hat  dem  Fleisch  und 
Blut  des  Gesandten  niemand  vorgezogen«.  Der  Kommentar  hätte  übrigens  auch  hier 
das  Richtige  zeigen  können. 

An  diesen  kleinen  Bemerkungen  mag  es  genug  sein.  Sie  sollen  ein  Zeichen  sein 
für  das  Interesse,  das  auch  diese  kleine  Arbeit  Horten's  verdient.  Möge  sie  dazu  mit- 
helfen, in  weitere  Kreise  wirkliche  Kenntnis  des  Islam  zu  tragen. 

R.  Hartmann. 


Arabische  Traditionssammlungen.     2.  Mitteilung. 

1.  Im  Anschluß  an  die  erste  Mitteilung  (s.  Der  Islmn  VII,  S.  357f.)  haben  sich 
folgende  Mitarbeiter  .aufgegeben:  Frl.  Dr.  V.  de  Bosis  (Rom),  Prof.  J.  HoRoyiTZ 
(Frankfurt  a.  Main),  Prof.  I.  Kratschkowsky  (Petrograd),  Dr.  J.  Pedersen  (Kopen- 
hagen), Dr.  A.  E.  Schmidt  (Petrograd). 

2.  Beiträge  zu  den  Vorbereitungskosten  haben  eingesandt  oder  versprochen :  die 
Utrechter  Gesellschaft  für  Künste  und  Wissenschaften,  das  kgl.  Institut  für  die  Sprach-, 
Landes-  und  Völkerkunde  von  Niederländisch-Indien,  Teyler's  Stiftung,  die  de  Goeje- 
Stiftung. 

3.  Auf  Prof.  Snouck  Hurgronje's  Rat  hin  haben  die  Mitarbeiter  zunächst  den 
Text  des  Buhäri  in  Kastallänl's  Bearbeitung  in  Angriff  genommen,  so  daß  dieser 
Text  in  einigen  Jahren  bearbeitet  sein  könnte. 

4.  Wahrscheinlich  noch  im  Laufe  dieses  Jahres  werden  die  Herren  C.  van  Aren- 
DONK  und  J.  L.  Palache  in  Leiden  zu  dem  Kreise  der  Mitarbeiter  hinzutreten.  Ange- 
sichts des  ümfangs  der  Unternehmung  bleiben  jedoch  neue  Kräfte  erwünscht. 

Leiden,  Juli   1918.  A.  J.  Wensinck. 


I)  Der  Ausdruck  ist  auch  den    heutigen  Türken    noch    geläufig,    vgl.    Zija    Gök 
Alp,   Kyzyl  Elma,   101,7. 


{ 'jQ  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

Zwei  arabische  Parallelen  zu  einer  Angabe  in  Livius  Buch  21  Kap.  37. 

Wir  lesen  an  dieser  Stelle  [Hannibals  Alpenübergang  218] :  .  .  .  Soldaten  wurden 
herangeführt,  um  die  Straße  gangbar  zu  machen.  Da  der  Fels  gesprengt  werden  mußte, 
wurden  ringsherum  sehr  große  Bäume  gefällt  und  ein  ungeheurer  Brandstoß  aufgeführt. 
Diesen  zündeten  sie  an,  wobei  auch  die  Windrichtung  sehr  günstig  war,  und  brachten 
die  glühenden  Felsen  durch  darüber  gegossenen  Essig  zur  Auflösung  usw.  In  Nr.  255 
der  Bibliographie  des  ouvrages  arabes  VI  »Les  looi  nuits«.  bringt  Chauvin  die  Geschichte 
von  el-Ma'mün,  der  den  (mißglückten)  Versuch  macht,  die  Pyramiden  zu  zerstören,  um 
die  darin  supponierten  Schätze  in  die  Hand  zu  bekommen.  Dazu  bemerkt  der  Verfasser 
in  einer  Anmerkung  (pag.  91):  »Le  procede  pour  briser  les  pierres  des  pyramides  a 
consiste  ä  les  asperger  de  vinaigre  quand  on  les  a  chauftees  comme  l'a  fait  Hannibal« 
[Verweis  auf  die  zitierte  Liviusstelle  und  Rev.  d.  irad.  pop.  6/492].  Eine  weitere  Stelle 
findet  sich  in  el-Belidori  (Text  106/10,  meine  Übersetzung  pag.  107/2)  in  dem 
Kapitel  von  dem  Abfall  von  el-Aswad  el-'Ansi  und  seines  Anhangs  im  Jemen,  wo  es 
heißt:  »Nach  einer  andern  Version  machten  sie  eine  Bresche  in  seine  Hausmauer  mit 
Zuhilfenahme  von  Essig  und  drangen  so  bei  Morgengrauen  bei  ihm  ein,  während  er 
betrunken  auf  seinem  Lager  schlief  usw.«  [Ebenfalls  mit  Verweis  auf  die  angeführte 
Liviusstelle].  O-  Rescher. 


Abb.   I. 


Abb.   2. 


Der  Islam.     Band  IX,  Tafel  i. 

Zu   „Ritter,  Mesopotamische  Studien". 


Verlag-  von  Karl  J.  Tnibner  in  Straßl)ur^. 


Abb.   3. 


Abb.  4. 


Der  Islam.     Band  IX,  Tafel  2. 

Zu  „RitteV,  Mesopotamische  Studien". 


Verlag-  von   Karl   J.  Trübner  in   Straßburg. 


Abb.   5. 


Abb.  6. 


Abb.  7. 


Der  Islam.     Band  IX,  Tafel  3. 

Zu  „Ritter,  Mesopotamische  Studien". 


Verlag  von  Karl   T.  Trübner  in  Straßburg-. 


Abb.  8. 


Abb.  9. 


Abb.   II. 


Der  Islam.     Band  IX,  Tafel  4. 

Zu  „Ritter,  Mesopotamische  Studien" 


Verlag  von  Karl  J.  Trübner  in  Straßburg-. 


Abb.    lo. 


Abb.    12. 


Der  Islam.     Band  IX,  Tafel  5. 

Zu  „Ritter,  Mesopotainische  Studien". 


Verlag  von  Karl  J.  Trübner  in  Straßburg-. 


Abb.   13. 


"7^:: 


'^■-;^^^ 


Abb.    14. 


Der  Islam.     Band  IX,  Tafel  6. 

Zu  ,Ritter,  Mesopotamische  Studien" 


Verlag-  von  Karl  J.  Trübner  in  Straßburg. 


Abb.    IS. 


Abb.   i6. 


Der  Islam.     Band  IX,  Tafel  7. 

Zu     Ritter,  Mesopotamische  Studien" 


Verlag  von  Karl  J.  Trübner  in  Straßburg. 


Abb.   17. 


Abb.    18. 


Der  Islam.     Band  IX,  Tafel  8. 

Zu     Ritter,  Mesopotamische  Studien" 


Verlag  von  Karl  J.  Trübner  in  Straßburg. 


Abb.    19. 


Abb.    20. 


Der  Islam.     Band  IX,  Tafel  g. 

Zu  „Ritter,  Mesopotamisclie  Studien". 


Verlagr  von  Karl  J.  Triibncr  in  Straßbiirg. 


Abb.   2  1. 


Abb.   22, 


Der  Islam.     Band  IX,  Tafel  lo. 

Zu  ^Ritter,  Mesopotamische  Studien". 


Verlag-  von  Karl  J.  Trübner  in  Straßburg-. 


Abb.    2^. 


Abb.   24, 


Der  Islam.     Band  IX,  Tafel  11. 

Zu  „Ritter,  IVIesopotamische  Studien", 


Verlag-  von  Karl  J.  Trübner  in  Straßburar. 


Abb.   25. 


Abb.   26. 


Der  Islam.     Band  IX,  Tafel  12. 

Zu  jRitter,  Mesopotamische  Studien". 


Verlag  von  Karl  J.  Trübner  in  Strafiburg. 


Abb.   27. 


Abb.   28. 


Der  Islam.     Band  IX,  Tafel   13. 

Zu  ,,Ritter,  Mesopotamische  Studien" 


Verlag-  von  Karl  J.  Triibncr  in  Straßburg. 


Abb.   29. 


Abb.   30. 


Der  Islam.     Band  IX,  Tafel   14. 

Zu  „R^i  1 1  e  r ,  Mesopotamische  Studien". 


Verlag-  von  Karl  J.  Trübner  in  Suaßburg, 


se*5. 


Abb.  31. 


Abb.  32. 


Abb.   33. 


Der  Islam.     Band   IX,  Tafel   15. 

Zu    „Ritter,  Mesopotamische  Studien", 


Verlag-  von  Karl  J.  Trübner  in  Straßburg-. 


Abb.  34. 


^Jkl^ 


Abb.  35- 


Abb.  36. 


Der  Islam.     Band  IX,  Tafel  16. 

Zu  ,Ritter,  Mesopotamische  Studien" 


Verlag-  von  Karl  J.  Trübner  in  StraßHurg-. 


Abb.  37. 


fi:";i^&3»: 


Abb.   3«- 


Der  Islam.     Band  IX,  Tafel   17. 

Zu  ,Ritter,  Mesopotamischc  Sludien". 


Verlag-  von    Karl  J.   riubiier  in  Straßburg. 


Abb.   39- 


Abb.  40. 


Der  Islam.     Hand   IX,    Tafel   18. 

Zu   .Ritter,  Mesojiotauiische  Stuilien" 


Verlag-  von   Karl  j.   Irübner  in  Straßburg. 


.  r  "• 


Abb.   41. 


•.?    I 


•  • 


Abb.  42. 


Der  Islam.     Band  IX,  Tafel   19. 

Zu  „Ritter,  Mesopotamische  Studien". 


Verlag  von   Karl    |.  Trübiier  in  Strafiburg. 


Abb.   43. 


Der  Islam.     Band  IX,  Tafel  20. 

Zu  „Ritter,  Mesopotamische  Studien-. 


Verlag  von  Karl    ).  Trübner  in  Straßbure. 


Mesopotamische  Studien. 

Von 

H.  Ritter. 
Arabische  Flußfahrzeuge  auf  Euphrat  und  Tigris. 

(Mit  20  Tafeln  und  5  Zeichnungen.) 

Käzim  Dugeili  hat  in  verschiedenen  verdienstlichen  Auf- 
sätzen in  der  Luyat  el  'Arab  (I  472:  Das  Kelek,  II  93:  Die  Schiffe 
im  Irak  [Es-sufun  fil-Hräq),  II  152:  Schiffs  ähnliche  Fahrzeuge  {asbäh 
es-sufun),  II  198:  Benennungen  dessen,  was  im  Schiffe  ist  {asmä*  mä 
fis-seflna),  II  393:  Schiffsgeräte  [adawät  es-sefina),  III  82:  Die  Be- 
satzung des  irakischen  Schiff  es  ^  {rigäl  es-sefina  el-Hräqija);  III  126: 
Namen  der  Winde  bei  den  Schiffern  im  Irak  (asmä'  el-arfäh  Hnd  ahl 
es-sufun  el-Hräqifa),  III  243:  Tätigkeiten  der  Schiffsbesatzung  {af^dl 
lata  '■allaq  bi  ahl  es-sufun))  die  Flußfahrzeuge  im  Irak  aufgezählt  und 
beschrieben.  Der  Gegenstand  ist  in  der  Tat  einer  eingehenden  Behand- 
lung wert;  finden  sich  doch  in  jenen  Breiten  noch  heute  Fahrzeuge 
in  Gebrauch,  die  uns  durch  babylonisch-assyrische  Reliefs  und  griechi- 
sche Schriftsteller  als  zu  den  ältesten  Wasserfahrzeugen  der  Menschheit 
gehörig  dokumentiert  werden.  Gewiß  haben  dieselben  Fahrzeuge  noch 
im  arabischen  Mittelalter,  als  der  Irak  das  Zentrum  von  Handel  und 
Verkehr  bildete,  eine  überragende  Rolle  gespielt.  Würde  jedoch  die 
geschichtliche  Behandlung  des  arabischen  Schiffahrtswesens  den 
Gegenstand  zu  einer  besonderen  literarischen  Untersuchung  abgeben 
können,  so  ist  andrerseits  eine  auch  nur  einigermaßen  vollständige 
Behandlung  der  gegenwärtigen  Verhältnisse  nur  möglich  auf  Grund 
umfassender  Studien  an  Ort  und  Stelle,  denen  die  augenblicklichen 
kriegerischen  Verhältnisse  nichts  weniger  als  günstig  sind. 

Die  folgenden  Zeilen  wollen  daher  nur  einige  Beobachtungen  und 
Nachprüfungen  der  Dugeilischen  Angaben  darstellen,  die  fast 
sämtlich  auf  dem  sehr  beschränkten  Beobachtungsgebiet  der  2  km 
langen  Tigrisstrecke  unmittelbar  bei  Bagdad  während  einiger  dicnst- 

I»lam   IX.  9 


122  "•  Ritter, 

freien  Stunden  gemacht  wurden.  Dugeilis  Angaben  erwiesen  sich 
dabei  als  nicht  durchgängig  frei  von  Mißverständnissen,  ebenso- 
wenig wie  es  vermuthch  die  folgenden  Notizen  sein  werden.  Denn 
die  Feststellungen  sind  ganz  außerordentlich  schwierig.  Abgesehen 
von  dem  Schiffer  »platt«,  das,  wie  ich  zu  meiner  Genugtuung  fest- 
stellen konnte,  dem  gewöhnlichen  Bagdader  Araber  oft  ebenso  schwer 
verständlich  war  wie  mir,  sind  in  jedem  Ort  andere  Ausdrücke 
gebräuchlich.  Ich  habe  oft  die  Schiffer  selbst  sich  untereinander  um 
die  Ausdrücke  streiten  hören.  Eine  reinliche  Scheidung  zwischen  den 
einzelnen  Gewährsmännern  und  Orten  zu  machen,  war  nicht  durch- 
führbar. Die  unten  gegebenen  Ausdrücke  sind  im  wesentlichen  das 
nnUtafaq  'aleih  in  Bagdad.  Auf  Handels-  und  Wirtschaftsfragen 
einzugehen,  machten  die  abnormen  Verhältnisse  des  Krieges  unmöglich. 
Nur  über  Technisches  konnte  berichtet  werden,  und  auch  das  nur  in 
amateurhafter  Weise,  da  genaue  schiffstcchnische  Angaben  mit  Messun- 
gen und  Zichnungen,  wie  sie  sich  von  Rechts  wegen  gehörten,  nur  mit 
Hilfe  eines  Fachmannes  möglich  gewesen  wären.  Die  beigegebenen 
Photographien  werden  bis  zu  einem  gewissen  Grade  diesen  Mangel 
ersetzen;  vielleicht  regen  die  vorliegenden  Aufzeichnungen  einen  Fach- 
mann an,  sich  für  den  Gegenstand  zu  interessieren.  Von  einer  etymo- 
logischen Erklärung  der  arabischen  Fachausdrücke  mußte  ich  WTgen 
Mangels  jeglicher  Hilfsmittel  absehen.  An  Entlehnungen  findet  man 
am  häufigsten  solche  aus  dem  türkischen,  persischen  und  englischen 
Sprachkreis.  Der  Freundlichkeit  des  Herrn  Seemanns  Willy  Rogge, 
zurzeit  in  Mossul,  der  selbst  in  einer  muhele  den  Tigris  befahren 
hat,  verdanke  ich  die  Mitteilung  verschiedener  Fachausdrücke  und 
die  Erklärung  einiger  Segelmanöver. 

Das  vollkommenste  der  auf  Euphrat  und  Tigris  verkehrenden  Fluß- 
fahrzeuge ist  das  hauptsächlich  in  Basra  aus  Teakholz  [säg)  gebaute 
{■wa^sar),  in  Bagdad  muhele,  südlich  Kut  auch  sefine  genannte  Schiff 
(Abb.  i).  Es  ist  etwa  i8  m  lang  und  trägt  bis  zu  60  tyär  (i  fyär 
gleich  1600  Stambulhokka  gleich  2  t).  Der  Längsschnitt  der  7nuhcle 
hat  etwa  folgende  Form: 


Die  Linie  a  würde  den  Kiel  [bis],  b  b  die  beiden  Steven  [mil)  dar- 
stellen.    Die  Verbindung  von  Kiel  und  Steven  ist  durch  Winkelhölzer 


Mesopotamische  Studien.  12  3 

verstärkt  c  [^agrah).  Wenig  bearbeitete,  meist  sehr  unregelmäßig  aus 
verschiedenen  Stücken  zusammengesetzte  Spanten  ('0//,  ^utüf)  (Ab- 
bildung 2  a)  bilden  das  Gerippe  des  Schiffes,  welches  sich  im  Quer- 
schnitt etwa  so  darstellt: 


U 


Die  Seitenspanten  werden  im  Gegensatz  zu  den  am  Boden  liegen- 
den auch  Selniän  genannt.  Als  Stützpunkt  für  die  Spanten  am  Heck 
findet  sich  öfter  hinter  dem  hinteren  Winkelholz  ein  30 — 40  cm  hoher, 
20  cm  dicker  Pollar,  dringa  genannt.  Eine  Anzahl  (6 — 10)  wie  gefaltete 
Finger  übereinandergreifender  Verstärkungsspanten  nahe  dem  Bug  wird 
viawälic  genannt.  Der  Vordersteven  ist  öfters  durch  einen  ellen- 
langen Stevenschutz  [da'-'-ära  [Längsschnitt  d])  verstärkt.  Die  Steven 
laufen  oben  in  verzierte,  meist  hakenförmige  Köpfe  aus,  deren  vorderer 
giibhet  und  deren  hinterer  ^aragcin  (Schwxißkappe)  heißt.  Beispiel  eines 
besonders  reich  verzierten  guhbet  zeigt  Abb.  3. 

Die  Spanten  werden  von  außen  mit  Planken  {löh)  benagelt  [rag- 
gam).  Die  Fugen  werden  mit  mit  Sesamöl  [Sireg)  getränkter  Baum- 
wolle, die  mit  Hammer  und  Meißel  {mingär)  hineingetrieben  wird, 
gedichtet  (kalfatert).  Diese  Arbeit  heißt  kilfät,  der  Arbeiter  kiljetci. 
Die  Innenseite  des  Schiffes  wird  mit  Tran  {syll)  bestrichen. 

Die  unterste,  wagerecht  auf  dem  Kiel  liegende  Planke  wird  tähyq 
genannt.  Sie  ist  mit  einer  Rinne  (Längsbilge)  [masha]  versehen,  in  der 
sich  das  Wasser  nach  der  tiefsten  Stelle  sammeln  kann.  Wasserdurch- 
laßkerben {^enät)  in  den  Bodenspanten  entsprechen  ihr. 

Die  oberste  der  Seitenplanken,  die  die  Reeling  bildet,  heißt  tirrlc. 
Der  Bordrand  ist  außen  durch  ein  starkes,  40  cm  breites  Brett  ver- 
stärkt {cantä)  (Abb.  4  a),  das  etwa  9  cm  über  ihrem  unteren  Rande  mit 
einer  ausgehobelten  Leiste  versehen  ist  {getan)  (Abb.  4  b),  die  als  Lade- 
marke dient.  Der  cauta  entspricht  auf  der  Innenseite  der  Rippen 
ein  zweites  Brett  {durmelj  (Abb.  2b).  Wagerecht  ist  der  Bordrand 
durch  eine  30  cm  breite  starke  Bohle  abgedeckt  {zubedra)  (Abb.  2c). 
In  ihr  befinden  sich  drei  Zapfenlöcher  [^enät),  in  die  mit  den  ent- 
sprechenden Zapfen  {icäjih)  ein  den  Bordrand  um  4c  cm  erhöhendes 
Brett  [darräb)  als  Waschbord  aufgesetzt  werden  kann,  wenn  über- 
gehende Wellen  bei  schwerer  Ladung  dies  nötig  machen.  Er  reicht 
von  dem  Achteraufbau  (s.  u.)  bis  zum  vorderen  Verdeck,  kann  aber 
durch  Ansatzstücke  {seddäwijät)  bis  nahe  an  den  Vordersteven  ver- 
längert werden.  Die  Ritze  zwischen  Bordrand  und  Waschbord  wird 
mit  Lehm  abgedichtet, 

9' 


124  H.  Ritter, 

Von  Bordrand  zu  Bordrand  laufen  vier  Versteifungsbalken,  suwär 
(Reiter)  genannt.  Der  am  Vorderteil  {sadr)  des  Schiffes  und  der  im 
Achterschiff  [hlr)  liegende  Querbalken  bilden  zugleich  die  Träger  zu 
den  beiden  Verdecks  [fenne]  (Abb.  2d,  5a).  An  dem  zweiten  »Reiter  «von 
vorn  steht  der  Mast  [digal)  angelehnt.  Er  heißt  demnach  suwär  ed-digal 
(Abb.  2e).  Der  zweite  Balken  von  hinten  ist  ganz  frei  und  wird  des- 
wegen suivär  el-hattäl  (Abb.  5  c)  genannt.  Die  Verbindung  der  Quer- 
balken mit  dem  Bordrand  wird  durch  L-förmige  Winkelhölzer  [käura] 
(Abb.  5k)  verstärkt.  Die  durch  die  »Reiter«  gebildeten  Schiffsabschnitte 
heißen  rab^a. 

Auf  dem  Vorderverdeck,  der  Back,  erhebt  sich  ^  m  hinter  dem 
Steven  ein  kastenartiger  Bretterverschlag  {snedlc  oder  scec),  der  durch 
Herausht '  1  n  eines  beweglichen,  senkrechten  Brettes  geöffnet  werden 
kann  (Abb.  6a).  Ein  ähnlicher  Kasten,  hdef  genannt,  befindet  sich  in 
dem  hinter  dem  Achteraufbau  freibleibenden  Dreieck  [ryg''a)  am  Heck 
(Abb.  4c).  Er  hat  öfters  einen  doppelten  Boden.  Die  untere  Lade 
wird  dann  kämera  genannt. 

Der  Raum  unter  dem  Verdeck  führt  die  allgemeine  Bezeichnung 
kibirit.  Der  enge  Raum  zwischen  Verdeck  und  den  Spanten  nahe  am 
Steven  heißt  cäftö.  Bei  beladenem  Schiff  schließt  die  Ladung  den  Raum 
unter  dem  Deck  ab,  so  daß  man  nur  durch  ein  Loch  im  Verdeck,  einen 
Niedergang,  in  den  so  gebildeten  abgeschlossenen  Raum  {hendär) 
hinabsteigen  kann. 

Der  Achteraufbau  {^ar^e)  (Abb.  4d,  5)  bildet  einen  mannshohen, 
zimmerartigen  Raum.  Sein  Dach  wird  getragen  von  etwa  14  Pfeilern 
{gäim)  (Abb.  5).  Die  nach  dem  Schiff  zu  führende  Wand  mit  der  Tür 
tritt  etwas  zurück,  so  daß  eine  kleine,  überdachte  Veranda  [gai^  a) 
(Abb.  5d)  entsteht.  Die  Ständer  dieser  Veranda  heißen  sam*-  a  (Abb.  5  c), 
der  darauf  ruhende  Dachbalken /wr  (Abb.  5f).  Man  sieht  bald  schön 
bemalte  Holzhäuschen,  manchmal  einfache  Hütten  aus  Rohr  und 
Binsengeflecht.  Zum  Besteigen  der  '■arse  dient  eine  Art  Bank  auf 
beiden  Bordrändern  von  %  m  Länge  [sibe)  (Abb.  5g),  deren  freies 
Ende  auf  einem  Anbindepflock  {rummäni)  (Abb.  5  h)  ruht,  sowie  ein 
in  halber  Höhe  angebrachter  Tritt  (Abb.    5i),  käura  genannt. 

Zum  Festlegen  der  Wanten,  Schoten,  Ankertaue  und  Trossen 
dienen  außer  den  beiden  genannten  Pflöcken  noch  zwei  Pflöcke  in  der 
Nähe  des  Vorderstevens  (Abb.  6b),  ebenfalls  rummäni  oder  eteme 
genannt,  sowie  der  celib  (Hund),  ein  quer  über  der  Schiffsspitze  liegendes 
3/4  m  langes  Holz  (Abb.  6c).  Für  die  Schoten  dienen  außerdem  Ringe 
am  Ende  des  vordersten  Querbalkens  {ras  el-fenne)  und  an  den  Enden 
des  »Mastreiters«.     Letztere   Stelle  heißt  besär. 


Mesopotamische  Studien. 


125 


Auf  dem  Dache  des  Aufbaues  ist  der  Platz  des  Schiffsführers 
{n5{ä)hd-e),  von  dem  er  das  Ruder  [sukkän]  regiert  und  seine  Kommandos 
gibt  (Abb.  i).  Um  ihm  beim  Stemmen  gegen  die  Ruderpinne  [käne] 
Halt  zu  geben,  sind  als  Ruderbank  auf  dem  Boden  einige  Hölzer  parallel 
zum  Schiff  aufgenagelt.     Sie  heilBen  mastari,  masäfir. 

Das  Ruder  selbst  (Abb.  i  u.  4)  besteht  aus  einem  aufrechten  Ruder- 
schaft [gäim)  (Abb.  4c),  an  dessen  oberem  Ende  auf  einer  der  beiden 
Seiten  ein  ausgekerbter  Backen  angebracht  ist,  der  mit  dem  Schaft 
zusammen  ein  Loch  zum  Durchstecken  der  Pinne  bildet  [kalha)  (Abb.  i). 
Da  bei  der  ungenauen  Arbeit  die  Pinne  {käne)  meistens  nicht  in  das 
Loch  hineinpaßt,  wird  sie  mit  einem  Strick  hochgehalten  (Abb.  l), 
der  mit  einem  Querholz  {lawwäja)  durch  Drehen  gespannt  werden  kann. 
Der  Ruderschaft  ruht  mit  zwei  Haken  {dakar)  in  zwei  Ösen  {nitje) 
am  Hintersteven  des  Schiffes  (Abb.  4^)-  Damit  er  aus  diesen  beim 
Aufstoßen  auf  Grund  nicht  herausgesetzt  wird,  wird  sein  Kopf  durch 
einen  Strick  {tesläma),  dessen  anderes  Ende  am  Kopfe  des  Schiffs- 
stevens befestigt  ist,  festgehalten  (Abb.    4g). 

An  seinen  »Reiter«  angelehnt  steht  der  Mast  [Sajjäl,  digal)  (Abb.  2g). 
Sein  Fuß  ruht  in  einem  schweren  Holzschuh  [jüis)  (a).     Dieser  selbst 


C 


c 

6 

b 

c 

c     1 

c 
c 

0 

a 

0 

ci:> 
[z:> 


wird  durch  zwei  Längshölzer  (b),  diese  wieder  durch  Querriegel  (c)  [mäcri^ 
mawäcir)  am  seitlichen  Rutschen  verhindert.  Zwei  ähnliche  Hölzer 
sind  auf  dem  Versteifungsbalken  rechts  und  links  vom  Mast  angebracht, 
um  dessen  seitliches  Rutschen  zu  verhindern.  Auf  der  dem  Mast  ent- 
gegengesetzten Seite  des  Querbalkens  steht  in  demselben  Schuh  wie 
der  Mast  ein  11/2  m  hoher  Stützpfahl  {'abid)  (Abb.  7),  mit  dem  der 
Mast  durch  eine  Verschnürung  {/lizäm)  (Abb.  7a)  verbunden  ist. 
Zwischen  ihm  und  dem  Mast  ist  mit  langen  Eisenbolzen  [käwija)  ein 
I  m  langes  Verstärkungsholz  [zuyha]  (Abb.  .7b)  auf  dem  »Reiter« 
festgemacht.  Mast,  Reiter  und  'ahid  werden  außerdem  noch  mit  einer 
kreuzweisen  Verschnürung  [fringijät)  (Abb.  7c)  miteinander  verbunden. 


J26  H.  Ritter, 

Rechts  und  links  vom  Mast,  in  i  m  Abstand  voneinander,  laufen 
vom  zweiten  zum  dritten  Querbalken  2  parallele  Hölzer  [mesSäjät] 
(Abb.  2h).  Der  von  ihnen  eingeschlossene  Raum  wird  beim  Laden 
freigelassen.  Besteht  die  Ladung  aus  rutschenden  Dingen,  wie  Getreide, 
so  wird  er  mit  einem  Gitter  von  Holzständern  [scäjih)  und  Binsen- 
gefiecht  {herdi)  dicht  gemacht,  so  daß  ein  Schacht  in  der  Ladung  zu- 
stande kommt  (Abb.  8).  Aus  diesem,  gamma  genannten  Schacht  wird 
mit  einem  an  einem  Strick  befestigten  kleinen  Eimer  [feimel]  das  sich 
im  Schiff  ansammelnde  Wasser  von  Zeit  zu  Zeit  ausgeschöpft.  In  Er- 
mangelung eines  Eimers  erfüllt  ein  Lappen  (Feul),  kebüra  genannt, 
denselben  Zweck.  Der  Raum  zwischen /«wwa  und  Bordrand  auf  beiden 
Seiten  heißt  had'-a. 

Das  obere  Ende  des  Mastes  zeigt  Abb.  9.  Etwa  3/4  m  von  oben 
her  ist  er  an  beiden  Seiten  abgeplattet.  Dieser  Teil  heißt  jese.  Da, 
wo  die  Abplattung  beginnt,  sitzt  der  oft  aus  einer  Kette  bestehende 
Stropp  [tög)  (Abb.  9  b)  für  die  Wanten  (c)  {'^umrämje,  'umräfii,  ^am,än). 
Eine  der  Wanten  ist  am  Vordersteven  als  Stag  {bewär)  befestigt.  Die 
andern  werden  auf  der  Luvseite  in  die  Ringe  am  Bordrand  gesetzt.  Sie 
sind  durch  einen  einfachen  Block  [bakra)  zu  spannen  und  werden  nicht 
unmittelbar  in  die  Ringe,  sondern  vermittelst  eines  Querholzes  {darräk) 
an  Seilringen  (Grummets)  [darka)  festgelegt,  die  ihrerseits  an  den 
Ringen  befestigt  sind  (Abb.  2i).  Die  Länge  dieser  Seilringe  wechselt 
mit  der  Höhe  der  Ladung.  Unterhalb  der  Abplattung  sind  in  den 
durch  zwei  Backen  iluyd)  (Abb.  9d)  verstärkten  Mast  zwei  große  Rollen 
[gidüb)  eingelassen.  Deren  Achse  heißt  sinjir.  Auf  diesen  Rollen  laufen 
die  beiden  Falle  (e)  [henze).  Um  zu  verhindern,  daß  die  Falle  in  den 
Mast  eine  Rinne  {hazz)  scheuern,  sind  zwei  kleine  Brettchen  unterhalb 
der  Rollen  auf  ihn  aufgenagelt  [lö'-be)  ^).  Ganz  oben  am  Top  befinden 
sich  zwei  kleine  Rollen  für  die  Treidelleinen  (f)  {g[q)unnab),  bkär  awäHl  (g) 
genannt.  Auf  dem  Top  oben  steht  die  Windllagge  (h),  (Flögel) 
{bendera,  bei  kleineren  Schiffen  tat).  Muß  der  Mast  aus  irgendwelchen 
Gründen  umgelegt  werden,  so  kommt  der  Fuß  auf  den  Achteraufbau, 
der  Top  {ca'b)  auf  den  Mastschuh  zu  liegen.  Am  Nachvornrutschen 
verhindert  ihn  ein  bis  zum  »Reiter«  reichendes  senkrechtes  Brett 
(*arrän),  welches  vor  den  Top  gestellt  wird. 

Die  Takelung  ist  durchweg  die  als  Lateinertakelung  bekannte. 
Die  lange  Rahe  {farmal)  (Abb.  loa)  ist  oft  aus  zwei  Stücken  zusammen- 
gesetzt, die  etwa  i  m  übereinandergreifen  und  mit  zwei  Schnürseilen 
aneinandergehalten  werden  [wasl).  Dieses  Schnürseil  (Abb.  lob) 
\\t.\Qt  seiy.sejäji.  Die  Verbindung  ist  durchwein  Verstärkungsholz  {znyha) 

')  Diese  Erklärung  zweifelhaft. 


Mesopotamische  Studien. 


127 


(Abb.  lOc)  verstärkt.  In  die  Schnürung  eingeklemmte  Klemmhölzer 
heii3en  g:[q)ine,  i[q)ijan  (Abb.  66).  Die  Rahe  kann  durch  eine  Stenge 
{nahbäs)  verlängert  werden  (Abb.   6e). 

Die  Befestigung  der  Rahe  am  Mäste  zeigt  Abbildung  10.  Um  den 
Mast  herum,  liegt  ein  Kranz  von  zweimal  durchbohrten  Hölzern 
(Abb.  lOd,  vergl.  21)  {hirze,  kiraz),  12  Stück  bei  mittelgroßen  Schiffen,  die 
an  einer  Schnur  {maltäni)  aufgereiht  sind.  Das  eine  Ende  dieser  Schnur 
ist  an  der  Rahe,  das  andere  Ende  an  einem  Rack  (Abb.  lOe),  d.  h.  einer 
ovalen  Holzscheibe  [ragga),  festgebunden,  die  zugleich  die  Rahe  vom 
Mast  abhält.  Die  Schnur  geht  durch  das  obere  Loch  des  Racks,  die 
obere  Löcherreihe  der  ^zVa0,  um  die  Rahe  herum,  in  die  andere  Löcher- 
reihe und  durch  das  untere  Loch  des  Racks  zurück,  wo  sie  mit  ihrem 
Anfang  zusammengebunden  wird.  Die  ganze  Einrichtung  heißt  gläda. 
Um  das  Gleiten  am  Mäste  zu  erleichtern,  sind  zwischen  den  hiraz 
I — 4  Rollen  eingefügt  [dahrüg-a)   (Abb.    10  f,  vergl.  21). 

Die  Rahe  ist  an  zwei  Fallen  {henze)  aufgehängt  (Abb.  lOg),  die 
durch  die  beiden  Rollen  am  Top  und  außerdem  durch  zwei  große 
Blöcke  laufen.  Der  obere  der  beiden  Blöcke  ist  beweglich,  der  untere 
ist  mit  einem  Stropp  vermittelst  eines  Grummets  (darka)  an  der  Mitte 
des  hinteren  Versteifungsbalkens  befestigt.  Bisweilen  ist  dort  ein 
besonderes,  durchbohrtes  Holz  für  die  darka  angebracht.  Dies  heißt 
dann  bedär.  Der  Stropp,  der  um  die  Blöcke  läuft,  heißt  gyrdal.  Die 
beiden  Fallenden,  an  denen  die  Mannschaft  beim  Segelhissen  zieht, 
heißen  migdab,  mag-ääib.  Sie  werden  an  dem  Querholz,  das  Seilring 
und  Stropp  des  Blockes  verbindet,  festgelegt  (Abb.  11).  Zum  Herunter- 
holen des  unteren  Segelrandes  bei  gesetztem  Segel  dient  eine  ierid 
genannte  Talje. 

Das  trapezförmige  Segel  ist  in  drei  Größen  gebräuchlich.  Das 
größte  heißt  '■öd,  das  mittlere  wasßni  und  das  kleinste  terket.  Ganz 
große  Schiffe  sollen  noch  ein  Ballonsegel  führen,  das  bei  Wettfahrten 
oder  auf  der  Flucht  gesetzt  wird.  Nur  erfahrene  Schiffer  sind  in  seinem 
Gebrauch  geübt. 

Die  Ecken  des  Segels  haben  fol- 
gende Namen:  a:  dämen.  Ebenso  heißt 
die  daran  befestigte  Schot,  die  an  einem 
der  Ständerköpfe  des  Achteraufbaus 
festgesetzt  wird  und  nötigenfalls  mit 
einer  Talje  {g-arräj)  gespannt  werden 
kann,  b,  der  Hals,  heißt  güs.  Er  wird 
je  nach  der  Windrichtung  auf  der  aus 
celib,  eteme,  hesär  und  ras  el-fenne  (s.o.) 


J28  H-  Ritter, 

bestehenden  Nagelbank  festgesetzt.  An  der  oberen  Nock  der  Rahe  d 
[tarjije)  ist  ein  Tau  [ruwese]  befestigt,  das  das  Umschlagen  der  Rahe 
bei  plötzlichem  Windwechsel  verhindert.  Sie  wird  mit  der  Schot  zu- 
sammen festgelegt.  Die  untere  Nock,  c,  heißt  döhme.  Die  kleinen  Seile, 
mit  denen  das  Oberliek  [ras  ed-durür)  an  der  Rahe  befestigt  wird,  die 
Reeleinen,  heii3en  dirr,  durür  (Abb.  12).  Die  rings  umherlaufende 
Liek  myhhije.  Der  Rand  des  Segels  von  a  nach  d  heißt  iajra,  der  von 
a  nach  b  dazag.  Während  des  Segelsetzens  wird  das  Segel  durch  einen 
Aufholer,  hammäri,  in  die  Höhe  gehalten,  damit  der  Steuermann  freies 
Sehfeld  behält. 

Stromaufwärts  wird  das  Schiff  getreidelt.  Dazu  dient  eine  der 
beiden  durch  die  Rollen  am  Top  laufenden  und  an  einem  der  Ständer- 
köpfe des  Achteraufbaues  festgelegten  langen  Treidelleinen  {g{q)u7inah). 
Deren  freies  Ende  läuft  in  eine  Zieheinrichtung  für  5 — 6  Mann  aus. 
Diese  besteht  aus  Ziehbändern  von  etwa  10  cm  Breite  [türlje,  tawäri), 
die  aus  Palmbast  {sefife)  geflochten  sind  und  von  der  Mannschaft  über 
die  Schulter  genommen  werden.  Eine  davon  ist  am  Ende  der  Treidel- 
leine angebracht,  die  übrigen  sind  mit  kleinen  Nebenstricken  {sa^d) 
an  ihr  seitlich  befestigt. 


Auf  der  gespannten  Treidelleine  läuft  ein  Eisenschäkel,  an  der 
ein  Dr-osselstrick  {hannädg)  befestigt  ist,  dessen  freies  Ende  von  einem 
auf  der  Uferseite  des  Schiffes  sitzenden  Manne  bedient  wird.  Zieht  er 
an,  so  winkelt  sich  die  Leine  nach  unten  aus,  und  das  Schiff  wird  mehr 
nach  dem  Ufer  zu  gezogen. 

Zum  Stechen  und  Absetzen  vom  Ufer  dient  die  mit  einem  spitzen, 
eisernen  Kopf  [lawwät)  versehene  Stoßstange  (m^r^z),  zum  Messen  der 
Wassertiefe  eine /latra  genannte  und  von  dem  hatraci  geführte  Lotstange. 

Ein  charakteristisches  Wahrzeichen  der  Schiffe  im  Irak  bildet 
ferner  der  auf  dem  Vorderdeck,  der  Back,  auf  einem  Fußbrett  {seredän) 
stehende  Lehmofen  {tannür)  (Abb.  13).  Unten  an  der  Seite  hat  er  ein 
Luftloch  [rawäg),  oben  hat  er  eine  kreisförmige  Öffnung.  Auf  ihm  wird 
Essen  gekocht  und  Brot  gebacken,  letzteres,  indem  man. den  durch 
Hin-  und  Herschlagen  in  den  Händen  zu  einem  dünnen  Fladen  ver- 
arbeiteten Teig  von  oben  durch  das  Loch  hindurch  an  die  Innenwand 
des  Ofens  anklebt. 

Als  Beiboot  führt  die  Muhele  entweder  eine  kleine,-  giSr  genannte 
Kuffa  (s.  u.  (Abb.  3  a)  oder  ein  langes,  schmales  Ruderboot,  helem  'isäri 
genannt  (s.  u.),   mit  sich. 


Mesopotamische  Studien.  I29 

Die  Schiffe  werden  meist  nach  ihrön  Besitzern  genannt:  '^Abbästje, 
Rakmänije,  Huseinije,  Fätimije;  doch  sind  auch  andere  Namen  ge- 
bräuchlich:  Rahmatulläh,  Herlje,  Hurrije  usw. 

Der  verantwortHche  Führer  des  Schiffes  und  der  eigentliche 
Meister  des  Schiffergewerbes  ist  der  nö(ä)hde.  Ihm  steht  gegenüber  die 
gesamte  andere  Bemannung,  die  unter  dem  Namen  göge^  malälih 
zusammengefaßt  wird.  An  deren  Spitze  steht  der  Bootsmann  [awwali). 
Er  zieht  beim  Treideln  an  der  vordersten  Stelle  und  ist  auf  dem  Tigris 
verantwortlich  für  den  Rest  der  Mannschaft.  Wenn  einer  von  diesen 
ausreißt,  muß  er  Ersatz  beschaffen  oder   10  Medschidi  bezahlen. 

Seine  rechte  Hand  ist  der  baivwäb,  der  gleich  hinter  ihm  an  der 
Treidelleine  zieht.  Der  Rest  der  Mannschaft  steht  in  gleichem  Rang, 
doch  gibt  es  unter  ihnen  einige  Spezialisten:  der  sä'-üd,  der,  wenn 
Tauwerk  zerrissen  ist,  es  spleißt  oder  knotet  und  auf  den  Mast  entert, 
um  es  einzusetzen,,  sowie  der  Koch,  ahci.  Zuweilen  wird  ein  Schiffs- 
junge, mleia,  mitgenommen. 

Ist  die  Mannschaft  in  Bagdad  zusammengebracht,  sind  die  Kurden 
mit  dem  Beladen  fertig,  und  ist  vom  liman,  dem  Hafenamt,  der  Paß 
[raftije]  eingeholt,  so  kann,  wenn  der  Wind  günstig  ist,  die  Talfahrt 
[jerük  haddär)  beginnen  {iarr).  Am  angenehmsten  wird  dem  Schiffer 
der  Nordwest,  simäli,  sein,  der  fast  das  ganze  Jahr  hindurch  stetig 
weht,  während  der  im  Frühjahr  oft  plötzlich  und  unerwartet  ein- 
tretende Südost  {ßerg-[q)i)  mit  seinen  Staubmassen  stets  ein  unwill- 
kommener Gast  ist.  Der  Wind,  der  von  den  persischen  Bergen  kommt, 
wird  nach  K.  D.  ^gajfa  oder  /iwezi  genannt.  Der  Südwest  heißt 
g[q)ibli.  Hseni  ist  ein  Wind,  der  aus  dem  Meschhed  liusen,  aus  Kerbela, 
kommt.  (Dieser  Ausdruck  soll  zwischen  Musejjib  und  Kufa  gebräuch- 
lich sein.)  Ist  alles  klar,  so  begibt  sich  der  Führer  auf  seinen  Platz, 
das  Dach  des  Achteraufbaues,  läßt  die  Trossen  [rbäf)  einholen,  die 
Festmachepfähle  {häleS,  hawälu  [mit  langem  i]  durch  einen  seitlichen 
Schlag  [tarrU!)  mit  dem  Holzschlägel  [tohmah]  lockern  und  an  Bord 
holen  und  endlich  die  Landebrücke  [döse),  ein  kaum  ^/a  m  breites, 
mit  Querhölzern  dicht  benageltes  Brett,  einziehen.  Schon  vorher  hat 
er  gerufen:  ja  sbojän,  durrü  sirä'-kuml  (Kinder,  bindet  das  Segel 
an  die  Rahe!).  '  Darauf  wurde  der  Segelsack  [jerde)  hervorgeholt, 
das  Segel  herausgenommen  und  mit  den  Reeleinen  an  die  Rahe  geknüpft. 
Jetzt  begibt  sich  die  Mannschaft  an  das  Ankertau  [sebne]  und  holt 
den  Anker  {enger)  empor,  um  ihn  vor  dem  Bug  aufzuhängen.  Beim 
Hieven  des  Ankers  singt  sie  einen  jener  behebten  dreihebigen  Arbeits- 
gesänge {höse),  etwa: 


130 


H.  Ritter, 


-^§^ 


V 


»Ziehe  den  Anker,  mein  Chalil!  Mein  Schatz  brachte  mich 
um  meinen  Verstand!«  oder:  Jömleje  seile  jömlejel  O  Herr,  mach'  es 
uns  leicht  2)1  oder:  Ja  Käsim  hamminnä  boSl  0  Kazim,  belade  uns 
leer!  oder:  Ja  hahl  ta'äl  ^alejel     Komm  her,   Strick,  zu  mir! 

Dann  setzt  man  vom  Ufer  ab  und  läßt  sich  ein  Stück  treiben, 
bis  der  Steuermann  ruft:  SUü\  Heißen!  Auf  dies  Kommando  begibt 
sich  die  Mannschaft  an  die  Falle,  heißt  das  Segel  und  singt  etwa: 
ims^a  rahmatullähl  Gottes  Barmherzigkeit  ist  groß!  {Rahmatulläh 
ist  oft  auch  Name  des  Schiffes.)  Ist  das  Segel  gesetzt,  so  begibt 
sich  jeder  an  seinen  Platz  an  den  Fallen  und  Schoten,  und  hat 
man  einen  längeren  Schlag  [ridd,  rudüd)  vor  sich,  so  wird  auf  das 
Kommando  kendir  '^aleha  d-dämen\  die  Schot  am  Ständerkopf  fest- 
geknotet. 

Kommt  der  Wind  von  achtern,  so  sitzt  der  Hals  am  heSär,  d.  h. 
dem  Ring  am  zweiten  Querbalken.  Wendet  sich  der  Fluß  so,  daß  der 
Wind  mehr  seithch  kommt,  also  gewissermaßen  aufschralt,  so  wird  sie 
ras  el-jenne  gesetzt.  Bei  weiterer  Biegung  kommt  er  an  den  eteme- 
Ring,  und  endlich  auf  das  Kommando  cellib  el-güsl  auf  den  i^elih.  Die 
Großschot  wandert  dementsprechend  auf  den  eine  hintere  Nagelbank 
bildenden  Ständerköpfen  des  Achteraufbaues  in  umgekehrter  Richtung. 
Biegt  der  Fluß  noch  weiter  um,  so  daß  er  seiner  alten  Richtung  ent- 
gegenläuft und  der  Wind  von  vorn  kommt,  so  kündigt  sich  das  durch 
Flattern  des  Segels  an  [ju^guf).  Ist  die  Stelle  nur  kurz,  so  sucht  man 
mit  der  kurfi  genannten  Segelstellung  darüber  hinwegzukommen.  Der 
Steuermann  ruft  etwa:  karrif  'alehä  swejje,  und  die  Mannschaft  holt 
Schote  und  Hals  nach  dem  Mast  zu  etwa  in  halbe  Höhe  des  Segels 
hinauf  und  überläßt  die  Fortbewegung  des  Schiffes  dem  Strom.  Das 
Segel  fängt  noch  soviel  Wind  auf,  daß  das  Schiff  steuerfähig  bleibt. 
Dasselbe  Manöver  soll  bei  Flaute  angewandt  werden,  damit  das  Schiff 


I)  Eine  Erklärung  für  diese  Form  konnte  mir  niemand  geben. 

i)  Dies  soll  der  Sinn  sein.  Käzim  Dugeili  führt  a.a.O.  III  243  die  Formen 
ämölesa  und  möleseüe  auf  und  leitet  sie  aus  mauläja  sahhilah  ab.  Sie  hängen  wohl 
jedenfalls  mit  gewissen  im  ganzen  Orient  verbreiteten  Schifferrufen  zusammen.  Vgl. 
z.  B.  Ä'eieä  Szeinlc  X,  42  Anm. 


Mesopotamische  Studien.  ]  3  l 

nicht  querstrom  treibt,  (Ob  die  beschriebene  Wirkung  fachmännisch 
einwandfrei  ist,  wage  ich  nicht  zu  beurteilen.) 

Ist  die  Biegung  vorüber,  so  daß  das  Schiff  in  der  alten  Richtung 
und  mit  der  alten  Segelstellung  weiterlaufen  kann,  so  sagt  man  haumat 
el-muhele,  d.  h.  istirähat,  sie  ist  zur  Ruhe  gekommen.  Ist  die  Stelle  länger, 
so  wird  auf  den  Ruf  des  Steuermanns:  hejje  hejje  tajjih,  tajjikU)  das 
Segel  geborgen,  bis  die  böse  Stelle  —  man  nennt  sie  zgäfa —  vorüber  ist. 

Ein  Kreuzen  ist  mit  den  Flußschiffen  nur  in  sehr  beschränktem 
Umfange  möglich  und  wird  nur  auf  kurze  Strecken  und  in  der  Nähe 
des  Anlegeplatzes  angewandt.  Zu  diesem  Zwecke  wird  die  Großschot 
an  die  Ruderpinne  gesetzt,  wodurch  zugleich  das  Schiff  am  Winde 
gehalten  wird,  und  der  Hals  auf  den  eteme  an  der  Leeseite  oder  gar  an 
eine  Leewant  gesetzt.     Diese  Stellung  heißt  lab/i. 

Biegt  sich  der  Fluß  so,  daß  die  Luvseite  zur  Leeseite  wird,  so  wird 
auf  das  Kommando  hajjir]  die  Vorderstag  losgebunden  und  die  Rahe 
herumgedreht,    ein   Manöver,    das    etwa    unserem    Halsen    entspricht. 

Legt  sich  das  Schiff,  vom  Winde  gedrückt,  auf  die  Seite  über, 
so  sagt  man:  ^a'-fat  el-muhele. 

Fällt  ein  starker  Regen,  so  ruft  der  Steuermann:  höhö  ja  shojän 
hahrije\  »Kinder,  macht  den  Marineknoten!«  Darauf  wird  das  Segel 
geborgen  und  unter  der  Rahe  zusammengerollt  festgebunden,  damit 
es  nicht  zu  naß  wird.  Auch  wird  wohl  ein  Regendach  [maiigar]  auf- 
gespannt. Wird  der  Wind  stärker  {nawwaf  el-hawa),  so  daß  Seegang 
{rög)  entsteht,  so  refft  man  das  obere  Drittel  des  Segels  weg  {ugtul 
es-iirä'-  basia),  oder  man  läßt  es  auf  halbe  Masthöhe  herunter  {^ellis 
es-sirä''\). 

Hat  das  Schiff  viel  Wasser  gezogen,  so  beginnt  es  zu  rollen  [läbat 
el-muhele).  Ab  und  zu  läßt  der  Schiffsführer  nachsehen,  ob  Wasser  in 
der  Bilge  ist.  Ist  keines  da,  so  kommt  die  Antwort:  sälimin:  »Wir 
sind  in  Ordnung. «  Andernfalls  wird  es  mit  dem  feilem  ausgeschöpft 
{wahhirl),  bis  sie  trocken  ist  {leb£-{q)e).  Lockert  sich  eine  Want,  so  wird 
sie  nachgezogen  {dugg  el  himränil).  Ein  leichtes  Schiff,  das  auch  in 
flachem  Wasser  gut  fährt,  nennt  man  beSra.  Bei  einem  Schiffe,  das 
tiefes  Wasser  [nemis  mai)  braucht,  ist  die  Gefahr  groß,  daß  es  bei  dem 
bis  zu  5  m  Unterschied  wechselnden  Wasserstande  den  Grund  scheuert 
[t^aöcir)  oder  aufsitzt  [sehlet). 

Rammt  das  Boot  irgendwo  an,  so  kann  es  vorkommen,  daß  ein 
Splitter  von  den  Planken  abfliegt.     Dann  sagt  man:  tärat  Shäsa,  und 

')  Der  Ruf  fajji^,  tajjih!  ist  von  übler  Vorbedeutung,  .denn  gar  oft  wird  er  dem 
aglosen  Schiffer  vom  Ufer  aus  von  räuberischen  Muntefiks  zugerufen,  die  ihm  das  Schiff 
ausplündern  wollen. 


j  ,  2  H.  R  i  1 1  c  r , 

der  Schiffer  muß  den  Schaden  reparieren  {gatl  el-^aib).  Das  neu  einge- 
setzte Plankenstück  heißt  ebenfalls  s/iäsa.  Eine  Muhele,  die  ohne 
eigene  Fahrt  mit  dem  Strome  treibt,  heißt  mseise,  was  besonders  un- 
angenehm ist,  wenn  sie  in  eine  Rückströmung  {höra)  gerät.  Liegt  sie 
vorn  zu  tief  im  Wasser  [maglüda],  so  muß  die  Ladung  nach  achtern 
umgetrimmt  werden. 

Will  der  Steuermann,  am  Ziel  angelangt,  anlegen  {jegaddim, 
jewacci  >  jöci),  so  sucht  er  sich  einen  passenden  Anlegeplatz  aus,  was 
zumal,  wenn  im  Hafen  ein  ganzes  Geschwader  von  Schiffen  [kär]  liegt, 
nicht  immer  leicht  ist.  Dann  läßt  er  die  Segel  bergen,  den  Anker  fallen 
und  ruft:  jUl  ed-durür\  fukkül  kull  dürr  mural  »Mach  die  Knoten  auf! 
Knüpft  auf!  Jeder  Knoten  ein  Weib!«  Haben  die  Schiffer  das  Segel 
von  der  Rahe  gelöst,  so  ruft  er:  cödü  isrä'-kum  ja  ulidil  »Faltet das  Segel 
zusammen,  Kinder!«  ilzam  el-ferde\  »Halt  den  Segelsack!«  Das  Segel 
wird  hineingestaut,  der  Sack  an  den  Rändern  gefaßt  und  ein  paarmal 
auf  den  Boden  gestoßen,  damit  sich  das  Segel  setzt.  Dazu  singt  die 
Mannschaft:  '■azzehteni  ja  iäib,  jebu  Med  e9-däih\  »Gequält  hast  du 
mich,  Alter  (der  Nöchde),  du  mit  den  zarten  Wänglein!«  Dann  werden 
die  Pflöcke  eingerammt,  das  Schiff  vom  celih  aus  mit  der  Trosse  {rbät) 
und  nötigenfalls  auch  noch  am  Heck  mit  dem  cotläni  genannten  Tau 
festgemacht.  Ist  der  Aufenthalt  nur  kurz,  so  toppt  man,  namentlich 
bei  kleineren  Schiffen,  die  Rahe,  d.  h.  bindet  sie  aufrecht  an  den.Mast 
[sallab).  Sonst  wird  die  leere  Rahe  mit  ruwesi  und  ^is  in  wagerechter 
Lage  festgelegt^). 

Flußaufwärts  ist  das  Fahren  beschwerlicher.  Die  Mannschaft 
marschiert  der  Rangordnung  nach,  der  Bootsmann  an  der  Spitze, 
in  langsamem  Gleichschritt,  die  Treidel  auf  der  Schulter,  das  Ufer 
entlang  und  versüßt  sich  die  Arbeit  mit  dem  Gesang: 


»O  Haidar,  dich  lasse  ich  an  ihr  arbeiten«  {imzzam  gleich  sa/i/iar); 
oder:  ja  sejjid  geddak  wijjäna:  »O  Sejjid  (damit  ist  ein  Steuermann 
gemeint),  dein  Ahn  ist  mit  uns«;  oder:  ahne  minteslin  'ald  llah  »Wir 
vertrauen  auf  Gott«,  und  was  dergleichen  Sprüchlein  mehr  sind. 

0  Die  Ausdrücke,  die  Käzim  Dugeili  a.a.O.  anführt,  waren  meinen  Gewährs- 
leuten unbekannt  oder  wurden  in  anderer  Bedeutung  gebraucht.  Die  hier  aufgeführten 
Kommandos  und  Bezeichnungen  der  verschiedenen  Situationen  stammen  von  einem  Nöch- 
den  aus   Kut. 


Mesopotamische  Studien.  123 

.  Der  Steuermann  sitzt  auf  dem  Dache  des  Aufbaues  und  steuert  {je- 
sakkin).  Geht  das  Schiff  zu  weit  vom  Lande  ab  [fäzat,  sähat),  so  läßt 
er  die  Drosselleine  ziehen  (s.  o.).  Gehen  die  Treidler  zu  weit  vom 
Lande  ab,  so  ruft  er  tarrihl,  kommt  der  Leine  ein  Hindernis  in  den 
Weg,  etwa  ein  Mast  oder  ein  Baum,  so  ruft  er:  ihrizl,  worauf  das  Seil 
um  das  Hindernis  herumgetragen  wird.  Ist  es  nur  niedrig,  so  kann 
man  die  Leine  mit  einem  geschickten  Schwung  darüber  wegschnellen 
{nisifl).  Will  er  den  Treidlern  noch  einen  Mann  zu  Hilfe  schicken, 
so  ruft  er  ihm  zu:  ing-izl  oder  hawwill  »Geh'  an  Land!«.  Reißt  die 
Treidelleine,  so  wird  sie  gespleißt  [säi/il).  Ist  dazu  keine  Zeit,  so  genügt 
ein  einfacher  Kreuzknoten  [sedda).  Andere  Knoten:  terbVa:  Web- 
leinenstich, Santa:  zwei  halbe   Schläge,  9akar  bintä:  Fallreepsknoten. 

Ist  das  Schiff  nach  Bagdad  zurückgekommen,  so  wird  abgerechnet. 
Die  Aufgabe  der  Schiffsmannschaft  ist  damit  erledigt,  sie  suchen 
Arbeit  auf  einem  andern  Schiffe.  Von  Kut  an  abwärts  und  auf  dem 
Euphrat  bleibt  die  Mannschaft  dauernd  auf  demselben  Schiffe  und 
rechnet  nach  jeder  Hin-  und  Herfahrt  ab.  In  Kut  ist  folgende  Ab- 
rechnung üblich: 

Von  dem  Frachtsatz  —  von  Bagdad  bis  Basra  5  Medschidi  der 
iyär  —  werden  zunächst  alle  Unkosten  für  Verpflegung  usw.  abge- 
zogen, der  Rest  [wasta)  wird  halbiert.  Die  eine  Hälfte  erhält  der  Besitzer 
des  Schiffes,  die  andere  teilen  die  Schiffer  igöge)  unter  sich.  Der  Schiffs- 
führer erhält  so  viel,  wie  ein  Anteil  der  g-öge  beträgt  von  der  dem  Schiffs- 
eigentümer zufallenden  Hälfte.  Außerdem  gibt  der  Kaufmann,  dessen 
Güter  befördert  werden,  ihm  noch  4 — 5  Pfund  Bachschisch  [Serhe). 
Der  Bootsmann  iawwali),  Koch  und  säHid  erhalten  je  einen  Medschidi, 
der  hawwäb  einen  halben  Medschidi,  d.  i.  ein  jasmaq,  ein  Kopftuch, 
als  Bachschisch.  Außerdem  liefert  der  Kaufmann  vor  Beginn  der 
Fahrt  ein  geschlachtetes  Schaf.  Wenn  dieses  fehlte,  würde  die  Muhele 
unterwegs  verunglücken.  (Es  wird  sich  dabei  wohl  um  ein  altes  Opfer 
handeln.) 

Als  besonders  berühmte  Nöchden  nennt  Käzim  Dugeili  a.  a.  0. 
III  84  yuwedi  es-Sälih  el-yajjäwi  (aus  Hai)  und  yuwedi 
el-Kitäwi  (aus  Kut)  auf  dem  Tigris,  und  auf  dem  Euphrat  Täfil 
ed-Dyäri  (aus  Dyära  nördlich  Diwänije).  Er  soll  durch  die  Strömung 
an  derHindijesperre  gefahren  sein,  was  ihm  niemand  nachzutun  wagte. 

Die  besten  Schiffer  kommen  nach  K.  D.  aus  Lemlün  oder  Nemnün 
(Abu  Dschewärir  nördlich  Samaua,  vgl.  über  den  Ort  K.  D.  a.  a.  0. 
lil  85).  Als  berühmte  Schiffsbauer  nennt  er  am  Euphrat:  El-Iiägg 
Muhammed  ibn  Qurüf  aus  Kuweit  in  Kufa,  Erfinder  des  gurüfi 
genannten  Bootstyps,    und   am  Tigris  ^usen   Abu  'Eir.     Dieser  ist 


134 


H.  Ritter, 


vor  15  Jahren  gestorben.  In  Bagdad  wurde  mir  sein  Sohn  Muhammad 
als  Fortführer  des  väterlichen  Gewerbes  genannt.  Neben  ihm  wurde 
mir  Tüna  el-BaYdädi  genannt,  etwa  55  Jahre  alt.  Auf  der  Alten 
Werft  ^güdi)  in  Bagdad  arbeitet  jetzt  Usta  'Ali  ibn  Selmän 
Schähin.  Er  baut  hauptsächlich  Brückenpontons  (s.  u.).  Alle  drei 
wohnen  im  Stadtviertel  Schawwäke. 

Als  Schiedsrichter  in  Schiffsangelegenheiten  {'ärija)  nennt  K.  D. 
a.  a.  O.  am  Euphrat  den  erwähnten  Fäfil,  Muhcsin  el-  Tedäwi 
und  Husen  el-IJanzal,  am  Tigris  Sejjid  Tähir  ibn  cl-Hägg 
'Abdallah  und  Däüd  el-Öcnäbi.  Letzterer  wurde  mir  als  Schiffs- 
besitzer genannt. 


Andere  Schiffstypen: 

Zum  Passieren  von  flachen  Stellen  wird  die  Last  auf  eine  kleine, 
5 — 10  m  lange  muhele  geleichtert  von  derselben  Bauart,  jedoch  ohne 
Achteraufbau,  die  cäje  genannt  wird. 

Eine  Abart  der  muhele  ist  das  sogenannte  belem  (indisches  Wort.?), 
nach  K.  D.  zur  Unterscheidung  von  andern  Belems  belem  Hräqi  genannt. 
Es  unterscheidet  sich  von  der  muhele  durch  einen  eckigeren  Quer- 
schnitt und  einen  symmetrischen  Längsschnitt.  Es  hat  auch  keinen 
Achteraufbau,  ist  aber  sonst  von  derselben  Größe  wie  die  muhele.  Die 
Steven  laufen  nicht  in  Haken,  sondern  in  schneckenförmige  Ver- 
zierungen aus. 

ke'-d  ist  ein  kleines,  etwa  15  m  langes  belem,  das  mit  Asphalt  über-, 
zogen  wird.     Es  fährt  hauptsächlich  auf  dem  Euphrat. 

Muhele  und  belem  werden  in  Basra  gebaut  und  verkehren  zwischen 
Bagdad  und  Basra.  Neben  ihnen  gibt  es  eine  Anzahl  von  Fahrzeugen, 
die,  schwächer  gebaut,  an  eine  beschränkte  lokale  Zone  gebunden  sind, 
die  sie  selten  oder  nie  überschreiten.  Zu  dieser  letzteren  Klasse  gehört 
ein  Schiff,  das  in  seinem  altertümlichen  Aussehen  den  Beschauer  tat- 
sächlich wie  ein  Nachkomme  der  Arche  Noah  anmutet:  das  Asphalt- 
schiff [seflne  g[q)ajjärlje).  Es  wird  in  Bagdad  gebaut  und  dient 
hauptsächlich  dazu,  Holz  und  Stroh  aus  den  Dörfern  unterhalb  Bagdads 
zu  holen.  Es  fährt  nicht  über  'Azizlje  hinaus.  Eine  allgemeine  Vor- 
stellung gibt  die  Abbildung  (14)-  Es  ist  etwa  ebenso  groß  wie  die  muhele, 
aber  sehr  viel  roher  gearbeitet.  Es  wird  in  Bagdad  (zu  meiner  Zeit 
in  der  Nähe  der  Sultan  Ali-Moschee)  gebaut,  wo  die  Schiffsbaukunst 
noch  nicht  so  weit  fortgeschritten  ist  wie  in  Basra.  Alle  Hölzer  sind 
gröber  und  werden,  nur  oberflächhch  bearbeitet,  halb  im  Naturzustande 
verwendet. 

Dia  £-ajjärl je  hat  keinen  Kiel,  sondern  nur  einen  einfachen,  mandel- 


Mesopotamische  Studien.  1^5 

förmigen  Bretterboden  [täbyq),  der  sich  bei  einem  mittelgroßen  Schiffe 
vorn  7 — 8m  vom  Ende  an  langsam  bis  2,  hinten  von  6  m  vom  Ende  an 
bis  zu  3/4  m  über  der  geraden  Ebene  erhebt  (Abb.  15  u.  16).  Der  Vorder- 
steven, etwa  8  m  lang,  ist  leicht  gekrümmt  und  mit  einer  hier  "^unnq 
genannten  Schnecke  versehen.  Der  hintere  Steven  (Abb.  15a)  ist 
6  m  lang  und  gerade.  Quer  zur  Schiffsachse  über  dem  Bretterboden 
liegen  die  geraden  Bodenspanten  [cäbeS,  cawäbes)  (Abb.  15b).  Die 
geraden  Seitenspanten  heißen  gün  (Abb.  15c).  Auf  den  cawäbes  liegt 
der  Länge  nach  von  Steven  zu  Steven  ein  Bündel  recht  krummer  und 
roher,  dicker  Balken,  g[q)ebte  genannt  (Abb.  IIa).  Sie  dienen  zugleich 
als  Schuh  für  Mast  und  '^abid.  Das  Material  ist  fast  durchweg  ein- 
heimisch und  schlechter  als  das  in  Basra  aus  Bahrein  bezogene  säg  Holz : 
die  unter  Wasser  .liegenden  Teile:  täbyq  und  Steven,  sowie  die  Planken 
bis  eine  Elle  über  dem  Wasserspiegel  sind  aus  Maulbeerholz  [tut),  die 
Seitenspanten  [gün)'  aus  dem  Holze  der  Euphratpappcl  [yarab) .  Die 
Querbalken,  die  bei  der  ?nuhele  suwär  heißen,  führen  hier  die  Bezeich- 
nung gesit,  liegen  dichter,  etwa  15  Stück  in  einem  Schiff  und  sind 
aus  Pappelholz  gaivag  (Abb.  17).  Aus  demselben  Material  sind  lange 
Balken,  die  längs  der  Seitenwände  auf  der  Innenseite  des  Schiffes 
entlangliegen  [mi/imal,  mahämil)  (Abb.  i  ib,  2  la)  und  die  Rahe  (/^rwa/). 
Der  Mast  ist  aus  säg  Holz,  die  Rollen  aus  Maulbecr.  Die  Lebenszeit 
des  Asphaltschiffes  ist  dementsprechend  nur  kurz:  etwa  12  Jahre, 
gegenüber  der  muhele,  die  40  Jahre  und  darüber  erreicht.  Ihre  Trag- 
kraft erreicht  70  000  Hokka. 

Das,  was  der  gajjärije  ihr  charakteristisches  Gepräge  verleiht,  ist 
der  Asphaltbezug,  der  alle  Ungenauigkeiten  des  Bohlenbelags  mit 
einem  breiigen,  schwarzen  Mantel  bedeckt  (Abb.    18). 

Der  in  Hit  gewonnene  Asphalt  wird  in  einem  rechteckigen,  ge- 
mauerten Becken  [küra],  das  von  unten  befeuert  wird  (Abb.  19),  je 
nach  Wunsch  dünnflüssig  [sejjäli]  oder  dick  [döse]  hergestellt  und  in 
asphaltierten  Körben  [gujfa)  dem  g{g)ajjär  zugetragen.  Zuerst  wird 
das  Schiff  mit  einer  dünnen  Asphaltschicht  bestrichen,  dann  mit  der 
dicken,  teigartigen  dö^e.  Wie  der  Bäcker  den  Kuchenteig  mit  der  Rolle, 
so  breitet  der  gajjär  mit  einem  «=>  förmigen  Instrument  [sebag,  bei 
K.  D.  a.  a.  O.  II  95  söbeäsius  persischem  ^öbek[q])  auf  der  zu  bestreichen- 
den Fläche  aus  (Abb.  20).  Im  Sommer  wird  der  Asphaltüberzug  w^ich 
und  das  Schiff  erhält  ein  sonderbares,  runzeliges  Aussehen  (Abb.  r8). 
Der  Waschbord  [darräb]  ist  beim  Asphaltschiff  auf  dem  Bordrande 
festgemacht  und  wird  mitasphaltiert.  Die  Fuge,  ist  an  einem  Wulst 
zu  erkennen  (Abb.  12).  Der  Bordrand  ist  mit  keinerlei  Brett  in  der 
Art  der  zubedra  bedeckt,   die  Spantenenden  [nyül)  stehen  roh  hervor 


136  H.  Ritter, 

und  dienen  zugleich  als  Anbindepflöcke  (Abb.  i8a).  Ein  Achteraufbau 
ist  nicht  vorhanden,  nur  ein  Verdeck  vorn  und  hinten,  ibäya  genannt. 
Die  Bilge  ig-amma)  wird  gern  am  Vorderverdeck  durch  Freilassen 
eines  Zwischenraumes  zwischen  ihm  und  der  Ladung  gebildet. 

Der  Mast  gleicht  dem  der  muhele,  nur  ist  er  noch  mit  zwei  Back- 
stagen versehen  [Sehäwljät),  die  dicht  vor  dem  Hintersteven  rechts 
und  links  an  einem  der  Spantenköpfe  befestigt  werden. 

Das  feste  Ende  der  Treidelleine  wird  nicht  direkt  an  einem  Pflock 
festgelegt,  sondern  endigt  in  einen  'l  förmigen  Holzhaken  {gase),  der 
seinerseits  in  einen  der  Grummets  [dräk)  am  Bordrand  eingehängt  wird. 

Sehr  auffallend  ist  das  Ruder  [sukkän]  (Abb.  18)  gebildet.  Der 
Ruderschaft  läuft  oben  in  eine  Gabel  aus,  in  der  die  Pinne  ruht.  Deren 
äußeres  Ende  kann  in  verschiedene  Sprossen  des  äußeren  senkrechten 
Ständers  [rise)  (Abb.  iBb)  gelegt  und  mit  einem  »Esel«  [himär) 
(Abb.  iSc)  genannten  Strick  festgebunden  werden.  Ist  die  Ladung, 
auf  der  der  Steuermann  oben  aufzusitzen  pflegt,  sehr  hoch,  so  wird 
das  Außenende  tiefer  angebunden,  damit  die  Handhabe  höher  kommt. 
Zwei  parallele  und  mit  Sprossen  verbundene  Stangen,  die  vom  Kopfe 
des  Ruderstevens  schräg  nach  unten  zum  Ende  des  Ruderblattes 
laufen,  heißen  duwäjin  (Abb.  18  d),  eine  kleine  Stütze  rlSe  zeyire 
(Abb.  l8e).  Ein  Rahmen  von  2x2  Balken  bildet  mit  den  von  ihnen 
gehaltenen  kurzen,  senkrechten  Brettern  das  Ruderblatt  [mhaffa]  (f). 

Andere  Boote,  die  in  der  Nähe  von  Bagdad  verkehren,  oder  wenig- 
stens zuweilen  in  Bagdad  auftauchen,  sind: 

Die  tarräda,  ein  etwa  10  m  langes,  schmales  Asphaltschiff.  Das 
Fischerboot  [sammäclje).  Es  ist  ein  kleineres  Asphaltschiff,  nicht 
größer  als  ein  gewöhnhches  Ruderboot,  oft  zum  Rudern  und  Segeln 
zugleich  eingerichtet,  von  den  Fischern  bei  Ausübung  ihres  Gewerbes 
benutzt.  Das  Schiff  ist  vorn  überdeckt  und  asphaltiert,  um  die  feuchten 
Netze  daraufzulegen. 

Zum  Übersetzen  von  Personen  von  einem  Tigrisufer  zum  andern 
dient  in  Bagdad  ein  Ruderboot,  das  sich  nicht  wesentlich  von  den  bei 
uns  gebräuchlichen  Booten  unterscheidet.  Es  besteht  aus  Maulbeer- 
holz und  faßt  etwa  7  Personen.  Meist  ist  es  mit  weißer  Farbe  {höja, 
mayar)  angestrichen.  Der  Sitz  der  Passagiere  ist  hinten  am  Steuer, 
doch  läuft  die  Sitzbank  bis  zu  einem  Drittel  der  Länge  an  beiden  Seiten 
entlang.  Mit  den  Bänken  {dräy,  dräyät)  läuft  ein  10  cm  hohes  Gitter 
auf  dem  Bordrand  entlang  [muhag-gar[l]) .  Die  gitterförmigen  Fuß- 
bretter (Greetings)  heißen  Sibhäc.  Am  Kopfe  des  Ruders  das  übHche 
Querholz  (Joch)  [käne]  mit  zwei  Steuerleinen  [ge/än,  gejätin).  Der 
Bootsrand  wird  gegen  Abscheuern  und  Stoß  geschützt  durch  Fender 


Mesopotamische  Studien.  j-iy 

{töha).  Die  Ruderdollen  (Zepter)  {basämir)  ruhen  in  oft  mit  Messing 
verkleideten  Dollenlüchern  {bäbüc,  bawäbiä).  Zwei  Löcher  in  dem  kurzen 
Vorder-  und  Hinterverdeck  tragen  im  Sommer  zwei  l  m  hohe  Stützen 
für  ein  Sonnendach  {tente),  welches  auf  einen  der  Riemen  {kerek)  aufge- 
bunden und  in  das  Loch  am  Vordersteven  senkrecht  aufgesteckt, 
auch  als  Segel  dienen  kann  (Abb.  22).  Das  Belem  ist  für  zwei  Ruderer 
{balläm,  belemöi)  eingerichtet. 

Es  gibt  auch  Ruderboote  für  6  [jüka)  oder  8  Ruderer  [kik) 
(Gig).  Diese  werden  jedoch  nur  von  Paschas,  Generalen,  Walis 
und  andern  Würdenträgern  benutzt  und  meist  von  Matrosen  [bahrlje] 
gerudert.  Bei  ihnen  heißen  die  Dollen  qarmüz  [iskarmüz  in  Mossul, 
K.  D.  a.  a.  0.). 

Die  Belems  werden  mit  einer  aus  Palmblättern  hergestellten  Leine 
[särije]  getreidelt.  Eine  Boje  zum  Festlegen  heißt  semendöra.  Kom- 
mandos: ZiQhenlig-dif,  uhud\  Streichen!  seje,  ukuä  sejel^),  Anlegen! 
wacäil 

Das  Rettungsboot  der  Dampfer  heißt  gäliböt  (jollyboat). 


Schiffstypen  außerhalb  Bagdads. 

K.  D.  führt  noch  eine  Menge  von  Schiffsnamen  mit  Beschreibungen 
auf,  die  leider  deswegen  unklar  sind,  weil  er  Namen  und  Beschreibung 
nicht  örtlich  bestimmt.  Beides,  Typen  und  Namen,  sind  aber  in  jedem 
Orte  so  verschieden,  daß  man  sich  immer  nur  auf  solche  Angaben 
verlassen  kann,  bei  denen  der  Gewährsmann  die  Typen  seiner  Heimat 
beschreibt.  Eine  Nachprüfung  dieser  Angaben  am  Objekt  war  um  so 
weniger  möglich,  als  in  das  Gesichtsfeld  von  Bagdad  nur  ein  kleiner 
Teil  der  gebräuchlichen  Typen  kommt.  Das  eigenthche  Hauptgebiet 
der  Schiffahrt,  der  Unterlauf  der  beiden  Ströme,  blieb  der  Kriegslage 
wegen  überhaupt  unzugänglich.  Ich  beschränke  mich  daher  auf  einige 
Namen  und  Notizen. 

In  Basra  und  im  Golf  fahren  Segelschiffe,  die  die  Ausmaße  der 
Flußsegler  bedeutend  überschreiten.  Sie  haben  teils  eine  Art  Yawl- 
takelung,  so  daß  hinter  dem  durch  das  Heck  hindurchgehenden  Ruder 
ein  zweiter,  kleiner  Mast  sitzt,  bald  drei  Masten.  An  Namen  solcher 
Typen  werden  genannt:  bayla  [hehe]  -),  büm,  büt,  sumbuk,  dignlje, 
bärkai  (Barkasse),  süH,  ^übe  (dies  nach  einer  Angabe  der  von  den  See- 
fahrern gebrauchte  Name  des  von  den  Basraern  bayla  genannten 
Schiffes).  '    .      ' 

^)  Über  das  Türkische  aus  dem  Italienischen. 
>)  K.  D.  a.  a.  O.   111  244. 
Islam  IX.  10 


J38  H.  Ritter, 

Leute  aus  Amara  nannten  als  in  ihrer  Heimat  gebräuchlich  fol- 
gende Namen  und  Typen: 

sejlne  gleich  muhele. 

mas/iüf:  ein  kleines  Asphaltschiff,  gebräuchlich  zwischen  Kurna 
und  *Ali  el-Farbi,  von  2 — 3  tyär  Tragkraft.  maShüf  ist  nach  ihnen 
der  städtische  Name,  während  die  Ma'dän-Araber  in  denHörs  bei  'Amära 
dasselbe  Schiff  bärkaS  nennen.  Bei  denselben  Moor-Arabern  ist  ein 
kleiner  Kahn  namens  tarräda  in  Gebrauch,  ein  Boot  aus  Platanenholz 
mit  Asphaltüberzug,  7  m  lang  und  70  cm  breit,  das  bis  auf  5  cm  ins 
Wasser  sinkt,  so  daß  es  bei  der  geringsten  Bewegung  kippt  und  nur 
von  den  darin  geübten  Ma'dän-Arabern  gefahren  werden  kann.  Es 
hat  weder  Mast  noch  Steuer  und  wird  ohne  Dollen  aus  der  Hand  ge- 
paddelt [yarräf,  die  Paddel).  Hinten  sitzen  zwei  Paddler,  vorn  am 
Bug  einer  und  zwei  Mann  Besatzung  in  der  Mitte.  Jede  Hütte  in  den 
Hörs  besitzt  ein  solches  Boot.  Vornehme  Schechs  lassen  sich  ihr  Boot 
mit  einem  Sonnensegel  bespannen  und  mit  Farbe  bemalen.  Was  dem 
Beduinen  sein  Pferd,  ist  dem  Moor-Araber  seine  tarräda.  Auf  ihr 
werden  Stammesfehden  und  Schlachten  ausgefochten:  jedermann  legt 
Patronen  und  Gewehr  vor  sich  hin  ins  Boot,  um  jeden  Augenblick 
gefechtsbereit  zu  sein.  Wird  ein  Stamm  geschlagen,  so  zieht  er  sich  in 
größter  Eile  zurück,  wobei  er  seine  flinken  Boote  selbst  über  den 
schlüpfrigen  Lehm  hingleiten  läßt  {tezUg[q))  ^). 

Eine  kleine  Flottille  solcher  Boote,  die  zum  yazu  ausfährt,  heißt 
riebe. 

Ein  Asphaltboot  mit  besonders  hohem  Vordersteven,  von  10  tyär 
Tragkraft,  zwischen  Kurna  und  *Ali  elTarbi,  heißt  däneg. 

Dem  Nahverkehr  zwischen  Amara    und    dem  6   Stunden  davon 
entfernten  Migarr  el-kebir  dient  ein  kleines  Asphaltboot  mit  beweg 
Hohem  Mast,   etwas  größer  als  die  tarräda,   abüwälim  genannt.     Die 
Überfahrt  kostet  2  Kran. 

mesik  wird  eine  muhele  ohne  Achteraufbau  genannt. 

sammädije  ist  nach  meinen  Amaraer  Gewährsleuten  eine  cäje, 
die  zum  Befördern  von  Palmendünger  in  der  Nähe  von  Basra  in  Ge- 
brauch ist.  K.  D.  beschreibt  sie  als  ein  Boot  ohne  Mast  und  Steuer, 
das    2 — 3   tyär  trägt. 

säge  (pl.  süg),  nach  K.  D.  ein  4 — 5  m  langes  Boot  zum'Stechen  oder 

Paddeln,  das  5 — 10  Mann  faßt.    Meine  Gewährsleute  beschrieben  mir 

unter  diesem  Namen  einen  bei  Basra  gebräuchlichen   Einbaum  von 

2^4  rn  Länge. 

»)  K.  D.  nennt  das  beschriebene  Boot  mashüf,  unter  tarräda  versteht  er  III  loi 
eine  wm//?/<;  ohne  *Arse,  die  30  Mann  tragen  und  hauptsächlich  auf  dem  Euphrat  fahren  soll. 


MesopotamischQ  Studien.  I  ^q 

calläbije:  ein  bei  den  Moor-Arabern  gebräuchliches  winziges  Boot 
aus  Rohr  oder  Reisiggeflecht,  das  mit  Asphalt  überzogen  ist,  1—2  Mann 
faßt  und  zum  Jagen  und  Fischen  mit  Büchse  und  Harpune  {fäla)  dient. 
Dasselbe  Boot  soll  auf  dem  Euphrat  z'-eme  genannt  werden. 

Ein  etwas  größeres  Boot  derselben  Bauart,  Hsblje  genannt,  dient 
bei  Hit  zum  Abtransport  von  Asphalt. 

Unter  dem  Namen  gurüfi  beschreibt  K.  D.  ein  Segelboot,  das  ca. 
40  Mann  auf  dem  Euphrat  fährt.  Der  Name  stamme  von  seinem 
bereits  genannten  Erfinder  El-^ägg  Muhammed  ibn  Qurüf  aus 
Kut,  der  noch  zu  seiner  Zeit  sein  Wesen  in  Kufa  gehabt  habe. 

Über  die  Schiffsnamen  'abädtje,  nigme,  kesteri  siehe  K.  D.  HI  247. 

Ein  besonders  merkwürdiges  Gefährt  ist  die"  Kuffa  (Abb.  23) 
iM^ff^)-  So  muß  etwa  das  Körblein  gewesen  sein,  in  das  der  neu- 
geborene Mose  gelegt  ward,  denn  die  Kuffa  ist  nichts  anderes  als  ein 
runder,  aus  Schilf  geflochtener  Korb,  der  mit  Asphalt  bestrichen  ist. 

Abb.  24  zeigt  einen  Kuffabauer  bei  der  Arbeit.  Ringförmige, 
I  cm  dicke  Bündel  aus  dem  Mlfa  genannten  Schilfgras  werden  aufein- 
andergelegt und  mit  Palmblättchen  (Ms)  miteinander  verbunden.  Dann 
werden  Rippen  aus  Granatapfelzweigen  [rüi,  stüb)  hineingesetzt,  die  mit 
Seil  aus  Kokosbast  [gumbär)  angenäht  werden.  Zum  Vorbohren  der 
Nählöcher  bedient  sich  der  Meister  einer  großen  Ahle  {mu/ijai),  die  hin- 
ten eine  dicke  Handhabe  aus  Aspalt  hat.  In  der  Bodenmitte  kreuzen 
sich  je  vier,  sechs  oder  mehr  Rippen,  so  daß  die  Form  zweier  überein- 
anderliegender Bänder  entsteht.  Davon  heißt  das  obere  Band  mu'ei- 
birijät,  das  untere  faslät.  Die  Zwischenräume  zwischen  den  Rippen 
heißen  rgäm. 

In  halber  Höhe  der  Wandung  werden  innen  mehrere,  bis  zu  12, 
kurze,  wagerechte  Hölzer  [saglät)  angebracht,  an  denen  sich  kurze 
Seilringe  [hijjät)  zum  Festbinden  befinden  (Abb.  25).  Der  Rand  der 
Kuffa  [Sijja)  wird  mit  einem  aus  mehreren  Einzelbündeln  zusammen- 
gesetzten   dicken  Bündel    aus  halfa    abgeschlossen  [tüitle)    [Ahh.  25). 

Die  fertig  geflochtene  Kuffa  wird  mit  sejjäli  und  döse  (s.  o.)  asphal- 
tiert (Abb.  26).  Zuweilen  muß  der  Überzug  erneuert  werden,  dann  wird 
zuerst  der  alte  Belag  mit  Holzbränden  heruntergeschmolzen  und  dann 
die  neue  Schicht  aufgetragen. 

Die  großen  Kuffas  tragen  bis  zu  6  tyär.  Sie  heißen  ksän,  die 
mittelgroßen  führen  den  Namen  wastäni  und  die  kleinen,  nur  mit 
sejjäli  beschmierten  den  Namen  gisr.  Sie  dienen  großen  Schiffen  gern 
als  Beiboot.  Die  Fortbewegung  der  Kuffa  geschieht  durch  Paddeln. 
Wird  sie  von  zwei  Kuffaöis  gefahren,  so  nimmt  jeder  eine  Pa.ddel,  der 


140  ^»  Ritter, 

eine  rudert  von  vorn  schräg  nach  links,  der  andere  von  vorn  schräg 
nach  rechts.  Ein  einzelner  Kuffaci  paddelt  erst  ein  paar  Schläge  nach 
der  einen  Richtung,  bis  sich  die  Kuffa  im  Kreise  zu  drehen  beginnt, 
und  dann  in  der  andern  Richtung,  und  so  abwechselnd  fort.  An  manchen 
großen  Kuffas  hängt  man  ein  kurzes  Holz  als  Fußtritt  an  zwei  neben- 
einanderliegenden hijjät  befestigten  Stricken  auf  die  Außenseite  hinaus. 
Dieser  Tritt  heißt  tyHäga. 

Der  Lohn  des  Kuffacis  beträgt  nach  K.  D.  III  83  10  Franken 
für  4  Tage. 

Mit  der  Kuffa  wird  alles  Mögliche  befördert.  Wegen  ihrer  großen 
Stabilität  sind  sie  ein  vorzügliches  Transportmittel  für  schwere  Lasten 

(Abb.  27). 

Zur  Melonenzeit  kommen  aus  Samarra  zahlreiche  mit  dieser 
köstlichen  Frucht  gefüllte  Kuffas  nach  Bagdad  herab.  Oft  schleppen 
sie  dann  noch  ein  mit  Melonen  gefülltes  Netz  {Stha)  hinter  sich  her, 
das  zur  Not  auch  als  selbständiges  Fahrzeug  dienen  kann. 


Brückenpontons. 

Auf  beiden  Strömen  sind  seit  alters  Schiffbrücken  in  Gebrauch, 
die  mit  dem  Wasser  steigen  und  fallen  und  von  den  in  einem  Brücken- 
häuschen wohnenden  Wärtern  geöffnet  und  geschlossen,  bei  starkem 
Hochwasser  ganz  ausgefahren  werden. 

In  Bagdad  werden  die  Brückenpontons  augenblicklich  auf  der 
güdi,  der  alten  Werft  oberhalb  der  Qamarijemoschec,  gebaut. 

Der  Bagdader  Ponton  [gessärlje,  duba)  zeigt   nur   gerade  Linien 

(Abb.  28). 

Vorder-  und  Hintersteven  {sadr)  sind  vollkommen  gleich.  Der 
Brettergrund  heißt  wie  bei  der  Asphaltsefine  täh.yq,  die  Spanten  bezüglich 
öäheS  und  gün,  auch  die  gahte  ist  vorhanden.  Von  Stevenkopf  zu  Steven- 
kopf läuft  ein  kamar  genannter  Versteifungsbalken,  der  durch  senk- 
rechte, auf  der  gahte  stehende  Stützen  [tikme,  tikem)  getragen  wird. 
Die  Länge  des  Pontons  beträgt  etwa  7  m.  Der  untere,  im  Wasser 
ruhende  Teil  des  Bootes  und  i  m  darüber  wird  asphaltiert,  das  aus  dem 
Wasser  herausragende  Stück  gegen  das  Schmelzen  des  Asphalts  an  der 
Sonne  durch  Binsenmatten  geschützt  (Abb.  28  u.  29).     - 

Die  Brücke  in  Mossul  ist  mit  Kähnen  eines  speziell  auf  dem  oberen 
Tigris  gebräuchlichen  Typs  gebaut,  der  sich  besonders  durch  den  hohen 
Vordersteven  auszeichnet.  Abb.  30  u.  31  gibt  eine  allgemeine  Vor- 
stellung davon.  Ähnliche,  1—8  m  lange  Kähne  sind  auch  zum  Fahren 
auf  kurzen  Strecken  in  Gebrauch  (Abb.  32).     Der  lange  Pfahl  [sei^ce] 


Mesopotamische  Studien.  1^.1 

auf  dem  Heck  [cötel)  dient  dazu,  um  einen  als  Steuer  dienenden  Riemen 
durch  eine  Öse  (sagla)  aufzunehmen. 

Wo  keine  Brücke  ist  und  die  Verhältnisse  es  gestatten,  gibt  es 
Fähren  [me^ebir),  die  am  übergespannten  Seil  entlang  geholt  werden. 
Es  sind  bald  grobe,  einfache  Holzkähne  mit  breiter  Einfahrt  für  Fahr- 
zeuge und  Tiere,  bald  (so  bei  Bakuba)  aus  Rohr  geflochten  und  asphal- 
tiert (Abb.  33).  

Von  den  Fahrzeugen,  die  durch  Wind  oder  Menschenkraft  getrieben 
werden,  kommen  wir  zu  einer  Gattung  von  Gefährten,  die  floßartig  mit 
dem  Strome  treiben,  und  bei  denen  die  Aufgabe  der  Besatzung  nur 
darin  besteht,  sie  durch  Steuern  oder  Rudern  in  der  Fahrrinne  zu  halten. 
Das  auf  dem  Euphrat  gebräuchhche  Fahrzeug  dieser  Art  ist  das  saktür 
{öahöür).  Es  besteht  aus  einem  7 — 10  m  langen,  21/am  breiten  und  i 
bis  11/2  m  hohen,  viereckigen  Holzkasten,  dessen  Boden  [farSe]  an  den 
Schmalseiten  abgerundet  ist  (Abb.  34).  An  den  Schmalseiten  entlang 
laufen  je  zwei  Versteifungsstangen  {mi'räs).  Die  auf  dem  Boden  neben- 
einander liegenden  geraden  Bodenspanten  heii3en  cawäbeS.  Die  Fugen 
sind  mit  Asphalt  verschmiert.  Dicht  an  der  Spitze  des  Schachturs  [ras] 
sitzen  die  beiden  Ruderer,  die  mit  langen  Rudern  {mig-däj)  (Abb.  35) 
das  Boot  in  der  Mitte  des  Stromes,  wohl  ab  und  zu  einmal  .mch  vor- 
wärts zu  bewegen  haben.  Am  entgegengesetzten  Ende  {cötel)  sitzt  der 
Steuermann  an  dem  aus  einfachen  Riemen  bestehenden  Steuer.  Beim 
Landen  kommt  die  vordere  Schmalseite  zuerst  an  Land.  Das  Boot 
treibt  naturgemäß  meist  quer  zur  Strömung.  Oft  werden  zwei  Schachturs 
mit  der  Längsseite  nebeneinander  zu  einem  Doppelschachtur  zu- 
sammengebunden. Ein  solches  Doppelschachtur  trägt  bis  zu  10  t 
Ladung.  Nach  der  Ankunft  am  Bestimmungsort  wird  das  Holz  ver- 
kauft. Nur  selten  sieht  man  Schachturs,  die  hintereinandergebunden 
den  Strom  hinauf  getreidelt  werden.  Die  Fahrzeit  zwischen  Aleppo 
und  Ridwänije  schwankt  zwischen   12  und  40  Tagen. 

Was  für  den  Euphrat  das  Schachtur  bedeutet,  bedeutet  für  den 
Tigris  jenes  merkwürdige  Ziegenschlauchfloß,  das  uns  schon  aus  Nini- 
veer  Skulpturen  bekannt  ist  und  sich  im  Laufe  der  Jahrtausende 
gewiß  nicht  wesentHch  verändert  hat:  das  Kelek  (Abb.  36). 

Daß  dies  praktische  und  angenehme  Fahrzeug  nicht  auf  dem 
Euphrat  verwendet  wird,  hat  angeblich  seinen  Grund  in  der  steinigen 
Beschaffenheit  des  Euphratbodens,  der  die  Schläuche  schnell  zerreißen 
würde.  Das  heute  zwischen  Diarbekir  und  Bagdad  auf  dem  Tigris 
gebräuchliche  Kelek  besteht  aus  folgenden  Teilen:  Auf  einer  Schicht 
von  100,  200,  250,  300  und  sogar  400  aufgeblasenen  und  mit  je  zwei 


142  H.  Ritter, 

I  m  langen  Stricken  {ug'ia,  ti^äjät  n^i^)  aus  Süßholzfasern  [süs) 
zugebundenen  Ziegenhäuten  {J-{q) eräb) ,  Wegen  (so  beim  250-schläuchigen 
Kelek)  fünf  6 — 10  cm  dicke  und  10  Ellen  lange  Stangen  aus  Kawakholz 
{cig,  ^ijäg).  Darauf  ruhen  quer  30  aus  je  zwei  Teilen  zusammengesetzte 
Rohrbündel  in  40  cm  Abstand  voneinander  [mwädid).  Die  Bündel  sind 
mit  Sbät  genannten  Weidenruten  zusammengebunden,  die  Knoten 
heißen  Sedäid.  Der  offene  Rand  dieser  Schicht  wird  durch  zwei  eben- 
falls aus  je  zwei  Teilen  der  Länge  nach  zusammengesetzte  weitere 
Bündel  [rUe)  abgeschlossen. 

Darüber  liegen  quer  7  15  cm  dicke  Stangen,  so  daß  je  eine 
Stange  im  Grundriß  zwischen  zwei  cigs  zu  liegen  kommt.  Sie 
heißen  kesid.  Quer  hierüber  liegen  wieder  8  aus  zwei  Stücken 
zusammengesetzte  Querstangen  [mahämil).  Darüber  liegen  eventuell 
wieder  quer  7  '-ardmii  genannte  und  darüber  8  sillam  genannte 
Stangen  (vgl.  Abb.  2>7)-  Sollen  Personen  befördert  werden,  so  wird 
auf  dies  Gestell  reichlich  Schilf  ausgebreitet  und  ein  oder  zwei  kleine 
Häuschen  (Holzgestell  mit  Mattenbezug  {'arJe)  daraufgestellt,  die  sich 
der  Reisende  je  nach  Wunsch  mehr  oder  weniger  behaglich  einrichten 
kann.  Sogar  ein  kleiner  Ausbau  mit  einem  primitiven  adahhäne 
pflegt  nicht  zu  fehlen  (vgl.  Abb.  38). 

Je  nach  der  Größe  des  Keleks  befinden  sich  darauf  2 — 6  Ruder 
{migdäj).  Deren  Blatt  besteht  aus  mit  Ziegenhaarfäden  nebeneinander- 
gebundenen, der  Länge  nach  gespaltenen  Schilfrohren  {sabbe,  sbäb). 
Die  Art  der  Bindung  zeigt  Abb.  39.  Die  kleinen  Klemmpflöcke  heißen- 
g-[q)me  g[q)ijan.  Als  Dolle  dient  ein  bis  zu  i  m  hoher  Stab,  secöe  genannt. 
Er  erhält  eine  halbbogenförmige  Stütze  aus  Weidengeflecht  [karäim) 
(Abb.  39).  Ein  aus  einem  gebogenen  Rohr  mit  einem  Stück  Schlauch 
hergestellter  Löffel  [rassäs)  (Abb.  40)  dient  dazu,  in  heißen  Tagen, 
die  oben  austrocknenden  Schläuche  zu  begießen.  Lockert  sich  unter- 
wegs der  Verschluß  eines  Schlauches,  so  wird  er  vermittelst  eines  Stücks 
Rohr  von  neuem  aufgeblasen  und  zugebunden. 

Wenn  nach  der  Ankunft  in  Bagdad  die  Last  von  den  Kurden 
abgeladen  worden  ist,  entfernt  man  die  Hölzer  und  nimmt  die  Schläuche 
heraus,  um  sie  alsbald  zu  »töten«  [mawwitl]  (Abb.  41),  d.  h.  ihnen  die 
Luft  abzulassen,  sie  zu  trocknen  und  mit  Salz  und  dbäy,  d.  h.  ge- 
stoßener Granatapfelschale,  einzureiben.  Sie  halten  sich  dann  1^2 
bis  2  Jahre.  Der  Kelekci  lädt  sie  dann  auf  Esel  und  kehrt  heim  nach 
Tekrit,  Mossul,  Altunköprü  oder  wo  er  sonst  zu  Hause  ist. 

Die  Kelekfahrt  kann  sehr  angenehm  sein.  Zur  richtigen  Jahreszeit, 
also  etwa  im  Februar,  März  oder  im  Oktober,  gibt  es  keine  bequemere 
Reise,  als  aufdem  geräumigen  Kelek  {gy^y  m)  den  Tigris  hinabzu- 


Mesopotamische  Studien.  I^^ 

gleiten,  das  sich  wie  elastischer  Gummi  über  alle  Unebenheiten  des 
Stromes  hinwegschmiegt.  Die  Ruderer  {tarräk,  eingeteilt  in  einen  ras 
tarräh  und  einen  dün)  brauchen  nur  das  Kelek  in  der  Strommitte 
zu  halten,  und  der  Reisende  hat  nichts  zu  tun  als  ihnen  zu-  und  die 
Landschaft,  die  ihm  das  sich  beständig  langsam  um  sich  selbst  dre- 
hende Fahrzeug  von  allen  Seiten  zeigt,  anzusehen.  Abends  legt 
man  an,  um  zu  übernachten.  Nur  in  mondhellen  Nächten  kann  man 
auch  nachts  weiterfahren.  Der  größte  Feind  der  Kelekcis  ist,  ebenso 
wie  der  ihrer  Kollegen  vom  Schachtur,  der  Wind,  zumal,  wenn 
die  hohe  *Ar§e  ihm  eine  breite  Angriffsfläche  bietet.  Er  treibt  das 
Kelek  unfehlbar  ans  Ufer,  wo  der  Reisende  oft  tagelang  auf  besseres 
Wetter  warten  muß.  Hat  man  Hochwasser,  keinen  Wind  und  Glück 
[taufiq],  so  kann  man  von  Dschezire  bis  Bagdad  in  20  Tagen  kommen, 
wenn  nicht,  so  in  40  oder  50  »so  Gott  will«.  Die  Fahrzeit  von  Mossul 
nach  Samarra  schwankt  zwischen  drei  und   10  Tagen. 

Der  Kelekci  besitzt  als  festes  Betriebsmaterial  nur  die  Schläuche. 
Der  Sack  kostet  ihm  yY^' — 10  Piaster.  Das  Holz  für  das  Balkennetz 
kostet  ihm  bei  einem  200-  bis  250-schläuchigen  Kelek  etwa  4  Pfund. 
In  Bagdad  verkauft  er  es  mit  Schaden  um  etwa  7  Medschidi.  Sein 
Gewinn  besteht  in  dem  Frachtgelde,  das  auf  der  Strecke  Altunköprü 
bis  Bagdad  etwa  15  Medschidi  auf  2  t  beträgt.  Ein  Kelek  mit  250 
Schläuchen  trägt  bis  zu  6  fyär  (12  t).  Zuweilen  werden  zwei  Keleks 
mit  den  kurzen  Seiten  zu  einem  fäg  zusammengebunden. 

Ein  ganz  primitives  Floß  {töf)  aus  roh  zusammengebundenen 
Hölzern,  auf  dem  ein  behelfsmäßiges  Segel  aufgespannt  werden  kann, 
zeigt  Abb.  42. 

Auf  dem  unteren  Tigris  sieht  man  auch  Flöße,  die  in  einfachster 
Weise  aus  zusammengebundenem  Schilf  hergestellt  werden.  Man  nennt 
sie  iäie.  Dieselbe  Bezeichnung  führt  übrigens  auch  der  aus  zwei  Stücken 
kerih  (das  korkartige  Holz  an  der  Ansatzstelle  des  Palmblattes)  zu- 
sammengesetzte Schwimmgürtel  der  Bagdader  Jugend. 

Zum  Übersetzen  einzelner  Personen  dient  endlich  ein  einfacher 
oder  doppelter  aufgeblasener  Ziegenschlauch,  der  den  ganzen  Ober- 
körper trägt.  Diese  Methode  ist  uns  schon  aus  dem  grauesten  Alter- 
tum durch  assyrische  Skulpturen  und  Xenophons  anschauliche  Schil- 
derung bekannt  (Abb.  43). 

Wieweit  jemals  moderne  Fahrzeuge  die  beiden  Ströme  erobern 
werden,  steht  dahin.  Vielleicht  ist  die  Zeit  nicht  mehr  fern,  daß  die 
alles  überschwemmende  abendländische  »Kultur«  auch  mit  diesen  ehr- 
würdigen Resten  der  Vorzeit  aufräumt. 

Mossul,   im  April   19 17. 


Die  Gottesliebe   in   der  islamischen  Theologie. 

Von 

Ignaz  Goldziher. 

1.  Die  Forderung  der  Gottesliebe  als  des  höchsten  Strebe- 
ziels religiösen  Lebens  wird  von  den  Theologen  des  Islams  ge- 
wöhnlich an  Koran  2,  i6o;  3,29;  5,59  entwickelt.  Der  angesehene 
^äfi'it  Ibn  Surejg  (st  306  h.)  determiniert,  mit  Berufung  auf  9,24, 
die  Erfüllung  dieser  Forderung  mit  dem  für  unerläßliche  religiöse 
Pflichten  gebräuchhchen  Terminus  far^^),  der  den  höchsten  Grad 
religiöser  Verpflichtung  bezeichnet. 

Damit  ist  freiüch  nicht  die  Formulierung  gemeint,  die  dieser 
Begriff  im  Süfismus  findet  und  die  sich  auch  in  der  süfischen  Übung 
betätigt.  Es  wird  dabei  sicherlich  nicht  an  eine  psychologisch-ethi- 
sche Beziehung  gedacht.  Vom  Standpunkt  des  Ibn  Surejg  aus 
kommt  die  Gottesliebe  als  obligate  gesetzliche  Leistung  in  Betracht, 
die  sich  durch  /«*«,  Gehorsam  gegen  das  göttliche  Gesetz,  bekundet. 

Vielmehr  ist  eben  in  zwei  Kreisen  der  Vertreter  islamischer 
Theologie  scharfer  Widerspruch  gegen  die  süfische  Fassung  der 
mahabbat  Allah,  zumal  gegen  ihre  Steigerung  zum  '■isk  hervor- 
getreten: erstlich  im  Kreise  der  formalistischen  fiikahä;  dann  in 
einer  Gruppe  der  einseitigen  Ä^/äw-Anhänger. 

2.  Die  Gesetzesleute  standen  in  schroffem  Gegensatz  gegen  die 
Tendenzen  und  Ideale  des  Süfismus.  Nach  allem,  was  wir  von 
ihrem  ablehnenden  Verhalten  gegen  letzteren  wissen-),  können  wir 
leicht  folgern,  daß  die  süfische  Art,  Gott  als  innigen  habib'i)  zu 
empfinden  und  als  solchem  die  Vereinigung  (ivisäl)  mit  ihm  anzu- 
streben, über  den  religiösen  Horizont  jener  Leute  geht  und  ihr 
Widerstreben  hervorrief.    Diese  Ablehnung  wird  von  Gazäli  wieder- 

')  JRAS  1912,  557. 

*)  Vorlesungen  über  den  Islam  174.  Man  vergleiche  nur  die  Hetze  der  ftikahä 
gegen  'Omar  b.  al-Färid  bei  Ibn  Ijäs,   Td'rTch  Misr  II    119 — 121. 

3)  In  der  türkischen  Süfik  ist  dostum  oder  järim  s.  v.  a.  Gott.  Vgl.  Jacob,  Vor- 
träge türk.  MeddaKs  78.  Anm.    M.  Hartmann  in  MSOS  V/II  149  (Hüwedä  Nr.  51,6,  7). 


Die  Gottesliebe  in  der  islamischen  Theologie,  j^  c 

holt  in  scharfer  Polemik  gegen  die»  Vertreter  derselben  bekämpft, 
gegen  »jene  '■Ulamä,  welche  die  Möglichkeit  der  Gottesliebe  be- 
streiten und  glauben,  daß  sie  keinen  anderen  Sinn  zulasse  als  das 
Ausharren  in  beständigem  Gehorsam  gegen  Gott,  während  eigent- 
liche Liebe  nur  zwischen  Wesen  gleicher  Art  möglich,  anderenfalls 
eine  absurde  Voraussetzung  sei«  ^).  »Die  Gottesliebe  wird  nur  von 
denen  abgelehnt,  die  in  ihrer  Beschränktheit  auf  der  Stufe  des  Viehes 
stehen  bleiben  und  die  bloße  Sinnenerkenntnis  nicht  überschreiten«  2), 
Indem  G.  selbst  alle  Liebe  in  der  Gottesliebe  als  ihrem  einzigen 
wahren  Ziel  und  Höhepunkt  aufgehen  läßt 3)  und  jede  andere  Rich- 
tung derselben  als  wesenlosen  Schein  auffaßt,  stellt  er  dieser  Über- 
zeugung als  Gegensatz  gegenüber  die  der  »Leute  von  schwacher 
Vernunft  und  schwachem  Herzen,  die  für  Wahrheit  halten,  daß  es 
absurd  sei,  die  Möglichkeit  von  Gottesliebe  vorauszusetzen«  4), 

Gazäli  denkt  hier  gewiß  an  den  Kreis  von  Vertretern  der  Or- 
thodoxie, die  er  gern  als  '■ulamä  al-rusTwi  5)  verhöhnt,  eine  Bezeich- 
nung, die  er  für  an  den  Formen  haftende  Scheingelehrte 6)  zu  ge- 
brauchen pflegt,  vielleicht  auch  zuerst  geprägt  hat.  Gegen  sie  ist 
auch  das  Urteil  des  Sihäb  al-din  al-Suhrawardi  gerichtet.  In 
seiner  Abhandlung  über  den  süfischen  Begriff  der  Gottesliebe  unter- 
scheidet er  zwischen  allgemeiner,  d.  h.  etwa  vulgärer  {al-niahabba 
al-'-ämmd)  und  besonderer  Liebe  [al-ni.  al-chässa).  Erstere  bekunde 
sich  in  der  Befolgung  der  (göttlichen)  Befehle  und  Verbote  (also  in 

I)  Ihjä  (Büläk   1289)  IV  281,  13. 
0  ibid.   284,  3. 

3)  ZDMG.  LXIX  195,  34. 

4)  Ihjä  IV  288,  6. 

5)  S.  die  Streitschrift  gegen  die  Bätinijja-Sekte  104.    Sie  werden  von  Gazäli  auch 

mit  der  Partizipform  als  mutarassimüna  bezeichnet;    z.  B.  Ihjä  I  49,  18:     15JJI     l*Jl 

^^^^"^    (*^^^    O''    "^^   ^jr^^^\     ^^  99,7  v.u.    iUXjs^Jt^   ♦JLxJI    ^\    J.s!    L/15 

6)  rasm  Gegensatz  zu  hakJka,  Ihjä  I,  126,  13:  ..^jiAil  ^^A  (^,c\.it  "^J^ 
iJJSL^SLS^  U*;;'-^^^  i"*^'  *.**v^;    n  238,  5  V.  u.:  _-^^l)  «^lifiJI  \ö^  ^A  (j*;JsJ^  «As  31 

vgl.  AgänT  XX   105,  5   in    einer  Chärigiten-chutba :     i-Asb     *X-ö    q-juNJ!     *-w.     ^i>j|^ 


l  ^5  I  g  n  a  z  G  o  1  d  /.  i  li  e  r , 

der  bloßen  /ä^i),  letztere  in  den  süfischen  Bestrebungen.    »Ein  Kreis ' 
der  weltlichen  '■iilaniä  (LJjJ!   iuic  ^  KaJLl-»)  mißbilligt    das     auf 
die  besondere  Liebe  gerichtete  Streben  der  jenseitigen  Zielen 

'zugewandten    '^ulaniä  ^»^^i|  i^UJLc)  ^)- 

Wie  dieser  äußerste  Flügel  der  starren  Buchstabenorthodoxie 
dem  Begriff  der  Gottesliebe  gegenübersteht,  wird  uns  vom  Han- 
baliten  Ibn  Kajjim  al-6auzijja  in  seinem  Werk  über  das  Prä- 
destinationsdogma in  Form  kontradiktorischer  Verhandlung  der  Ver- 
treter verschiedener  Anschauungen  über  diesen  dogmatischen  Frage- 
punkt vorgeführt  2).  Dabei  werden  auch  andere  Unterscheidungs- 
fragen der  islamischen  Glaubenslehre  berührt.  Dem  Anhänger  des 
unbeugsamen  Determinismus  [gabrt)  wird  im  Laufe  dieses  Meinungs- 
austausches die  Behauptung  vorgeworfen,  »daß  Gott  weder  liebe  noch 
gehebt  werden  könne,  und  daß  die  Herzen  ihre  Frömmigkeit  nicht 
betätigen  durch  Liebe,  Sehnsucht  und  Suchen  (Gottes)  und  das  Stre- 

ben  nach   seinem  Angesicht«  \^y\js)j\  ^.^iJo  ^li  v-,*~:>^o  ^^   v'-^  ^   *J5 

Dies  wäre  der  Standpunkt  der  extremen  Orthodoxie. 

3.  Die  Festlegung  der  z^wä'- Orthodoxie  ist  auf  den  meisten  Ge- 
bieten das  Ergebnis  von  Kompromissen  zwischen  den  lange  Zeit  in 
erbittertem  Kampfe  stehenden  Theologenparteien.  So  wie  der  Streit 
der  akl  al-hadlt  gegen  die  ahl  al-rd^j  seine  Vermittlung  im  System 
des  Säfi'i  gefunden  hat;  wie  der  Kampf  der  Orthodoxie  gegen  die 
MuHazila  durch  die  sieghafte,  im  igmä'-  durchgedrungene  Vermitt- 
lung des  As'arl  beigelegt  wurde:  so  ist  auch  in  der  Frage  der 
Gottesliebe  eine  vereinigende  Brücke  nach  dem  Süfismus  hin  ge- 
schlagen worden.  Diese  Ausgleichung  geschieht  unter  der  Formel 
der  Vereinigung  der  hakika  und  der  sarVa,  die  sich  bereits  in  früher 
Zeit  von  beiden  Seiten  aus  vorbereitet  4),  um  vom  6.  Jahrhundert  an 
vorzüglich  unter  dem  Einfluß  der  Gedanken  des  Gazäli  eine  vor- 
herrschende  Stellung  zu  erringen. 

Man  könnte  für  diese  Tatsache  kein  bezeichnenderes  Beispiel 
anführen  als  das  des  soeben  genannten    Sams   al-dln   ibn   Kajjim 


')  '■Awärif  al-tna'-ärtf.    Kap.   III   (a/R.  d.  Ihjä  I    126,  13). 

*)  Sifä  al-'altl  ft  masä'il  al-kad)-  7val-hikma -wal-ta'-lil  eä.t:i2i^a.sä.r\.i  (Kairo,  matb. 
Husejnijja  1323).  Eine  Inhaltsangabe  des  seinerzeit  noch  ungedruckten  Werkes 
gibt  A.  DE  Vlieger,  Kiiäb  al-Qaar  (Lausanner  Dissertation,  Leiden   1903)   118  ff. 

3)  Ibn  ^ajjim  al-öauzijja  1.  c.  139. 

4)  Man  sehe  das  bezeichnende  Beispiel  des  Abu  'All  al-Takafi  (st.  328),  der  den 
Süfismus  in  Nisäbür  einführte,  bei  Subki,    Tab.  Sä/.  11  172—174. 


Die  Gottesliebe  in  der  islamischen  Theologie.  I  47 

al.-6auzijja.  Trotzdem  er  einer  der  Träger  der  durch  seinen  Lehrer 
Taki  al-dln  ibn  Tejmijja')  angebahnten  hanbaHtischen  Renais- 
sance im  VII. — VIII.  Jahrhundert  d.  H.  ist,  sehen  wir  ihn,  wie  dies  in 
seiner  Vita  in  den  Tabakät  al-Hanäbila  seines  Schülers  Ibn  Regeb 
reiehhch  bezeugt  ist-),  süfischer  Forschung  und  Übung  ergeben.  Er 
beruft  sich  auf  a^immat  al-tasatvivufi)  und  ist  selbst  Verfasser  süfi- 
scher Werke  4) .  Es  kann  uns  demnach  nicht  überraschen,  daß  dieser 
Hanbalit  in  der  Darstellung  des  Begriffs  der  Gottesliebe  den  Ge- 
dankengang der  Süfis  beschreitet.  Dem  ablehnenden  Standpunkt 
des  gabrt  stellt  er  das  Bekenntnis  des  sunni  als  das  des  richtigen 
traditionsgetreuen  Muslims  entgegen.  Danach  komme  das  Einheits- 
bekenntnis im  Zusammenwirken  zweier  Faktoren  zum  Ausdruck:  im 
Bekenntnis  der  .Gottesmacht  {al-Uähijjd)s)  und  in  der  Unterwürfig- 
keit des  Menschen  unter  dieselbe  {cd-'-ubiidijjd)  6).  Ersteres  würde 
aufgehoben  werden  durch  die  Ablehnung  davon,  daß  Gott  Gegen- 
stand der  Liebe,  daß  diese  sowie  das  Streben  nach  der  Begegnung 
mit  Gott  die  Sehnsucht  der  Herzen  sei.  Andererseits  würde  auch 
letztere  (Unterwürfigkeit)   aufgehoben    durch    die   Ablehnung   davon, 


1)  Dieser  selbst  spricht  mit  Sympathie  von  den  süfijjat  ahl al-'-ilm  (wieÖunejd, 
Ma'rüf  al-Karchi,  Sulejmän  al-Däräni  und  viele  andere,  die  er  mit  Namen 
nennt);  seine  Gegnerschaft  bezieht  er  nur  auf  die  süfijjat  al-malähida,  wie  Ibn  al- 
'Arabi  und  seinesgleichen.  {Magmü'-at  al-rasä'il  al-kubrä\K^a.iTO  1323]  I  273;  II  95  ff.; 
al-Furkän  bejna  aulijä  al-Rahniän  wa-aulijä  al-Sejtän  [Kairo  o.  J.]  56.)  Ibid.  96  über 
höhlenbewohnende  Asketen  (vgl.  zu  Islam  VIII  204)  und  rigäl  al-gajb,  wo  die  topo- 
graphischen Angaben  über  solche  Höhlen  in  Syrien    und  Persien    bemerkenswert    sind. 

2)  Vorgedruckt  der  Kairoer  Ausgabe  des  riäm  al-muwakka^Tn  (nicht  al-niu- 
waffakin,  wie  Brockelmann  \\  106  Nr.  6  und  in  meinem  Artikel  Ahmed  b.  Han- 
bai in  der  Enzyklop.  d.  Islam  I  200  b  5,  wo  auch  das  unrichtige  AHäfn  zu  ver- 
bessern ist)  '■an  rahb  al-'älatmn.  Dasselbe  ist  parallel  mit  desselben  Verfassers  escha- 
tologischemi  Buch  HädJ  al-arwäh  ilä  biläd  al-a/räh,  durch  Faragalläh  Zeki  al-Kurdi 
1329  (Kairo)  in  3  Bänden,  4°,  herausgegeben.     Von    seinem  Verhältnis    zum    Süfismus 

sagt  Ibn  Regeb  (5  ult.):      lX-o-I^JI^     (3^'^^'     O"*     C"t^    V^^r^    >^     i}^*'^^*^ 

3)  HädJ  al-arwäh  II   136. 

4)  Ibn  Regeb  zählt  deren  mehrere  auf;  der  bei  Brockelmann  1.  c.  Nr.  30  re- 
gistrierte Kommentar  zu  den  il/ß««3// a/-jä'/rr»  hat  den  vollen  Titel :    ^xXJlas.^J)    ^  JiJ^a 

5)  Sonst  gewöhnlich:  al-rubübijja. 

6)  Süfische  termini;  vgl.  Vorlesimge?i  über  den  Islam  173,  R.  Hartmann,  AI- 
Kuschairis  Darstellung  des  Süfituins,  Index  s.  vv.  Der  Verf.  benutzt  diese  termini 
häufig,  z.  B.  noch    Pläm  al-f/i.  II  240,  III  68,  7. 


jjg  IgnazGoldzihcr, 

daß  der  Mensch  selbsttätig,  dienend  und  (Gott)  liebend  sei  und  durch 
die  Annahme,  daß  alle  (auf  die  Gottesliebe)  bezüglichen  Ausdrücke 
des  Korans  in  uneigentlichem  Sinne  zu  verstehen  seien.  »So  ginge 
denn  das  Einheitsbekenntnis  verloren  zwischen  dem  (Glauben  an) 
gabr  und  der  Ablehnung  der  GottesHebe,  ganz  abgesehen  davon, 
daß  die  Attribute,  die  der  (Gabrit)  ihm  beilegt,  den  Herzen  be- 
fremdlich sind  und  eine  Scheidewand  bilden  zwischen  diesen  und 
der  Liebe  zu  Gott  (er  meint  die  Auffassung  Gottes  als  despotisch 
willkürliches  Wesen«  ^). 

Es  wäre  im  Interesse  einer  gründlichen  Belehrung  über  den 
Geist  des  hanbalitischen  Systems  wünschenswert,  die  theologische 
Richtung  dieses  Vorkämpfers  der  Schule  in  ihrem  vollen  Zusammen- 
hange darzustellen.  Derselbe  hat  im  fikh  seinen  hanbahtischen  Sunna- 
eifer  mit  überraschend  freisinnigen  Grundsätzen  zu  verbinden  ge- 
wußt, die  für  ein  besonderes  Kapitel  der  Gesetzeskunde  der  moderne 
ägyptische  Jurist  Mahmud  Fathi  behandelt  hat 2). 

Man  wird  bei  eingehender  Prüfung  der  Gesichtspunkte  dieses 
hanbahtischen  Theologen  seine  Beeinflussung  durch  Ideen  des  Ga- 
zäli  nicht  übersehen  3),  auf  den  er  sich,  trotz  der  Geringschätzung, 
mit  der  ihn  die  Hanbaliten  und  besonders  sein  Lehrer  Ibn  Tejmijja 
behandeln  4),  bei  gegebener  Gelegenheit  in  ganz  sympathischer  Weise 


J)  Stfä  al-'-atll  139. 

>)  La  doctrine  musulmane  de  l'abus  des  droits  (^Lyon-Paris  1913  =  Travaux  du 
Seminatre  Oriental  d'Efudes  jtiridiques  et  sociales  publies  sous  la  direction  de  Edouard 
Lambert,  fasc.  i)  J05— 216.  Der  Verf.  benutzt  vom  riäm  die  Ausgabe  Dihli  1314 
in  j  Bänden. 

3)  Da  diese  Frage  vom  Gegenstand  gegenwärtiger  Studie  weit  abliegt,  beschränken 
wir  uns  beispielshalber  auf  die  Erwähnung  zweier  Einzelheiten.  In  seiner  Abhandlung 
über  die  berechtigten  Typen  der  Analogieschlüsse  im  ßkh  {I'-läm  al-muwa^ka'-m  I 
158  ff.)  befolgt  Ibn  K.  al-G.  die  im  Kistäs  durchgeführte  Methode  des  Gazäli,  nur 
solche  zuzulassen,  deren  Vorbilder  aus  dem  Koran  nachweisbar  sind:  j^  ^\-^:>UajL5 
iJjS  lUb  ^i^t  15'-^'  iM^Tt^'*-^^-  ~"  ^^^  ^"  verschiedenen  Variationen  von  ihm  oft 
wiederholte  und  angewandte  Grundsatz      >_,a..w.^^     LpXCr>)_»|     ^^^LÄÄJ)    j>:-t^i    ^5 

jJl^l^    oLJIj    ^\y:>-^\^     ^JX/l^il^     iwoj^l     JjCi    (z.  B.    Pläfn    III  27)    erinnert 
an  den  des  Gazäli  {IJij'ä  IV  279,  6  v.u.)    ^\y>^\    O^Ui>b    odXjJ^J    liUö    ^^^) 

OlL-Ü^  ijoL.:^U;^U.    Wir  bemerken,  daß  dem  Hanbaliten  des  XIII.  Jhd.'s  Chr.  die  in 
der    Gesetzesauffassung    des    modernen    Islams    zur    Geltung    gelangenden    Grundsätze 
{Die   Welt  des  Islams  V  135)  bereits  ganz  geläufig  sind. 
4)  Vgl.   ZA,  XXII  321. 


Die  Gottesliebe  in  der  islamischen  Theologie.  j^q 

als  Gewährsmann  beruft  0-  Er  rühmt  ja  auch  den  fakih  alnafs^) 
und  spricht  im  Gegensatz  gegen  das  im  Buchstabenkultus  erstarrte 
Gesetz  (al-gämid)  vom  »lebendigen  fikh,  das  ohne  besondere 
Bitte  um  Einlaß  Eingang  in  die  Herzen  findet«  3).  Der  Begriff  der 
über  die  Oberfläche  des  Gesetzes  hinaus  zu  erfassenden  asrär  al- 
sar'')  ist  ihm  ebenso  geläufig  wie  dem  Gazäli;  freilich  nicht  in 
der  Bedeutung,  die  die  Mystik  dem  »innern  Sinn«  des  Gesetzes  gibt, 
aber  jedenfalls  als  die  tiefere  Absicht,  die  dem  Gesetz  innewohnt' 
»dessen  Verständnis  nur  Leute  mit  weiter  Vernunftbegabung  er- 
tragen, die  in  das  Innere  des  Gesetzes  und  seiner  Absichten  blicken 
können;  hingegen  mag  er  sich  nicht  einlassen  mit  Leuten,  deren 
Vernunft  nicht  mehr  Fassungsraum  hat  als  für  das  Nachbeten  nach 
Menschen  [iaklld],  zu  deren  Gefolge  sie  durch  Zufall  gehören,  und 
wegen  deren  Meinungen  sie  die  Lehren  aller  übrigen  Vertreter  des 
Wissens  verschmähen«  5). 

Durch  diese  Überschreitung  der  Grenzen  gegenwärtiger  Studie 
sollte  nur  darauf  vorbereitet  werden,  daß  Ibn  Kajjim  al-Cauzijja 
auch  hinsichtlich  der  Gottesliebe  durch  Gazäli  beeinflußt  ist.  Be- 
reits der  Argumentation,  die  sein  sunni  gegenüber  dem  gabri  ent- 
wickelt, konnten  wir  anmerken,  daß  er  ersteren  die  bloße  /«VForde- 
rung  überschreiten  und  ihn  der  §üfischen  Bestrebung  annähern  läßt. 
Viel  eingehender  spricht  er  sich  darüber  aus  in  einer  seinem  Buch 
über  die  Liebe  ^^)  einverleibten  Digression,  in  der  jeder,  der  die  Dar- 
stellung des  Gazäli  im  6.  Buche  der  vierten  Abteilung  des  Ihjä 
kennt,  dessen  Ideengang  und  Terminologie  wiederfinden  wird. 

Wenn    er   auch   von   der  Auffassung  ausgeht,   daß    Gottesliebe 
sich  zunächst  im  Gehorsam  gegen  Gott  kundgibt?),  begnügt  er  sich 

I)  riäm  al-muwaUa'tn  III  466  Exzerpte  aus  einer  Gazäli -Schrift  zur  Be- 
kräftigung seiner  Gesinnung  über  ta'wJl  und  kaläm. 

»)  ibid.  III  63,8  ^i  U  4^ÄJ  XxääJI  ^<^3  oj^l  L«  ^_^äj  ^ftJI  i,j^5. 
Vgl.  die  Streitschrift  des  G.  gegen  die  Bätinijja-Sekte   104  f. 

3)  rimn  III  70,  7:    ^jlj^^l  ^^,    ^UJt    J.:^  Js.i>J.j  ^jJi  J^Jl  xääJ!. 

4)  ibid.  II  170;  240;  III  51,  2  u.  ö.  Auch  von  Ibn  Tejraijja,  der  das  taklid 
ebenso  verschmäht,  zitiert  er  II   149  einen  von  asrär  al-sar'-  handelnden  Passus. 

5)  ibid.  III  374:    •i.s^SylS  ^j.ÄxJ!  •%  L.^Ux-^j  bi  ^JLi^l^    ^.^^(^J!    bA^3 

».x^  ^ibCJI  (j^Ji   ^J^äJ  ^i*Jt  J^Pl  ^A*>  ^j'S^  »lXJLöj  ^J  fJj.ä-S\   ^^  lX^Uj  j>Jü. 

6)  al-Gawäb  al-käft  liman  sa'>ala  '■an  al-daivä  al-säft  (Kairo,  matb.  al-takaddum 
o.  J.).     Vgl.  ZDMG.  LXIX   196. 

7)  Vgl.  Ihjä  IV  30,    13   V.  u.,   524  M. 


ICQ  Ignaz  Goldziher, 

mit  dieser  äußerlichen  Forderung  nicht,  stattet  vielmehr  den  Begriff 
der  Gottesliebe  mit  innerlichen  Momenten  aus.  Er  definiert  sie  (in 
Übereinstimmung  mit  Gazäll)^)  als. Sehnsucht  nach  der  Begegnung 
mit  Gott  {likä  Älläh)  -).  Die  in  solchem  Streben  sich  bekundende 
Seelenstimmung  nennt  er  »das  Leben  der  Herzen  und  die  Nahrung 
des  Geistes ;  außer  ihr  habe  das  Herz  keinen  Genuß,  kein  Wohl- 
gefühl, keine  Seligkeit  und  kein  Leben.  Ist  sie  vom  Herzen  ab- 
wesend, so  ist  sein  Schmerz  größer  als  der  des  Auges,  dem  das 
Licht  fehlt,  als  der  des  Ohres,  dem  die  Gehörkraft,  als  der  der  Nase, 
der  der  Geruchssinn,  und  der  der  Zunge,  wenn  ihr  die  Sprachfähig- 
keit mangelt.  Der  Schade  des  Herzens,  das  leer  ist  von  der  Liebe 
seines  Hervorbringers  und  Schöpfers,  ist  größer  als  der  des  Körpers, 
der  vom  Geist  verlassen  ist.  Dies  kann  nur  der  begreifen,  der  wirk- 
liches Leben  besitzt;  der  Tote  fühlt  den  Schmerz  der  Verwesung 
nicht«  3).  Er  stellt  —  dm  als  Gehorsam  und  Unterwürfigkeit  deu- 
tend —  einen  Unterschied  fest  zwischen  dem  äußerlichen  [al-dm  al- 
zähir)  und  dem  innerlichen  dm  [al-d.  al-bäti7i).  »Bei  letzterem  sei, 
gleichwie  bei  der  gottesdienstlichen  Leistung,  Unterwürfigkeit  und 
Liebe  unerläßlich,  während  jenes  nicht  notwendig  von  Liebe  be- 
gleitet ist,  wenn  sich  auch  dabei  Gehorsam  und  Demut  kundzugeben 
scheint«  4).  In  fortgesetzter  Darstellung  des  ö^f;/-Begrififes  kommt  er 
noch  zu  einer  anderen  Differenzierung  desselben.  Es  gebe  einerseits 
dtn  sar^i  wa-amrt,  Gehorsam,  der  sich  lediglich  in  Unterwürfigkeit 
unter  Gesetz  und  Befehl  kundgibt,  andererseits  dm  hisäbi  gazfft, 
wobei  man  die  dereinstige  Rechenschaft  und  Vergeltung  vor  Augen 
hat.     Schließlich    gelangt   er   zum   Resultat,    daß   die  Wurzel    beider 

Arten  der  ReUgionsübung  die  Liebe  sein  müsse:    J.i'    ^^\   Kx^^^it^, 


Indem  Ibn  K.  al-G.  im  letzten  Resultat  auf  den  ideellen  Stand- 
punkt des  Gazäli  hinauskommt,  kann  er  wieder  als  getreuer  An- 
hänger des  Ibn  Tejmijja  sich  nicht  versagen,  die  exzessive  Art  der 


')  Gawah   141. 

*)  Freilich  faßt  er  im  Hädi  al-arwäh  II  151   diese  Begegnung  in  sinnlicher  Weise 

als    wwaxJ)    ä.äjLxxi    auf;    damit  hat  sich  übrigens  auch    Gazäli   abgefunden. 

J)  Gawäb   168. 

4)  ibid.   148,   ro  äjLjiJlJ'  .«^^1^  c.y:a^\  ^a  ü^i  t\J  ^    q-^^J!    ^uXJI^ 
333    oLaäjI    ».jp    i^.jLi'  j^.,!^    w^-.i^Ji    (»jJ^-^.J    ^  *-J^5  j9'llh}\    ^jjJ!    O^Ü^ü    p!_j-w 


Die  Gottesliebe  in  der  islamischen  Theologie.  I  q  I 

äußeren  Bekundung  der  Gottesliebe,  wie  sie  sich  im  Süfi-Wesen  dar- 
stellt, in  andeutender  Weise  zu  mißbilligen.  In  seiner  sprunghaften 
Art,  das  Thema  der  Gottesliebe  mit  seiner  Auseinandersetzung  über 
sinnliche  Liebe  (dem  eigentlichen  Vorwurf  des  Gatväb  al-käfi)  zu 
verflechten,  stellt  er  einmal  einen  Unterschied  fest  zwischen  löblicher 
[mahabba  inahinüda),  für  das  diesseitige  und  das  zukünftige  Leben 
heilsamer  und  zwischen  tadelnswerter  Liebe  [in.  madinümä),  die  vom 
Menschen  durch  Unwissenheit  und  gegen  sich  selbst  geübte  Ungerechtig- 
keit verursacht  wird.  Dieselbe  sei  zusammengesetzt  aus  falschen  Glau- 
bensvorstellungen und  verwerflicher  Leidenschaft  {{^jS>^  iAa^Ls  oLäXtl 
»yojo«).  »Es  vereinigen  sich  dabei  verworrene,  Wahrheit  und  Irrtum 
vermengende  Vorstellungen;  unwahre  Begriffe  hinsichtlich  des  Gegen- 
standes der  Liebe  und  der  Sehnsucht  nach  Vereinigung  mit  ihm 
werden  vorgespiegelt  und  überwältigen  das  Heer  der  Vernunft  und 
des  rechten  Glaubens.«  Während  die  Kundgebungen  der  löbhchen 
Liebe,  Weinen,  Traurigkeit,  Freude,  Beklemmung  und  Erleichterung 
die  Seligkeit  fördern,  deren  Wahrzeichen  sie  sind  {^imwän  al-sa'-ädd), 
sind  die  begleitenden  Erscheinungen  der  verwerfHchen  Liebe  Zeichen 
der  Verdammnis  {hrnwän  al-sakäwä).  »Über  diesen  Unterschied  sollte 
der  aus  Liebe  sich  dem  Tode  Weihende  [katil  al-mahabba)  in  rich- 
tiger Weise  nachdenken,  damit .  er  erkenne,  was  ihm  heilsam  und 
was  ihm  schädlich  ist«  ^). 

Diese  Klausel  läßt  keinen  Zweifel  daran,  daß  die  ihr  voraus- 
gehende Darstellung  eine  Kritik  der  ausschweifenden  Süfi-Praxis-) 
beabsichtigt  und  gegen  schwärmerische  Erscheinungen  gerichtet  ist, 
deren  Schilderung  in  den  Erzählungen  über  süfische  Gottesliebe  in 
großer  Anzahl  wiederkehrt.  Auch  gegen  Leute,  die  mit  der  Askese 
heuchlerischen  Mißbrauch  treiben,  hat  er  strenge  Worte.  Er  stellt 
sie   Dieben   gleich 3).      Auch    Gazäli    hatte    manch    strenges   Urteil 

über  falsche  Süfis   ^iCsy^Xx)   ausgesprochen  i). 

4.  Ein  anderer  Kreis,  in  dem  die  Ablehnung  des  Begriffes  der 
Gottesliebe  vorherrscht,  ist  der  der  rationalistischen  mutakalltmün i). 


I)  Gawäb  145. 

*)  Gegen  Süfi-Unfug  Ibn  Tejmijja,  al-Furkän  usw.  98  ff. 

I)  Pläin  al-muwakka^in  III   251,    15      .-jjof    .-y/i    ...^..^läj    L^J      •l-.w.J)    f~^^^ 

4)  Z.  B.  //tja  II  218,6  V.  u.;   229  ff.;  239,  14;   279,  15. 

5)  Man  beachte  die  geringschätzende  Art,    in   der   Gähiz    von    den  Süfis  spricht, 
Ijlaja-wän   I    103,  6  v.  u. 


j-2  IgnazGoldziher, 

Es  kann  dabei  freilich,  so  wie  auch  hinsichtlich  des  Verhältnisses 
der  fu^ahä  zu  der  süfischen  Religionsauffassung,  nicht  generalisiert 
werden.  Nicht  als  ob  die  Vertreter  des  kaläm  der  Zulassung  des 
süfischen  Begriffs  der  mahabba  grundsätzlich  widerstrebten.  Die 
innere  Geschichte  des  Islams  kann  ja  genug  der  Beispiele  für  die 
freundliche  Vereinigung  von  kaläm  und  tasawwiif  aufweisen.  Ein 
frühes  Beispiel  bietet  der  Süfi  Muhammed  b.  Chaflfal-Slräzl 
(st.  371),  zu  dessen  Hörerkreis  al-Bäkilläni  gehörte;  er  selbst  be- 
kennt sich  als  begeisterten  Verehrer  des  As'ari,  dessen  Belehrung 
persönhch  zu  genießen  er  eine  Reise  nach  Basra  unternimmt,  die 
er,  sowie  seine  Begegnung  mit  As'ar!  in  überschwängUcher  Weise 
schildert^).  Es  genüge  nur  noch  auf  Abu-1-Käsim  al-Kusejri 
(st.  465)  hinzuweisen,  diesen  Vorkämpfer  des  Süfitums,  der  zugleich 
unter  die  mutakallhnün  zählt-)  und  wegen  seines  Bekenntnisses  zur 
as'aritischen  Lehre  von  selten  der  Fanatiker  Verfolgung  zu  erleiden 
hatte  3).  Jedoch  ist  nicht  zu  übersehen,  daß  auch  er  den  Begriff  der 
maJiabba  gegenüber  süfischen  Übertreibungen  mäßigte  4). 

Im  allgemeinen  kann  soviel  angenommen  werden,  daß  im  Durch- 
schnitt der  Kalämleute  sich  wenig  Sinn  für  die  innerlichen  Trieb- 
federn des  rehgiösen  Lebens  bekundet.  Wenn  ihnen  die  Philosophen 
als  oberflächlichen  Dialektikern  Unwissenheit  in  der  Anwendung  der 
Denkgesetze,  Mangelhaftigkeit  ihrer  Vorbereitung  zur  Behandlung 
der  philosophischen  Probleme,  dilettantenhafte  Art  in  den  Fragen 
der  Metaphysik  mitzureden  vorwerfen  5),  so  werden  sie  von  den 
Mystikern  zumeist  als  Leute  charakterisiert,  die  »das  wahre  Wesen 
und  die  Wirkungen  der  Seele  verkennen«^).    Muhji  al-din  ibn  al- 


1)  Subki,   Tab.  Säf.  II  151;  die  Beschreibung  des  Zusammentreffens  mit  As'ari 

ibid.   155—159- 

2)  R.  Hartmann,  Al-Kuschairt s  Darstellung  des  Süfitums  102.   170. 

3)  ZDMG.  LXII  9,  19. 

4)  R.  Hartmann  a.  a.  O.  62  ff. 

5)  S.  einige  Äußerungen  der  Philosophen  im  Buch  vom  Wesen  der  Seele  13-^15; 
vgl.  Die  Ktiltur  der  Gegenwart,  T.  I,  Abt.  V  (2.  Aufl.)  307. 

6)  Ichwän  al-safä  (ed.  Bombay)  IV    154,  7    q»)_;J^-o    ^-X.:^i!    ^9\  q.^  Uj.ä  ^ 
,  v.^>Lii    ^\.     Abu  Bekr  al-asamm  leugnet  die  Existenz  der  Seele,  weil  eine  solche 

sinnlich  nicht  wahrnehmbar  ist:     ..Lw^i'    qJ     ^^L*.>Oi     \Xj^c-    S^    ^^    ^^  ^  uXS 

^\j.^^  OJ^U    'o9    ^!    0.cl    ^    J-i^    iJu.>    j«^ii    }^\    (^"^^  IbnHazm, 

MilalW  74,  5.    Vgl.  P.  RousELOT,    Four  Diistoire  du  probleme  de  l'amour  au  Mayen 
Age  {Beitr.  s.  Gesck.  d.  Ihilos.  d.  Mittelalters  VI  Heft  6,  Münster  1908)  34. 


Die  Gottesliebe  in  der  islamischen  Theologie.  I  53 

*ArabI,  der  wohl  auf  manche  Kalämthese  eingeht i),  verspottet  sie 
als  dialektische  Schwätzer,  die  ihr  Denken  auf  die  formale  Behand- 
lung von  Ausdrücken  richten,  die  von  den  Altvordern  herrühren,  und 
die  kein  Verständnis  bekunden  für  den  tieferen  Sinn,  den  die  My- 
stiker aus  denselben  herleiten.  Von  den  zeitgenössischen  Kaläm- 
leuten  sagt  er,  daß  ihnen  kein  Vernünftiger  irgend  Wert  beimißt. 
Sie  machen  sich  lustig  über  die  (er  meint  natürhch  die  im  Sinne 
der  Mystik  erfaßte)  Religion,  verhöhnen  die  Diener  Gottes  und  an- 
erkennen nur  Leute  ihres  Schlages.  Auch  weltlicher  Zwecke  und 
Ambition  beschuldigt  er  sie.  Jedoch  Gott  habe  sie  erniedrigt,  so 
wie  sie  die  Wissenschaft  verwerfen;  er  habe  sie  gedrängt  an  die 
Höfe  der  Könige  und  unwissender  Machthaber,  von  denen  sie  wieder 
alle  Art  von  Demütigung  sich  gefallen  lassen.  Selbst  die  fiikahä 
stellt  er,  trotz  ihrer  mangelhaften  Frömmigkeit,  höher  als  die  Kaläm- 
anhänger^). 

In  der  Tat  sind  in  ihren  Kreisen  die  Leute  zu  finden,  die  kein 
Verständnis  bekunden  für  die  süfische  Weltanschauung  und  ins- 
besondere auch  für  den  süfischen  Begriff  der  Gottesliebe.  Gazäli 
kennzeichnet  ihren  Standpunkt  in  dieser  Frage:  »Einige  mutakallimün 
verneinen  (mit  Bezug  auf  Gott)  die  Vertrautheit  {al-wis),  die  Sehn- 
sucht (al-sauk)  und  die  Liebe  {al-hubb).  Sie  meinen,  daß  die  Zu- 
lassung dieser  Begriffe  auf  Verähnlichung  (Gottes  mit  den  Menschen, 
tasbtJi)  deuten  würde.  Sie  wissen  nicht,  daß  die  Schönheit  der  durch 
den  inneren  Sina  {al-basä'ir)  erfaßten  Dinge  vollkommener  ist  als  die 

I)  z.  B.    auf    die    mu'tazilitische    Anschauung    vom    Begriff   des  /lasan   und  kalnh 

{Futühät  mckkijje  [Kairo  1329]  I  299  unten;  über  hudüt  al-ta^alluk  ibid.  IV  6,  10 
u.  a.  m.). 

i)  Futühät  I   325,  9  ff.:      qJlXÜ     v3t>':FJL      j.^<JU      KäIäUI      "-jL^VoI  ,jLs 

^  ^j^W  LicXic  ^,S.l\  pV  ^^'   ^^^   ^'^=^J^   ^^^^'    ^*^    '^^"^^   ^"^^ 

^Js>,  ^\  \yh\  Ur  xJÜI  ^"ioLs  iLw'JJf^  »L^t  ^JLi>3  L^JJI  Z<^ 
B^_^!^  4^UJi   ^Lls   ^L^!   ^^  öV^-5  4^^^'  ^^y^W^  r^^^^b  r^j^-5 

^.vM.5>t  *.s*3   JjCj   ä.c^3    K.JL3   y>    xli5    ^jö   ^5   ^:^Sa.})\    iiw^äJls ^t 

;?»JI  i-"^^  ^-yA  ^L>-.  Ein  ähnlicher  Angriff  auch  gegen  die /"«-^«zA«  ibid.  I  278 — 281, 
worauf  ich  anderswo  zurückkomme. 

Islam    IX.  II 


154  tgnazGoldziher, 

durch  den  äußeren  Gesichtssinn  erfaßter  Objekte  {al-vmbsaräi)  und 
daß  der  Genuß  ihrer  Erkenntnis  größere  Herrschaft  gewinnt  über  die 
mit  Herzen  ^)  Begabten  (als  der,  den  sinnliche  Eindrücke  hervor- 
bringen). Zu  jenen  inntakallimün  gehört  Ahmed  b.  Gcälib,  ge- 
nannt »Famulus  [giilävi)  des  Chahl«^),  der  es  an  Gunejd,  'All  abu- 
1-Hasan  al-Nüri  und  der  Gemeinde  der  SüfTs  mißbilligt,  was  sie 
von  Liebe  und  Sehnsucht  redeten.  Andere  verneinen  sogar  die 
Stufe  der  Ergebung  (in  den  Willen  Gottes,  rida)  und  glauben,  daß 
es  an  deren  Stelle  nur  geduldiges  Ertragen  [sabr)  gebe,  daß  aber 
ridä  nicht  vorstellbar  sei.  Alles  dies  ist  Gerede  von  unvollkommenen, 
beschränkten  Leuten,  die  in  der  Erfassung  der  Situationen  des  reli- 
giösen Lebens  nicht  über  die  Schalen  hinauskommen  und  der  Mei- 
nung sind,  daß  nur  jenen  Schalen  Wirklichkeit  zukomme.  Alles 
sinnlich  Erkennbare  und  was  vom  Wege  der  Religion  in  die  (ober- 
flächliche) Vorstellung  tritt,  ist  bloße  Hülse;  jenseits  davon  ist  der 
gesuchte  Kern.  Wer  von  der  (Kokos-)  Nuß  nur  bis  zur  Schale  ge- 
langt, wird  meinen,  daß  dieselbe  durch  und  durch  Holz  sei,  und 
wird  die  Gewinnung  des  Öls  aus  dieser  Nuß  als  Absurdität  betrach- 
ten. Eine  Entschuldigung  hat  er  wohl  (für  seinen  Irrtum),  aber  wir 
können  dieselbe  nicht  anerkennen«  3). 

Mit  dieser  Stellung  der  jiintakalliinün  zum  allgemeinen  Begriff 
der  GottesHebe  hängt  eine  aus  derselben  folgende  spezielle  An- 
wendung ihrer  Anschauung  zusammen.  Unter  den  als  ku/r  zu  ver- 
urteilenden Ketzereien  erwähnt  Ahmed  b.  Hanbai  4)  neben  der 
mu'tazilitischen  Leugnung  der  visio  beatifica  der  Seligen  [riCjatAlläJi) 
die  Ablehnung  des  Chalil- Charakters  des  Ibrählm.  Man  könne  von 
einem  Menschen  nicht  sagen :    er   sei    cJialil  AlläJi,  »Freund  Gottes« 


')  Man  weiß  ja.  was  Gaz.  unter  »Herzen«  versteht;  vgl.  Vorlesungen  über  den 
Islam  179,  dazu  Ihjä  II  26S,  12  v.  u.,  IV  25,  3;  Ktinijä  al-sa^äda  (Sammelband  des 
Muhji  al-din  Sabrl,  Kairo  132S)  505;  ibid.  521,  6  versteht  er  unter  A'alh  den 
unsterblichen  Teil  des  Menschen. 

2)  Wohl  derselbe  A.  b.  G.,  von  dem  Gähiz,  IJajaiuän  W  39  ult.  Mitteilungen 
über  seine  Erfahrungen  mit  einem  Schlangenbeschwörer  anführt.  Dieser  Guläm  Chalil 
(St.  275  h.)  stiftete  den  Chalifen  zur  \'erfolgung  der  berühmtesten  Süfis  seiner  Zeit  an; 
er  forderte  die  Todesstrafe  für  sie  als  zanädika.  Nur  durch  die  Dazwischenkunft  eines 
einsichtigen  Kädl  entgingen  sie  der  Hinrichtung  (Hugwlrl,  Kasf  al-maligüb  übers,  v, 
Reynold  A.  Nicholson  \Gihb-Series\  137  Anm.  190  f.).  Zu  den  von  Ahmed  b.Gälib 
gegen  die  Süfis  erhobenen  Beschuldigungen  gehörte  auch  ihr  Bekenntnis  zur  Gottes- 
liebe, worüber  eingehend  die  Mitteilungen  Amedroz'  aus  dem  TiOrlch  des  Dahabt 
(JRAS    191  2,  566  f.). 

^)'  Ihjä  IV  328,  19  ff. 

4j   Bei    Ihn    KtJjIui   a  1  -  (j  au  z  i  j  i  a,   IJädT  al-arwäh   II    146. 


Die  Gottesliebe  in  der  islamischen  Theologie.  155 


K 


-JLc    J,»    .äi'  u\.Ä5    ^L>.i.i>    ^xPLjI    J\.jS\äj    A.J    *.i.J!    ,.,t    ^c:     .-x.    OkAvJi    ,  -Icft 

\]..ä  ^wJü!  i).  Die  Verneinung  der  im  gewöhnlichen  Sinne  gedachten 
67/rt/z/-Eigenschaft  des  Abraham^)  wird  auch  von  Ibn  Kutejba  in 
einer  Reihe  von  muHaziUtischen  Kuriosa  angeführt.  Mit  der  aus- 
drücldichen  koranischen  Bezeichnung  Abrahams  als  cJialll  Gottes 
finden  sie  sich  ab,  indem  sie  das  Wort  mit  Berufung  auf  einen  Vers 
des  Zuhejr  (17  v.  4  Ahlwardt)  im  Sinne  des  Bedürftigen 
deuten.     Als  solchen  habe  Gott  den  Abraham  angenommene). 

Besonders  wird  einer  der  islamischen  Rationalisten  als  Bekämpfer 
der  Idee  der  Gottesfreundschaft  Abrahams  mit  Namen  genannt:  der 
als  Vorläufer  der  Mu*tazila4)  betrachtete  Ga'd  b.  Dirham.  Der 
'irakische  Statthalter  Chälid  b.  ^-Ibdalläh  al-KasrI  habe  ihn  wegen 
ketzerischer  Lehren  am  "^Idfeste,  gleichsam  als  religiöses  Schlacht- 
opfer, hingerichtet  5).  Freilich  nimmt  sich  dieser  dogmatische  Eifer 
des  Chälid  nicht  wenig  sonderlich  aus  neben  dem,  was  wir  von 
seinen  Ansichten  und  Äußerungen  über  religiöse  Dinge  sonst  er- 
fahren. Unter  anderem  habe  er  gesagt,  daß  sein  Chalif  ihm  höher 
stehe  als  Abraham  und  alle  andern  Propheten,  selbst  als  Muham- 
med^).  Seine  Strenge  gegen  GaM  kann  vielleicht  im  Zusammen- 
hang mit  dem  Verhalten  omajjadischer  Chalifen,  deren  treuer  Ver- 
treter Chälid  war,  gegen  rationalistische  Bestrebungen  verstanden 
werden  7).  Über  die  spezielle  Veranlassung  der  Hinrichtung  des 
GaM  habe  ich  in  mir  zugänglichen  älteren  historischen  Quellen 
nichts  gefunden.  Hingegen  darf  man  vielleicht  voraussetzen,  daß 
Erzählungen  späterer  Autoren,  wie  z.B.  die  des  Ibn  Tejmijja,  der 
als  Kalämfeind  von   dieser  Episode    der   Regierung    des    Kasri    mit 


I)  Mit  Bezug  auf  Sure  4  v.  124  SLJlJ>    ^.x^Lj!    k\.1\    Ö^;<^\*^. 

^)  Bei  Ibn  Sa'd  II/2  24,  2  läßt  man  auch  Muhammed  beanspruchen,  von  Gott 
gleich  Abraham  als  chalil  erwählt  worden  zu  sein.  Seine  Bezeichnung  al?  habJb  Allah 
ist  ganz  gewöhnlich. 

3)  Muchtalif  al-hadJt  (ed.  Kairo)  83  unten. 

4)  Bei  Ibn  Hazm,  Milal  IV  202,7  wird  er  als  einer  der  sujüch  al-Mu^t.  be- 
zeichnet.—  Vgl.  Ibn  al-Atlr,  Kämil  ^d  ann.  240  (ed.  Büläk  VII  26),  wo  der  Isnäd 
des  mu'tazilitischen  Inquisitors  Kädl  Ahmed  b.  abi  Duwäd    über    Bisr  al-Marisi,    Gahm 

b.  Safawän  und  Ga'd  b.  Dirham  (die   Bül.  Ausgabe  hat  fälschlich  *.^->n  geführt  wird. 


5)  Bagdad!,    fark   262,3:    ,.^j    tXiui-     \i      'c-^^/^o    i^Äi!     *.5^,0    qJ 


Ax:>- 


6)  Agänt  XIX  60.    Vgl.  Wellhausen,    Das  arabische  Reich  und  sein  Stnrs  206. 
^)  Vgl.   Vorlesungen  übey  den  Islam  97. 


II* 


jcß  IgnazGoldz  iher, 

sichtlichem  Behagen  spricht^),   dabei   auf  ältere  mir  unbekannte  Be- 
richte zurückgehen.     Ich  lasse  hier  folgen,  was  darüber  'Ali  al-Käri 
zu  sagen  weiß:   »Die  Gahmijja  verneinen  die  Wirklichkeit  der  Liebe 
von  beiden  Seiten  (Gottesliebe  sowohl  als  genit.  subject.  wie  auch 
als  genit.  object.    gefaßt)-).     Sie    meinen    nämlich,    daß    Liebe    eine 
adäquate  Beziehung  [imiiiäsabd)  zwischen   dem  Liebenden    und    dem 
Gegenstand  der  Liebe  voraussetzt.     Zwischen  dem  Ewigen  und  dem 
Entstandenen  könne  aber  keine  Beziehung  stattfinden,  die  Liebe  her- 
vorrufen könnte  3).     Zu  allererst  hat  diese  heterodoxe  Lehre  im  Islam 
Ga'd  b.  Dirham    aufgestellt    im   Anfang    des    zweiten  Jahrhunderts. 
Dafür    wurde    er    von    Chälid  b.   'Abdallah  al-KasrI,    dem    Emir    des 
'Irak  und  des  Ostens,  in  Wäsit  hingerichtet.     Dieser  sagte  in  seiner 
cJiutba  am  großen  Schlachtfeste  i^td  al-adhä\.   »O  Menschen,  vollziehet 
das    Schlachtopfer,    möge    es    von    Gott   w^ohlgefällig    aufgenommen 
werden!     Ich    selbst   vollziehe    diese    Pflicht    an    Ga'd   b.  Dirham, 
der  meint,    daß  Allah  den  Ibrahim   nicht  als  seinen  ehalt/  betrachtet 
habe.     Dann  stieg  er  (vom  viiiibar)  herab  und  schlachtete  den  Ga'd 
in  Übereinstimmung  mit  den  Fetwä's  der  zeitgenössischen  Gesetzes- 
gelehrten« 4)  —  wie  es  auch  sonst  vorkam,  daß  man   die  Hinrichtung 
gefährlicher  Leute  in  Verbindung  mit  religiösen  Gelegenheiten  voll- 
führte.    Der    andalusische    Fürst    'Abdalrahmän  III.    (912 — 61    Chr.), 
genannt  al-Näsir  abu-1-Mutarrif,   dessen  als  faklh  und  Asket  gerühm- 
ter Sohn  'Abdallah   bei   Lebzeiten    des  Vaters    nach    der   Herrschaft 
trachtete  und  gegen  ihn  und  den  zur  Thronfolge  bestimmten  Bruder 
Mustansir   eine  Verschwörung    anzettelte,    wurde    von    seinem  Vater 
eigenhändig    zur  '^tä-al-adhä-T.erQmome   hingerichtet;    zur  selben  Zeit 
ereilte    die  Mitverschwörer   dasselbe  Schicksal  5).     Die  Anführer    der 
Christen,  die  im  Jahre  11 82  gegen  Medina  zogen,  um  —  wie  ihnen 
dies    von    islamischen    Geschichtschreibern    zugemutet   wird    —    den 
Leichnam  des  Propheten  zu  entführen,  wurden  nach  ihrer  Besiegung 
nach  dem  Opfertal  Minä  geführt  und  daselbst  opferweise  hingerich- 
tet^).    Ibrähim  b.  Hiläl  al-Säbi  —  selbst  nicht  Muslim  —  schmei- 


')    Tafsir  sürat  al-icJiläs  (Kairo    1323)  45. 

^)  Gott  wird  in  einer  Schwurform  ^-^Plji  JyJLp>  genannt,   Ibn  Sa'd  I/2    100,7. 

3)  Man  wird  dabei  unwillkürlich  an  Aristoteles,  Ethica  Nicomach.  Vlll  9 
denken,  wonach  zwischen  Gott  und  den  Menschen  wegen  ihres  allzügroßen  Ab- 
standes  (TToXb  hi  )r(uptai}^vTOs)  keine  cpiXfa  bestehen  könne.  Es  ist  nicht  ausgeschlossen 
einen  vermittelten  Einfluß  des  aristotelischen  Gedankens  auf  die  kühnen  muslimischen 
C;4ß/r/-Leugner  voraussetzen  zu  dürfen. 

4)  'Ali  al-Käri,  Kommctttar  zu  al-Fikh  al-akbar  (Kairo    1323)    104. 

5)  Subki,   Tai-  Sä/.  II    230. 

*•)  al-Uns-al-galJl  281.     Gemeint  ist  der  verunglückte  Zug  des  Raynald  von  Chau- 


/ 


Die  Gottesliebe  in  der  islamischen  Theologie.  1  ry 

dielt  in  einem  dem  büjidischen  Fürsten  *Adud  al-daula  zum  Hd  al- 
adhä  gewidmeten  Glückwunschgedicht  diesem  Gönner:  er  sei  zu  er- 
haben, als  daß  zu  seinem  Festopfer  bloß  starke  ^Kamele  dienen 
sollen ;  es  mögen  mächtige  Könige  die  Opfer  dieses  Festtages  sein, 
und  das  Schwert  des  Fürsten  möge  dazu  das  AlläJm  akbar  (der  an 
diesem  Fest  wiederholt  ausgestoßene  Ruf)  rufen  ^). 

5.  Wenn  von  den  Kalämleuten  schon  der  Begriff  der  Gottes- 
liebe abgewiesen  wird,  so  folgt  daraus  in  selbstverständlicher  Weise, 
daß  sie  die  die  Gottestrunkenheit  veranschaulichenden  Süfi-Übungen 
und  ekstatischen  Zustände  [ahiväl)  verurteilen.  Wie  ihresgleichen 
über  beide  in  ihrem  gegenseitigen  Zusammenhang  denkt,  bekundet 
der  Mu'tazilit  Zamachsari  in  seinem  Kassäf  zw  Koranstellen,  die 
ihm  für  solche  Äußerungen  als  willkommene  Gelegenheit  dienen. 

In  bure  5  v.  59  (\i^>.j<:ij3  ^^.^j):   »Die  Liebe  der  Menschen  zu 

Gott  ist  der  Gehorsam  gegen  ihn  und  das  Streben  nach  seinem 
Wohlgefallen  und  daß  man  nicht  übe,  was  notwendig  seinen  Zorn 
und  seine  Strafe  verursacht;  die  Liebe  Gottes  zu  seinen  Dienern 
(bekundet  sich  darin),  daß  er  ihnen  für  ihren  Gehorsam  den  schön- 
sten Lohn  angedeihen  lasse,  sie  erhöhe,  rühme  und  Wohlgefallen  an 
ihnen  finde.  Hingegen  ist  Gott  hoch  erhaben  darüber,  was  da  glau- 
ben die  törichtesten,  der  Wissenschaft  feindlichsten,  gegen  das  Ge- 
setz gehässigsten  und  in  ihrem  Wandel  bösesten  der  Menschen  (wenn 
auch  ihr  Wandel  nach  der  Ansicht  von  Toren  und  Ignoranten  ihres- 
gleichen Wert  besitzt);  ich  meine  die  lügnerische,  ihren  Namen  von 
der  Schafwolle  [süf)  herleitende  Partei.  Hoch  erhaben  ist  Gott  dar- 
über, was  sie  religiös  bekennen  in  bezug  auf  Gottesliebe  und  über 
die  auf  ihren  Sitzen  —  die  Gott  verwüsten  möge  —  und  an  ihren 
Tanzplätzen  —  die  Gott  verheeren  möge  —  an  bartlose,  von  ihnen 
Märtyrer  {suhada)  genannte  Jünglinge  gerichteten  Ghazelenlieder 
und  über  ihre  Ekstasen  —  was  ist  dagegen  der  Ohnmachtszustand 
des  Moses,  als  der  Sinai  zu  Staub  wurde.?  (Sure  7  v.  139).  Sie  be- 
ziehen die  Gottesliebe  auf  sein  Wesen,  nicht  auf  seine  Attribute  und 


tillon  gegen  die  Ufer  des  Roten  Meeres,  worüber  Röhricht,  Geschichte  des  König- 
reichs Jerusalem  i^o\.  Ibn  Gubejr  {Travels  ed.  Wright-de  Goeje  59)  beschreibt  als 
Augenzeuge  den  Triumphzug,  den  al-Malik  al-'Ädil  mit  dem  nach  Alexandrien  ge- 
brachten Teil  der  christlichen  Gefangenen  veranstalten  läßt.  Die  arabischen  Quellen 
für  diese  Begebenheit  verzeichnet  C.  Schiaparelli  in  den  Anmerkungen  zu  seiner 
Übersetzung  des  Ibn  Gubejr  354  Nr.  23. 
')  Jäküt    ed.  Margoliouth   I  352. 


l'S  IgnazGoldziher,  Die  Gottesliebe  in  der  islamischen  Theologie. 

Ichren,  daß  Gottesliebe  von  Liebesqualen  begleitet  sein  müsse,  sonst 
sei  sie  keine  wirkliche  Liebe«  ^). 

Noch  in  deutlicherer,  man  darf  sagen:  brutaler  Weise  zu  Sure 
3  V.  29,  indem  er  die  als  Äußerungen  der  Gottesliebe  erscheinenden 
Sflfi-Zustände  als  dionysischen  Taumel  verhöhnt:  >AVenn  ihr  AUäh 
liebet,  so  folget  mir,  dann  wird  euch  Allah  lieben  und  euch  eure 
Sünden  vergeben.«  —  »Wer  aber  vorgibt  —  sagt  hierbei  Zamach- 
sari  — ,  ihn  zu  lieben  und  der  Sunna  seines  Gesandten  zuwider- 
handelt, ist  ein  Erzlügner  {kaddäb)\  das  Buch  Gottes  selbst  strafe  ihn 
Lüo-en  Wenn  du  nun  iemand  siehst,  der  von  Gottesliebe  redet  und 
bei  dem  Gedanken  daran  in  die  Hände  klatscht,  jauchzt,  ächzt  und 
in  Ohnmacht  fällt  2),  so  kannst  du  nicht  zweifeln,  daß  ein  solcher 
nicht  erkennt,  was  Allah,  und  nicht  weiß,  was  die  Liebe  zu  ihm  ist. 
Sein  Klatschen,  seine  Exaltation,  sein  Ächzen  und  seine  Ohnmacht 
rühren  daher,  daß  er  in  seiner  schmutzigen  Seele  eine  annehmliche, 
liebwerte  Gestalt  sich  vorstellt,  die  er  in  seiner  Torheit  und  Ver- 
derbtheit Allah  nennt;    diese  Vorstellung  ruft  in  ihm  das  Klatschen, 

Johlen,  Ächzen  und  die  Ohnmacht  hervor 3),  während  die  um 

ihn  stehenden  dummen  Leute  vor  Rührung  über  seinen  Zustand  die 
Zipfel  ihrer  Ärmel  mit  Tränen  füllen.« 

')  Vgl.  Harnack,    Der  -»Eros^s.  ifi  der  alten  christlichen  Literatur    (Sitzungsher. 
der  K.Prcuß.Akad.d.W.    1918,  89,   28  ff.). 

^)  Vgl.   eine    solche   Szene    bei    Ibn  Gubejr    ed.  Wkight-de  Goeje  224,  16  ff. 

w  S  S-  ^ 


Muhammeds  Himmelfahrt. 

Von 

Josef  Horovitz. 

An  zwei  Stellen  des  Ouran,  Sure  8i,,_,3  und  Sure  53,_,8,  beschreibt 
Muhammed  visionäre  Erlebnisse,  welche  ihm  den  göttlichen  Ursprung 
der  auf  ihn  einströmenden  Worte  verbürgen.    An  der  ersten  Stelle  be- 
zeichnet er  den  Qaran  als  das   »Wort  eines  edlen  Boten,  eines  starken, 
beim  Herrn  des  Thrones  mächtigen,  dem  Gehorsam  geleistet  wird  und 
der  zuverlässig  ist«  und  fügt  hinzu:    »Euer  Gefährte  ist  nicht  besessen, 
er  hat  ihn  am  klaren  Horizont  gesehen«.  Und  ausführhcher  schildert  er 
das  gleiche  Gesicht  in  Sure  534-io>  nachdem  er  sich  dagegen  verwahrt, 
es  sei  alles  Irrtum  und  Sinnestäuschung.     »  Er  (der  Quran)  ist  nichts 
anderes   als   eine   Offenbarung,    die  geoffenbart,    die    ihn    (d.  i.   euren 
Gefährten)    gelehrt   der  Starke  .an   Kraft,    ein    Einsichtsvoller.      Da 
stand  er   aufrecht  am   höchsten  Horizont,    dann    kam    er   nahe    und 
ließ    sich    herab    und    war    (nur)    zwei  Bogenlängen    fern    oder  noch 
näher   und   er   oft'enbarte   seinem    Diener,    was    er   offenbarte.    Nicht 
hat    das    Herz    erlogen,     was    es    gesehen;    wollt    ihr  ihm   denn   be- 
streiten, was  er  gesehen?«    Handelt  es  sich  beide  Male  um  die  gleiche 
Vision, 'wie  meist  angenommen  ^  und  wofür  schon  die  beiden  Schilde- 
rungen gemeinsame  Verwendung  des  Ausdrucks  ufuq  spricht,  so  muß 
die  tn  Sure  535-6  beschriebene  Gestalt  die  des  »edlen  Boten«  von  Sure  8I19 
sein.     Dennoch  will  Schrieke  ^-)  aus  den  Worten    »seinem  Diener«  in 
Sure    53  10   folgern,    es    sei    die    Erscheinung    Allahs    selber,    die    der 
Prophet  geschaut,  wie  es  ja  auch  in  Sure  579  von  Allah  heiße,    »er 
ist  es,  der  seinem  Diener  Zeichen  herabsendet«  3).    Eine  gewisse  Schwie- 
rigkeit besteht  ja  vielleicht  darin,  daß  Muhammed  sich  als  Diener  des 
»edlen  Boten«  bezeichnet  haben  sollte,  aber  es  liegt  doch  viel  näher, 
zwischen  Vers  9  und  10  einen  Wechsel  des  Subjekts  anzunehmen  (der  bei 

I)  NÖLDEKE-ScHWALLY,   Gcschichie   des   Qorans   S.   99;    Bevan    in  BZATW   Bd.   27 

(1914),  S.  52.  .        _  _ 

-)  Islam  VI  S.  20.  ■        ' 

3)  Auch  die  bei  ScHRiEKE  a.a.O.  angeluhrten  Stellen  Seite  401  und  876  kann  ich 

nicht  als  beweiskräftig  anerkennen. 


j Aq  Josef  Horovitz, 

den  stilistischen  Eigenheiten  des  Quran  nicht  überraschen  könnte'')), 
oder  aber  mukäa  im  Sinne  von  »offenbarte  im  Auftrage  Allahs«  aufzu- 
fassen, als  anzunehmen,  Muhammed  habe  die  Erscheinung  Allahs  selbst 
herabkommen  sehen.  Gerade  bei  Muhammed  ist  das  Gefühl  der  eigenen 
Ohnmacht  gegenüber  der  göttlichen  Allmacht  viel  zu  stark  ausgeprägt, 
als  daß  er  den  Anblick  der  göttlichen  Erscheinung  hätte  ertragen  und 
ihn  in  deutlichen  Worten  hätte  beschreiben  können;  wie  die  Apo- 
kalyptiker,  denen  er  auch  darin  näher  steht  als  den  Propheten,  verkehrt 
er  mit  Allah  durch  Vermittlung  des  göttlichen  Boten,  den  er  später 
Gabriel  nennt. 

Eine  zweite  Vision  schildern  dann  die  Verse  13  bis  18  der  53.  Sure 
mit  den  Worten:  »Und  er  hat  ihn  ein  anderes  Mal  herabkommen 
sehen  beim  Lotosbaum  am  äußersten  Ende,  neben  dem  sich  der 
Garten  der  Zuflucht  befindet,  als  den  Lotosbaum  bedeckte,  was 
ihn  bedeckte.  Nicht  irrte  ab  der  Blick  noch  ging  er  zu  weit. 
Er  hat  von  den  Zeichen  seines  Herren  die  größten  gesehen.«  Auch  hier 
läßt  sich  die  himmlische  Erscheinung  herab,  die  der  Visionär  aber  dies- 
mal nicht  am  »höchsten  Horizont«  sieht,  sondern  am  »Lotosbaum  des 
äußersten  Endes«.  Daß  der  »Ort  der  Zuflucht«,  in  dessen  Nahe  der 
Lotosbaum  steht,  nicht,  wie  man  seltsamerweise  gemeint,  in  Mekka 
gelegen,  sondern  daß  er  mit  dem  Paradies  identisch  ist,  haben  Schrieke 
und  Bev-\n  aus  dem  koranischen  Sprachgebrauch  bewiesen  2).  Ich 
kann  aber  Schrieke  nicht  zugeben,  daß  Muhammed  hier  im  Himmel 
geweilt  zu  haben  behauptet;  es  ist  in  diesen  seinen  Worten  nirgends 
eine  Andeutung  davon  zu  finden,  daß  er  sich  im  eigentlichen  Sinn  in  höhere 
Sphären  entrückt  gefühlt  habe.  Wie  viele  seiner  Vorgänger  unter  den 
prophetischen  Visionären  blickt  der  auf  Erden  weilende  Muhammed  in 
ferne  Räume  und  schaut  den  himmlischen  Boten  am  Lotosbaum. 

An  einer  dritten  Stelle  dagegen,  Sure  171,  wo  das  visionäre  Er- 
lebnis  nicht  beschrieben,  sondern  nur  angedeutet  wird,  handelt  es  sich 
unverkennbar  um  eine  Entrückung;  hier  sieht  der  Prophet  nicht 
himmlische  Erscheinungen  sich  ihm  nahen,  sondern  er  fühlt  sich  selber 
in  weite  Fernen  entführt.  Die  Worte  »Preis  dem,  der  nächtlicherweile 
seinen  Diener  von  dem  heiligen  Masgid  zum  fernsten  Masgid  entführt, 
um  das  wir  Segen  verbreitet,  auf  daß  wir  ihn  von  unserem  Zeichen 
etwas  sehen  ließen«  haben  keinen  Zusammenhang  mit  dem  Folgenden, 
und  Bevan  3)  geht  so  weit,  es  als  unbeweisbar,  wenn  auch  nicht  un- 
möglich   hinzustellen,    daß  hier  überhaupt  von  Muhammed  die  Rede 


')  NÖLDEKE,  Beiträge  zur  semitischen  Sprachwissenschaft  S.  10  fi. 
*)  Schrieke  S.  20,  Bevan   S.  53. 
3)  a.  a.  0.  S.  53/54. 


Muhammeds  Himmelfahrt.  l6l 

sei;  die  Worte  »sein  Diener«  könnten 'sich  ja  auch  auf  andere  Diener 
Allahs  bezichen.  Diesen  Einwand  hat  Schrieke  vorausgesehen  und 
ist  ihm  durch  den  Nachweis  begegnet  ^),  daß  an  allen  koranischen 
Stellen,  an  denen  »sein  Diener«  oder  »unser  Diener«  ohne  Nennung 
eines  Namens  vorkommt,  Muhammed  gemeint  sei.  Aber,  ganz  abge- 
sehen von  diesem  Sprachgebrauch,  von  welchem  Gottesmanne  sollte 
in  Verbindung  mit  dem  masg-id  al  haräm  die  Rede  sein.''  Man  könnte 
doch  höchstens  an  Ibrähim  denken,  unter  der  Voraussetzung,  das  Frag- 
ment stamme  aus  der  Zeit,  in  welcher  Ibrähim  bereits  die  Begründung 
des  mekkanischen  Heiligtums  zugeschrieben  wird.  Gegen  diese  Voraus- 
setzung spricht  zwar  nichts,  denn  der  alleinstehende  Vers  enthält 
keinerlei  Anzeichen  für  seine  Entstehungszeit,  aber  überall,  wo  der 
Name  Ibrahims  im  Zusammenhang  mit  Mekka  erscheint,  werden  Aus- 
drücke wie  bau  oder  maqäm  gebraucht,  niemals  masgid.  Vor  allem 
aber  ist  weder  im  .Ouran  selbst  noch  in  der  pseudepigraphischen  oder 
aggadischen  Literatur  irgend  etwas  von  einer  Entrückung  Ibrahims 
zu  finden.  Es  darf  also  als  sicher  gelten,  daß  in  Sure  171  von  Muhammed 
die  Rede  ist,  sonst  aber  läßt  sich  aus  dem  Wortlaut  nur  schließen, 
daß  es  sich  um  eine  nächtliche  Reise  nach  einem  fernen,  wunderbaren 
Orte  handelt.  Welcher  Ort  gemeint  sei,  ist  weder  aus  dem  Vers  selbst 
noch  aus  andern  Stellen  des  Ouran  zu  entnehmen,  da  die  Bezeichnung 
masgid  el  aqsä  sonst  nicht  vorkommt;  nur  das  ist  deutlich,  daß  die 
nächtliche  Reise  für  Muhammed  eine  Erfahrung  von  besonderer  Be- 
deutung gewesen  sein  muß.  Wie  er  jetzt  dasteht,  macht  der  Vers 
den  Eindruck,  als  habe  Muhammed,  von  seinem  Erlebnis  überwältigt, 
nicht  mehr  über  die  Lippen  zu  bringen  vermocht  als  die  wenigen 
Worte,  oder  aber  sich  gescheut,  es  vor  ungläubigen  Ohren  durch  Aus- 
malung der  Einzelheiten  zu  entweihen-).  Diese  Auffassung  wäre 
freilich  unmöglich,  wenn  die  Überlieferung  recht  hätte,  welche  die  in 
V.  62  derselben  Sure  erwähnte  Version  {rujä)  mit  der  Entrückung 
gleichsetzt;  denn  es  ergäbe  sich  dann  aus  V.  62,  daß  der  Prophet  sich 
in  seinen  Ermahnungen  und  Predigten  auf  sein  nächtliches  Erlebnis 
berufen  hätte.  Doch  ist  der  Zusammenhang  der  beiden  Verse  durchaus 
unsicher  3).  Die  islamische  Tradition  sieht  in  dem  masgid  al  aqsä 
Jerusalem,  genauer  den  Tempelplatz  4)  in  Jerusalem,  auf  dessen  Süd- 
seite später  ja  auch  die  im  europäischen  Sprachgebrauch  so  genannte 


')  a.  a.  0.  S.  13  Anm.  6. 
*)  Vgl.  II.  Korinther  124. 

3)    vgl.    NÖLDEKE-SCHWALLY    S.    I35,    SCHRIEKE    S.    I5,    BeVAN    S.    53. 

■t)  s.   Ihn   Hisäm  2633  ^^  huwa  bau  al  maqdis  min  Ilijä.    Zu  bau  al  maqdis  vgl. 
Fischer  ZDMG.  60,  S.  407. 


l52  J  o  s  e  f  H  u  r  o  V  i  t  z  , 

Aqsa-Moschcc  errichtet  wurde.  Zu  Zeiten  des  Propheten  Stand  an 
dieser  Stelle  die  Basilika  des  Justinian  ^),  und  diese  soll  nach  Caetani  -) 
der  Ouranvers  auch  im  Auge  haben.  Im  Ouran  ^vird  zwar  Jerusalem 
namentlich  nicht  erwähnt,  aber  die  Anspielung  Sure  2140  ist  durchaus 
eindeutig,  und  es  bedarf  keines  Beweises,  daß  die  heilige  Stadt  der  Juden 
und  Christen  auch  in  dem  Gedankenkreise  Muhammeds  eine  besondere 
Stelle  eingenommen  hat.  Es  macht  keine  Schwierigkeiten,  sich  vorzu- 
stellen, der  Gedanke  an  die  Heiligtümer  Jerusalems  habe  ihn  in  seine 
Visionen  und  Traumzustände  verfolgt,  bis  er  sie  leibhaftig  vor  sich 
sah.  Es  kann  ihm  auch  das  Gesicht  des  Ezechiel  (83)  sehr  wohl  bekannt 
gewesen  sein,  in  welchem  diesen  der  Geist  am  Haarschopf  ergriff  und 
zwischen  Himmel  und  Erde  von  Babylonien  nach  Jerusalem  ent- 
führte 3);  und  die  Erinnerung  an  dieses  kann  ihn  mit  der  Hoffnung 
erfüllt  haben,  einer  ähnlichen  Erfahrung  gewürdigt  zu  werden,  eine 
Hoffnung,  die  dann  in  der  nächtlichen  Vision  ihre  Erfüllung  gefunden 
hätte.  Aber  solche  Erwägungen,  welche  man  zur  nachträglichen  Ver- 
teidigung der  herkömmlichen  Auffassung  des  rätselhaften  Ausdrucks 
vorbringen  könnte,  reichen  zu  ihrer  Begründung  nicht  aus;  es  würde 
niemand  darauf  verfallen,  masgid  al  aqsä  auf  Jerusalem  zu  deuten,  dem 
nicht  diese  Erklärung  durch  die  Überlieferung  suggeriert  wäre.  Daß 
auch  die  europäische  Forschung  sie  bisher  ohne  Nachprüfung  über- 
nommen hat,  beweist  nur,  daß  sie  sich  keineswegs  überall  bereits  von 
dem  Banne  der  islamischen  Tradition  befreit  hat.  Es  ist  ein  Verdienst 
Schrieke's,  diesen  Bann  für  unsere  Stelle  gebrochen  und  erkannt  zu 
haben,  daß  das  »fernste  Masgid«  nicht  Jerusalem,  überhaupt  nicht  ein 
Ort  auf  Erden,  sondern  im  Himmel  zu  suchen  ist.  Ein  himmlisches  mas- 
gid  fügt  sich  der  koranischen  Vorstellungswelt  ohne  Schwierigkeit  ein; 
auch  die  Engel  im  Himmel  verrichten  ihren  Gottesdienst  i^ihäda),  der  in 
Sure  7205  als  sugüd  bezeichnet  wird.  Näher  wird  die  Form  ihrer  Anbe- 
tung als  tashih  gekennzeichnet   (Sure  3975, ■  4O7,    4I38,   423)4);    sie  fin- 

')  s.  Hassak  ZDPV.  36,  S.  308. 

^)  Annali  21,  §  88.  Ähnlich  auch  in  dem  Bericht,  den  Abu  Sufjän  dem  Heiaclius 
jjibt,  Haiabi  I  371 17  haraga  min  ardinä  ar4  al  //aräm  wa-gä^a  masgidakum  hädä. 

3)  NÖLDEKE-ScHWALLY  134,  Anm.  7.  —  Von  einer  andern  Entrückung  läßt  sich  mit 
ziemlicher  Sicherheit  zeigen,  daß  sie  Muhammed  bekannt  war,  der  Entrückung  Jesu  auf 
den  Tabor,  von  der  ernach  dem  Hebräerevangelium  sagte :  d'pti  IX'x^i  \}.z  T^[j.T]Tr,p  jj.O'j  to  ayiov 
■77'ivi\i.i  h  ,o.iä  Töiv  Tpiyiüv  jjlou  y.at  6.-i^\zj/.i  p.e  e(;  tö  opo;  tö  [Jigya  öaßwp  (angeführt 
bei  Origenes,  Johanneskommentar  cd.  Pkeuschen  6720);  denn,  wie  schonGEROK,  Versuch 
einer  Darsiellung  der  Christologie  des  Koran  (1839)  S.  76  Anm.  i  bemerkt,  erklärt  sich  aus 
dieser  Stelle  die  Frage  Allahs  an  'Isä:  »Hast  du  den  Menschen  gesagt,  nehmt  mich  und 
meine  Mutter  zu  zwei  Göttern  außer  Allah«  (Sure  5116)  und  die  Ersetzung  des  heiligen 
Geistes  durch  die  Mutter  'Isä's  in  dieser  Auffassung  der  Trinität,  die  dann  'Isä  selber  ablernt. 

4)  Vgl.  dazu  Ascensio  Isaiae  \'l\  15  und  IX  41. 


Muhammeds  Hiimnclfahit,  163 

(Ict  im  siebenten  Himmel  in  der  Nähe  des  göttlichen  Thrones  statt,  auf 
den  sich  Allah  nach  Vollendung  der  Erschaffung  Himmels  und  der  Erde 
begeben  (ebenda)  ^).  An  diesem  Ort  werden  wir  uns  also  das  masg-id 
al  aqsä  zu  denken  haben,  und  wenn  der  himmlische  Ort  der  Verehrung 
als  der  fernste  bezeichnet  wird,  so  erinnert  das  an  Stellen  wie  Henoch 
393,  wo  sich  der  Patriarch  von  einer  Wolke  und  einem  Wirbelwind  von 
der  Erde  emporgehoben  und  am  Ende  des  Himmels  niedergesetzt 
fühlt.  Im  äthiopischen  Text  lautet  der  Ausdruck  senja  samäjät,  was 
hebräischem  q'^se  ha-Samajim  entspricht  2).  Auch  Henoch  sieht  dort 
die  Engel,  welche  den    »Herrn  der  Geister«  preisen   (3913)- 

Aber  auch  im  Ouran  selbst  findet  sich  eine  verwandte  Bezeichnung 
in  al  mala'  al  aHä  »die  höchste  Ratsversammlung «3),  deren  Ver- 
handlungen nach  Sure  378  die  Satane  nicht  lauschen  dürfen  und  von 
deren  Geheimnissen  auch  der  Prophet  nichts  weiß  (Sure  3869).  Die 
Engel  aber  nehmen  an  ihr  teil,  und  der  Ausdruck  erinnert  an  die 
Phamalja  [  =  familia]  sei  ma'alä  der  jüdischen  Traditionsliteratur  4) 
»die  obere  Familie«,  die  in  etwas  anderer  Wendung  als  »jesibä  sei 
ma^aläu  5)  »obere  Akademie«  oder  aramäisch  metihta  di  reql'ä  6)  wieder 
erscheint.  Daß  auch  der  Lotosbaum  des  »äußersten  Endes«  [sidrat  al 
muntahä)  in  diesen  Zusammenhang  gehört,  hat  bereits  Schrieke  be- 
merkt 7).  Von  ihm  ist  es  freilich  nicht  sicher,  daß  er  seinen  Platz  in  der 

I)  Über  den  Ursprung  dieser  Vorstellung  vgl.  Goldziher,  Die  Sahbathinstitution  im 
Islam  (Gedenkbuch  zur  Erinnerung  an  D.  Kaufmann,  S.  II  des  S.-A.).  Der  Thron  gehört  zu 
den  Dingen,  die  vor  Erschaffung  der  Welt  geschaffen  wurden  (Pesähim  54  a)  und  befindet 
sich  im  7.  Himmel  (Hagigä  12  b). 

-)  Wie  die  Zusammenstellungen  bei  Dillmann,  Lexicon  aeihiopicum  s.  v.  senf  be- 
weisen, wird  dieses  in  Verbindungen  wie  mer/iaqe  äres,  afse  äres,  jarkete  äres  und  qesehä^äres 
gebraucht.  —  In  der  Vision  Henoch  I4iiff.  sieht  sich  Henoch  ebenfalls  in  die  Nähe  des 
manbara  seb/iat  =  kisse  hakäböd  =  koranischem  '■ars  versetzt,  um  welchen  Myriaden  von 
Engeln  stehen.  Muhammed  bedient  sich  —  man  ist  bei  seiner  Vorliebe  für  nichtarabische 
Ausdrücke  fast  versucht,  zu  sagen  merkwürdigerweise  —  niemals  eines  der  fremden  Aus- 
drücke kursi  oder  vianbar,  sondern  stets  des  arabischen  'ars. 

3)  Vgl.  Wellhausen,  Reste-  137,  Anm.  6  und  die  bereits  von  Geiger,  W.as  hat  Mo- 
hamed  aus  dem  Judentum  aufgenommen-,  S.  81,  angeführte  Stelle  Hagigä  i6a,  wo  von  den 
St'dim  gesagt  wird:  söme^in  mcahöre  ha  pargöd  (=  -apayct'joi&v,  arab.  burgud).  —  Mala 
und masgü^  stehen  sich  um  so  näher,  als  nach  Lammens  Nachweisen  (s.  Ziäd  Ibn  Abihi 
S.  31  ff.  des  Separatabzugs)  auch  masgid  in  der  älteren  Zeit  nicht  nur  für  »Betört«,  sondern 
auch  für  »Versammlungsort«  gebraucht  wird. 

4)  Vgl.  die  Stellen  bei  Krauss,  Griechische  und  lateinische  Lehnwörter  11  403.  Be- 
sonders   charakteristisch    ist    der   dort   nicht  angeführte  Ausspruch  des  R.  Jöhanan  n^ 

rbvo  b"^'  i<^br2^2  "pü}  p  gn'  n^n  n2n  nzr;  xin  -nD  i^npn  sanhedrin38b. 

5)  Pesähim  53  b,  Bäbä  mesl'a  86a. 

6)  Bäbä  inesl'a  86a.  —  Über  ältere  Vorstellungen  bis  auf  die  Igigi  und  Anunnaki 
s.  Schrader,  KAT3  453. 

7)  a.  a.    O.  S.  13/14. 


j  ^  j  Josefliorovitz, 

himmlischen  Topographie  hat;  da  der  Lebensbaum  nach  Henoch 
231  sich  an  den  Enden  der  Erde  [asnäfa  meder)  befindet,  so  gehört 
vielleicht  die  sidrat  al  muntahä  ebenfalls  an  diese  Stelle.  Mit  aqsä 
wäre  dann  die  höchste  Stelle  des  Himmels,  mit  muntahä  die  fernste 
auf  Erden  gemeint. 

Aber  nicht  nur  steht  die  Deutung  des  masg-id  al  aqsä  als  eines 
Ortes  im  Himmel  im  Einklang  mit  den  übrigen  quranischen  Vorstellun- 
gen, der  Quran  zeigt  auch,  daß  der  Gedanke  des  Aufstiegs  zum  Himmel 
Muhammeds  Geist  vielbeschäftigte.  Wenn  es  Sure  15  14 15  heißt:  »Und 
öffneten  wir  ihnen  ein  Tor  im  Himmel  und  stiegen  sie  durch  es  hinauf 
ija^rug-üna),  so  sprächen  sie:  , Unsere  Blicke  sind  nur  trunken  gemacht, 
nein,  wir  sind  verzauberte  Leute' «,  so  will  der  Prophet  damit  sagen, 
seine  Landsleute  würden  auch  die  Himmelfahrt,  wie  sie  den  Gottes- 
männern der  Vorzeit,  vielleicht  auch  damals  bereits  dem  Propheten  in 
ihrer  Mitte  zuteil  geworden,  falls  sie  selbst  ihrer  gewürdigt  würden, 
für  eine  Sinnestäuschung  erklären.  Sure  17920*.  verlangen  die  Ungläubi- 
gen vom  Propheten  noch  mehr  als  den  bloßen  Aufstieg.  »Sie  sprachen: 
,Wir  werden  dir  nicht  glauben,  bis  du  uns  aus  der  Erde  eine  Quelle 
hervorsprudeln  läßt  ....  oder  du  zum  Himmel  aufsteigst  [tarqä); 
wir  werden  aber  an  deinen  Aufstieg  nicht  glauben,  bis  du  uns  ein 
Buch  herabläßt,  das  wir  lesen' «;  sie  wollen  also  mit  eigenen  Augen  das 
himmlische  Buch  sehen,  das  ihnen  Muhammed  als  Beweis  seines  Ver- 
weilens  im  Himmel  herunterbringen  soll.  Der  Prophet  ist  sich  darüber 
klar,  daß  auch  seine  Entrückung  in  die  himmlischen  Sphären  von  seinen 
Landsleuten  nicht  als  Zeugnis  für  seine  göttliche  Sendung  anerkannt 
würde,  und  so  läßt  er  sich  Sure  635  von  Allah  trösten:  »Wenn  ihre  Abkehr 
schwer  auf  dir  gelastet  hatte:  auch  wenn  du  es  vermöchtest,  einen  Schacht 
in  der  Erde  zu  finden  oder  eine  Leiter  {sullam)^)  zum  Himmel,  auf 
daß  du  ihnen  ein  Zeichen  brächtest  .  .  .,  wenn  Allah  es  wollte,  so  hätte 
er  sie  auf  dem  rechten  Wege  vereint.«  Er  findet  sich  also  damit  ab, 
daß  er  die  Leistungen,  die  sie  ihm  zumuten,  nicht  ausführen  kann, 
denn  auch  sie  würden  nichts  ändern,  solange  Allah  die  Ungläubigen 
nicht  auf  den  rechten  Weg  leiten  will.  Endhch  ist  auch  6  125  vom  Auf- 
stieg zum  Himmel  die  Rede:  »Wen  Allah  auf  den  rechten  Pfad  leiten 
will,  dem  weitet  er  die  Brust  zum  Islam,  wen  er  in  die  Irre  führen  will, 
dem  macht  er  seine  Brust  eng,  als  wollte  er  zum  Himmel' liinaufsteigen 
(Jassa'^adu) .«    Ob  Muhammed  hier  aus  der  Erfahrung  des  Ekstatikers 


I)  Vgl.  den  von  Goldziher  zu  Hutaia  XVIl  5   aus  Sibawaihi   I  197  angeführten 
Vers  des  A*sä: 

^Äoj  iL4~wJ!   OwAAv!   >:>^)_»      '^^  Q*^^*"'^'  v^  i_5^  0^.0   ^jXj 


Muhammeds  Himmelfahrt.  165 

spricht,  läßt  sich  kaum  entscheiden,  während  17  95  so  khngt  ^),  als 
habe  er  damals  ein  solches  Erlebnis  bereits  hinter  sich.  Jedenfalls 
aber  geht  aus  den  angeführten  Stellen  hervor,  wie  vertraut  ihm  die 
Vorstellung  des  Aufstiegs  war. 

Es  ist  das  nicht  verwunderlich,  wenn  man  bedenkt,  wie  nahe  die 
Vorstellungswelt  Muhammeds  der  der  apokalyptischen  Schriften  steht, 
welche  von  den  himmlischen  Entrückungen  frommer  Männer  der 
Vorzeit  berichten,  der  Bücher  Henoch,  der  Ascensio  Isaiae,  der 
Baruchapokalypscn.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  daß  ihm  diese  Nach- 
richten bekannt  waren,  die  aber  Anweisungen  über  die  Methoden, 
durch  welche  die  Verbindung  mit  der  überirdischen  Welt  hergestellt 
werden  könne,  nicht  enthalten.  Diese  kann  er  nicht  ihnen,  sondern 
nur  der  noch  lebendigen  Praxis  asketischer  Visionäre  entnommen 
haben.  Schrieke  -)  versucht  nachzuweisen,  daß  auch  die  Kähins 
Arabiens  mit  dieser  Praxis  vertraut  waren,  und  die  Möglichkeit,  daß 
er  sie  von  ihnen  gelernt  hat,  kann  nicht  geleugnet  werden.  Beweisen 
läßt  es  sich  aber  nicht,  wir  wissen  über  die  Kähins  der  Zeit 
Muhammeds  viel  zu  wenig,  und  ethnologische  Parallelen  allein  reichen 
nicht  aus,  diese  Lücke  auszufüllen.  Es  ist  ebensowohl  möglich,  daß 
auch  hierin  die  »Leute  der  Schrift«  seine  Lehrmeister  waren,  denn  daß 
bei  diesen  solche  Methoden  im  Schwange  waren,  wird  uns  ausdrücklich 
berichtet.  »Viele  der  früheren  Weisen  glaubten«,  so  heißt  es  in  einem 
Rcsponsum  des  Gaon  Hai,  »daß  der,  welcher  dazu  geeignet  ist,  wenn 
er  bestimmte  Tage  fastend  verbringt,  den  Kopf  zwischen  die  Kniee  legt 
und  zur  Erde  Lieder  und  Lobpreisungen  murmelt,  das  Innere  und  die 
Kammern  schaue,  als  sähe  er  mit  seinen  Augen  sieben  Hallen,  und  es 
ihm  scheint,  als  träte  er  von  einer  Halle  in  die  andere  «3).  Der  Be- 
richterstatter lebte  zwar  erst  im  lo.  Jahrhundert,  aber  die  »früheren 
Weisen«  werden  auch  bereits  im  6.  Jahrhundert  nicht  anders  ver- 
fahren sein. 

Darin,  daß  die  islamische  Tradition  die  Himmelfahrt  Muhammeds 
an  die  nächtliche  Reise  nach  Jerusalem  anknüpft,  welche  sie  in 
Sure  171  erwähnt  findet,  dürfen  wir  einen  Beweis  dafür  erblicken,  daß 
auch  sie  noch  eine  Erinnerung  an  die  richtige  Deutung  der  Ouranstelle 


0  so  auch  Schrieke  S.  14  Anm.   i. 

»)  S.  23  ff. 

3)  s.  Tesüböt  ha-geönim  (Lyck  1868)  §  99  1^   13    C''"121D    VH  D'^Crnn  ]12  rCT^^ 

psS  l^'mb1  vd^d  p:  ii^'ni  n^jci  D^yn^  u^^^  p^jynz  j;i'T«i  "^pb  ]i:nK' 
n^DM  vrj?z  r\'a.')^  ^yint^  ^dd  amniii  g^d^:d3  ^'^üc  {<\n  mnDii'm  nn^tt' 

h'2'^T\h  '?D^■^D  DJD^  i<in  I^ND  nCiyi  nj;2t^';  vgl.  auch  Harkaw,  Studien  und  Mittei- 
lungen IV  S.XVIf.    Femer  Bloch  in  MGWJ.  1893  S.42  und  BoussetARW.  IV  5.153. 


2 A^  Josef  Horovitz, 

bewahrte.  Wie  kam  sie  aber  dazu,  das  »fernste  masgida  nach 
Jerusalem  zu  verlegen?  Schrieke  antwortet  (S.  13),  diese  Erklärung 
gehöre  in  den  Kreis  der  Nachrichten,  welche  zur  Zeit  'Abdalmaliks 
erdichtet  wurden,  um  die  Heiligkeit  Jerusalems  hervorzuheben,  als 
sich  Mekka  in  den  Händen  des  Gegenchalifen  'Abdallah  Ibn  az-Zubair 
befand.  Die  Erklärung  ist  aber  wahrscheinlich  schon  vor  dem  Chalifat 
des  'Abdalmalik  (65—86  H  =  685—  705)  verbreitet  gewesen.  Denn 
'Omar  Ibn  Abi  Rabl'a  kennt  sie  .bereits:  wenn  er  in  einem  seiner 
Gedichte   (Nr.  91  ed.  Schwarz  S.  'J^:,)  ^)  sagt: 

»Bei  dem,  der  den  Propheten  Muhammed  sandte  mit  dem  Licht  und 
dem  Islam,  der  wahrhaftigen  Rehgion, 
Und  bei  dem  Ruf  der  Pilger  und  ihrem  Lobpreis  am  Maqäm  und  der 

Säule  des  heihgen  Hauses 
Und  dem  fernsten  Masgid,  dessen  Umgebung  gesegnet  ist,  und  dem  Tür 
schwöre  ich  als  einer,  der  die  Wahrheit  spricht  und  nicht  sündigt«. 

SO  beweist  diese  Nennung  des  Masg-id  al  aqjä  inmitten  anderer  heiliger 
Stätten  auf  Erden  doch  wohl,  daß  der  Dichter  auch  unter  dieser  Be- 
zeichnung ein  irdisches  Heiligtum  verstand.  Es  ist  nicht  auszumachen, 
wann  das  Gedicht  entstanden  ist,  es  kann  aber  sehr  wohl  aus  der  Früh- 
zeit  des  23  H.  geborenen  Dichters  stammen,  der  somit  bei  'Abdalmahks 
Regierungsantritt  bereits  42  Jahre  alt,  übrigens  wohl  ein  Anhä.nger  des 
Gegenchalifen  war  -).  Aber  selbst,  wenn  die  Verse  erst  unter 'Abdalmalik 
gedichtet  sind,  so  ist  nicht  anzunehmen,  daß  die  von  diesem  gewünschte 
Deutung  des  Ausdrucks  sich  so  schnell  eingebürgert  hätte,  daß  ein 
Dichter,  der  auch  später  den  Omajjaden  nicht  gerade  freundhch 
gesinnt  war  3),  sich  ihrer  alsbald  bedient  haben  würde.  Die  Vorliebe 
der  Omajjaden  für  Jerusalem  geht  ja  auch  in  frühere  Zeiten  zurück  4); 
von  jeher  bevorzugten  sie  es  gegenüber  Medina,    dem  Hauptsitz  der 


Ä.'j'Lj  *.J  ,»i^Lo  x.äJL>   .j-Iiil^  \J^5»  i^.L/.4.Ji     ,tdii\  ^4^,.w.*J5_5 

[Auch    Abu     Sahr,     lludail    cd.    Wkli.h.    Nr.    264    Vers    24    schwort     ^y^^^ 

sjl;»       -a:iS^'5    Jo>\.a..«.^j5»    aber  wie  die  dort  vorausgehenden  Verse  zeigen,  in  denen 

"'  ^  '  ^  •  •  j     1         - 

u.  a.  vom  Licht,    Taurät    und  Ingil  die  Rede    ist,    muß    dort  unter  dem  Masgid  al  aqsa 

nicht  notwendig  Jerusalem  gemeint  sein,  und   »d  e  r  Besucher«   deutet  vielleicht  eher  auf 

einen  nicht  allen  zugänglichen   Ort.     Nebeneinander   nennt   die  Heiligtümer  von  Mekka 

und  Jerusalem  al  Farazdaq,    (iamhara   1659  ^'"  "•  ^'^'^^  ohne  sich  der  Ausdrucksweise 

von  Sure    171    zu  bedienen.  —  Korrekturzusatz.] 

-)  s.  Schwarz,  Einleitung  S.  19. 

s)  daselbst 

4)  s.  Welliiausen,  Das  arabisclie  Reich  S.   133. 


Muhammeds  Himmelfahrt.  l57 

Opposition.  Schon  Mu*awija  hatte  sich  dort  als  Chahfen  huldigen 
lassen  und  soll  damals  auch  bei  den  heiligen  Stätten  der  Christen  sein 
Gebet  verrichtet  haben  ^).  Und  neben  dem  politischen  Interesse  der 
Omajjaden,  welche  die  Heiligkeit  Jerusalems  für  ihre  Zwecke  aus- 
nutzten und  sie  wider  denGegenchalifen  in  Arabien  ausspielten,  geht  das 
Bestreben  einher,  den  Christen  gegenüber  Jerusalem  auch  als  eine 
heilige  Stätte  der  Muhammc daner  in  Anspruch  zu  nehmen.  Schon 
Omar  hatte  (642)  eine  Moschee  in  Jerusalem  errichtet  2)^  ohne  übrigens 
die  Christen  aus  der  Basilika  des  Justinian  zu  verdrängen.  Vielleicht 
hat  man  schon  damals  oder  nicht  viel  später  Versuche  gemacht,  Jeru- 
salem auch  in  der  Geschichte  des  Propheten  eine  Stelle  anzuweisen. 
Jedenfalls  aber  konnte  man  die  alte  richtige  Deutung  des  Ausdrucks 
masgid  alaqsä  nicht  ohne  weiteres  beseitigen,  weshalb  denn  auch 
Jerusalem  zunächst  nur  als  Etappe  auf  dem  Wege  zum  Himmel  angesehen 
wurde.  Als  solche  erscheint  es  in  der  Überlieferung,  auf  die  sich  'Abdal- 
malik  bei  Ja'qübi  bezieht  und  die  doch  wohl  älter  ist  als  seine  Maß- 
nahme: »und  dieser  Fels,  von  dem  überliefert  wird,  der  Prophet  habe 
seinen  Fuß  auf  ihn  gesetzt,  als  er  zum  Himmel  emporstieg,  soll  euch  die 
Stelle  der  Ka'ba  vertreten«  3).  In  dieser  Überlieferung  haben  wir,  soweit 
ich  sehe,  das  älteste  Zeugnis  für  eine  Fußspur  des  Propheten  {qadam  ra- 
sül),  wie  sie  später  in  großer  Zahl  in  verschiedenen  Teilen  der  islamischen 
Welt  auftauchen  4).  Nun  wissen  wir,  daß  in  der  Basihka  der  Himmel- 
fahrt auf  dem  Ölberge,  die  schon  von  Sulpicius  Severus  (f  4^0) 
beschriebene  Fußspur  Jesu  auch  noch  im  7.  Jahrhundert  verehrt 
wurde.  Der  Pilger  Arculf,  der  Jerusalem  um  670  besuchte  und  uns 
auch  die  älteste  Beschreibung  der  Moschee  Omars  liefert  5),  schildert, 
wie  die  Pilger  täglich  Teile  des  Staubes  mitnehmen,  ohne  daß  die  Erde, 
für   immer   gezeichnet   durch    den   Abdruck    der    Fußspur    Jesu,    ihr 


I)  s.  NöLDEKE  in  ZDMG.  XXIX  S.  95,  Wellhausen  a.a.O.  S.  64,  R.  Hartmann, 
Dey  Felsendom  in  Jerusalem  S.  33. 

-)  Caetani,  Annali  21  §  87,  R.  Hartmann,  ZDPV.  Bd.  32,  S.  194. 

3)  Jaqüh'i,Historiaell2ii  ^ij  *Jtljo  ^L'!i3**«;  q^  lF-Jj-  ls'"^^^  "s-^/^ii  8iA% 
Xa*<JI  (.liw  *<i  [»^ÄJ  J^U^il  -Jt  lA*/^  Ui  Lg-^i-fi  Ä/üJö.  —  Nach  der  Confutatio 
Agareni  des  Barlholomaeus  Edessenus,  Migne,  Patrologia  Graeca  Bd.  104,  Spalte 
1392  und  1440'  steht  Muhammed  mit  dem  einen  Fuß  im  Himmel,  mit  dem  andern  in  Jeru- 
salem. Der  Bericht  wird  dort  auf  Fätima  zurückgeführt.  Bartholomaeus,  dessen  Alter 
Migne  nicht  kannte  (s.  die  notitia  S.  1380),  erwähnt  die  Gründer  der  vlermadähib  (Sp.  1402) 
und  nennt  von  den  72  Sekten  die  Mo'JTotvt  (Mu*tazila)/Ia|j.aiXi  (Isma'ilija),  Xa(Jiat[i.O'j 
(yärimija?  Gahmija?)  und  Seircpi  (Sifrlja),  daselbst  Sp.  1403.  Güterbock,  Der  Islam  im 
Lichte  der  byzantinischen' Polemik,  S.  22,  setzt  Bartholomaeus  in  die  Zeit  der  Kreuzzüge. 

<)  s.  GoLDZiHER,  Studien  II  397. 

5)  s.  Arndt  übs.  u.  erkl.  von  Micklev  I  S.   10/20.  ■  , 


j<o  J  o  s  e  f  Ho  ro  V  i  tz  , 

Aussehen  veränderte').      Das  Vorbild  Jesu,    das  auch  sonst  so  zahl- 
reiche Spuren  in  der  Biographie  des  Propheten  hinterlassen  hat,  wird 
auch  hier  nachgewirkt  haben.     Die  Fußspur  Jesu  befand  sich  an  der 
Stelle,  von  der  aus  er  zum  Himmel  aufgestiegen,  und  so  war  die  Ant- 
wort auf  die  Frage,  von  wo  aus  Muhammeds  Himmelfahrt  erfolgt  sei, 
von  vornherein  gegeben  -) :  es  konnte  nur  Jerusalem  in  Frage  kommen. 
Die  Erzählung  von  der  Reise  Muhammeds  nach  Jerusalem  hätte  sich 
dann  also  im  Anschluß  an  seine  dort  gezeigte  Fußspur  herausgebildet  3). 
Vielleicht  aber  klingt  auch  noch  die  Erinnerung  an  den  ursprüng- 
lichen Sinn  der  Vision  Muhammeds  in  der  Stellung  nach,  welche  Jeru- 
salem jetzt  in  der  Geschichte  der  Himmelfahrt  einnimmt.     Denn  es 
gibt  einen  Ort,  der  beides  vereint,  die  himmlische  Lage  und  die  Heilig- 
keit Jerusalems,  eben  das  himmlische  Jerusalem,  tj  o£  avu)  'IspouaaXrijx 
und  'lepouaaXYjfjLETTOupavio?  des  Neuen  Testaments,    welches   sich    nach 
IJagIgä  12  b  im  vierten  Himmel,  Zebül,  befindet.    Von  diesem  himmli- 
schen Jerusalem  heißt  es  in  der  syrischen  Baruchapokalypsc  43ff.,  es 
sei  dem  Adam  gezeigt  worden,  bevor  er  sündigte,   danach  Abraham 
und  später  Moses;  wie  das  Paradies  sei  es  im  Himmel  bei  Gott  bereit- 
gehalten 4).    Und  in  der  äthiopischen,  von  Halevy  veröffentlichten  5) 
Baruchapokalypsc  wird  Baruch  von  dem  Engel  Sutuel  in  das  himm- 
lische Jerusalem  {Ijarusälem  saniäjäwlt)  entführt  und  erhält  auf  seine 
Frage   die   Antwort,    es   sei   den   Märtyrern   zur  Wohnung  bestimmt, 
welche  diese  vergängliche  Welt  verachtet  und  gehaßt  und  um  der  Ge- 
rechtigkeit willen  den  Tod  erlitten  haben.    Aber  auch  die  Seele  Irenes, 

1)  daselbst  S.  38/39 

2)  s.  auch  ScHRiEKE  S.  15.    Nach  Haiabi  I  37110  v.  u.  und   ebenso  3728  weiß  der 
Bitriq  des  Qaisar,  dem  Abu  S'ufjän  vom  Isrä  des  Propheten  berichtet,  auf  Grund  seiner 

Belesenheit  in  der  »alten  Wissenschaft«  i^L^^i^Ü  (j^^Xä^-Ü  ci^>j.i  q-'«  «-^*^^  ^.-^  (;>  • 

3)  Einen  Einblick  in  die  Entstehung  der  Tradition  gewährt  der  bei  TabarT,   Tafstr 
XV M  angeführte  Hadit,  in  welchem  Hudaifa  zu  Zirr  Ibn  Hubais  sagt:    Lv.*    d^A-c    '^ 

4)  über  das  himmlische  Jerusalem  vgl.VoLZ,  Jüdische  Eschatologie  S.  336  ß.,  Messel, 
Die  Einheitlichkeit  der  jüdischen  Eschatologie  BZATW.  30  (191 5).  S.  89  ff . 

5)  Teezäza  Sanbat  S.  80  f.  Auch  Gorgorios  wird  von  Michael  das  himmlische  Jerusalem 
gezeigt,  daselbst  S.  99. 


Muhammeds  Himmelfahrt.  I60 

der  Schwester  des  heiligen  Abädir,  wird  auf  seine  Bitte  zur  Stärkung 
ihres  Glaubens  an  die  jenseitige  Strafe  in  das  himmliscne  Jerusalem 
entführt,  worauf  sie  dann  in  ihren  Körper  zurückkehrt  ^).  Auch  diese 
Vorstellung  kann  also  Muhammed  sehr  wohl  vertraut  gewesen  sein^*), 
und  als  er  sich  an  den  »entferntesten  Betört«  versetzt  fühlte,  mochte 
er  das  himmlische  Jerusalem  vor  sich  zu  sehen  glauben,  wie  viele 
Apokalyptiker  und  Visionäre  der  früheren  Zeiten. 

Durch  das  Selbstzeugnis  Muhammeds  ist  die  ekstatische  Himmel- 
fahrtalsein Erlebnisseiner  prophetischen  Laufbahn  gesichert,  in  welchen 
Abschnitt  dieser  Laufbahn  sie  fällt,   ist  aber  den  koranischen  Worten 
nicht   zu   entnehmen.      Darin  hat  Schrieke  3)    sicher  recht,    daß  die 
Himmelfahrt,  wie  auch  Bevan  gleichzeitig  erkannte,  in  der  traditionellen 
Biographie  ursprünglich    mit   der  Episode    der  Herzensreinigung  ver- 
bunden, also  wie  diese  in  die  Anfänge  seiner  Wirksamkeit  verlegt  war. 
Damit  ist  aber  nicht  bewiesen,  daß  sie  auch   wirklich  den  Charakter 
einer  Prophetenweihe  trug,  sondern  nur,  daß  die  Überlieferung,  als  sie 
seine  Biographie  unter  Benutzung  biblischer  und  pseudepigraphischer 
Vorbilder,  aber  auch  unter  Verwendung  altarabisch-heidnischer  Motive 
zusammenstellte,  sie  als  solche  auffaßte.  Schrieke  4)  selbst  weist  darauf 
hin,  daß  keineswegs  alle  Himmelsreisen  der  früheren  Ekstatiker  die  Ein- 
weihung in  ihren  prophetischen  Beruf  bedeuten,  und  die  ethnologischen 
Parallelen,   welche   er  beibringt,    reichen  bei   dem   Stillschweigen   des 
Quran    nicht    aus,    auch    die    Herzensreinigung    Muhammeds    als    ge- 
schichtlich  nachzuweisen.     Es  soll  nicht  bestritten  werden,    daß  Mu- 
hammed manches   aus  der  Praxis  der  Kähins  beibehalten  haben  mag 
(Schrieke  S.  25),  aber  die  Geschichtlichkeit  der  Herzensreinigung  läßt 
sich  auch  damit  nicht  beweisen,  daß  sie,  wie  Schrieke  meint  (S.  11), 
keinen  Anhaltspunkt  in    der  Literatur   der   ahl   al  kitäb  habe;    denn 
selbst  wenn  das  richtig  wäre,  so  bliebe  die  Möglichkeit,  daß  die  Über- 
lieferung  sie  arabisch-heidnischen  Vorstellungen    entsprechend    einge- 


')  vgl.  Synaxarium    Alexandrinum  ed.  Forget  I  43  u-*.JL-ij    -J'-^W^  u'^H'-^^-''  r)*-^  ^ 

Vi-M^sü  *— jji  l\5>L5  l-i5J\.äJ1      -i  JLj!    \;^i>i    iüL/«!    icüj    ,..i    ^>-w^l    .-^a 

lPiA.w.>-     Jf  OOLi.     Auf  diese  Stelle  verweist  schon  Chauvin,  Bibliographie   XI  208. 
-)  Daß  auch  die  Überlieferung  noch  etwas  von  ihr  wußte,  scheint  mir  daraus  hervor- 
zugehen, daß  Muhammed  im  Bau  al  maqdis    Ibrahim,  Müsä,  'Isä  und  alle  Propheten  traf; 
das  konnte  nicht  urspünglich  vom  irdischen  Jerusalem  gegolten  haben. 

3)  a.  a.  0.   S.  5,  9  und  29. 

4)  a.  a.  0.  S.  21.  —  Auch  in  der  oben  angeführten  Legende  des  Abädir  liat  sie  ihn 
nicht,  ebensowenig  im  Afta  Viral  Näniak. 

Islam  IX.  12 


170 


Josef  I-iorovitz, 


führt  und  ausgeschmückt  habe.  In  Wirklichkeit  finden  sich  aber 
Parallelen  zur  Herzensreinigung  in  der  christlichen  Heiligenlegende 
wie  in  der  Zarathustralegende.  Bereits  Chauvin  ^)  hat  auf  einige  hin- 
gewiesen, von  denen  namentlich  eine  Stelle  aus  dem  Leben  des  Timo- 
theus  as  säih  angeführt  sei-):  »Und  Gott  blickte  auf  ihn  und  sandte 
seinen  Engel  zu  ihm,  der  ihm  mit  der  Hand  über  das  Herz  strich, 
worauf  er  von  seinen  Schmerzen  genas.  Dann  öffnete  er  seinen  Körper 
mit  dem  Finger,  reinigte  die  Leber,  legte  sie  an  ihre  Stelle  zurück, 
richtete  das  Herz  wieder  her,  wie  es  vorher  war,  und  sprach  zu  ihm: 
»Du  bist  gesund  geworden;  sündige  nicht  mehr,  damit  dir  nicht 
Schlimmeres  widerfahre«  (Joh.  514).  Der  Sinn  ist  hier  freilich  ein 
etwas  anderer  als  in  der  Muhammedlegende,  und  noch  weiter  entfernt 
sich  von  der  Bedeutung,  welche  die  Herzensreinigung  in  ihr  hat,  was 
wir  über  sie  im  Zäd  sparamS)  lesen:  »The  third  (achievement  of  the 
archangel)  was  cutting  v.ith  a  knife  and  the  vital  parts  becoming 
visible  which  are  inside  the  abdomen  with  a  fiowing  forth  of  blood; 
and  after  the  hands  wcrc  rubbed  over  it,  it  became  healed.«  Das  wird 
dann  im  folgenden  so  erklärt:  »Thy  and  thy  coreligionists  accepting 
of  the  purereligionis,  as  to  thesteadfast  in  others,  such  that  through 
such  like  burning  of  fire,  pouring  of  hot  metal  and  through  an  Operation 
with  a  hot  Instrument  there  is  no  perversion  from  the  good  religion«, 
während  es  in  dem  späteren  Zariustnäma '^)  nur  heißt:  »Man  öffnete 
ihm  den  Leib  und  nahm  die  Eingeweide  heraus,  dann  legte  man  sie 
wieder  an  die  Stelle,  schloß  den  Leib  und  alles  war  wie  zuvor.«  Handelt 
es  sich  auch  beidemal  nicht  um  eine  Weihe,  so  bleibt  doch  die  Möglich- 
keit, daß  die  Herzensreinigung  in  der  Biographic  Muhammcds  auf 
ähnliche,   nicht  arabische  Vorbilder  zurückgeht. 

»)  Bibliographie  XI  208. 

^)  Synaxariiim  Alexandrinum  ed.  Forget  I  171  &J  jLa  iUwJi  J-«*,'»  *>^l  *^)    -äÄS 


iijc^LJ    s-t-»*.^    I  ö-ii    f*-^    *J  l5^^    ■'*"'~^'    ^w*.  qA  {^j^i   sOLs  ^^^  ^'^ti  — w«./)_. 

3)  Sacred  Books  of  the  Fast  XLVII   159. 

4)  bei  Wilson,  The  Parsi  Religion  S.  494.  —  Das  Zartustnäma  enthält  noch  eine 
andere  Parallele  zur  Muhammedlegende:  Durämarün,  der  von  der  Geburt  des  Zartust 
gehört  hatte,  begab  sich  nach  dem  Hause  seines  Vaters,  um  das  in  der  Wiege  liegende  Kind 
zu  ermorden;  doch  als  er  den  tötlichen  Streich  führen  wolUe,  erlahmte  seine  Hand,  und  er 
war  kraftlos  (Wilson  S.  484);  ähnlich  auch  schon  Dinkard  VII  3.  Das  erinnert  an  die 
Erzählung  von  Du'tür,  der  plötzlich  dem  Propheten  mit  gezücktem  Schwert  entgegentritt 
und  ihn  fragt,  was  ihn  jetzt  schützen  könne,  worauf  der  Engel  Gabriel  hervortritt  und  ihn 
zu  Boden  wiift.  Wäqidi  (Wellii.)  99,   Ihn    Sa*d  IIi  S.  24,  Dijärbakri,  JJanüs  I404. 


Muhammeds  Himmelfahrt.  17t 

Die    arabische    Literatur    selber   bietet    uns   aber    auch    ein    von 
ScHRiEKE  übersehenes  Beispiel  einer  Brustöffnung  aus  der  Entstehungs- 
zeit des   Islam.     Von  Omajja   Ibn  Abl-s-Salt  wird   erzählt  i),    daß   er 
eines  Tages  im  Hause  seiner  Schwester  im  Schlafe  lag,  als  sich  das  Dach 
öffnete  und  zwei  Vögel  erschienen  2),  von  denen  der  eine  sich  auf  seine 
Brust  warf,  sie  öffnete,  das  Herz  herausholte  und  auch  dieses  öffnete. 
Der  zweite  Vogel,  der  an  seiner  Stelle  verharrt  war,  fragte  den  ersten, 
»Hat  er  es  erfaßt?«  was    dieser   bejahte.    »Hat  er  es  angenommen.?« 
»Nein,  er  weigert  sich.«     Darauf  setzte  er  das  Herz  wieder  an  seine 
Stelle  und  erhob  sich  zum  Fluge.     Omajja  aber  folgte  ihm  mit  den 
Blicken  und  sprach:   »Euch  beiden  zu  Diensten,  hier  bin  ich  bei  euch, 
nicht  frei,   so  daß  ich  Entschuldigungen  vorbringen  und  nicht  zahl- 
reichen Stammes,  so  daß  ich  den  Sieg  erringen  könnte.«   Da  kehrte  der 
Vogel  zurück,  setzte  sich  ihm  abermals  auf  die  Brust,  öffnete  sie,  holte 
das  Herz  heraus  und  öffnete  auch  dieses.     Da  sprach  der  Vogel,  der 
oben  geblieben  war:  »Hat  er  es  erfaßt?«  »Ja.«  »Hat  er  es  angenommen?« 
»Nein,  er  weigert  sich.«    Darauf  machte  sich  der  Vogel,  der  auf  seiner 
Brust  gesessen,  zum  Fluge  bereit,  Omajja  aber  folgte  den  beiden  mit 
den  Blicken  und  sprach:    »Euch  beiden  zu  Diensten,  euch  beiden  zu 
Diensten,  hier  bin  ich  bei  euch,  kein  Besitz,    der   mich  reich  machte, 
und   kein  Stamm,    der  mich   schützte.«    Da  kehrte  der  Vogel  zurück, 
setzte  sich  ihm  auf  die  Brust,  öffnete  sie,  holte  das  Herz  heraus  und 
öffnete  auch  dieses.    Darauf  sprach  der  Vogel,  der  oben  geblieben  war: 
»Hat  er  es  erfaßt?«  »Ja.«  »Hat  er  es  angenommen?«  »Nein,  er  weigert 
sich.«     Darauf  machte  sich  der  Vogel  zum  Fluge  bereit,  Omajja  aber 
folgte  den  beiden  mit  den  Bhcken  und  sprach:   »Euch  beiden  zu  Dien- 
sten,  hier    bin  ich  bei  euch,    umgeben  von  Wohltaten,   bewahrt  vor 
Widerwärtigkeiten.«  Da  kehrte  der  Vogel  zurück,  setzte  sich  ihm  auf  die 
Brust,  öffnete  sie,  holte  das  Herz  heraus  und  öffnete  auch  dieses.    Da 
sprach  der  Vogel,  der  oben  geblieben:   »Hat  er  es  erfaßt?«    »Ja.«    »Hat 
er  es  angenommen?«     »Nein,  er  weigert  sich.«    Dann  machte  er  sich 
zum  Fluge  bereit,  Omajja  aber  folgte  ihnen  mit  den  Blicken  und  sprach: 
»Euch  beiden  zu  Diensten,  hier  bin  ich  bei  euch;  wenn  du  verzeihst, 
o  Gott,  verzeihst  du  im  ganzen,   und  welcher  von  deinen  Knechten, 


>)  AgänT  IlliSi  (Neudruck).    Vgl.  Sprenger,  Das  Leben  und  die  Lehre  des  Moham- 
mad  In;  f. 

2)  Damit  vergleiche  man  die  Version  des  Abu  Darr  bei   Buhäri,   Salät  i,  wonach 

> 

der  Prophet  gesagt  habe:   -^-ftS    J-^j-t^     dj^    '^^^     '^j^   \5^     OÜÜ«    ^^    ^j> 


j^2  JosefHorovitz, 

der  nicht  gefehlt? « ^)  Darauf  —  so  fuhr  seine  Schwester  in  ihrer  Er- 
zählung fort  —  schloß  sich  das  Dach,  und  Omajja  setzte  sich  auf  und 
wischte  sich  die  Brust  ab.  Ich  fragte  ihn:  »Fühlst  du  etwas?«,  worauf 
er  erwiderte:  »Nein,  nur  Hitze  in  meiner  Brust«.  Darauf  sprach  er 
die  Verse:  »Hätte  ich  doch,  bevor  mir  dieses  vor  Augen  trat,  auf  den 
Bergspitzen  die  Steinböcke  gehütet;  darum  stelle  dir  den  Tod  vor 
Augen  und  hüte  dich  vor  der  Tücke  des  vSchicksals,  denn  das  Schicksal 
hat  seine  Tücken  =).«  —  Neben  diesem  ausführlichen  Bericht  finden 
sich  noch  mehrere  kürzere,  die  mit  ihm  im  wesentlichen  übereinstimmen; 
in  manchen  3)  wird  ausdrücklich  hervorgehoben,  daß  sich  alles  zutrug, 
während  Omajja  schlief,  in  andern  4)  lautet  die  zweite  Frage  des  oben 
gebliebenen  Vogels  nicht :  »Hat  er  es  angenommen?  «,  sondern  »Ist  er  rein?  « 
Nach  einer  Version  5)  hätte  die  Schwester  des  Omajja  dem  Propheten 
erzählt,  sie  habe  im  Wachzustande  zwei  Geier  gesehen,  die  sich  auf  das 
Dach  ihres  Hauses  niederließen,  in  welchem  ihr  Bruder  schlief.  Der  eine 
von  diesen  habe  sich  ihrem  Bruder  auf  die  Brust  gesetzt,  sie  geöffnet, 
mit  etwas  gefüllt  und  dann  wieder  geschlossen.  Darauf  habe  er  sich 
erhoben  und  sei  von  dem  andern  Geier  gefragt  worden,  ob  Omajja  die 
Worte  erfaßt  habe,  was  er  bejahte,  während  er  die  Frage,  ob  er  rein 
sei,  verneinte.  Auf  dieses  Erlebnis  sei  die  Gabe  Omajjas  zurückzuführen, 
in  seinen  Gedichten  weise  Aussprüche  zu  tun  und  von  der  Einheit 
Gottes  und  dem  Höllenfeuer  zu  sprechen.  In  den  andern  Berichten 
wird  das  nicht  so  deutlich  gesagt,  sondern  der  Nachdruck  darauf  gelegt, 
daß  er  die  überirdischen  Eingebungen  zwar  vernommen,  sie  aber  nicht 

')  Dieser  \'ers  bei  Schvlthess,  Umajja  ihn  Jbi-s-Sa!t  (Leipzig  lOii)  Nr.  LIV.  — 
Nach   Uds.  V516  sprach  er  ihn  unmittelbar  vor  seinem  Tode- 

^)  Diese  beiden  Verse  bei  Schulthess,  Umajja  Nr.  XLVII. 

3)  Ibn    al    Atir,  Usd  al  qäba  V516,  wo  al  Färi'a  erzähU :  ^ä^     ^-yAi     ^^c^'     p^^ 


^Jw..5 


4)  AgänT  III  181  Zeile  4  v.u.,  ebenso  Bagawi,  TafsTr  zu  Sure  7174.  Vgl.  ferner 
('Jumahi,  Tabaqüt  ed.  Hell  öjf.,  Ta'labi,  Qhas  166  f.:  s.  Sprenger  a.a.O.  1181; 
daselbst  119  wird  auch  noch  auf  den  Artikel  des  Isäba  über  Färi'a  verwiesen. 

5)  Balaw!,    AU\  Bä  II508   (vgl.  Goldziher,   Ahhandlxmgen  I213):    e>-^^'      •^-3 

■  Sj£  *xj    ^-5     ^c.    ,V.P    .r>^^    ..>^ki\    \J    <}Jä.i    —  -£•»    ^^^1.*^^    *.i    t,  ^^J    »'..^>» 


Muhammeds  liimmelfalirt,  1/3 

-anerkannt  habe^),  bis  er— nach  dem  ersten  Bericht  — sich  seiner  Sünden 
bewußt  geworden  und  um  Verzeihung  gebeten  habe.  Es  ist  nicht  ganz 
klar,  in  welchem  Verhältnis  diese  Nachrichten  zu  denen  von  der  Brust- 
öffnung des  Propheten  stehen;  daß  sie  erst  als  Gegenstück  zu  diesen 
erfunden  seien,  wie  Power  meint  -),  ist  kaum  anzunehmen,  eher,  daß 
solche  Erzählungen  von  arabischen  Dichtern  und  Wahrsagern  den  Ur- 
hebern der  Prophetenbiographie  die  Notwendigkeit  nahelegten,  ihrem 
Helden  ähnliche  Erlebnisse  anzudichten.  Aber  sicher  ist  das  nicht; 
wie  wir  oben  gesehen,  können  auch  nichtarabische  Vorbilder  bei  der 
Aufnahme  dieser  Episode  m  die  Lebensgeschichte  Muhammeds  mit- 
gewirkt haben. 

Wie  stark  die  spätere  Ausmalung  von  Mohammeds  Reise  durch 
die  sieben  Himmel  unter  dem  Einfluß  der  jüdischen,  christlichen  und 
vielleicht  auch  parsischen  Apokalypsen  steht,  hatScHRiEKE  im  einzelnen 
nachgewiesen  3):  Aber  nicht  nur  die  pseudepigraphischen  Schriften 
haben  den  muhammedanischen  Erzählern  als  Quelle  gedient,  auch  Re- 
miniszenzen aus  den  kanonischen  Büchern  der  Bibel  lassen  sich  nach- 
weisen. Eine  solche  scheint  mir  nicht  nur  in  der  bekannten  Erzählung 
von  Muhammeds  Feilschen  um  die  Zahl  der  Gebete  4)  vorzuliegen, 
welche  ihr  Vorbild  in  Genesis  XVIII  ,^_^,  hat,  sondern  auch  in  einer  auf 
^il  Hasan  zurückgeführten  Überlieferung  5),  derzufolge  der  Prophet 
erzählt  habe:  »Während  ich  im  Higr  schlief,  kam  Gabriel  zu  mir  und 
stieß  mich  mit  dem  Fuße.  Da  setzte  ich  mich  auf,  sah  aber  nichts  und 
legte  mich  wieder  hin.  Da  kam  er  zum  zweiten  Male  zu  mir  und  stieß 
mich  mit  dem  Fuße,  worauf  ich  mich  aufsetzte,  aber,  da  ich  nichts  sah, 
wieder  niederlegte.  Da  kam  er  zum  dritten  Male,  stieß  mich  mit  dem 
Fuß  und  ergriff  meinen  Arm,  worauf  ich  mich  erhob  und  er  mich  zum 
Tore  der  Moschee  führte.  Dort  stand  ein  Tier«  usw.;  in  dieser  Episode 
glaube  ich  eine  Nachahmung  der-  Erzählung  von  Samuels  Traum  im 
Tempel   (I  Samuelis  33_,o)  zu  erkennen. 

Bei  der  Schilderung  der  Flöllenstrafen  M  liegt  es  nahe,  an  parsische 
Vorbilder  zu  denken.     Freilich  nehmen  die  Strafen  der  Verdammten 

I)  Gumahl    \JLxs5    ^i.5    5^.Ai>    ^i    *.ii!    ol^i    ^:>-j    ^^j'. 

^-)  s.  MFO.  V2  S.  189*. 

3)  S.  16  ff.  —  Zu  der  von  Bousset  in  seinem  bekannten  Aufsatz  verwerteten 
Litcratur-kommen  noch  die  bereits  oben  angeführten  äthiopischen  Apokalypsen  des  Baruch 
und  Gorgorios,  die  Hal^vy  in  seinem  Teezäza  Sanbai  veröffentlicht  hat. 

4)  ScHRiEKE  S.  19  Anm.  6.  —  Auch  in  den  MaiäzT  lassen  sich  Nachahmungen  bibli- 
scher Schlachtenschilderungen  beobachten,  s.  Sarasin,  Das  Bild  Alis  S.  19  ff-  und  v.  M/.ik 
in  WZKM.  XXIX  S.  371-  '     •       '    • 

5)  Ibn    Hisäm   264:  ff. 

6)  ScHRiEKE  S.  17,  18   Anm.  i.    Eine   andere   Beschreibung  der   llolle.nstrafcn   bei 

Buhäri,   Ta^blr  48,. 


,_.  TosefHorovitz, 

1/4  -^ 

auch  in  der  Petrus-,  Sophonias-  und  Paulusapokalypsc  0  einen  breiten 
Raum  ein,  aber  es  finden  sich  doch  Einzelheiten,  welche  mit  den  Arta 
Viral  Nämak  so  auffällig  übereinstimmen,  daß  man  eine  Entlehnung 
annehmen  möchte.  Man  vergleiche  namentlich  den  folgenden  Passus 
bei  Ibn  Hi§äm=)  :  »Dann  sah  ich  Frauen,  die  an  ihren  Brüsten  auf- 
gehängt waren,  und  ich  sprach:  »Wer  sind  diese,  o  Gabriel?«  Da  ant- 
wortete er:  »Das  sind  die,  welche  ihren  Männern  Kinder  gebracht  haben, 
die  nicht  von  ihnen  gezeugt  waren«,  mit  ArtaViräf  Nämak  Cap.  243): 
»I  also  saw  the  soul  of  a  woman  who  was  suspended  by  the  breasts  to 
hell  .  .  .  And  I  asked  thus:  »What  sin  was  committed  by  this  body, 
whose  soul  suffers  such  a  punishment?«  Srösh  the  pious  and  Äterö  the 
angel  said  thus:  This  is  the  soul  of  a  wicked  woman  who  in  the  world 
left  her  own  husband  and  gave  hersclf  to  other  men  and  committed 
adultery.«  Wir  finden  hier  beide  Male  dieselbe  Strafe  für  Vergehen, 
welche  im  Grunde  gleich  sind.  Schrieke  4)  nimmt  auch  für  die  drei 
Becher,  die  Muhammed  angeboten  werden,  iranische  Plerkunft  an, 
wenn  sie  auch  im  Arta  Viräf    Nämak    eine    ganz  andere  Bedeutung 

haben. 

Man  hat  sich  daran  gewöhnt,  den  Isrä  als  die  nächtliche  Reise 
nach  Jerusalem  dem  Mi'räg-  als  der  Himmelfahrt  gegenüberzustellen. 
Aber  nicht  nur  ist  der  Tradition  dieser  Unterschied  ursprünglich  fremd 
und  gebraucht  sie,  wie  schon  Schrieke  gezeigt  5),  isrä  auch  im  Sinne 
von  Himmelfahrt,  sondern  die  ältesten  Werke  der  Sira-  und  Hadit- 
literatur  verwenden  mi'räg  überhaupt  nicht  im  Sinne  von  »Himmel- 
fahrt« oder  »Aufstieg«,  sondern  kennen  das  Wort  lediglich  in  der  Be- 
deutung »Leiter«.  Auch  die  arabischen  Lexikographen  verzeichnen  die 
Bedeutung  »Aufstieg«  nicht,  wofür  vielmehr  'z^nT^  gebraucht  wird;  erst 
aus  späterer  Zeit  läßt  sich  mi'räg  im  Sinne  von  Himmelfahrt  belegen 6). 

I)  Vgl.  Dieterich,  Nekyia  174  ff.;  Weinel  in  Hennecke,  Neutestamentliche  Apo- 
kryphen S.  212  ff. 

^)  269  ult.:    Jo^-A^     Lj    t^l>^    ^T'»    ^^•^ÄS    ^i;:iy^i    o'läU^    tL^^i    <j^j\j    *'i 

^o^.i  ^A  ^J  ^  ^L:>J!   ^JL^  c^^=>^\  ^-^'^  ^V  ^^''    t^^g'-  '^''''  '-^"^^^ 

Tor  Andrae,  Die  Person  Muhammcds  S.  44  Anm.  i.  —  Korrekturzusatz.] 

3)  ed.  Haug  and  West  (1872)  S.  171.  Nach  West  imGnindnß  der  iranischen  Philo- 
logie II108  ist  die  Schrift  nicht  älter  als  das  7.  Jahrhundert. 

4)  a.a.O.   S.   18. 

5)  a.  a.  0.  S.  14. 

6)  In  der  Überschrift  bei  I.  His.  268  oLJ^Sl  ^a  t^i  ^^  L/I5  -L"*^'''  ^'^^ 
hat  es  bereits  diese  Bedeutung,  nirgends  aber,  soweit  ich  sehe,  im  Text  des  Ibn  Hisäm. 
Haiabi  I  37414  führt  aus  dem  TafsIr  des  Qurtubi  eine  Stelle  an,  in  der  es  heißt:  yts 

^'l£>    ^*Lo    xJÜ!     6^^j    0^^:>^A     U^   Jus     d^*/*     ^JJ!     U5'^^    d-Aj^=>-    ^H^ 


Muhnmmcds   [iiiiuiiclfahrt. 


175 


Der  mi'räg-  ist  lediglich  ein  Mittel  des  Aufstiegs  und  gehört  zur  Him- 
melfahrt wie  der  Buräq  ursprünglich  zur  Reise  nach  Jerusalem  ");  erst 
später  dient  dieser  auch  dazu,  den  Propheten  gen  Himmel  zu  tragen.  In 
einem  mehrfach  wiederholten  Hadit  erscheint  der  mi^räg-  nicht  nur  als 
die  Leiter,  mittels  deren  Engel  und  Propheten  zum  Himmel  hinauf- 
steigen, sondern  welcher  sich  auch  die  Seelen  der  Toten  bedienen  2). 
Von  einer  solchen  Leiter  der  Toten  wissen  die  jüdischen  und  christ- 
lichen Quellen  nichts  3),  aber  Bevan  hat  darauf  hingewiesen  4),  daß 
nach  manichäischer  Lehre  drei  Götter  den  Toten  zur  Mondsphäre  {jalak 
al  qamar)  vermittelst  der  »Säule  des  Ruhms <(  (^amüd  as  sahh)  führen  5), 
und  es  mag  in  der  Tat  ein  Zusammenhang  zwischen  beiden  Vorstellungen 
bestehen,  obwohl  das  eine  Mal  von  einer  Säule,  das  andere  Mal  von 
einer  Leiter  die  Rede  ist.  Daß  aber  die  Leiter,  die  Muhammed  zum 
Himmel  führt,  auf  die  Jakobsleiter  zurückgeht,  hat  schon  Schrteke  ^) 
angenommen.    Obwohl  der  Ouran  über  Jakob  fast  ganz  schweigt?),  so 


...L5'  iüi  A.S-  .cLyb  „i-*^j  {^\  kjJi\  J~<wjt  lAs»)  \jj'Ci  Q.jJ.A«.4.il3  ^^^j^kl\ 
i.\.ii    ii./<*^!    ilJL-J       -5,  vgl.  auch  daselbst  Zeile  =;  v.  u. :  .-X-S   —ijuJ)    .■■S      -ic    i^LÄj 

il-Aw^Sl  KJLü  ^5.  Ebenso  hat  mi'räi^  die  Bedeutung  »Himmelfahrt«,  z.  B.  in  der 
Überschrift  Kanz  al  'ummäl  VI  96.  Dagegen  heißt  es  z.  B.  Haiabi  391  Zeile  11/12: 
—  ►.*iL    r.!.jw^J    (  q\  Nxil   u!>J^  Jv.S»r  X-*^.     Ebenso  daselbst  37413  v.u.:   \c«.r>.,  lAxJ 

-.^.xi!    ^^;  375,,, 3 :„.^^!    J.X5    kiL)3    ^Ia^    >^\    iUj. 

■)  Bevan  a.  a.  0.   S.   57:  »The  proper  function  of  the  Buräk  is  to  carry  the  Prophet 
to  Jerusalem,  not  to  Heaven.« 

-)  Ibn    Hisäm  268,  wo  Abu  Sa'id  al  HudrI  sagt:    üjjij  *.xi.A3  ^^'    4^-*^'  ^jy^a^j*. 


CS- 


;,o!    \x5.     Derselbe  Hadit  bei  Tabarl,  Tafsir  XV  n;  voran  geht  dort  ein  anderer,    eben 

falls  auf  Abu  Sa'id  zurückgeführter,  in  dem  es  heißt  (daselbst  S.  10):    _Lx-*.JLj     c>  (*-'-i 

c>.A4.il      ^i^    -J    *.!5  ^:>^J^  Lxi    .-.w.;>^  J.P    ÜLs    J.0I      --0    --'»j^    ^>r5    — ^.*j    i^Ä.^^ 

;^j\    »^i    Läj    _  ,*5    \xM    ».AiJ    iA>^j    v^x^ .     Vgl.  auch   Oastalläni  VI  204. 
c  •••(!.->••       -^     ■  ■•  ..  &  -<      • 

3)  In  der  Apokalypse  des  Gorgorios  (ed.  Halevy,  Teezäza  Sanhat)  S.  97  heißt  es  in 
bezug  auf  die  Seele  des  Frommen  nur,  daß  die  Engel  ja'äregu  nafsö  westa  samäj  ba 
weddäse  wa  be  sebhat. 

4)  a.  a.  0.  S.  59. 

5)  FiHRIST   335to  ff. 
^)  a.  a.  0.  S.  12. 

7)  Geiger  a.a.O.   137  f.;  Gkünbaum,  Nene  Beiträge  zur seniilischenSagenkimdei^^. 


I  76  J  o  s  u  f  H  o  r  ()  V  i  t  z  , 

läßt  sich  doch  wahrschcinhch  machen,  daß  Muhammcd  die  Jakobs- 
leiter gekannt  hat.  Denn  in  Sure  703, 4,  wo  er  von  Allah  als  »dem  Herrn 
der  Stufen«  spricht,  »zai  dem  die  Engel  und  der  Geist  aufsteigen«, 
spielt  er  wohl  auf  sie  an  und  bezeichnet  sie  mit  dem  gleichen  Ausdruck 
[ma'^ärig),  mit  dem  auch  das  äthiopische  Jubiläenbuch  (2721)  das 
snlläm  des  hebräischen  Textes  (Genesis  2812)  wiedergibt  [wayiähü 
ma^äreg  tekelt  westa  meder)  ^).  Im  Äthiopischen  kommt  sowohl  ma'-reg 
(Plural  ma'-äreg)  als  auch  meWäg  (Plural  m.e'^rägät)  vor,  und  das  dem 
letzteren  genau  entsprechende  mi'-räg-  hatte  schon  Wellhausen  2)  als 
Lehnwort  aus  dem  Äthiopischen  bezeichnet.  Nüldeke  3)  hat  gegen 
diese  Herleitung  eingewandt,  mi'-räg- sc\  schwerlich  schon  zu  Muhammcds 
Zeiten  im  Gebrauch  gewesen,  wenn  es  aber  erst  etwas  später  aufge- 
kommen sei,  so  könne  es  nicht  abcssynischcn  Ursprungs  sein;  auch 
bedeute  das  äthiopische  meWäg  Bodenerhebung,  nicht  aber  das  Auf- 
steigen als  Abstraktum.  Was  den  ersten  Einwand  anlangt,  so  führt 
Nöldeke  selbst  einige  erst  aus  der  Zeit  nach'  Muhammcd  belegte 
arabische  Wörter  auf,  die  er  nlxT  nichtsdestoweniger  aus  dem  Abessyni- 
schen  ableitet.  Und  die  abstrakte  Bedeutung  »das  Aufsteigen«  hat, 
wie  wir  oben  gesehen,  das  arabische  mi'-räg-  ebenfalls  von  Haus  aus 
nicht,  während  Dillmann  die  Bedeutung  gradus  nicht  nur  für  das 
äthiopische  ma'-reg,  sondern  auch  für  me'räghQlegt.  Daß  das  koranische 
ma'ärig  aus  äthiopischen  ma^äreg  entlehnt  sei,  scheint  mir  nach  dem 
oben  Ausgeführten  sehr  wahrscheinlich,  und  seine  Verwendung  im 
Ouran  4)  spricht  dafür,  daß  auch  mi'räg  schon  zu  Muhammieds  Zeiten 
bekannt  gewesen  sei.  Jedenfalls  bestehen  keine  Bedenken,  auch  dieses 
aus  dem  Äthiopischen  herzuleiten. 

Muhammcd  hat  sich  auch  mit  Spekulationen  über  die  Höhe  der 
Himmelsleiter  befaßt,  wie  die  Fortsetzung  des  angeführten  Ouran- 
verscs  beweist,  »die  Engel  und  der  Geist  steigen  zu  ihm  in  einem  Tage, 
dessen  Länge  50  000  Jahre  ist«.    Ähnliche  Angaben  finden  sich  auch 


')  Dagegen  gibt  die  äthiopische  Bibelübersetzung  siilläm  in  Genesis  2812  mit  sawäsew 
wieder. 

-)  Reste  arabischen  Heidentums  -  232  Anm.   i. 

3)  I<Ieue  Beiträge  zur  semitischen  Sprachwissenschaft  S.  50  Anm.  i.  Auch  Nc'ildeki; 
kennt  keine  vorkoranischen  Belege  für  *araga  im  Sinne  von  hinaufsteigen;  im  Quran  wird 
neben  *araga  auch  raqija  und  sa'ada  V  gebraucht.  Im  Äthiopischen  bedeutet  der  Singular 
ma'reg  gradus  oder  scala,  der  Plural  ma'äreg  auch  scalae  im  Sinne  von  Leiter  und  Treppe, 
s.  DiLLM.\NN  s.  V.  'araga.  Außer  den  daselbst  verzeichneten  Stellen  kommt  auch  Ascensio 
Isaiae  74  in  Betracht  söba  a^ragüka  tna'ärega,  wo  Dillmann  in  der  Übersetzung  »ascensus« 
und    »gradus«  zur  Wahl  stellt. 

4)  Eine  parallele  Bezeichnung  ist  rafl'  ad-daragai,  womit  AUäh  in  Sure  4O15  be- 
zeichnet wird. 


Muhammeds  Himmelfahrt.  j^- 

sonst:  nach  einer  Aussage  des  babylonischen  TahiiucP)  beträgt  die 
Breite  der  Himmelsleiter  8000  Parasangen,  über  ihre  Höhe  wird  dort 
nichts  gesagt,  doch  wird  an  andern  Stellen  angegeben  -),  die  Entfernung 
von  der  Erde  bis  zum  untersten  der  sieben  Himmel  betrage  500  Jahre 
die  Ausdehnung  jedes  der  sieben  Himmel  ebensoviel,  und  der  Zwischen- 
raum zwischen  einem  Himmel  und  dem  nächsten  ebenfalls  je  500  Jahre 
wonach  also  die  Entfernung  von  der  Erde  bis  zum  siebenten  Himmel 
sich  auf  7000  Jahre  beläuft  und  —  rechnet  man  gleichermaßen  die 
Entfernungen  der  sieben  Erden  dazu  —  von  der  untersten  Erde  bis 
zum  obersten  Himmel  3)  auf  14000  Jahre.  Auch  bei  den  Persern  4) 
fmden  wir  ähnliche  Angaben,  die  aber  nach  Parasangen,  nicht  nach 
Jahren  rechnen.  Wahrscheinlich  steht  auch  hier  Muhammed  unter  dem 
Einfluß  der  jüdischen  Spekulation. 

Der  Geist  {riik),  der  nach  Sure  7O4  mit  den  Engeln  zu  Alläh  empor- 
steigt, ist  der  gleiche,  der  nach  Sure  7838  am  Tage  des  Gerichts  mit  den 
Engelnzusammenineiner Reihesteht,  wobeisie  nur  mitErlaubnis  des  All- 
crbarmers  reden;  nach  Sure  974  steigt  der  rü/t  mit  den  Engeln  zu- 
sammen in  der  Lailat  al  qadr  herab  und  nach  Sure  162  wird  er  zu 
den  von  Alläh  Auserwählten  herabgesandt.  An  dieser  letzten  Stelle 
wird  er  näher  als  wüh  min  amrihi«  bezeichnet,  ebenso  Sure  4O1-,  wo 
es  von  dem,  »der  hoch  ist  an  Stufen«  (m/z'  ad-darag-ät)  heißt,  daß  er 
diesen  ruh  min  amrihi  auf  die  seiner  Diener  herabsendet,  die  er  dazu 
auserwählt,  während  nach  4252  ein  r?l// mm  amn«äzu  Muhammed  herab- 
gesandt worden  ist.  Auch  in  Sure  17  S7  wird  auf  die  Frage,  was  der  nlh 
sei,  im  göttlichen  Auftrag  geantwortet,  »der  nlh  ist  von  dem  amr 
meines  Herrn«  5).  Der  »Geist«  geht  also  aus  dem  y^7nr  Allahs  hervor, 
und  dieser  ist  nach  den  übrigen  Stellen,  an  denen  von  ihm  die  Rede 


^)  Hullin  91b. 

-)  Pesähim  946,   Hagigä  13  a. 

3)  Vgl.  Tabari,    T^/sfr  XXIX    S.   31 :    ^.^j        .5     ^Oo     *P0.*o      \Xsla    ,.\S 

4)  Nach  Vendidad  XIX, 07 1:1  befindet  sich  die  Wohnung  des  Ahuramazda,  der  Garön- 
inära,  24  X  24000  Parasangen  über  der  Erde.  Vgl.  weiteres  bei  Lidzb.'^rski,  Das  Johannes- 
buch der  Mandäer  S.  8  Anm.  5.  Nach  Hagigä  13  b  ist  der  Engel  Sandalfön  500  Jahresreisen 
höher  als  seine  Gefährten  und  reicht  bis  zu  den  Hajjöt.  Über  die  Ausdehnung  der  Himmels- 
tore s.  auch  die  griechische  Baruchapokalypse  2,  3,  und  4. 

5)  Nach  der  Konjektur  Ryssels,  der  in  der  syrischen  Baruchapokalypse  214  "f.A  V'.n  -^ 

statt  OUf  '-0  T'   lesen  will,    wären   auch  in  diesem  Vers   »Geist«  und   »Wort«  nebenein- 
ander genannt. 


178  Joscffloiovitz, 

ist,  eine  der  Hypostasen  Allahs,   durch  die  er  auf  die  Welt  einwirkt. 
Wie  in  den  Spekulationen  über  die  kosmischen  Maße  ist  Muhammed 
auch  in  den  subtileren  über  die  göttlichen  Hypostasen  von  älteren  Vor- 
stellungen abhängig.  \'om  ruh,  dem  rüah  haqödes  oder  rilhä  de  qudsä 
ist  das  ohne  weiteres  klar,  vom  amr  aber  hat  Grimme  nachzuweisen  ver- 
sucht '),  daß  er  südarabischen  Ursprungs  und  mit  dem  aus  den  süd- 
arabischen   Inschriften   zu   belegenden   amr,   das   dort   einen   aus  ver- 
schiedenen Göttern   emanierenden   Logos   bedeute,    gleichzusetzen   sei. 
Um  den  christlichen  Logos  könne  es  sich  dabei  nicht  handeln,  denn 
dieser  werde  in  Sure  340  und  4169  durch  »Kalimat  Allä/m  wiedergegeben, 
und  ebensowenig  könne  der  südarabische   amr  eine   Entlehnung  aus 
dem  jüdischen    memrä    sein,  da  dieses  nur  dem  Targum  Onqelos  ange- 
höre und  in  der  späteren  Literatur  nicht  mehr  üblich  sei.     Damit  ist 
aber  keineswegs  gesagt,  daß  dieses  Wort  zur  Zeit  Muhammeds  in  dessen 
jüdischer  Umgebung  vergessen  gewesen  wäre,  da  ja  das  Targum  zum 
Pentateuch  von  alters  her  neben  dem  hebräischen  Text  allgemein  gelesen 
wurde  2);  übrigens  ist  auch  weiterhin  das  hebräische  dibber  bzw.  dib- 
hür  in  der  gleichen  Bedeutung  wie  memrä  üblich  3).    Ohne  in  eine  Dis- 
kussion darüber  einzutreten,  ob  das  südarabische  amr  im  Sinne  Grimme's 
zu  deuten  ist  und  für  die  Frage  nach  dem  unmittelbaren  Ursprung  des 
quranischen   avir  überhaupt   in  Betracht   kommt,    möchte   ich   dieses 
letztere  jedenfalls  mit  dem  targumischen  memrä  gleichsetzen,  aus  dem 
auch  wohl  das  südarabische  amr  herzuleiten  wäre,  falls  es  die  Bedeutung 
hat,  die  Grimme  ihm  beilegt.     Daß  Muhammed  der  Ausdruck  memrä 
vertraut  war,  scheint  mir  um  so  eher  anzunehmen,  als  er  nicht  nur, 
wie  längst  erkannt  4)^  das  damit  zusammengehörige  Sekintä  (bzw.  hebr. 
sekina)  in  der  Form  sakina  verwendet,  sondern,  wie  ich  glaube,  auch 
die     dritte     der     im   Onqelostargum     für   den    Gottesnamen   üblichen 
Umschreibungen,  jeqär;   denn  das  Sure  71 13  vorkommende  waqär,  wel- 
ches die  Kommentatoren  mit  '■ag?na  umschreiben,  scheint  mir  aus  jeqär 
entlehnt  zu  sein  5). 


')  Orientalische  Studien,  Tu.  Nöldeke  gewidmet  I  S.  453  ff. 

^)  Vgl.  bereits  Beräköt  8a:   Ci^^f    n^UH    DV    TTlVlin?    CHvS*    C^bir"»    cSlV^ 

3)  s.  die  Belege  bei  Dalman,  Worte  Jesu  188  f.,  Bacher,  Exegetische  Termiiwlogic 
I  18/19.  —  Im  Syrischen  und  Christlich-Palästinischen  wird  Xoyo;  durch  jA^lJJ  wieder- 
gegeben, dessen  Übersetzung  das  arabische  K.^J-S'  ist.  Im  Äthiopischen  %vird  h'jyjt  durch 
qäl  übersetzt. 

4)  s.  besonders  Goldziher,  Abhandlungen  Ii79fT. 

5)  Wie  Dal.man  a.a.O.  nachweist,  finden  sich  alle  drei  Ausdrücke  Johannes  I14, 
wo  Xdyo;  dem  memrä  entspricht,  mit  £ax-^vioa£v  auf  die  seklnä  abgespielt  wird  und  oo;a 
mit  jeqär  gleichzusetzen  ist.  —  Über  waqär  und  sakina  im  späteren  arabischen  Sprach- 
gebrauch s.  Goldziher  a.a.O.   186  ff. 


Muhammeds  Himmelfahrt.  j  ^q 

Der  mi'-räg  ist  nur  eines  der  Mittel,  mit  deren  Hilfe  man  in  den 
Himmel  gelangt,  ein  anderes  ist  der  Buräq,  dessen  ursprüngliche  Funk- 
tion, auf  Erden  als  Reittier  zu  dienen  '),  schon  früh  eine  Erweiterung 
erfahren  hat.  Seit  Blochet's  Aufsatz  -)  wird  vielfach  angenommen, 
der  Buräq,  Name  so  gut  wie  Vorstellung,  sei  iranischen  Ursprungs, 
wenn  auch  diese  Behauptung  nicht  ohne  Widerspruch  geblieben  ist. 
Bereits  Bousset  3)  hatte  jedenfalls  die  unmittelbare  Herleitung 
aus  dem  Tranischen  beanstandet,  und  neuerdings  hat  Schrieke  4)  seinen 
Zweifeln  an  Blochet's  etymologischen  Bemerkungen  Ausdruck  gegeben. 
Blocket  geht  aus  von  einer  Stelle  des  uigurischen,  aus  dem  Persischen 
übersetzten  Mi'^räg-näme,  in  welchem  der  Buräq  beschrieben  wird  als 
»plus  petit  qu'un  mulet,  mais  plus  grand  qu'un  äne»5),  und  wo  hinzu- 
gefügt wird  »son  visage  ressemblait  ä  celui  d'un  etre  humain«.  Mit 
dieser  Beschreibung  stimmt  auch  eine  Miniatur  in  der  Pariser  Hand- 
schrift des  uigurischen  Mi^räg-näme  überein  ^),  welche  den  Propheten 
auf  dem  menschenköpfigen  Buräq  reitend  zeigt.  Al-Buräq  hat  hier  das 
Gesictit  einer  Frau,  im  übrige'n  aber  zeigen  Reiter  und  Reittier  der 
Miniatur,  wie  Blocket  meint,  große  Ähnlichkeit  mit  Figuren  auf 
sassanidisehen,  etwa  tausend  Jahre  älteren  Vasen,  welche  nach  Blocket 
den  auf  dem  Ahriman  reitenden  Tahmurat  darstellen.  Weder  die 
Richtigkeit  dieser  Deutung  noch  auch  der  Grad  der  Ähnlichkeit  beider 
Darstellungen  soll  hier  erörtert  werden.  Angenommen,  Blocket  habe 
in  bezug  auf  beides  recht,  so  erhebt  sich  die  Frage,  ob  die  Beschreibung 
des  späten  Mir'-ä-g-näme  mit  der  der  ältesten  muhammedanischen 
Quellen  übereinstimmt.  Gerade  in  dem  entscheidenden  Punkte  ist  das 
nicht  der  Fall;  von  dem  menschlichen  Antlitz  des  ^wrä^  wissen  diese 
nichts.  In  dem  auf  ^Abdallah  Ibn  Mas  üd  zurückgeführten  Bericht 
(Ibn  Hisäm  263)  wird  vom  Buräq  lediglich  gesagt,  er  sei  das  Tier, 
welches  die  Propheten  vor  Muhammed   zu   tragen   pflegte;   in   einem 

')  s.  oben  S.  175.    Deutlich  ist  bei    Ibn  Hisäm  263,  Ibn   Sa'd  Ii  S.  142   Atv  Buräq 
zur  Fahrt  nach  Jerusalem  da.     Qastalläni  V:64  sagt  ausdrücklich:     ^J)  30»Ji>o  (J//.ju^ 

KjXc        'i.5    ^\.x.^l\    ».]    ^^^    \.i    ,VJ^J1     -ic  ,.\S  s.{^M^\,     Ebenso  HalabI  I111, 

wo  Ibn  Katlr  sagt:  ,  «.^LÄJI  i)i2.*J  \^P».j  L^-i  ►.)->.])  ,  <;'^  kJ^x/^  ry^ri  ^■^3- 
Dagegen  trug  nach  Tabari,  Tajs'ir  XVu,  Haiabi  406  der  Buräq  den  Propheten  auch 
zum  Himmel  empor.  —  Über  die  verschiedenen  Mittel  des  Aufstiegs  s.  auch  Dieter  ich, 
Mührasliturgie-  183  f. 

2)  RHR  XL  S.  I  ff.,   204  ff. 

3)  ARW  IV  S.  250  Anm. 

4)  a.  a.  O.    S.  12    Anm.  4.       [Vgl.  jetzt    auch    Andrae  a.  a.  O.  S.  43    Anm.  5.    — 
Korrekturzusatz.  J 

5)  a.  a.  0.   S.  3. 

6)  a.  a.  0.   S.  20G  IT. 


l8o  JüscfHoiovitz, 

dem  Abu  Iluraira  zugeschriebenen  Hadit^)  wird  er  als  »Pferd«,  in 
einem  dem  Mälik  Ibn  Sa*sa*a  zugeschriebenen  -)  als  »weißes  Reittier, 
kleiner  als  ein  Maultier  und  größer  als  ein  Esel«  beschrieben,  eine  Be- 
schreibung, die  öfters  wiederkehrt  und  zu  der  an  manchen  Stellen 
hinzugefügt  wird  3) :  »an  seinen  beiden  Schenkeln  hatte  er  Flügel,  mit 
denen  er  seine  Füße  zur  Eile  antrieb«.  Wie  es  scheint,  ist  Ta'labi 
(f  427  H.)  4)  der  erste,  welcher  eine  angebliche  Überlieferung  des  Ibn 
'Abbäs  anführt,  derzufolgca/  Biiräq  eine  »Wange  gleich  der  Wange  eines 
Menschen«  besitze.  Diese,  also  erst  seit  dem  5.  Jahrhundert  H.  zu  be- 
legende Vorstellung  ist  dann  allerdings  volkstümlich  geworden,  wie 
z.  B.  auch  die  Abbildung  bei  Hercklots  5)  zeigt.  Mag  nun  die  späte 
bildliche  Darstellung  des  Buräq  von  der  der  Szenen  auf  den  sassanidi- 
schen  Vasen  abhängig  sein  oder  nicht,  für  die  iranische  Herkunft  der 
ältesten  Vorstellung  vom  Buräq  würde  eine  solche  Abhängigkeit  nichts 
beweisen. 

Der  Buräq  hatte,  wie  wir  soeben  gesehen,  schon  nach  der  ältesten 
Überlieferung  auch  den  früheren  Propheten  als  Reittier  gedient,  zuletzt, 
bevor  Muhammed  ihn  bestieg,  Jesus  ^).  In  den  Qisas  dl  anhijä  spielt 
er  besonders  als  Reittier  Abrahams  eine  Rolle  7),  der  nach  Genesis  223 
einen  Esel  ritt.     Dieser  Esel  ist  nach  einer  midraschischen  Angabe  ^) 

>)  Tabarl,   Tajir  XV  S.  6. 

-)  Buhäi;!,  Bad  al  halq  6;  Tabarl,  Tafsir  XV3. 

3)  Ibn  Hisäm  264,  Ibn  Sa'd  Ii  ?.  143,  wo  Mittwoch  das  richtige  ja/i/i:  wieder- 
herstellt. 

4)  s.  Haiabi    137»  Z.  14     v.  u.:     öa.j>X>-    ^fi    ^^j^jUs    >AA.w.j      ^X*ä-)    <\Xc* 

> 
;^t     (  w^jwi      v_i.£.»     ....AwJ^S!    0\^S    uX.r>    ^    I  «,*».£.     -yi^.      Ähnliches    daselbst 

Z.  10  V.  u.  fl  kaläm  ha^dihim.    Vgl.  auch  Wolff,  Mnhammedanische  Eschatologie  S.  57. 

5)  Qanooiie  Islam'  122.  Platc  I,  Abbildung  4.  Vgl.  auch  Jacobs  Bemerkung, 
llilfsbuch  für   Vorlesungen  über  das   Osmanisch-'J'ürkische  III*,  S.  24. 

6)  s.  Dijärbakri,  IJanüs  1  3494  v.u. 

7)  ScHRiEKE  a.a.O.  S.  13  Anni.  4.    Tabarl,  Tafstr  XV  S.  5:    ♦xPi-i!    iolj      ^^ 

.•L.;>Jt  ^^>^>JI  .i>..Lc  ,»ij  ,.'S  :cjji\:  Ta'labT,  'Aräis  61,12  v.  u.:  -J  *.i 
^Sj    L^/sAi    xi!    O^ÄJ^     -r*^    c>.Jw/«    cXii»     X-X/a    ^    /^t^'-^i     [»Aäs     i}j.äj    !^I      .j! 


Cy 


jj- 


Vgl.  ferner  Haiabi    I369  Z.  8  v.u.     [Den    Buräq    als    Reittier    Ibrahims    kennt    bereits 
Mggäjj  XXXV  48 — 52   ed.  Ahi.wardt.  —  Korrekturzusatz.] 

^^  Pirqe  de  R.  Eli'ezer  Zz^.   XXXI:    biS"Cl^"'nN  Pp^l    "ipDZ    CmZvS'    DTU'."! 


Muhammeds  Himmelfahrt.  igj 

der  gleiche,  auf  dem  Moses  nach  Exodus  4io  Zippora  und  seine 
Söhne  reiten  Heß  und  den  auch  nach  Sacharja  99  der  Messias  besteigen 
wird  ^).  Wir  haben  hier,  wie  in  der  islamischen  Überlieferung,  ein  Tier, 
das  allen  Gottesmännern  nacheinander  dient,  und  von  hier  aus  erklärt 
sich  die  bei  Arabern  einigermaßen  auffallende  Angabe,  daß  Muhammed 
und  die  Propheten  vor  ihm  einen  Esel  oder  ein  Maultier  geritten  haben 
sollten-).  Der  Esel  des  Messias  hatte  schon  den  Spott  des  Sassaniden 
Schapurl.  erregt,  wie  wir  aus  einem  Gespräch  wissen,  das  er  mit  Samuel, 
dem  Leiter  der  jüdischen  Akademie  von  Neharde'a,  hatte  3).  »Ihr 
sagt,  der  Messias  wird  auf  einem  Esel  kommen;  nun,  ich  will  ihm  ein  blitz- 
schnelles (?)  Pferd  schicken,  das  ich  habe«,  sprach  der  König,  worauf 
jener  erwiderte:  »Hast  du  denn  einen  Esel,  der  in  tausend  Farben 
schillert?«,  d.h.  also,  einen  solchen  Esel,  wie  ihn  der  Messias  reiten 
wird,  hast  du  nicht  in  deinem  Stall.  Vielleicht  hat  auch  noch  die  islami- 
sche Überlieferung  daran  Anstoß  genommen,  den  Buräq  geradezu  als 
einen  Esel  zu  beschreiben,  und  hat  von  ihm  deshalb  gesagt,  er  sei 
»mehr  als  ein  Esel  und  weniger  als  ein  Maultier«.  Weiter  aber  vermochte 
sie  sich  von  der  alten  Vorstellung  von  dem  Esel  als  Reittier  der  Pro- 
pheten nicht  zu  entfernen  4)  und  mußte  anerkennen,  daß  der  Buräq, 

231^  "nenn  Nin  mcn  n«  itnin^i  ipr^  Dn^^N  n^w-^)  '^u  Piiz'üwn  p3 
"nenn  n  in  '1:1  v:2  n^i  ini^'x  pn  nii'D  np^i  'jit'  cnüDD  indd  nirc  vbv 

•'Ul  Jrii  n2  IND  ibv.  'Jl^'  Vbv  21D"lb  in  p  "'•nyiJ'-  Ähnlich  Jalqut  zu  Sacharja  9 
Nr.  575,  also  beides  späte  Kompilationen,  was  aber  keineswegs  ausschließt,  daß  die  Agada 
viel  älter  ist.     Über  den  Mund  der  Eselin  vgl.  auch  Abot  Vg. 

')  Nach  späteren  Angaben  wird  auch  Muhammed  am  Tage  der  Auferstehung   den 
Buräq  besteigen,  s.  Woi.ff,  Eschatologie  S.   lOi  f. 

=)  Vgl.    Ibn    Qutaiba,     Kitäh    as-si^r    ed.    de    Goeje     16:11". :      -;>LiU.i     '^■t^^ 


.xxaj!   »1  '^.äl^üI     -JLc 


3)  Sanhedrin  98  b:  ü']^n  b])  H'^l^'ü  jinnCiS  'PNieiJ'b  XD^^  11211'    H^b  "l^N 

Nji:  Ttn  1ND  ib  n\x  ^d  n^b  "lex  ^b  n\sn  npi2  «"»did  n-'b  -nti'.x  "«nN- 

über  Xp"12  s-  weiter  unten  S.  182  f.   Die  letzten  drei  Worte  sind  persisch:  \ij.i    ,'j^  -3-. 
Nach   Ibn   Hazm,    Milal  I139  warten  die  Magier  auf  das  Erscheinen   des  Bahräm 
Ilamäwand,  der  auf  einer  Kuh  reiten  wird,   während  Bihäfrid  auf  einem  dunkelbraunen 
Pferde  gen  Himmel  gefahren  sein  soll;  s.  pRiEnLÄNDER  in  JQR.  (New  Series)  II500. 

4)  Vgl.  auch  Ibn    Sa'd   P  S.  176:  ,jjj.^i..:<\j_5    Oj.a.iJ1  |^.jj.av^J.j  J^L^i'^'i  c>.jLi 

-Aftc  \l  ,3>.ÄJ  ^U=>  >.iJ5  ^y'^j}  C'^-^'-J  j:*-^^-''  O-y^J^-^  ^'^^^.  Vielleicht  Iiat 
auch  Matthäus  XXIi_9  unmittelbar  nachgewirkt, wo  ja  Jesus  auf  einem  Esel  nach  Jeru- 
salem reitet,  wie  Muhammed  auf  dem  Buräq. 


102  J  osef  Boro  V  itz  , 

wenn  auch  nicht  eigenthch  ein  Esel,  so  doch  etwas  diesem  Ähnliches 
war.  Als  er  die  Aufgabe  übernommen  hatte,  den  Propheten  gen 
Himmel  zu  entführen,  dichtete  man  ihm  auch  Flügel  an;  damit  war  er 
bereits  den  geflügelten  Wesen  ähnlich  geworden,  wie  sie  zuerst  in  der 
babylonischen  Kunst  dargestellt  werden,  bis  er  schließlich,  aber  wohl  erst 
einige  Jahrhunderte  später,  auch,  wie  diese,  ein  menschliches  Antlitz 
erhielt  0- 

Was  den  Ursprung  des  Namens  Buräq  betrifft,  so  weist  Blocket 
darauf  hin  -),  daß  in  der  Päzendversion  des  Maino  i  Khirad  Ahriman 
als  bär  des  Tahmurath  und  in  zwei  Pehlevischriften  als  sein  bärak 
bezeichnet  werde.  Aus  diesem  bärak,  das  neupersischem  bärä  ent- 
spricht und  Reittier  bedeutet,  soll  buräq  entstanden  sein.  Wäre  bärak 
ein  Eigenname  oder  die  Bezeichnung  eines  bestimmten,  dem  Buräq 
ähnlichen  Tieres,  so  wäre  eine  solche  Ableitung  trotz  der  entgegen- 
stehenden lautlichen  Schwierigkeiten  in  Erwägung  zu  ziehen.  Daß 
aber  die  Araber  eine  Anleihe  bei  den  Persern  gemacht  haben  sollten, 
um  eine  Bezeichnung  für  »Reittier«  zu  gewinnen,  ist  von  vornherein 
wenig  wahrscheinlich,  und  noch  weniger  ist  einzusehen,  warum  sie  ein 
persisches  Wort  so  farbloser  Bedeutung  als  Namicn  eines  Tieres  von 
der  Besonderheit  des  Buräq  verwandt  haben  sollten.  Dazu  kommt, 
daß  die  anzunehmenden  Vokalveränderungen  unerklärt  bleiben 
würden  3).  Das  mittelpersischc  bärag,  aus  dem  Blocket  den  Namen 
des  Biträq  herleiten  will,  stand  vielleicht  ursprünglich  in  den  oben  ange- 
führten Worten  Schapurs  I.,  denn  nach  einer  Lesart  bot  er  ein  susjä 


')  Eine  ähnliche  Entwickhing  hat  ein  anderes,  aber  historisches  Reittier  des  Pro- 
pheten durchgemacht,  die  Maulesehn  Duldul,  die  er  von  Muqauqis  als  Geschenk  erhalten 
hatte  und  die  als  erste  ihrer  Gattung  in  Arabien  erschienen  sein  soll,  s.  Tabari,  Annales 
Ii78j,  Ihn  Sa'd  P  S.  175.  'All  soll  sich  ihrer  später  im  Kampfe  wider  die  liawärig  be- 
dient haben  (Nawawl,  Taqrlb  S.  46),  und  nach  der  volkstümlichen  Überheferung  soll 
auch  Husain  sie  bei  Karbalä  geritten  haben  (s.  Mrs.  Meer  Hasan  Ali,  Observations  on  the 
Mussubnauns  of  India,  London  1832,  I  S.  68).  So  hat  sie  denn  auch  in  den  indischen 
Muharramprozessioncn  ihre  Stelle  erhalten  und  wird  dort  mit  menschlichem  Gesicht  dar- 
gestellt (s.  Th. Bloch  in  ZDMG.  63  S.655;  Bloch  übersieht  S.656,  daß  die  Figur  der  Dul- 
dul niemals  ein  Götterbild  war,  und  daß  offenbar  der  Buräq  als  Vorbild  gedient  hat), 

»)  a.a.O.  S.  213. 

3)  Wie  mir  Dr.  Abdussattar  Siddiqi,  der  die  persischen  Lehnwörter  im  Altarabi- 
schen untersucht  hat,  mitteilt,  finden  in  islamischer  Zeit  starke  Vokafveränderungen  bei 
der  Übernahme  persischer  Wörter  nur  dann  statt,  wenn  dadurch  eine  Angleichung  an  eine 
arabische  Bildung  (il/iäq)  erreicht  wird;  eine  solche  hätte  bärak  zu  bäriq  (fä'il)  umgestaltet. 
Nach  Andreas  wäre  lautlich  ein  mittelpersisches  Partizipium*  biträk  »wegtragend«  niöghch, 
doch  ist  eine  solche  Form  weder  belegt  noch  kommt  sie  in  Frage,  solange  nicht  anderweitig 
feststeht,  daß  arabisches  Buräq  aus  dem  Persischen  stammt,  wofür  auch  nach  Andreas 
nichts  spricht. 


Muhanimeds  Himmelfahrt.  j  g  -> 

bürag  i)  (anstatt  des  in  unsere  Ausgaben  aufgenommenen  susja  brqä) 
zum  Gebrauch  für  den  Messias  an.  Darin  hat  schon  Fleischer  2)  das 
mittelpersischc  bärag  erkannt,  das  dann  als  Substantivapposition  zu 
susjä  zu  fassen  wäre,  »ein  Pferd  als  Reittier«  und  im  Munde  des  Sassa- 
nidcn  in  einem  auch  sonst  halb  aramäisch,  halb  persisch  überlieferten 
Gespräch  nichts  Auffallendes  hätte.  Mag  nun  an  dieser  Stelle  bärag 
die  ursprünghche  Lesart  sein  oder  nicht,  sicher  ist,  daß  an  andern 
Stellen  im  Aramäischen  ein  von  b^raq  abgeleitetes  Adjektiv  für  Reit- 
tiere gebraucht  3)  und  im  Sinn  von  »leuchtend  weiß«  erklärt  wird. 
Diese  aramäische  Analogie  macht  es  sehr  wahrscheinlich,  daß  auch  der 
Name  Buräq  von  arabischem  baraga  abzuleiten  ist.  Das  Arabische 
kennt  zahlreiche,  von  \  brq  gebildete  Namen,  Bäriq,  Buraiq,  Bu- 
rairiq,  Abäriq,  Tubäriq,  Burqa  4),  und  schon  Wellhausen  5)  hat  darauf 
hingewiesen,  daß  bei  Eigennamen  die  Diminutivform /w'a/  nicht  selten 
für  das  gewöhnliche  fu'aü  eintritt.  Danach  ließe  sich  also  al-Buräq 
als  Diminutiv  von  barq  deuten  und  wäre  mit  dem  als  Personennamen 
belegten  Buraiq^)  identisch.  Das  Wundertier  hätte  dann  seinen 
Namen  »der  kleine  Blitz«  wegen  seiner  Schnelligkeit  oder  wegen  seiner 
leuchtenden  Farbe  erhalten?). 


')  s.   RasI  zu  'Abodä  zära  s.  v.  ;;~iX2  ^C- 

^)  bei  Levy,  Neuhebräisches   Wörterbuch  S.   I  284. 

3)  Bäbä  baträ  16  b:  "ipi^  ''tiT"'"!  ^~ipN  (T^üriX.  was  dort  mit  jnVn  piDID 
erklärt  wird;  ebenso  Jerus.  Qiddusin  60c;  dagegen  fehlt  das  Adjektiv  in  der  Parallel- 
stelle Bäbä  Baträ  152a. 

4)  s.  LA.  s.  V.     •,  J  S.  300. 

5)  Skizzen  und  Vorarbeiten  Vh^^  Anm.  2;  vgl.  Brockelmann,  Vergleichende  Gf-am- 
maiik   I   3  5 1 . 

6)  s.  z.  B.  Diwan  Hiidail  Nr.   165  (Wellhausen,  Skizzen  I20). 

7)  Vgl.  Damirl  bei  DijäRSAKRi,  Harms  I349:  iüjJ  ^_y^^  i-"sÜ  ^.««w  J^-<S^ 
»^ j^'  '».^jM^i  (>^»  &.ÄJ  -J  sJ^XO^.  Auch  in  den  Logia  Chaldaica  (s.  Bousset 
ARW.  IV266)  ist  von  einem  »feurigen,  blitzenden  Pferde«  die  Rede,  das  der  auffahrenden 
Seele  begegnet.  —  ZurEtymologie  von  Buräq  vgl.  auchBEVAN  a.a.O.  S.  59,  der  bereits 
ausführt,  aus  welchen  Gründen  die  Deutung  als  Adjektiv  der  Form  Fh\11  (s.  Barth, 
Nominalbildimg  S.  40)  unwahrscheinlich  ist. 


Zu  Ewlija  Tschelebi's  Reisen  im  oberen 
Euphrat-  und  Tigris-Gebiet 

V^on 

Richard  Hartmann. 

Das  Gebiet  des  Oberlaufs  von  Euphrat  und  Tigris  ist  immer  noch 
nur  recht  oberflächlich  bekannt.  Ganz  besonders  gilt  das  vom  Ouell- 
gebict  des  Tigris,  wie  uns  die  erfolgreiche  Expedition  Lehmann-Belck 
recht  deutlich  gemacht  hat.  Schon  längst  hat  die  historische  Geo- 
graphie die  Nachrichten  über  die  beiden  Stromläufe,  zumal  ihre  An- 
fänge, erörtert:  die  etwas  verworrene  Kunde  der  antiken  Welt  hat  bis 
zum  heutigen  Tage  viel  Kopfzerbrechen  gekostet;  und  die  arabischen 
Quellen  haben  in  Tomaschek  den  trefflichsten  Interpreten  gefunden, 
der  leider  freilich  sein  Werk  nicht  zu  Ende  führen  konnte  i).  Auch  die 
historisch-geographische  Arbeit  leidet  natürlich  unter  dem  Fehlen 
einer  genügenden  Kenntnis  des  Landes  selbst.  Die  schönste  und 
lohnendste  Arbeitsweise  wäre  es,  das  Land  selbst,  geführt  von  den 
Quellen,  zu  durchziehen;  aber  wenn  uns  das  auch  vorerst  versagt  ist, 
so  vermag  die  Beschäftigung  mit  den  Texten  doch  vielleicht  auch 
der  unerläßlichen  Arbeit  an  Ort  und  Stelle  vorbereitend  hier  und  da 
einen  Wink  zu  geben. 

Verschiedentlich  ist  (s.  u.  S.  203)  in  die  Diskussion  schon  der 
Name  des  türkischen  Reisenden  Ew  lija  Tschelebi  (gest.  1090  = 
1679),  über  den  man  J.  H.  Mordtmann's  trefflich  orientierenden  Ar- 
tikel in  EL  II,  34  f.  vergleiche,  hereingeworfen  worden.  Aber  seine 
Angaben  sind,  soweit  ich  sehe,  nie  systematisch  untersucht  und  ver- 
wertet worden.     Zwar  hat  J.  von  Hammer,   Narrative  of  Travels  .  .  . 


')  Vgl.  sein  Sasun  und  das  Quellgehiet  des  Tigris  (Sb.  WA.  phil.-hisf.  Kl.  CXXXIII,  4- 
1895)  'J"^  Beiträge  zur  alten  Geschichte  ii.  Geographie.  Festschr.  für  H.  Kiepert  (1898),  S.  135  tT. 
Eine  zusammenfassende  Übersicht  gab  Le  Strange,  The  Lands  of  the  Easta-n  Caliphate. 
Was  im  einzelnen  an  wertvoller  Arbeit  für  diesen  Gegenstand  von  Tu.  NöldekE,  G.  Hoff- 
mann, E.  Sachai',  M.  Hakt.mann,  Hü  usciimann,  J.  Marquart,  E.  Herzfeld  u.  a.  geleistet 
wurde,  kann  hier  natürlich  nicht  aufgezählt  werden.  S.  auch  in  EI.  I,  lOio  ff.  u.  H,  124  ff. 
die  k\irzen  Artikel  des  Verfassers,  derauf  die  arabischen  Quellen  noch  zurückzukommen  hofft. 


2u  Ewlija  Tschelebi's  Reisen  im  oberen  Euphiat-  und  Tigris-Gebiet.  fgc 

by'Evliya  Effendi  (London  1846 — 1850)  einige  der  einschlägigen  Stücke 
in    seiner    die    zwei  ersten  Bände  umfassenden  Übersetzung    wieder- 
gegeben.   Aber  seiner  bewunderungswürdigen  Gelehrsamkeit  mußten  ja 
noch    die    Materialien    zu    einer    kritischen    Bearbeitung    fehlen.      In- 
zwischen sind  uns  längst  die  ersten  6  Bände  der  großen  Reisememoiren 
in   einem    Stambuler   Druck   (13 16—13 18)   zugänglich   gemacht.      Wir 
sind  den  Orientalen  für  jede   derartige   Erschließung   ihrer   Literatur 
aufrichtig  dankbar.     Und  es  mag  hier  auch  ausdrücklich  ausgesprochen 
sein,   daß  die  Türken  sich   ernstlich  bemühen,   nach  abendländischen 
Begriffen  wissenschaftlich  zu  arbeiten.     Von  der  Ewlija-Ausgabe  kann 
man  das  freilich  noch  nicht  sagen  i).    Hier  bleibt  es  noch  bei  der  alten, 
nicht  übel  bewährten  Arbeitsteilung:  der  Orient  hat  den  Rohstoff  ge- 
liefert  und  dem  Okzident  die  Verarbeitung  überlassen.     Es  ist  z.  B. 
kein   ernstlicher   Versuch   gemacht,    die  Ortsnamen  richtig  zu   geben, 
obwohl    der    Orient    in     den    Salname's    dazu    über     ein    Hilfsmittel 
verfügt,  das  uns  meist  kaum  zugänglich  ist.     Die  wenigen  geographi- 
schen Erläuterungen  der  Ausgabe  berühren  abendländische  Benutzer 
bisweilen  eher  etwas  komisch.     Was  sie  enthalten,   ist  für  uns  meist 
wirklich  überflüssig.     Ja,  sie  zeigen  uns  erst,  wne  dürftig  die  Kenntnis 
des  eigenen  Landes  beim  Morgenländer  zu  sein  scheint.    Doch  das  soll 
uns  nicht  ein  Grund  zur  Überhebung  sein.     Nochmals  sei  es  gesagt, 
wir  begrüßen  jede  Mitarbeit  des  Orients  von  Herzen,  und  mit  besonderer 
Genugtuung  stellen  wir  fest,  daß  es  bei  den  Osmanly  inzwischen  ein 
gutes  Stück  vorwärts  gegangen  ist.    Es  mußte  hier  nur  gesagt  werden 
zum  Verständnis  der  folgenden  Arbeit,   die  den  Zweck  hat,   aus  den 
Berichten   Ewlija's  über  seine  Reisen  im  Gebiet  der  oberen  Strom- 
läufe   von    Euphrat    und    (West-)Tigris   Material   für   gewisse    Fragen' 
herauszuheben  und,   soweit   möglich,    in  verwendungsfähige   Form   zu 
bringen. 

L  Die  Routen  Ewlija's. 

Im  folgenden  ist  es  uns  darum  zu  tun,  die  von  Ewlija  benutzten 
Verkehrswege  selbst  kennen  zu  lernen.  Das  reiche  und  oft  sehr  wert- 
volle Material,  das  er  in  seinen  Ortsbeschreibungen  bietet,  ist  hier  also 
nicht  behandelt.  Einige  bestimmte  Punkte  werden  später  gesondert 
erörtert  werden.  Sehr  vieles  aber  wird  doch  erst  an  Ort  und  Stelle 
richtig  verwendet  werden  können  und  ist  daher  hier  absichtlich  aus- 
geschieden. 

Es  handelt  sich   für   uns  hier  also   in   der   Hauptsache   um   einen 

■)  Vgl.  die   sehr  richtigen  Worte  von  Tu.  Mf.nzfi.  in  II.  CRnTiii-,    Meine  V ordern sieii' 
Expedition,  Bd.   I,  S.  CLXXXVI. 

Klam    IX.  , 


j  ^g  R  1  c  h  n  r  d   H  n  r  t  m  a  n  n  , 

Vcrc^leich  von  Ewliia's  Routen  mit  der  R.  KiEPERT'schcn  Karte  von 
Klcinasicn  i  :  400  000,  die  ja  als  der  vollständige  Niederschlag  unserer 
ganzen  Kenntnis  des  Landes  gelten  kann.  Daß  ich  die  Original-Reise- 
berichte, soweit  mir  erreichbar,  selbst  eingesehen  habe,  versteht  sich 
von  selbst,  wenn  das  auch  nicht  überall  zum  Ausdruck  kommt,  da  ja 
Kiepert   den    Stoff    in    \vuii(lerl)arer    X'ollständigkeit    verarbeitet   hat. 

Daß  liäddschi  Chalifa  vielfach  beigezogen  ist,  bedarf  keiner 
Rechtfertigung.  Und  auch  die  Verweisung  .  auf  das  7ai  rekonstru- 
ierende römische  Straßennetz  wird  vom  Zwecke  der  Arbeit  aus  ohne 
weiteres  verständlich  sein.  Leider  verfügen  wir  für  die  behandelten 
Gebiete  nicht  über  eine  so  vortreffliche  Übersicht,  wie  sie  P.  Thomsen 
jüngst  in  ZDPV.  40  uns  für  Syrien  geschenkt  hat ').  Sie  wird  hoffent- 
lich noch  einmal  kommen;  und  ich  denke,  daß  dafür  auch  eine  Kenntnis 
der  späteren  Verkehrswege  einmal  nützlich  sein  kann. 

Im  übrigen  aber  ist  auf  das  Zusammentragen  des  weitzerstreuten 
Einzelmaterials  zur  Geschichte  der  behandelten  Straßen  und  der  an 
ihnen  gelegenen  Örtlichkeiten,  weil  in  diesem  Zusammenhang  viel  zu 
weit  abführend,  bewußt  verzichtet  -). 

I.  \'on  Niksar  nach  Erzerum  (II,  197  ff.)  3). 
i.»*jCo  —  6  Std.  —  dUJCÄ:;^-  ;jü,b  —  zur  Grenze  des  Ejalets  Siwäs 
mit  dem  Ejalet  Erzerum  (Kaza^-^ä^!*.!)  —  dann  in  3  Std.  über  den  Paß 
von  .j**J^\  nach  i^>-'^.X^  —  4  Std.  —  ^t^'  —  5  Std.  —  jlo»L=s-  — 
5  Std.  —  jUi>  ^^?.ß  ~  7  Std.  —  qLji^  —  4  Std.  ~  (^-.^LXii  — 
2  Std.   —   ^_5^^^    ^^^    ^J^=>\   ^.,l>.i3  —  2  Std.  — j^;l  —  4  Std 


^^^»y   J^j  —    5  Std.  —  ^j^^-r'  VL*^:^  «jr'^  —  3   Std.  —  ^^  O^jß 

—  I  Std.  —  »j^J  —  über  den  ^^.  ^^^Ux^i  nach  ^.^  j-Xij!  ^^\:i  ~ 
4  Std.  —  e)L"^  '~  -+  ^^'^-  —  y^^^^y  —  5  Std.  —  J^^o^Lo  —  über 
den  ^Jb  oJLo  in  die  ,^5*'»i»^   "^y^:^  —  5  Std.  —  ^^._^  '^i5   Jv^.;=U9  ^'jS 

—  5  Std.  • —  ^^  • —  12  Std.  —  ^*vJOLx-v.S  5jJ  ^^^  ~  16  Std.  — 
in  die  ^-^»^»t  ^-j^jj'  nach  der  j^^x^L:?-  dU  q-**^^  —  8  Std.  - —  j-Li»w:=!- 
^^^^Jy    ^^IuXj<'v;ü    —   5  Std.    —  ^_^j.J   —    4  Std.    —   ^^L'^    Lf^'-^y 


')  auch  separat  erschienen;  vgl.  meine  Besprechung  in  Berliner  Philol.  Wochenschrijt 
1918,  Sp.  39 off. 

■)  Die  Transkription  der  türkischen  oder  türkisiert  n  Ortsnamen  ist  bekanntlich 
kaum  befriedigend  zu  vereinheitlichen.  Ich  muß  deshalb  um  weitgehende  Nachsicht  bitten, 
vor  allem  darum,  daß  man,  wo  man  niil  ihr  nicht  einverstanden  ist,  nicht  gleich  auf  Un- 
kenntnis schließt. 

3)  vgl.  J.  VON  H.vmv.er's  Übersetzung:  Evliya  Ejji-iidi.  Narmlive  oj  Tmiwls,  Irans!, 
hy   J.   V.  H.  (London    1846—50).   II,   104  ff. 


2u  Ewlija  Tschelebi's  Reisen  im  oberen  Euphrat-  und  Tigris-Gebiet.  j^n 

^:i^  —  0-^■''■^    ^'"^  —  ^  Std.  —  ij-"*"^  —    5   Std.   —   '^^^^J^   — • 
6  Std.  —  ^ij^}- 

Auf  der  Strecke  von  Niksar  =  Neocaesarea  bis  Koily  Hisar  läßt 
sich  nur  die  erste  Zwischenstation  Basch-  Tschifthk  auf  der  Karte 
feststellen;  außerdem  hat  sich  der  Kaza-Name  Iskefsir  erhalten.  Eine 
nähere  Festlegung  der  Route  ist  daher  nicht  möglich.  Im  weiteren 
Verlauf  ist  sie  durch  Koily  Hisar,  Enderes,  Ezbider,  Zaghafpa]^)  der 
allgemeinen  Richtung  nach  bestimmt.  Im  wesentlichen  deckt  sie  sich 
wohl  auch  mit  einer  antiken  Straße  Anniaca  (Koily  Hisar) — Nicopolis 
(Pjurk  so.  Enderes) — Olotoedariza  (Zaghapa);  vgl.  Kiepert,  Formae 
orhis  antiqui,  Karte  VIII,  Text  S.  i6b;  K.  Miller,  Itineraria  Romana, 
Sp.  679  u.  675.  Das  nunmehr  folgende  Kara  Ja'kub  kann  natürlich 
nicht  der  von  Kiepert  ssö.  von  Zaghapa  verzeichnete  Ort  dieses  Na- 
mens sein.  Denn  wenn  sich  auch  die  weiteren  Stationen  auf  der  Karte 
nicht  entdecken  lassen,  das  nächste  größere  Ziel,  Scheiran,  das  Ulu 
Scheiran  der  Karten,  macht  es  sicher,  daß  sich  die  Route  entweder 
den  Kelkit  Tschai  und  Scheiran  Su  entlang  ostwärts  fortsetzt  oder 
aber  daß  sie  nordwärts  vom  Tallauf  abbiegt.  Ja  diese  letztere  Möglich- 
keit wird  durch  die  Erwähnung  des  Tckman  Bei,  der  uns  freilich  auch 
unbekannt  ist,  aber  offenbar  etwa  im  Fyndykly  Bei  zu  suchen  ist, 
höchst  wahrscheinlich:  Ewlija  folgt  dann  offenbar  dem  bei  Zaghapa 
von  NO.  her  einmündenden  Nebental,  das  noch  nicht  untersucht  ist, 
ja  bei  Kiepert  nicht  einmal  einen  Namen  hat,  flußaufwärts.  Freihch 
kann  dann  unser'j^b  nicht  das  von  Ewlija  II,  383  u.  V,  53  erwähnte 
sein  (darüber  s.  unten). 

Südlich  von  Ulu  Scheiran  verzeichnen  die  Karten  allerdings  ein 
Saridsche  und  sw.  davon  ein  Karadschak  Köi.  Aber  wenn  die  Karten 
hier  der  Wirklichkeit  entsprechen,  so  wären  beide  viel  zu  dicht  bei  Ulu 
Scheiran  und  auch  zueinander  viel  zu  abweichend  von  Ewlija 's  An- 
gaben  gelegen,  um  für  dessen  gleichnamige  Stationen  in  Frage  zu 
kommen.  Übrigens  werden  die  Karten  in  solchen  Fällen  kaum  sehr 
viel  Anspruch  auf  Glaubwürdigkeit  haben.  Auch  das  Salut  würde  man 
lieber  weiter  östlich  suchen  als  da,  wo  es  die  Karte  verzeichnet,  wenn 
man  nämlich  den  Paß,  der  in  die  ^j-^^^^^  "^J^j^  führt,  soll  heißen:  die 
Ebene  am  Kelkit  2)  Tschiftlik,  wie  man  am  liebsten  täte,  über  den  auf 
der  Karte  als  Dewe  Juwan  bezeichneten  Höhenzug  gehen  lassen  dürfte. 


')   J.  V.Hammer  a.  a.  0.:  »Za'aba«,  vgl.  Ewl.  II,  ^Siti^c.' 

2)  DenNamen  des  Kelkit  (Häddschl  Challfa,  S.  423:  Js^JsJLy  als  Name  des  Ortes) 
les    Lykos   (armenisch   p;ail  »WoUd -]- get  »Fluß«)  schreibt   Ewlija  konsequent    vdm.S'S. 

13* 


.öQ  ki  ch  a  r<l  1 1  a  1  t  m  Ji  n  n  , 

Wir  hätten  dann  wieder  etwa  die  Linie  der   antiken  Straße   ad  Dra- 
concs — Cunissa — Hassis. 

Schwierigkeiten    macht  weiterhin,    daß  nach    Ewlija   ^^J  tief 
in  der  Kelkit  Owasy  Hegen  soll,  während  das  Germeli  der  Karten,  das 
man  doch  gern  damit  zusammenstellen  würde,  ganz  am  westlichen  Ende 
liegt.     Eine  Lösung  der  Frage  ist  um  so  schwieriger,  als  nunmehr  für 
eine    lange    Strecke    jede    Identifikationsmöglichkeit    des    Weges    von 
Ewlija  abbricht.    Denn  das  weltentlegene  Derwischkloster  des  Kanly 
Dede,  in  dem  der  Reisende  eine  höchst  interessante  Derwäsch-Sitzung 
mit  erlebt,   ist  für  uns  unauffindbar,   und  Terdschan  Owa  ist  ein  so 
weiter  Begriff,  die  ersten  folgenden  Dörfer  —  zumal  sie  teilweise  nur 
mit  dem  Namen  der  zeitweiligen  Besitzer  bezeichnet  sind,   teils  (wie 
PluY   »Hügel«)  ganz  farblose  Namen  tragen  —  nicht  wiedererkennbar, 
so  daß  wir  erst  mit  Mamachatun  wieder  in  bekanntes  Land  kommen. 
Solange    die    Gegend    nicht    genauer   untersucht    ist   —   der   treffliche 
Taylor  ist  wohl  der  einzige  neuere  Reisende,  der  annähernd  denselben 
Weg  ging  (JRGS.  38,  S.  282  ff.)  — ,  ist  jeder  Versuch,  den  Weg  genauer 
festzulegen,    ein    bloßes    Raten    und    auch    nicht    erkennbar,    wieweit 
Ewlija  sich  auf  den  Spuren  alter  Straßen  befindet.    Die  antike  Haupt- 
route von  Satala  ostwärts  hielt  sich  jedenfalls  nördlicher  und  folgte 
dem  oberen  Kara  Su,  während   Ewlija  wahrscheinlich  durch  das  Tal 
des  Pulk  Su  Mamachatun  am  Tuzla  Su  erreicht.    Als  einzige  Zwischen- 
station zwischen  diesem  Ort  und  Ilidscha   nw.   von   Erzerum,    worin 
R.  Kiepert  (anders  Miller)  Calcidena  vermutet,   nennt  Ewlija  hier 
^M^s^,   an  anderer   Stelle  —  auf  dem  Rückweg  —  H,  374  ^j^^^  ge- 
schrieben.    Ein  Blick  auf  die  Karte  zeigt,  daß  deren  Dschinis  gemeint, 
also  ^^  zu    lesen    sein    w'ird.      Und  diese  Vermutung  wird  durch 
Bäddschi    Chalifa   zur  Sicherheit  erhoben:  das  einemal  (ed.    I145, 
S.  427  =  trad.  NoRBERG  I,  631)  gibt  dieser  nämlich  als  Zwischenstation 
zwischen  Mamachatun    und  Erzerum    nur  ^ÜW^vJ,    d.  h.    das    unweit 
westlich  von  Dschinis  gelegene  Nerduban,  während  er  an  anderer  Stelle 
(ed.  I145,  S.  627  =  trad.  Norberg  H,  412)  das  Itinerar  bietet:  o*J^^  ^^^ 

—  41/2  Std.  —  ^iUj  —   5  Std.  —  ,j^-i3>  —  4  Std.  —  ^:^\  —  4  Std. 

—  fip^),  dessen  Punkte  (^.  =^  Penek)  sich  mit  der  Karte  leicht 
verifizieren  lassen.  Zugleich  bestätigt  dieses  Itinerar,  daß  Ewlija 
die  Entfernung  von  Mamachatun  nach  Dschinis  viel  zu  kurz  rech- 
net, mag  auch  J.  G.  Taylor,  der  1866  denselben  Weg  machte,  zu 
der  ganzen  Strecke  von  Erzerum  nach  Mamachatun  nur  141/2  Stunden 
gebraucht  haben  (JRGS.  38,  S.  281):  der  moderne  Reisende  kann 
natürlich  schneller  vorwärts  kommen  als  die  ganze  Karawane,  deren 
Glied    Ewlija    war. 


Zu   Ewlija  Tschelcbi's  Reisen  iin  oberen  Euphrat-  und  Tigris-Gebiet.  j  3g 

2.   Von  Erzerum  nach   Chnys   und  Maku   (II,  220ff.)'). 

^^*^  ^^j^^  bei  ^^j^J  — ■  4  Std.  — •  ^_^^JJ.J    v^^  am  Anfang  der 
^.L^.-o  ^_^x^Lj  — •  3  Std.  — •  j_^«/\j^j5  ;^cj^,;55   jS.x:>-  ~  5  Std.  —  o^^ 

oJT  —  3  Std.  —  ^jj.S'  U!  ^.ä^  —  3  Std.  —  ^^j^.jj.5^  C'^--?-^  ~ 
7  Std.  —  ^^'V^-s  wÄJM  ^_^^  —  8  Std.  —  jj^^-j^-'i  LjLj  ^J^jj-s  — -  6  Std. 
—  \j^.i:>  —  6  Std.  —  »^-oLi>  — •  9  Std.  —  -.wX»Jlä  j^jAittLyto  — 
Therme  zwischen  Araxes  und  Wan-See  —  9  Std.  —  ^^»^\3  dV-ojx. 
— ■  ^_^**^  i:^^j.X^  —  8  Std.  das  ^*«»j'^j[^^  entlang  nach  ^^j^^Ad  O^^ 
~  7  Std.  —  J^^s^  »U  ~  3  Std.  —  j.^. 

Schon  mit  Ilidscha  (s.  It.  i)  wären  wir  mit  R.  Kiepert  wieder 
auf  der  antiken  Straße  nach  Artaxata  und  bewegen  uns  hinter  dem 
Passe  von  Dewe  Bojun  (s.  Streck  in  EI.  I,  992)  noch  weiter  auf  der- 
selben, wenn  Kiepert  sie  richtig  rekonstruiert  —  Miller  läßt  sie  süd- 
östlich gegen  den  ^See  von  Wan  abbiegen.  ~  Die  einzelnen  Stationen 
in  der  für  die  Osmanen  sagenumwobenen  Pasin  Owa  lassen  sich  außer 
yasanäbäd  =  Hasankaie  nicht  identifizieren.  Dagegen  ist  die  Tschoban- 
Köprü  am  Zusammenfluß  \-on  Pasin  Su  und  Aras  noch  jetzt  eine 
wichtige  Station.  Der  antike  Name  Ad  confluentes  weist  doch  wohl 
auf  eine  solche  wichtige  Flußmündung  hin  und  spricht,  scheint  mir, 
darum  gewichtig  für  Kiepert  gegen  Miller,  der  es  Itiiieraria  Romaiia, 
Sp.  6^],  bei  Ondschalu  (Kiepert:  »Jondjaly«)  an  der  Mündung  des 
kleinen  Kor  Su  in  den  Murad  sucht. 

Zumal  Ewlija  den  Übergang  über  die  Brücke  ausführlich  schildert, 
sollte  man  bestimmt  annehmen,  daß  der  weitere  Weg  südwärts  nach 
Chnys  am  Oberlauf  des  Bingöl-Su,  also  im  Stromgebiet  des  Euphrat, 
rechts,  östlich  vom  Araxes  verlaufen  sei.  Ein  Ertef  kennt  die  Karte 
aber  westlich  von  diesem  Fluß,  ger^^de  südlich  von  Hasankaie.  Natür- 
lich kann  dieser  Name  mehrfach  vorkommen.  Noch  wahrscheinlicher 
ist  aber  doch  wohl  ein  Irrtum  auf  Seiten  Ewlija's,  bei  dem  eine  gründ- 
liche Verwirrung  der  Topographie  nicht  ganz  selten  ist.  Andererseits 
legt  das  ^^*».J^-ä  LjLj  ^_^|5jj.s  die  Zusammenstellung  mit  dem  in  der  Gegend 
bezeugten  Namen  Kozly  nahe,  wenn  das  Dorf  Kozly  auch  zunächst 
für  unser  Itinerar  sehr  weit  östlich  zu  liegen  scheint,  und  wenn  wir 
das  Heiligtum  dieses  Jüngers  von  Abu  Ishäk  Käzerüni  (Ewlija  V,  43) 
auch  nicht  gerade  in  einem  Armenierdorf  suchen  würden,  wie  Lynch, 
Armenia  II,  256  Kozly  charakterisiert.  Jedenfalls  ist  sein  Weg  nach 
Chnys  uns  recht  wenig  deutlich.    Vollends  die  Forts.etzung  des  Zuges  ist 


')  Vg.  H.\MMEi<'s  Übersetzung,  II,   117  ff. 


190 


Richard    i  1  a  r  t  in  a  n  n  , 


sehr  dunkel  ').  Sein  Zweck,  die  Züchtigung  des  unbotmäßigen  Kurden- 
nestes viL.j4j-^")j  legt  den  Gedanken  nahe,  daß  auch  mit  Kreuz-  und 
Ouerzügen  zu  rechnen  sein  wird.  Keinesfalls  wird  man  das  ^^Lo^c 
unseres  Itinerars  mit  dem  Avnik  südlich  der  Tschoban-Brücke  (vgl. 
Le  Strange,  The  Lands  oj  Ihe  Eastern  Caliphate,  S.  Ii8)  gleichsetzen  — 
es  müßte  denn  der  ganze  Abstecher  nach  Chnys  hier  an  falscher  Stelle 
eingefügt  sein.  So  bleibt  es  auch  eine  offene  Frage,  wie  lange  wir  uns 
im  Gebiet  des  Euphrat  befinden.  Ewlija  selbst  hat  von  den  kom- 
plizierten Flußgebietverhältnissen,  wie  die  Bemerkung  von  der  Therme 
und  seine  Annahme,  daß  Melazgerd  am  Araxes  liege  (S.  223),  zeigen, 
eine  recht  unklare  Vorstellung.  Erst  ganz  am  Schluß  erhalten  wir 
wieder  festeren  Boden  unter  den  Füßen  • — ■  und  da  sind  wir  nicht  im 
Euphratgebict.  Übrigens  legt  auch  der  Fortgang  von  Ewliju's  Reise- 
bericht  nahe,   daß   die    Schilderung  hier   nicht   ganz   in  Ordnung  ist. 

3.  Von  Nordosten  nach  Erzer u  m  (II,  327)3). 

Auf  dem  Rückwege  von  Achischa  =  Achalzich  und  Ardahan 
kommt  Ewlija  von  vXjI,  dem  auch  auf  unseren  Karten  verzeichneten 
Id  an  einem  Zufluß  des  Olty  Su,  her  in  das  Euphratgebict  bei  dU^  »-2, 
d.  h.  Kara  Göbek  am  Dumly  Su,  weiter  über  den  (^^Lc^j  qLä.*w>j>.._j/ 
den  georgischen  Paß,  der  demnach  südlich  von  Kara  Göbek  zu  suchen 
ist,  nach  ^J*^^.ß  ^^-^  (TJ^^i'  =  Umudum  Dedc  am  Rande  der  Ebene 
von  Erzerum,  von  hier  nach  Erwähnung  des  Heiligtums  von  »00  c^^'^ 
Dumly  Dede  nach  Erzerum. 

Eine  Ergänzung  zu  diesem  Itinerar  gibt  die  folgende  Reise 
E  w  1  i  j  a  's,  die  ihn  in  umgekehrter  Richtung  zunächst  in  dieselbe 
Gegend  führt  (II,  341  =  IIammer's  Übers.  II,  187).  Über  Kjan  (2  Std.) 
und  Umudum  Sultan  (5  Std.)  erreicht  er  nach  Passieren  der  ^^s^^S 
^_^-«*J^-J_J^  )^j^  in  6  Std.  das  Dorf  von  J^^  l5"^-^^'  ^^^^^^  georgischen 
Paß,  und  dann  in  weiteren  9  Std.  das  Heiligtum  von  Dumly  Sultan, 
auf  das  wir  noch  zurückkommen  werden. 

Die  spätere  Rückkehr,  die  wieder  über  den  georgischen  Paß 
erfolgt,   bringt  leider  keine  neuen  Einzelheiten. 


')  Zu  dem  Namen  (^)^xA3Li>  vgl.  HIbsciimann,  Altarmenische  Ortsnamen:  Indogenn. 
Forschungen,  XVI,  444. 

-)  s.  RiCH,  Narrative  of  a  Residence  in  Koordistan,  I,  377:  »Shoosheek  is  eight  hours 
from  Khamoor«  (inforniation,  collectcfl  from  natives). 

3)  Vgl.  H.\mmer's  Übersetzung,  II,  179. 


Zu   Ewiija   Tschclcbi's   Reisen   im   oIjl'Icii   Euplirat-   und  Tigris-Gebiet.  jq! 

4.  Von  E  r  z  c  r  11  m  nach  E  r  z  i  ri  d  s  c  h  a  n  u  n  d  K  a  r  a  H  i  s  a  r 

(H,  373  ff-)  ^)- 
Nach  seiner  Reise  nach  Eriwan  bricht  Ewiija  von  Erzcruni 
wieder  nach  Westen  auf.  *ij^]^  —  3  Std.  —  ^^  — •  5  Std.  —  h.s>^Aj\ 
—  5  Std.  — ■  ^j^^  — -  5  Std.  —  ^.,yj^i>  L/iw/a  —  nach  jy<^,  wo  eine 
Brücke  über  den  Furät  geht  ' —  9  Std.  —  f*-Aj^^  —  7  Std.  —  o^^ 
,-A»,iu^  — -j  A^'  —  9  Std.  —  !*-i)J^  —  ^o  Std.  —  (jH^^  *"?^*r=-  ■ — ■ 
^y».==-  — ■  ^-,^^0  jji  —  7  Std.  — ■  ^.ji.i>  ^ii-j  —  L/^i;'  —  ^  Std.  --  :?■ 
(^.,1-^-)  —  8  Std.  —  Jj^)^  ^^  4  Std.  —  ^Jj^  Lei  l\*s>I  jjUId  —  ^, 

Der  Rückweg  von  Erzerum  bis  nich  Alamachatun  deckt  sich, 
wie  man  sieht,  mit  dem  Hinwege;  nur  ist  im  Anfang  noch  das  bekannte 
nördhch  von  Erzerum  gelegene  Dorf  Kjan  eingefügt;  man  vgl.  also 
Route  I.  Auch  das  auf  Mamachatun  folgende  Köttür  nebst  der  Köttür 
Köprü  ist  aus  neueren  Reiseberichten  bekannt  und  findet  sich  auf  den 
Karten.  Dann  aber  beginnen  die  Schwierigkeiten.  F^wlija  geht  zu- 
nächst offenbar  den  Kara  Su  entlang  abwärts  und  dann  anscheinend 
nach  Erzindschän  zurück.  Nun  ist  aber  der  ^_^j*-^  *^=?V^  doch  gewiß 
am  Dschibidsche  Boghaz,  dem  Durchbruch  des  Euphrat  durch  die 
Berge  östlich  vor  dem  Austritt  in  die  Ebene  von  Erzindschän  zu  suchen; 
die  Ebene,  durch  die  Ewdija  dann  kommt,  ist  offenbar  diese  selbst, 
und  das  ry-*-^  würde  man  dann  wohl  passend  mit  dem  Dschimmin 
der  Karte  am  Nordrande  dieser  Ebene  — ■  freilich  bleibt  dann  der 
Strom  selbst  nicht  rechts,  wie  es  nach  Ewiija  erscheint,  sondern 
links  —  gleichstellen.  Nach  all  dem  kommt  Ewiija  in  Wahrheit  von 
Usten,  nicht  von  Westen.     Und  auch  das   /^j,?.-^   ist   gewiß  nicht  von 


■«.J.^Av      JbU      gl 


dem  vorher  genannten  (>-Ji^.^  zu  trennen  — •  ein  Name  übrigens,  den 
ich  auf  der  Karte  vergeblich  gesucht  habe.  So  ergibt  sich  denn  nahezu 
mit  Gewißheit,  daß  Ewiija  zweimal  den  Weg  von  der  Köttür  Köprü 
euphratabwärts  schildert,  dagegen  nicht  den  Rückweg  von  Kamach. 
Noch  deutlicher  wird  das  durch  den  Umstand,  daß  in  dem  Hammer's 
Übersetzung  zugrunde  liegenden  Text  der  kleine  Abschnitt  Ewiija 
II,  375,  der -den  Weg  von  Köttür  nach  Kamach  betrifft,  fehlt,  also  das, 
v/as  oben  in  eckige  Klammern  gesetzt  ist.  Freilich  geht  dann  das  fol- 
gende Itinerar  nach  dem  Wortlaut  von  Kamach  statt  wie  in  Wahrheit 
von  Köttür  aus.  Aber  schon  die  Abweichung  der  Texte  läßt  vermuten, 
daß  hier  etwas  nicht  in  Ordnung  ist;  und  dann  läßt  sich  FIammer's 
Text  ja  viel  leichter  richtigstellen  und  verstehen.      Das  Versehen   im 


')  Vgl.  Hammer's  Übersetzung,   II,   199  ff. 
-)  In   J.  VON  Hammer's  Übersetzung:  Sinan. 


192 


Richard   H  a  r  t  in  a  n  n  , 


Text  des  Ewlija  wird  begreiflicher,  wenn  man  bedenkt,  daß  die  ganze 
Reise  Ewlija's  von  Köttür  nach  Kamach  ein  Abstecher  ist,  zu  dem 
er  von  dem  Pascha,  in  dessen  Gefolge  er  sonst  reist,  vorausgesandt 
wird. 

Von  dem  Itinerar  für  die  Strecke  Erzindschän  nach  Schcbbin 
Kara  Ilisar  kann  ich  nur  eine  Station  näher  bestimmen  und  auch  dies 
nur,  wenn  die  Vermutung  richtig  ist,  daß  j^j'^^j'  das  bereits  in  Route  i 
genannte  Ezbidcr  ist.  Das  darauf  folgende  ^^j^  ^^  Jc«.>l  qI^j-^ 
begegnet  ja  zwar  dort  ebenfalls  als  zwischen  Enderes  und  Ezbider 
gelegen,  ist  uns  seiner  genauen  Lage  nach  aber  auch  daraus  nicht  be- 
stimmbar gewesen.  Das  immerhin  damit  erkennbare  Ausbiegen  der 
Route  nach  Westen  nimmt  bei  der  Geländebeschaffenheit  kaum  wunder. 

5.  Von  Siwas  nach  Musch  und  zurück  (III,   2ioff.). 

Von  (j-^j-v^  über  die  i^^Jj-^"  ^5^'^  nach  jj^^j^j  —  8  Std.  —  ^_M^•^•^ 
^^\jjs  L5^5^ —  ^^t)er  den  Jo  nji  nach  ^^-ji-^  ^^  —  i_f^^'J  —  über  den 
Euphrat  in  6  Std.  nach  ^-<j^j.jJ. 

Über  (^Ji:?^  ^  und  ^c***^^  i*^^^  ^^^  einer  Brücke  nach  ^^jh 
—  weiter  über  eine  Brücke  über  ein  zum  dS  a^vj^  l5;*-*^  fließendes 
Gewässer  nach  q-^5  —  7  Std.  ■ —  j^j^  —  nach  21^^*0  am 
Euphratübergang  —  weiter  über  ein  nicht  genanntes  Dorf  zu  Schiff 
über  den  Murad  nach  j^^^jI  — •  q:^-?  — ■  8  Std.  — -  -i^J 


^%^^.=>. 


Über  den  Muräd  nach  d^J'^J  - — •  ,j,Ui'>-^o  —  i^jjCix.*j>-  —  (Abschw 


/ei- 


fung  über  das  Heiligtum  des  'iji-J   jJ\.^a  oberhalb  der  rj.:>-\»»\)  ■ — •  _^l^ 

—  ^_^Jslx^  ■ —  gs-ü"  —  ^i.h>\  _  ü.iUo^  —  vi^^  —  O'J-^  —  über 
den  Murad  nach  J^y. 

Nordwärts  nach   l.s«-JJ'      Ji'Ut-  —    7    Std.    —   ^j^ciId    c)^-^   — 

10  Std.  —  i_f^^  i_^*'^:^  djf^  —  v"^  '^J^-J^  —  '^'''"■'  f^'^  nicht  rechts 
nach  ^^y^J,  sondern  links  in  der  Richtung  auf  qUXj  und  ^_5äx5'  und  so 
schließlich   nach  ^_^\^J^  zurück. 

Der    Übergang    über    den   Kyzyl   Yrmak    erfolgt    bei    der   Stadt 
Siwas    selbst.     Ein    Bild   der   Egri   Küprü    geben   van  Berchem   und 

11  a  1  i  1  E  d  h  c  m  in  Mater laux  pour  un  Corpus  Inscriptionum  Arabi- 
carum,  III,  i,  Tafel  VII.  Die  beiden  nächsten  Stationen  finden  sich  auf 
der  Karte  nicht;  der  Weg  bis  zum  Kara  Bei  ist  also  nicht  genauer 
festzulegen.  Er  dürfte  wohl  etwa  mit  dem  Pfad  zusammenfallen,  den 
Kiepert  dem  Lauf  des  »Fahim  Yrmak«  folgen  läßt.  Vom  Kara  Bei 
an  weicht  Ewlija's  Route  nicht  wesentlich  von  der  heutigen  Chaussee 
ab.  Kiepert  verzeichnet  an  einem  Seitenpfad  nach  orientalischen 
Quellen   ein    »Jaghbasan«,    und    unser   ^^^^^j    entspricht  offenkundig 


Zu   Ewlija  Tschelcbi's    Reisen   im   oberen   liuphrat-   und  Tigris-Gebiet.  ig^ 

dem  Siliski  der  Karte.  Daß  der  Tschalta  Yrmak,  der  hier  noch  von 
Diwrigi  trennt,  oLs  genannt  wird,  macht  diese  Feststellung  des 
Weges  natürlich   nicht  zweifelhaft. 

Das  folgende  ^-?y=r  "^^  ist  deutlich  in  dem  Ligh  Tschai  der  Karte 
'/,\x  erkennen;  dem  ^^^j<^  0-^^'^  entspricht  das  Tal  des  Füzü  Oglu  Su  — 
daß  er  als  zumEuphrat  laufend  bezeichnet  wird,  tut  nach  dem  eben  Be- 
merkten nichts  zur  Sache.  Durch  das  auf  den  Karten  verzeichnete  Tu- 
ghut  ist  der  Weg  nach  Egin  im  wesentlichen  bestimmt,  wenn  uns  von 
einem  Sary-Tschitschek-Sec  im  Gebiet  des  gleichnamigen  Gebirges  und 
Flusses  auch  nichts  bekannt  ist.  Obwohl  die  Gegend  von  einer  Reihe  von 
Reisenden  besucht  wurde,  haben  wir  doch  nur  ein  recht  unklares  Bild 
von  ihr.  Es  mag  ebensosehr  daran  als  an  Ewlija 's  Ungenauigkcit 
liegen,  wenn  wir  seinem  Bericht  nicht  an  jedem  Punkt  folgen  können. 

Den  Namen  der  Stelle,  wo  Ewlija  von  'Arabkir  kommend,  den 
Furät  überschreitet,  ^^xIjjO,  suchen  wir  auf  den  Karten  wieder 
vergeblich.  Das  ^,L^j1  dagegen  ist  deutlich  das  der  Mündung 
des  Tschimischgezek  Su  gegenüberliegende  Arschwan,  das  Taylor  in 
JRGS.  38  S.  315  »Ashouan«  schreibt,  es  ist  auch  von  dem  »Raschwan«, 
an  dem  Häddschi  Chalifa  Erat  und  Murad  sich  vereinigen  läßt, 
nicht  zu  trennen.  Daß  das  Baghin,  durch  das  Ewlija  auf  dem  Wege 
nach  Charput  kommt,  mit  dem  auf  dem  nördhchen  Ufer  des  Murad 
östlich  von  Arschv/an  gelegenen  Palin  etwas  zu  tun  hat  —  was  lautlich 
wohl  ginge,  da  letzteres  einfach  die  ältere  armenische  Form  ist  — - 
scheint  mir  kaum  wahrscheinlich:  der  Name  ist  im  armenischen  Gebiet 
ja  überaus  häufig. 

Auffallend  ist,  daß  Ewlija  nach  dem  nordwestlichen  Abstecher 
von  Perteg  über  Saghman  (dessen  Lage  auf  den  Karten  nur  recht  un- 
bestimmt angegeben  scheint,  vgl.  Taylor  in  JRGS.  38,  S.  311)  und 
Tschimischgezek  plötzlich  wieder  östlich  am  Murad  Su  in  Palu  ist. 
Vermutlich  ist  hier  einfach  die  Rückreise,  weil  nichts  Neues  bietend, 
weggefallen. 

Die  Reise  den  Murad  aufwärts  nach  Musch  führt,  zumal  im  zweiten 
Teil,  wo  sie  vom  Flußtal  selbst  südwärts  abbiegt,  in  wenig  bekannte 
Gegenden.  Tschabaktschur  und  Gindsch  sind  als  Distriktsnamen  noch 
jetzt  gebräuchlich.  Ob  der  ziemlich  weit  vom  Fluß  abgelegene  Vorort 
des  Bezirks  Tschabaktschur,  Tschewli,  wirklich  selbst  die  Stadt  und 
Burg  Tsch.  des  Ewlija  ist,  mag  eine  offene  Frage  bleiben.  Die  Ruinen 
der  Burg  Gindsch  finden  sich  auf  der  Karte  dicht  am  Flusse.     Atak 

jV^LBl  Hegt  nach   Häddschi   Chalifa,   trad.  NorberCx  11,  19,  zwischen 
Terdschil  und  Musch.     Die  Form    ist   offenbar  die  spätere  Wiedergabe 


194 


Kicharil    li.irtiuann, 


des  armen.  atYax,  das  uns  aus  älterer  Zeit  als  ^.1.;^^  wohlbekannt  ist 
(vgl.  H.  Martin,  Memoire  sur  l Armcnie;  Chakmüy,  Cheref-Ndmeh, 
I,  I,  S.  472;  II,  I,  S.  94  ff.;  Hübschmann:  Indogerm.  Forschungen 
XVI,  310;  ZDMG.  70,  S.  508;  Taylor  in  JRGS.  35,  S.  39  f.),  demnach 
der  Ort  das  Attach  unserer  Karten  und  nicht  etwa,  was  E  w  1  i  j  a 
sonst  näher  legen  würde,  in  der  Gegend  des  Anduk-  oder  Anthog-Dagh 
(beide  Namen  bezeichnen  wohl  dasselbe  Objekt)  der  Karte  von  Kie- 
pert zu  suchen,  ^rr^  ist  natürlich  in  oder  bei  dem  Chulp-  oder  Kulp- 
Dagh.  Lynch  verzeichnet  —  abweichend  von  Kiepert —  auf  seiner  Karte 
auch  einen  Ort  »Kulp«.  Wenn  wir  das  als  eine  2000  Häuser  zählende 
\j^  im  Gebiet  von  Gindsch  bezeichnete  Ȁ>**^^)  auf  unseren  Karten 
nicht  finden,  so  heißt  das,  da  wir  zum  guten  Teil  noch  immer  auf 
Brant's  Reise  vom  Jahre  1838  angewiesen  sind,  nicht  viel.  Alle  die 
letztgenannten  Orte  sind  im  Gebirge  südlich  vom  Flusse  zu  suchen. 
Gerade  dazu  will  freilich  wenig  stimmen,  daß  Ewlija  von  dem  unbe- 
kannten ]^Iihran=)  aus  nach  Musch  den  Murad  überschritten  haben 
will.  Doch  ist  wohl  ein  Zweifel  an  der  Richtigkeit  dieser  Angabe  erlaubt. 
Von  der  nördlichen  Fortsetzung  der  Reise  gibt  nur  Tschaüly  Kilisa, 
worauf  wir  später  zurückkommen  werden  (vgl.  zum  Namen  Hübsch- 
mann: Indogerm.  Forschungen  XVI,  325)  einen  festen  Punkt.  Denn 
auch  der  Name  des  Bingöl-Dagh  reicht  natürlich  zu  genauerer  Fest- 
legung des  Weges  nicht  aus.  Zum  folgenden  ist  noch  zu  bemerken, 
daß  die  Landschaft  Tekman  in  Wahrheit  südöstlich  von  Erzerum 
liegt,  nicht,  wie  man  nach  Ewlija  erwarten  sollte,  südwestlich 
(vgl.  Lynch,  Armenia  II,  247  ff.).  Statt  ^J^^  ist  hier  wie  auch  z.  B. 
in  der  Beschreibung  des  Bingöl-Dagh  offenbar  ^^k*S  Kighi  zu  lesen. 
Schade,  daß  Ewlija  uns  die  Rückreise  nach  Siwas  unterschlägt! 

6.  \on  Siwas  nach  Malatja  und  iJijar  Bekir  [\\\    5  ff.). 
Von    (j^^>r^    über    die    i^-iy^  ^5^  ^    i"    7    ^td.    nach    ^^i^    — 


kJ 


.t^>u  Q^=^  o)"^^^  —  7  ^^''^-  ^  '  '^''^^  —  i^*'"^  ^'^^^  ' —  «-^"^  <^' 


^^xx.'i   —   ^o_^  —   5  Std.  —  ^iw^  ^^  —  7  Std.  —  ^3;0Lj  ^^^ 

Von  -s-^iiJLe  in  il  Std.  bis  zum  Euphratufer  —  über  den  Flufl  ins 
(iebiet  der  J^~J^Kurden  nach  dem  Dorf  ^^.jj^  ~  Erwähnung  (\qs  ^^^ 
^^wi>     und     einer     unterhalb     davon     von     Muräd    1\'.      begonnenen 

')  Vgl.  Scherejnämc,  cd.  V  c  1  i  a  m  i  n  o  {  -  Z  e  r  n  o  f  ,   I,  247  u.  263;  Irad.  Ciiarmoy 

11,    1,   S,  96. 

-)  Vgl.  ebd.  cd.  V.-Z.,  I,  250;  trad.  Cii.,  II,  i,  S.  loi. 


Zu  Ewlija  Tschelebi's  Reisen  im   oberen  Eupbiat-  und  Tigris-Gebiet.  |qc 

Brücke  —  weiter  nach  ^  jäJlxi   ^.I^j.i>  bleibt  links  liegen)  —  j^AÄsl  ^^ 

Abstecher  nach  Arghana  und  Egil:  von  dort  nach  tj*^L?  — 
J^A<Ji  x$J-^  —  über  den  Murad  Su  nachjJu  — •  wieder  über  den 
Murad  nach  dem  Dorf  j-^'i  j^-a^  — ■  nach  Kreuz-  und  Ouerzügen 
schließlich  nach  ,  <?^^"  am  Schatt  — •  in  der  Nähe  ist  im  Dorfe 
«sa^i3j  eine  Brücke  über  den  Fluß  • —  über  den  Schatt  nach  J-^ 
— ■  über  den  Schatt  nach  ^_^=^  —  ij^^'  ~~  (*=^^^-^  liegt  von  hier 
eine  Tagereise  entfernt)  —  i^-^^'^  lA^- 

Von  ^^y\.=^  ij^'^  bleibt  auf  dem  Wege  nach  e)w8;?r  der  verfallene 
C>^^  Cr^"^  ^"^  rechts  liegen  — ■  |^-jl-i>  ^'Sj*\  — •  ,-^xäj^.^  (verfallen)  ■ — 
^j.j,j.^    8.S  über  den  ^^iy^^  L5^^~rf^'^^^  — jr^^  j'-r^^- 

Die  Route  von  Siw'as  nach  Malatja  deckt  sich  in  der  Hauptsache 
offenbar  mit  der  antiken  im  Itinerarium  Antonini  verzeichneten  Straße. 
Ja,  K.  Miller  stellt  deren  Stationen  Blandos,  Euspoena,  Aranis,  Ad 
praetorium,  Pisonos  respektive  mit  Ulasch,  Kangal,  Gegend  von 
Aladscha  Chan,  H[ekimchan,  Hasan  Badrik  der  Karten  gleich  — ■  neben- 
bei sei  bemerkt,  daß  er  S.  683  f.  die  Gesamtrichtung  umkehrt  — ;  und 
R.  Kiepert  weicht  nicht  wesentlich  ab.  Hier  gibt  also  Ewlija  den 
besten  Kommentar  zu  dem  alten  Itiiierar.  Von  Ewlijas  Zwischen- 
stationen kennt  die  KiEPERT'sche  Karte  auch  noch  Hasan  Tschelebi. 
Immerhin  warnt  vor  der  Annahme  eines  absoluten  Beharrens  des  \'er- 
laufes  der  Straße,  daß  liäddschi  Chalifa  Varianten  bietet.  Sein 
Text  ist  allerdings  nicht  bloß  in  der  NoRBERo'schen  Übersetzung  (H, 
415),  sondern  auch  im  Konstantinopler  Druck  (S.  628)  stark  verwirrt. 
Doch  zeigt  ein  genaueres  Zusehen,  daß  er  zwei  verschiedene  Routen 
kennt,  die  sich  mehrfach,  nä,mlich  in  Kanghal,  in  Hasan  Tschelebi, 
in  Hasan  Badrik  treffen;  dazwischen  ist  nun  ein  Stück  einer  ganz 
andern  Straße,  offenbar  der  von  Siwas  nach  Erzerum,  fälschlich  hinein- 
geraten. 

Das  folgende  ^J*.y^}  ist  natürlich  das  Iz  Oglu  der  Karten.  Ewlija 
folgt  hier  auf  der  Route  von  Moltke  und  Naumann  dem  Tal  des  Böjük 
Tschai  in  die  alte  Anzitene  hinein  (vgl.  auch  Tomas chek  in  Betträge 
zur  Alten  Geschichte,  Festschrift  für  H.  Kiepert,  1898,  S.  137).  r-y^^^ 
geben  die  Karten  nicht,  wohl  aber  linden  wir  es  unter  dem  Namen 

(jjlX-üI  -jJÜl/j  \j.i  wieder  in  Häddschi  Chalifa's  Itinerar  von 
Dijar  Bekir  nach  Malatja  (ed.  1145,  S.  441  =  trad.  Norberg,  H,  25), 
und  zwar  zwischen  Gölbaschy  am  NO. -Ende  des  Göldschik  und  dem 
Euphratübergang.  Der  nä,chste  Punkt  von  Ewlija's  Routicr  (^AÄsl  X« 
dagegen  könnte  wohl  das  Mola  Köi  der  Karten  am  Südrande  der  Ebene 
von  Charput  sein. 


I  c)6  R  i  c  h  .1  r  d  H  a  1  t  in  a  n  n  , 

(j^jjtP  würde  mau  zunächst  in  dem  Habusi  der  Karten  in  derselben 
Ebene  so.  von  Pistck  suchen.  Allein  die  Angabc,  daß  es  am  See  von 
Charput  gelegen  sei,  d.  h.  am  Göldschik,  weist  auf  eine  andere  Lage, 
etwa  auf  das  Hafis  der  Karten,  bei  dem  man  das  antike  Colchis  der 
antiken  Straße  von  Melitene  nach  Amida  vermutet;  und  das  wird  be- 
stätigt durch  Häddschi-Chalifa,  der  (ed.  I145,  ^-  427  =  trad.  Nor- 
BERG  II,  631)  ein  Dorf  XwjjLi>  zwischen  Charput  und  Basch-Chan  an 
der  Straße  nach  Dijar  Bekir  nennt.  Sary  Kamysch  sodann  findet 
sich  auf  den  Karten  an  dem  direkten  Wege  nach  Pnlu  im  Tal  des  Schech 
Katun  Su. 

Die  folgenden  Kreuz-  und  Ouerzüge  des  Ewlija  im  Gebiet  der 
Tigrisquellen  lassen  sich,  wenn  auch  Egil,  Hyny  und  Arghana  fest- 
liegen, bei  der  sehr  mangelhaften  Kenntnis  der  Gegend  nach  des  Reisen- 
den dürftigen  Notizen  leider  nicht  genauer  verfolgen.  Wieweit  sich 
seine  Angaben  überhaupt  verwerten  lassen,  werden  wir  erst  im  II.  Ab- 
schnitt in  anderem  Zusammenhang  beurteilen  können. 

Besser  läßt  sich  dagegen  das  Routier  von  Basch-Chan  nach  Dijar 
Bekir  beurteilen,  zumal  wir  hier  parallele  Itinerare  vergleichen  können. 
Es  sind  zwei  Itinerare  von  Häddschi  Challfa,  das  eine  von  Charput 
nach  Dijar  Bekir,  das  andere  von  Dijar  Bekir  nach  Malatja,  und  — 
vielleicht  noch  wichtiger  —  eine  von  C.  Niebuhr  in  Dijar  Bekir  er- 
kundete Routenbeschreibung  nach  Palu,  die  in  Betracht  kommen. 
Wir  stellen  sie  hier  zur  Übersicht  nebeneinander,  und  zwar,  der  Einheit- 
lichkeit halber,  in  der  Richtung  von  Dijar  Bekir  ausgehend:  s.  S.  197, 

Es  ist  wohl  kaum  ein  Zweifel  möglich,  daß  das  Basch  Chan  des 
ersten  ganz  mit  dem  unseren  zusammenfallenden  Itinerars  dasselbe  ist 
wie  das  Göl  Baschy  des  zweiten,  und  dann  —  zumal,  wenn  wir  Niebuhr's 
Erkundung  noch  beiziehen  — ,  daß  beide  nicht  zu  trennen  sind  von  dem 
Gölbaschy  Chan  am  NO. -Ende  des  Göldschik.  Der  Orta-Chan  selbst 
findet  sich  auf  unseren  Karten  nicht.  Dagegen  ist  das  Scherbetein 
gewiß  bei  dem  Scherbet  Chan  zu  suchen,  den  unsere  Karten  seit  der 
Taylor's  im  JRGS.  35  nördlich  vom  Dewe  Getschid  verzeichnen  ^\ 
Nach  T.aylor's  Zeichnung  ist  die  »Old  Br[idge]«,  die  unserer  (j?;Jj^  »y* 
entsprechen  muß,  nicht  so  dicht  an  den  Chan  herangerückt  wie  auf 
Kiepert's  neuester  Karte;  immerhin  ist  aber  deutlich,  daß  auch  bei 
Ewlija  Scherbetein  und  Kara  Koprü  nicht  als  zwei*  verschiedene 
Ilauptstationen  gemeint  sein  können;  ja  in  den  beiden  Itinerarien  des 
Häddschi  Challfa  haben  wir  <  ■  iTenbar  beide  Namen  für  dieselbe  Örtlich - 


■)  Im  Scherejnäme,    ed.    \'  c  1  i  a  mi  n  o  f  -  Z  c  r  n  o  f  ,    1,   1S2  (vgl.  trad.  Ciiarmov, 
II,   I,  S.  23;  II,  2,  .S.  24)  ist  ^^"oiyi       L3»  geschrieben. 


Zu  Ewlija  Tschciebi's  Reisen  im  oberen  Euphrat-  und  Tigris-Gebiet.  Ig^ 

Häddschl  Challfa        HäddschT   Challfa  Niebuhr,  Reise- 

S.  427  S.  441  beschreibung  I,  421 

(=NoRBERG    I,     631)  (=NoRBERG    II,     24)  (=    RiTTER    X,     716) 


..Li-  (ji-Lj 


C3 


2i^<w».jLj> 


o 


'j^:r 


2  Std. 


^  J  ft.  J        2^  aX^w 

L7--    -^ 

1^^-^^^  »y 

6  Std. 

cf^j' 

1                    1 
5  Std.       6  Std. 

0^ 

xj^.! 

5  Std. 

t 

l5 


ioLj  (3j^ 


6  Std. 


16  Std. 


^l-'  >-^  >^^ 


7  Std. 


Diyarbekr 


6  Std. 
Sherbettin 

6  Std. 
Burdenish 

6  Std. 

i 

(jrta  Chan 

1 

4  Std. 

Bush  Chan 


8  Std. 


Palu 


keit.  Nebenbei  sei  bemerkt,  daß  das  i^lAji^'  des  ersten  Itinerars  von 
yäddschi  Challfa  offenbar  entsprechend  dem  zweiten  in  »-t-^ 
zu  ändern  ist,  was  das  von  Taylor  erkundete  Dorf  Schübe  sein  dürfte. 
Zwischen  dem  Übergang  über  den  Dcwe  Gctschid  und  Ciol  Baschy 
sind  anscheinend  verschiedene  Routen  möghch  und  auch  im  (icbraucli 
gewesen.     Da,  wie  die  heutige  Straßenführung  zeigt,   auch   eine  west- 


j  Q§  R  i  c  h  a  r  d   H  a  r  t  ni  a  n  n  , 

lichere  Linie  sehr  \vohl  gangbar  ist,  bleibt  es  auch  offen,  wie  weit  die 
von  Ewlija  bzw.  Häddsch!  Chalifa  bc/.cugten  Wege  der  antiken 
Straße  entsprechen  (vgl.  auch  K.  Miller,  Itineraria  Romana  S.  738f.). 

7.   Von   Dijar  Bckir  nach  Bitlis  (IV,    71  ff.)- 

Von   S^  j'ljO  über  die  Tigrisbrückc  —    i   Std.   - — ■  j^Jsji*v  —   i3^ 
x^j  ..«/iisLjsx  —     -.<*o_>4.5'  (..'^■«'^  —  ostwärts  am    Ufer  des  Batman 

Su  nach  -j%^   i>^>-^  —-  ••:^>  - —  i  >^J»J   ,..LIaL<v  o.a::;>   xicÄAvi —  ,lXääj    — 

Zu  diesem  Itinerar  ist  nicht  viel  zu  bemerken.  Mejjafarikin,  die 
Batman-Brücke,  Hazo,  Zijaret  Uweis  und  Kefender  liegen  fest.  Freilich 
wäre  es  erwünscht,  die  Route  durch  die  Bestimmung  von  ^.>^J  Sj^ 
und  .jL^  uoLi>  noch  genauer  feststellen  zu  können.  Das  ermöglicht 
auch  yäddschi  Chalifa's  Itinerar  (S.  441  =  Norberg,  II  24): 
Jii  Juc>  —  2  Std.  —  ^■i'^  hJ  ~  6  Std.  —  «u^  nJi  —  5  Std.  —  qUIoj 
"^^jj^  —  8  Std.  ~_5.1^i>  {\._^=>)  —  6  Std.  —  ^i/i^  (j^jt  —  5  Std.  — 
Ji*Xy5  dUil  —  4  Std.  —  jJc^ii  —  5  Std.  ■ —  (j/^Jjj,  in  dem  auf- 
fallenderweise ^^AÄjLsLxxi  fehlte),  nicht.  Besonders  der  erste  Teil 
des  Weges  bleibt  im  einzelnen  unsicher.  Daß  die  Straße  großen- 
teils ein  alter  Verkehrsweg  ist,  ist  durch  die  Geländebeschaffen- 
heit gegeben.-    Einzelheiten  l^ietet  auch  Mukaddasi  leider  nicht,    der 

[Bihliotheca  Geographorum  Arahicorum  III,  149)  von  i-X^i  nach  ^j^JSLka 
nach  ^.,2;i  nach  ^j-^j^i  O^m^  nach  ^Aju-j!  nach  ^j^^Xi  je  eine  Tage- 
reise rechnet,  also  von  Mejjäfärikln  eine  südlichere  Richtung  im  Auge 
liat.  Natürlich  wird  ungefähr  auch  eine  antike  Straße  der  Linie  ent- 
sprochen haben,  doch  bleiben  alle  näheren  Angaben  der  Peutinger- 
schen  Tafel  unsicher,  auch  wenn  Tigranocerta  nach  Lehmann-Haupt's 
Forschungsreise  nun  endgültig  nach  Q^äjlsL-y«  zu  verlegen  sein 
sollte  (vgl.  dazu  aber  auch  Kiepert,  Formae  orbis  aniiqui,  Bl.  V,  Text 
S.  Sa,  sowie  K.  Miller,  Itineraria  Romana,  Sp.  743  IT.  vi.  749,  die  für 
Tigranocerta  an  Arzen  festhalten). 

8.  Von    Erdsrhisch    über    Erzerum    nach    Tokat   (V,   39  If.)' 


')  wie  übrigens  auch  hei  Tanikmkk,  der  im  wcscnllidicn  dcssclhen  Wejjcs  gc/ogen 
sein  muß. 


tw  Ewlija  Tschelebi's  Reisen  im  oberen  Eiiphrat-  und  Tigris-Gebiet.  ip() 

LJI  —  obt   j-y^>  —  L^*^^-y'  l5-^^'  J^^  —  über  :s^  ^JJ^^j^  nach 


k»./;?,^ 


\^j  J 

—  ^j,y^  ^ö^z\  ^.,Ux]^  —  ^'^j)  -—^^^..i  ^u  ^^JL  —  ^^z>   ^U  — 

Das  Qt^^L-^  Ewlija's  auf  dem  Wege  von  Erdschisch  am  Wan- 
Scc  nach  Melazgerd  ist  offenbar  das  »Tashgenan«  der  Karte  von  Lynch. 
Von  Melazgerd  aus  scheint  sich  die  Route  zunächst  ganz  südhch  des 
Murad  Su  zu  halten,  wenn  anders  ^y  jlä,  das  durch  die  Lage  an 
einem  See  charakterisiert  wird,  v.ie  doch  wohl  sicher,  in  dem  Kazon 
Göl  der  KiEPERT'schen  Karte  südlich  \on  Gop  zu  suchen  ist.  Über 
den  ^.,Ll:iJLw  Lju  ^^>Ü,  dessen  Heiligtum  den  Weiterweg  nach  Chnys 
näher  bestinmien  soll,  weiß  Ewlija  selbst  (V,  43)  nichts  zu  sagen,  und 
unsere  Karten  haben  ebenfalls  kein  Dorf  dieses  Namens. 

Von  Chnys  folgt  Ewlija  derselben  Route  nordwärts,  die  er  schon 
einmal  (s.  Route  2)  umgekehrt  gemacht  hat.  Nicht  bloß  Kozly  Baba 
hat  er  damals  schon  berührt,  sondern  auch,  wie  er  jetzt  ausdrücklich 
nachträgt,  die  Altun  Halkaly  Köprü  passiert.  Man  hat  sie,  da  Ew^lija 
bei  Alwar  sw.  von  Hasankaie  die  Pasinowa  erreicht,  offenbar  etwa  an 
der  Stelle  zu  suchen,  wo  Kiepert  neben  einer  Brücke  die  Legende 
Köprü  Boghaz  verzeichnet,  also  unweit  von  Küllü,  wo  auch  Lynch 
(H,  190)  —  freihch  ohne  eine  Brücke  zu  erwähnen  —  den  Araxes  über- 
schritt. Der  Abstieg  in  die  Pasin  Owa  nach  Alwar,  der  nach  der  Karte 
vermutlich  über  Ertef  führen  mußte,  erhebt  unsere  oben  ausgesprochene 
Vermutung,  daß  in  Route  2  verschiedene  Itinerarien  verwirrt  sind, 
ZU  großer  Wahrscheinhchkeit.  Der  dort  erwähnte  Übergang  über  die 
Tschoban  Köprü  gehört  offenbar  in  einen  andern  Zusammenhang. 
Über  den  Weg  von  Hasanabad  nach  Erzerum  vgl.  o.  S.   189. 

Auch  der  Weg  westwärts  von  Erzerum  ist  bis  Köttür,  wie  statt 
des  jy^  natürlich  zu  lesen  ist,  aus  Route  i  und  4  bekannt.  Leider 
versagt  gerade  für  das  Stück  von  da  nach  Erzindschan,  das  uns  schon 
oben  Schwierigkeiten  gemacht  hat,  auch  hier  wiederum  das  Itincrar 
bzw.  unsere  Karte.  Man  könnte  vermuten,  daß  Ewlija  diesmal  nicht 
dem  Flußlauf  folgt,  sondern  das  Bergland  durchquert.  Doch  solange 
die  Zwischenstationen  nicht  zu  identifizieren  sind,  bleibt  natürlich  alles 
vage  Vermutung.    Auch  von  Erzindschan  nordwestwärts  fällt  Ewlijii's 


200 


Richard  H  a  r  t  m  a  n  n , 


Rciseweg  mit  dem  in  Route  4  besprochenen  zusammen.     Die  Stationen 
Basch  Chan  und  u^J)^^   machen   das  sicher.     Damit  ist  freilich  nicht 
viel  gewonnen.     Nur   die  erste,   in   Route  4   nicht  erwähnte   Station, 
Jalynyz  Bagh,  kommt  auf  der  Karte  nw.  von  Erzindschan  vor  und  macht, 
was  eigentlich  auch  ohnedies  deutlich  war,  sicher,  daß  er  den  Lauf  des 
Tschardakly   Su    aufwärts    verfolgt.     Ob    das    nach  ^^jS  kommende 
^JU*w    ,^ocÄ    mit    dem    ri^    ^t^-^   ^n    der    entsprechenden    Stelle   von 
Route  4  identisch  ist,  läßt  sich  nicht  mit  absoluter  Bestimmtheit  sagen. 
Immerhin  macht  die  nächste   Station  3;^   es  wahrscheinlich.     Sie  ist 
vielleicht    zu    unterscheiden    von    dem    gleichnamigen    Orte,    der  in 
Route  I  (II,   199)  vorkommt,  aber  identisch  mit  dem  II,  383  als  in  der 
Nähe    von    ^^^^    ii^-h^    gelegen    erwähnten    •j.i.      Ewlija's    dortige 
Bemerkung,    daß    da    auch    der    »U    q'wc^o^jJj    o^-^^'     ^^^   Erbauer 
der  Tschoban  Köprü,  begraben  sei,  kann  vielleicht  weiter  führen.    Denn 
die  Karten  verzeichnen  an  der  Schleife  des  Gerdschanis  S'u  eine  Tscho- 
banly  Tekke  (vgl.  Wünsch  in  Mitteilungen  der  k.  k.  geogr.  Ges.  XXVII, 
1884,  S.   2091.).     Hier  gehen  nun  unsere  Route  und  Route  4  ausein- 
ander,  Ewlija's  jetziger  Weg  nicht  weiter  nordwestlich  nach  Ezbider, 
sondern  wahrscheinlich  direkt  nach  Westen.     Alle  Versuche,   für  die 
weiteren   Stationen  bis  nach  Tokat  auf  der  Karte  Anhaltspunkte  zu 
finden,  scheitern.    Denn  das  Zara  am  Kyzyl  Yrmak  östlich  von  Kotsch 
Hisar  ist  für  unser  (S^)^    S;^j  ^vohl  entschieden  zu  südHch.     Ob  das 
.seltsame   o>./i.J^c.i    etwas    mit    dem    '^_y^J^  zu  tun  hat,    das  sich  bei 
Häddschl   Chalifa    S.  627    ^trad.  Norberg    II,  412)  in  einem    noch 
sehr  erklärungsbedürftigen   Itinerar  von   Siwas   nach   Erzerum  findet, 
muß  dahingestellt  bleiben.     Daß  wir  Ewlija's  Weg  nicht  weiter  ver- 
folgen können,  verliert  übrigens  von  seinem  Auffallenden  \'iel  für  den, 
der  einen  Blick  auf  Kiepert's  Karte  wirft.   Die  Gegend  zwischen  Kelkit 
und   Kyzyl  Yrmak   ist  eben  terra   incognita. 

II.  Die  Wasserläufe. 

I.    Der   Tigris. 

Ewlija  gibt  an  verschiedenen  Stellen  einen  Überblick  über  dvw 
Lauf  des  Tigris.  Besonders  spricht  er  zweim^al  ausführlicher  über  den 
Ursprung  des  Stromes.     Die  Hauptstelle  ist  IV,  42!.:     , 

»Der  Schalt  el-'Arab  entspringt  in  den  Bergen  von  Dijar  Bekir. 
Sein  Ursprung  ist  an  vier  Stellen,  und  alle  werden  Schatt  genannt, 
wenn  auch  [in  weiterem  Sinn]  alle  Flüsse  Schatt  heißen.  Die  Mündungs- 
stelle aller  Flüsse  ins  Meer  nennt  man  Merdsch  el-Bahrein.  Das  heißt 
also,  daß  der  Schatt  aus  vier  Quellen  entspringt,  die  im  einzelnen  be- 
sprochen werden   müssen. 


2u  Ewlija  Tschelebi's  Reisen   im   oberen  Eupliiat-  und  Tigris-Gebiet.  20 1 

.  DieersteQuelle  des  Schatt  ist  zunächst  [an]ein[em]paradiesgleiche[n] 
Dorfe  namens  Baghin  i),  hinter  der  von  Dijar  Bekir  nordwärts  in  einem 
Tage  erreichbaren  Festung  Pahi.  Dieses  Dorf  ist  ein  in  Kurdistan  welt- 
bekannter Ausflugsort.  Alle  Bejs  von  Palu  und  die  andern  Großen  der 
Gegend  kommen  zur  Erholung  hierher  und  vergnügen  sich  hier.  Dieses 
idyllische  Dorf  ist  eine  Domäne  des  Bejs  von  Palu.  In  jenen  steinigen 
Bergen  quillt  aus  einem  steilen  Felsen  reines  Wasser  hervor,  aus  dem 
im  Monat  Juli  ein  kräftiger  Mann  keine  drei  Steine  zu  holen  imstande 
ist:  so  ein  kaltes,  klares  Wasser  ist  es.  Es  ist  gewissermaßen  reines 
Kristall  2);  ja,  es  ist  eine  den  Stempel  des  Lebenswassers  tragende 
Lebensquelle;  ihresgleichen  findet  sich  auf  Erden  nicht.  Wer  ein 
[ganzes]  Lamm  ißt  und  darauf  von  diesem  Wasser  trinkt,  der  wird 
sogleich  wieder  hungrig  3). 

Die  zweite  Quelle  des  Schatt  bricht  sodann  aus  der  Höhle  eines 
berühmten  Berges  namens  Lxi^  o^^J  in  der  Umgebung  des  von 
dort  nicht  weit  entferntert  Arghana  mit  Donnern,  Brausen  und  Tosen 
hervor.  Es  ist  ein  äußerst  4)  durchsichtiges  und  klares,  reines  Wasser, 
desgleichen  es  auf  Erden  nicht  wieder  gibt. 

Die  dritte  Quelle  des  Schatt:  Dieser  Quellarm  des  Schatt  kommt 
aus  einer  Höhle  in  einem  hohen  Berg  an  einem  Tschynarly  Dere  »Pla- 
tanental« genannten  Ort  zwischen  Arghana  und  Demir  Kapu  hervor. 
Auch  dies  ist  ein  lauteres  Wasser,  so  daß  es  sozusagen  Nilwasser  s)  ist. 
An  dieser  Statte  sind  Ausflugsorte,  die  den  Genießern  unter  der  Be- 
völkerung von  Dijar  Bekir  bekannt  sind. 

Die  oben  erwähnten  drei  Teile  des  Schatt  vereinigen  sich  unter 
einer  himmelhoch  ragenden  berühmten  Brücke  namens  -.äjO-j  und 
bilden  einen  sehr  großen  Strom.  Dann,  nachdem  die  erwähnte  Brücke 
passiert  ist,  kommt  noch  der  Terdschil-Su  und  vereinigt  sich  mit  ihnen; 
der  heißt  Schatt-i  Terdschil.  Nachdem  diese  vier,  Baghin,  Mascha, 
Demir  Kapu,  Terdschil,  zusammengekommen  sind,  kommt  im  weiteren 
Verlauf  noch  ein  anderer  Fluß  unter  der  Kara  Köprü  und  trifft  mit 
ihnen  zusammen.  Er  kommt  zwar  aus  den  Bergen,  kann  aber  nicht 
spezieil  als  .Schatt    gerechnet  werden,    da  er  von  der    andern   Seite 

1)  statt      x&U  ist  (mit  den  Parallelen)   .^j^cli  zu  lesen. 

")  .!«./«  oi^o.  «.Uj  •  0!">'^J  v/äre  nach  Redhouse  Bergkristall;  der  türkische 
Lektor  in  Kiel,  Herr  Faik  Bej,  dachte  (mit  Vorbehalt)  an  OlXas-  Das  letzte  Wort 
(Name?)  ist  auch  ihm  nicht  gelätifig.     Dieselbe  Wendung  II,  237,  Z.  7  v.  u. 

3)  Soll,  wie  mir  Herr  Faik  bestätigt,  die  appetitanregende  Heilkraft  des  Wassers 
dartun.  .        ' 

4)  Soll  das      o'    c'».5'Li,«.Ijliici'  wie  sonst  speziell  die  lichtgelbc  Farlic  kennzeichnen? 
?)  Hier  Hoch  kaum  »(indigo)blaue8  Wasser«;  vgl.  auch  Anm.    2  u.   4. 

Islam   IX.  14 


^oi 


Richard   1 1  a  i  t  m  a  li  n  , 


kommt.    Darauf  fließen  sie  alle  vereinigt  weiter  und  strömen  am  Fuße 
des  Mädchenfelsens  östlich  von  Dijar  Bekir  vorbei«  usw. 

Zum  Vergleich  und  zur  PCrgänzung  möge  hier  gleich  auch  Ewlija 

III,   223  folgen: 

»Hinter  dieser  Festung  (sc.  Palu)  gibt  es  ein  paradiesgleiches  Dorf 
namens  Baghin.  Es  ist  ein  in  Kurdistan  weltbekannter  baumreicher 
Vergnügungsort,  der  eine  Domäne  der  Bejs  von  Palu  ist.  Dort  ent- 
springt ein  klarer  Fluß  aus  einem  Felsen,  der  den  Stempel  des  Lebens- 
quells trägt.  Der  Schatt  el-'Arab  hat  drei  Ursprünge.  Einer  davon 
ist  dies.    Alexander  hat  an  dieser  Stelle  einen  Sitz^j. 

Ein  anderer  Zweig  des  Schatt  ist  ein  wunderbar  -)  klares  und 
lauteres,  reines  Wasser  von  einem  Ort  namens  |^.,Lxi.x  v;^.2iö  in  der 
Umgebung  von  Arghana.  Auch  dies  ist  ein  unvergleichliches,  leben- 
spendendes, frisches  Wasser. 

Noch  ein  Arm  des  Schatt  kommt  aus  dem  Tschynarly  Dere  durch 
das  Demir  Kapu  zwischen  Charput  und  Arghana. 

Die  drei  erwähnten  Arme  passieren  eine  große,  einbogige  Brücke 
namens  ,;^Jo  j.  Dann  kommt  der  TerdschTl-Fluß  hinzu  und  mündet 
in  den  unter  der  Kara  Köprü  durchfließenden  Strom.  So  läuft  er  :ini 
Fuße  des  Mädchenfelsens  3)  von  Dijar  Bekir  vorbei «  usw. 

Diese  Angaben  sind  so  bestimmt,  daß  man  meinen  müßte,  sie 
könnten  sich  einfach  von  der  Karte  ablesen  lassen.  Leider  würde  dieser 
Versuch  sofort  scheitern.  Man  kann  eher  sagen:  soviel  Angaben,  soviel 
Schwierigkeiten.  Wir  beginnen  mit  dem,  was  noch  am  ehesten  als 
sicher  oder  doch  wahrscheinlich  bezeichnet  werden  kann.  Die  dritte 
Üuelle,  die  als  zwischen  Charput  und  Arghana  im  Platanental  gelegen 
bezeichnet  ist,  ist  oft'enbar  der  Ouellarm  südlich  vom  Göldschik,  über 
den  wir  seitWüNScn's  Untersuchungen  [Mitt.  der  k.  k.  geogr.  Ges.  2S, 
1885)  n-:iher  unterrichtet  sind.  Und  der  Name  Demir  Kapu  haftet 
offenbar  —  wie  auch  sonst  öfter  —  an  einer  Enge  des  Durchbruches  des 
Flusses  durch  den  Taurus  nordwestlich  von  Arghana.  Obwohl  das 
Dorf  Demir  Kapu4)  von  Ewlija  (IV,  2i)selbst  besucht  ist,  läßt  sich  aus 
seinen  Angaben  über  die  genaue  Lage  nichts  Näheres  entnehmen,  und 
die  von  ihm  dort  erwähnte  Geschichte,  daß  Chosrau  Anöscharwän  hier 
ein  eisernes  Schloß  gebaut  habe,  ist  natürlich  nichts  anderes  als  eine 
Legende  zur  Erklärung  des  Namens. 

-)  s.  o    S.   201  Anm.  4. 

:^)  Natürlich  ist  statt  des  Lxi    ^>^i  ''es  Druckes  hier  aiuh   ^^i  ^i  zu  lesen. 
4)  Über  den  Ort  vgl.  auch  Sclwrejnämc,  cd.  V  c  1  i  a  iii  i  u  "  I  -  Z  c  r  u  o  f  ,     I,    i.S6; 
trad.  CiiARMOY,  II,  I,  S.  28. 


Zu  Ewlija  Tschelebi's   Reisen  im   uberen  Euphrat-  und  Tigris-Gebiet.  ^q^ 

Unter  dem  zweiten  Quellarm,  dessen  Name  freilich  auch  dunkel 
bleibt  i).  möchte  ich  am  ehesten  eine  Quelle  in  der  Gegend  von  Arghana 
MaMen  vermuten. 

Besond_ers  schwierig,  aber  auch  besonders  wichtig  ist  die  Frage 
nach  dem  ersten,  dem  Fluß  von  Baghin.  Dieser  Quellarm  ist  mehrfach 
auf  den  Dibene-Su  gedeutet  worden.  So  verlegt  Tomaschek  unser 
Baghin  »in  die  Eisenminenregion  von  Siwän  «  {Festschrift  für  H.  Kiepert, 
1898,  S.  138).  Und  Belck  läßt  Zeitschr.  für  Ethnologie  1899,  S.  251, 
Ewlija  sagen:  »Eine  Tagereise  nördlich  von  Dijar  Bekir,  bei  dem 
Schlosse  Bali,  in  einer  reizenden  Gartengegend,  strömt  die  erste  und 
Hauptquelle  des  Tigris,  Schatt-i  Baghin,  auch  Schatt-i  Sül-qarnein  .  .  . 
aus  dem  Boden,  so  genannt,  gemäß  einer  islamitischen  Sage,  weil 
Alexander,  das  reinste  Wasser  zur  Linderung  seiner  Schmerzen  auf- 
suchend, hier  stille  stand,  da  er  beides  an  dieser  Stelle  gefunden.« 
Leider  sibt  Belck  nicht  an,  woher  er  diese  Nachricht  hat.  Schon  der 
Wortlaut  zeigt  aber,  daß  es  sich  hier  um  kein  wirkliches  Zitat  aus 
Ewlija  handeln  kann.  In  der  Tat  zitiert  Belck,  wie  ich  nach  einigem 
Suchen  fand,  nicht  Ewlija,  sondern  — •  vermutlich  durch  Vermittlung 
von  Ritter,  Erdkunde  X,  102 —  J.  von  Hammer's  Worte  in  Jahrbücher 
der  Literatur  (Wien)  XIII  (i82i\  S.  254,  die  in  der  Hauptsache  die  oben 
übersetzte  Stelle  Ewlija  IV,  42  f.  zur  Grundlage  haben.  Was  in 
unserer  Übersetzung  davon  nicht  enthalten  ist  —  es  ist,  wie  man  sieht, 
nicht  ganz  wenig  — ,  kommt  also  auf  Hammer's  Rechnung. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  die  Deutung  dieses  Quellarms  auf  den  Dibenc- 
Su  richtig  ist.  Nach  EwHja's  deutlicher  Angabe  ist  der  Baghin-Su 
nicht  der  letzte  Quellfluß  oberhalb  von  Dijar  Bekir.  Es  kommt  oberhalb 
dieser  Stadt,  abgesehen  von  dem  von  der  andern,  d.  h,  gewiß  der 
rechten,  Seite  mündenden  Zuflu-ß,  offenbar  dem  Dewe-Getschid,  noch 
ein  vierter  Hauptquellarm,  den  er  Terdschil-Su  nennt,  hinzu.  Nun  ist 
der  Dibene-vSu  aber  der  letzte  linksseitige  Zu-  oder  Quellfluß,  der  sich 
oberhalb  Dijar  Bekir  mit  den  andern  vereinigt.  Damit  ist  eigentlich 
schon  klar  erwiesen,  daß  Ewlija's  Baghin-Su  nicht  dieser,  sondern 
ein  weiter  oben  mündender  Quellfluß  sein  m.uß.  Diese  Argumentation, 
die  m.  E.  in  der  Tat  schlüssig  ist,  könnte  aber  damit  angefochten  werden, 
daß  Ewlija  an  anderer  Stelle  vom  Terdschil-Su  in  einer  Weise  spricht, 
daß  darunter  unbedingt  ein  anderer  Zufluß  unterhalb  Dijar  Bekirs 
verstanden  sein  muß.  Es  wäre  daher  wertvofl,  wenn  uns  Ewlija  noch 
weitere  Mittel  zur  Bestimmung  der  Quellflüsse  an  die  Hand  geben  würde. 
Und  das  tut  er  glücklicherweise.     Ewlija   kennzeichnet  den  Funkt, 


')  Tir,  i2y.  ^.jLAx  o.<^ö;  w,  22:  ^v,,i,,o  vi>~^ö";  iv,  42:  Vjj^^a  o-^^^j. 


^Q.  Ri  chard   H  alt  111  an  II  , 

WO   die   drei   ersten   Ouellflüsse   vereinigt   sind,    durch    die   Erwähnung 
einer    Brücke,    der    --^Jj- Brücke    (so    IV,    4^,     HI,     233:     -^-olXjj 
IV    21:  --sxA^Oj,   1\',   22:  -o  Jj;   vgl.  Scherefnäme,    ed.    Veliaminof- 
Zerncf,'    I,    \^o   u.    190,    trad.  Charmoy,    II,    i,    S.  21   u.  32;    II,   2, 
S    2V    ^o^j")    und    setzt  die  Mündung  des  Terdschil-Su  in  Beziehung 
zu    der    Kara  Köprü.      Beide    finden    sich    unter    diesen    Namen    auf 
der  Karte  nicht,    l'nd   Ewlija's  Ausdrucksweise  ist  bei  der  letzteren, 
z\unal   11 1,   22^,     nicht    recht    klar.     Sie  kann  aber    kaum    allzu    weit 
von  Dijar  Bekir  entfernt  sein.    Selbst  wenn  es,  wozu  seine  Worte  schwer 
passen,  die  Brücke  von  Dijar  Bekir  selbst  wäre,  von  der  an  nach  seiner 
Schilderung    die    Keleks    flußabwärts    fahren   —    ein    Einzelzug,    den 
Browski  im  Globus   53,    S.  44  noch    für  die   Gegenwart  bestätigt  — , 
ist  doch  unzweifelhaft,  daß   Ewlija   den  Terdschil-Su  oberhalb  Dijar 
Bekirs  mündend  denkt.     Wo  ist  dann  aber  die  erste  Brücke  mit  dem 
zweifelhaften  Namen  zu  suchen?     Dafür  gibt  uns  Ewlija   in  der  oben 
besprochenen  Route  6  einen  Wink.     ?>  kommt  dort  aus  der  Gegend 
von  Palu  und  Demir  Kapu  nach  Kreuz-  und  Ouerzügen  nach  einem 
Orte    ^i>J"  am  Tigris,   in  dessen  Nähe  die  ^^-^0;^- Brücke  ist,    über- 
schreitet'hier   den   Fluß   und  gelangt  so   nach   Egil.     Mag  die  genaue 
Richtung,  aus  der  er  kommt,  auch  nicht  festliegen,  so  ist  m.  E.  doch 
sicher,  daß  er  irgendwie  von  Norden  her  nach  Egil  gelangt,  jedenfalls 
weit  oberhalb  der  Mündung  des  Dibene-Su.    Nun  verzeichnet  die  Karte 
dicht  unterhalb  der  Mündung  des  Göldschik-Su  eine  antike  Brücke. 
Eine  Beschreibung  habe  ich  leider  nicht  gefunden.     Aber  alles  spricht 
doch    dafür,    daß  dies  die  „s^JJ-Brücke  ist.     Und  vielleicht  finden  wir 
auch  diesen  Namen  noch  einmal  wieder.    Wir  haben  oben  S.  197   das 
von  NiEBüHR  erfragte   Itinerar  von   Dijar  Bekir  nach   Palu   erörtert. 
Zwischen   den  bekannten   Ürtlichkeiten   Scherbetein   und   Basch-Chan 
kennt  er  zwei  Stationen  Burdenisch  und  Orta  Chan.     Sollte  nicht  das 
»Burdenisch«  unser  .^^jJ  sein?     Ein  Blick  auf  die  Karte   zeigt,    daß 
wir  damit,  unter  der  X'oraussetzung,  daß  sich  sein  Routier  im  wesent- 
lichen an  den  Lauf  des  Arghana-Su  hält,  eine  ganz  befriedigende  Lösung 
erhalten.    Doch  wie  man  sich  auch  hierzu  stellen  mag,  unsere  Hauptfrage 
ist  davon  unabhängig.     Sie  ist  —  ich  glaube,  mit  Sicherheit  —  dahin 
gelöst,    daß   Ewlija    den  Baghin-Su   oberhalb   jener  antiken    Brücke 
mündend  denkt.     Wir  würden  ihn  vielleicht  am  liebsten  in  dem  Göl- 
dschik-Su  der  KiEPERT'schen  Karte  wiederfinden.     Es  könnte  aller- 
dings auch  ein  noch  westlicherer  Ouellfluß  sein.     Dafür  laßt  sich  an- 
führen, daß  Kiepert  am  Oberlauf  des  nächstwestlichen  Zuflusses  ein 
Baghin  verzeichnet;  nach  welcher  Quelle,  weiß  ich  freilich  nicht.     Auf 
jeden  Fall  verdient  es  doch  Beachtung,  daß  der  Name  in  dieser  Gegend 


Zu   Ewlija    Tschebbi's  Reisen  im   oberen  liiiphrat-  und  Tigris-Gebiet.  205 

bezeugt  ist,  nicht  aber  in  der  des  Otierlaufs  des  Dibcnc-Su.  Bezeugt 
ist  er  auch  durch  Indschidsch  ean,  der  nach  Hübschmann  [Indo- 
germ.  Forschungen  XVI,  293)  ein  Baghin  zwischen  Palu  und  Arghana 
kennt.  Und  schheßhch  sei  noch  erwähnt,  daß  Leon  Alischan 
(Hübschmann  a.  a.  0.  S.  294,  Anm.  3)  den  Arghana-Su  als  Baghin-Su 
bezeichnet.  Das  alles  reicht  gewiß  hin,  um  zu  erweisen,  daß  die  Quelle 
von  Baghin  nichts  mit  dem  Dibene-Su  zu  tun  hat,  sondern  der  Ur- 
sprung eines  weiter  oben  mündenden  Ouellflusses  ist.  Weiter  können 
wir  allerdings  mit  Bestimmtheit  noch  nicht  gehen.  Denn  gerade  die 
Gegend,  in  der  Baghin  zu  suchen  ist,  gehört,  wie  die  KiEPERx'sche 
Karte  deutlich  zeigt,  zu  den  noch  ganz  unbekannten.  Erst  eine  genauere 
Erforschung  der  Gegend  selbst  kann  auch  volle  Aufklärung  über 
Ewlija's  Darstellung  bringen. 

Bisher  ist  nun  allerdings  vorausgesetzt,  daß  Ewlija  nicht  über- 
haupt ein  unglaubwürdiger  Schwindler  sei.  Sein  Bericht  macht  wohl 
auf  jedermann  zunächst  einen  vertrauenswürdigen  Eindruck.  Der  gute 
Glaube  könnte  nun  allerdings  durch  seine  Schilderung  der  weiteren 
Tigriszuflüsse  stark  erschüttert  werden.  Diese  ist  in  der  Tat  völlig 
verwirrt.  In  der  zusammenhängenden  Darstellung  des  Tigrislaufs  be- 
spricht er  nämlich  auch  dessen  wichtigste  Nebenflüsse  und  schildert  so 
IV,  44  den  Batman-Su:  »Der  Batman-Fluß  vereinigt  sich  aus  den 
Bergen  von  Mejjäfärikln,  Hazu,  Ätäk  und  Terdschil,  nimmt  die  Ge- 
wässer der  Burgen  von  Bitlis  und  Kefender,  das  Gewässer  der  Burg 
von  s.-  M  und  einen  Zweig  des  Chäbür  auf,  läßt  die  in  der  Nähe 
der  B'urg  Hazu  gelegene  wunderbare  Batman-Brücke  hinter  sich, 
berührt  manches  Hundert  Dörfer  und  Flecken  und  mündet  in  der  Nähe. 
der  Burg  Hasan  Kef  in  den  Schatt.«  Ewlija  verbindet  also  nicht  bloß 
den  Arzen-  und  Bohtän-  nebst  Bitlis-Su,  sondern  selbst  den  Chäbür 
al-Hasanije,  den  er  sich  spalten  läßt,  mit  dem  Batman-Su  zu  einem 
und  demselben  Unterlauf.  Daß  hier  nicht  bloß  ein  gelegentliches  Versehen 
vorliegt,  beweist,  daß  Ewli  j  a  auch  bei  der  Beschreibung  von  Bitlis  IV,  96 
den  Bitlis-Su  abbiegenund  sich  inderNähederberühmten  Batman-Brücke 

mit  dem  Batman-Su  vereinigen  läßt^-).  Er  hat  also  tatsächlich  über 
die  Zuflüsse  des  Tigris  völlig  unklare  Vorstellungen,  die  sich  z.  B.  von 
der  viel  besseren  Kenntnis  des  Häddschi  Chalifa  (ed.  I145,  S.  467  = 
trad.  NoRBERG  II,  8i  ff.)  recht  unvorteilhaft  abheben.    Was  uns  ganz 

n  über  t  ■  Jij  •  v<;l.  I\',  81  u.  89;  V,  20.  S.  aucb  Scherefnämc.  tr;ul. 
Charmoy,  I,  I,  S.  465.  Vielleicht  das  »Zerque«  Tavernier's."  Rich,  Aarmtive  Ol  a 
Residence  in  Koordistan,  S.  375:   »Zerki  is  between  Bitlis,  Sert  and  Moosh«. 

'■)  Vgl.  Ricn,  a.  a.  0.  S.  376:  »Batman  Tchai  is  the  Sert  river,  or  true  Tigris.«  Sollte 
diese   »inform ition,  coUeeted  from  natives«  am  Ende  auf  —    Ewlija   zurückgehen.- 


2q5  K  i  ch  a  r  tl   11  a  r  l  lu  a  ii  n  , 

besonders  angeht,  ist  die  Tatsache,  daß  er  hier  die  Gegend  von  Tcrdschil 
zum   Flußgebiet   des   Batman-Su    rechnet.      Freilich   steht  er  damit, 
wenn  man  den  Begriff  Tcrdschil  etwas  weit  faßt,  nicht  allzu  fern  von 
der  Wahrheit.     Wie  er  es  versteht,  zeigt  er  III,  227  noch  deutlicher, 
wo  er  bemerkt,  der  Kulp-Su  münde  in  den   lerdschil-Su.    Das  macht 
klar,  daß  er  unter  dem  letzteren  nur  den  Lidsche-Su  verstehen  kann. 
Ist  Ewlija's  Terdschil-Su  hier  also  der  Lidsche-Su,  so  verstehen  wir 
auch  schon  die  Mehrdeutigkeit  des  Namens  —  s  hen  wir  ihn  doch  oben 
auch  als  Bezeichnung  des  Dibenc-Su:  denn  auch  heute  bestimmt  man 
ja  gelegentlich  den  Tigristunnel  am  Oberlauf  des  Dibene-Su  nach  dem- 
selben Lidsche,  das  dem  Ouellfluß  des  Batman-Su  den  Namen  gibt. 
Nimmt  man  den  Begriff  Tcrdschil  in  weitem  Umfang,  so  könnten  wohl 
die  beiden  Ouellbäche,  die  ja  wirklich  nahe  beieinander  liegen,  nach 
der  Landschaft  Tcrdschil  benannt  sein.      Das  doppelte  Vorkommen 
des  Namens  ist  also  keinesfalls  ein  Argument  gegen  unsere  Auffassung 
von  Ew^lija's  Beschreibung  der  Tigrisquellen.    Aber  auch  sein  Irrtum 
über   den    Unterlauf    der   linksseitigen   Tigriszufiüsse   entwertet   seine 
sonstigen  Angaben  nicht.     Hier  ist  er  eben  nicht  selbst  Augenzeuge; 
und  wo  er  dies  nicht  ist,  ist  er  entweder  schriftlichen  Quellen  oder  un- 
sicheren  mündlichen    Gewährsmännern   gefolgt.      In   welchem    Maße 
zeigt  IV  74,  Z.  5,  wo  er  versichert,  daß  im  Gebiet  von  Mejjäfärikin 
der  Bäsanfä-Fluß  sich  befinde,  aber  hinzufügt,  daß  er  weit  von  der 
Stadt  weg  sei:  mit  g'utem  Grunde;  denn  natürlich  hat  er  an  Ort  und 
Stelle  von  diesem  Fluß  nichts  gesehen  oder  gehört.    Stammt  er  doch  — 
wer  weiß,  auf  welchen  Umwegen,  jedenfalls  über  Abu'1-Fidä —  aus 
.....   Ibn  Serapion-Chwärizmi,  wie  ich  den  Autor  nach  ZDMG.  71, 
S.  247  f.  zu  bezeichnen  wage,   vgl.  JRAS.  1895,    S.  263  und   ist  kaum 
sicher  zu  identifizieren.    Anders  ist  es,  wo  er  als  Augenzeuge  spricht. 
Da  erweist  e-  sich,   mögen  auch    Irrtümer  und    i  bcrtreibungen  mit 
unterlaufen,   doch  im  ganzen  als  zuverlässig,   wie  auch  wir  noch  zu 
sehen  Gelegenheit  haben  werden;   und  die  Gegend   tler  Tigrisquellen 
hat  er  ja  selbst  durchzogen.    Wir  haben  also  allen  Grund,  seiner  Be- 
schreibung Gewicht  beizumessen  'j. 


»)  Beiläufig  erwähnt  E  w  1  i  j  ;i  ,  IV,  56,  auch  einen  rechtsseitigen  südlichen  Zuflui3 
des  Tigris,  den  Gök  Su  oder  genauer  einen  Ort,  der  davon  den  Namen  hat.  —  Nach 
Th.Menzel's  Auffassung  (bei  H.Grothe,  Meine  Vorderasicn-Expedilion,  I,S.CLXXXXVIII 
Anm.  I  u.  S.  CCV)  würde  der  von  E  w  1  i  j  a  ,  IV,  57  u.  66  genannte  ^•A.c.yi  ^^^'j-Ajjj 
bzw.  ^'Lc-fcJ  .  '«J,  -•,  <i'S  »Mündung«  eines  Wasserlaufes  bedeuten.  In  Wahrheit  ist  — 
gegen  Menzel  —  die  erste  Lesung  die  bessere,  und  der  Name  bezeichnet  den  Paß  von 
Zarzawan  (vgl.  die  Karten). 


Zu   Ewiija    r.scliclclji's   Reisen   im   oberen    Euphrat-   und   Tigris-Gebiet.  207 

2.    Der    Göldschik. 

Ehe  wir  7A1  den  weniger  wichtiges  Material  bietenden  Angaben 
Ewlija's  über  den  Euphrat  übergehen,  ist  hier  noeh  ein  Wort  über  den 
Göldschik  am  Platze,  der  ja  dei;  westlichen  Tigrisquellen  und  auch  dem 
Euphratlauf  so  nahe  ist,  daß  man  doch  stets  aufs  neue  versucht  ist^ 
ihn  in  eines  dieser  Stromsysteme  einzugliedern,  was  auch  —  vollends 
nach  den  neuesten  Untersuchungen  von  Huntington  [Verhandlungen 
der  Berl.  Antkropol.  Ges.  1900,  S.  149  f.)  wirklich  begründet  zu  sein 
scheint.  Ewiija  kennt  ihn  als  den  See  von  Charput  und  schreibt  über 
ihn   III,    219: 

»Im  Westen  0  ist  ein  von  der  mit  Gärten  umgebenen  Stadt 
2  Stunden  ^)  entfernter  See.  Zwei  Menschen  können  in  Eile  an  einem 
Tage  seinen  Umfang  ablaufen.  Es  ist  ein  See,  so  bitter  wie  Gift.  Ge- 
wisse Historiker  behaupten,  dieser  See  komme  vom  Wan-See  her,  der 
unterirdisch  einen  Ausgang  finde  und  sich  dahinein  ergieße:  das  sei 
dieser  See  von  Charput.  Tatsächlich  finden  sich  die  Fische  des  Wan-Sees 
auch   in  diesem   See 

In  diesem  See  ist  eine  Insel,  auf  der  ein  Dorf  liegt.  Alle  Einwohner 
dieses  etwa  300  Häuser  zählenden  Dorfes  sind  Färber  und  Schneider. 
Von  dem  in  der  Nähe  des  erwähnten  Sees  gelegenen  Dorf  HäbOs  und 
den  andern  Ortschaften  -)  kommen  die  Leute  mit  Booten  und  besuchen 
die  Insel.  Auf  der  Insel  ist  ein  Kloster.  Als  ein  als  heilig  verehrter 
Esel  hier  krepierte,  da  balsamierten  der  Patriarch  und  die  Mönche 
insgesamt  den  Kadaver  3)  des  Esels  ein  und  verbargen  ihn  unter  der 
Erde,  so  daß  es  nicht  einmal  die  Dienstleute  dieses  Klosters  wußten. 
Noch  jetzt  stehe  er  in  seiner  ganzen  Gestalt  vierbeinig  aufrecht  als 
ein  Esel  da,  des  Nachts  mit  Lichtern  als  Augen  und  mit  goldbesetztem 
Sattelzeug:  so  vernahm  ich  aus  zuverlässiger  Quelle,  ich  selbst  konnte 
es   nicht  sehen.      In  alter  Zeit  verehrten  die  Christen  nämlich   diesen 

Esel. « 

Dieser  Bericht  ist  nicht  wegen  der  etwas  albernen  Eselgeschichte  hier 
wiedcrgegeben,  die  sich  als  nichts  anderes  entpuppt  denn  als  eine  Volks- 
etymologie -des  Namens  Charput,  aber  doch  insofern  auch  ein  gewisses 
Interesse  verdient,  als  sie,  wenn  Taylor  in  JRAS.  38  (1868)  S.  346 
Anm.  recht  hat,  den  Grund  abgab  für  die  Umtaufung  von  Charput  zu 
Ma'müret  ul-'Aziz.     Zwei  andere  Punkte  sind  es  vielmehr,    die  mir  der 


')  Hier  liegt  natürlich  ein  Versehen  Ewlija's  vor.     Daß  er  tatsächlich  den  Göldschik 
meint,   ist  außer  Zweifel. 

-)  1.    statt     .,oLsi    iL-«*.  :      ,M^'-"^     .J.-W.. 

•0  ,J;:^%2, 


^Qg  R  i  oll  a  r  (1    H  a  r  1 1)1  a  nn  , 

Beachtung  wert  scheinen.  Wünsch  haben  nach  .1////.  dei'  k.  k.  gcogr. 
Ges.  28  (1885)  S.  15  alte  Leute  erzählt,  daß  man  früher  zur  Kirche  auf 
der  Insel  zu  Fuß  hinübergekommen  sei.  Und  Huntington  gegenüber 
wurde  behauptet,  vor  500  oder  600  Jahren  sei  der  See  gar  nicht  da- 
gewesen. Mag  der  See  nun  auch  geologisch  ganz  jung  sein,  mag  ein 
Steigen  des  Wasserspiegels  ganz  unzweifelhaft  seni,  Ewlija's  Er- 
zählung zeigt  jedenfalls,  daß  alle  diese  Behauptungen  übertrieben  sind 
und  mit  noch  viel  mehr  \'orsicht  aufzunehmen,  als  dies  \ielfach  ge- 
schieht. Noch  ein  anderes  aber  scheint  interessant.  Wenn  Lehmann- 
Haupt's  Deutung  {Armenien  einst  und  jetzt  I,  460 f.)  von  Plinius' 
kaum  entwirrbarer  Darstellung  des  Tigris- Ursprungs  recht  hätte,  so 
hätten  die  Alten  tatsächlich  den  aus  der  Gegend  des  Göldschik  kommen- 
den Arghana-Su,  den  aus  dem  Wan-Sec  kommend  gedachten  Bohtan- 
Su  und  den  Tigristunnel  von  Lidsche  in  einen  unterirdischen  Zu- 
sammenhang gebracht.  Die  Phantnsien  der  Alten  werden  nun  durch 
Ewlija's  Fabeleien  von  der  Verbindung  zwischen  Wan-See  und  (iöl- 
dschik  aufs  neue  bestätigt.  Beruhen  sie  vielleicht  wirklich  auf  ein- 
heimischer volkstümHcher  Vorstellung?  Doch  selbst  wenn  dies  nicht 
der  Fall  ist,  wenn  Ewlija's  Bericht  letzten  Endes,  was  ja  nicht  ganz 
ausgeschlossen  erscheint,  irgendwie  auf  literarischer  Überlieferung 
fußen  sollte,  so  bleibt  er  doch  zum  mindesten  als  eine  Ausdeutung  von 
IMinius'  Bericht  von  Interesse. 

3.    Der    Euphrat. 

Während  der  Ursprung  des  Tigris  für  die  alte  \\\lt  imd  noch  lür 
uns  bis  \(>r  kurzem  in  ein  mysteriöses  Dunkel  gehüllt  war,  ein  Dunkel, 
das,  wie  wir  sahen,  noch  immer  nicht  ganz  gelichtet  ist,  tritt  der  Euphrat 
verhältnismäßig  vor  aller  nüchternen  Augen  an  das  Licht  des  Tages. 
So  läßt  sich  (leim  Ewlija's  kurzer,  zusammenfassender  Bericht  11,  207 
aurh    bequem  auf    der  Karte  verfolgen: 

»Der  Erat  fließt  von  der  Mitte  der  Ebene  von  Erzerum  her.  Er 
entspringt  nm  Grunde  des  Felsens  des  Wallfahrtsortes  Dumly  Baba 
Suhiin  im  Osten  an  der  Grenze  gegen  Georgien  und  fließt  nach  Westen, 
in  der  Ebene  von  Erzerum  nimmt  er  zahllose  Sünijjfe,  Kanäle,  Seen 
und  Wasserläufe  auf,  so  daß  er  1  lunderttausenden  von  Baghdader 
Kranichen  ')  Platz  bietet.  Am  Fuße  der  Ortschaft  Kjän  vorbeifließend, 
bespült  er  zwei  Tagereisen  weiter  den  Fuß  der  Festung  K;im;uh  -). 
Weiter  nimmt  er  vom  Gebiet  der  Izolr-Kurden  an  den  von  der  Bingt)l- 


0  'i   Ist   \j,Aj  ,  (:C>\jJt.;^  richtig?     Und  was  heißt  es  dann? 
-)  1.  statt   A  ^\    natürlich  j,^^  , 


Zu   Evvlija  Tschelebi's   Reisen  im   oberen   Kuiihral-   und  Tijjris-Gebict.  2O0 

Jaiki   kommenden  Murad  Tschai  auf'.     Da  ^^■ird  er  stärker  und  Hießt 
in  der  Nähe  von  Malatia  dahin«  usw. 

Auf  die  freihch  nicht  ganz  klare  Schilderung  der  Euphratquelle 
unweit  Umudum  II,  327  werden  wir  unten  noch  zurückkommen.  Hier 
mögen  dagegen  einige  gelegentliche  Angaben  über  Zuflüsse  des  Stromes 
ihren  Platz  finden.  So  erwähnt  Ewlija  anläßlich  seines  Aufenthalts 
in  Kamach  den  Kömür-Tschai  II,  376:  »Der  in  der  Umgebung  des 
Dorfes  Kömür  durch  Gärten  fließende  Kömür  Su  kommt  aus  den 
Bergen  von  (j*Ls*j5"  [1.  ^y.JLs^J'  Gerdschanes]  und  mündet  am  Fuße 
der  Burg  von  Kamach  in  der  Nähe  der  eine  Tagereise  [offenbar  von 
Kömür]  entfernten  Tekje  des  Sultan  Melik  Ghazi  in  den  Furät. «  Und 
ebenso  kennt  er  das  unweit  davon  mündende,  vom  .lä^^  i}.x:>  kom- 
mende Flüßchen  der  jhs.:^  o^^,  ^^'•^'^  nichts  anderes  sein  kann  als  der 
vom  Muzur-Dagh  herabfließende  Tanadzur. 

Wenig  klar  .sind  Ewlija's  Vorstellungen  von  dem  Laufe  des 
Flusses  von  Diwrik,  des  Tschaha  Yrmak,  den  er,  ohne  einen  besonderen 
Namen  für  ihn  zu  kennen,  als  einen  Zweig  des  Frat  oder  kurzweg  einfach 
als  Frat  bezeichnet.  »Der  von  der  Stadt  hervorfließende  Zweig  des 
Frat  läuft  von  da  nach  der  Burg  Egin,  von  da  weiter  nach  *Arabkir 
und  Tschimischgezek,  wo  er  in  dem  Tschat  -bu^-  genannten  Orte 
sich  mit  dem  Frat  vereinigt«  (III,  212).  Wenn  Ewlija  daher  die 
auf  der  Weiterreise  nach  Südost  überschrittenen  Bäche  als  zum  Frat 
laufend  bezeichnet,  bleibt  zweifelhaft,  ob  er  wirklich  den  eigentlichen 
Frat  oder  den  als  Zweig  des  Frat  charakterisierten  Tschalta  Yrmak 
meint.  Ein  Versehen  liegt  natürlich  darin,  wxMin  er  den  Fluß  von  Egin 
von  Diwrik  kommen  läßt;  denn  an  den  andern  Stellen  ist  ganz  klar, 
daß  er  nicht  ihn,  sondern  richtig  den  Fluß  von  Erzerum  und  Kamach 
als  den  eigentlichen  Frat  ansieht.  Und  die  Verwechslung  wird  noch 
größer,  wenn  er  den  Fluß  von  Diwrik  bei  -bl=^  in  den  Frat  münden  läßt. 

Denn  Tschat  ist  für  Ewlija  sonst  die  Mündungsstelle  des  Murad- 
Su.  Man  könnte  nun  freilich,  gestützt  auf  kaum  anfechtbare  Berichte 
neuerer  Reisender,  daß  auch  der  Murad  gelegentlich  Frat  genannt 
werde  (vgl.  z.  B.  Geogr.  'J.  VIII,  1896,  S.  333  Anm.),  schließen,  daß 
Ewlija  dies  an  der  oben  erwähnten  Stelle  aucli  tue.  Allein  der  Sprach- 
gebrauch des  Ewlija  schließt  diese  Annahme  doch  aus.  Es  liegt  eben 
wirklich  wieder  eine  Verwirrung  vor,  wie  gar  nicht  selten,  wenn  Ewli  ja 
nicht  als  Augenzeuge  spricht.  Das  aber  tut  er  hier  ja  auch  nicht,  denn 
die  Mündungsstellen  hat  er  nicht  gesehen. 

Wo  Ewlija  jenes  -bl^  in  Wahrheit  sucht,  das  zeigt  z.  B.  III,  216, 
Z.  20f. :  »Hier  [bei  ^.,ij.xAj|]  im  Gebiet  von  Charput  kommen  Frat 
und  Murad  einander  ganz  nahe.     An  der  von  hier  eine  Tagereise  ent- 


■^H)  K  i  c  li  ii  1  (1    1 1  a  1  l  111  ;i  11  n  . 

ferntcn  Urtlichkcit  -bU?-  vcrLinigcn  sie  sich.«  Und  dazu  stininU  auch 
die  kurze  Schilderung  des  Murad-Laufes,  die  er  111,  224  gibt:  »Er 
sammelt  die  [Wasser  der]  auf  der  zwischen  den  Ebenen  von  Erzerum 
und  Musch  gelegenen  Bingöl-Jaila  befindlichen  mehr  als  looo  Seen, 
durchfließt  die  Ebene  von  Musch  und  strömt  unterhalb  dieser  Festung 
Palu  vorbei,  vereinigt  sich  in  dem  Platz  namens  Tzoli  ^hj^^  bei  dem 
Dorfc  namens  Tschat  mit  (km  Erat  und  strömt  weiter  talabwärts.« 
Aus  dieser  Stelle  würde  man  zunächst  schheßen,  daß  Ewlija  ein  an- 
nähernd richtiges  Bild  des  Muräd-Laufes  hat.  Doch  das  ist  nur  in 
sehr  beschränktem  Maße  der  Fall.  Über  den  Oberlauf  jedenfalls  ist  er 
recht  unbestimmt  orientiert  und  kann  das  komplizierte  Flußsystem 
des  Bingöl-Dagh  schlechterdings  nicht  entwirren,  wie  die  eine  Tatsache 
zeigt,  daß  er  den  Fluß  von  Melazgerd  als  den  Araxes  ansteht  (III,  223). 
Übrigens  hat  ja  auch  der  sonst  solidere  Häddschl  Challfa  nur  eine 
mangelhafte  Vorstellung  (trad.  Norbekg  I,  629;  vgl.  v.  Hammer  in 
Jahrbücher  der  Literatur  XIV,  182 1,  S.  35  und  Ritter,  Erdkunde 
X,  647).  Auch  der  Punkt  des  Zusammenflusses  von  Erat  und  Murad 
ist  von  ihm  mit  Reschwan  =  ^.,U:v^l  des  Ewlija  =  Arsch wan  der 
Karten  sehr  ungenau  angegeben.  Auf  unseren  Karten  ist  dagegen  das 
-bU?-  des  Ewlija  gar  nicht  zu  finden. 

Eingehend  bespricht  der  Reisende  dann  noch  das  Flußsystem  von 
Malatja.  Leider  begegnen  auch  hier  wieder  eine  Menge  von  Schwierig- 
keiten. Ewlija's  Zusammenfassung  (IV,  14  f.)  lautet:  »Die  von  den 
vier  Seiten  von  Malatja  herströmenden  Flüsse:  aus  seiner  Umgebung. 
kommen  17  große  und  kleine  Flüsse  her.  Der  ^Jj-*^  -bl**^  Samjat 
Su  (?)  kommt  aus  den  Bergen  der  Burg  -b.^^^  i)  von  Malatja  her,  geht 
nach  ^^j=>  (?)  -)  und  fließt  dann  außerhalb  der  Stadt  Malatja  in  den 
Tochma-Su. 

Der  Tochma-Su:  Dieser  Fluß  kommt  aus  den  Bergen  von 
Rakba(?)3);  in  den  Aspuzan  (^.,U_^^>,o;)-Ciärten  4)  münden  in  ihn  drei 
kleine  Quellen.  Weiter  unten  kommt  dazu  noch  der  Bunarbaschy-Su. 
Noch  weiter  unten  vereinigt  sich  damit  der  Der-i  Mesih-Su,  bewässert 
die  Aspuzan-Gärten  und  fließt,  die  Mauerfundamente  der  Burg  von  Ma- 
latja bespülend,  weiter.  Noch  wxiter  unten  schließlich  vereinigt  er 
sich  an  dem  Orte     ^»  o  ^\,^  mit  dem  Tell-Su. 

')   III,  169  ist  so  (lerNiime  von  Samsat  =  Samosata  geschrieben  (S.  161:  J>.>^4.o); 

CS  ist  aber  doch  schwer  anzunehmen,  daß  die  Berge  südlich  von  Malatia  darnach  benannt 

sein  sollten. 

-)  in  dem  ,\.Äj.5»  steckt  doch  vermutlich  irgendein  Eigenname. 

3)  \xi    soll  n-i^l'  IV,  8  unten  der  griechische  (?)  Name  der  Stadt  M.  scm. 

4)  Die  Gartenstadt  Azbuzu  ist  ja  das  heutige  Malatia. 


Zu   Ewlij;i    l'schclcbi's   Reisen  im   ubcrcn   Eiiphiat-   und  Tigiis-Gcbiet.  211 

Teil- Sil:  In  einer  Entfernung  von  5  Meilen  unterhalb  der  Stadt 
Malatja  kommt  noch  ein  Zweig  von  dem  Tochma-Su.  Nachdem  alle 
zusammen  einen  großen  Fluß  gebildet  haben,  gelangen  auf  der  über 
diesen  Fluß  gebauten  unvergleichlichen  großen  Kyrk  Göz-Brücke  des 
Sultan  Hasan  Mansür  die  von  Rüm  und  aus  der  Gegend  von  Diwrik 
herkommenden  Kaufleute  und  überhaupt  alle,  die  da  kommen  und 
gehen,  nach  Malatja.« 

Von  all  den  verschiedenen  hier  genannten  Flüssen  sind  außer  dem 
Tochma-Su  selbst  nur  der  Der-i  Mesih-Su  (meist  Dermes-Su  geschrie- 
ben), dieser  auch  auf  der  KiEPERT'schen  Karte,  und  der  Bunarbaschy- 
Su  sicher  festzulegen.  Nach  Wünsch's  Karte  in  den  Mitt.  der  k.  k. 
geogr.  Ges.  34  (1891)  fließt  der  letztere,  den  er  Puarbassi  schreibt, 
zwischen  Azbuzu  und  Eski-Schehir  in  den  Der-i  Meslh-Su;  eine  Ver- 
bindung mit  dem  durch  Azbuzu  selbst  zum  Tochma-Su  fließenden 
Katun-Su  besteht  nach  dieser  Karte  nicht.  Nach  Ewlija's  Wortlaut 
würde  man  annehmen,  daß  all' die  erwähnten  Flüsse  in  den  Tochma-Su 
münden  ^);  und  wenn  er  IV,  9,  Z.  8  die  von  den  Aspuzan-Bergen  kom- 
menden Gewässer  in  den  Euphrat  münden  läßt,  so  vermutet  man 
hierin  nur  wieder  eine  Ungenauigkeit  in  der  Benennung.  Das  trifft 
wohl  auch  das  Richtige,  wenn  in  Wahrheit  nach  unseren  Karten  auch 
ein  Teil  der  Gewässer  (so  der  Dermes-Su)  in  den  Euphrat  selbst  fließt. 
Wir  werden  hier  wohl  auch  wieder  zu  konstatieren  haben,  daß  Ewlija, 
wo  er  nicht  selbst  Augenzeuge  ist,  sich  leicht  irrt.  Alle  Schuld  daran, 
daß  wir  mit  seinem  Bericht  so  wenig  anfangen  können,  trägt  Ewlija 
aber  vermutlich  nicht.  Die  Kenntnis  des  Flußsystems  von  Malatja 
ist  eben  noch  recht  mangelhaft.  Nach  den  Schilderungen  von  Wünsch 
muß  es  zu  einem  beträchtlichen  Teile  durch  ein  kunstvolles  Bewässe- 
rungssystem umgestaltet  sein,  das  er  durch  den  Namen  der  Semiramis 
charakterisieren  zu  können  glaubt  —  wir  würden  nach  Lehmann- 
Haupt's  Vorgang  heute  eher  von  »chaldischen«  Wasserbauten  sprechen. 
Jedenfalls  zeigt  Ewlija  auch  hier  aufs  neue,  daß  selbst  die  Unter- 
suchung eines  historisch  so  einzigartig  wichtigen  und  interessanten 
Platzes  wie.  Malatja  erst  noch  zu  leisten  ist. 

III.  Archäologisches. 

Daß  ein  so  ausführlicher  Reisebericht  wie  der  Ewlija's  sehr 
viel  wichtiges  archäologisches  Material  enthält,    ist    eigentlicli  selbst- 

1)  Das  ist  deuüich  auch  IV,  rß  Z.  3  v.  u.  ff.  vorausgesetzt,  wo  der  Tell-Su  als  ein 
Zweig  des  Der-i  Mesih-Su  erscheint  und  gesagt  ist,  daß  er  sich  mit  Bunarbaschy-Su  und 
Tochma-Su  vereinigt  und  so  unter  der  Kyrk  Göz-Köprü  durchfließt. 


/>  j  2  R  i  c  li  a  r  d   H  ;i  r  t  m  a  n  n  , 

verständlich.  Seine  Angaben  sind  in  dieser  Hinsicht  auch  gelegent- 
lich verwertet  worden,  man  vgl.  z.  Ix  nur  G.  Jacob's  Aufsatz  in  Der 
Islam  III,  358  ff.  Aber  im  großen  ganzen  ist  er  eine  noch  unerschöpfte 
reiche  Quelle.  Es  kann  hier  nicht  davon  die  Rede  sein,  sie  auch 
nur  für  unser  beschränktes  Gebiet  zu  erschöpfen.  Seine  Beschrei- 
bungen der  Städte  und  Örtlichkeiten  müssen,  soviel  sie  zur  Bauge- 
schichte auch  beitragen  können,  hier  im  Ganzen  unberücksichtigt 
bleiben,  da  sie  sich  doch  nur  im  Zusammenhang  einer  archäologischen 
Untersuchung  der  Örtlichkeiten  selbst  wirklich  voll  verwerten  lassen. 
Wir  beschränken  uns  hier  auf  wenige  Einzelheiten,  die  wohl  auch  so 
einigen  Wert  haben,  bzw.  Anregung  geben  können. 

Die  Gegend  im  oberen  Euphrat-  und  Tigris-Gebiet  ist  durch  zahl- 
reiche Reste  alter  Felsarchitektur  ausgezeichnet.  Schon  der  vortreff- 
lich vielseitige  Taylor  hat  auf  solche  Denkmäler  öfter  hingewiesen. 
Regeres  Interesse  hat  diese  Felsarchitektur  indessen  erst  in  neuerer 
Zeit  erweckt,  und  durch  das  Verdienst  E.  Brandenburg's  hat  deren 
Gebiet  den  Anfang  einer  umfassenden  vergleichenden  Bearbeitung  ge- 
funden. In  den  uns  hier  angehenden  Strichen  haben  speziell  Leh- 
mann-Haupt und  Belck  diesen  Dokumenten  einer  vergangenen  Kul- 
turepoche ihr  Augenmerk  gewidmet.  Man  ist  dabei  gerne  geneigt, 
diese  ganze  Gruppe  von  Denkmälern  mit  einer  bestimmten  ethnolo- 
gischen oder  kulturellen  Schicht  in  engeren  Zusammenhang  zu  bringen. 
Nach  dem  Vorgang  von  Lehmann-Haupt  würde  man  für  unser  Ge- 
biet so  wohl  etwa  von  Kulturdokumenten  der  »Chalder«  sprechen. 

Die  Frage  nach  den  Urhebern  der  Felsbearbeitung  Hegt  m.  E. 
ganz  ähnlich  wie  die  nach  der  Herkunft  der  megalithischen  Kultur. 
Auch  die  Dolmen  usw.  wollte  und  will  man  von  Indien  über  Palä- 
stina, Korsika  bis  an  die  Küsten  der  Nord-  und  Ostsee  oft  auf  eine 
und  dieselbe  Völkerwelle  zurückführen.  Der  Gedanke  ist  naheliegend 
und  soll  als  eine  möghche  Lösung  nicht  von  der  Hand  gewiesen  werden. 
Ja  vielleicht  darf  man  hier  noch  etwas  mehr  als  eine  äußere  Parallele 
sehen.  Die  Frage  nach  dem  Verhältnis  von  Felsarchitektur  und  me- 
galithischer Kultur  ist  m.  W.  bisher  kaum  gestellt,  geschweige  denn 
gelöst.  Vielleicht  ist  eine  innere  Beziehung  gar  nicht  unwahrschein- 
lich. Zum  mindesten  sollte  aber  das  Verhältnis  beider  einmal  unter- 
sucht werden. 

In  beiden  Fällen  wage  ich  nun  noch  nicht,  das  Vorkommen  der- 
selben Erscheinung  an  so  vielen  verschiedenen  Stellen  in  einen  ge- 
schichtlichen Zusammenhang  zu  setzen.  Gerade  weil  dieser  Gedanke 
so  viel  Verlockendes  hat,  ist  iMißtrauen  am  Platze.  Vielleicht  reicht 
auch  ein,  wenn   man  so  sagen  darf,  naturgeschichtlicher  Zusammen- 


/tu  Ewlija  Tschelebi's  Reisen  im   oberen  Euphiat-   und  Tigris-Gebiet.  21*? 

hang  zur  Erklärung  aus.  Ich  glaube,  man  kann  wirklich  auf  das  ganze 
Gebiet  der  Felsarchitektur  anwenden,  was  Streck  in  ZDMG.  66,  S.  309 
speziell  von  der  Neigung  zum  Troglodytentum,  aber  doch  wohl  in 
umfassenderem  Sinne  sagt:  Maßgebend  für  die  Herausbildung  der- 
artiger Verhältnisse  ist  doch  in  erster  Linie  die  physische  Beschaffen- 
heit des  in  Betracht  kommenden  Landes.«  D.  h.  also:  die  gleiclien 
Bedingungen  können  an  verschiedenen  Stellen  spontan  dieselben  Er- 
scheinungen gezeitigt  haben. 

Doch  damit  sind  wir  von  unserem  eigentlichen  Thema  fast  zu- 
weit abgekommen.  Was  hat  das  alles  mit  Ewlija  zu  tun.'  Nun,  die 
Dokumente  jener  Felsarchitektur,  die  neueren  Reisenden  Rätsel  zu 
lösen  geben,  sind  auch  schon  ihm   aufgefallen. 

So  schildert  er  am  Araxes  zwischen  Chnys  und  Hasan  Kaie  (s.  o. 

S.  198  f.)  ein  Höhlendorf  ^^i^  :^:>!  ^jr^ii  ,  Höhle  mit  offenem  Eingang«: 
»Es  ist  ein  im  Gebiet  des  Sandschak  Chnvs  am  Ufer  des  Araxes  «-e- 
legenes  blühendes  Dorf  Alles  Vieh  der  Bevölkerung  dieses  Ortes 
lagert  Sommer  und  Winter  in  den  am  Ufer  des  Araxes  befindlichen 
Höhlen.  Diese  Höhlen  sind  im  Juli  zwar  frisch,  um  nicht  zu  sagen 
kalt;  im  Winter  aber  ziemlich  warm.  Davon,  daß  sie  meist  einen 
geöffneten  Eingang  haben,  erhielten  sie  den  Namen  Atschyk  Meghära. 
Es  sind  Höhlen,  die  den  Namen  eines  Wunders  des  Berges  Blsutün 
verdienen  würden.  Faßt  doch  jede  einzelne  15000  Schafe«  (V,  43 
unten).  Diese  Örtlichkeit  läßt  sich  vorerst  kaum  sicher  festlegen. 
Aber  wenn  Ewlija  auch  recht  übertrieben  haben  wird,  so  paßt  seine 
Schilderung  doch  treftlich  zu  dem,  was  wir  sonst  über  die  Alter- 
tümer Armeniens  wissen;  und  es  ist  kein  Grund,  daran  zu  zweifeln, 
daß  seine  Schilderung  eine  tatsächliche  Unterlage  hat.  Es  mag  da- 
ran erinnert  werden,  daß  das  Dorf  Koily  oder  Küllü  unweit  der  Stelle, 
wo  der  Übergang  über  den  Araxes  anzunehmen  ist  und  in  dessen 
Nähe  die  Altyn  Halkeli  Köprü  zu  suchen  ist,  von  Pollingtox  in 
JRGS.  X,  445  eben  als  ein  Underground  village  geschildert  wird; 
freilich  kann  die  von  Ewlija  beschriebene  Örtlichkeit  nicht  dieses 
Dorf  selbst  sein,  sondern  muß  wohl  südlicher  liegen. 

Auch  sonst  weiß  Ewlija  viel  von  Sagen  zu  erzählen,  [die  sich 
an  geheimnisvolle  Höhlen  knüpfen.  Wir  lassen  diese  Geschichten 
beiseite,  da  es  sich  hierbei  nicht  um  Werke  menschlicher  Hand  oder 
doch  mindestens  praktische  Verwertung  durch  den  ^Menschen  handelt. 

Dagegen  verdient  ein  seltsames  Wunderwerk  der  Felsbearbeitung, 
von  dem  er  uns  erzählt,  um  so  mehr  Beachtung,  als  es  noch  in  neue- 
ster Zeit  die  Reisenden    beschäftigt  hat.      In    der  Beschreibung   von 


2  j  /1  R  i  c  h  a  r  d   H  a  r  t  m  .1  n  n  , 

Bitlis  sagt  unser  Reisender  IV,  95 :  »Zu  den  guten  Werken  dieser 
wohltätigen  Dame  [d.  h.  der  Huma  Chatun,  der  Tochter  des  sagen- 
haften ersten  musHmischen  Herrn  der  Stadt,  Auhadalläh]  gehört  auch 
das  Folgende :  Wenn  man  von  der  Stadt  Bitlis  aus  nach  Südwesten 
talabwärts  geht,  fmdet  sich  in  der  Nähe  der  Feste  Kefender  in  einem 
harten  Steinblock  namens  Durchlöcherter  Fels  ein  Tor.  Ohne  dieses 
Tor  zu  passieren,  können  alle  Kaufleute  und  Reisenden  weder  nach 
Bitlis  kommen  noch  nach  Hazu  gehen.  Die  Stelle  dieses  durchlöcher- 
ten Felsen  ist  ein  himmelhoch  ragender  feuersteingleicher  eisenharter 
Stein.  Die  erwähnte  Huma  Chatun  ließ  mit  unmeßbaren  Ausgaben 
meisterhafte  Steinhauer  diesen  harten  Stein  durchbohren  und  stellte 
so  einen  Durchgang  und  eine  öffentliche  Straße  her  zum  Staunen  des 
gewöhnlichen  Menschenverstandes,  der  sich  sagt:  das  geht  über 
Alenschenkraft  hinaus;  es  ist  vielleicht  ein  Werk  der  Dämonen;  ja, 
wenn  ein  Mensch  an  diesem  Felsen  den  Schrei:  He  du  DiwI  aus- 
stößt, dann  erschallt  von  allen  Bergen  ein  furchtbar  anzuhörendes  Ge- 

tose,  daß  der  Mensch  vor  Schrecken  fast  ohnmächtig  wird « 

Das  Felsentor,  von  dem  Lynch,  Armenia,  II,  156  eine  Abbildung  ge- 
geben ist  I),  ist  also  in  der  Tat  alt,  und  Lehmann-Haupt  täuscht  sich, 
wenn  er  [Armeiiieit  Einst  und  Jetzt,  I.  328)  darin  als  einem  »wesent- 
lichen Bestandteil  der  modernen  Straße  nur  eine  neue  Sprengung  sieht. 
Die  Volksmeinung,  die  es  nach  Lynch 's  Mitteilung  als  Semiramis- 
Tunnel  bezeichnet,  geht  demnach  doch  nicht  soweit  fehl,  wie  Lehmann- 
Haupt  denkt. 

Besonders  häufig  erwähnt  Ewlija  sodann  in  den  natürlichen  Fels 
gearbeitete  Werke,  die  er  als  ^^j  ,^  :>Wasserpfad.:  bezeichnet,  so 
bei  den  Burgen  von  Kamach  (II,  377),  Schabbin  Kara  Hisar  (II,  385), 
Diwrigi  (III,  21 1  unten),  Egin  (III,  215),  Palu  (III,  223),  Malatja  (IV. 
9),  Bitlis  (IV,  88),  Melazgerd  (V,  40).  Es  handelt  sich  um  aus  dem 
Felsen  herausgearbeitete  Gänge,  die  bis  zum  Wasser  hinabführen 
(Kamach).  Sie  werden  nur  zur  Zeit  einer  Belagerung  gebraucht  (^Kara 
Hisar).  Besonderen  Eindruck  macht  auf  Ewlija  der  ^J^  jj^  von 
Diwrigi:  »Von  dem  höchsten  Gipfel  des  Felsens  der  oberen  inneren 
I3urg  steigt  man  auf  einer  Steintreppe  von  2000  ausgehauenen  Stufen 
zum  Erat  hinab:  ein  so  kunstvoller  Wasserpfad,  daß  es  die  Zunge 
auszudrücken,  die  Feder  zu  beschreiben  unfähig  ist.  Wie  die  zum 
Wasser  Gehenden  einen  besonderen  Weg  haben,  so  jiaben  auch  die 
Wasser  Bringenden  einen  andern  Pfad  für  sich.« 


')  Vgl.  aucli  MüLLER-SiMOM.s    ft    HvvEKNAT,    Du    Cuucasc    au    Golfe  J^rsiquc 
(Washinjfton    1892),   S.  329. 


2u  Ewlija  Tschelebi's  Reisen  in  oberen  Euphrat-  und  Tigris-Gebiet.  21$ 

Kein  Zweifel,  es  handelt  sich  um  die  in  letzterer  Zeit  so  viel 
besprochenen  und  umstrittenen  Tunnelbauten  (vgl.  K.  Brandenburg, 
Über  Felsarchitcktur  im  j\  litte  hne  er  gebiet,  S.  76  ff.).  Am  ausführlich- 
sten sind  sie  m.  W.  behandelt  bei  Leonhard,  Paphlagonia,  S.  235  ft., 
wo  auch  eine  —  für  unser  Gebiet  freilich  bewußt  unvollständige  — 
Liste  ihres  Vorkommens  mit  einer  sehr  nützlichen  Übersichtskarte 
seseben  ist.     Außer  den  bei  Leonhard  gegebenen  Exemplaren  finde 


t>"-fc> 


ich  bei  Taylor,  der  auch  in  diesem  Stück  der  späteren  Forschung 
ein  Beispiel  gegeben  hat,  Tunnel  konstatiert  in  Hisn  Kaifä  (JRGS.  35, 
S.  35),  in  'Ammäne  an  der  Mündung  des  Dibene-Su  (ebd.  S.  Z7)^  ^uf 
der  Burg  am  Tigristunnel  (ebd.  S.  42),  in  Akschehiräbäd  (ebd.  38,  S.  302). 
Eine  ganze  Reihe  solcher  Anlagen  ist  von  Lehmann-Haupt,  Belck 
und  Huntington  neu  festgestellt  worden,  so  in  Kala  bei  Mazgerd 
{l..-n.,  Armenien,  I,  468),  in  Charput  (ebd.  S.  477),  in  den  Haroghly- 
Bergen  unweit  Charput  i^l'erh.  der  Berl.  Ges.  f.  Anthropol.,  1900, 
S.  143),  in  Elimelek  (ebd.  S.  149),  in  Baghin  nördhch  von  Palu  [Zeitschr. 
f.  Ethnol.  1901,  S.  177),  auf  der  Euphratinsel  unweit  der  Mündung 
des  Peri-Su  (ebd.  S.  187).  Von  den  von  Ewlija  erwähnten  Orten 
sind  von  neueren  Reisenden  diese  Felstunnels  beschrieben  oder  fest- 
gestellt in  Schabbin  Kara  Hisar  von  Taylor  (JRGS.  38,  S.  295),  in 
Palu  (Lehmann-Haupt,  a.  a.  O.  I,  467)  und  in  Kamach  (s.  ebd.  I,  497). 
Es  i.st  aber  kaum  zu  zweifeln,  "daß  sie  sich  auch  an  den  andern  er- 
wähnten Orten  wirklich  vorfinden,  und  ganz  gewiß  läßt  sich  die  Liste 
durch  Hereinziehung  der  benachbarten  Gegenden  beträchtlich  ver- 
mehren. Was  für  uns  an  seinen  Angaben  besonders  interessant  ist, 
das  ist  die  Selbstverständlichkeit,  mit  der  die  Zweckbestimmung  dieser 
Tunnel  schon  im  Namen  ausgesprochen  ist.  Ewlija  ist  also  ein 
wichtiger  Zeuge  für  die  im  Unterschied  von  Leonhard's  rehgions- 
geschichtlicher  Erklärung  praktische  Deutung  von  Lehmann-Haupt, 
Brandenburg  u.  a.  ^).  Für  die  Zeitbestimmung  mag  es  sodann 
immerhin  auch  zu  denken  geben,  daß  Ewlija  diese  Tunnel  als  noch 
im  Gebrauch  befindlich  voraussetzt. 

Neben  dieser  Gruppe  von  Denkmälern  sei  aus  dem  archäologischen 
Material,  das  Ewlija  uns  bietet,  hier  nur  noch  eine  Art  von  Bauten 
herausgegriffen,  die  ihrer  Lage  nach  aus  dem  Rahmen  der  Gesamt- 
bilder der  Städtebeschreibungen  herausfallen  und  deren  Erwähnung 
ihrem  Charakter  nach  eine  Ergänzung  zu  den  ersten  beiden  Teilen 
dieser  Arbeit  darstellt,  die  Brücken.    Es  werden  hier  dementsprechend 


')  Vgl.  E.  Brandenburg,  a.a.O.  S.  78;    dazu  neuerdings  desselben   ergänzende 
und  klärende   Zusammenfassung  des   Proldcms   in   Or.  J.it.-Ztg,    191  ?•    ^P-  99'^- 


2  ]  ö  R  i  c  li  a  r  d   1 1  a  r  1 111  a  n  n  , 

auch  nicht  alle  irgendwie,  zumal  in  der  Beschreibung  der  Städte,  er- 
wähnten Brücken  besprochen  werden,  sondern  vor  allem  die  einzel- 
stehenden und  meist  zugleich  an  verkehrsgeographiscii  wichtigen 
Mußübergängen  gelegenen  Brücken  der  beiden  großen  Flußsysteme 
hervorgehoben  werden. 

Was  sich,  um  mit  dem  Tigris  zu  beginnen,  über  die  oberste 
erwähnte  Tigrisbrücke,  die  ^Öo^-Brücke,  sagen  läßt,  ist  bereits  oben 
S.  204  gegeben.  Wir  haben  auch  dort  schon  gesehen,  welche  Schwierig- 
keiten die  Festlegung  der  im  gleichen  Zusammenhang  erwähnten  Kara 
Köprü  macht.  Nach  dem  Wortlaut  der  angeführten  Stellen  würde 
man  in  der  Kara  Köprü  eine  Tigrisbrücke  zwischen  der  Mündung 
des  Terdschil-Su  und  Dijar  Bekir  vermuten.  Wo  aber  ist  eine  solche? 
Und  zwingt  der  Wortlaut  zu  dieser  Deutung."  Doch  offenbar  nicht! 
In  Wahrheit  ist  die  Kara  Köprü  gar  nicht  zu  der  Mündung  des  Ter- 
dschll-Su  in  Beziehung  gesetzt,  sondern  zu  dem  rechtsseitigen  Zufluß. 
Der  falsche  Eindruck  beruht  vor  allem  darauf,  daß  Ewlija  III,  223 
Z.  23  den  Hauptfluß   in    den  Nebenfluß     münden«   läßt.      Außerdem 

würde  man  vielleicht  IV,  42  1.  Z.  ,  A>LÄJi  statt  »j^äXÜ  erwarten.  Bei 
näherem  Zusehen  wird  man  also  zu  dem  Ergebnis  kommen,  daß 
diese  Kara  Köprü  nicht  den  Tigris,  sondern  den  fraglichen  Neben- 
fluß, d.  h.  den  Devi'e  Getschid-Su  überbrückt,  daß  sie  also  dieselbe 
Kara  Köprü  ist,  die  Ewlija  IV,  64  passiert.  Sie  überspannt  dar- 
nach den  Dewe  Getschid-Su  in  der  Trasse  des  als  Kara  Taschlyk  be- 
zeichneten Weges  von  Nordwesten  nach  Dijar  Bekir. 

Nur  beiläufig  wird  IV,  43  ff.  und  IV,  70  ff.  die  Kelek  Dschisri 
von  Dijar  Bekir  erwähnt,  von  der  an  die  Keleks  stromabwärts  fahren, 
ein  Einzelzug,  den  noch  für  die  Neuzeit  Browski  im  Globus  53,  S.  44 
bestätigt. 

Uns  an  die  Wege  Ewlija's  haltend,  scheiden  wir  damit  vom 
Oberlauf  des  Tigris  selbst.  Aber  im  Gebiet  seiner  Zuflüsse  ist  noch 
eine  Brücke  zu  nennen,  die  Ewlija  ganz  besonderer  Aufmerksam- 
keit wert  findet,  und  die,  an  einer  wichtigen  Straße  gelegen,  auch 
noch  die  Bewunderung  neuerer  Reisender  wachrief.  Es  ist  die  auch 
auf  den  Karten  verzeichnete  Batmän-Brücke  an  der  Straße  von  Dijar 
Bekir  und  Mejjäfärikin  nach   Hazu  und  Bidlis. 

E^wlija's  Bericht  IV,  76  f  sei  hier  wörtlich  mitgeteilt:  Von  der 
Burg  Mejjäfärikin  gingen  wir  nordwärts,  passierten  die  sehenswerte 
Batmän-Brücke  und  machten  halt.  Unter  dieser  Brücke  hindurch- 
fließend, scliicl.it  der  Fluß  mit  einer  solchen  Kraft  und  Heftigkeit  da- 
hin,   daß    die  Ohren   davon  taub  werden.       Denn   er  stürzt  hier  über 


Zu  Ewlija  Tschclebi's   Reisen   im   oberen   P^iqihrat-   und  Tigris-Gebiet.  217 

Felsen  hinab,  die  an  Blsutün  erinnern.  Da  man  hier  von  Dijar  Bekir 
und  Mejjäfärikin  ^)  nach  Hazu,  Bidlis,  Wan  und  dem  übrigen  Kur- 
distan vorüber  muß,  so  hat  ein  ehrwürdiger  Sproß  aus  dem  'Abbä- 
sidengeschlecht  mit  dem  Aufwand  von  3000  Beutehi  aus  seinem 
rechtmäßigen  Vermögen  eine  ganze  Anzahl  Architekten  und  Bau- 
meister zusammengerufen  und  eine  große  Brücke  bauen  lassen,  die, 
was  ihre  Konstruktion,  ihre  Fundamentierung,  Maß,  Gestalt  und  Sta- 
bilität betrifft,  alle  Brücken  in  Anatolien  überragt.  Das  eine  Ufer 
des  Flusses  ist  Fels,  das  andere  Sand.  In  der  Erkenntnis,  daß  sich 
über  diesen  Fluß  nur  eine  einbogige  Brücke  schlagen  lasse,  hat  der 
Bauleiter  bei  dieser  Brücke  auf  beiden  Seiten  so  feste  Kais  und 
Bettungen  fundamentiert  und  von  der  einen  Seite  ein  demTäk-i  Kisrä^') 
gleiches  Gewölbe  gebaut,  daß  sie  aus  weiter  Ferne  wie  eine  Weg- 
marke sichtbar  ist.  Von  dem  einen  Ansatz  zum  anderen  Ende  sind 
volle  173  Schritt.  Wohl  ist  da  in  der  Herzegowina  auch  die  Brücke 
von  MostarS)  einbogig;  aber  die  in  der  Technik  dieser  Brücke  liegende 
Schönheit  und  Vollkommenheit  findet  sich  bei  keiner  berühmten 
Brücke.  Nun  bringe  ich  durch  die  Gnade  des  Herrn  der  Welt  dieses 
köstliche  Leben  auf  Reisen  dahin,  habe  aber  eine  so  furchtbare,  ge- 
waltige Brücke  nicht  gesehen.  4)  Wer  Astronomie  und  Physik  stu- 
diert   [}]    ,     kann    diese    Brücke    unmöglich    passieren.       Gar 

manche  lassen  von  Schläuchen  Keleks  und  Pontons  machen  und  gehen 
so  hinüber.  Denn  zum  höchsten  Scheitel  gelangend  hat  der  Bauleiter 
die  Brücke,  damit  der  Schlußpunkt  ^)  keine  schwere  Last  sei,  ganz 
schmal  gemacht,  so  daß  man  es  nicht  wagen  kann,  von  oben  herab 
zu  blicken ;  unten  aber  ist  sie  äußerst  breit.  Auf  ihren  beiden  Seiten 
sind  eiserne  Tore  wie  Festungstore.  Innerhalb  der  Tore  sind  rechts 
und  links  in  den  symmetrischen  Fundamenten  der  Brücke  unter  ihr 
Rasträume,  in  denen  die  Passanten,  wenn  sie  von  rechts  oder  links 
kommen,  Quartier  finden.  Unterhalb  des  Gewölbes  der  Brücke  sind 
zahlreiche  Kammern.  In  den  mit  eisenvergitterten  Fenstern  versehe- 
nen Balkons  verweilend,  unterhalten  sich  die  Reisenden  teils  mit  den 
Leuten    auf  -der  anderen  Seite   der   Wölbung,    teils    fangen   sie    mit 


n   1.    ,.,iAÄA's,L5i.x/«    statt  , . ,lXx]J .Lä/S . 

^)  d.  i.  die  Ruine  des  Sasanidenpalastes  in  Ktesiphon. 

3)  Vgl  z.  B.  B.\Oeker,   Österreich-Ungarn  ^6,  S.  503. 

4)  Der  Passus  liJ.Xil  ,Lj  -J^il^Äol  ...Lj^ä»!  u>."*->^>-3  o^^^  zumal  das  vorletzte 
Wort,  ist  mii  dunkel.  Ich  wage,  so  sehr  sich  eine  Eniendierung  nahelegt,  keine  be- 
stimmte Vermutung  äußern.  Der  Sinn  muß  doch  wohl  sein,  daß  die  Konstruktion 
so  kühn  ist,  daß  sachverständige  Gelehrte  an  die  Tragfähigkeit  nicht  zu  glauben  vermögen. 

5)  1  cj    lAxi     s.   u.    S.   221    Anni.    ^ 

\^  ^.. 

Islam  IX.  I  c 


2  I  S  K  i  c  li  :i  r  ci    H  a  r  t  m  a  n  n  , 


Netzen  und  Angeln  Fische.  Auch  auf  der  rechten  und  hnken  Seite 
dieser  Brücke  sind  einige  mit  Fenstern  versehene  Kammern,  die  der 
Baumeister  zur  Verzierung  anbrachte.  Alle  Geländer  rechts  und  links 
dieser  Brücke  sind  aus  Nachtschewaner  Stahl.  Es  war  da  auch  ein 
Schmiedemeister,  der  sein  Bestes  tat,  um  kunstvolle  Gittergeländer 
zu  schaffen  und  seine  raffinierte  Kunst  zu  zeigen.  In  dem  auf  der 
Seite  von  Hazu  dieser  unvergleichlichen  Brücke  gelegenen  Chan  sind 
Leute  des  Bej  von  Hazu  und  nehmen  den  Zoll  von  den  von  der 
betreffenden  Seite  Kommenden,  desgleichen  auf  der  anderen  Seite 
die  Leute  des  Bej  von  MejjäfärikTn.  Außer  diesen  von  uns  als  Chan 
benannten  Gebäuden  ist  hüben  und  drüben  keine  andere  Spur  von 
Bauten.  Wenn  auch  die  Tschopan-Brücke  über  den  Araxes  in  der 
Ebene  von  Hasankaie  im  Gebiet  von  Erzerum  groß  ist,  so  ist  sie 
doch  dieser  nicht  zu  vergleichen.  Auch  die  Yrghandy-Brücke  über 
den  Yrghandy-Fluß  H,  der  vom  Olymp  nach  Bursa  fließt,  wollten  sie 
dieser  Batmän-Brücke  gleich  machen;  doch  welche  Vergleichung ! 
Hat  doch  der  Meister  unter  Aufwendung  technischen  Könnens  bei 
dieser  Brücke  solche  Ökonomie  zur  Ausführung  gebracht,  daß  kein 
früherer  Baumeister  solches  Mauerwerk  gemacht  hat.  Von  unten  und 
oben  bis  zum  höchsten  Gipfel  ist  sie  mit  dem  Stein  der  Burg  von 
Dijar  Bekir  belegt,  mit  dem  verglichen  Feuerstein  gar  nichts  ist.  Seit 
700  Jahren  ist  das  Pflaster  auf  dieser  Brücke  überhaupt  nicht  ver- 
dorben, so  daß  es  wie  eben  aus  der  Hand  des  Erbauers  gekommen 
erscheint.  Meine  Wenigkeit  scheute  sich  zu  Pferd  hinüberzugehen, 
passierte  sie  vielmehr  zu  Fuß  und  kam  heil  auf  der  anderen  Seite  an. 
Kurz,  diese  Brücke  zu  rühmen,  versagt  Zunge  und  Feder.  Gott  er- 
halte sie  bis  zum  Ende  der  Welt  fest  und  unerschüttert.« 

Man  vergleiche  hiermit,  was  Taylor  in  JRGS.  35,  S.  25  über  die- 
selbe Brücke  sagt:  »It  consists  properly  of  this  one  large  pointed  arch 
and  two  smaller  arches,  but  the  letter  werc  dry,  and  the  stream,  whicii 
here  is  easily  fordable,  and  at  this  season  not  3  feet  deep,  flowed 
through  the  grand  arch  only.  From  the  remains  of  an  inscription 
on  its  eastern  face,  it  was  built  A.  D.  2)  643  by  a  certain  Othman: 
with  the  exception  of  the  date  no  other  part  of  the  record  was  legible.« 
Die  Abbildung  der  Brücke  von  H.  von  Handel-Mazzetti  in  Deutsche 
Rundschau  für  Geographie  XXXIII,  412  zeigt,  daß  der  Bau  in  der 
Tat  alle  Beachtung  verdient.  Eine  eingehende  Untersuchung  der  An- 
lage ist  mir  nicht  bekannt. 


>)  s.  II,  26  f. 

2)   1.   natüilicli   A.  H. 


2u  Ewlija  Tschelebi's  Reisen  im  oberen  Euphrat-  und  Tigris-Gebiet.  ÜQ 

Wenn  wir  nun  zum  Gebiet  des  Euphrat  übergehen,  so  ist  hier 
als  oberste  von  Ewlija  genannte  Brücke  die  Brücke  am  georgischen 
Paß  ^jj^i'  ,  cvLifcj  ^=^yS  oberhalb  Erzerums  zu  erwähnen,  die 
Ewlija  II,  342  als  von  Uzun  Hasan  erbaut  bezeichnet,  aber  nicht  näher 
beschreibt,  und  die  nach  dem  o.  S.  190  Angeführten  ungefähr  da  zu 
suchen  ist,  wo  die  Karte  die  Hafta  Köprü  angibt.  Nicht  viel  mehr 
sagt  er  von  dem  wichtigen  Euphratübergang  (s.  o,  S.  191),  den  die 
Köttür  Köprü  vermittelt  (vgl.  III,  374).  Von  ihr  bemerkt  er  nur,  sie 
sei  aus  rohen  Ziegeln  errichtet.  Es  ist  gewiß  derselbe  Bau,  den 
TscHiCHATSCHEF  {Zeitschv.  für  allgemeine  Erdkunde,  N.  F.  VI  1859, 
S.  299)  und  Strecker  (ebd.  N.  F.  XI  1861,  S.  265)  —  übrigens  nicht 
gleich  —  beschreiben.  Während  dann  eine  große  einbogige  Brücke 
über  den  Strom  in  Kamach  nur  ganz  kurz  erwähnt  ist  (II,  376,  16  f.)^), 
bezeichnet  Ewlija  eine  Euphrat-Brücke  unweit  Egin,  die  er  »Burma 
Köprü«  nennt,  als  vorbildlich  w^-ÄJUc  (III,  215,  14).  Was  das  is^^y^ 
»crewunden«  bei  einer  Brücke  heißen  soll,  ist  mir  nicht  klar,  wird 
auch  aus  der  kurzen  Beschreibung  der  beiden  von  Yorke  [Geogr. 
Journal  VIII,  1896,  S.  333  f)  konstatierten  Brücken  in  dieser  Gegend, 
in  deren  einer  man  die  von  Ewlija  genannte  vermuten  möchte,  nicht 
deutlich. 

Wir  übergehen  die  offenbar  weniger  wichtigen  Brücken  über 
kleinere  Tributäre  des  Euphrat,  die  Ewlija  gelegentlich  erwähnt  (II, 
214;  IV,  18),  zumal  die  Angaben  nicht  ausreichen,  um  deren  Lage 
mit  voller  Sicherheit  festzustellen.  Auch  die  Brücke  über  den  Mu- 
rad-Su  in  Tschapaktschur  wird  nur  eben  beiläufig  genannt  (III,  226). 

Noch  heute  berühmt  ist  dagegen  eine  andere  Brücke  über  einen 
Nebenfluß  des  Euphrat,  die  Ewlija  nennt,  die  Kyrk-Göz-Köprü  über 
den  Tochma-Su  IV,  13,  4  v.  u.  ff.:  »Fünf  Meilen  unterhalb  von  Ma 
latja  ist  eine  vorbildHche  vierzigbogige  Brücke,  deren  Erbauer  Sultan 
Hasan  ist.  Der  Teil  [-Su  genannte]  Zweig  des  von  den  Gärten  von 
Aspuzu  herkommenden  Deri-Mesih-Su  fließt  durch  das  Innere  von 
Malatja,  vereinigt  sich  mit  Bunar-  und  Tochma-Su  und  strömt  unter 
dieser  Brücke  durch«  2).  Der  hier  gemeinte  Sultan  Hasan  ist  ohne 
jeden  Zweifel  der  Ak-Kojunlu  Uzun  Hasan,  nach  dem  (IV,  5  u.  6,  Z.  20) 
auch  die  in  der  Route  erwähnten  Stationen  Sultan  Hasan-Jaila  und 
Hasan  Badryk  ihren  Namen  haben  sollen.  Freilich  wird  er  in  Wahr- 
heit kaum  als  ihr  Erbauer  gelten  können.  Denn  die  Anlage  scheint 
wenigstens   in  Resten    doch    in    das  Altertum  zurückzureichen,    vgl. 

')  Dasselbe  gilt  von  einer  Brücke  bei  Diwrigi  über  den  (s.  auch  oben  S.  209)  Frat 
genannten  Tschalta  Yrmak  (III,  212). 

»)  Über  Ewlija's   Vorstellung   von   dem  Flußnetz   von  Malatja  s.   o.   S.  2iof. 


15* 


220  kichardHartmanh. 

YoRKE  in  Geogr.  Joutma/,  VIII,  1896,  S.  328,  wo  auch  eine  übrigens 
nicht  sehr  deutliche  Photograpliie  der  23  Bogen  zählenden  Brücke  ge- 
geben ist;  s.  auch  Lehmann-Haupt,  Ajincnieii  Einst  und  Jetzt,  1,486. 

In  unserem  Zusammenhang  verdient  schließlich  noch  eine  Notiz 
Ewlija's  Erwähnung  über  eine  angeblich  von  Muräd  IV.  begonnene, 
aber  unvollendet  gebliebene  Brücke  über  den  Euphrat  in  der  Kata- 
rakten-Gegend unterhalb  Malatja's;  I\',  2(^,  9  ff.  sagt  er:  ;  Noch  weiter 
unterhalb  [als  der  Kömür-Chan]  strömt  der  Erat  reißend  zwischen 
zwei  Eelsen  hindurch,  daß  man  von  dem  donnergleichen  Getöse  er- 
starrt. Der  Eroberer  von  Baghdäd  Muräd  IV.  hatte  hier  sogar  eine 
schöne  hohe  Brücke  bauen  zu  lassen  im  Sinn.  Es  war  nötig  zum 
Beginn  die  Auflager  [auf  beiden  Seiten]  gleich  hoch  zu  machen. 
Durch  den  Ratschluß  Gottes  ging  Sultan  ]\luräd,  als  er  nach  der  Er- 
oberung von  Baghdäd  nach  Stambul  zurückgekehrt  war,  gemäß  dem 
Gebot  Koran  89,  28  in  die  bleibende  Welt  ein  und  blieb  die  Brücke 
in  der  vergänglichen  Welt  unvollendet.  Eine  große  Brücke  über 
diesen  Erat  in  der  Nähe  von  Kömür  Chan  i)  wäre  ein  unvergleich- 
liches großes  gutes  Werk  gewesen.  Doch  diese  Brücke  zu  bauen, 
ist  ein  äußerst  meisterlicher  Architekt  nötig.  Denn  von  einer  Seite 
zur  andern  sind  es  i  10  Königsellen,  was  noch  breiter  als  die  Span- 
nung der  Aja  Sofia  ist.  Aber  im  Vergleich  damit,  daß  den  Sorgen 
des  Menschen  kein  Maß  gesetzt  sein  könnte,  ist  es  ein  sehr  leichtes- 
Werk.« 

Was  Ewlija  hier  erzählt,  i:)aßt  vortreftlich  in  den  Rahmen  des 
Bildes,  das  sich  die  Volksphantasie  von  Muräd  IV.  und  seiner  Wirk- 
samkeit gerade  in  dieser  Gegend  machte,  vgl.  Taylor  in  JRGS.  38, 
S.  310  Anm.  Die  Frage  ist  nur  die,  ob  diese  Phantasie  den  ein- 
zigen Ursprung  für  Ewlij  a 's  Mitteilung  bildet,  oder  ob  wirklich  vor- 
handene Bauanlagen  oder  eine  die  Tätigkeit  der  menschlichen  Hand 
vortäuschende  Naturerscheinung  Anlaß  zu  dem  von  ihm  überliefer- 
ten Glauben  gegeben  haben.  Die  Gegend  ist  jedenfalls  noch  nicht 
hinreichend  bekannt,  daß  dies  als  ganz  ausgeschlossen  zu  gelten  hätte. 


Anhangsweise  mag  es  erlaubt  sein,  hier  auch  noch  zweier 
Brücken  über  den  oberen  Araxes  zu  gedenken.  Zwar  fallen  sie  ge- 
nau genommen  außerhalb  des  Rahmens  unserer  Arbeit.  Aber  der 
(Überlauf  dieses  Flusses  ist  ja  so  zwischen  die  Systeme  von  Euphrat 
und  Tigris  hineingepreßt,  daß  wir  Ewlija  in  :\bschnitt  I  notgedrungen 
auch    gelegentlich    an    seine  Ut^r   begleiten    mußten.      Und    bei    dem 


')  so  erwartet  man  eigentlich  statt  vj^-ii 


Zu    liwlija    l'schclebi's   Reisen   im   oberen   Euplirat-   und    Tigris-Gebiet.  2  2  I 

losen  Gefüge,  das  dieser  Arbeit  aus  anderen  Gründen  (s.  z.  B.  o.  S.  185) 
anhaften  muß,  wird  die  Sprengung  des  Rahmens  kaum  noch  als  ernst- 
liche Störung  empfunden  werden. 

Zunächst  und  hauptsächlich  handelt  es  sich  hier  dann  um  Ewlija's 
Beschreibung  der  Altyn  Halkely  Köprü,  der  ^Goldringbrücke«,  über 
deren  Lage  bereits  oben  S.  199  das  Nötige  gesagt  ist.  Ewlija  be- 
richtet V,  43  f. :  »Auf  der  früheren  Expedition  gegen  ^^X^j.Xi  (II,  219  ff.) 
im  Jahr  1057  haben  wir  diese  Brücke  zwar  bereits  überschritten, 
konnten  sie  aber  nicht  beschreiben.  Diese  große  Brücke  ist  von  dem 
Tschopaniden  i)  Melik  Ghazi  gebaut.  An  rauher  unzugänglicher  -) 
Stelle  ist  von  einem  himmelhochragenden  Felsen  zum  andern  ein 
einbogiges  Gewölbe  gleich  der  Milchstraße  geschlagen,  das  an  einen 
Regenbogen  gemahnt.  Sie  ist  äußerst  wunderbar  und  kunstreich.  An 
die  Mitte  der  Marmorplatte,  die  der  kenntnisreiche  Meister  auf  der 
Oberseite  der  hohen  Wölbung  der  Brücke  angebracht  hat  und  die  in 
der  Brückenbaukunde  als  Schlußsteins)  bezeichnet  wird  4),"  hat  er 
einen  Ring  von  reinem  Gold  gehängt.  Wenn  diesen  Ring,  der  über 
dem  Araxes  hängt,  ein  heftiger  Wind  trifft,  so  bewegt  er  sicii.  Dieser 
Ring  hat  ein  Scharnier  von  der  Dicke  der  Manneshüfte,  während  der 
Ring  so  dick  ist  wie  ein  Mannesschenkel.  Aus  diesem  Grund  heißt 
diese  Brücke  »Ringbrücke  .  Da  der  Ring  äußerst  hoch  hängt,  er- 
scheint er  von  unten  ziemlich  klein.  Als  der  Stifter  die  Brücke  baute, 
da  hat  er  jenen  Ring  in  dem  Gedanken  angebracht,  daß  man  die 
Brücke,  wenn  sie  im  Laufe  der  Zeit  zerstört  werden  sollte,  mit  dem 
Preis  dieses  Ringes  wieder  aufbauen  möge.  So  viele  kurdische 
Räuber  auch  mit  Lassos  auf  diesen  festen  Punkt  5)  die  Hand  zu  legen 
beabsichtigten,  sie  gingen  zugrunde.  Die  Bewohner  der  dieser  Brücke 
benachbarten  Ortschaften  wachen  auch  über  den  Ring.  : 

Ebenso  wie  diese  Brücke,  von  der,  soviel  ich  sehe,  neuere  Rei- 
sende, die  die  Gegend  passierten'),  keine  Nachricht  geben,  während 
die  Karte  an  der  fraglichen  Stelle  eine  Brücke   verzeichnet,   auf  die 


')  statt  .,.,JOLxJk.A5j.:r-  ist  offenbar  ..jJsJ-xiLj^^i-  m  lesen,  vgl.   11,3^3. 

-)  /  ii-OCc  ist  gewiß  irrtümlich;  man  erwartet  ein  Synonym    von   L-J,-a3:  darl   man 

etwa      'i^^^  in  dem  Sinn  annehmen,    den    sonst    wohl    ,  'lL\sl/>  hatr 

3)  \X/^    offenbar    =   vi^ii    ke/ici. 

4")  1.    .>.axj   statt    .-».♦XJ. 

5)  ist  vielleicht  statt  des  a^JSJiXs  zu  lesen  \j»JiA.5>':' 

^)  so  Lynch  und  W.  Bachmann  {Kirchc7i  und  Moscheen  in  Annenien  und  K'ur- 

disian),  der  den  Fluß  allerdings  offenbar  etwas  weiter  westlich   überschritt. 


-,2'>  Kicliard    li.iitni.inn. 

Dynastie  der  Tschopaniden,  jenes  von  Abu  Sa'ld's  Emir  Tschopan 
abgeleitete  Herrschergeschlecht,  über  das  man  Samy,  Kaimis  cl- 
A'h'vii.  S.  1884  vergleichen  mag,  zurückgeführt  wird,  lebt  dessen  Name 
noch  jetzt  in  dem  einer  andern  Brücke  fort,  die  weiter  unten  an  ver- 
kehrsgeographisch wichtiger  Stelle  den  Araxes  überspannt,  der  von 
neueren  Reisenden  mehrfach  (vgl.  schon  Rittkr,  Erdkunde,  X,  394) 
erwähnten  Tschopan-Köprü  östlich  von  Hasankaie.  Ewlija  nennt 
diese  Brücke  ein  paarmal  (II,  223  u.  383),  leider  ohne  eine  eingehen- 
dere Beschreibung  zu  geben. 

Sachlich  würde  sich  an  eine  Besprechung  der  Brücken  gut  eine 
Behandlung  der  Chane,  die  den  Verkehr  auf  den  großen  Straßen  er- 
leichtern, anschließen.  Aber  wenn  Ewlija  auch  zumal  an  den 
Wegen  von  Arghana  nach  Dijar  Bekir  und  von  Siwas  nach  Malatja 
eine  Anzahl  solcher  Verkehrsbauten  erwähnt,  so  fehlen  doch,  abge- 
sehen etwa  von  den  Angaben,  daß  der  Aladscha  Chan  südwestlich 
von  Kangal  von  Uzun  Hasans  Sohn  Ja'küb  Chan  stamme  (IV,  5,  Z.  20), 
und  daß  der  Hekim  Chan  seinen  Namen  von  dem  Fätimiden  al- 
Häkim  haben  soll  und  unter  Mehmed  IV.  neu  aufgebaut  sei  (V,  6, 
X,  I  ff.)  —  s.  auch  o.  S.  219  — ,  im  ganzen  durchweg  nähere  Mittei- 
lungen, die  eine  besondere  Behandlung  zweckmäßig  erscheinen  ließen. 
Auch  Notizen  wie  die,  daß  die  Turkmenen-Aghas  auf  der  gefähr- 
lichen Strecke  zwischen  Ulasch  und  Kanghal  Steinsäulen  als  Wegmarken 
aufgestellt  haben  (IV,  5,  Z.  1 1  ff.),  können  zwar  das  Bild  der  Ver- 
kehrsverhältnisse abrunden,  bieten  aber  natürlich  vom  archäologi^ 
sehen  Gesichtspunkt  aus  keine  Ausbeute.  So  mag  denn  dieser  aus 
den  oben  genannten  Gründen  sehr  bruchstückhafte  Abschnitt  mit 
diesen  losen  Beiträgen  abgeschlossen  sein. 

IV.  Zur  Religionsgeschichte. 

Im  Mittelpunkt  des  Interesses  steht  auch  für  Ewlija  der  Mensch. 
Er  spricht  von  den  politischen  Verhältnissen  der  durchwanderten 
Länder,  er  gibt  Proben  der  Sprachen  und  Dialekte.  Er  weiß  von 
den  Sitten  und  Gebräuchen  der  Landesbewohner  zu  erzählen.  Es  ist 
eine  Fülle  von  kulturgeschichtlichem  Stoff,  den  er  uns  hier  und  dort 
zerstreut  bietet,  und  gerade  hier  zeigt  er  sich,  mag  er  auch  da  und 
dort  auf  die  Fabeln,  die  man  ihm  erzählte,  gar  zu  gutgläubig  herein- 
gefallen sein  '),  im  ganzen  doch  als  ein  recht  guter  Beobachter.  Er 
berichtet  uns  bei  den  großen  Städten,  die  er  besucht,  regelmäßig  von 
den  landesüblichen  Speisen   und    von   der   Gewerbetätigkeit    der   Be- 


'1  \gl.  Mf.nzül  in  H.  Gkothk,  Meine  Vor  der  asien- Expedition,  I,  S.  LXXXXIII  f. 


Zu   Ewlija  Tschelebi's  Reisen  im  oberen  Eiiphiat-  tmd    ligiis-Gebiet.  2  2'' 

wohner.  Und  ob  er  uns  nun  erzählt,  wie  die  Obstzüchter  von  Ala- 
latja  auf  die  noch  grünen  Äpfel  mit  Wachs  Verse  aufmalen  oder  Pa- 
pierausschnitte aufkleben,  so  daß  die  Schriftzüge  auf  den  gefärbten 
Früchten  hell  zum  Vorschein  kommen  (IV,  i6),  oder  uns  schildert, 
wie  dort  die  Bevölkerung  in  der  Saison  mit  Kind  und  Kegel  in  die 
Gartenstadt  Aspuzu,  das  heutige  Malatja,  hinauszieht  und  nur  eine 
kleine  Wache  in  der  Stadt  zurückbleibt  (IV,  17),  ob  er  uns  eine  Art 
von  Junggesellenheimen  für  auswärtige  Händler  und  Handwerker 
ebenda  mit  ihren  festen  Regein  vorführt  (IV,  13),  ob  er  uns  ausmalt, 
wie  die  Holzhauer  in  den  Bergen  von  Diwrigi  die  Baumstämme  in 
den  Fluß  werfen,  nachdem  sie  bestimmte  Zeichen  eingeschnitten 
haben,  an  denen  sie  ihr  flußabwärts  angespültes  Eigentum  dann  wieder- 
erkennen (III,  213),  oder  ob  er  uns  das  sommerliche  Leben  an  einer 
Heilquelle  in  der  Ebene  von  Charput  vor  Augen  stellt  und  in  dra- 
stischer Weise  von  der  das  Karlsbader  Wasser  womöglich  noch  über- 
treffenden Wirkung  der  Trinkkur  berichtet  (IV,  220),  stets  sind  es 
Züge,  die  aus  dem  Leben  gegriffen  sind  und  auch  uns  ein  anschau- 
liches Bild  von  dem  Treiben  der  Bevölkerung  vermitteln.  Selbstver- 
ständlich ist  es,  daß  die  Yoghin-Gauklereien  des  Munla  Mehmed  in 
Bitlis,  die  übrigens  nicht  als  Wunder  einer  asketisch-mystischen  Kraft, 
sondern  als  Proben  von  Zauberei  erscheinen,  seine  besondere  Auf- 
merksamkeit erwecken  (IV,  82. ff.,  vgL  112  ff.).  Nicht  als  Merkwürdig- 
keit, sondern  als  bloße  Selbstverständlichkeit  referiert  Ewlij  a  später, 
wie  —  für  uns  trotzdem  ein  folkloristisch  nicht  minder  interessanter 
Zug  —  auf  sei«  Betreiben  über  dessen  Leichnam,  nachdem  er  zur 
Strafe  für  verräterisches  Verhalten  umgebracht  war,  Groß  und  Klein 
aus  der  Stadt  mit  Steinwürfen  ein  Fluchmal  häufte  (V,  33)  —  zu 
diesem  weitverbreiteten  Brauch  vgl.  z.  B.  AR.  XV,  147  ff.  — .  Solche 
Züge,  wie  etwa  auch  noch  der  Glaube  an  die  wunderbaren  Wirkun- 
gen des  Wassers  der  Seen  auf  dem  Bifigöl-Dagh  TU,  232),  streifen 
schon  an  das  Gebiet,  bei  dem  allein  wir  hier  länger  verweilen  wollen, 
das  religionsgeschichtliche. 

Mit  besonderer  Vorliebe  beobachtet  Ewlija  nämlich  den  reli- 
giösen Glauben  und  Brauch.  So  gibt  er  bei  den  meisten  Dörfern, 
die  er  passiert,  an,  ob  sie  von  Muslimen  oder  von  Christen,  von  Ar- 
meniern bewohnt  sind.     Auch  die  Bezeichnung  Si^^^TslXi     die  er  der 

^  ^  ^         ' 

Bevölkerung  von  drei  Dörfern  auf  dem  Weg  von  Siwas  nach  Malatja 
gibt  (IV,  5  u.  6),  geht  gewiß  auf  das  religiöse  Bekenntnis  zur  Schi'a, 
wenn  auch  zweifelhaft  bleibt,  um  was  für  eine  speziellere  Richtung 
es  sich  handelt  Nicht  mehr  als  Zugehörigkeit  oder  Neigung  zu  den 
Persern  oder  schritische  Gesinnung  wird  auch  der  Name  (jitJ^j-'i  aus- 


2  24  Kicliard   H  a  r  t  m  ;in  n  . 

drücken,  der  in  unserem  Gebiet  gelegentlich  begegnet  (z.  B.  II,  220, 
7).  Jedenfalls  ist  dabei  nicht  ohne  weiteres  an  die  leider  noch  so 
wenig  bekannte  religiöse  Gruppe  zu  denken,  die  wir  heute  unter  dem 
Namen  verstehen. 

Regelmäßig  hat  Ewlija  in  der  Beschreibung  der  Städte  einen 
besonderen  Abschnitt  über  die  Wallfahrtsorte,  erzählt  auch  ueleuent- 
lieh  die  Wundergeschichten,  die  sich  mit  der  Stelle  verknüpfen,  oder 
spricht  von  der  besonderen  Kraft  des  Heiligtums:  so  wird  beim 
Heiligtum  des  Battrd  Ghäzl  in  Aspuzu  das  Istiskä'-Gebet  verrichtet. 
Gegebenenfalls  erwähnt  er  auch  die  berühmteren  geistlichen  Väter 
der  Inhaber  der  Kapellen  —  so  ist  der  II,  224  und  V,  43  genannte 
uLj  Jjj-'J,  so  geheißen  nach  seinem  Rosenkranz  aus  Nüssen,  ein  Nach- 
folger des  Abu  'Ishäk  Käzerüni  (s.  Goldziher,  MhIl.  Studien,  TT, 
311)  —  oder  den  Orden,  dem  der  Betreffende  angehört:  in  Diwrigi 
(in,  214)  ist  z.  B.  ein  Chalwati  als  solcher  gekennzeichnet.  Ebenso- 
wenig unterläßt  es  Ewlija,  die  Derwisch-Tekje's  aufzuzählen.  Eine 
ganze  Menge  lernt  er  auf  seinen  Reisen  kennen  und  gelegentlich 
weiß  er  auch  hier  zu  sagen,  welchem  Orden  sie  angegliedert  sind. 
Ausdrücklich  bezeichnet  er  so  Mewlewi-  (II,  381  und  IV,  36)  und 
Kädiri-Tekjen   (II,  381). 

Das  alles  sind  freilich  keine  Besonderheiten  des  Landes,  das 
uns  hier  beschäftigt;  und  eine  wirkliche  Würdigung  von  Ewlija's  An- 
gaben hierüber  wird  nur  in  weiterem  Rahmen  möglich  sein.  Anders  steht 
es  mit  seinen  eingehenderen  Berichten  über  einzelne  besonders  merk- 
würdige lokale  Heiligtümer  imd  die  Bräuche  und  \'orstellungen,  die' 
daran  haften.  Es  ist  ja  bekannt,  daß  das  christliche  oder  muslimische 
Gewand  mancher  Heiligen  und  Heiligtümer  oft  nur  ein  Deckmantel 
ist  für  fortlebende  religiöse  Größen  älterer  Perioden.  Und  wir  dürfen 
annehmen,  daß  Ew^lija,  wo  er  ausführlich  wird,  eben  Außergewrthnliches 
berichten  zu  können  glaubt.  So  wird  ein  näheres  Eingehen  auf 
diese  Fälle  sich  durch  die  Tatsachen  selbst  rechtfertigen. 

Äußerst  anschaulich  ist  die  Schilderung,  die  Ewlija  von  dem 
Besuch  der  Tekje  des  Kanly  Dede  in  dem  unwegsamen  abgelegenen 
Bergland  zwischen  Germeli  im  Kelkit-Tal  und  der  Terdschan  Owa 
entwirft,  nach  der  seine  Gesellschaft  nur  durch  Zufall  geraten  ist. 
Der  Heilige  ist  wohl  eben  der  »oj  ^Jüii  .it^,  der  in  Baiburd  in 
hohem  Ansehen  steht  (II,  346].  Ewlija  erzählt  von  jenem  Erlebnis 
folgendermaßen   (II,  200f.)^). 

»Das  Heiligtum  des  Kanly  Dede:    er  war   ein    großer  Heiliger; 


')   V.  Hwimer's  Übersetzung,   II,  106,  wo  er  auch  liier  »Chaghir«   K.  Sultan  heißt. 


Zu    D"-\vlija  Tschclcbi's   Reisen   im   oijcrcn   Eu|ilirat-   und  Tigris-Gebiet.  225 

wieviel  Wunder  werden  von  ihm  nicht  erzählt!  Kr  ist  in  einem 
glanzvollen  Gebäude  beigesetzt.  Um  das  heilige  Grab  befinden  sich 
alle  Arten  von  Lichter-  und  Kerzenhaltern,  von  Weihrauchschalen 
und  Rosenw^asserbecken,  und  das  Heiligtum  ist  rundum  mit  Hunderten 
schöngeschriebener  Kor^ln-Texte  ^o;c  ^^^^aji-o)  geziert.  Darin  weht 
eine  gewaltige  Geisteskraft,  davon,  wer  hineingeht,  trunken  und  starr 
ergriffen  wird.  Wir  durften  ihm  tlurch  Gottes  Gnade  einen  Besuch 
abstatten  und  seinem  Geist  eine  Sure  Ja- Sin  darbringen.  Es  ist  die 
Wirkung  der  Geisteskraft  dieses  Erhabenen,  daß  die  Dorfer  in  der 
Umgegend  gedeihen  und  blühend  sind,  sodaß  es  in  jenen  Bergen 
40000  Schafe,  Rinder,  Stuten  usw.  gibt.  Es  hat  zwei  blühende 
Gutssiedelungen.  Sie  haben  einen  großherrlichen  Freibrief  von  einem 
früheren  Padischah  in  Händen,  des  Inhalts,  daß  sie  von  den  weltlichen 
I^elastungen  frei  und  ledig  seien.  Die  Siedlung  ist  ein  blühendes 
Dorf  von  300  Häusern,  hat  eine  Moschee  und  eine  Tekje,  und  den 
Passanten  sind  reichlich  Spenden  zugewiesen.  Alle  seine  Bewohner 
sind  barfüßige,  barhäuptige,  langhaarige,  herzwunde  Derwische.  Groß 
und  Klein  trägt  hölzerne  Keulen  in  Händen,  einzelne  auch  krumm- 
gebogene Eisenstangen.  Die  Fakire  präsentierten  sich  insgesamt  mit 
der  Stiftungsurkunde  und  ihren  Geschenken  vor  dem  Pascha  und 
brachten  ihm  ihre  Wünsche  und  ihre  Huldigung  dar.  Der  Pascha 
geruhte  sie  anzusprechen:  Ihr  Fakire,  wodurch  seid  ihr  dieser 
Privilegien  teilhaftig  geworden?  Sie  erwiderten:  Herr,  wir  haben 
einen  bescheidenen  Sitzungsraum.  Tut  uns  die  Ehre  an  und  sehet 
selbst.  Der  Pascha  folgte  der  Einladung  und  betrat  diesen  Schau- 
platz mystischer  Liebe.  Die  Fakire  legten  dort  an  einen  Haufen 
Holz  von  40  oder  50  Karren  Feuer,  brieten  an  seinen  Seiten 
40  Opfertiere  und  begannen  es  zu  umkreisen.  Den  Pascha  ließen 
sie  auf  einer  vom  Feuer  entfernten  Bank  Platz  nehmen,  und  mehr 
als  1000  Fakire  Gottes  versammelten  sich  um  das  Feuer  und  um- 
kreisten es  reihenweise;  mit  Trommeln,  Pauken  und  Reigen  waren 
sie  mit  dem  Zikr  Allah's  beschäftigt.  Nachdem  alle  Fakire  eine 
ganze  Stunde  mit  Zikr  zugebracht  hatten,  tauchten  einige  von  ihnen 
splitternackt,  die  Hände  ihrer  Kinder  erfassend,  wie  Abraham  in 
dieses  Nimrud-Feuer  ^)  salamandergleich  unter,  wurden  eine  halbe 
Stunde  mit  dem  Feuer  ganz  und  gar  eins  und  kamen  dann  daraus 
hervor.      Den    Herauskommenden    waren    Haar    und    Bart    versengt. 


')  über  diese  jüdisch-muslimische  Legende  vgl.  z.  B.  T  a  M  a  b  i ,  Ä'tsczs  al-Anbijä'' 
(Kairo  1325),  S.  47  ft'.;  Wünsche,  Aus  Israels  Lehrhallen,  I,  28ff. :  Weil,  Die  biblischen 
Lcgctiden  der  Musel»ui?iner,  S.  71  ft". ;  Grünbaum,  N'eue  Beiträge  ■itir  semitischen  Sagen- 
kiinde,  S.  90  ff.         . 


2'>()  I\icliard    H  ;i  i  t  in  ;\  n  ii , 

aber  durch  Gottes  Hilfe  und  die  geistige  Wirkung  des  Heiligen 
hatte  ihren  Körper  kein  Schaden  getroffen.  Die  meisten  kamen  in 
diesem  Zustand  nicht  vor  den  Pascha,  sondern  gingen  in  ihre  Zellen. 
Der  Pascha  und  die  Zuschauer  blieben  demgegenüber  vor  Staunen 
starr.  Sie  gaben  an  dieser  Stelle  dem  Pascha  ein  großes  Festmahl, 
das  das  des  Taban  Ahmed  Agha  noch  übertraf  Das  Merkwürdige 
dabei  ist,  daß  der  Pascha  dieses  Heiligtum  nur  zufällig  fand;  denn 
es  ist  ein  vom  Wege  in  entlegenen  Bergen  abseits  verstecktes  Heiligtum. 
Wie  konnten  sie  in  einer  Stunde  ein  solches  Mahl  zubereiten?  Der 
Pascha  war  über  all  das  verblüfft,  setzte  auf  ihren  Freibrief  die 
Bestätigung  und  spendete  den  Fakiren  hundert  Goldstücke,  worauf 
sie  uns  ihren   Segenswunsch  gaben.« 

Schade,  daß  wir  Ewlija's  Bericht  nicht  nachprüfen  können. 
Das  Heiligtum  ist  wohl  ungefähr  auf  dem  Gebirgsstock  zwischen 
dem  Sadagh-Su  und  dem  Pulk-Su  zu  suchen,  der  nach  Taylor  den 
Namen  Keschisch  Dagh  trägt.  Ein  Zweifel  an  der  wesentlichen 
Richtigkeit  von  Ewlija's  Schilderung  der  Örtlichkeit  ist  aber  m.  E. 
nicht  begründet,  auch  wenn  wir  sie  bis  jetzt  nicht  wiederfinden 
können.  Anders  steht  es  natürlich  mit  dem,  was  für  Ewlija  offen- 
kundig die  Hauptsache  ist,  mit  der  großen  karävia  der  Feuerfestig- 
keit. Aber  mögen  wir  hier  Ewlija's  Bericht  auch  skeptisch  gegen- 
überstehen, als  Gegenstand  des  Volksglaubens  ist  sie  auch  für  uns 
von  Bedeutung.  Einzelne  Beispiele  von  Feuerfestigkeit,  wie  Un- 
empfindlichkeit  gegenüber  glühendem  Eisen  u.  dergl.  werden  be- 
kanntlich von  den  islamischen  Mystikern  häufig  erzählt,  vgl.  mein 
Al-KusairVs  Darstellung  des  Süfitums,  S.  157.  Besonders  zeigten 
sich  die  Rifa'i's  gerne  in  der  Öffentlichkeit  als  feuerfest.  Belege 
gibt  L.\NE  in  seinen  Manneis  and  Cnstoms  of  the  Modern  Egyptians, 
vgl.  auch  Brown,  Ihe  DerivisJies.  Daß  es  sich  dabei  nicht  aus- 
schließlich um  Taschenspielertricks  handelt,  kann  als  sicher  gelten. 
Es  ist  ja  eine  bekannte  Tatsache  und  aus  allen  Gebieten  der 
Religionsgeschichte  bezeugt,  daß  bei  Ekstatikern  gelegentlich  eine 
sehr  weitgehende  Anästhesie  vorkommt,  vgl.  z.  B  Weinel,  Die 
Wirkungen  des  Geistes  und  der  Geister  im  nacJiapostolischen  Zeitalter, 
S.  206ff.;  HöLSCiiER,  Die  Profeten,  S.  69.  Freilich  scheint  der  von 
Ewlija  erzählte  Fall  weit  über  das  hinauszugehen,,  was  uns  im 
islamischen  Kulturkreis  öfter  begegnet,  wenn  auch  sonst  Fälle  be- 
richtet werden,  wo  es  sich  wie  hier  gar  nicht  mehr  um  bloße 
Anästhesie  handelt,  sondern  um  angebliche  wirkliche  Feuerfestigkeit. 
So  wenig  wir  den  gerne  wundergläubigen  Ewlija  als  objektiven 
Bürgen    gelten   la.ssen   können,    so   darf  doch   auch    nicht    vergessen 


Zu   Ewiija  Tscliek-bi's   Reisen   im   oljcrcn   Eupliiat-   und  Ti_<jris-Gcbict.  22" 

werden,  daß  ganz  ähnliche  Dinge,  wie  er  sie  uns  hier  schildert,  aus 
anderen  Kulturkreisen  gelegentlich  sehr  gut  bezeugt,  wenn  auch 
völlig  unerklärt  sind:  ein  reiches  Material  zu  der  ganzen  Frage  ist 
in  dem  merkwürdigen  Buch  von  K.  H.  E.  de  Jong,  Das  antike 
Mysterietitvesen  (Leiden  1909),  S.  271 — 294  aus  A  Lang,  The  Fire 
Walk  [Proceedings  of  the  Soc.  Psych.  RcseajxJi  XV)  und  andern  oft 
schwer  zugänglichen  Schriften  zusammengetragen.  Das  mag  zum 
Verständnis  des  Glaubens,  der  aus  Ewlija's  Bericht  spricht,  genügen. 
Wir  werden  unten  auf  die  Frage  zurückkommen,  ob  wir  den  seiner 
Erzählung  vermutlich  zugrunde  liegenden  Tatsachen  vielleicht  sonst- 
wie näherkommen  können. 

Daß  Ewiija  bei  aller  Urteilslosigkeit  gegenüber  wunderbaren 
Geschichten  im  Grunde  doch,  wo  es  sich  um  Tatsachen  handelt, 
Glauben  verdient,  das  zeigt  die  Erwähnung  anderer  merkwürdiger 
Heiligtümer,  die  wir  noch  nachweisen  können.  In  erste  Linie  möchte 
ich  hier  stellen,  was  er  III,  222  anläßlich  des  Besuches  von  Tschi- 
mischgezek  berichtet: 

»In  der  vom  Muräd  abgelegenen  Wüstenei  im  Bezirke  von 
Owadschyk  ist  eine  kleine  Quelle,  die  im  Gebirge  des  berühmten 
Heiligen  Lj'.j  JXka  entspringt  und  in  den  Murad  mündet.  Dieses 
Gewässer  strömt  jedes  Jahr  vom  August  an  40  Tage  bitter  und 
40  Tage  süß.  Der  Bach  hat  köstliche  Forellen,  die  die  Fischer 
unterhalb  des  Wallfahrtsorts  fangen.  Wenn  man  sie  aber  beim 
Wallfahrtsort  fängt,  so  lassen  sie  sich  nicht  kochen.  Im  Norden 
dieser  Quelle  ist  ein  Berg,  wo  ein  von  ljLj^Ää^  gepflanzter  Baum  ist, 
der  äußerst  dunkel  ist.     Wer  diesen  Baum  abhaut,  nimmt  Schaden.« 

In  diesem  Lfwj^ÄÄ.«  ist  natürlich  nicht,  was  dem  Muslim  freilich 
nahe  genug  liegen  mag,  ein  arabischer  Mundhir  zu  suchen,  sondern 
der  Heros  Eponymos  des  xk\.\m  MouC^JUptuv  (s.  Gelzer  in  seiner  Aus- 
gabe des  Georgius  Cyprius,  S.  182),  armenisch  M^'njur  (spr.  M^'ndzur), 
Mzur  (s.  Hübschmann  in  Indogerm.  Forschungen,  XVI,  285),  dessen 
Name  als  ^,^^  J^-»-r=-j  Muzur  Dagh  bei  den  arabischen  Geographen 
(s.  JRAS.  1895,  S.  13  Z.  7)  und  bis  heute  erhalten  ist^).  Das  wird 
vollends  unverkennbar  aus  Taylor's  interessanten  Ausführungen 
über  das  Ouellheiligtum  von  »Baba  Mezoor«  (JRGS.  1%,  S.  326  ff.), 
die  selbst  Ewlija's  Angaben  über  die  Forellen  bestätigen.  Die 
Bemerkung  über  die  Beschaffenheit  des  Wassers  ist  natürlich  Phantasie, 
die  übrigens  wohl  auf  Volksglauben  beruhen  mag.  Auffallen  könnte, 
daß  Ewiija  nicht,  wie  sonst  so  oft  (z.  B.  II,  376;  III,  220),  behauptet, 


I)  bei  Ewl.  II,  376,  21    .liiÄ/s  J*>.:?-  geschrieben. 


-,  yß  Kicliii  1  il   11  ui  t  in  ;iiin  , 

das  Wasser  sei  im  Sommer  kalt  und  im  Winter  warm;  denn  nach 
Taylor  a.  a.  Ü.  teilt  die  Quelle  diese  in  Armenien  so  oft  l^ezeugtc, 
natürlich  aus  dem  Gleiciibleiben  der  Temperatur  des  Ouellvvassers 
beim  Wechsel  der  Lufttemperatur  zu  erklärende  Eigenschaft.  Nicht 
solche  Einzelzüge  sind  es  übrigens,  auf  die  wir  Gewicht  legen,  sondern 
die  Tatsache  selbst,  daß  Ewlija  uns  von  jenem  zwar  hochverehrten, 
aber  natürlich  nur  in  beschränktem  Umkreis  wohlbekannten  Heiligtum 
/u  erzählen  weiß. 

Weniger  deutlich  lassen  sich  Ewlijas  Angaben  über  das  Heilig- 
tum an  der  Euphratquelle  verifizieren.  Ewlija  spricht  davon  an 
mehreren  Stellen.  Die- wichtigste  ist  II,  342').  Ewlija  erreicht  das 
Heiligtum  von  Dumly  Baba  von  Süden  her  durch  den  georgischen 
Paß,  der  nach  seinen  Angaben  nördlich  von  Hafta  Köprü  zu  suchen 
ist  (vgl.  o.  S.  219).  Leider  gestatten  seine  Angaben  eine  ganz  genaue 
Festlegung  der  Örtlichkeit  nicht.     Dann   berichtet  er  weiter: 

Es  ist  ein  großer  Heiliger  unter  den  Einsiedlern,  der  [hier]  in 
seiner  Kapelle  begraben  ist.  Sein  Heiligtum  ist  ein  großer  Wallfahrts- 
ort. Er  hat  einen  steilen  hohen  Berg,  in  dem  sich  eine  große  Höhle 
befindet,  aus  der  der  Erat  entspringt.  In  den  Bergen  des  Sandschak 
Kighi  in  dieser  Provinz  Erzerum  gibt  es  Eisengruben,  aus  deren 
Erzeugnis  man  Kanonenkugeln  gießt.  Hunderte  von  Quellen  kommen 
von  diesem  hohen  Gebirge  zu  den  Eisengruben  und  münden  in  den 
Erat.  Deshalb  wird  weiter  abwärts  der  Geschmack  des  Fratwassers 
verdorben.  Die  Hauptquelle,  die  von  dem  Felsen  dieses  Dumly 
Sultan  kommt,  ist  ein  dem  Lebenswasser  gleichender  Paradiesesfluß. 
Der  hl.  Dumly  Sultan  hat  nach  seiner  Sendung  in  dem  Gedanken, 
daß  auf  diesem  Felsen  des  erhabenen  Gottes  Auge  geruht,  hier  an 
einer  vom  Kaiser  erhaltenen  Stelle  Wohnung  genommen.  Lange 
mag  er  von  diesem  reinen  Wasser  klaren  Trunk  genossen  haben; 
doch  schließlich  wurde  ihm  der  bittere  Kelch  des  Todes  in  die  Hand 
gegeben.  Die  dortige  Niederlassung  ist  ein  200  Häuser  zählendes 
Muhammedanerdorf.<; 

Auch  II,  207  ist  der  Wallfahrtsort  des  Dumly  Baba  Sultan  als 
Ursprungsort  des  Euphrat  genannt  und  nochmals  wird  der  Heilige 
kurz  erwähnt  II,  327^).  An  dieser  Stelle  ist  der  Eupluatursprung 
aber  mit  einer  andern  r)rtHchkeit  in  engere  Verbindung  gesetzt, 
-nämlich  mit  dem  Dorf  des  Umudum  Dede:  »Es  ist  ein  blühendes 
und  stattliches  Dorf  am   Rande  eines  hohen  Berges.     Es  ist   am  Ur- 


■>  s.  V.  Hammer's  Übersetzung,  II,   187. 
-)  s.  V.  Hammer's  Übersetzung.   II.  179. 


Zu  Kwlija  Tschelebi's  Reisen  im   oberen  ßuphiat-  und  Tigris-Gebiet.  220 

Sprung  des  Euphrat  gelegen:  der  berühmte  Euphrat  kommt  aus 
einer  großen  Höhle  in  der  Umgebung  dieses  Dorfes.  Es  gibt  da 
eine  Königsellei)  große  Fische,  die  alle  sozusagen  Paradieseskost 
sind.  Da  Umudum  Dede  hier  begraben  ist  und  es  ein  allgemeiner 
Wallfahrtsort  ist,  darf  niemand  wagen,  diese  Fische  zu  fangen.  Wenn 
man  sie  aber  ein  Farsach  weiter  unten  fängt  und  verspeist,  so  wird 
der  Gaumen  von  ihrem  köstlichen  Aroma  erquickt,  und  soviel  man 
auch  ißt,  geben  sie  keine  Kongestionen  und  keine  Beschwerden. << 
Man  möchte  hier  wohl  ohne  weiteres  annehmen,  daß  Ewlija  auch 
da  in  Wirklichkeit  nicht  von  dem  Heiligen  des  Dorfes  Umudum  in 
der  Ebene  von  Erzerum  sprechen  will,  sondern  von  dem  freilich 
ziemlich  weit  entfernten  Dumly  Baba.  Denn  die  andern  Angaben 
verlegen  ja  unzweideutig  dorthin  den  Euphratursprung.  Dumly  Dagh 
heißt  noch  heute  der  Berg,  von  dem  der  Euphrat  seinen  Ursprung 
nimmt.  Die  heilige  Euphratquelle  ist  von  Neueren  mehrfach  besucht 
worden.  Und  zwar  ist  es  nach  den  Angaben  von  Strecker  {ZeitscJir. 
der  Ges.  für  Erdkunde,  IV,  i6o)  und  C.  F.  Lehmann-Haupt  (AR.,  III,  4) 
offenbar  die  Hauptquelle  des  Dumly  Su.  Diese  beiden  Reisenden 
berichten  übereinstimmend,  daß  sie  von  Christen  und  Muhammedanern 
verehrt  wird.  Nach  armenischer  Legende  war  hier  das  heilige  Kreuz, 
das  Heraclius  den  Persern  wieder  abgenommen  hatte,  vergraben 
gewesen.  Davon  erzählt  uns  Ewlija  selbstverständlich  nichts. 
Immerhin  scheint  auch  bei  ihm  der  vorislamische  Ursprung  des 
Heiligtums  noch  durchzuschimmern.  Daß  Ewlija  dieselbe  Quelle 
meint,  ist  doch  das  Wahrscheinlichste,  obwohl  die  neueren  Besucher 
nicht  von  einer  Höhle  sprechen.  Freilich  bleibt  noch  eine  Schwierig- 
keit. Es  finden  sich  nämlich  bei  der  Quelle  offenbar  heute  keine 
Gebäude,  geschweige  denn  ein  Dorf,  wovon  Ewlija  spricht.  Ver- 
mutlich ist  das  Dorf,  das  er  erwähnt,  an  etwas  anderer  Stelle  zu 
suchen,  während  die  Quelle  selbst  den  eigentlichen  Anlaß  zu  der 
Verehrung  bildet;  auch  das  armenische  Hauptheiligtum,  das  an  die 
Kreuzlegende  anknüpft,  ist  ja  ziemlich  weit  davon  entfernt,  das 
Chatschka-Wank,  gar  nicht  so  fern  von  Umudum.  Das  letztere  frei- 
lich kann  Ewlija  nach  dem  oben  S.  190  mitgeteilten  Itinerar  keines- 
falls meinen,  wenn  er  II,  327  die  Dinge  auch  etwas  verwirrt.  Im 
Detail  bleiben  seine  Angaben  also  —  durch  seine  Schuld  — •  etwas 
unklar.  Auch  was  er  von  der  Unverletzlichkeit  der  Fische  erzählt, 
ist  als  stehender  Zug  (s.  o.  S.  227,  vgl.  auch  IV,  37)  nicht  zu  hoch 
zu  werten.  Aber  die  Hauptsache,  das  Zeugnis  für  die  Verehrung 
der  Quelle,  bleibt  bestehen. 

MI.  statt     JKfi :      ^xL». 


2^Q  R  i  ch  a  rd   Ha  r  t  ni  a  n  n  , 

Haben  wir  es  bisher  mit  muslimischen  HeiUt^tiimcrn  zu  tun  ge- 
habt, so  ist  es  für  Ewlija  kennzeichnend,  daß  er  auch  christHchen 
sein  Augenmerk  zuwendet.  In  unserem  Gebiet  ist  es,  wenn  wir  von 
der  naiven  Geschichte  über  die  Kirche  im  Göldschik  (s.  o.  S.  207) 
absehen,  ein  christHches  Heiligtum,  das  er  eingehend  beschreibt: 
das  Kloster  Tschanly  Kilise,  armenisch  Glaka  Wank  oder  Surb 
Karapet,  nordwestlich  von  Musch.   III,  229  sagt  er  davon: 

»Diese  Kirche  ist  unter  allen  verschiedenen  Bekenntnissen  hoch- 
berühmt. Einmal  im  Jahr  kommen  hier  viele  hunderttausend  Men- 
schen zusammen;  man  schlägt  für  sieben  Tage  und  sieben  Nächte 
Zelte  auf,  kauft  und  verkauft,  Lasten  werden  gelöst  und  gebunden, 
und  die  Karawanen  ziehen  auf  Eriwan  zu  fort.  Der  Wezir  von 
Wan  und  die  Beauftragten  des  Chans  von  Bitlis  und  des  Bej  von 
Atak  sind  hier  anwesend,  um  die  Krämer  und  das  \'olk  zu  über- 
wachen. Die  Kirche  liegt  zwar  zwischen  den  drei  verschiedenen 
Herrschaftsgebieten  mitten  inne;  aber  da  sie  dem  Gebiet  der  Provinz 
von  Wan  näher  liegt,  bringt  der  Wezir  von  Wan  mehr  Soldaten 
und  nimmt  mehr  Maut. 

Tschanly  Kilise  ist  ein  großes  Kloster  mit  zwei  himmelhoch- 
ragenden furchtbaren  Kuppeln  in  dichtem  Wald-  und  Gartenland 
nördlich  der  Ebene  von  Musch.  Über  seinen  Erbauer  ist  mir  nichts 
bekannt.  Auf  den  vier  Seiten  sind  Hunderte  von  Zellen  für  Geist- 
liche (/  i.j  Joj)  und  Mönche.  Aus  seiner  Freiküche  werden  täglich 
Tausende  von  Schüsseln  an  Passanten  gespendet.  An  den  Festtagen 
kocht  man  loo  Schafe,  5  Rinder  und  50  Scheffel  Weizen  und 
verteilt  es  den  Pilgern.  Es  hat  über  300  Mönche  und  Geistliche 
(iofv^Jw),  die  alle  im  Heiligtum  vortragend,  am  Altar  (j^^LP^  ^'JL«  V) 
das  Evangelium  verlesend  den  Gläubigen  (».JÜo  «jy)  gewissermaßeri 
das  Blut  des  Messias  darbringen.  In  der  Sorge  für  die  Pilger  geben 
sie  ihnen  gute  Speisen i)  und  hitzige  Tränkchen  =)  und  schlagen  in 
jeder  Nacht  viele  hundert  brokatne3)  golddurchwirkte  Betten  auf  und 
pflegen  sie  so.  Seine  Besitzungen  sind  zahlreich.  Sie  geben  dem 
Pascha  [von  Wan],  dem  Chan  [von  Bitlis]  je  fünf  und  dem  Bej  von 
Atak  zwei  Beutel  und  zahllose  Geschenke.  Doch  von  den  jährlich 
kommenden  Besuchern  erzielen  sie  noch  viel  mehr.  Ihre  Priester 
gehen  im  ganzen  Christenland  umher  und  ziehen  selbst  im  Franken- 
land Gelübde  ein. 


')  'u«.k3>»    ~kX:>  eigentl.   »Milch  und  Datteln«,  ein  bestimmtes  Gericht. 
*■)    .JLj  »-♦.:>  Ol^J   -Iii?      Denkt    der  Muslim   nur    an    die  Alkoholika    der  Christen 
oder  ist  etwas  Spezielles  gemeint? 

3)  ^.^XAv^    ^~H^*    was  ist  v_>.xÄvr 


2ii  Ewlija  Tschelebi's  Reisen   im   oberen  Euphrat-  und  Tigris-Gebiet.  23 1 

Bei  gegebener  Gelegenheit  wollen  wir  die  in  der  ganzen  Welt 
von  uns  besichtigten  sieben  größten  Kirchen  aufzählen:  i)  Ütsch 
Kilise  [=  Etschmiadsin]  in  der  Nähe  von  Eriwan^);  2)  Jedi  Kilise  in 
der  Nähe  von  Nachschewan-);  3)  die  Kirche  von  Warak  in  der 
Nähe  von  Wan^);  4)  die  Stefanskirche  in  Wien,  der  Residenz  des 
deutschen  Kaisers;  5)  die  Kirche  des  von  der  Theiß  nur  eine  Station 
entfernten  Kaschau  in  Ungarn;  6)  das  große  Kloster  in  Jesu  Geburts- 
ort Bethlehem  in  der  Nähe  Jerusalems;  7)  die  große  Auferstehungs- 
kirche in  Jerusalem,  die  der  Verehrungsort  aller  Christen  ist.  Doch 
auch  dieses  Tschanly  Kilise  ist  ein  unvergleichlicher  wunderbarer  Bau. 

Ursache  des  Festes  von  Tschafily  Kilise:  Wie  kommt  es  doch, 
daß  viele  tausend  Griechen  (Christen),  Araber  und  Perser  hier 
zusammenkommen,  ihre  Gelübde  mitbringen,  ins  Kloster  gehen  und 
ihre  Gelübde  einlösen,  und  daß,  was  immer  sie  an  löblichen  Anliegen 
haben,  wenn  sie  nach  dem  Gebet  herauskommen,  durch  Gottes  Fügung 
all  ihre  Wünsche  Erfüllung  finden?  Diesem  falschen  Glauben  unter- 
liegt eine  gewaltige  Masse  Menschen,  die  hier  zusammenkommen. 
Das  Merkwürdige  ist,  daß  auch  eine  Anzahl  gläubiger  MusHme,  frei- 
lich unwissender  Menschen,  Gelübde  bringen  und,  um  gewisse  Kenntnis 
zu  erlangen,  Opfer  schlachten,  und  daß  ihnen  durch  Gottes  Ratschluß 
seltsames,  verwunderliches  Wissen  enthüllt  wird.  Wieviele  Muslime 
und  Nichtmuslime  legen  doch  ihre  Musikinstrumentes)  in  dem  Wall- 
fahrtsort dieses  Klosters  nieder,  nehmen  am  andern  Tag  ihre  Instru- 
mente in  die  Hand  und  spielen  ein  meisterhaftes  Stück  wie  von 
Hüsein  Baikara4).  Die  meisten  leben,  wenn  sie  geschickte  Sänger 
geworden  sind,  des  Glaubens:  Dieses  Wissen  und  Können  ist  uns 
von  Tschanly  Kilise  gegeben!  Im  Innern  des  Klosters  aber  ist  in 
einer  dunkeln  Ecke  ein  Grab,  das  sie  Surb  Karapet  (o^»;i  ^^5) 
nennen.  Auf  meine  Frage  sagten  sie:  Es  ist  das  Grab^)  des  hl.  Jo- 
hannes. Griechen,  die  ich  fragte,  erwiderten:  Er  gehört  zu  den 
Jüngern,  die  die  Nachfolger  Jesu  sind.  Kurz,  es  ist  eine  seltsame 
Sehenswürdigkeit!« 

In  der  Tat  hat  Ewlija  mit  der  Schilderung  der  Bedeutung  des 


I)  Text:    ,..t. ;    1.  natürlich  qI^,. 

^)   Das  unter  3  genannte  Kloster  heißt  sonst  auch  Jedi  Kilise. 

3)  Text:    i^^y^^»    ^•)}^^    ^j^  j'^-Ä^y^J^    L5^  JJ^*^    ^i^-^i  JJ-<-^- 

4)  Vgl.  EI.  II,  364 f. 

5)  Der    türkischen    Transkription    liegt    die    westarmenische    Aussprache    zugrunde. 
*)  (^-aS,   wie  ich  übersetze,  ist  wohl  kaum  richtige  Emendation  für  das  ^^^m^^k^m- 

des  Textes;  der  Sinn  des  Textes  wird  aber  gewiß  oben  im  wesentlichen  richtig  wieder- 
gegeben.     Sollte  es  etwa  heißen     ^*nX4^  f 


O 


2 -^2  f\  ich  ardHart  mann, 

Klosters,  das  die  Reliquien  des  Täufers  Johannes  birgt,  und  auch 
mit  den  überraschenden  Ausführungen,  die  den  HeiHgen  als  einen 
Patron  der  Musiker  erkennen  lassen,  recht.  Man  vergleiche  die 
Berichte  von  Reisenden  bei  Ritter,  Erdkunde,  X.  703 ff.,  weiter 
Taylor  im  JRGS.  35,  S.  43;  Lynch,  Arnicnia  (s.  Index);  Rohrbach, 
Vom  Kaukasus  ::utn  Mittebneei'.  S.  127  ff.;  s.  auch  Hübsch  mann  in 
Iiidogenu.  Forschungen,  XVI.  325.  Auch  hier  erweist  Ewlija  also 
wieder  seine  Glaubwürdigkeit. 

Was  ihm  hier  besonders  wichtig  ist  und  ihn  besonders  wundert, 
ist,  daß  nicht  bloß  Christen,  sondern  auch  Muslime  dieses  Heiligtum 
aufsuchen.  Das  ist  für  uns  nun  weniger  auffallend,  Ist  es  doch 
eine  wohlbekannte  Tatsache,  daß  seit  alters  bis  heute  viele  Heilig- 
tümer im  Orient  interkonfessionell  sind.  Goldziher  hat  dies  Mu- 
hanuncd.  Studien,  II,  329  speziell  für  Mesopotamien  und  Syrien  kon- 
statiert. Daß  es  für  Armenien  nicht  anders  ist,  stellt  Lehmann-Haupt 
AR.  III.  4  ausdrücklich  fest.  Die  Euphratquelle  auf  dem  Dumly  Dagh 
ist  ja  ein  solches  gemeinsames  Heiligtum,  wenn  Ewlija  dies  auch 
nicht  bemerkt.  Nach  seiner  Darstellung  erscheint  es  ebenso  wie  die 
beiden  andern  hier  noch  genauer  behandelten  einfach  als  aus- 
gesprochen muslimisch.  Nun  kann  sich  aber  auch  bei  diesen  noch 
die  Frage  erheben,  ob  das  so  schlechtweg  richtig  ist.  Denn  das- 
jenige von  ihnen,  das  wir  auch  aus  anderen  Quellen  kennen,  Mezur 
Baba,  wird  von  seinem  neueren  Besucher  Taylor  JRGS.  38,  S.  329 
bestimmt  als  eine  Verehrungsstätte  der  Kyzylbasch  bezeichnet.  \o\\ 
diesen  weiß  Ewlija  nichts,  d.  h.  er  verwendet  den  Ausdruck  in 
anderem  Sinn.  Doch  ist  daraus  nicht  viel  zu  schließen.  Daß  ihm 
die  auch  uns  nur  ungenügend  bekannte  Sekte  der  Kvzvlbasch  ver- 
borgen  blieb,  kann  nicht  wundernehmen ;  gehört  sie  doch  zu  jener 
Gruppe  von  halb-  oder  pseudomuslimischen  Sekten,  die  ihre  Über- 
zeugungen möglichst  geheimhalten  und  äußerlich  gerne  als  orthodoxe 
Muslime  erscheinen  wollen.  Es  ist  also  sehr  wohl  möglich,  daß  die 
\'erehrer  des  Mezur  Baba  auch  zu  Ewlija's  Zeit  in  Wahrheit 
Kyzylbasch  waren.  Und  wie  steht  es  nun  mit  den  Derwischen  von 
Kanly  Dede.'  Ein  sicheres  Urteil  erlaubt  Ewlija's  unkritische 
Schilderung  natürlich  nicht.  Aber  was  er  uns  zeigt,  der  ekstatische 
Feuerreigen,  ist  jedenfalls  kein  genuin  islamischer  Zug.  '  Zum  minde- 
sten spielen  hier  aus  anderen  Quellen  stammende  Vorstellungen  stark 
herein,  falls  wir  es  nicht  gar  auch  hier  mit  einer  in  Wahrheit  mehr 
halbislamischen  Gruppe  zu  tun  haben.  Sie  näher  zu  bestimmen, 
reicht  freilich  der  Stoff  nicht  aus.  .\ber  es  mag  immerhin  daran 
erinnert  werden,  daß  nach  Taylor's  zuverlässigem  Urteil  die  Gegend, 


Zu  Ewlija  Tschelebi's  Reisen  im  oberen  Euphrat-  und  Tigris-Gebiet.  i^^ 

in  der  Kanly  Dede  zweifellos  zu  suchen  ist,    im   wesentlichen   auch 
von  Kyzylbasch  bewohnt  ist  (JRGS.  38,  S.  303  Q- 

Auf  jeden  Fall  liegen  in  den  geschilderten  Beispielen  Züge  von 
Volksreligion   vor,    die    andern    als    reinislamischen   Ursprungs    sind. 
So  ergibt  sich  die  Frage,   woher  diese  Züge  wohl  stammen   mögen. 
Ist  es   am  Ende    armenisches  Heidentum,    das   sich   in   dieser  Weise 
in   das   Christentum    und   den   Islam   hereingerettet  hat.^      Bei    einer 
der   Stätten   können    wir    allerdings    mit    ziemlicher  Sicherheit    fest- 
stellen, daß  ihre  Heiligkeit  aus  vorchristlicher  Zeit  stammt,   bei  dem 
christlichen  Kloster  Tschanly  Kilise.     Dieses  Kloster  ist  offenkundig 
nichts   anderes   als    der   Nachfolger    des    glänzenden   Heiligtums  von 
Aschtischat,    wo  Vahagn,    Anahit   und   Astlik   verehrt    wurden    (vgl. 
Gelzer,  Zur  armenischen  Götterlehre:  Sb.  säc/is.  Ges.  d.  W.,  Phil.-hist- 
Kl.   48.    1896,    S.   I04f.,   115,   I22f.).     Das   gilt,    ob  Aschtischat   nun, 
wie    gewöhnlich    angenommen    wird,    an    der    Stelle    von    Tschanly 
Kilise    selbst    zu    suchen    ist,    was    HüBSCHMANN    nicht    hinreichend 
gesichert  findet,   oder  nur  in  der  Nähe:    denn  daran  kann  ja  keines- 
falls ein  Zweifel  sein.     Aber    dieses  Heiligtum   ist  auch   das   einzige 
von   den   besprochenen,    bei   dem   sich   ein    solcher    historischer    Zu- 
sammenhang unmittelbar  nachweisen  läßt.     Wenn  Tacitus  {Annales 
VI,  375;    vgl.    Em  in:    Revue  de  P Orient,   N.  S.  XVIII,    1864,    S.  210) 
auch  berichtet,  daß  die  Anwohner  des  Euphrat  diesen  Fluß  verehren, 
so  wissen  wir   doch    nichts   davon,    ob   sich    gerade   an   der  Euphrat- 
quelle  ein  größeres  Heiligtum  befand;    und  ebensowenig  können  wir 
die  HeiUgkeit  des  Zijäret  von  Mezur  Baba    soweit    zurückverfolgen. 
Das  sagt  allerdings  noch  nicht  viel.     Denn  unsere  Kenntnis  der  alt- 
armenischen Religion    ist   an   sich    bescheiden   genug;    und    überdies 
scheint  sich  das  Wenige,  das  wir  wissen,   vorwiegend  auf  das  obere 
Stockwerk  der  Rehgion  zu  beschränken.     Aber  es  ist  ja  meist  nicht 
so  sehr  der  höhere  offizielle  Kult,  der  sich  zäh  unter  der  Oberschicht 
einer  neuen  Religion  erhält,    sondern  eben  der  vielgestaltige  Glaube 
der    breiten   Volksmassen,    von    dem    wir    meist    nur    spärliche    und 
unklarere  Kunde  haben.     Man  schließt  nun  besonders  aus  Moses  von 
Choren's  Erwähnung  einer  Verehrung    von    »Feuer-Schwester«    und 
»Quell-Bruder«,   daß   auch  im  alten  Armenien  Feuer  und  Licht  (Ge- 
stirne),  Wasser   oder  Quellen   kultische  Verehrung   genossen   (Em in 
in  Revue  de  V Orieiit,  N.  S.  XVIII,   1864,  S.  208— 2il);  ebenso  ist  von 
heiligen  Pappeln    die    Rede    (ebd.    S.  232 ff.).      Aber    zu    viel    ist   aus 
solchen  vereinzelten  Notizen  leider  nicht  zu  entnehmen.    Am  ehesten 
kann    man  Aufklärung  über   den  Volksglauben    und    -brauch   in    vor- 
christlicher  armenischer   Zeit    aus   den    Nachrichten    über    christliche 

Islam  IX.  '^ 


2^4  R  i  c  h  ,1  r  (1   H  a  r  1 111  a  n  n  , 

Sekten  in  Armenien  erhoffen.  Leider  scheinen  die  uns  mitgeteilten 
Einzelheiten  einer  Ciründlichen  Sichtunq;  und  kritischen  Scheiduntr 
zu  sehr  zu  widerstreben.  Nach  K.  Ter-Mkrttschian,  Die  Pau/i- 
kianer  (Leipzig  1893),  begegnet  uns  in  Armenien  seit  dem  5.  Jahr- 
hundert als  eine  weite  Volkskreise  erfassende,  gegen  die  festen 
Ordnungen  der  Kirche  gerichtete,  ungezügelt  schwärmerische  Richtung 
das  JMesalleanertum,  das  nach  seiner  Meinung  wohl  noch  einen 
beträchtlichen  Einschlag  für  die  in  späterer  Zeit  zu  großer  geschicht- 
licher Wirkung  kommende,  leider  nach  ihrem  Wesen  und  selbst  ihrem 
Xamen  recht  wenig  klar  erfaßbare  Bewegung  der  Paulikianer  abge- 
geben hat.  Daß  das  X'erbreitungsgebiet  der  Kyzylbasch  sich  zu 
einem  guten  Teil  in  auffallender  Weise  mit  dem  der  ehemaligen 
Paulikianer  deckt,  habe  ich  bereits  Orienlal.  Litztg.  191 5,  Sp.  348 
bemerkt.  Leider  bietet  unsere  mehr  als  dürftige  Kenntnis  der  Lehre 
der  Paulikianer  wenig  Anhaltspunkte  zu  einer  Vergleichung  mit  den 
heutigen  religiösen  Sondergruppen  des  Orients.  Immerhin  ist  es 
wohl  möglich,  sich  die  ekstatischen  Tänze  der  Mesalleaner  in  der 
Weise  des  Derwischtanzes  am  Heiligtum  des  Kanly  Dede  vorzustellen. 
Auch  von  den  christlichen  Armeniern  unserer  Tage  wird  erzählt, 
daß  sie  bei  bestimmten  Festen  religiöse  Tänze  um  brennende  Holz- 
stöße und  Sprung  über  das  Feuer  kennen,  wobei  freilich  jetzt  jeder 
Zug  von  Ekstase  zu  fehlen  scheint  und  der  Berichterstatter  Em  in 
a.  a.  O.  S.  234ff.)  selbst  an  die  nordeuropäischen  Sonnwendfeuer 
erinnert.  Ebensowenig  wie  hier  wird  man  zwischen  der  in  dem' 
Bericht  über  Mezur  Baba  vorliegenden  Andeutung  von  Baumkult 
und  der  Überlieferung,  daß  von  den  Arevortiern  die  Pappel  verehrt 
wurde  (Ter-Mkrttschian,  S.  102;  vgl.  o.  S.  227)  ohne  weiteres 
einen  unmittelbaren  Zusammenhang  anzunehmen  wagen.  Gewiß  kan:i 
sich  in  solchen  Zügen  ein  Fortleben  armenischen  Heidentums  zeigen. 
.Aber  um  das  im  einzelnen  sicherzustellen,  ist  mehr  nötig  als  eine 
solche  allgemeine  .Vhnlichkeit  einer  Verehrung  von  Bäumen,  Quellen 
und  anderen  Naturobjekten,  die  sich  als  Überbleibsel  eines  weit 
verbreiteten  und  in  seinen  Spuren  noch  jetzt  weithin  erkennbaren 
Animismus  durchaus  ausreichend  erklärt.  Vor  so  weittragenden 
Schlüssen,  wie  sie  z.  \\.  Taylor  angesichts  der  Kvzvlbasch  ziehen 
möchte,  warnt  auch  für  unsere  Strecken  noch  eine  besondere  Tat- 
sache, die  kaum  zu  bestreitende  Tatsache  nämlich,  daß  sich  auf  dem 
Gebiet  der  prinzipiell  einer  längst  überwundenen  Periode  angehörigen 
Unterschicht  des  religiösen  Brauchs  und  Glaubens  noch  zu  relativ 
später  Zeit  in  einheithchen  großen  Kulturkreisen  ein  weitgehender 
Ausgleich    zu    vollziehen   vermag.     Ein   solcher  Kulturkreis,    in   dem 


2u  Ewlija  Tschelebi's  Reisen  im   oberen  Euphrat-  und  tigris-Gebiet.  2^5 

das  —  trotz  mancher  provinzieller  Sonderbildungen  —  in  sehr 
weitem  Maße  geschah,  ist  der  des  Islam.  Aus  ihm  läßt  sich  auch 
Armenien  unmöglich  heraussondern.  Deutliche  Beispiele  für  diesen 
Vorgang  bietet  das  von  Minas  Tcheraz  {Trmisactions  of  tke  /AT* 
internat.  congres  of  Orientalists,  II,  822—845)  als  vermeintliche  Reste 
armenischen  Heidentums  gesammelte  Material:  wenn  selbst  ein 
Chadir  —  freilich  in  einer  recht  eigentümlichen  Auffassung  —  in 
den  Volksglauben  der  christlichen  Armenier  einzudringen  vermochte, 
so  zeigt  dies  so  recht,  welch  starkes  Eigenleben  diese  interkonfessionelle 
niedere  religiöse  Sphäre  in  dem  großen  islamischen  Kulturbereich 
führt. 

V.    Zur  Alexander-Geschichte  im  oberen  Tigris-Gebiet. 

Die  Gegend,  mit  der  wir  uns  in  diesen  Zeilen  beschäftigen,  ist 
reich  an  Erinnerungen  an  den  Alexander  der  Sage.  Am  ausführ- 
lichsten spricht  Ewlija  hierüber  bei  der  Schilderung  von  Tschapak- 
tschur  (III,  2 24 f.),  wozu  ergänzend  die  Erzählung  der  Geschichte 
anläßlich  der  Beschreibung  von  Bitlis  (IV,  85 f.)  hinzukommt. 

Im  Anschluß  an  die  einheimische  Überlieferung i)  erzählt  Ewlija 
III,  224  folgendes:  »Der  berühmte  Iskender  Zu'l-Karnein  soll  zwei 
Hörner 2)  gehabt  haben,  was  ihn  belästigte.  Da  zahllose  Weise  kein 
Mittel  zur  Heilung  finden  konnten,  zog  er  endHch  auf  der  Suche 
nach  dem  Lebensquell  zur  Finsternis,  um  so  Heilung  zu  finden. 
Während  er  sie  schließlich  auch  so  nicht  erlangen  konnte,  begannen 
nach  einem  Trünke  aus  dem  Schatt  el-'Arab  in  Basra  die  Schmerzen 
seines  Leibes  sich  zu  legen  und  auch  seine  Hörner  kleiner  zu 
werden.  Wie  er  darauf,  nachdem  er  Schatt-Wasser  getrunken,  an 
den  Ursprung  des  Schatt  nach  Dijar  Bekir  und  von  da  nach  dem 
Batmän-Fluß  gekommen  war,  ohne  doch  einen  Nutzen  verspüren  zu 
können,  trank  er  auch  aus  dem  sich  mit  ihm  vermischenden  Kefender- 
FlußS)    und  war    davon   befriedigt.     Als  er  nun  dessen  Ufer   entlang 

I)  vgl.  dazu  Schere/,  prifice  de  Bidlis,  Scher efnäme,  publ.  par  Veliaminof- 
Zernof,  I,'334ff.  =  trad.  Charmoy,  II,  i,  S.  199«'.  —  Wer  der  hier  und  oft  zitierte 
-Av.JtXÄv«  ist,  kann  ich  mit  meinen  dürftigen  Hilfsmitteln  im  Augenblick  nicht  fest- 
stellen; keinesfalls  ist  in  ihm  der  arabische  Geograph  Makdisl  (Mukaddasi)  zu 
sehen,  wie  Th.  Menzel  bei  H.  Grothe,  Meitie  Vorderasien-Expedition,  I,  S.  CLXXXXIX, 
Anm.  3  möchte. 

-)  Über  den  Ursprung  der  Vorstellung,  die  in  dem  Namen  Zu'1-Karnain  ihren 
Niederschlag  gefunden,  vgl.  Nöldeke,  Betträge  zur  Geschichte  des  Alexanderronians, 
S.  32  nebst  Anm.  4.  ■ 

3)  Hier  kehrt  also  die  oben  S.  205  erwähnte  irrtümliche  Vorstellung,  daß  dor 
Bitlis-Su  in  den  Batmän-Su  münde,  wieder. 


2^6  Richard  Ha rtmanti, 

immer  wieder  das  Wasser  probierend  nach  der  Stadt  Bitlis  kani, 
gabelte  sich  der  Fluß  in  zwei  Arme.  Er  trank  aus  dem  von  dem 
;^Avekh«-Tal^)  kommenden  Flui.?,  doch  ohne  Nutzen.  Wie  er  aber 
aus  der  von  der  rechten  Seite  der  Burg  von  Bitlis  kommenden 
yuelle  trank,  fand  er  am  Fuße  des  Burgfelsens  sogleich  Schlaf  und 
Ruhe  und  erholte  sich.  Aus  dem  Schlaf  erwacht,  ging  er  zu  dem 
Uuellort  dieses  Flusses^),  trank  sieben  Tage  lang  und  fand  ewiges 
Leben.  Eines  von  seinen  Hörnern  fiel  ab;  nur  eines  blieb.  In  dem 
Gedanken:  Das  Lebenswasser,  das  ich  von  Basra  an  getrunken  habe, 
ist  wohl  von  diesem  klaren  Wasser  —  gab  er  seinem  Schatzmeister 
namens  Bitlis  viele  Tausend  Beutel  Geldes  und  wies  ihn  an:  ;Bau 
an  diesem  Platze  schnell  eine  Burg  so  fest,  daß  auch  ich,  wenn  ich 
sie  mit  meiner  Macht  belagern  würde,  sie  nicht  erobern  könnte.« 
Während  sein  Schatzmeister  Bitlis  die  Burg  baute,  zog  Iskender  auf 
den  Rat  der  Weisen  auf  Reisen  und  kam  von  Bitlis  an  eijiem  Tas: 
in  die  Ebene  von  Alusch  und  von  dort,  die  Zwischenstationen 
durcheilend,  nach  dem  Rand  des  Berges  von  Tschapaktschur,  wo  er 
sein  königliches  Zelt  aufschlug.  Wie  er  sich  dort  dem  Vergnügen 
und  der  Erholung  hingab,  fiel  auch  sein  zweites  Hörn  ab.  Als  er 
diesen  Erfolg  wahrnahm,  nannte  er  das  Wasser  in  der  Makdlsi-Sprache 
Tschapaktschur 3),  d.  h.  Paradieseswasser.  Da  rief  er  den  (j.^yiJL5 
von  seinen  Weisen  zu  sich  und  sagte  zu  ihm:  Seit  so  langer  Zeit 
seid  ihr  meine  Genossen  gewesen  und  doch  nicht  imstande,  meine 
Pein  zu  heilen.  Die  Heilung  hat  Gott  durch  die  Paradiesesflüsse 
bewirkt.  Baut  mir  schnell  hier  eine  Burg  und  nennt  sie  Tschapak- 
tschur! Sobald  dieser  Befehl  erging,  machte  man  sich  an  den  Bau 
und  vollendete  sie  in  315  Tagen.« 

Die  Fortsetzung  sei  nach  der  Erzählung  IV,  86  gegeben,  die 
im  bisherigen  kürzer  war,  nun  aber  ausführlicher  wird:  ;  Als  die 
Festung  [von  Bitlis]  fertig  war,  ging  Bedlis-t)  hinein.  Obwohl  Iskender 
nachher  bei  der  Rückkehr  von  Tschapaktschur  5)  die  Burg  belagerte, 
konnte  er  sie  auf  keine  Weise  überwältigen.  In  dem  Gedanken: 
Holla,  der  ungläubige  Sklave  ist  gegen  mich  rebellisch  geworden! 
ließ  er  mit  seinem  Heer,  so  stark  wie  ein  Meer,  von  den  vier  Seiten 
stürmen  und  angreifen,  alle  Arten  nächtlicher  Überfälle  veranstalten, 


')  Druck  ^o»i.   richtig  IV,  S5  und  87:  i\J»^;   aufLYNCHs  Planskizze:  Avekh-Su. 

2)  d.  i.  natürlich  die    .^ÄX*~i    ryf-,^  I^',  95i  3   von  unten. 

3)  Zur  wirklichen  Etymologie  vgl.  Hübschmann:  Indogerm.  Forschungen,  XVI,  448. 
■«)  In  diesem  Stück  ist  der  Name  des  Beamten  .  w*_«wJjo  geschrieben. 

5)  So  ist  natürlich  statt  des    .  ».Jw^^  des  Druckes  zu  lesen. 


Zu  Ewlija  Tschelebi's  Reisen  im  oberen  Euphrat-  und  Tigris-Gebiet.  2X1 

konnte  sie  aber  in  sieben  Tagen  doch  wieder  nicht  erobern,  sondern 
blieb  ohnmächtig.  Obwohl  Iskender  dem  in  der  Burg  eingeschlossenen 
Bedlis  Boten  sandte  mit  Verzeihungszusicherungen  des  Inhalts:  »Par- 
don ist  gewährt!  Ich  habe  dein  Vergehen  verziehen.  Komm  her- 
aus, komm,  Bursche!«  schickte  Bedlis  doch  die  Gesandten  zurück 
und  schleuderte  aus  der  Burg  so  viele  Geschosse,  daß  viele  Soldaten 
Iskenders  umkamen.  Schließlich  währte  der  Kampf  auf  diese  Weise 
vierzig  Tage,  und  endlich  am  41.  kam  aus  einer  Höhle  am  Grund 
der  Burgfelsen  ein  Schwärm  Bienen  zum  Vorschein,  welch  gelbe 
Insekten  in  das  Heer  Iskenders  eindrangen  und  alle  Tiere  und 
Menschen  zur  Flucht  zwangen.  Auch  Iskender,  der  für  seinen  Leib 
Schutz  suchte,  hätte  beinahe  Nase  und  Ohren  eingebüßt.  Schließ- 
lich war  Iskender  des  Lebens  satt  und  zog  weiter  der  Ebene  von 
Musch  zu.  Da  kam  gerade  der  Schatzmeister  Bedlis  mit  reichen 
Schätzen  aus  der  Burg  heraus,  mit  den  Schlüsseln  der  Burg,  die  er 
in  ein  edelsteinbesetztes  Etui  getan  hatte,  warf  sich  vor  den  Hufen 
des  Rosses  Iskenders  nieder,  küßte  den  Boden  vor  ihm  und  über- 
reichte das  Etui.  Da  rief  Iskender:  He,  Verfluchter,  warum  hast  du 
rebelliert  und  mir  so  viele  Soldaten  getötet.^  Darauf  Bedlis:  Herr, 
als  Ihr  verfügtet:  Bau  mir  eine  feste  Burg,  daß  auch  ich,  wenn  ich 
sie  mit  Macht  belagern  würde,  Mühe  hätte  sie  zu  erobern,  da  habe 
ich  Eurem  Befehle  gemäß  einen  solchen  Iskender-Damm  gebaut. 
Iskender  aber  war  gnädig  und  verlieh  dem  Bedlis  die  Statthalter- 
schaft über  die  Burg.  Deshalb  nennt  man  diese  Burg  nach  Bedlis 
fehlerhaft  Bitlis.« 

Diese  nicht  sehr  geistreiche  Geschichte  ist  hier  nicht    um    ihres 
eigenen  Wertes  willen   so    ausführlich    mitgeteilt.     Worauf  vielmehr 
damit  hingewiesen  werden  soll,    das  ist    zunächst    die  Tatsache,    daß 
sie,    soweit    sie  Gründungsgeschichte    von  Bitlis  ist,    ebenso   wie  sie 
schon  vor  Ewlija's  Zeiten  erzählt  wurde  i),    den  Berichten    neuerer 
Reisender  zufolge  noch  heute  verbreitet  ist.    So  erzählt  sie  uns  Lynch, 
Armenia  II,   150  nur  mit  der  Variation,  daß  Alexanders  Beauftragter 
^j^J>  hieß  und  erst  durch  den  Streich  den  Zusatz  «A:  »schlecht«  vor 
seinen  Namen  erhielt,  eine  Variation,  die  in  Ewlija    IV,  86  (s.  bes. 
Z.  6  V.  u.)  deutlich  anzuklingen  scheint.    Natürlich  ist  diese  Gründungs- 
geschichte so,  wie  sie  uns  vorliegt,  im  Grunde  pseudogelehrtes  Mach- 
werk, wenn  es  auch  nicht  ganz  ausgeschlossen  sein  mag,  daß  gelegent- 
lich Bausteine  anderer  Art    verwertet    sind.      Und   es  ist  wohl  auch 
kaum  anzunehmen,    daß    die  Geschichte  jemals    wirkliches  Volksgut 


0  s.  o.   S.  235  Anin.  1. 


238 


Richard   1 1  ;i  1 1  ni  a  ii  n  , 


war.  Es  ist  ja  höchst  problematisch,  ob  die  Leute,  denen  unsere 
Reisenden  solche  »Volkssagen«  verdanken,  überhaupt  dem  Volk  wirk- 
lich angehören.  Oft  sind  es  gewiß  Menschen,  die  weit  genug  her- 
umgekommen sind,  um  zu  wissen,  was  diese  Fremden  gerne  hören 
wollen.  Und  in  vielen  Fällen  sind  es  eben  die  Halbgebildeten,  deren 
Weisheit  sicher  nicht  aus  dem  Volksmund,  sondern  aus  Büchern 
stammt.  Beachtenswert  bleibt  es  immerhin,  daß  sich  diese  Pseudo- 
gelehrsamkeit  erhalten  hat. 

Besonders  interessiert  uns  hier  aber,  daß  die  Erzählung,  wenn 
wir  die  Episode  von  der  Erbauung  der  Burg  Bitlis  auslassen,  genau 
die  ist,  die  von  Hammer  an  der  oben  S.  203  erwähnten  Stelle  an 
den  Tigrisquellarm  von  Baghin  knüpft.  Sagt  er  doch  Jahrbücher  der 
Literatur  XIII  (Wien  182 1),  S.  254:  » die  erste  und  Haupt- 
quelle, Schatti-Baghin,  auch  Schatti  Sulkarnein,  d.i.  der  Fluß  des 
Zweyhörnigen  genannt,  weil  die  islamitische  Sage  erzählt,  daß  Alex- 
ander das  reinste  Wasser  aufsuchend,  um  durch  dessen  Trunk  den 
Schmerz,  den  ihm  seine  beiden  Hörner  auf  der  Stirn  verursachten, 
zu  stillen,  nachdem  er  den  Strom  nun  aufwärts  verfolgt  und  immer 
getrunken  hatte,  hier  stille  stand  und  Linderung  fand.c  Was  Ewlija 
von  den  Wassern  von  Tschapaktschur  sagt,  das  ist  hier  also  an  den 
Fluß  von  Baghin  angeknüpft,  den,  wie  wir  gesehen  haben,  viele  zu 
Unrecht  mit  dem  Dibene-Su  zusammengeworfen  haben.  Auf  Ewlija 
kann  also  die  Angabe  von  Hammer's  nicht  zurückgeführt  werden. 
Worauf  sie  sich  gründet,  weiß  ich  nicht.  Es  ist  wohl  möglich,  daß 
sie  teilweise  auf  Verwechslungen  von  ihm  selbst  beruht.  Aber  es 
scheint  mir  an  sich  auch  nicht  ganz  unw^ahrscheinlich,  daß  wirklich 
einmal,  was  Ewlija  von  den  Quellflüssen  von  Bitlis  und  Tschapak- 
tschur erzählt,  von  andern  eigentlicheren  Quellarmen  von  Tigris  und 
Euphrat  galt,  freilich  dann  nicht  von  der  Tigrisquelle  von  Baghin  — 
Ewlija's  Bemerkung  von  einer  Niederlassung  Alexanders  eben  hier 
(s.  o.  S.  202)  ist  gewiß  auch  nicht  anders  als  durch  Verwechslung 
zu  erklären  —  sondern  sicher  vom  Dibene-Su.  Denn  an  ihn  knüpft 
die  Alexandergeschichte  bekanntlich  sehr  bestimmt  an,  und  es  ist 
wohl  der  Mühe  wert,  hierbei  etwas  länger  zu  verweilen. 

Es  ist  zunächst  die  syrische  Legende,  die  Budge  hinter  dem 
syrischen  Pseudo-Callisthenes  druckt,  und  die  nach  Nöldeke's  Nach- 
weis {Beiträge  zur  Geschichte  des  Alexanderromaus,  S.  31)  aus  den 
Jahren  514  oder  515  stammen  dürfte,  die  Alexander  in  einem  be- 
sonderen Augenblick  hierherführt.  Auf  der  Suche  nach  den  En- 
den der  Oikumene  kommt  Alexander  zur  Euphratquelle,  die  aus 
einer    Höhle     herausbricht,    dann    nach    aß3a-lcn    Halüräs,    wo    der 


Zu  Ewlijn  Tschelehi's  Reisen  im  oberen  Euphrat-  und  Tigris-Gebiet.  239 

Tigris  wie   ein  Bach  hervorkommt,    weiter    zum  Fhisse  Kallath    und 
dem  Berg  Rämath,  wo  ein  Wachturm  ist.     Von    hier    aus  dringt   er 
nordwärts  durch  Armenien  und  Adherbaidschän  vor  und  kommt  so 
schHeßhch  an  den  großen  Berg,   hinter  dem,    wie  die  Bewohner  des 
Landes  erzählen,  die  Hunnen  wohnen  und  noch  andere  schreckUche 
Völker,  bis  das  bewohnte  Land  authört  und  endlich  jenseits  all  dieser 
Schrecken  zwischen  Himmel  und  Erde,  von  Wolken    und  Finsternis 
umgeben,    wie    eine    schöne    feste    Stadt    das    Paradies    erscheint  i). 
Welche   Euphratquelle    hier   gemeint    ist,    mag    zweifelhaft  bleiben; 
beachtenswert  scheint  mir  jedoch  immer  noch  Taylor's  Vermutung 
TRGS.   38,  S.  327  Anm.     Kein  Zweifel    kann  aber   darüber   sein,    daß 
der   Tigris    von    Halüräs    der    Dibene-Su    ist.      Denn    a»?QA^    oder 
o^joIti,  das   ^J.JJ.}^  der  Araber   und  'IXXupiofu   der  Klassiker,    arme- 
nisch Olur  (s.  Hübschmann  in  Indogerm.  Forschungen  XVI,    292)  ist 
der   Ort,    nach    dem    offenbar    die   Tigrisquelle    oder    richtiger    der 
Tigristunnelaustritt    von    Ilidsche    mit    Vorliebe     bezeichnet    wurde. 
Es  ist  also  unweit  von  Ilidsche  gelegen,  wenn  auch  die  Identifikation 
mit   diesem   selbst    kaum,    wie    Lehmann -Haupt,    Armenien,  I,    523 
meint,   auf  einen  doch  schwerlich   vorhandenen  Zusammenhang    der 
Namen  gestützt  werden  kann. 

Wie  kommt  nun  Halüräs  zu  der  Ehre,  in  der  Legende  besonders 
hervorgehoben  zu  werden  ?  Natürlich  als  Tigrisquellort  und  zugleich 
offenbar  aus  dem  Grund,  daß  es  ein  Grenzpunkt  war.  Der  benach- 
barte und  gleich  genannte  Fluß  Kallath  ist  ja  der  berühmte  Sätidamä, 
der  Nymphius-Batmän-Su,  der  eben  als  Grenzfluß  der  »Bluttrinker« 
heißt  (vgl.  Mar  QUART,  Eränsahr,  S.  161),  der  von  dem  Darb  al-Kiläb 
herabkommt  (Jäküt,   II,   552,  Z.  i  f.) -)• 

Aber  Halüräs  ist  nicht  bloß  ein  beliebiger  Grenzplatz.  Es  er- 
scheint in  der  Legende  auch  unverkennbar  als  der  Ausgangspunkt 
eines  wichtigen  Weges  nach  Norden  oder  Nordosten.  Das  erhellt 
nicht  bloß  daraus,  daß  Alexander  von  hier  nach  Armenien  zieht, 
sondern  noch  stärker  aus  der  Inschrift,  die  er  am  Eisernen  Tor  gegen 
die  Hunnen  anbringt,  wo  er  voraussagt,  daß  nach  826  Jahren,  d.  h. 
wie  NöLDEKE  gezeigt  hat,  i.  J.  826  Sei.  =  514  Chr.  —  natürlich 
eine  vaticinatio  ex  eventu  —   -die  Hunnen   herkommen  werden  auf 


1)  s.  BuDGE,  The  History  of  Alexander  the  Great  —  syriac  version  of  Pseudo-Calli- 
sihenes,  Text  S.   260  ff. ;   Übers.  S.   148  ff. 

2)  Es  ist  vielleicht  nicht  ganz  ausgeschlossen,  daß  der  Name  des  »Hundepasses« 
etwas  mit  dem  syrischen  Namen  des  Flusses  zu  tun  hat,  .  zumal  wenn  wir  an  die  ge- 
legentliche Vokalisierung  Mb  (s.   Budge,  a.  a.  ü.  S.  261   Anm.  2)  denken. 


2^Q  Richard    Hart  mann, 

dem  engen  Pfad,  der  gegenüber  von  Halüräs  herkommt,  i).  Darf 
man  diesen  engen  Pfad  vielleicht  mit  dem  bereits  erwähnten  l')arb 
al-Kiläb  der  Araber  gleichsetzen.'  Jedenfalls  wird  man  auch  sofort 
an  die  xXsicfo'jpot»  von  ' iXX'jpisi;  des  Prokop  (de  aedificiis,  ed.  Bonn, 
S.  250)  denken,  die  den  Weg  von  der  Sophanene  in  der  Richtung 
nach  KiUotpu(ov  (s.  Gklzer's  Ausgabe  von  Georgi  US  Cyprius,  S.  174  f) 
bezeichnen.  Der  Weg  freilich,  an  dem  Lehmann-Haupt,  Arincnien, 
I,  464  diesen  Paß  zu  finden  glaubt,  würde  anscheinend  zuweit  west- 
wärts gehen,  aber  vielleicht  ist  das  eben  ein  Grund  gegen  seine  Identi- 
fikation. Leider  versagt  die  KiEPERTsche  Karte  hier  gänzlich.  Und 
Taylor's  Angaben  sind  viel  zu  kurz.  Auch  Lehmann-Haupt's  Weg 
läßt  sich  auf  Kiepert's  Karte  nicht  annähernd  deutlich  verfolgen 
Und  selbst  wenn  er  kartographisch  festgelegt  wäre,  würde  uns  das 
doch  keine  volle  Klarheit  bringen,  da  Lehmann-Haupt  ja  nicht  die 
ganze  Umgebung  von  Ilidsche  untersuchen  konnte.  Auch  hier  zeigt 
sich  also  wieder,  daß  nur  eine  genauere  Untersuchung  der  Gegend 
selbst  uns  vielleicht  zu  sicheren  Resultaten  verhelfen  kann.  Daß  tat- 
sächlich ein  wichtiger  Verkehrsweg  von  Norden  oder  Nordosten  nach 
der  Gegend  von  Halüräs-Ilidsche  führt,  dafür  haben  wir,  scheint  es, 
einen  weiteren  wichtigen  Beleg  in  HäddschT  ChalTfa  {I)schthänmimä, 
ed.  1145,  S.  427  =  trad.  Norberg,  I,  631),  der  den  zweiten  seiner 
manche  Schwierigkeiten  bietenden,  vielfach  schwer  rekonstruierbaren 
drei  Wege  von  Erzerum  nach  Dijar  Bekir  nach  Überschreitung  des 
Muräd  schließlich  über  ä.--\xL!  =  Ilidsche,  ^.i:^j  [1.  wohl  ,.^j^j  ,.^c 
d.  h.  offenbar  einen  Punkt  am  Oberlauf  des  Ambar  Tschai  und 
.-j>-w.:>   ^j  =  Pir  Hüsein  nach  Dijar  Bekir  gelangen  läßt^). 

Ist  das  Vorkommen  von  Halüräs  in  der  syrischen  Alexander- 
legende damit  bis  zu  einem  gewissen  Grad  erklärt,  so  fordert  die  Tat- 
sache, daß  diese  Tradition  weiter  lebt  und  sich  entwickelt,  noch  be- 
sondere Beachtung.  Die  Legende  hat  kurz,  nach  ihrer  Abfassung  be- 
kanntlich eine  metrische  Bearbeitung  gefunden  in  der  dem  Jakob 
von  Serug  zugeschriebenen  Homilie,  die  Budge  im  Anschluß  an 
seinen  Pseudo-Callisthenes  in  Übersetzung  wiedergibt.  Das  Eigen- 
artige dieser  Homilie  ist,  daß  sie  in  den  durch  die  Legende  gebotenen 


*)  s,  Budge  h.  a.  O.  S.  268  des  Textes,   154  der  Übers. 

»)  Der  erste  Teil  der  Route  bis  zum  Murad  ist,  obwohl  die  Karte  einige  gleich 
oder  ähnlich  klingende  Namen  bietet,  recht  dunkel.  Zum  Teil  finden  sich  die  zweifel- 
haften Stationen  —  vermischt  übrigens  mit  solchen  aus  Häddschi  Chalifa's  erstem 
Weg  —  in  dem  Itinerar  wieder,  das  Ritter,  X,  717  aus  Rennel,  Afap  of  the  coni- 
parativc  Geograph}'  of  ll^esiern  Asia  (1831)  mitteilt.  Es  sieht  so  aus,  als  habe  Ren- 
.sEL  sie  aus  Häddschi  Challfa  (aber  nicht  Norberg's  Übersetzung)  geschöpft. 


Zu  Ewlija  Tschelebi's  Reisen  im  oberen  Euphrat-  und  Tigris-Gebiet.  34  j 

Zusammenhang-  die  auch  aus  anderen  Quellen  bekannte  Episode  von 
Alexanders  Zug  durch  die  Finsternis  nach  dem  Lebensquell  ^)  einfügt. 
Und  zwar  schiebt  sie  sie  vor  Alexanders  Expedition,  die  zur  Errich- 
tung des  sperrenden  Tores  gegen  Gog  und  Magog  führt,  ein.  Wenn 
also  diese  Episode,  die,  wie  Friedländer  gezeigt  hat,  eine  ganz 
andere  Tendenz  verfolgt,  als  der  Rahmen,  in  den  sie  nur  äußerlich 
hineingestellt  ist,  in  der  Homilie  gar  nicht  mit  Halüräs  und  der  Ti- 
grisquelle —  wohl  aber  mit  dem  Masius  mons  ^xtu-ono,  ■  m  mo  ^r^ 
BuDGE,  S.  260,  16  cf  S.  168  der  Übersetzung  —  verknüpft  ist,  so  ist  dies 
doch  weiterhin  geschehen.  Das  beweisen,  wie  ich  bereits  ZDMG.  6/ 
(191 3)  S.  749  bemerkt  habe,  die  arabischen  Geographen. 

Nach  Täküt's  offenbar,  sehr  gut  orientiertem  Gewährsmann  'All 
b.  Mahdi  al-KisrawT,  der  gegen  das  Ende  des  3.  =  9.  Jahrhunderts 
starb  2),  entspringt  der  Tigris  -an  einem  Ort  namens  Halüräs  aus  einer 
finsteren  Höhle«  .AläAU^zi'  ^^.  Zu  diesem  Halüräs  weiß  er  noch  zu 
bemerken,  daß  hier 'Ali  al-'ArmanI  den  Märtyrertod  fand  (Jäküt,  II, 
^51)  —  das  war  863  — .  Aus  anderer  Quelle  erzählt  Jäküt  II,  552: 
»Ursprünglich  kommt  er  aus  einem  Berg  in  der  Gegend  von  'Ämid 
bei  einem  Schloß,  das  Hisn  Dhi  '1-Karnain  heißt,  unter  dem  die  Ti- 
grisquelle hervorkommt.«  Damit  ist  also  bei  der  Tigrisquelle  von 
Halüräs,  die  sich  durch  die  Bemerkung  von  der  finsteren  Höhle  ziem- 
lich deutlich  als  der  Austritt  aus  dem  Tunnel  charakterisiert,  ein  Hisn 
Dhi  '1-Karnain  konstatiert,  das  wir  auch  bei  al-Muhallabi  (f  386 
=  996)  wiederfinden  3),  und  von  dem  auch  in  der  apokryphen,  dem 
WäkidT  zugeschriebenen  Geschichte  der  Eroberung  von  Dijär  Bekr 
die  Rede  ist  4),  wie  ja  noch  heute  an  den  dortigen  Ruinen  Alexanders 
Name  haftet.  Ergänzt  werden  diese  Angaben  nun  in  wesentlicher 
Weise  durch  al- MukaddasT,  der  von  der  Tigrisquelle  sagt,  daß  sie 
unter  dem  Ribät  Dhi  H-Karnain  bei  dem  Tore  der  Finsternis  o.j 
oUüiäJS  herauskomme  (S.  20);  und  S.  146  erläutert  er  dies,  indem  er 
ausdrücklich  bemerkt,  daß  unter  diesem  Ribät  die  Höhle  (var.  l.:  das 
Tor)  der  Finsternis  sei,  in  das  Dhu  '1-Karnain  eindrang,  und  beifügt, 
daß  Maslama  b.  'Abd  al-Malik  es  ihm  nachtun  wollte,  aber  wieder 
umkehrte,  als  ihm  die  Fackeln  ausgingen.  Hier  ist  also  unzweideutig 
konstatiert,  daß  man  beim  Tigristunnel  den  Eingang  in  das  Land  der 


')  Ich    verweise    hierfür    vor    allem    auf  J.  Friedländer's  sorgfältige    Arbeit    Die 
Chadhirlegetidc  und  der  Alexandc7-ro7nan  (Leipzig-Berlin   1913). 
^)  s.  Jäküt,   Urschäd,  V,  427  ff. 

3)  s.  'Abu  M-Fidä,  ed.  Reinaud,  S.  53. 

4)  Die  Angabe  über  den  Ursprung  des  Tigris  findet  sich  auch  noch  bei  Mus  tauf  i-i 
Kaz  Willi. 


>42 


Richard   H  a  r  t  m  a  ii  n  , 


I'^insternis  sah,  den  Alexander  benutzte.  Man  niTjchte  genauer  fast 
vermuten,  daß  al-Mukaddasi  von  derselben  Höhle  spricht,  in  die 
Taylor  (JRGS.  25^  S.  42)  eine  Stunde  weit  eindrani^,  derselben  wohl 
auch,  von  der  Lehmann-Haupt  a.  a.  O.  S.  447f.  berichtet.  Darf  man 
schließlich  seine  Darstellung  mit  der  al-KisrawTs  verbinden,  so  sieht 
es  fast  so  aus,  als  ob  man  wohl  auch  den  Tigristunnel  selbst  für  jenes 
Tor  in  eine  andere  Welt  gehalten  hätte. 

Was  sucht  nun  Alexander  in  der  Finsternis."     Nun,  entweder  den 
Lebensquell,  der  ja  allgemein  als  in  der  Finsternis  gelegen  gedacht 
ist  —  man  vergleiche  Friedländer's  Zusammenstellung  in  den  vor- 
trefflichen Indices  A  §  5  seines   Buches  —  oder   aber   das    Paradies, 
das  man  ebenfalls  gerne  in  oder  jenseits  der  Finsternis  vermutet  (s. 
ebd.  §  25).     Die  Sagen    vom  Zug    nach    dem  Lebensquell  und  dem 
nach  dem  Paradies  sind  ja,  sei  es  ursprünglich,  sei  es  sekundär,    oft 
unentwirrbar    miteinander  verbunden :     der    Lebensquell    wird,     wie 
schon  im  Talmud,  zum  Fluß,  der  aus  dem  Paradiese  kommt.     Ist  da 
die  Vermutung    zu   kühn,    daß    al- Mukaddasi's   Bericht  eine  Vor- 
stellung widerspiegelt,  wonach  der  Tigris,  der  aus  dem  Tunnel  tritt, 
der  Abfluß  des  durch  die  Finsternis,    den  finsteren  Tunnel   aus  dem 
Paradiese  kommenden  Lebensquells  ist?    Ich  habe  ZDMG.  64,  S.  749 f 
den  Versuch  gemacht,  von  diesem  Gesichtspunkt  aus  dem  Verständ- 
nis von  Kor'än  XVIII  etwas  näher  zu  kommen,    und  die  Frage  auf- 
geworfen,   ob   er  uns  nicht  noch  über  die  Alexandergeschichte  hin- 
aus manchen  Fingerzeig  geben  kann.     Die  Lokalisierung,  die  uns  bei 
den  arabischen  Geographen  entgegentritt,  kann  an  sich  jung  sein,  ge- 
wiß;   aber  ist  es  nicht  ebenso  möglich,    daß   sie    alt  ist?     Wenn  die 
syrische  Legende  Alexander  zu  dem  Ursprung  von  Euphrat  und  Ti- 
gris kommen  läßt,    so   verstehen  wir   das  im  vollen  Sinn  wohl  doch 
nur,  wenn  wir  daran  denken,  daß  beide  Paradiesesflüsse  sind.     Ja,  es 
kann  sich  fragen,  ob  nicht  die  Legende,  die  in  der  uns  vorliegenden 
Form  nicht  bloß  das  Paradies,    sondern    auch   schon   die  Hunnen  in 
unendliche  Ferne  versetzt,  in  bestimmten  Zügen  noch  deutlich  eine 
Gestaltung  durchschimmern  läßt,    die   das  Ende   der  Oikumene,    der 
Kulturwelt    nicht    so   weit   von   Halüras   wegverlegt.     Wäre   es  nicht 
das  Nächstliegende,    daß  das  Tor,    an    dem   der  Einfall    der   Hunnen 
auf  dem  engen  Pfad  gegenüber  Halüras  verkündet  ist,  .einmal  nicht 
allzu  weit  von    dort    entfernt   gedacht   wurde?     Ja,    schließlich    fragt 
sich  —  und  z.  B.   ein  Vergleicli    mit   gewissen    parallelen  Zügen   im 
Gilgamesch-Epos  (s.  ZDMG.  64,    S.  750)   legt  das  recht  nahe  — ,  ob 
nicht  der  große  Alexander,  der  ja  so  vieles  in  den  Bannkreis  seines 
Namens  zog,  hier  nur  ein  neuer  Träger  eines  alten  Sagenstoffes  wurde, 


Zu  Ewlija  Tschelebi's  Reisen  im  oberen  Euphrat-  und  Tigris-Gebiet.  243 

der  längst  irgendwie  mit  dem  Orte  verknüpft  war.  Und  nach  der 
anderen  Seite  ist  es  von  der  Gestalt  der  Sage,  die  sich '  aus  den 
Worten  des  arabischen  Geographen  erschließen  läßt,  wohl  auch  be- 
greiflich, wie  aus  der  Wanderung  durch  die  Finsternis  oder  der  Fahrt 
auf  dem  Meere  der  Finsternis  (s.  Friedländer  a.  a.  O.  S.  37  Anm.  i) 
ein  anderesmal  eine  Fahrt  des  Helden  auf  dem  Flusse  durch  den 
finstern  Schoß  der  Berge  wird  ^),  wie  sie  wohl  noch  in  den  Abenteuern 
des  Herzogs  Ernst  anklingt. 

Ewlija  freilich,  von  dem  wir  ausgingen,  weiß  von  alledem  nichts. 
Nur  daß  der  Name  des  großen  Alexander  an  einer  Tigrisquelle  haftet, 
das  weiß  er  noch.  Aber  so  wenig  kennt  er  die  Stelle  des  einst  be- 
rühmten, in  Ruinen  noch  heute  vorhandenen,  aber  leider  nie  deut- 
lich genug  beschriebenen  Hisn  Dhi'l-Karnain,  daß  er  die  Alexander- 
tradition mit  einem  andern  Ouellarm  des  Tigris,  dem  von  Baghin, 
verbindet. 

Er  weiß  nichts  davon,  daß  man  hier  einmal  den  Lebensqüell  ge- 
sucht hätte.  Wenn  er  ihn  nach  Bitlis  oder  Tschapaktschur  verlegt, 
so  verrät  seine  ganze  Ausdrucksweise,  daß  er  mit  dem  Wort  gar 
nicht  mehr  den  Begriff  verbindet,  den  es  einst  deckte,  und  es  ist 
klar,  daß  diese  Lokalisierung  ihr  Entstehen  pseudogelehrtem  Lokal- 
patriotismus verdankt.  Aber  in  einem  anderen  Zusammenhang  Ewlija's 
tritt  uns  auf  einmal  wieder,  ohne  daß  er  selbst  es  merkt,  die  Alexan- 
dererzählung nahe.  Das  ist  auf  dem  sagenumwobenen  Bingöldagh. 
Ewlija  zählt  hier  die  wundersamen  Kräfte  einer  ganzen  Anzahl  von 
seinen  Seen  auf  Darunter  ist  auch  einer  mit  dem  Namen  Li'  ^j:6 
;> Vogelsee  ;  von  dem  weiß  er  zu  berichten  III,'  232:  ;>Ein  Jäger  er- 
legte einmal  einen  Vogel  und  drehte  ihm  den  Hals  um.  Wie  er 
ihn  nun  in  diesem  See  wusch,  kam  wieder  Leben  in  den  Vogel,  er 
tauchte  in  den  See  und  verschwand.  Darauf  kamen  auf  Gottes 
Befehl  in  der  Umgegend  tausend  Seen  zum  Vorschein,  sodaß 
man  nicht  wissen  kann,  welches  der  Lebenssee  ist.  Deshalb 
nennt  man  ihn  »Vogelsee ;.  Hier  haben  wir  ja  ganz  deutlich  das 
Glaukos-Motiv  der  Alexandergeschichte,  den  toten  Fisch,  der  den 
Lebensquell  entdecken  hilft;  nur  daß  an  Stelle  des  Fisches,  der  aber 
doch  mit  dem  Wortlaut  —  vgl.  besonders  das  ^^^jIc.  v^  ^wLId  xS^ 
^.,J^sjJ^!  —  wieder  fast  vorausgesetzt  scheint,  hier  ein  Vogel  tritt^ 
wie  übrigens  auch  im  hebräischen  Alexanderroman  (s.  Friedländer 
a.  a.  O.  S.  301). 

Die    Geschichte  ist  keinesfalls    eine   Erfindung  Ewlija's.     Noch 


')   s.  W.  Hertz,    Gesammelte  Abhandlungeti,   S.  76. 


2 Ad  Richard   Hartmann,    /u    Kwlija    Tschelebi's   Reisen   usw. 

heute  scheint  ein  ähnUcher  Volksglaube  zu  bestehen.  Wenigstens 
behaujjtet  Strecker  in  der  Zeitschr.  der  Ges.  f.  Erdkunde  IV,  518: 
;'DaB  einer  der  Seen  das  »Wasser  des  ewigen  Lebens«  enthält,  ist 
fester  Glaube  der  Umwohnenden,  obschon  noch  niemand  gerade 
ihn  gefunden  hat.«  Gewiß  ist  hierin  keine  Spur  von  der  Alexander- 
geschichte enthalten.  Aber  das  Glaukosmotiv,  wenn  man  es  so 
nennen  darf,  ist  bei  Ewlija  nicht  zu  verkennen.  Und  gerade  das 
stammt  nicht  von  Ewlija:  wenn  er  es  aus  der  Alexanderlegende 
eingefügt  hätte,  so  hätte  er  gewiß  den  Alexander  selbst  genannt. 
Nein,  er  hat  das  Motiv  aus  der  Alexandergeschichte  gar  nicht  er- 
kannt, obwohl  er  unter  den  anderen  Seen  einen  J^  Ow-o=\Jt  ^t^, 
einen  J^  (T'-^?^^?  J^  einen  \S  .^:~>  erwähnt.  Trotzdem  könnte 
natürlich  eine  späte  Lokalisierung  der  Alexandergeschichte  vorliegen. 
Aber  nun  werfe  man  nochmals  einen  Blick  auf  die  alte  Gestalt  der 
Lebensquell-Legende,  besonders  auf  die  Form,  die  sie  in  der  Ho- 
milie  hat.  Als  Alexander  dem  Greis,  der  ihm  als  Führer  in  dem 
Land  der  Finsternis  dient,  endlich  offenbart,  was  er  dort  sucht,  da 
gibt  der  Greis  die  Antwort  V.  188 f.:  »Es  sind  gar  viele  Quellen  in 
der  Gegend,  und  niemand  weiß,  welches  der  Lebensquell  ist.«  Und 
dieses  Moment  kennt,  wie  Friedländer  a.  a.  O.  S.  28  Anm.  2  zeigt, 
bereits  die  Vorlage  des  griechischen  Pseudo-Callisthenes.  Sieht  das 
nicht  wirklich  so  aus,  als  ob  schon  die  alten  Formen  der  Legende 
gerade  den  Bingöldagh  im  Auge  hätten;  ja  sieht  es  nicht  gerade  so 
aus,  als  ob  sie  bereits  den  Volksglauben  voraussetzten,  von  dem  uns 
Strecker  berichtet.  Falls  dem  aber  so  wäre  —  das  Ob  können  wir 
hier  nicht  nach  allen  Seiten  untersuchen  —  dann  wäre  es  auch 
gewiß  gar  nicht  mehr  so  undenkbar,  daß  auch  am  Tigristunnel  eine 
Tradition  haftete,  die  nachträglich  mit  dem  Namen  des  großen  Maze- 
doniers verbunden  wurde.  Wie  dem  auch  sei,  für  die  Geschichte 
der  Lokalisierung  des  Paradieses  dürften,  scheint  mir,  auch  die  von 
uns  erwähnten  Daten  von  Bedeutung  sein. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 


Zu  Islam  VIII,  302  f. 

Der  von  Herrn  TsCHUDi  oben  Bd.  VIII,  S.  302f.  veröffentlichte  Brief  des  Sultan 
Abdulaziz  an  seinen  Bruder  Murad  V.  ist  s.  Z.  wiederholt  -  in  der  hiesigen  und  aus- 
wärticren  Presse    sowie    sonst  -  veröffentlicht   und    seine  Echtheit  von  keiner  berufenen 

Seite  angezweifelt  worden. 

Bekanntlich  wurde  Abdulaziz  in  der  Nacht  vom  29.  auf  den  30.  Mai  1876O  durch 
eine  Ministerverschwörung  gestürzt.  Noch  im  Laufe  des  Vormittags  des  30.  Mai  wurde 
der  entthronte  Herrscher  mit  seiner  Familie  und  seiner  persönlichen  Dienerschaft  vom 
Palais  von  Dolmabaghtsche  (auf  der  europäischen  Seite  des  Bosporus)  auf  dem  See- 
wege nach  dem  sog.  Alten  Serai  {top  kapu  serai,  auf  der  Seraispitze)  überführt.  Der  Auf- 
enthalt dort  in  den  seit  vielen  Dezennien  von  den  Sultanen  nicht  mehr  bewohnten 
Räumen,  in  denen  sein  Onkel  Selim  III.  ein  so  tragisches  Ende  gefunden  hatte,  er- 
füllte ihn  mit  bangen  Ahnungen  und  veranlaßte  ihn,  sich  an  seinen  Neffen  und  Nach- 
folger mit  der  Bitte  zu  wenden,  ihm  einen  andern  Wohnort  anzuweisen»),  worauf  er  am 
Freitag,  den  2.  Juni  3),  nach  einem  Nebenbau  des  Palastes  von  Tschiragan  gebracht  wurde. 
Dort  endete  er  am  4.  Juni  durch  Selbstmord. 

Über  den  Briefwechsel  zwischen  Abdulaziz  und  seinem  Nachfolger  wird  nun  m 
einer  Korrespondenz  der  Münc/iener  Allg.  Zeitung  aus  Konstantinopel  vom  9-  J"ni  1876 

folgendes  berichtet: 

;,Ich  habe  Ihnen  bereits  vor  einigen  Tagen  mitgeteilt,  daß  der  abgesetzte  Sultan 
seinem  Neffen  ein  Schreiben  zuschickte,  worin  er  ihm  zu  seiner  Thronbesteigung  Glück 
wünscht  und  ihn  um  Anweisung  eines  andern  Aufenthaltsortes  ersucht.  Es  smd  zwei 
Briefe  gewechselt  worden,  von  denen  der  erste  auf  den  Sultan  Murad  einen  tiefen  Ein- 
druck -emacht  hat.  Der  Wortlaut  ist  bisher  nicht  veröffentlicht  worden,  jedoch  kann 
ich  folgendes  als  dessen  Inhalt  verbürgen:  »Ich  habe  Dir  in  zehn  Jahren  nichts  zu- 
leide -etan,"Du  wirst  mir  auch  nichts  zuleide  tun;   aber  der  Ort,  den  Du  mir  als  Woh- 


•)  Nach-  türkischer  Zeitrechnung  ^^öJo     lik^J^^i      <^^'-*^     ,  ^ 


^K^^  wie  Ahmed  Midhat,  Üsst  inkiläb,  Stambul  1294,  Bd.  1,  S.  218.  richtig 
kiigibt'  "'  Memduh  Pascha,  Miräti  schti' Unat,  Smyrna  .328,  S.  82  hat  dafür,  durch 
Schreib-  oder  Druckfehler,  den   17.  Djemazi  I:  der  30.  Mai  fiel  auf  einen  Dienstag. 

^)    Vgl.    Ahmed    Midhat    a.  a.  O.  S.  222;    Memduh    Pasch  a  a.  a.  O.  S.  78 : 

*      Serail  und  Hohe  Pforte.    Wien-Pest-Leipzig  1879-  S.  I37,  die  alle  drei  ausdrücklich 

erwähnen,  daß  Abdulaziz  seiner  Umgebung  von  dem  Schicksale  Selim  III.   sprach;    vgl. 

ferner  Cte.  Keratry,  Mourad  V  Prince-Sultan-Prisonnier  d'Eiat,  Paris  1878,  S.  I37- 

3)  Diese  Zeitangabe  nur  in  dem  Memoirenwerk  über  Midhat  Pascha  Bd.  I   (Titel: 

Midhat  Pascha  tabsirdi'ibret,  Stambul    1325)  S.  169. 


2J.6  Kleine  Mitteilungen  und   Anzeigen. 

nung  angewiesen  hast,  ist  mir  unerträglich,  und  ich  erwarte  also  von  Deiner  Gnade, 
daß  Du  mir  einen  zweckmäßigeren  Ort  anweisen  wirst.«  Das  zweite  Schreiben  lautet 
in  wortgetreuer  Übersetzung:  »Ich  ergreife  meine  Zuflucht  erstens  zu  Gott  und  zweitens 
zu  Deiner  Kais.  Majestät.  Indem  ich  zu  Deiner  Thronbesteigung  Glück  wünsche,  bcdaure 
ich,  daß  es  mir  nicht  gelungen  ist  im  Dienste  der  Nation  das  Ziel  meines  Strebens  und 
meines  Eifers  erreicht  zu  haben,  und  wünsche,  daß  dieses  Deiner  Kaiserlichen  Majestät 
gelingen  werde.  Ich  hoffe,  Du  wirst  es  nicht  vergessen,  daß  ich  Deiner  Kais.  Majestät 
die  Mittel  und  Wege  zur  Erhöhung  des  Nationalruhms  und  zur  Sicherung  der  Zukunft 
des  Reiches  bereitet  habe:  ich  empfehle  Dir,  Dich  zu  erinnern,  daß  die  Armee,  die  ich 
bewaffnet  habe,  mich  in  diese  Lage  versetzt  hat.  Edelmut  und  Menschlichkeit  gebieten, 
daß  man  den  Bedrängten  Hilfe  leiste;  ich  bitte  also  Deine  Kais.  Majestät,  mich  aus 
der  gegenwärtigen  Bedrängtheit  zu  erretten  und  mir  einen  zweckmäßigeren  Wohnsitz 
anzuweisen.  Ich  trete  der  Familie  Abdulmedschid  Chans  die  Herrschaft  des  Osmanischen 
Reiches  ab;    am  9.  Dschemazi    ül  evvel  (i.  Juni  1876J.      Der    abgesetzte    Abdul    Aziz«. 

Ahmed  Midhat  a.  a.  O.  weiß  auch  von  zwei  Briefen,  teilt  aber  nur  den  zweiten 
Brief  mit,  und  zwar  ohne  Datum  und  Unterschrift;  der  türkische  Text,  der  bei  ihm 
S.  397  nach  einer  Veröffentlichung  in  der  Zeitung  Vakyi  abgedruckt  ist,  entspricht  der 
Übersetzung  des  Korrespondenten  der  Allgemeinen  Zeitung. 

Der  Cte.  Keratrv  weiß  nur  vom  zweiten  Brief,  und  zwar  behauptet  er,  daß  seine 
Übersetzung  nach  dem  mit  roter  Tinte  geschriebenen  Originale  angefertigt  sei');  sie 
enthält  eine  bemerkenswerte  Variante  zu  den  vorhergehenden  Publikationen.  Der  Schluß- 
satz lautet  nämlich :  :»ye  vous  fclicite  de  ce  que  la  couronne  est  passcc  dans  la  famille 
d' Abdul-Mediid\  er  oder  vielmehr  sein  Übersetzer  hatte  also  in  seiner  Vorlage,  überein- 
stimmend   mit    der   TsCHUDi'schen    Vorlage,      ^JLjl    ^^^i    statt    -.LI    ^!).j     gefunden. 

Memduh  Pascha  erwähnt  nur  ein  einziges  Schreiben  (S.  77  und  94),  leider 
ohne  nähere  Aixgaben  über  den  Inhalt;  dagegen  wird  in  den  Memoiren  Midhat  Pascha's 
ausdrücklich  gesagt,  daß  Abdulaziz  in  mehreren  eigenhändigen  Schreiben  um  Anweisung 
eines  andern  Wohnortes  gebeten  und  darin  erklärt  habe,  daß  er  die  Regierung  dem 
neuen  Sultan  und  der  Familie  des  Abdulmedjid  abtrete  r,.jw.^iLÄ^  \j^JvU^  -ÄÄJaJLv- 
^ÄXjiAXjI    -^^   •^.ÄJljoL^-     ö>^^^Jj\     iA>^  etc.). 

Die  Frage,  welche  Lesart  die  richtigere  ist,  wäre  von  vornherein  entschieden,  wenn 
es  wirklich  feststünde,  daß  die  KERATRv'sche  oder  die  T.'SCHnoi'sche  Urkunde  den  Arche- 
typus darstellt,  wie  deren  Besitzer  behaupten.  Indes  möchte  ich  dies  ernsthaft  bezweifeln 
und  zugunsten  der  Lesart  *jLj!  ^ j,  abgesehen  von  ihrer  besseren  Beglaubigung, 
anfuhren,  daß  mir  die  Wendung :  saltanati  sultan  Abdulmedjid  handanina  tebrik  eilerim 
in  sprachlicher  Hinsicht  bedenklich  erscheint,  und  daß  wir  durch  die  erstere  Lesung 
einen  bedeutsamen  Inhalt  anstatt  einer  leeren  Höflichkeitsphrase  gewinnen.  Wie  schon 
vorhin  erwähnt,  wurde  Abdulaziz  in  den  Tagen,  wo  er  in  Top  kapu  interniert  war, 
von  dem  Gedanken  verfolgt,  daß  man  ihm  ein  gewaltsames  Ende  vorbehalten  habe, 
was  namentlich  für  den  Fall  zu  befürchten  stand,  daß  seine  Anhänger  eine  Gegenrevo- 
lution versuchen  würden,  wie  dies  zu  Selim  III.  Zeiten  eingetreten  war.  Er  soll  u.  a. 
zu    seiner  Umgebung  gesagt  haben:    »Wenn  ich  noch  weiter  am  Leben  bleibe,  so  gibt 


')  liCette  lettre  est  autographe.  Elle  est  ecrite  en  encre  rouge,  dont  se  servcnt 
les  Sultans,  par  un  privilege  distincti/.<si  Das  ist  ein  Märchen.  Über  ein  Postskriptum, 
das  Kkratry  erwähnt,  aber  nicht  übersetzt,  und  in  dem  Abdulaziz  um  Rückgabe  einer 
größeren  im  Palais  von  Dolmabaghtsche  zurückgebliebenen  Geldsumme  bittet,  habe  ich 
sonst  nichts  gefunden. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  247 

das  Anlaß  zu  Aufruhr«  (jOi^ÄXs  '^>-j^  (»•'■''^*>  ,*^9  ^  '-^*^)  ""^  nach  Gift  ver- 
langt haben,  um  nicht  unter  der  Hand  des  Henkers  zu  enden  (Memduh  Pascha  a.  a.  O. 
S.  78).  Durch  die  Erklärung,  daß  er  auf  das  Sultanat  zugunsten  der  Familie  des 
Abdulmedjid  verzichtete,  wollte  er  wohl  seine  Anhänger  von  jedem  Versuche,  ihm  wieder 
zum  Throne  zu  verhelfen,  abhalten  und  seinen  Feinden  einen  Grund  wegnehmen,  ilim 
nach  dem  Leben  zu  trachten. 

Nach  dem  Korrespondenten  der  Augs/^.  Allg.   Ztg.  war  das  Schreiben  vom  9.  Dje- 

mazi  1   datiert,    was  durch  Keratry's  und  Midhat    Pascha's  Angaben  bestätigt  wird; 

ersterer  sagt,    daß  der  Ex-Sultan  ihn  scW\eh  »le  sccond j'otir  de  sa  dcposition«.,  Aei  z\WQ\\.e: 

^i^y       c^^^}    dUXjJ^:CS'     i^-uLw  j.>.s     Sr>-^,     was    auf    dasselbe    hinauskommt. 

Hussein  Haki,  ^^l-==-  cy!^"^^^  Efendi,  der  Gewährsmann  der  TsCHUDl'schen 
Urkunde,  gehörte  zu  den  bekanntesten  Persönlichkeiten  jener  Ei)oche ;  er  stammte  aus 
Kreta,  wurde  in  Ägypten  erzogen  und  kam  als  Majordomus  der  Prinzes:  in  Zeineb  nach 
Konstantinopel.  Er  hat  sich  namentlich  als  langjähriger  Administrator  der  Bosporus- 
dampfer-Gesellschaft  (Schirketi  Hairie)  verdient  gemacht  und  ist  am  7.  Kianun  II  131  i 
(=19.  I.  1895)  gestorben,  s.  die  biographischen  Notizen  über  ihn  in  der  Schrift :  Boghas 
Uschi— Schirketi  Hairie,  Stambul    1330,  S.    17  f.  und   22. 

J.  H.  Mordtmann. 


Sinäns  Todesjahr. 

Mit  Rücksicht  darauf,  daß  in  der  europäischen  Literatur  selbst  die  bescheidenste 
Lebensbeschreibung  Sinan's  fehlte,  habe  ich  in  einem  kurzen,  im  XL  Bande  der  H.  GroiHe- 
schen  »Beiträge  zur  Kenntnis  des  Orients«  (Halle,  1914)  enthaltenen  Aufsatz  Leben  und 
Arbeiten  dieses  größten  osmanischen  Baumeisters  vorzüglich  auf  Grund  der  1897  (1315 
d.  H.)  von  der  rührigen  Ikdäm-Druckerei  in  Stambul  herausgegebenen  »Teskerei-ül-biinjdn- 
i-kodschh  mi'mär  Sinäm  seines  Zeitgenossen,  des  Dichters  Mustafa  Sä'i  (gest.  1595). 
zu  schildern  versucht:  Als  Sterbetag  wird  dort  der  12.  dschumadä  I  986,  d.  i.  17.  Juli  1578 
angegeben,  während  das  in  der  Grabinschrift  enthaltene  Chronogramm  {ta^rlch)  als  Todes- 
jahr 935  d.  H.,  d.i.  1528,  mithin  den  nicht  unbedeutenden  Unterschied  von  51  Jahren 
ergibt.  Das  Chronogramm,  das  übrigens  der  eben  genannte  Mustafa  Sä'i  dichtete  (vgl. 
den  dem  ta\ich  vorangehenden  Vers:  »auf  sein  Ableben  verfaßte  der  ergebene  Sa'i  sein 
Chronogramm«),  lautet  sowohl  nach  meiner  oben  erwähnten  Quelle  (vgl.  S.  15)  wie  nach 
der  bekannten  »/iaif^<?i  MWscAetfiw«?  «des  Husein  Efendi  ben  ^ladschi  'Isma'ilaus 
Aiwänserai  (18.  Jahrh.,  mit  den  wertvollen  Zusätzen  des  Seid  «Ali  Säti'),  I.  Band, 
S.   199  (Stambul,   1281    [1864/65])  folgendermaßen: 

^  »Es  schied  in  diesem  Augenblick  von  der  Welt  der  alte  Baumeister  Sinän«.  Gemeinsam 
mit  Herrn  Generalkonsul  Dr.  J.  H.  Mordtmann,  den  ich  auf  diese  Unstimmigkeit  im 
Frühjahr  191 5  aufmerksam  machte,  konnte  ich  bereits  damals  am  Platze,  wo  sich  die 
Türbe  Sinän 's  erhebt,  nämlich  unfern  seines  Meisterwerkes,  der  Suleimänije,  nahe  dem 
Scheich  ül-isläm-Gebäude,  aus  der  guterhaltenen  Inschrift  einwandfrei  feststellen,  daß  das 
Chronogramm  in  Wirklichkeit  ^.,l,Uiu«  ^-o.  {l>ir-i-mi'märan),  d.i.    »der  Älteste  (Senior) 

der  Baumeister«,  lautet,  somit  zwei  Buchstaben,  Elif  und  Nun,  mit  dem  Zahlenwcrt 
1  +  50  =  51  mehr  aufweist.  Mithin  ist  986  tatsächlich  als  Todesjahr  Sin  an 's  zu  be- 
trachten.   Diese  Mitteilung  scheint  mir  deshalb  von  Belang,  weil  gerade  gegenwärtig  vorab 


24$  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

von  türkischer  Seite  allerlei  über  Sinän  geschrieben  wird,  wobei  man  sich  freilich  kritiklos 
auf  das  bisher  Gedruckte  stützt.  So  hat  der  betriebsame  türkische  Geschichtschrciber 
Ahmed  Refik  einen  längeren  Aufsatz  über  »Sinän,  Leben  und  Werke«  im  vorjährigen 
Bande  der  »Jeni  Medschniü'ac,  1917,  13.  Heft,  S.  249 — 252  und  14.  Heft,  S.  269 — 279  (mit 
Abbildungen,  darunter  eine  des  Grabmals)  gebracht  und  dabei  aucli  den  Schreibfehler 
im  Chronogramm  übernommen.  Es  ist  aber  erfreulich,  festzustellen,  daß  das  Interesse  an 
dem  »osmanischen  Michelangelo«  sich  stark  zu  regen  beginnt.  Kakl  Kos,  Mitglied  des 
Ungarischen  Wissenschaftlichen  Instituts  zu  Konstantinopel,  der  eine  die  Hefte  5 — -7  der 
»Mitteilungen«  dieses  Institutes  füllende  baugeschichtliche  Darstellung  vonStambul  heraus- 
zugeben im  Begriff  stehv,  bereitet  eine  umfassende  Arbeit  über  Sinän  vor,  deren  hoffentlich 
baldigem  Erscheinen  man  mit  lebhafter  Spannung  entgegensehen  darf. 

Konstantinopel.  Franz   Babinger. 


Das  türkische  Kukla  ojnu. 

Aus  Briefen  von  Dr.  Ritter. 

Herr  Dr.  Ritter  hatte  in  letzter  Zeit  Gelegenheit,  sich  in  Konstantinopel  eingehend 
mit  dem  türkischen  Schattenspiel  zu  beschäftigen,  und  berichtete  mir  über  seine  Beob- 
achtungen in  verschiedenen  Briefen.  »Ich  habe«,  schreibt  er  mir,  »hier  den  Schech  der 
Karagözgis  und  Orta  ojungis,  Nazif  Efendi,  gefunden  und  lasse  mir  von  ihm  sein  Material 
aufschreiben,  vorlesen  und  erklären,  die  Stellen  mit  taqlid  nehme  ich  phonetisch  auf.  Diese 
Texte  sind  naturgemäß  bedeutend  wertvoller  als  die  gekürzten  und  kastrierten  Drucke. 
Da  Nazif  zugleich  Figurenschneider  oder  vielmehr  Figurenzeichner  ist,  konnte  er  mir  über 
die  Herstellung,  das  Durchsichtigmachen  usw.  jede  gewünschte  Auskunft  geben.  In  meiner 
sehr  ausgiebigen  Figurensammlung  konnte  er  mir  genau  sagen,  von  welchem  Zeichner  und 
Schneider  die  einzelnen  Stücke  herstammen.  Nazif  hat  früher  im  Seraj  gespielt,  und  fast 
alle  jetzigen  Schauspieler  haben  ihr  Material  von  ihm;  er  versprach  mir  einige  Stücke  mit 
historischen  Anspielungen  in  den  Liedern  usw.  zu  geben,  ist  überhaupt  eine  unerschöpf- 
liche Fundgrube,  auch  für  das  Orta  ojnu,  als  dessen  Meister  er  gilt.  In  der  Hamdischen 
Truppe  spielte  er  die  Zenne,  sein  Lehrer  im  Karagöz  war  Riza  Efendi.  Bisweilen  finden 
sich  in  dem  Witzblatt  Karagöz  noch  Spuren  alter  Spiele,  wenn  auch  selten.  Eine  kleine 
Liste  der  Schauspielersprache  habe  ich  zusammengebracht,  die  im  wesentlichen  mit  der 
Zigeunersprache  identisch  ist.  Wenn  die  Spieler  sich  bei  einem  Beschneidungsfest  über  zu 
wenig  Geld  zu  beklagen  haben,  sagen  sie  in  dieserSprache :  »Baro  ainasyz.  mangiz  oschlamaz« 
(der  Hausherr  ist  schlecht,  gibt  wenig  Geld)  Die  Liigati  garlhe  führt  einiges  Derartige 
auf,  ohne  aber  zu  sagen,  daß  es  Vagabundensprache  ist.» 

Außerdem  ist  es  nun  Herrn  Dr.  Ritter  gelungen,  noch  das  Kukla  ojnu,  von  welchem 
schon  Evlija  (I  S.  626)  berichtet,  in  Konstantinopel  in  einer  kleinen  Bude  im  Stadtviertel 
Kasim  Pascha  ausfindig  zu  machen.  Seine  Mitteilungen  gewinnen  noch  dadurch  besonderes 
Interesse,  daß  sie  endlich  Klarheit  geben  betreffs  der  bisher  rätselliaften,  im  Karagöz  und 
sonst  überall  herumspukenden  Figur  des  Naseweis  Ibisch.  Ibisch  ist  nämhch  der  Held  des 
Kukla  ojnu  und  entspricht  unserem  Kasperle.  Der  ifj<fe/a-Spieler  Kadri  pflegte  nach  Be- 
endigung des  Schattenspiels  und  Entfernung  der  Leinwand  eine  kleine  Bühne  aufzumachen, 
die  der  unseres  Kasperletheaters  gleicht.  »Szenierung  sah  ich  nur  in  zweifacher  Form: 
Entweder  wird  ein  Zimmer  mit  einer  Tür  (Vorhang)  in  der  Mitte  des  Hintergrundes  und 
zwei  Fenstern  rechts  und  links  davon  dargestellt  oder  aber  eine  Waldlandschaft.  Die  Haupt- 
person ist  der  Diener  Ibisch,  eine  bekleidete  Holzpuppe  mit  besonders  stark  entwickelter 


Kleine  Mittcihmgen  und  Anzeigen.  ^aq 

Nase.  Er  kann  die  Arme  bewegen  und  Gegenstände  wie  ein  Servierbrett,  einen  Knüttel 
und  dergleichen  darin  halten.  Bei  den  Spielen,  die  ich  sah  und  die  fast  ausschließlich  von 
Kindern  besucht  waren,  trat  er  zuerst  allein  auf,  um  von  den  Kindern  Zigarettengeschenke 
in  Empfang  zu  nehmen,  die  reichlich  gespendet  und  mit  einem  Ejwallah  efendivt,  tschok 
ieschekkür  ederim  efendim  quittiert  wurden.  Ibisch  ist  stets  Diener  eines  Herrn,  den  er 
mit  )>ichtijar«  anredet. 

Das  erste  Puppenspiel,  das  ich  sah,  verlief  etwa  folgendermaßen:  Ibisch  und  Ichtijar 
im  Zimmer.  Der  Ichtijar  hat  Ibisch  zum  Gemüseeinkauf  ausgeschickt  und  befiehlt  ihm, 
abzurechnen.  Nach  mehreren  komischen  Versuchen  scheitert  dies  Unternehmen  an  Ibischs 
gänzlicher  Unkenntnis  im  Lesen,  Schreiben  und  Rechnen.  Die  Gelegenheit  benutzt  er, 
um  den  zuschauenden  Kindern  eine  Lektion  über  die  Nützlichkeit  des  Lernens  in  der 
Schule  zu  halten,  das  allein  den  Menschen  vor  solchen  Blamagen,  wie  er  sie  eben  erlebt 
hätte,  retten  könne.  Dann  kommt  ein  Gast,  eine  etwas  steife  Puppe  mit  schwarzem  Schnauz- 
bart. Der  redet  Ibisch  mit  biläder  an.  Dies  weist  Ibisch  entrüstet  zurück,  er  sei  Sohn  des 
Kapudschu  Mustafa  und  hätte  mit  ihm,  dem  Gast,  gar  nichts  zu  tun.  Der  Gast  sucht  ihm 
vergeblich  begreiflich  zu  machen,  wie  er  es  gemeint  habe.  Nach  längerer  Debatte  über  diesen 
Gegenstand  rückt  er  mit  seinem  eigentlichen  Anliegen  heraus:  er  hat  eine  Reise  vor  und 
sucht  einen  Reisegefährten.  Nachdem  Ibisch  mit  seiner  Tapferkeit  geprahlt  hat,  wird  er 
von  dem  Fremdling  angeworben,  der  sich  nunmehr  mit  einem  gedehnten  Alläkd  smarladyq 
und  einer  tiefen  Verbeugung  verabschiedet,  die  von  Ibisch  mit  einer  ebenso  tiefen  Ver- 
beugung und  einem  ebenso  gedehnten  Safä  geldiniz,  nicht  ohne  eine  ironische  Nachäflung 
des  Tonfalls  des  Fremden,  beantwortet  wird.  Kaum  ist  der  Fremde  fort,  als  ihm  etwas 
einfällt,  was  er  zu  erwähnen  vergessen  hat.  Er  kommt  wieder  und  bringt  es  vor.  Wieder 
die  feierliche  komische  Abschiedszeremonie.  Die  Sache  wiederholt  sich;  als  er  jedoch  zum 
fünften  Male  den  Kopf  durch  die  Tür  steckt  mit  einem:  Schäjed  .  .  .  (Sollte  etwa  .  .  .), 
läßt  ihn  Ibisch  nicht  ausreden,  sondern  ergreift  einen  gewaltigen  Holzscheit  und  prügelt 
den  Gast  zur  Tür  hinaus,  daß  es  dröhnt. 

Die  nächste  Szene  zeigt  Ibisch  auf  der  Reise  nach  Kaiseri  in  einem  griechischen 
Hotel.  Er  läßt  sichxlie  Speisekarte  vorlesen  und  findet  an  jedem  einzelnen  Gericht  einen 
solchen  Gefallen,  daß  er  jedes  bestellt  und  schließlich  die  ganze  Karte  auf  einmal  bestellt 
hat.  Nach  einer  Weile  kommt  ein  zweiter  Reisender,  dem  dasselbe  Zimmer  zugewiesen 
wird,  dann  ein  dritter,  ein  griechischer,  d.  i.  fränkischer  Opernsänger.  Jeder  hat  Anspruch 
auf  das  Bett.  Nach  langem  Gezänk  einigt  man  sich  dahin,  daß  jeder  der  drei  Gäste  ein 
Drittel  der  Nacht  schlafen  soll.  Ibisch  legt  sich  zuerst  schlafen.  Inzwischen  vertreibt  sich 
der  Opernsänger  die  Zeit  damit,  daß  er  zur  Begleitung  des  dritten  Zimmerbewohners, 
der  das  Orchester  darzustellen  hat,  eine  Arie  zum  besten  gibt,  die  in  einem  gewaltigen 
Fortissimo  im  hohen  C  endigt.  Entsetzt  stürzt  Ibisch  aus  dem  Bett  herbei,  um  zu  sehen, 
wo  es  brennt.  Von  seinen  Zimmergenossen  beruhigt,  legt  er  sich  wieder  schlafen,  wird  aber 
wieder  durch  einen  gewaltigen  Triller  des  Opernsängers  aufgescheucht.  Nicht  besser  geht  es 
ihmbeim  dritten  Mal.  Auf  weitere  Nachtruhe  verzichtend,  läßt  er  den  dritten  Gast  sich  legen, 
wirft  ihn  aber  bald  wieder  heraus,  um  den  Opernsänger  ins  Bett  zu  legen.  An  ihm  nimmt 
er  nun  Rache- durch  eine  komische  Parodierung  des  Operngesangs,  der  ja  dem  Orientalen 
schon  an  sich  komisch  vorkommt. 

Die  nächste  Szene  spielt  im  Walde,  wo  sich  die  Reisenden  wieder  treffen.« 

Wegen  Kinderlärms  konnte  Herr  Dr.  Ritter  den  Inhalt  nicht  verstehen;  ähnlich 
erging  es  ihm  an  den  andern  Abenden,  so  daß  er  mir  nur  noch  einige  Bruchstücke  mitteilt 
»  Ich  erinnere  mich  einer  sehr  komischen  Szene,  in  der  Ibiäch  einem  Gast  Kaffee  servieren, 
soll.   Er  bringt  zunächst  eine  Tasse  in  der  Hand,  dannvon  seinem  Herrn  auf  das  Unschick- 
liche dieser  Form  des  Servicrens  hingewiesen,  erscheint  er  mit  einem  Riesenservicrbrclt 

Islam   IX.  I  7 


2^0  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

unl  bietet  zunächst  seinem  Herrn,  dem  Ichtijar,  an.  Der  winkt  ab  und  bedeutet  Ibisch, 
daß  er  zuerst  dem  Gast  anzubieten  habe.  Aber  auch  dieser  lehnt  unter  feierlicher  Beteuerung 
seiner  Unwürdigkeit  ab  und  verweist  Ibisch  an  den  Ichtijar.  So  hin  und  her  geschickt 
reißt  Ibisch  schließlich  die  Geduld,  und  er  schlägt  das  Servierbrett  abwechselnd  dem 
Ichtijar  und  dem  Gast  um  die  Ohren.« 

Vorliegende  Mitteilungen  machen  es  mir  zur  Gewißheit,  daß  in  dem  von  Litt- 
mann herausgegebenen  türkischen  J)fak7'spicl  aus  Aleppo  {Sitzungsber.  d.  Heidelb.  Akad. 
d.  Wiss.  1918)  tatsächlich  ein  Kukla  oj'nic  vorliegt  und   kein  Schattenspiel;   das  bezeugen 

die  Hauptfiguren,  das  Szenarium  und  anderes.  ^     ,  . 

•^    *         '  G.  J  a  c  o  b. 


Ahmed  Refik,  Onundschu  'asr-i-hedschride  Istamhol  hajaty :  Td'rich-i-^osmani  endschümeni 
küllijaty,  ^aded  6,  Istambol  1333.     235   S. 

Ahmed  Refik  J)  hat  uns  in  letzter  Zeit  eine  große  Zahl  türkischer  Urkunden  von 
hervorragendem  kulturhistorischem  Interesse,  namentlich  im  Ta'rirh-i-'osmavi  endschümevi 
und  in  der  Jeni  medschmii^a,  in  dankenswerter  Weise  erschlossen.  Die  ausgiebigste  seiner 
Publikationen  ist  der  nunmehr  vorliegende  obengenannte  Band,  der  das  in  ihm  mitgeteilte 
reiche  ürkundenmaterial  in  folgende  Kapitel  gliedert: 

1.  Verwaltung  des  kaiserlichen  Palastes:  32  Urkunden. 

2.  Behandlung  der  frommen   Stiftungen,  Moscheen  und   Brunnen:   33   Urkunden. 

3.  Geistiges  vmd  wissenschaftliches  Leben,  Hochschulen  und   Bibliotheken:  S   l'r- 
kunden. 

4.  Frauenleben  und  Frauenüberwachung:  8   Urkunden. 

5.  Andersgläubige,  Kirchen:  21   Urkunden. 

6.  Städtische  Angelegenheiten,  Sanitätswesen,  Häuser  und  Straßen:  if)  Urkunden. 

7.  .Münzen  und  Löhne:  14  Urkunden. 

8.  Lebensunterhalt  und  Lebensmittel:  46  Urkunden. 

9.  Handel,  Industrie  und  Zollwesen:  60  Urkunden. 
10.  Öffentliches  Leben  und  Polizeifälle:  20  Urkunden. 

Zusammen:  258  L'rkunden,  leider  nur  in  Druckschrift,  obwohl  man  bisweilen  ein 
Faksimile  sehr  vermißt  -).  Den  Beschluß  bildet  ein  Index.  Mehrere  der  hier  gegebenen 
Urkunden  hat  ihr  Herausgeber  bereits  früher  publiziert,  doch  erscheinen  sie  in  dieser  wcii- 
vollen  Zusammenfassung  in  besserer  Anordnung  und  lehrreichem  Zusammenhang,  so  daß 
wir  ihm  für  die  Wiederholung  nur  dankbar  sein  können. 

Ich  gedenke,  auf  die  Publikation,  von  deren  Reichhaltigkeit  die  Inhaltsübersicht 
eine  Vorstellung  gibt,  noch  mehrfach  zurückzukommen.  Heute  möchte  ich,  darauf  ver- 
zichtend, allerlei  interessante  Einzelheiten  herauszugreifen,  lieber  als  Probe  zunächst  5  Ur- 
kunden vollständig  in  deutscher  Übersetzung  mit  knappem  Kommentar  mitteilen,  in  der 
Hoffnung,  dadurch  vielleicht  zu  einer  vollständigen  Übersetzung  des  ganzen  Buches  anzu- 
regen 3). 


')  Vgl.  Ncvsal-i-milli  1330  S.  92/3. 

'-)  So  hätte  ich  ein  solches  gern  am  Schluß  der  an  letzter  Stelle  von  mir  übersetzten 
Urkunde  eingesehen. 

3)  Ein  anderes  Werk,  dessen  Übertragung  ins  Deutsche  dringend  erwünscht  ist, 
sind  die  in  altertümlichem  Ungarisch  geschriebenen  Korrespondenzen  der  Ojener  Paschas 
(Band  i:  1553-89),  Budapest  1915. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  ^rj 

Zunächst  wähle  ich  die  4.  Urkunde  des  5.  Kapitels  (S.  52/53),  die  der  Herausgeber 
leider  mit  einer  falschen  Überschrift  ausstattet,  wenn  er  sagt:  »Betreff  Fertigstellung  und 
Vergoldung  des  von  Sejjid  Lokman  geschriebenen  Schahnames«.  Handelt  es  sich  doch  in 
ihr  gar  nicht  um  das  Schahname,  sondern  um  das  Hunername,  und  zwar,  was  von  besonde- 
rem Interesse  "ist,  um  das  viel  beachtete  Exemplar,  das  der  Münchener  Ausstellung  von 
Meisterwerken  muhammedanischer  Kunst  19 10  aus  der  kaiserl.  Jyldyz-Bibliothek  zu  Kon- 
stantinopel überlassen  wurde;  im  Katalog  der  Ausstellung  findet  man  unter  Nr.  866  eine 
kurze,  nicht  ganz  korrekte  Beschreibung.  Vgl.  v.  Karabacek, 'Zwr  orientalischen  Alter- 
tumskunde IV  S.  loi  ff.  und  das  Verzeichnis  der  orientalischeji  Ha7idschriften  der  k.  Hof- 
utid  Staatsbibliothek  zu  München  (i,  4),  München  1871;,  S.  25,  Nr.  87. 

Die  Urkunde  lautet  in  deutscher  Übersetzung: 

»An  den  Schahnamerezitator  Sejjid  Lokman  von  den  Müteferrika')  meines  erhabenen 
Hofes  ergeht  folgende  Weisung: 

Du  2)  hast  einen  Brief  gesandt:  Da  der  verstorbene  Schahnamerczitator  Piaton  die  auf 
die  Denkwürdigkeiten  der  Jagd  und  andere  Vergnügungen  bezüglichen  Geschicklichkeiten 
des  im  Paradiese  wohnenden  seligen  Sultans  Sülejman  Chan  —  über  ihm  Erbarmen  und 
göttliches  Wohlgefallen  —  zu  seiner  gesegneten  Zeit  in  10  Kapiteln  in  Poesie  und  Prosa 
beschrieben,  aber  nicht  zum  Abschluß  gebracht  hat,  ergeht,  weil  er,  nachdem  3  Kapitel 
geschrieben  waren,  starb  und  es  unvollendet  blieb,  jetzt  mein  Befehl,  es  fertigzustellen. 
Bei  dem  Beginnen  erscheint  es,  da  in  den  drei  von  dem  erwähnten  Versto.benen  geschriebe- 
nen Kapiteln  zahlreiche  der  Korrektur  und  Veränderung  bedürftige  Verse  und  Anekdoten 
vorkommen,  nicht  angemessen,  sie  in  ihrer  Fassung  zu  belassen.  Du  hast  mir  mitgeteilt, 
daß  die  Vergoldung  und  Komposition  Aufwand  erheischt  und  falls  das  hinfort  Geschriebene 
in  gleicher  Weise  ausgeführt  würde,  sich  mit  Notwendigkeit  viel  Kosten  ergeben  würden, 
weshalb  es  besser  wäre,  es  würde  mit  Ta'liqschrift  einfach  auf  goldumrahmtem  3)  Papier 
geschrieben.  Da  es  nunmehr  angemessen  erscheint,  daß  die  korrekturbedürftigen  Stellen 
dieser  genannten  drei  Kapitel  korrigiert  werden  und  der  Rest  von  einem  Fachmanne  nach- 
geprüft, in  korrekter  Form  geschrieben  und  vervollständigt  und  ohne  daß  für  die  Vergol- 
dung viel  Ausgaben'  erwachsen,  klar  mit  Ta'liqschrift  geschrieben  werde,  ordne  ich  an, 
daß  du,  wenn  [mein  Schreiben]  anlangt,  ohne  Verzögerung,  nachdem  von  den  Sach- 
verständigen der  Tatbestand  berichtet  ist,  das  genannte  Hunername  in  korrekter  Form  mit 
Ta'liqschrift  schreibst  und  vergoldest,  ohne  viel  Kosten  zu  verursachen. 

Am  22.  Schewäl  985«  [=  4.  Januar  1578]. 

Nach  dem  Datum  hat  also  Murad  HI.  (1574— 1595)  die  Arbeit  am  Hunername  des 
großen  Soliman  mit  beschränkten  Mitteln  1578  wieder  aufnehmen  lassen.  Sie  wäre  nach 
dem  oben  genannten  Verzeichnis  der  orientalischen  Handschriften  zu  München,  da  die 
dortige  Kopie  das  Chronostichon  des  Orignals  wohl  korrekt  überliefert  haben  wird,  erst 
im  Jahre  996  h=  1588  zum  Abschluß  gekommen,  trotz  der  von  allerhöchster  Stelle  ange- 
ordneten unverzüglichen  Inangriffnahme.  Die  Urkunde  zeigt,'  daß  selbst  zur  Zeit  des 
höchsten  Glanzes  osmanischer  Macht  ein  Sultan  sogar  bei  Liebhabereien  nicht  ohne  Kon- 
trolle das  Geld  mit  vollen  Händen  spendete,  sondern  die  Ausgaben  kontrollierte  und  sich 
durch  Sparsamkeitsrücksichten  bestimmen  ließ.  Interessant  ist  ferner,  daß  unter  den 
Müteferrika,  die  den  Suhan  auf  Reisen  zu  begleiten  pflegten,  ein  Schahnamerczitator 
ständig  vertreten  gewesen  zu  sein  scheint. 


')  Vgl.  Zinkeisen,   Geschichte  des  osmanischen  'Reiches  \\\  S.  181. 
^)  Das  Folgende  lehrt,  daß  so  zu  übersetzen  ist. 

3)  Das  scheint  hier  zer-ejschdn  zu  bedeuten,  denn  der  Münchencr  Ausslcllunijskat;iliig 
spricht  a.a.O.  von  »goldumrahmtem  Textgrund«. 


I  7* 


2^2  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

Ausdemö.Buch  teile  ich  zunächst  die  3.  Urkunde  (S.  85),  eine  baupolizeiliche  Vor- 
schrift, mit: 

»An  den  Kazi  zu  Stambul  ergeht  die  Weisung  folgendermaßen: 

Zuvor  ist  mein  e  habener  Befehl  gesandt  und  ein  Ferman  erlassen  worden  des  Inhalts, 
(laß  du  die  auf  die  Straße  hinausgehenden  Balkons  (schahnischin)  und  Holzvorbauten 
(tschardak)  und  errichteten  Läden,  welche  die  Passage  1  eengen,  mit  Kenntnis  meines 
Hofarchitekten  Sinan  —  er  nehme  zu  an  Ruhm  —  beseitigst.  Jetzt  wird  mein  erhabener 
Befehl  in  seinem  vollen  Umfang  aufrechterhalten.  Ich  befehle,  daß  du  bei  Empfang  dich 
dieser  .Sache  mit  ganzem  Eifer  annimmst  und  demgemäß  die  auf  die  Straße  hinauslührenden 
Balkons,  errichteten  Holzvorbauten  und  angebauten  Läden,  welche  die  Passage  beengen, 
laut  meinem  früheren  Befehl  mit  Kenntnis  des  Genannten  entfernst  und  beseitigst.  (Wird 
dem  Hofarchitekten  zugestellt.) 

Am  20.  Zi'1-ka'de  975«=  17.  Mai  1568. 

Aus  demselben  Buch  lasse  ich  die  13.  Urkunde  (S.  94)  folgen: 

»An  den  Kazi  von  Stambul  und  den  Janitscharen-Aga  ergeht  die  Weisung: 

Die  Müllmänner  (mezbeledschi),  welche  den  Müll  von  den  Staatsgebäuden  fortzu- 
schaffen bestimmt  sind,  haben  ein  Gesuch  eingereicht  und  berichtet,  daß,  während  sie  den 
Müll  der  alten  und  neuen  Kasernen  der  Janilscharen  meines  erhabenen  Hofes  sowie  der 
Kasernen  der  'Adschemoglans  und  Sekbane  am  Strande  bei  Kapukapudschiler  in  der  Nähe 
von  Langa  (Vlanga)  auszuschütten  pflegten,  sie  nunmehr  außerhalb  Jeni  Kapu  Müll  auszu- 
schütten gehindert  würden.  Deshalb  sollen  sie  an  der  Stelle,  wo  sie  von  alters  her  den  Müll 
auszuschütten  pflegten,  in  der  bisherigen  Weise  ihre  Arbeit  verrichten  und  du  sollst  nicht 
gestatten,  daß  jemand  im  Widerspruch  dazu  verfahren  läßt.  (Das  Gesuch  wurde  dem  Über 
bringer  übergeben.) 

In  der  ersten  Dekade  des  Redscheb  993.« 

Das  Datum  entspricht  Juni/Juli  1585.  Jeni  Kapu  hegt  unweit  Vlanga  Bostany  am 
Marmarameer;  das  in  der  Nähe  zu  suchende  Kapu  Kapudschiler  finde  ich  auf  den  mir 
zugänglichen  Plänen  nicht  angegeben. 

Als  4.  Urkunde  lasse  ich  Nr.  14  des  8.  Kapitels  (S.  120/1),  von  Herrn  Refik  bereits 
im  37.  Heft  des  Ta'rich-i-'osmani  endschümeni  veröffentlicht,  in  deutscher  Übersetzung 
folgen: 

»An  den  Kazi  von  Skutari  ergeht  die  Weisung  folgendermaßen: 

Du  hast  berichtet,  daß  bereits  früher  meine  erhabene  Weisung  übersandt  und  befohlen 
wurde,  daß  die  deiner  Gerichtsbarkeit  unterstehenden  Dörfer  ihre  Trauben  pressen  und 
Turschu  und  Pekmez  herstellen  sollen.  Du  hast  nunmehr  gemeldet,  daß  meinem  erhabenen 
Befehl  zuwider  die  Bewohner  der  Dörfer  Maltepe,  Kartal  und  Daridsche  die  aus  ihren 
Weinbergen  erzielten  Trauben  nicht  zu  Turschu  und  Pekmez  verarbeitet,  sondern  Trauben- 
saft hergestellt  und  in  Fässer  gefüllt  haben.  Demnach  wird  mein  erhabener  Befehl,  wie  er 
war,  aufrechterhalten.  Ich  ordne  an,  daß  du  dich  persönlich  zu  ihnen  begibst,  und  falls 
die  Bewohner  der  Dörfer,  wie  sie  oben  genannt  wurden,  die  Trauben  gepreßt,  Traubensaft 
hergestellt  und  in  Fässer  gefüllt  haben,  in  ihre  Fässer  Staub  (Salz?)  tust,  Essig  daraus 
machst  und  dich  später  wiederum  davon  überzeugst.  Wenn  es  Essig  geworden,  sollst  du 
es  lassen,  wie  es  ist ;  was  nicht  dazu  geworden  ist,  sollst  du  ausgießen.  Künftig  sollst  du 
etwas,  was  meinem  Befehl  zuwiderläuft,  nicht  geschehen  lassen. 

Am  12,  Rebi'  I  973.« 

Nach  dem  Datum,  das  dem  8.  Oktober  1565  christlicher  Zeitrechnung  entspricht, 
ging  der  Befehl  noch  vom  großen  Soliman  aus,  der  hinsichtlich  des  Weinverbots  auch  gegen 
sich  selbst  strenger  als  sein  Nachfolger  war.  Die  drei  genannten  Ortschaften  liegen  in 
nächster  Nähe  des  Marmaramecres  südöstlieh  von  Skutari.   Unter  »Turschu«  versteht  man 


Kleine  Mitteilunfren  und  Anzeigen.  -^3 

sauer')  Eingelegtes,  unter  »Pekmez«  eingekochten  Most.  Auffallend  bleibt  die  Behand- 
lung des  Weins.  Das  Zuschütten  von  Salz  (tttz)  wäre  meines  Wissens  nicht  gerade  geeignet, 
den  Wein  in  Essig  zu  verwandeln.  Demnach  dürfte  Staub  (toz)  gemeint  sein.  Das  Ver- 
fahren sollte  wohl  einen  Denaturierungsprozeß  darstellen.  Nur  im  Falle  dieses  versagte, 
sollten  die  Vorräte  geopfert  werden. 

Als  letzte  Probe  wähle  ich  die  9.  Urkunde  des  9.  Kapitels  (S.  150/1),  die  Herr  Refik 
gleichfalls  bereits  im  37.  Heft  des  Ta'rich-i-'osmani endschümeni  S.  29/30  veröfTentlicht  hatte: 

»An  den  Kazi  von  Stambul  ergeht  die  Weisung  folgendermaßen: 

Da  die  Käufer  sich  beschweren,  daß  die  Mattenflechter,  welche  in  der  erwähnten 
HauDtstadt  sich  zurzeit  befinden,  quantitativ  -)  und  qualitativ  nicht  so  gute  Ware,  wie 
von  alters  her  gebräuchlich,  herstellen  und  den  Preis  noch  steigern,  so  ordne  ich  an,  daß 
bei  Eintreffen  (meines  Schreibens)  diese  Angelegenheit  unter  Aufsicht  der  Sachverständigen 
und  des  Rats  (medschlis)  der  genannten  Hauptstadt  geprüft  werde,  wie  groß  vordem  die 
Länge  sowie  Breite  jeder  Mattensorte  und  zu  welchem  Preise  jede  Art  verkauft  wurde  und 
daß,  sollten  sie  demgemäß  im  Gegensatz  zu  dem  vordem  üblichen  an  Länge  und  Breite 
zurückgegangen  und  im  Preise  gestiegen  sein,  man  das  untersage  und  zurückweise  und  für 
jedes  den  Preis,  in  dem  es  vordem  stand,  bestimme  und  Länge  und  Breite  feststelle  und  dem- 
gemäß in  das  Protokall  eintrage;  nach  diesem  haben  sie  sich  zu  richten.  Ihre  in  Widerspruch 
dazu  stehenden  Praktiken  sollst  du,  worin  sie  abweichen,  untersagen  und,  was  nicht 
geschieht,  zur  Anzeige  bringen,  damit  man  zur  Strafe  schreitet. 

Am  7.  Schewäl  973.« 

Da  das  Datum  dem  28.  April  1566  entspricht,  stammt  auch  diese  Urkunde  noch  aus 
der  Zeit  des  großen  Soliman.  Der  Schluß  scheint,  wenn  richtig  gelesen,  schlecht  stiHsiert. 

Georg    Jacob. 


Großwardein,  eine  selbständige  türkische  Provinz. 

1541  schuf  Soliman  die  ungarische  Provinz  Budin  (Ofen),  die  er  einem  Bejlerbej 
zunächst  mit  sehr  weitgehenden  Vollmachten  unterstellte.  Nach  der  Eroberung  Temesvars 
im  Jahre  1552  kam  ein  zweites  ungarisches  Bejlerbejlik  Temeschvar  hinzu.  1596  wurde 
Erlau  (Egri)  und  1600  Kaniza  von  den  Türken  genommen;  beide  Städte  erscheinen  im 
2.  Jahrzehnt  des  17.  Jahrhunderts  als  Hauptstädte  selbständiger  Provinzen.  Man  hat 
bisher  wohl  allgemein  angenommen,  daß  weitere  Provinzen  (Ejalete)  aus  dem  eigentlichen 
Ungarn  nie  gebildet  wurden.  Salamon,  der  in  seinem  Werk  Ungarn  im  Zeitalter  der  Türken- 
herrschaft (Leipzig  1887)  S.  235  iT.  eingehend  über  die  Verwaltungseinteilung  handelt, 
spricht  zwar  von  5  Statthalterschaften,  aber  er  nennt  als  fünfte:  Bosnien. 

Mir  war  es  nun  schon  längst  höchst  auffallend,  daß  E  vlija  im  6.  Bande  seines  Reise- 
werks S.  228  Z.  I  Varat  _b|  I,  ausdrücklich   als   Ejalet  bezeichnet.    Varat   oder   Varad 

J  ^ 
d.  i.   Großwardein,   ungarisch  Nagyvärad   (nicht   zu   verwechseln   mit   Varadin  =  Peter- 

wardein)  wurde  1660  erobert  und  gehörte  bis  169 1  zum  osmanischen  Reich.  Ein  Irrtum 
Evlijas  war  mir  hier,  da  er  bald  nach  der  Eroberung  Großwardeins  nach  Ungarn  kam 
und  dort  die  besten  Beziehungen  hatte,  nicht  sehr  wahrscheinlich. 

Neuerdings  fand  ich  nun  die  Bestätigung  für  Evlijas  Angabe  in    einer  Göttinger 


»)  Man  sagt  chijar  turschusii.  (sauere  Gurke),  lahana  tic-rschusu  (Sauerkohl),  bibcr 
iurschusu  (eingelegte  Paprika). 

-)  genauer:  was  Länge  und  Breite  anlangt 


2CA  Kleine  Mitteiluni;en  und  Anzeigen. 

Urkunde.  Herr  Pfarrer  Koppel  in  Bremen  hatte  mehrere  Urkunden  aus  dem  Göttinger 
Codex  Türe.  29,  mit  dem  er  sich  beschäftigt,  für  das  Orientahsche  Seminar  in  Kiel  photo- 
graphieren  lassen.  In  einem  Schreiben  des  Großvezirs  a  i  den  Fürsten  von  Siebenbürgen 
Michael  I.  Apafi  (1662—90)  vom  28.  April  1665  (daselbst  Bl.  i6ob)  ist  offenbar  von  Ver- 
hältnissen die  Rede,  die  mit  Bildung  des  neuen  Ejalets  zum  Teil  auf  Kosten  Siebenbürgens 
zusammenhängen,  und  Z.  8/9  lesen  wir  ausdrücklich  B^^'jJcJ^t  -J->^'  ^^  <^3  '^^^^} 
»hei  Aufnahme  des  Ejalets  Großwardein«. 

Herr  Dr.  Björkman  macht  mich  darauf  aufmerksam,  daß  von  den  von  Karacson 
in  Konstantinopeler  Archiven  gesammelten  und  in  ungarischer  Übersetzung  Budapest  1914 
veröffentlichten  Urkunden,  die  mir  leider  bisher  nicht  zugänglich  waren,  Nr.  295  aus 
dem  Jahr  1677  an  den  Bejlerbej  von  Großwardein  gerichtet  ist  und  Nr.  322  im  Jahre 
1692  Ali  Pascha  als  Bejlerbej  von  Großwardein  erwähnt.  Die  Publikation  führt  den 
Titel :   Török-niagyar  oklevcltdr  1333 — J  j^g. 

Somit  werden  wir  in  Zukunft  von  einer  Fünfzahl  der  ungarischen  Ejalete  zu  sprechen 

haben.  Georg    Jacob. 

Bemerkungen  zum  heutigen  Osmanisch-Türkischen  im  Anschluß  an 
Dr.  Gotthold  Weil's  Grammatik  der  osmanisch-türkischen  Sprache. 

Unter  der  Fülle  von  türkischen  Grammatiken,  die  uns  der  Krieg  gebracht  hat,  wa 
bisher  keine  einzige  zu  nennen,  die  unsere  Kenntnis  des  Türkischen  wirklich  geförder^ 
hätte.  Sie  sind  meistenteils  aus  älteren  abgesclirieben  und  bieten  diese  teilweise  sogar 
noch  in  verschlechtertem  Auszug.  Man  mußte  schon  zufrieden  sein,  wenn  sie  für  den 
Anfänger  das  Material  in  pädagogischer  Beziehung  in  besserer  Ordnung  gaben  imd  in 
der  Auswahl  der  Lesestücke  und  Übungssätze  nicht  zu  sehr  vorbeigrifTen.  In  wissen- 
schaftlicher Beziehung  sind  alle  diese  Erscheinungen  wertlos.  Eine  Ausnahme  machen 
nur  die  Veröffentlichungen  jACOn's. 

Anders  steht  es  mit  der  soeben  erschienenen  Grammatik  der  osmattisch-türkischen 
Sprache  von  Dr.^GorraoLD  Weil  (erschien  als  i.  Band  ditx  Sammhmg  türkischer  Lehr- 
bücher Jür  den  Gebrauch  im  Seminar  für   Orientalische  Sprachen  zu  Berlin),  Berlin  19 17. 
Es    ist    eine   tüchtige,    solide  Arbeit,    die    in    systematischer    Form    die    osmanische 
Schriftsprache  beh.andelt,  und  zwar  in  so  eingehender  Weise,  daß  sie  für  denjenigen,  der 
über    die    allgemeinen  Anfangsgründe   hinaus  sich  wirklich  in  diese  Sprache  einarbeiten 
will,  auf  Jahre  hinaus  als  Nachschlagewerk  dienen  kann.     Es  ist  eine  Leistung,    zu  der 
man  dem  Verfasser  Glück  wünschen  kann.     Das  Buch   enthält  eine  Menge  neuer  Beob- 
achtungen   und    eine  Fülle    von  Tatsachen,  die  sich  hier  zum  ersten  Male  gedruckt  finden. 
Wenn    ich    im   folgenden    auf    Grund    einer   jalirzehntelangen    Beschäftigung    und 
einer    längeren    Lehrpraxis,     als    sie    der    Verfasser    hat,    verschiedene    Ausstellungen    zu 
machen   habe,     so    soll    dadurch    sein  Verdienst   nicht   geschmälert   werden.      Das  Tür- 
kische   ist  nun    einmal    eine    äußerst    schwierige  Sprache,    die   bei  dem  Mangel  an  aus- 
reichenden Vorarbeiten  nur  in  jahrelanger  mühseliger  Arbeit  wirklich  erlernt  werden  kann. 
Da    ich    die  Absicht   habe,    das    türkische  Vcrbum  in  einer  Monographie  genauer 
zu  behandeln,    so    werde    ich  hier  auf  diesen  Teil  der  WElL'schen  Arbeit  nicht  genauer 
eingehen.     Für  diesmal  beabsichtige  ich  in  erster  Linie  Bemerkungen  zu  der  Aussprache 
zu   geben.     Es  ist  das  ja  ein  sehr  unsicheres  Gebiet.     Eine  feste  Norm,  wie  sie  bei  uns 
durch   die  Bühnenaussprache  gegeben  ist,  existiert  in  der  Türkei  nicht.     Der  Ausländer, 
der   nicht    die  Gelegenheit    gehabt   hat,    mit  sehr  vielen  Osmanen  der  gebildeten  Kreise 
zu    verkehren    und    so    die  Aussprache,    die   als    die    richtige  gilt,   zu  erlernen,  ist  daher 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  2SS 

leicht  geneigt,  eine  Aussprache,  die  er  von  seinem  Gewährsmann  gehört  hat,  zu  verall- 
g'emeinern  und  als  Norm  hinzustellen.  Das  trifft  sicherlich  auch  bei  Weil  zu.  In  den 
meisten  Fällen  wird  die  Verantwortung  für  die  Aussprache  und  für  manche  Absonder- 
lichkeiten wohl  Herrn  stud.  med.  K,  Bedri  zufallen.  Weil's  Ausspracheangabe  kann  auf 
durchaus  richtiger  Beobachtung  beruhen,  nur  ist  sie  nicht  die  in  Stambul  in  guten  Kreisen 
gebräuchliche.  Meine  Abweichungen  sind  das  Resultat  vieler  Nachfragen  und  Beob- 
achtungen in  diesen  Kreisen.  Ich  hoffe,  daß  sie  jedem  Benutzer  des  WElL'schen  Buches 
von  Nutzen  sein  werden'). 

Nun  zunächst  einige  allgemeine  Bemerkungen. 

Die  allgemein-sprachwissenschaftlichen  und  phonetischen  Kenntnisse  des  Verfassers 
sind  nicht  bedeutend.  Das  sieht  man  aus  seinen  Ausführungen  in  der  Einleitung,  in 
der  vieles  Schiefe  steht.  Über  ural-altaisch  und  agglutinierend  hat  man  heute  in  der 
Wissenschaft  doch  ganz  andere  Anschauungen  als  die  ältere  Sprachwissenschaft,  deren 
Auffassungen  zwar  noch  heute  in  populären  Darstellungen  herrschen  und  auch  von  Weil 
als  Tatsachen  hingenommen  werden.  Die  beiden  Begriffe  sollte  man,  wenigstens  wenn 
man  nicht  genauer  darauf  einzugehen  geneigt  ist,  in  wissenschaftlichen  Werken  für  An- 
fänger vermeiden.  Mit  Recht  hat  schon  v.  d.  Gabelentz  die  agglutinierende  Sprachen- 
klasse eine  Rumpelkammer  der  Sprachwissenschaft  genannt. 

Ich  werde  nun  im  folgenden  meine  Bemerkungen  in  der  Reihenfolge  der  einzelnen 
Paragraphen  des  WEii/schen  Buches  geben. 

§  I — 4.  Über  den  Akzent  im  Türkischen  haben  wir  bis  heute  noch  keine  wissen- 
schaftliche Arbeit.  Die  Auseinandersetzungen  Radloff's  in  seiner  Phonetik  der  nörd- 
lichen Türksprachen  S.  97,  ebenso  die  Pröhle's:  Zur  Frage  des  Woriakzents  im  Os- 
manisch-Türkischen.     Keleti  Szemle  Bd.  XII  sind  dilettantenhaft. 

Der  Unterschied  zwischen  Druck  und  Ton,  oder  exspiratorischem  und  musikalischem 
Akzent,  ist  von  Weil  nicht  erkannt.  Bisweilen  hat  er  das  Richtige  herausgefühlt,  wie 
seine  Ausführungen  in  §  i  u.  3  zeigen,  aber  doch  nicht  genau  erfaßt.  Seine  Angabe, 
daß  wäll  den  Akzent  auf  der  vorletzten  Silbe  habe,  ist  irreführend.  Es  handelt  sich 
hier  durchaus  um  den  Ton  und  nicht  um  den  Druck.  Der  gleiche  Ton  gilt  auch  für 
\iLr>,  0^.>Lj  und  eine  Reihe  anderer  Wörter.     Dagegen  hat  er  gerade  die  Wörter,  die 

den  Druck  auf  der  ersten  Silbe  haben,  wie  z.  B.  dnnä    Ljl    und  viele  andere  ausgelassen. 

Genauer  hierauf  einzugehen  würde  zu  weit  führen.  Es  wäre  dringend  zu  wünschen, 
daß  der  türkische  Akzent  einmal  in  einer  Untersuchung  behandelt  würde. 

In  §  5  hätte  ein  Verweis  auf  §  12  {Tnä,  ctnämäk)  und  §  16,  11  Anm.  2  u.  3  sowie 
auf  §  21,  2  stehen  sollen,  ebenso  bei  §  7  unter  ö  auf  §  21,  3  Absatz  2,  wo  als  Beispiel 
für  0  ti'obct  hätte  angeführt  werden  können.  Außerdem  hat  Weil  das  gedehnte  7  ver- 
gessen, das  durch  Zusammenziehung  des  Suffixes  ^^  mit  iXjS  entsteht,  z.  B.  iX.\p-^:>-y:^ 
{cogugllä),  das  immer  den  Ton  hat.  Während  dieses  T,  wie  das  Beispiel  zeigt,  nicht 
der  Vokalhajrmonie  unterworfen  ist,  hört  man  jetzt  auch  schon  derartige  Wörter  mit 
Vokalharmonie  gesprochen  also  cogugula. 

§  6.     Die  phonetischen  Auseinandersetzungen  stecken  wieder  voller  Irrtümer.     Bc- 


I)  Während  des  Druckes  erhalte  ich  Bd.  72  Heft  1/2  der  ZDMG,  in  der  mein 
Kollege  Prof.  Dr.  Bergsträsser  gleichfalls  eine  Besprechung  der  WEiL'schen  Gram- 
matik und  eine  Abhandlung :  Zur  Fkonctik  des  Türkischen  nach  gebildeter  Konstanli- 
noplcr  Aussprache  veröffentlicht.  Ich  freue  mich  feststellen  zu  können,  daß  in  den 
meisten  Fällen  seine  Beobachtungen  sich  mit  den  meinigen  decken  und,  verweise  auf 
diese  beiden  Abhandlungen. 


->-^  Kleine  Mitteilungen  und   Anzeigen. 

kanntlich  werden  auch  die  hellen  Vokale,  wenn  man  diese  Bczeichnun','  anwenden  will, 
nicht  mit  der  Zungenspitze  sondern  mit  dorsaler  Hebung  der  Zunge  gebildet.  Was  soll 
die  Bemerkung  »mit  so  weit  wie  möglich  geöffnetem  Munde«  besagen:  Bei  o  und  « 
wird  der  Mund  gerade  so  weit  geöffnet  wie  bei  ö  und  it. 

§  8.  Gegen  die  sehr  richtige  Regel,  daß  die  nominale  Bildungssilbe  kl  nicht 
der  Vokalharmonie  unterworfen  ist,  fehlt  der  Verfasser  ständig  bei  der  Aussprachebezeich- 
nung von  J^'^f  das  auch  hierher  gehört.  Es  wird  heute  nur  hangi  ausgesprochen. 
Der  Vorgang  ist  ein  durchaus  osmanischer  und  findet  sich  weder  in  den  älteren  noch 
neuen  Dialekten. 

§  9  ist  sehr  allgemein  gehalten  und  kann    viel    schärfer   gefaßt  werden.     Es  hätte 
sich  empfohlen,  auf  §  21   hinzuweisen.    Am  besten  wäre  es  gewesen,  die  §§  zusammen- 
zuarbeiten.     Natürlich  ist  es  sehr  schwer,  allgemein  gültige  Regeln  zu  geben.    Es  finden 
sich  viele  Abweichungen,  und  man  kann    versrhiedene  Aussprachen  hören.     Sehr  häufig 
sprechen  sogar  die  einzelnen  Individuen  dasselbe  Wort  verschieden  aus.    Aber  als  Haupt- 
grundsatz   für   die  Vokalharmonie    der    arabischen  und  persischen  Wörter,  wie  sie  heute 
in  den  gebildeten  Kreisen  Konstantinopels  ausgesprochen  werden,  kann  aufgestellt  werden, 
wie  auch  Weil  §  21   tut,  daß  lücr   die  Vokalharmonie  nicht  durch  die  Vokale,  sondern 
durch    die  Konsonanten    bestimmt  —  besser    gesagt  —  aufgehoben    wird.      Silben   mit 
arabischen    emphatischen    und    gutturalen   Konsonanten    erhalten    dumpfe    —    um  Weil's 
Bezeichnung  zu  gebrauchen  ^  und  Silben  mit  anderen  Konsonanten  helle  Vokale.    Das 
gilt   auch    für    die    arabischen  Endungen.     Aber    die    türkischen  Endungen    sind  dumpf, 
wenn  die  vorhergehende  Silbe  einen  dumpfen  Vokal  hat,  und  hell,  wenn  sie  einen  hellen 
hat.    Es  heißt  also  akwäm,  aber  älfäz,  husüsT,  wenn  das    ^    arabische  Endung  ist,  aber 
hususu,  wenn  es  das  türkische  Suffix  ist,  also  hususunda.    Ebenso  wird  hassa  ^«-oL>^ 
gesprochen.     Dagegen  unregelmäßig      jC^SLii-    hasseki.     Bei   den    auf    0    auslautenden 
arabischen    Wörtern    bewirkt    das    i3    Palatalisierung    auch    in    türkischen    Endungen    bei 
vorgehendem  dumpfen  Vokale,  z.  B.  haldä,    »lXaaIs    ^albindä    (wohl     im    Gegensatz    zu 
i^LJJ).       Aber  bei  den  Wörtern,  die  schon  als  türkische  gefühlt  werden  und  die  das  / 
n  l  verwandelt  haben,  treten  die  dumpfen  Vokale  ein,  also  asV(.   jasU,  iisulu.     Ebenso 
pflegt   vorausgehendes    «  Vokaiharmonie    zu    bewirken,    auch    wenn    das    /   nicht  l  wird 
oder  nicht  gutturale  und  nicht  emphatische  Konsonanten  dazwischen  stehen,  z.  B.    ^_yo^ 
{vusulu)    icöj.^^    (viigudu)    »^>3    {vügudd).     Die  Endung    ^    in  den  Epitheta  der 
Rangstufen  wie      ^Jlx5».lix:.       JUx.:-c  wird  In  ausgesprochen  und  auch  _J    geschrieben. 
Hervorzuheben   ist,    daß    auch    das  /  der    Izafe  lieute   meistens    wie  eine  türkische 
Endung  behandelt  wird.     Also    \xsLiJLj    J:?^lii»    hututu  tälgrafijä.     Diese  Ansprache 
ist    heute    bei  Gebildeten    durchaus  die  gebräuchliche,    wenn  auch  bisweilen  von  Schul- 
grammatikern davon    abgewichen  wird.     Da  der  Neuosmanismus  die  Izafebildungen  auf 
den  Index  gesetzt  hat,  so  werden  sie  bald  aussterben. 

Wie  schon  gesagt,  gelten  diese  Regeln  nur  für  Wörter,  die  noch  als  Fremdwörter 

gefühlt  werden,  die  anderen,  wie  z.  B.  \xi^-  {Jiisse),  gelten  als  türkische  und  haben  die 
Vokaiharmonie.  In  vielen  Fällen  ist  der  Sprachgebrauch  schwankend,  aber  im  allge- 
meinen wird  nach  diesen  Regeln  verfahren. 

§  II.  Die  Fassung  ist  nicht  richtig,  in  der  guten  Konstantinopler  Aussprache 
gilt  heute  durchaus  die  Regel,  daß  nach  0  und  «,  sowie  ö  und  ii  Labialattraktion  (nach 
Radloff's  Bezeichnung)  eintritt.  Es  heißt  nur  günil,  ücüngiisü,  ebenso  nur  kapusu  oder, 
was   noch  als   gewählter  gilt,    kaphi,    ebenso  nur  olur,  bulumir  usw.     Damit  soll  nicht 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  2^7 

gesagt  sein,  daß  die  andere  Aussprache  nicht  auch  zu  hören  ist.  Es  sind  das  aber 
Nuancen,   die  nicht  dem  Konstantinopler  Dialekt  entprechen. 

o    ^  o  o    > 

§  13,   2.     Hierunter   fallen  alle  Wörter  der  Form    Xx.s,    JsJiS.    Joir,  die,  wenn  sie 

ohne  Endungen  und  ohne  dW^^jl  stehen,  den  Hilfsvokal  annehmen,  der  unter  Um- 
ständen ein  71  sein  kann,  z.  B.  ^^ä  kuhuh,  J^Xi  sugtel.  Nur  wenn  der  mittlere  Kon- 
sonant ein  r,  l,  m,  n,  s,  s  oder  h  ist,  wird  kein  Hilfsvokal  eingeschoben,  z.  B.  JjJl3- 
Ijalt,  w*-Li  kalp,  C>to.5  farz,  ,jJ.i  fart  oder  fürt,  •  .;  fark  (auch /ä;-/;).  o^aj 
samt,  jAj  rämz  (aber  ^fij  rämü  wegen  der  beiden  aufeinanderfolgenden  Licjuiden), 
v_.A.Ä>    gämp,    kX^>    gäht,    si>.iJ    buht,    ^j,.wJ    hast,    viLcIX/i    w^Ji/t  usw.     Wenn  er  ein 

c    ist,  so  wird  der  Vokal  gedehnt,  z.  B*  »Ac»   j'«i'.  Ist  der  letzte  Konsonant  ein  c     wird 

.  .  .       ^ 

er  meistens  gar  nicht  gesprochen,   z.  B.    c  -5  /«>',    «-Ä^    man,    %3 .    ruf,    5.Sv3    ^/(t/".     In 

einzelnen  Wörtern  tritt  aber  ein  Vokal  ein,  z.  B.  ^•«..:^  gämi,  c_j.j  «ffz//.  Der  Hilfs- 
vokal geht  aber  in  allen  Wörtern  verloren,  wenn  sie  mit  A*Äji  verbunden  werden,  das 
sich    ihnen    ohne    Kehlkopfverschluß     eng    anschließt,    z.    B.    *iV>#J>iji      •  .5    gespr.  far- 

kätviäk,  iiWCj!  lAc^  vä-dlihnäk,  lik^Äjl  «..».q:-  gä-mätfulik.  Von  «,:<Vi  ist  die  Aussprache 
merkwürdigerweise  nahiv. 

Alle  diese  Angaben  gelten  natürlich  nur  für  Wörter,  die  wirklich  in  der  gespro- 
chenen Sprache  gebraucht  werden.  Für  solche,  die  nur  in  der  Schriftsprache  vorkommen, 
gibt  es  keine  feste  Regel. 

§  15,  Die  »stark  gutturale«  Aussprache  des  k,  g  und  Ij  in  dumpfvokaligen  Wörtern 
gilt  wenigstens  für  die  Konstantinopler  Aussprache  nicht,  k  und  g  unterscheiden  sich 
kaum  in  dumpfvokaligen  Wörtern  von  k  und  g  in  hellvokaligen.  h  wird  nur  am  Anfange 
in  einigen  —  meist  onomatopoetischen  —  Wörtern  —  und  auch  nicht  durchgehend  — 
guttural  gesprochen,  meistens  vor  u,  t  und  ;-,  z.  B.  ^J:Jv,J.><,^>  htrlhl,  ...UxÄa«.J>. 
j*-^^"*^  (y^)y^'  T" jy^-i  "^^^  2Mc\\.  Oj-!>'  bartl,  sonst  wird  es  durchweg  wie 
deutsches  h  gesprochen '),  nur  ist  zu  bemerken,  daß  das  türkische  h  im  Silbenauslaut 
und  zwischen  zwei  Vokalen  nicht  wie  im  Deutschen  geschwächt  wird. 

Dagegen  ist  auf  die  verschiedene  Aussprache  des  /  und  l  zu  achten. 

§  16,  4  ^  im  Wortinnern  vor  stimmlosen  k,  f,  s  wird  zwar  häufig  zu  /,  aber  im 
allgemeinen  gilt  ävkäf  auch  heute  noch  besser  als  äjkäf  (die  Ungebildeten  sprechen 
sogar  älkaf),  ebenso  ^^Äxi^j  besser  tävkif  als  täfkJf.  Jedenfalls  wird  es  im  Wortaus- 
laut in  türkischen  Wörtern  nie  stimmlos,  z.  B.  nur  äv  nie  äf,  was  hätte  gesagt  werden 
können. 

§  16,  8  muß  statt  »fast«  stehen  »durchaus«. 

§  16,  II  Anm.  Zur  Aussprache  krus  und  kaliba  ist  zu  bemerken,  daß  das  Feinere 
immer  noch  ^«r?/i  und  ^ß//^« ist,  dagegen  wird    v_.-<.Jui;.    i.c».i-,    ^j^-^i    mit /i  gesprochen. 

§  16,  12  Anm,      0-J  Lwi    wird  sakirt  gesprochen,    dagegen  äjär  und  däjil  richtig. 

§   16,   14.       Heute    wird    ^    vor   d  und    t    fast  zu  s,  z.  B.  gäsdi,  isdi,  ebenso    _ 

vor  d  und  t  wie  j,  also    cu.f.Ä.>)    ijtimU. 

§  16,  19.  Es  hätte  sich  doch  empfohlen,  den  Unterschied  zwischen  /  und  l  in 
der   Umschrift   deutlich   zu    machen,    da    alle    die  Fremdwörter,  in  denen  /  in  gutturalen 


')  Wenn  es  nicht  zu  k  geworden  ist  wie  in    Oi.ä3»,  8.x4..>    usw. 


258  Kleine  Mitteilungen  und  An/cigen. 

Silbi-n  vnrkommt,   wie  unser  deutsches  /ausgesprochen  werden,  z.  1^.    (3»-*J  .    f\^.     So 

unterscheiden  sich  arab.  oi     die  Familie  und  die  List  von    jl    ul  rot,  rosa  und  Imperativ 

von  /  ^1^1.  Bei  ij.A  kommt  das  J  in  beiden  Aussprachen  vor.  Es  ist  hier  wohl  ein 
altes  türkisches  Wort,  das  auch  im  Mongolischen  vorkommt,  mit  dem  arabischen  /.usam- 
niengefalleii.  In  ursprünglich  arabischen  Wörtern,  die  als  türkische  gefühlt  werden, 
wird  /  gesprochen  z.  H./ iJ^i>.    Jwdi.    J.>o!,    ^La12S    i-X^s^,    nLci^A.^    usw. 

§  16,  20  Es  hätte  hinzugefügt  werden  können,  daß  das  Zungen-;-  nicht  zu  sehr 
vibriert  werden  darf.  Es  wird  mit  kurzem  Anschlag  gesprochen.  In  der  Umgangs- 
sprache   wird    es  besonders    vor   s,  s  und  i  und  ä  nicht  gesprochen     ^    J    l>tse    und 

\xiO    -J    bidäfa. 

§  16,  23  Anm.     Die  Aussprache  butijor  statt  buliijor  ist  wie  gesagt  nicht  richtig. 

§  17.  So  richtig  im  einzelnen  das  Gesagte  ist,  um  so  irreführender  ist  die  Be- 
merkung, daß  der  Türke  Doppelkonsonanz  nicht  liebe.  Im  Gegenteil  findet  sich  Doppel- 
konsonanz recht  häufig,  besonders  in  arabischen  Wörtern.  Auf  die  doppelte  genaue 
Aussprache  des  Konsonanten  ist  um  so  mehr  Gewicht  zu  legen,  als  wir  im  Deutschen 
gewohnt  sind,  Doppelkonsonanz  als  ein  Zeichen  der  Kürze  des  vorhergehenden  Vokals 
anzusehen.  Bisher  ist  dies  in  allen  unseren  Grammatiken  nicht  genug  betont  worden. 
Es  ist  also  deutlich  m'üd-dät^  gäd-dä,  jol-lamak  zu  sprechen.  Bei  einzelnen  Fremdwörtern 
wie    ij-^s>,    das    nur   hamal  ausgesj)rochen  wird,   ist  die  Doppelkonsonanz  gefallen. 

§  18.  Gegen  die  Ausführungen  über  den  Hilfsvokal  läßt  sich  sprachwissenschaft- 
lich natürlich  vieles  einwenden.  Da  das  Buch  jedoch  keine  sprachvergleichende  Arbeit 
sein  will,  so  ist  es  nicht  nötig,  darauf  einzugehen.  Die  Anm.  3  ist  falsch.  Es  kommt 
zwar    Ä.,5^vjiAÄi     vor,  aber  mit    i^    kann    ,  ciAä5^     ebensowenig  wie  die  Wörter,  welche 


j 


<:: 


das  Possessivsuffix  der  3.  Pers.  haben,  verbunden  werden.  Es  wird  zwar  :-^*iJÜ, 
aber  nie  j-w^.v,JwJ  oder  .:/*\Äav.JwJ  gesagt.  In  solchen  Fällen  muß  man  sagen  -**,LjÜ 
qXj"    /»iJ-J    oder    slXj-S>      ^jLjJ^4.J^t       ^^^JlJ. 

§  20.  Wkii.  hat  vergessen,  daß  die  emphatischen  arabischen  Laute  auch  in  der 
dumpfen  V'okalreihe  benutzt  werden.  Die  Angabe,  daß  sie  »fast  nur  in  arabischen 
Fremdwörtern  vorkommen«,  ist  daher  nicht  richtig.  Im  Gegenteil,  sie  wurden  in  der 
älteren  Orthographie  in  weitem  Im  fange  angewandt,  ähnlich  wie  in  den  Orchonin- 
schriften  die  Konsonanten  verschiedene  Formen  annehmen,  je  nachdem  sie  mit  hellen 
oder  dumpfen  Vokalen  auszusprechen  sind.  Da  aber  die  arabischen  emphatischen  Laute 
leider  nicht  ausreichen,  so  hat  die  neuere  Orthograpliie  immer  mehr  ihre  \'erwendung 
aufgegeben. 

§  20,  Anm.  2.  \Äij>  wird  dafa  oder  dafa  gesprochen  nie  mit  Verdoppelung. 
Ebenso  NxXi  {kalti  ohne  '  vgl.  4?  53,  i,  wo  statt  •»kuinkal'av.  »kiitiikalä«  zu  lesen  ist). 
im   Worte    ,.j)-X.*.«.ÄO    (samdän)  fällt  das   '  ganz   aus. 

§  36  I  ^J  wird  aucli  bisweilen  unserem  »und«  entsprechend  gebraucht,  z.  B. 
^iils^!  ^J^.-t'}'  groß  und  klein.  .Mlcrdings  hat  sich  dieser  Gebrauch,  der  in  den 
Orchoninschriften  und  in  den  Dialekten  häufig  ist,  nur  noch  in  einigen  Redensarten 
erhalten. 

§  46     ^  wird  jetzt  auch  ganz  allgemein  in  der  Umgangssprache  statt  ^j;  gebraucht 

bei  vl^  wC.5,  d^J,  ♦J-?-  und  *~a^^  also  äbesi  (sein  älterer  Bruder),  best,  hantms'i, 
Jütik  gättnst. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  2  59 

§  52.  Einige  Genitivendungen  werden  jetzt  als  ein  Wort  gefühlt  und  den,ent- 
sprechend  behandelt,  z.  B.  ^L\  ^^j,  daher  im  Dat.  ^^L^  ^^j  und  nicht  n>ehr  sA.}  j.-^, 
das  sich  nur  in  alteren  Texten  findet.  Ebenso  die  Zusammensetzungen  mit  ^iwJ,  z.  B. 
^^jyA,  ^X:..i^=^^j^,  cUe  im  Plur.  1^^^^:^,  J^.Ai  ^^J^-  ^'^  ^^^^^^^ 
von       .Xo.L\J    lautet     i^-X^J.     ,c4^    {'Q^     wird    heute    in    der    Umgangssprache 


j 


schon'^ielfach  als  ein  Wort  aufgefaßt  und  bildet  den  Plural  ^.Ujl5    J^H^. 

§  52    e.     Heute    kann    man   auch    bisweilen   nach    den    Lander-    und   Völkernamen 
bezeichnenden  Adjektiven    das  Suffixpronomen    auslassen.      Man   hört   sehr   häufig  z.  B. 

J^iJu/to       mIJ^.        Doch  ist  der  Gebrauch  nicht    allgemein  und  vom  Ausländer  besser 
>       ■  ^' 

zu  unterlassen.  1  .       " 

§  54.     Die  Angabe,    daß   Eigennamen   nicht  das  Possessivsufhx    erhalten   können, 

ist  falsch.     Man  kann  ebensogut-  wie    J>^>^    ^^^    auch    ^Jm-^S    usw.  sagen. 

§  54  Anm.  Abs.  3.  Über  die  Anwendung  des  Paschatitels  gilt  heute,  daß  er  nur 
für  Offiziere  des  Heeres  und  der  Marine,  vom  Generalmajor  an  aufwärts,  im  Gebrauch 
ist.  Die  Minister  sind  nicht  Pascha.  Nur  der  Großvezir  und  der  Kriegs-  und  Manne- 
„ünister  tragen  ihn.'   Die  übrigen  Minister  sind  ^>:^>>  l5^=^  ^^h   in. der  Anrede 

§  61,  Abs.  2.  Auch  das  deutsche  »derjenige  des«  wird  durch  ^i  übersetzt, 
z.  B.  ^.UxX^LjLj  diejenigen  meines  Vaters,  jAijj-i^  .^3  ^J.UXi^oU  ^.bUi  y. 
Diese  Bücher  sind  schöner  als  diejenigen  deines  Bruders. 

§  62  2.  Es  kommt  nicht  deutlich  zum  Ausdruck,  daß  die  deutschen  Casus  obliqui 
des  Prom.'pers.  der  ..  u.  2.  Person  immer  durch  die  entsprechenden  Formen  von 
,J^;i'  cJ^  v^JCLi"  ^OJ>S  übersetzt  werden  müssen,  wenn  sie  sich  auf  das  Subjekt 
beziehen,  z.  B.  ich  fragte  mich  ^O,^  ^AA^  ^cA^,  nie  L<..  Der  Deutsche 
verstößt  sehr  häufig  gegen  diese  Regel. 

§  66.  2  hätte  der  Turkizismus    ^p>    Mi^    usw.  »was  geht  es  mich  an;«   erwähnt 

werden  können. 

§  68,  I.     Wenn  ^-J    Zahlwort  ist,  wird  nicht  ^.^J^-J,    nur    ^c^.j    gebraucht. 

§68,2.     Die  Fassung  ist  ungenau.       xä^Xj,  ^..J^i.     ^-Xj^     sind  Adjektiva.     Sub- 
stantivisch heißt  ^-^Ä^  ein    anderer,  ^^^.!    .gesprochen  .W«)  der  andere.    Daher 
vvö^    J.5    ^.^^    ^^    die  nächste,  folgende    Seite,    Woche.     ^^oO    der    andere, 
c  jCjO    j    ein  anderer. 

§  68,  7  hätte  hinzugefügt  werden  können:  lij.J  ^.,j^J  dies  alles,  ebenso  außer  der 
Genitivverbindung  mit  ^Ur*  und  mIS  auch  \U^vJLJ.  x5u>^JLJ,  ^.  B.  ^J'^^' 
\JU.^'-J    und      i.M*.*.\j\    J>    alle   beide. 

§  73    NJlj    wird  ^auä  ausgesprochen. 

§  76  ^^Lj  wird  auch  adverbiell  gebraucht.  *j^Lj  heißt  nicht  »halb«,  sondern 
»ein  halb«.     Es    hätte    sich    empfohlen,  dies    hervorzuheben  und    hinzuzufügen,    daß    es 

immer  ohne     -i   steht. 

§  78.     Es  hätte  hervorgehoben  werden  können,  daß  die  Distributivzahl  immer  an- 
zuwenden ist,  wenn  der  Sinn  distributiv  ist.     Der  Deutsche  m^ht  gewöhnlich  den  Fehler, 
daß    er    die    Kardinalzahl     nimmt,  z.   B.    ..i^Lj  .^iS^  ^^^  »O^Ä«.Ww^./.X:    ^■>"   V 
.i^y        ^s^.^    j^    ^UJ_^    »Js.^^NJ.^X^'    sowohl    in    der    FätihbibUothek 


-7^0  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

wie  in  der  RaRib   Paschas  befindet    sich   ein  Exemplar    dieses  Buches.    Die  Distributiv- 

form    ist    auch    bei    J^'s    nötig,  z.  B qJ^IvAÜ     »j^j^  j^'^r     welche   Nummer 

eine   jede  erhalten  habe  .  .  .  (Hüsen  Rahmi   GülJabänT  aC,   5   v.  u.) 

§  80,  Neben  -:J^t    hätte  auch    .e}^    genannt  werden  können. 

§82.  Seit  dem  Erscheinen  des  Buches  ist  in  der  Türkei  am  i.  März  1917 
der  gregorianische  Kalender  eingeführt,  jedoch  mit  dem  Unterschiede,  daß  statt  der 
christlichen  Jahreszahl  die  des  Finanzjahres  bleibt.  1918  =  1334.  Anfang  des  Jahres 
ist  der   i.   Januar, 

§  83  ^,w».j_jl  \Jt4->  wird  guf/idr/äsi  ausgesprochen.  Für  den  Anfänger  ist  es 
empfehlenswert,  zu  den  Wochentagen  immer  ^_^  hinzuzufügen.  Sic  werden  zwar 
auch  allein  gebraucht,  aber  in  gewissen  Fällen  darf  es  nicht  fehlen.  So  kann  man 
zwar  sagen     aJC^SuX^       JLo    jJ    (oder  auch     NJ  Jlo),     aber  nie  einfach    ^^^''*^. 

§  84.  Wenn  der  Wochentag  hinzugefügt  wird,  so  tritt  er  an  die  Stelle  von  ^j^ . 
z.B.  Jfci'  .1;^  ^^k^  *i)ow^  —  übrigens  wird  immer  ^w««  gesprochen  s.  o. — . 
Ebenso  wird     Jjj'  gewöhnlich  ausgelassen,  wenn  (»L/iXsl    gebraucht  wird,  also    \^\.,>*fJ 

^'^^\      ^.>\>UiJ        Wird      ^-M.xi^^    gesetzt,   so  bezeichnet  es  den  vorhergehenden 
L?  l5  •  •  l5        •   ••       ° 

Abend,  also     ^x.>\-0'    ^;^'Jji^    ^l^    am  Abend  des  4.  April. 

§  85.        ^i     wird    heute    gewöhnlich   weggelassen.     Sehr  gebräuchlich  ist    ^;-J;-J' 

im  Sinne  von  Datum.     »Der  wievielte  ist  heute r«  heißt    ,^^>-'^    Ah^    O^-^' 

§87,  2  a  ist  räddälärindä  zu  sprechen.  Außerdem  hätten  in  den  §§  über  die 
Zahlwörter  die  geographischen  Entfernungsangaben  angegeben  werden  können,  z.  B. 
aJuj'U^    aJOsJLi'    I.    d'^./L^-J    10  km  nördlich  von  Berlin  u.  ähnl. 

§  88.  Die  gewöhnliche  Aussprache  von  j*^0  ist  dirlim  oder  dräm,  Dirhäin 
ist  gewollt  gelehrt. 

§  90.  Dieser  §  enthält  nicht  viel  Neues  und  verdiente  bei  einer  Neubearbeitung 
auf  Grund  selbständiger  Beobachtung  er%veitert  zu  werden.  Statt  des  Nominativs  hätte 
sich  die  Bezeichnung  Indefinitus  empfohlen.  Außerdem  hätten  hier  doch  statt  der 
dürftigen  Auswahl  alle  Verba  aufgeführt  werden  müssen,  die  eine  vom  Deutschen  ab- 
weichende Rektion  haben,  wie  (^^J-^.  (j^J-^l-*  ^J*)  "^^-  ''^^^  '^'^^  ""'  einiges 
anführen.        Unter     dem     Dativ     fehlt     der    beim     Passivum     vorkommende     Gebrauch 

desselben      für      unser      »von«     z.    B.      (^^^J>-^      (Ni*4?-^0      ^^xS"^      '^"''^^^    ^'" 
Schneegestöber   (Sturm)    gepackt   werden,    in  ein  Schneegestöber   geraten,  z.B.  Ja'küb 

K  a d  r  i ,  Bir  s'drängäm  aS*,   7. 

Zur  Charakteristik  der  türkischen  Kasusendungen  hätte  auch  die  Eigentümlichkeit,  — 
die  meines  Wissens  noch  nicht  beobachtet  worden  ist.  —  erwähnt  werden  können,  daß 
nämlich  die  Endung  auch  an  Nichtsubstantive,  sogar  an  ganze  Sätze  angehängt  werden  kann, 
z.  H.  ^JÖ  iü.O  bis  gestern,  ^^J^.-^JaJ  ^^^Jo  »^^=>  Die  Statuten  des 
(Vereins)  Halka  dogru  {Tatiin  19.  Dez.  191 7,  Leitartikel)  ^.i^y*^^»}  su\.ÄCuAw^i 
euphemistische  Bezeichnung  für  die  Peris  (bei  Hüsen  Rahmi  sehr  häufig,  z.  B. 
(inlJabänT    a^,     8.     ^A/>J»     ^lo     V'j-^     i^^    ^}     c?"-?"^-"^    •'^''^"^  )^&Ar'i 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  201 

^\*'t.    5  ')•     '^"^  erhalten  auch  stets  die  arabischen  Eulogien,  z.  B.    J>.>»  jc    oder    ^^j^ 
A.JU.»    ».j^    »Sj\    die  Kasusendungen. 

Außer  in  der  Poesie  wird  der  Genitiv  auch  in  einzelnen  Redensarten  nachgestellt, 

z.  B.    dU  \>-:>vi  X*.Ä.^  1^^  Ja'küb  Kadri    Cöl,   7. 

In  der  Verbindung  ,m^  nach  einem  Substantiv,  die  der  Verbindung  Ow^«  CJJ 
entspricht,  erhalten  beide  Wörter  die  Kasusendung,  z.B.  ^.,lXJ-L5  j^-juNju^sä/«)  IlüsCn 
Rahmi  Güljabänl  a^,    6  v.  u. 

§  90,  6b    i_J*..*w.JL-<.5    wird  heute  filosof  ausgesjMOchen. 

S  91,  I.  Zu  \Jul  hätte  erwähnt  werden  müssen,  daß  es  mit  dem  auslautenden 
Suffix  d.  3.  Pers.  zusammengezogen,  gedehnt  und  betont  wird;   vgl.  oben  zu  §  5. 

§91,5  x:>-  wild  auch]  beim  Passivum  im  Sinne  unserer  Präposition  von  ge- 
braucht. 

§  92,  I    iiJj    heute  ungebräuchlich, 

§  92,  4    ,  ::.c^Ij    wird  auch  zeitlich  gebraucht. 

§9^,5.  Sowohl  bei  ».JCo  wie  bei  J»i  kommt  auch  die  Zeitbestimmung  im 
Ablativ  vor,  z.  B-    s.S!/^    ^.jJsJ^    (j;^-^* 

§  97,  9  Abs.  3.  (^y-ti^  f^^i.M^\  ^^  mit  »Institution  des  Schaich  ül-islamats« 
zu  übersetzen,  ist  nicht  besonders  glücklich.  Schaich  ül-islamat  ist  wohl  das  beste. 
Die  gewöhnliche  Aussprache  ist  übrigens  seliislam  knpusu. 

Zu  §  97.  10  hätte  hinzugefügt  werden  müssen,  daß  die  Izafe  in  •■Zi^Lx**,jö  und 
(»ij'J^j^  in  der  Umgangssprache  unterdrückt  wird. 

§  97,  14  Abs.  2.  Statt  viüsäj-  iUh  kommt  ebenso  häufig  die  Nunation  vor.  Die 
Aussprache  lähil  ist  ungebräuchlich,  man  sagt  läh,  lähividä,  lähisind'd. 

§  109,  2.  Die  Verbindung  dUii  »Jo^  und  äjinliche  fangen  jetzt  an,  ungebräuch- 
lich zu  werden.     Man  kann  schon  Osmanen  finden,  die  sie  nicht  kennen. 

§  109,  3.  Diese  Verbindung  kommt  im  heutigen  Osmanischen,  wie  auch  der 
Beispielsatz  zeigt,  nur  im  Imperativ  vor.  In  den  anderen  Formen  ist  sie  nicht  im 
Gebrauch. 

§  110,  I  \iV.^jl.  das  früher  alleinstehend  im  Sinne  von  {^y*-?}'^.  allgemein  ge- 
braucht wurde,  hat  sich  in  der  Umgangssprache  auch  noch  erhalten,  z,  B.  ^-t-^o^  ^y^i^ 
*j8jsjl    Hüsen  Rahml  Güljahäni   vS,     1,  ebenso  in  dem  Turkizismus : 

l5>  viJjUjl  U!  »nicht  möglich!  Du  übertreibst!«  z.  B.  Ja'küb  Kadri  Bir  särängäm 
Iac5,   5  V.  u.  statt  des  in  gleicher  Bedeutung  gebrauchten    l^    -^Aj'uj    i^l    ebenda    I...     12. 

Zu  §  1 10,  2  b  ist  zu  sagen,  daß  in  (Jj.-»-M  j^*^  dies  Vcrbum  auch  in  der  Um- 
gangssprache das  allein  gebräuchliche  ist. 

§  III.     Die  Bemerkungen   stimmen   wenigstens  für  das  heutige  Sprachbewußtsein 

bei   verschiedenen  Formen  nicht   mehr,    -jJj  ,    <!)aU  ,    ^jytri^    ^^^    f^^    U\Aqi\. 


')  Noch  andere  Beispiele; 

^A^Xxi'  }^y^l^  p'^A^J  ^iUi'u  kondolieren  gehen,  eig.  gehen,  um  zu  sagen 
»mögest  du  gesund   sein«  (die  in  diesem  Falle  übliche  Redensart). 

^^^^  (od.  ^j^.^JLAÄ^J)  XJ>wJj_jJ  =  wollen  die  Sache  nicht  auf  einen 
Bruch  ankonimenlassen,   nicht  bis   zum  äußersten  trcil)en. 


2^2  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

eine  ebensolche  Einheit  wie  das  deutsche  lieb-tc  usw.  Wkii.  widerruft  sich  auch  ge- 
wissermaßen selbst  in  §  114. 

§  112,  Abs.  I  -J>^Xss>-   wird  heute  gewöhnlich  ri/ri  ohne  i  ausgesprochen. 

§  116  Schluß  hätte  hinzugeftigt  werden  müssen:  und  sind  dann  der  Vokalhar- 
monie unterworfen. 

§  122,  3.     Die  Regel  ist  schlecht  gefaßt.     Den   13  (14)   Verben  auf  /  und  r,   die 

f,  i,  ii,  u  im  Aoriststamm  haben  —  es  sind  folgende:  /  i*^)  j,  /  ä/s,^!^  'i\4J»)j  /  »-«J»! 

wird  in  Konstantinopel  mit  a  gesprochen,  dialektisch  kommt  aber  auch  in  Konstantinopel, 
sogar  bei  Mehmed  Em  in  MSOSAs  1910  S.  26,  13  ?  vor)  —  stehen  25  auf  /  upd  r 
endigende  gegenüber,  die  a  oder  <>'  haben. 

§  130  Anm.  hätte  neben    q^'  auch     ^^Joi    erwähnt  werden  können,  das  zwar 

heute  in  der  Umgangssprache  nicht  mehr  gebraucht  wird,  aber  in  Urkunden  noch  hier 
und  da  vorkommt. 

§  161  Anm.  Die  Behauptung,  daß  ».jo  vom  griechischen  aeioa  komme,  hätte 
doch  mit  einem  Fragezeichen  versehen  sein  sollen.  Ich  halte  es  für  ganz  unwahrschein- 
lich, kann  allerdings  auch  keine  Erklärung  geVien, 

§  163   Anm.  2  wäre  zu  erwähnen  gewesen,  daß  neben  dem  Dativ    in    nxJ.:-»./«, «J 

viLJb     auch  der  Ablativ   vorkommt. 

§   170  a.     Der    Unterschied   zwischen    dem  verneinten  Imperativ  und  dem  Infinitiv 

auf  *>^  besteht  auch  in  der  verschiedenen  Betonung:  >.4./i>jL,^  calisma  arbeite  nicht 
und  laltsmd  das  Arbeiten. 

S  178,  I      g^~KZ>  wird  hairli  \\x\d  nicht  Jiairlt  ausgesprochen,  statt  />äs7f/iän  spricht 

man  fismati,  statt  ^^.IäjiAjlj    jst  natürlich      ^JotjJvjLj    zu  lesen. 

§  179,  I  ^^^A-_»\  {j:\  ^3^  ^.♦JCjL\i5'  X/yJj  sagt  man  nicht,  dafür  ist  J\h  ^*>j^J 
das  Richtige. 

§  183,  I   und    197,  6c    sJ^jj^     —    immerfort  gilt  als  sehr  familiär. 

§  186,  4  i-i)?ww~yJ  wird  in  Konstantinopel  sünä  ausgesprochen;  .ui/ia  gilt  .als 
dialektisch. 

§  193,  e  statt    \aw.s»j    gebraucht  man  in  diesem  Falle    0«-?>Lj. 

§   195,  Anm.    ^'!    wird  zllä  ausgesprochen. 

§  ig6,  1.     Die  Aussprache  von       -jCiiLi     ist  käUr  oder  ktiski,  nicht  A'äSh'. 

§  197,  2.  Die  Wiirter  auf  N^  werden  sehr  wohl  adjektivisch  gebraucht,  z.  H. 
^.^>".  -iil,  JtiC  *^^  -J'  allerdings  immer  in  bezug  auf  die  Sprache.  Es  kommt 
aber  auch    <Jli    li^J>S  -j    vor. 

§  197,  12    .  c^^   wird  gewöhnlich  </«/«'  gesprochen. 

§204,  4  b  c-»JjJ  c*^'-^J^  statt  g-^jJs-Jiy  ^.«.jiAii  zu  sagen,  ist  in  Kon- 
stantinopel ungebräuchlich,  dagegen  ist   j^-*-^  ^      ^'Ja^i:^    richtig. 

§  212  Anm.  «sW«ä  statt  üzerinä  ist  ungebräuchlich. 

§  217,  I.  In  dem  Satze  ,iA-J>a>-Ci  _X>iJb  ^  ^^r!-:^  '^^  statt  -^  ,  das  vor 
kommt,  besser   liV^    zu  sagen. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  263 

8  218,   I   statt    j. ,  «.aaS  . J.5    NxijJ^J»!    ist  das  Gebräuchlichere    (^.,JJäjiAJ»). 

§  2i8,  I   Anm.  und  229, c    (j^-S    wird /i^r?  ausgesprochen,  aber    l/^^^s  faraza. 

§  225—27  hätte  *.-w.J^j!  qI^»  als  höflicher  Ausdruck  für  ^j>^)  ^  genannt  werden 

vönnen. 

§  230,  3  statt  gärci  wird  auch  gärce  gesprochen. 

Konstantinopel.  Friedrich  Giese. 


Islamische  Ethik.  Nach  den  Originalqiiellen  übersetzt  und  erläutert  von  Hans  Bauer.  Heft  II. 
Von  der  Ehe  (Das  12.  Buch  von  a  1  -  G  a  z  ä  li's  '  Hauptwerk).  Halle  a.  S.,  Max  Niemeyer, 
1917.     X  u.  120  S.     M.  3,60. 

Nach  kurzer  Frist  läßt  Bauer's  dem  Der  Islam,  VHI,  152  ff.  besprochenen  ersten  Heft 
seiner  »Islamischen  Ethik«  ein  zweites  folgen,  das  das  Kapitel  »Von  der  Ehe«  aus  al-Gazäli's 
'////ä  'Uh'im  ed-D'in  in  Übersetzung  enthält.  Diese  Energie,  mit  der  der  Verfasser  seinen 
a.  a.  0.  mit  Freude  willkommen  geheißenen  Plan  fortführt,  verdient  um  so  mehr  Aner- 
kennung, als  er  sich  auch  durch  die  Einziehung  zum  Heeresdienst  nicht  hemmen  ließ.  Der 
Ausführung  lassen  si(?h  dieselben  Vorzüge,  vielleicht  in  noch  höherem  Maße,  nachrühmen, 
die  schon  in  der  Besprechung  des  ersten  Heftes  hervorgehoben  sind.  Es  sei  erwähnt,  daß 
Bauer,  S.  VHI  Anm.  i,  zu  einigen  Der  Islam,  VHI  152,  gemachten  Bemerkungen  aus- 
drücklich Stellung  nimmt  in  einer  Weise,  die  auf  etwa  darin  enthaltene  Bedenken  eine 
endgültig  befriedigende  Antwort  gibt:  es  ist  Bauer's  eigener  Wunsch,  das  ganze  Haupt- 
werk al-Gazäll's  zu  übersetzen,  und  es  sind  nur  die  durchaus  begreiflichen  äußeren 
Schwierigkeiten,  die  ihn  veranlassen,  sich  vorerst  auf  eine  Auswahl  zu  beschränken.  Es 
braucht  kaum  gesagt  zu  werden,  daß  wir  sein  Unternehmen  darum  um  so  dankenswerter 
finden. 

Bauer  hat  für  dieses  zweite  Heft  ein  etwas  gefährliches  Thema  gewählt.  Aber  wenn 
jeder  Leser,  zumal  der  den  Anschauugen  des  Islam  ferner  stehende,  bisweilen  durch  den 
Inhalt  des  Abschnitts  peinlich  berührt  wird,  so  hat  Bauer  doch  sicher  recht,  wenn  er  im 
Vorwort  den  hohen  sittlichen  Ernst  rühmt,  mit  dem  al-Gazäll  die  Dinge  des  sexuellen 
Lebens  behandelt.  Gerade,  daß  Bauer  es  wagt,  dieses  heikle  Kapitel  schon  als  zweites 
Heft  seines  Unternehmens  erscheinen  zu  lassen,  ist  vielleicht  darum  ein  glücklicher  GrifT, 
weil  es  überzeugend  dartut,  wie  hoch  ein  Muslim,  der  selbst  diese  vom  Islam  so  ganz  anders 
als  von  uns  beurteilten  Dinge   so  bespricht,  ethisch  stehen  muß. 

Zur  Ausführung  der  Arbeit,  von  der  im  wesentlichen  dasselbe  gilt  wie  von  der  des 
ersten  Heftes,  sei  zunächst  eine  prinzipielle  Bemerkung  erlaubt.  Ein  Vergleich  mit  meinem 
GazälT-Druck  Kairo  1326  ließ  mir  diesmal  doch  recht  zweifelhaft  erscheinen,  ob  wir  so 
ohne  weiteres  dem  Texte  des  Murtadä  einen  Textus  receptus  gegenüberstellen  können, 
wie  es  Bauer  tut  (vgl.  dazu  seine  Äußerungen  in  seiner  Habilitationsschrift:  Die  Dogmatik 
al-Ghazäll's,  S.  5—7)-  Mehrfach  nämlich  stimmt  an  den  Stellen,  an  denen  er  die  Varianten 
des  Murtadä-Textes  und  des  Receptus  (früher  mit  J,  jetzt  mit  R  bezeichnet)  in  den 
Anmerkungen  angibt,  der  Druck  1326  mit  Murtadä  gegen  Bauer's  R  überein,  so  Bauer, 
S.  35  Anm.  2;  S.  62  Anm.  i;  S.  102  Anm.  i;  S.  112  Anm.  3.  Weiter  verweist  derselbe 
Druck  an  den  Stellen  Bauer,  S.  23  Anm.  i,  mit  .^j.^j?=VÄ^j,  S.  82  Anm.  3  mit  .^^k>^\^^a 
und  ^^j3L:>V/5  unverkennbar  auf  den  Murtadä-Text  gegen  Bauer's  R.  Von  andern  Ab- 
weichungen des  Druckes  Kairo  1326  seien  noch  folgende  genannt:  Bauer,  S.  16  Anm.  3, 
hat  er  })y6,  wie  Bauer  emendiert;  S.  32  Z.  4  v.  u.  hat  er  s.^  Sarah,  doch  dürfte  sirra  tat- 
sächlich das  Richtige  sein;  S.  57  Anm.  4:  J^^tJ  J.x;:^=^;  in  der  Tradition  S.  59  Z.  28 


2Ö4  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

t 
steht  das  passende   ^^*-ii  »etwas  Entstellendes«,  wo  Bauer's  Übersetzung  »etwas«     ^ 

voraussetzenlüßt;S.  74  Anm.  3  j;ixXyiii  statt(j;s«Äil;  S.  79  Anm.  3  hat  er,  wie  BuljärT, 

— lA/a  ;  ebenda  Anm.  4  bietet  er  den  von  Murtadä  erwähnten  Zusatz.  Finden  sich  in  den 
o 

Lesarten  von  Kairo  1326  auch  manche  Druckfehler,  soviel  zeigen  die  angeführten  Vari- 
anten m.  E.  doch,  daß  man  mit  der  Vorstellung  eines  feststehenden  Textus  receptus 
immerhin  recht  vorsichtig  sein  sollte. 

Dieser  Eindruck  wird  noch  verschärft,  wenn,  wie  zu  vermuten,  mehrere  der  im  folgen- 
den besprochenen  Einzelheiten  sich  aus  der  Verschiedenheit  der  Lesart  erklären.  Ich  gebe 
hier  in  demselben  Sinne  wie  Der  Islam  VIII  153,  was  mir  bei  einer  bald  eingehenderen, 
bald  flüchtigeren  Durchsicht  besonders  aufgefallen  ist. 

S.  9  Z.  15  fehlt  das  ^Jlc  »vor  mir«,  das  S.  36  Z.  17/1S  in  demselben  Ausspruch 
richtig  wiedergegeben  ist  mit  den  Worten  »ist  mir  .  . .  über«. 

S.  16  Z.  18  führt  Kairo  1326  vor  Süra  672  auch  schon  Süra  5660  an. 

S.  17  Z.  27  ff.:  «.aJIcL/O  i^5>.>i  »X.Ä5  iAä£  rt-*-'  '^t  nicht  zu  übersetzen:  »So  braucht 
auch  derjenige,  der  einen  \'ertrag  schließt,  nur  das  zu  leisten,  was  er  schuldig  ist«  usw., 
sondern  heißt:  »Wer  also  einen  Heiratsvertrag  schließt,  der  hat  damit  schon  geleistet,  was 
er  schuldig  ist«  .  .  . 

S.   19  Z.   I  ff.  scheint  Bauer  das  hergehörige  ^->^>^    in  jaüj»   '-tV^  •-'•^^   t*) 
nicht  gelesen  zu  haben,  was  heißt:   »daß  er  viel  zu  heiraten  und  zu  sagen  pflegte«. 

S.  31  Z.  15  hat  Kairo  1326  »zu  diesem  Hasan«  statt  »von  d.  H.«  und  entsprechend 
im  folgenden  »du  bist«  statt  »er  ist«. 

S.  32  Z.  3  v.  u.:  >AVcr  meine  Sunna  bis  zur  Erschlaffung  befolgt«  ist  mindestens  miß- 
verständliche Übersetzung  des  ^_Äx.w»  ^J  iöJCs  u^ot^  CJ^*  '*^^'^''  '"^  Nachlassen 
(d.  h.   in  der  Erholung)  sich  nach  meinem  Vorbild  richtet.« 

S.  58  Z.  i:  Wenn  Murtadä  die  Lesung  i-.^j^  g'bt,  so  ist  das,  ob  er  selbst  es  merkt 
oder  nicht,  jedenfalls,  zumal  er  es  ja  ausdrücklich  als  ein  Wadi  in  Syrien  bezeichnet,  LTrdunn 
(=  Jordan)  zu  vokalisieren,  nicht  Ardan. 

S.  62  Z.  3  V.  u.:  Li.w.^fti  ^5  xXjääs>  nicht  »sich  selbst  ...  bewahrt«,  sondern  »ihn 
in  ihrem  Herzen  .  .  .  bewahrt«. 

S.  63  Z.  6:  1.   »heiratete«  statt  »verheiratete«  -.»iJ. 

S.  63  Z.  22:  1.  »verheiratete  .  .  .  seine  Tochter  an  'Abu  Huraira«  statt  »heiratete  .    ; 

eine  Tochter  des  A.  H.«  (,•♦'*    i01>o    ^»'s). 

S.  71   Z.   15  u.:  Anm.  3:  1.    »Quhäfa«  statt   »Qiifäha». 

S.  93:  Die  Übersetzung  ist,  zumal  Z.  10,  für  den  nicht  mit  der  Sache  Vertrauten 
kaum  durchsichtig,  wenn  er  nicht  erfährt,  daß  die  (Janäf'a  nicht  getilgt  wird  durch  ein 
bloßes  W'ii^H,  sondern  nur  durch  ein  vollständiges  Gusl.  Entsprechend  ist  Z.  17  »nach 
einer  sexuellen  Verrichtung«  nur  unvoUkonunene  Übersetzung  des  »_»-«.:>-  •>»;  d.  h. 
eben,  ehe  er  eine  Vollwaschung  gttsl  vorgenommen  hat. 

S.  96  Z.  8:  1.   »und«  statt  »aber  noch  nicht«. 

S.  99  ult./ioo  Z.  i:  Die  Worte  »jiIjü  J^c-  C>y:>-J.\  ,«JO  (j*-;^  5^^ 
haben  offenbar  weder  den  von  Bauer  im  Text  ausgedrückten,  noch  den  von  ihm  in  der 
Anm.  I  zur  Wahl  gestellten  Sinn,  sondern  heißen:  »hier  wird  von  der  Zerstörung  der 
[bereits  vorhandenen]  Existenz  ein  Analogieschluß  gezogen  auf  die  Verhinderung  der  [erst 
in  der  Zukunft  zu  erwartenden  möglichen]  Existenz.« 

S.  102  Z.  2  v.u.:  Zu  Umm  al-Sibjän  vgl.  Canaan,  Aberglaube  und  V olksmedisin 
im  Lande  der  Bibel  (Hamburg  1914),  S.  27. 


Kleine  Mitteilungen   und  Anzeigen.  265 

S.  III  Z.  23  wäre  nach  Kairo  1326  zu    lesen    »wenn  eine  Frau  stirbt«  statt    »wenn 
einer  Frau  ihr  Mann  stirbt«. 

S.    116  Z.   iS    u.  ö.     können    dadurch    Mißverständnisse      entstehen,    daß    '■^Ij! 
mit  »Pflichten«  wiedergegeben  wird,  während  es  doch  nur  das  korrekte  Verhalten  bezeichnet 
(vgl.  z.  B.  S.   119  Anm.  4). 

Man  sieht,  diese  kleinen  Einzelheiten  haben  womöglich  noch  weniger  Bedeutung  als 
die  Ausstellungen,  die  wir  zürn  i.  Heft  zu  machen  hatten.  Man  kann  sich  also  der  nütz- 
lichen Arbeit  um  so  mehr  freuen  und  möchte  nur  hoffen,  daß  der  Verfasser  sein  dankenswertes 
Unternehmen  ebenso  rasch  wie  bisher  möge  fortführen  können.  ^    Hartmann. 


El-Belädori's  »kitäb  fidü//  el-hildänd-  (Buch  der  Eroberung  der  Länder)  nach  de  Goeje's 
Edition  (Leyden  1866)  ins  Deutsche  übersetzt  von  0.  Rescher.  Lief,  i,  pag.  i  — 144. 
In  Kommission  bei  0.  Harrassowitz.     Leipzig  1917.     IV  u.  148  S.     M.  7,50. 

Eine  Übersetzung  von  Belädorl's  Futük  el-Buldän  ist  seit  lange  ein  Desideratum 
und  bleibt  das  auch  nach  der  Verarbeitung  des  Stoffes  in  Caetani's  Annali  delV- Islam. 
Wir  begrüßen  es  daher,  daß  sie  uns  nunmehr  —  und  zwar  gleich  von  zwei  Seiten  —  ge- 
schenkt wird:  denn  gleichzeitig  mit  der  vorliegenden  Re  scher 'sehen  ist,  wie  der  Autor  im 
Vorwort  bemerkt,  eine  englische  von  Ph.  Khüri  Hitti  unter  dem  Titel  The  origins  of 
the  Islaviic  State  (New  York  1916)  erschienen,  die  freilich  bei  uns  zu  Lande  zunächst  noch 
kaum  zugänglich  sein  dürfte  und  auch  dem  Referenten  nicht  vorhegt. 

Die  erste  Lieferung  von  Rescher's  Arbeit  umfaßt  Arabien  und  den  größten  Teil 
von  Syrien.  Die  Übersetzung,  die  von  großem  Fleiß  und  Eifer  zeugt,  ist  getreu,  aber  nicht 
wörtlich.  Vielfach  sucht  Rescher  durch  freiere  Umschreibung  den  etwas  prägnanten  Wort- 
laut verständlicher  zu  machen.  Dadurch  geht  natürlich  die  knappe  Fassung  der  arabischen 
Ausdrucksweise,  die  Wellhausen  oft  in  so  wundervoller  Schärfe  wiederzugeben  verstand, 
völlig  verloren.  Aber  wenn  man  auch  vielleicht  die  Paraphrase  bisweilen  gar  zu  langatmig 
findet,  so  ist  doch  anzuerkennen,  daß  —  zumal  für  den  Nichtfachmann  —  dadurch  manches 
leichter  verständlich  wird.  Mitunter  mag  es  freilich  vorkommen,  daß  die  Umschreibung  dem 
Sinn  nicht  ganz  gerecht  wird.     Wenn  z.  B.  S.  114,  16  ff.  zu  lesen  ist: 

»Ferner  wird  auch  berichtet,  es  sei  abü  'Ubaida  gewesen,  der  Ma'äb  —  und  zwar 
im  Halifat  'Omar's  —  eingenommen  habe,  während  er  selbst  Höchstkommandierender 
über  ganz  Syrien  war«, 
so  würde  man  annehmen,  daß  diese  Tradition  einer  andern  gegenübersteht,  die  die  Ein- 
nahme nicht  dem  'Abu  'Ubaida,  sondern  einem  andern  zuschreibt,  während  sie  im  Original 
nur  besagt,  er  habe  dies  unter  der  Regierung  'Omars,  nicht  schon,  wie  andere  vorhergehende 
angeben,  unter  'Abu  Bekr  getan.  Doch  sind  solche  Verschiebungen  des  Sinnes  wohl  selten 
und  nicht  zu  störend. 

Im  ganzen  kann  keine  Frage  sein,  daß  Rescher's  Arbeit  ein  Verdienst  ist.  Ist  doch 
damit,  was  er  selbst  im  Vorwort  als  Zweck  der  Arbeit  angibt,  auch  dem  Nichtarabisten 
der  Stoff  bequem  zugänglich  gemacht.  Hier  muß  nun  freilich  gesagt  werden,  daß  ein 
nicht  sprachkundiger  Historiker  von  einer  Übersetzung  wirklich  nutzbringenden  Gebrauch 
nur  machen  kann,  wenn  sie  zugleich  kommentiert  ist,  wie  dies  Nöldeke  in  seiner  TabarT- 
Übersetzung  »Geschichte  der  Perser  und^  Araber  zur  Zeit  der  Sasanidena  in  so  vorbildlicher 
Weise  getan  hat.  Wie  sehr  eine  eingehende  Erklärung  nötig  ist,  mag  an  ein  paar  Beispielen 
gezeigt  werden.  Es  ist  ja  selbstverständlich,  daß  die  historische  Wertung  der  bei  Belädori 
vorliegenden  Überlieferungen  nur  unter  Vcrgleichung  mit  dem  übrigen  Material  geschehen 
Islam  IX.  ,  1 8 


2(56  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

kann.  Aber  auch  ganz  abgesehen  davon,  wird  einNichtarabist  denTextdes  Belädorl selbst 
ohne  Erklärungen  nicht  überall  hinreichend  verstehen  können.  Er  wird  z.  B.  nicht  ohne 
weiteres  merken,  daß  das  Dätin  S.  iiOio  offenbar  dasselbe  ist  wie  das  S.  11O25  genannte  ed- 

Däbija.  —  Ein  anderer  solcher  Punkt  ist  die  Wiedergabe  der  Namen   ••xIa.wJLj  und    .,J  ,"^'i 

mit  »Palästina«  und  »Jordanbezirk«  (10926  ff.  und  immer).  Der  Leser  wird  da  nicht  ahnen, 
daß  beides  Namen  für  ganz  fest  umschriebene  geographische  Größen  sind,  die  Verwaltungs- 
einheiten gund  von  Filastln  und  el-'Urdunn,  die  im  Kern  der  Palaestina  prima  und  secunda 
der  byzantinischen  Einteilung  entsprechen,  sich  aber  keineswegs  mit  dem  decken,  was 
wir  etwa  unter  Palästina  oder  Jordanbezirk  verstehen  würden.  Ja,  der  Übersetzer  selbst 
scheint  sich  durch  die  unbestimmte  Übersetzung  haben  verleiten  lassen,  wenn  er  S.  118,  8 

,.,J,"b.U    (V.=>l»wv  mit  »Jordanufer«,  11814  »Ufergebiet  des  Jordan«  wiedergibt.  Die  J^5>Ujw 

.,i3j^Si  liegen  ja  natürlich  nicht  am  Jordan,  sondern  sind  die  Küstenstädte  des  gund  el- 
Urdunn:  *Akkä  und  ."^ür.  In  andern  Fällen  übersetzt  Rescher  ^}>s>\jm  ja  ganz  richtig» 
wie  z.  B.  13O9,  wo  er  Ä..Cii./>>3  Jo>L.as«  als  »syrische  Küstenplätze«  wiedergibt.  Dimaschk 
ist  hier  wie  so  oft  ja  ebenfalls  Name  des  gund,  nicht  der  Stadt.  Auch  das  kommt  in  der 
Übersetzung  überhaupt  nicht  klar  zum  Ausdruck,  daß  die  Namen  Dimaschk,  Hims 
(Rescher  stets  Homs:  in  so  alten  Texten  würde  man  aber  doch  wohl  besser  der  von  den 
Arabern  selbst  gegebenen  Aussprache  folgen),  Kinnesrln  nicht  bloß  Stadtnamen  sind, 
sondern  ebenso  wie  Filastin  Gund-Namen.  Die  Beispiele  genügen,  zu  zeigen,  wie  unent- 
behrlich für  das  Verständnis  der  Übersetzung  Erklärungen  sind.  Re scher  ist  sich 
dessen  natürlich  auch  bewußt  und  erklärt  das  Fehlen  durchaus  verständlich  und  hinrei- 
chend mit  der  Schwierigkeit  der  Zeitverhältnisse.  Es  ist  in  der  Tat  schon  erfreulich  genug, 
daß  er  in  diesen  Jahren  eine  Belädori-Übersetzung  besorgen  kann.  Das  Vorgebrachte 
soll  daher  kein  Tadel  sein,  es  soll  nur  dem  Wunsch  und  der  Hoffnung  Ausdruck  verleihen, 
daß  der  Übersetzer  die  Aufgabe,  die  er  sich  gestellt  hat,  später  dadurch  zu  Ende  bringt, 
daß  er  die  Erklärung  noch  folgen  läßt. 

Im  Anschluß  sei  hier  noch  eine  Reihe  von  Einzelheiten,  auch  Richtigstellung  sinn- 
störender Druckfehler  gegeben,  auf  die  Referent  bei  der  Vergleichung  gewisser  Abschnitte 
mit  dem  Original  aufmerksam  wurde. 

S.  5  Z.  22:  1.  300  statt  360;  1.  200  statt  100. 

S.  12  Z.  20:  »dort«  ist  zu  streichen. 

S.   16  Z.  5:  füge  nach   »'Arib«   ein  »b.  Zaid«. 

S.  108  Z.  28:  füge  vor  »Ibn  el-Garräh«  mit  dem  Original  ein  »Abu  'Ubaida«;  der 
Leser  merkt  sonst  kaum,  daß  der  gleich  nachher  genannte  A.  'U.  dieselbe  Person  ist. 

S.  108  Z.  30:  A.iJ  J-^^.  »war  der  (Haupt)  Imäm  im  Heere«  scheint  mir  insofern 
nicht  ganz  glücklich  übersetzt  zu  sein,  als  Imäm  doch  den  Anführer  schlechthin,  auch  z.  B. 
in  militärischen  Dingen  bezeichnen  kann. 

S.  109,  Z.  3:  ob  das  ^U^  mit  »seid  ihr  aber  untereinander  uneins«  richtig  aufgelöst 
ist,  scheint  mir  sehr  zweifelhaft;  vielleicht  wäre  es  in  solchen  Fällen  besser,  den  unbestimmten 
Ausdruck  beizubehalten,  also  etwa  »andernfalls«. 

S.  HO  Z.  16:  ob  el-*Araba  als  »Örtchen«  zu  bezeichnen  ist,  ist  sehr  fraglich;  man 
wird  doch  zunächst  an  den  noch  heute  so  genannten  Landstrich  denken. 

S.  HO  Z.  18:  *^s-  kann  doch  kaum  »das  Gros«  heißen;  man  wird  heber  mit  de 
GoEjE   im  Glossar  bei  der  Bedeutung  »Anführer«  bleiben. 

S.  III  Z.  21:  füge  nach  »'Omar«  ein  »b.  'Ali«. 


Kleine  Mittcilunget)  und   Anzeigen.  ^57 

S.  112  Z.  2  V.  u.:  Die  Berge,  die  sich  von  Damaskus  nordostwärts  erstrecken, 
rechnen  wir  doch  nicht  mehr  zum  Hermon,  keineswegs  also  das  weilcntfernte  HuwwärTn. 

S.  113  Z.  6  f.  V.  u.:  Besser:  »daß.  als  H.  an  der  Spitze  der  Muslime  nach  Bosrä 
kam,  sich  alles  gegen  dieses  (L^ic  fem.)  versammelte«. 

S.  114  Z.  24:  hes  »sie«  statt  »ihn«. 

S.   115   Z.   16:  lies  »schon«  statt  »erst«:  die  Schlaclit  von  Mu'ta  fand  doch  a.  S  statt! 

S.   118  Z.  6:  füge  vor  »Sür«  ein  »'Akkä«. 

S.  118  Z.  20  f.:  statt  »in  die  Städte  des  Jordanbezirks  sowie  nach  Sür  .  .  .«  lies  »in 
die  Küstenplätze  des  Gund  el-Urdunn:  Sür  .  .  .«. 

S.  121  Z.  9  :  statt  »bei  Damaskus  gefallen«  lies  besser:  »in  Damaskus  umgekommen«: 
er  wurde  umgebracht. 

S.   122  Z.  2:  -^j  nicht  »veränderte  sich«,  sondern  »wurde  verdorben«. 

S.  125  Z.  16:  Besser:  »gegen  die  nichtarabische  Bevölkerung  von  Damaskus  Has- 
san .  .  .«;  der  letztere  ist  Subjekt. 

S.  125  Z.  31 :  Die  »_^i?iAiS  J.pl  und  »  ,  Ji  Xj']  sind  nicht  »Besitzer  von  Gold«  und 
»Besitzer  von  Silber«im  Sinne  der  erläuternden  Anm.  zum  ersten  »Juweliere  etc.«,  sondern 
die  Bewohner  der  Gold-  (Dinar),  bzw.   Silberwährung  (Dirhem)  habenden  Länder. 

S.   128  Z.  24:  hes  »Gubail«  statt  »Gudail«. 

S.   131  Z.  8:  genauer:  »Hätte  ich  dich  .  .  .  angetroffen,  so  ständen  .  .  .«. 

S.   131  Z.  12:  aus  dem  (J*^>.äJ  ist  nicht  ein  nichtbezeugtes  »Qubbais«  herauszulesen; 


es  ist  vielmehr,  wie  ich  ZDMG.  70,  S.  497,  Anm.  4  ausgesprochen,   mit  dem  ,  w,ääJ  des 
Jäk  ü  t  zusammenzustellen. 

S.   132  Z.  9:  lies  15  statt  12. 

S.  132  Z.  10:  besser:  »der  Monate«  als  »des  Monats«. 

S.   132  Z.   16:  hes  »und«  statt  »oder«. 

^-  137  '^^-  7  V.  u.:  Gewiß  heißt  iöjü:,w./8  wörtlich  »arabisierte«,  aber  hier  handelt 
es  sich  doch  um  echt  arabische,  aber  christliche  Stämme;  richtiger  also:  »christlicher 
Araber«. 

S.  137  Z.  4  v.  u.:  (»jj-'i  OJ-J  kann  man  doch  hier  nicht  einfach  mit  »Europa« 
übersetzen;   die  j»»yi    J>^j  7,C(t'  £;o/V/  sind  doch  noch   Jahrhunderte  lang  Kleinasien. 

S.   143  Z.  6:  lies  58  statt  28. 

S.  145   Z.  3:  lies  700000  statt  7000. 

S-   145  Z.   15:  »Unter  diesen  letzteren«,  richtiger:  »Unter  den  Arabern  in  der  Stadt«. 

S.  147  Z.  6  V.  u.:  »als  laufender  Posten  .  .  .,  die  Auslagen  damit  zu  bestreiten«, 
genauer:  »mit  dem  sie  rechnen  konnten«. 

S.  147  1.  Z.:  ötOj  sind  hier  ja  nicht  »Steuernachlässe«,  sondern  der  Begriff  wird 
gleich  nachher  (S.   148,  Z.  9  ff.)  ausführlich  erklärt. 

Wenn  diese   losen  Bemerkungen  zu   einzelnen  Abschnitten  von  Re  scher 's  Arbeit 

meist  mehr  Äußerlichkeiten  betreffen,   unwesentliche   Kleinigkeiten,  so  hängt  das  eben 

damit  zusammen,   daß   zunächst  nur  die  Übersetzung  vorliegt  ohne   einen   Kommentar, 

der  oft  seine  sachliche  Auffassung  erst  klarmachen   würde.     Wir    können    nur  wünschen, 

daß  der  Autor  sein  sehr  nützliches  Unternehmen  recht  bald  möge  fortsetzen   und  schließlich 

durch  Beigabe  eingehender  Erklärungen  zu  Ende  führen  können.  „     „ 

R.    liartmannn. 


208  Kleine   Milteiliingen   und    Anzeigen. 

Philip  K hü r  1  H  i  1 1  i ,  Ph.  D. :  The  origin  of  the  islamic  State  [=  Studies  in  history,  economics 
and  public  law  edited  by  the  .  .  .  Columbia  university  vol.  LXVIII]  beeing  a  translation  fram 
the  Arabic  .  .  .  of  the  »Kitäb  futii/'  al-buldän  of«  .  .  .  al-Balädhuri. 

Dank  dem  Entgegenkommen  der  Kgl.  Hofbibliothek  München  konnte  ich  durch  die 
freundliche  Vermittlung  Herrn  Dr.  Gratzl's  für  die  Fortsetzung  meiner  Belädori- Über- 
setzung diese  schöne  und  wichtige  Publikation  längere  Zeit  hindurch  benutzen  und  für 
große  Partien  genau  mit  de  Goeje's  Textausgabe  vergleichen.  Es  bedurfte  keiner  langen 
Durchsicht,  um  zu  erkennen,  daß  der  Übersetzer  recht  gewissenhaft  gearbeitet  hat,  was 
um  so  höher  anzuschlagen  ist,  als  es  einerseits  der  nach  europäischer  Art,  d.  h.  exakt  wissen- 
schaftlich arbeitenden  Orientalen  auch  im  20.  Jahrhundert  im  allgemeinen  noch  immer 
recht  wenige  sind  und  Belädori's  Text  andrerseits  durch  seine  oft  etwas  abrupte  und 
unvermittelte  Diktion  nicht  immer  vollständig  durchsichtig  ist.  Es  soll  nun  hier  nicht 
mein  Zweck  sein,  die  Übersetzung  [sie  geht  bis  Seite  316  des  arabischen  Textes]  im  ganzen 
zu  beurteilen,  sondern  ich  möchte  hier  nur  verschiedene  Stellen  besprechen,  zu  denen  ich 
zu  einer  abweichenden  Auffassung  gekommen  bin,  indem  ich  noch  besonders  betonen 
möchte,  daß  einzelne  kleine  Unrichtigkeiten  oder  Irrtümer  der  Verdienstlichkeit  der  Über- 
setzung als  solcher  durchaus  keinen  Abbruch  tun  können  und  auch  den  entschieden  günsti- 
gen Gesamteindruck  in  keiner  Weise  beeinträchtigen.  Hinzufügen  möchte  ich  noch,  daß 
meine  Bemerkungen  vornehmlich  den  Textabschnitt  pag.  144 — 240,  der  —  insalläh!  — 
die  zweite  Lieferung  meiner  eigenen  Übersetzung  darstellen  soll,  berücksichtigen.  Ich 
notiere  also: 

Seite  8  [Textausgabe]  =  (englische)  Ü(bersetzung)  22  ult. :  An  xJ.c  {»carts«)  ist  in 
einem  altarabischen  Text  gewißlich  nicht  zu  denken;  in  meiner  eigenen  Übertragung  bereits 
durch  *«— '-f^  (Bewässerungseimer)  ersetzt;  185/9  und  211/11  und  4  unten  ist  Jal-ib   bzw. 

2j\Jii  (Ü.  289/12  und  Ü.  331/4  u.  17  Bikrät  bzw.  Bukrät)  wohl  beides  unrichtig  und  ist 
dafür  wahrscheinlich  Bakrät  bzw.  Bagrat  zu  lesen.  Es  handelt  sich  um  dieBagratiden;  vgl. 
den  Artikel  von  Topdj  ian  in  MSOS  Bd.  VIII  Politische  und  Kirchengeschichte  Armeniens 
unter  Asot  L—  151/6  =  Ü.  232/5  u.  und  Anm.  i  übersetzt  der  englische  Übersetzer  ...^lilUwJI 
mit  »government*,  dagegen  186/6  u.  =  Ü.  291/14  wieder  mit  »authorities«,  und  21 1/5  = 
Ü.  330/10  u.  mit  »Sultan«,  was  wohl  kaum  angängig  ist.  186/4  u.  /  ä>.iL^v,.«Ji  ^^i^  *-^ji 
=  Ü.  291/17  so  he  set  the  ?»angonels  fehlt  L.g-ijJlc;  andrerseits  hat  der  Übersetzer  dieses      Ac 


mißverstanden,  wie  z.  B.  55/6  u.  ^«-s-va2Js-  ^JLt  >.äjwÄ_>\/.A!  \Joi  Jj./^,  ^^^*^  =  Ü.  85/9  u. 
»The  profet  set  a  ballista  on  the  fortress«  statt  »against«;  ebenso  184/3  "•  w^-^^^J 
\>^X£.    /  ixÄ>wÄ^J!  =:  Ü.  288/9  u.:   »al-*Abbäs  ordered  that  mangonels  be  set  upon  the 

fort«  statt  »against«;  die  Stelle  196/6  u.  =  308/8  u.  Xj-;0  \As^  d^^^  »onthis  wall  he  also 

set  a  mantelet«  dagegen  dürfte  richtig  sein.  196/12  ,w«»^j  f  _'t^L-->>Ji  sc.  J  NÄ.r^'wU 
v3i.x:pJl  =  Ü.  308/18:  »and  its  height  reached  the  mountain  heights«  übersetze  ich:  er 
führte  sie  [die  Schutzmauer]  bis  zu  den  Kämmen  des  Gebirges  hinauf  (wobei  über  ihre 
Höhe  gar  nichts  ausgesagt  wird);  197/11  («jJt  3ic[  J]  =  Ü.  310/4  »invasion  of  the 
Greeks«  genauer  [er  hatte  sich  ausgezeichnet]  im  Kampf  gegen  die  Griechen;  ebenso 
237/1  (»^-^5  Oul*>o  =  Ü.  379/9:  »The  Summer  cxpeditions  of  the  Greeks«  richtiger: 
gegen  die  Griechen;  150/14  cfr.  Addenda  p'Ü>J!  »i  X.j.i.>'^-!  i?^^  (statt  des  unpas- 
senden   t^:pJL)  0  ebenso  ist  dann  natürlich  auch  197/15  zu  lesen  und  Ü.  310/14  (ent- 

')  Von  gizja   und  Vertreibung  kann  natürHch  keine  Rede  sein. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  ^^q 

sprechend  Ü.  232/1)  )>and«[pay  the  tax]  in  »or«  zu  verbessern.  162/5  11.  L\i>j.j  ^xXs 
=  Ü.  251/13  »How  didst  thou  punish«;  genauer:  Wie  sollten  bestraft  werden  (=  pass.  I); 

sonst  müßte  es  Ä:>uj  oder  Äi=-L.j  heißen;  216/7=  Ü.  340/3  u.  fehlt  .».i^j;  224/8  u. 
lese  ich  nach  SojütVs  »/lusn  el-Mu//ddara«,  vio  ^\,i>      ^jL:>- steht,  an  unserer  .Stelle    •-/« 

cli^j^O:^*^/«  •}  V^^  f»-^-*'^:^  c'  ^"^"  ^^^  '"''■  ^^>»-^^^-«*^  identische  Ow>  paßt  hier 
kaum  und  mag  aus  dem  damit  graphisch  fast  identischen  «w'L.s*  verlesen  oder  ver- 
schrieben sein;  demgemäß  ist  auch  die  englische  Ü.  etwas  zu  modifizieren  und  zu  über- 
setzen:   Ohne   daß   zu    ihnen    ein  Steuereintreiber    oder  Steuermahner  gekommen  wäre; 

187/10  lese  ich  ,*_j;yi:.>*j.  (^mit  f.);  die  U.  292/11  bleibt  dieselbe;   187/8  u.  'bi!  o^xj!  U 

^äXJC^P  xls  *,  '■y.^i>  Äo  ^/o  =  Ü.  292/14:  »What  thou  hast  written,  was  due  to  thy 
ignominy  .  .  .  and  base-mindedness«.  Übersetze  etwa:  Wenn  du  den  kürzeren  gezogen  hast, 
so  ist  Co  nur  um  deiner  Niedrigkeit  und  Kleinlichkeit  willen.  195/4  u.   .  .  .  .•»'•-*ii»j'   -^'» 

l^xjyo  ,.,!  =  Ü.  307/11:  »A.  ordered  ,  .  ,  to  wait  for  nightfall«;  genauer  ist  >.i>v-o  =  »bei 

Nacht  überfallen«.  209  paen.  ,-)>-^'-J  ifcJA.*^-w»L*)  ^  Ü.  328/4  u.  »surrendered«  füge  hinzu 
»gegen  Gewährung  des  Aman«;  184/11  |»»J^  s_Ä-CiJ  ^J^S)-  .  .  iAiL>\j  i3iJ  ^.i^ 
»until  the  Greeks  gave  way«;  genauer:  Bis  er  die  Griechen  in  die  Flucht  schlug  [vgl.  zu 
^Ju^  114/3  u.,  201/5,  206/4  u.  usw.];  238/11  »-AixS=\J!  ^j^i.O  ^s  =  Ü.  381/16  »in 
the  registers  ol-Hadrah«  —  wozu  die  Note:  »Perhaps  al-Khadrä'.  See  Idrisi  etc.«;  el- 
hadra  =  die  Residenz   vgl.    auch  68/11;  227/5  u.  ^'    <>>■**-    ,  c^   ~~   dagegen  Ü.  357/8  u.: 

»in  the  year  20«;  238/10  ^Ls  =  Ü.  »al-Mahdi  ordered«;  das  Ganze  ist  indirekte  Rede, 

cfr.  238/7 :  Sie  behaupteten  unlängst,  sie  hätten  den  Tribut  nicht  jährlich  zu  bezahlen 

und  darauf  habe  el-Mahdi  den  Befehl  erteilt  usw.     In  der  englischen  Übersetzung  wird 
dies  nicht  mehr  recht  deutlich.    Dieses  »Zitat«  hört  erst  bei  ^:>-j.j  *>J^  auf;  240/10  fehlt 

Ü.  383/16    .A^J5    8->>;>)»;  223  paen.    s^>Lc  =  Ü.  351  paen.     »by  capitulation«  richtig: 

(eroberte  Alexandrien)  im  Sturm  (mit  Waffengewalt);  230/1  (nach  Addenda)  -Ji-UJi  »die 

Minaretts«  (Ü.  361/11)  »the  boundary  marks«;  217/5  /m'>-\»     »i  t**  >— *-=>^a3  =  Ü.  342/7 

^. — ' 
»after  whom  Süq  Wardän  is  named«  mag  auch  richtig  sein;   zunächst  aber  ist  ^_^>-tAO 

»der  Herr,  Besitzer«;  214/6  (und  218/11)  xL-i=\Jl    J^>.s>   l^ax  ^ Jtj     ^5»  =  Ü.  337/6 

»that  the  descendants  of  the  descendants  may  profit  by  it«;  das  letztere  ist  zu  frei;  über- 
setze etwa:  Bis  die  Kindeskinder  (der  Muslim.s)  ins  kriegsdienstfähige  Alter  gekommen 
sind').  226/2  L^  .»lA*»  5 .oLc.  =  Ü.  355/13:  »Which  is  treacherous  to  others  and  to 
which  others  are  treacherous«;  letzteres  ist  natürlich  nicht  richtig;  240/9   clX*^  1    ^  Ji\  = 

Ü.  383/8  u.  »be  free  from  your  fright«  besser:  Beruhigt  euch  (hes  •?»,  nicht  5:3,);  von 
Furcht  ist  im  Zusammenhang  keine  Rede;  189/9  *'>^>>^5  ^  M-^'  o^-i*^  =  Ü.  295/7  »but 
the  Greeks  led  an  insurrection«  (and  destroyed  Mar'as);  genauer:  Die  Griechen  rückten 
während  seiner  [Merwäns]  Empörung  ins  Feld  (und  zerstörten  Mar'aä);  224/5  ^^^'  224/9 


')   Zur  Erklärung  der  Tradition   vgl.  Lisän. 

Islam    IX.  jq 


270 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 


und  225/9  =  Ü.  352/S  u.  14;  354/1.    Die  erstere  Stelle  lautet:    ..^\    ,  c-^    '^H-^^-''    .  c^ 


(*^H 


^c5  ^^^^J  er" 


rr^^'  O^ 


)>(a  polltax  of  13000  dmärs),    to  be  raised 


as  the  price  of  those  of  their  children  whom  they  desired  to  seil«.  Dazu  die  Note  2:  »Cae- 
TANi  (IV  533  nota)  thinks  it  must  have  meant  the  right  to  offer  to  the  Moslems  their 
children  as  slaves  according  to  a  fixed  price.«  Die  dritte  Stelle  ist  bedeutend  deutlicher 
und  bin  ich  der  Ansicht,  daß  der  Sinn  aller  drei  Stellen  der  ist,  daß  die  Nubier  ihre  Gizja 
nicht  in -Geld,  sondern  in  Sklaven  (Kindern)  zu  entrichten  hatten,  allerdings  mit  der  Frei- 
heit, die  Auswahl  derselben  nach  eigenem  Gutdünken  vorzunehmen.  Die  Auffassung  des 
englischen  Übersetzers  an  den  ersten  zwei  Stellen  halte  ich  für  nicht  richtig. 

0.  Rescher. 


Mitteilung  der  Redaktion. 

Mit  Abschluß  dieses  Bandes  scheidet  Professor  Dr.  Rudolf  Tschudi  aus  der 
Redaktion  aus.  Einem  ehrenvollen  Rufe  an  die  Universität  Zürich  folgend,  kehrt  er  in 
sein  schweizerisches  Heimatland  zurück.  Professor  Tschudi  hat  vom  VI.  Band  dieser 
Zeitschrift  ab  die  Redaktion  nahezu  allein  geführt  und  den  Islam  durch  alle  Fährnisse 
des  Krieges  hindurch  mit  sicherer  Hand  gesteuert.  Ich  sehe  ihn  mit  aufrichtigem  Be- 
dauern scheiden  und  danke  ihm  für  seine  unermüdliche  Mitarbeit.  Seine  Verdienste 
um  den  Islam  sollen  ihm  unvergessen  bleiben.  Möge  er  auch  jenseits  der  Grenze 
unserer  Zeitschrift  ein  treuer  Freund  und  Förderer  bleiben. 

An  seine  Stelle  in  der  Redaktion  tritt  sein  Nachfolger  auf  dem  Hamburger  Lehr- 
stuhl, Professor  Dr.  Hellmut  Ritter,  der  schon  seit  Jahren  den  Lesern  des  Islam  als 
ständiger  Mitarbeiter  bekannt  ist.  Ich  heiße  ihn  herzlich  willkommen.  Wir  wollen  die 
Zeitschrift  im  gleichen  Geiste  wie  bisher  fortführen  und  hofifen,  nach  Eintritt  normaler 
Verhältnisse  auch  die  Bibliographie  wieder  aufnehmen  zu  können. 

C,  H.  B  e  c  k  e  r. 


AUTOREN  VERZEICHNIS. 

Die  kursiven  Zahlen  bedeuten,  daß  der  betreffende  Autor  an  dieser  Stelle  als  Mitarbeiter 


Babinger  24^/. 
Bauer  263  ff. 
Becker  9J — 99,  sjo. 

Faik  Bey-Sade  100 — 10^. 

Giese  234 — 26J. 
Goldziher  144 — /jcV. 

Hartmann  i ijjff'.,  184 — 244, 
263 ff.,  263 ff. 


erscheint. 

Hess  ()<)f. 
Horovitz  isg — iSj. 
Horten   1 1 7  fT. 

Jacob     106 — III,     248  ff,, 
250 ff.,  253 f. 


Mordtmann 
245ff. 


106 — ///, 
Neumann   106 — iii. 


Rescher  / — 97,   120,   265 ff., 

368ff. 
Ritter  121— 143,  248ff.,  270. 
Ruska  iibj. 
Seybold  112 — 113. 
Tschudi   245  ff.,   270. 

Weil,  G.  254—263. 
Wellhausen  95 — 99. 
Wensinck  iig. 


DS  Der  Islam 

36 

17 

Bd.,9 


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